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Jämmtliche Werke.
Siebenter Band.
— — Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung. 1872. C 0 urses
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NEW YORK 59535
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Sruderzwiſt in Habsburg.
Trauerſpiel in fünf Aufzügen.
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Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 1
Alle Dramen diefer Geſammtausgabe Grillparzer's find den Bühnen gegenuber als Manuſcript gedrudt.
—
Rudolph II., römiſch⸗deutſcher Kaiſer. Mathias, Maximilian, Leopold. | feine Neffen.
Don Eäfar, des Kaiſers natürlicher Sohn. Melchior Kleſel.
Herzog Julius von Braunſchweig. Mathes Thurn.
Graf Schlick.
Ein Wortführer der böhmiſchen Stände. Seyfried Breuner.
Oberſt Wallenſtein.
Wolf Rumpf, des Kaiſers Kämmerer.
Oberſt Ramee. Ein Hauptmann.
Feldmarſchalk Yüsnosn. N
| feine Brüder.
* 92 * ®
Prokop, ein Bürger von 725 , Lucretia, feine Tochtet.: 2222
Ein Fahnenfäh zer .... — 2 Mehrere Soldaten; Bidet, zu Diener.
Eriter Aufzug.
Auf dem Kleinfeiter Ring zu Prag.
Feldmarſchall Rußßworm, ohne Waffen, von der Stadtwache geführt, an deren Spitze eine Gerichtsperſon. Rechts im Vorgrunde Don Cäſar mit Begleitern. — Früher Morgen.
Gerichts perſon. Im Namen kaiſerlicher Majeſtät Ruf ich Euch zu: Laßt ab! Don Cäſar. Ich nicht, fürwahr! Ihr gebet den Gefangnen denn heraus, Den man zurückhält ohne Fug und Recht.
Gerichtsperſon.
Nach Recht und Urtheil, wie's der Richter ſprach.
Bon Cäͤſar.
So war das Urtheil falſch, der Richter toll.
Der Mann hat einen Anderen erſchlagen,
Weil jener ihn erſchlug, kam er zuvor nicht. Gerichts perſon.
Der Richter kam zuvor, hätt' er's geklagt.
6 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Don Cäfar. Ha Feiger Schutzwehr, die von Feigen ſtammt; Wer hat ein Schwert, und bettelt erſt um Schutz? Dann: wenn Belgiojoſo fiel von ſeiner Hand, Geſchah's auf mein Geheiß. Uußworm. . Mit Gunſt, Don Cäfar. Ich war Euch ſtets mit Neigung zugethan, Als einem wackern Herrn von raſchen Gaben, Wohl auch erkennend und mich gerne fügend Dem, was in Euch von höherm Stamm und Urſprung: Doch hat Feldmarſchall Rußworm ſeine Tage Befehl gegeben Andern oft und viel, Empfangen nie, als nur vom Heeresfürſten. Ob falſche Nachricht, Ohrenbläſer Tücke Mich trieb zur That, die nun mich ſelbſt verdammt, Ob meine Dienſt' in mancher Türkenſchlacht Rückſicht verdienen, Mild'rung und Gehör, Das mag der Richter prüfen und erwägen; Allein, daß Belgiojoſo euch im Weg, Euch Nebenbuhler war in euerm Werben, Hat ſeinen Tod ſo wenig ihm gebracht, Als, war er's nicht, es ihn vom Tod errettet. Bon Cã ſar. Nun denn, ſo faßt mich auch und führt mich mit! Denn wahrlich, hätt' ihn dieſer nicht getödtet, Belgioſo fiel durch mich, ich hatt's gelobt. Gerichtsperſon. Wir richten ob der That, den Willen Gott. Bon Cäſar. Ich aber duld' es nicht! Mit dieſem Schwert
Entreiß' ich euch die Beute, die euch lockt. Setzt an! Auf fie! Macht den Gefangnen frei!
Gerichtsperſon. Zu Hilfe der Gerechtigkeit!
Bürger kommen aus ihren Häuſern.
Ruß worm. Laßt ab!
Ihr ſeid zu ſchwach und bringt die Stadt in Aufruhr. Steht meinen Feinden offen, nun wie vor, Des ſonſt ſo güt'gen, meines Kaiſers Ohr, So rettet mich kein Gott! Laßt ab, laßt ab! Zu beten ſcheint jetzt nöth'ger als zu fechten. Wo iſt der Minorit?
Bon Cä ſar.
Und ich ſoll's anſehn, Es anſehn, ich mit meinen eignen Augen?
Lueretia kommt mit ihrem Vater aus einem Hauſe rechts im Vorgrunde.
Bon Cä ſar. Ha, Heuchlerin, ſo kommſt du, dich zu weiden Am Unheil, das durch dich, um deinetwillen da? Sieh, dieſer iſt's, der deinen Buhlen ſchlug. Er that's, nicht ich, doch freut mich, was er that — Ein Ende ſetzte jenem nächt'gen Flüſtern, Den Ständchen, dem Gekos, drob Aergerniß Den Nachbarn kam, beſorgt um ſcheue Töchter; Er that's, und ſtatt dafür ihn zu belohnen, Schleppt man ihn vor den Richter und verdammt ihn.
8 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Prokop (zur Gerichtsperſon). Iſt es geſtattet, Herr, auf offner Straße Ehrbare Mädchen zu beſchimpfen alſo?
Don Cͤſar.
Ehrbare Mädchen? Ha, ſie täuſcht dich, Alter, So wie ſie mich getäuſcht und alle Welt! Wohin nur geht ihr? Ja, zur Kirche wohl! Da weift ſie ab die volle Sündenſpule, Um neue drauf zu winden, ſtill bemüht. Warum gehſt du in Schwarz? Dir ſtarb kein Blutsfreund. Regiſter führ' ich über alles Unheil, Das dich bedroht und das dich ſchon betraf. Kein Blutsfreund ſtarb dir. Warum denn in Schwarz? Klagſt du ob dem, den dieſer Mann erſchlug?
Sprich ja, und dieſes Schwert — O Nacht und Gräuel! Warum in Schwarz? | Prokop.
Komm, laß ung gehn, mein Kind!
Bon Käfar.
Geh nicht, und du! — Bleib noch! — Lucretia!
(Prokop mit ſeiner Tochter ab.) Ich will ihr nach! — Und doch! — Rußworm verzeih, Mich übermannte, blendete der Zorn. Doch ſoll darob nicht deine Sache leiden. Zum Kaiſer geh' ich, fordre deine Freiheit, Und weigert er's — Glaub' nur, er wird es nicht! — So werf' ich vor ihm ab die Gnaden alle, | Die Laſten, die mir feine Laune ſchuf, Gönn' Andern das Bemühn, ihm zu gefallen, Und ſuch in Ungarn Türkenſäbel auf. Leb' wohl — Ihr Andern aber merkt euch dieſes Wort:
* — — — 2 * — “ * 7 7
Erſter Aufzug. 9
Wird ihm ein Haar gekrümmt, eh' neue Botſchaft, Des Kaiſers eigener Befehl es heiſcht, Zahlt euer Kopf für jede raſche Regung.
(Im Vorübergehen vor Lucretia's Haufe.)
Haus, ſei verdammt, du Hölle mir von je! (Ab.) (Rußworm wird nach der andern Seite abgeführt.)
Verwandlung. Saal im kaiſerlichen Schloſſe zu Prag.
Durch die Mittelthüre treten Hofleute auf, die ſich im Hintergrunde zerſtreuen. Ein Kämmerer kommt durch den Haupteingang, hinter ihm Kleſel und Erzherzog Mathias.
Kleſel. Ich bitt' Euch, Herr! Kammerer. Fürwahr, es kann nicht ſein. Kleſel. Ein Augenblick Gehör. Kämmerer. Sie ſind beſchäftigt. Kleſel. Des Kaiſers Bruder ſelbſt. Kämmerer. Wenn auch, wenn auch! Doch will ich wohl verſuchen, ob's gelingt. (Ab in eine Seitenthüre rechts.) Mathias. So viel denn braucht's, den Kaiſer nur zu ſehn! Kleſel. Den Kaiſer? Herr, glaubt Ihr, wir ſind ſo weit?
10 Gin Bruderzwik in Habsburg.
Bei Wolfen Rumpf, gebeimem Kämmerer, Sucht ibr nun Audienz.
Mathias. Du heil ger Gott! Und das im ſelben Schloß, denſelben Zimmern, Wo ich an unſers Vaters Hand einberging Mit meinem Bruder — der geliebt're Sobn.
Kleſel. Ja, der geliebt're Sohn! Da liegt es eben! Hätt' Euer Vater minder Euch geliebt, Was gilt es? Euer Bruder liebt' Euch wärmer.
Mathias. Entehrt, verſtoßen!
Kleſel.
Hart, ich geb' es zu. Doch war der Schritt bedenklich wohl genug, Der Euch zuletzt gebracht aus allen Hulden. Reist ab von Wien ins ferne Niederland, Stellt an die Spitze der Rebellen Euch, Entzweit die Höfe von Madrid und Wien, Und was das Schlimmſte, kehrt denn endlich heim Und habt nichts effektuirt.
Mathias. Ich ward getäuſcht,
Oranien betrog mich um den Sieg. Doch war der Plan, geſteht es, göttlich ſchön: Hinein zu greifen in den wilden Aufruhr, Und aus den Trümmern, ſchwimmend rechts und links, Sich einen Thron erbaun, ſein eigner Schöpfer, Niemand darum verpflichtet, als ſich ſelbſt.
Erſter Aufzug. 11
Kleſel. Ich ſeh' es kommen. Weht der Wind von daher? Hab' was du haſt, woher du's haſt, gilt gleich, Gekauft, ererbt — nur nicht geſtohlen, Herr. Zwar Politik nennt ſo was acquirirt Und find't ſich wohl dabei.
Mathias. Mit mir iſt's aus.
Ich will den Kaiſer unterthänig bitten,
Mir zu verleihn die Stadt und Herrſchaft Steyr, Dort will ich leben und dafür entſagen
All meinem Erbrecht, aller Succeflion,
Die mir gebührt auf öſterreich'ſche Lande.
Der Anfallstag, er fände mich im Grab.
Kleſel. Nun allzuwenig, wie nur erſt zu viel. So treibt Ihr Euch denn ſtets im Aeußerſten, O Maximilians unweiſe Söhne!
(Nachdem er ſich umgeſehen, leiſe.)
Eu'r Spiel ſteht gut, Ihr habt die Trümpfe, Herr! Harrt aus! Harrt aus! Und nur nichts von Entſagung, Von Schäferglück! Begehrt mir ein Commando In Ungarn! Ein Commando ſag' ich, Herr! Was ſoll Euch Steyr? Der Wagebalken ſteht, Und kurze Friſt, ſo ſchnellt ein Quentchen mehr In Eurer Schale, dieſe in die Höh'! Auf Euch ruht Habsburgs Heil, das Heil der Kirche, Ruht unſer Aller Heil.
Mathias. Mit mir iſt's aus!
12 Ein Bruderzwift in Habsburg.
Kleſel. Ich ſeh', es iſt, und ſo geb' ich Euch auf. Hier kommt Herr Rumpf, führt ſelber Eure Sache. (Er tritt zurück.)
Wolf Rumpf kommt aus der zweiten Seitenthüre rechts, Schriſten
unter dem Arme, gebüdten Ganges, der Kämmerer hinter ihm. —
Der Kämmerer zeigt mit der Hand auf Erzherzog Mathias. Rumpf geht,
ohne darauf zu achten, der Mittelthüre zu. Nachdem er ſie faſt erreicht hat, tritt ihm Kleſel in den Weg.
Kleſel. Eu'r Strengen! Darf erzherzogliche Durchlaucht Gehör beim Kaiſer hoffen? | Rumpf.
Kann nicht fein. Kleſel (auf Mathias zeigend, der im Vorgrund ſteht).
Dort ſind Sie ſelbſt.
Rumpf.
Je, Diener, Diener! — Geht nicht.
Des Kaiſers Majeſtät find unwohl. — Acta, Negotia.
Kleſel. .
Nur wenige Minuten. (Leife zu Mathias.) Drängt ihn, drängt ihn! Mathias.
Herr Rumpf, gebt mir die Hand!
Rumpf. Je, meritir's nicht. Aber kann nicht ſein. Nicht wohl geruht; empfinden ſich turbirt
Erſter Aufzug. 13
Mit mal di testa. Wage meinen Dienft, So ich es permittir'. Kleſel. Ihr ſcherzt, Herr Rumpf. Wer kennt nicht Eure Macht an dieſem Hof? Rumpf. So ſcheint's, ſo ſcheint's. Doch ſind der Herr gar ſtreng. Je näher ihm, ſo näher ſeinem Zorn. Noch geſtern Abend waren hoch ergrimmt, Sei'n kein Philipp der dritte, ſchrieen ſie, Dictiren ſich zu laſſen von Privaten. Mußt' meinen Abzug nehmen eilig durch die Thür. Es darf nicht ſein. Ich kann nicht, kann nicht, nein! (Er entfernt ſich von ihnen.)
Don Cäſar flürmt zur Thüre herein.
Bon Cͤſar. Wo iſt der Kaiſer? Nun, Perückenmann, Iſt er zu ſprechen? | Rumpf. Huldreichſt guten Morgen, Senjor Don Cäſar. Gott erhalt' Eu'r Gnaden! Don Cäͤſar. Wie geht's dem Kaiſer? Rumpf. Gut, verwunderlich. Der Herr verjüngen ſich mit jedem Tage, Seh'n wie ein Dreißiger. Sagt' ich doch heut nur: Daß ſie ſo ſelten öffentlich ſich zeigten, Die Weiber ſein's, die drob am meiſten klagten. Da lachten Seine Majeſtät.
14 _ Ein Bruderzwif in Habsburg.
Bon Cäſar. Ich glaub's wohl. War ich dabei, ich hätte auch gelacht. Ein Dreißiger! mit ſolchem Bauch und Beinen. Wie nun, kann ich ihn ſprechen? Rumpf. Allerdings. Ein Weilchen nur, hochgnädige Geduld. Des Kaiſers Majeſtät ſind — (Er ſpricht ihm ins Ohr, auf Mathias zeigend.) Bon Cäͤſar. Gut denn, gut. Wem iſt das Pferd, das man im Hofe führt? Rumpf. Ach, Euer, wenn Ihr wollt. Der Kaiſer hat es heute Beſehen und gekauft.
Bon Cäͤ ſar. Ich will's beſteigen.
Mathias. Wer iſt der junge Mann? Kleſel. So wißt Ihr nicht? Ein Findelkind, im Schloſſe hier gefunden. Der Kaiſer liebt ihn ſehr. Begreift Ihr nun?
Mathias.
(Ab.)
Don Cäſar? Kleſel. Wohl, er ſelbſt. — Nun, noch einmal, Begehrt in Ungarn ein Commando.
Erſter Aufzug. 15 Mathias.
Kleſel. Ihr ſollt noch hören; doch verlangt es!
Ein Kämmerer tritt cin.
Kämmerer. Erzherzog Ferdinand aus Steiermark Sind angekommen, bitten um Gehör. Rumpf. Du liebe Zeit! Ihr Gnaden find willkommen. (Kämmerer ab.) Kleſel. Seht Ihr? Da kommt der künft'ge Kaiſer an, Der Erb' von Oeſterreich, wenn Ihr nicht vorſeht. Mathias. Ich will in Ungarn ein Commando ſuchen. Dann — hab' ich dich verſtanden? — Kleſel, dann, Die Macht in Händen — Kleſel. Nur gemach, gemach! Ihr habt die Macht noch nicht. Mathias. Und ich ſoll betteln? Kleſel. | Um Gotteswillen, Ihr verderbt noch alles. (Ein Kämmerer öffnet die Seitenthüre rechts.) Rumpf. Der Kaiſer kommt. Ich bitt' Eu'r Durchlaucht, freundlichſt Abſeit zu treten, bis ich angefragt.
16 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Mathias. Ich muß den Kaiſer ſprechen und ich bleibe.
Rumpf.
Mathias. Ich hab's gejagt. Rumpf. Nun denn, mit Gott! Stellt Euch dorthin. Der Kaiſer geht vorüber, Wenn er zur Meſſe ſich verfügt. Vielleicht Will Euch das Glück, daß er Euch ſieht und anfpeiht Er kommt.
Bedenkt!
Kleſel. Verfärbt Ihr Euch? Nur Muth, nur Muth! Der Augenblick gibt Alles oder nimmt es. (Alles ſteht in ehrfurchtsvoller Erwartung. Erzherzog Mathias zieht ſich bis hinter die Seitenthüre links zurück. Kleſel in ſeiner Nähe.)
Zwei Trabauten treten aus der Seitenthüre rechts und ſtellen fi) da⸗ neben auf; dann einige Pagen, zuletzt der Kaiſer, auf einen Krücken ⸗ ſtab geſtützt. Zwei Männer, Gemälde haltend, knieen auf feinem Wege. Er bleibt vor dem erſten ſtehen, betrachtet es, zeigt dann mit dem Stocke darnach hin und bezeichnet an ſeinem eigenen linken Arme die Stelle, wo das Bild ihm verzeichnet ſcheint. Er ſchüttelt den Kopf, das Bild wird weggebracht. Er ſteht vor dem zweiten und gibt Zeichen der Bil⸗ ligung. Endlich nickt er Rumpfen zu, daß dieſes zu behalten ſei: zu⸗ gleich hebt er drei Finger der rechten Hand empor.
Rumpf. Zweitauſend? Rudolph (Heftig und ftath). Drei.
(Er tritt zum Tiſche, auf dem mehrere Bücher liegen. Er ergreift eines derſelben.)
Erſter Aufzug. 17
Rumpf. Aus Spanien. Rudolph cbeiter). Lope de Vega. Rumpf. Depeſchen auch von Eurer Majeſtät Geſandten an dem Hofe zu Madrid. (Rudolph ſchiebt die auf dem Tiſche liegenden Briefſchaften verächtlich zurück. Er ſetzt ſich und liest, das aufgeſchlagene Buch in der Hand.) Rumpf. Erzherzog Ferdinand ſind angelangt. (Rudolph ſieht auſhorchend einen Augenblick vom Buche weg und liest dann weiter.) N Rumpf. Don Cäſar waren hier. (Rudolph, obige Bewegung.) Rumpf. Sie kommen wieder. Kleſel (su Mathias). Nehmt Euch nur Muth! Ihr zittert, weiß es Gott. (Der Kaiſer lacht unterm Leſen laut auf.) Kleſel. Die Zeit iſt günſtig. Seine Majeſtät Scheint frohgelaunt. Verſucht's! Rudolph (im Leſen). Divino autor, Fenix de Espana. (Mathias nähert ſich ihm.) Mathias. Gnäd'ger Herr und Kaiſer, Ich hab's gewagt aus meinem Bann zu Linz — Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 2
18 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Rudolph (vom Buche aufblidend). Sortija del olvido — Ei, ei, ei! „Ring des Vergeſſens“ — Ja, wer den beſäße!
Mathias. Ob Ihr vergönnt — (er läßt ſich auf ein Knie nieder) Bereit, mein Herr und Kaiſer,
Die Rechte alle, die mein Eigenthum, Und die man mir beneidet, aufzugeben, Mein Erbrecht auf die öſterreich'ſchen Lande, Die Hoffnung, einſt zu folgen auf dem Thron, Für einen Ort, um ruhig drauf zu ſterben.
(Er legt die Hand auf die Armlehne von des Kaiſers Stuhl)
Rudolph.
Wer da? — Rumpf! Will allein fein! — Rumpf allein! Allein.
Mathias. Mein Kaiſer und mein Herr!
Audolph
(den Stock gegen Rumpf erhoben).
Allein!
Rumpf. Ich ſagt' es ja, doch Seine Durchlaucht drängten.
Rudolph
(mit ſteigender Heftigkeit).
Allein!
Rumpf du Mathias). Entfernt Euch, gnäd'ger Herr!
— —
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Erſter Aufzug. 19
Kleſel. Kommt, kommt! Verloren geht ſonſt Alles. Mathias. Gott! Rudolph (or ſich hin). Allein. Mathias. Führt mich ins Grab, da wird mir doch wohl Ruh. (Ab, von Kleſel geführt.) Rudolph Rumpf). Allein. Rumpf.
Was nun beginnen? Gott! (Er hebt das Buch auf, das der Kaiſer weggeworfen hat und reicht
es ihm.) Das Buch! (Rudolph weist es zurück.) Rumpf.
Berichte ſind aus Ungarn eingelangt: Raab iſt entſetzt und Papa wird belagert. Die Malcontenten ſollen Willens ſein — (lebhafter)
Ein Kaufmann aus Florenz hat ſich gemeldet. Geſchnittne Steine ſührt er aller Art Von hohem Werthe.
Rudolph.
Sehn! Rumpf. Allein die Preiſe
Sei'n unerſchwinglich.
20 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Rudolph. Albern.
Rumpf. Soll ich alſo? — Gut. Der ſpaniſche Orator, Balthaſar Zuniga, wünſcht Gehör. (Der Kaiſer ſchüttelt den Kopf.)
Rumpf. Beliebt's euch etwa
Nunmehro die Berichte —? (Der Raiſer ſtößt unwillig mit dem Stocke auf den Boden.)
Rumpf. Guter Gott!
Don Cäſar kommt.
Rumpf. Ihr kommt zur rechten Zeit. Verſucht, ob etwa —
Bon Cäſar.
Ich küſſ' Eu'r Majeſtät die hohen Hände.
(Der Kaiſer mißt ihn mit zornigem Blicke.) Ihr ſcheint nicht gut gelaunt, doch muß ich ſprechen. Es gilt ein Leben, gilt wohl mehr als dieß. Es hat ein Kriegsgericht, ob eines Todtſchlags, Verübt im herben Fall der Selbſtvertheid' gung, Zum Henkersſchwert verurtheilt Hermann Rußworm, Den treuſten Diener Eurer Majeſtät, Den Helden in der Türken heißen Schlachten. Ich bitt' Euch nun, das Urtheil aufzuheben, Das Unſinn iſt, Verrücktheit, Gottesläſtrung, Euch zu erhalten ein ſo theures Leben,
Erſter Aufzug. 21
Mir einen Freund, den ich nicht laſſen kann, Und retten muß, gält' es das Aeußerſte. (Rudolph ſieht Wolfen Rumpf fragend an.)
Rumpf.
Es iſt von wegen Hermann Rußworm, Der halb gereizt, und halb aus leid'gem Zufall, Den Oberſten erſchlug.
(Der Kaiſer wirft, wie ſuchend, die auf dem Tiſche liegenden Papiere untereinander.)
Rumpf.
Vielleicht das Urtheil? Es lag zur Unterſchrift in dero Kabinet. Soll ich vielleicht? — Ich gehe, es zu holen. (Ab durch die Thüre rechts.)
Don Cä ſar.
Ich dank' Eu'r Majeſtät denn nur im voraus
Für die Begnadigung des wackern Mannes,
Der alles iſt, was dieſes Wort beſagt,
Indeß ſein Feind ein Weiber⸗, Pfaffendiener,
Ein Heuchler und ein Schurk! Und wenn der Rußworm
In Zornesglut ſich allzuweit vergaß,
So denkt: derſelbe Zorn, der hier den Gegner ſchlug,
Gewann Euch auch in Ungarn zwanzig Schlachten. (Rumpf kommt mit einem geſiegelten Palet zurück.)
Rumpf.
Das Urtheil. (Er reicht die Schrift dem Kaiſer, der ſie zurückweist.)
Rumpf. Guter Gott! — Beliebt vielleicht
22 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Eu'r Majeſtät hochgnädig zu beſtimmen,
Was dero Abſicht mit ſo wicht'ger Schrift?
(Der Kaiſer nimmt das Palet, licst hohnlachend die Aufſchrift und gibt es zurück.)
Rumpf. Ich weiß recht wohl: die äußre Fert'gung lautet: An Rath und Scköffen Eurer Altſtadt Prag, Doch, wenn das Urtheil wirklich unterſchrieben, Wie ich vermuthen ſollte — (Der Kaiſer ſtößt unwillig mit dem Stocke auf den Boden.)
Bon Käfer. Gnäd'ger Herr!
Ich muß Euch bitten, für zwei Augenblicke Die feindlich düſtre Laune aufzugeben, Die ſich in dieſem Schweigen wohlgefällt. Bedenkt: kommt dieſes Urtheil, ſo gefertigt Und unterſchrieben auf das Prager Schloß, So ſtirbt mein Freund.
Rudolph. Er ſtirbt! — Und du mit ihm, Wagſt ferner du's, ein Wort für ihn zu ſprechen. — Entarteter! ich kenne deine Wege. Du ſchwärmſt zu Nacht mit ausgelaſſnen Leuten, Stellſt nach den Kindern ehrbar ſtiller Bürger, Hältſt dich zu Meutern, Lutheranern.
Bon Cäſar. Meuter Hab' ich mit meiner Freundſchaft nie beehrt. Und was den Glauben, Herr, betrifft, da richtet Nur Gott. |
Erſter Aufzug. 23
Rudolph. Ja Gott und du. Ihr beide, nicht wahr? Glaub du an das, was deine Lehrer glaubten, Die Weiſeren, die Beſſern laß entſcheiden, Dann kommt's wohl noch an dich. — Der Rußworm ſtirbt! Und dank es Gott und einem Reſt von Neigung, Daß ich die Helfer, ſie, die darum wußten, Die lobten, billigten den feigen Mord, An Belgiojoſo freventlich vollbracht, Nicht ebnermaßen ſuche mit dem Schwert. — Das Mädchen, dem du nachſtellſt, wüſten Sinns, Laß frei! Bon Cͤſar. Nein Herr, denn ſie betrog mich.
Rudolph. Meinſt du? Cäſar, ſo lang die ew'gen Sterne kreiſen, Betrügt der Mann das Weib. Bon Cäfar. Zum mind'ſten war's jo, Mit einer Frau, die mir gar nah verwandt.
Rudolph. Die dir verwandt? So kennſt du deine Mutter? Und kennſt du den, der dir das Leben gab? Sag' ja! ſag' ja! und ewiges Gefängniß, Entfernt vom Strahl des gottgegebnen Lichts — So haben in den Sternen ſie's geleſen: Je näher mir, mir um fo grimm' rer Feind. Und alſo ſteht er da, hohnlachend, trotzend, Wie einſt der Teufel vor des Menſchen Sohn, Fort, dieſes Lachen, fort! — Gib deine Waffen!
24 Ein Bruderzwift in Habsburg.
Nehmt ihn gefangen! — Wie, ihr zögert? weilt? So will ich ſelbſt mit meiner eignen Hand — (Zu einem Trabanten, der zu äußerſt rechts ſteht.) Leih deine Partiſan mir, alter Freund: Daß ich — | (Indem er den Stock fahren läßt, um nach der Partiſan zu greifen, wankt er und iſt im Begriff zu fallen. Die Umſtehenden eilen herzu, ihn zu unterflüßen.) Legt ihr die Hand an mich? Rebellen ihr: Yo soy el emperador! Der Kaiſer ich! Bin ich verkauft im Innern meiner Burg, Und iſt kein Schirmer, iſt kein Helfer nah?
Erzherzog Ferdinand erſcheint in der Thüre.
Ferdinand. Viel Glück ins Haus! — Wie, Eure Majeſtät? Was iſt? Was war? Wer ſagt's?
Bon Käfer Gu Rumpf, der ihn zu begütigen firebt). Mich kümmert's wenig, Ob tauſend Teufel mir entgegen grinſen!
Ferdinand (zu Don Cäſar, die Hand leiſe ans Schwert gelegt). Geht junger Menſch! Ihr lernt ſonſt einſehn, Daß uns der Böſe nah, wenn man ihn ruft. Fort ihr! und ihr!
(Die Anweſenden ziehen ſich gegen den Hintergrund. Don Caͤſar in ihrer Mitte, von Rumpf geleitet. Alle ab.)
Ferdinand (zum Kaiſer iretend). Mein kaiſerlicher Herr!
Rudolph. Wer ſeid Ihr? Wer? Und wie erkühnt Ihr Euch? Ferdinand. Eur Neffe bin ich, Herr, und Euer Knecht, Fernand von Grätz, zu jedem Dienſt bereit. Rudolph (ſich vor der Berührung zurückziehend). Es bien! es bien! All gut! Seid uns willkommen!
Ferdinand.
Wollt Ihr nicht ſitzen, Herr? Ich ſeh's, der Zorn, Er zehrt mit Macht an Euerm edlen Sein.
(Er leitet den Kaiſer zum Lehnſtuhl)
Audolph (fen). Seht Ihr, ſo halten wir's in unſerm Schloß — So dringt die Zeit, die wildverworr'ne, neue, Durch hundert Wachen bis zu uns heran, Und zwingt zu ſchauen uns ihr greulich Antlitz. — Die Zeit, die Zeit! Denn jener junge Mann, Wie ſehr er tobt, er iſt doch nur ihr Schüler, Er übt nur, was die Meiſterin gelehrt. — Schaut rings um Euch in aller Herren Land, Wo iſt noch Achtung für der Väter Sitte, Für edles Wiſſen und für hohe Kunſt? Sind ſie vom alten Tempel ihres Gottes Nicht ausgezogen auf den Berg von Dan, Und haben dort ein Kalb ſich aufgerichtet, Vor dem ſie knieen, ihrer Hände Werk? Es heißt: den Glauben reinigen. Daß Gott! Der Glaube reint ſich ſelbſt im reinen Herzen. Nein, Eigendünkel war es, Eigenſucht, Die nichts erkennt, was nicht ihr eignes Werk.
26 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Deshalb nun tadl' ich jenen Jüngling, ſtraf' ihn, Und fährt er fort, erreicht ihn bald ſein Ziel, Allein erkenn auch, was ihn ſo entſtellt. Däucht mir's doch manchmal grimmiges Vergnügen, Mit ihm zu ringen, in des Argen Bruſt Die Keime aufzuſuchen der Verkehrtheit, Die ihm geliehn ſo wildverworr'ne Welt. Die Zeit kann ich nicht bänd'gen, aber ihn, Ihn will ich bänd'gen, hilft der gnäd'ge Gott. Ferdinand. Ihr werdet's, Herr, und bändigtet die Zeit, Wär' Euch der Wille dort ſo feſt als hier. Rudolph. Mein Ohm, der fünfte Karl, hat's nicht gekonnt, Sanct Juſt ſah ihn als büßenden Karthäuſer. Ich bin ein ſchwacher, unbegabter Mann, Ich kann es auch nicht. Ferdinand. O des argen Mißtrau'ns In Euer edles Selbſt und ſeine Gaben! Wollt erſt nur, wollt! Und Gottes Beiſtand wird Wie ein erhört Gebet auf Euch ſich ſenken. Die Zeit bedarf des Arztes und Ihr ſeid's. Rudolph. Ein wack'rer Arzt, der ſelber Heilung braucht! Und dann: allein! Ferdinand. So wär't Ihr, Herr, allein? Verzeiht dem Schüler, der den Meiſter meiſtert. Um Euch ſchaart ſich die Hälfte einer Welt, Die treu noch ihrem Gott und ſeinem Abbild:
— 3 ar 0 — — .
Erſter Aufzug. 27
Dem Fürſten auf dem angeſtammten Thron.
Für Euch iſt Spanien, der Papſt, iſt Welſchland,
Des eignen Erblands ungebrochne Kraft,
Noch nicht verführt von falſchen Glaubenslehren.
Zählt Eure Schaar, und zehnfach, hundertfach
Wiegt ſie die Gegner auf, die, ſchwach an Zahl,
Nur ſcheinbar ſich durch Regſamkeit verdoppeln. Rudolph.
Der Arme viel, wo aber bleibt das Haupt?
Serdinand. Ihr ſelbſt, dem Niemand gleich an Sinn und Willen. Dann noch die edlen Fürſten Eures Hauſes, Die Gott als Helfer ſelbſt Euch anerſchuf.
Rudolph. Sprecht Ihr von Euch?
Ferdinand.
So werde nie mir Heil, Als je mein Sinn ein andres Trachten kannte, Als Oeſterreichs Wohl und Jeſu Chriſti Ruhm. Mein Alter heißt mich lernen, ſtatt zu lehren, Auch bin nicht ich's, die Brüder ſind's, die Nächſten: Der edle Max, Albrecht, der ſinnig weiſe, Und jener Dritte — Erſte, den nur eben Im Vorgemach ich kummervoll — Rudolph (ſich abwendend). Es bien!
Ferdinand. Seht Ihr, da ſenkt das alte Mißtraun wieder Sich nebelgleich herab auf Eure Stirn. O weh uns, wenn es wahr, was man ſich ſagt,
— * | _ . . „ x 5
28 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Daß jener finſtern Sternekund'gen Einer,
Die Euern Hof zum Sammelplatz erwählt, Mit aſtrologiſch dunkler Prophezeiung
Euch abgewandt von Euerm edlen Haus, Gefahr androhend von den Nahverwandten.
O weh uns, wenn es ſo, und Ihr für Schein Den wahren Vortheil aufgebt, Aller Heil.
Rudolph (auffahrend). Für Schein? Für Schein? So kennſt du dieſe Kunſt, — Wenn's eine Kunſt — daß du ſo hart ſie ſchmähſt? Glaubſt du, es gäb' ein Sandkorn in der Welt, Das nicht gebunden an die ew'ge Kette Von Wirkſamkeit, von Einfluß und Erfolg? Und jene Lichter wären Pfennigkerzen, Zu leuchten trunk'nen Bettlern in der Nacht?
Ich glaub' an Gott und nicht an jene Sterne, Doch jene Sterne auch, ſie ſind von Gott. Die erſten Werke ſeiner Hand, in denen Er ſeiner Schöpfung Abriß niederlegte, Da ſie und er nur in der wüſten Welt. Und hätt' es ſpäter nicht dem Herrn gefallen, Den Menſchen hinzuſetzen, das Geſchöpf, Es wären keine Zeugen ſeines Waltens Als jene hellen Boten in der Nacht. Der Menſch fiel ab von ihm, ſie aber nicht. Wie eine Lämmerheerde ihrem Hirten, So folgen ſie gelehrig ſeinem Ruf, So heut' als morgen, wie am erſten Tag. D'rum iſt in Sternen Wahrheit, im Geſtein, In Pflanze, Thier und Baum, im Menſchen nicht. Und wer's verſtünde, ſtill zu ſein wie ſie,
Gelehrig fromm, den eignen Willen meiſternd, Ein aufgeſpanntes, demuthvolles Ohr,
Ihm würde leicht ein Wort der Wahrheit kund, Die durch die Welten geht aus Gottes Munde. Fragſt aber du: ob ſie mir ſelber kund,
Die hohe Wahrheit aus der Weſen Munde?
So ſag' ich: nein, und aber, wieder: nein.
Ich bin ein ſchwacher, unbegabter Mann,
Der Dinge tiefſter Kern iſt mir verſchloſſen. Doch ward mir Fleiß und noch ein andres: Ehrfurcht Für das, daß Andre mächtig und ich nicht.
Wenn aber, ob nur Schäler, Meiſter nicht,
Ich gerne weile in den lichten Räumen;
Kennſt du das Wörtlein: Ordnung, junger Mann?
Dort oben wohnt die Ordnung, dort ihr Haus,
Hier unten eitle Willkür und Verwirrung.
Macht mich zum Wächter auf dem Thurm bei Nacht,
Daß ich erwarte meine hellen Sterne,
Belauſche das verſtänd'ge Augenwinken,
Mit dem ſie ſtehn um ihres Meiſters Thron — (immer leiſer ſprechend)
Wenn nun der Herr die Uhr rückt ſeiner Zeit,
Die Ewigkeit in jedem Glockenſchlag,
Für die das Oben und das Unten gleich,
Ins Brautgemach — des Weltbau's Kräfte eilen
— Gebunden — in der Strahlen Conjunctur —
Und der Maleficus — — das böſe Trachten — —
29
[Er verſtummt allmählig. Sein Haupt fintt auf die Bruſt. Pauſe. Erz⸗
herzog Ferdinand tritt ihm, beſorgt, einen Schritt näher.)
Rudolph (emporfahrend). Iſt Jemand hier? — Ja ſo! — Was ſoll's?
30 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Ihr ſpracht von meinem Bruder, von Mathias. Ich ſeh', es iſt ein Plan. Was alſo will man? Warum verließ er ſeinen Bann zu Linz?
Ferdinand. Und wenn's der Wunſch nach Thätigkeit nur wäre?
Rudolph. Nach Thätigkeit? Iſt er denn thätig nicht? Er reitet, rennt und ficht. Wir Beide haben Von unſerm Vater Thatkraft nicht geerbt. — Allein ich weiß es, und er weiß es nicht. Was alſo noch? Zum mind'ſten will ich zeigen, Daß nicht der Sterne Droh'n, daß euer Trachten, Die Heimlichkeit der nah verwandten Bruſt, Mir Mißtrau'n gab und gibt. — Die Klugheit riethe, Zu halten ihn in heilſamer Entfernung, Allein ihr wollt's. Was alſo ſoll's mit ihm?
Ferdinand. Er wünſchte —
Rudolph.
Nun? Ferdinand In Ungarn ein Commando.
Rudolph. Hat er ſchon je, und wo hat er geſiegt? Zwar iſt der Mansfeld dort, ein tücht'ger Degen, Der gönnt ihm gern die Ehre des Befehls, Und thut die Pflichten ſelbſt. Schickt ihn denn hin! Doch heißt ihn zügeln ſeine Thätigkeit, | Er füge fih des Feldherrn beſſ'rer Einſicht. Auch ſind der Krieger dort, der Führer viel,
Erſter Aufzug. 31
Die zugethan der neuen Glaubensmeinung. Es iſt jetzt nicht die Zeit, noch da der Ort, Zu ſtreiten für die Wahrheit einer Lehre. (Da Erzherzog Ferdinand zurücktr. tt.) Rudolph. Was iſt? Was geht Ihr fort? Herdinand. Nicht anzuhören, Wie Oeſterreichs Haupt, wie Deutſchlands Herr und Kaiſer Das Wort führt den Abtrünnigen vom Glauben. Rudolph. Das Wort führt, ich? Kommt Euch die Luft zu ſcherzen? Allein wer wagt's, in dieſer trüben Zeit Den vielverſchlungnen Knoten der Verwirrung Zu löſen eines Streichs! Ferdinand. Wer's wagte? Ich! | Rudolph. Das ſpricht ſich gut. Ferdinand. Nur das? Es iſt geſchehn. In Steier mindeſtens, in Krain und Kärnthen Iſt ausgetilgt der Keim der Ketzerei. An Einem Tag auf fürſtlichen Befehl Bekehrten ſich an ſechzigtauſend Seelen, Und zwanzigtauſend wandern flüchtig aus. Rudolph. Und ohne mich zu fragen? Ferdinand. Herr, ich ſchrieb, So wiederholt als dringend, aber fruchtlos.
32 Ein Bruderzwift in Habsburg.
Rudolph
(die auf dem Tiſche liegenden Papiere unter einander ſchiebend). Es iſt hier wohl Verwirrung oft mit Schriften. Ferdinand. Da ſchritt ich denn zur That, dem beſten Rath. Mein Land iſt rein, o wär es auch das Eure! | Rudolph. Und zwanzigtauſend wandern flüchtig aus? Mit Weib und Kind? Die Nächte ſind ſchon kühl. Ferdinand. Durch Drangſal, Herr, und Schmerz erzieht uns Gott. Rudolph. Und das im ſelben Augenblick, wo du Die Sachſenfürſtin frei'ſt, die Proteſtantin? Ferdinand. Gott gab mir Kraft, die Neigung zu beſiegen, Wenn Ihr's erlaubt, ſo ſteh ich ab von ihr, Und werbe um des Bayernherzogs Tochter. Rudolph. Sie iſt nicht ſchön. Ferdinand. Ihr Herz iſt ſchön vor Gott. Rudolph (eine Geberde des Schiefgewachſenſeins machend) Beinah — Ferdinand. Gerad ihr Sinn, ihr Wandel und ihr Glauben. Rudolph. Nun, ich bewundre Euch. — Weiſ' deine Hände! Iſt das hier Fleiſch? lebendig, wahres Fleiſch?
Di et ee ee
Erſter Aufzug. 33
Und fließt hier Blut in dieſen bleichen Adern?
Frei't eine Andre, als er meint und liebt —
Mit Weib und Kind, bei zwanzigtauſend Mann,
In kalten Herbſtesnächten, frierend, darbend!
Mir kommt ein Grauen an. Sind hier nicht Menſchen? Ich will bei Menſchen ſein. Herbei! Herein!
Mit dem Stocke auf den Boden ſtampfend. Die Hofleute kommen zurück.
Rudolph. Die Kinderzeiten werden wieder wahr, Und mich umſchaudert's wie Geſpenſterglauben. (Zu Erzherzog Ferdinand.) Weilt Ihr noch länger hier bei uns in Prag, Treibts Euch zurück vielleicht ſchon nach der Heimath?
Serdinand.
Ich reife nächſt, wenn Manches erſt geſchlichtet. (Lebhaft.) Und meinen Bruder ich Euch vorgeſtellt.
Rudolph. So iſt der Leupold da? Wo iſt, wo weilt er?
Rumpf. Im Schloßhof tummelt er das türk'ſche Roß, Das Ihr gekauft, und das Don Cäſar ſchulte. Sie jubeln, daß der Erker wiederhallt.
Rudolph. Sie jubeln? Tummelt? Ein verzogner Fant, Hübſch wild und raſch, bei Wein und Spiel und Schmaus.
Wohl ſelbſt bei Weibern auch, man ſpricht davon. Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 3
34 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Allein er iſt ein Menſch. Ich will ihn ſehn, Den Leupold ſehn! Wo iſt er? Bringt ihn her! (Einige find gegangen.) Rudolph Gu Ferdinand). Beliebt's Euch unterdeſſen, die Gemächer, Die man Euch hier bereitet, zu beſehn? Wo bleibt der Range? Warum kommt er nicht?
Erzherzog Leopolds Stimme (von außen). Senjor! Rudolph. Aha, er ruft. — — Was gibt es dort?
Aus der Seitenthüre links iſt ein Hofbedienter herausgetreten.
Rumpf.
Die Capellane fragen unterthänigſt, Ob Eure Majeſtät den Gottesdienſt —
Rudolph (das Barret abnehmend und Mantel und Kleid ordnend). Des Herren Dienſt vor allem. N (Zu Erzherzog Ferdinand.) Wenn's beliebt! (Zu den Uebrigen.) Und kommt mein Neffe, heißt ihn nur uns folgen.
Erzherzog Leopold zur Thüre hereinſtürzend.
Leopold. Mein gnäd'ger Ohm! N (Da er den bereits geordneten Zug ſieht, ſtutzt er und zieht das Barret ab.)
Erſter Aufzug. N 35
Rudolph. Nur dort, an Eure Steele.
(Auf einen Wink Erzherzog Ferdinands ſtellt ſich Leopold ihm zur Seite.
Der Zug ſetzt ſich in Bewegung, die beiden Erzherzoge unmittelbar vor
dem Kaiſer. Nach einigen Schritten tippt Letzterer Erzherzog Leopold
auf die Schulter. Dieſer wendet ſich um und küßt ihm lebhaft die
Hand. Der Kaiſer winkt ihm liebreich drohend, Stillſchweigen zu, und fie gehen weiter. Die Uebrigen folgen paarweiſe.)
Der Vorhang fällt.
—
Freier Platz im kaiſerlichen Lager. Im Hintergrunde die Gezelte.
Ein Hauptmann tritt hinter ſich ſchreitend auf, wobei er eine kurze Partiſane wagrecht vor ſich hält.
Hauptmann. Zurück, ſag' ich, zurück auf eure Poſten! Seid ihr Soldaten, wie? und flieht den Feind?
Ein Trupp Soldaten kommt von derſelben Seite, ein Bahnen träger unter ihnen.
Fahnenträger. Wir fliehen, meint Ihr, Herr? Nun denn mit Gunſt, Sagt erſt, wo iſt der Feind, ob vor: ob rückwärts? Ein Krieger ficht wohl, weiß er, gegen wen, Doch wo nicht Ordnung, Kundſchaft und Befehl, Wehrt er ſich ſeiner Haut und weiter nichts.
| Hauptmann. So meiſterſt du, ein Knecht, den Heeresfürſten? Fahnenträger. ‚
Ob zehnmal Herr und zwanzigmale Knecht, Wenn Einer irrt, hat doch der Andre recht.
Zweiter Aufzug. 37
Wir waren auf am Damm bei Raab geſtellt,
Wir da, und fünfzig Andre, die der Säbel
Der Türken fraß, in dieſer blut'gen Nacht,
Auf blachem Feld, zur Unterſtützung rings
So weit das Auge trug, nicht Wacht, noch Poſten.
Doch machten wir 'nen Kirchhof zum Caſtell
Und hielten ſtraff. Da bricht's mit einmal los:
Allah! Allah! aus tauſend bärt'gen Kehlen,
Nicht vor uns, hinter uns. Die Donau durch,
Rauſcht wie ein zweiter Strom, quer durch den andern
Der Spahi und ſein Roß. Hilf Jeſu Chriſt!
Da galt kein Säumen, und war eitel Nacht,
Trapp, trapp, da ſprengen kaiſerliche Reiter,
Und jagen andre, kaiſerlich, wie ſie.
Der Musketier ſchießt los, und den er traf,
Es war ſein Landsmann, in des Dunkels Wirren,
Die raſche Kugel wechſelnd mit dem Freund.
Bald iſt das ganze Heer nur eine Flucht,
Ein Jammern und ein Tödten und ein Schrei'n.
In all' der Haſt vergaß man ganz auf uns,
Zu gehn, zu bleiben waren wir die Meiſter,
Doch blieben wir. Erſt nach drei heißen Stürmen,
Als Mancher ſchon mit ſeiner Haut bezahlt,
Brach auf das kleine Häuflein; und nicht ſeitwärts,
Nur Sicherheit für unſre Leiber ſuchend,
Zum Lager gradaus ſchlugen wir uns durch.
Und ſind nun hier, dem Türken, ſucht er uns,
Der Rückkehr Straße ſchwarz mit Blut zu zeichnen,
Doch ihn zu ſuchen, keineswegs gewillt,
Man zeig' uns denn, wer führt und wer befiehlt. Mehrere im Trupp.
So iſts — Ein Führer erſt! — Dann folgen Alle.
38 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Hauptmann. So bin ich unter Meutern?
Oberſt Ramee kommt.
Hauptmann. Mein Herr Oberſt, Verrath und Aufruhr in des Lagers Mitte. Die hier und der — (Es haben ſich nach und nach immer Mehrere geſammelt.) Ramee (Halblaut). Laßt nur, laßt nur für jetzt. Der Feind im Anzug und das Heer entmuthigt, Man drückt jetzt füglicher ein Auge zu, Als den Gehorſam noch durch Strenge prüfen. Was weiß man von dem Feldherrn?
Hauptmann. Prinz Mathias? Ramee. j Wem ſonſt? ö Hauptmann. Verſchieden gehen die Gerüchte. Er ward geſehn in Mitte der Verwirrung. Die Einen laſſen ihn am rechten Donauufer Die Straße nehmen nach Haimburg und Wien, Die Andern — heil'ger Gott, wenn er den Türken —! Was machen wir, vereinzelt, ohne ihn? R amee. Daſſelbe mein' ich, was mit ihm, den Frieden.
Hauptmann. Allein der Kaiſer will nicht.
. Ramet. Wollen! Wollen! Hier fragt ſich, was man muß, nicht was man will. Auch, iſt der äußre Krieg erſt beigelegt, Hat man die rüſt'gen Arme frei nach innen.
Hauptmann. Was aber ſoll mit all der Soldateska? Wir ſind im Rückſtand mit zwölf Monat Sold.
Ramee. Erzherzog Leupold wirbt in Paſſau Völker, Wenn bier das Handwerk ruht, fragt an bei uns.
Hauptmann. Und gegen wen —?
Ramee. Die Rüſtung geht in Paſſau! Man weiß noch nicht. Für wen, ich hab's geſagt,
Auf jeden Fall für Oeſterreich und den Kaiſer. Wer ſind die Männer?
Einige ſchwarz gekleidete Herren geben quer über die Bühne. Mehrere grüßen ſie mit abgezogenen Hüten.
Hauptma nn.
Mit den goldnen Ketten? Die proteſtant'ſchen Herrn aus Oeſterreich. Sie kamen, den Erzherzog anzuſprechen, In Sachen ihres neuen Chriſtenthums, Und halten ſich derweile zu den Ungarn. Das lauſcht und flüſtert, ſchleicht und konſpirirt. Wär ich der Prinz, wie wollt ich heim ſie ſenden!
40 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Ramce. Heim ſenden? ei, wenn ihr fie felbft berieft? (Weibergeſchrei hinter der Scene.) Was dort?
Ein Soldat, eine gefangene Türkin an der Hand führend.
Sol dat. Nein, ſag' ich, nein!
Zwei Käraſſiere, die ihm folgen.
Küraſſier. Muß doch, muß doch! Soldat. Mein iſt die Heidin, zehn und hundertmal. Ihr Haus in Gran fiel mir zum Beutetheil, Ich war's, der ihren Bräutigam erſchlug,“ Drum iſt ſie mein und das von Rechtes wegen.
Küraſſier. Mir drücken ſie die Hand. Soldat (sur Türkin). Iſts wahr? — Sie kann nicht reden. Wenn's wahr, ſo ſpalt' ich ihr den Kopf. Doch jetzt, Jetzt iſt ſie mein und — Küraſſier (die Hand am Säbel). Wollen eben ſehn.
Soldat. Kommt an, kommt an! Ob Einer gegen Zwei. Iſt Niemand da, der einem Landsmann hilft?
Zweiter Aufzug. 41
Hauptmann (wiſchen ſie tretend). Zurück, Samländer, ketzeriſche Hunde!
Kü raſſier. Was ſagen Mann?
Hauptmann.
Iſt's etwa nicht bekannt, Daß Türk' und Lutheraner ſtets im Bunde? Wie ging ſonſt alles ſchief in Rath und Lager? Die heute Nacht der Flucht das Beiſpiel gaben, Die Ketzer waren's, ſinnend auf Verrath.
Fahnenträger (im Vorgrunde rechts). Wer das ſagt, lügt.
Hauptmann (ſein Schwert halb gezogen). Mir das? Wer hat geſprochen?
Zweiter Soldat
(rechts im Vorgrunde). Mit Gunſt: hat er doch recht. Hier dieſer Mann, Obgleich ein Luth'riſcher und Kirchenläugner, Gefochten hat er in der heut'gen Schlacht Wie einer, der gedenkt des ew'gen Heils. Und ob ich gleich als rechter Katholik Verdammen muß, was ſeine Pred'ger lehren, Im Lager hier ſind alle Tapfern Brüder, Und ſomit meine Hand,
Fahnenträger eeinſchlagend). Hier meine.
42 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Mehrere (ein Gleiches thuend). Freund und Bruder!
Rings herum. Auf Ja und Nein! Trotz Papſt und Rom! ö Wir Alle! Hauptmann. Hört Ihr? Ramee. Laßt nur!
Geſchrei (im Hintergrunde). Hoheiſa! Die Zigeuner!
Im Hintergrunde tritt ſchlechte Mufil auf. Einige Paare folgen, ſich bei
den Händen haltend und zum Tanze anſchickend. Die anweſenden Sol⸗
daten ſammeln ſich bei dem dort ſtehenden Marketenderzelte. Mufit und
Tänzer gehen hinein. Gelächter, Zutrinken. — Kleſel von der rechten Seite kommend.
Kleſel. Du heil'ger Gott! bin ich im Chriſtenlager, Und dient kathol'ſchen Fürſten dieſes Heer?
Ramee. Wenn Euch das kränkt, ſeid wohlgemuth, Das Lager wird Euch fürder nicht mehr ärgern. Ihr ſeid nach Prag berufen, wiſſen wir, Der Kaiſer ſieht Euch hier nicht allzugern. Wann reist Ihr ab?
Kleſel. Wenn's meine Pflicht erheiſcht,
Zweiter Aufzug. 43
Die keineswegs mir Prag bis jetzt bezeichnet. Der Seelenhirt gehört in ſeinen Sprengel.
Ramee. Und ift Eu'r Sprengel hier im Lager? Neuſtadt, Neuſtadt und Wien, dort leuchte Euer Licht. | Ihr ſeid hier Schuld an manchem Schief und Argen, Setzt Eure Meinung durch und führt den Krieg Als eine Wallfahrt nach 'nem Gnadenort, Nebſtdem, daß wenig Gnad' in Eurem Thun. Verkehrt Ihr doch mit eitel Proteſtanten, Und wendet Eurem Herrn die Herzen ab, Die ihm bereit aus den getreuen Landen. Doch iſt zur Zeit ein andres Regiment. Mathias, dieſes Lagers Fürſt und Führer, Er fand den Rückweg nicht der andern Flücht'gen, Und die Erzherzoge, die Ihr berieft, Aus Gräz und Wien, zu einem Rathſchlag heißt es, Sie ſind im Lager, treten in ſein Amt, Und werden Euerm Flüſtern wenig horchen.
Kle ſel. Ob Ihr beleidigt mich, es ſei verziehn, Allein um aller Heil'gen willen, ſagt, Was von Erzherzog Mathias Euch bekannt.
Ramee.
Bekannt, daß nichts bekannt. Er iſt nicht hier, Ob nun in Wien, ob — hoffen wir das Beſte. Euch ſei genug: im Lager iſt er nicht.
Drum reist nur ab, wenn Ihr nicht vorher noch Bei denen, die ihm folgen im Befehl,
Und die dort nahn, wollt Euer Heil verſuchen.
Stellt Euch in Ordnung! Die Erzherzoge.
44 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Die im Hintergrunde Befindlichen fielen ſich in eine Reihe. Von der linken Seite lommen die Erzherzoge Ferdinand, Leopold und Maximilian.
Maximilian (ein beleibter, wohlbehaglicher Herr). Die Wege rütteln, wie das böſe Fieber. Hat noch von unſerm Bruder nichts verlautet?
0 Kleſel (der in den Vorgrund rechts getreten, auf ſie zugehend). Gott ſegne euern Eintritt, edle Herrn!
(Die Erzherzoge fehen nach der entgegengeſetzten Seite und gehen quer fiber die Bühne ab.)
Kleſel (ſich zurückziehend). Du heil'ger Gott! Leopold (der zurückgeblieben, links in den Vorgrund tretend). | Ramee!
Ramee (zu ihm tretend). Erlauchter Herr!
Le o pold. Es ſteht hier ſchlimm, und doch, bedenk' ich's recht, Möcht' ich faſt ſagen: gut. Sie haben Pläne. Das Lager hier, ich fürchte, löſt ſich auf. Haſt du verſucht, ob Ein und Andre willig, Bei uns zu dienen im Paſſauer Heer?
Ramee. Bei zwanzig Führer.
Leopold. Halt, ſprich leiſe, hier! (Er zieht ſich mit ihm nach der linken Seite, wo Ramee zu ihm ſpricht.)
Kleſel
(in der Mitte der Bühne mit einer Bewegung gegen den Erzherzog). Ob ich's verſuche, noch einmal verſuche?
Eine Gruppe Soldaten rechts im Vorgrunde.
Erſter (balblaut). Des Kaiſers Sohn, Don Cäſar, iſt im Lager. Er wirbt Gehilfen zu geheimem Anſchlag. Es ſoll 'ner Kutſche mit zwei Frauen gelten, Begleitet nur von wenigen Berittnen.
Zweiter. Das wär ja wie ein Räuberüberfall.
Erſter. Des Kaiſers Sohn und Räuber? Dann zuletzt, Was kümmert's dich? Sieh hier, man zahlt mit Gold.
(Münzen zeigend.)
Zweiter. Gehſt du?
Erſter.
Ja wohl! und Kunz und Hans und Märten. Kleſel (im Mittelgrunde).
0 Nein, lieber ſterben, als den Einſichtsloſen Die Einſicht opfern und gerechten Stolz.
Leopold u Ramee, auf Kleſel zeigend). Sei raſch und klug, und hüte dich vor dem!
46 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Zweiter (rechts im Vorgrunde). Hier haſt du mich! Soll's bald?
Erſter. Heut' Abend.
3weiter. Gut. Geſchrei (Hinter der Stene). Vivat! Vivat! Ramee. Was iſt?
Hauptmann (in die Scene nach links blickend). Ein Mann — umgeben — In ungriſch niedrer Tracht — 's iſt der Erzherzog.
Ramet. Mathias? | Hauptmann. Wohl! — Nun Vivat, Vivat denn, Wer's treu mit Oeſtreich meint und ſeinem Haus.
(Kleſel, der bei dem Worte Mathias zuſammengefahren, ſtürzt jetzt auf den Hauptmann zu, ihm die Rechte mit beiden Händen drückend, dann eilt er nach der linken Seite ab.)
A lle 0 (in derſelben Richtung folgend). Vivat! Vivat!
RAumer. Nun, Vivat denn wir Alle! (Er ſchließt ſich an.)
Zweiter Aufzug. 47
Erſter (aus der Gruppe rechts). Wir kommen noch zurecht. Doch wahrt die Zunge!
(Sie ziehen ſich nach der rechten Seite zurück. Die Bühne iſt leer geworden.)
Verwandlung.
Das Innere eines Zeltes. Kurzer Raum, im Hintergrunde durch einen Vorhang geſchloſſen.
Von Außen hört man noch immer Vivat rufen. Erzherzog Mathias in einfachem ungariſchem, bis an die Kniee reichenden Rocke, ein paar Diener hinter ſich, von der rechten Seite.
Mathias. Ha, jubelt nur, ihr wackern, treuen Jungen! Dießmal fürwahr ging's nahe gnug an Leib. (Sein Kleid beſehend zu den Dienern.)
Gebt einen andern Rock! — Und doch, laßt immer! Nicht trennen will ich mich von dieſen Kleidern, Bis abgewaſchen dieſes Tages Schimpf.
Doch einen Stuhl, denn auszuruhn geziemt ſich, Eh' man die Kraft zu neuem Wirken ſpannt.
Kleſel
(von rechts eintretend).
Gebt Raum! Gebt Raum! Ich muß zu meinem Herrn! (Sich vor ihm auf die Kͤniee werfend und ſeine Hand faſſend.) Ihr ſeid's, Ihr lebt! O, uns iſt Allen Heil! Mathias
(Kleſel emporhebend). Habt Dank, mein Freund! Habt Dank für Eure Liebe. Ja, dießmal galt's. Ein Zoll, ein Haar,
48 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Und Prinz Mathias ging zum dunkeln Land, 6 Wo Fürſten ſich als Bettlergleiche finden. (Sein Kleid zeigend.)
Der Riß hier, ſchau! Das war ein türk'ſcher Säbel, Den einzeln ich dem Einzelnen beſtand. Es gab zu thun,
(mit einer Handbewegung)
doch eine ſchiefe Quart Des alten Mazzamoro, unſers Lehrers Aus früher Knabenzeit, das endlich half. Ein alter Landmann gab mir dieſen Rock, Und ſo kam ich zurück ins eigne Lager.
(Diener haben einen kurzen Mantel gebracht.)
Mathias. Was ſoll's? — Sagt' ich denn nicht? Es gilt wohl gleich.
(Diener ziehen ihm das ungariſche Kleid aus und geben ihm den Mantel N um, während deſſen.)
Kleſel. Wie waren wir beſorgt ſeit Flucht und Schlacht.
Mathias. Die Schlacht ging ſchief. Der alte Mansfeld Mit ſeinem Zaudern hat das Heer verderbt, Das iſt kein Mann für tücht'ges Werk und Wagen. Dagegen dieſe Türken, (den Mantel zurecht ziehend, die Diener entfernen ſich) wahr bleibt wahr. Sonſt ſchützt ein Fluß den drangelehnten Flügel, Sie aber ſchwimmen durch mit Roß und Mann, Und was ein Bollwerk ſchien, wird Punkt des Angriffs. In Zukunft ſieht man ſich wohl vor. — Nun aber?
Zweiter Aufzug. 49
Was geht für Nachricht von den Flüchtigen?
Sind ſie zurück ins Lager? Fehlen Viel'? Kleſel.
Ein Drittheil, ſagt man, faſt des ganzen Heeres.
Mathias (auf und nieder gehend). Ein Drittheil, ſchlimm! Kleſel. Nicht wahr? Ihr ſeht nun ſelbſt — Mathias. Es finden Manche ſich wohl ſpäter ein. Doch hätt' ich mir gedacht — Kleſel. Der Reſt entmuthigt,
+‘
So daß kein Mittel, als —
Mathias. Erneuter Angriff — Kleſel. Als Frieden. Mathias. Neuer, doppelt ſtarker Angriff. Kleſel. Ihr war't ja doch vor Kurzem überzeugt, Daß nur allein Vertrag — Mathias. N Vor Kurzem, ja, Da war ich Sieger. Aber nun: beſiegt. . Bei dieſem Wort empört ſich mir das Blut,
Und ſteigt vom Herzen glühend in die Wangen. Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 4
4
50 Ein Bruderzwif in Habsburg.
Mir ſchwebt ein Plan vor aus Vegetius,
Bewährt ſich der, dann ſprechen wir des Weitern. Was frag' ich nach des Heeres Zahl und Stärke? Das Schlimmſte ſteht dem Beſten oft zunächſt. Wälzt ſich der Strom erſt dieſes Heidenvolks
Bis an die Gränzen hin des deutſchen Reichs, Iſt München erſt bedroht und Ulm und Augsburg, Dann ſchütteln jene römiſch deutſchen Schläfer Den Schlummer ab der eignen Sicherheit,
Und auf dem Lechfeld ſchlägt man eine Schlacht, Die Türken tilgend, wie voreinſt die Hunnen.
1 Kleſe l. Iſt das Eur Wort, im ſelben Augenblick, Wo die Erzherzoge, von Euch berufen, Im Lager ſchon, zu handeln von dem Frieden? Mathias. Sie mögen ſich den Krieg einmal beſehn, Mitmachen etwa gar. Dergleichen frommt Für Gegenwart und Zukunft; endlich gehn, Wohin ſie Laune treibt, Beruf, Geſchäft. Kleſel. Und wenn der Kaiſer nun erfährt, Daß man hier Rath gehalten gegen ſeinen Willen. Mathias. Erfahren mußt' er's, ob nun jetzt, ob ſpäter. Kleſel. Doch ſchützte der Erfolg vor ſeinem Zorn. Mathias. Den beſten Schutz gibt in der Fauſt das Schwert.
—
Klefel. Und wenn er Euch nun ab vom Heer beruft? Mathias. Vielleicht gehorcht' ich nicht. Kleſel.
Geſtützt auf was? Der Feldherr, der Gehorſam weigert, heißt Verräther, aber wer den Frieden gibt Dem ausgeſognen Land, wär's ohne Auftrag, Er iſt der Retter, Abgott ſeines Volks.
(Halbleiſe.)
Vergeßt Ihr denn, daß Sultan Amurat, Der Frieden braucht, dem Geber dieſer Ruh In Ungarn Macht und Einfluß gerne gönnt? So wie, daß Oeſtreichs Stände beiden Glaubens Dem Retter in der Noth ſich in die Arme — Die doch auch Hände haben — freudig ſtürzen.
Mathias. Ich hab's geſagt. Die Schmach ertrüg' ich nicht.
Ein Diener anmeldend.
Hiener. Die Herrn Erzherzoge.
Kleſel.
Um Gotteswillen! Erkennt doch, daß es Wahnſinn, was Ihr wollt.
51
Und doch — Kommt's wie ein Lichtſtrahl nicht von Oben?
Es iſt zu ſpät. Bleibt, Herr, bei Eurer Weigrung.
(ih nach dem Vorgrunde entſernend) Vielleicht reift unſern Anſchlag dieß zumeiſt.
52 Ein Zruderzwift in Habsburg.
Die Erzherzoge werden eingeführt.
Maximilian. Nun Bruder, Gott zum Gruß. Doppelt willkommen, Als kaum entronnen ſolcher Fährlichkeit.
Mathias (ablehnend).
Gefahr iſt ja des Krieges Kern und Inhalt.
Maximilian. Nun aber ans Geſchäft. Man rief uns her, Als Zeugen dachten wir von einem Sieg, Um zu bewundern Eure Strategie: Doch ſcheint Gott Mars, der ſtrahlende Planet, Vorläufig in rückgängiger Bewegung.
Mathias. Aus Vor: und Rückwärts bildet ſich der Kreislauf. Maximilian. Doch bleibt man hübſch im Kreis, und kommt nicht verwärts. Nun Bruder, ſei nicht unwirſch, ging's mir auch doch Nicht anders in dem Streit um Polens Krone. Sie fingen mich ſogar, trotz Stand und Krone. Der Krieg kennt nicht Reſpekt, er zahlt auf Sicht. Hier bring' ich dir die Neffen, die du kennſt, Obgleich ſeitdem ö (auf Leopold zeigend) gewachſen (anf Ferdinand) und gealtert. Sie kamen her, den Kreislauf zu ſtudiren Des Gottes Mars. Auch will man, heißt's, berathen Um dieß und das. Zuletzt denn ſind wir hier.
Zweiter Aufzug. 53
Ferdinand (auf Max zeigend). Des Bruders Gruß, nicht theilend feinen Scherz.
Leopold. Und hocherfreut, Euch, Oheim, wohl zu ſinden.
Mathias. Das geht nun ſo im Lager ab und zu, Bald oben und bald unten. Iſt's gefällig? Ein Imbiß findet ſich wohl noch zur Labung. Maximilian.
Ich liebe nichts vom Krieg, am wenigſten Die Kriegerkoſt. Ein deutſcher Ordensmeiſter Will Alles ordentlich, zumal die Tafel. Wir haben uns aus unſrer Reiſeküche Im Wagen ſchon geſtärkt, und danken freundlichſt. Auch will ich keine Lorbeern hier erwerben; Drum raſch nur ans Geſchäft; iſt das beendigt, Kehr' ich nach Wien zurück, ſobald nur möglich, Und wo ein Weg noch von den Türken frei. Du ſcheinſt nicht meiner Meinung, Leopold? Bleib hier, gebrauch' dein Schwert! Du biſt noch jung, Und kommt's zur Flucht, bewegſt du rüſt'ge Beine. Ich bin von Blei, das zwar aus der Muskete Ein raſches Ding, ſonſt aber träg und ſchwer. Nun aber: wo der Rathstiſch und die Stühle? (aleſel zieht an einer Schnur, der Vorhang des Zeltes öffnet ſich und
zeigt einen grünbehangenen Tiſch und Armſeſſel.)
Maximilian.
Der Teppich grün, ah, ſo bin ich's gewohnt. An einem rothen Tiſch fiel' mir nichts ein,
54 Ein Bruderzwift in Habsburg.
Ein blaubehangner führte grad ins Tollhaus, Doch grün, das ſtärkt das Aug' und den Verſtand. Kommt denn, ihr Herrn! (Leiſe zu Mathias). Doch hier iſt Einer, Der überlei mir dünkt in unſerm Rath.
Kleſel bun Mathias).
Befehlt Ihr irgend noch, erlauchter Herr? Sonſt, mit Erlaubniß, zieh' ich mich zurück.
Maximilian. Bleibt immer denn, und führt das Protokoll! Man ſpricht ſonſt her und hin und weiß zuletzt Nicht ja, noch nein, und wer und was geſprochen. (Zu den Uebr’gen). Geht ſitzen, ſitzen! Kommt! (Kleſeln das Ende rechts am Tiſche anweiſend.) Hier Euer Platz! Doch mir zulieb, ſprecht erſt, wenn man Euch fragt. Nun Leopold?
Leopold | (am Ende links). Ihr wißt, ich ſtehe gern.
Maximilian. Ich weiß, ich weiß! In Grätz vorm Bäckerladen Haſt du geſtanden, eiſern, ſtundenlang, Bis ſich die holde Mehlverwandlerin Am Fenſter, günſtig, eine Venus, zeigte.
Leopold. Ein Stadtgeklatſch.
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Maximilian. Es klatſchte, wie von Küſſen, Und Niemand wußt' es, als die ganze Stadt. (Zu Aleſel.) Tunkt Ihr die Feder ein? Ihr werdet doch nicht Das alles ſetzen ſchon ins Protokoll? Seht nur, er mahnt uns Klügeres zu ſprechen, Und er hat Recht, nun alſo denn: zur Sache. Komm ſitzen, Leopold! Leopold. Nicht, bis ich weiß: Ob mit des Kaiſers Willen, ob dawider Wir uns vereinen hier zu Spruch und Rath. Mathias (nach einer Pauſe). Sagt etwas, Kleſel! Kleſel. Wenn ich alſo darf: Es will gewiß der Menſch ſein eignes Beſtes. Wird nun des Kaiſers Beſtes hier berathen, Kann man noch zweifeln, ob es auch ſein Wille? Leopold. Ich aber will nur, was ich ſelber will, . Und Herrſcher heißt, wer herrſcht nach eignem Willen. Mathias. Man merkt es wohl, Ihr ſucht des Kaiſers Gunſt. Leopold. Wer ſie nicht wünſcht, iſt nicht ſein Unterthan. Mathias. Doch hängt ein Nebenvortheil manchmal noch Der Demuth an, die nur Gehorfam fchien.
56 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Ferdinand. Komm, Bruder Leopold, es ſoll nicht heißen, Daß wir aus Grätz Gerüchten Nahrung geben, Die Erberſchleichung gegen das Geſetz Auf unſers Hauſes Wappenmantel ſpritzen. Leopold. So will ich hören denn, doch ſitzen nicht. Mathias. Wie's Euch beliebt. Maximilian. Nun alſo denn; was ſoll's? (Da Kleſel nach einer Schrift in ſeinem Buſen greift.) Maximilian. Laßt ſtecken, Herr, wir wiſſen, was Ihr bringt: Ein künſtlich ausgefeilt Elaborat, Das uns den Frieden mit den Türken ſoll Als räthlich, nöthig, unerläßlich ſchildern. Ihr ſeid der Wiederhall von Euerm Herrn, Wenn nicht vielmehr das Echo er von Euch. Und deßhalb ohne Vorwort zur Berathung. Der Friede wäre gut, allein der Kaiſer,
„Des Landes Haupt und Herr, er will ihn nicht. Nebſtdem, daß unter ſolchen Schmeichelhüllen Ein Anſchlag, meint man, andrer Art ſich birgt.
| (Zu Kleſel.) Ich will Euch ſchelten, Herr, drum hieß ich Euch Hier ſitzen unter uns; da Bruderliebe Und Fürſtenachtung mir nicht will geſtatten, Zu ſchelten meinen Bruder, Euern Herrn. Die Stände, ſagt man, proteſtant'ſchen Glaubens Aus Oeſterreich verkehren ſtill mit Euch,
Und als den Preis der Sichrung vor den Türken, Nebſt Zugeſtändniß ihrer Glaubensübung, Verſpricht man einem Fürſten unſers Hauſes, Den ich nicht kennen will, nicht nennen mag, Ein neuerdachtes Schützeramt zu gründen,
Halb abgeſondert von dem Stamm des Reichs. Ihr ſeht, was Ihr geſponnen, kam ans Licht. Seid noch Ihr für den Frieden?
Klefel. Durchlaucht, ja. Wenn dießmal auch Verläumdung wahr geſprochen,
Was gut, bleibt gut, wär' auch der Geber ſchlimm.
Maximilian. Und, Bruder, du? — Allein, was frag' ich noch, (auf Kleſel zeigend) Hat dieſer deine Meinung doch geſprochen. Mathias. Glaubſt du? (Zu Kleſel.) Sagt Eure Meinung noch einmal. Kleſel. Den Frieden, hoher Herr. j Mathias. Und ich den Krieg. Ich bin beſchimpft im Angeſicht der Welt. Die Ehre unſrer Waffen ſtell' ich her, Dann mag die Klugheit und die Furcht berathen. Maximilian. Nun, Bruder, ſei nicht kindiſch, möcht' ich ſagen. Hoffſt du, geſchlagen mit dem ganzen Heer,
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58 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Nun, mit dem halben, Sieg dir zu erringen? Von hier bis Wien iſt nirgends eine Stellung, Die Mauern Wiens verfallen, ungebeſſert, Ein Wandelgang für friedliche Bewohner, Nicht eine Abwehr gegen ſolchen Feind. Klefel (die Feder eintauchend, eifrig). So ſeid Ihr für den Frieden? Maximilian. Ich? Bewahr! Kleſel. Doch ſpracht entgegen Ihr dem Krieg. Maximilian. Ei, laßt mich! Lerdinand (u Mathias). Wozu noch kommt, daß es mich heidniſch dünkt, Für Kriegesruhm und weltlich eitle Ehre, Das Wohl des Lands, der ganzen Chriſtenheit, Zu ſetzen auf ein trügeriſches Spiel. Leopold. Fernand, ſie haben dich. Ferdinand. Was fällt dir ein? Leopold. Wer billigt, der bewilligt wohl zuletzt. Serdinand (foitfahrend). Auch ſind im Heer beinah' nur Proteſtanten, Und wo der Glaube fehlt, wo bleibt die Hoffnung? Kleſel du Mathias). Beliebt's Euch, hoher Herr?
Zweiter Aufzug. 59
Mathias. Was das betrifft,
o weiß ich Keinen gläubiger als mich. och iſt das Land, ſind feine höchſten Stellen tit dieſen Proteſtanten ja beſetzt. Ruß ich ſie ſchonen nicht, will ich ſie brauchen? Ruß ich ſie brauchen nicht, wenn zwingt die Noth? And ſag' ichs nur: die Fähigſten, die Kühnſten, Die Ketzer ſind's, ich weiß nicht, wie es kommt.
Kleſel (auf ſein Papier herabgebeugt, wie vor ſich). Der Krieg iſt dieſer Spaltung Keim und Wurzel. Ferdinand (auf aleſel). da ſpracht Ihr wahr, wenn irgend jemals ſonſt! zeil Ruhe war in meiner Steiermark, eil ich bei Ketzern brauchte nicht zu betteln, Tcang's mir, ihre Rotte zu zerſtreu'n; i deßhalb, wäre nicht des Kaiſers Wille, Lamımt' ich in Euern Antrag freudig ein. ch gäb' es einen Ausweg, wie mir däucht, Krieg und Frieden gleicherweis vereint: m Waffenſtillſtand — (Zu Kleſel.) Schüttelt Ihr den Kopf?
Mathias. D ſoll er nicht, fo lang fein Kopf ihm eigen? crubt Ihr, der Türke werde müßig gehn, * Waffenruh' und ſolchen armen Tand S Vortheils ſich begeben, der ihm lacht? Wenn er im Vortheil ja, wie's wirklich ſcheint — ss iſt der Fluch von unſerm edeln Haus:
60 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Auf halben Wegen und zu halber That, Mit halben Mitteln zauderhaft zu ſtreben. Ja oder nein, hier iſt kein Mittelweg. Lerdinand. Wenn man uns drängt, das iſt nicht Brauch noch Sitte. Mathias. Es drängt die Zeit; wir ſelbſt ſind die Bedrängten. Ferdinand. Und kennt man die Bedingungen des Feinds? Kleſel (den Stuhl rückend). Das iſt zu wiſſen leicht aus erſter Quelle. Des Ofner Baſſa Sekretär und Dolmetſch Iſt hier im Lager; wenn Ihr es geſtattet, Führ' ich ihn her, hört ſelbſt dann, was er bringt. Maximilian. Mir iſt gemein nichts mit den grimmen Türken. Ferdinand. Weiß ſonſt man irgend, frag' ich noch einmal, Die Punkte, die der Heide nimmt und gibt? Kleſel. Der Stand wie vor dem Krieg. Marimilian. Das wäre billig. Leopold. Halt' aus, Fernand, halt' aus! Kehr' ruhig heim. Ich bleibe hier; wär's als gemeiner Reiter, Wär's auf den Trümmern des zerſtörten Wiens. Durch Blut und Krieg mit allen ſeinen Schrecken, Zu fechten für des Kaiſers Macht und Willen.
Ferdinand (ſich mit Abſcheu von ihm wendend). Nun Frieden alſo denn! | Leopold. Fernand, auch du? Ferdinand. Fragſt du mich noch, der du mich ſelber zwingſt, Mir ſchildernd alle Gräuel des Verweigerns. Kleſel (ruhig zu Mathias). Ihr ſeid für Krieg? Mathias. Wenn man mich überſtimmt! Leopold. Hier iſt noch Einer. Ohm, wir ſind zu Zwei. Mathias. Gerade deßhalb Frieden auch.
Maximilian.
Wir ſind zu Ende.
Kleſel. Vorerſt erlaubt, daß mit zwei Worten nur Dem Pfortendolmetſch, der im Lager harrt,
Den Rathſchluß ich verkünde ſammt dem Frieden.
Ferdinand. Warum ſo raſch? Kleſel. Wir haben dann, was Ihr In Eurer Weisheit wünſchenswerth erachtet: Stillſtand der Waffen. Denn, o Herr, bedenkt!
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62 Ein Bruderzwift in Habsburg.
Benützt der Türke ſeinen jetz' gen Vortheil, Und ſchneidet ab das Heer im Rücken gar, So ſteigert er, befürcht' ich, ſeine Ford'rung, Und unſre Opfer ſteigern ſich zugleich. j Maximilian. Schreibt immer denn! Ferdinand. In mir ringt's wirren Zweifel. Was gäb' ich nicht, wär' mir der Schritt erſpart. Maximilian. Zuletzt hat unſer Bruder jüngſter Zeit So ſehr ſich von Geſchäften rückgezogen, Und aufgeſchoben, was doch unverſchieblich, Daß ihm ein milder Zwang vielleicht erwünſcht. Leopold. Ihr werdet ſehen, was Ihr angerichtet.
Kleſel klingelt, ein Diener erſcheint.
Kleſel (den gefalteten Zeitel übergebend). Des Ofner Baſſa Sekretär. Sogleich! (Diener ab.) . Maximilian. Noch einmal ſag' ich denn, wir ſind zu Ende. Kleſel. Nicht ganz, erlauchte Herrn! (Aufflehend) Wenn ich bisher Nur auf Erlaubniß ſprach und wider Willen, Tret' ich nun auf in meinem eignen Amt,
Zweiter Aufzug. ® 63
Als Seelenhirt, als Redner für ein Volk, Und als Vertreter unſers heil'gen Glaubens. Dieſelbe Stimme, die in Wien und Neuſtadt Zu Tauſenden bekehrt mit ihrer Macht, Erheb' ich nun mit gleichem Feuereifer Im Angeſicht der Gegenwart und Zukunft. Ihr ſchloßt den Frieden, edle Herrn. Allein Wenn ihn, geſetzt, der Kaiſer nun verwirft?
Maximilian. Er wird es nicht. .
Leopold.
Er wird's.
Kleſel
(zu Leopold, höhniſch).
Ihr habt's getroffen Und kennt, ſo ſcheint's, des Kaiſers tiefſte Meinung. (Mattias will auffahren, Kleſel hält ihn mit einer Handbewegung zurück.) Ferdinand.
Das ſagt Ihr uns, nachdem der Bote fort, Der unſer Wort verpfändet an den Türken?
Aleſel. Die Noth erkennend ſchloßt Ihr den Vertrag, Doch erſt gehalten ſind Verträge wirklich. Wenn nun der Kaiſer euern Schluß verwirft? Maximilian. Dann waſchen wir in Unſchuld unſre Hände. Kleſel. Das wäre Unſchuld, ſchlimmer noch als Schuld. Dieß edle Land, es darf nicht untergehn, Und alles, was dem Menſchen hoch und heilig,
64 Eh Bruderzwiſt in Habsburg.
Nicht von dem Ueberdruß, den Wechſellaunen Und der Entfernung zwiſchen Prag und Wien Abhängig ſein zu drohendem Verderben.
Am heut'gen Tag vertragend mit dem Feind, — Obgleich vorläufig nur, auf ſpätern Abſchluß — Erkanntet in euch ſelber ihr die Macht
Zu ſorgen für des Vaterlandes Beſte.
Doch nicht der Kaiſer nur iſt wankelmüthig: Der Türk' iſt treulos, als ein Heide ſchon,
Im ganzen Reich der fernen Möglichkeiten
Iſt nichts als Zweifel, Argliſt und Gefahr. Ihr könnt nicht immer hier zu Rathe ſitzen, Deßhalb iſt nöthig, daß für Alle Einer
Mit Macht bekleidet, wenn's die Noth erheiſcht, Zu handeln als des Hauſes Hort und Säule.
Leopold. Er ſpricht für ſeinen Herrn.
Kleſel. Dießmal nicht alſo:
Befragt ihr mich, wen ich vor Allen liebe, Wen ich an Tapferkeit, an hohem Sinn,
Voran den Fürſten mancher Länder ſetze,
So iſt die Antwort: ihn dort, meinen Herrn. Allein zu ſolchem Amt fehlt ihm die Feſtigkeit, Nicht Kraft, doch das Beharren im Entſchluß.
Mathias KGornig). Ich will Euch zeigen, ob ich feſt, ob nicht.
Kleſel. Auch hat man uns geheimes Einverſtändniß Mit Ketzern, Unzufried'nen Schuld gegeben,
' Zweiter Aufzug.
Das darf nicht ſein bei anvertrauter Macht.
Erzherzog Maximilian wäre rein. Maximilian.
Ich bin entwohnt des Wirkens und Befehlens,
Mich träfe ganz, was meinen Bruder halb.
Kleſel. Nun denn: ein Muſter hier der Feſtigkeit, Der Herr der Steiermark, der, raſcher That, Die Ketzerei getilgt in ſeinem Land.
Mathias. Was fällt Euch ein? Iſt Euch denn nicht bekannt, Daß dieſe Grätzer um des Kaiſers Gunſt, Mit Hoffnung wohl, zu folgen auf dem Thron, Der Eine laut, der Andre leiſe buhlen?
Ferdinand du aleſel). Auch, habt gerühmt Ihr meine Feſtigkeit, Vergaßt Ihr ihre Wurzel: das Gewiſſen, Das eine Beugung etwa mir erlaubt Zu gutem Zweck, wie etwa heut und jetzt; Doch Uebertretung, förmliche Verletzung Mir nicht geſtattet, gält' es eine Krone. Mathias iſt des Hauſes Aelteſter, Thut Noth denn übertragene Gewalt, Wie es faſt ſcheint, ſo ſei ſie ihm vertraut. Mathias. Ja, mir gebührt's vor Allen und mit Recht. Kleſel (ein Papier aus dem Buſen ziehend).
Da braucht es nur noch Eure Unterſchrift. Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII.
Oe
56 Ein Bruderzwift in Habsburg.
Leopold. Seht ihr den Schalk? er hat's ſchon in der Taſche. Kleſel.
Die Vollmacht ja, allein der Name fehlt. (Die Schrift hinhaltend.) Er blieb hier weiß. Ferdinand (u Maximilian). Wenn's, Oheim, Euch genehm. (Sie leſen die Schrift.) Leopold. Schreibt nur Rudolphus, ſo bleibt's nach wie vor. Ihr habt uns hier am Narrenſeil geleitet, Ich geh' nach Prag und zeig's dem Kaiſer an. Mathias. Das dürft Ihr nicht. Kleſel Remüthig). Herr, das war die Bedingung: Geheim zu halten, was beſchloß der Rath. Leopold (fein Wehrgehäng zurecht richtend) So will ich nur im Offnen und Geheimen Den Kaiſer ſchützen, den ihr doch bedroht. Ferdinand. Ich ſetze denn Mathias. Maximilian. Immerhin. Lerdinand (unterzeihnend). Und hier die Unterſchrift. Maximilian (eben fo). So wie die meine.
Zweiter Aufzug. 67
Ferdinand (der aufgeflanden if). Wenn ich betrachte dieſe Unglücksſchrift, So geht's durch meine Seele wie Verderben.
Kleſel. Sie liegt noch hier; es braucht nur, ſie zerreißen, So ſtehen wir auf gleichem Platz, wie vor. . Ferdinand. Ich fühle wohl, es muß. Komm, Leupold, mit nach Grätz, Es drängt mich, mein Gewiſſen auszuſchütten Vor dem, der ſeine Zweifel kennt und löst. Maximilian (aufftehend). Es iſt geſchehn. Nun, Bruder, aber höre: Sei feſt und treu! Vor allem aber wiſſe: Warſt Eines Sinnes du mit dieſem Mann, (auf Kleſel zeigend) Ich hätte die Gewalt dir nicht gegeben. Drum brauch' ihn, er iſt klug, doch hüte dich. Mathias (freng). Ich werde wohl, und hab' ihn heut erkannt. Ferdinand. Vielmehr begehr' ich, daß Ihr ihn gebraucht. Er iſt ein Eifrer für die fromme Sache.
Leopold. Du zitterſt ja! Ferdinand. Laß nur, es geht vorüber. Leopold. Wir haben keinen guten Kampf gekämpſt. Mathias.
Wollt ihr ſchon fort?
68 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Maximilian. Laß uns! wir ſind betrübt. Und ohne Abſchied denn! — Geht ihr?
Ferdinand und Leopold. Wir folgen. Mathias. Zur Kutſche wenigſtens nehmt das Geleit. Auf bald'ges, frohes Wiederſehn.
Die Erzherzoge. Wir hoffen's.
(Sie gehen von Mathias geleilet.)
Kleſel. Nun raſch ans Werk! Vor allem die Depeſchen. (Er ſetzt ſich und ſchreibt.)
Mathias (wurüdtommend). Wie, du noch hier? Du trittſt vor meine Augen, Nachdem du erſt geſprochen wider mich?
Kleſel (aufftehend). Herr, wider Euch? Für Euch! Ihr habt die Schrift, Die Euch zum Herren macht in dieſem Land. (Da Mathias zu ihm tritt.) Wenn Ihr mich ſtört, ſuch' anderwärts ich Ruh. Es gilt zu ſchreiben, ſchreiben, raſch und viel. Und dieſe Schrift, Ihr ſollt mir ſie noch küſſen, Wie ich ſie küſſe jetzt. Wir ſind geborgen. (Er tritt ins Innere des Zeltes, deſſen Vorhänge er herabläßt.)
Mathias. Er iſt ein Räthſel, was er thut und ſpricht.
Zweiter Aufzug. 69
d ſeine Rede ſtreitet mit ihm ſelber. Nun ja, die Schrift — (Freudig auffahrend) He, Kleſel, Kleſel höre! (Er tritt an den Vorhang.) gibt nicht Antwort; laſſ' ich ihn denn jetzt! ı Meer von Bildern ſchwimmt vor meiner Seele.
f die Seitenthüre zugehend, bleibt er ſtehen, als ob er umkehren wollte, geht aber nach einigem Beſinnen ab.)
jend in der Nähe des kaiſerlichen Lagers. Abenddämmerung.
ı hört einige Flintenſcüſſe hinter der Scene. Prokop, ein bloßes Schwert in der Hand, kommt mit ſeiner Tochter. Prokop.
nm, meine Tochter, noch hält dieſer Arm d fühlt ſich ſtark genug, dich zu vertheid'gen.
Zwei kaiſerliche Soldaten folgen.
Erſter. bt Euch, ſag' ich. Ihr lebtet längſt nicht mehr, ir' nicht die Furcht, das Mädchen zu verletzen.
Prokop. (rufend).
net! Baſil!
Zweiter.
Die hörten auf zu hören.
e ſeid der einzig Lebende, drum hört!
Prokop.
will ich ſterben denn, mein Kind vertheid'gend. ein was wird aus ihr, wenn ich erlag!
70 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Erſter. Das eben, Herr, bedenkt und weicht der Noth, Sonſt eins, zwei, drei und Euer Tag iſt aus. (Sie nähern ſich ihm.) Prokop. Lebt denn kein Retter mehr im weiten All? Kein Helfer, der bedrängte Unſchuld ſchirmt? (Trompeten in der Nähe.)
Hört ihr? Ein dritter Soldat kommt. Erſter. Was iſt? Dritter.
Die Herrn Erzherzoge, Die, ſtark begleitet, aus dem Lager kehren, Ein Unſtern führt ſie eben hier vorbei. Wir ſind zu ſchwach, entflieht! Erſter. Ich werde wohl! Der Lohn, zum Glück, ward vorhinein bezahlt. (Sie ziehen ſich zurück.) Prokop. Wir find gerettet, Kind! Lucretia, hörſt du?
Erzherzog Leopold und Oberſt Ramee kommen mit Begleitung. die bloßen Schwerter in der Hand.
Leopold. Nicht Türken ſind's, des eignen Lagers Auswurf; Zu Brudermord gezückt das feige Schwert. Verfolgt ſie, gebt dem Henker ſeine Beute! (Ramee und Einige in der Richtung der Flüchtigen ab.)
—
Zweiter Aufzug. | 71
Leopold.
Erzherzog Ferdinand mit Dienern und Fackeln iſt gekommen.
Prokop
(gegen Ferdinand gewendet). Ein Bürger, Herr, von Prag,
Mit ſeiner Tochter, die Euch dankt die Rettung. Ein Mächtiger am Hof verfolgte ſie. Deßhalb nun wollt' ich ſie nach Dukla bringen Zu einer Tante, die dort lebt im Schloß. Allein der Kriegslärm, damals weit entfernt, Er überholte uns auf unſrer Reiſe. Seitdem nun irren wir auf Seitenwegen, Und hofften in dem Chriſtenlager Schutz.
Leopold
(Lucretia's Hand faſſend).
Erholt Euch, ſchönes Kind.
Lucretia
(die Hand zurückziehend). Nicht ſchön, doch ehrbar. Ramee und feine Begleiter kommen mit einem in einen dunkeln Mantel Gehüllten zurück.
Ramee. Den Einz'gen nur gelang es, zu ereilen.
Leopold. Verhüllt Ihr Euch? — Es iſt nicht Faſtnachtſpiel!
Die Fackel her. (Ein Diener leuchtet hin.)
Lucretia. O Gott, er iſt's.
72 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Ferdinand. Don Cäſar!
Prokop. Derſelbe, den wir flohn.
Ferdinand. Wie kommt Ihr hieher?
Bon Käfer. Fragt nicht, und laßt mich frei.
Ferdinand. Nicht alſo, Freund! Der Kaiſer will Euch gern in ſeiner Nähe, Und Ihr bedürft, ſo ſeh' ich, ſtrenger Hut. (Zu einem Befehlshaber.) Geleitet ihn mit Eurer Schaar von Reitern Und ſagt dem Kaiſer, wenn Ihr kommt nach Prag — Allein das thu' ich ſelbſt, wenn's an der Zeit. Geht nur! Ihr haftet mir für ſeine Stellung. (Don Caͤſar wird forigebracht.) Prokop. Allein was wird aus uns?
Ferdinand. " Schließt euch nur an, Bis ihr die Gränze habt erreicht von Mähren, Wo ſicher euer Weg. Prokop. Nehmt tauſend Dank. Komm nur, mein Kind. (Nach Don Cäſar hinweiſend.) N Er kann nicht weiter ſchaden. (Ab mit Lucretia.)
Zweiter Aufzug.
Leopold. Nun Bruder, ſieh, wir thaten doch ein Gutes.
Ferdinand. Nachdem wir Schlimmes erſt, ich fühl's, gethan.
Leopold. Sei nicht betrübt, es findet ſich noch Alles. Was halb du weißt und halb ich dir verſchwieg: Das Heer in Paſſau, das ich, andern Vorwands, Seit lange werb', es ſtellt die Wage gleich, Und gibt dem Kaiſer wieder ſeine Rechte.
Serdinand (die Arme auf feine Schultern legend). Nichts Unvorſichtiges, mein Freund und Bruder! Leopold (während Ferdinand ſich auf ihn flützt). Vorausſicht iſt ja Vorſicht, oder nicht?
Die Klugheit gibt nur Rath, die That entſcheidet.
Es ſoll ſich Alles noch zum Guten wenden. (Indem ſie abgehen, fällt der Vorhang.)
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Zimmer im Schloffe auf dem Hradſchin. Rechts im Hintergrun- eine thürförmige Oeffnung, in der ein Schmelztiegel auf eine chemiſchen Ofen ſteht. Daneben der Haupteingang.
Kaiſer Rudolph kommt aus einer Seitenthüre rechts.
N Rudolph.
He, Martin, Martin! Plagt dich denn der Böſe? Iſt Alles denn verworren und verkehrt?
Es fehlt an Kohlen, Kohlen.
Ein Mann in berußter Jade und Mütze, einen Korb Kohlen Arme, iſt eingetreten.
Rudolph.
Träger Zaudrer! Beſorgt denſelben Dienſt ſeit dreißig Jahren Und gafft und glotzt, als wär's zum erſtenmal.
(Der Mann beſchäftigt ſich im Hintergrunde.)
Wo ſchütteſt du die Kohlen hin? Carajo! Scheint's doch, du willſt mir die Retorte füllen, Und nicht den Herd. Verwünſchter Schlingel! Biſt du bezahlt, zu Tode mich zu ärgern?
Dritter Aufzug. 75
Der Mann id, feine Mütze abnehmend und ſich auf ein Knie niederlaſſend).
r, ich bin's nur nicht gewohnt. Rudolph.
kartin? — Fuego de Dios!
Dann hat auch das Wams geöffnet.) Rudolph.
zulius von Braunſchweig, Liebden!
her? und doch zumeiſt — auiſch mehrere Schritte zurücktretend) Was wollt Ihr? Zulius.
igen ſuch' ich Audienz,
und nimmer ſie erhalten,
der Noth zu dieſer Liſt.
euen, der es gut gemeint.
Rudolph.
Kein übler Spaß! Steht auf! wenigſtens dem Volk beſtät'gen, he, was man, heißt's, bezweifelt.
Julius (der aufgeſtanden if). mit Recht. ,
Audolph. Ja, alter Freund, muß ich mich begraben, lebt' ich mit dieſer Welt. „ iſt vonnöthen, Freund. nd, das dieſe Garbe hält, t, doch nöthig, weil es bindet.
76 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Zulius (der den Kittel ausgezogen und auf einen Stuhl gelegt hat) Doch wird das Vand nun locker, Majeſtät?
Rudolph. Mein Name herrſcht, das iſt zur Zeit genug. Glaubſt, in Vorausſicht lauter Herrſchergrößen Ward Erbrecht eingeführt in Reich und Staat? Vielmehr nur: weil ein Mittelpunkt vonnöthen, Um den ſich Alles ſchaart, was Gut und Recht, Und widerſteht dem Falſchen und dem Schlimmen, Hat in der Zukunft zweifelhaftes Reich Den Samen man geworfen einer Ernte, Die manchmal gut und vielmal wieder ſpärlich. Zudem gibt's Lagen, wo ein Schritt voraus Und einer rückwärts gleicherweis verderblich. Da hält man ſich denn ruhig und erwartet, Bis frei der Weg, den Gott dem Rechten ebnet.
Zulius.
Doch wenn Ihr ruht, ruh'n deßhalb auch die Ande Rudolph.
Sie regen ſich, doch immerdar im Kreis.
Die Zeit hat keine Männer, Freund wie Feind. Julius.
Allein der Krieg in Ungarn?
Rudolph. Der iſt gut. Den Krieg, ich haſſ' ihn, als der Menſchheit Bran Und einen Tropfen meines Blutes gäb' ich Für jede Thräne, die ſein Schwert erpreßt; Allein der Krieg in Ungarn, der iſt gut.
Dritter Aufzug. 77
Er hält zurück die ftreitenden Parteien,
Die ſich zerfleiſchen in der Meinung ſchon.
Die Türkenfurcht bezähmt den Lutheraner,
Der Aufruhr ſinnt in Thaten, wie im Wort,
Sie ſchreckt den Eifrer meines eignen Glaubens,
Der ſeinen Haß andichtet ſeinem Gott.
Fluch jedem Krieg! Doch beſſer mit den Türken,
Als Bürgerkrieg, als Glaubens-, Meinungsſchlachten. Hat erſt der Eifer ſich im Stehn gekühlt,
Die Meinung ſich gelöst ins eigne Nichts,
Dann iſt es Zeit zum Frieden, dann, mein Freund, Soll grünen er auf unſern lichten Gräbern.
Julius. Allein der Friede ward geſchloſſen.
Rudolph.
Ward, Ich weiß, doch nicht beſtätiget von mir, Und alſo iſt es Krieg, bis Gott ihn ſchlichtet. Doch daß ich nicht auf Zwiſt und Streit geſtellt — Siehſt du? ich ſchmelze Gold in jenem Tiegel. Weißt du wozu? — Es hört uns Niemand, mein' ich — Ich hab' erdacht im Sinn mir einen Orden, Den nicht Geburt und nicht das Schwert verleiht, Und Friedensritter ſoll die Schaar mir heißen. Die wähl' ich aus den Beſten aller Länder, Aus Männern, die nicht dienſtbar ihrem Selbſt, Nein, ihrer Brüder Noth und bittern Leiden; Auf daß ſie, weithin durch die Welt zerſtreut, Entgegentreten fernher jedem Zwiſt, Den Ländergier und was ſie nennen: Ehre, Durch alle Staaten ſä't der Chriſtenheit,
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78 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Ein heimliches Gericht des offnen Rechts.
Dann mag der Türke dräun, wir drohn ihm wieder.
Nicht außen auf der Bruſt trägt man den Orden,
Nein, innen, wo der Herzſchlag ihn erwärmt,
Er ſich belebt am Puls des tiefſten Lebens,
Mach' auf dein Kleid! — Wir ſind noch unbemerkt. —
(Er hat aus der Schublade des Tiſches eine Kette mit daranhängender Schaumünze hervorgezogen.)
Der Wahlſpruch heißt: Nicht ich, nur Gott — Sprich's nach! — — —
Julius (der ſein Kleid geöffnet und ſich auf ein Knie niedergelaſſen hat). Nun denn: Nicht ich, nur Gott — und Ihr! Rudolph. Nein, wörtlich. Julius.
Nicht ich, nur Gott. — — — —
Audolph (nachdem er ihm die Kette umgehangen). Es iſt beſondres Gold, Gewonnen auf geheimnißvollem Wege, 5 Nun aber ſchließ die Hülle, doppelt, dreifach, Daß Niemand es erblickt. Du biſt ein Ketzer, Allein ein Ehrenmann. So ſei geehrt.
Zulius (der aufgeſtanden iſt). O Herr, wenn Ihr dem Andersmeinenden, Ihr mir die Huld verleiht, die mich beglückt, Warum verſöhnt Ihr nicht den Streit der Meinung, Und gebt dem Glauben ſeinen Werth: die Freiheit, Euch ſelbſt befreiend ſo zu voller Macht?
Dritter Aufzug. 79
Audolph. Zu voller Macht? Die Macht iſt's, was fie wollen. Ve g ſein, daß dieſe Spaltung im Beginn Mur mißverſtandne Satzungen des Glaubens, J e zt hat fie gierig in ſich eingeſogen, Was Unerlaubtes ſonſt die Welt bewegt. Den Reichsfürſt will fi löſen von dem Reich, Dacæunn kommt der Adel und bekämpft die Fürſten; Den gibt die Noth, die Tochter der Verſchwendung, Drauf in des Bürgers Hand, des Krämers, Mäklers, Deer allen Werth abwägt nach Goldgewicht. Der dehnt ſich breit und hört mit Spottes Lächeln Von Thoren reden, die man Helden nennt, Von Reifen, die nicht klug für eignen Säckel, Von Allem, was nicht nützt und Zinſen trägt. Bis endlich aus der unterſten der Tiefen Ein Scheuſal aufſteigt, gräßlich anzuſehn, Nit breiten Schultern, weitgeſpaltnem Mund, Nach Allem lüſtern und durch nichts zu füllen. Das iſt die Hefe, die den Tag gewinnt, Nur um den Tag am Abend zu verlieren, Angränzend an das Geiſt⸗ und Willenloſe. Der ruft: auch mir mein Theil, vielmehr das Ganze! Sind wir die Mehrzahl doch, die Stärkern doch, Sind Menſchen ſo wie ihr, uns unſer Recht.
Des Menſchen Recht heißt hungern, Freund, und leiden, Eh' noch ein Acker war, der frommer Pflege Die Frucht vereint, den Vorrath für das Jahr; Als noch das wilde Thier, ein Brudermörder, Den Menſchen ſchlachtete, der waffenlos, Als noch der Winter und des Hungers Zahn
80 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Alljährlich Ernte hielt von Menſchenleben. Begehrſt ein Recht du als urſprünglich erſtes,
So kehr' zum Zuſtand wieder, der der erſte.
Gott aber hat die Ordnung eingeſetzt,
Von da an ward es licht, das Thier ward Menſch. — Ich ſage dir: nicht Scythen und Chazaren,
Die einſt den Glanz getilgt der alten Welt, Bedrohen unſre Zeit, nicht fremde Völker;
Aus eignem Schooß ringt los ſich der Barbar, Der, wenn erſt ohne Zügel, alles Große,
Die Kunſt, die Wiſſenſchaft, den Staat, die Kirche Herabſtürzt von der Höhe, die ſie ſchützt,
Zur Oberfläche eigener Gemeinheit,
Bis Alles gleich, ei ja, weil Alles niedrig.
(Er fett ſich.)
Julius.
Ihr ſchätzt die Zukunft richtig ab, das Ganze, Doch drängt das Einzelne, die Gegenwart.
Rudolph.
Mein Haus wird bleiben, immerdar, ich weiß, Weil es mit eitler Menſchenklugheit nicht
Dem Neuen vorgeht oder es hervorruft,
Nein, weil es einig mit dem Geiſt des All, | Durch klug und Scheinbar unklug, raſch und zögern! Den Gang nachahmt der ewigen Natur,
Und in dem Mittelpunkt der eignen Schwerkraft Der Rückkehr harrt der Geiſter, welche ſchweifen.
Sulius. Doch Eure Brüder denken nicht wie Ihr.
Dritter Aufzug. 81
Audolph.
ver iſt nicht ſchlimm, obgleſch nicht klug,
m Spielraum, er begehrt zu ſpielen. Julius.
el? daß eigner Macht er ſchloß den Frieden,
7 daß er den Herren ſpielt im Land? Audol ph.
mit Worten, wie er mit der Macht.
Julius. der Türke hab' ihm angeboten Ungarns. Audolph. Sagt! die Krone Ungarns, hat das Land. Was ſoll das Zeichen? Julius. tanten — Herr, ich bin ein Proteſtant, im Glauben, nicht in Widerſetzung — ihm als Preis der Glaubensübung eſchworen wider männiglich. Audolph. der iſt katholiſcher als ich. s Furcht, indeß ich's nur aus Ehrfurcht. ensfreiheit ſtünde gut mit ihm! Julius. ir fie, um ſpäter fie zu täuſchen. ing bleibt die nämliche für jetzt. n greift die Regung ſchon um ſich, e Truppen ziehen durch die Städte. Rudolph. r Tilly, den ich hingeſandt — rer, ſämmtl. Werke. VII. 6
82 Cin Bruderzwiſt in Habsburg.
Ich bin ſo blind nicht, als Ihr etwa glaubt — Der hält das Land im Zaum. Sulius. Es find die Völker Aus Eures Bruders ungariſchem Heer. In Böhmen ſelbſt — Audolph. Du weißt nicht, was du ſprichſt. Die Böhmen find ein ſtarres Volk, doch treu. Julius. Vor Allem treu ſtammalter Ueberzeugung. Der Huß iſt todt, doch neu regt ſich ſein Glaube. In Prag hält man ſchon Rath und knüpft Vereine. Audolph (gegen die Thare gewendet). Und das verſchweigt man mir? Julius. Verzeiht, o Herr! Man will es Euch gemeldet haben, doch — Rudolph. Der Eine ſagt mir dieß, der Andre das, Wie's ihm ſein Vortheil eingibt, ſeine Meinung. Arm ſind wir Fürſten, wiſſen das Geheime, Allein das Offenkund'ge, was der Bettler weiß, Der Tagelöhner, bleibt uns ein Geheimniß. Auch war ſo viel zu thun in letzter Zeit. Der Schotte Dee war hier. Ein Wundermann des Wiſſens, Der eindringt in die Urnacht des Geſchaffnen, Und fie erhellt mit gottgegebnem Licht; Ich habe viel gelernt in dieſer Zeit.
Dritter Außzug. 83
Hätt' ich gleich ihm nur Einen mir zur Seite,
Ich ſtünde dieſer Welt und ihrem Dräu'n. Zulius.
Ihr ſeid verrathen, hoher Herr, verkauft.
Indeß Ihr lernt, lehrt Ihr der Welt den Aufruhr,
Der ſchon entfeſſelt tobt in Euern Städten.
Audolph. Haft du's geſehn? Julius. Ich nicht. Rudolph. So ſprich auch nicht!. in Jeder ſieht ein Andres, nein, ſieht nichts, nd gibt den Rath, der nichtig ſchon von vornher. Julius. im Mann iſt hier, er kommt von Brünn und Wien. c Bat geſehn. Es iſt derſelbe, Herr, er Euern Flüchtling rückgebracht — Don Cäſar. Rudolph. ring ihn zu mir, den Mann! Ich will ihn ſprechen. © Hat geleiftet mir den höchſten Dienſt, ex mir erwieſen ward ſeit langen Jahren. Sulius. r iſt im Vorgemach. Rudolph. Warum nicht hier? Bas zögert er? Warum nicht mir genüber? don Cäſar! Wie mein Innres ſich empört! Der freche Sohn der Zeit. — Die Zeit iſt ſchlimm,
—
‘ — — u K 5 i „
84 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Die ſolche Kinder nährt und braucht des Zügels. Der Lenker findet ſich, wohl auch der Zaum.
Herzog Julius hat indeſſen Lueretias Vater eingeführt.
Audolph (ihm einige Schritte entgegengehend). Ah du, mein Ehrenmann! | (Zurücktretend.) Bleibt immer dort: Dort an der Thür. Ihr ſeid ein Bürger Prags?
Prokop. Ich bin es, Majeſtät. Audolph. | Seit wann denn führen Die Bürger Waffen? Prokop (auf den Dolch in feinem Gürtel blidend). Herr, die böſe Zeit N Gebeut zu rüſten ſich.
(Den Dolch mit der Scheide aus dem Gürtel ziehend, mit einer Bewegung nach der Thüre.)
Doch will ich —
Audolph.
Bleibt! Ihr habt den Flüchtling, der ſich Cäſar nennt, Geſtellt uns als Gefangenen zur Haft. Wir danken Euch und denken Eure Tochter Zu ſchützen gegen ihn; vorausgeſetzt, Daß ſie nicht ſelbſt, wie etwa Weiberart, Ihn Anfangs tändelnd angezogen — „
Dritter Aufzug. 85
| Prokop. Nein! Rudolph. Nun, Ihr ſprecht kurz. Ihr ſeid ein Proteſtant? Prokop. Herr, Utraquiſt, des böhm'ſchen Glaubens. Rudolph. So!
Warum des böhmiſchen und nicht des deutſchen? Des wälſchen, griechiſch, ſpan ſchen? — Arme Wahrheit! Vergaß ich faſt doch, daß es ſo viel Kirchen Als Kirchenräume gibt und — Kirchhofgräber. Nun gut. Vor Cäſar lebt nur künftig ſicher, Ich will ihn hüten, wie des Auges Stern. Und hört Ihr einſt, er ſei zur Nacht geſtorben, So denkt nur: ſeine Krankheit hieß Verbrechen, Und Strafe war ſein Arzt. — Ihr kommt von Wien. Ich weiß, was man dort treibt und halb ich dulde, Und halb ein Wink von meiner Hand zerſtreut. Doch lüſtet mich's zu hören, was Ihr ſaht, Ein einfach ſchlichter Mann.
Prokop
(gegen Herzog Julius). Das von der Huld'gung?
(Zum Kaiſer.) Ich war dabei in Wien, als beide Oeſtreich Im Landhausſaal geſchworen Euerm Bruder.
| Rudolph.
Geſchworen als Erzherzog; nun, er iſt's.
Prokop. Umringt war er von ung'riſchen Magnaten,
86 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Als er den Saal betrat, die laut und jubelnd Ihn grüßten als des Ungarlandes König.
Rudolph. Das iſt nicht wahr!
Prokop (zu Herzog Julius). So kann ich wieder gehn? Rudolph. Wenn ich Euch's heiße, früher nicht, noch ſpäter. Der Ungarn König? Nun: voraus bezeichnet, Nachfolger etwa; ob auch das zur Zeit Nicht ſicher noch, abhängig von gar Vielem. In Mähren dann?
Prokop. Ich war in Brünn zugegen Beim Einzug Eures Bruders, wo er jubelnd, Vor allem von den Dienern meines Glaubens, Empfangen ward, ein Retter in der Noth. Die proteſtant'ſchen Kirchen ſtehen offen; Und ob er gleich ſich letzter Zeit entfernt — Rudolph. Entfernt? Wohin? Prokop. Man weiß nicht, Herr, die Richturs Rudolph Gu Herzog Julius). Ich ſage dir: er ging zurück nach Wien. Ihm fehlt der Muth. Ich kenne dieſen Menſchen: Zum Anfang raſch, doch zögernd, kommt's zur That.
Driiter Aufzug. 87
(Zu Prokop.)
ir, mein Freund, und weiß genug;
nd iſt am Schluß, wie dein Bericht. Prok ep.
h der Erzherzog nun entfernt,
an ſeiner Stelle Biſchof Kleſel,
r Grenze meuteriſch verkehrt. Rudolph.
as? Kleſel? Iſt er doch in Neuſtadt,
ihn gebannt, in ſeinem Sprengel. Prokop.
zrünn, wo ich ihn ſelber ſprach
meines ſicheren Geleits,
or allen nahe dem Erzherzog.
Audolph Gu Herzog Julius).
ſchlimm. Wenn jener liſt'ge Prieſter dem Andern fehlt, den Muth, die Thatkraft, in die unentſchiedne Seele. ſchlimm, und denk' ich fort und weiter, ſich's zu wirklicher Gefahr.
(Zu Prokop.) ‘ Euch, guter Freund, Ihr ſeid entlaſſen, Rind, es zähl' auf meinen Schutz. Da Prokop fi entfernt und die Thüre offen ſteht.) ing! Wolfgang Rumpf!
Wolfgang Rumpf eintretend.
Rumpf. Hier, Majeftät. Rudolph. Berichte dieſer letzten Tage,
88 Ein Bruderzwif in Habsburg.
Und was an Briefen, in mein Kabinet, Und will ich künftig ungeſtört mich wiſſen, So hindert's nicht, daß, wenn das Haus in Flamme Ihr dennoch kommt und anſagt: Herr, es brennt. Herzog Julius (zu Rumpf halblaut). War's möglich denn? Rumpf (ebenſo). Ihr wißt nicht, edler Herzog. Der Kaiſer drohten mit geſchwungnem Dolch, Wenn Jemand nur ihn anzuſprechen wagte. Rudolph. Nun wohl, Ihr habt das Zünglein an der Wage, Das ich mit Sorge hielt im Gleichgewicht, Ihr habt es rohen Drängens angeſtoßen, Es ſchwankt und blut'ge Todeslooſe fallen Aus beiden Schalen auf die bange Welt. Leiht mir nicht Eure Schuld; wenn's etwa Schuld ni Daß ich vertraut, ein ſchwacher Sterblicher, kein Got Ruft mir den Kanzler! Rumpf. Herr, er iſt ſchon hier, Und ſpricht im ſpan'ſchen Saale zu den Ständen. Rudolph. Die Stände, wie? Rumpf. Die gleicherweif’ erſchienen, Von des Gerüchtes Stimmen aufgeregt. (Zu Herzog Julius.) O Herr, o Herr! Wir wiſſen's erſt ſeit jetzt: Des Herrn Erzherzoges Mathias Gnaden
Dritter Aufzug. 89
insgeheim von Brünn verrückt nach Tabor, wo fie nun, durch Meuterer verſtärkt, Heeresmacht heranziehn gegen Prag.
Stadt iſt in Bewegung, Manifeſte angeſchlagen an den Straßenecken,
on des Kaiſers Hoheit ehrfurchtslos —
Rudolph. veiß den Inhalt dieſer Manifefte: ich, ein alter Mann, an Willen ſchwach, ehe mich dem Reich und ſeinen Sorgen; ß mich das Geſpenſt der blut'gen Zukunft gt bis in mein innerſtes Gemach, Nachts empor auf meinem Lager ſitzend, Trommel Ruf, des Schlachtenlärms Getos wachend ſchlägt ans Ohr, den Traum ergänzend. noch das Bewußtſein, daß im Handeln, o nun oder ſo, der Zündſtoff liegt, dieſe Mine donnernd ſprengt gen Himmel. habt gehandelt, wohl! das Thor geht auf eine große Zeit hält ihren Einzug. wollen ſie, die Stände? Weiß man es? Rumpf. tagen eine Handfeſt vor ſich her, Pergament gerollt, auf einem Kiſſen. Audolph. t der Majeſtätsbrief, den ſie früher vorgelegt, doch damals ich zurückwies, htigung zuſichernd ihrem Glauben.
(Bitter. ) Zeit ſcheint ihnen günſtig zum Vertrag.
90 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
(Die Mütze abziehend, heftig.)
Allmächt'ger Gott, der du mich eingeſetzt, Zu wahren deiner Ehre und der meinen, Die Doppellaſt, ſie ſpottet meiner Kraft, Und nicht vermag ich fürder, ſie zu tragen. Ich ſtelle dir zurück, was deines Reichs, Biſt du der Starke doch, und was du willſt, Führſt du zum Ziel durch unerforſchte Wege. Doch was mein eignes Amt, daß dieſe Welt Ein Spiegel ſei, ein Abbild deiner Ordnung, Daß Fried' und Eintracht wohnen brüderlich, Vom Unrecht ungeſtört und von Verrath, Das will ich üben, ſtehſt du, Gott, mir bei.
(Er hat ſein Baret wieder aufgeſetzt.) Ich will hinüber zu den treuen Ständen; Treu nämlich, wenn — und ehrenhaft, obgleich — Anhänglich auch, jedoch — wahrhaft, nur daß — Und wie die krummen Wege alle heißen, Auf denen Selbſtſucht geht und die Gemeinheit. (Er macht einige Schritte gegen die Thüre, dann bleibt er ſtehen,
dem Fuße ſtampfend.) Mich widert's an, ich mag den Hohn uicht ſehn, Die Schadenfreude auf den frechen Stirnen. Ruft ſie herüber. Heißt das: einen Ausſchuß, Für Alle führend insgeſammt das Wort. Erträglich iſt der Menſch als Einzelner, Im Haufen ſteht die Thierwelt gar zu nah. Was zögerſt du? Ruf' fie herüber, ſag' ich. (Rumpf ab.)
Nun, Herzog Julius, fühlt Ihr noch die Kraft, Das Schwert zu ſchwingen in der alten Rechten? Mich ſelbſt befällt ein Hauch der Jugendzeit,
Deister Aufzug. 9]
und an der Spitze, denk ich, meiner Treuen Hinauszuziehn, um Stirne gegen Stirn‘ Den Aufruhr zu befragen, was ſein Ziel. Nicht daß mich lockt die ſtolze Herrſchermacht, Und wüßt' ich Schultern, die zum Tragen tüchtig, Ich ſchüttelte ſie ab als ekle Laſt, Von da an erſt ein Menſch und neu geboren: Doch wenn es wahr, daß Gott die Kronen gibt, Geziemt es Gott allein nur, ſie zu nehmen, Sie abzulegen, ſelbſt, auch ziemt ſich nicht. Wo iſt mein Degen? Wolfgang, Wolfgang Rumpf! Er lehnt am Tiſch, zunächſt an meinem Bette. (Da Herzog Julius auf das Kabinet zugeht.) Herr, Ihr bemüht Euch ſelbſt? Habt Dank, o Lieber! (Herzog Julius ins Rabinet ab.) Rudolph (gegen den Haupteingang gewendet). Hört mich denn Niemand? Sind ſie ſchon geflohn Vom Niedergang gewendet zu dem Aufgang? Das ſoll ſich ändern, ja es ſoll, es muß. (Herzog Julius kommt zurück.) Rudolph. Ihr bringt den Mantel auch? Habt Ihr doch recht, Die Welt verlangt den Schein. Wir Beide nur, Wir tragen innerhalb des Kleids den Orden. (Nachdem er mit Herzog Julius’ Hilfe den Mantel umgehängt.) Den Degen legt nur hin! Iſt doch das Eiſen Faſt wie der Menſch. Geſchaffen um zu nützen, Wird es zur ſchneid'gen Wehr und trennt und ſpaltet Die ſchöne Welt und aller Weſen Einklang. Ich höre kommen. Nun, wir ſind bereit,
Und frommt die Milde nicht, ſo hilft das Schwert.
92 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Der Raifer ſetzt ſich, mehrere höhmiſche Stände treten ein. Vor ihnen ein Page, der auf einem ſammtenen Kiffen eine Pergamentrolle trägt.
Rudolph.
Fragt ſie, was ihr Begehr? (Da Einer vortritt.) Rudolph. Nicht Ihr, Graf Thurn! Ihr ſeid kein Eingeborner, ſeid kein Böhme, Die Luſt an Unruh' hat Euch hergeführt. Laßt einen Andern, laßt den Nächſten ſprechen. Zweiter (vortretend).
Erlauchter Herr und König, gnäd'ger Kaiſer, Euch iſt bekannt, was ſich im Land begibt Und in dem Nachbarland an ſeinen Grenzen. Bewaffnet ziehen Schaaren gegen Prag, Und Eurer Hoheit Bruder heißt ihr Führer. Da iſt das Volk nun mannigfach bewegt: Die Einen wittern heimlich Einverſtändniß Mit Eurer Majeſtät betrauten Räthen, Und meinen, wenn das fremde Heer im Land, Werd es die Schneide kehren gegen uns, Zum Umſturz unſrer Satzungen und Rechte.
Rudolph
(vor ſich hinſprechend). Sehr heimlich wär' das Einverſtändniß, wahrlich. Ser Wortführer.
Die Andern wieder werden angelockt Von dem, was ihnen anbeut die Empörung: Freiheit der Meinung und der Glaubensübung, Was jedem Menſchen theurer als fein Selbſt.
Dritter Aufzug. 93
cht wir nur find's, die dieſe Sprache führen, lein das Volk —
Rudolph.
Das Volk! Ei ja, das Volk! ibt ihr das Volk bedacht, wenn Ihr die Zehnten, as Herrenrecht von ihnen eingetrieben? as Volk! Das ſind die vielen leeren Nullen, ie gern ſich beiſetzt, wer ſich fühlt als Zahl, och wegſtreicht, kommt's zum Theilen in der Rechnung. agt lieber, daß ihr ſelbſt ergreift den Anlaß, ir abzuzwingen, was ich Euch verweigert,
id jetzt auch weigern würde, ſtünde gleich
n Mörder mit gehobnem Dolch vor mir.
och handelt ſich's von mir nicht jetzt, noch Euch, elmebr von dem, was fein muß und geſchehn, oll nicht der Grundbau jener weiſen Fügung, ie Gott geſetzt und die man nennt den Staat, n wilden Taumel auseinander gehn.
h ſeh's an jener Schrift. Es iſt die gleiche, ie ſie ſeit Monden liegt in meinem Zimmer, leichſtellung fordernd für den neuen Glauben. a8 ihr hier bittet, beut euch an der Aufruhr. or Irrthum kann ich länger euch nicht wahren, ufruhr erſparen aber kann ich euch.
zeid ihr zufrieden, wenn ich euch verſpreche, Sobald geſtillt die Unruh' in dem Land,
frei zu bewilligen, was ihr begehrt?
Ihr ſchweigt. Mißtraut ihr mir?
Abgeordneter.
Nicht Euch, Herr Kaiſer, Dem Einfluß aber von Madrid und Rom. "
94 Ein Druderzwiſt in Habsburg.
Rudolph.
Hätt' ich gehört auf das, was dorther tönt, Wär längſt getilgt die Lehre ſammt den Schülern, Und in Verbannung geiferte der Trotz. Ich aber duldete mit Vatermilde, N Die Ueberzeugung ehrend ſelbſt im Irrthum. Verfolgt ward Niemand wegen ſeiner Meinung: Im Heer, im Rathe ſitzen eure Jünger.
(Auf Herzog Julius zeigend.) Selbſt hier mein Freund iſt euch ein Lehrgenoß. Geduldet hab' ich, aber nicht gebilligt, Beſtät'gen wäre billigen zugleich.
Zuckt ihr die Schulter? Nun Ihr meint, das M Sitzt eben an der Kehle, und habt recht. Will ich vergeſſen nicht mein weltlich Amt, Muß ich dem Himmel überlaſſen ſeines. Gebt her die Schrift! Sie iſt wohl gleichen Inhalt; Mit jener frühern; doch da Ihr mißtraut, Ziemt Mißtraun wohl auch mir. Gebt Eure Schri (Die Rolle, die der Page ihm knieend darbietet, vom Kiffen neh Iſt doch, als ginge wild verzehrend Feuer Aus dieſer Rolle, das die Welt entzündet Und jede Zukunft, bis des Himmels Quellen Mit neuer Sündflut bändigen die Glut, Und Pöbelherrſchaft heißt die Ueberſchwemmung.
(Die Schrift entfaltend und leſend.)
Der Eingang, wie gewöhnlich, leere Formel Von Treu', Anhänglichkeit — wohl Liebe gar! Drum fordert ihr auch gleicher Neigung Pfänder.
rr
Dritter Aufzug. 95
Ein Hofdiener iA unmittelbar aus der Thure links gekommen und bat ſich Wolfgang Rumpf genähert, der dem Kaiſer gegenüber im Vot⸗ grunde ſteht.
Diener deife). Erzherzog Leopold aus Steiermark Sind angekommen, heimlich, unerkannt, Und wünſchen augenblickliches Gehör.
Rum pf (ebenſo). Es iſt nicht möglich jetzt. ‚Diener. | Sie dringen ſehr. (Da Wolfgang Rumpf einige Schritte gegen den Kaiſer macht.) N Rudolph. | Was ſoll's? Jetzt iſt nicht Zeit. — Was immer. Später! Rumpf zieht ſich zurüch und bedeutet dem Diener durch Zeichen, der ſich entfernt.) Rudolph (weiter leſend). Hier iſt ein Punkt, der neu. Der muß hinweg. Ge horſam zu verweigern gibt er euch Das ausgeſprochne Recht, wird irgendwie Ge ordnet was entgegen eurer Satzung. , Das ift der Aufruhr, ſtändig, als Geſetz. Bedenkt ihr auch das Beiſpiel, das ihr gebt? Ich nicht allein bin Herr, auch ihr ſeid Herren, Habt Unterthanen, die in eurer Pflicht; enn ihr mir trotzt, ſo drohen ſie euch wieder. Erſt gebt dem Einzelnen, dem Unverſtänd'gen Ein urtheil ihr in dem, wo ſelbſt die Weiſen Verſtummend ſtehn als an der Weisheit Grenze; Dann ruft ihr ihn vom Acker auf den Markt, Zählt ſeine Stimme mit und heißt ihn mehren
96 Ein Bruderzwiſt in Habsburg
Die Mehrzahl wider Ehrfurcht und Geſetz.
Ihr ſtellt ihn gleich mit euch, und bofft doch künftig Als Mindern ibn zu ſtellen unter euch?
Und wär't ihr auch ſo chriſtlich mild geſinnt,
Im Menſchen nur zu ſehen euern Bruder:
Seht an die Welt, die ſichtbar offenkund'ge,
Wie Berg und Thal und Fluß und Wieſe ſtehn.
Die Höhen, ſelber kahl, ziehn an die Wolken
Und ſenden ſie als Regen in das Thal,
Der Wald hält ab den zehrend wilden Sturm,
Die Quelle trägt nicht Frucht, doch nährt ſie Früchte, Und aus dem Wechſelſpiel von hoch und niedrig, Bon Frucht und Schutz erzeugt ſich dieſes Ganze, Deß Grund und Recht in dem liegt, daß es iſt. Zieht nicht vor das Gericht die heil'gen Bande,
Die unbewußt, zugleich mit der Geburt,
Erweislos, weil ſie ſelber der Erweis,
Verknüpfen, was das Klügeln feindlich trennt.
Du ehrſt den Vater — aber er iſt hart;
Du liebſt die Mutter — die beſchränkt und ſchwach „ Der Bruder iſt der nächſte dir der Menſchen,
Wie ſehr entfernt in Worten und in That;
Und wenn das Herz dich zu dem Weibe zieht,
So fragſt du nicht, ob ſie der Frauen Erſte,
Das Mal auf ihrem Hals wird dir zum Reiz,
Ein Fehler ihrer Zunge ſcheint Muſik,
Und das: ich weiß nicht was, das dich entzückt,
Iſt ein: ich weiß nicht was für alle Andern:
Du liebſt, du hoffſt, du glaubſt. Iſt doch der Gla 2 Nur das Gefühl der Eintracht mit dir ſelbſt, Das Zeugniß, daß du Menſch nach beiden Seiten: Als einzeln ſchwach, und ſtark als Theil des All.
Dritter Aufzug. 97
ine Väter glaubten, was du ſelbſt,
ine Kinder künftig treten gleiche Pfade, die Brücke, die aus Menſchenherzen ierforſchten Abgrund überbaut,
m kein Senkblei noch erforſcht die Tiefe. e nicht die Stützen, beſſre nicht! Nenſchenwerk zerſtört den geiſt'gen Halt, ine Enkel lachen einſt der Trümmer,
ien deine Weisheit modernd liegt.
de Satzung wahr, wird fie beſtehn,
vie das Bäumchen, das vom Stein gedrückt, veige breiten, ſiegend ob der Laſt;
wenn falſch, ſo wißt, daß ſeine Wurzeln ern all, was feſt und alt und ſicher. weifel zeugt den Zweifel an ſich ſelbſt, nmal Ehrfurcht in ſich ſelbſt geſpalten, mals Ehrſucht nur noch und als Furcht. euch nicht an zu deuteln Gottes Wahrheit.
Abgeordneter. w'n auf feſten Boden, auf die Schrift.
Rudolph.
chrift? (raſch unterſchreibend)
Hier meine Unterſchrift. Da ihr dten Zügen einer welken Hand traut, als dem lebendig warmen Wort, von dem Mund der Liebe fortgepflanzt, agen wird von liebedurſt'gem Ohr, zwarz auf weiß. — Und nun noch Blut als Siegel. ſt das rothe Wachs, das jede Lüge zahrheit ſtempelt; wenn von Volk zu Volk, llparzer, ſämmtl. Werke. VII. 7
G [4 — 5 ı 5
98 | Ein Bruderzwift in Habsburg.
Warum nicht auch von Fürſt zu Unterthan?
Und nun hinaus, beweiſen mit dem Schwert,
Was nur der Geiſt dem Geiſte ſoll beweiſen.
Des Reiches Ehre ſoll und muß beſtehn.
Und iſt das Thor dem Unheil nun geöffnet,
Iſt Mord und Brand geſchleudert in die Welt,
Dann denkt einſt ſpät, wenn längſt ich modre:
Wir waren auch dabei und haben es gewollt.
(Ein ferner Ranonenſchuß.)
Rudolph (ufammenfaprend).
Was iſt? — Mein Geiſt iſt ſtark, mein Leib nur zittert.
Zu einem Diener, der eingetreten iſt und ſich Rumpf genähert hat.
Rudolph. Was ſoll's? Diener. Man hat den Wall am Wiſſehrad beſetzt Und ſchießt auf Truppen, die der Stadt ſich nahn. Rudolph. Man ſoll nicht ſchießen! (Neuer Ranonenſchuß.) Rudolph (mit dem Fuße ſtampfend). Soll nicht, ſag' ich euch! Die Stände (die Schwerter ziehend). Mit Gut und Blut für unſern Herrn und Kaiſer! | Rudolph. Da ſteht's vor mir! Der Mord, der Bürgerkrieg, Was ich vermieden all mein Leben lang,
Dritter Aufzug. 99
Es tritt vor mich am Ende meiner Tage. Es ſoll, es darf nicht. Steckt die Schwerter ein, Vertragt euch mit dem Feind. Und dieſe Handfeſt, »Die ihr als Preis des Beiſtands abgetrotzt, Sei euch geſchenkt. — Ihr ſelbſt, Herr Kanzler, ſeht Was ſie begehren draußen vor der Stadt. Iſt es mein Bruder doch, beſtimmt zu herrſchen, Wenn mich der Tod, ich hoffe bald, hinwegrafft. Er übe ſich vorläufig in der Kunſt, Der undankbaren, ewig unerreichten, In der, verkehrt, was ſonſt den Menſchen adelt: Erſt der Erfolg des Wollens Werth beſtimmt, Der reinſte Wille werthlos — wenn erfolglos. In Böhmen aber will ich ruhig ſitzen, Und harren, bis der Herr mich zu ſich ruft.
(Mit einer Entlaffungsbewegung gegen die Stände.) Mit Gott, ihr Herrn!
(Die Stände entfernen ſich.) Und Ihr, Herr Kanzler, eilt! (Alle, bis auf Herzog Julius und den Kaiſer ab.)
Rudolph.
So find wir denn allein. — Ein wüſtes Wort. Du tadelſt mich, mein Freund?
Zulius.
Herr, ich verehr' Euch. Rudolph. N Ich bin ſo gut nicht, als es etwa ſcheint —
Die Andern nennen's ſchwach, ich nenn' es gut.
Denn was Entſchloſſenheit den Männern heißt des Staats, Iſt meiſtenfalls Gewiſſenloſigkeit,
Hochmuth und Leichtſinn, der allein nur fich
595358
100 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Und nicht das Schickſal hat im Aug' der Andern; Indeß der gute Mann auf hoher Stelle Erzittert vor den Folgen ſeiner That,
Die, als die Wirkung eines Federſtrichs,
Glück oder Unglück forterbt ſpäten Enkeln.
Ich aber bin ſo gut nicht, als du glaubſt.
In dieſen Adern ſträubt ſich noch der Herrſcher, Und Zorn und Rachſucht glüht in meiner Bruſt: Zu züchtigen, die ſich an mir vergeſſen,
Die ſchwach mich nennen, ſchwächer weit als ich: Die alte Bruſt zu ſchnüren noch in Erz,
Und in dem Glanz verletzter Majeſtät
Genüber mich zu ſtellen den Verräthern,
Ob ſich ihr Aug' empor zu meinem wagt.
Und war ein Funke Glut in dieſen Männern, Die ſich Vertreter nennen eines Volks,
War irgend etwas nur in ihrem Blick,
Das mehr als Eigennutz und Schadenfreude, Ich ſtünde jetzt mit ihnen drauß im Feld
Und tödtete mit Blicken den Verrath.
Die Seitenthüre links öffnet ſich, Erzherzog Leopold in ein — dunkeln Mantel gehüllt, tritt heraus.
Audolph. Siehſt du, da kommt er, der Verſucher, da! Mein Sohn, mein Leopold! — Und doch hinweg! Er ſteht im Bund mit meines Herzens Wünſchen. Er wird mir ſagen, daß ja noch ein Heer In Paſſau ſteht, zu meinem Dienſt geworben: Daß Nache ſüß und daß der Kampf gerecht. Mein Sohn, es iſt zu ſpät! Ich darf nicht, will nich E Sie nennen ſchwach mich, und ich bin's zum Kampf,
Dritter Aufzug. 101
Allein zum Fliehen reichen noch die Kräfte. Verſucher fort! Ob hundertmal mein Sohn. (Er eilt ins Kabinet rechts.)
Leopold (der den Mantel abgeworfen).
Mein Oheim und mein Herr! (An der Thüre des Kabinets.)
Verſchließt Ihr Euch? Julius du Rumpf). Geht Ihr und weilet draußen vor der Thür, Damit kein Unberufner ſtörend nahe. (Rumpf geht hinaus.) Leopold. So komm' ich her ſpornſtreichs auf Seitenwegen, Verborgen, unerkannt, und bring' Euch Hilfe, Und Ihr verſchließt die Pforte mir, das Herz? Ja denn, noch iſt ein Kriegsheer Euch bereit, Mit Müh halt' ich's in Paſſau nur zurück. Ein Wort von Euch und tauſend Schwerter flammen Zu Euerm Schutz, zum Schutz der Majeſtät. Doch wenn Ihr auch den Retterarm verſchmäht, Stoßt nicht zurück das Herz, die Kindestreue. Laßt mich, das Haupt gelehnt an dieſe Pfoſten, Nicht glauben, Eure Bruſt ſei hart wie ſie. — Die Thüre wird bewegt — ſie öffnet ſich — Mein Vater! (Er ſtuürzt in das Kabine, deſſen Thüͤre ſich hinter ihm ſchließt.)
Sulius (mit gefalteten Händ en). O, daß nun nicht der Groll, gekränkte Würde, Und die Empfindung, die, wenn aufgeregt, Gern übergeht in jegliches Empfinden:
102 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Von hart zu weich, von Innigkeit zu Zorn, Ihn hinreißt einzuwill'gen in das Schlimmſte: Zu handeln, da's zu ſpät. Rumpf (zur Thüre hereinſprechend). Herr Biſchof Kleſel. Zulius. Nicht jetzt, nur jetzo nicht! Rumpf. Sie laſſen ſich Abweiſen nicht.
Kleſel eintretend.
Kleſel. Nein, wahrlich, in der That. Julius (ihm entgegentretend, mit gedämpfter Stimme). Ihr wagt es, Herr, hier in denſelben Räumen, Die Euer Rath mit Zwietracht angefüllt — Kleſel. Ich komme her im Auftrag meines Herrn. Julius. Wollt Ihr den Kaiſer zwingen, Euch zu ſprechen? Kle ſel. Da ſei Gott für! Gemeldet will ich werden, So heißt mein Auftrag und, wenn abgewieſen, Kehr' ich zurück. Doch melden muß man mich. (Er ſetzt ſich links im Vorgrunde.) Julius. Ich bitt Euch, Herr, ſprecht leiſe.
Dritter Aufzug. 103
Kleſel. ö Und warum? Julius. Glaubt Ihr denn nicht, die Stimme ſchon des Mannes, Der ihm, er glaubt's, ſo Schlimmes zugefügt, Muß in des Kaiſers Bruſt, jetzt wo Entſchlüſſe Hart mit Entſchlüſſen kämpfen, Scham und Zorn —
Aleſel. Jetzt iſt nicht von Entſchlüſſen mehr die Rede, Nothwendigkeit iſt da und ſie ſchließt ab. (In des Kaiſers Kabinet wird geklingelt.) Zulius. Es iſt geſchehn! Nun wahre Gott der Folgen! (Wolfgang Rumpf geht ins Kabinet.) Julius. Und war kein Anderer als Ihr zu finden Zu ſolcher Botſchaft, die faſt klingt wie Hohn?
Kleſel. Vielleicht weil ich allein kein Schranz und Höfling, Gewohnt zu ſagen gradaus, was gemeint.
N Julius. Die Derbheit iſt nicht immer Redlichkeit.
Kleſel.
So iſt ſie denn Arznei, die, ſchon als bitter, Den langverwöhnten Magen ſtärkt und heilt; Und Heilung war gemeint mit dieſem Umſchwung, Man wird's zuletzt erkennen, hört man mich. Wer den Ertrinkenden erfaßt am Haar, Er hat gerettet ihn und nicht beleidigt.
(Rumpf kommt aus dem Kabinete zurück.)
104 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Rumpf. Der Kaiſer ift ergrimmt, er heißt Euch gehn, Bon feinem Antlitz fern der Strafe harren. Der nächſte Augenblick droht Euch Gefahr. Kleſel. Ich gehe denn. Den Frieden wollt' ich bringen, Wählt man den Haß, ſo ſuche man nach Macht. Die Strafe, die man droht, ſie liegt ſo fern, Wir freuen uns indeſſen an dem Lohn. (Er geht.) Julius. Es werden Stimmen laut im Kabinet. Geht Ihr hinein, verſucht es, ſie zu ſtören. Ich fürchte dieß Geſpräch und ſeine Folgen.
Erzherzog Leopold kommt aus dem Kabinete, in das ſogl Rumpf hineingeht.
Leopold (einen Zettel in die Höhe haltend).
Ich hab's, ich habs. Aus der Seitenthüre links tritt Oberſt Ramee heraus
Leopold. Ramee und nun die Pferde! (Er nimmt feinen Mantel auf.) Nichts theurer iſt hier Lands, als der Entſchluß, Man muß ihn warm verzehren, eh' er kalt wird. Rumpfs Stimme (im Kabine). Erzherzogliche Hoheit! Julius (ſich Leopolden nähernd). Gnäd'ger Herr!
Dritter Aufzug. 105
Leopold.
Schon kommt die Reue, dünkt mich, laß uns gehn! (Erzherzog Leopold und Ramee durch die Seitenthüre links ab.)
Rumpf (aus dem Kabinet kommend). Der Kaiſer will noch einmal mit Euch ſprechen, Es iſt noch Eins zu ſagen.
Julius. Er iſt fort.
Rumpf. Der Herr iſt ſein kaum mächtig, ſchlägt die Bruſt.
Julius. Ich will ihm nach! Gibt Flügel die Gefahr, So flieg' ich, ſtatt zu gehn, denn das Verderben, Es ſteht vor mir in gräßlicher Geſtalt. (Er folgt dem Erzherzog durch die Geitenthüre link.)
Rumpf (ſich dem Nabinet nähernd). Man bringt ihn noch zurück. — Der Herzog ſelber — Eh' er ſein Pferd beſteigt, ereilt man ihn. (Er geht ins Kabinet.)
Der Kleinſeitner Ring in Prag. Volk füllt mannigfach bewegt den Hintergrund.
Die drei Wortführer der Stände kommen von der linlen Seite.
Graf Thurn. Laßt uns hinaus, begrüßen den Erzherzog. Der Vortrab ſeines Heers nimmt heute Nacht Quartier in unſrer Stadt. Man hofft ihn ſelbſt,
106 Der Bruderzwiſt in Habsburg.
Ob freilich nur im Durchzug vor der Hand, Dem künft'gen Unterthan den künft'gen Herrn Mit mildem Segensblick vorerſt zu zeigen. Wie immer denn! Kommt, ſchließt euch an! Iſt er ja doch der Retter, der Befreier.
Schlick. Nur fürcht' ich, ſproßt in ihm der alte Same, Zur Macht gelangt, wirft er die Maske weg.
Thurn.
Für neues Drängen gibt es neue Mittel,
Und ſag' ich: neue, mein' ich nur die alten.
Der leiſe Widerſtand ſtumpft jeden Stachel,
Und ſtreiten ſie um unſre Krone ſich,
Verarmen wie im Rechtsſtreit beide Theile,
Reich werden Richter nur und Anwalt, wir.
Kommt Zeit, kommt Rath. — Hört ihr die Glocken? Man hat ihn von den Thürmen wohl erblickt,
Und dort der erſte Trupp von ſeinen Schaaren.
(Geläut der Glocken. Im Hintergrunde beginnt von der rechten Seite mit Mufik und Fahnen der Vorüberzug von Soldaten. Das Volk drängt
ſich nach rückwärts, die Blicke eben dahin gerichtet, ſo daß ſie den Zug verdecken und der Borgrund leer bleibt.)
Erzherzog Leopold und Oberſt Ramee, in Mantel gebaut, kommen von links im Vorgrunde. Herzog Inlins folgt ihnen. Julius.
Ich laß Euch nicht. Ihr müßt zurück zum Kaiſer. Leopold.
Ich habe ſchriftlich ſeinen hohen Willen,
Nun iſt's an mir, ihn treulich zu vollziehn.
Tritter Aufzug. 107
Julius.
t Ihr ins Land mit fremdgeworbnen Truppen, ihrt der Aufruhr neu, des Kaiſers Gegner zen es zu ſeinem Untergang. zu ſpät. | Leopold. Und früher war's zu früh. ‚ift die rechte Zeit?
Julius (ihn anfaſſend).
Ich laſſ' Euch nicht. MT ich Euch und flehe: kehrt zurück!
Leopold Mantel abſtreifend, der in Herzog Julius Hand zurückbleibt). tofeph denn im Haufe Potiphar h den Mantel Euch, mich ſelber nicht.
Ramee (auf das Volk zeigend). wenn man Euch erkennt.
Leopold. Man ſoll mich kennen! (Mit ſtarten Schritten nach rechts abgehend.) ihn zurück! (Ramee tritt zwiſchen Beide.)
Julius. Nun denn, es iſt geſchehn. (Den Mantel fallen laſſend.) ülle liegt am Boden, das Verhüllte offen in die Welt als Untergang. (Ramee folgt dem Erzherzog.)
108 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Der Zug im Hintergrunde hat fi) indeſſen forigeſetzt. Jetzt erſcheim Erzherzog Mathias zu Rob, die Menge überragend. Das Boll drängt ſich ihm entgegen. N Bol k. Vivat Mathias! Hoch des Landes Recht!
(Indem Herzog Julius mit einer ſchmerzlich abwehrenden Bewegung RA nach rückwärts wendet, fällt der Vorhang.)
Vierter Aufzug.
Die Kleinſeite in Prag, wie zu Anfang des erſten Aufzuges. Die Sturmglocke wird gezogen. Man hört ſchießen.
Bürger treten fliehend auf. Ein Bürger. dlieht, Nachbar, flieht! 's iſt das Paſſauer Kriegsvolk.
Der Kaiſer hat fie in das Land gerufen, Erzherzog Leopold, ſein Neffe, führt ſie.
Prokop aus ſeinem Hauſe tretend.
Prokop. Vas iſt? was ſoll's? Bürger. Ihr wißt ja: die Paſſauer. . Prokop. Doch iſt die Stadt bewahrt. Bürger. | Man hat die Pforte Geöffnet ihnen oben am Hradſchin, Und nun ergießt der Trupp ſich durch die Straßen.
— — ä — u (
110 Ein Bruderzwiſt in Habs burg.
Prokop (ſein Schwert ziehend). So greift zur Wehr! Bürger. Dort, ſeht ihr, kommt ein Tray
Prokop. Schließt euch und haltet aus! Iſt doch die Stadt Von Männern voll; thut Jeder ſeine Pflicht, So lehren wir den Räubern wohl die Reue. (Gegen ſein Haus gewendet.)
Dich, Kind, indeß befehl' ich Gottes Hut. Der iſt kein Bürger, der die eigne Sorge Vergißt nicht in der Noth des Allgemeinen.
Zieht euch zu jener Ecke, ſie gibt Schutz, Und gehn ſie vor, ſo fallt in ihre Seiten.
(Sie ziehen ſich zurück.)
Oberſt Ramee tritt auf mit Soldaten.
Ramer (zn Einigen, die ihre Gewehre anſchlagen). Halt' ein mit Schießen! Es erweckt die Schläfer. Wir überfallen ſie, und ohne Blut, So will es der Erzherzog, ſind wir Sieger. Drängt nicht zu ſcharf! Denn raſch in ihrem Rüde Eilt eine Reiterſchaar der Moldau zu, Beſetzt die Brücke, dringt ins offne Thor; Die Altſtadt unſer, ſind wir Herrn von Prag. (Trompeten in weiter Ferne.) Die Brücke iſt genommen. Jetzt auf ſie! (Mit den Soldaten nach der rechten Seite ab. Man hört Lärm P° Gefechts.)
Vierter Aufzug. 111
Don Cäſar im Wams, ohne Hut, kommt von einigen Soldaten umgeben.
Ca ſar. Ich dank euch, Freunde, daß ihr mich entledigt Der bittern Haft, in der mich hielt die Willkür
Um Jener wegen, die dort oben wacht. (Auf prokops Haus zeigend, in deſſen oberm Geſchoß ein Licht brennt.)
Ich will mit euch, will kämpfen, fechten, ſterben, Gleichviel für wen und gleichviel gegen wen, Den, der mich tödtet, nenn' ich meinen Freund, Doch vorher noch ein Wörtchen oder zwei Mit ibr, die mich verdarb.
(Da Einige ſich der Thür naͤhern.)
Halt, kein Geräuſch!
Ich kenne die Gelegenheit des Hauſes, Aus früh'rer Zeit. Dort rückwärts an der Mauer Iſt noch ein Pförtchen, das ins Inn're führt, Von wo zwei Treppen nach der Gartenſeite Zum Esller fteigen nächſt an ihr Gemach. Dort ſei's verſucht, und ihr bewahrt den Eingang!
(Sie verlieren ſich hinter dem Hauſe.)
Zimmer in Prokops Hauſe. An der linken Seite ein Fenſter. Gegenüber eine Thüre. Im Hintergrunde zwei andere, worunter eine Glasthüre, die nach dem Söller führt.
Lueretia tritt aus der Seitenthüre links.
Lucretia. Es kommt der Tag, allein mein Vater nicht. Ich hörte ſchießen, ſchrei'n, Geklirr der Waffen Und er verläßt ſein Kind in dieſer Noth. O daß die Männer nur ins Weite ſtreben!
112 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Sie nennen's Staat, das allgemeine Beſte, Was doch ein Trachten nach dem Fernen nur. Gibt's denn ein Beſtes, das nicht auch ein Nächſtes? Mein Herz ſagt nein, nächſtpochend an die Bruſt. (Ans Fenſter tretend.) Nun iſt es ruhig und der graue Schein Vom Ziskaberg verkündet ſchon die Sonne. (Naſch umgewendet.) Hör' ich Geräuſch und kehrt mein Vater heim?
Die Glasthüre des Söllers offnet ſich und Don Cãſar tritt ein
Bon Cäſar. Viel Glück ins Haus!
Lucretia. O Gott, fo ſchaut das Unglück 2
Bon Ca ſar. Erſchreckt nicht, holde Maid! Ich bin es ſelbſt; Und bin's auch nicht. Die Aſche nur des Feuers, Das einſt für Euch geglükt, ihr wißt, wie heiß; Der Schatten nur des Weſens, das ich war. Und ſelbſt der letzte Schimmer dieſes Daſeins, Der noch ins Dunkel ſtrahlt, das Leben heißt, Kommt zu verlöſchen mir in dieſer Nacht. | Ich geh' in Kampf und weiß, ich werde fallen, Die Ahnung trügt nicht, wenn von Wunſch erzeugt. Was foll ich auch in dieſer wüſten Welt, — Ein Zerrbild zwiſchen Niedrigkeit und Größe; Verläugnet von dem Manne, der mein Vater, Mißachtet von dem Weib, das ich geliebt — Erzittert nicht! Davon iſt nicht die Rede. Die Leidenſchaften und die heißen Wünſche,
2
Vierter Aufzug. 113
Die mich bewegt, ſie liegen hinter mir, Ich habe ſie begraben, eingeſargt. Was iſt es auch: ein Weib? Halb Spiel, halb Tücke, Ein Etwas, das nie Etwas und nie Nichts, Je demnach ich mir's denke, ich, nur ich. Und Recht und Unrecht, Weſen, Wirklichkeit, Das ganze Spiel der buntbewegten Welt, Liegt eingehüllt in des Gehirnes Räumen, Das ſie erzeugt und aufhebt, wie es will. Ich plagte mich mit wirren Glaubenszweifeln, Ich pochte forſchend an des Fremden Thür', Geleſen hab' ich und gehört, verglichen, Und fand ſie beide haltlos, beide leer. Vertilgt die Bilder ſolchen Schattenſpiels, Blieb nur das Licht zurück, des Gauklers Lampe, Das fie als Weſen an die Wände malt, Als einz'ge Leidenſchaft, der Wunſch: zu wiſſen. Laßt mich erkennen Euch, nur deßhalb kam ich, Zu wiſſen, was Ihr ſeid, nicht was Ihr ſcheint. Denn wie's nur eine Tugend gibt: die Wahrheit, Gibt's auch ein Laſter nur: die Heuchelei. Lucretia. Mir aber dünkt, der Heuchler, wie Ihr's nennt, Zeigt mind'ſtens Ehrfurcht vor dem Heil'gen, Großen, Das Eure Wahrheit läugnet, wenn ſie's ſchmäht. Bon Cäſar. So ſeid Ihr Heuchlerin? Lucretia. Ich war es nie. Bon Cäſar.
Ich fürchte doch: ein Bischen, holde Maid, Griliparger, ſammtl. Werke. VII. ö 8
114 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Als ich, nun lang, zum erſtenmal Euch ſah, Da ſchien mir alle Reinheit, Unſchuld, Tugend Vereint in Euerm jungfräulichen Selbſt; Zeigt wieder Euch mir alſo, laßt mich glauben! Und wie der Mann, der Abends ſchlafen geht, Von eines holden Eindrucks Macht umfangen, Er träumt davon die ſelig lange Nacht, Und beim Erwachen tritt daſſelbe Bild Ihm mit dem Sonnenſtrahl zugleich vor's Auge; So gebt mir Euch, Euch ſelber auf die Reiſe, Von der zurück der Wandrer nimmer kehrt. Kein Weib, ein Engel; nicht geliebt, verehrt. Lucretia. Wie ohne Grund Ihr mich zu hoch geſtellt, So ſtellt Ihr mich zu tief nun obne Grund. Bon Cäfar. Nicht doch, nicht doch! — Ihr ſtießet mich zurück. Ich mußt' es dulden, manchen Fehls bewußt. Doch ſeht, da war ein Mann, Belgiojoſo hieß er, Ein Heuchler und ein Schurk' — Lucretia. Er war es nicht. Bon Cd ſar. Vertheidigt Ihr ihn denn? | Lucretia. Wer klagt ihn an? Bon Käfer. Ich, der ich ihn gekannt. — Er hielt zu mir; In all' dem Treiben, das mit Recht man tadelt, Im wilden Toben war er mein Genoß,
Vierter Aufzug. 115
Doch ging er hin und zeigt' es heimlich an Und brachte mich um meines Vaters Liebe. Lucretia. Der laute Ruf erſpart' ihm dieſe Müh'. Don Cäſur. Die Welt hat Recht zum Tadel, nicht der Freund. Doch plötzlich kehrt' er ſichtlich mir den Rücken; Zu gleicher Zeit betrat er Euer Haus. | Lucretia. Er war der Freund des Vaters, nicht der meine.
Bon Cäͤſar. Als Freund des Vaters denn nahmt Ihr ihn auf, Doch als der Eure, denk' ich, kam er wieder, War Mitbewohner faſt in dieſem Haus, Bei Tag, bei Nacht. Lucretia.
Zu Abend, wollt Ihr ſagen, Im Beiſein meines Vaters, anders nie.
Bon Cäſar. Ich aber ſtand genüber auf der Straße, Mit Reif und Schnee bedeckt, und ſah empor Zum Fenſter, wo die Schatten Glücklicher Wie Mücken flogen um den Strahl des Lichts. Da endlich kam der Tag, der ihn beſtrafte.
Lucretia. Erinnert Ihr mich noch an ſeinen Tod?
Bon Cäfar. Nicht ich that's, noch geſchah's um meinetwillen, Das Euch zu ſagen kam zumeiſt ich her. Feldmarſchall Rußworm, zwar mein Freund und Lehrer,
116 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Doch Thäter ſeiner Thaten er allein,
Im Streit, beim Spiel, was weiß ich? oder ſonſt, Hat ihn beſiegt in ehrlichem Gefecht,
Wie's Edelleute pflegen und Soldaten.
Und wißt Ihr, welches Loos ward meinem Freund? Der Kaiſer ließ auf offnem Marktplatz ihm
Das Haupt vom Rumpfe trennen, Angeſichts Des ganzen Volks, beinah vor meinen Augen. Gedenk' ich jenes Tags, ſo gährt's in mir
Und blutige Gedanken werden wach.
Stünd er vor mir, der heuchelnde Verräther, Nicht damals that ich's, aber jetzt geſchäh's:
Das Schwert bis an das Heft in ſeiner Bruſt, Bezahlt' er mir die Schrecken jener Stunde.
Lucretia. O Gott! wer rettet mich?
Bon Cä ſar.
Seid nicht beſorgt! Mir iſt's, ſagt' ich, um Wahrheit nur zu thun. Glaubt nicht auch, daß mich Eiferſucht bewegt! Die Eiferſucht iſt Demuth, ich bin ſtolz, Verachtung liegt mir näher als der Haß. Doch daß Ihr von erlogner Tugend Höhe Herabſeht auf die Welt, auf mich, auf Alle, Den gleichen Fehl verhehlend in der Bruſt, Das ſoll nicht ſein. Fluch aller Heuchelei! Sagt mir: ich liebt' ihn, den geſchiednen Freund, Ich liebt' ihn, weil ſein Antlitz zart und weiß, Ich liebt' ihn, weil ſein Haar von Salben duftend, Ich liebt' ihn, weil ich thöricht, albern, ſchwach, Sagt's, und ich laß Euch frei.
kN
Vierter Aufzug. 1 17
Lucretia. | Ich liebt’ ihn nicht;
hat meine Liebe und mein Vater.
don Cä ſar. „recht ſchön! — Doch weß iſt dieſes Bild — ertraut mit Eures Hauſes Räumen —
(die Seitenthüre öffnend)
a8 Bild, das hängt an jener Wand, t der Lampe buhleriſch beſchienen? jiojoſo's nicht? Ertappt, ertappt!
Lucretia. ter hängt' es hin.
Bon Cäſar.
Und Ihr, Madonna, t Euern Schemel zum Gebet has Bild, daß, wenn die Lippen beten, zugleich ſchwelgt in Erinnerungen, gen, die — Und wenn ich todt, der Seite eines neuen Buhlen und meiner Liebe, wie Ihr lachtet djoſo's Hand.
(Lucretia entflieht ins Seitengemach.)
Bon Ca ſar. Nicht dort hinein! hinein, vor meines Feindes Bild, hlers, Heuchlerin! — Ringſt du die Hände 18 deinem Heiligen?
Piſtole aus dem Gürtel gezogen, die er jetzt in der Rich⸗ tung der offnen Thüre abſchießt.)
— ..
— —
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118 ö Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Folg' ihm nach! — Was iſt geſchehn? (In die Thüre blidend). Weh mir! — O meine Thate (er wirft ſich auf die Anie, die Augen mit den Händen bededn
Ein Hauptmann kommt mit Soldaten.
Hauptmann. Hier fiel ein Schuß, und er iſt in der Nähe. Prokop, der fih durch die Soldaten drängt. Prokop. Lucretia, mein Kind! (An der offenen Tbäre.) O! gräulich, gräßlich! (Cr Rürgt hinein, die Thüre schließt ih Hinter ihm.)
Hauptmann (Den Gäfar emporridtend). Wir ſuchten Euch! Don Cäſar. Nun denn, Ihr habt gefunden. Gibt's Richter noch in Prag? Hauptmann. Es gibt ſie wieder. Der Feind hinausgeſchlagen aus der Stadt, Kehrt Ordnung und das Recht zurück von neuem. Don Cã ſar. So richtet mich! Erſpart mir ſelbſt die Müh. (Er geht auf die Hinterthäre zu, von den Soldaten gefolgt.)
Vierter Aufzug. 119 Prokop in der Seitenthüre erſcheinend.
Prokop. ſieher! Vielleicht iſt Hilfe möglich! ener, die während des Vorigen gekommen ſind, folgen ihm ins Seitengemach. — Alle ab.) ö
i königlichen Schloſſe auf dem Hradſchin. In der Mitte itergrundes ein Ziehbrunnen mit einem Schöpfrade.
Thurn und Graf Schlick kommen mit einigen bewaff⸗ neten Bürgern.
Thurn. tachen aus, beſetzt die äußern Pforten! aus ließ den Feind man in die Stadt,
yervahrt vor allem den Hradſchin. (Die Bürger gehen)
Schlick. doch ein Wunder faſt, daß wir gerettet.
Thurn.
nder war der Muth, die Tapferkeit ern Bürger unſrer Altſtadt Prag.
de Plan war liſtig angelegt:
ı von Verräthern eingelaſſen,
re Schaar nur langſam zögernd vor, en Widerſtand der Gegner ſcheuend;
to ſchneller fliegt durch Seitengaſſen ertrupp der Moldaubrücke zu,
tadt, wohl im Schlaf noch, überfallend. Mt die Brücke ſich mit Roß und Mann, ingen, die zuvorderſt, in die Stadt; mit eins das Gitter vor das Thor,
1 — *. „
120 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Und von dem Thurm, aus Büchſen und Karthaunen Ergießt ſich Feuer auf die wilde Schaar.
Die Roſſe bäumen und die Reiter ſtürzen,
Der Vortrupp weicht, der Nachzug drängt nach vorn, Und unentwirrter Knäuel füllt die Brücke
Entladend in die Moldau ſein Gedräng';
Bis endlich Schrecken, mächt'ger als die Raubgier, Nach rückwärts treibt den lauten Menſchenſtrom, Sich überſtürzend und den Nachbar ſchäd'gend,
Ins eigne Fußvolk bricht die Reiterei,
Daß unſern Bürgern, die im Ausfall folgen,
Die Mühe nur des Schlachtens übrig bleibt.
Die Wege, die er kam, verfolgt der Rückzug,
Und Bürgertreue ſchließt die Einbruchspforte,
Die Rachſucht öffnete und der Verrath.
Schlick. Doch ſind ſie ſtark noch außen vor der Stadt.
Thurn. Seid unbeſorgt! Der räuberiſche Durchzug Von Paſſau her, durch's obre Oeſterreich Bis fern nach Böhmen, blieb nicht unbewacht, So wie er unvorhergeſehen nicht. Von ringsum ſammeln ſich die Garniſonen, Der Landmann greift zur Wehr, und der Erzherzog Mathias, derzeit noch von Ungarn König, Und bald von Böhmen, denk' ich, etwa auch, Er iſt zur Hand, raſch folgend ihrer Ferſe. Ja nur, weil nicht gewachſen ihm im Feld, Verſuchten ſie heut Nacht den Ueberfall. Von hier verdrängt, ihr Zufluchtsort verloren, Zerſtäubt in alle Winde bald die Schaar.
Bierter Aufzug. 121
Schlick. is thun wir ſelbſt? Thurn. Man wirbt um Euch. Euch wie die verſchämte Braut, Freier bringt Euch neue Gaben.
Julins kommt mit einem Hauptmanne, der einen Schlüſſel trägt. 7 Zul ius. n, iſt das wohl Fug und Recht? Man ſtellt oſſe Wachen, wie in Kerkermauern, r des Kaiſers fürſtliches Gemach. vert ab die Schlüſſel aller Pforten, zangs Freiheit und des Ausgangs hemmend. ch dieſen, der vor allem nöthig. zum Thurm, in den man rück Don Cäſar, ückfelig, wildverworrnen brachte, nſinnfieber gen ſich ſelber wüthend. e haben, Blut mit Blut bekämpfend, n ihm geöffnet an dem Arm. t des Beiſtands und des freien Zutritts, dr’ ich dieſen Schlüſſel hier von Euch. Thurn. ht’ mich, daß Don Cäſar, eben er, 1 mit den Räubern heute Nacht, m an all dem Gräuel, der geſchah, er in Gewahrſam nur mit Recht. Julius. ter wird erkennen ſeine Schuld. Thurn. ß noch nicht, wer Richter hier im Lande.
122 Gin Bruderzwiſt in Habsburg.
Zulius. Doch wohl nicht Ihr?
Thurn.
Verhüt' es Gott! Doch auch nicht jene, die, des Unheils Stifter, Als ſchuldig etwa ſelber ſich gezeigt. Wir harren eines Höhern, der ſchon naht, Allein damit Ihr ſeht, daß Euer Werth Als Fürſt des Reiches und als Ehrenmann Auch hier im fernen Böhmen anerkannt, Nehmt dieſen Schlüſſel, ob zwar auf Bedingung: Daß nur der Eintritt und für Aerzte nur, Nicht auch der Austritt etwa gar für ihn Geknüpft an dieſen Bürgen ſeiner Haft.
Zul ius. Ich dank Euch, edler Graf, und bin erbötig Zu gleichem Dienſt, kommt Ihr in gleichen Fall. Doch jetzt nehmt Euern Abſchied, wenn's beliebt. Von fern ſeh' ich des Kaiſers Majeſtät, Den Ihr vertrieben aus der Burg Gemächern; Gönnt ihm den Athem in der freien Luft.
Thurn. Die Luft iſt frei für Jeden, doch die Burg Verſchließt man gern vor Untreu' und Verrath.
(Er entfernt ſich mit ſeinem Begleiter.)
Der Kaiſer kommt, von Rumpf und Einigen begleitet von linken Scite. Er bleibt vor einem Blumenbeete ſtehen. Rumpf. Die Blumen ſind zum guten Theil geknickt, Das that der böſe Sturm in heut'ger Nacht. (Ter Kaiſer nicht beſtätigend mit dem Kopfe.)
Vierter Aufzug. 123
Rumpf. en Sturmwind mein’ ich eben, Majeftät. er Kaiſer hat ſich nach vorn bewegt, jetzt bleibt er ſtehen und fährt mit dem Stabe einigemale über den Boden.) Rumpf. er Fußtritt vieler Kommenden und Geh'nden it arg gehaust in dieſes Gartens Wegen. es Gärtners Rechen gleicht es wieder aus. Beliebt's Euch nun, den Thieren nackzuſehn, ie in den Käfigen der Fütt'rung harren? er Löwe nimmt die Nahrung nur von Euch. ie Wärter ſagen, daß geſenkten Haupts : Teile ſtöhnt, wie Einer der betrübt. ex Raifer hat den Herzog von Braunſchweig bemerkt und hält ihm die Hand hin.) Zulius (auf ihn zugehend). ein Kaiſer und mein Herr! will ihm die Hand küſſen, der Kaiſer zieht fie zurück und hält fie, als zum Handſchlag, wieder hin.) Z3ulius (des Kaiſers Hand mit beiden faſſend). Nun denn, willkommen! Lich freut das Wohlſein Eurer Majeſtät. (Der Kaiſer lacht höhniſch.) Zulius. ach Wolken, ſagt ein Sprichwort, kommt die Sonne, Die Sonne Aller aber iſt das Recht. (Der Kaiſer weist mit dem Stabe gen Himmel.) Zulius. Nicht nur dort oben, auch ſchon, Herr, hienieden. Denn ſelbſt der Böſewicht will nur für ſich
—
124 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Als einzeln ausgenommen ſein vom Recht,
Die Andern wünſcht er vom Geſetz gebunden, Damit vor Räuberhand bewahrt ſein Raub. Die Andern denken gleich in gleichem Falle Und jeder Schurk' iſt einzeln gegen Alle;
Die Mehrheit ſiegt und mit ihr ſiegt das Recht. Wär's anders, Herr, die Welt beſtünde nicht, Und alle Bande des gemeinen Wohls,
Sie wären längſt gelöst von Eigennutz.
In Eurem Fall: glaubt ihr, des Reiches Fürſten, Sie werden ruhig zuſehn dem Verderben hier, Nicht böſes Beiſpiel für ſich ſelbſt befürchten? Selbſt Euer Volk —
Ein Bürger, nachlaſſig bewaffnet, die Muskete auf der Schulter. tritt von der linken Seite auf, betrachtet die Anweſenden und kehrt auf einen Wink Herzog Julius wieder zurück. Der Kaiſer fährt zuſammen.
Rumpf. Es ſind die Wachen — Die Leibwacht freilich nicht der Königsburg — Weil ſie behaupten, daß hier vom Hradſchin Den Feind man eingelaſſen in die Stadt, Und weil man Thor und Pforte will verwahren. (Der Kaiſer droht heftig mit dem Finger in die Ferne.)
Zulius. O ſcheltet nicht den Neffen, der Euch liebt! Erzherzog Leopold, glaubt mir, o Herr, Er fühlt das Unglück tiefer als Ihr ſelbſt. Er war bei mir, als ſchon der Kampf entſchieden. Und bat mich, naſſen Augs, ihn zu vertreten Ob ſeiner Wagniß, die der Zufall nur,
Vierter Aufzug. 125
Ein mißverſtandener Befebl vereitelt, Eonft wart Ihr frei und Herr in Euerm Land. Er gebt nach Deutſchland, um des Reiches Stände Zum Schutze zu vereinen ſeines Herrn. Zugleich die andern Fürſten Eures Hauſes — (zu Rumpf) Ward es gemeldet ſchon? (Auf eine entſchuldigende Geberde Numpfs.) Sie ſind uns nah. Sie kommen heut nach Prag, um als Vermittler Zu ſchlichten dieſen unheilvollen Zwiſt, Dabei auch, wie Ihr früher ſelbſt begehrt, Abbittend der verletzten Majeſtät, Genug zu thun für alles, was ſie ſelbſt In guter Meinung früberbin geſündigt. Die Welt, ſie fühlt die Ordnung als Bedürfniß Und braucht nur ihr entſetzlich Gegentheil In voller Blöße nackt vor ſich zu fehn, Um ſchaudernd rückzukehren in die Bahn. (Der Kaiſer zeigt auf die Erde, wiederholt mit dem Stabe auf den
Boden ſtoßend und entfernt ſich dann auf Rumpf gefiützt nach dem Hintergrunde.)
Ein Diener von der rechten Seite kommend, halblaut zu Herzog Julius.
Diener.
Um Gotteswillen gebt den Schlüſſel, Herr! Sulius.
Was iſt? Siener.
Die Aerzte fordern Einlaß zu Don Cäſar. (Der Kaiſer hat ſich umgewendet und blickt forſchend nach den Sprechenden.)
126 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Rumpf. Der Kaiſer wünſcht zu wiſſen, was die Sache.
Zulins.
Man hat Don Cäſar in den Thurm gebracht, Wo als Erkranktem, der dem Wahnſinn nahe, Die Adern man geöffnet ihm am Arm.
Diener.
Er aber tobte an dem Eiſengitter
Und rief nach einem Richter, um Gericht, Er wolle leben nicht; bis plötzlich, jetzt nur, Er den Verband ſich von den Adern riß. Es ſtrömt ſein Blut und die verſchloſſne Thür Verwehrt den Eintritt den berufnen Aerzten. Gibt man den Schlüſſel nicht, iſt er verloren.
Zulius (den Schlüſſel aus dem Gürtel ziehend). Hier nimm und eil'! (Der Kaiſer winkt mit dem Finger.)
Zul ius.
Allein bedenkt, o Herr!
(Da der Kaiſer den Schlüſſel genommen hat und ſich damit entf ihm zur Seite folgend.)
Von einem Augenblick hängt ab ſein Leben, Und nicht ſein Leben nur, ſein Ruf, ſein Werth. Ihm ſelbſt und jedem Andern, der ihm nah, Liegt nun daran, daß er vor ſeinen Richtern Erläut're, was er that und was ihn trieb, Daß nicht wie ein verzehrend, reißend Thier, Daß wie ein Menſch er aus dem Leben ſcheide,
Vierter Aufzug. 127 Wenn nicht gereinigt, doch entſchuldigt mind'ſtens. Ihm werde Spruch und Recht. Kaiſer
(der auf den Stufen des Brunnens ſtehend, den Schlüſſel binabgeiorfen hat, mit ſtarker Stimme).
Er iſt gerichtet,
Von mir, von ſeinem Kaiſer, ſeinem — (mit zitternder, von Weinen erſtickter Stimme) Herrn!
(Er wanft nach der linken Seite von Rumpf unterſtützt ab.)
Zulins (auf die Stufen des Brunnens tretend und hinabſehend). Es if umſonſt! Don Cäſar iſt verloren. ES prengt auf die Thür! — Und doch, es ziemt uns nicht Dem Urtheil vorzugreifen ſeines Richters — O maß er doch mit gleicher Feſtigkeit Das Unrecht ausgetilgt in feinem Staat, AUS er es austilgt nun in feinem Haufe. Geht nur, es iſt geſchehn. Hinter der Scene (wird gerufen). Halt da! Zurück! Julius. Was dort? Der Kaiſer aufgehalten von den Wachen? Legſt du die Hand an ihn, an den Geſalbten? Das ſoll nicht fein, fo lang’ ich leb' und athme. Mein letztes Blut für ihn! Zurück die Hände! Sonſt zahlſt du deine Frechheit mit dem Tod. (Er geht, die Hand am Schwert, nach der linken Seite ab.)
k
Verwandlung. Gemach in der Burg, wie zu Anfang des dritten Aufzuges. Die niſchenartige Vertiefung rechts im Hintergrunde mit einem herab gelaſſenen Vorhange bedeckt.
Thurn und Schlick tommen, ein Arbeiter mit Schurifell hinter
ihren.
Thurn. Ward jeder Ausgang nach Geheiß verſchloſſen? Hier iſt noch eine Thür. Arbeiter (en Vorhang weggiebend und an einer in der Mauer befefigten Epange aurdflagend). Sie ift nicht mehr. * Mit ſtarken Bohlen hat man ſie verrammelt, Sie hält fo feſt nun, als die feſte Wand. Thurn. Geht immer nur und ſeht nach außen zu. (Arbeiter ab.) Thurn. Vor allem liegt daran, daß unſer König, Der aus ſich ſelbſt wohl Schlimmes nie begehrt, Nicht von Verräthern heimlich weggebracht, Zur Fahne diene feindlichem Beginn. Schlick. Allein, mein Freund, wir ehren unſern König, Und das geht weiter, als die Abſicht war. Thurn. Die Abſicht, Freund, iſt ein vorſicht'ger Reiter Auf einem Renner feurig, der die That, Den ſpornt er an zu haſtigem Vollzug.
Vierter Aufzug. 129
Hat er das Ziel erreicht, zieht er die Zügel
Und meint, nun wär's genug. Allein das Thier, Von ſeiner edlen Art dahin geriſſen
Und von dem Wurf des Laufes und der Kraft,
Es ſtürmt noch fort durch Feld und Buſch und Korn, Bis endlich das Gebiß die Glut beſiegt,
Da kehrt man denn zurück.
Schlick. Wenn's dann noch möglich.
Thurn. Wenn nicht, dann nur kein Wort von Zweck und Abſicht, All was geſchehn, das haſt du auch gewollt. Doch nahen Tritte; wohl der Kaiſer ſelbſt; Laß uns noch ſehen nach der äußern Pforte.
(Sie gehen durch die Thüre links.)
Der Kaiſer kommt auf Rumpf geſtützt, Herzog Julius geht
vor ihm her.
Julius. Verzeiht, o Herr, der Wachen Unverſtand. Der Mann, den man zur Obhut hingeſtellt, Erkannt' Euch nicht. (Der Kaiſer nickt höhniſch mit dem Kopfe.) Zulius. Er folgte dem Befehl, Der Jedermann den Zutritt unterſagte. (Der Kaiſer erblickt den verſchloſſenen Eingang zum Laboratorium und zeigt mit dem Stocke darauf hin.) Rumpf (den zurückgeſchlagenen Vorhang herablaſſend). Beſorgniß wohl für Eure Sicherheit, Man will den Eingang Unberufnen wehren. Grillparger, ſämmtl. Werke. VII. 9
130 Ein Bruderzwift in Habsburg.
Andolph.
Den Eingang? Sag' den Ausgang! Mir, dem Kaiſer. Ich bin's und fühle mich als Herrn, obgleich in Haft. Drum fort von mir, du menſchlich naher Schmerz, Gib Raum dem Ingrimm der verletzten Würde. Und weißt du, wer's gethan? Nicht daß mein Bruder Die Hand erhoben wider meine Krone; Ich hab' ihn nie geliebt und er iſt eitel, Er that nach ſeinem Weſen, obgleich ſchlimm.
(Ans Fenſter tretend.) Doch dieſe Stadt. Schau, wie ſie üppig liegt, Geziert mit Thürmen und mit edlem Bau, Verſchönt durch Kunſt, was Gott ſchon reich geſchmückt. Und mein Werk iſt's. Hier war mein Königsſitz, Für Prag gab ich das lebensvolle Wien, Den Sitz der Ahnen ſeit des Reiches Wiege, Die heuchleriſche Stille that mir wohl, Weil ſelbſt ich ſtill und heimiſch gern in mir. Gehütet wie den Apfel meines Auges Hab' ich dieß Land und dieſe arge Stadt, Und während alle Welt ringsum in Krieg, Lag einer blühenden Oaſe gleich Es in der Wüſte von Gewalt und Mord. Doch biſt du müde deiner Herrlichkeit Und ſtehſt in Waffen gegen deinen Freund? Ich aber ſage dir: wie eine böſe Beule Die ſchlimmen Säfte all' des Körpers anzieht, Zum Herde wird der Fäulniß und des Greu'ls, So wird der Zündſtoff dieſes Kriegs zu dir, Der lang Verſchonten, nehmen ſeinen Weg, Nachdem du ihm gewieſen deine Straßen. In deinem Umfang kämpft er ſeine Schlachten,
Vierter Aufzug. 131
Nach deinen Kindern richtet er fein Schwert,
Die Häupter deiner Edlen werden fallen,
Und deine Jungfrau'n, losgebundnen Haars,
Mit Schande zahlen ihrer Väter Schande.
Das ſei dein Loos und alſo — fluch' ich dir! —
Die du die Wohlthat zahlſt mit böſen Thaten. Wo iſt mein Stock? Die Knie werden ſchwach,
Laßt Niemand ein! Ich höre Stimmen drauß',
Wer immer auch, ein Feind iſt's und Verräther.
Die Erzherzoge Maximilian und Ferdinand erſcheinen in der Thüre.
Rumpf. Es ſind die Herrn Erzherzoge. O Wonne! Rudolph. Ihr ſeid es? Bruder du? Willkommen, Vetter! Nehrnt Sitz! Ihr kommt in wunderlicher Zeit. (Er hat ſich geſetzt.) Was Neues in der Welt? Zwar ſtets daſſelbe: Dass Alte ſcheidet und das Neue wird. Korrt int ihr zum Taufſchmaus oder zum Begräbniß? Ferdinand. Eh wir uns ſetzen, ſo erlaubt, daß knieend Abbitte wir für das Vergangne leiſten, Den Willen unterſtellend für die That. (Die Erzherzoge knieen.) Rudolph. Vom Boden auf! — Und du, mein guter Bruder, Sprichſt nicht? | Maximilian. Mir iſt das Weinen näher. Auch kniet ſich's ſchwer mit meines Körpers Laſt.
132 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Rudolph.
Vom Boden auf! Soll unſer edles Haus Vor Jemand knieen als vor ſeinem Gott? Iſt Einer todt, ſo liegt er auf dem Grund, Doch lebend kniet kein Mann und kein Erzherzog.
(Die Beiden ind aufgeſtanden.) Sollt ich euch ſtrenger richten als mich felbft? Wir haben's gut gemeint, doch kam es übel. Das macht: dem reinen Trachten eines Edlen, Kann er's nicht ſelbſt vollführen, er allein, Miſcht von der Leidenſchaft, der böſen Selbſtſucht Der Andern, die als Werkzeug ihm zur Hand, So viel ſich bei, daß, hat er nun vollbracht, Ein Zerrbild vor ihm ſteht, ſtatt ſeiner That. Ich habe viel gefehlt, ich ſeh' es ein, Seitdem ich aus den Nebeln, die am Gipfel, Herabgeſtiegen in das tiefe Thal, In dem das Grab liegt als die letzte Stufe. Ich hielt die Welt für klug, ſie iſt es nicht. Gemartert vom Gedanken droh'nder Zukunft, Dacht ich die Zeit von gleicher Furcht bewegt, Im weiſen Zögern ſeh'nd die einz'ge Rettung. Allein der Menſch lebt nur im Augenblick, Was heut iſt, kümmert ihn, es gibt kein Morgen. So rannten ſie hinein ins tolle Werk, Und ihr, ihr ranntet nicht, allein ihr gingt. Ich tadl' euch nicht, ihr war't beforgt ums Ganze, Nicht böſe Selbſtſucht hat euch irrgeführt. Nur Einen tadl' ich, den ich hier nicht nenne; Den ich verachtet einſt, alsdann gehaßt Und nun bedaure als des Jammers Erben. Er hat nur ſeiner Eitelkeit gefröhnt,
Vierter Aufzug. 133
ıD dacht er an die Welt, fo war's als Bühne, 3 Schauplatz für fein leeres Heldenſpiel. Maximilian (vom Stuhle auffſtehend). >rade darum, Bruder, find wir hier. muß der böſe Zwiſt zum Abgrund kehren, td Recht dir werden, der du rechtlich biſt.
Rudolph.
won kein Wort! Der König ift dahin. 5 geb' ihn auf. Allein das Königthum öicht' ich der Welt erhalten, der's vonnöthen. ein Bruder herrſcht in Ungarn und in Oeſtreich,
will's in Böhmen auch, nicht künftig, jetzt. ohlan, es ſei darum; denn keine Theilung trägt, was alle Theile eint zum Ganzen. 5 ſelbſt, wie einſt mein Oheim, Karl der fünfte, 3 er die Welt, wie fie nun mich, zurückſtieß, d Kloſter von Sanct Juſtus in Hifpanien rz Tod erwartete, ſo will auch ich.
währt nicht lang, ich fühl' es wohl, denn Undank äbt tiefer als des Todtengräbers Spaten; ID Kloſter ſei und Zelle mir dieß Schloß. athias herrſche denn. Er lerne fühlen, Aß Tadeln leicht und Beſſerwiſſen trüglich, A es mit bunten Möglichkeiten ſpielt; och Handeln ſchwer, als eine Wirklichkeit, ie ſtimmen fol zum Kreis der Wirklichkeiten. ſieht dann ein, daß Satzungen der Menſchen n Maß des Thörichten nothwendig beigemiſcht, x Sie für Menſchen, die der Thorheit Kinder. ß an der Uhr, in der die Feder drängt,
134 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Das Kronrad weſentlich ſo wie die Triebkraft, Damit nicht abrollt Eines Zugs das Werk, Und ſie in ihrem Zögern weist die Stunde. Ihr ſelbſt war't um mein Herrſcheramt bemüht, Mehr faſt als gut. Sorgt auch für ihn. Allein bedenkt: der auf dem Throne ſitzt,
Er iſt die Fahne doch des Regiments, Zerriſſen oder ganz, verdient ſie Ehrfurcht.
Fernand, du glaubſt dich ſtark und biſt es auch, Vor allem, wenn du meinſt, für Gott zu ſtreiten. Sei's gleicherweiſ' auch ſonſt, und ſtark, nicht hart! Was dir als Höchſtes gilt: die Ueberzeugung, Acht' ſie in Andern auch, ſie iſt von Gott,
Und er wird ſelbſt die Irrenden belehren.
Des Menſchen Inn'res, wie die Außenwelt
Hat er getheilt in Tag und dunkle Nacht.
Das Aug' ertrüge nicht beſtänd'ges Licht,
Da führt er an dem Horizont herauf
Die Dunkelheit mit ihrer holden Stille,
Wo die Empfindung aufwacht, das Gefühl
Und ſüße Schauer durch die Seele ſchreiten.
Doch immer Nacht, wär' ſchlimmer noch als nie, Und was du weißt, weißt du durch Tag und Licht.
Ich ſelber war ein Mann der Dunkelheit. Von ihren Streitigkeiten angeekelt, Floh ich dahin, allwo die früh'ſten Menſchen Zuerſt erkannten ihres Lebens Meiſter. Vom Hügel auf zu den Geſtirnen blickend Und ihre ſtet'ge Wiederkehr betrachtend, Erſcholl's in ihrer Bruſt: es iſt ein Gott Und ewig die Geſetze ſeines Waltens.
||| .
Vierter Aufzug. 135
Seitdem hat er ſich kundig offenbart Und übertönt die Stimmen der Natur, Doch in der Stille klingen ſie noch nach, Und als er ſelbſt als Menſch zu Menſchen kam, Da ſandt' er einen Stern, und jene Weiſen, Sie ließen ruhen ihrer Weisheit Dünkel, Und folgten jenem Zeichen bis zur Hütte, Wo ſchon die Hirten ſtanden und die Engel Aus weiter Ferne „Friede, Friede!“ ſangen. — Iſt hier Muſik? 3ulius%. Wir hören nichts, o Herr.
Audolph. Nun denn, ſo iſt's der Nachklang von der Weihnacht, Die mir herübertönt aus ferner Zeit, Arn die ich glaube und im Glauben ſterbe. — Nicht Stern, nur Gott! — Wer biſt denn du, Du flammender Komet? Nur Dunſt und Nebel — Mun Frieden auch mit dir, mit Allen Frieden. — Wie hold es klingt und fort und fort und weiter! —
Maximilian. Sein Geiſt beginnt zu ſchwärmen. Ferdinand. Laßt uns gehn! | Verſöhnen, was zu ſühnen iſt, und dann Ihm ſchützend ſtehn zur Seite, Wächtern gleich. Rumpf. |
Ach, wir empfehlen euch den frommen Herrn. (Die Erzherzoge gehen.)
136 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Rudolph. Und einig, einig ſeid! Das Neue drängt. Die alternden Geſchlechter ſterben aus, Das Band gelöst, bricht es die Einzelnen.
Rumpf.
Sie ſind ſchon fort. . Rudolph.
Schon fort? Nun, um ſo beſſer! Mir iſt ſo leicht, ſo wohl. Gebt mir nur Luft! Ich will ans Fenſter. .
Rumpf.
Herr, wir leiten Euch.
Rudolph. Was fällt dir ein? Ich fühle Jugendkraft. (Er verſucht aufzuſtehn.) Doch iſt's der Geiſt nur, meine Glieder wanken. Rückt einen Stuhl ans Fenſter, ich will Luft. (Unterſtützt ans Fenſter gehend, zu Herzog Julius.) Siehſt du? So lohnt die Welt für unſre Sorge. Sie ſaugt uns aus und findet uns dann welk, Indeß ſie prangt mit unſern beſten Kräften. a (Er ſitzt.) Das Fenſter auf! Rumpf. Allein o Herr, bedenkt! Ihr habt der Luft Euch ſorglich ſtets verſchloſſen.
Rudolph. Nicht Kaiſer bin ich mehr, ich bin ein Menſch Und will mich laben an dem Allgemeinen.
Vierter Aufzug. 137
e wohl, wie gut! Und unter mir die Stadt, t ihren Straßen, Plätzen, voll von Menſchen.
Julius. > gabt ihr erſt den Fluch in Euerm Zorn.
Rudolph. it ich's? Nun, ich bereu's. Mit jedem Athemzug ag ich zurück ein vorſchnell raſches Wort, will allein das Weh für Alle tragen. alſo ſegn' ich dich, verlockte Stadt, 3 Böſes du gethan, es ſei zum Guten.
Rein Geiſt verirrt ſich in die Jugendzeit.
ich aus Spanien kam, wo ich erzogen,
man nun meldete, daß Deutſchlands Küſte nebelgleich am Horizonte zeige,
lief ich aufs Verdeck und offner Arme
ich: mein Vaterland! Mein theures Vaterland!
So dünkt mich nun ein Land, in dem ein Vater —
Rand der Ewigkeit emporzutauchen. Iſt es denn pute hier — Dort ft ich Licht flügelgleich umgibt es meinen Leib. Aus Spanien komm' ich, aus gar harter Zucht, eile dir entgegen — nicht mehr deutſches, *, himmliſch Vaterland. — Willſt du? — Ich will! — Er finkt zurüd.)
Rumpf. t Aerzte! Er hat öfter ſolchen Anfall. Herzſchlag geht. Nach Aerzten, Hilfe, ſchnell! bringt ihn auf ſein Bett in jene Kammer! mag nicht denken, daß es Schlimm' res wäre.
138 Ein Druderzwiſt in Habsburg.
Julius (fih entfernend). Das Schlimmſte kennt kein Schlimm' res, er erlitt. Der Kaiſer ſtarb, ob auch der Menſch geneſe. Rumpf. Er lebt, ich fühl's. Faßt ihn nur ſorglich an! Julius (auf ihn zueilend und am Stuhle niederknieend). Mein edler, frommer, mildgeſinnter Herr! n
Der Vorhang fällt.
Saal in der kaiſerlichen Burg zu Wien. Kleſel ſieht wartend. Erzherzog Ferdinand tritt ein.
Ferdinand.
zſt endlich mir gegönnt, bei meinem Oheim,
Nit dem ich ſprechen muß, Gehör zu finden?
Kleſel.
Jie Thüre ſteht Euch offen jederzeit,
ihr ſeht ihn täglich, ſtündlich, wenn Ihr wollt. Lerdinand.
ja! im Schwall des Hofs, bei Spiel, beim Tanz.
Bohl auch im Kabinet, in Eurem Beifein. Kleſel.
er iſt der Herr und ich fein Diener nur.
3efichlt er mir zu gehen, geh' ich; bleibe,
Denn er mein Bleiben förderlich ermißt. Lerdinand.
tur neulich ſprach ich endlich ihn allein,
kur merkt’ ich wohl aus den zerſtreuten Blicken,
Die ſtets er warf nach der Tapetenthür,
140 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Daß Jemand dort verſteckt, der uns behorchte. Und Ihr wart's, mein ich; läugnet's, wenn Ihr könnt.
Kleſel.
Wär es geſchehn, geſchah es auf Befehl:
Gehorchen ſchließt das Horchen ſelbſt nicht aus. Ferdinand.
Wir aber wollen's länger nicht mehr dulden,
Daß ſich ein Fremder eindrängt zwiſchen uns
Und ſtört die Einigkeit von unſerm Hauſe.
War's darum, daß wir uns Euch angeſchloſſen
Und gegen ihn, den rechten, güt'gen Herrn?
So daß die Röthe mir der Scham noch jetzt,
Indem ich ſpreche, aufſteigt bis zur Stirne.
Da hieß es, daß ein Haupt dem Reich vonnöthen,
Daß nur mit feſtem Tritt und ſicherm Aug’
Der Ausweg ſei zu finden aus den Wirren,
In denen labyrinthiſch geht die Zeit,
Und wir, wir ſtimmten ein — wär's nie geſchehn! —
Doch kaum erreicht das langerſehnte Ziel,
Geſtillt die Gier des Herren und — des Dieners,
Wankt man auf gleichem Irrweg durch den Wald
Und meint: ſich regen, ſei ſchon weiter gehn.
Kleſel. Ihr irrt; ein feſter Plan beherrſcht das Ganze, Und jeder Schritt führt näher an das Ziel.
Ferdinand. Doch dieſes Ziel, ſag' ich, es iſt verderblich. Ausgleichung heißt's, Gleichgiltigkeit für Jedes; Vermengung deß, was Menſchen iſt und Gottes. Sagt ſelbſt, ob Euer Herr —
Fünfter Aufzug. 141 Kleſel.
Nur meiner?
Ferdinand. Meiner auch. h einen Abſtand bildet wohl, was nah und nächſt. gt ſelbſt: war es nicht heißer Thatendurſt, zügeln kaum und kaum zurückzuhalten, lang die Krone lag im Reich der Hoffnung, d nun, bedeckt mit ihr, als einem Helm, m Scepter als ein Schwert in feiner Hand, hläft er auf trägen Purpurkiſſen ein id bringt die Zeiten Kaiſer Rudolphs wieder. ı Jchlimmer noch; denn Jener war die Waage, ie beide Theile hielt im Gleichgewicht; zr aber legt, was Euch noch bleibt an Schwere, er Einen Schale zu, und zwar der ſchlechten, er gottverhaßten, der verderblichen. t nicht halb Oeſterreich noch immer proteſtantiſch, it Ketzern nicht beſetzt ein jeglich Amt? ie hohe Schule, deren Rector Ihr, tönt von Worten frecher Kirchenläugner. Kleſel.
ir ſuchen Wiſſen bei der Wiſſenſchaft, er Glaube wird gelehrt von gläub'gen Meiſtern.
Ferdinand. uch jedem Wiſſen, das nicht aufwärts geht, ı aller Weſen Herrn und einz' gem Urſprung.
Kleſel.
n oben rinnt der Quell, doch rinnt er nicht zurück, o er das Licht betritt, iſt er ſchon Lauf, nicht Quelle.
142 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Ferdinand. Seid Ihr derſelbe, der, ein Kirchenfürſt, Berufen zur Vertheid' gung ihrer Lehre? Der ſie vertheidigt auch, o ja, ich weiß, So lang der Kirche Gold und Rang und Anſehn Euch noch ein Lohn ſchien, der des Strebens werth: Und habt, ſo ſagt die Welt, nicht nur von Glaubensſchätzen Auch von den Schätzen dieſer ird'ſchen Welt Ein Artiges gehäuft in Euern Speichern.
Kleſel.
Man ſieht ſich vor; die Zeiten ſchlagen um.
N Serdinand. So mag der Einzelne vielleicht ſich tröſten, Doch für den Staat gibt es kein Einzelnes, Für ihn hängt Alles an derſelben Kette. Ja ſelbſt die Mächte, die mit uns vereint, Die gleichen Wegs mit unſern ebnen Bahnen, Sie nehmen an der Lauheit Aergerniß Und ziehen ſich zurück. Was bleibt uns dann? Hiſpanien, der Papſt, das fromme Bayern.
Kleſel. Von daher alſo kommt's? Mein hoher Herr, Es ſorgt ein Jeder doch zunächſt für ſich, Der Freund iſt mehr als meiner noch ſein eigner. Hiſpanien begehrt die Niederlande Durch unſern Beiſtand und mit unſerm Blut. Der Papſt iſt der Compaß, deß ſichre Nadel Die Richtung anzeigt uns zum fernen Pol; Allein die Segel ſtellen und das Ruder brauchen, Das überläßt er uns; wir hoffen ſo. Und endlich Bayern. Arglos frommer Herr,
Fünfter Aufzug. 143
So ſeht Ihr nicht, wohin ſein Streben geht? Iſt Oeſtreich erſt verworren und geſchwächt, Steht nichts im Weg ihm zu der Kaiſerkrone.
Ferdinand. Der Bayerfürſt hegt gottesfürcht'gen Sinn, Das Wohl der Kirche ſucht er, nicht ſein eignes.
Kleſel.
Will Einer erſt die Herrſchaft Gott verſchaffen, Sieht er in ſich gar leicht des Herren Werkzeug, Und ſtrebt zu herrſchen, damit Jener herrſche, Auch iſt der Seeleneifer und der Eigennutz Nicht gar ſo unvereinbar, als man glaubt. Die Ueberſpannung läßt zuweilen nach, And wie der Adler, der der Sonne nächſt, Holt er ſich Kräftigung durch ird'ſche Beute. Nan meint's ſelbſt von der Curie in Rom.
Serdinand. Ob Ihr nun ſprecht, was Euch und mir nicht ziemt, — Ihr nennt, ich weiß es, derlei Politik — Joch Eins thut noth in allen ernſten Dingen: ntjchiedenheit; ob unſer Ihr, ob nicht.
Kleſel.
Was nennt Ihr unſer? Ich bin meines Herrn. ir iſt mein Uns, mein Euch, mein Ich, mein Alles. r iſt entſchieden und ich bin es auch. Doch wenn die Macht nicht einig wie der Wille, Ver trägt die Schuld, als Jene, die im Dunkeln 'm Hofe ſelbſt ſich bilden zur Partei, nd die Parteiung in den Ländern nähren? in Böhmen ſelbſt, wo man den Majeftätsbrief erfüllen will, getreulich, ohne Hehl,
144 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Trifft jeder Auftrag Seiner Majeſtät
Auf einen heimlich widerſprechenden, Gegeben von den Nächſten ſeines Hauſes. Die Utraquiſten wollen Kirchen bau'n, Wozu ſie Kaiſer Rudolphs Brief berechtigt, Man hindert ſie und ſtellt die Arbeit ein.
Ferdinand. Null iſt der Majeſtätsbrief, als erzwungen.
Klefel. Erzwungen ift zuletzt ein jeder Friede;
Der Schwächere gibt nach. Doch ſoll das Schwert
Nicht wüthen bis zu völliger Vertilgung, Muß Friede werden, der nur Friede iſt, Wenn er gehalten wird, ob frei, ob nicht. Sie ſollen Kirchen bau'n, ſo will's ihr König.
Ferdinand. Sagt doch vielmehr nur: Ihr.
Aleſel.
Nun alſo: ich, Sofern mein Rath ein Theil von ſeinem Willen. Mich hat umſonſt aus meiner Niebrigfeit Die Vorſicht nicht geſtellt auf jene Stufe, Zu der ſonſt nur Geburt und Gunſt erhebt, Der Kirche Macht bekleidet mit dem Purpur, Der mich den Königen zur Seite ſtellt. Ich werde nicht vor Menſchen feig erzittern, Und wären's Könige — im Land der Zukunft; Die nämlich kommen kann, nicht kommen muß.
Ferdinand. Da wär zu zittern denn an mir?
145 Kleſel.
Niemand ſoll zittern! Vor allem, der im Recht iſt und der klug. Ferdinand (auf die Kabinetsthüre zugehend). Da iſt denn Einer nur, der hier entſcheidet. Kleſel (mit einer gleichen Bewegung). Ich bin beſtellt. Ferdinand. Und ich, ich bin berufen, Im Sinn der Schrift. Berufen und — erwählt, In Böhmen wenigſtens als künft'ger König.
Ein Kämmerling erſcheint in der Kabinetsthüre.
Kleſel.
Sagt, daß wir warten hier, und ſputet Euch!
(Der Kämmerling geht ins Kabinet zurück. — Kleſel geht mit ſtarken Schritten auf und nieder.)
Ferdinand (fich entfernend).
Der Bauer ſteckt noch ganz in ſeinem Leibe,
Mit des Emporgekommnen Uebermuth. (Der Kämmerling kommt zurück.)
Ferdinand. Hat man gemeldet alſo?
Kämmerling (mit einer Einlaßbewegung). | Eminenz! (Klefel geht mit ſtarkem Schritt ins Kabinet.) Kämmerling. Entſchuld'gen ſoll ich Seine Majeſtät,
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 10
146 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Hochwicht'ge Nachricht ſei aus Prag gekommen, Sie ſtehn zu Dienſt, wenn das Geſchäft beendigt.
Lerdinand. Ich bin's gewohnt, den Dienern nachzuſtehn. Wie iſt's in Prag, vor allem mit dem Kaiſer?
Kämmerling. Ein Anfall, wie er öfter ſchon ihn traf, Nur ſtark wie nie, bedroht ſein Leben, ſorgt man. Doch gibt man Hoffnung noch — für dieſesmal.
Ferdinand. Ich bete drum, denn er iſt unſre Hoffnung, Der, ſchutzlos ſelber, unſer einz' ger Schutz. N (Rämmerling geht zurück.) Serdinand. Nun denn, der Augenblick der That, er kam. Stirbt Kaiſer Rudolph, was wohl furchtbar nah, Und folgt Mathias auf dem deutſchen Throne, Verdoppeln ſich die furchtſamen Bedenken, Die ihm dieß Schwanken in die Bruſt gelegt. Des Reiches Fürſten, ketzeriſch zumeiſt, Hier Sachſen, Brandenburg, die böſe Pfalz, Sie nöthigen zur Schonung, ſchwachem Dulden, Und jene Spaltung ſetzt ſich endlos fort, In der Gott ſelbſt, ſowie ſein Wort geſpalten.
Vor allem jetzt muß dieſer Prieſter fort, Deß ſchlimme Schmeichelei, gehüllt in Derbheit, Ihn ehrlich nennt, wo liſtig er zumeiſt. Deß Leichtigkeit in Schrift und Wort und That Ihn unentbehrlich macht, weil er bequem Die Herrſchaft auflöst in die Unterſchrift.,
Fünfter Aufzug. 147
oder nie! Seit Monden ſeh' ich's kommen, er ich Feſtigkeit von Andern fordre, | ingen Zweifel ſelber in der Bruſt. (Aus der Taſche feines Mante!s Briefe hervorziehend.) h gewappnet nicht mit aller Vollmacht tom, von Spanien, dem kathol'ſchen Deutſchland? öſe Beiſpiel, das ich etwa gebe, det ſich geheiliget im Zweck: hre Gottes und dem Sieg der Kirche. (Das Baret abnehmend.) zr dem Hohenprieſter wohl zu Muth, den Ahab tödtete im Haus des Herrn. rf ſich nieder vor der Bundeslade, h jetzt beugen möchte hier mein Knie Sottes Wink erflehn und feine Stimme.
will noch einmal meinen Oheim ſprechen, or die Augen legen dieſe Briefe, le fordern, was das Heil von Allen, aber raſch, denn er iſt wankelmüthig! ächſte Tag bringt einen andern Sinn, ie Gewohnheit iſt das Band der Schwäche. (Die Thüre im Hintergrunde öffnend.) ied, biſt du bereit? Seyfried Breuner eintretend. Seyfried. Ich bin's ſeit lange. Ferdinand. dießmal gilt's. Beſorg' erſt einen Wagen. Seyfried. Rlefel Kutſche, die ihn hergebracht, unten noch im Hof.
148 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Ferdinand. Um deſto beſſer.
Indeß ich noch mit meinem Oheim ſpreche, Halt' ihn zurück durch irgend einen Vorwand, Bis ich dir ſage: jetzt! Dann ſchnell nach Kufſtein. Merk wohl, er darf zurück nicht in ſein Haus, Denn ſeine Schriften ſind vor allem wichtig. Er kommt. Geh nur und ſieh nach deinen Leuten.
(Seyfried ab.)
Kleſel kommt aus dem Kabinct.
Ferdinand. Darf ich nun endlich meinem Oheim nahn? Aleſel. Er ging nur eben nach der Schloßkapelle, Doch kehrt er wieder, ehrt ihn der Beſuch. Herdinand. Es iſt kaum zehn, um eilf Uhr iſt die Meſſe. Kleſel. Die Andacht bindet ſich an keine Zeit. Ferdinand. Nun, das habt Ihr gethan. Ich dank' Euch drum. Ich forderte ein Zeichen erſt vom Himmel, Ihr gebt das Zeichen ſelbſt. Noch einmal: Dank! Das iſt der Lohn der Schlauheit, daß ſie fein Den Faden ſpinnt, bis er, am feinſten, bricht. Ihr ſollt nach Kufſtein, Herr! Kleſel. Nicht daß ich wüßte! Mir iſt zu reiſen weder Zeit noch Luſt.
Fünfter Aufzug. 149
Ferdinand. Doch wenn Ihr müßt? Kle ſel (Mid dem Radincte nähernd). Wer wagt hier zu gebieten? Lerdinand. Ihr habt ja ſelbſt des Schutzes Euch beraubt. Der König iſt von ſeinen Zimmern fern, Geſendet habt Ihr ihn nach der Kapelle, Und ſeid gegeben nun in unſre Macht. Der Papſt will Euch in Rom; deßhalb nach Kufſtein, Das annoch deutſch und auf dem Weg nach Wälſchland. Kleſel. Der König ruft zurück mich Augenblicks. Ferdinand. Seid deſſen wirklich Ihr ſo ſicher? Kleſel. — Nein! Ihm hat die Herrſchaft aufgedrückt die Makel, Die ſie der Kön'ge beſten nur erſpart: Unſicherheit und Mangel an Entſchluß. Doch ſpäter, wenn der Samen aufgegangen, Den man geſät in den entzweiten Landen, Verwirrung und Empörung, ja der Krieg In blutigrother Blüthe wuchernd ſproſſen, Dann wird man pilgern hin zu Kufſteins Thoren, Dann kehr' ich heim in ſiegendem Triumph. Seyfried (bintretend). Es drängt die Zeit. Ferdinand. Sei immer ruhig, Freund,
Mn
150 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Er hat dafür geſorgt, daß uns ſein Herr
Nicht vor der Zeit hier ſtöre im Beginnen.
Nun aber fort! Es ziemt nicht meiner Würde,
Den Schergen hier zu ſpielen nebſt dem Richter.
Obwohl's mich freut, erquickt in meinem Sinn,
— Nicht meinetwillen, nein, um Gottes wegen —
Im Staub zu ſehn den Mann, der ihm getrotzt.
Glück auf den Weg! Nach Kufſtein alſo raſch! (Durch die Mittelthüre ab.)
Kleſel. Herr Seyfried, ſeht, ich war Euch ſtets ein Freund. Seyfried.
Drum habt Ihr meiner Schweſter auch verweigert Die Penſion, die ihr zu Recht gebührt.
Kleſel. Sie ſoll ſie haben, und verlangt Ihr Gold, Nennt den Betrag bis dreißigtauſend Kronen, Nur gönnt mir Aufſchub, eine Viertelſtunde. Laßt mich zu Hauſe ordnen noch Papiere, Man hat ſo viel, was nicht für Jeden taugt.
Seyfried. Ich bin vom ſelben Stoff, wie meine Waffen, Die Fauſt von Eiſen und die Bruſt von Erz. (Auf die Seitenthüre links zeigend.) Dort unſer Weg. Verlegt Euch nicht auf Bitten.
Kleſel. Ihr mahnt mich recht. Ich habe hier geboten, Und will nicht betteln um der Bettler Gnade. Vollführt denn die Befehle Eures Herrn, Der ſich von Eiſen fühlt, wie Euer Harniſch,
Fünfter Aufzug. 151
So oft ihn Glaubenseifer vorwärts treibt;
Doch, kommt's einmal zu menſchlicher Zerwürfniß, Vor Jedem zittern wird, der ſtarken Sinns
Sich dienend aufgedrungen ihm zum Herrn.
Er wird mein Rächer ſein. Ich ahn' ihn ſchon, Und höre ſeine Tritte aus der Ferne.
Ein Diener, der die Mittelthüre öffnet, anmeldend.
Diener. Herr Oberſt Wallenſtein. Kleſel. Hört Ihr den Namen? Seyfried. Jetzt iſt nicht Zeit zu ſprechen. Dort hinaus!
Aus der Seitenthüre find Trabanten herausgetrcten.
Kleſel (zu Seyfried, der vorausgehen will). Zurück, mir bleibt der Vorrang, wär's in Ketten. (Er geht mitten durch die Trabanten ab. Seyfried folgt.)
Oberſt Wallenſtein ift eingetreten und fieht ihm verwundert nach. Erzherzog Ferdinand lommt durch die Mittelthüre.
Ferdinand. Wir freuen uns, Herr Oberſt, Euch zu ſehn. Ihr kommt aus Prag? Wallenſte in. Auf einem Umweg, ja. Ferdinand. Wie ſteht's im Schloß?
152 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Wallenſtein. Verwirrung aller Orten. Man ſpricht von Krankheit, Manche gar von Tod.
Ferdinand. Verhüt' es Gott! Wallenſtein. Er wird wohl etwa, denk' ich. Allein im Land bedarf es unſre Sorge, Da iſt das Unterſte zu oberſt, Herr.
Ferdinand. Vielleicht das Oberſte zu unterſt bald.
Wallenſtein. Man hat den Bau der Kirchen eingeſtellt, Die ihnen zugeſagt der Majeſtätsbrief. Ferdinand. Das hat er nicht. Wallenſtein. Nun, auch gut, alſo nicht. Allein ſie glauben's, und der Aufſtand lodert In Braunau, Pilſen, weit herum im Land. Schon bis nach Prag erſtreckt ſich die Bewegung, Der Mathes Thurn liegt dort im Hinterhalt. Ferdinand. Und unſre Treuen, Martiniz, Slawata, Des Landes fromme Pfleger, dulden ſie's? Wallenſtein. Sie haben Aergeres bereits erduldet. Der Mathes Thurn ließ eben, als ich abging, Nach einer alten Landesſitte, ſagt' er,
Sie aus den Fenſtern werfen am Hradſchin, Im vollen Landtag und im beſten Sprechen. Doch ſind ſie unverletzt, ſeid unbeſorgt.
Sie haben noch gar höflich ſich entſchuldigt, Weil nach dem Rang ſie nicht zu liegen kamen, Zu oberſt, weil zuletzt, der Secretär. Betrachtet Böhmen drum als feindlich Land.
N Ferdinand. Nun, um ſo beſſer denn!
Wallenſtein. Ihr ſeid mein Mann! Drum eben iſt Gewalt Gewalt genannt, Weil ſie entgegen tritt dem Widerſtand. Und wie im Feld der Heeresfürſt gebeut, Nicht fremde Meinung oder Tadel ſcheut, So ſei auch in des Landes Regiment Ein Gott, Ein Herr, Ein Wollen ungetrennt. Ich will nun noch zu Seiner Majeſtät. Ferdinand. Laßt das auf ſpäter. Setzt für jetzt Euch hin, Schreibt die Befehle an die Garniſonen. Wallenſte in. Das iſt bereits geſchehn. Ferdinand.
Durch wen? und wann?
Wallenſtein. Da auf den Stationen, als ich herritt, Man mit den Pferden zögerte, wie's Brauch, Benutzt' ich jede Raſt und ſchrieb die Orders An die entfernt gelegnen Truppen ſelbſt,
153
154 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Sie theils nach Brünn, theils her nach Wien beſcheidend. Erwartet heut noch die Dampierre'ſchen Reiter, Kaprara's Fußvolk auch iſt wohl ſchon nah.
Der Krieg hat Füße denn doch nur und Hände,
Wenn er Geſchwindigkeit mit Kraft vereint.
Ferdinand. Und das nahmt Ihr auf Euch?
Wallenſtein. So ſollt' ich nicht? Ferdinand. Ich dank' Euch, Herr; und denk' Euch wohl zu brauchen, Wenn mich einſt Gott auf dieſen Thron geſetzt. Doch will ich mich auch hüten, nehmt's nicht übel, Daß Ihr nicht mehr mir dient, als lieb mir ſelbſt. Wallenſtein. Wer kann wohl ſagen, meint ein altes Sprichwort: Aus dieſem Brunnen will ich niemals trinken! Die Zeit entſcheidet da, Herr — und der Durſt. Ferdinand Pie Mittelthüre öffnend). Herbei, wer in den Vorgemächern draußen, Und treu es meint mit Oeſtreichs edlem Haus.
Mehrere treten ein.
Ferdinand. In Prag hat ſich der Pöbel, Glaubenspöbel, Erfrecht, was nimmermehr zu dulden ziemt. Wer Chriſt und Edelmann, iſt aufgefordert, Zu ziehn mit uns für Gott und für das Recht. Einige. Seht uns bereit!
Fünfter Aufzug. 155
‚Andere. Mit Gut und Blut und Leben!
Ferdinand.
Beſendet Tilly, ſchreibt an Bayerns Herzog, Daß uns ihr Beiſtand ſicher, wenn er noth.
Obwohl für jedes Menſchenleben gern Ich einen Theil hingäbe meines Selbſt, Will ich nicht ruhn, bis dieſes böſe Schlingkraut Vertilgt in jeder Windung bis zum Kern.
(Trompeten in der Ferne.)
Wallenſtein
(ans Fenſter eilend). Das ſind, weiß Gott! ſchon die Dampierre'ſchen Reiter. Die habt Ihr nun wie Würfel in der Hand.
König Mathias kommt aus dem Kabinete.
Mathias. Was ſind das für Trompeten? und was ſoll's? Ferdinand.
Die Truppen, Herr, die ſich nach Prag begeben, Wo frecher Aufruhr uns die Stirne beut.
Mathias. Die Früchte das von dem geheimen Treiben, Das hinter unſerm Rücken ſtill bemüht. Schickt nach dem Cardinal! (da die Angeredcten verlegen zurücktreten) Was zögert ihr? Ferdinand. Er iſt nur eben abgereist nach Kufſtein.
156 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Mathias. In dieſem Augenblick? Iſt er von Sinnen?
Ferdinand. Gerad' in dieſem Augenblick, mein König. (Auf das Kabinet zeigend.) Gefällt's Euch hier ins Innre einzutreten, So leg' ich Euch die Gründe dienſtlich vor.
Mathias (freng). Sprecht öffentlich, damit ich offen richte.
Ferdinand „Schriften aus dem Mantel zichend, halblaut). Die Briefe hier von Bayern, Spanien, Rom, Den einz'gen Stützen unſrer guten Sache, Die nur auf die Entfernung dieſes Manns Den Beiſtand uns verheißen, den wir brauchen. Hier Oberſt Wallenſtein, er kommt aus Prag Und meldet uns, daß dort der Aufſtand rege. Die Andersgläubigen der andern Länder, Erwarten nur das Zeichen ſolchen Aufbruchs, Um zu vereinen ſich zu gleichem Trotz. Glaubt Ihr, daß wir mit unſern eignen Kräften (auf die Schriften zeigend) Nicht unterſtützt von gleichgeſinnten Mächten, Dem Sturm gewachſen, der uns rings bedroht? Mathias. Wär Kleſel hier, er wüßte dep wohl Rath. Ferdinand. Er iſt kaum auf dem Weg. Geliebt es Euch,
So bringen Boten ihn noch heut zurück. Allein alsdann verzeiht, wenn ich mich ſelbſt
Fünfter Aufzug. 157
Vereine mit den Schreibern dieſer Briefe, Zurück mich ziehend in mein ſtilles Land. (Mit gebeugtem Knie die Schriften hinhaltend.) Mathias | (die Schriften ihm heſtig aus der Hand nehmend). Wir wollen ſehn! — Herr Oberſt Wallenſtein, Ihr kommt von Prag, wie ſteht es mit dem Kaiſer? (mit einem Seitenblicke auf Erzherzog Ferdinand) Ich fühle mich nur jetzt an ihn gemahnt. Wallenſtein. Er ward ſo oft im Leben todt geſagt, Daß nun auch kaum man den Gerüchten glaubt, Die Unheil kündend ſich vom Schloß verbreiten. Doch überholt' ich an der Taborbrücke Ein Sechsgeſpann mit kaiſerlichem Wappen nd Herren drin in Schwarz, vielleicht in Trauer. Hier find fie, däucht mich; hört die Antwort felbft.
derzog Julius von Braunſchweig und einige Hofleute, die verzierte Kleinodiengehäuſe tragen, ſämmtlich in Trauer, treten ein.
0 Mathias. Ich weiß genug. Es ſprechen eure Kleider. ein Bruder todt. Wär' ich es erſt nur auch. (an der Thüre des Kabinets) Und Niemand folge mir! Ich will allein ſein. (Er geht hinein.) Ferdinand. Und iſt es ſo? N Julius. Es iſt. Ein jäher Anfall, Der noch der Hoffnung Raum ließ, weil er öfter,
- 158 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
So ſagen ſeine Diener, ihn ergriff. Doch dießmal war's der Tod. Er iſt geſchieden. Ferdinand. O daß der Drang der Zeit mir Weile gönnte, Ihn zu beweinen, wie er es verdient. Er war ein frommer Fürſt. Zulius. Wohl, und ein weiſ'rer, Als ihm die Haſt der Uebereilung zugibt. Ferdinand. Doch zeigt die Weisheit ſich im Handeln meiſt. Zulius. Wo nichts zu wirken, iſt auch nicht zu handeln. Die Zeit hilft ſelbſt ſich mehr, als man ihr hilft. Wir bringen die Inſignien des Reichs, Das einem Andern nun zu Recht gehört, Ein Erbe, der die Erbſchaft ſchon beſitzt. Und ſo nun, meine Freundespflicht erfüllt, — Er war mein Freund, ich wenigſtens der ſeine — Empfehl' ich dieſes Land in Gottes Schutz Und kehre rück zu meinem, das mich ruft. Ferdinand. Vor allem noch nehmt unſers Hauſes Dank, Herr, und erlaubt, daß bis zur äußern Thür — Julius (ablehnend). Der Tod macht gleich. Wir Alle müſſen ſterben. (Er geht. Seine Begleiter ſetzen die Kapſeln mit den Inſignien auf einen rechts im Hintergrunde ſtehenden Tiſch. — Militärmuſik in der Ferne.) Wallenſtein (ans Fenſter eilend). Das iſt Kaprara's Fußvolk, wie ich ſagte.
Fünfter Aufzug. 159
Ferdinand. Laßt dieſe Töne ſchweigen, die den Jubel In unſers Herzens Trauer ſpottend miſchen. — Auch ſtört es etwa Seine Majeſtät, Die jetzt wohl ſchwer von anderen Gedanken. (Es iſt Jemand auf den Balkon getreten und hat mit dem Schnupftuch ein Zeichen gemacht. Die Muſik ſchweigt.) Ferdinand. Und ſo im Geiſt der Leichenfeier folgend Des hingeſchiednen Herrn, laßt uns ihn rächen. Zwar Rache ziemt dem echten Chriſten nicht, Doch ſeine Feinde ſtrafen, die auch unſre, Und ſtrafend ſie, wär's mit Verluſt des Lebens, Zugleich erretten ſie vom ew'gen Tod. Ein kurzer Feldzug nur ſteht uns bevor — Wallenſtein (in der Menge). Der Krieg iſt gut und währt' er dreißig Jahr.
Ferdinand. Wer ſprach? Was fällt Euch ein? Und warum dreißig? Iſt's doch, als ob mit wiederholtem Schall Das Wort von allen Wänden wiedertönte. Ein kurzer Feldzug, ſagt' ich, und ſo iſt's; Was fällt Euch ein? Und warum dreißig eben? Wallenſtein. Ei Herr, man nennt ſo viel ein Menſchenleben, Und eh nicht, die nun Männer, faßt das Grab, Und die nun Kinder, Männer ſind geworden, Legt ſich die Gährung nicht, die jetzt im Blut. Ferdinand. Wir achten Euch als wohlerprobten Krieger,
160 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Als tücht'gen Führer, wohl dereinſt als Feldberrn,
Doch zum Propheten ſeid Ihr noch zu jung.
Und wenn Ihr, wie man ſagt, in Sternen leſ't,
So denkt an Kaiſer Rudolphs traurig Wiſſen. Nun laßt uns die Befehle noch bereiten,
Daß Jedem kundig, wo ſein wahrer Punkt.
Denn gleich der That ehr’ ich die kluge Schrift;
Die Feder ſchlägt oft ſichrer als die Waffe.
Muſik und Lärm (auf der Straße). Vivat Mathias! Ferdinand. Schweigt man nimmer denn?
Ein Diener, der eingetreten if.
Diener. Der Tod des Kaiſers hat ſich ſchon verbreitet. Man jaucdzt dem neuen Herrn. Man will ihn ſehn.
Auf der Straße. Vivat Mathias!
Ferdinand (auf das Kabinet zeigend). Geh' denn Einer hin — Und ſage — Meldet Seiner Majeſtät Des Volkes Wunſch und der Getreuen Bitte. (Der Diener geht ins Kabinet.)
Ferdinand. Man muß die Stimmung nützen, wenn ſie neu. Gealtert theilt ſie gern des Alters Zweifel, Und frägt nach Gründen, endlos im Warum.
Fünfter Aufzug. 161 Mathias
| (aus dem Kabinete). Wird mir denn nimmer Ruh? Was ſoll es noch?
Ferdinand. Das Volk, von dem Ereigniß unterrichtet, Das ſeinen Herrn beruft zum deutſchen Thron, Dazu die Krieger, die ins Feld ſich rüften, Verlangen Euch zu ſehn, erlauchter Herr.
Mathias.
Nun denn, nur ſchnell.
Ferdinand (auf die Glasthüre zeigend). Vielleicht hier vom Balkon. Mathias. Geht Ihr mit mir und ſteht an meiner Seite, Vielleicht erkennt das Volk dann, wer ſein Herr. (Erzherzog Ferdinand tritt mit einer ehrerbietigen Verbeugung zurück.) Mathias. So öffnet denn die Thür! — Und — (mit einer Abſchiedsbewegung) Gott befohlen! (Er triit auf den Balkon; Jubelgeſchrei von außen.) Ferdinand. ö | Wir wollen denn nicht länger läſtig fallen. Ich ſelber ziehe nicht mit Euch ins Feld, Doch will ich ſorgen, daß, dieweil Ihr fern, Die Feinde tilgt mit ſcharfgeſchliffner Waffe, ze Gegner in dem Rücken Eures Heers, Die Heimlichen, deßhalb gefährlichſten, , ejätet und geſichtet und getilgt, Srittparzer, ſämmtl. Werke. VII. 11
162 Ein VBruderzwiſt in Habsburg.
Auf daß das Land ein wohlbeſtellter Garten, Ein Aehrenfeld, zu Frucht dem höchſten Herrn. (Indem die Anweſenden ſich öffnen und einen Durchgang bilden.)
Ferdinand. Es geht in Krieg, ſeid froh, Herr Wallenſtein. Wallenſtein. Ich bin's. Mehrere.
Wir auch, und währt! es dreißig Jahr. — Ja, wären's dreißig — dreißig! — Um ſo beſſer. (Indem ſie Wallenſtein die Hand ſchütteln, Alle ab.)
Mathias (der vom Balkon zurückkommt).
Was ſprachen ſie von Krieg und dreißig Jahren? Ich werd' es nicht erleben. Glück genug. Und üb'rall Lärm. Ich aber brauchte Stille. Tönt's doch in meinem Innern laut genug: Und wieder öde, daß kein Wiederhall 5 Des allgemeinen Jubels rückerklingt. Am Ziel iſt nichts mir deutlich als der Weg, Der kein erlaubter war und kein gerechter.
(Sein Blick trifft die Neichskleinodien, er wendet die Augen ab.)
O Bruder, lebteſt du und wär' ich todt! Gekoſtet hab' ich, was mir herrlich ſchien, Und das Gebein iſt mir darob vertrocknet; Entſchwunden jene Träume künft' ger Thaten, Machtlos wie du, wank' ich der Grube zu.
Ich will ins Freie, mich zerſtreun — und doch, Wie ein Magnet zieht's mir die Augen hin, Und täuſcht mit Formen, die nicht ſind, ich weiß.
163
Reicht denn dein Haß herüber übers Grab, Selbſt nach der Strafe noch?
(Lärm und Mufik von Neuem aus der Ferne.) Mathias (gegen den Tiſch gelehrt in einiger Entfernung niederknieend und wieder⸗ holt die Bruſt ſchlagend).
Mea culpa, mea culpa, Mea maxima culpa.
Bon der Straße. Vivat Mathias!
(Indem das Bivatrufen fortwährt und Mathias das Geſicht mit beiden Händen bedeckt, fällt der Vorhang.)
Die Jüdin von Toledo.
Hiſtoriſches Trauerſpiel in fünf Aufzügen.
Alle Dramen diefer Geſammtausgabe Grillparzer's find den Bühnen gegenüber als Manuſcript gedruckt.
Alphons der Edle (VIII.), König von Caſtilien.
Eleonore von England, deſſen Gemahlin. (Tochter Heinrichs II.)
Der Prinz, beider Sohn.
Manriquez, Graf von Lara, Almirante von Caſtilien.
Don Gareeran, deſſen Sohn.
Donna Clara, Ehrendame der Königin.
Die Kammerfrau der Königin.
Iſaak, der Jude.
gabel, | deſſen Töchter.
RNeinero, des Königs Knappe.
Standesherrn, Hofdamen, Bittfteller, Diener und Leute aus dem Volk.
Ort der Handlung: Toledo und Umgebung. Zeit um das Jahr 1195.
Im königlichen Garten zu Toledo. Iſaak, Rahel und Eſther kommen.
Ifaak. Bleib zurück, geh nicht in’ Garten — Weißt du nicht, es ift verboten? Wenn der König hier luſtwandelt, Darf kein Jud' — Gott wird fie richten! — Darf kein Jud' den Ort betreten. Rahel (inet. La, la, la, la. Sſaak. Hörſt du nicht denn? Rahel. Ei, wohl hör' ich. Sſaak. Nun, und weichſt nicht? Rahel. Hör' und weiche doch nicht. Sſaak. Je, je, ie! Was ſucht mich Gott?
x — u . | - * .
170 Die Jüdin von Toledo.
Gab doch meinen Deut den Armen, Hab' gebetet und gefaſtet,
Weiß nicht, wie Verbot'nes ſchmecket; Je, und dennoch ſucht mich Gott!
Rahel u Eithen).
Ei, was zerrſt du mich am Arme? Und ich bleib' und gehe doch nicht. Ich will mal den König ſehen,
Und den Hof und all ihr Weſen, All ihr Gold und ihr Geſchmeide. Soll ein Herr ſein, weiß und roth, Jung und ſchön, ich will ihn ſehn.
3 ſaak. Und wenn dich die Knechte fangen?
Rahel. Ei, ich bitte mich wohl los.
S ſaak. Ja, wie deine Mutter, gelt? Die ſah auch nach ſchmucken Chriſten, War nach Misraims Töpfen lüſtern, Hielt' ich ſie nicht ſtreng bewacht, Glaubt' ich — nu, Gott wird verzeihen! — Deine Thorheit ſtamme dorther, Sei ein Erbtheil ſchnöder Chriſten; Da lob' ich mein erſtes Weib,
du Eſther) Deine Mutter, brav wie du, Wenn auch arm. Was nützte mir Auch der Reichthum jener Zweiten? Hat ſie nicht damit geſchaltet,
aus und Gaſtgebot gehalten, ruck gekauft und Edelſteine? ul ſie iſt wohl ihre Tochter! ſie ſich nicht rings behangen, gt ſie nicht in ſtolzen Kleidern, ein Babel anzuſehn? Rahel (ſingend). Bin ich nicht ſchön, Bin ich nicht reich? Und ſie ärgern ſich, Und mich kümmert's nicht, la, la, la, la. 3 ſaak. eht ſie auf reichen Schuhen, ſie ab, frägt nichts darnach, Schritt gilt einen Dreier. im Ohr ihr reich Geſchmeide, nt ein Dieb und nimmt ihr's ab, s in Buſch, wer findet's wieder? Rahel (ein Ohrgehänge abnehmend). ‚ſo ſchraub' ich's los und halt' es, das blitzt und wie das flimmert! doch acht' ich's ſo geringe, a mir's einfällt, ſchenk' ich's dir, (au Eſther) werf es von mir, fieh'! (Sie macht mit der Hand eine fortſchleudernde Bewegung.) "Sfaak (nach der Richtung des Wurfes laufend). ,o weh! Wo flog es hin? „ o weh! Wie find ich's wieder? (Er ſucht im Geſträuche.)
172 Die Jüdin von Toledo.
Eſther. Ei, was kommt dich an? Das Kleinod —
Rahel. Glaubſt du denn, ich ſei ſo thöricht Und verſchleuderte das Gut? Sieh' ich hab's, halt's in der Hand, Häng' es wieder in mein Ohr, Weiß und klein, zum Schmuck der Wange.
Jſaak ſſuchend). Weh! Verloren! Rahel. Vater, kommt nur! Seht, das Kleinod iſt gefunden, 's war ja Spaß nur.
Ifaak. Daß dich Gott —! So zu ſpaßen! Und nun komm!
Rahel.
Vater, jedes, nur nicht dieß.
Ich muß mal den König ſehen, Und er mich, ja, ja, er mich. Wenn er kommt und wenn er fragt: Wer iſt dort die ſchöne Jüdin? Sag', wie heißt du? — Rahel, Herr! Iſaaks Rahel! ſprech ich dann, Und er kneipt mich in die Backen, Heiße dann die ſchöne Rahel.
Mag der Neid darob zerplatzen, Wenn ſie 's ärgert, kümmert's mich?
Erſter Aufzug. Eſther.
Sſaak. Wie? Eſther. Dort naht der Haufen. S ſaak. Herr des Lebens! Was geſchieht mir? 's iſt Rehabeam und fein Volk. Wirſt du gehen? Rahel. Vater, hört doch! Sſaak. Nun ſo bleibe! Eſther komm! Laſſen wir allein die Thörin. Mag der Unrein⸗Händige kommen, Sie berühren, mag fie tödten! Hat ſie's ſelber doch gewollt.
Eſther komm! Rahel. Je, Vater, bleibt! Sſaak. Inmer zu! Komm, Eſther, komm! (er geht.) “Rahel.
90 will nicht allein fein! Hört ihr?
Aeibt 1 — Sie gehn — O weh mir, weh!
J wil nicht allein fein! Hört ihr? %, fie kommen. Schweſter! Vater! (eilt ihnen nach)
173
174 Die Jüdin von Toledo.
Der König, die Königin, der Almirante von Caſtilien Don Manriquez, Graf von Lara, Donna Clara kommen mit
Gefolge.
Köni g (im Auftreten).
Laßt näher nur das Volk! Es ſtört mich nicht;
Denn wer mich einen König nennt, bezeichnet
Als Höchſten unter Vielen mich, und Menſchen
Sind ſo ein Theil von meinem eignen Selbſt. (Zur Königin gewendet.)
Und du, kein mindrer Theil von meinem Weſen, Willkommen mir in dieſer treuen Stadt, Willkommen in Toledo's alten Mauern.
Sieh rings um dich und höher poch' dein Herz, Denk nur, du ſtehſt an meines Geiſtes Wiege; Hier iſt kein Platz, kein Haus, kein Stein, kein Bau Der Denkmal nicht von meiner Kindheit Looſe. Als ich vor meines böſen Oheims Wüthen,
Des Königs von Leon, ein vaterloſer,
Der Mutter früher ſchon beraubter Knabe, Durch Feindes Land, es war mein eignes, floh, Und mich von Stadt zu Stadt Caſtiliens Bürger Wie Hehler eines Diebſtahls heimlich führten, Weil Tod bedräute Wirth zugleich und Gaſt, Und üb'rall nun umſtellt war meine Spur,
Da brachten mich die Männer, Don Eſtevan Illan, den längſt der Raſen birgt des kühlen Grabs, Und dieſer Mann, Manriquez Graf von Lara, Hieher, den Hauptſitz von der Feinde Macht, Und bargen mich im Thurm von Sanct Roman, Den du dort ſiehſt hoch ob den Häuſern ragen. Dort lag ich ſtill, ſie aber ſtreuten aus
en des Gerüchts ins Ohr der Bürger.
im Tage Himmelfahrt die Menge
lt war vor jenes Tempels Pforte,
n ſie mich auf des Thurmes Erker,
n mich dem Volk und ſchrie'n hinab:
n unter euch, hier euer König,
alter Fürſten, ihres Rechts
Rechte williger Beſchirmer.
in Kind und weinte, ſagten ſie,
hör' ich ihn, den gellen Aufſchrei,
Wort aus tauſend bärt'gen Kehlen,
nd Schwerter wie in Einer Hand,
des Volks. Gott aber gab den Sieg,
ſer flohn; und fort und fort,
Fahne mehr als Krieger noch
eines Heers, durchzog das Land
mit des Mundes Lächeln Siege;
lehrten mich und pflegten mein,
ermilch floß mir aus ihren Wunden.
wenn andre Fürſten Väter heißen
n Volks, nenn’ ich mich ſeinen Sohn,
ich bin, verdank' ich ihrer Treue. Manriquez.
8, was Ihr ſeid, vieledler Herr,
wirklich ſtammen ſollte — dann,
men wir den Dank und ſind deß froh,
re Lehren, unſre Pflege ſich
Ruhm, in ſo viel Thaten ſpiegeln,
der Dank ſo ein' als andre Pflicht,
(Zur Königin.) nur an mit Eurem holden Blick; viel Könige noch in Spanien waren,
176 Die Jüdin von Toledo.
Vergleicht ſich keiner ihm an hohem Sinn.
Das Alter iſt wohl tadelſüͤchtig ſonſt,
Auch ich bin alt und tadle gern und viel,
Und oft hab' ich, im Rath mit meiner Meinung
Befiegt von feinem fürſtlich hohen Wort,
Geheim erbost — heißt das, auf kurze Zeit —
Bös Zeugniß aufgeſucht gen meinen Herrn,
Ihn eines Fehls, weiß Gott wie gerne, zeihend,
Doch immer kehrt' ich tief beſchämt zurück,
Mir blieb der Neid, und er war fleckenlos. König.
Ei, Ei! Der Lehrer auch ein Schmeichler, Lara?
Doch wollen wir nicht dieß und das beſtreiten.
Bin ich nicht ſchlimm, ſo beſſer denn für euch,
Obgleich der Menſch, der wirklich ohne Fehler,
Auch ohne Tugend wäre, fürcht' ich faſt;
Denn wie der Baum mit lichtentfernten Wurzeln
Die etwa trübe Nahrung ſaugt tief aus dem Boden,
So ſcheint der Stamm, der Weisheit wird genannt,
Und der dem Himmel eignet mit den Aeſten,
Kraft und Beſtehn aus trübem Irdiſchen,
Dem Fehler nah Verwandten aufzuſaugen.
War Einer je gerecht, der niemals hart?
Und der da mild, iſt ſelten ohne Schwäche.
Der Tapfre wird zum Waghals in der Schlacht.
Beſiegter Fehl iſt all des Menſchen Tugend,
Und wo kein Kampf, da iſt auch keine Macht.
Mir ſelber ließ man nicht zu fehlen Zeit:
Als Knabe ſchon den Helm auf ſchwachem Haupt,
Als Jüngling mit der Lanze hoch zu Roß,
Das Aug’ gekehrt auf meines Gegners Dräu'n,
Erfier Aufzug. 177
lieb mir kein Blick für dieſes Lebens Güter, ud was den reizt und lockt, lag fern und fremd. aß Weiber es auch gibt, erfuhr ich erſt, lis man mein Weib mir in der Kirche traute, die wirklich ohne Fehl, wenn irgend Jemand, nd die ich, g'rad heraus, noch wärmer liebte, 'är manchmal, ftatt des Lobs, auch etwas zu verzeih n. (Sur Königin.) , nu, erſchrick nur nicht, war's doch nur Scherz! ch ſoll den Tag man nicht vor Abend loben, u» malen nicht den Teufel an die Wand. n aber ſtatt zu rechten, laß die Zeit, E kurzgegönnte, uns der Ruh genießen. S Fehden inner Landes ſind gedämpft, ch rüſtet ſich, ſagt man, der Maure neu ud hofft aus Afrika verwandte Hilfe, n Juſſuf und fein ſtreitgewohntes Heer; x gibt's dann neuen Krieg und neue Plage. » dahin öffnen wir die Bruſt dem Frieden, rd athmen ein die ungewohnte Luft. E keine Nachricht da? — Allein vergaß ich's? x ſiehſt ja nicht um dich her, Leonore, id ſchauſt, was wir geſchaffen, dir zur Luft? Königin.
As ſoll ich ſehn?
König.
O weh doch, Almirante! ir haben's nicht getroffen, ob bemüht. t gruben wir nun Tag' und Wochen lang, d hofften dieſen Garten umzuſtalten, ir nur Orangen trägt und Schatten gibt, Arittparzer, fummtl. Werke. VII. 12
178 Die Jüdin von Toledo.
In einen, wie ſie England hegt und liebt, Das ſtrenge Vaterland für einen Strengen; Allein ſie lächelt, ſchüttelt ſtill das Haupt. — So ſind ſie nun, Britanniens Kinder, alle; Trifft man aufs Haar nicht den gewohnten Brauch, So weiſen ſie's zurück und lächeln vornehm. Die Meinung mindeſtens war gut, Lenore, Und ſo gib nur ein Wort des Danks den Männern, Die ſich für uns, weiß Gott, wie lang, bemüht. Königin. Ich dank' euch, edle Herrn! König. a . Nun zu was Anderm; Der Tag hat einen Riß. Ich hoffte dir An Hütten, Wieſen engliſchen Geſchmacks Noch das und dieß im Garten rings zu zeigen; Doch iſt's verfehlt. Verſtell' dich nicht, o Liebe! Es iſt ſo, denken wir nicht mehr daran! Da bleibt ein Stündchen denn für das Geſchäft, Eh' ſpan'ſcher Wein uns Spaniens Küche würzt. Iſt noch kein Bote von der Grenze da? Toledo haben wir mit Fleiß erſehn, Um nah zu ſein der Kundſchaft von dem Feinde, Und doch kein Bote?
Manrique. Herr! König. Was iſt's? Wie nur ? Manrique. Ein Bote kam.
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König. Nun denn! Manrique; (auf die Königin zeigend). Ein wenig ſpäter.
König. Mein Weib, ſie iſt gewohnt an Rath und Krieg, Die Königin theilt jedes mit dem König.
Manriqucz. Doch dürfte mehr noch als die Botſchaft etwa Der Bote ſelber —
König. Und wer iſt's? Manrique. Mein Sohn. König. Ah, Garceran! Laß ihn nur kommen! (Zur Königin.) Bleib. Der junge Mann hat höchlich wohl gefehlt, Als er verkleidet ſchlich ins Frau'ngemach, Die Holde ſeines Herzens zu erſpähn. Nu, Donna Clara, ſenkt nur nicht das Haupt, Der Mann iſt wacker, obgleich jung und raſch, Geſpiele mir aus meiner Knabenzeit, Und unverſöhnlich fein, wär' etwa ſchlimmer Als leichtgeſinnt den Fehler überſehn. Auch, denk ich, hat er reichlich abgebüßt, Seit Monden ſchon verbannt zur fernen Grenze. (Auf einen Wink der Königin entfernt ſich Donna Clara.)
179
180 Die Jüdin von Toledo.
Nun geht fie doch: O Sittſamkeit, Noch ſittlicher als Sitte!
Gareeran kommt. König. Ah, mein Freund! Wie ſteht's bei euch? Sind Alle dort ſo bang, Wie du, und alſo mädchenhafter Scheu? Dann ſteht es ſchlimm um unſrer Reiſe Schutz. Garceran. Ein wackrer Mann, Herr, fürchtet keinen Feind, Doch ſchwer drückt edler Frau'n gerechter Zorn. König. Gerechter Zorn, ja wohl! Und glaube nicht, Daß ich mit Brauch und Schick es minder ſtreng Und ernſtlich halt', als meine Frau. Doch hat der Zorn und Alles ſeine Grenze, Drum nochmals, Garceran, wie ſteht's bei euch? Macht euch der Feind, ob Frieden gleich, zu ſchaffen? Garceran. Wir ſchlugen uns, als wär's ein Scheingefecht, Mit blut'gen Wunden dieſſeits, Herr, und drüben; Der Friede glich dem Krieg ſo auf ein Haar, Daß nur im Treubruch aller Unterſchied; Seit kurzer Zeit jedoch hielt Ruh der Gegner. König. Ei, das iſt ſchlimm! Garceran. Wir denken's auch, und glauben, Er rüſte ſich für einen größern Schlag. Auch heißt's, daß Schiffe täglich Volk und Vorrath
Erſter Aufzug. 181
Aus Afrika nach Cadix überführen,
Ro heimlich fich vereint ein ſtattlich Heer,
Zu dem der neue Herrſcher von Marokko, Juſſuf,
Soll ſtoßen mit dem dort geworbnen Volk;
Dann käme wohl der Schlag, der uns bedroht.
König.
Nun, ſchlagen ſie, ſo ſchlagen wir dann wieder,
Wie ſie ein König, führt der eure euch.
Und iſt ein Gott, wie er denn wirklich iſt,
Und Recht der Ausſpruch ſeines Munds, ſo hoff ich
Zu ſiegen, weil ein Recht und weil ein Gott.
Mich dauert nur des Landmanns bittre Noth,
Ich ſelbſt, als Höchſter, ich bin da zum Schwerſten.
Laßt in den Kirchen ſich das Volk verſammeln,
Und flehen zu dem Herrn, der Siege gibt:
Die Heiligthümer ſeien ausgeſtellt,
Und Jeder bete, der da künftig ſtreitet. Garceran.
Schon ohne Aufruf ward dein Wort erfüllt,
Die Glocken tönen weithin an der Grenze,
Und in den Tempeln ſammelt ſich das Volk;
Nur daß ihr Eifer, irrend, wie ſo oft,
Sich gegen jene Andersgläub'gen wendet,
Die Handel und Gewinn im Land zerſtreut;
Schon ward ein Jude hier und da mißhandelt.
König.
Und ihr, ihr duldet's? Nun, beim großen Gott!
Ver ſich mir anvertraut, den will ich ſchützen,
Ir Glaube kümmert ſie, mich, was ſie thun.
Garceran. Man nennt ſie Späher in der Mauren Sold.
183 Die Jüdin von Toledo.
König. Niemand verräth zuletzt, was er nicht weiß, Und da ich ihren Mammon ſtets verachtet, Hab' nie auch noch begehrt ich ihren Rath. Was ſein wird, weiß nur ich, nicht Chriſt noch Jude, Und deßhalb ſag' ich euch bei eurem Kopf —
Eine Weiberſtimme (von außen). Weh uns! König. Was iſt? Garctran. Dort, Herr, ein alter Mann, Ein Jude, ſcheint's, verfolgt von Gartenknechten, Zwei Mädchen neben ihm; die eine, ſchau! Sie flieht hieher. König. Ganz recht; denn hier iſt Schutz, Und Gottes Donner, wer ein Haar ihr krümmt. (In die Scene rufend) Hieher, nur hier!
Rahel kommt fliehend.
Rahel. O weh, ſie tödten mich, Wie dort den Vater! Iſt denn nirgends Hilfe? (Sie erblickt die Königin und kniet vor ihr.) O holdes Frauenbild, beſchirme mich, Streck' aus die Hand und ſchütze deine Magd, Ich will dir dienen auch, nicht Jüdin, Sklavin. (Sie greift nach den Händen der Königin, die ſich von ihr abwendet.) ®
ud
Erler Aufzug. 1᷑.83
Rahel (aufſtehend). Auch hier nicht Rettung, üb'rall Angſt und Tod. Wohin nur flieh' ich? a
Ach, hier ſteht ein Mann Mit Mondſcheinaugen, ſtrahlend Troſt und Kühlung, Und Alles um ihn her heißt Majeſtät. Du kannſt mich ſchützen, Herr, ach, und du wirſt's. Ich will nicht ſterben, will nicht! Nein, nein, nein! (Sie wirft ſich vor dem Könige nieder, feinen rechten Fuß umklammernd, das Haupt zu Boden geſenkt.)
König (zu Einigen, die ſich nähern). Laßt ſie! Der Schreck beraubt ſie faſt der Sinne, Und wie ſie ſchaudert, ſchütternd mich mit ſich. Rahel (emporgerichtet). Und Alles, was ich habe, (ihr Armband abloſend) dieſe Spangen, Das Halsgeſchmeid und dann dieß theure Tuch, (ein Tuch ablöſend, das fie ſhawlartig um den Hals geſchlungen trägt) Der Vater hat's gekauft um vierzig Pfund, Aecht indiſches Geweb', ich geb' es hin, Nur laßt mein Leben mir, ich will nicht ſterben. (Sinkt in ihre vorige Stellung zurück.)
Man hat Iſaak und Eſther gebracht. König. Was hat der Mann verbrochen? Manrique (da Alle ſchweigen). — Herr, du weißt,
184 Die Jüdin von Toledo.
Verboten iſt der Eintritt dieſem Volk In Königs Garten, wenn der Hof zur Stelle. | | König. Nun, mwenn’s verboten, fo erlaub' ich's denn. Eſther. Er iſt kein Späher, Herr, ein Handelsmann, Die Briefe, die er führt, ſie ſind hebräiſch, Und nicht arabiſch, nicht in Maurenſprache. König. Ich glaub's, ich glaub's. (Auf Nahel zeigend.) Und dieſe? Eſther. Meine Schweſter. König. So nimm ſie denn und bring ſie fort. Rahel (da Eſther ſich ihr nähert). — Nein, nein! Sie faſſen mich, ſie führen mich hinaus Und tödten mich! (Mit den Händen auf den abgelegten Schmuck zeigend.) Hier iſt mein Löſegeld, Hier will ich bleiben und ein wenig ſchlafen. (Die Wange an des Königs Knie gelegt.) Hier iſt die Sicherheit, hier ruht ſich's gut. Königin. Wollt Ihr nicht gehn? König. Ihr ſeht, ich bin gefangen.
| Erſter Aufzug. 185
Königin. Seid Ihr gefangen, bin ich frei; ich gehe. (Mit ihren Frauen ab.) König. Nun noch auch das! Mit ihrem Züchtigthun Erſchaffen ſie, was ſie entfernen möchten. (Zu Rahel ſtreng.) Ich ſage dir, ſteh auf! — Gib ihr ihr Tuch Und laß ſie gehn. Rahel. O Herr, nur noch ein Weilchen — Die Glieder ſind gelähmt, ich kann nicht ſchreiten. (Den Ellbogen aufs Knie und den Kopf in die Hand geſtützt.)
König (zurüdtretend). Und ift fie immer denn ſo ſchreckhaft? Eſther. O nicht doch! Sie war vor Kurzem übermüthig noch, Und trotzte, wollte, Herr, dich ſehen. König. Mich? Sie hat es ſchwer bezahlt. Eſther. Auch ſonſt zu Hauſe Treibt ſie nur Poſſen, ſpielt mit Menſch und Hund, Und macht uns lachen, wenn wir noch ſo ernſt. König. So wollt' ich denn, ſie wäre eine Chriſtin Und hier am Hof, wo Langeweil genug:
186 Die Züdin von Toledo.
Ein Bischen Scherz käm' etwa uns zu Statten. He, Garceran! Garceran. Erlauchter Herr und König.
Eſther (mit Rahel beicäftigt). Steh auf, ſteh auf! Nahel (ich emporhebend und Eſther den Halsſchmuck abnehmend, den fie zu dem übrigen legt). Und gib nur, was du haſt, Es iſt mein Löſegeld. N Eſther. Es ſei denn alſo. König. Was dünkt dir von dem Allen? Garce ran. Mir, o Herr? König. Verſtell' dich nicht, du biſt ein feiner Kenner. Ich ſelbſt hab' nie nach Weibern viel geſehn, Doch dieſe ſcheint mir ſchön. Garceran. Sie iſt's, o Herr! König. So ſei denn ſtark; denn du ſollſt ſie geleiten. Rahel
(die in der Mitte der Bühne mit gebrochenen Rnien und geſenktem Haupte ſteht, den Aermel aufftreifend).
Leg mir das Armband an. — O weh, du drückſt mich,
Erſter Aufzug. 187
Den Halsſchmuck auch — zwar der hängt ja noch hier, Das Tuch behalt', mir iſt ſo ſchwer und ſchwül. König. Bring ſie nach Haus! Garceran.
Doch, Herr, ich fürchte. König. | Was? Eſther (Naheln das Kleid am Halſe zurecht richtend). Und wie das Kleid verſchoben und zerſtört.
Garreran.
Das Volk ift aufgeregt.
König.
Du haſt nicht Unrecht. Obwohl ein Wort des Königs Schutz genug, Iſt's beſſer doch, zu meiden jeden Anlaß. Bring ſie vorerſt nach einem der Kiosk', Die rings im Garten ſtehn, und kommt der Abend —
Garceran.
Ich höre, hoher Herr!
König.
N Wie nur? Ja ſo! —
Seid ihr nicht fertig noch?
Eſther.
Wir ſind's, o Herr!
König. Und iſt es Abend und das Volk verlaufen, So führe fie nach Haus, und ſomit gut.
188 Die Jüdin von Toledo.
Garceran. Komm, ſchöne Heidin! | König. Heidin! welche Poſſen! Eſther (au Rahel, die ſich zum Fortgehen anſchickt). Und dankſt du nicht dem Herrn für ſo viel Huld? Rahel (noch immer erſchöpft, ſich gegen den König wendend). Hab' Dank, o Herr, für deinen mächt'gen Schutz! O! daß ich nicht ein ärmlich Weſen wäre, (mit einer Bewegung der Hand über den Hals) Daß dieſer Hals gekürzt von Henkershand, Daß dieſe Bruſt ein Schild gen deine Feinde — Zwar das begehrſt du nicht — " König. Ein hübſcher Schild! — Somit denn geht mit Gott. Und — Garceran, (leiſer) Ich wünſchte nicht, daß dieſe hier mein Schützling Durch irgendwie zudringlich kühne Poſſen Beleidigt, je geſtört — Rahel (die Hand an die Stirne gelegt). — Ich kann nicht gehn. König (da ihr Garceran den Arm bieten will). Wozu den Arm? Laß ſie die Schweſter führen. Du, alter Mann, bewahre deine Tochter, Die Welt iſt arg, ſo hüte deinen Schatz. (Rahel und die Ihrigen, von Garteran begleitet, ab.)
Erſter Aufzug. 189
König
(ihnen nachſehend). Sie wankt noch immer. All ihr ganzes Weſen Ein Meer von Angſt in ſtets erneuten Wellen.
(Den einen Fuß beſehend.)
Hielt ſie den Fuß mir doch ſo eng umklammert, Daß er faſt ſchmerzt — Im Grunde wunderlich, Ein feiger Mann, er wird mit Recht verachtet, Und dieß Geſchlecht iſt ſtark erſt, wenn es ſchwach. Oh, Almirante, was ſagt Ihr dazu?
Manrigury. Ich denke, hoher Herr, daß meinen Sohn Ihr eben jetzt ſo fein, als ſtreng beſtraft. König. Beſtraft? Manriquez. Als Hüter ihn beſtellend dieſem Pöbel. König. Die Strafe, Freund, iſt, denk ich, nicht ſo hart. Ich ſelbſt hab' nie nach Weibern viel gefragt. (Auf das Gefolge zeigend.) Doch dieſe Herrn ſind etwa andrer Meinung. Nun aber fort mit dieſen wirren Bildern! Laßt uns zur Tafel, mich verlangt nach Stärkung, Und bei dem erſten Trunk am feſtlich frohen Tag Gedenk' ein Jeder deß — woran er denken mag. Hier iſt kein Rang! Nur zu! Voraus! Voran! (Indem die Hofleute ſich zu beiden Seiten ordnen und der König mitten durch ſie abgeht, fällt der Vorhang.)
— —
Ein Theil des Gartens. Kurzes Theater. Nechts ein Gartenhaus mit einem Balkon und einer Thüre, zu der mehrere Stufen emporführen.
Garceran zur Thüre heraustretend.
Garceran. So rett' ich mich denn etwa vor der Hand. Das Mädchen, ſie iſt ſchön und eine Närrin, Und da die liebe Thorheit iſt 'ne Thörin, Gefährlicher als ſelbſt die ſchlauſte nicht. Zudem thut's noth, daß meinen guten Ruf Und meine Leidenſchaft ſür Donna Clara — Die ſchweigſamſte von allen, die je ſchwiegen — Ich neu zu Ehren bringe, da's noch Zeit; Entfliehen der Gefahr nennt Sieg der Kluge.
Ein Knappe des Königs lommt.
Knappe. Herr Garceran! Garceran. Ah, Robert, und was ſoll's?
Knappe. Der König, Herr, befahl mir, nachzuſehn, Ob Ihr noch hier mit Eurer Pflegbefohl'nen. Garceran. j Ob wir noch hier? Befahl er doch — Ah, Freund, Du ſollteſt nachſehn, ob ich etwa oben? Sag' nur, das Mädchen ſei im Gartenhaus Und ich hier außen. Das wird ihm genügen. Knappe. Hier ſind Sie ſelbſt. Garceran. Ah, Majeſtät! Der König kommt in den Mantel gehüllt, der Knappe geht. König. Nun, Freund, Noch immer hier? Garceran. Habt Ihr doch ſelbſt befohlen, Daß erſt beim Anbruch von des Abends Dunkel — König. Ja wohl, ja wohl! Doch reifer Ueberlegung Scheint beſſer, daß ihr reist bei Tageslicht — Du giltſt für kühn. Garceran. So glaubt Ihr, hoher Herr — König. Ich glaube, daß du ehrſt des Königs Wort, Der, was er ſchützte, unbeläſtigt wünſcht. Allein Gewohnheit iſt des Menſchen Meiſter,
192 Die Jüdin von Toledo.
Und unſer Wille will oft, weil er muß. Drum geht nur jetzt. Was aber treibt dein Schützling? Garceran. Zum Anfang war ein Weinen ohne Maß, Allein die Zeit bringt Troſt, pflegt man zu fagen; So war's auch hier. Vorbei der erſte Schreck, Fand Munterkeit, ja Scherz ſich wieder ein. Man ſah nun erſt das ſchimmernde Gerätb, Die Seide der Tapeten ward bewundert, Des Vorhangs Stoff nach Ellen abgeſchätzt, Man hat ſich eingerichtet und iſt ruhig. König. Und ſcheint ſie ſich zu ſehnen nach der Heimath? Garceran. Beinah, und manchmal wieder ſcheint es, nein. Doch leichter Sinn grämt ſich nicht gern voraus. König. Du haſt doch nicht verſäumt, der Worte Köder Nach ihr auch auszuwerfen nach Gewohnheit? Wie nahm ſie's auf? Garceran. Nu, Herr, nicht eben ſchlimm. König. Du lügſt. — Im Grunde biſt du glücklich, Menſch! Schwebſt wie ein Vogel durch die heitern Lüfte, Und ſenkſt dich nieder, wo die Beere lockt, Und weißt zu finden dich beim erſten Blick. Ich bin ein König und mein Wort erſchreckt, Doch wär ich ſelbſt erſchrocken, ſtünd' ich irgend Genüber einem Weib zum erſtenmal.
Zweiter Aufzug. 193
Wie fängſt du's an? Belehre mich ein wenig, Ich bin ein Neuling in dergleichen Dingen, Nicht beſſer als ein groß gewachſnes Kind. Da wird geſeufzt? Garceran. Pfui, Herr, das wär' veraltet! König.
Nun denn geblickt! Und Junker Gänſrich ſchaut, Bis Dame Gänschen wieder ſchaut. Nicht ſo? Dann nimmſt du wohl die Laute gar zur Hand, Genüber dem Balkon, wie etwa hier, Und ſingſt ein krächzend Lied, wozu der Mond, Ein bleicher Kuppler, durch die Bäume funkelt, Und Blumenkelche duften ſüßen Rauſch, Bis nun der günſt'ge Augenblick erſcheint, Der Vater, Bruder — oder Gatte gar Das Haus verläßt auf etwa gleichen Pfaden, Und nun die Zofe winkt ihr leiſes: pſt! Da trittſt du ein, und eine warme Hand Ergreift die deine, führt dich durch die Gänge, Die dunkel wie das Grab und endlos gleitend Den Wunſch erhöhn, bis endlich Ambraduft Und bleicher Schimmer durch die Ritzen dringend Bezeichnen, daß erreicht das holde Ziel. — Die Thür geht auf, und hell im Kerzenſchimmer, Auf dunkeln Sammt die Glieder hingegoſſen, Den weißen Arm umkreiſt von Perlenſchnüren, Lehnt weichgeſenkten Hauptes die Erſehnte, Die goldnen Locken — nein, ich ſage, ſchwarz! — Des Hauptes Rabenhaar und ſo dann weiter. Du ſiehſt, ich bin gelehrig, Garceran, Und da gilt gleich denn: Chriſtin, Maurin — Jüdin.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 13
. | 194 Die Jüdin von Toledo.
Garceran.
Auf Maurinnen ſind Streiter wir der Gränze 12 Zu Recht verwieſen, doch die Jüdin, Herr — *
König. Spiel' etwa du den Koſtverächter doch! Ich wette, wenn das Mädchen dir dort oben Nur einen Blick gegönnt, du wäreſt Flamme, | Ich ſelber lieb' es nicht, dieß Volk, doch weiß ich, 1 Was ſie verunziert, es iſt unſer Werk; | Wir lähmen fie, und grollen, wenn fie hinken. Zudem ift etwas Großes, Garceran, In dieſem Stamm von unftät flücht'gen Hirten: Wir andern ſind von heut, ſie aber reichen Bis an der Schöpfung Wiege, wo die Gottheit Noch Menſchen gleich in Paradieſen ging, Wo Cherubim zu Gaſt bei Patriarchen, Und Richter war und Recht der ein'ge Gott. Sammt all der Märchenwelt, die Wahrheit auch Von Kain und Abel, von Rebekka's Klugheit, Von Jakob, der um Rahel dienend freite — Wie heißt das Mädchen?
Garceran. Herr, ich weiß nicht.
König.
Von Ahasverus, der den Herrſcherſtab Ausſtreckte über Eſther, die, ſein Weib Und ſelber Jüdin, Schutzgott war den Ihren. | So Chriſt als Muſelmann führt feinen Stammbaum = Hinauf zu dieſem Volk als ältſtem, erſtem, * So daß ſie uns bezweifeln, wir nicht ſie. a
Zweiter Aufzug. 195
Und hat es Eſau gleich ſein Recht verſcherzt, Wir kreuz'gen täglich zehenmal den Herrn Durch unſre Sünden, unſre Miſſethaten, Und jene haben's einmal nur gethan. Nun aber laß uns gehn! Vielmehr bleib du! Geleite ſie und merke dir ihr Haus. Vielleicht einmal, wenn müde Sorgen drücken, Beſuch' ich ſie und freu' mich ihres Danks. (Im Begriffe zu gehn, hört er Geräuſch im Haufe und bleibt ſiehen.) Was iſt?
Garceran.
Geräuſch im Haus. Scheint's doch beinah, Sie ſtrafen Lügen dein geſpendet Lob Und ſtreiten unter ſich. König (aufs Haus zugehend). Was gibt's zu ſtreiten?
Iſaak kommt aus dem Gartenhauſe.
3faak (zurädjpredend). Nun denn, ſo bleibt und jpielt um euer Haupt! Schon einmal ging's euch nah. Ich rette mich. König. Frag', was es gibt. Garceran. ö Was ſoll es, guter Mann? 3 ſa ak (iu Garceran). Ah, Ihr ſeid's, hoher Herr, der uns beſchirmt. Mein Rachelchen, ſie ſpricht gar viel von Euch, Sie hat Euch lieb.
196 Die Jüdin von Toledo.
König. Zur Sache! Was Geſchwätz — Sſaak. Wer iſt der Herr? Garceran. Gleichviel. Du aber rede, Was iſt der Anlaß des Gelärms dort oben?
S ſaak (zum Fenſter hinaufſprechend). Nun ja, es wird auch kommen. Wartet nur. (Zu Garccron.) ‘br ſelber habt geſehn mein Rachelchen, Wie ſie geweint, geſtöhnt, die Brüſte ſchlug Halb ſinnverwirrt. Ei ja doch, Herr, mein Leben! Kaum wußte ſie vorüber die Gefahr, Da kam zurück der alte Uebermuth. Sie lachte, tanzte, ſang, halb toll von Neuem, Sie rückte das Geräth, das heilig iſt Bewacht von Tod, und poltert — wie ihr hört. Trägt ſie am Gürtel nicht ein Schlüſſelbund? Nun, das verſucht ſie, Herr, an allen Schränken, Die längs den Wänden ſtehn, und öffnet ſie: Da hängen nun Gewänder aller Art: Der Bettler bei dem König, Engel, Teufel In bunter Reih' — König (halb laut zu Garceran). Vom letzten Faſtnachtſpiel. Sſaak. Da wählt ſie eine Krone ſich heraus Mit Federſchmuck, — nicht Gold, vergüldet Blech,
Zweiter Aufzug. 197
Man kennt es am Gewicht, gilt zwanzig Heller — Legt ſich ein ſchleppend Kleid um ihre Schultern, Und ſagt, ſie ſei die Königin. (Zurüdipredend.) Ja, Thörin!
Zuletzt — im Nebenzimmer hängt ein Bild Des Königs, unſers Herrn, den Gott erhalte! Das nimmt fie von der Wand, und trägt's herum, Nennt es Gemahl, ſpricht's an mit ſüßen Worten Und drückt's an ihre Bruſt.
(Der König geht mit ſtarken Schritten auf das Haus zu.)
Garreran. Mein hoher Herr! S ſaak (zurückweichend). Weh mir! König (auf den Stufen ſtehend mit ruhiger Stimme). Den Scherz ſäh' gern ich in der Nähe, Zudem rückt eurer Heimkehr Zeit heran. — Ich wünſchte nicht verſäumt die günſt'ge Stunde. Du Alter aber komm! Denn nicht allein, Nicht unbewacht will nah'n ich deinen Kindern. (Er geht ins Haus.)
3faak. War das der König? Weh! Garceran. Geh nur hinein!
S ſaak. Zieht er ſein Schwert, ſind alle wir gerichtet!
198 | Die Jüdin von Toledo.
Garctran.
Geh immer nur! Und was die Furcht betrifft, Nicht deine Tochter iſt's, noch du, für die ich fürchte. (Er ſtößt den Zögernden zur Thür hinein und folgt. Beide ab.)
Saal in dem Gartenhaus; im Hintergrund nach links eine Thüre, im Vordergrund rechts eine zweite.
Rahel, eine Federkrone auf dem Kopf und einen goidgefidten Mantel um die Schultern, iſt bemüht, einen Lehnſtuhl aus dem Seitengemache rechts herauszuſchleppen. Eſther iſt durch den Haupteingang einge⸗
treten. Rahel. Hier ſoll der Lehnſtuhl her, hier in der Mitte. Eſther.
Um Gottes Willen, Rahel, ſieh dich vor! Dein Muthwill' wird uns noch ins Unglück ſtürzen.
Rahel. Der König hat das Haus uns eingeräumt, So lang' wir es bewohnen, iſt's das unſre. (Sie haben den Stuhl in die Mitte gerückt.) Rahel (ih beſehend).
Und meine Schleppe, nicht wahr? fteht mir gut. Und dieſe Federn nicken, wenn ich nide. Nun fehlt noch eins — und — warte nur, ich hol es.
(Sie geht in die Seitenthür zurück.)
Eſther. O wären wir nur weit, nur erſt zu Hauſe! Der Vater auch bleibt fern, den ſie vertrieb.
— „
Zweiter Aufzug. ' 199
Rahel (kommt zurück mit einem Bild ohne Rahmen). Hier iſt des Königs Bild gelöſt vom Rahmen, Das nehm ich mit. Eſther. Treibt wieder dich die Thorheit?
Wie oſt nicht warnt' ich dich?
Uahel. Und hab' ich dir gehorcht? Eſther.
Beim Himmel, nein!
Rahel.
Und werd's auch dießmal nicht. Das Bild gefällt mir, ſieh, es iſt ſo ſchön. Ich häng' es in der Stube nächſt zum Bette. Des Morgens und des Abends blick' ich's an, Und denke mir — was man nun eben denkt, Wenn man der Kleider Laſt von ſich geſchüttelt, Und frei ſich ſühlt von jedem läſt'gen Druck. Doch daß ſie meinen nicht, ich ſtehl' es etwa, — Bin ich doch reich und brauche Stehlens nicht — Du trägſt mein eigen Bild an deinem Hals, Das hängen wir an dieſes andern Stelle. Das mag er anſehn, ſo wie ſeines ich, Und mein gedenken, hätt' er mich vergeſſen. Rück' mir den Schemel her, ich bin die Königin Und dieſen König heft' ich an den Stuhl. Die Hexen, ſagt man, die zur Liebe zwingen, Sie bohren Nadeln, ſo, in Wachsgebilde, Und jeder Stich dringt bis zum Herzen ein, Und hemmt und fördert wahr geſchaffnes Leben.
200 Die Jüdin von Toledo.
(Sie befefigt das Bild an die vier Ecken mit Nadeln an die Lehne des Stuhls.)
O gäbe jeder dieſer Stiche Blut,
Ich wollt' es trinken mit den durſt'gen Lippen,
Und mich erfreun am Unheil, das ich ſchuf.
Nun hängt es da, und iſt ſo ſchön als ſtumm;
Ich aber red' ihn an als Königin n
Mit Mantel und mit Krone, die mich kleiden.
(Sie hat ſich auf den Schemel geſetzt und ſitzt vor dem Bilde.)
Ihr ehrvergeſſner Mann, ſtellt Euch nur fromm,
Ich kenne dennoch jeden Eurer Schliche;
Die Jüdin, ſie gefiel Euch, läugnet's nur,
Und ſie iſt ſchön, bei meinem hohen Wort,
Nur mit mir ſelber etwa zu vergleichen.
Der König, von Garceran und Iſaak gefolgt, iſt gekommen und hat ſich hinter den Stuhl geſtellt, die Arme auf die Rüdlehne gelegt, fie betrachtend, Rahel fortfahrend.
Rahel. Ich, Eure Königin nun, duld' es nicht, Denn eiferſüchtig bin ich, wie ein Wieſel. Ob Ihr nun ſchweigt, das mehrt nur Eure Schuld. Geſteht! Gefiel ſie Euch? Sagt ja! König. Nun ja!
(Rahel fährt zuſammen, blickt nach dem Bilde, dann aufwärts, erkennt den König und bleibt regungslos auf dem Schemel.) König (vortretend).
Erſchreckt dich das? Du wollteſt's und ich ſag's. Ermanne dich, du biſt in Freundes Händen. (Er ſtreckt die Hand nach ihr aus, fie fährt vom Schemel empor und
flieht nach der Thür rechts, wo fle tiefarhmend und mit geſenliem Haupt fieben bleibt.)
Zweiter Aufzug. 201
König.
Eſther. Nicht immer, gnäd'ger Herr! Und ſcheu nicht, ſchreckhaft nur. König. Bin ich ſo gräulich? (Sich ihr nähernd.) Rahel (ſchüͤttelt heftig mit dem Kopfe). König. Nun denn, ſo faſſe dich, mein gutes Kind. Ja, du gefielſt mir, ſag' ich noch einmal, Und kehr' ich heim aus dieſem heil'gen Krieg, In den mich Ehre ruft und meine Pflicht, Frag' in Toledo ich vielleicht nach dir. Wo wohnt Ihr dort? Sſaak (ihnen). Herr, in der Judenſtraße In Ben Mathae's Haus. Eſther. Wenn man nicht früher Uns etwa ſchon vertrieb. N König. Dafür mein Wort; Ich weiß zu ſchützen, wem ich Schutz gelobt. Und wenn du dort auch ſo geſprächig biſt Und gut gelaunt, wie früher mit den Deinen, Nicht ſcheu, wie jetzt, verplaudr' ich wohl ein Stündchen, Und hole Athem aus dem Qualm des Hofs.
202 N Die Jüdin von Toledo.
Nun aber geht, denn es iſt hohe Zeit. Du, Garceran, begleite ſie; doch erſt noch Häng' dieſes Tild zurück an feine Stelle. Aahel (auf den Stuhl losſtürzend). Das Bild iſt mein. König. Was kommt dir bei? Zurück zum Rahmen ſoll's, aus dem du's nahmſt. Rahel bu Garceran). Berühr' die Nadeln nicht, noch dieſes Bild, Sonſt feſtig' ich's mit einem tiefern Stich, (mit einer Nadel nach dem Bilde fahrend)
Siehſt du? gerad ins Herz.
König.
Halt ein! Beim Himmel!
Haft du mich faſt erſchreckt. Wer biſt du, Mädchen? Uebſt du geheime Künſte, die Verbrechen? War's doch, als fühlt' ich in der eignen Bruſt Den Stich nach jenem Bild.
Eſther.
Mein hoher Herr,
Sie iſt nur ein, verwöhnt, verwildert Mädchen Und weiß von unerlaubten Künſten nichts, Es kam ihr ein, und alſo that ſie's eben.
König. Man ſoll mit derlei aber keck nicht ſpielen. Es trieb bis zu den Augen mir das Blut, Und wie im wirren Licht ſeh' ich die Dinge.
(zu Garceran)
Iſt ſie nicht ſchön?
Zweiter Aufzug. 203
Garceran. Sie iſt's, mein Herr und König. König. Und wie das wogt und wallt und glüht und prangt. (Rahel hat unterdeſſen das Bild abgenommen und zuſammengerollt.)
König. .
Du willſt das Bild denn durchaus nicht entbehren? Rahel du Eftber).
Ich nehm' es mit.
König.
Nun denn in Gottes Namen. Er wird's verhüten, wenn ein Unheil droht. Nur eilig fort. Nimm, Garceran, Den Weg, der rückwärts durch den Garten führt. Das Volk iſt aufgeregt; es liebt, als ſchwach, Die Schwäche gern zu prüfen an dem Schwächern. | Garceran (am Fenſter).
Doch ſeht, o Herr, es naht der ganze Hof, Die Königin an des Geleites Spitze.
König. Hierher? Verwünſcht! Iſt hier kein andrer Ausgang? Mich widern an die Deutungen des Schwarms.
Garceran (auf die Scitenthür zeigend).
Vielleicht in dieß Gemach.
König.
Was fällt dir ein?
Soll ich verbergen mich vor meinen Dienern? Und doch fürcht' ich den Schmerz der Königin, Sie könnte glauben, — was ich ſelber glaube.
204 Die Jüdin von Toledo.
Ich rette denn die wirre Majeſtät. Sieh zu, daß du baldmöglich ſie entferneſt. (Er geht in das Scitengemach.) | Eſther. Ich ſagt' es ja: es iſt der Weg des Unglücks.
Die Königin, von Manriquez und Mehreren begleitet, tritt ein. Königin. Es ward geſagt, der König fei hier oben. Barreran. Er war, doch ging er fort. Königin. Und hier die Jüdin. Manriquez. Geſchmückt, dem losgelaſſnen Wahnſinn gleich, Mit all dem Flitterſtaat des Puppenſpiels. Leg' ab die Krone, die dir nicht geziemt, Selbſt nicht im Scherz; den Mantel von der Schulter! (Efiher hat ihr beides abgenommen.)
Was hält ſie in der Hand? Rahel. Es iſt mein eigen. Manrique. Das wollen wir erſt ſehn. Eſther. Wir ſind ſo arm nicht, Daß wir nach fremdem Werth die Hände ſtreckten. Manrique; (auf die Seitenthür zugehend). Auch dort in jenen Zimmern forſcht man erft,
Zweiter Aufzug. 205
Ob nichts abhanden, ob die Habſucht nicht Sich mit der Frechheit, ſo wie hier, verbunden. Garceran (ihm in den Weg tretend). Hier, Vater, ruf ich: Halt! Manrigqutz. Kennſt du mich nicht? Garceran. So Euch als mich. Doch gibt es, wißt Ihr, Pflichten, Die ſelbſt dem Vaterrecht die Wage halten. Manriquez. Sieb mir ins Aug'! Er kann es nicht ertragen. So raubt mir denn zwei Söhne dieſer Tag. N (Zur Königin.) Wollt Ihr nicht gehn? Königin. Ich möchte, doch ich kann nicht. Vielmehr ich kann, beim Himmel, denn ich muß. (Zu Garceran.) Ziemt Euer Amt gleich einem Ritter nicht, Doch dank' ich Euch, daß Ihr es treulich übt. Zu ſehen, wäre Tod — doch leiden kann ich, Und trefft Ihr Euren Herrn vor Abend noch, Sagt ihm, daß rück ich nach Toledo ging — allein! (Die Königin und ie Gefolge ab.) Garceran. So mußte mich das Unglück dieſen Tag, Grade heut vom Heere heimwärts führen. (Rahel zu Eſther, die ſich mit ihr beſchäftigt.) Rahel. Ich wäre nicht gewichen, gält's den Tod.
206 Die Jüdin von Zolcdo.
Eſther bu Garceran). Nun aber bringt uns fort, wir bitten euch. Garteran. Erſt frag' ich noch den König, was ſein Wille. (An die Seitenthüre pochend.) Mein hoher Herr! — Wie nur? Kein Zeichen? — Sollte Ein Unfall? — Wie denn immer auch — ich öffne.
Der König tritt heraus und bleibt im Vordergrunde Reben, indeß die Andern ſich zurückziehen.
König. So iſt die Ehre und der Ruf der Welt Kein eb'ner Weg, auf dem der ſchlichte Gang Die Richtung und das Ziel den Werth beſtimmt: Ift's nur des Gauklers ausgeſpanntes Seil, Auf dem ein Fehltritt von der Höhe ſtürzt, Und jedes Straucheln preisgibt dem Gelächter? Muß ich, noch geſtern Vorbild aller Zucht, Mich heute ſcheu'n vor jedes Dieners Blicken? Drum fort mit dir, du Buhler um die Gunſt, Beſtimmen wir uns ſelber unſre Pfade. (Sich umwendend.) Wie, ihr noch hier? Barceran. Wir harren des Befehls. König. Hätt'ſt du doch immer des Befehls geharrt Und wärſt geblieben an der fernen Grenze. Anſteckend iſt dein Beiſpiel, Garceran.
Garceran. Gerechte Fürſten ſtraſen jeden Fehl,
Zweiter Aufzug. 207
Den eignen ſelbſt. Allein, da ſelber ſtraflos, Trifft and're gern das Zürnen ihrer Bruſt. König. Ich bin kein folder, Garceran. Sei ruhig! Wir bleiben dir wie früher zugethan. Doch nun bring' dieſe fort, und zwar auf immer. Was Andern Laune, iſt beim Fürſten Schuld. (Da Rahel ſich ihm nähert.) Laß nur! Doch dieſes Bild leg' erſt noch ab, Stell' es zurück, von wo es ward genommen. Ich will's; drum zögre nicht. Rahel u Eſther). So komm du mit. (Indem ſich beide der Seitenthüre nähern.) Trägſt du mein eigen Bild wie ſonſt am Halſe? Eſther. Was willſt du? Rahel. Meinen Willen. Gält's das Schlimmſte. (Sie gehen in die Seitenthüre.) König. Dann kehr' zur Grenze, wohin nächſt ich folge. Wir wollen in der Mauren Blut die Schmach, Die gleichgetheilte dieſes Tages waſchen, Daß wieder wir ertragen Menſchenblick. (Die Mädchen kommen zurück.) Rahel. Es iſt geſchehn. | König. Und fort nun ohne Abſchied.
208 Die Jadin von Toledo.
Eſther. Nimm unſern Dank, o Herr.
Rahel.
Den meinen nicht.
König. Nun ſo denn: ohne Dank.
Rahel.
Ich ſpar ihn auf.
König. Das heißt, auf nie.
Rahel.
Ich weiß das beſſer. (Zu Eſther.) Komm. (Sie gehen, von Garceran begleitet, wobei der Alte tiefe Verneigungen macht.)
König. Die höchſte Zeit war's, daß ſie ging, denn wahrlich, Die Langeweile eines Fürſtenhofs, Sie macht die Kurzweil manchmal zum Bedürfniß. Doch dieſes Mädchen, obgleich ſchön und reizend, Sie ſcheint verweg' ner Bruſt und heft 'gen Sinns: Da ſieht ſich denn ein Kluger billig vor. Alonſo!
Ein Diener tritt ein.
Diener.
Hober Herr. König.
Bereit' die Pferde.
Diener. Herr, nach Toledo?
Zweiter Aufzug. 209
König. Nach Alarcos, Freund.
Wir wollen an die Grenze in den Krieg, Darum bereit' das Nöthigſte nur vor. Vier Augen drohen in Toledo mir: Voll Waffer zwei, und andre zwei voll Feuer. Sie wollte ſich von meinem Bild nicht trennen, Dem Tode ſelbſt, jo ſchien es, trotzte fie, Doch braucht' es nur mein ſtreng gebietend Wort, So hing ſie's wieder an die alte Stelle. Schauſpielerkünſte waren's, weiter nichts. Doch ob ſie's auch dem Rahmen eingefügt? Da ich auf lange dieſen Ort verlaſſe, Sei alles, ſo wie früher, unverrückt. Und dieſes Vorgangs letzte Spur verſchwunden. (Er geht ins Seitengemach. Pauſe, während welcer der Diener die von Rahel abgelegten Kleider vom Stuble aufnimmt und über den Arm bangt. die Arone aber in der Hand halt. — Der König kommt td,
Nabels Bild Haltend.)
König. Mein Bildniß fort und dieß an ſeiner Stelle — Ihr eignes iſt's; es brennt in meiner Hand. (Tas Bild auf den Boden ſchleudernd.)
Fort mit dir, fort! Geht fo weit denn die Frechheit? Das darf nicht ſein! Indeß ich ihrer ſelbſt Nur mit gerechtem Widerwillen denke, Schürt ſie, gemalt, mir Glut in meine Bruſt. Und dann mein eigen Bild in ihren Händen! Man ſpricht von magiſch unerlaubten Künſten, Die dieſes Volk mit derlei Zeichen übt, Und etwas, wie von Zauber, kommt mich an.
Griliparzer, mtl Berte. Nil. 14
210 Die Jüdin von Toledo.
(Zum Diener.) Nimm dieß vom Boden auf und eile ſpornſtreichs, Bis du ſie einholſt. | Diener. Wen, Gebieter? König. Wen? Nun eben Garceran und jene Beiden, Stell dieß zurück dem Mädchen und begehre —
Diener. Was, hoher Herr? König. Soll ich die eignen Diener Zu Mitbewußten machen meiner Scham? Ich will nur ſelbſt den Tauſch, wär's Noth, erzwingen. Nimm auf das Bild! — Ich ſelbſt berühr' es nicht. (Der Diener hat das Bild aufgehoben.) König. Wie ungeſchickt! Birg's nur an deiner Bruſt; Doch wär' es dort erwärmt von fremder Wärme: Gib her, ich nehm' es ſelbſt, und folge mir, Wir holen ſie noch ein. Bedenk ich's recht, So kann, da einmal rege der Verdacht, Ein Unfall ſie betreffen, ja Gewaltthat, Da ſchützt zumeiſt mein eigenes Geleit. Du aber folge mir. (Er hat das Bild angeblidt und dann in den Bufen gefledt.) Iſt dort nicht ſeitwärts ö Das Schloß Retiro, wo mein Ahn, Don Sancho, Mit einer Maurin, aller Welt verborgen —?
—
|
Diener. So iſt's, erlauchter Herr.
König.
Wir wollen unfre Ahnen Nachahmen in der Tapferkeit, dem Werth, Und nicht in ihrer Schwäche niederm Straucheln. Vor allem gilt es, ſich erobern ſelbſt — Und dann entgegen feindlichen Erobrern. Retiro heißt das Schloß? — Was wollt' ich nur? Ja ſo, nur fort! Und ſei verſchwiegen. Zwar Du weißt ja nicht. Um ſo viel beſſer. Komm! (Mit dem Diener ab.)
Der Vorhang fällt.
211
Dritter Aufzug.
Garten im königlichen Luſtſchloß; im Hintergrund fließt der Tajo, nach vorn auf der rechten Seite eine geräumige Laube.
Links in einer Reihe mehrere Bittſteller, Geſuche in der Hand; Iſaak ſieht bei ihnen.
3 ſaak. Es ward euch ſchon geſagt, hier weilt man nicht, Hier geht demnächſt luſtwandeln meine Tochter, Und er mit ihr, er ſelbſt; ich ſag' nicht wer, Erzittert denn und geht, und eure Schriften Tragt zu des Königs Räthen nach Toledo. (Er nimmt dem Einen ſeine Schrift ab.) Laß ſehn. — Unſtatthaft, fort. Bittſtel ler. Ihr haltet's ja verkehrt. a Ifaak. Weil eben auch verkehrt die ganze Bitte Und ſo auch ihr. Stört hier nicht länger, fort. Zweiter Sittſteller. Herr Iſaak, hört! Ihr kennt mich von Toledo.
„N
Tritter Aufzug. 213
S ſaa k. Ich kenn Euch nicht. In dieſer letzten Zeit Sind fühlbar ſchwach geworden meine Augen.
Zweiter Sittſteller.
Nun ſo kenn' ich denn Euch, und dieſen Beutel, Den ihr verlort, ich ſtell' ihn Euch zurück.
3faak. Den ich verlor? O, ich erfenn’ ihn wieder, Von grüner Seide, zehn Piaſter drin.
Zweiter Sittſteller. Herr, zwanzig. S ſa ak. Zwanzig? Nun mein Aug' iſt gut,
Nur mein Gedächtniß wird mitunter ſchwach. Und dieſes Blatt enthält wohl die Erklärung Des ganzen Vorfalls, wo du fandſt und wie. Die Meldung an die hohe Obrigkeit Iſt nicht mehr nöthig, aber gib nur, gib. Beſtellen wollen wir's an ſeinem Ort, Daß ruchbar dein Geruch von Ehrlichkeit. (Die Vittſteller halten ihre Geſuche hin, er ergreift mit jeder Hand
eine Schrift und wirft fie zu Boden.) Was es auch immer ſei, hier eure Antwort.
(Zu einem Dritten.)
Du trägſt hier einen Ring an deiner Hand, Der Stein iſt gut, laß ſehn.
(Der Bittſteller gibt ihm den Ring.)
| Ein Faden zwar Entſtellt den reinen Glanz. Da nimm ihn wieder.
(Er ſteckt ihn an den eignen Finger.)
214 Die Jüdin von Toledo.
ritter Sittſteller. Ihr ſtecktet ihn an Eure Hand! S ſaak. An meine? Wahrhaftig ja, ich dacht', ich gab ihn dir. Er iſt ſo eng, ich mart're mich umſonſt. ritter Sittſteller. Behaltet ihn, doch nehmt auch dieſe Schrift. S ſaak (ſich mit dem Ning beſchäftigend). Ich nehme beides denn, dir zum Gedächtniß. Der König ſoll den Ring, vielmehr die Schrift Erwägen, trotz dem Faden im Geſuch — Dem Faden in dem Steine — wollt' ich ſagen. Nun aber alle fort — Iſt hier kein Stock? Muß ich mich mit dem Chriſtenpöbel plagen?
Gareeran iſt währenddem eingetreten.
Garceran. Glückauf, Ihr ſitzt im Rohr, und ſtimmt die Pfeifen, Die Ihr Euch ſchneidet, find' ich, etwas hoch.
3 ſaak.
Mir iſt des Ortes Heimlichkeit vertraut, Der König iſt nicht hier, er will nicht hier ſein. Und wer ihn ſtört — ſelbſt Ihr, Herr Garceran, Ich muß Euch heißen gehn, es iſt nicht anders.
Garctran. Ihr ſuchtet früher nur nach einem Stock; Wenn Ihr ihn findet, bringt ihn mir. Er ziemt, Scheint's, Eurem Rücken mehr, als Eurer Hand.
!
Sſaak. Nun braust Ihr auf. So ſeid ihr Chriſten alle, Nur immer grade zu. Allein die Klugheit, | Die Vorſicht, das geſchmeid'ge Warten fehlt. Der König unterhält ſich gern mit mir.
Garceran.
Langweiligkeit wird ſelbſt zur Unterhaltung,
Wenn Langeweile vor ſich ſelber flieht.
S ſaak. Er ſpricht mit mir von Staat und Geldeswerth.
| Garceran. So rührt von Euch vielleicht die neue Ordnung, Nach der ein Dreier nur zwei Groſchen gilt?
S ſaak.
Geld, Freund, iſt aller Dinge Hintergrund. Es droht der Feind, da kauft Ihr Waffen Euch, Der Söldner dient für Sold, und Sold iſt Geld. Ihr eßt das Geld, Ihr trinkt's, denn was Ihr eßt, Es iſt gekauft, und Kauf iſt Geld, ſonſt nichts. Die Zeit wird kommen, Freund, wo jeder Menſch Ein Wechſelbrief, geſtellt auf kurze Sicht. Ich bin des Königs Rath. Wenn Ihr nun ſelber Einträchtig wolltet gehn mit Iſaaks Glück —
Garteran. Einträchtig ich mit Euch? Es iſt mein Fluch, Daß mich der Zufall und der leid'ge Anſchein Gemengt in dieſer Thorheit wüſtes Treiben,
Das Pflicht und Eid auf harte Proben ſtellt.
3ſaak. Mein Rachelchen ſteigt täglich in der Gunſt.
216 Die Jüdin von Toledo.
Garceran.
O daß doch dieſer König feine Jugend, Der Knabenjahre haſt'gen Ungeſtüm, In Spiel und Tand, wie Mancher ſonſt, verlebt! Allein als Kind von Männern nur umgeben, Von Männern großgezogen und gepflegt, Genährt vorzeitig mit der Weisheit Früchten, Selbſt ſeine Ehe treibend als Geſchäft, Kommt ihm zum erſtenmal das Weib entgegen, Das Weib als ſolches, nichts als ihr Geſchlecht, Und rächt die Thorheit an der Weisheit Zögling. Das edle Weib iſt halb ein Mann, ja ganz; Erſt ihre Fehler machen ſie zu Weibern. Und nun iſt auch der Widerſtand beſiegt, Den die Erfahrung leiht dem oft Getäuſchten; Zum bittern Ernſt wird ihm das loſe Spiel.
Doch ſoll's nicht länger währen, ſag' ich Euch. Der Feind ſteht an den Grenzen, und der König Gehört zu ſeinem Heer, ich führ' ihn hin, Und Euer Blendwerk fällt zurück ins Nichts.
3faak. Verſucht's, ob's Euch gelingt. Wenn nicht mit uns, So ſeid Ihr gegen uns. Ihr brecht den Hals, Wenn Ihr den weiten Abgrund überſpringt. (Mufit von Flöten ertönt.)
Hört Ihr, da kommen ſie mit Cymbeln und Poſaunen, Wie Ahasverus mit dem Weibe Eſther, Die unſer Volk zu Glanz und Ruhm erhöht. Garceran. Muß ich in dieſes Königs üpp'gem Treiben
Mein eignes Bild aus früh' rer Zeit erſpähn, Und mich in ihm, in mir mich ſeiner ſchämen?
Ein Schiff. auf dem der König mit Rahel und Gefolge, erſcheint auf dem Fluſſe und legt an.
König. Legt an! Hier iſt der Platz und hier die Laube. Rahel. Der Nachen ſchüttert. Haltet ein, ich falle. (Der König iſt ans Land geſprungen.) Rahel. Und bier auf dieſem Brett, das ſchwank und fchräg, Soll ich ans Ufer? König. Hier nimm meine Hand. Rahel. Nein, nein, mir ſchwindelt. Garceran dor fig). Schwindelt's dir, fürwahr? König (der ſie ans Land geleitet). Nun iſt's geſchehn, das übergroße Werk. Rahel. | Nein, nie betret’ ich, nimmermehr ein Schiff. N (Des Königs Arm ergreifend.) Erlaubt, mein hoher Herr. Ich bin ſo ſchwach, Und fühlt mein Herz, es ſchlägt, als wär's im Fieber. König. Die Furcht iſt Weiberrecht. Doch Ihr mißbraucht's.
218 Die Jüdin von Toledo.
Rahel. Und nun entzieht Ihr mir hartherzig Eure Stütze, Auch dieſes Gartens Gänge, nicht mit Sand, Mit ſcharfen Steinen ſind ſie roh beſtreut, Für Männertritt und nicht für Frauenſchritte. König. Legt einen Teppich ihr, und macht ein Ende. Rahel. Ich fühl' es wohl, ich bin Euch nur zur Laſt. O wäre meine Schweſter nur erſt hier. Denn ich bin krank und ſterbens⸗todesmatt. Nur dieſe Kiſſen hier? (Die Kiffen in der Laube heftig untereinander werfend.) Nein! nein, nein, nein! König (achend). Die Mattigkeit zum Glück läßt etwas nach.
(Garceran erblickend.) Aach, Garceran! Sieh nur, fie iſt ein Kind! Garceran. „Ein ſehr verwöhntes, ſcheint's. König. So ſind ſie alle. Es ſteht ihr wohl. Garctran. Nachdem nun der Geſchmack. König. Sieh, Garceran, ich fühle ganz mein Unrecht; Doch weiß ich auch, daß eines Winkes nur, Es eines Worts bedarf, um dieſes Trauerfpiel Zu löſen in ſein eigentliches Nichts.
Und alſo duld' ich es, weil ich's bedarf In dieſen Wirren, die ich ſelbſt verſchuldet. Wie ſteht's im Heer? Garce ran. Wie Ihr ſeit länger wißt. Die Feinde rüſten ſich. König. Wir wollen's auch. Nur noch ein Tage drei, daß dieß Getändel, Als abgethan, ich aus dem Innern weiſe,
Und zwar für immer, wenn kommt Zeit und Rath.
Garceran. Der Rath vielleicht, allein die Zeit entflieht. König. Wir holen ſie mit Thaten wohl noch ein. Rahel. Nun ſprechen ſie, und ach, ich weiß, wovon, Von Blut, von Krieg, von wüſter Heidenſchlacht, Und Jener dort verſchwört ſich gegen mich; Lockt ſeinen Herrn ins Lager fern von hier, Daß frei der Weg zu mir für meine Feinde. Und doch, Herr Garceran, ich hab' Euch lieb; Ibr wißt mit zarten Frauen umzugehn, Man ſpricht von Eurer Liebe kühnem Werben, Von Euren Thaten in der Minne Streit. Ihr ſeid nicht wie der König, Euer Herr, Der rauh ſelbſt in der Zärtlichkeit Begegnung, Der jedes milde Wort ſogleich bereut, Und deſſen Neigung ein verſtecktes Haſſen. Kommt her, ſetzt Euch zu mir, ich möchte ſprechen,
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220 Die Jüdin von Toledo.
Nicht einſam ſein in all' dem lauten Schwarm; Allein Ihr kommt nicht, wohl, man hält Euch ab. (Weinend.) Man gönnt mir keine Freude, keinen Troſt, Hält mich in abgeſchiedner Sklaverei. . Wär ich erft nur daheim in Vaters Haufe, Wo Alles mir zu Willen und zu Dienſt, Indeß ich hier ein Wegwurf der Verachtung. | König. Geh hin zu ihr. Garceran. So ſoll ich? König. Geh nur, geh! N Rahel. Setzt Euch zu mir, nur näher, näher, ſo. Noch einmal, Garceran, ich hab' Euch lieb. Ihr ſeid ein ächter Ritter in der That, Nicht nur dem Namen nach, wie ſie's gelernt, Die ſtolzen, eiſernen Caſtilier, Von ihren Feinden, von der Mauren Volk; Nur daß, was jene zierlich und geſchickt Als Ausdruck üben angebornen Sinns, Sie rauh und derb nachahmen, weil geborgt. Gebt mir die Hand, ſieh doch, wie iſt ſie weich, Und doch führt Ihr das Schwert, wie jene Andern. Nur ſeid Ihr heimiſch auch im Frau'ngemach, Ihr wißt, was Brauch und heitere Umgangsſitte. Hier dieſer Ring iſt wohl von Doſia Klara, Die viel zu bleich ſür wangenfriſche Liebe, Wär nicht die Farbe, die dem Antlitz fehlt,
| 221 Erſetzt durch ſtets erneutes Schamerröthen.
Doch hier ſeh' ich noch andre Ringe mehr,
Wie viel habt Ihr Geliebte? nun — geſteht.
Garceran. Wie, wenn ich Euch dieſelbe Frage ſtellte?
Rahel. Ich habe nie geliebt, doch könnt' ich lieben, Wenn ich in einer Bruſt den Wahnſinn träfe, Der mich erfüllte, wär' mein Herz berührt. Bis dahin mach ich die Gebräuche mit, Die hergebracht im Götzendienſt der Liebe, Wie man in fremden Tempeln etwa kniet.
König der während des Vorigen von vorn nach rüdwärts auf und nieder⸗ gegangen if, jetzt links im Vorgrunde zu einem der Diener gewendet halblaut). Bring meine Waffen, eine volle Rüſtung, Abſeits zum Gartenhaus und harre mein. Ich will ins Lager, wo man mein bedarf. (Diener ab.)
Rahel.
Seht Euren König nur. Er glaubt zu lieben, Und doch ſprech' ich zu Euch, drück' Euch die Hand. Ihn kümmert's nicht, und wie ein guter Hauswirth Vollbringt er den geſchäftig lauten Tag, Zufrieden, ſchließt der Abend nur die Rechnung. Geht nur, Ihr ſeid wie er und wie die Andern alle. 7 2 Wär' meine Schweſter hier, ſie iſt beſonnen Und klüger weit als ich; doch fällt der Funke Von Willen und Entſchluß in ihre Bruſt,
Dann lodert ſie in gleichen Flammen auf.
yw». a Be wm... re A | Lead | 4
G0 (zum König tretend, der Acht
u
4 (noch imm Wie mein
Erlauchter Herr!
Gare
Kehr ich zurück ins Lager zu König Das Heer verließ das Lager,
Garct Ihr hört mich nicht. Ich ſel Kon
Und wirft erzählen dort von
Garcı Wovon?
Garceran. N Beinahe. Seit Kurzem, Herr!
König. | Und weßhalb nur ſeit Kurzem? Garceran. | Man liebt doch ſonſt nur, was man achtet auch; Doch Liebe und Verachtung, hoher Herr —
König. | Verachtung wär ein viel zu hartes Wort. Nichtachtung etwa, doch bleibt's wunderbar. Garctran. Das Wunder freilich iſt ein wenig alt, Und ſtammt von jenem Tag im Paradies, Wo Gott das Weib ſchuf aus des Mannes Rippe. König. Doch ſchloß er auch die Bruſt, nachdem's geſchehn, Und gab den Eingang in die Hut des Willens. Du ſollſt zum Heer, doch nicht allein, mit mir. Rahel (ſich emporrichtend). Die Sonne ſchleicht ſich ein in mein Verſteck, Wer ſchürzt den Vorhang mir nach jener Seite? (Rechts in die Scene blickend.) Dort gehn zwei Männer, ſchwere Waffen tragend, Die Lanze paßte gut für meinen Zweck. (In die Scene rufend.) Hierher! nach hier! Hört ihr denn nicht? und ſchnell! (Der abgeſendete Diener und ein zweiter, von denen jener Helm und Lanze, der andre Schild und Bruſtharniſch des Königs tragen, kommen.) Rahel. Gebt Eure Lanze, guter Mann, und ſtoßt ſie
5
224 Die Jüdin von Toledo.
Hier mit der Spitze in den Boden ein, Damit das Dach geſtützt nach jener Seite Und breiter dann der Schatten, wie er ſoll — Macht Ihr's? — Nun gut! — Und jener Zweite, Er trägt, der Schnecke gleich, ſein eignes Haus, Wenn's nicht vielmehr das Haus für einen Andern. — Weiſ' her den Schild! — Ein Spiegel in der That! Zwar rauh, wie Alles hier, doch dient's zur Noth. (Der Schild wird ihr vorgehalten.) Man bringt das Haar in Ordnung, weist zurück, Was ſorglos ſich zuweit hervorgewagt, Und freut ſich, daß uns Gott ſo löblich ſchuf. Allein die Wölbung hier entſtellt. Hilf, Himmel! Was für gedunſ'ne Backen. Nein, mein Freund, Wir ſind zufrieden mit der eignen Fülle. — Nun noch der Helm! Zweckwidrig für den Krieg, Denn er verhüllt, was ſiegreich meiſt, die Augen; Doch wie geſchaffen für der Liebe Streit. Setzt mir den Helm aufs Haupt! — Ach, ihr verletzt mich. — Empört ſich der Geliebte und wird ſtolz, Den Helmſturz nieder! (Das Biflr herablaſſend.) Und er ſteht in Nacht. Doch wollt' er etwa gar ſich uns entziehn, Schickt nach dem Heergeräth, uns zu verlaſſen, Hinauf mit dem Viſir. | (Sie thut ez.) Es werde Licht. Die Sonne ſiegt, verſcheuchend alle Nebel. König N (auf ſie zugehend). Du albern ſpielend, thöricht⸗weiſes Kind.
Dritter Aufzug. 225
Rahel. — Gebt mir den Schild, gebt mir die Lanze; aht mir mit Gewalt. Ich ſchütze mich.
König. deine Waffen nur! Dir naht kein Arg. (Ihre beiden Hände faſſend.)
Eſther kommt von rückwärts links.
Rahel. „mein Schweſterlein! Sei mir gegrüßt! nit der Mummerei! Nur ſchnell, nur ſchnell! ißt den Kopf mir mit! Seid ihr nicht tölpiſch! (Ihr entgegeneilend.) mmen noch einmal, o Schweſter mein, ab’ ich mich geſehnt nach deiner Nähe! ringſt du mir das Armband und die Spangen, alben mir und Wohlgerüche mit, „Toledo feil und ich beſtellt?
Eſther.
inge fie zugleich mit ſchwerern Dingen, bler Nachricht, die gar böſer Schmuck. juchter Herr und Fürſt! Die Königin on Toledo's Mauern ſich entfernt, jenem Luſtſchloß, wo zum erſtenmal ſerm Unheil, Herr, wir Euch geſehn.
(Zu Garceran.) ch mit ihr ging Euer edler Vater, quez Lara, rings mit offnen Briefen idend all' des Reiches Standesherrn, 1 berathen das gemeine Beſte. ittparzer, fämmtl. Werke. VII. 15
—
226 Die Jüdin von Toledo.
Als wäre herrenlos das Königreich, Und Ihr geſtorben, der Ihr Herr und König.
König. Ich denke wohl, du träumſt.
Eſther.
Ich wache, Herr.
Vor Allem für das Leben meiner Schweſter, Die man bedroht und die zuletzt das Opfer.
Rahel. O weh mir, weh! Bat ich Euch denn nicht längſt, Zu ſcheiden, Herr, zurückzugehn an Hof, Und dort zu ſtören meiner Feinde Trachten. Allein Ihr bliebt. Seht, hier ſind Eure Waffen, Der Helm, der Schild, und dort der lange Speer, Ich ſammle ſie. — Doch ich vermag es nicht.
König du Ehen). Sorg' du für jene Thörin, die ſich zehnmal
In jedem Athemzuge widerſpricht.
Ich will an Hof; doch brauch' ich keiner Waffen; Mit offner Bruſt, mit unbewehrtem Arm
Tret' ich in meiner Unterthanen Mitte
Und frage: Wer ſich aufzulehnen wagt?
Sie ſollen wiſſen, daß ihr Herr noch lebt,
Und daß die Sonne todt nicht, wenn es Abend, Daß ſie am Morgen neu ſich ſtrahlend hebt.
Du folgſt mir, Garceran.
Garctran. Seht mich bereit. Eſther. Doch, Herr, was wild aus uns?
Dritter Aufzug. 227 Rahel. O bleibt doch, bleibt! König.
Das Schloß iſt feit, der Kaſtellan bewährt, Er wird Euch ſchützen mit dem eignen Leben. Denn fühl' ich gleich, daß ich, wie ſehr, gefehlt, Soll Niemand drunter leiden, der, vertrauend Auf meinen Schutz, ſo Schutz als Fehl getheilt. Komm, Garceran! Vielmehr geh du voraus; Denn fänd' ich jene Stände noch verſammelt, Von mir berufen nicht und nicht berechtigt, So müßt ich ſtrafen, und das will ich nicht. Drum heiß' ſie ſchnell nur auseinandergehn. Und deinem Vater ſag': War er mein Schützer Und mein Vertreter in der Knabenzeit, So weiß ich ſelber nun mein Recht zu ſchützen, Auch gegen ihn und gegen Jedermann. Komm nur! Und ihr lebt wohl!
Rahel
(ſich ihm nähernd). Erlauchter Herr!
König. Laß jetzt! Ich brauche Kraft und feſten Willen, Und möchte nicht im Abſchied mich erweichen. Ihr hört von mir, wenn ich mein Amt geübt; In welcher Art, und was die Zukunft bringt, Hüllt Dunkel noch und Nacht. Für jeden Fall
Setz' ich mein Wort an euern Schirm und Schutz.
Komm, Garceran! Mit Gott! Er ſei mit euch! (Der König und Garceran nach der linken Seite ab.)
228 Die Jüdin von Toledo.
Rahel. Er liebt mich nicht, ich hab' es längſt gewußt.
Eſther. O Schweſter! nutzlos iſt das ſpäte Wiſſen, Das kommt, wenn uns der Schade ſchon belehrt. Ich warnte dich, du haſt mich nicht gehört. Rahel. Er war ſo heiß und feurig im Beginn.
Eſther. Nun gleicht er kühl die Uebereilung aus.
Rahel. Was aber wird aus mir, die ich vertraut? Laß uns entfliehn! Eſther. Die Straßen ſind beſetzt, Das ganze Land in Aufruhr gegen uns.
Rahel. So ſoll ich ſterben denn, und bin noch jung, Und möchte leben noch. Zwar leben nicht, Nein, todt ſein unverwarnt und unverhofft. Der Augenblick des Sterbens nur erſchüttert. (An Eſthers Halſe.) Unglücklich bin ich, Schweſter, rettungslos! (Nach einer Pauſe mit von Schluchzen unterbrochener Stimme.) Und iſt das Halsband auch mit Amethyſten, Das du gebracht? Eſther.
Es iſt, mit Perlen auch,
So hell wie deine Thränen und ſo reichlich.
Dritter Aufzug. 229
Rahel. Ich will es gar nicht ſehn. Nur ſpäter etwa, Wenn unſre Haft ſich dehnt zu läng' rer Zeit, Zerſtreuung heiſcht das ew'ge Einerlei, Verſuch' ich es und ſchmücke mich zum Tod. Doch ſieh, wer naht? — Ha, ha, ha, ha! Fürwahr Iſt's unſer Vater nicht? und zwar im Harniſch.
Iſaak, eine Sturmhaube auf dem Kopfe und einen Bruſtharniſch unter ſeinem langen Rock, kommt von links.
3faak. Ich bin's, der Vater der ungerathnen Kinder, Die meinen Tag verkürzen vor der Zeit. In Harniſch, ja! Droht denn der Mörder nicht? Schützt ſich der Leib von ſelber vor dem Dolch? Ein unverſehner Schlag zerſchellt den Kopf. Auch birgt der Harniſch mir die Wechſelbriefe, Die Taſchen tragen das erſparte Gold; Das grab' ich ein und ſchütze Leib und Seele Vor Armuth und vor Tod. Und lacht ihr mein, So geb' ich euch den Fluch des Patriarchen, Der Iſaak hieß, wie ich; ihn, mit der Stimme Des frommen Jakob und mit Eſau's Händen, Nur mit verkehrtem Recht der Erſtgeburt. Ich ſorg' um mich. Was kümmert ihr mich länger! Horch!
Rahel.
Welch' Geräuſch?
Eſther. Man zieht die Brücken auf. Schutz und Gefängniß iſt uns nun dieß Schloß.
230 Die Jüdin von Toledo.
Rahel. Ein Zeichen, daß der König aus den Thoren. So eilt er fort! Wird er auch wiederkehren? Ich fürchte: nein! Das Aeußerſte befürcht' ich. (An Efihers Bruſt ſinkend.) Und hab' ihn, Schweſter, wahrhaft doch geliebt.
Der Vorhang fällt.
—
Saal mit einem Thronſitze rechts im Vordergrund.
Daneben in gleicher Reihe nach links laufend mehrere Stühle, auf denen acht oder zehn eaſtiliſche Standesherrn ſitzen. Dem Thron zu⸗ nächſt Manrignez de Lara, der aufgeſtanden if.
Manrique. So ſind wir denn in Trauer hier verſammelt, Nur Wenige, ſofern die kurze Friſt, Verbunden mit der Nähe ſeines Sitzes, Die Möglichkeit zur Ankunſt Jedem bot. Es finden Mehrere ſich ſpäter ein; Doch jetzt ſchon heißt für voll uns zu erachten Die dringende, die allgemeine Noth, Die keinen Aufſchub gönnt. Vor allem fehlt In unſerm ernſten Kreis Derjenige, In deſſen hohem Recht nicht nur der Vorſitz, Selbſt die Berufung ſteht zu ſolchem Rath, So daß halb rechtlos ſchon wir im Beginn. Deßhalb nun war ich, edle Herrn, bedacht, Zu laden unſrer Kön'gin Majeſtät, So ſchwer fie trifft der Inhalt der Beſprechung, Zu nehmen ihren Sitz dort unter uns:
232 Die Jüdin von Toledo.
Damit wir wiſſen, daß nicht herrenlos,
Daß nicht aus eigner Willkür wir verſammelt. Der Gegenſtand nun unſers heut 'gen Raths
Iſt, hoff und fürcht' ich, Allen ſchon bekannt.
Es hat der König, unſer hoher Herr,
Nicht hoch an Stand und Rang und Würde nur, Nein auch an Gaben, ſo daß, ſchaun wir rückwärts In unſrer Vorzeit aufgeſchlagnes Buch,
Wir ſeines Gleichen kaum noch ein Mal finden, Nur daß die Kraft, der Hebel alles Guten,
Hat ſie einmal vom Wege ſich verirrt,
Den Fehler auch mit gleicher Stärke will —
Es hat der König ſich vom Hof entfernt,
Verlockt von eines Weibes üpp'gem Sinn,
Was uns zu richten keineswegs geziemt. —
— Die Königin! —
Die Königin, von Donna Clara und einigen Damen begleitet.
tritt von der rechten Seite auf, und nachdem fie den Standes herren, die
ſich erhoben haben, durch eine Handbewegung bedeutet, wieder ihre Plätze zu nehmen, ſetzt ſie ſich auf den Thronſeſſel.
Manriquez. Erlaubt Ihr, hohe Frau?
Königin (eife). Fahrt fort!
Manriquez.
Ich wiederhole denn mein Früh' res:
„Was uns zu richten keineswegs geziemt.“ Doch rüſtet ſich der Maure an den Gränzen Und droht mit Krieg dem ſchwerbedrängten Land; Da iſt des Königs Recht zugleich und Pflicht,
Vierter Aufzug. 233
Mit ſelbſt berufnem und geworbnem Heer Entgegen ſich zu ſtemmen der Gefahr. Allein der König fehlt. Zwar wird er kommen, Ich weiß. Wär es auch nur, dieweil erzürnt Ob unſerer Verſammlung Eigenmacht. Doch bleibt der Grund, der ihn von uns entfernt, So kehrt er wieder in die alten Bande, Und wir ſind eben, nach wie vor, verwaiſt. Beliebt? (Die Königin bedeutet ihn, fortzufahren.) Da muß vor Allem denn die Dirne fort. Da liegt denn manch ein Vorſchlag etwa vor. [Die Einen wollen fie mit Gold erkaufen, Die Andern ſie gefangen aus dem Land In weit entlegenen Gewahrſam ſenden. Doch Gold hat auch der König, und ob fern, Die Macht weiß wohl zu finden, was ſie ſucht. Ein dritter Vorſchlag — (da die Königin aufgeſtanden ifl)
Edle Frau, mit Gunſt. Ihr ſeid zu mild für unſer hart Geſchäft, Und Eure Güte, durch kein feſtes Wollen Von Zeit zu Zeit gekräftigt und erneut, Hat unſern Herrn vielleicht zumeiſt entfernt. Ich tadle nicht, ich ſage nur, was iſt. Deßhalb begebt Euch nur der eignen Meinung. Zwar, wenn Ihr reden wollt, wohlan, ſo ſprecht. Welch Blumen ⸗Schickſal, welche Schmeichelſtrafe, Glaubt Ihr dem Fehl der Buhlerin gemäß?
Königin (eife). Den Tod.
—
Lu
234 Die Jüdin von Toledo.
Manriquez. Fürwahr?
Kö ni gin (befimmter). Den Tod.
Manriquez. Ihr hört's, ibr Herren! Das war der dritte Antrag, den ich früher, Obgleich ein Mann, nicht auszuſprechen wagte. Königin. Iſt denn die Ehe nicht das Heiligſte, Da ſie zu Recht erhebt, was ſonſt verboten, Und was ein Abſcheu jedem Wohlgeſchaffnen, Aufnimmt ins Reich der gottgefäll gen Pflicht? Die andern Satzungen des höchſten Gottes Verſtärken nur den Antrieb eines Guten; Doch was ſo ſtark, daß es die Sünde adelt, Muß mächt'ger ſein, als jegliches Gebot. Dagegen hat nun dieſes Weib gefrevelt. Währt aber meines Gatten Fehltritt fort, So war ich ſelbſt in all' der frühern Zeit Nur eine Sünderin und nicht ein Weib, Und unſer Sohn ein mißgeborner Auswurf, Sich ſelber Schande und den Eltern Schmach. Seht Schuld Ihr in mir ſelbſt, ſo tödtet mich. Ich will nicht leben, wenn mit Schuld befleckt. Dann mag er aus den Königstöchtern rings Sich eine Gattin wählen, da nur Willkür, Nicht das Erlaubte wohlthut ſeinem Sinn. Doch iſt dies Weib der Schandfleck dieſer Erde, So reinigt Euren König und ſein Land.
Vierter Aufzug. N
Ich ſchäme mich, daß ich vor Männern ſpreche,
Und was kaum ſchicklich auch; doch zwingt die Noth.
Manrique. Doch wird der König es, und wie ertragen?
Königin. Er wird wohl, weil er ſoll und darum muß. Auch bleibt ihm ja die Rache an den Mördern; Vor Allem treff' er mich in dieſe Bruſt.
(Sie ſetzt ſich.)
Manriquez. Es iſt kein andrer Ausweg, muß ich ſagen. Es ſterben in der Schlacht die Edelſten, Und eines bittern grauenhaften Tod's: Von Durſt verſchmachtend, unter Pferdeshufen In jedes Schmerzes ſchärferer Verdopp'lung, Als je ein Sünder auf dem Hochgericht. Die Krankheit rafft die beſten täglich fort, Gott geizt mit ſeiner Menſchen Leben nicht: Und ſoll man ängſtlich ſein, da wo ſein Wort, Die heil'ge Ordnung, die er ſelbſt geſetzt, Den Tod des Einen fordert, der geſrevelt. Wir wollen insgeſammt den König angebn, Ihn bitten, zu entfernen jenen Anſtoß, Der ihn von uns, und uns von ihm entfernt. Und weigert er's, dann walte blut'ges Recht, Bis wieder Eins der Fürſt und das Geſetz, Und wir dann Beiden in dem Einen dienen.
Ein Diener tommt.
Diener. Don Garceran. ö
236 Die Jüdin von Toledo.
Manrique. Und wagt es der Verräther? Sagt ihm — Biener. Im Auftrag Seiner Majeſtät. Manriquez. Das iſt ein Anderes und wär's mein Todfeind, Er hat mein Ohr, ſpricht er des Königs Worte.
Garceran tritt ein.
Manrigquez. Sagt Euern Auftrag und dann: Gott beſohlen. Garctran. Erlauchte Königin und Ihr, mein Vater, Zugleich ihr Andern, dieſes Landes Beſte, Ich fühl' am heut'gen Tag wie niemals ſonſt, Daß das Vertrau'n, der Güter köſtlichſtes, Und Leichtſinn, wenn auch keiner Schuld bewußt, Verderblicher und lähmender als Schuld: Da einen Fehltritt man denn doch verzeiht, Der Leichtſinn aber alle ſtellt in Ausſicht. Und ſo, am heut'gen Tag, ob rein mich fühlend, Steh' ich als ein Bemakelter vor Euch, Den Unbedacht abbüßend meiner Jugend.
Manriquez.
Davon ein andermal. Jetzt Euern Auftrag. Garceran.
Der König löſt durch mich den Landtag auf.
Manrique). Und gab er denn, da er den Leichtſinn ſandte,
Vierter Aufzug. 237
zm als Bürgſchaft auf die Reiſe, Wort zumeiſt von ſeiner Hand? Garceran. uf dem Fuß. Manrique). So viel genügt! h in des Königs Namen mmlung auf. Ihr ſeid entlaſſen. neinen Wunſch und meinen Rath, nicht zurück in eure Häuſer, in der Nähe, rings vertheilt, don Alfonſo unſer Amt, „das feine zu vertreten. (Zu Garceran.) wandt in Fürſtendienſt, zum Späher auch berufen, dem König, was ich rieth, tände in der That gelöſ't, it, zur That ſich zu vereinen.
Garceran. an im. Angeſicht von Allen chuld ab dieſes wirren Vorgangs. c mich aus dem Lager brachte, daß der König mich erſah, vor des Volkes Wuth zu ſchützen; Warnung, Gegenred' und Gründe mag, um Unrecht zu verhüten, t, ob fruchtlos freilich wohl. wenn's anders, als ich ſage. ara, Ihr, die mir beftimmt Zäter Wunſch, der auch der meine,
238 Die Jüdin von Toledo.
Zu bergen braucht Ihr nicht Eu'r edles Haupt. Zwar Eurer würdig nicht — ich war's wohl nie — Doch minder würdig nicht als ſonſt und jemals Steh' ich vor Euch und ſchwöre: Alſo iſt's.
Manrique. Iſt's alſo denn, und ſeid Ihr noch ein Mann, Seid ein Caſtilier, tretet unter uns, Und führt mit uns des Vaterlandes Sache. Ihr ſeid bekannt im Schloſſe von Retiro, Der Hauptmann öffnet Euch, wenn Ihr's begehrt. Vielleicht ift ſolch ein Einlaß uns vonnöthen, Wenn taub der König, unſer hoher Herr. Garteran. Nichts gegen meinen König, meinen Herrn. Manrique. | Ihr habt die Wahl. Folgt jetzt nur dieſen Andern, Vielleicht kommt Alles beſſer, als man glaubt.
Diener von links eintretend.
Diener. Des Königs Majeſtät!
Manrique; (zu den Ständen, auf die Mittelthür zeigend). Nur hier hinaus! (Zu den Dienern.) Und ihr ſetzt dieſe Stühle an die Wand. Nichts ſoll ihn mahnen, daß man hier getagt. Königin (die vom Thron geſtiegen). Es wankt mein Knie, und mir ſteht Niemand bei!
78
Vierter Aufzug. 239
Manriquez.
je Kraft war mit der Sitte ſonſt vereint, och wurden ſie in jüngſter Zeit ſich feind. ie Kraft blieb bei der Jugend, wo ſie war, ie Sitte floh zum altergrauen Haar. ehmt meinen Arm. Wie ſchwankend auch die Schritte: ie Kraft entfloh, doch treulich hielt die Sitte.
führt die Königin nach rechts ab. Die Stände mit Garceran haben
ſich durch die Mittelthür entfernt.)
König kommt von der linken Seite, hinter ihm ſein Knappe.
König.
r Braune, ſagſt du, hinkt? Nun, es ging ſcharf, ich hab' ich ſeiner fürder nicht vonnöthen. B ihn am Zügel führen nach Toledo, rt ſtellt ihn Ruh als beſte Heilung her. > felber will an meiner Gattin Seite
ihrer Kutſche mich dem Volke zeigen, f daß es glaubt, was es mit Augen ſieht, :B abgethan der Zwiſt und die Zerwürfniß.
(Der Knappe ab.) bin allein. Kommt Niemand mir entgegen? r kahle Wand und ſchweigendes Geräth. r haben ſie vor Kurzem, ſcheint's, getagt. dieſe leeren Stühle ſprechen lauter ’ jene, die drauf ſaßen, es gethan. ein was ſoll das Grübeln und Betrachten; t machen heißt es. Damit fang' ich an. e geht's hinein zu meiner Frau Gemächern, et’ ich denn den unwillkommnen Weg. (Er nähert ſich der Seitenthür rechts.)
240 Die Jüdin von Toledo.
Allein die Thür verſperrt! — Holla da drinnen, Der König iſt's, der Herr in dieſem Haus, Für mich gibt's hier kein Schloß und keine Thür. Eine Kammerfrau tritt aus der Thür. König. Verſperrt ihr euch? Kammerfrau. Die Kön'gin, Majeſtät — (da der König mit flarken Schritten hin und her geht) Die inn're Thür auch hat ſie ſelbſt verſchloſſen. König. Eindringen will ich nicht. Sagt ihr denn an, Ich ſei zurück und laſſe ſie entbieten. — Vielmehr ſagt: bitten, wie ich's jetzt geſagt. (Die Kammerfrau geht.) König (dem Thron gegenüber). Du hoher Sitz, die andern überragend, Gib, daß wir niedriger nicht ſei'n als du, Auch ohne jene Stufen, die du leihſt, Das Maß einhalten deß, was groß und gut.
Die Königin kommt. König (ihr mit ausgeſtreckter Hand entgegen gehend). Lenore, ſei gegrüßt! Königin. Seid uns willkommen! König. Und nicht die Hand?
Bierter Aufzug. 241
Königin. Ich freu mich, Euch zu ſehn. König.
Königin (in Thränen ausbrechend). O Gott und Vater! König. Lenore, dieſe Hand iſt nicht verpeftet. | Zieh’ ich in Krieg, wie ich denn ſoll und muß, So wird ſie Feindes Blut vollauf bedecken, Doch klares Waſſer tilgt die Makel aus, Und rein werd ich ſie bringen zum Willkomm. Das Waſſer nur der körperlichen Dinge Hat für die Seelen geiſtigen Erſatz. Du biſt als Chriſtin glaubensſtark genug, Der Reue zuzutrauen ſolche Macht. Wir Andern, die auf Thätigkeit geſtellt, Sind ſo beſcheidnem Mittel nicht geneigt, Da es die Schuld nur wegnimmt, nicht den Schaden, Ja halb nur Furcht iſt eines neuen Fehls. Wenn aber beſſ'res Wollen, freudiger Entſchluß Für Gegenwart und für die Zukunft bürgt, So nimm s, wie ich es gebe, wahr und ganz. Königin (beide Hände hinhaltend). O Gott, wie gern. König. Nicht beide Hände! Die Rechte nur, obgleich dem Herzen ferner, Gibt man zum Pfand von Bündniß und Vertrag, Srillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 16
242 Die Judin von Toledo.
Vielleicht um anzudeuten, nicht nur das Gefühl, Das ſeinen Sitz im Herzen aufgeſchlagen, Auch der Verſtand, des Menſchen ganzes Wollen Muß Dauer geben dem, was man verſprach; Denn wechſelnd wie die Zeit iſt das Gefühl, — Was man erwogen, bleibt in ſeiner Kraft. Königin (die Nechte bietend). Auch das! Mein ganzes Eelbft. König. Die Hand, ſie zittert. (Sie loslaffend.) Ich will dich nicht mißhandeln, gutes Weib. Und glaube nicht, weil minder weich ich ſpreche, Daß minder ich drum weiß, wie groß mein Fehl, Und minder ich verehre deine Güte. Königin. Verzeihn iſt leicht. Begreifen iſt viel ſchwerer. Wie es nur möglich war? Ich faß es nicht.
— König.
Wir haben bis vor kurz gelebt als Kinder, Als ſolche hat man einſtens uns vermählt, Und wir, wir lebten fort als fromme Kinder; Doch Kinder wachſen, nehmen zu an Jahren, Und jedes Stufenalter der Entwicklung,
Es kündet an ſich durch ein Unbehagen, Wohl öfters eine Krankheit, die uns mahnt, Wir ſei'n dieſelben und zugleich auch Andre, Und Andres zieme ſich im Nämlichen.
So iſt's mit unſerm Innern auch beſtellt,
Vierter Aufzug. = 243
Es dehnt ſich aus, und einen weitern Umkreis
Beſchreibt es um den alten Mittelpunkt.
Solch eine Krankheit haben wir beſtanden;
Und ſag' ich: wir, fo mein ich, daß du ſelbſt
Nicht unzugänglich ſeiſt dem innern Wachsthum.
Laß uns die Mahnung ſtumpf nicht überhören!
Wir wollen künftighin als Kön'ge leben,
Denn, Weib, wir ſind's. Uns nicht der Welt verſchließen
Noch Allem, was da groß in ihr und gut;
Und wie die Bienen, die mit ihrer Ladung
Des Abends heim in ihre Zellen kehren,
Bereichert durch des Tages Vollgewinn,
Uns finden in dem Kreis der Häuslichkeit,
Nun doppelt ſüß durch zeitliches Entbehren. Königin.
Wenn du's begehrſt, ich ſelbſt vermiſſ es nicht. König.
Du wirſt's vermiſſen dann in der Erinn' rung,
Wenn du erſt haſt, woran man Werthe mißt.
Nun aber laß Vergang'nes uns vergeſſen!
Ich liebe nicht, daß man auf neuer Bahn
Den Weg verſperre ſich durch dieß und das,
Durch das Gerümpel eines frühern Zuſtands.
Ich ſpreche mich von meinen Sünden los,
Du ſelbſt bedarfſt es nicht in deiner Reinheit. Königin.
Nicht ſo, nicht ſo! O wüßteſt du, mein Gatte,
Was für Gedanken, ſchwer und unheilvoll,
Den Weg gefunden in mein banges Herz. König.
Wohl etwa Rachſucht gar? Nun, um ſo beſſer,
244 | Die Jüdin von Toledo.
Du fühlſt dann, daß Verzeihen Menſchenpflicht, Und Niemand ſicher iſt, auch nicht der Beſte. Wir wollen uns nicht rächen und nicht ftrafen ; Denn jene Andre, glaub', iſt ohne Schuld, Wie's die Gemeinheit iſt, die eitle Schwäche, Die nur nicht widerſteht und ſich ergibt.
Ich ſelber trage, ich, die ganze Schuld.
Königin.
N O laß mich glauben, was mich hält und tröſtet.
Der Mauren Volk und All', was ihnen ähnlich, Geheime Künſte üben ſie, verruchte, Mit Bildern, Zeichen, Sprüchen, böſen Tränken, Die in der Bruſt des Menſchen Herz verkehren Und ihrem Willen machen unterthan. König. Umgeben ſind wir rings von Zaubereien, Allein wir ſelber ſind die Zauberer. Was weit entfernt, bringt ein Gedanke nah, Was wir verſchmäht, ſcheint andrer Zeit uns hold, Und in der Welt voll offenbarer Wunder Sind wir das größte aller Wunder ſelbſt. Königin. Sie hat dein Bild. König. Sie ſoll es wieder geben, Und heften will ich's ſichtlich an die Wand, Und drunter ſchreiben für die ſpäten Enkel:
Ein König, der an ſich nicht gar ſo ſchlimm,
Hat feines Amts und feiner Pflicht vergeſſen: Gott ſei gedankt, daß er ſich wieder fand.
Königin. Allein du ſelber trägſt an deinem Hals — König. Ja ſo! ihr Bild? Ward dir das auch ſchon kund?
Gimmt das Bild mit der Kette vom Halſe und legt es auf den Tiſch
rechts im Vordergrund.) So leg ich es denn hin, und mög’ es liegen,
Ein Blitz, der nicht mehr ſchädlich nach dem Donner.
Das Mädchen aber ſelbſt, ſie ſei entfernt! Mag denn mit einem Mann ſie ihres Volks —
(Bon vorn nach rückwärts auf und abgehend, in Abſätzen ſtehen bleibend.)
Ob das zwar nicht. — Die Weiber dieſes Stamms Sind leidlich, gut ſogar — Allein die Männer Mit ſchmutz' ger Hand und engem Wucherſinn, Ein ſolcher ſoll das Mädchen nicht berühren. Am Ende hat ſie Beſſern angehört. —
Allein was kümmert's uns? — Ob ſo, ob ſo, Wie nah, wie fern! Sie mögen ſelber ſorgen.
Königin. Doch wirſt du ſtark auch bleiben, Don Alfonſo? König (Reben bleibend). Sieh nur, du haſt das Mädchen nicht gekannt. Nimm alle Fehler diefer weiten Erde, | Die Thorheit und die Eitelkeit, die Schwäche, Die Liſt, den Trotz, Gefallſucht, ja die Habſucht, ij Vereine fie, fo haft du dieſes Weib. Und wenn ſtatt Zauber räthſelhaft du's nennſt, Daß jemals fie gefiel, fo ſtimm' ich ein, Und ſchämte mich, wär's nicht natürlich wieder. (Geht auf und nieder.)
246 Die Judin von Toledo.
Königin. O, nicht natürlich, glaube mir, mein Gatte. König (ſtehen bleibend). Ein Zauber endlich iſt, er heißt Gewohnheit, Der Anfangs nicht beſtimmt, doch ſpäter feſthält; Von dem, was ſtörend, widrig im Beginn, Abſtreift den Eindruck, der uns nicht genehm, Das Fortgeſetzte ſteigert zum Bedürfniß. Ifſt's leiblich doch auch anders nicht beſtellt, Die Kette, die ſie trug — und die nun liegt, Auf immer abgethan — ſo Hals als Bruſt, Sie haben an den Eindruck ſich gewöhnt, (Ah ſchuttelnd) Und fröſtelnd geht's mir durch die leeren Räume. Ich will mir eine andre Kette wählen. Der Körper ſcherzt nicht, wenn er warnend mahnt. Und damit nun genug! Doch daß Ihr blutig Euch rächen wolltet an der armen Thörin, Das war nicht gut. ö (Zum Tiſch treiend.) Denn ſieh nur dieſe Augen — Nun ja, die Augen — Körper, Hals und Wuchs, Das hat Gott wahrlich meiſterhaft gefügt; Sie ſelber machte ſpäter ſich zum Zerrbild. Laß Gottes Werk in ihr uns denn verehren, Und nicht zerſtören, was er weiſe ſchuf. Königin. Berühr es nicht!
Vierter Aufzug. 247
König. | Schon wieder denn der Unſinn! Und wenn ich's nehme wirklich in die Hand, (er hat das Bild auf die Hand gelegt) Bin ich ein Andrer drum? Schling' ich die Kette Aus Scherz, um dein zu ſpotten um den Hals, (er thut's) Das Bild, das dich erſchreckt, im Buſen bergend, Bin wieder ich Alfonſo, der es einſieht, Daß er gefehlt, und der den Fehl' verdammt. Drum ſei's des Unſinns endlich doch genug. (Er entfernt ſich vom Tiſch.) Königin. Allein — König (wild nach ihr blicend). Was iſt? Königin. O Gott im Himmel! — König. Erſchrick nicht, gutes Weib. Doch ſei vernünftig, Und wiederhole mir nicht ſtets Daſſelbe, Es mahnt zuletzt mich an den Unterſchied. (Auf den Tiſch, dann auf ſeine Bruſt zeigend.) Dort jenes Mädchen — zwar jetzt iſt ſie hier — ö War thöricht fie, fo gab fie fi als ſolche, Und wollte klug nicht ſein, noch fromm und ſittig. Das iſt die Art der tugendhaften Weiber, Daß ewig ſie mit ihrer Tugend zahlen. Biſt du betrübt, ſo tröſten ſie mit Tugend, Und biſt du froh geſtimmt, iſt's wieder Tugend, Die dir zuletzt die Heiterkeit benimmt,
Wohl gar die Sünde zeigt als einz' ge Rettung. Was man die Tugend nennt, ſind Tugenden, Verſchieden, mannigfalt nach Zeit und Lage, Und nicht ein hohles Bild, das ohne Fehl, Doch eben drum auch wieder ohne Vorzug. Ich will die Kette nur vom Halſe legen, Denn fie erinnert mich - Und dann, Lenore, Daß du mit den Vaſallen dich verbündet, Das war nicht gut, war unklug, widrig. Wenn du mir zürnſt, biſt du in deinem Recht: Doch dieſe Männer, meine Unterthanen, Was wollen ſie? Bin ich ein Kind, ein Knabe, Der noch nicht weiß, was er ſich ſelber ſchuldet?, Des Reiches Sorge theilen ſie mit mir, Und gleiche Sorge, weiß ich, iſt mir Pflicht. Doch ich, Alfonſo, ich, der Menſch, der Mann In meinem Haus, in meinem Sein und Weſen, Schuld ich des Reiches Männern Rechenſchaft? Nicht ſo! Und hört' ich nichts als meinen Zorn, Ich kehrte raſch zurück, woher ich kam, Nur um zu zeigen, daß nicht ihrem Urtheil, Nicht ihrer Billigung ich unterthan. Nach vorn tretend und mit dem Fuß auf den Boden ſtampfend.)
Und endlich dieſer Alte, Don Manriquez, Wenn er mir Vormund war, iſt er es noch? (Don Manriquez erſcheint in der Mittelthür. Die Königin zeigt mit gerungenen Händen nach ihrem Gatten. Manriquez zieht ſich mit einer
beruhigenden Bewegung beider Hände zurück.) Erkühnt er ſich, dem König vorzuſchreiben Die hausgebacknen Lehren ſeiner Weisheit? Wohl gar zu heimlicher, verwegner That — ?
Vierter Aufzug. 249.
(In der Quere der Bühne auf und nieder gehend.) Ich will das unterſuchen, ich, als Richter, Und zeigt ſich eine Spur nur von Vergehn, Von frevelhafter Abſicht oder That, Je näher mir der Schuldige, ja nächſt, Nur um fo härter büß' er fein Erkühnen. Nicht du, Lenore, nein, du biſt entſchuldigt. (Die Königin hat ſich während des Letzten leiſe durch die Seitenthür rechts entfernt.)
Wo ging ſie hin? So läßt man mich allein? Bin ich der Thor in meinem eignen Haus? (Er nähert fi der Seitenthür rechts.)
Ich will zu ihr! — Die Thür verſchloſſen?
(Die Thür mit einem Fußtritt ſprengend.) | Auf! So nehm’ ich mir im Sturm mein häuslich Glück. (Er geht hinein.)
Don Manrignez und Gareeran erſcheinen in der Mittelthür. Letzterer macht einen Schritt über die Schwelle.
Manriguez. Willſt du mit uns? Garceran. Mein Vater!
Manriquez. Willſt du nicht? Die Andern ſind voran, folgſt du?
Garceran.
Ich folge.
(Sie ziehen ſich zurück, die Thüre geht zu.)
250 Die Jüdin von Toledo.
Pauſe. — Der König kommt zurüd. In der Stellung eines Horchenden. König.
Horch wieder! — Es iſt nichts, und Alles ſtille —
Die Zimmer meiner Gattin leer, verlaflen;
Rückkehrend aber, in der Erkerſtube,
Vernahm ich Lärm von Wagen und von Roſſen,
In reißendem Galopp das Weite ſuchend. Bin ich allein? — He, Garceran! Reinero!
Der Knappe kommt aus der Eeitenthür links. König. Was iſt? Was geht hier vor? Knappe. . Erlauchter Herr, Das Schloß iſt menſchenleer; Ihr ſelbſt und ich Zur Zeit die einzig lebenden Bewohner. König. Die Königin? Knappe. Verließ das Schloß zu Wagen. König. Schon nach Toledo denn zurück? Knappe. Ich weiß nicht. Allein die Herrn — König. Welche Herrn? Anappe. Die Stände, Die fih geſammt auf ihre Pferde ſchwangen,
Vierter Aufzug. 251
Sie nahmen ihren Weg nicht nach Toledo,
Vielmehr den Weg, auf dem Ihr ſelber kamt. König.
Ha! nach Retiro? Fällt's wie Schuppen doch
Von meinen ſehenden und blinden Augen!
Das iſt der Mord! Sie gehen, ſie zu tödten.
Mein Pferd! Mein Pferd!
Knappe. Das Eure, hoher Herr, Ward als gelähmt, wie ſelber Ihr befahlt — König. Nun denn ein andres, Garcerans, das deine. Anappe. Man hat die Pferde ſämmtlich weggebracht, Mit ſich geführt, vielleicht gejagt ins Freie. Die Ställe ſind geleert, ſowie das Schloß. König. Sie denken mich zu überholen. Fort! Schaff mir ein Pferd, und wär's ein Ackergaul, Es ſoll ihm Flügel leihen meine Rache. Und wenn's geſchah? — Dann, guter Gott, dann gib, Daß ich nicht als Tyrann, daß ich als Menſch Die Schuld beſtrafe und die Schuldigen. Schaff mir ein Pferd! Sonſt biſt du einverſtanden, Und zahlſt mit deinem Kopf, wie Alle, (an der Thür ſtehen bleibend, mit heftiger Bewegung) Alle! (Er eilt fort.)
Der Vorhang fällt.
Fünfter Aufzug.
—
Saal im Schloſſe von Retiro, mit einer Mittels und zwei Seiten⸗ thüren. Ueberall Zeichen der Zerſtörung. Links im Vorgrunde ein umgeſtürzter Putztiſch mit zerſtreutem Geräthe. Rechts im Hintergrunde ein gleichfalls umgeworfener Tiſch, darüber ein Gemälde, halb aus dem Nahmen herausgeriſſen. In der Mitte
des Gemachs ein Stuhl. Es iſt dunkel.
Bon außen hinter der Mittelwand Geräuſch von Stimmen, Fußtritte und Waffengeklirr.
Stimmen von außen. Es iſt genug! Das Zeichen tönt! Zu Pferde!
(Die Stimmen und die Fußtritte entfernen ſich.)
Pauſe. — Dann kommt der alte Iſaak aus der Seitenthüre rechts, einen nachſchleifenden Teppich über den Kopf gefülpt, den er ſpdter fallen läßt.
S ſaak. Sie ſind nun fort? — Ich höre nichts. (Zurücktretend.) a Doch ja! — Nein, wieder nichts. Ich habe mich verſteckt, Als fie nach Räuberart das Schloß durchſuchten.
Fünfter Aufzug. 253
Am Boden lag ich, in mich ſelbſt gekrümmt, Und dieſe Decke war mir Dach und Schirm. Doch nun wohin? — Was ich erſpart, erworben, Hab ich vorlängſt im Garten eingeſcharrt;
Das hol' ich ſpäter, wenn der Lärm vorüber. — Wo iſt die Thür? Wie rett ich meine Seele?
Eſther tritt aus der Thüre links.
S ſaak. Wer kommt? Weh mir! Eſther. Seid Ihr's? 3 ſaa k. Biſt du es, Rahel: Eſther. Wie meinſt du? Rahel? Eſther bin ich nur. Sfaak. Nur, ſagſt du, nur? Du, meine einz'ge Tochter, Die einz ge, weil die beſte. Eſther. Sag' vielmehr: Die beſte, weil die einz ge. Alter Mann, So weißt du nicht vom heut gen Ueberfall, Und weißt du nicht, wem all ihr Wüthen galt? = Sfaak. Ich weiß es nicht und will es auch nicht wiſſen, Iſt Rahel doch entflohn, in Sicherheit. O ſie iſt klug — Gott meiner Väter! Was ſuchſt du mich, mich armen alten Mann, N
254 Die Jüdin von Toledo.
Und ſprichſt zu mir aus meiner Kinder Munde? Ich aber glaub' es nicht. Es iſt nicht. Nein.
(Er finkt am Stuhle in der Mitte der Bühne nieder, das Haupt dagegen lehnend.)
Eſther. So ſei denn ſtark durch feige Furchtſamkeit. Doch ſchelt' ich Andre, was ich ſelber war. Als ſie nun kamen und, vom Schlaf erwacht, Ich hin zur Hilfe meiner Schweſter eilte Ins letzte ferne, innerſte Gemach, Da faßt mich Einer an mit ſtarker Hand Und ſchleudert mich zu Boden. Und ich feige, Ich fiel in Ohnmacht; als es galt, Mein Leben für die Schweſter hinzugeben, Zu ſterben wenigſtens zugleich mit ihr. Als ich erwachte, war die That geſchehn, Vergebens jedes Mittel der Belebung. Da konnt' ich weinen, und die Haare raufen; Das iſt die rechte Feigheit, Weiberart.
Sfaak. Sie fagen dieß und das. Ich aber glaub's nicht.
Eſther. Leih deinen Stuhl zum ſitzen, alter Mann; (Sie rüdt den Stuhl nach vorne.) Die Glieder werden ſchwach mir unterm Leib. Hier will ich bleiben und will Wache halten. (Setzt ſich.) Vielleicht, daß Einem dünkt der Mühe werth, Die Stoppeln zu verbrennen nach der Ernte, Und kommt zurück und tödtet, was noch übrig.
Fünfter Aufzug. N N 255
Sſaak (am Boden). | Mich nicht! mich nicht! Hier kommt ſchon Einer. Horch! Nein, Viele! — Schütze mich, ich flieh zu dir. (Er flieht zu ihrem Stuhl, wo er ſich am Boden niederkauert.)
Eſther. Ich will Euch hüten, einer Mutter gleich, Des altergrauten Vaters zweite Kindheit, Und kommt der Tod, ſo ſterbt Ihr kinderlos, Ich geh' voran und folge meiner Schweſter.
In der Mittelthür erſcheint der König mit feinem Knappen, der eine Fackel trägt.
König. Dring' ich noch weiter vor? Begnüg' ich mich Mit dem, was ich ſchon weiß, eh' ich's geſehn? Das ganze Schloß, zerſtört, verheert, verwüſtet, Ruft mir aus allen Winkeln gellend zu: Es iſt zu ſpät, der Greuel iſt geſchehn. Und deß trägſt du die Schuld, verruchter Zaud' rer, Wenn etwa gar nicht einverſtanden auch. Allein du weinſt, und Thränen lügen nicht. Sieh her, ich weine auch. Allein, aus Wuth, Aus unbefriedigter Begier nach Rache. Steck deine Fackel hier in dieſen Ring, Und geh' ins Dorf, verſammle die Gemeinde, Heiß ſie mit Waffen, wie's der Zufall beut, Sich ſtellen hier im Schloß. Ich ſelbſt entbiete, Wenn's Morgen erſt, durch Schreiben rings mein Volk, Der Arbeit Kinder und der harten Müh' n. An ihrer Spitze will ich rächend gehn, Und brechen all die Schlöſſer jener Großen,
256 Die Jüdin von Toledo.
Die, Diener halb, und halb auch wieder Herrn, Sich ſelber dienen und den Herren meiſtern. Beherrſcher und Beherrſchte, alſo ſei's. Und jene Zwitter tilg' ich rächend aus, Die ſtolz auf Blut, auf das in ihren Adern Und auf das fremde, wenn's ihr Schwert vergoß. Laß hier dein Licht und geh! Ich bleib’ allein. Ich brüte die Geburten meiner Rache. (Der Diener ſteckt feine Fackel in den Ning neben der Thüre und ent⸗ fernt ſich.) König (einen Schritt nach vorn machend). Was regt ſich dort? Iſt hier noch Leben übrig? Gebt Antwort! Sfaak. Gnädiger Herr Miſſethäter, Verſchont uns, edler Mörder! | König. Du biſt's, Alter? Erinnere mich nicht dran, daß fie dein Kind; Es minderte ihr Bild in meiner Seele. Und du biſt Eſther, nicht? Eſther. Ich bin es, Herr. König. Und iſt's geſchehn? Eſther. Es iſt. König. | Ich mußt’ es wohl, Seit ich das Schloß betrat. Drum keine Klagen.
Fünfter Aufzug. 257
Glaub’, das Gefäß ift voll; was man noch zugießt, Fließt ab vom Rand und ſchwächt des Inhalts Gift. Als ſie noch lebte, wollt' ich ſie verlaſſen,
Nun da ſie todt, verläßt ſie nimmer mich.
Und dieß ihr Bild auf dieſer meiner Bruſt,
Es gräbt ſich ein und ſchlägt nach innen Wurzel. Denn war nicht ſelber ich's, der ſie getödtet?
Blieb ſie mir fern, ſie ſpielte noch, ein Kind,
Sich ſelbſt zur Luſt und Anderen zur Freude. Vielleicht — ob das zwar nicht. Ich ſage Nein! Kein Andrer durfte ihre Hand berühren,
Und Niemands Lippen nahen ihrem Mund.
Kein frecher Arm — ſie war des Königs Eigen, Ob nie geſehn, gehörte ſie doch mir,
Der Reize Macht dem Herrſcher auf dem Thron.
3 ſaak. Spricht er von Rahel?
Eſther.
Wohl, von Eurer Tochter. So ſehr der Schmerz verlornen Werth verdoppelt, Sag' ich Euch doch, Ihr ſchlagt zu hoch fie an. König. Meinſt du? Ich ſage dir, ſie ſind nur Schatten, Ich, du und jene Andern aus der Menge: Denn biſt du gut, haſt du es ſo gelernt, Und bin ich ehrenhaft, ich ſah's nicht anders: Sind jene Andern Mörder, wie ſie's ſind, Schon ihre Väter waren s, wenn es galt. Die Welt iſt nur ein ew'ger Wiederhall,
Und Korn aus Korn iſt ihre ganze Ernte. Grillparzer, ſammtl. Werke. VII. 17
König (hat die Fackel ergriffen). Mir däucht, ich ſehe Blut auf meinem Weg. Es iſt der Weg zum Blut. — O Nacht der Greuel! (Er geht in die Seitenthüre links.) 3 ſa ak. Wir ſind im Dunkeln. Eſther. Wohl im Dunkel rings, Umgeben von des Unglücks grauſer Nacht. Allein der Tag bricht an. Laß mich verſuchen, Ob ich die Glieder trage bis dahin. (Sie tritt zum Fenſter und zieht den Vorhang.) Der Morgen dämmert ſchon, ſein bleicher Schein Schaut wie entſetzt die Greuel der Zerſtörung, Den Unterſchied von Geſtern und von Heut. (Auf die am Boden zerſtreuten Schmuckſachen blickend.) Da liegen fie, die Trümmer unſres Glucks, Der bunte Tand, um deſſentwillen wir, Ja wir, nur wir — nicht er, der dort ſich Schuld gibt — Die Schweſter opferten, dein thöricht Kind. All, was geſchieht, iſt Recht. Wer ſich beklagt, Verklagt ſich ſelbſt und feine eig' ne Thorheit. 8 ſa ak (der ſich in den Stuhl geſetzt hat). Hier will ich ſitzen. Seit der König da, Fürcht' ich ſie nicht und Alle, die noch kommen.
Die Mittelihüre öffnet ſich, Manriquez und Garceran, binter ihnen die Königin, ihr Kind an der Hand führend, und mehrere Große treten ein.
Manrique. Kommt hier herein und ſtellt zunächſt euch auf.
licht nur an ihr, an mir hat man gefrevelt. Gerechtigkeit und Strafe jeder Schuld Hab ich geſchworen an dem Krönungstag, Und will es halten bis an meinen Tod. dazu muß ich mich ſtärken, mich verhärten; enn alles, was dem Menſchen hoch und werth, ird man entgegenſtellen meinem Grimm: in nerung aus meiner Knabenzeit, 3 Mannes erſte bräutliche Begegnung, e Freundſchaft und die Dankbarkeit, die Milde, ein ganzes Leben, ſchroff in eins geballt, ird mir genüberſtehn in Waffenrüſtung id mich zum Kampfe fordern mit mir ſelbſt, rum muß ich von mir ſelbſt mich erſt entfernen. r Bild, wie es vor mir ſteht hier und dort, ı jeder Wand, in dieſer, jener Ecke, igt mir fie nur in ihrer frühern Schönheit, it ihren Schwächen, die ſo reizend auch. ch will ſie ſehn, zerſtört, verſehrt, mißhandelt; erienfen mich im Greuel ihres Anblicks, zergleichen jedes Blutmal ihres Leibes Nit ihrem Abbild hier auf meiner Bruſt, Ind lernen Unmenſch ſein genüber Gleichen. (Da Eſther aufgeſtanden iſt.) Sprid mir kein Wort! Ich will! Und dieſe Fackel zoll mich begleiten, flammend wie ich ſelbſt, zur leuchtend, weil zerſtörend und zerſtört. zie iſt in jenem letzten innern Zimmer, zo ich ſo oft —?
Eſther. Sie iſt, ſie war, ſie bleibt.
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260 Die Jüdin von Toledo.
König (hat die Fackel ergriffen). Mir däucht, ich ſehe Blut auf meinem Weg. Es iſt der Weg zum Blut. — O Nacht der Greuel! (Er geht in die Seitenthüre links.) 3 ſa ak. Wir ſind im Dunkeln. Eſther. Wohl im Dunkel rings, Umgeben von des Unglücks grauſer Nacht. Allein der Tag bricht an. Laß mich verſuchen, Ob ich die Glieder trage bis dahin. (Sie tritt zum Fenſter und zieht den Vorhang.) Der Morgen dämmert ſchon, ſein bleicher Schein Schaut wie entſetzt die Greuel der Zerſtörung, Den Unterſchied von Geſtern und von Heut. (Auf die am Boden zerſtreuten Schmuckſachen blickend.) Da liegen fie, die Trümmer unſres Glucks, Der bunte Tand, um deſſentwillen wir, Ja wir, nur wir — nicht er, der dort ſich Schuld gibt — Die Schweſter opferten, dein thöricht Kind. All, was geſchieht, iſt Recht. Wer ſich beklagt, Verklagt ſich ſelbſt und feine eig' ne Thorheit. 3 ſa ak (der ſich in den Stuhl geſetzt hat). Hier will ich ſitzen. Seit der König da, Fürcht' ich ſie nicht und Alle, die noch kommen. Die Mittelthüre öffnet ſich, Manriquez und Garceran, binter ihnen die Königin, ihr Kind an der Hand führend, und mehrere Große treten ein. Manrique. Kommt hier herein und ſtellt zunächſt euch auf.
Fünfter Aufzug. 261
Wir haben an dem König uns verſündigt, Das Gute wollend, aber nicht das Recht. Wir wollen uns dem Rechte nicht entziehn.
Eſther
(auf der andern Seite, eines Rucks den umgeſtürzten Tiſch aufhebend). Verwüſtung, ordne dich! Laß ſie nicht glauben,
Daß wir erſchrocken oder daß wir feig.
Königin. Hier ſind ſie, jene Andern. Manrique. Immerhin! Sie traf bereits, was uns vielleicht bedroht. Stellt euch in Reih' und Ordnung, wenn's beliebt. Königin.
Mich laßt voran, ich bin die Schuldigſte.
j Manrique.
[Nicht alſo, edle Frau! Ihr ſpracht das Wort, [Doch als es kam zur That, habt Ihr gezittert, Euch widerſetzt und Schonung anbefohlen, Obgleich umſonſt; denn Noth war uns Gebot. Auch wünſcht' ich nicht, daß ſich ſein erſter Grimm Entlüde auf die Häupter, die uns hoch,
Zunächſt nach ihm die Hoffnung unſers Throns. Ich ſelber that's, zwar nicht mit meiner Hand, Allein mit Rath, mit furchtbar ernſtem Mitleid. Ich trete vor Euch hin. Und du, mein Sohn, Haft du den Muth, als Mann auch zu vertreten, Was du gehindert nicht, wenn nicht gefördert, So daß dein Streben, wieder gut zu machen, Und deine Rückkehr ſelbſt nicht ohne Schuld?
262 Die Jüdin von Toledo.
Garctran. Seht mich bereit. Ich tret' an Eure Seite, Und treffe mich des Königs erſter Zorn.
Eſther (gerüberrufend). Ihr dort, obgleich ihr Mörder ſeid geſammt, Und würdig jeden Tods und jeder Strafe: Genug des Unheils iſt bereits geſchehn, Ich wünſchte nicht die Greuel noch vermehrt. Der König iſt dort drin bei meiner Schweſter, Und vorher ſchon ergrimmt, wird ihn ihr Anblick Aufſtacheln zu vermehrter, neuer Wuth. Auch dauert mich das Weib dort und ihr Kind, Unſchuldig halb, und halb auch ſelbſt nur ſchuldig. Drum geht, weil es noch Zeit. Begegnet nicht Dem Rächer, der zum Richter noch zu heiß.
Manrique).
Weib, wir ſind Chriſten. Eſther. Nun, ihr habt's gezeigt.
Ich lobe mir die Jüdin, weiß es Gott!
Manrique. Als ſolche abzubüßen auch bereit, Was wir gefehlt, uns willig unterwerfend. Legt eure Schwerter ab. Hier iſt das meine. Die Wehr an Mannes Seite ſpricht von Schutz. Schon unſre Anzahl ſtreitet mit der Demuth, Sie theilt die Schuld, die doch in Jedem ganz.
(Ale Haben die Schwerter vor Manriquez auf den Boden gelegt.)
So harren wir. Vielmehr geh einer hin, Und trete förderſamſt den König an:
Fünfter Aufzug. N 263
Des Landes Noth erheiſcht, daß er ſich faſſe, Ob ſo, ob ſo, und wär's auch nur bereuend Zu raſche That, von der wir ſelbſt das Opfer. Geh du, mein Sohn! Garttran der einige Schritte gemacht hat, umkehrend). Seht hier den König ſelbſt.
Der König für aus dem Seitengemache. Nach ein Paar Schritten wendet er ſich um und fiebt ſtarr nach der Thüͤre. Königin.
O Gott im Himmel! Manriquez. Ruhig, gnäd'ge Frau.
(Der König geht nach vorn. Er bleibt mit untergeſchlagenen Armen vor Iſaal ſtehen, der wie ſchlummernd im Seſſel liegt. Darauf geht er nach dem Vorgrund.)
Eſther du Jſaah.
Schau, deine Feinde zittern. Freuſt du dich? Ich nicht. Die Todte wacht doch nimmer auf. (Der König, im Vorgrunde, betrachtet feine beiden Hände uud ftreift daran, wie reinigend, mit der einen über die andere. Hierauf dieſelbe Bewegung über den Oberleib. Zuletzt fährt er nach dem Halſe, die Hände um den Umkreis deſſelben bewegend. In dieſer letzten Stellung, die Hände noch immer am Halſe, bleibt er ſtehen und fieht ſtarr vor ſich hin.) Manriquez. Erlauchter Fürſt und König! Gnäd'ger Herr! König (emporfahrend). Ihr ſeid's. Ihr kommt zurecht. Euch ſucht' ich eben; Und Alle. Ihr erſpart mir manche Müh'. (Er tritt vor fie hin, fie mit zornigen Blicken meſſend.)
—
264 Die Jüdin von Toledo.
Aanrigurz (auf die am Boden liegenden Waffen zeigend). Wir haben unfre Wehr von uns gelegt — König. Ich ſehe Schwerter. Kommt ihr, mich zu tödten? Vollendet euer Werk. Hier meine Bruſt. (Er öffnet ſein Kleid.) Königin. Er hat's nicht mehr! König. Wie meint Ihr, Schöne Frau? | Königin. Das böſe Bild iſt fort von feinem Halle. König. Ich gehe, es zu holen. (Er macht ein paar Schritte gegen die Seitenthüre und bleibt ſtehen.) Königin. Gott, noch immer! Manrique. Wir wiſſen wohl, wie ſehr wir, Herr, gefehlt; Vor allem: nicht der Rückkehr zu dir ſelbſt, Dir ſelbſt und deinem edlen Sinn vertrauend; Allein die Zeit war dringender als wir. Es bebt das Land. Der Feind an unſern Grenzen, Er fordert auf zu Wehr und Widerſtand. König. Und Feinde muß man ſtrafen, oder nicht? Ihr mahnt mit Recht; umringt bin ich von ſolchen. He, Garceran!
Fünfter Aufzug. 265
Barceran. Meint Ihr mich, hoher Herr? König. Ich meine dich. Du haſt mich zwar verrathen, Allein du warſt mein Freund. Komm her zu mir. Sag' mir, was hieltſt du von dem Mädchen dort?,
Nun — die du morden halfſt — doch davon ſpäter. Was hielteſt du von ihr, da fie noch lebte?
Garctran. Herr, ſie war ſchön. König. So! und was weiter noch? Barcceran. Doch auch verbublt, und leicht, voll arger Tücken. König. Und das verſchwiegſt du mir, als es noch Zeit? Garceran. Ich ſagt' es Euch. König. Und ich hab's nicht geglaubt? Wie kam das? Sag' nur an! Garceran. Die Königin, Sie räth auf Zauberei. König. Das iſt der Aberglaube, Der nachglaubt, was er erſt ſich vorgeglaubt. Garctran. Zum Theil war's freilich wieder auch natürlich.
Nicht leer an Sinn, und bin
Ich fage dir: fie war nicht ſch
Barca
König Ein böſer Zug um Wange, Kin Ein lauernd Etwas in dem Feu Vergiftete, entſtellte ihre Schönb Betrachtet hab' ich mir's, und he Als ich dort eintrat, meinen Zor Halb bange vor der Steig rung en Da kam es anders, als ich mir's Statt üpp'ger Bilder der Vergan Trat Weib und Kind und Volk Zugleich ſchien ſich ihr Antlitz zu Die Arme ſich zu regen, mich zu Da warf ich ihr ihr Bild nach ir Und bin nun hier, und ſchaud' re Nun aber geh'. Haſt du mich de Faſt thut mir leid *?
König (nach einer Pauſe).
Der Mann hat Recht; ich auch. Allein was iſt die Welt, mein armes Land, Wenn Niemand rein und üb'rall nur Verbrecher? Doch hier mein Sohn. Tritt du in unſre Mitte, Du ſollſt der Schutzgeiſt ſein von dieſem Lande, Ob uns ein höh' rer Richter dann verzeiht. Führt, Donna Clara, Ihr ihn an der Hand! Euch hat ein günſtiges Geſchick verliehn In Unbefangenheit bis dieſen Tag Das Leben zu durchziehn; Ihr ſeid es werth, Die Unſchuld einzuführen unter uns. Doch halt! Hier iſt die Mutter. Was ſie that, Sie that es für ihr Kind. Ihr iſt verziehn.
(Da die Königin vortritt und ein Knie beugt.) Madonna, ſtraft Ihr mich? Wollt Ihr mir zeigen Die Stellung, die mir ziemte gegen Euch? Kaſtilier ſeht her! Hier euer König,
Und die Regentin hier an ſeiner Statt;
Ich bin nur der Feldhauptmann meines Sohns; Denn wie die Pilger mit dem Kreuz bezeichnet Zur Buße hinziehn nach Jeruſalem,
So will ich, meiner Makel mir bewußt,
Euch führen gegen jene Andersgläub'gen,
Die an der Grenze fern aus Afrika
Mein Volk bedrohn und dieß mein ſtilles Land. Kehr' ich denn wieder, und will's Gott als Sieger, Dann ſollt ihr ſagen, ob ich wieder werth, Das Recht zu ſchützen, das ich nun verletzt. Euch, Jeden trifft die Strafe, ſo wie mich; Denn in die dicht'ſten Haufen unſrer Feinde
267
En Eh Ad erer eng e Und fo geſchaart, laßt gehn u (Man hat einen & Ihr Frauen beide, reicht dem Sein erſter Thron iſt ſchlüpfrig Du Garceran, du bleibſt an m Wir haben gleichen Leichtſinn z1 Wir wollen kämpfen wie mit E Und haſt du dich gereinigt ſo wi Vielleicht hält jene Stille, Sitte Dich ihrer Huld und ihres Auges Ihr ſollt ihn beſſern, Donna Cl. Macht ihm die Tugend nicht nur Nein liebenswürdig auch. Das (Trompeten auß der Hört ihr! Sie rufen uns, die ich Als Beiſtand gegen euch, fie fint Zur Hilfe gegen unſer aller Fein Den grimmen Mauren, der den Und den ich ſenden will mit Sck Rück in fein heimiſch dürres Wü
Mur nah 8
269
Eſther | (u ihrem Vater). \ Siehft du, fie find ſchon heiter und vergnügt, \ uns ſtiften Ehen für die Zukunft ſchon. Sie ſind die Großen, haben zum Verſöhnungsfeſt Ein Opfer ſich geſchlachtet aus den Kleinen, Und reichen ſich die annoch blut'ge Hand. (In die Mitte des Theaters tretend.) Ich aber ſage dir, du ſtolzer König: Geh' hin, geh' hin in prunkendem Vergeſſen — Du hältſt dich frei von meiner Schweſter Macht, Weil abgeſtumpft der Stachel ihres Eindrucks, Und du von dir wirfſt, was dich einſt gelockt. Am Tag der Schlacht, wenn deine ſchwanken Reihen Erſchüttert von der Feinde Uebermacht, Und nur ein Herz, das rein und ſtark und ſchuldlos, Gewachſen der Gefahr und ihrem Drob'n; Wenn du emporſchauſt dann zum tauben Himmel, Dann wird das Bild des Opfers, das dir fiel, Nicht in der üpp'gen Schönheit, die dich lockte, Entſtellt, verzerrt, wie ſie dir ja mißfiel, Vor deine zagend bange Seele treten; Dann ſchlägſt du wohl auch reuig an die Bruſt, Dann denkſt du an die Jüdin von Toledo. (Den Alten an der Schulter ſaſſend.) Kommt, Vater, kommt! Wir haben dort zu thun. (Auf die Seitenthüre zeigend.)
S ſaa k (der aus dem Schlafe erwacht). Doch ſuch' ich erſt mein Geld.
Wir ſteyn gleich Jenen in Dann nehm' ich rück den Fl Verzeih'n wir denn, damit n
(Die Arme gegen die €
Der Vorhe
_ . . * n .
Sümmtliche Werke.
Achter Band.
Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung. 1872.
THE NSW PUBLIC LI!
59535
ASTOR, LENOX TADEN F OA 1913
— — —
Das Kloſter bei Sendomir. (Aglaja 1828) Der arme Spielmann. (Iris 1848) Ein Erlebniß. (1822) Erinnerungen an Beethoven Studien zum ſpaniſchen Theater: Ueber Lope de Vega im Allgemeinen
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen.
Zur Philoſophie und Religion.
—
Das Kloſter bei Hendomir.
Nach einer als wahr überlieferten Begebenheit.
(Aglaja 1828.)
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 1
Die Strahlen der untergehenden Sonne vergoldeten die Abhänge eines der reizendſten Thäler der Woiwod⸗ ſchaft Sendomir. Wie zum Scheidekuß ruhten ſie auf den Mauern des an der Oſtſeite fenſterreich und wohnlich prangenden Kloſters, als eben zwei Reiter, von wenigen Dienern begleitet, den Saum der gegenüberliegenden Hügel⸗ fette erreichten und, von der Veſperglocke gemahnt, nach kurzem, betrachtendem Verweilen, ihre Pferde in ſchärfern Trott ſetzten, thaleinwärts, dem Kloſter zu.
Die Kleidung der ſpäten Gäſte bezeichnete die Fremden. Breitgedrückte, befiederte Hüte, das Elennkoller vom dunkeln Bruſtharniſch gedrückt, die ſtraffanliegenden Unterkleider und hohen Stulpſtiefel erlaubten nicht, ſie für eingeborne Polen zu halten. Und fo war es auch. Als Boten des Deutſchen Kaiſers zogen fie, ſelbſt Deutſche, an den Hof Des kriegeriſchen Johann Sobiesky, und vom Abend über: raſcht, ſuchten ſie Nachtlager in dem vor ihnen liegenden Kloſter.
Das bereits abendlich verſchloſſene Thor ward den Ein⸗ Laßheiſchenden geöffnet, und der Pförtner hieß fie ein⸗ kreten in die geräumige Gaſtſtube, wo Erfriſchung und Nachtruhe ihrer warte; obgleich, wie er entſchuldigend
hinzuſetzte, der Abt und die Konventualen, bereits zur Veſper im Chor verſammelt, ſich für heute die Bewill⸗ kommung fo werther Gäſte verſagen müßten. Die Angabe
rm einer geittichen Semeine
Die beiden Fremden traten mach, welches, obgleich, wie de erſt ſeit Kurzem erbaut, doch a mit abſichtlicher Genauigkeit na anſtändiges Geräthe war rings Die hohen Bogenfenſter gingen in aufſteigende Mond, mit der letzt nur ſparſame Schimmer auf die lichten Bodens warf, indeß in und unter den Bäumen des For Nacht mit ihrem dunkeln Gefolge l. hold vermiſchend, ihren Schleier belebtes ausbreitete.
Die eigenen Diener der Ritter Abendkoſt. Ein derbgefügter Tiſch geöffneten Bogenfenſters gerückt, Gäſte, die, auf hohe Armſtühle dem zauberiſchen Spiele des Moni zu Wein und Speiſe zurückkehren Reiſe des nächſten Tages ſtärkten.
Eine Stund: -
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Das Kloſter bei Sendomir. 5
Da pochte es mit kräftigem Finger an die Thüre des Ge⸗ maches, und ehe man noch, ungern die Rede unterbrechend, mit einem: Herein! geantwortet, öffnete ſich dieſe, und eine ſeltſame Menſchengeſtalt trat ein, mit der Frage: ob ſie Feuer bedürften?
Der Eingetretene war in ein abgetragenes, an mehreren
Stellen geflicktes Mönchskleid gehüllt, das ſonderbar ge⸗ nug gegen den derben, gedrungenen Körperbau abſtach. Obgleich von Alter ſchon etwas gebeugt, und mehr unter als über der Mittelgröße, war doch ein eigener Ausdruck von Entſchloſſenheit und Kraft über ſein ganzes Weſen verbreitet, fo daß, die Kleidung abgerechnet, der Be⸗ ſchauer den Mann eher für Alles, als für einen friedlichen Sohn der Kirche, erkannt hätte. Haar und Bart, vormals augenſcheinlich rabenſchwarz, nun aber überwiegend mit Grau gemiſcht, und trotz ihrer Länge, ſtark gekräuſelt, Drängten ſich in dichter Fülle um Stirne, Mund und Kinn. Das Auge, klöſterlich geſenkt, hob ſich nur ſelten; wenn es aber aufging, traf es wie Wetterſchlag, ſo grauenhaft Funkelten die ſchwarzen Sterne aus den aſchfahlen Wangen, und man fühlte ſich erleichtert, wenn die breiten Lider fie wieder bedeckten. So beſchaffen und fo angethan, trat der Mönch, ein Bündel Holz unter dem Arme, vor die Fremden hin, mit der Frage: ob ſie Feuer bedürften?
Die Beiden ſahen ſich an, erſtaunt ob der ſeltſamen Erſcheinung. Indeſſen kniete der Mönch am Kamine nieder und begann Feuer anzumachen, ließ ſich auch durch die Bemerkung nicht ſtören, daß man gar nicht friere, und ſeine Mühe überflüſſig ſei. Die Nächte würden ſchon rauh, meinte er, und fuhr in ſeiner Arbeit fort. Nach⸗ dem er ſein Werl vollendet, und das Feuer luſtig brannte, blieb er ein paar Augenblicke am Kamine ſtehen, die Hände
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e ehrwürdiger Vater „Bruder!“ fiel der Mönch, ohne ſich umzuſehen, blieb er, geneigt, am Eingange ſtehen. „Nun denn alſo, ehrwürdiger fort, „da Ihr ſchon einmal hier ſchluß über Einiges, das wir zu w „Fragt! · ſprach, ſich umwend „So wißt denn, ſagte der
Rede und hafteten mit einer Art | auf dem Sprechenden.
„Die Zeiten ſind vorüber, fuhr Errichtung ſolcher Werke der Fri
Das Maker bei Sendemir. 7
auf die er ſich geſtützt hatte, brach lrachend unter feinem Druck zulammen; eine Hölle ſchien in dem Blicke zu flammen, den er auf die Fremden richtete, und plötzlich gewendet, ging er ſchallenden Trittes zur Thüre hinaus.
Noch hatten ſich die Beiden von ihrem Erſtaunen nicht erholt, da ging die Thüre von Neuem auf, und derſelbe Mönch trat ein. Als ob nichts vorgefallen wäre, ſchritt er auf den Kamin zu, lockerte mit dem Störeiſen das Feuer auf, legte Holz zu, blies in die Flamme. Darauf ſich umwendend, ſagte er: „Ich bin der Mindeſte von den Dienern dieſes Hauſes. Die niedrigſten Dienſte ſind mir zugewieſen. Gegen Fremde muß ich gefällig ſein und antworten, wenn ſie fragen. Ihr habt ja auch gefragt? Was war es nur?“
„Wir wollten über die Gründung dieſes Kloſters Aus⸗ kunft einholen,“ ſprach der Aeltere der beiden Deutſchen, „aber Eure ſonderbare Weigerung” —
„Ja, ja!“ ſagte der Mönch, „Ihr ſeid Fremde und kennet Ort und Leute noch nicht. Ich möchte gar zu gerne
Eure thörichte Neugierde unbefriedigt laſſen, aber dann klagt Ihr's dem Abte, und der ſchilt mich wieder, wie Damals, als ich dem Palatin von Plozk an die Kehle griff, weil er meiner Väter Namen ſchimpfte. Kommt Ihr von Warſchau?“ fuhr er nach einer kleinen Weile fort.
„Wir gehen dahin,“ antwortete Einer der Fremden.
„Das iſt eine arge Stadt,“ ſagte der Mönch, indem er ſich ſetzte. „Aller Unfrieden geht von dort aus. Wenn der Stifter dieſes Kloſters nicht nach Warſchau kam, jo ſtiftete er überhaupt kein Kloſter, es gäbe keine Mönche hier, und ich wäre auch keiner. Da Ihr nicht von dort⸗ her kommt, mögt Ihr rechtliche Leute ſein, und alles betrachtet, will ich Euch die Geſchichte erzählen. Aber
unterbrecht mich nicht und fragt nicht weiter, wenn ich aufhöre. Am Ende ſprech' ich ſelbſt gerne wieder einmal davon. — Wenn nur nicht ſo viel Nebel dazwiſchen läge, man ſieht kaum das alte Stammſchloß durchſchimmem, und der Mond ſcheint auch ſo trübe.“ — Die letzten Worte verloren ſich in ein unverſtändliches Gemurmel und machten endlich einer tiefen Stille Platz, während welcher der Mönch, die Hände in die weiten Aermel geſteckt, das Haupt auf die Bruſt geſunken, unbeweglich da ſaß. Schon glaubten die Beiden, feine Zuſage habe ihn gereut, und wollten kopfſchüttelnd ſich entfernen, da richtete er ſich plötzlich mit einem verſtärkten Athemzuge empor; die vorgeſunkene Kapuze fiel zurück; das Auge, nicht mehr wild, ſtrahlte in faſt wehmüthigem Lichte; er ftüßte das dem Mond entgegengewendete Haupt in die Hand, und begann:
„Starſchensky hieß der Mann, ein Graf feines Stam mes, dem gehörte die weite Umgegend und der Platz, wo dieß Kloſter ſteht. Damals war aber noch kein Klofter. Hier ging der Pflug; er ſelber hauſte dort oben, wo jetzt geborſtene Mauern das Mondlicht zurückwerfen. Der Graf war nicht ſchlimm, wenn auch gerade nicht gut. Im Kriege hieß man ihn tapfer; ſonſt lebte er ſtill und ab⸗ geſchieden im Schloſſe ſeiner Väter. Ueber Eines wun⸗ derten ſich die Leute am meiſten: nie hatte man ihn einem weiblichen Weſen mit Neigung zugethan geſehen, ſichtlich vermied er den Umgang mit Frauen. Er galt daher für einen Weiberfeind; doch war er keiner. Ein von Natur ſchüchterner Sinn, und — laßt ſehn, ob ich's treffe!“ ſagte der Mönch, indem er ſich aufrichtete — „ein über Alles gehendes Behagen im Beſitz ſeiner ſelbſt, hatte ihm bis dahin keine Annäherung erlaubt. Abweſenheit von
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Unluſt war ihm Luſt. — Habt Ihr noch Wein übrig? Gebt mir einen Becher! der Graf war ſo ſchlimm nicht.“
Der Mönch trank, dann fuhr er fort: „So lebte Star⸗ ſchensky, ſo gedachte er zu ſterben; doch war es ihm anders beſtimmt. Ein Reichstag rief ihn nach Warſchau. Un⸗ willig über die Verkehrtheit der Menge, deren jeder nur ſich wollte, wo es das Wohl des Ganzen galt, ging er eines Abends durch die Straßen der Stadt; ſchwarze Regenwolken hingen am Himmel, jeden Augenblick bereit, ſich zu entladen, dichtes Dunkel ringsum. Da hört er plötzlich hinter ſich eine weibliche Stimme, die zitternd und ſchluchzend ihn anſpricht: Wenn Ihr ein Menſch ſeid, fo erbarmt euch eines Unglücklichen! Raſch umgewendet, er⸗ blickt der Graf ein Mädchen, das bittend ihm die Hände entgegen ſtreckt. Die Kleidung ſchien ärmlich, Hals und Arme ſchimmerten weiß durch die Nacht. Der Graf folgt der Bittenden. Zehn Schritte gegangen, tritt ſie in eine Hütte, Starſchensky folgt, und bald ſteht er mit ihr allein auf dem dunkeln Flur. Eine warme, weiche Hand er⸗ greift die feinige. — Seid Ihr Ordensritter?“ unterbrach ſich der Mönch, zu dem Jüngern der Fremden gewendet. „Was bedeutet das. Kreuz auf Eurem Mantel?“ — „Ich bin Maltheſer,“ entgegnete dieſer. — „Ihr auch?“ wen⸗ dete der Mönch ſich zum Zweiten. — „Keineswegs,“ war die Antwort. — „Habt Ihr Weib und Kinder?“ — „Beides hatt ich nie.“ — „Wie alt ſeid Ihr?“ — „Fünf und vier⸗ zig.“ — „So! fo!” murmelte kopfnickend der Mönch. Dann fuhr er fort:
„Ein bis dahin unbekanntes Gefühl ergriff den Grafen bei der Berührung der warmen Hand. Sie erzählen ein morgenländiſches Märchen von Einem, dem plötzlich ver⸗ liehen ward, die Sprache der Vögel und andern Natur⸗
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weſen zu verſtehen, und der nun, im Schatten lie am Bachesrand, mit freubigem Erſtaunen rings um überall Wort und Sinn vernahm, wo er vorher nur täuſch gehört und Laute. So erging es dem Gr Eine neue Welt ſtand vor ihm auf, und bebend f er ſeiner Führerin, die eine kleine Thüre öffnete mit ihm in ein niederes, ſchwacherleuchtetes Zimmer t
„Der erſte Strahl des Lichtes fiel auf das Mäd Starſchensky's innerſtes Weſen jubelte auf, daß die? lichkeit gehalten, was die Ahnung verſprach. Das Ma war ſchön, ſchön in jedem Betracht. Schwarze L ringelten ſich um Stirn und Nacken und erhoben, der gleichgefärbten Wimper, bis zum Sonderbaren Reiz des hellblau ſtrahlenden Auges. Der Mund üppig aufgeworfenen, beinahe zu hochrothen Lippen, keineswegs durch eine kleine Narbe entſtellt, die, als fchı weißlich gefärbte Linie ſchräg abwärts laufend, ſich il Karmin der Oberlippe verlor. Grübchen in Rinn Wangen; Stirn und Naſe, wie vielleicht gerade der 2 ſie nicht denkt, wie ſie aber meinen Landsmänninnen ſtehen, vollendeten den Ausdruck des reizenden Köpf und ſtanden in ſchönem Einklange mit den Formen zugleich ſchlank und voll gebauten Körpers, deſſen ü! Schönheit die ärmliche Hülle mehr erhob als verbar; Nicht wahr, davon wißt Ihr nichts, Maltheſer? Ja bei dem alten Mönch rappelt's einmal wieder! Laßt noch Eins trinken! — So, und nun gut.“
„Der Graf ſtand verloren im Anſchaun des Mädch und bemerkte kaum, daß in einem Winkel der Hütte, moderndes Stroh gebettet, einen zerriſſenen Sattel des Kiſſens unter dem Kopfe, mit Lumpen bedeckt, Jammergeſtalt eines alten Mannes lag, der jetzt die 4
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Das Kloſter bei Sendomir. 11
aus ſeinen ärmlichen Hüllen hervorſtreckte und mit er⸗ lechener Stimme fragte: Biſt du's, Elga? Wen bringſt du nir da? — Hier der Unglückliche, ſprach das Mädchen zu Starſchensky gewendet, für den ich, durch äußerſte Noth getrieben, Euer Mitleid anſprach. Er iſt mein Vater, ein Edelmann von altem Stamm und Adel, durch Ver⸗ folgungen bis hierher gebracht. — Damit ging fie bin, und am Lager des Greiſes niedergekauert, ſuchte ſie, durch Zurechtrücken und Ausbreiten, in die Lumpen, die ihn bedeckten, einen Schein von Anſtändigkeit und Ordnung zu bringen.“ | |
„Der Graf trat näher. Er erfuhr die Geſchichte. Der
bor ihm lag, war der Staroſt von Laſchek. Er und ſeine zwei Söhne hatten ſich in politiſche Verbindungen ein⸗ helaſſen, die das Vaterland mißbilligte. Ihre Anſchläge wurden entdeckt. Die beiden Söhne ſammt einigen Un⸗ bor ſichtigen, die mit ihnen gemeine Sache gemacht, traf Verbannung; der Vater, feiner Güter beraubt, war im Elend.“
„Im erſten Augenblicke, als Starſchensky den Namen Lerſchek hörte, wußte er auch ſchon, daß die Lage des Un⸗ ücklichen nicht ganz unverſchuldet war. Denn, wenn er auch einer unmittelbaren Theilnahme an den Anſchlägen feiner Söhne nicht geradezu überwieſen werden konnte, ſo hatte er doch durch Leichtſinn in der Jugend und üble
| Wirthſchaft im vorgerückten Alter ſeinen Söhnen die recht⸗
lichen Wege des Emporkommens ſchwierig und Wagniſſe o illkommen gemacht. All dieß war dem Grafen nicht ver⸗ borgen. Aber es galt, einen Unglücklichen zu retten, und Srga's Vater hatte den beredteſten Fürſprecher bei dem Strubrannten für ſeine Tochter.“
„Laſchek ward in eine anſtändige Wohnung gebracht,
er und feine Tochter mit dem Notbiwendigen verſehen. Starſchensky verwendete feinen Einfluß, feine Verbin dungen, er ließ ſich bis zu Geld und Geſchenken herab um die Wiederherſtellung des Entſetzten, die Rückberufun der Verbannten zu erwirken. Glücklicherweiſe waren di äußern Verhältniſſe längſt vorüber, welche die Anſchläg jener Unvorſichtigen gefährlich gemacht hatten. Verzeihur ward bewilligt; die Verwieſenen rüſteten ſich zur Hein kehr. Mehrere der Unglücksgenoſſen hatten, ihrem Leick finne treu, Dienſte in fremden Landen genommen; m Laſcheks beide Söhne und ein entfernter Verwandter d Hauſes, Oginsky genannt, machten Gebrauch von der ſchw erlangten Erlaubniß. Täglich erwartete man ihre A kunft.“
„Die Wiedergabe von Laſcheks eingezogenen Güte zeigte ſich indeß als wenig Nutzen bringend. Tägli erſchienen neue Gläubiger. Hauptſtock und rüdftändi, Zinſen verſchlangen weit den Werth des vorhandenen U beweglichen. Starſchensky trat ins Mittel, bezahlte, ve ſchuldete feine eigenen Güter und Tofnte dennoch kau einen geringen Reit der Stammbeſitzungen, als Pfror reis für die Zukunft, retten.“
„Glücklicher ſchien er mittlerweile in feinen Bewerbung: um Elga's Herz. Als das Mädchen ſich zum erſtenma wieder in anſtändigen Kleidern erblickte, flog ſie ihm bei Eintritte aufſchreiend entgegen, und ein lange nachgefühlt Kuß von ihren brennenden Lippen lohnte ſeine Vorſorg ſein Bemühn. Dieſer erſte Kuß blieb freilich vor d Hand auch der letzte, nichts deſtoweniger durfte ſich ab doch Starſchensky mit der Hoffnung ſchmeicheln, ihre Herzen nicht gleichgültig zu ſein. Sie war gern in ſein Geſellſchaft, ſie bemerkte und empfand ſeine Abweſenhei
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Oft überraſchte er ihr Auge, das gedankenvoll und be⸗ trachtend auf ihn geheftet war; ja einigemale konnte er nur durch ſchnelles Zurückziehen verhindern, daß nicht ein Kuß, den er gar zu gerne ſeinen Lippen gegönnt hätte, auf ſeine Hand gedrückt wurde. Er war voll der ſchönſten Hoffnungen. Doch mit einemmale änderte ſich die Scene. Elga ward düſter und nachdenkend. Wenn ſonſt ihre Nei⸗ gung für Zerſtreuungen, für Kleiderzier und Lebensgenuß ſih aufs Beſtimmteſte ausſprach und manchmal hart an die Grenzen des Zuviel zu ſtreifen ſchien, ſo mied ſie jetzt die Geſellſchaft. Streitende Gedanken jagten ihre Wolken über die ſchöngeglättete Stirne; das getrübte Auge ſprach von Thränen, und nicht ſelten drängte ſich ein Einzelner der ſtörenden Gäſte unter der ſchnellgeſenkten Wimper hervor. Starſchensky bemerkte, wie der Vater fie dann eruſt, beinahe drohend anblickte, und eine erkünſtelte Heiterkeit das Beſtreben des Mädchens bezeichnete, einen heimlichen Kummer zu unterdrücken. Einmal, raſch durch's Vorgemach auf die Thüre des Empfangzimmers zuſchrei⸗ tend, hörte Starſchensky die Stimme des Staroſten, der aufs Heftigſte erzürnt ſchien und ſich ſogar ziemlich gemeiner Ausdrücke bediente. Der Graf öffnete die Thüre und ſah ringsum, erblickte aber kein Drittes; nur die Tochter, die nicht weinend und höchſt erhitzt, vom Vater abgelehrt, im Fenſter ſtand. Ihr mußten jene Schelt⸗ worte gegolten haben. Da ward es feſter Entſchluß in der Seele des Grafen, durch eine raſche Werbung um Elga's Hand, der marternden Ungewißheit des Verhält⸗ niſſes ein Ende zu machen.“ „Während er ſich kurze Friſt zur Ausführung dieſes Vorſazes nahm, und Elga's vorige Heiterkeit nach und nach zurückkehrte, langten die aus der Verbannung heim⸗
beruſenen Angehörigen an. Elga ſchien weniger Freie über den Wiederbeſitz der fo lange entbehrten Brüder zu empfinden, als der Graf vorausgeſetzt hatte. Am auß fallendſten aber war ihre ſchroffe Kälte, um es nicht Haute zu nennen, gegen den Gefährten von ihrer Brüder Schuld und Strafe, den armen Vetter Oginsky, den ſie kaun eines Blickes würdigte. Gut gebaut und wohl ausſehend, wie er war, ſchien er eine ſolche Abneigung durch nicht zu verdienen; vielmehr war in ſeinem, beinahe zu unter würfigen Benehmen, das Streben ſichtbar, ſich um die gute Meinung von Jedermann zu bewerben. Keine Härte konnt ihn aufbringen; nur ſchien ihm freilich jede Gelegenheit erwünſcht, ſich der beinahe verächtlichen Behandlung Elgas zu entziehen. Zuletzt verſchwand er ganz, und Niemand wußte, wo er hingekommen war.“
„Nun endlich trat der Graf mit ſeiner Bewerbung hervor, der alte Staroſt weinte Freudenthränen, Elga ſank ſchamerröthend und ſprachlos in ſeine Arme, und der Bund war geſchloſſen. Laute Feſte verkündeten der Hauptſtadt Starſchensky s Glück, und wiederholte, zahl⸗ reich befuchte Feſte verſicherten ihn der allgemeinen Theil nahme. Durch eine Ehrenbedienſtung am Hofe feſtgehalten lernte er bald ſich in Geräuſch und Glanz fügen, ja woh gar daran Vergnügen finden, wenigſtens inſoweit Elgos es fand, deren Geſchmack für rauſchende Luſtbarkeiten ſich immer beſtimmter ausſprach. Aber war ſie nicht jung, war fie nicht ſchön? Hatte nicht, nach langen Unfällen, jede Luſt für ſie den doppelten Reiz, als Luſt und als neu? Der Graf gewährte und war glücklich. Nur Eines fehlte, um ihn ganz ſelig zu machen: ſchon war ein volles Jahr ſeit feiner Vermählung verſtrichen, und Elga gab noch keine Hoffnung, Mutter zu werden.“
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„Doch plötzlich ward der Nauſch des Glücklichen auf eine noch weit empfindlichere Wriſe geftört. Starſchensky's Hausverwalter, ein als redlich erprobter Mann, erſchien, trübe Wolken auf der gefurchten Stirn. Man ſchloß ſich ein, man rechnete, man verglich, und es zeigte ſich bald nur zu deutlich, daß durch das, was für Elga's Ver⸗ wandte geſchehen war, durch den ſchrankenloſen Aufwand der letzten Zeit, des Grafen Vermögensſtand erſchüttert war und ſchleunige Vorſorge erheiſchte. Das Schlimmſte zu dieſer Verwirrung hatten Elga's beide Brüder gethan. Wie denn überhaupt das Unglück nur Beſſerungsfähige beſſert, ſo war die alles verſchlingende Genußliebe des leichtfertigen Paares durch die lange Entbehrung nur noch gieriger geworden. Auf die Kaſſe des Grafen mit ihrem Unterhalte angewieſen, hatten ſie den überſchwänglichſten Gebrauch von dieſer Zugeſtehung gemacht, und nachdem der in Seligkeit ſchwimmende Graf auf die erſten Anfragen ſeiner beſorgten Geſchäftsleute ungeduldig die Antwort ertheilt hatte: man ſolle es nicht zu genau nehmen und ſeinen Schwägern geben, was ſie bedürften, war bald des Forderns und Nehmens kein Ende.“
„Der Graf überſah mit einem Blicke das Bedenkliche ſeiner Lage, und ordnungsliebend wie er war, hatte für ihn ein raſches Umkehren von dem eingeſchlagenen Taumel⸗ pfade nichts Beängſtigendes. Nur der Gedanke an Elga
machte ihm bange. Wird das heitere, in unbefangenem
Frohſinn fo gern hinſchwebende Weſen —? Aber es mußte ſein, und der Graf that, was er mußte. Mit klopfendem Herzen trat er in Elga's Gemach. Aber wie angenehm ward er überraſcht, als, da er kaum die Verhältniſſe aus⸗ einandergeſetzt und die Nothwendigkeit geſchildert hatte, die Stadt zu verlaſſen, um auf eigener Scholle den Leicht⸗
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ſinn der letztverfloſſenen Zeit wieder gut zu machen, als bei der erſten Andeutung ſchon Elga an ſeine Bruſt ſtürzte und ſich bereitwillig und erfreut erklärte. Was er wolle, was er gebiete, ſie werde nur gehorſam ſein! Dabei ſtürzten Thränen aus ihren Augen, und ſie wäre zu ſeinen Füßen gefallen, wenn er es nicht verhindert, ſie nicht empor⸗ gehoben hätte zu einer langen, Zeit und Außenwelt auf⸗ hebenden Umarmung.“
„Alle Anſtalten zur Abreiſe wurden gemacht. Star⸗ ſchensky, der, von Jugend auf an Einſamkeit gewohnt, alle Freuden des Hofes und der Stadt nur in der Freude, die ſeine Gattin daran zeigte, genoſſen hatte, ſegnete bei⸗ nahe die Unfälle, die ihn zwangen, in den Schooß ſeiner ländlichen Heimath zurückzukehren. Elga packte und ſorgte, und in den erſten Nachmittagsſtunden eines warmen Mai tages war man mit Kiſten und Päcken in dem alterthüm⸗ lichen Stammſchloſſe angekommen, das, neu eingerichtet und auf's Beſte in Stand geſetzt, durch Nachtigallenſchlag und Blüthenduft wetteifernd erſetzte, was ein verwöhnter Geſchmack in Vergleich mit den Paläſten der Städte allen⸗ falls hätte vermiſſen können.“
„Bald nach der Ankunft ſchien ſich zum Theile auf: zuklären, warum Elga'n die Aenderung der bisherigen Lebensweiſe ſo leicht geworden war. Sie ſtand in den erſten Monaten einer bis jetzt verheimlichten Schwanger⸗ ſchaft, und Starſchensky, mit der Erfüllung aller ſeiner Wünſche überſchüttet, kannte keine Grenzen ſeinez, Glücks.“
„Frühling und Sommer verſtrichen unter ländlichen Ergötzlichkeiten, ordnenden Einrichtungen und frohen Er⸗ wartungen. Als das Laub gefallen war, und rauhe Stürme, die erſten Boten des Winters, an den Fenſtern des Schloſſes rüttelten, nahte Elga'n die erſehnte und gefürchtete Stunde,
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ſie gebar, und ein engelſchönes, kleines Mädchen ward in die Arme des Grafen gelegt, der die Tochter mit ſegnenden Tbränen benetzte. Leicht überſtanden, wie die Geburt, waren die Folgen, und Elga blühte bald wuder einer Roſe gleich.
„Soviel günſtige Vorfälle wurden leider durch unan⸗ genehme Nachrichten aus der Hauptſtadt unterbrochen. Der alte Staroſt, Elga's Vater, war geſtorben und hatte ſeine Umſtände in der größten Zerrüttung hinterlaſſen. Die beiden Söhne, in ihrer tollen Verſchwendung nicht mehr von ihrem bedächtlicher gewordenen Schwager unterſtützt, häuften Schulden auf Schulden, und ihre Gläubiger, die in Hoffnung auf den Nachlaß des alten Vaters zugewartet batten, ſahen ſich zum Theile in ihrer Erwartung dadurch getäuſcht, daß in dem Teſtamente des Staroſten eine be⸗ trächtliche Summe, in Folge einer früher geſchehenen förm⸗ lichen Schenkung, an jenen armen Vetter Oginsky über⸗ ging. Dieſer Vetter war, wie bekannt, ſeit längerer Zeit verſchwunden. Er mußte aber doch noch leben, und ſein Aufenthalt nicht Jedermann ein Geheimniß ſein, denn die ihm beſtimmte Summe ward geſordert, übernommen, und die Sache blieb abgethan.“
„Zu den Verſchwendungen der beiden Laſchek geſellten ſich überdieß noch Gerüchte, als ob ſie neuerdings ver⸗ botene Anſchläge hegten und Parteigänger für landes⸗ ſchädliche Neuerungen würben. Starſchensky ſah ſich auf's Ueberläſtigſte von ſeinen Schwägern und ihren Gläubigern beſtürmt, er wies aber, nachdem er gethan, was in ſeinen Kräften ſtand, alle weitere Anforderung ſtandhaft von ſich und hatte das Vergnügen, Elga'n in ihren Geſin⸗ nungen mit den ſeinigen ganz übereinſtimmen zu ſehen. Ja, als die Brüder, gleichſam zum letzten Veſuch, ſich
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auf dem Schloſſe des Grafen einfanden, ſahen ſie ſich von der Schweſter mit Vorwürfen überhäuft, und man ſchied beinahe in Feindſchaft.“
„So gingen mehr als zwei Jahre vorüber, und vet Friede des Hauſes blühte, nach überſtandenen Stürmen
nur um fo ſchöner empor. Sah ſich gleich der Graf i feinen Wünſchen nach einem männlichen Stammhalter for. während getäufcht, jo wendete ſich dafür eine um fo größere"
eine ungetheilte Liebe auf das theure, einzige Kind.“
„Kaum konnte aber auch etwas Reizenderes gedach - werden, als das kleine, raſch ſich entwickelnde Mädchen —- In allen ſchon angekündigten Formen der Mutter Abbild. * ſchien ſich die ſchaffende Natur bei dem holden Köpfchen in einem ſeltſamen Spiele gefallen zu haben. Wenn Elga bei der Schwärze ihrer Haare und Brauen durch ein hell- blaues Auge auf eine eigene Art reizend anſprach, fo war —= bei dem Kinde dieſe Verkehrung des Gewöhnlichen nad: —
geahmt, aber wieder verkehrt; denn goldene Locken ringelten ſich um das zierliche Häuptchen, und unter den langen blonden Wimpern barg ſich, wie ein Räuber vor der Sonne, das große ſchwarzrollende Auge. Der Graf ſcherzte oft über dieſe, wie er es nannte, auf den Kopf geſtellte Aehnlichkeit, und Elga drückte dann das Kind inniger an ſich, und ihre Lippen hafteten auf den gleichgeſchwellten, ſtrahlenden von gleichem Roth.“
„Der Graf widmete alle Stunden, die er nicht den häuslichen Freuden ſchenkte, einzig der Wiederherſtellung ſeiner, durch die unüberlegte Freigebigkeit an Elga's Ver⸗ wandte, herabgekommenen Vermögensumſtände und der Verbeſſerung ſeiner Güter. Tagelang durchging er Meier⸗ höfe und Fruchtſcheuern, Saatfelder und Holzſchläge, immer von ſeinem Hausverwalter begleitet, einem alten, redlichen
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Manne, der, vom Vater auf den Sohn vererbt, deſſen ganzes Vertrauen beſaß. Schon ſeit längerer Zeit be⸗ merkte Starſchensky eine auffallende Düſterheit in den Zügen des Alten. Wenn er unvermuthet ſich nach ihm umwendete, überraſchte er das ſonſt immer heitere Auge beinahe wehmüthig auf ſich geheftet. Doch ſchwieg der Mann.“
„Einſt, als Beide die Hitze eines brennenden Vor⸗ mittages mit den Schnittern getheilt hatten, und der Graf, im Schatten eines Erlenbuſches gelagert, mit Behagen einen Trunk friſchen Waſſers aus der Hand ſeines alten Dieners empfing, da rief dieſer losbrechend aus: Wie herrlich Gottes Segen auf den Feldern ſteht! Wie glücklich ſich der Be⸗ ſitzer von dem Allen fühlen muß! Das thut er auch, ent⸗
gegnete, kopfnickend und zu wiederholtem Trinken anſetzend, der Graf. Es begreiſt ſich allenfalls noch, fuhr der Alte fort, wie es in den Städten Unzufriedene gibt, die an Staat und Ordnung rütteln, und denen die Gewalt Nichts zu Danke machen kann, aber auf dem Lande, in Wald und Feld, fühlt man's deutlich, daß doch am Ende Gott allein Alles regiert; und der hat's noch immer gut ge⸗ macht bis auf dieſen Augenblick. Aber die Ruheſtörer haben keine Raſt, bis ſie Alles verwirrt und zerrüttet, Vater und Bruder in ihr Netz gezogen, Schweſter und Schwäger. Gottes Verderben über ſie! — Der Graf war aufgeſtanden. Ich merke wohl, ſprach er, daß du auf meiner Frauen Brüder zielſt. Haſt du etwa neuerlich von ihnen gehört? Da fiel der alte Mann plötzlich zu Star⸗ ſchensky's Füßen, und in heiße Thränen ausbrechend, rief er: Herr, laßt Euch nicht verlocken! Denkt an Weib und Kind! An ſo Manches, was Ihr beſitzt! An Eurer Väter ruhmwürdigen Namen! — Was kommt dir an? zürnte
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der Graf. — Herr, rief der Alte, Eure Schwäger ſinnen Böſes, und Ihr wißt um ihr Vorhaben! — Spricht der Wahnſinn aus dir? ſchrie Starſchensky. — Ich weiß, was ich ſage, entgegnete der Alte. Ein Vertrauter Eurer Schwäger kommt zu Euch heimlich auf's Schloß. Heim: lich wird er eingelaſſen. Tagelang liegt er in der halb⸗ verfallenen Warte am weſtlichen Ende der Thiergarten⸗ mauer verborgen. — Wer ſagt das? — Ich, der ich ihn ſelbſt geſehen habe. — Heimlich auf's Schloß kommend? — Heimlich aufs Schloß! — Wann? — Oft! — Ein Ver trauter meiner Schwäger? — In Warſchau ſah ich ihn an ihrer Seite. — Weißt du ſeinen Namen? — Euch iſt wohlbekannt, daß ich nur einmal in Warſchau war, und da hatte ich Wichtigeres in Eurem Dienſte zu ſchaffen, als mich um die Namen von Eurer Schwäger zahlreichen Zechgeſellen zu bekümmern. Aber, daß ich ihn mit ihnen ſah, deß bin ich gewiß. — Zu welchen Stunden ſahſt du ihn auf's Schloß kommen? — Nachts! — Starſchensky ſchauderte unwillkürlich zuſammen bei dieſer letzten Ant⸗ wort, obgleich eine kurze Beſinnung ihm ſo viele mög⸗ liche Erklärungsarten dieſer räthſelhaften Beſuche darbot, daß er bei ſeiner Nachhauſekunft ſchon wieder beinahe ganz ruhig war. Nur fragte er wie im Vorbeigehen Elga'n: ob ſie ſchon lange keine Nachricht von ihren Brüdern er⸗ halten habe? Seit ſie zuletzt ſelbſt hier waren, keine, — ent⸗ gegnete ſie ganz unbefangen. Der Graf gebot dem alten Hausverwalter, dem er ſeine patriotiſchen Beſorgniſſe leicht ausgeredet hatte, das tiefſte Stillſchweigen über die ganze Sache, beſchloß aber / doch, wo möglich, näher auf den Grund zu ſehen.“
„Einige Zeit verſtrich, da war er eines Nachmittags zu Pferde geſtiegen, um eine ſeiner entferntern Beſitzungen
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zu beſuchen, wo er mehrere Tage zubringen wollte. Schon Hatte er einen guten Theil des Weges gemacht, und der Abend fing an einzubrechen, da hörte er hinter ſich laut mund ängſtlich feinen Namen rufen. Umblickend, erkannte er den alten Hausverwalter, der auf einem abgetriebenen „Pferde keuchend und athemlos ihn einzuholen ſich beſtrebte mund mit Rufen und Händewinken anzuhalten und ihn zu erwarten bat. Der Graf zog den Zügel ſeines Roſſes an And hielt. Angelangt, drängte der Alte ſich hart an feinen Serrn und ſtammelte ihm keuchend ſeine Kunde ins Ohr. Der Veranlaſſer jener Beſorgniſſe, der räthſelhafte Unbe⸗ kannte war wieder in der Nähe des Schloſſes geſehen rvorden. Der Graf wandte fein Roß, und eines Laufes Tprengten fie den Weg zurück, heimwärts, mit Mühe von Den Dienern gefolgt. Eine gute Strecke vom Schloſſe ſtiegen Beide ab und gaben die Pferde dem Diener, der angewieſen wurde, ihrer an einem bezeichneten Platze zu harren. Durch Geſtrüpp und Dickicht gingen ſie jener Warte zu, wo der Fremde ſich am öfteſten zeigen ſollte. Es war indeß dunkel geworden, und der Mond zögerte noch aufzugehen, obſchon bereits durch eine dämmernde Helle am Saum des Horizontes angekündigt. Da fiel plötzlich durch die dicht verſchlungenen Zweige ein Licht in ihre Augen, in derſelben Richtung, in der jene Warte liegen mußte. Sie beeilten ſich, den Rand des Waldes zu erreichen, und waren nun am Fuße des von Bäumen entblößten Hügels angekommen, auf dem die Warte ſtand. Aber kein Licht blickte durch die ausgebröckelten Schuß⸗ ſcharten; keine Spur eines menſchlichen Weſens. Zwar wollte der alte Verwalter bei dem Schein des eben auf: gehenden Mondes friſche Fußtritte am Boden bemerken, auch war es keineswegs in der Ordnung, die Thüre
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unverſchloſſen zu finden; aber das erſte Anzeichen konnte > —
täuſchen, das andere ließ ſich ſo leicht aus einer Nach⸗ läſſigkeit des Schloßwarts erklären.“
„Leichter athmend, ging der Graf mit ſeinem Begleiter den Hügel herab, dem Schloſſe zu. Der Mond warf ſein Silber über die ruhig ſchlummernde Gegend und ver⸗ wandelte das vor ihnen liegende Schloß in einen ſchim⸗ mernden Feenpalaſt. In der Seele Starſchensky's ging. reizender als je, das Bild feiner Gattin auf. Jetzt ri geſtand er ſich's, daß ein Theil des in ihm aufkeimenden Verdachtes ihr gegolten hatte, und nun, im Gefühle ſeine⸗ Unrechts, ihr Bild, wie fie ſorglos ſchlummernd im jung fräulichen Bette lag, vor den Augen ſeiner Seele, ent ſtand eine Sehnſucht nach ihr in feinem Innern, wie er ſie, ſeit den Tagen des erſten Begegnens, der bräutlichen Bewerbung kaum je empfunden hatte.“
„So träumte er, ſo ging zr. Da fühlte er ſich plötz⸗ lich angeſtoßen. Sein Begleiter war's; der zeigte mit dem Finger vor ſich hin in das hellerleuchtete Feld. Star⸗ ſchensky folgte der Richtung und ſah eine Mannsgeſtalt, welche, die vom Monde unerleuchtete, dunkle Seite ihnen zugekehrt, über's Feld dem Schloſſe zuſchlich. Der Graf war ſein ſelbſt nicht mächtig. Mit einem lauten Ausruf, den gezückten Säbel in der Fauſt, ſtürzte er auf die Ge⸗ ſtalt los. Der Fremde, frühzeitig gewarnt, floh, vom Schloſſe ab, den Bäumen zu. Schon im Begriffe, ihn dahin zu verfolgen, ward der Graf durch eine zweite Er⸗ ſcheinung davon abgehalten, die dicht an der Mauer des Schloſſes ſich hinſchob. Dieſe zweite ward bald erreicht und gab ſich zitternd und bebend als Dortka, der Gräfin Kammermädchen, kund. Auf die erfte Frage: Was fie bier gemacht? ftotterte fie unzuſammenhängende Entſchul⸗
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digungen; die zweite: wie ſie hierher gekommen? beant⸗ wortete an ihrer Statt das geöffnete Ausfallpförtchen, das, gewöhnlich verſperrt und verriegelt, nur auf des Grafen Befehl mit einem Schlüſſel, den er ſelbſt verwahrte, ge⸗ öffnet werden konnte.“ ö „Alle Verſuche, von dem Mädchen ein Geſtändniß zu erpreſſen, waren vergeblich. Da ergriff ſie der Graf hoch⸗ erzürnt bei der Hand und führte ſie gewaltſam durch die mannigfach verſchlungenen Gänge bis zu den Zimmern ſeine Gemahlin, die er noch erleuchtet und unverſchloſſen fand. Elga ſelbſt war wach und in Kleidern. Der Graf, ſtotternd vor Wuth, erzählte das Geſchehene und verlangte, daß das Mädchen entweder augenblicklich bekenne, oder auf der Stelle aus Dienſt und Haufe entfernt werde. Dortka war auf die Kniee gefallen und zitterte und weinte.“ „Starſchensky hatte ſich ſeine Gattin verlegen, oder ſeinem gerechten Zorne beiſtimmend gedacht. Keines von beiden geſchah. Kalt und theilnahmlos bat ſie ihn Anfangs, idie Ruhe des Hauſes nicht durch fein lautes Schelten zu ſtören, und als er fortfuhr und die Entfernung des Mäd⸗ chens begehrte, da erklärte ſie mit ſteigender Wärme: Ihr gebühre, über das Verhalten ihrer Dienerinnen zu richten, ſie ſelbſt werde unterſuchen und entſcheiden. Der Graf, außer ſich, zog das Mädchen vom Boden auf, ſie gewalt⸗ ſam aus dem Zimmer zu bringen, aber Elga ſprang hinzu, ergriff des Mädchens andere Hand, riß ſie zu ſich, indem ſie ausrief: Nun denn, ſo ſtoß' auch mich aus dem Hauſe, denn darauf iſt es doch wohl abgeſehen! daß ich früher dich ſo gekannt! Unglückliche, die ich bin! fuhr ſie laut weinend fort; gekränkt, mißhandelt! Aber ſchuldloſe Diener ſollen nicht um meinetwillen leiden! Dabei zeigte ſie dem Mädchen mit dem Finger auf die Thüre ihres
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Schlafgemaches; dieſes verſtand den ſtummen Befehl urd ging eilig hinein. Elga folgte und ſchloß die Thüre hin “ ſich ab.“ |
„Starſchensky ſtand wie vom Donner getroffen. Einm raffte er ſich empor und ging auf das Zimmer feiner Fraß zu; halben Weges aber blieb er ſtehen und verſank neue dings in dumpfes Staunen. Der alte Hausverwalter tra⸗ zu ihm und ſprach einige Worte; der Graf aber ging ohn Antwort an ihm vorüber zur Thüre hinaus, über di Gänge, auf fein Gemach, das im entgegengeſetzten Flügen des Schloſſes lag. An der Schwelle wendete er ſich um. durch eine Bewegung der Hand jede Begleitung zurück weiſend, und die Thüre ging hinter ihm zu. Wie er die Nacht zubrachte; wer kann es willen? Der Diener, der des Morgens zu ihm eintrat, fand ihn angekleidet, auf einem Stuhle ſitzend. Er ſchien zu ſchlafen, doch näher beſehen, ſtanden die Augen offen und ſtarrten vor ſich hin. Der Diener mußte einigemal ſeinen Namen nennen, bis er ſich bewegte. Dann erſt meldete jener ſeine Botſchaft, indem er ihn im Namen der Gräfin bat, das Frühſtück auf ihrem Zimmer einzunehmen. Starſchensky ſah ihn ſtaunend an, dann aber ſtand er auf und folgte ſchweigend, wohin jener ihn, vortretend, geleitete.“
„Heiter und blühend, als ob Nichts vorgefallen wäre, kam ihm Elga entgegen; ſie erwähnte halb ſcherzend der Ereigniſſe der verfloſſenen Nacht. Das Kammermädchen ward eines heimlichen Liebeshandels angeklagt, Dortka ſelbſt gerufen, die ein unwahrſcheinliches Märchen unbe⸗ holfen genug erzählte. Zuletzt bat ſie um Verzeihung, welche die Gräfin, mit Rückſicht auf ſonſt gezeigtes gutes Betragen, im eigenen und in ihres Gatten Namen groß⸗ müthig ertheilte. Der Graf, am Schluſſe doch auch um
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ſeine Zuſtimmung befragt, ertheilte dieſe lopfnickend, und das Mädchen blieb im Hauſe.“
„Schweigend nahm Starſchensky das Frühſtück ein, ſtumm ging er aus dem Schloſſe. Der alte Hausverwalter, der ihm auf ſeinem Wege entgegenkam, wagte, neben ihm hergehend, nicht, das Stillſchweigen zu brechen, und ſuchte nur in den Zügen ſeines Herrn Antwort auf ſeine zurück⸗ gehaltenen Fragen und Zweifel. So gingen ſie, ſo ver⸗ richteten ſie ihre Geſchäfte, wie ſonſt, wie immer. Der Graf beſtrebte ſich nicht bloß über die Vorfälle des geſtrigen Tages nichts zu denken, er dachte wirklich nichts. Denn wenn der verfolgte Strauß ſein Haupt im Buſch verbirgt und wähnt, ſein Nichtſehen der Gefahr ſei zugleich ein Nichtdaſein derſelben, ſo thut der Menſch nicht anders. Unwillkürlich ſchließt er ſein Auge vor einem herein⸗ brechenden Unvermeidlichen, und jedes Herz hat ſeine Ge⸗ heimniſſe, die es abſichtlich verbirgt vor ſich ſelbſt.“
„Einige Tage darauf wollte Starſchensky eintreten bei ſeiner Gemahlin. Es hieß, ſie ſei im Bade; doch hörte er die Stimme feines Kindes im nächſten Gemache, und er ging hinein. Da fand er die Kleine am Boden ſitzend, mitten in einer argen Verwirrung, die ſie angerichtet. Elga's Schmuck und Kleinodien lagen rings um das Kind zerſtreut, und das offene, umgeſtürzte Schmuckkäſtchen nebſt dem herabgezogenen Teppich des daneben ſtehenden Putz⸗ tiſches zeigte deutlich die Art, wie es ſich das koſtbare Spielzeug verſchafft hatte. Starſchensky trat gutmüthig ſcheltend hinzu, ſtritt dem Kinde Stück für Stück ſeinen Raub ab und verſuchte nun die glänzenden Steine wieder an ihre Stelle zu legen. Der Deckel des Schmuckkäſtchens, augen⸗ ſcheinlich ein doppelter, war durch den Sturz vom Tiſche aus den Fugen gewichen, und da der Graf verſuchte, ihn,
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mit dem Finger drückend, wieder zurück zu preſſen, fiel innere Theil der doppelten Verkleidung auf den Boden ı zeigte in dem rückgebliebenen hohlen Raume ein Porn das, ſchwach eingefügt, leicht von der Stelle wich und nun der Graf hielt in der zitternden Hand.“
„Es war das Bild eines Mannes in polniſcher tionaltracht. Das Gefühl einer entſetzlichen Aehnlich überfiel den Grafen wie ein Gewappneter. Da war oft beſprochene Naturſpiel mit den ſchwarzen Augen blondem Haare, wie — bei ſeinem Kinde. — Er ſah Mädchen an, dann wieder das Bild. — Dieſe Züge h er fonft ſchon irgend geſehen; aber wann? wo? — Sch überliefen ihn. — Er blickte wieder hin. Da ſchaute ſein Kind mit ſchwarzen Schlangenaugen an, und blonden Haare loderten wie Flammen, und die Erinner an jenen verſchmähten Vetter in Warſchau ging gräſ in ihm auf. — Oginsky! ſchrie er und hielt ſich am Ti und die Zähne ſeines Mundes ſchlugen klappernd aneinand
„Ein Geräuſch im Nebenzimmer ſchreckte ihn em
Er befeſtigte den Deckel an feine Stelle, ſchloß das Käfk das Bild hatte er in feinen Buſen geſteckt; fo floh er, ein Mörder.“ ö
„Dieſen Tag ward er im Schloſſe nicht mehr gefı Sein Platz blieb leer am Mittagstiſche. Gegen A kam er ins Zimmer der Wärterin und verlangte nach Kinde. Das nahm er bei der Hand und führte es in Garten, der einſam gelegenen Mooshütte zu. Dort ihn nach einer Stunde der ſuchende Hausverwalter, in
Ruhebank zurückgelehnt. Das Kind ſtand zwiſchen ſe Knieen, er ſelbſt hielt ein Bild in der Hand, abwech auf dieſes, dann auf die Kleine blickend, wie einer, vergleicht, — meinte der alte Mann.“
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„Am folgenden Morgen war Starſchensky verreist, Niemand wußte, wohin. Er aber war in Warſchau; dort ſorſchte er, zu ſpät! nach Elga's früheren Verhältniſſen. Er erfuhr, daß ſie und Oginsky, der in des alten Staroſten Hauſe erzogen war, ſich ſchon frühzeitig geliebt, daß, aus Beſorgniß vor der wachſenden Vertraulichkeit, der ausſichts⸗ loſe Vetter entfernt wurde; daß, aus feiner Verbannung zurückkehrend, kurz vor Starſchensky's Vermählung, er feine Anſprüche erneuert habe, und jene bedeutende Summe Geldes, die in des alten Laſchek letztem Willen ihm zu⸗ gedacht war, zum Theil der Preis ſeines Rücktrittes war; daß Elga ſich nur ſchwer von ihm getrennt, und ſeine Armuth und Starſchensky's Reichthum, verbunden mit dem Andringen ihrer Verwandten, der Hauptgrund ihrer Ein: willigung zur Verbindung mit dem Grafen geweſen war. All dieſe Geheimniſſe ſoll einer von Elga's Brüdern, gegen den er ſich zur rechten Zeit freigebig zeigte, dem Grafen für Geld verrathen und ihm zugleich den Ort angezeigt haben, wo Oginsky, einem geleiſteten Schwur zufolge, ſich verborgen hielt.“
„Auf dem Schloſſe herrſchte unterdeſſen Unruhe und Beſorgniß. Elga ſelbſt war übrigens augenſcheinlich die Ruhigſte von Allen. Sie ſchien das befremdliche Betragen ihres Gatten noch auf Rechnung jener nächtlichen Ueber⸗ taſchung zu ſchieben, über die, da durchaus Niemanden etwas Beſtimmtes zur Laſt gelegt werden konnte, der Graf, wie ſie hoffte, ſich am Ende wohl ſelbſt beruhigen werde. Jenes Kammermädchen war noch immer in ihren Dienſten.“
„Unvermuthet erſchien nach einiger Zeit der Graf auf der Grenze feiner Befitzung, in feinem Gefolge ein ver⸗ ſchloſſener Wagen, von deſſen Inhalt Niemand wußte. Eine verhüllte Geſtalt, vielleicht durch Knebel am Sprechen
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verhindert, ward herausgehoben und dem durch Briefe Voraus an die Grenze beſchiedenen Hausverwalter üb geben. Die alte Warte an der Weſtſeite des Thiergarten ſeitdem ſorgfältig verſchloſſen, nahm die ſonderbare ſcheinung in ihren Gewahrſam, und dunkle Gerüchte ! breiteten ſich unter den Bewohnern der Umgegend.“ „Der Graf ging auf fein Schloß. Laut jubelnd ! ihm Elga entgegen, das Kind an ihrer Hand. Er hö wie unruhig man über ſeine plötzliche Abreiſe geweſen, ſehnlich man ihn zurückerwartet. Der Kleinen Fortſchr wurden angerühmt, einige Proben der erlangten Geld lichkeit auf der Stelle abgelegt. Da die Zeit des Abe eſſens gekommen war, erklärte Starſchensky ſich un! und ermüdet von der Reiſe. Er ging, trotz aller Ger vorſtellungen, allein auf fein Zimmer, wo er ſich einſchl Doch war ſein Bedürfniß nach Ruhe nur vorgegeben, d Nachts verließ er ſein Gemach und ging allein nach Warte, wo er bis zum grauenden Morgen blieb.“ „Am darauf folgenden Tage war Elga verbriefl ſchmollend. Des Grafen nächtlicher Gang war nicht bemerkt geblieben. Elga fand ſich vernachläſſigt und ze ihre Unzufriedenheit darüber. Starſchensky unterbrach mißmuthigen Aeußerungen, indem er von ihrer beiderſeit Lage zu ſprechen anfing. Er bemerkte, daß bei ſei jetzigen Aufenthalte in Warſchau, bei dem erneuten blick der Zerſtreuungen jener genußliebenden Stadt, es klar geworden, wie ein fo reizendes, lebensfrohes We
als Elga, auf dem Lande gar nicht an ihrer Stelle
Er fragte ſie, ob ſie den Aufenthalt in der Haupt vorziehen würde? — An ſeiner Seite, entgegnete ſie. — ſelbſt, verſicherte der Graf, werde durch ſeine Geſchäfte den Gütern feſtgehalten; ſeine Vermögensumſtände
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ſchlimmer, als man geglaubt, er müſſe bleiben. Dann bleibe auch ſie, ſagte Elga. An ſeiner Seite wolle ſie leben und ſterben. — Nun verwünſchte ſie die beiden Brüder, die durch ihre unverſchämten Forderungen, den allzu guten Gatten in ſo manche Verlegenheit geſtürzt. Sie verſicherte, nun aber auch jeden Reſt von Liebe für ſie abgelegt zu haben. Wenn ihre Brüder bettelnd vor der Thüre ſtänden, ſie würde nicht öffnen, ſagte ſie. Der Graf übernahm zum Theil die Vertheidigung ſeiner Schwäger. Er habe ſie in Warſchau geſprochen. Es war einer ihrer Verbannungs⸗ gefährten bei ihnen, — wie hieß er doch? — Elga ſann gleichfalls nach. — Oginsky! rief der Graf und blickte ſie fh an. Sie veränderte nicht eine Miene und fagte: Die Genoſſen meiner Brüder ſind alle ſchlecht, dieſer aber it der ſchlechteſte! — Welcher? — Den du nannteft! — Welcher war das? — Nun, Oginsky! antwortete ſie, und ein leichtes Zucken in ihren Zügen verrieth eine vorüber⸗ gehende Bewegung.“
„Der Graf war ans Fenſter getreten und blickte hinaus. Elga folgte ihm, fie lehnte den Arm auf feine Schulter. Der Graf ſtand unbeweglich. Starſchensky, ſagte ſie, ich bemerke eine ungeheure Veränderung in deinem Weſen. Du liebſt mich nicht, wie ſonſt. Du verſchweigſt mir Manches. Der Graf wendete ſich um und fagte: Nun denn, fo laß uns reden, weil du Rede willſt. Du kennſt die Zerrüttung meiner Vermögensumſtände, du kennſt deren Urſache. Was noch ſonſt mich drückt, weiß nur ich. Wenn nun dieſe Ereigniſſe ſchwer auf mir liegen, ſo martert nicht weniger der Gedanke, daß ich die Urſache wohl gar ſelbſt herbei⸗ geführt habe. Gewiß war der Leichtſinn tadelnswerth, mit dem ich das Erbe meiner Väter verwaltete; vielleicht war ich aber ſogar damals ſtrafbar, als ich, der Störriſche,
u 77 "Be Elga und ſah ihn mii Man hat mir fremde Dien fort, und genau beſehen,
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fuhr: Hab ich dich? — fuhr du deine Beſorgniſſe? Von dor Und die Reiſegefährtin wohl
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das Kammermädchen ſeiner Frau, die eben mit ihrem Nachtzeuge eintreten wollte, und Elga'n, die mit einem litigen Geſichte ihr Entfernung zuwinkte. Elga nahte hierauf dem Ruhebette, und ſich neben ihren Gatten hin⸗ jebend, ſprach fie: Komm, Starſchensky, laß uns Frieden ſchließen! Wir haben uns ja doch ſchon ſo lange nicht ohne Zeugen geſprochen. Damit neigte ſie ihre Wange an die ſeinige und zog eine ſeiner Hände an ihr klopfendes Herz. Ein Schauder überfiel den Grafen. Höllenſchwarz ſtand' s vor ihm. Er ſtieß ſein Weib zurück und entfloh.“ „Mitternacht hatte geſchlagen. Alles im Schloſſe war file. Elga ſchlief in ihrem Zimmer. Da fühlte ſie ſich angefaßt, und aus dem Schlafe emporfahrend, ſah ſie beim Schein der Nachtlampe ihren Gatten, der, eine Blendlaterne in der Hand, ſie aufſtehen und ſich ankleiden hieß. Auf ihre Frage: wozu? entgegnete er: Sie habe Verlangen gezeigt, die Geheimniſſe jener Warte kennen zu lernen. Am Tage ginge das nicht an; wenn ſie aber Finſterniß und Nachtluft nicht ſcheue, ſo möge ſie ihm folgen. Aber haſt du nichts Arges im Sinne? ſagte die Gräfin; du warſt geftern Abends fo ſonderbar! — Wenn du nicht folgen willſt, ſo bleibe, ſprach Starſchensky und war im Begriffe, ſich zu entfernen. Halt! rief Elga. Wenn Furchtſamkeit der Weiber allgemeines Erbtheil iſt, fo bin ich kein Weib. Auch muß dieſer Zuſtand von Ungewißheit enden. Vielleicht biſt du in dich gegangen, haft erkannt. — Wenn du dich überzeugen willſt — ſprach Starſchensky, ſo ſteh auf und folge mir. — Elga war aus dem Bette geſprungen und hatte einen Schlafpelz übergeworfen. Sie wollte gehen. Aber indeß war das Kind erwacht, das in dem Bette ihr zur Seite ſchlief. Es fing an zu weinen. Dein Kind wird die Bewohner des Schloſſes wecken, ſagte der Graf. Da,
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ohne ein Wort zu ſprechen, nahm Elga die Kleine empor, wickelte fie in ein warmverbüllendes Tuch, und das Kind auf dem Arme, folgte ſie dem leitenden Gatten.“
„Die Nacht war kühl und dunkel. Die Sterne zwar ſchimmerten tauſendfältig am trauergefärbten Himmel, aber kein Mond beleuchtete der Wandler einſamen Pfad. nur des Grafen Blendlaterne warf kurze Streiflichte auf den Boden und die unterſten Blätter der mitternächtig ſchlummernden Geſträuche.“
„So hatten fie den, von feiner ehemaligen Benützung jo genannten Thiergarten durchſchritten und waren nur bei jener Warte angelangt, dem eigentlichen Ziele ihrer Wanderung. Da wendete der Graf ſich um zu feiner Gattin und ſprach: Du biſt nun im Begriffe, das verborgenſt e Geheimniß deines Gatten zu erforſchen. Du willſt ihr überraſchen über dem Bruche feiner ehelichen Treue, ihrn beſchämen in Beiſein einer verworfenen Geliebten. Es ißt billig, daß Gefahr und Vortheil auf beiden Seiten gleic k ſei. Bevor du eintrittſt, ſchwöre mir, daß du ſelber nte eines gleichen Fehls dich ſchuldig gemacht, daß du rei n ſeiſt an dem Verbrechen, deſſen zu zeihſt deinen Gattent- Du ſuchſt Ausflüchte, ſprach Elga. Weib! fuhr der Graf fort, durchgeh in Gedanken dein verfloſſenes Leben, und wenn du eine Makel, ich will nicht ſagen, ein Brandmal⸗ darin entdeckſt, fo tritt nicht ein in dieſes Gemäuer. EIS" drängte ſich am Grafen vorbei, dem Eingange zu. j ſtellte ſich ihr von Neuem in den Weg, indem er austi ef
Du gehſt nicht ein, bevor du mir's eidlich verſichert. L ge die Hand auf das Haupt deines Kindes und ſchwöre! —- D 9 legte Elga die Rechte auf das Haupt der ſchlummernc x Kleinen und ſprach: So überflüſſig mir ein folder Schr y ſcheint, fo gut du ſelbſt davon überzeugt bift, wie fer €
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es ſei, ſo bekräftige ich doch! — Halt! ſchrie Starſchensky, es iſt genug. Tritt ein und ſieh!
„Der Graf ſchloß auf. Sie ſtiegen eine ſchmale Wendel⸗ treppe hinan, die zu einer gleichfalls verſchloſſenen Thüre führte. Der Graf öffnete auch dieſe, und nun traten ſie in ein geräumiges Gemach, deſſen innerer Theil durch einen dunklen Vorhang abgeſchloſſen war. Der Graf ſetzte Stühle an einem vorgeſchobenen Tiſche zurecht, entzündete an dem Lichte ſeiner Blendlaterne zwei Wachskerzen in ſchweren, ehernen Leuchtern, zog aus der Schublade des Tiſches ein Heft Papiere hervor und winkte ſeiner Frau, ſich zu ſetzen, indem er ſich gleichfalls niederließ. Elga ſah rings um ſich her, bemerkte aber Niemand. Sie ſaß und hörte.“
„Da begann der Graf, dem Lichte näher rückend, zu leſen aus den Papieren, die er hielt: „Auch bekenne ich, mit der Tochter des Staroſten Laſchek unerlaubte Gemeinſchaft gepflogen zu haben; vor und nach ihrer Vermählung mit dem Grafen Starſchensky. Ihrer Ehe einziges Kind — —“ Unerhörte Verleumdung! ſchrie Elga und ſprang auf. Wer wagt es, mich ſolcher Dinge zu zeihen? — Oginsky! rief der Graf. Steh auf und bekräftige deine Ausſage! Bei dieſen Worten hatte er den Vorhang hinweggeriſſen, und eine Mannsgeſtalt zeigte ſich, auf Stroh liegend, mit Ketten an die Wand gefeſſelt. Wer ruft mir? fragte der Gefangene. Elga iſt hier, ſagte der Graf, und fragt, ob es wahr ſei, daß du mit ihr gekost? — Wie oft ſoll ich's noch wiederholen? ſagte der Mann, ſich in ſeinen Ketten umkehrend. — Hörſt du? ſchrie der Graf zu ſeiner Gattin, die bleich und erſtarrt da ſtand. Nimm hier den Schlüſſel und öffne die Feſſeln dieſes Mannes! Elga zauderte. Da riß der Graf ſeinen Säbel halb aus der Scheide, und ſie
ging. Klirrend fielen die Ketten ab, und Oginsky trat vor. Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 3
Was wollt Ihr von mir? fagte er. Du haſt mich am Tieſſten verletzt, ſprach der Graf. Du weißt, wie Männer und Edelleute ihre Beleidigungen abthun. Hier nimm dieſen Stahl, fuhr er fort, indem er einen zweiten Säbel aus ſeinem Oberrocke hervorzog, und ſtelle dich mir! — Ich mag nicht fechten! ſagte Oginsky. Du mußt! ſchrie Starſchensky und drang auf ihn ein. Mittlerweile hörte man Geräuſch auf der Treppe. Elga, die unbeweglich da geſtanden hatte, ſprang jetzt der Thüre zu und verſuchte dieſe zu öffnen, indem fie laut um Hilfe ſchrie. Starſchensky ereilte ſie, da ſie eben nach der Klinke griff, ſtieß das Weib zurück und ſchloß die Thüre ab. Die Zwiſchenzeit benützte Oginsky, und während der Graf noch am Eingange be⸗ ſchäftigt war, riß er das Fenſter auf und ſprang hinab. Der Fall war nicht tief; Oginsky erreichte unbeſchädigt den Boden, und als der Graf von der Thüre weg zum Fenſter eilte, verhallten bereits die Fußtritte des Ent⸗ flohenen in weiter Entfernung.“
„Der Graf wendete ſich nun zu ſeiner Gemahlin. Dein Mitſchuldiger iſt entflohen, ſagte er, aber du entgehſt mir nicht. Kannſt du jene Verleumdung glauben? ſtammelte Elga. Ich glaube dem, was ich weiß, ſprach Starſchensky, und dem Stempel der Aehnlichkeit in den Zügen dieſes Kindes. Du mußt ſterben, ſagte er, und zwar hier auf der Stelle! Elga war auf die Kniee gefallen. Erbarme dich meines Lebens! rief ſie. Beginne mit mir, was du willſt! Ver⸗ banne mich! verſtoße mich! heiße mich in einem Kloſter, in einem Kerker den Reſt meiner Tage vollbringen, nur laß mich leben! leben! — Der Graf bedachte ſich eine Weile, dann ſprach er: Weil du denn dieſes ſchmacherfüllte, ſcheußliche Daſein ſchätzeſt über Alles, ſo wiſſe: ein ein⸗ ziges Mittel gibt es, dich zu retten. Nenn’ es, nenne es,
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wimmerte Elga. Der Brandfleck meiner Ehre, ſprach der
Graf, iſt dieß Kind. Wenn ſeine Augen der Tod ſchließt, wer weiß, ob mein Grimm ſich nicht legt. Wir ſind allein, Niemand ſieht uns, Nacht und Dunkel verhüllen die That. Geh hin und tödte das Kind! — Wie, ich? ſchrie Elga. Tödten? Mein Kind? Unmenſchlicher! Verruchter! Was finnft du mir zu? Nun denn! rief Starſchensky und hob den weggeworfenen Säbel vom Boden auf. Halt! ſchrie Elga, halt! Ich will! Sie ſtürzte auf ihr Kind los und preßte es an ihren Buſen, bedeckte es mit Thränen. Du zauderſt? ſchrie Starſchensky und machte eine Bewegung gegen fie. Nein! nein! rief Elga. Verzeihe mir Gott, vas ich thun muß, was ich nicht laſſen kann. Verzeihe u mir, zum Unglück Gebornes! Damit hatte fie das Kind ze derholt an ihre Bruſt gedrückt; mit weggewandtem Auge cgriff fie eine große Nadel, die ihren Pelz zuſammenhielt; as Werkzeug blinkt, der bewaffnete Arm — Halt! ſchrie lötz Iich Starſchensky. Dahin wollt' ich dich haben! ſehen, b noch eine Regung in dir, die werth des Tages. Aber s iſt ſchwarz und Nacht. Dein Kind ſoll nicht ſterben, ber, Schändliche, du! und damit ſtieß er ihr den Säbel n die Seite, daß das Blut in Strömen emporſprang und ie hinfiel über das unverletzte Kind.“
„Dieſelbe Nacht war eine des Schreckens für die Be⸗ dohner der umliegenden Gegend. Von einer Feuerröthe m Himmel aufgeſchreckt, liefen ſie zu und ſahen die alte arte an der Weſtſeite der Thiergartenmauer von Star⸗ hensky's Schloſſe in hellen Flammen. Alle Verſuche, zu ſchen, waren vergebens; bald ſtanden nur ſchwarze auern unter ausgebrannten, rauchenden Trümmern. an wollte den Grafen wecken; er fehlte, mit ihm ſein eib, ſein Kind. Die Brandſtätte ward durchſucht und
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zwar allerdings menſchliches Gebein aufgefunden, e ſollten das die Reſte dreier Menſchen ſein?“
„Beim Scheiden derſelben Nacht aber fühlte ſich e. armes Köhlerweib im Gebirge die Glücklichſte aller Ster! lichen. Denn als fie mit ihrem Manne lag und ſchlie pochte es an der Hüttenthüre. Sie ſtand auf und öffnete da ſah fie im Scheine des anbrechenden Morgens ein weinendes Kind von etwa zwei Jahren vor ſich ſteben ſtatt aller Kleider in ein weites Tuch gehüllt, ein Käſtcher neben ſich. Geöffnet, zeigte dieſes mehr Gold, als fd das arme Paar je beiſammen geträumet hatte. Ein pack. beigelegte Zeilen empfahlen das Kind der Vorſorge de' Beiden und verſprachen fernere Geldſpende in der Zukunft.
„Nach zwei Tagen erſchien der Graf wieder in der Mitte der Seinigen, aber nur um ſich zu einer Reiſe nach Warſchau zu bereiten. Dort angelangt, ſuchte und erhĩe l er perſönliches Gehör beim Könige, nach deſſen Beendigıs Tr? der Fürſt, ſichtbar erſchüttert, feinen Kanzler holen LN und ihm offene Briefe auszufertigen befahl, welche der Grafen Starſchensky, als Letzten feines Stammes, I” freie Verfügung über ſeine Lehengüter einräumten.“ _
„Die Güter felbft wurden theils verkauft und der Erl zur Tilgung von Schulden verwendet, theils als Stiftu einem Kloſter zu Eigenthume gegeben, das man nicht fe von der Stelle zu bauen anfing, wo die alte, abgebrann Warte geſtanden hatte. Das iſt die Geſchichte die. Kloſters,“ endete der Mönch.
„Der Graf ſelbſt aber?“ — fragte Einer der Fremde „Ich habe Euch gleich Anfangs gewarnt,“ ſagte de Mönch, „nicht weiter zu fragen, wenn ich aufhöre, n thut Ihr's aber doch! Zahlreiche Seelmeſſen wurden g ſtiftet für die Ruhe derjenigen, die eine raſche Gemalttk u
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Das Kloſter bei Sendomir.
hinweggerafft in der Mitte ihrer Sünden; um Vergebung für den Unglücklichen, der in verdammlicher Uebereilung Verbrechen beſtraft durch Verbrechen. Der Graf war Mönch geworden in dem von ihm geſtifteten Kloſter. Anfangs fand er Troſt in der Stille des Kloſterlebens, in der Einförmigkeit der Bußübungen. Die Zeit aber, ſtatt den Stachel abzuſtumpfen, zeigte ihm ſtets gräßlicher ſeine That. Ueber ihn kam ſeines Stammes thatenheiſchender Geiſt, und die Einſamkeit der Zelle ward ihm zur Folterqual. In Zweiſprach mit Geiſtern und gen ſich ſelber wüthend, hütete man ihn als Wahnſinnigen manches Jahr. Endlich geheilt, irrte er bei Tag umher; jedes Geſchäft war ihm Erquickung, an den Bäumen des Forſtes übte er ſeine Kraft. Nur Nachts, um die Stunde, da die beklagens⸗ werthe That geſchah, die erſte nach Mitternacht, wenn die Todtenfeier beginnt“ — — So weit war er in ſeiner Erzählung gekommen, da ward dieſe durch die erſten Töne eines aus der Kloſterkirche herübertönenden Chorgeſanges
unterbrochen; zugleich ſchlug die Glocke Ein Uhr.
Bei den erſten Lauten ſchütterte der Mönch zuſammen. Seine Kniee ſchlotterten, ſeine Zähne ſchlugen aneinander, er ſchien hinſinken zu wollen, als ſich plötzlich die Thüre öffnete und der Abt des Kloſters in hochaufgerichteter Stellung, das Kreuz ſeiner Würde funkelnd auf der Bruſt, in die Schwelle trat. „Wo bleibſt du, Starſchensky?“
rief er. „Die Stunde deiner Buße iſt gekommen.“
wimmerte der Mönch, und zuſammengekrümmt, wie ein verwundetes Thier, in weiten Kreiſen, dem Hunde gleich, der die Strafe fürchtet, ſchob er ſich der Thüre zu, die der Abt, zurücktretend, ihm frei ließ. Dort angelangt, ſchoß er wie ein Pfeil hinaus, der Abt, hinter ihm, ſchloß die
Thüre.
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Noch lange hörten die Fremden dem Chorgeſange zu, bis er verklang in die Stille der Nacht und ſie ihr Lager ſuchten zu kurzer Ruhe.
Am Morgen nahmen ſie Abſchied vom Abte, ihm dankend für die gaſtfreundliche Bewirthung. Der Jüngere gewann es über ſich, nach dem Mönche der geſtrigen Nacht zu fragen, worauf der Prälat, ohne zu antworten, ihnen eine glückliche Reiſe wünſchte.
Sie zogen nach Warſchau und nahmen ſich vor, auf der Rückreiſe weitere Kunde von dem Zuſtande des Mönches einzuziehen, in dem ſie wohl den unglücklichen Starſchensky erkannt hatten. Aber eine Aenderung in ihren Geſchäften ſchrieb ihnen eine andere Straße zur Rückkehr vor, und nie haben ſie mehr etwas von dem Mönche und dem Kloſter bei Sendomir gehört.
Der arme Spielmann.
Cris 1848.)
In Wien ift der Sonntag nach dem Vollmonde im nat Juli jedes Jahres ſammt dem darauf folgenden e ein eigentliches Volksfeſt, wenn je ein Feſt dieſen ien verdient hat. Das Volk beſucht es und giebt es ; und wenn Vornehmere dabei erſcheinen, fo können 's nur in ihrer Eigenſchaft als Glieder des Volks. iſt keine Möglichkeit der Abſonderung; wenigſtens vor zen Jahren noch war keine.
An dieſem Tage feiert die mit dem Augarten, der
v oldſtadt, dem Prater in ununterbrochener Luſtreigſhe
mmenbängende Brigittenau ihre Kirchweihe. Von jittenkirchtag zu Brigittenkirchtag zählt feine guten e das arbeitende Volk. Lange erwartet, erſcheint end⸗ das ſaturnaliſche Feſt. Da entſteht Aufruhr in der tüthig ruhigen Stadt. Eine wogende Menge erfüllt Straßen. Geräuſch von Fußtritten, Gemurmel von chenden, das hie und da ein lauter Ausruf durchzuckt. Unterſchied der Stände iſt verſchwunden; Bürger und at theilt die Bewegung. An den Thoren der Stadt 3t der Drang. Genommen, verloren und wieder⸗ men, ift endlich der Ausgang erkämpft. Aber die rubrücke bietet neue Schwierigkeiten. Auch hier ſieg⸗
ziehen endlich zwei Ströme, die alte Donau und die voll'nere Woge des Volks, ſich kreuzend quer unter Aber einander, die Donau ihrem alten Flußbette nach,
43 Der arme Spielmann.
der Strom des Volkes, der Eindämmung der Brücke
nommen, ein weiter, töfender See, ſich ergießend in Al deckender Ueberſchwemmung. Ein neu Hinzugekommen fände die Zeichen bedenklich. Es iſt aber der Aufruhr d Freude, die Losgebundenheit der Luſt.
Schon zwiſchen⸗ Stadt und Brücke haben ſich Kor! wagen aufgeſtellt für die eigentlichen Hierophanten dieſe Weihfeſtes: die Kinder der Dienſtbarkeit und der Arbei! Ueberfüllt und dennoch im Galopp durchfliegen fie dĩ Menſchenmaſſe, die ſich hart vor ihnen öffnet und hinte ihnen ſchließt, unbeſorgt und unverletzt. Denn es iſt x" Wien ein ſtillſchweigender Bund zwiſchen Wagen um Menſchen: nicht zu überfahren, ſelbſt im vollen Lauf und nicht überfahren zu werden, auch ohne alle Aufmer I ſamkeit.
Von Secunde zu Secunde wird der Abſtand zwischen Wagen und Wagen kleiner. Schon miſchen ſich einzeln Equipagen der Vornehmeren in den oft unterbrochenen Zug. Die Wagen fliegen nicht mehr. Bis endlich fü bis ſechs Stunden vor Nacht die einzelnen Pferde- ur Kutſchen⸗Atome ſich zu einer compacten Reihe verdichten die ſich ſelber hemmend und durch Zufahrende aus all Quergaſſen gehemmt, das alte Sprichwort: Beſſer ſchle HE gefahren, als zu Fuße gegangen, offenbar zu Shan macht. Begafft, bedauert, beſpottet, fitzen die geputzt Damen in den ſcheinbar ſtille ſtehenden Kutſchen. D immerwährenden Anhaltens ungewohnt, bäumt ſich de Holſteiner Rappe, als wollte er feinen, durch den ih vorgehenden Korbwagen gehemmten Weg obenhin üb dieſen hinaus nehmen, was auch die ſchreiende Weib und Kinderbevölkerung des Plebejer⸗Fuhrwerks offenbar z befürchten ſcheint. Der ſchnell dahinſchießende Fiaker, zun
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erſtenmale ſeiner Natur ungetreu, berechnet ingrimmig den Verluſt, auf einem Wege drei Stunden zubringen zu müſſen, den er ſonſt in fünf Minuten durchflog. Zank, Geſchrei, wechſelſeitige Ehrenangriffe der Kutſcher, mitunter ein Peitſchenhieb. N Endlich, wie denn in dieſer Welt jedes noch ſo hartnäckige Etehenbleiben doch nur ein unvermerktes Weiterrücken iſt, erſcheint auch dieſem status quo ein Hoffnungsſtrahl. Die erſten Bäume des Augartens und der Brigittenau werden ſichtbar. Land! Land! Land! Alle Leiden ſind vergeſſen. Die zu Wagen Gekommenen ſteigen aus und miſchen ſich unter die Fußgänger, Töne entfernter Tanzmuſik ſchallen herüber, vom Jubel der neu Ankommenden beantwortet. Und ſo fort und immer weiter, bis endlich der breite Hafen der Luſt ſich aufthut und Wald und Wieſe, Muſik und Tanz, Wein und Schmaus, Schattenſpiel und Seiltänzer, Erleuchtung und Feuerwerk ſich zu einem pays de cocagne, einem Eldorado, einem eigentlichen Schlaraffenlande ver⸗ einigen, das leider, oder glücklicherweiſe, wie man es nimmt, nur einen und den nächſt darauf folgenden Tag dauert, dann aber verſchwindet, wie der Traum einer Sommernacht, und nur in der Erinnerung zurückbleibt un allenfalls in der Hoffnung.
Ich verſäume nicht leicht, dieſem Feſte beizuwohnen. ALS ein leidenſchaftlicher Liebhaber der Menſchen, vorzüglich des Volkes, fo daß mir ſelbſt als dramatiſchem Dichter der rü Ehaltsloſe Ausbruch eines überfüllten Schauſpielhauſes irrer zehnmal intereſſanter, ja belehrender war, als das Zuſammengeklügelte Urtheil eines an Leib und Seele ver: kx ü ppelten, von dem Blut ausgeſogener Autoren ſpinnen⸗ Artig aufgeſchwollenen literariſchen Matadors; — als ein Liebhaber der Menſchen, ſage ich, beſonders wenn fie in
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Maſſen für einige Zeit der einzelnen Zwecke vergeſſen ı
ſich als Theile des Ganzen fühlen, in dem denn di zuletzt das Göttliche liegt, — als einem Solchen iſt n. jedes Volksfeſt ein eigentliches Seelenfeſt, eine Wallfahr eine Andacht. Wie aus einem aufgerollten, ungeheure dem Rahmen des Buches entſprungenen Plutarch, leſe i. aus den heitern und heimlich bekümmerten Geſichter ! dem lebhaften oder gedrückten Gange, dem wechſelſeitige Benehmen der Familienglieder, den einzelnen halb unwi il: kürlichen Aeußerungen, mir die Biographieen der unbe: rühmten Menſchen zuſammen, und wahrlich! man kan m die Berühmten nicht verſtehen, wenn man die Obſcure n nicht durchgefühlt hat. Von dem Wortwechſel weinerhitzt er Karrenſchieber ſpinnt ſich ein unſichtbarer, aber ununte r. brochener Faden bis zum Zwiſt der Götterſöhne, und In der jungen Magd, die, halb wider Willen, dem drängenden Liebhaber ſeitab vom Gewühl der Tanzenden folgt, lieg en als Embryo die Julien, die Dido's und die Medeen.
Auch vor zwei Jahren hatte ich mich, wie gewöhnli ch, den luſtgierigen Kirchweihgäſten als Fußgänger mit ange⸗ ſchloſſen. Sckon waren die Hauptſchwierigkeiten der Warn derung überwunden, und ich befand mich bereits am Errde des Augartens, die erſehnte Brigittenau hart vor mir liegend. Hier iſt nun noch ein, wenn gleich der letzte Kampf Zu beſtehen. Ein ſchmaler Damm, zwiſchen undurchdringlichen Befriedungen hindurchlaufend, bildet die einzige Verbindung der beiden Luſtorte, deren gemeinſchaftliche Grenze einn der Mitte befindliches hölzernes Gitterthor bezeichnet. gewöhnlichen Tagen und für gewöhnliche Spaziergang? bietet dieſer Verbindungsweg überflüſſigen Raum; Kirchweihfeſte aber würde ſeine Breite, auch vierfach ge⸗ nommen, noch immer zu ſchmal fein für die endloſe Me 1g.
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heftig nachdrängend und von Rückkehrenden im ent⸗ igeſetzten Sinne durchkreuzt, nur durch die allſeitige nüthigkeit der Luſtwandelnden ſich am Ende doch ch zurecht findet. ſch hatte mich dem Zug der Menge hingegeben und d mich in der Mitte des Dammes, bereits auf klaſſi⸗ Boden, nur leider zu ſtets erneutem Stilleſtehen, wugen und Abwarten genöthigt. Da war denn Zeit 3, das ſeitwärts am Wege Befindliche zu betrachten, it es nämlich der genußlechzenden Menge nicht an ı Vorſchmack der zu erwartenden Seligkeit mangle, n ſich links am Abhang der erhöhten Dammſtraße lne Muſiker aufgeſtellt, die, wahrſcheinlich die große urrenz ſcheuend, hier an den Propyläen die Erſtlinge noch unabgenützten Freigebigkeit einernten wollten. Harfenſpielerin mit widerlich ſtarrenden Augen. Ein invalider Stelzfuß, der auf einem entſetzlichen, offenbar ihm ſelbſt verfertigten Inſtrumente, halb Hackbrett halb Drehorgel, die Schmerzen ſeiner Verwundung allgemeinen Mitleid auf eine analoge Weiſe empfindbar en wollte. Ein lahmer, verwachſener Knabe, er und Violine einen einzigen ununterſcheidbaren Knäuel nd, der endlos fortrollende Walzer mit all der hektiſchen zkeit ſeiner verbildeten Bruſt herabſpielte. Endlich — er zog meine ganze Aufmerkſamkeit auf ſich — ein ‚ leicht ſiebzigjähriger Mann in einem fadenſcheinigen, nicht unreinlichen Moltonüberrock mit lächelnder, ſich Beifall gebender Miene. Baarhäuptig und kahlköpfig er da, nach Art dieſer Leute, den Hut als Sammel⸗ e vor ſich auf dem Boden, und ſo bearbeitete er eine vielzerſprungene Violine, wobei er den Tact nicht nur Aufheben und Niederſetzen des Fußes, ſondern zu⸗
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gleich durch übereinſtimmende Bewegung des ganzen bückten Körpers markirte. Aber all dieſe Bemühung, Ein in ſeine Leiſtung zu bringen, war fruchtlos, denn was ſpielte, ſchien eine unzuſammenhängende Folge von Tin ohne Zeitmaß und Melodie. Dabei war er ganz in fe Werk vertieft: die Lippen zuckten, die Augen waren ſtar auf das vor ihm befindliche Notenblatt gerichtet — j wahrhaftig Notenblatt! Denn indeß alle andern, ungleic mehr zu Dank ſpielenden Muſiker ſich auf ihr Gedächtni' verließen, hatte der alte Mann mitten in dem Gewühl ein kleines, leicht tragbares Pult vor ſich hingeſtellt mi ſchmutzigen, zergriffenen Noten, die das in ſchönſter Ordnunt, enthalten mochten, was er fo außer allem Zuſammenhange zu hören gab. Gerade das Ungewöhnliche dieſer Ausrüſtun g hatte meine Aufmerkſamkeit auf ihn gezogen, ſo wie es auch die Heiterkeit des vorüberwogenden Haufens erregte, der ihn auslachte und den zum Sammeln hingeſtellten {aut des alten Mannes leer ließ, indeß das übrige Orcheſter ganze Kupferminen einſackte. Ich war, um das Origin cal ungeſtört zu betrachten, in einiger Entfernung auf den Seitenabhang des Dammes getreten. Er ſpielte noch ei me Weile fort. Endlich hielt er ein, blickte, wie aus eimer langen Abweſenheit zu ſich gekommen, nach dem Firmament, das ſchon die Spuren des nahenden Abends zu zeigen aM fing, darauf abwärts in feinen Hut, fand ihn leer, jet! ihn mit ungetrübter Heiterkeit auf, ſteckte den Geigenbogen zwiſchen die Saiten; sunt certi denique fines, ſagte er, ergriff fein Notenpult und arbeitete ſich mühſam durch Die dem Feſte zuſtrömende Menge in entgegengeſetzter Richtung, als Einer, der heimkehrt. Das ganze Weſen des alten Mannes war eigentlich wie gemacht, um meinen anthropologiſchen Heißhunger aufs
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ußerſte zu reizen. Die dürftige und doch edle Geſtalt, ie unbeſiegbare Heiterkeit, ſo viel Kunſteifer bei ſo viel beholfenheit; daß er gerade zu einer Zeit heimkehrte, wo andere ſeines Gleichen erſt die eigentliche Ernte anging; lich die wenigen, aber mit der richtigſten Betonung, völliger Geläufigkeit geſprochenen lateiniſchen Worte. Mann hatte alſo eine ſorgfältigere Erziehung genoſſen, Kenntniſſe eigen gemacht, und nun — ein Bettel⸗ ikant! Ich zitterte vor Begierde nach dem Zuſammen⸗
ge. Aber ſchon befand ſich ein dichter Menſchenwall zwi⸗ n mir und ihm. Klein, wie er war, und durch das enpult in ſeiner Hand nach allen Seiten hin ſtörend, b ihn Einer dem Andern zu, und ſchon hatte ihn das Igangsgitter aufgenommen, indeß ich noch in der Mitte Dammes mit der entgegenſtrömenden Menſchenwoge pfte. So entſchwand er mir, und als ich endlich ſelbft ruhige Freie gelangte, war nach allen Seiten weit breit kein Spielmann mehr zu ſehen. Das verfehlte Abenteuer hatte mir die Luſt an dem ksfeſt genommen. Ich durchſtrich den Augarten nach Richtungen und beſchloß endlich, nach Haufe zu kehren. In die Nähe des kleinen Thürchens gekommen, das dem Augarten nach der Taborſtraße führt, hörte ich „ich den bekannten Ton der alten Violine wieder. Ich oppelte meine Schritte, und ſiehe da! der Gegenſtand der Neugier ſtand, aus Leibeskräften ſpielend, im ‚Je einiger Knaben, die ungeduldig einen Walzer von verlangten. Einen Walzer ſpiel! riefen ſie; einen Tzer, hörſt du nicht? Der Alte geigte fort, ſcheinbar e auf ſie zu achten, bis ihn die kleine Zuhörerſchaar Tähend und ſpottend verließ, ſich um einen Leiermann
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ſammelnd, der feine Drehorgel in der Nähe aufge hatte.
Sie wollen nicht tanzen, ſagte wie betrübt der Mann, ſein Muſikgeräthe zuſammenleſend. Ich war nahe zu ihm getreten. Die Kinder kennen eben !
andern Tanz, als den Walzer, ſagte ich. Ich ſpielte
Walzer, verſetzte er, mit dem Geigenbogen den Or ſoeben geſpielten Stückes auf ſeinem Notenblatte bezeich
Man muß derlei auch führen, der Menge wegen. die Kinder haben kein Ohr, ſagte er, indem er wehn den Kopf ſchüttelte. — Laſſen Sie mich wenigſtens Undank wieder gut machen, ſprach ich, ein Silb aus der Taſche ziehend und ihm hinreichend. — ? bitte! rief der alte Mann, wobei er mit beiden H ängstlich abwehrende Bewegungen machte, in den icbeden Hut! — Ich legte das Geldſtück in den von
genden Hut, aus dem es unmittelbar darauf der hexausnahm und ganz zufrieden einſteckte; das heißt e mit reichem Gewinn nach Haufe gehen, ſagte er ſchmunzel Ar recht, ſprach ich, erinnern Sie mich auf einen ſtand, der ſchon früher meine Neugier rege machte! heutige Einnahme ſcheint nicht die beſte geweſen zu und doch entfernen Sie ſich in einem Augenblicke, wo die eigentliche Ernte angeht. Das Feſt dauert, wiſſe wohl, die ganze Nacht, und Sie könnten da leicht gewinnen, als an acht gewöhnlichen Tagen. Wie ji mir das erklären?
Wie Sie ſich das erklären ſollen? verſetzte der Verzeihen Sie, ich weiß nicht, wer Sie ſind, abe müſſen ein wohlthätiger Herr ſein und ein Freun Muſik, dabei zog er das Silberſtück noch einmal ar Taſche und drückte es zwiſchen ſeine gegen die
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benen Hände. Ich will Ihnen daher nur die Urſachen ben, obgleich ich oft deßhalb verlacht worden bin. ens war ich nie ein Nachtſchwärmer und halte es auch für recht, Andere durch Spiel und Geſang zu einem en widerlichen Vergehen anzureizen; zweitens muß ſich Menſch in allen Dingen eine gewiſſe Ordnung feſt⸗ , ſonſt geräth er ins Wilde und Unaufhaltſame. tens endlich — Herr! ich ſpiele den ganzen Tag für lärmenden Leute und gewinne kaum kärglich Brod i; aber der Abend gehört mir und meiner armen Kunſt. Abends halte ich mich zu Hauſe und — dabei ward Rede immer leiſer, Röthe überzog ſein Geſicht, ſein e ſuchte den Boden — da ſpiele ich denn aus der sildung, jo für mich ohne Noten. Phantaſiren, glaub’ heißt es in den Muſikbüchern. . Wir waren Beide ganz ſtill geworden. Er, aus Be⸗ mung über das verrathene Geheimniß ſeines Innern; voll Erſtaunen, den Mann von den höchſten Stufen Kunſt ſprechen zu hören, der nicht im Stande war, leichteſten Walzer faßbar wiederzugeben. Er bereitete indeß zum Fortgehen. Wo wohnen Sie? ſagte ich. Ich möchte wohl einmal en einſamen Uebungen beiwohnen. — Oh, verſetzte er faſt md, Sie wiſſen wohl, das Gebet gehört ins Kämmer⸗ — So will ich Sie denn einmal am Tage beſuchen, e ich. — Den Tag über, erwiderte er, gehe ich meinem erhalt bei den Leuten nach. — Alſo des Morgens . — Sieht es doch beinahe aus, ſagte der Alte Ind, als ob Sie, verehrter Herr, der Beſchenkte wären, ich, wenn es mir erlaubt iſt zu ſagen, der Wohlthäter; eundlich find Sie, und jo widerwärtig ziehe ich mich ck. Ihr vornehmer Beſuch wird meiner Wohnung Brillparger, ſämmtl. Werte. VIII. 4
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immer eine Ehre fein; nur bäte ich, daß Sie den Tag Ihrer Dahinkunft mir großgünſtig im Voraus beſtimmten, damit weder Sie durch Ungehörigkeit aufgehalten, noch ich genöthigt werde, ein zur Zeit etwa begonnenes Geſchäft unziemlich zu unterbrechen. Mein Morgen nämlich hat auch ſeine Beſtimmung. Ich halte es jedenfalls für meine Pflicht, meinen Gönnern und Wohlthätern für ihr Gehen eine nicht ganz unwürdige Gegengabe darzureichen. Je will kein Bettler fein, verehrter Herr. Ich weiß wohl, daß die übrigen öffentlichen Muſikleute ſich damit begnügen, einige auswendig gelernte Gaſſenhauer, Deutſchwalzer, ja wohl gar Melodieen von unartigen Liedern, immer wieder von denſelben anfangend, fort und fort herab zu fpielet: jo daß man ihnen giebt, um ihrer los zu werden, ode! \ weil ihr Spiel die Erinnerung genoſſener Tanzfreuden ode! ſonſt unordentlicher Ergötzlichkeiten wieder lebendig mach t Daher ſpielen fie auch aus dem Gedächtniß und greife “ falſch mitunter, ja häufig. Von mir aber ſei fern, 3 betrügen. Ich habe deßhalb, theils weil mein Gebädhtnt überhaupt nicht das beſte iſt, theils weil es für Jeder ſchwierig ſein dürfte, verwickelte Zuſammenſetzungen ge achteter Muſikverfaſſer Note für Note bei ſich zu behalten. dieſe Hefte mir ſelbſt ins Reine geſchrieben. Er zeigt” dabei durchblätternd auf ſein Muſikbuch, in dem ich zu meinem Entſetzen mit ſorgfältiger, aber widerlich ſteifer Schrift ungeheuer ſchwierige Compoſitionen alter berühmter Meiſter, ganz ſchwarz von Paſſagen und Doppelgriffen, erblickte. Und derlei ſpielte der alte Mann mit feinen ungelenken Fingern! Indem ich nun dieſe Stücke ſpiele, fuhr er fort, bezeige ich meine Verehrung den nach Stand und Würden geachteten, längſt nicht mehr lebenden Mei: ſtern und Verfaſſern, thue mir ſelbſt genug und lebe der
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angenehmen Hoffnung, daß die mir mildeſt gereichte Gabe nicht ohne Entgelt bleibt durch Veredlung des Geſchmackes und Herzens der ohnehin von ſo vielen Seiten geſtörten und irre geleiteten Zuhörerſchaft. Da derlei aber, auf daß ich bei meiner Rede bleibe — und dabei überzog ein ſelbſtgefälliges Lächeln ſeine Züge — da derlei aber ein⸗ geübt ſein will, ſind meine Morgenſtunden ausſchließend dieſem Exercitium beſtimmt. Die drei erſten Stunden des Tages der Uebung, die Mitte dem Broderwerb und der Abend mir und dem lieben Gott, das heißt nicht unehrlich getheilt, ſagte er, und dabei glänzten feine Augen wie feucht: er lächelte aber.
Gut denn, ſagte ich, ſo werde ich Sie einmal Mor⸗ gens überraſchen. Wo wohnen Sie? Er nannte mir die Gärtnergaſſe. — Hausnummer? — Nummer 34 im erſten Stocke. — In der That! rief ich, im Stockwerke der Vornehmen? — Das Haus, ſagte er, hat zwar eigentlich nur ein Erdgeſchoß; es iſt aber oben neben der Bodenkammer noch ein kleines Zimmer, das bewohne ich gemeinſchaftlich mit zwei Handwerksgeſellen. — Ein Zimmer zu Dreien? — Es iſt abgetheilt, ſagte er, und ich habe mein eigenes Bette.
Es wird ſpät, ſprach ich, und Sie wollen nach Hauſe. Auf Wiederſehen denn! und dabei fuhr ich in die Taſche, um das früher gereichte gar zu kleine Geldgeſchenk allen⸗ fals zu verdoppeln. Er aber hatte mit der einen Hand das Notenpult, mit der andern ſeine Violine angefaßt und rief haftig: Was ich devoteſt verbitten muß. Das Hono⸗ rarium für mein Spiel iſt mir bereits in Fülle zu Theil geworden, eines andern Verdienſtes aber bin ich mir zur Zeit nicht bewußt. Dabei machte er mir mit einer Abart vornehmer Leichtigkeit einen ziemlich linkiſchen Kratzfuß und entfernte ſich, ſo ſchnell ihn ſeine alten Beine trugen.
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Ich hatte, wie geſagt, die Luſt verloren, dem Volks feſte für dieſen Tag länger beizuwohnen, ich ging daher heimwärts, den Weg nach der Leopoldſtadt einſchlagend, und von Staub und Hitze erſchöpft, trat ich in einen der dortigen vielen Wirthsgärten, die, an gewöhnlichen Tagen überfüllt, heute ihre ganze Kundſchaft der Brigittenau abgegeben hatten. Die Stille des Ortes, im Abſtich der lärmenden Volksmenge, that mir wohl, und mich ver⸗ ſchiedenen Gedanken überlaſſend, an denen der alte Spiel⸗ mann nicht den letzten Antheil hatte, war es völlig Nacht geworden, als ich endlich des Nachhauſegehens gedachte, den Betrag meiner Rechnung auf den Tiſch legte und der Stadt zuſchritt.
In der Gärtnergaſſe, hatte der alte Mann geſagt, wohne er. Iſt hier in der Nähe eine Gärtnergaſſe? fragte ich einen kleinen Jungen, der über den Weg lief. Dort, Herr! verſetzte er, indem er auf eine Querſtraße hinwies, die, von der Häuſermaſſe der Vorſtadt ſich entfernend, gegen das freie Feld hinaus lief. Ich folgte der Richtung. Die Straße beſtand aus zerſtreuten einzelnen Häuſern, die, zwiſchen großen Küchengärten gelegen, die Beſchäftigung der Bewohner und den Urſprung des Namens Gärtner: gaſſe augenfällig darlegten. In welcher dieſer elenden Hütten wohl mein Original wohnen mochte? Ich hatte die Hausnummer glücklich vergeſſen, auch war in der Dunkelheit an das Erkennen irgend einer Bezeichnung kaum zu denken. Da ſchritt, auf mich zukommend, ein mit Küchengewächſen ſchwer beladener Mann an mir vor⸗ über. Kratzt der Alte einmal wieder, brummte er, und ſtört die ordentlichen Leute in ihrer Nachtruhe. Zugleich, wie ich vorwärts ging, ſchlug der leiſe, langgehaltene Ton einer Violine an mein Ohr, der aus dem offen ſtehenden
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Bodenfenſter eines wenig entfernten ärmlichen Hauſes zu kommen ſchien, das, niedrig und ohne Stockwerk wie die übrigen, ſich durch dieſes in der Umgrenzung des Daches liegende Giebelfenſter vor den andern auszeichnete. Ich ſtand ſtille. Ein leiſer, aber beſtimmt gegriffener Ton ſchwoll bis zur Heftigkeit, ſenkte ſich, verklang, um gleich darauf wieder bis zum lauteſten Gellen empor zu ſteigen, und zwar immer derſelbe Ton mit einer Art genußreichem Daraufberuhen wiederholt. Endlich kam ein Intervall. Es war die Quarte. Hatte der Spieler ſich vorher an dem Klange des einzelnen Tones geweidet, ſo war nun das gleichſam wollüſtige Schmecken dieſes harmoniſchen Verhältniſſes noch ungleich fühlbarer. Sprungweiſe ge⸗ griffen, zugleich geſtrichen, auch die dazwiſchen liegende Stufenreihe höchſt holperig verbunden, die Terz markirt, wiederholt. Die Quinte daran gefügt, einmal mit zittern⸗ dem Klang, wie ein ſtilles Weinen, ausgehalten, verhallend, dann in wirbelnder Schnelligkeit ewig wiederholt, immer dieſe ſelben Verhältniſſe, die nämlichen Töne. — Und das nannte der alte Mann Phantaſiren! — Obgleich es im Grunde allerdings ein Phantaſiren war, für den Spieler nämlich, nur nicht auch für den Hörer. Ich weiß nicht, wie lange das gedauert haben mochte und wie arg es geworden war, als plötzlich die Thüre des Hauſes aufging, ein Mann, nur mit dem Hemde und loſe eingeknöpftem Beinkleide angethan, von der Schwelle bis in die Mitte der Straße trat und zu dem Giebel⸗ ſenſter emporrief: Soll das heute einmal wieder gar kein Ende nehmen? Der Ton der Stimme war dabei unwillig, aber nicht hart oder beleidigend. Die Violine verſtummte, ehe die Rede noch zu Ende war. Der Mann ging ins Haus zurück, das Giebelfenſter ſchloß ſich, und bald herrſchte
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eine durch nichts unterbrochene Todtenſtille um mich ber. Ich trat, mühſam in den mir unbekannten Gaſſen mich zurechtfindend, den Heimweg an, wobei ich auch phantaſirte, aber, Niemand ſtörend, für mich, im Kopfe.
Die Morgenſtunden haben für mich immer einen eigenen Werth gehabt. Es iſt, als ob es mir Bedürfniß wäre, durch die Beſchäftigung mit etwas Erhebendem, Bedeutendem in den erſten Stunden des Tages mir den Reit deſſelben gewiſſermaßen zu heiligen. Ich kann mich daher nur ſchwer entſchließen, am frühen Morgen mein Zimmer zu verlaſſen, und wenn ich, ohne vollgültige Urſache, mich einmal dazu nöthige, ſo habe ich für den übrigen Tag nur die Wahl zwiſchen gedankenloſer Zerſtreuung oder ſelbſtquäleriſchem Trübſinn. So kam es, daß ich durch einige Tage den Beſuch bei dem alten Manne, der verabredetermaßen in den Morgenſtunden ſtattfinden ſollte, verſchob. Endlich ward die Ungeduld meiner Herr, und ich ging. Die Gärtner⸗ gaſſe war leicht gefunden, ebenſo das Haus. Die Töne der Violine ließen ſich auch dießmal hören, aber durch das geſchloſſene Fenſter bis zum Ununterſcheidbaren gedämpft. Ich trat ins Haus. Eine vor Erſtaunen halb ſprachloſe Gärtnersfrau wies mich eine Bodentreppe hinauf. Ich ſtand vor einer niedern und halb ſchließenden Thüre, pochte, erhielt keine Antwort, drückte endlich die Klinke und trat ein. Ich befand mich in einer ziemlich geräumigen, ſonſt aber höchſt elenden Kammer, deren Wände von allen Seiten den Umriſſen des ſpitzzulaufenden Daches folgten. Hart neben der Thüre ein ſchmutziges, widerlich verſtörtes Bette, von allen Zuthaten der Unordentlichkeit umgeben; mir gegenüber, hart neben dem ſchmalen Fenſter, eine zweite Lagerſtätte, dürftig, aber reinlich, und höchſt ſorgfältig gebettet und bedeckt. Am Fenſter ein kleines Tiſchchen
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nit Notenpapier und Schreibgeräthe, im Fenſter ein Paar Blumentöpfe. Die Mitte des Zimmers von Wand zu Land, war am Boden mit einem dicken Kreidenſtriche zeichnet, und man kann ſich kaum einen grelleren Abſtich in Schmutz und Reinlichkeit denken, als diesſeits und iſeits der gezogenen Linie dieſes Aequators einer Welt Kleinen herrſchte.
Hart an dem Gleicher hatte der alte Mann ſein Noten⸗ t hingeſtellt und ſtand, völlig und ſorgfältig gekleidet, vor, und — exercirte. Es iſt ſchon bis zum Uebelklang wiel von den Mißklängen meines und, ich fürchte bei⸗ de, nur meines Lieblings, die Rede geweſen, daß ich Leſer mit der Beſchreibung dieſes hölliſchen Concertes ſchonen will. Da die Uebung größtentheils aus Paſſagen tand, ſo war an ein Erkennen der geſpielten Stücke ht zu denken, was übrigens auch ſonſt nicht leicht ge: ſen ſein möchte. Einige Zeit Zuhörens ließ mich endlich ı Faden durch dieſes Labyrinth erkennen, gleichſam die ethode in der Tollheit. Der Alte genoß, indem er ſpielte. ine Auffaſſung unterſchied hierbei aber ſchlechthin nur sterlei, den Wohlklang und den Uebelklang, von denen -erjtere ihn erfreute, ja entzückte, indeß er dem letztern, h dem harmoniſch begründeten, nach Möglichkeit aus n Wege ging. Statt nun in einem Muſikſtücke nach nn und Rhythmus zu betonen, hob er heraus, verlängerte die dem Gehör wohlthuenden Noten und Intervalle, ja hm keinen Anſtand, ſie willkürlich zu wiederholen, wobei n Geſicht oft geradezu den Ausdruck der Verzückung an⸗ hm. Da er nun zugleich die Diſſonanzen ſo kurz als iglich abthat, überdieß die für ihn zu ſchweren Paſſagen, n denen er aus Gewiſſenhaftigkeit nicht eine Note fallen ß, in einem gegen das Ganze viel zu langſamen Zeit⸗
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maß vortrug, ſo kann man ſich wohl leicht eine Idee von
der Verwirrung machen, die daraus hervorging. Mi
ward es nachgerade ſelbſt zu viel. Um ibn aus jene
Abweſenheit zurückzubringen, ließ ich abſichtlich den Hut
fallen, nachdem ich mehrere Mittel ſchon fruchtlos verſucht hatte. Der alte Mann fuhr zuſammen, ſeine Kniee zitter⸗ ten, kaum konnte er die zum Boden geſenkte Violine halten- Ich trat hinzu. Oh, Sie ſind's, gnädiger Herr! ſagte er, gleichſam zu ſich ſelbſt kommend. Ich hatte nicht auf Er⸗ füllung Ihres hohen Verſprechens gerechnet. Er nöthigte mich, zu ſitzen, räumte auf, legte hin, ſah einigemal ver⸗ legen im Zimmer herum, ergriff dann plötzlich einen auf einem Tiſche neben der Stubenthür ſtehenden Teller und ging mit demſelben zu jener hinaus. Ich hörte ihn draußen mit der Gärtnersfrau ſprechen. Bald darauf kam er wieder verlegen zur Thüre herein, wobei er den Teller hinter dem Rücken verbarg und heimlich wieder hinſtellte. Er hatte offenbar Obſt verlangt, um mich zu bewirthen, es aber nicht erhalten können. Sie wohnen hier recht hübſch, ſagte ich, um ſeiner Verlegenheit ein Ende zu machen. — Die Unordnung iſt verwieſen. Sie nimmt ihren Rückzug durch die Thüre, wenn ſie auch derzeit noch nicht über die Schwelle iſt. Meine Wohnung reicht nur bis zu dem Striche, ſagte der Alte, wobei er auf die Kreidenlinie in der Mitte des Zimmers zeigte. Dort drüben wohnen zwei Handwerksgeſellen. — Und reſpectiren dieſe Ihre Bezeichnung? — Sie nicht, aber ich, ſagte er. Nur die Thüre iſt gemeinſchaftlich. — Und werden Sie nicht geſtört von Ihrer Nachbarſchaft? — Kaum, meinte er. Sie kommen des Nachts ſpät nach Hauſe, und wenn ſie mich da auch ein wenig im Bette aufſchrecken, ſo iſt dafür die Luſt des Wiedereinſchlafens um ſo größer. Des Morgens
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wecke ich ſie, wenn ich mein Zimmer in Ordnung . Da ſchelten fie wohl ein wenig und gehen. h hatte ihn während deſſen betrachtet. Er war höchſt h gekleidet, die Geſtalt gut genug für feine Jahre, ie Beine etwas zu kurz. Hand und Fuß von auf⸗ der Zartheit. — Sie ſehen mich an, ſagte er, und dabei Ihre Gedanken? — Daß ich nach Ihrer Ge⸗ e lüſtern bin, verſetzte ich. — Geſchichte? wiederholte \h habe keine Geſchichte. Heute wie geſtern, und n wie heute. Uebermorgen freilich und weiter hin⸗ wer kann das wiſſen? Doch Gott wird ſorgen, der 8. — Ihr jetziges Leben mag wohl einförmig genug fuhr ich fort; aber Ihre früheren Schickſale. — Wie fügte — Daß ich unter die Muſikleute kam? fiel er Pauſe ein, die ich unwillkürlich gemacht hatte. Ich te ihm nun, wie er mir beim erſten Anblicke auf⸗ n; den Eindruck, den die von ihm geſprochenen schen Worte auf mich gemacht hätten. Lateiniſch, er nach. Lateiniſch? das habe ich freilich auch einmal t, oder vielmehr hätte es lernen ſollen und können. ris latine? wandte er ſich gegen mich, aber ich könnte ht fortſetzen. Es iſt gar zu lange her. Das alſo i Sie meine Geſchichte? Wie es kam? — Ja ſo! denn freilich allerlei geſchehen; nichts beſonders, doch allerlei. Möchte ich mir's doch ſelbſt einmal erzählen. Ob ich's nicht gar vergeſſen habe. Es ch früh am Morgen, fuhr er fort, wobei er in die che griff, in der ſich freilich keine Uhr befand. — ig die meine, es war kaum 9 Uhr. — Wir haben und faſt kommt mich die Luſt, zu ſchwatzen, an. Er vährend des Letzten zuſehends ungezwungener ge⸗ 1. Seine Geſtalt verlängerte ſich. Er nahm mir
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ohne zu große Umſtände den Hut aus der Hand und legte ihn aufs Bette, ſchlug ſitzend ein Bein über das anden und nahm überhaupt die Lage eines mit Bequemlichkeit Erzählenden an.
Sie haben — hob er an — ohne Zweifel von dem Hofrathe — gehört? Hier nannte er den Namen eines Staatsmannes, der in der Hälfte des vorigen Jahrbunderts unter dem beſcheidenen Titel eines Bureauchefs einen un⸗ geheuren, beinahe Miniſter⸗ähnlichen Einfluß ausgeübt hatte. Ich bejahte meine Kenntniß des Mannes. — Er war mein Vater, fuhr er fort. — Sein Vater? des alten Spielmanns? des Bettlers? Der Einflußreiche, der Mäch⸗ tige, ſein Vater? Der Alte ſchien mein Erſtaunen nicht zu bemerken, ſondern ſpann, ſichtbar vergnügt, den Fader: feiner Erzählung weiter. Ich war der Mittlere von drei Brüdern, die in Staatsdienſten hoch hinauf kamen, nur: aber ſchon beide todt ſind; ich allein lebe noch, ſagte er und zupfte dabei an feinen fadenſcheinigen Beinkleidern⸗ mit niedergeſchlagenen Augen einzelne Federchen davor herableſend. Mein Vater war ehrgeizig und heftig. Meine Brüder thaten ihm genug. Mich nannte man einen lang⸗ ſamen Kopf; und ich war langſam. Wenn ich mich recht erinnere, ſprach er weiter, und dabei ſenkte er, ſeitwärts⸗ gewandt, wie in eine weite Ferne hinausblickend, den Kopf gegen die unterſtützende linke Hand, — wenn ich mich recht erinnere, ſo wäre ich wohl im Stande geweſen, allerlei zu erlernen, wenn man mir nur Zeit und Ordnung gegönnt hätte. Meine Brüder ſprangen wie Gemſen von Spitze zu Spitze in den Lehrgegenſtänden herum, ich konnte aber durchaus nichts hinter mir laſſen, und wenn mir ein ein⸗ ziges Wort fehlte, mußte ich von vorne anfangen. So ward ich denn immer gedrängt. Das Neue ſollte auf den
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Platz, den das Alte noch nicht verlaſſen hatte, und ich begann ſtockiſch zu werden. So hatten ſie mir die Muſik, die jetzt die Freude und zugleich der Stab meines Lebens iſt, geradezu verhaßt gemacht. Wenn ich Abends im Zwielicht die Violine ergriff, um mich nach meiner Art ohne Noten zu vergnügen, nahmen ſie mir das Inſtru⸗ ment und ſagten, das verdirbt die Applicatur, klagten über Ohrenfolter und verwieſen mich auf die Lehrſtunde, wo die Folter für mich anging. Ich habe Zeitlebens Nichts und Niemand ſo gehaßt, als ich damals die Geige haßte.
Mein Vater, aufs Aeußerſte unzufrieden, ſchalt mich häufig und drohte, mich zu einem Handwerke zu geben. Ich wagte nicht, zu ſagen, wie glücklich mich das gemacht hätte, Ein Drechsler oder Schriftſetzer wäre ich gar zu gerne geweſen. Er hätte es ja aber doch nicht zugelaſſen, aus Stolz. Endlich gab eine öffentliche Schulprüfung, der man, um ihn zu begütigen, meinen Vater beizuwohnen beredet hatte, den Ausſchlag. Ein unredlicher Lehrer be⸗ ſtimmte im Voraus, was er mich fragen werde, und fo ging Alles vortrefflich. Endlich aber fehlte mir — es waren auswendig zu ſagende Verſe des Horaz — ein Wort. Nein Lehrer, der kopfnickend und meinen Vater anlächelnd zu gehört hatte, kam meinem Stocken zu Hilfe und flüſterte es mir zu. Ich aber, der das Wort in meinem Innern umd im Zuſammenhange mit dem Uebrigen ſuchte, hörte ihn nicht. Er wiederholte es mehrere Male; umſonſt. Enwlich verlor mein Vater die Geduld. Cachinnum! (fo hieß das Wort) ſchrie er mir donnernd zu. Nun war's geſchehen. Wußte ich das Eine, ſo hatte ich dafür das Uebrige vergeſſen. Alle Mühe, mich auf die rechte Bahn
zu bringen, war verloren. Ich mußte mit Schande auf⸗
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ſtehen, und als ich, der Gewohnheit nach, hinging, m Vater die Hand zu küſſen, ſtieß er mich zurück, erho machte der Verſammlung eine kurze Verbeugung und Ce gueux ſchalt er mich, was ich damals nicht aber jetzt bin. Die Eltern prophezeien, wenn ſie Uebrigens war mein Vater ein guter Mann. Nur und ehrgeizig.
Von dieſem Tage an ſprach er kein Wort mel mir. Seine Befehle kamen mir durch die Hausge zu. So kündigte man mir gleich des nächſten Tag daß es mit meinen Studien ein Ende habe. Ich e heftig, weil ich wußte, wie bitter es meinen Vater k mußte. Ich that den ganzen Tag nichts, als weine dazwiſchen jene lateiniſchen Verſe recitiren, die id aufs Und wußte mit den vorhergehenden und nachfol dazu. Ich verſprach, durch Fleiß den Mangel a lenten zu erſetzen, wenn man mich noch ferner die beſuchen ließe, mein Vater nahm aber nie einen En zurück.
Eine Weile blieb ich nun unbeſchäftigt im väte Hauſe. Endlich that man mich verſuchsweiſe zu Rechenbehörde. Rechnen war aber nie meine Stä weſen. Den Antrag, ins Militär zu treten, wies i Abſcheu zurück. Ich kann noch jetzt keine Uniforn innerlichen Schauder anſehen. Daß man werthe hörige allenfalls auch mit Lebensgefahr ſchützt, iſt gut und begreiflich; aber Blutvergießen und Verſtümr als Stand, als Beſchäftigung. Nein! Nein! Nein dabei fuhr er mit beiden Händen über beide Arm fühlte er ſtechend eigene und fremde Wunden.
Ich kam nun in die Kanzlei unter die Abſch Da war ich recht an meinem Platze. Ich hatte
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das Schreiben mit Luſt getrieben, und noch jetzt weiß ich mir keine angenehmere Unterhaltung, als mit guter Tinte auf gutem Papier Haar⸗ und Schattenſtriche an einander zu fügen zu Worten oder auch nur zu Buchſtaben. Muſik⸗ noten ſind nun gar überaus ſchön. Damals dachte ich aber noch an keine Muſik.
Ich war fleißig, nur aber zu ängſtlich. Ein unrichtiges Unterſcheidungszeichen, ein ausgelaſſenes Wort im Concepte, wenn es ſich auch aus dem Sinne ergänzen ließ, machte mir bittere Stunden. Im Zweifel, ob ich mich genau ans Original halten oder aus Eigenem beiſetzen ſollte, verging die Zeit angſtvoll, und ich kam in den Ruf, nachläſſig zu ſein, indeß ich mich im Dienſte abquälte, wie Keiner. So brachte ich ein Paar Jahre zu, und zwar ohne Gehalt, da, als die Reihe der Beförderung an mich kam, mein Vater im Rathe einem Andern ſeine Stimme gab und die
übrigen ihm zufielen aus Ehrfurcht.
Um dieſe Zeit — ſieh nur, unterbrach er ſich, es giebt enn doch eine Art Geſchichte. Erzählen wir die Geſchichte! Im dieſe Zeit ereigneten ſich zwei Begebenheiten: die -Aurigfte und die freudigſte meines Lebens. Meine Ent: rnung aus dem väterlichen Haufe nämlich und das Viederkehren zur holden Tonkunſt, zu meiner Violine, die dir treu geblieben iſt bis auf dieſen Tag.
Ich lebte in dem Hauſe meines Vaters, unbeachtet von en Hausgenoſſen, in einem Hinterſtübchen, das in des ſtachbars Hof hinausging. Anfangs aß ich am Familien⸗ iſche, wo Niemand ein Wort an mich richtete. Als aber neine Brüder auswärts befördert wurden und mein Vater einahe täglich zu Gaſt geladen war — die Mutter lebte eit lange nicht mehr — fand man es unbequem, meinet⸗ degen eine eigene Küche zu führen. Die Bedienten erhielten
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Koſtgeld; ich auch, das man mir aber nicht auf die Hand gab, ſondern monatweiſe im Speiſehauſe bezahlte. Ich war daher wenig in meiner Stube, die Abendſtunden ausgenommen; denn mein Vater verlangte, daß ich läng⸗ ſtens eine halbe Stunde nach dem Schluß der Kanzlei zu Haufe fein ſollte. Da ſaß ich denn, und zwar, meiner ſchorn damals angegriffenen Augen halber, in der Dämmerung ohne Licht. Ich dachte auf das und jenes und war nich t traurig und nicht froh.
Wenn ich nun fo ſaß, hörte ich auf dem Nachbarsho Fe ein Lied fingen. Mehrere Lieder, heißt das, worunter mir aber eines vorzüglich gefiel. Es war fo einfach, F rührend und hatte den Nachdruck fo auf der rechten Stell . daß man die Worte gar nicht zu hören brauchte. Wie ich denn überhaupt glaube, die Worte verderben die Muſik.— Nun öffnete er den Mund und brachte einige heiſere raub e Töne hervor. Ich habe von Natur keine Stimme, ſagte S und griff nach der Violine. Er ſpielte, und zwar dießmex I mit richtigem Ausdrucke, die Melodie eines gemüthlichen übrigens gar nicht ausgezeichneten Liedes, wobei ihm d 7 Finger auf den Saiten zitterten und endlich einzelne Thränen über die Backen liefen.
Das war das Lied, ſagte er, die Violine hinlegen . Ich hörte es immer mit neuem Vergnügen. So ſehr = mir aber im Gedächtniß lebendig war, gelang es mir do == nie, mit der Stimme auch nur zwei Töne davon richtig 8 treffen. Ich ward faſt ungeduldig von Zuhören. Da fi mir meine Geige in die Augen, die aus meiner Juger her, wie ein altes Rüſtſtück, ungebraucht an der War d hing. Ich griff darnach, und — es mochte fie wohl d er Bediente in meiner Abweſenheit benützt haben — fie far ſich richtig geſtimmt. Als' ich nun mit dem Bogen über
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die Saiten fuhr, Herr, da war es, als ob Gottes Finger mich angerührt hätte. Der Ton drang in mein Inneres hinein und aus dem Innern wieder heraus. Die Luft um mich war wie geſchwängert mit Trunkenheit. Das Lied unten im Hofe und die Töne von meinen Fingern an mein Ohr, Mitbewohner meiner Einſamkeit. Ich fiel auf die Kniee und betete laut und konnte nicht begreifen, daß ich das holde Gottesweſen einmal gering geſchätzt, ja gehaßt in meiner Kindheit, und küßte die Violine und drückte ſie an mein Herz und ſpielte wieder und fort.
Das Lied im Hofe — es war eine Weibsperſon, die ſang — tönte derweile unausgeſetzt; mit dem Nachſpielen ging es aber nicht ſo leicht.
Ich hatte das Lied nämlich nicht in Noten. Auch merkte ich wohl, daß ich das Wenige der Geigenkunſt, was ich etwa einmal wußte, ſo ziemlich vergeſſen hatte. Ich konnte daher nicht das und das, ſondern nur über⸗ haupt ſpielen. Obwohl mir das jeweilige Was der Muſik, mit Ausnahme jenes Lieds, immer ziemlich gleichgültig war und auch geblieben iſt bis zum heutigen Tag. Sie ſpielen den Wolfgang Amadeus Mozart und den Sebaſtian Bach, aber den lieben Gott ſpielt Keiner. Die ewige Wohlthat und Gnade des Tons und Klangs, ſeine wunderthätige Uebereinſtimmung mit dem durſtigen, zerlechzenden Ohr, daß — fuhr er leiſer und ſchamroth fort — der dritte Ton zuſammenſtimmt mit dem erſten und der fünfte desgleichen, und die Nota sensibilis hinaufſteigt, wie eine erfüllte Hoff⸗ nung, die Diſſonanz herabgebeugt wird als wiſſentliche Bosheit oder vermeſſener Stolz, und die Wunder der Bindung und Umkehrung, wodurch auch die Secunde zur Gnade gelangt in den Schooß des Wohlklangs. — Mir hat das Alles, obwohl viel ſpäter, ein Muſiker erklärt.
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Und, wovon ich aber nichts verſtehe, die fuga und das punctum contra punctum und der canon a duo, a tre und ſo fort, ein ganzes Himmelsgebäude, eines ins andere greifend, ohne Mörtel verbunden und gehalten von Gottes Hand. Davon will Niemand etwas wiſſen bis auf Wenige. Vielmehr ſtören ſie dieſes Ein⸗ und Ausathmen der Seelen durch Hinzufügung allenfalls auch zu ſprechender Worte, wie die Kinder Gottes ſich verbanden mit den Töchtern der Erde; daß es hübſch angreife und eingreife in ein ſchwieliges Gemüth. Herr, ſchloß er endlich, halb erſchöpft, die Rede iſt dem Menſchen nothwendig wie Speiſe, man ſollte aber auch den Trank rein erhalten, der da kommt von Gott.
Ich kannte meinen Mann beinahe nicht mehr, ſo leb⸗ haft war er geworden. Er hielt ein wenig inne. Wo blieb ich nur in meiner Geſchichte? ſagte er endlich. Ei ja, bei dem Liede und meinen Verſuchen, es nachzuſpielen. Es ging aber nicht. Ich trat ans Fenſter, um beſſer zu hören. Da ging eben die Sängerin über den Hof. Ich ſah ſie nur von rückwärts, und doch kam ſie mir bekannt vor. Sie trug einen Korb, mit, wie es ſchien, noch un⸗ gebackenen Kuchenſtücken. Sie trat in ein Pförtchen in der Ecke des Hofes, da wohl ein Backofen inne ſein mochte, denn immer fortſingend, hörte ich mit hölzernen Geräthen ſcharren, wobei die Stimme einmal dumpfer und einmal heller klang, wie Eines, das ſich bückt und in eine Höhlung hineinſingt, dann wieder erhebt und aufrecht daſteht. Nach einer Weile kam ſie zurück, und nun merkte ich erſt, warum ſie mir vorher bekannt vorkam. Ich kannte ſie nämlich wirklich ſeit längerer Zeit. Und zwar aus der Kanzlei.
Damit verhielt es ſich ſo. Die Amtsſtunden fingen früh an und währten über den Mittag hinaus. Mehrere
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von den jüngeren Beamten, die nun entweder wirklich Hunger fühlten, oder eine halbe Stunde damit vor ſich bringen wollten, pflegten gegen eilf Uhr eine Kleinigkeit zu ſich zu nehmen. Die Gewerbsleute, die Alles zu ihrem Vortheile zu benutzen wiſſen, erſparten den Leckermäulern den Weg und brachten ihre Feilſchaften ins Amtsgebäude, wo ſie ſich auf Stiege und Gang damit hinſtellten. Ein Bäcker verkaufte kleine Weißbrode, die Obſtfrau Kirſchen. Vor Allem aber waren gewiſſe Kuchen beliebt, die eines benachbarten Grieslers Tochter ſelbſt verfertigte und noch warm zu Markt brachte. Ihre Kunden traten zu ihr auf den Gang hinaus, und nur ſelten kam ſie, gerufen, in die Amtsſtube, wo dann der etwas grämliche Kanzleivorſteher, wenn er ihrer gewahr wurde, eben ſo ſelten ermangelte, ſie wieder zur Thüre hinauszuweiſen, ein Gebot, dem ſie ſich nur mit Groll, und unwillige Worte murmelnd, fügte.
Das Mädchen galt bei meinen Kameraden nicht für ſchön. Sie fanden ſie zu klein, wußten die Farbe ihrer Haare nicht zu beſtimmen. Daß ſie Katzenaugen habe, beſtritten Einige, Pockengruben aber gaben Alle zu. Nur von ihrem ſtämmigen Wuchs ſprachen alle mit Beifall, ſchalten ſie aber grob, und Einer wußte viel von einer Ohrfeige zu erzählen, deren Spuren er noch acht Tage nachher gefühlt haben wollte. ,
Ich ſelbſt gehörte nicht unter ihre Kunden. Theils fehlte mir's an Geld, theils habe ich Speiſe und Trank wohl immer — oft nur zu ſehr — als ein Bedürfniß anerkennen müſſen, Luſt und Vergnügen darin zu ſuchen aber, iſt mir nie in den Sinn gekommen. Wir nahmen daher keine Notiz von einander. Einmal nur, um mich zu necken, machten ihr meine Kameraden glauben, ich
hätte nach ihren Eßwaaren verlangt. Sie trat zu meinem Grillparzer, ſämmtk Werke. VIII. 5
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Arbeitstiſch und hielt mir ihren Korb hin. Ich kaufe nichts, liebe Jungfer, ſagte ich. Nun, warum beſtellen Sie dann die Leute? rief fie zornig. Ich entſchuldigte mich, und ſo wie ich die Schelmerei gleich weg hatte, erklärte ich ihrs aufs Beſte. Nun, fo ſchenken Sie un wenigſtens einen Bogen Papier, um meine Kuchen darauf zu legen, ſagte ſie. Ich machte ihr begreiflich, daß das Kanzleipapier ſei und nicht mir gehöre, zu Hauſe aber hätte ich welches, das mein wäre, davon wollt' ich ih bringen. Zu Hauſe habe ich ſelbſt genug, ſagte ſie ſpöttiſch und ſchlug eine kleine Lache auf, indem fie fortging. Das war nur vor wenigen Tagen geſchehen, und ich gedachte aus dieſer Bekanntſchaft ſogleich Nutzen für meinen Wunſch zu ziehen. Ich knöpfte daher des andern Morgens ein ganzes Buch Papier, an dem es bei uns zu Hauſe nie fehlte, unter den Rock, und ging auf die Kanzlei, wo ich, um mich nicht zu verrathen, meinen Harniſch mit großer Unbequemlichkeit auf dem Leibe behielt, bis ich gegen Mittag aus dem Ein⸗ und Ausgehen meiner Kameraden und dem Geräuſch der kauenden Backen merkte, daß die Kuchenverkäuferin gekommen war, und glauben konnte, daß der Hauptandrang der Kunden vorüber ſei. Dann ging ich hinaus, zog mein Papier hervor, nahm mir ein Herz und trat zu dem Mädchen hin, die, den Korb vor ſich auf dem Boden und den rechten Fuß auf einen Schemel geſtellt, auf dem ſie gewöhnlich zu figen pflegte, daſtand, leiſe ſummend und mit dem auf den Schemel geſtützten Fuß den Tact dazu tretend. Sie maß mich vom Kopf bis zu den Füßen, als ich näher kam, was meine Ber: legenheit vermehrte. Liebe Jungfer, fing ich endlich an, Sie haben neulich von mir Papier begehrt, als keines zur Hand war, das mir gehörte. Nun habe ich welches von
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Hauſe mitgebracht und — damit hielt ich ihr mein Papier hin. Ich habe Ihnen ſchon neulich geſagt, erwiderte ſie, daß ich ſelbſt Papier zu Hauſe habe. Indeß man kann Alles brauchen. Damit nahm ſie mit einem leichten Kopf⸗ nicken mein Geſchenk und legte es in den Korb. Von den Kuchen wollen Sie nicht? ſaßte ſie, unter ihren Waaren herummuſternd, auch iſt das Beſte ſchon fort. Ich dankte, ſagte aber, daß ich eine andere Bitte hätte. Nu, allen⸗ falls? ſprach ſie, mit dem Arm in die Handhabe des Korbes fahrend und aufgerichtet daſtehend, wobei ſie mich mit heftigen Augen anblitzte. Ich fiel raſch ein, daß ich ein Liebhaber der Tonkunſt ſei, obwohl erſt ſeit Kurzem, daß ich ſie ſo ſchöne Lieder ſingen gehört, beſonders eines. Sie? Mich? Lieder? fuhr ſie auf, und wo? Ich erzählte ihr weiter, daß ich in ihrer Nachbarſchaft wohne und ſie auf dem Hofe bei der Arbeit belauſcht hätte. Eines ihrer Lieder gefiele mir beſonders, ſo daß ich's ſchon verſucht hätte, auf der Violine nachzuſpielen. Wären Sie etwa gar derſelbe, rief ſie aus, der ſo kratzt auf der Geige? — Ich war damals, wie ich bereits ſagte, nur Anfänger und habe erſt ſpäter mit vieler Mühe die nöthige Geläufigkeit in dieſe Finger gebracht, unterbrach ſich der alte Mann, wobei er mit der linken Hand, als einer, der geigt, in der Luft herumfingerte. Mir war es, ſetzte er ſeine Erzählung fort, ganz heiß ins Geſicht geſtiegen und ich ſah auch ihr an, daß das harte Wort ſie gereute. Werthe Jungfer, ſagte ich, das Kratzen rührt von daher, daß ich das Lied nicht in Noten habe, weßhalb ich auch höflichſt um die Abſchrift gebeten haben wollte. Um die Abſchrift? ſagte ſie. Das Lied iſt gedruckt und wird an den Straßenecken verkauft. Das Lied? entgegnete ich. Das find wohl nur die Worte. — Nun ja, die Worte, das Lied. — Aber
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der Ton, in dem man's ſingt. — Schreibt man dem derlei auch auf? fragte fie. Freilich! war meine Antwort, das iſt ja eben die Hauptſache. Und wie haben denn Sie! erlernt, werthe Jungfer? — Ich börte es fingen, und da fang ich's nach. — Ich erſtaunte über das natürliche In. genium: wie denn überhaupt die ungelernten Leute oft die meiſten Talente haben. Es iſt aber doch nicht das Rechte, die eigentliche Kunſt. Ich war nun neuerdings in Be: zweiflung. Aber welches Lied iſt es denn eigentlich? ſagte ſie. Ich weiß ſo viele. — Alle ohne Noten? — Nun freilich; alſo welches war es denn? — Es iſt gar fo fchön,
erklärte ich mich. Steigt gleich Anfangs in die Höhe, kehr dann in fein Inwendiges zurück und hört ganz leiſe auf. Sie ſingen's auch am öfteſten. Ach, das wird wohl das fein! ſagte fie, ſetzte den Korb wieder ab, ſtellte den Fuß auf den Schemel und ſang nun mit ganz leiſer und doch klarer Stimme das Lied, wobei fie das Haupt duckte, jo ſchön, ſo lieblich, daß, ehe ſie noch zu Ende war, ich nach ihrer herabhängenden Hand fuhr. Oho! ſagte ſie, den Am zurückziehend, denn ſie meinte wohl, ich wollte ihre Hand unziemlicherweiſe anfaſſen, aber nein, küſſen wollte ich ſe, obſchon ſie nur ein armes Mädchen war. — Nun, ich bin ja jetzt auch ein armer Mann.
Da ich nun vor Begierde, das Lied zu haben, mir in die Haare fuhr, tröſtete fie mich und ſagte: der Organist der Peterskirche käme öfter um Muskatnuß in ihres Vaters Gewölbe, den wolle ſie bitten, Alles auf Noten zu bringen. Ich könnte es nach ein Paar Tagen dort abholen. Hierauf nahm fie ihren Korb und ging, wobei ich ihr das Geleite bis zur Stiege gab. Auf der oberſten Stufe die letzte Verbeugung machend, überraſchte mich der Kanzleivorſteher, der mich an meine Arbeit gehen hieß und auf das Mädchen
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chalt, an dem, wie er behauptete, kein gutes Haar ſei. Ich war darüber heftig erzürnt und wollte ihm eben ant⸗ vorten, daß ich, mit ſeiner Erlaubniß, vom Grgentheile iberzeugt ſei, als ich bemerkte, daß er bereits in ſein Zimmer zurückgegangen war, weßhalb ich mich faßte und benfalls an meinen Schreibtiſch ging. Doch ließ er ſich eit dieſer Zeit nicht nehmen, daß ich ein liederlicher Beamter und ein ausſchweifender Menſch ſei.
Ich konnte auch wirklich deſſelben und die darauf olgenden Tage kaum etwas Vernünftiges arbeiten, fo ging mir das Lied im Kopfe herum, und ich war wie derloren. Ein Paar Tage vergangen, wußte ich wieder nicht, ob es ſchon Zeit ſei, die Noten abzuholen oder nicht. Der Organiſt, hatte das Mädchen geſagt, kam in ihres Vaters Laden, um Muskatnuß zu kaufen; die konnte er nur zu Bier gebrauchen. Nun war ſeit einiger Zeit kühles Wetter und daher wahrſcheinlich, daß der wackere Ton⸗ künſtler ſich eher an den Wein halten und daher ſo bald keine Muskatnuß bedürfen werde. Zu ſchnell anfragen ſchien mir unhöfliche Zudringlichkeit, allzu langes Warten konnte für Gleichgültigkeit ausgelegt werden. Mit dem Mädchen auf dem Gange zu ſprechen, getraute ich mir nicht, da unſere erſte Zuſammenkunft bei meinen Kameraden ruchbar geworden war, und fie vor Begierde brannten, mir einen Streich zu ſpielen.
Ich hatte inzwiſchen die Violine mit Eifer wieder auf⸗ genommen und übte vor der Hand das Fundament gründ⸗ lich durch, erlaubte mir wohl auch von Zeit zu Zeit, aus dem Kopfe zu ſpielen, wobei ich aber das Fenſter ſorg⸗ fältig ſchloß, da ich wußte, daß mein Vortrag mißfiel. Aber wenn ich das Fenſter auch öffnete, bekam ich mein tied doch nicht wieder zu hören. Die Nachbarin fang
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theils gar nicht, theils fo leiſe und bei verſchloſſener Thür, daß ich nicht zwei Töne unterſcheiden konnte.
Endlich — es waren ungefähr drei Wochen vergangen — vermochte ich's nicht mehr auszuhalten. Ich hatte zwar ſchon durch zwei Abende mich auf die Gaſſe geftohlen — und das ohne Hut, damit die Dienſtleute glauben follten, ich ſuchte nur nach etwas im Hauſe — ſo oft ich aber in die Nähe des Grieslerladens kam, überfiel mich ein Io heftiges Zittern, daß ich umkehren mußte, ich mochte wollen oder nicht. Endlich aber — wie geſagt — konnte ichs nicht mehr aushalten. Ich nahm mir ein Herz und ging eines Abends — auch dießmal ohne Hut — aus meinem Zimmer die Treppe hinab und feſten Schrittes durch die Gaſſe bis zu dem Grieslerladen, wo ich vor der Hand ſtehen blieb und überlegte, was weiter zu thun ſei. Der Laden war erleuchtet, und ich hörte Stimmen darin. Nach einigem Zögern beugte ich mich vor und lugte von der Seite hinein. Ich ſah das Mädchen hart vor dem Laden tiſche am Lichte ſitzen und in einer hölzernen Mulde Erbſen oder Bohnen leſen. Vor ihr ſtand ein derber, rüſtiger Mann, die Jacke über die Schulter gehängt, eine Art Knittel in der Hand, ungefähr wie ein Fleiſchhauer. Die Beiden ſprachen, offenbar in guter Stimmung, denn das Mädchen lachte einigemale laut auf, ohne ſich aber in ihrer Arbeit zu unterbrechen oder auch nur aufzuſehen. War es meine gezwungene vorgebeugte Stellung oder ſonſt was immer, mein Zittern begann wieder zu kommen; als ich mich plötzlich von rückwärts mit derber Hand angefaßt und nach vorwärts geſchleppt fühlte. In einem Nu ſtand ich im Gewölbe, und als ich, losgelaſſen, mich umſchaute, ſah ich, daß es der Eigenthümer ſelbſt war, der, von auswärts nach Hauſe kehrend, mich auf der Lauer überraſcht und als
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verdächtig angehalten hatte. Element! ſchrie er, da ſieht man, wo die Pflaumen hinkommen und die Handvoll Erbſen und Rollgerſte, die im Dunkeln aus den Auslagkörben gemaust werden. Da ſoll ja gleich das Donnerwetter dreinſchlagen! Und damit ging er auf mich los, als ob er wirklich drein ſchlagen wollte.
Ich war wie vernichtet, wurde aber durch den Ge⸗ danken, daß man an meiner Ehrlichkeit zweifle, bald wieder zu mir ſelbſt gebracht. Ich verbeugte mich daher ganz kurz und ſagte dem Unhöflichen, daß mein Beſuch nicht ſeinen Pflaumen oder ſeiner Rollgerſte, ſondern ſeiner Tochter gelte. Da lachte der in der Mitte des Ladens ſtehende Fleiſcher laut auf und wendete ſich, zu gehen, nachdem er vorher dem Mädchen ein Paar Worte leiſe zugeflüftert hatte, die fie, gleichfalls lachend, durch einen ſchallenden Schlag mit der flachen Hand auf ſeinen Rücken beantwortete. Der Griesler gab dem Weggehenden das Geleit zur Thüre hinaus. Ich hatte derweil ſchon wieder all meinen Muth verloren und ſtand dem Mädchen gegen⸗ über, die gleichgültig ihre Erbſen und Bohnen las, als ob das Ganze ſie nichts anginge. Da polterte der Vater wieder zur Thüre herein. Mordtauſendelement noch ein⸗ mal, ſagte er, Herr, was ſoll's mit meiner Tochter? — Ich verſuchte, ihm den Zuſammenhang und den Grund meines Beſuches zu erklären. Was Lied? ſagte er, ich will euch Lieder ſingen! wobei er den rechten Arm ſehr verdächtig auf und ab bewegte. — Dort liegt es, ſprach das Mädchen, indem fie, ohne die Mulde mit Hülſen⸗ früchten wegzuſetzen, ſich ſammt dem Seſſel ſeitwärts überbeugte und mit der Hand auf den Ladentiſch hinwies. Ich eilte hin und ſah ein Notenblatt liegen. Es war das Lied. Der Alte war mir aber zuvorgekommen. Er hielt
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das ſchöne Papier zerknitternd in der Hand. Ich frage,
ſagte er, was das abgiebt? Wer iſt der Menſch? Es in
ein Herr aus der Kanzlei, erwiderte fie, indem fie eine
wurmſtichige Erbſe etwas weiter als die andern von Id
warf. Ein Herr aus der Kanzlei? rief er, im Dunkeln,
ohne Hut? — Den Mangel des Hutes erklärte ich durch den Umſtand, daß ich ganz in der Nähe wohnte, wobei ich das Haus bezeichnete. Das Haus weiß ich, rief er. Da wohnt Niemand drinnen als der Hofrath — hier nannte er den Namen meines Vaters — und die Bedienten kenne ich alle. Ich bin der Sohn des Hofraths, ſagte ich, leiſe, als ob's eine Lüge wäre. — Mir find im Leben viele Veränderungen vorgekommen, aber noch keine ſo plötzliche, als bei dieſen Worten in dem ganzen Weſen des Mannes vorging. Der zum Schmähen geöffnete Mund blieb offen ſtehen, die Augen drohten noch immer, aber um den untern Theil des Geſichtes fing an, eine Art Lächeln zu ſpielen, das ſich immer mehr Platz machte. Das Mädchen blieb in ihrer Gleichgültigkeit und gebückten Stellung, nur daß ſie ſich die losgegangenen Haare, fortarbeitend, hinter die Ohren zurückſtrich. Der Sohn des Herrn Hofraths? ſchrie endlich der Alte, in deſſen Geſichte die Aufheiterung vollkommen geworden war. Wollen Euer Gnaden ſich's vielleicht bequem machen? Barbara, einen Stuhl! Das Mädchen bewegte ſich widerwillig auf dem ihren. Nu, wart, Tuckmauſer! ſagte er, indem er ſelbſt einen Korb von ſeinem Platze hob und den darunter geſtellten Seſſel mit dem Vortuche vom Staube reinigte. Hohe Ehre, fuhr er fort. Der Herr Hofrath — der Herr Sohn, wollt' ich ſagen, practiciren alſo auch die Muſik? Singen vielleicht, wie meine Tochter, oder vielmehr ganz anders, nach Noten, nach der Kunſt? Ich erklärte ihm, daß ich von Natur
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e Stimme hätte. Oder ſchlagen Klavierzimbel, wie vornehmen Leute zu thun pflegen? Ich ſagte, daß ich Geige ſpiele. Habe auch in meiner Jugend gekratzt der Geige, rief er. Bei dem Worte Kratzen blickte ich ſillkürlich auf das Mädchen hin und ſah, daß fie ganz tiſch lächelte, was mich ſehr verdroß.
Sollten ſich des Mädels annehmen, heißt das in der fik, fuhr er fort. Singt eine gute Stimme, hat auch t ihre Qualitäten, aber das Feine, lieber Gott, wo 3 herkommen? wobei er Daumen und Zeigefinger der en Hand wiederholt übereinander ſchob. Ich war ganz mt, daß man mir unverbienter Weiſe jo bedeutende ikaliſche Kenntniſſe zutraute, und wollte eben den ren Stand der Sache auseinander ſetzen, als ein außen übergehender in den Laden hereinrief: Guten Abend miteinander! Ich erſchrak, denn es war die Stimme 3 der Bedienten unſeres Hauſes. Auch der Griesler e ſie erkannt. Die Spitze der Zunge vorſchiebend und Schulter emporgehoben, flüſterte er: Waren einer der ienten des gnädigen Papa. Konnten Sie aber nicht men, ſtanden mit dem Rücken gegen die Thüre. eres verhielt ſich wirklich ſo. Aber das Gefühl des ſlichen, Unrechten ergriff mich qualvoll. Ich ſtammelte ein Paar Worte zum Abſchied und ging. Ja ſelbſt 1 Lied hätte ich vergeſſen, wäre mir nicht der Alte auf Straße nachgeſprungen, wo er mir's in die Hand ſteckte. So gelangte ich nach Hauſe, auf mein Zimmer, und tete der Dinge, die da kommen ſollten. Und ſie ven nicht aus. Der Bediente hatte mich dennoch er: rt. Ein Paar Tage darauf trat der Sekretär meines ers zu mir auf die Stube und kündigte mir an, daß das elterliche Haus zu verlaſſen hätte. Alle meine
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Gegenreden waren fruchtlos. Man hatte mir in eimer entfernten Vorſtadt ein Kämmerchen gemiethet, und jo war ich denn ganz aus der Nähe der Angehörigen verbannt. Auch meine Sängerin bekam ich nicht mehr zu ſehen. Man hatte ihr den Kuchenhandel auf der Kanzlei eingeftellt, und ihres Vaters Laden zu betreten, konnte ich mich nicht entſchließen, da ich wußte, daß es dem meinigen mißfrl. Ja, als ich dem alten Griesler zufällig auf der Straße begegnete, wandte er ſich mit einem grimmigen Geſichte von mir ab, und ich war wie niedergedonnert. Da holte ich denn, halbe Tage lang allein, meine Geige hervor und ſpielte und übte.
Es ſollte aber noch ſchlimmer kommen. Das Glück unſeres Hauſes ging abwärts. Mein jüngſter Bruder, ein eigenwilliger, ungeſtümer Menſch, Offizier bei den Dragonern, mußte eine unbeſonnene Wette, in Folge der er, vom Ritt erhitzt, mit Pferd und Rüſtung durch die Donau ſchwamm — es war tief in Ungarn — mit den Leben bezahlen. Der ältere, geliebteſte, war in einer Provinz am Rathstiſch angeſtellt. In immerwährender Widerſetzlichkeit gegen ſeinen Landesvorgeſetzten und, wie ſie ſagten, heimlich dazu von unſerem Vater aufgemuntert, erlaubte er ſich ſogar unrichtige Angaben, um ſeinem Gegner zu ſchaden. Es kam zur Unterſuchung, und mein Bruder ging heimlich aus dem Lande. Die Feinde unjere$ Vaters, deren viele waren, benützten den Anlaß, ihn = ſtürzen. Von allen Seiten angegriffen und ohnehin in⸗ grimmig über die Abnahme feines Einfluſſes, hielt e täglich die angreifendſten Reden in der Rathsſitzung — Mitten in einer derſelben traf ihn ein Schlagfluß. E wurde ſprachlos nach Haufe gebracht. Ich ſelbſt erfuh n nichts davon. Des andern Tages auf der Kanzlei bemerkt
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wohl, daß ſie heimlich flüſterten und mit den Fingern ch mir wieſen. Ich war aber derlei ſchon gewohnt und tte kein Arges. Freitags darauf — es war Mittwochs weſen — wurde mir plötzlich ein ſchwarzer Anzug mit or auf die Stube gebracht. Ich erſtaunte und fragte id erfuhr. Mein Körper iſt ſonſt ſtark und widerhältig, er da fiel’s mich an mit Macht. Ich ſank beſinnungslos Boden. Sie trugen mich ins Bette, wo ich fieberte id irre ſprach den Tag hindurch und die ganze Nacht. es andern Morgens hatte die Natur die Oberhand ge⸗ onnen, aber mein Vater war tobt und begraben.
Ich hatte ihn nicht mehr ſprechen können; ihn nicht n Verzeihung bitten wegen all des Kummers, den ich m gemacht; nicht mehr danken für die unverdienten naden — ja Gnaden! denn ſeine Meinung war gut, id ich hoffe ihn einſt wiederzufinden, wo wir nach unſern fichten gerichtet werden und nicht nach unſern Werken.
Ich blieb mehrere Tage auf meinem Zimmer, kaum daß Nahrung zu mir nahm. Endlich ging ich doch hervor, er gleich nach Tiſche wieder nach Hauſe, und nur des yends irrte ich in den dunkeln Straßen umher, wie Kain, r Brudermörder. Die väterliche Wohnung war mir bei ein Schreckbild, dem ich ſorgfältigſt aus dem Wege ig. Einmal aber, gedankenlos vor mich hinſtarrend, ad ich mich plötzlich in der Nähe des gefürchteten Hauſes. eine Kniee zitterten, daß ich mich anhalten mußte. inter mir an die Wand greifend, erkenne ich die Thüre 3 Grieslerladens und darin ſitzend Barbara, einen Brief
der Hand, neben ihr das Licht auf dem Ladentiſche id hart dabei in aufrechter Stellung ihr Vater, der ihr zuſprechen ſchien. Und wenn es mein Leben gegolten itte, ich mußte eintreten. Niemanden zu haben, dem
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man ſein Leid klagen kann, Niemanden, der Mitleid fühlt!
Der Alte, wußte ich wohl, war auf mich erzürnt, aber
das Mädchen ſollte mir ein gutes Wort geben. Doch kan es ganz entgegengeſetzt. Barbara ſtand auf, als ich em trat, warf mir einen hochmüthigen Blick zu und ging in die Nebenkammer, deren Thüre ſie abſchloß. Der Alte aber faßte mich bei der Hand, hieß mich niederſtitzen, tröſtete mich, meinte aber auch, ich ſei nun ein reicher Mann und hätte mich um Niemanden mehr zu kümmern. Er fragte, wie viel ich geerbt hätte. Ich wußte das nicht. Er forderte mich auf, zu den Gerichten zu gehen, was ich verſprach. In den Kanzleien, meinte er, ſei nichts zu machen. Ich ſollte meine Erbſchaft im Handel anlegen. Knoppern und Früchte würfen guten Profit ab; ein Compagnon, der ſich darauf verſtände, könnte Groſchen in Gulden ver⸗ wandeln. Er ſelbſt habe ſich einmal viel damit abgegeben. Dabei rief er wiederholt nach dem Mädchen, die aber kein Lebenszeichen von ſich gab. Doch ſchien mir, als ob ich an der Thüre zuweilen raſcheln hörte. Da ſie aber immer nicht kam und der Alte nur vom Gelde redete, empfahl ich mich endlich und ging, wobei der Mann bedauerte, mich nicht begleiten zu können, da er allein im Laden ſei. Ich war traurig über meine verfehlte Hoffnung und doch wunderbar getröſtet. Als ich auf der Straße ſtehen blieb und nach dem Hauſe meines Vaters hinüberblickte, hörte ich plötzlich hinter mir eine Stimme, die gedämpft und im Tone des Unwillens ſprach: Trauen Sie nicht gleich Jedermann, man meint es nicht gut mit Ihnen. So ſchnell ich mich umkehrte, ſah ich doch Niemand: nur das Klirren eines Fenſters im Erdgeſchoſſe, das zu des Grieslers Wohnung gehörte, belehrte mich, wenn ich auch die Stimme nicht erkannt hätte, daß Barbara die geheime Warnerin
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war. Sie hatte alſo doch gehört, was im Laden geſprochen worden. Wollte fie mich vor ihrem Vater warnen? oder war ihr zu Ohren gekommen, daß gleich nach meines Vaters Tode theils Kollegen aus der Kanzlei, theils andere, ganz unbekannte Leute, mich mit Bitten um Unterſtützung und Nothhilfe angegangen, ich auch zugeſagt, wenn ich erſt zu Geld kommen würde. Was einmal verſprochen, mußte ich halten, in Zukunft aber beſchloß ich, vorſichtiger zu ſein. Ich meldete mich wegen meiner Erbſchaft. Es war weniger, als man geglaubt hatte, aber doch ſehr viel, nahe an eilftauſend Gulden. Mein Zimmer wurde den ganzen Tag von Bittenden und Hilfeſuchenden nicht leer. Ich war aber beinahe hart geworden und gab nur, wo die Noth am größten war. Auch Barbara's Vater kam. Er ſchmähte, daß ich ſie ſchon drei Tage nicht beſucht, worauf ich der Wahrheit gemäß erwiderte, daß ich fürchte, ſeiner Tochter zur Laſt zu ſein. Er aber ſagte, das ſolle mich nicht kümmern, er habe ihr ſchon den Kopf zurecht geſetzt, wobei er auf eine boshafte Art lachte, ſo daß ich erſchrak. Dadurch an Barbara's Warnung rückerinnert, verhehlte ich, als wir bald im Geſpräche darauf kamen, den Betrag meiner Erbichaft ; auch feinen Handelsvorſchlägen wich ich geſchickt aus.
Wirklich lagen mir bereits andere Ausſichten im Kopfe. In der Kanzlei, wo man mich nur meines Vaters wegen geduldet hatte, war mein Platz bereits durch einen Andern beſetzt, was mich, da kein Gehalt damit verbunden war, wenig kümmerte. Aber der Secretär meines Vaters, der durch die letzten Ereigniſſe brodlos geworden, theilte mir den Plan zur Errichtung eines Auskunfts-, Copir⸗ und Ueberſetzungs⸗Comptoirs mit, wozu ich die erſten Ein⸗ richtungskoſten vorſchießen ſollte, indeß er ſelbſt die Direction
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zu übernehmen bereit war. Auf mein Andringen wurden die Copirarbeiten auch auf Muſikalien ausgedehnt, und nun war ich in meinem Glücke. Ich gab das erforderliche Geld, ließ mir aber, ſchon vorſichtig geworden, eine Handſchriſt darüber ausſtellen. Die Caution für die Anſtalt, die ich gleichfalls vorſchoß, ſchien, obgleich beträchtlich, kaum der Rede werth, da ſie bei den Gerichten hinterlegt werden mußte und dort mein blieb, als hätte ich ſie in meinen Schranke.
Die Sache war abgethan, und ich fühlte mich erleichtert, erhoben, zum erſten Male in meinem Leben ſelbſtſtändig, ein Mann. Kaum daß ich meines Vaters noch gedachte. Ich bezog eine beſſere Wohnung, änderte Einiges in meiner Kleidung und ging, als es Abend geworden, durch wohl: bekannte Straßen nach dem Grieslerladen, wobei ich mit den Füßen ſchlenkerte und mein Lied zwiſchen den Zähnen ſummte, obwohl nicht ganz richtig. Das B in der zweiten Hälfte habe ich mit der Stimme nie treffen können. Froh und guter Dinge langte ich an, aber ein eiskalter Blick Barbara's warf mich ſogleich in meine frühere Zaghaftigkeit zurück. Der Vater empfing mich aufs Beſte, ſie aber that, als ob Niemand zugegen wäre, fuhr fort, Papierdüten zu wickeln, und miſchte ſich mit keinem Worte in unſer Ge⸗ ſpräch. Nur als die Rede auf meine Erbſchaft kam, fuhr ſie mit halbem Leibe empor und ſagte faſt drohend: Vater! worauf der Alte ſogleich den Gegenſtand änderte. Sonſt ſprach ſie den ganzen Abend nichts, gab mir keinen zweiten Blick, und als ich mich endlich empfahl, klang ihr: Guten Abend! beinahe wie ein Gott ſei Dank!
Aber ich kam wieder und wieder, und ſie gab allmählig nach. Nicht als ob ich ihr irgend etwas zu Danke gemacht hätte. Sie ſchalt und tadelte mich unaufhörlich. Alles
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war ungeſchickt; Gott hatte mir zwei linke Hände erſchaffen: mein Rod ſaß wie an einer Vogelſcheuche; ich ging wie die Enten, mit einer Anmahnung an den Haushahn. Beſonders zuwider war ihr meine Höflichkeit gegen die Runden. Da ich nämlich bis zur Eröffnung der Copir⸗ ınftalt ohne Beſchäftigung war und überlegte, daß ich dort mit dem Publikum zu thun haben würde, ſo nahm ich, als Vorübung, an dem Kleinverkauf im Grieslergewölbe thätigen Antheil, was mich oft halbe Tage lang feſthielt. Ich wog Gewürz ab, zählte den Knaben Nüſſe und Welk⸗ pflaumen zu, gab klein Geld heraus; letzteres nicht ohne häufige Irrungen, wo denn immer Barbara dazwiſchen fuhr, gewaltthätig wegnahm, was ich eben in den Händen hielt, und mich vor den Kunden verlachte und verſpottete. Machte ich einem der Käufer einen Bückling oder empfahl mich ihnen, ſo ſagte ſie barſch, ehe die Leute noch zur Thüre hinaus waren: Die Waare empfiehlt! und kehrte mir den Rücken. Manchmal aber wieder war ſie ganz Güte. Sie hörte mir zu, wenn ich erzählte, was in der Stadt vorging; aus meinen Kinderjahren; von dem Beamtenweſen in der Kanzlei, wo wir uns zuerſt kennen zelernt. Dabei ließ ſie mich aber immer allein ſprechen und gab nur durch einzelne Worte ihre Billigung oder — was öfter der Fall war — ihre Mißbilligung zu erkennen.
Von Muſik oder Geſang war nie die Rede. Erſtlich meinte ſie, man müſſe entweder ſingen oder das Maul halten, zu reden ſei da nichts. Das Singen ſelbſt aber zing nicht an. Im Laden war es unziemlich, und die Hinterſtube, die fie und ihr Vater gemeinſchaftlich be⸗ wohnten, durfte ich nicht betreten. Einmal aber, als ich unbemerkt zur Thüre hereintrat, ſtand ſie, auf den Zehen⸗ ſpitzen emporgerichtet, den Rücken mir zugekehrt und mit
den erhobenen Händen, wie man nach etwas ſucht, auj einem der höheren Stellbretter herumtaſtend. Und dabei ſang ſie leiſe in ſich hinein. — Es war das Lied, mein Lied! — Sie aber zwitſcherte wie eine Grasmücke, die am Bache das Hälslein wäſcht und das Köpfchen herumwiſt und die Federn ſträubt und wieder glättet mit dem Schnäblein. Mir war, als ginge ich auf grünen Wieſen. Ich ſchlich näher und näher und war ſchon ſo nahe, daß das Lied nicht mehr von außen, daß es aus mir herauszutönen ſchien, ein Geſang der Seelen. Da konnte ich mich nicht mehr halten, und faßte mit beiden Händen ihren in der Mitte nach vorn ſtrebenden und mit den Schultern gegen mich geſenkten Leib. Da aber kam's. Sie wirbelte wie ein Kreiſel um ſich ſelbſt. Glutroth vor Zorn im Geſichte, ſtand ſie vor mir da; ihre Hand zuckte, und ehe ich mich entſchuldigen konnte —
Sie hatten, wie ich ſchon früher berichtet, auf der Kanzlei öfter von einer Ohrfeige erzählt, die Barbara, noch als Kuchenhändlerin, einem Zudringlichen gegeben. Was ſie da ſagten von der Stärke des eher klein zu nennenden Mädchens und der Schwungkraft ihrer Hand, ſchien höchlich und zum Scherze übertrieben. Es verhielt ſich aber wirklich ſo und ging ins Rieſenhafte. Ich ſtand wie vom Donner getroffen. Die Lichter tanzten mir vor den Augen. — Aber es waren Himmelslichter. Wie Sonne, Mond und Sterne; wie die Engelein, die Verſteckens ſpielen und dazu ſingen. Ich hatte Erſcheinungen, ich war verzückt. Sie aber, kaum minder erſchrocken als ich, fuhr mit ihrer Hand wie begütigend über die geſchlagene Stelle. Es mag wohl zu ſtark ausgefallen ſein, ſagte ſie, und — wie ein zweiter Blitzſtrahl — fühlte ich plötzlich ihren warmen Athem auf meiner Wange und ihre zwei Lippen,
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und fie küßte mich: nur leicht, leicht; aber es war ein Kuß auf dieſe meine Wange, hier! Dabei klatſchte der alte Mann auf ſeinen Backen, und die Thränen traten ihm aus den Augen. Was nun weiter geſchah, weiß ich nicht, fuhr er fort. Nur daß ich auf ſie losſtürzte und ſie in die Wohnſtube lief und die Glasthüre zuhielt, während ich von der andern Seite nachdrängte. Wie fie nun, zu: ſammengekrümmt und mit aller Macht ſich entgegenſtemmend, gleichſam an dem Thürfenſter klebte, nahm ich mir ein Herz, verehrteſter Herr, und gab ihr ihren Kuß heftig zurück, durch das Glas.
Oho, hier geht's luſtig her! hörte ich hinter mir rufen. Es war der Griesler, der eben nach Hauſe kam. Nu, was ſich neckt — ſagte er. Komm nur heraus, Bärbe, und mach' keine Dummheiten! Einen Kuß in Ehren kann Niemand wehren. — Sie aber kam nicht. Ich ſelbſt ent⸗ fernte mich nach einigen halb bewußtlos geſtotterten Worten, wobei ich den Hut des Grieslers ſtatt des meinigen nahm, den er lachend mir in der Hand austauſchte. Das war, wie ich ihn ſchon früher nannte, der Glückstag meines Lebens. Faſt hätte ich geſagt: der einzige, was aber nicht wahr wäre, denn der Menſch hat viele Gnaden von Gott.
Ich wußte nicht recht, wie ich im Sinne des Mädchens ſtand. Sollte ich ſie mir mehr erzürnt oder mehr begütigt denken? Der nächſte Beſuch koſtete einen ſchweren Entſchluß. Aber ſie war gut. Demüthig und ſtill, nicht auffahrend wie ſonſt, ſaß ſie da bei einer Arbeit. Sie winkte mit dem Kopfe auf einen nebenſtehenden Schemel, daß ich mich ſetzen und ihr helfen ſollte. So ſaßen wir denn und arbeiteten. Der Alte wollte hinausgehen. Bleibt doch da, Vater, ſagte ſie; was Ihr beſorgen wollt, iſt ſchon abgethan. Er trat mit dem Fuße hart auf den Boden und blieb. Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 6
Ich wollte zuſehen, aber fü Alfanzerei und kein Ende! b Mädchen hintretend, ſagte ı zu beſorgen war, iſt noch g. er ſchallenden Trittes zur Di anfangen, mich von geſtern | unterbrach mich und ſagte: wir jetzt von geſcheidtern Din Sie hob den Kopf empoı bis zur Zehe und fuhr in ruf kaum ſelbſt mehr den Anfang Sie kommen ſeit einiger Zeit haben uns an Sie gewöhnt. Ihnen Niemand abſtreiten, ab auf Nebendinge gerichtet, ſo wären, Ihren eigenen Sachen es denn Pflicht und Schuldigk kannten, ein Einſehen zu haben, kommen. Sie verſitzen hier hal und wägen, mefjen und marfteı heraus. Was gedenken Sir i--
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ſchon ſelbſt Geld bei derlei Dingen verloren, dann, ſetzte ſie mit geſenkter Stimme hinzu, iſt er ſo gewohnt, von Fremden Gewinn zu ziehen, daß er es Freunden vielleicht auch nicht beſſer machen würde. Sie müſſen Jemand an der Seite haben, der es ehrlich meint. — Ich wies auf ſie. — Ebrlich bin ich, ſagte ſie. Dabei legte ſie die Hand auf die Bruſt, und ihre Augen, die ſonſt ins Graulichte ſpielten, glänzten hellblau, himmelblau. Aber mit mir bat's eigene Wege. Unſer Geſchäft wirft wenig ab, und mein Vater geht mit dem Gedanken um, einen Schenk⸗ laden aufzurichten. Da iſt denn kein Platz für mich. Mir bliebe nur Handarbeit, denn dienen mag ich nicht. Und dabei ſah ſie aus wie eine Königin. Man hat mir zwar einen andern Antrag gemacht, fuhr ſie fort, indem ſie einen Brief aus ihrer Schürze zog und halb widerwillig auf den Ladentiſch warf; aber da müßte ich fort von hier. — Und weit? fragte ich. — Warum? was kümmert Sie das? — Ich erklärte, daß ich an denſelben Ort hinziehen wollte. — Sind Sie ein Kind! ſagte ſie. Das ginge nicht an und wären ganz andere Dinge. Aber wenn Sie Vertrauen zu mir haben und gerne in meiner Nähe ſind, ſo bringen Sie den Putzladen an ſich, der hier nebenan zu Verkauf ſteht. Ich verſtehe das Werk, und um den bürgerlichen Gewinn aus Ihrem Gelde dürften Sie nicht verlegen ſein. Auch fänden Sie ſelbſt mit Rechnen und Schreiben eine ordentliche Beſchäftigung. Was ſich etwa noch weiter ergäbe, davon wollen wir jetzt nicht reden. Aber ändern müßten Sie ſich! Ich haſſe die weibiſchen Männer.
Ich war aufgeſprungen und griff nach meinem Hute. Was iſt? wo wollen Sie hin? fragte fie. Alles abbeſtellen, ſagte ich mit kurzem Athen. — Was denn? — Ich
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erzählte ihr nun meinen Plan zur Errichtung eines Schrer̃ L. und Auskunfts⸗Comptoirs. Da kommt nicht viel herau S, meinte fie. Auskunft einziehen kann ein Jeder ſelbſt, urn d ſchreiben hat auch ein Jeder gelernt in der Schule. Ich bemerkte, daß auch Muſikalien copirt werden ſollten, wa nicht Jedermanns Sache ſei. Kommen Sie ſchon wiede mit ſolchen Albernheiten? fuhr fie mich an. Laſſen Ste das Muſiciren und denken Sie auf die Nothwendigkeit e Auch wären Sie nicht im Stande, einem Geſchäfte ſelbff vorzuſtehen. Ich erklärte, daß ich einen Compagnon ge funden hätte. Einen Compagnon? rief fie aus. Da wil man Sie gewiß betrügen! Sie haben doch noch kein Gel hergegeben? — Ich zitterte, ohne zu wiſſen, warum. — Haben Sie Geld gegeben? fragte fie noch einmal. IJ geſtand die dreitauſend Gulden zur erſten Einrichtung. —— Dreitauſend Gulden? rief fie, jo vieles Geld! — Da — Uebrige, fuhr ich fort, iſt bei den Gerichten hinterleg- 1 und jedenfalls ſicher. — Alſo noch mehr? ſchrie fie auf. —— Ich gab den Betrag der Caution an. — Und haben Si.— die ſelbſt bei den Gerichten angelegt? — Es war dur meinen Compagnon geſchehen. — Sie haben doch einer Schein darüber? — Ich hatte keinen Schein. — Und wie * heißt Ihr ſauberer Compagnon? fragte fie weiter. Ich war einigermaßen beruhigt, ihr den Secretär meines Vaters 5 nennen zu können.
Gott der Gerechte! rief ſie aufſpringend und die Hände — zuſammenſchlagend. Vater! Vater! — Der Alte trat berein.— — Was habt Ihr heute aus den Zeitungen geleſen? — Von dem Secretarius? ſprach er. — Wohl, wohl! — Nun, der iſt durchgegangen, hat Schulden über Schulden hinterlaſſen und die Leute betrogen. Sie verfolgen ihn mit Steckbriefen! — Vater, rief ſie, er hat ihm auch ſein Geld anvertraut.
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Er iſt zu Grunde gerichtet. — Rot Dummköpfe und kein Ende! ſchrie der Alte. Hab' ich's nicht immer geſagt? Aber das war ein Entſchuldigen. Einmal lachte ſie über ihn, dann war er wieder ein redliches Gemüth. Aber ich will da⸗ zwiſchen fahren! Ich will zeigen, wer Herr im Hauſe iſt. Du, Barbara, marſch hinein in die Kammer! Sie aber, Herr, machen Sie, daß Sie fortkommen, und verſchonen ums künftig mit Ihren Beſuchen. Hier wird kein Almoſen gereicht. — Vater, ſagte das Mädchen, ſeid nicht hart gegen ihr, er iſt ja doch unglücklich genug. — Eben darum, rief de v Alte, will ich's nicht auch werden. Das, Herr, fuhr er for t, indem er auf den Brief zeigte, den Barbara vorher auf den Tiſch geworfen hatte, das iſt ein Mann! Hat — im Kopfe und Geld im Sack. Betrügt Niemanden, bt ſich aber auch nicht betrügen; und das iſt die Haupt: ſex che bei der Ehrlichkeit. — Ich ſtotterte, daß der Verluſt er Caution noch nicht gewiß ſei. — Ja, rief er, wird ein Narr geweſen fein, der Secretarius! Ein Schelm ift er, aber pfiffig. Und nun gehen Sie nur raſch, vielleicht Olen Sie ihn noch ein! Dabei hatte er mir die flache Hand auf die Schulter gelegt und ſchob mich gegen die Thüre. Ich wich dem Drucke ſeitwärts aus und wendete mich gegen das Mädchen, die, auf den Ladentiſch geſtützt, da ſtand, die Augen auf den Boden gerichtet, wobei die Bruſt heftig auf⸗ und niederging. Ich wollte mich ihr nähern, aber fie ſtieß zornig mit dem Fuße auf den Boden, und als ich meine Hand ausſtreckte, zuckte ſie mit der ihren halb empor, als ob ſie mich wieder ſchlagen wollte. Da ging ich, und der Alte ſchloß die Thüre hinter mir zu. Ich wankte durch die Straßen zum Thor hinaus, ins Feld. Manchmal fiel mich die Verzweiflung an, dann kam aber wieder Hoffnung. Ich erinnerte mich, bei Anlegung
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der Caution den Sekretär zum Handelsgerichte begleitet zu haben. Dort hatte ich unter dem Thorwege gewartet, und er war allein hinaufgegangen. Als er herabkam, ſagte er, alles ſei berichtigt, der Empfangsſchein werde mir ins Haus geſchickt werden. Letzteres war freilich nicht geſchehen, aber Möglichkeit blieb noch immer. Mit an⸗
brechendem Tage kam ich zur Stadt zurück. Mein erſter Gang war in die Wohnung des Sekretärs. Aber die Leut lachten und fragten, ob ich die Zeitungen nicht geleſen
hätte? Das Handelsgericht lag nur wenige Häuſer davon ab. Ich ließ in den Büchern nachſchlagen, aber wede
fein Name noch meiner kamen darin vor. Von einer Ein
zahlung keine Spur. So war denn mein Unglück gewiß
Ja beinahe wäre es noch ſchlimmer gekommen. Denn da ein Geſellſchaftscontract beſtand, wollten mehrere ſeine Gläubiger auf meine Perſon greifen. Aber die Gericht
gaben es nicht zu. Lob und Dank ſei ihnen dafür gefagt —
Obwohl es auf Eines herausgekommen wäre.
*
In all dieſen Widerwärtigkeiten war mir, geſtehe ich nur, der Griesler und feine Tochter ganz in den Hinter
grund getreten. Nun da es ruhiger wurde und ich anfing,
—
zu überlegen, was etwa weiter geſchehen ſollte, kam mir
die Erinnerung an den letzten Abend lebhaft zurück. Den Alten, eigennützig, wie er war, begriff ich ganz wohl, aber das Mädchen! Manchmal kam mir in den Sinn, daß, wenn ich das Meinige zu Rathe gehalten und ihr eine Verſorgung hätte anbieten können, ſie wohl gar — aber ſie hätte mich nicht gemocht. — Dabei beſah er mit aus⸗ einander fallenden Händen ſeine ganze dürftige Geſtalt. — Auch war ihr mein höfliches Benehmen gegen Jedermann immer zuwider.
So verbrachte ich ganze Tage, ſann und überlegte.
—
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Eines Abends im Zwielicht — es war die Zeit, die ich gewöhnlich im Laden zuzubringen pflegte — ſaß ich wieder und verſetzte mich in Gedanken an die gewohnte Stelle. Ich hörte ſie ſprechen, auf mich ſchmähen, ja es ſchien, ſie verlachten mich. Da raſchelte es plötzlich an der Thüre, ſie ging auf, und ein Frauenzimmer trat herein. — Es war Barbara. — Ich ſaß auf meinem Stuhl angenagelt, als ob ich ein Geſpenſt ſähe. Sie war blaß und trug ein Bündel unter dem Arme. In die Mitte des Zimmers gekommen, blieb ſie ſtehen, ſah rings an den kahlen Wänden umher, dann nach abwärts auf das ärmliche Geräthe und ſeufzte tief. Dann ging fie an den Schrank, der zur Seite an der Mauer ſtand, wickelte ihr Packet auseinander, das einige Hemden und Tücher enthielt — ſie hatte in der letzten Zeit meine Wäſche beſorgt — zog die Schublade heraus, ſchlug die Hände zuſammen, als ſie den ſpärlichen Inhalt ſah, fing aber gleich darauf an, die Wäſche in Ordnung zu bringen und die mitgebrachten Stücke einzureihen. Darauf trat ſie ein paar Schritte vom Schranke hinweg, und die Augen auf mich gerichtet, wobei ſie mit dem Finger auf die offene Schublade zeigte, ſagte ſie: Fünf Hemden und drei Tücher. So viel habe ich gehabt, ſo viel bringe ich zurück. Dann drückte ſie langſam die Schublade zu, ſtützte ſich mit der Hand auf den Schrank und fing laut an zu weinen. Es ſchien faſt, als ob ihr ſchlimm würde, denn ſie ſetzte ſich auf einen Stubl neben dem Schranke, verbarg das Geſicht in ihr Tuch, und ich hörte aus den ſtoßweiſe geholten Athemzügen, daß ſie noch immer fortweinte. Ich war leiſe in ihre Nähe getreten und faßte ihre Hand, die ſie mir gutwillig ließ. Als ich aber, um ihre Blicke auf mich zu ziehen, an dem ſchlaff hängenden Arme bis zum Ellenbogen emporrückte,
immer heftiger — wen Sachen nicht in Ordi daß man Jedem traut, gi
oder ein ehrlicher Mann. 4 bin gekommen,
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und ſchlich daher am kommenden Morgen in der Nähe des Grieslerladens herum, ob mir vielleicht einige Aufklärung würde. Da ſich aber nichts zeigte, blickte ich endlich ſeit⸗ wärts in den Laden hinein und ſah eine fremde Frau, die abwog und Geld herausgab und zuzählte. Ich wagte mich hinein und fragte, ob ſie den Laden an ſich gekauft hätte? Zur Zeit noch nicht, ſagte fie. — Und wo die Eigenthümer wären? — Die find heute früh Morgens nach Langen⸗ lebarn gereist. — Die Tochter auch? ſtammelte ich. — Nun freilich auch, ſagte ſie, ſie macht ja Hochzeit dort.
Die Frau mochte mir nun Alles erzählt haben, was ich in der Folge von andern Leuten erfuhr. Der Fleiſcher des genannten Ortes nämlich — derſelbe, den ich zur Zeit meines erſten Beſuches im Laden antraf — hatte dem
Mädchen ſeit lange Heirathsanträge gemacht, denen ſie immer aus wich, bis fie endlich in den letzten Tagen, von ihrem Vater gedrängt und an allem Uebrigen verzweifelnd, einwilligte. Deſſelben Morgens waren Vater und Tochter Dahin abgereist, und in dem Augenblick, da wir ſprachen, war Barbara des Fleiſchers Frau.
Die Verkäuferin mochte mir, wie geſagt, das Alles erzählt haben, aber ich hörte nicht und ſtand regungslos, bis endlich Kunden kamen, die mich zur Seite ſchoben, und die Frau mich anfuhr, ob ich noch ſonſt etwas wollte, worauf ich mich entfernte.
Sie werden glauben, verehrteſter Herr, fuhr er fort, daß ich mich nun als den unglücklichſten aller Menſchen fühlte. Und ſo war es auch im erſten Augenblicke. Als ich aber aus dem Laden heraustrat und, mich umwendend, auf die kleinen Fenſter zurückblickte, an denen Barbara gewiß oft geſtanden und herausgeſehen hatte, da kam eine ſelige Empfindung über mich. Daß ſie nun alles Kummers
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und die Erinnerung an alte Zeiten erlaubten mir nicht, Wringlich zu fein, endlich ward ich aber ſelbſt ins Haus beſtellt, um dem älteſten Knaben Unterricht auf der Violine zu geben. Er hat zwar nur wenig Talent, kann auch nur an Sonntagen ſpielen, da ihn in der Woche der Vater beim Geſchäft verwendet, aber Barbara's Lied, das ich ihn gelehrt, geht doch ſchon recht gut; und wenn wir ſo üben und handtieren, ſingt manchmal die Mutter mit darein. Sie bat ſich zwar ſehr verändert in den vielen Jahren, iſt ſtark geworden und kümmert ſich wenig mehr um Muſik, aber es klingt noch immer ſo hübſch, wie damals. Und damit ergriff der Alte ſeine Geige und fing an, das Lied zu ſpielen, und ſpielte fort und fort, ohne ſich weiter um mich zu kümmern. Endlich hatte ich's ſatt, ſtand auf, legte ein paar Silberſtücke auf den nebenſtehenden Tiſch und ging, während der Alte eifrig immer fortgeigte. Bald darauf trat ich eine Reiſe an, von der ich erſt mit einbrechendem Winter zurückkam. Die neuen Bilder batten die alten verdrängt, und mein Spielmann war jo ziemlich vergeſſen. Erſt bei Gelegenheit des furchtbaren Eisganges im nächſten Frühjahre und der damit in Ver⸗ bindung ſtehenden Ueberſchwemmung der nkedrig gelegenen Vorſtädte erinnerte ich mich wieder an ihn. Die Umgegend der Gärtnergaſſe war zum See geworden. Für des alten Mannes Leben ſchien nichts zu beſorgen, wohnte er doch hoch oben am Dache, indeß unter den Bewohnern der Erdgeſchoße ſich der Tod ſeine nur zu häufigen Opfer auserſehen hatte. Aber entblößt von aller Hilfe, wie groß mochte ſeine Noth ſein! So lange die Ueberſchwemmung währte, war nichts zu thun, auch hatten die Behörden nach Möglichkeit auf Schiffen Nahrung und Beiſtand den Abgeſchnittenen geſpendet. Als aber die Waſſer verlaufen
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Todesfälle vorzunehmen. So ſchritt ich weiter und w einen und Trauergeläute, jud gehende Kinder. Endlich kam ie Auch dort hatten ſich die ſchwarzen zuges aufgeſtellt, doch, wie es fd Hauſe, das ich ſuchte. Als ich ab
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Sie uns auch die Ehre? ſagte ſie. Ja, unſer armer Alter! der muſicirt jetzt mit den lieben Engeln, die auch nicht viel beſſer ſein können, als er es war. Die ehrliche Seele ſaß da oben ſicher in ſeiner Kammer. Als aber das Waſſer kam und er die Kinder ſchreien hörte, da ſprang er her⸗ unter und rettete und ſchleppte und trug und brachte in Sicherheit, daß ihm der Athem ging wie ein Echmiebe: gebläs. Ja — wie man denn nicht überall ſeine Augen haben kann — als ſich ganz zuletzt zeigte, daß mein Mann ſeine Steuerbücher und die paar Gulden Papiergeld im Wandſchrank vergeſſen hatte, nahm der Alte ein Beil, ging ins Waſſer, das ihm ſchon an die Bruſt reichte, erbrach den Schrank und brachte Alles treulich. Da hatte er ſich wohl verkältet, und wie im erſten Augenblicke denn keine Hilfe zu haben war, griff er in die Phantaſie und wurde immer ſchlechter, ob wir ibm gleich beiſtanden nach Möglichkeit und mehr dabei litten, als er ſelbſt. Denn er muſicirte in einem fort, mit der Stimme nämlich, und ſchlug den Takt und gab Lectionen. Als ſich das Waſſer ein wenig verlaufen hatte und wir den Bader holen konnten und den Geiſtlichen, richtete er ſich plötzlich im Bette auf, wendete Kopf und Ohr ſeitwärts, als ob er in der Ent⸗ fernung etwas gar Schönes hörte, lächelte, ſank zurück und war todt. Gehen Sie nur hinauf, er hat oft von Ihnen geſprochen. Die Madame iſt auch oben. Wir haben ihn auf unſere Koſten begraben laſſen wollen, die Frau Fleiſchermeiſterin gab es aber nicht zu. “
Sie drängte mich die fteile Treppe hinauf bis zur Dachſtube, die offen ſtand und ganz ausgeräumt war bis auf den Sarg in der Mitte, der, bereits geſchloſſen, nur der Träger wartete. An dem Kopfende ſaß eine ziemlich ſtarke Frau, über die, Hälfte des Lebens hinaus, im bunt
lehnt hatte, den Arm heru herausſtehenden Kanten des Die Gärtnersfrau führte m die Bojaunen an zu blafen, ı des Fleiſchers von der Straße
Kreuz und Jahne, der Geiſtl Unmittelbar nach dem Sarge di und hinter ihnen das Ebepaa:
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zerſtreuten ſich nach allen Richtungen. Der alte Spielmann war begraben.
Ein paar Tage darauf — es war ein Sonntag — ging ich, von meiner pſychologiſchen Neugierde getrieben, in die Wohnung des Fleiſchers und nahm zum Vorwande, daß ich die Geige des Alten als Andenken zu beſitzen wünſchte. Ich fand die Familie beiſammen ohne Spur eines zurückgebliebenen beſondern Eindrucks. Doch hing die Geige mit einer Art Symmetrie geordnet neben dem Spiegel einem Krucifix gegenüber an der Wand. Als ich mein Anliegen erklärte und einen verhältnißmäßig hohen Preis anbot, ſchien der Mann nicht abgeneigt, ein vor⸗ theilhaftes Geſchäft zu machen. Die Frau aber fuhr vom Stuhle empor und ſagte: Warum nicht gar! Die Geige gehört unſerem Jakob, und auf ein paar Gulden mehr oder weniger kommt es uns nicht an! Dabei nahm ſie das Inſtrument von der Wand, beſah es von allen Seiten, blies den Staub herab und legte es in die Schublade, die ſie, wie einen Raub befürchtend, heftig zuſtieß und abſchloß. Ihr Geſicht war dabei von mir abgewandt, jo daß ich nicht ſehen konnte, was etwa darauf vorging. Da nun zu gleicher Zeit die Magd mit der Suppe eintrat und der Fleiſcher, ohne ſich durch den Beſuch ſtören zu laſſen, mit lauter Stimme ſein Tiſchgebet anhob, in das die Kinder gellend einſtimmten, wünſchte ich geſegnete Mahlzeit und ging zur Thüre hinaus. Mein letzter Blick traf die Frau. Sie hatte ſich umgewendet, und die Thränen liefen ihr ſtromweiſe über die Backen.
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1822. 5. Mai. Geſtern begegnete mir einer der ſonderbar⸗ ſten Vorfälle in meinem Leben. Frau von P., deren Tochter, die ich gekannt, vor einiger Zeit geſtorben iſt, läßt mich bitten ſie zu beſuchen. Beinahe ein volles Jahr vor dem Tode ihrer Tochter war ich aus ihrem Hauſe weggeblieben, theils weil ich in dem dort herrſchenden Tone etwas Ge⸗ ſuchtes zu bemerken glaubte, theils weil ich fürchtete, es könne durch Zeit, Gewohnheit und Gerede der Leute ein näheres Verhältniß zwiſchen mir und der Tochter vom Hauſe, einem übrigens höchſt geiſtreichen, gebildeten, guten Mädchen entſtehen, das, wenn auch nicht gerade ſchön, doch beſonders durch ihren üher allen Ausdruck ſchönen Wuchs, auch äußerliche Vorzüge genug beſaß, um eine ſolche Furcht nicht ungegründet zu machen. Zu all dem geſellte ſich noch meine alte Menſchen⸗ oder vielmehr Ge⸗ ſellſchafts⸗Scheu, und kurz, ich blieb weg. Nach einigen nur ſchwachen und bald ganz aufgegebenen Verſuchen, mich wieder in ihren Kreis zu ziehen, ſtellte ſich auch die P. ſche Familie darüber zufrieden, und ich hatte alle Urſache, zu glauben, daß ſie, mutatis mutandis, eben ſo wenig mehr an mich dächten, als ich an ſie. Verfloſſenen Winter höre ich plötzlich, Marie P. ſei ſchwer krank. Sie war mit ihrem Bruder bei meinem Onkel S. auf dem Balle geweſen, hatte ſtark getanzt, während ihr Bruder, der ſich unwohl befand, unmäßig Thee trank, um ſich von dem ſtarken Grimmen, das ihn plagte, zu befreien, dadurch aber
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nur das Uebel ſtärker machte und vor Schluß des Balles mit feiner Schweſter nach Haufe fahren mußte. Zu Hauſe angekommen, nimmt der Schmerz zu, das Mädchen in ihrer Gutmüthigkeit will Niemand wecken, läuft ſelbſt, noch vom Tanzen erhitzt, in die Küche, macht Thee, wärmt Tücher, beſorgt den Bruder. Des andern Morgens findet man fe in heftigem Fieber, ſie hat ſich erkältet und iſt nun ſelbſt ſeh krank. Die Krankheit nimmt zu, greift beſonders auf die Nerven, weicht aber doch endlich der vereinten Bemühung geſchickter Aerzte, und das Mädchen naht der Geneſung.
Beinahe erſt in dieſem letzten Zeitraume erfahre ich etwas von der ganzen Sache. In Zweifel, ob ich hingehen fol, oder nicht, entſcheidet ſich meine Trägheit, wie ge: wöhnlich, für das letztere, und ich ging nicht. Kurz darauf höre ich, das Mädchen ſei von Neuem in die Krank heit zurückgefallen, die nun ganz einen nervöſen Charakter angenommen habe, und als ich eben bei meiner Tante S. bin, fragt mich dieſe, wie um etwas ganz Bekanntes: Du weißt ja doch, daß Marie P. geſtorben iſt? Ich war heftig erſchüttert, obgleich mehr über das Unerwartete, als über die Sache ſelbſt, obſchon ich das Mädchen wahrhaft geſchätzt hatte und ihren Umgang gewiß geſucht haben würde, wenn ich überhaupt Umgang ſuchte und der etwas gezierte Ton ihrer Verwandten nicht ein unangenehmes Licht auf ſie ſelbſt geworfen hätte.
In ein paar Tagen darauf war das Leichenbegängniß. Ich ging an der Stephanskirche vorüber, als man eben die Anſtalten dazu machte und ward innerlich ergrimmt über mich, daß mich der traurige Fall ſo gleichgiltig laſſe. Ich nahm es als einen neuen Beweis einer ſeit einiger Zeit nur zu deutlich empfundenen allmähligen Verhärtung des Herzens, das mich zuletzt noch zu einem Ideen ⸗Egoiſten
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machen wird, wie es Egoiſten des Vortheils gibt. Wie geſagt, ich ärgerte mich über meine Gefühlloſigkeit und ging in die Kirche, um mich auf die Probe zu ſtellen, wie weit das ginge. Der Leichenzug kam, die Bahre, mit dem Jungfrauenkranz geziert, hinterher der alte, grämliche Be⸗ diente, der mir oft, wenn ich neben dem Mädchen ſaß, die Teller gewechſelt, ſonſt barſch, faſt grob, jetzt in Thränen zer fließend, faſt wankend bei all feiner derben Beleibtheit. Alle Anweſenden weinten „über das brave, ſchöne Fräulein, das ſo wohl ausgeſehen, und ſo früh ſterben müſſen.“ Da kam mich denn doch auch eine Art Rührung an, aber mehr eine allgemeine, auf die Hinfälligkeit des ganzen Menſchen⸗ geſchlechtes gehende; nur wenn ich mir in der Phantaſie das Mädchen, im Sarge liegend, mit geſchloſſenen Augen, mit gefalteten Händen, ausmalte, miſchte ſich ein perſönliches Bedauern mit ein, das aber bald wieder verſchwand.
Ich habe dieſe Verſtocktheit, dieſe Geſühlloſigkeit zur Zeit, wenn mich fremdartige Ideen beſchäftigen, oft mit innerlichem Grauen an mir bemerkt. Kurz, das Mädchen ward eingeſegnet, ich lehnte während der Grabgeſänge, in Dumpf⸗ heit verſunken, an der Wand und ging eben ſo wieder nach Hauſe. Am vorhergehenden Tage des Morgens hatte ich Vater und Bruder der Verſtorbenen bei einem Spaziergange begegnet, ich wollte ſie nicht anſprechen und grüßte nur im Vorübergehen. Der Bruder ſah zur Erde. Der Vater aber warf mir einen halb troſtloſen, halb grimmigen Blick zu.
Die Sache war für mich abgethan, ich dachte auf nichts weiter. Nur Eins muß ich erwähnen, ſo lächerlich es klingen mag. Von Jugend auf war ich nicht frei von Geſpenſter⸗ furcht, die aber von Zeit zu Zeit bei einzelnen Anläſſen bis zum Thörichten ſich vermehrte. Zum Beiſpiel als ich die Ahnfrau ſchrieb; dann nicht bei meines Vaters, wohl aber
102 Ein Erlebniß.
ſehr bei meiner Mutter Tode. Seit einer längern Periode war ich frei davon geblieben. Nach dieſem Begräbniß kehrte ſie auf einmal ſehr heftig wieder. Alle Abende glaubte ich, Marie P. müſſe mir erſcheinen und — ſonderbar ge: nug! — müſſe mir Vorwürfe machen, daß ich mit Urſache an ihrem Tode ſei; ſie habe mich heimlich geliebt. Zu letz terer Vermuthung hatte ich um ſo weniger einen Grund, da mir das Mädchen nie ein Zeichen von tieferer Neigung gegeben hatte und ſelbſt, wenn wir beiſammen waren, fie ſich immer mehr um meine Arbeiten als um mich zu intereſ⸗ ſiren ſchien. Genug, ſo war's. Auch dieſe Abendmahnungen gingen vorüber, und ich dachte nicht mehr an die Sache.
Vorgeſtern, beinahe ſechs Wochen nach dem Todesfalle, kömmt der junge P. zu mir, in Thränen ausbrechend, bittet er mich im Namen ſeiner Mutter, ſie nächſten Tags zu be⸗ ſuchen. Er ging bald und ſagte nichts Näheres. Ich dachte: ſie wollen dem Mädchen einen Grabſtein ſetzen und verlangen von mir eine Inſchrift. Manchmal kam mir der Gedanke, ſie habe mir ein Andenken, einen Ring oder dergleichen hinter⸗ laſſen, wie man wohl Bekannten zu geben pflegt, immer aber verwarf ich dieſe Idee wieder, als Eingebung der Eitelkeit.
Des andern Tages gehe ich hin. Die Mutter, in Trauer gekleidet, empfängt mich feierlich, ohne Thränen. Sie führt mich in ein entferntes Zimmer, ſchließt die Thüre ab, ſetzt ſich aufs Ruhebett, winkt mir, neben ihr Platz zu nehmen. Es geſchieht. Nun zieht ſie aus ihrem Arbeits⸗ beutel ein geſchriebenes Heft heraus, es iſt das Teſtament ihrer Tochter. Darin blätternd und den gehörigen Artikel aufſuchend, ſagte ſie: Es war der Wunſch meiner Tochter, daß Sie als Andenken Ihr (mein) eigenes Porträt an⸗ nehmen möchten, das ſie ſelbſt heimlich gezeichnet und ſehr werth gehalten hat. Daß es doch lieber Ihrer Tochter
Ein Erxlebniß. 103
eigenes wäre! rief ich aus. Ja? verſetzt die Frau, auch das beſtimmte Ihnen meine Tochter, wenn Sie es ſelber be⸗ gehren würden. Und nun bricht ſie in Thränen aus und kann nicht länger mehr zurückhalten. Sie erzählt alles. Das Mädchen hatte zu mir eine heftige Neigung gefaßt, dieſelbe aber mit ſo ungeheurer Selbſtbeherrſchung verbor⸗ gen, daß weder ich, noch ihre Eltern etwas davon bemerk⸗ ten, erſt das Teſtament gab darüber Aufſchluß. Wohl war den Eltern ein gewiſſes Intereſſe für mich nicht verborgen geblieben, das ſie aber, wie ich und Jedermann, auf meine poetiſchen Arbeiten bezogen. Auch ſchien in der letzten Zeit ein Kummer an ihr zu nagen, aber man ahnte die Urſache nicht.
Das Teſtament machte alles klar. Mein Wegbleiben aus dem Hauſe ihrer Eltern hatte einen tiefen Eindruck ge⸗ macht. Sie ſuchte den Grund davon in meinem bald darauf bekannt gewordenen Verhältniß mit Katty F“ und ſchwieg gegen Jedermann. Sogar an den Bemühungen ihrer Eltern, mich wieder für ihr Haus zu gewinnen, nahm ſie keinen Antheil. Um ſo weniger konnten jene die Urſache des Trüb⸗ ſinns erfahren, der ſie nunmehr befiel, und die ſie in kör⸗ perlichen Zuſtänden ſuchten. Bald darauf hatte das Mäd⸗ chen einen Traum (welchen? habe ich noch nicht erfahren), der ihr ihren baldigen Tod ankündigte. Sie ſagte Nic: manden etwas davon, ſetzte ſich aber hin und ſchrieb auf zwei Bogen ihr Teſtament, in dem ſie auch ihre tiefe Nei⸗ gung mit den beſtimmteſten Zügen ausdrückt. So ver⸗ lebte ſie den Sommer ſtill und ruhig. Bei Anfang des Herbſtes wiederholte ſich ihr der vorige todverkündende Traum, und nun erzählte ſie ihn ihren Eltern, indem ſie ihre Ueberzeugung ausſprach, daß ſie gewiß ſehr bald werde ſterben müſſen. Aber noch kein Wort über ihre Leidenſchaft. Die Eltern ſuchen fie von dem Albernen ibrer Beſorgniß
104 Ein Erlebniß.
zu überzeugen. Aerzte verlachen die Furcht der ſcheinbar von Geſundheit Strotzenden. Im Winter erkrankt fie, wie oben erwähnt iſt, wird beſſer, ſchlimmer, ſtirbt. Kurz vor ihrem Tode verließ fie jene früher auf ihr gelaſtete Melar-
cholie; fie ward heiter, fröhlich, geſprächig und erklärte, daß fie nie glücklicher geweſen ſei. Aber auch bier fan Wort von ihrer Neigung.
So ſtarb fie. Bis ans Ende ihrer Sinne mächtig, ge: duldig wie immer. Das erzählte mir nun die alte Mutter; klagte mich bald an, umarmte mich dann wieder, nannte mich Sohn. Die Tochter hatte in ihrem letzten Willen die Eltern gebeten, daß fie für mich ſorgen, mich in ik Haus nehmen, Verwandtenſtelle an mir vertreten ſollten: das alles ward mir angeboten — und ich? kalt, per⸗ ſtreut hörte ich das alles an, ſchlug aus, lehnte ab, ſpielte ein wenig Komödie, ward aber keiner Thräne Meiſter und war froh, als ich wieder gehen konnte.
Angegriffen hat es mich wohl, aber, weil ich ſonſt die Frau etwas geziert und outrirt in ihren Empfindungen gekannt habe, fo konnte ich doch eines unangenehmen Ge: fühles nicht los werden, obgleich bittre Thränen die Wahrheit ihrer Reden nur zu ſehr beurkundeten.
Verſtändige Männer haben es nicht für ſchlechthin un⸗ möglich gehalten, daß Abgeſchiedene nach ihrem Tode den Rückgebliebenen erſcheinen können. Ich habe an dem Gegentheile wohl nie im Ernſte gezweifelt, halte es aber jetzt für apodiktiſch unmöglich. Denn wäre es möglich, Marie P. würde mir gewiß erſchienen ſein.
Unter Grillparzer's Papieren fand ſich folgende, ſür jenes Mädchen
Marie P., entworfene Grabſchrift: „Jung ging fie aus der Welt, zwar ohne Genuß, dafür auch ohne Reue.“
— ——. ä ——
Krinnerungen an Beethoven.
Ich leſe einen Aufſatz von Hrn. L. Rellſtab: „Beethoven“ überſchrieben, und finde darin meines Verhältniſſes zu dem genannten großen Meiſter, namentlich aber des Operntextes, den ich für ihn geſchrieben, in einer Art erwähnt, die nicht ganz richtig iſt. Dieſe Anſchuldigung gilt nicht Hrn. Rellſtab, der ohne Zweifel alles, was ihm Beethoven ſagte, bis auf die Worte getreu niederſchrieb. Die Urſache dürfte vielmehr in dem traurigen Zuſtande des Meiſters während ſeiner letzten Jahre liegen, der ihn wirklich Geſchehenes und bloß Gedachtes, nicht immer deutlich unterſcheiden ließ. Was einen großen Mann betrifft, iſt immer intereſſant, ich will daher unſer Zuſammentreffen und was daraus erfolgte, nach Möglichkeit treu erzählen. Oder vielmehr es macht mir Vergnügen, meine Erinnerungen an ihn bei dieſer Gelegenheit wieder vor die Seele zu führen und ſie hier aufzuzeichnen.
Das erſtemal ſah ich Beethoven in meinen Knaben⸗ jahren — es mochte 1804 oder 1805 geweſen fein — und zwar bei einer muſikaliſchen Abendunterhaltung im Hauſe meines Onkels, Joſeph Sonnleithner, damaligen Geſell⸗ ſchafters einer Kunſt⸗ und Muſikalienhandlung in Wien. Außer Beethoven befanden ſich noch Cherubini und Abbé Vogler unter den Anweſenden. Er war damals noch mager, ſchwarz und zwar, gegen ſeine ſpätere Gewohnheit, höchſt elegant gekleidet und trug Brillen, was ich mir darum ſo
über ein afrikaniſches T Mutterlande herübergeholt anfing. Die Geſellſchaft v feiner mufikaliſchen Durchft blieben nur Beethoven und auch dieſer, und Beethoven arbeitenden Manne. Zuletz ohne daß Abbé Vogler, num hörte, fein Thema in allen ı Ich ſelbſt war im dumpfen St der Sache zurückgeblieben. 9 an weiter geſchah, darüber ver erinnerungen zu gehen pflegt, ı wem Beethoven bei Tiſche jc unterhielt, ob ſich ſpäter Abb es iſt, als ob ein dunkler Vi hingezogen hätte.
Ein oder zwei Jahre dar Eltern während des Sommer bei Wien. Unſere Wohnung Zimmer nach der Strate he
b
Nuſik, ließ ſich hinreißen, je und dann, wenn fie ihn ier ſpielen hörte, auf den gemeinſchaftlichen Gang, und nicht an ſeiner, ſondern unmittelbar neben unſerer re hinzutreten und andächtig zu lauſchen. Das mochte paarmal geſchehen ſein, als plötzlich Beethovens Thür eht, er ſelbſt heraustritt, meine Mutter erblickt, zurück⸗ und unmittelbar darauf, den Hut auf dem Kopfe, die spe hinab ins Freie ſtürmt. Von dieſem Augenblicke berührte er ſein Klavier nicht mehr. Umſonſt ließ ihn ie Mutter, da ihr alle andern Gelegenheiten abgeſchnitten en, durch ſeinen Bedienten verſichern, daß nicht allein nand ihn mehr belauſchen werde, ſondern unſere Thüre dem Gange verſchloſſen bleiben und alle ihre Haus: ſſen ſtatt der gemeinſchaftlichen Treppe ſich nur im en Umwege des Ausganges durch den Garten bedienen den; Beethoven blieb unerweicht und ließ ſein Klavier rührt, bis uns endlich der Spätherbſt in die Stadt dführte. In einem der darauf folgenden Sommer bejuchte ich es meine Großmutter, die in dem nahe gelegenen ling eine Landwohnung inne hatte. Auch Beethoven nte damals in Döbling. Den Fenſtern meiner Groß⸗ ter gegenüber lag das baufällige Haus eines wegen er Lüderlichkeit berüchtigten Bauers, Flohberger hieß Dieſer Flohberger beſaß außer feinem garſtigen Haufe eine zwar ſehr hübſche, aber vom Rufe eben auch t ſehr begünſtigte Tochter Liſe. Beethoven ſchien an Mädchen vieles Intereſſe zu nehmen. Noch ſehe ich wie er die Hirſchengaſſe heraufkam, das weiße Schnupf⸗ „am Boden nachſchleppend, in der rechten Hand, und an Flohbergers Hofthore ſtehen blieb, innerhalb deſſen leichiſinnige Schöne, auf einem Heu- oder Miſtwagen
110 Erinnerungen an Beethoven.
ſtehend, unter immerwährendem Gelächter mit der Gabel rüſtig herumarbeitete. Ich habe nie bemerkt, daß Beethoven fie anredete, ſondern er ſtand ſchweigend und blickte hinein, bis endlich das Mädchen, deſſen Geſchmack mehr auf Bauernburſche gerichtet war, ihn, ſei es durch ein Spott. wort oder durch hartnäckiges Ignoriren, in Zorn brachte, dann ſchnurrte er mit einer raſchen Wendung plötzlich fort, unterließ aber doch nicht, das nächſtemal wieder am Hof thore ſtehen zu bleiben. Ja ſein Antheil ging fo weit, daß, als des Mädchens Vater wegen eines Raufhandels beim Trunk in das Dorfgefängniß (Kotter genannt) geſezt wurde, Beethoven ſich perſönlich bei der verſammelten Dorfgemeinde für deſſen Freilaſſung verwendete, wobei er aber nach feiner Art die geſtrengen Rathsherrn fo ftürmild behandelte, daß wenig fehlte, und er hätte feinem gefan⸗ genen Schützling unfreiwillige Geſellſchaft leiſten müſſen.
Später ſah ich ihn höchſtens auf der Straße und ein paarmal im Kaffeehauſe, wo er ſich viel mit einem jeft ſeit lange verſtorbenen und vergeſſenen Dichter aus der Novalis⸗Schlegel'ſchen Gilde, Ludwig Stoll, zu ſchaffen machte. Man ſagte, fie projektirten zuſammen eine Oper. Es bleibt unbegreiflich, wie Beethoven von dieſem halt loſen Schwebler etwas Zweckdienliches, ja überhaupt etwas anderes als — allenfalls gut verſifizirte — Phantaſtereien erwarten konnte.
Unterdeſſen hatte ich ſelbſt den Weg der Oeffentlichleit betreten. Die Ahnfrau, Sappho, Medea, Ottokar waren erſchienen, als mir plötzlich von dem damaligen Oberleiter der beiden Hoftheater, Grafen Moriz Dietrichſtein, die Kunde kam, Beethoven habe ſich an ihn gewendet, ob er
mich vermögen könne, für ihn, Beethoven, ein Opernbuch zu ſchreiben.
Dieſe Anfrage, geſtehe ich es nur, ſetzte mich in nicht geringe Verlegenheit. Einmal lag mir der Gedanke, je ein Opernbuch zu ſchreiben, an ſich ſchon fern genug, dann zweifelte ich, ob Beethoven, der unterdeſſen völlig gehörlos geworden war und deſſen letzte Kompoſitionen, unbeſchadet ihres hohen Werthes, einen Charakter von Herbigkeit an- genommen hatten, der mir mit der Behandlung der Sing: ſtimmen im Widerſpruche zu ſtehen ſchien; ich zweifelte, ſage ich, ob Beethoven noch im Stande ſei, eine Oper zu komponiren. Der Gedanke aber, einem großen Manne vielleicht Gelegenheit zu einem, für jeden Fall höchſt in⸗ tereſſanten Werke zu geben, überwog alle Rückſichten, und ich willigte ein.
Unter den dramatiſchen Stoffen, die ich mir zu künf⸗ tiger Bearbeitung aufgezeichnet hatte, befanden ſich zwei, die allenfalls eine opernmäßige Behandlung zuzulaſſen ſchienen. Der eine bewegte ſich im Gebiete der geſtei⸗ gertſten Leidenſchaft. Aber nebſtdem, daß ich keine Sän⸗ gerin wußte, die der Hauptrolle gewachſen wäre, wollte ich auch nicht Beethoven Anlaß geben, den äußerſten Gränzen der Muſik, die ohnehin ſchon wie Abſtürze drohend da lagen, durch einen halb diaboliſchen Stoff verleitet, noch näher zu treten.
Ich wählte daher die Fabel der Meluſine, ſchied die reflektirenden Elemente nach Möglichkeit aus und ſuchte durch Vorherrſchen der Chöre, gewaltige Finales, und indem ich den dritten Akt beinahe melodramatiſch hielt, mich den Eigenthümlichkeiten von Beethovens letzter Richtung mög⸗ lichſt anzupaſſen. Mit dem Kompoſiteur früher über den Stoff zu konferiren, unterließ ich, weil ich mir die Frei⸗ heit meiner Anſicht erhalten wollte, auch ſpäter einzelnes geändert werden konnte und endlich ihm ja freiſtand, das
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.. ' beſtimmt ode Ein paar Tage darauf Geſchäftsmann Beethovens,
eine Magd mit Butter und € fi}, mitten im eifrigen Gefpri einen prüfenden Blick auf die täten zu werfen, was ein trau rungen ſeines häuslichen Lebens Wie wir eintraten, ſtand B. reichte mir die Hand, ergoß ſich
Erinnerungen an Beethoven. | 113
doch, der Jägerchor könne, unbeſchadet des Ganzen, geradezu wegbleiben, mit welchem Zugeſtändniß er ſehr zufrieden ſchien, und weder damals noch ſpäter hat er irgend ſonſt eine Einwendung gegen den Text gemacht, noch eine Aende⸗ rung verlangt. Ja, er beſtand darauf, gleich jetzt einen Kontrakt mit mir zu ſchließen. Die Vortheile aus der Oper ſollten gleich zwiſchen uns getheilt werden u. ſ. w. Ich erklärte ihm der Wahrheit gemäß, daß ich bei meinen Arbeiten nie auf ein Honorar oder dergleichen gedacht hätte (wodurch es auch kam, daß mir dieſelben, die ich, Ubland ausgenommen, für das Beſte halte, was Deutſch⸗ land ſeit dem Tode ſeiner großen Dichter hervorgebracht, alleſammt kaum ſo viel eingetragen, als einem Verſtorbenen, oder Lebendigen, oder Halbtodten ein einziger Band ihrer Reiſenovellen und Phantaſiebilder). Am wenigſten ſolle zwiſchen uns davon die Rede ſein. Er möge mit dem Buche machen, was er wolle, ich würde nie einen Kon: trakt mit ihm ſchließen. Nach vielem Hin⸗ und Herreden oder vielmehr Schreiben, da Beethoven Geſprochenes nicht mehr hörte, entfernte ich mich, indem ich verſprach, ihn in Hetzendorf zu beſuchen, wenn er einmal dort einge⸗ richtet ſein würde.
Ich hoffte, er hätte das Geſchäftliche ſeiner Idee auf⸗ gegeben. Schon nach ein paar Tagen aber kam mein Verleger, Wallishauſer, zu mir und ſagte, Beethoven be⸗ ſtünde auf der Abſchließung eines Kontraktes. Wenn ich mich nun nicht dazu entſchließen könnte, ſollte ich mein Eigen⸗ thumsrecht auf das Buch ihm, Wallishauſer, abtreten, er würde dann das Weitere mit Beethoven abmachen, der davon ſchon prävenirt ſei. Ich war froh, der Sache los zu werden, ließ mir von Wallishauſer eine mäßige Summe
auszahlen, cedirte ihm alle Rechte der Autorſchaft und Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 8
114 Erinnerungen an Beethoven.
dachte nicht weiter daran. Ob fie nun wirklich einen Kon: trakt abgeſchloſſen haben, weiß ich nicht; muß es aber glauben, weil ſonſt Wallishauſer nicht unterlaſſen haben würde, mir über ſein aufs Spiel geſetzte Geld nach Ge⸗ wohnheit den Kopf voll zu jammern. Ich erwähne alles dieß nur, um zu widerlegen, was Beethoven zu Herrn Rellſtab ſagte: „er habe anders gewollt, als ich.“ Er war damals vielmehr ſo feſt entſchloſſen, die Oper zu kompo⸗ niren, daß er ſchon auf die Anordnung von Verhältniſſen dachte, die erſt nach. der Vollendung eintreten konnten. Im Laufe des Sommers beſuchte ich mit Herrn Schindler Beethoven auf ſeine Einladung in Hetzendorf. Ich weiß nicht, ſagte mir Schindler auf dem Wege, oder hatte mir Jemand ſchon früher geſagt, Beethoven ſei durch dringende beſtellte Arbeiten bisher verhindert worden, an die Kom: poſition der Oper zu gehen. Ich vermied daher, das Ge⸗ ſpräch darauf zu bringen. Wir gingen ſpazieren und unter⸗ hielten uns ſo gut, als es halb ſprechend, halb ſchreibend, beſonders im Gehen möglich iſt. Noch erinnere ich mich mit Rührung, daß Beethoven, als wir uns zu Tiſche ſetzten, ins Nebenzimmer ging und ſelbſt fünf Flaſchen herausbrachte. Eine ſetzte er vor Schindlers Teller, eine vor das ſeine, und drei ſtellte er in Reihe vor mich hin, wahrſcheinlich um mir in ſeiner wild⸗naiven, gutmüthigen Art auszudrücken, daß ich Herr ſei, zu trinken, wie viel mir beliebte. Als ich, ohne Schindler, der in Hetzendorf blieb, nach der Stadt zurückfuhr, beſtand Beethoven darauf, mich zu begleiten. Er ſetzte ſich zu mir in den offenen Wagen, ſtatt aber nur bis an die Grenze ſeines Umkreiſes, fuhr er mit mir bis zur Stadt zurück, an deren Thoren er ausſtieg und nach einem herzlichen Händedruck, den anderthalb Stunden langen Heimweg, allein antrat. Indem
Erinnerungen an Beethoven. 115
er aus dem Wagen ftieg, ſah ich ein Papier auf der Stelle liegen, wo er geſeſſen hatte. Ich glaubte, er hätte es vergeſſen, und winkte ihm, zurückzukommen. Er aber ſchüttelte mit dem Kopfe, und mit lautem Lachen, wie nach einer gelungenen Hinterliſt, lief er nur um ſo ſchneller in der entgegengeſetzten Richtung. Ich entwickelte das Papier, und es enthielt genau den Betrag des Fuhrlohns, den ich mit meinem Kutſcher bedungen hatte. So ent⸗ fremdet hatte ihn ſeine Lebensweiſe allen Gewohnheiten und Gebräuchen der Welt, daß ihm gar nicht einfiel, welche Beleidigung unter allen andern Umſtänden in einem ſolchen Vorgange gelegen hätte. Ich nahm übrigens die Sache, wie ſie gemeint war, und bezahlte lachend meinen Kutſcher mit dem geſchenkten Gelde.
Später ſah ich ihn, ich weiß nicht mehr, wo, nur noch inmal wieder. Er ſagte mir damals: Ihre Oper iſt fertig. b er damit meinte: fertig im Kopfe, oder ob die unzäh⸗ igen Notatenbücher, in die er einzelne Gedanken und Fi⸗ uren zu künftiger Verarbeitung, nur ihm allein verſtänd⸗ ich, aufzuzeichnen pflegte, vielleicht auch die Elemente jener „per bruchſtückweiſe enthielten, kann ich nicht ſagen.
Gewiß iſt, daß nach ſeinem Tode ſich nicht eine einzige Note vorfand, die man unzweifelhaft auf jenes gemein⸗ ſchaftliche Werk hätte beziehen können. Ich blieb übrigens meinem Vorſatze getreu, ihn, auch nicht aufs Leiſeſte, daran zu erinnern, und kam, da mir auch die Unterhaltung auf ſchriftlichem Wege läſtig war, nicht mehr in ſeine Nähe, bis ich, im ſchwarzen Anzuge und eine brennende Fackel in der Hand, hinter ſeinem Sarge herging.
Zwei Tage vorher kam Schindler des Abends zu mir mit der Nachricht, daß Beethoven im Sterben liege und ſeine Freunde von mir eine Rede verlangten, die der
116 Erinnerungen an Beethoven.
Schauſpieler Anſchütz an feinem Grabe halten ſollte. war um ſo mehr erſchüttert, als ich kaum etwas von Krankheit wußte, ſuchte jedoch meine Gedanken zu ordne und des andern Morgens fing ich an, die Rede nieder ſchreiben. Ich war in die zweite Hälfte gekommen, a Schindler wieder eintrat, um das Beſtellte abzuholen, de Beethoven ſei eben geſtorben. Da that es einen ftarlı Fall in meinem Innern, die Thränen ſtürzten mir aı den Augen, und wie es mir auch bei ſonſtigen Arbeite ging, wenn wirkliche Rührung mich übermannte, ich hal die Rede nicht in der Prägnanz vollenden können, in de ſie begonnen war. Sie wurde übrigens gehalten, die Leichen gäfte entfernten ſich in andächtiger Rührung, und — — Beethoven war nicht mehr unter uns! —
Rede am Grabe Beethovens.
Indem wir hier am Grabe dieſes Verblichenen ſtehen, ſind wir gleichſam die Repräſentanten einer ganzen Nation, des deutſchen geſammten Volkes, trauernd über den Fall der einen hochgefeierten Hälfte deſſen, was uns übrig blieb von dem dahingeſchwundenen Glanz heimiſcher Kunſt, vater: ländiſcher Geiſtesblüthe. Noch lebt zwar — und möge er lange leben! — der Held des Sanges in deutſcher Sprache und Zunge; aber der letzte Meiſter des tönenden Liedes, der Tonkunſt holder Mund, der Erbe und Erweiterer von Händel und Bach's, von Haydn und Mozart's unſterblichem Ruhme hat ausgelebt, und wir ſtehen weinend an den zerriſſenen Saiten des verklungenen Spiels.
Des verklungenen Spiels! Laßt mich ihn ſo nennen! Denn ein Künſtler war er, und was er war, war er nur
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Erinnerungen an Beethoven. 117
Durch die Kunſt. Des Lebens Stackeln hatten tief ihn verwundet, und wie der Schiffbrüchige das Ufer umklam⸗ mert, ſo floh er in deinen Arm, o du des Guten und Wahren gleich herrliche Schweſter, des Leides Tröſterin, von oben ſtammende Kunſt. Feſt hielt er an dir, und ſelbſt als die Pforte geſchloſſen war, durch die du einge⸗ treten bei ihm und ſprachſt zu ihm, als er blind geworden war für deine Züge, durch ſein taubes Ohr, trug er noch immer dein Bild im Herzen, und als er ſtarb, lag's noch auf ſeiner Bruſt.
Ein Künſtler war er, und wer ſteht auf neben ihm?
Wie der Behemoth die Meere durchſtürmt, ſo durchflog er die Grenzen ſeiner Kunſt. Vom Girren der Taube bis zum Rollen des Donners, von der ſpitzfindigſten Verwe⸗ bung eigenſinniger Kunſtmittel bis zu dem furchtbaren Punkt, wo das Gebildete übergeht in die regelloſe Will⸗
kür ſtreitender Naturgewalten, alles hatte er durchmeſſen, alles erfaßt. Der nach ihm kommt, wird nicht fortſetzen, er wird anfangen müſſen, denn ſein Vorgänger hörte nur auf, wo die Kunſt aufhört.
Adelaide und Leonore! Feier der Helden von Vittoria und des Meßopfers demüthiges Lied! — Kinder ihr der drei⸗ und vier⸗getheilten Stimmen! brauſende Symphonie: „Freude ſchöner Götterfunken,“ du Schwanengeſang! Muſe des Lieds und des Saitenſpiels: ſtellt euch rings um ſein Grab und beſtreut's mit Lorbeeren!
Ein Künſtler war er, aber auch ein Menſch, Menſch in jedem, im höchſten Sinn. Weil er von der Welt ſich abſchloß, nannten ſie ihn feindſelig, und weil er der Empfin⸗
dung aus dem Wege ging, gefühllos. Ach, wer ſich hart
weiß, der flieht nicht! Die feinſten Spitzen ſind es, die am leichteſten ſich abſtumpfen und biegen oder brechen.
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en. Er entzog ſich alles gegeben und nichts d. a einſam, weil fein zweite 1 Grab bewa er ein men ein väterliches den Seinen, G war ‚ fo ſtarb el
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Ich hab. M.
Erinnerungen an Beethoven. 119
egebene, gleichſam gebundene Denkvermögen zu gute, das ch inſtinktmäßig äußert und die Quelle von Leben und idividueller Wahrheit iſt. Je weiter der Kreis, um fo hwerer ſeine Erfüllung. Je größer die Maſſe, um ſo hwieriger ihre Belebung. Als Goethe noch wenig wußte, hrieb er den erſten Theil des Fauſt, als das ganze Reich es Wiſſenswürdigen ihm geläufig war, den zweiten. Von 'inzelnem, was Beethoven ſagte, fällt mir nachträglich ur noch ein, daß er Schiller ſehr hoch hielt, daß er das 008 der Dichter, gegenüber den Muſikern, als das be⸗ lücktere pries, weil ſie ein weiteres Gebiet hätten, endlich aß Webers Euryanthe, die damals neu war und mir ißfiel, ihm gleich wenig zu gefallen ſchien. Im Ganzen irften es doch Webers Erfolge geweſen ſein, die in ihm n Gedanken hervorriefen, ſelbſt wieder eine Oper zu weiben. Er hatte ſich aber fo ſehr an einen ungebun⸗ nen Flug der Phantaſie gewöhnt, daß kein Opernbuch r Welt im Stande geweſen wäre, feine Ergüſſe in ge: . benen Schranken feſtzuhalten. Er ſuchte und ſuchte und nd keines, weil es für ihn keines gab. Es hätte ihn ch ſonſt Einer der vielen Stoffe, die ihm Herr Rellſtab irſchlug, beſonders ehe ihn noch Mängel der Ausführung rückſchrecken konnten, wenigſtens in der Idee anziehen üſſen.
Mein Opernbuch, als deſſen Eigenthümer ich mich nicht ehr betrachten konnte, kam ſpäter durch die Buchhand⸗ ing Wallishauſer in die Hände Konradin Kreuzers. Wenn einer der jetzt lebenden Muſiker der Mühe werth findet, 3 zu komponiren, jo kann ich mich darüber nur freuen. Ye Muſik liegt ebenſo im Argen als die Poeſie, und zwar us dem nämlichen Grunde: dem Mißkennen des Gebietes er verſchiedenen Künſte. Die Muſik ſtrebt, um ſich zu
120 Erinnerungen an Beethoven.
erweitern, in die Poeſie hinüber, wie die Poeſie ihrerſeits in die Proſa. Dieß weiter auseinanderzuſetzen ſcheint nicht an der Zeit, ſo lange Kunſtphiloſophen, Kunſthiſtoriker — ich denke hier an Gervinus und ähnliche Halbwiſſer, die die Unfähigkeit für ihr eigenes Fach, als eine Befäbigung für jedes fremde anſehen, — ſo lange derlei ſachunkundige Schwätzer den deutſchen Kunſtboden inne haben. Von dem geſunden Sinne der Nation iſt übrigens zu erwarten, daß ſie ſich der Herrſchaft der Worte baldmöglichſt entziehen und wieder auf Sachen und Thaten zurückkommen werde.
zum
ſpaniſchen Theater.
Arber Lope de Bean im Allgemeinen.
Das Thal von Carriedo in Aſturien. Darin das Dorf a Vega, der alte Solar, Lehenſitz der Vorfahren Lope de Zega's. Er erwähnt in mehreren feiner Stücke mit Vor⸗ iebe des Thals von Carriedo. Der Vater Lope's, Felix e Vega, vertauſchte dieſen Wohnſitz mit Madrid, wohin r einer Dame nachgefolgt fein fol, in die, obwohl ver: wirathet, er ſich verliebt hatte. Seine Gattin kam ihm iber dahin nach, und ſie verſöhnten ſich wieder. In Ma⸗ wid alſo, nahe bei dem Thore von Guadalajara, am 5. November 1562 wurde Lope geboren. Traditionen ber die frühe Reife ſeiner Fähigkeiten. Uebrigens ſoll er päter ſprechen, als denken, gelernt und Anfangs ſeine Lek⸗ ionen durch Geberden und Zeichen wiedergegeben haben. Nit fünf Jahren läßt man ihn, außer der ſpaniſchen, iuch noch der lateiniſchen Sprache mächtig fein. Als er ioch nicht ſchreiben konnte, ſoll er bereits Verſe gemacht ind ſeinen Kameraden diktirt haben. Ja, wie Lope von ſich ſelbſt ſagt, ſchrieb er bereits Verſe, ehe er zu ſprechen vermochte, was ſich aber leichter erklärt, wenn ſich die Sprachorgane bei ihm erſt ſpät entwickelten.
Mit zehn Jahren wurde er nach Alcala de Henares geſchickt. Er lernte dort, wie er ſelbſt ſagt, das Lateiniſche
124 Studien zum ſpaniſchen Theater.
vollkommen, vom Griechiſchen aber nur die Anfangsgründe. Später ſoll er auch des Italieniſchen und einigermaßen des Franzöſiſchen mächtig geworden fein. Portugieſiſch konnte er wohl wie alle gebildeten Spanier ſeiner Zeit.
Als er dreizehn oder vierzehn Jahre alt war, ſtarben ihm ſchnell hinter einander Vater und Mutter. Um ibren Nachlaß ſoll ihn und ſeine beiden ältern Geſchwiſter, einen Bruder und eine Schweſter, ein Betrüger gebracht haben, der damit nach Amerika entfloh. Sein Bruder diente in der ſpaniſchen Armee und war außer Stande, ihn zu unterſtützen. Von entfernten Verwandten ſoll er einige Hilfe erhalten haben.
Da kam ihm plötzlich mit ſeinem Mitſchüler Hernando Mu; die Luft, die Welt zu ſehen. Sie nahmen, was ſie an Geld und Geſchmeide zuſammenbringen konnten, und reiſten zu Fuße ab. In Segovia kaufen ſie einen Gaul, um ihr Gepäcke und ſie ſelbſt zu tragen, und kamen bis Aſtorga. Dort aber ſchon bemerken ſie, daß ihr Geld ſchneller zu Ende geht, als fie geglaubt hatten, und be: ſchließen daher, umzukehren. Nach Segovia zurückgekom⸗ men, werden ſie von einem Goldſchmied, dem ſie eine goldene Kette verkaufen wollen, als verdächtig angehalten. Der Alkalde aber ſchickt ſie ihren Verwandten nach Madrid zu.
Dort findet ſich Lope, kaum fünfzehn Jahre alt, der größten Noth preisgegeben. Er wird Soldat und dient in Portugal, verläßt den Dienſt aber nach einem Jahre wieder.
Bald darauf findet er ſich als Sekretär des Biſchofs von Avila, Geronimo Manrique de Bara, Generalinqui⸗ ſitoren und päpſtlichen Legats der Flotte gegen die Türken. Lope ſpricht von ihm mit der höchſten Verehrung, und ſeiner Aufmunterung ſollen die erſten ſchriftſtelleriſchen Ar⸗ beiten des Jünglings ihre Entſtehung zu verdanken haben.
Ueber Lope de Vega im Allgemeinen. 125
Dieſes waren einige Eklogen und das Schäferſpiel Jacinta, um das Jahr 1578 geſchrieben, als Lope nur erſt ſechzehn Jahre alt war.
Siebzehn Jahre alt, verließ Lope des Biſchofs Dienſte, ohne daß man weiß, warum, wahrſcheinlich aber in Folge der erwachenden Leidenſchaften, die ihn von nun an durch eine Reibe von Jahren beſaßen und umhertrieben.
Nicht leicht hat ein Schriftſteller ſo widerſprechende Schickſale erlebt, als Lope de Vega in ſeinen dramatiſchen Werken. Ich ſage: in ſeinen dramatiſchen Werken, da ſeine übrigen, die obras sueltas, 1 im Laufe des vorigen Jahr⸗ hunderts mit eigentlich ſpaniſcher Pracht in Quart gedruckt und herausgegeben worden ſind, was auf eine fortwährende Anerkennung derſelben von Seite der Nation ſchließen läßt. Die dramatiſchen dagegen wurden ſeiner Zeit als ein Wun⸗ der angeſtaunt und find im Laufe von zwei Jahrhun⸗ derten ſo rein vergeſſen worden, daß ein vollſtändiges Exemplar ihrer auf 27 Quartbände angewachſenen Samm⸗ lung, gegenwärtig unter die größten bibliographiſchen Sel⸗ tenheiten gehört.
Dieſe Erſcheinung iſt zum Theile erklärlich. Er lebte zur Zeit der Kindheit des ſpaniſchen Theaters, oder hat vielmehr daſſelbe aus ſeiner Kindheit heraus⸗ und heran⸗ gezogen. Sein Publikum beſtand nicht, wie das der bald darauf folgenden franzöſiſchen, ſogenannten klaſſiſchen Bühne, aus den Gebildeten der Nation, ſondern wie denn über⸗ baupt in ſüdlichen Ländern die Abſonderung der Stände nie ſo ſchneidend war, gab ſich Hoch und Niedrig, mit einem ſtarken Uebergewichte der Letztern, dem leidenſchaft⸗
1 Vermiſchte Schriften.
126 Studien zum fpaniffen Theater.
lich begehrten Theatergenuß hin, und er mußte auf a Theile feines Publikums Rückſicht nehmen, wenn m auch vorausſetzen wollte, daß die Vornehmen, bei all Ueberbildung von Einer Seite, nicht doch auch an Plat heiten und mitunter ziemlich groben Späßen, Wohlgefalle gefunden haben ſollten.
Allen gemein war übrigens das Streben nach Neuer und, bei der Starkgläubigkeit der Zeit, nach Unerhörten Mit der wahren Innerlichkeit nahm man es nicht ſo genm um ſo mehr, als die Spanier das Bewußtſein, daß f doch nur ein Spiel vor ſich hätten, nie ganz außer Auge ſetzen, wie denn ſelbſt bei den tragiſchen Stücken am Schluß eine der handelnden Perſonen aus ihrer Rolle heraustritt und in der wirklichen Eigenſchaft als Schauſpieler das Publikum anſpricht, es um Verzeihung wegen der vielen Fehler bittend, und fo die Illuſion gerade da zerſtört, wo die Dichter aller andern Nationen und Zeiten ſie aufs Höchſte zu ſteigern pflegen.
Dieſen Anforderungen nun trat Lope de Vega mit einer Leichtigkeit der Produktion gegenüber, die in der literariſchen Welt ihres Gleichen nicht hat. Einer feiner gleichzeitigen Freunde ſchreibt ihm 3000 Komödien zu, er ſelbſt geſteht über 700, von denen gegen vierthalbhundert gedruckt find. ! Daß bei dieſer großartigen Vielſchreiberei an Vorbereitungen, ja ſelbſt an die gewöhnliche Ueber⸗ legung kaum zu denken war, verſteht ſich von felbit. 2
1 In der Vorrede zum 20. Bande feiner Komödien bekennt Lope de Vega. 1070 Komödien geſchrieben zu haben. In der arte nueva gibt er nur 483 zu. Das Wahre iſt wohl, daß er ihre Zahl ſelbſt nicht wußte.
2 A. Royer in feiner histoire du theatre nennt die zahlloſen Hervor⸗ bringungen Lope de Vega's ſehr gut: une improvisation, qui dura toute sa vie.
Ueber Lope de Vega im Allgemeinen. 127
Das Publikum begehrte immerfort, und er ſchrieb in einem fort.
Später, als der Heißhunger der Nation geſtillt, und ſie, Tamentlich durch franzöſiſche Heirathen, mit dem übrigen Europa in Verbindung getreten war, fing ſie an, ſich Des Kindiſchen ihrer Vorzeit zu ſchämen, und in der dadurch entſtandenen Reaktion geriethen dieſelben Schriftſteller“ in Vergeſſenheit, die früher ihr Hochgenuß geweſen waren.
Ueberhaupt wird jede Nation, die fich europäiſch zu bilden beginnt, anfänglich immer nach der franzöſiſchen Literatur greifen. Das Korrekte und Verſtändig⸗Klare, wenn auch Abgeſchwächte derſelben, ſagt dem Geiſte zu, der, ehe er neue Erwerbungen machen kann, vorerſt alte Feſſeln abwerfen will. War es doch in Deutſchland, ja ſelbſt in England nicht anders. Nur brauchte Deutſchland nichts zu vergeſſen, da es nichts hatte.
Auf dieſe Art iſt Lope de Vega der neuern Welt ziem⸗ lich unbekannt geworden. Ein paar deutſche Ueberſetzungen einzelner Stücke (von denen ich Halm's Bearbeitung von: „König und Bauer“ ausdrücklich ausnehmen will) wollen nicht viel bedeuten, da man Dichter überhaupt nicht über⸗ ſetzen kann, am wenigſten die Spanier, bei denen der Zauber des Ausdrucks die Hälfte des Werthes ausmacht.
Auch die Kritiker ſind unſäuberlich mit ihm verfahren. A. W. Schlegel, der den Calderon ſo ziemlich, Lope de Vega aber wahrſcheinlich gar nicht kannte, wirft ihm Pe⸗ danterie vor, indeß Lope das reine Gegentheil eines Pe⸗ danten war. Lord Holland hat ein eigenes Buch über ihn und Cervantes geſchrieben, in dem Letzterer ſo hoch geſtellt wird, als er verdient, indeß ſeinem ſpaniſchen Landesge⸗ noſſen geradezu der geſunde Menſchenverſtand abgeſprochen wird. N
Ueber Lope de Vega im Allgemeinen. 129
und Geſtalt gebend, willkommen waren und immer will⸗ kommen ſein werden, da das Geiſtige als ſolches keine Geſtalt hat und das Licht keine Farbe.
Lope de Vega iſt ein vortrefflicher Charaktermaler. In ſeinen ernſthaft gemeinten Stücken iſt nichts conſequenter und wahrer, als die Haltung ſeiner Perſonen. Wie es aber einmal zum Spaß kommt, hört alles Recht der Folge⸗ richtigkeit auf. Der Zweck iſt nur, den Zuſeher zu unter⸗ halten, und je toller, je beſſer. Mit Würde und Empfindung angelegte Charaktere ſtürzen ſich mit einem Sprung in den tollen Sabbath und geberden ſich ſo närriſch, als der Narr. Die ſüdlichen Nationen haben alle dieſe Neigung zur Poſſen⸗ haftigkeit, und die opera buffa der Italiener iſt deſſen das letzte Zeugniß. Aber ſelbſt bei Shakeſpeare muß die Perſon, die mit dem Clown ſich unterredet, in ſeine Späſſe ein⸗ gehen und gibt, wenn auch vorübergehend, ihren Charakter auf, ſo lange das Ballſpiel des Scherzes währt. So Des⸗ demona, ſo jenes ſpäter als Aerztin erſcheinende Frauen⸗ zimmer in einem ſeiner Luſtſpiele, „Ende gut, Alles gut“.
Liebe und Ehe waren zu Lope's Zeiten keineswegs Fortſetzung und Ausbildung eines und deſſelben Zuſtandes, ſondern Eingehen in einen neuen. Erſtere frei und mehr Sache der Sinnlichkeit und der Phantaſie, als des Gefühls, letztere das Werk des Verſtandes und der Convenienz. Väter und Brüder ſind froh, die Sorge für den Ruf (opi- nion) ihrer Pflegebefohlenen auf einen Gatten zu über⸗ tragen, und der Gegenſtand der Sorgfalt freut ſich gleicher: maßen, nach dem vollen Genuß einer kurzen Freiheit, den nur allzuſehr gefühlten Gefahren derſelben zu entrinnen.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 9
130 Studien zum ſpaniſchen Theater. |
Liebesverhältniſſe mit Verheiratheten (Weibern nämlich) kommen bei Lope ſelten vor, indeß die Männer auch nach der Ehe ſich wenig Gewalt anthun. Die Leichtfertigkeit der Sitten ſcheint groß geweſen zu ſein, die Ehe aber ward durch Dolch und Rache bewacht. Nichts geht über die Schnelligkeit, mit der man ſich verheirathet, es iſt ein Geſchäft und wird als ſolches abgemacht. Am Schluſſe des Stückes bekommt jeder der Männer ein Weib, es mag hergenommen werden, woher es wolle. Die Ausſtattung als ultima ratio fehlt nie.
Lope de Vega hatte es eben mit einem Publikum zu thun, das durch ſeine Romanzen, Ritterromane und No⸗ vellen an das Bizarre, Wunderbare, ja Wunderliche ge⸗ wöhnt war und es vom Dichter forderte. Was uns bei ihm abſurd erſcheint, iſt es nur dadurch, daß die Mittel⸗ glieder der Entwicklung überſprungen werden und das Factum, der Gemüthszuſtand ſchroff und abgeſchnitten hin⸗ geſtellt wird, ohne verbindende Fäden des Pragmatismus. Was glaubten die Leute damals nicht alles dem Pfaffen, dem Reiſenden, dem Dichter. Die Einführung der Wahr⸗ ſcheinlichkeit in die Poeſie iſt eine ſpätere Erfindung.
Lope de Vega iſt natürlich, was aber das Ueberna⸗ türliche, ja das Unmögliche nicht ausſchließt, Calderon iſt künſtlich, ohne darum auf das Unmögliche und Ueberna⸗ türliche Verzicht zu leiſten. Lope de Vega geht aber von der natürlichen Empfindungsweiſe des Spaniers zu jeder Zeit aus; Calderon nimmt die künſtliche Verbildung ſeiner Zeit zum Ausgangspunkte.
Ueber Lope de Bega im Allgemeinen. 131
Nicht in Erfindung der Hauptverwicklungen oder Ent: wicklungen iſt Lope de Vega ſo vortrefflich, da iſt er oft ſchreiend unwahrſcheinlich, wiederholt ſich auch häufig, wohl aber in Erfindung kleiner Nebenmotive, die machen, daß ſelbſt die Ausſüllungsſcenen ein lebendiges Intereſſe haben und das entfernteſt Scheinende nicht müßig daſteht. Darin iſt er unnachahmlich und gibt, nebſt der Vortrefflichkeit des Dialogs, ſeinen Stücken eine Lebendigkeit, die anzieht, ſelbſt wo man das Ganze nicht billigt. Zugleich hat er die wahre und die ſagenhafte Geſchichte ſeines Landes, ja jeder Provinz, jeder Stadt ſo vor Augen, daß man ihn einen Chroniſten nennen kann (was er ja immer werden wollte), jede Beſonderheit, jede Sitte, jede Gewohnheit des Landes findet Platz in ſeinen Stücken; man könnte ſagen, er iſt ganz Spanier, wenn er nicht großentheils frei von ihren Vorurtheilen wäre, die er benützt, wo er ſie brauchen kann, über denen er aber als geſunder Kopf hoch ſteht.
Ich erſchrecke manchmal über den Gedankenreichthum in Lope de Vega. Indem er immer im Beſonderſten zu bleiben ſcheint, ſtreift er jeden Augenblick ins Allgemeine hinüber, und kein Dichter ift fo reich als er an Beobach⸗ tungen und praktiſchen Bemerkungen. Man kann wohl ſagen, daß kein Lebensverhältniß iſt, das er in dem Kreiſe ſeiner Hervorbringungen nicht berührte. Und das Alles geſchieht ſo nebenbei, wie es ihm in die Feder kommt, ſcheinbar rein im Dienſte der Fabel und der Wirkung. Deß⸗ halb iſt es auch ſeinen bisherigen Beurtheilern entgangen, die keine Lehre kennen, als in der Form der Abſtraktion.
132 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Daß Lope de Vega ſeine unſchuldig Verfolgten fo gerne bei Bauern einkehren und ſich dort verbergen läßt, bei welcher Gelegenheit er die ländlichen Verhältniſſe dieſer Letztern mit ſo viel Vorliebe ausmalt, rührt wohl von dem noch nicht ganz erloſchenen Geſchmacke ſeines Publi⸗ kums für die früher ſo beliebte Schäferpoeſie her.
Am öfteſten ſpielt Lope de Vega auf ſeinen Wunſch an, Chroniſt von Spanien zu werden. Deutlich wie nir⸗ gends im triunfo de la humildad ! 10. Band feiner Dramen in der Perſon des Spanischen Bedienten Lope, wo er auf die Frage des Königs: was er zu werden wünſche? antwortet:
Senor ser tu coronista,
para escrivir tus mercedes. Que si va & decir verdades, no querria que la muerte
me hallase agradando à muchos, pues nadie en el mundo puede. Unos son tristes, senor,
y quieren cosas alegres;
otros alegres tambien
y las tristes apetecen
unos las ciencias ignoran,
otros las ciencias aprenden, unos miran con pasion,
y otros con pasiones vienen. Sacame deste trabajo
ansi Dios tu vida aumente,
y hare un libro en tu alabanza
1 Triumph der Demuth.
Ueber Lope de Vega im Allgemeinen. 133
que digo un libro, y aun siete, que te llame el gran Filipe, rey de Albania, y rey de reyes. !
Einige Entſchuldigung für Lope de Vega iſt, daß ihm zu ſeinen allerunſinnigſten Stücken der Stoff (wie er ſelbſt in den Vorreden ſagt) von Damen des Hofes aufgegeben wurde. Er wollte überhaupt in allem dem Hofe gefällig ſein, aber es gelang nicht. Calderon war darin glücklicher.
—
Ich erinnere mich nicht, in den Lebensbeſchreibungen Lope de Vega's den Umſtand erwähnt gefunden zu haben, daß er Philipp III. auf einer Reife nach Frankreich (9) begleitet habe, und doch ſpricht Lope davon ſelbſt in der Zueignung des mejor Mozo de Espana ? an Pedro Vergel (Comedias parte 20), ſo wie von einem Seeſturm, den fie damals zwiſchen Yrun und Fuenterabia ausgeſtanden, der beinahe Allen das Leben gekoſtet. Eben daſelbſt führt er auch den Licentiaten Juan Perez de Montalvan, als ſeinen vertrauten Freund und Landsmann auf. Daß Lope
1 Herr, dein Geſchichtſchreiber ſein, um deine Gnaden zu beſchreiben. Denn wenn die Wahrheit geſagt ſein muß, ich wünſchte nicht, daß mich der Tod fände, Vielen zu gefallen lebend, denn dieß iſt Niemand in der Welt im Stande. Die Einen find traurig, Herr, und wollen luſtige Sachen, Andere find heiter und wollen Trauriges. Die Einen wiſſen nichts von Wiſſenſchaften, Andere lernen dieſelben, die Einen ſehen mit Leidenſchaft zu, und die Andern kommen voll von Leiden⸗ ſchaften. Nimm mir dieſe Laſt, Gott ſchenke dir langes Leben, und ich werde ein Buch ſchreiben zu deinem Lobe, was ſage ich ein Buch, wohl ſieben, und werde dich den großen Philipp, König von Albanien und König der Könige, nennen.
2 Beſten Jünglings von Spanien.
134 Studien zum ſpaniſchen Theater.
und Montalvan in der Autorſchaft mehrerer Stücke wer: wechſelt worden ſeien, erhellt aus den Anmerkungen, die mehreren Komödien beigeſetzt ſind, wo ausdrücklich bemerkt wird: dieſes Stück iſt von Lope de Vega und nicht von Juan Perez de Montalvan.
In einer der Komödien: El desprecio agradeeido, die lange nach Lope's Tode in den obras sueltas Tom. X gedruckt worden, kommt folgende Stelle vor. Das Kammer: mädchen gibt dem Galan, der die Nacht verſteckt zubringen ſoll, ein Buch zur Unterhaltung.
Ines. Pues ten libro y esta vela os sera de gran provecho. ? Bern. z Quien es? Ines. Parte veinte y seis de Lope. Bern. Libros supuestos que con su nombre se imprimen.5
Das ſollte uns faſt ein Mißtrauen gegen die 27 Bände von Lope's Komödien einflößen. Wenn es nicht etwa nur ſagen ſoll, daß damals noch nicht 26 Bände rechtmäßig erſchienen waren.
1 Die willkommene Verſchmähung.
2 Da nehmt ein Buch und dieſe Kerze, ſie werden euch von großen Nutzen ſein.
3 Was if es?
1 Der 26. Theil von Lope.
3 Untergeſchobene Bücher, die unter feinem Namen gedruckt werden.
— nn an
Arber Sope de Pega's dramatilge Dichtungen.
— un
San Nicolas de Tolentino. Ein wenig in ber gewöhnlichen Form dieſer Heiligengeſchichten. Sankt Ni: colas als Student mit mehreren Mitſtudenten, wo denn ſein frommer Ernſt gegen den Leichtſinn der Uebrigen, wie natürlich, ſehr abſticht. Einer aus ihnen wird von einer Maske zu einem Rendezvous rerführt, aber da er die Leiter zum Balkon emporſteigt, fällt er ſich zu Tode, und es zeigt ſich nun, daß die Maske der Teufel iſt, der um die Seele, mit dem in Lüften in Begleitung von Ge⸗ rechtigkeit und Gnade erſcheinenden göttlichen Richter, einen Streit beginnt, der aber durch die Dazukunft der Jungfrau gegen ihn entſchieden wird, die, höchſt römiſch⸗katholiſch, als einen Hauptgrund für den zu verurtheilenden Sünder an⸗ führt, daß er ein Vetter des frommen Nicolas ſei. Letzterer hat inzwiſchen eine Domherrnpräbende erhalten. Aber von der Predigt eines Auguſtiner Barfüßers gerührt, gibt er mit Einwilligung ſeiner Eltern ſein Kanonikat auf und tritt in den Orden, in den ihm ſein Begleiter der gor ron! Rupert nachfolgt.
Los peligros de la ausencia. ? Der erſte Akt,
1 Liederliche Student. 2 Die Gefahren der Abweſenheit.
zur Wiederherſtellung ſeiner 1 zuſchiffen. In der Angſt üb beiden erſtern erklärt ſich die d Handel vermittelt und das lie Felix reiſt ab. | Im zweiten Akt finden wir höchſt glücklich. Die Beſchreibun der erſten Scene wunderſchön. Himmel. D. Pedro, der Beinticı nach Hof berufen. Sein Vermöge Gattin mitzunehmen, er reist al eine Art geiſtiges Band, das 1 erſten knüpſt. Beide Gatten ſck Dienern, die ihnen bei ihrer Lie weſen, ein, ſich während der Ti liches zu Schulden kommen zu le ſende auch ſpäter die Untreue ſein geglaubt haben würde, wenn ſie Vater mit Lift hintergangen hätte Die Gefahren der Abweſenheit;
kommt zurück, reich geworden, al Moho AL -T. 7
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Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 137
vergnügt, in der Meinung, Da. Blanka zu genießen. Höchſt komiſch wird er im Herausgehen von dem andern unglücklichen Liebhaber D. Bernardo überfallen, der ſomit den Ehrenhüter der Frau ſeines Nebenbuhlers macht. Er muß verſprechen, ſich ſogleich von Sevilla zu entfernen. Don Bernardo glaubt nun aber auch, etwas wagen zu dürfen. Er wird aber von Da. Blanka aufs ſchmählichſte abgeführt, worüber es ſogar zum Duell mit ihrem Vater kommt. D. Felix begegnet auf ſeinem Wege dem rückkeh⸗ renden Veinticuatro, den er nicht kennt und dem er ſein gutes Glück zugleich und ſein Unglück erzählt. D. Pedro bewegt ihn zur Umkehr, verſpricht ihm Beiſtand u. ſ. w. Eben im Begriff, ſeine ſchuldige Frau zu tödten, klärt ſich das Mißverſtändniß auf, und alles nimmt ein gutes Ende. An dem Stoffe iſt gerade nicht gar zu viel, die Ausführung aber iſt ſo vortrefflich, daß, wenn die gefähr⸗ lichen Vorgänge bei Nacht und der Zwiſchenraum von drei Jahren zwiſchen dem erſten und zweiten Akte nicht wäre, eine Bearbeitung für die deutſche Bühne ſehr loh⸗ nend ſein müßte.
Porfiar hasta morir. 1 Die Geſchichte jenes ſpa⸗ niſchen Dichters, Mazias, den der Gatte ſeiner Geliebten durch einen Speerwurf tödtet, weil er, außen am Thurme ſtehend, ihn inwendig ein Liebesgedicht ſingen hört. Das Ganze vortrefflich gehalten, bis auf den Schluß, der mir etwas übereilt ſcheint und dadurch an Wirkung verliert. Sehr gut die Charaktere der Geliebten und Gattin Klara und des Großmeiſters von Santiago. Mazias und ſein Nebenbuhler Tello nach Lope's Art nicht beſonders ſcharf, aber darum nicht minder gut gehalten.
1 Beſtändig bis zum Tode.
138 Studien zum ſpaniſchen Theater.
La envidia de la Nobleza. 1 Der Untergang der Abencerragen. War, glaube ich, feiner Zeit eines der ke: rühmteſten Stücke Lope's, und iſt auch wirklich vortrefflich. Niemand hat, wie er, die Chronik und die Romanze gel: tend zu machen gewußt. In dieſem Stücke geht es I: weit, daß bei der Zuſammenkunft der Königin mit dem geliebten Abencerragen, beide offenbar wörtlich Stellen aus einer Romanze herſagen, wobei ſie von ihrem Verhältniß, wie von einem fremden erzählend, ſprechen. Demungeachtet verfehlt es ſeine Wirkung nicht. Der Schluß, wie bei Lope bäufig, matter als das Uebrige.
El robo de Dina. ? Der Eingang eigentlich bibliſch⸗ patriarchaliſch. In der Folge tritt es zum Theil aus dieſer Haltung heraus und wird allgemeiner, nur Jakob und ſeine Söhne beharren. Dina, eine eigentliche Spanierin. Etwas ſtark die Scene, wenn ſie, unmittelbar nach ihrer Schändung, mit zerrauften Haaren und maltratada aufe Theater kommt, ſo wie, wenn ſie, ſpäter den Vorgang ihrem Vater erzählt. Uebrigens alles das ſehr gut. Ebenſo das Verhalten Jakobs, der ſich mit einer Vermählung begnügt. Dagegen die hebräiſche Rachſucht ſeiner Söhne, in die Dina ſelbſt, ächt ſpaniſch, einſtimmt. Glückliche Dichter, die ein ſo wenig verbildetes Publikum vor ſich haben, daß ſie Umſtände, wie die Beſchneidung des ganzen Volkes von Sichem, erwähnen können, ohne einem Grinſen zu begegnen. Das von Lope oft gebrauchte Kunſtmittel, einem dem Geſchicke Verfallenen, ſeinen eigenen Schatten erſcheinen zu laſſen, hier vor dem Tode Sichems nicht ſehr glücklich angebracht. Dagegen der Schluß wieder vor⸗
1 Der Neid des Adels.
2 Die Entführung der Dina. 3 Mißhandelt.
Ueber Lope de Bega’s dramatiſche Dichtungen. 139
trefflich. Die Hirten ziehen nach vollbrachter That mit ihren Heerden weiter. Sogar die ſcherzhafte Perſon kommt noch einmal vor, und die Sorge für die Heerden nimmt die letzten Verſe des Stückes ein. Gewiß: an Natur⸗ empfindung und Einwohnen in den Kern der Begebenheit hat Niemand Lopen übertroffen.
El saber puede daüar. 1 In zwei Gattungen des Drama iſt Lope ſchwach (als Gegenfüßler Calderons, der gerade darin ſeine Stärke hat): in ſolchen, die einen philo⸗ ſophiſchen oder moraliſchen Satz an die Spitze ſtellen und lehrhaft die Idee in der Handlung ausführen; dann in den eigentlichen Verwicklungs⸗Komödien. Das gegenwärtige Stück ſoll eines der letztern Gattung ſein, die Intrigue iſt aber weder neu, noch durchgeführt, und überhaupt außer einigen glücklichen Scenen und guten Charakteren (Celia) nicht viel Beſonderes an dem Ganzen.
Los pleitos de Iugalaterra.? Soll ich denn immer fortfahren, dieſe höchſt wunderlichen Produktionen als vortrefflich anzuſprechen? Und doch kann ich nicht an⸗ ders. Es iſt ein Reiz der Natürlichkeit, eine Atmoſphäre von Poeſie, und bei den barockſten Anläſſen eine Wahrheit der Ausführung, der man nicht widerſtehen kann. Z. B. daß König und Königin nach einer Trennung von freilich zwanzig Jahren ſich nicht wieder erkennen, wenigſtens er ſie auch ſpäter nicht, und ſich von Neuem in einander verlieben. Wie ſeine Neigung nach und nach geradezu ſinnlich wird, die beiden ſich auf dem Wege nach London in die Gebüſche verlieren. Was ſie ſich da ſagen, und wie die beiden begleitenden Bauern, um die Tugend ihrer bis dahin muſterhaften Herrin, anfangen beſorgt zu werden.
1 Das Wiſſen kann ſchaden.
2 Die engliſchen Händel.
„ t veſtanden zu die im Munde des Vol Dadurch gewann das St antiquariſches Intereſſe, 1 gut ausgeführte Scenen fir geſchickt geführte, z. B. wo die Geſchichte einer Befreiu und dadurch, der vom Ba Mittel zu ihrer eigenen 8 eine gute Wirkung machen Unterredung des Liebespaai und ſeiner Geliebten, indem Letzteren ſpricht, dabei aber liana richtet, indeß dieſe, 5 ihr die Antworten ſoufflirt, Das Prototyp aller ſpaniſcher die im Stücke vorkommende wüthenden Liebe zu Einem, andere geht, vier⸗ oder fünfme zu werden, alle Abfgeulicht, und am Ende doch rein daſteht,
Mit dem Haupthelden G
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 141
menſchlich genommen, etwas outrirt bis zur Annäherung m Heuchelei und Unwahrhaftigkeit, aber im damalig katho⸗ chen, d. i. mönchiſch⸗pfäffiſchen Sinne nicht zu tadeln; für jeden Fall aber höchſt wirkſam. Die Geſchichte des Studenten Claudio und der Schankwirthstochter Iſabella eigentlich kunſtmäßig als Mittelpunkt der übrigen iſolirten Creigniſſe hingeſtellt, jo daß ſelbſt der den Heiligen aller: wege begleitende alberne Laienbruder Tome, anfänglich als eine Art Diener und Begleiter Don Claudio's erſcheint. Ebenſo wußte er die ſchelmiſche Ines und den Mohren Ali, indem er ſie an mehreren Orten einflocht, aus dem rein Epiſodiſchen herauszuziehen.
Guardar y guardarse. 1 Don Felix und Chakon kommen. Sie fliehen aus Kaſtilien und haben den Weg derloren. Dazu Dona Elvira und Hippolyta als Land⸗ mädchen gekleidet. Wir erfahren, daß Elvira vom Könige von Arragonien geliebt und deßhalb von ihrem Bruder, dem Almirante, in einem einſamen Landhauſe abgeſondert gehalten wird. Die Reiſenden wenden ſich an ſie. Felix erinnert ſich des Ovid und ſeiner Nymphen, und wir ſind eines Schlages auf dem Gebiete der Phantaſie. Redens⸗ arten der ausgeſuchteſten Qualität, werden mit vornehmer Sicherheit abgelehnt und in Schranken gehalten. Für jeden Fall aber das nahe gelegene Landhaus als Ausruheplatz an⸗ geboten, wobei man jedoch Sorge trägt, daß Name und Stand der Wirthinnen verborgen bleibe.
Warum Don Felix aus Kaſtilien entflohen, erfahren wir in der zweiten Scene, wo König Alonſo die Beleidi⸗ zungen auszugleichen ſucht, die einem Don Sancho von Felix zugefügt worden ſind. Seine Bemühungen bleiben
1 Hüten und ſich hüten.
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en den gemacht, erklärt aber jedes lich und gibt ihm, indem ſi lungsbrief an den König vo Indem nun Don Felix ſe de campos, de almas, y de der Sonne vergleicht, kommt mit Juwelen als Zeichen ihr Der König von Arragon König, der ſeine Liebe zu E genug macht, eröffnet ihrem 2 mäblen, ohne zu ſagen mit König ſelbſt dieſer Gemahl f beſchließt aber doch, vorſichtig ſeine Empfehlungsbriefe. Wir ſeiner Flucht aus Kaſtilien, da einer Dona Blanca ſeinen Nebe
Ballſpiel mißhandelt:
Y levantando la p
le doy lo que parı el nombre si es m
ame 2 E:
Ueber Lope de Bega’s dramatiſche Dichtungen. 143
Es liegt hier wohl das Wortſpiel von pala und palos (Prügel) zu Grunde. Der König verſpricht ihm Schutz und übergibt ihn dem Almirante zu hüten.
Indeſſen ſind Elvira und Hippolyta vom Lande ange⸗ kommen und in ihrem Hauſe abgeſtiegen. Der Almirante ſtellt Don Felix als ſeinen Schutzbefohlenen vor.
Der Almirante bleibt mit ſeinem Diener, der ihm ein Schreiben übergibt, das ein durcheilender Kurier gebracht. Es wird erbrochen und enthält die Nachricht, daß die Familie der Mendoza, einen vom Almirante durch Ver⸗ weigerung einer Heirath ihnen angethanen Schimpf zu rächen, Don Felix abgeſendet habe, den Beleidiger zu tödten. Und nun beginnt die Situation, die der Titel enthält: Hüten und ſich hüten. Sie erfordert einen aus⸗ gezeichneten Schauſpieler, denn die Furcht des Almirante darf nie eigentlich burlesk werden, wie denn auch ſeine Worte und Ausdrücke immer würdig bleiben und nur Ge⸗ berde und Benehmen die komiſche Beimiſchung geben. Der Gang der Handlung hat weiter eben nichts Ausgezeichnetes. Merkwürdig aber iſt der Charakter Elvirens, eine eigentliche Verſinnlichung der ſogenannten sal espanola. 1 Wenn das Porträt von Felix früherer Geliebten gefunden wird, und ſie anfängt, eiferſüchtig zu werden. Die burlesken Verſe, mit denen ſie die Unterſchrift des Bildes ergänzt:
Dona Blanca es esta dama „asi su galan lo quiere
„por si acaso se perdiere „que sepan como se llama, ?
1 Des ſpaniſchen Witzes. 2 Donna Blanca iſt dieſe Dame, fo will es ihr Verehrer, damit, wenn fie etwa verloren gienge, man wiſſe, wie ſie⸗ heiße.
144 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Das alles iſt unwahrſcheinlich und zwar um ſo mehr, als es nur ein geiſtiger Hauch iſt, der jeder Zergliederung ſpottet.
Uebrigens wiederholen dieſe Dichter in einzelnen Zügen und Sätzen nicht nur ſich ſelbſt, ſondern borgen auch von einander, wo man dann nicht weiß, welcher das Original und welcher die Copie iſt. Einmal kommt vielleicht ſogar ein Hieb auf Calderon vor:
primero que veas que me caso contra mi gusto avr&ä estrellas en la mar y flores en las estrellas. !
Wenigſtens gehören Vermengungen wie letztere unter Calderons Lieblingsfiguren.
La hermosa fea.? Eins von der Art Stücken, in der Lope nicht glücklich iſt, und um derentwillen ihm Lord Holland Mangel an Urtheilskraft Schuld gegeben hat. Der Stolz, mit dem die Prinzeſſin von Lothringen, Eſtela, alle Bewerbungen zurückweist, bringt Ricardo den Herzog von Polen auf die Idee, ſie dadurch zu reizen, daß er ihr zu Ohren kommen läßt, er habe ſie häßlich gefunden. Zugleich aber weiß er ſich unter falſchem Namen in ihr Haus einzuführen und fie in ſich verliebt zu machen u. |. w. Obwohl man nun nicht ſagen kann, daß die beiden Theile dieſes Doppelplans in keiner Verbindung mit einander ſtehen, ſo wirkt doch die Hauptidee bei weitem nicht genug aus, und wenn der verkleidete Herzog nur liebenswürdig
1 Zuerſt damit du ſeheſt, daß ... ich mich gegen meinen Willen
vermaͤhle. Sterne wird es im Meere geben und Blumen in den Sternen. 2 Die fhöne Häßliche.
Ueber Lope de Bega’3 dramatiſche Dichtungen. 145
nug iſt, um als Mann zu intereſſiren, fo hätte es des eizmittels der beleidigten Eitelkeit gar nicht bedurft, um ich ſo zum Ziele zu gelangen. Was aber Mangel an rtheilskraft ſcheint, iſt eigentlich nichts, als die Ueber: (ung der Vielſchreiberei und eine gewiſſe epiſche Gleich tigkeit, die die Fakten jo hinrollen läßt und fie theil⸗ eiſe ausbildet, ohne ſich um ihren Zuſammenhang ſon⸗ rlich zu kümmern. Liebevolles Haften am Beſondern iſt r Fehler, aber auch der unermeßliche Vorzug Lope de ega's.
El caballero de Olmedo. 1 Da iſt nun gleich ieder im erſten Akt ein jo abgeriſſenes Ereigniß, das mit len Vorbereitungen einer Intrigue angeknüpft wird und, nn es eintritt, nicht die geringſte Wirkung auf den Gang r Handlung ausübt. Ines, um ihren verborgenen Lieb: ber an einem Zeichen zu erkennen, ſchreibt ihm, ſie rde eines ihrer grünen Schuhbänder ans Fenſtergitter nden, das er nehmen und am Hute tragen ſoll. Nun mmt ihm aber der vom Vater begünſtigte Bräutigam vor, eignet ſich das Band zu, ja theilt es ſogar mit inem Freunde, dem Bewerber der zweiten Schweſter, id ſie erſcheinen nun beide mit dem grünen Bande. Aber erfolgt nichts daraus, und kaum geſchehen, iſt es auch zon wieder vergeſſen. Uebrigens iſt das Stück offenbar ich einer alten Romanze bearbeitet, und er führt eben e Umſtände noch einmal auf, wie ſie dort vorkommen.
Aber wie vortrefflich die Scene, wo er den Brief ſeiner ſeliebten erhält und ihn nur ſtellenweiſe liest, weil man viel Süßes auf einmal nicht vertragen könne. Das iebesgeſpräch an der reja,? und wie ſie jo natürlich findet,
I Der Ritter von Olmedo.
2 Gitterfenſter.
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146 Studien zum ſpaniſchen Theater.
daß er abreiſe, um ſeine Eltern nicht die Nacht über in Sorge zu laſſen. Es iſt ein Zauber der Natürlichleit über all dieſen Scenen, der ſich nur empfinden läßt.
El bastardo Mudarra. 1 Die Geſchichte jener fieben Infanten von Lara, in all ihrer Chroniken⸗ oder vielmehr romanzenartigen Urſprünglichkeit dargeſtellt, bis auf die ſieben Steine, die die rachſüchtige Dona Lambra dem alten Vater täglich ins Zimmer werfen läßt, um ihn an den Mord feiner Söhne zu erinnern. Der Schluß übereilt, wie bei Lope häufig.
La ilustre fregona.? Nach der bekannten Novell des Cervantes, aber, wenn ich mich recht erinnere, m weſentlichen Verbeſſerungen, als Luſtſpielhandlung be trachtet. Namentlich der den Herrn vorſtellende Diene als Liebhaber nach der Mode, der ſich im Original nick vorfindet. Ueberhaupt das Ganze konſequenter und zu ſammenhängender, als es ſonſt bei den komiſchen Stücke Lope's der Fall iſt, ein eigentliches Luſtſpiel, fo daß e⸗ ohne Abänderungen auf der heutigen Bühne unfehlbare- Glück machen müßte. Höchſtens die Art, wie der Toma⸗ zum Beſitze des Bildniſſes kommt, und die Gewaltthätig keitsgeſchichte im letzten Akt müßte etwas anders ange deutet werden.
El nacimiento de Christo. 3 Ein wunderliche⸗ Stück, das mit dem Sündenfalle anfängt. König Adan und Königin Eva, von Unſchuld und Gnade begleiten werden durch die Schlange, Schönheit und Neid, verführt Gott Vater tritt als Kaifer des Himmels auf und Gon Sohn als göttlicher Prinz.
1 Der Baſtard Mudarra.
2 Die vornehme Küchenmagd. 3 Die Geburt Chriſti.
* „ 1 N
Ueber Lope de Vega's dramaliſche Dichtungen. 147
Uebrigens iſt mir bei dieſer Gelegenheit aufgefallen, daß meines Wiſſens noch nicht darauf hingedeutet worden iſt, welcher Akt der auch äußerlichen, ſymboliſchen Genug⸗ thuung darin liegt, daß die durch den verbotenen Genuß des Arfels verlorene Reinheit, durch den Genuß des göttlichen Leibes wieder hergeſtellt wird. Das Heilmittel iſt wunderlich, aber großartig kombinirt. Gewiß, der Witz iſt in das Chriſten⸗ thum nicht erſt durch die Scholaſtiker hineingekommen.
Iſt der erſte Akt metaphyſiſch und wunderlich, ſo ſteigt der zweite dafür ins Menſchenleben herab und iſt um ſo beſſer. Originell die Art, wie Joſeph und Maria aufge⸗ faßt ſind. In aller traditionellen Noth und Entblößung, und doch der königlichen Abſtammung ſich bewußt und als Könige ſich fühlend. Man wird an die alten Ge⸗ mälde erinnert, wo Maria im Stroh des Stalles, aber zugleich in goldverzierten Kleidern, ihr Kind beſorgt. Dann die Hütte der Hirten, vielleicht zu ſehr ausgeſponnen, aber Lope liebt, ſich in die Einzelnheiten des Schäfer⸗ und Landlebens zu vertiefen. Gibt es etwas Anmuthigeres als dieſe Hirtin Delia, die den Kopf in die Kapuze und die Hände in die Aermel verſteckt, vor Kälte trippelt, wie denn überhaupt die ganze Scene, den Froſt der Jahres⸗ zeit und die Noth der obdachloſen Gebärerin, aufs Leb—⸗ hafteſte verſinnlicht. Den größten Theil des dritten Aktes
nimmt ein Geſellſchaſtsſpiel der Hirten ein, nach Art un⸗ ſeres Schenkens und Logirens. Wohl etwas zu ſehr aus: geſponnen. Hierbei Erſcheinung des Engels. Joſeph und Maria kommen mit dem Kinde, offenbar von der Beſchnei⸗ dung, was wunderlich genug iſt, aber ganz dem Taufen der Kinder, gleich nach der Geburt entſpricht. Ankunft der drei Könige mit Tänzen und Geſängen, wo ſich beſonders das Kauderwälſch der Mohren ſehr gut ausnimmt. Sie
148 Studien zum ſpaniſchen Theater.
meinen, ihre Schwärze rühre vom Sündenfalle her, und hoffen nun alles von dem weißen Lamme. Schluß.
Los Ramirez de Arreliano. 1 Zerfällt für uns, trotz der Einheit der Hauptperſon und einigen ſehr ge⸗ ſchickt durch das Ganze mitlaufenden Nebenperſonen, ziem⸗ lich undramatiſch in drei abgeſonderte Begebenheiten, nach Anzahl der Akte, für den Spanier aber, dem es die Ver⸗ herrlichung eines ſeiner großen Geſchlechter und, was die Einheit gibt, die Geſchichte der Ueberſiedelung dieſes Ge⸗ ſchlechtes von Navarra nach Kaſtilien war, mußte wohl ein Ganzes, aus den ſonſt auch ziemlich geſchickt hie und da mit einander durchflochtenen Theilen, werden. Die Ein⸗ zelnheiten ſo gut, als es bei Lope faſt immer der Fall iſt. Der Schluß ein wenig gar zu objektiv, wo Enrique von Traſtamara den König Pedro gegen ſein gegebenes Wort anfällt und ſo gut, als meuchelmordet, der redliche Arre⸗ lano aber, ohne ein Arges daran zu nehmen, in ſeiner Ergebenheit und Liebe gegen den Mörder beharrt. Im Dialog ſelbſt einmal merkwürdig der Unterſchied zwiſchen honra und honor, ungefähr wie wir Ehren und Ehre unterſcheiden.
Don Gonzalo de Cordova. Gleich der Anfang, die Liebesgeſchichte des ſpaniſchen Fähnrichs, Juan Ra: mirez, mit der neapolitaniſchen Dame Liſarda: wie er in den Krieg zieht, Verzweiflung von beiden Seiten; doch kaum iſt er fort, ſo werden die Bewerbungen eines Neben⸗ buhlers angenommen, und zurückgekehrt, ſie noch einmal zu ſehen, findet er ſie ſchon auf einer Luſtpartie mit dem neuen Geliebten, das alles ſo vortrefflich, daß es dem Beſten an die Seite zu ſetzen iſt, was im Luſtſpiele je geleiſtet worden iſt.
1 Die Ramirez von Arrcliano.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 149
Die darauf folgenden hiſtoriſchen Perſonen, der Baſtard von Mannsfeld, der Biſchof von Oſta (?) 1 und der Herzog von Bouillon von einer und Gonzalo von Cordova (natür⸗ ich nicht der gran Capitan), 2 Baron Tilly und Franzisco Jbarra von der anderen Seite, treten nicht mit der Präg⸗ anz auf, die Lope ſonſt in ähnlichen Fällen zeigt. Die » miſchen Auskünfte des Bedienten Barnabe über feine erſon gegen den Feldherrn ſind übrigens ſehr gut.
Im zweiten Akt tritt eine flamändiſche Dame, die eliebte des Mannsfeld, auf, der Barnabe, auf gut ſtraßen⸗ u beriſch, eine Kette mit dem Bilde ihres Liebhabers ab⸗ mimt. Aber auch Liſarda erſcheint wieder in Manns: eidern, dem Fähnrich Juan Ramirez nachreiſend. Sie Fed, von ihm aus dem brennenden Dorfe gerettet, das de Lutheraner aus Rache angezündet. Kriegsrath der Panifchen Feldherrn. Nun gewinnt auf einmal die Figur Sorbova’3 für den Leſer die Haltung, die fie für den Zu: ſeher gleich von vornherein haben mußte. Wir erfahren nämlich, daß er ein noch junger Menſch, mancebo, iſt, gegen welche Jugend die Ruhe und der Ernſt, die er bisher gezeigt, charakteriſtiſch genug abſticht. Auch Mannsfeld kommt mit ſeiner Madama Lauretta, die von ihm drei Gaben: den Kopf Cordova's, die Hauptfahne der ſpaniſchen Armee und die Kette mit ſeinem Bildniſſe begehrt, die ihr ein Spanier abgenommen, den ſie nach deſſen eigener An⸗ gabe als Barnabe, Marquez de los Arneros und Conde de la Sebada 3 aus dem Haufe Lacaya ! bezeichnet.
Im dritten Akt geht nun das Strafgericht über die
1 Oſtad, Halterſtad.
2 Große Feldherr.
3 Markgraf von den Sieben und Graf von der Gerſte. 1 Haufe der Lakaien.
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Lutheraner los. Sie werden geſchlagen. Der Baſtard us der ketzeriſche Biſchof bleiben. Aber auch der Fühnrich Ramirez wird zur Raiſon gebracht. Trotz der Reue ſeiner Geliebten ſchien ihm denn doch ihr Vergehen zu ſtark. Noch immer verliebt, verweigert er doch die Verſöhnung. Da be⸗ ſchließt ſie, zu ſterben. Sie ſtürzt in die Schlacht, erobert eine Fahne und kommt auf den Tod verwundet zurüd. Nun iſt die Erbitterung beſiegt, die Liebe behauptet ihre Rechte, und glücklicherweiſe kommt die Sinnesänderung nicht zu ſpät, denn die Verwundung war nur erdichtet, und das Paar iſt vereinigt. Ueberhaupt dieſe ganze Liebe: geſchichte ein kleiner Diamant. Das Ganze ſchließt mit einer militäriſchen Revue, die die Infantin Klara Eugenia über die ſiegreichen Truppen hält. Eine gute Nebenfigur iſt die Wirthin Sabina mit ihrem Kauderwälſch, in den das franzöſiſche bu (vous) und das deutſche niti fiston (nicht verſtehe) höchſt wunderlich abwechſelt. Und wenn man bedenkt, daß das gleichzeitige Begebenheiten waren, die den Zeitgenoſſen in einem jo poetiſchen Kolorit vorge: führt werden konnten.
La Llave de la honra. 1 Da iſt nun wieder mein alter Lope de Vega, ohne ſeine ſonſt häufigen Widerſinnigkeiten, aber auch beinahe ohne Verwicllung, oder die vorhandene fo kunſtlos, daß ſie kaum jo ge nannt werden kann. Aber die Charaktere voll Wahr⸗ heit, die Tugend der Frau ohne Uebertreibung, die Liebe des Mannes zu feiner Frau, ohne daß fie ihn unzugäng lich machte für die Lockungen des Ehrgeizes. Der Bediente voll gefunden Humors und endlich die Rede, die Verfiit: kation von einem Fluß, von einem Wohllaut, daß ſie faſt
1 Ter Schlüſſel der Ehre. —
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zur Muſik wird, indeß ſie ſich kaum über die Proſa er⸗ bebt. Wenn der Plan, die dramatiſchen Werke Lope's herauszugeben, zu Stande kommt, nicht die Deutſchen wer⸗ den ihn zuerſt erkennen, ſie ſind heutzutage zu natürlich; nicht die Engländer, ſie ſind zu einſeitig in ihren Shakeſpeare verrannt; die Franzoſen werden zuerſt feine Naturwahrheit herausfinden, denn ſeit ihnen ihre klaſſiſche Form verleidet worden iſt, ſind ihre Beſſern zugänglich für Alles.
Mas pueden zelos que amor. 1 Wenn damals die Verwicklung neu war, daß eine verlaſſene Geliebte, oder vielmehr eine, die erſt dadurch verliebt wird, daß ihr Geliebter eine Andere heirathen will, ihm nachreist und in Männerkleidern die neue Braut in ſich verliebt macht, ſo daß dieſe ſie heirathen will, ſo mag das Stück intereſſirt haben. Sonſt iſt nicht viel Gutes daran, als die Liebe, die erſt durch die Eiferſucht entſteht, und wie gleich anfangs ihre Entſtehung geſchildert wird. Nicht viel Natur, keine guten Späße, ſonſt Hauptvorzüge Lope de Vega's. Scheint auch in ſpäterer Zeit geſchrieben, wo ſchon Calderon die langen Reden und ihre blumigen Ausſchmückungen in Mode gebracht hatte.
El juez en su causa.? Ein ungemein lebendiges Stück. Die Begebenheit novellenartig übereilt, aber reich und gut gegliedert. Die Situationen mannigfaltig und eindringlich, die Figuren ſcharf von einander geſchieden und einen weiten Raum von Exiſtenzen umfaſſend. Das Ganze auf ein Publikum berechnet, das intereſſirt ſein und empfin⸗ den, aber ſich dieſer Empfindung nicht in dem Zwang einer nachgeäfften Wirklichkeit, ſondern im freien Spiel des Märchens und der Fabel bewußt werden will. Es
1 Die Eiferſucht vermag mehr als die Liebe. 2 Der Richter in eigener Sache.
Seeler Lem een een In den embustes di
ſich ſelbſt über die Freiheiten Theatereinrichtung und Wahr
an der Thüre des Senators a die Bühne zu verlaſſen, mit des Kaiſers, da ſagt er denn
cerca llegue& por Este es palacio,
Neron nuestro er
que lo permite e
que desta industr
Porque si ac& no
fuera aqui la rela
tan mala y tan s
que ninguno la e
Das ganze Stück von einer u Die großartige Sinnlichkeit die bert, was in ihre Nähe kom ſchmähten, die hintergangenen L Haſſes ſich gleich wieder nan
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Gräßlichen ſpielt, und am Ende ſich gegen das Gute zu wenden ſcheint. Man muß ſagen: ſcheint, denn gegen das Ende ſind offenbar mehrere Scenen verloren gegangen, die der Herausgeber durch Wiedereinſchaltung früherer, nach einer anderen Lesart, ausgefüllt hat. Dieſer Umſtand zeigt, wie man mit dem Druck dieſer Komödien überhaupt ver⸗ fahren iſt, und daß wir kaum berechtigt ſind, aus dem, was wir haben, ein Urtheil über Lope zu fällen. Daneben die Figur des kindiſch verliebten alten Senators, die nichts⸗ nutzige Zofe mit ihrem ſcharfen Verſtand bei aller Unver⸗ ſchämtheit, und die doch wieder zur Närrin des Burſchen Fabricio wird, in den ſie verliebt iſt.
Contra valor no ay desdicha. ! Die Geſchichte der Jugend des Cyrus. Von vorn herein recht gut und natürlich. Ein wenig ſonderbar, daß Aſtyages, da man ihm von dem Scherzkönige der Hirten erzählt, ſogleich auf die Idee geräth, daß es ſein Enkel ſein dürfte, den er getödtet glauben muß. Das Uebrige ordentlich und ganz in der milden Art des Lope, daß das Gräuelmahl des Harpagus nur erzählt und zwar jo ſchonend als möglich erzählt wird. Gegen den Schluß geſtaltet ſich das Ganze etwas ſonderbarer, um den abſtrakten Titel zu rechtfertigen. Derlei Ideologien mögen dem ſchlichten Lope durch das Beiſpiel ſeines jüngern Mitwerbers Calderon aufgedrungen worden ſein, in ſeiner Anlage kommt derlei nicht vor. Die Viſion im dritten Akte ſieht auf dem Papiere ſonderbar aus, durch das Spiel und Haltung konnte ſie aber wirkſam genug werden. Wenn dabei ein Komet über das Theater geht, ſo muß man den Dichter um ſein anſprucharmes Publikum beneiden.
1 Gegen die Tüchtigkeit kämpft das Unglück vergebens.
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In der Viſion eine ſchöne Stelle, wo von einem See. ſturm die Rede iſt:
Con remolinos pretende
el mar, que la nave suba
& la que argentan estrellas
por escalas de agua turbia. !
In einem andern Stücke vergleicht er noch viel vor: trefflicher die See, die ein Schiff herumſchleudert, mit einem Stiere, der einen Menſchen auf den Hörnern ſpießt. (Es iſt in juez en su cause). 2
Las Batallas del duque de Alva. 3 Ein ſehr artiges Stück, auf die Sage gegründet, daß zur Zeit der Belagerung von Granada, in den Gebirgen der Peña de Francia, ein wilder Stamm gefunden worden ſei, der noch von flüchtigen Gothen aus der Zeit der mauriſchen Erobe: rung herrührte. Das Ganze beinahe aus nichts gemacht. Die Wilden ſehr gut gehalten. Die übrigen Charaktere nach Lope's Art durchaus nicht ſcharf umriſſen, und doch ſo individualiſirt, daß ſie Niemand gleichen, als ſich ſelbſt. Dieſer völlig vornehme Herzog von Alba, dieſer Liebhaber in ſeiner Hausofficiantenhaltung, dieſe Geliebte, an der eben auch nichts Beſonderes iſt, und die durch die Lage zu einer Art Heldin wird. Wie klug er einlenkt, wenn der Spaß aufs Höchſte geſtiegen iſt, und die als Mann verkleidete Brianza, die Mutter geworden iſt, ihrer wilden Geliebten weiß macht, daß in Spanien die Männer ſchwanger werden und gebären.
1 Mit Wirbeln fordert das Meer, daß das Schiff auf Treppen von trübem Waſſer dorthin emporſteige, wo die Sterne filbern leuchten.
2 Richter in eigener Sache.
3 Schlachten des Herzogs von Alba.
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Las cuentas del gran Capitan. 1 Vortrefflich. Einmal der gran Capitan, das Ideal eines Spaniers aus der guten Zeit der Nation. Vor allem aber König Fernando. Ganz wie er war. Mißtrauiſch, argwöhniſch, ohne daß es dem Eintrag thut, was ſein Zeitalter an ihm verehrte. Die beiden Hauptmomente, das Duell, das der Kapitän ſtatt ſeines für feig gehaltenen Neffen über⸗ nimmt, in dem er ihn ſelbſt durch Anbohrung des Nachens in Gefahr ſetzt, zu ertrinken, ja ihn wohl gar ertränken will; dann die Ablegung der Rechnung, von der das Stück den Titel führt, wohl zu leicht angedeutet, ja im Augenblicke der Darſtellung kaum ganz auffaßbar und daher unklar.
Es wird aber mit Recht vorausgeſetzt, daß Haltung und Spiel des Schauſpielers das Fehlende ergänzten. Die Schlußſcene, wo der gran Capitan an der Tafel der Könige ſpeist, wohl allerdings die kunſtgemäße höchſte Verklärung des Helden, aber daß deßhalb eigens die Perſonen, die wir zwei Minuten vorher in Neapel ver⸗ laſſen haben, nach Frankreich verſetzt werden, eine der dramatiſchen Wildheiten, die der Zeit angehören, Lope aber ſo ſchreiend ſich dennoch ſelten erlaubte.
El piadoso Veneciano. ? Anfang und Ende ſehr gut, die Mitte ſchwach. Anfangs beſonders der Charakter der tugendhaften Gattin und die Art, wie ſie die Be⸗ werbungen des vornehmen Verführers von ſich weist. Am Schluß vortrefflich, wie der mittlerweile herangewachſene Sohn des letzteren, in der Abſicht, den Tod ſeines Vaters zu rächen, das Haus der verarmten und vereinſamten Lucinda aufſtört und ihm nun ihre Tochter entgegentritt,
1 Die Rechnung des gran Capitan. 2 Der barmherzige Venetianer.
das Abbild ihrer Mutter. Wie er, von ihrer Perſönlich⸗ keit getroffen, das Vergehen ſeines Vaters und die Rache des beleidigten Gatten begreiflich findet. In der Perſon der Kinder ſich das Verhältniß der Eltern wiederholt, aber gegenſeitig und rechtlich. In der Vereinigung der beiden finden die vorhergegangenen Unthaten Abſchluß und Verſöhnung.
La santa liga ! von Lope de Vega. Die Seeſchlacht von Lepanto mit den ihr vorausgehenden und ſie beglei⸗ tenden Begebenheiten, dramatiſch behandelt. Der Kaiſer Solim mit ſeinen Liebſchaften, ſeiner Weichlichkeit und der durch alles dieß verurſachten Uneinigkeit unter ſeinen Feldherrn, iſt gewiſſermaßen der Träger der Handlung. Die Epiſode von der in Sklaverei gerathenen Conſtancia nicht bedeutend, ja dort, wo die beiden türkiſchen Feld⸗ herrn aus Liebe zu ihr in Zwiſt gerathen, als gar zu ſpaniſch⸗komödienhaft, wohl gar ſtörend. Dagegen ihr Kind, das alle Zumuthung, Mohamedaner zu werden, und das cortar cierta cosa? ſtandhaft zurückweist, gewiß ungeheuer wirkſam für Spanier und jene Zeit. Die Scene, wo Solim den Schatten ſeines Vaters ſieht, groß⸗ artig. Sehr gut wird man in ſchnell wechſelnden Scenen durch Geſpräche einmal von Türken, dann von Chriſten in der Kenntniß vom Gang der politiſchen und kriege⸗ riſchen Begebenheiten gehalten.
Vortrefflich endlich die Art, wie der Zeitverlauf der Schlacht ſelbſt durch ein Geſpräch der perſonificirten drei chriſtlichen Nationen, Espada, Venecia, Roma, ausge: füllt wird, indeß man im Hintergrunde den Papſt knieend für das Glück der chriſtlichen Waffen beten ſieht. Den
1 Die heilige Liga. 2 Ein gewiſſes Ding beſchneiden.
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Schluß machen zwei Spaßmacher, truhanes, die den Sieger mit wahrſcheinlich damals gangbaren Volksliedern empfangen:
Muera el perro Soliman
Vivan Felipe y don Juan. 1
Uchali, wenn er aus der Schlacht entflieht, ruft am Schluß einer längeren Jammerrede:
Llevadme ä Argel, reniego de Mahoma O & Meca, porque alli sus huessos coma! ?
Da mußte wohl das Publikum vor Freude außer ſich kommen!
In der Beſchreibung der Schlacht eine vorzüglich lebendige Stelle:
Ya paran el son horrendo Culebrinas y bombardas.
A cuja musica fiera
Cuerpos por el ayre danzan. 3
El favor agradeeido.“ Sehr gut der Zug in der Nachtſcene, wo der furchtſame Gracioſo, der beim erſten Zuſammentreffen der beiden Nebenbuhler, deren Einer ſein Herr iſt, die Flucht genommen hatte, das zweitemal, nachdem er ſich gewaltſam in Zorn geſetzt hat, kaum zurückzuhalten iſt, drein zu ſchlagen, obgleich ihm ſein Herr begreiflich macht, daß es gar nicht mehr Noth thue. Derlei Meiſterzüge bei Lope ſehr häufig.
1 Es ſterbe der Hund Selim, hoch leben Philipp und Don Juan!
2 Führt mich nach Algier, ich fluche Mohammed und Mekka und will ſeine Knochen verzehren.
3 Schon ſchweigt der gräßliche Schall der Feldſchlangen und Donner⸗
büchſen, bei deren wilder Muſik die Körper durch die Luft tanzen. 1 Die dankbar empfangene Gunſt.
Uebrigens die Geſchichte jener Königin (aus der Heca- tomiti glaub’ ich), deren Liebhaber von einem Nebenbuhler getödtet wird und die ihre Hand Jenem verſpricht, der ihr den Mörder liefere. Da ſtellt ſich dicſer ſelbſt und fordert den Preis, der ihm auch zu Theil wird.
Ich habe das Stück beim Leſen ſo mit eigenen Ge⸗ danken vermiſcht, daß ich nicht weiß, ob es gut iſt, oder nicht.
La hermosa Ester. 1 Grüne Augen offenbar ta: mals eine Schönheit in Spanien, denn Ahasverus ver⸗ gleicht die Augen der Königin Vaſti mit Smaragden (Esmeraldas). (Auch bei Calderon iſt oft die Rede von grünen Augen.)
Dieſe hermosa Ester ſcheint dem Anfange nach zu urtheilen ein vortreffliches Stück zu ſein. Wie das orien⸗ talſch Deſpotiſche in dem Verfahren Ahasverus dadurch gemildert wird, daß eigentlich ſeine Hofleute es ſind, die ihn bereden, die Königin Vaſti zu verſtoßen, daß ſie es ſind, die Befehl geben, alle Jungfrauen von Schönheit und Verſtand ſollten der Wahl des Königs geſtellt werden, indeß er ſelbſt, in dem Andenken an die verſtoßene und dennoch geliebte Vaſti, ſich unglücklich fühlt. Einem neuern Dichter wären dieſe Milderungen nahe gelegen, Lope de Vega aber müſſen ſie hoch angerechnet werden.
Welche ruhige Schönheit in dem Geſpräche zwiſchen Eſther und Mardochai. Wie herrlich das Gebet der Eſther und wie glücklich der Entſchluß Eſthers, ſich vor den König zu ſtellen, aus dem Wunſche abgeleitet, ihrem leidenden Volke nützlich zu ſein.
Im Uebrigen auch ſehr gut. Vortrefflich der Gegen:
I Die fhöne Eher.
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ſaß Hamans und Mardochai's. Wie der eitle Haman ſich beinahe körperlich krank fühlt über den Gedanken, daß ein Mann im Lande ſei, der ihm die ſchuldige Achtung erfage Die Scene, die wirklich auf dem Theater vor: eht, wo Haman das Pferd am Zaume führt, auf dem tardochäus im Triumphe einherzieht und beide ſich über re Lage in kontraſtirenden, länger fortgeſetzten Reden Bern, voll von jener naiven Sinnbildlichkeit, die im S cæmatiſchen von ſo großer Wirkung iſt, wenn das Publikum > einmal aus jener engen franzöſiſchen Wahrſcheinlichkeit TQusgedacht hat, die der Zerſtörer alles Großartigen
Der Gang des ganzen Stückes überhaupt unſchuldig O ſimpel, wie die Quelle, aus der es genommen.
Dieſer Lope de Vega bemeiſtert ſich meiner mehr, als Tem Dichter neuerer Zeit gut iſt. Er iſt die Natur Tyſt, nur die Worte gibt die Kunſt. Wir aber wiſſen it der geſunden Natur nichts mehr zu machen, höchſtens ‚re Extreme ſetzen uns in Spannung.
El leal eriado.! Der erſte Akt ſehr gut, die zwei genden ebenſo matt. Ueberhaupt der erſte Akt unver⸗ ältnißmäßig ausgebildet, ein hors d'œuvre, ein Stück ir ſich. Es iſt ein Fehler, dem Lope in der Exuberanz eines Genies häufig ausgeſetzt iſt, daß er die feiner Fabel orausliegenden Begebenheiten, die etwa in einer einzel⸗ en Scene hinlänglich exponirt wären, gern zu einem anzen Akte anſchwellt, der ſich dann zu dem Ganzen iehr wie ein Vorſtück zum Nachſtücke, als wie ein erſter (ft zu den übrigen Akten verhält. Mangel an Einheit er Handlung iſt daher ſein häufigſter Fehler. |
Im cavallero del sacrameuto ? wirft ſich Lope de
1 Der treue Diener. 2 Ritter des Salramentes.
160 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Vega auf einmal in den hochtrabendſten Bombaſt (1. Akt: Scene zwiſchen D. Luis und D. Gracia), er, der ſonſt, ver: gleichungsweiſe, ſo einfach und natürlich iſt. Vielleicht iſt das Stück eines ſeiner ſpätern, und er wollte ſeinen Landsleuten zeigen, daß er auch ſo hochpoetiſch ſein könne, als Calderon und Andere.
Luis de Moncada iſt eben im Begriff, ſeine Geliebte zu entführen, als er erfährt, daß eine naheſtehende Kirche in Brand gerathen ſei. Er verläßt das Mädchen, ftürzt in das brennende Gebäude und iſt glücklich genug, „den Herrn des Himmels und der Erde“ (die konſekrirte Hoftie) aus der Flamme zu retten. (Er nennt ſich daher auch in der Folge: den Aeneas ſeines Gottes.) Ja ſeine Euſebie geht ſo weit, daß, nachdem jenes Rettungswerk vollbracht, er doch Anſtand nimmt, zur Geliebten zurückzukehren, um nicht die Hand, die das Berühren ſeines Gottes geheiligt, unmittelbar darauf durch irdiſches Thun zu entweihen. Dona Gracia fühlt ſich beleidigt und heirathet den König von Sicilien.
Die Königin gibt ihrer Muhme, die gleichfalls in D. Luis verliebt iſt, eine Ohrfeige, und dieſe, aus Rache, verräth dem Könige die Anweſenheit des ehemaligen Lieb habers ſeiner Frau. Der König iſt im Begriff, den Nebenbuhler verbrennen zu laſſen. Da ruft eine Stimme: ſo rette ich den, der mich gerettet, und D. Luis und Criſpin verſchwinden durch die Luft. Sie kommen gerade zu rechter Zeit nach Barcelona, um die Franzoſen zu ſchlagen, die eingefallen ſind. Der Kronprinz bleibt, der regierende Graf ftirbt aus Gram. D. Luis folg ihm nach u. ſ. w.
Al senado le enfadan cumplimentos: ! das Bublitum
1 Wörtlih: Den Senat langweilen Komplimente.
Ueber Lope de Bega's dramatiſche Dichtungen. 161
liebt keine Weitläufigkeiten, am Schluß des verdadero amante 1 von Lope de Vega, könnte man als Motto über alle ſeine Komödien ſetzen. Sein Publikum wollte keine weitläufigen Motivirungen und Herbeiführungen; die Situation und ihre intereſſante Durchführung war alles, was ſie verlangten, und das hat Lope geleiſtet wie Keiner.
Er beklagt ſich ſelbſt (in der Vorrede zum 15. Bande), wie es ihm gar nicht mehr möglich ſei, ſeine Stücke auf ihre urſprüngliche Geſtalt zurückzubringen, ſo ſeien ſie von Andern geändert und verunſtaltet worden.
Als ob er für heutige Deutſche geſchrieben hätte, ſagt er bei dieſer Gelegenheit: caso notable, que tengan muchos por bueno aquello solo, que no entienden: ereo que tienen razon: porque desconfiando de sus juycios les paresca cosa de poco ingenio, la que con facilidad alcanza el suyo. ? |
Es ſchwebt ein eigenes Unglück über Lope de Vega. Da iſt dieſe mal casada.3 Die erſten beiden Akte fo ſchön, der Dialog ſo vortrefflich, die Empfindungen ſo wahr, als je irgend etwas geſchrieben worden iſt, und der dritte Akt ein ſo vollkommener Unſinn, daß der letzte Schmierer ſich deſſen ſchämen würde. Alles Folge ſeiner Vielſchreiberei und Uebereilung. Aber unbeſchreiblich iſt der Zauber dieſer beiden erſten Akte, den ich mit nichts vergleichen kann.
1 Wahrhafte Geliebte.
2 Merkwürdigerweiſe halten Viele nur das für gut, was fie nicht ver⸗
ſtehen, ich glaube, daß ſie Recht haben, denn, ihrem eigenen Urtheile miß⸗ trauend, ſcheint ihnen das nicht geiſtreich zu kin was ihr eigener Geiſt leicht verſteht.
3 Uebel Bermählte.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 11
— —— —
den Inhaltes, der
des Don Quixote ft, fı einem unmündigen Buk erwähnenswerth, die, ir reden, doch eine ſolche L endlich auch auf dem Söl Lage gefunden werden, ſchließlich mit einander zu ſtändig, ja unſittlich, aber und — ich babe kein ant Süßigkeit geſchrieben, da ſpaniſcher Sprache ſo etwas derlei etwas ſchlüpfrige Stel
Wenn Jemand in Lope
für die Wahrheitstreue de; könnte man ihn ſehr gut au ihr Gemahl und Landesfür liefern, um ſie zu tödten, . wirklich ausliefert, ſcheint den Lope iſt aber dem Geiſte der al und der Meinung treu gebli dieſer Frau (Grifelhiar na.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 163
Dios hace reyes.! Herzog Otto von Polen und ſein Vertrauter Floriberto treten auf. Man erfährt, daß Otto ein Gegner des eben erwählten Kaiſers Konrad iſt, und Floriberto gibt ihm den Rath, ſich, da die Partie nun ſo ungleich ſtehe, zu unterwerfen und Verzeihung anzu⸗ ſuchen.
Ein Diener meldet einen fremden Ritter an. Er trifft ein. Es iſt Graf Leopoldo mit ſeinem Weibe Eſtela auf der Flucht vor den ſiegreichen Waffen des Kaiſers, nur eben jetzt beſiegt. Der Muth beider iſt aber noch nicht gebrochen, ſie ſinnen neuen Widerſtand, ja Leopoldo hofft mit Otto's Unterſtützung wohl noch einmal den Kaiſer vom Throne herabzuſtürzen. Otto zeigt ſich von gleichen Geſinnungen belebt. Als aber das flüchtige Paar ſich entfernt hat, findet Floriberto's Einflüſterung, daß durch ihre Auslieferung an den Kaiſer die Verſöhnung mit dieſem am vortheilhafteſten eingeleitet werden könnte, nur zu ſchnellen Eingang, und die Einwürfe der Ehre werden durch die razon de estado ? ſiegreich bekämpft. Hierauf werden wir unter die Fenſter Fauſtina's verſetzt, der der ſiegreiche Kaiſer auf gut ſpaniſch den Hof macht. Nach einem kurzen Geſpräch mit ihr, erſcheint Otto's Vertrauter Floriberto und bietet ihm die Auslieferung des flüchtigen Rebellen an. Scheinbar einwilligend, ſendet doch der Kaiſer, ſobald Jener ſich entfernt hat, ſeinen Diener Leonido, um den Grafen Leopold von dem Verrath zu unterrichten.
In einem Geſpräche Otto's mit einem andern ſeiner Vertrauten, Albano, erfahren wir, daß der wetterwen⸗ diſche Herzog von der Schönheit Eſtela's, der Gattin
1 Gott macht die Könige.
2 Staatstlugheit.
164 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Leopoldo's, bezaubert worden iſt. Dazu kommt das r folgte Ehepaar und ſetzt durch feinen lebhaften Dank f den gewährten Schutz das Schändliche in Otto's Ben men in noch grelleres Licht. Floriberto, zurückgekomme ſetzt durch ein Aparte in Gegenwart der Verrathenen d Herzog vom Erfolg feiner Plane in Kenntniß. Man t ſchließt, Leopoldo noch in derſelben Nacht gefangen; nehmen. Sie gehen, und während Leopoldo noch einm. ſeinen Dank ihm nachſpricht, kommt des Kaiſers Diener Leonido mit der blutigen Enttäuſchung. Leopoldo ke: ſchließt, zu fliehen, und fühlt den Groll gegen feinen groß müthigen Feind mit einemmale verſchwinden.
Der Kaiſer und Fauſtina, Liebesgeſpräch. Wir er⸗ fahren, daß die Kaiſerin ſchwanger iſt. Fauſtina wünſcht ihm einen Sohn und Erben. Da meldet ein Diener, daß die Kaiſerin, von Eiferſucht gekränkt, mit einem todten Prinzen niedergekommen ſei. Der Kaiſer, außer fi, ver: wünſcht Liebe und Eiferſucht. Eine Art Zerſtörungsluſt bemächtigt ſich ſeiner. Er geht auf die Jagd, die Leiden ſchaften mit wilden Thieren vergleichend und verwechſelnd.
Amarilis und Laura, ein Liebespaar, treten auf. Dazu die Köchin Silvia und der Rüpel Bato, der eben wegen Näſcherei aus der Küche gejagt worden iſt. Komiſche Er: zählung des Vorgangs. Hierauf Leonido, der eine Unter⸗ kunft für den Grafen Leopoldo und Eſtela ſucht. Bato ſieht durch dieſe Ankömmlinge ſeinen Antheil am Abend⸗ mahle verkürzt, und da er hört, daß die Frau ſchwanger und nächſt am Gebären ſei, wird auch das Ungeborne unter die Gäſte gezählt. Leopoldo und Eſtela kommen und werden ins Haus geführt. Zu Bato, der allein bleibt, kommt Laura mit der Nachricht, die Gräfin habe einen Knaben geboren.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 165
Der Kaiſer mit Jagdgefolge. Neue Verzweiflung Bato's. Silvia und Amarilis bringen das neugeborne Kind. Sie beſprechen es, wie nur Lope es kann:
Amarilis. Bendigalo el cielo, amen!
z Que cara? Silva. Es un angel bello. Amarilis. z Que oyos? y z que cabello?
vida los cielos te den. Silva. Es hecho de mil pinceles
de mil oros, de mil platas. Amarilis. Parece, que sobre natas
han deshojado claveles
‚que dezis? riendo esta.
z Ay tal gracia? 1
Der Kaiſer befiehlt, das Kind ihm zu bringen, das ihm ſo viel Neid erregt. Indem er es bewundert und lieb⸗ kost, ruft eine Stimme von innen: Dieſer wird dein Nachfolger ſein. Der Kaiſer entſetzt ſich, hofft aber doch, es könne eine Täuſchung geweſen ſein. Da wiederholt dieſelbe Stimme: Er wird nach dir regieren! Nun be⸗ ſchließt der Kaiſer, das Kind zu tödten, und übergibt es Leonido zu dieſem Ende. Die Andern aber macht er
1 Amar. Der Himmel ſegne es, Amen!
Was für ein Antlitz!
Silv. Eß if ein ſchöner Engel.
Amar. Welche Augen? und welches Haar? Der Himmel ſchenke dir das Leben.
Silv. Es if mit tauſend Pinſeln von tauſendfachem Gold und Silber gemacht.
Amar. Als hätten Nelken ihre Blätter auf Milch fallen laſſen. Was ſagſt du? Es lacht, gibt es ſolche Anmuth?
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glauben, er habe es zu einer Wärterin geſendet, meld unter feinem Gefolge ſich befinde. Graf Leopoldo kom und flattet dem Kaiſer den Dank für feine Verzeihur ab. Da der Kaiſer ſich entfernt hat, fragt Leopoldo u: ſein Kind, und nun glaubt dieſer zu erkennen, der Tyran habe an dem unſchuldigen Sprößling die Vergehen di Vaters rächen wollen. Vortreffliche Scene. Er eilt for den Mörder zu tödten oder ſich ſelbſt dem Tode anzu bieten. Die Zurückgebliebenen ſprechen ihre Beſorgni aus, das Ereigniß werde der Gräfin den Verſtand ode. das Leben koſten. Bato ſchließt den Akt mit der Hof nung, bei der allgemeinen Verwirrung alleiniger Verzehrer des Abendeſſens zu bleiben.
Den zweiten Akt eröffnet Leopoldo, jetzt ſchon alt, in Felle gekleidet, von Enrique verfolgt, der ihn für ein wildes Thier hielt. Wir erfahren, daß Leopoldo's Gattin, Eſtela, deſſelben Tages geſtorben ſei, und Enrique, allein geblieben, öffnet die Thüre einer Höhle, in der man die Verſtorbene, in Felle gekleidet und ein Buch in der Hand, in ſitzender Stellung erblickt. Enrique fühlt ſich von dem Anblicke wunderſam ergriffen, und er nimmt das Buch aus den Händen der Leiche, um etwas Näheres von den Schickſalen des merkwürdigen Paares zu erfahren.
Doriſta und Luzela. Letztere ſpricht in einer wunder⸗ hübſchen Stelle ihre Liebe zu Enrique und ihre Hoffnungs⸗ loſigkeit aus. Man merkt bald, daß Doriſta, Enrique's vermeintliche Schweſter, was die Liebe betrifft, in einem gleichen Falle iſt. Enrique kommt, er hat in dem Buche die Geſchichte ſeiner Eltern geleſen, von denen er aber noch nicht weiß, daß ſie es ſind, ſo wie er in Doriſten bald ſeine Schweſter ſieht, bald die Wünſche des Lieb⸗ habers gegen ſie empfindet. Er hat einige Ahnung, daß
Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 167
er der ausgeſetzte Sohn Leopoldo's ſein könne. Sowohl um dem Widerſtreit feiner Empfindungen zu entgehen, als Gewißheit über ſich ſelbſt zu erhalten, beſchließt er, in die Welt und zwar an den Hof zu gehen.
Der Kaiſer mit dem Pfalzgrafen Roland und Gefolge tritt auf. Der Herzog von Polen, Otto, hat neuerdings Unruhen erregt. Der Kaiſer beſchließt, ein Heer gegen ihn zu ſenden, und der Pfalzgraf erhält das Kommando. Aus den Aeußerungen des Kaiſers, namentlich aber aus einem Monologe Rolands geht hervor, daß dieſer die Hand von des Kaiſers einziger Tochter Teoſinda und mit ihr die römiſche Königskrone zu erhalten hofft.
Enrique, angelangt, trifft mit einem Diener des Pfalz⸗ grafen Rufino zuſammen und wird nach einigen recht guten Wechſelreden über Hof und Welt, von jenem unter dieſelbe Dienerſchaft aufgenommen. Sie gehen, und Doriſta tritt in Männertracht auf. Sie hat aus Liebe zu Enrique ihren Vater verlaſſen und beſchließt, erſteren aufzuſuchen. Einige Hofherren kommen, von einer Verſammlung ſich unterhaltend, die der Kaiſer angeſagt und in der, wie ſie vermuthen, er den Gemahl ſeiner Tochter und ſeinen Nach⸗ folger bezeichnen werde. Doriſta wendet ſich fruchtlos an ſie um Auskünfte über ihren Bruder. Rufino, der zurück⸗ bleibt und dem der junge Menſch gefällt, nimmt ihn in Dienſt als Page für Enrique. Einige nicht gar ſaubere, aber ſehr komiſche Andeutungen über das Pagenleben. Er fragt fie:
zTeneis sarna?
Dor. No.
Ruf. Pues bien luego no estais graduado de page.
Dor.
Ruf.
Dor.
No, que he estudiado limpieza.
Hermoso desden! ;Sin sabanas muchas noches avreis dormido?
Callad que es muche riguridad. Poyos y caxas de coches ya os deben de conocer. Camisa, una, y ninguna mientras se lava, si alguna os haze tanto placer. ;Alcahuete? ya avreis sido. deste oficio. Bien supiere u. ſ. w. 1
Verſammlung der Großen des Reichs, der Kaiſer er: klärt ſeinen Entſchluß, einen Nachfolger zu ernennen. Die Prätendenten prahlen jeder, ſo gut er kann. Der Kaiſer läßt einen Lorbeer bringen (laurel, wohl Kranz oder gar Krone). Die Aeußerungen der Bewerber haben ihn mif- trauiſch gemacht. Indem er wählend herumblickt und end⸗
I Nuf. Dor. Ruf. Dor. Nuf.
Dor. Ruf.
Habt Ihr die Krätze?
Nein. N
Nun wohl, dann ſeid Ihr als Page nicht graduirt.
Ich habe mich der Reinlichleit befleißigt.
Zu was ſo zimperlich! Ihr werdet viele Nächte ohne Ben⸗ tuch geſchlafen haben.
Schweigt, das iſt zuviel. a
Steinbänle und Nutſchenkaſten werdet Ihr ſchon noch kennen lernen. Ein Hemd, und während man ſich wäſcht keines, wenn Euch an dieſem etwas daran liegt, und habt Ihr Euch im Kupplergeſchaft ſchon umgethan?
3 werde wiſſen u. ſ. w.
Ueber Lope de Bega’8 dramatiſche Dichtungen. 169
h fich beſtimmt, fällt ihm der Kranz aus der Hand. wique, der dienend daneben ſteht, hebt ihn auf. Der fer, wahrſcheinlich darin eine Vorbedeutung ſehend, igt ihn, wer er ſei. Enrique erzählt mit kurzen Worten n Schickſal, und daß er weder Vater noch Mutter kenne. er Kaiſer hebt die Verſammlung auf, verfügt aber zu⸗ rich, daß die Grenzen ſeines Reiches künftig Jedem terfagt ſein ſollen, der feine Eltern nicht anzugeben rmag. Ja er verbannt Enriquen, wenn er binnen drei igen dieſer Forderung nicht genüge. Enrique antwortet nz ruhig: Gran Senor, Dios haze reyes, y los hombres res. 1
Es wird ihm ſein junger Page vorgeſtellt. Beide er⸗ inen ſich, verheimlichen es aber. Auf die Ermahnung ufino's, nicht traurig zu fein, erwidert Jener:
Bien dices Dios haze reyes, que temo los leyes, que hazen los hombres & su voluntad sujetos. ?
Im dritten Akt ſehen wir das gegen Herzog Otto ge- dete Heer unter Rolands Anführung, ſiegreich zurück⸗ ren. Enrique hat ſich ausgezeichnet, auch Doriſta als ige Celio wird rühmlich erwähnt. Der Kaiſer aber, gefordert, Enrique zu belohnen, beharrt darauf, erſt ſſen zu wollen, wer ſein Vater geweſen ſei.
Rufino, mit Enrique zurückgeblieben, gibt dem Jüng⸗ ig den Rath, irgend Jemanden zu ſuchen, der ſich für men Vater ausgeben wolle. Graf Leopold, der in
1 Hoher Herr! Gott lenkt und der Menſch denkt.
2 Wohl fagft du, Gott macht die Könige, denn ich fürchte die Ge⸗ je, welche die Menſchen, den ihrem Willen Unterworfenen, vorſchreiben.
170 Studien zum ſpaniſchen Theater.
ſtandesgemäßen Kleidern eben dazukommt, wird um den Liebesdienſt angegangen, und er iſt bereit dazu, um fo mehr, als die beiden ſich von ihrem Jagdabenteuer her wieder erkennen und der Graf eine Ahnung hat, daß Jener wirt lich ſein Sohn ſein könnte. Auch Doriſta ſoll wieder weibliche Kleider nehmen und für Enrique's Schweſter gelten.
Zu Rufino kommt der Pfalzgraf Roland, und da er Doriſta's Umwandlung erfährt, zeigt jich“, daß er Neigung gegen ſie fühle, die Rufino auf Kupplerart ans Ziel zu bringen verſpricht.
Zum Kaiſer, der trübſinnig eintritt, kommt der Pfalzgraf Roland und macht ihm die heftigſten Vor⸗ würfe über ſeine Undankbarkeit, und daß er ihn nicht zum Nachfolger beſtimmt, wie beſchloſſen war. Er geht, und der Kaiſer, höchſt erzürnt, äußert, er wolle jene Wahl ſo ſehr von ſeinem eigenen Gefallen abhängig machen, daß ſie den erſten Soldaten treffen ſolle, der eintreten werde. Kaum ausgeſprochen, tritt Enrique ein, was denn der Kaiſer als eine neue Vorbedeutung auf: nimmt.
Enrique iſt eigentlich gekommen, um dem Kaiſer ſeinen improviſirten Vater Leopoldo vorzuſtellen. Da dieſer auf die Fragen des Kaiſers über ſeine eigene Abkunft ſich ausweichend erklärt, erwacht in Jenem von Neuem die Idee, daß er in Enrique doch vielleicht den ihm Gefahr drohenden Sohn ſeines alten Feindes vor ſich habe.
Die Gunſt, die der Pfalzgraf Roland verſcherzt hat, wendet der Kaiſer dem Herzog Celio zu. Er befiehlt feinem Sekretär, eine Ausfertigung zu deſſen Gunſten herbeizu⸗ holen, die in ſeinem Kabinette liegt, wo ſich auch eine zweite für Enrique befinde. Herbeigebracht, händigt der
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iſer die beiden Gnadenbriefe aus und geht. Dabei chah aber eine Verwechslung, denn als Herzog Celio ; feinen liest, findet er darin eine Schenkung von zehn: iſend Dukaten, worüber er in Wuth geräth und Auf: r und Verderben droht, indeß Enrique fi zum Grafen i Schwaben ernannt ſieht, dem erſten Fürſtenthum utſchlands.
Rufino macht Doriſten in des Pfalzgrafen Namen träge, die dieſe zurückweist. Sie geht. Der Pfalzgraf amt und erfährt von Rufino ſowohl die Abweiſung ier Bewerbungen, als Enrique's Standeserhöhung. In⸗ W Rufino auf etwas Gewaltthätiges gegen Doriſten zu nen ſcheint, hat dagegen die veränderte Lage der Per⸗ en offenbar günſtigen Einfluß auf die Geſinnungen des alzgrafen gehabt.
Nach einer kurzen Scene zwiſchen dem Kaiſer und fino, in welcher letzterer endlich auch zu einer Belohnung zweitauſend Dukaten kommt, überlegt Konrad, wem ſeine Tochter zur Ehe geben ſoll, und beſchließt endlich, dem Grafen (wahrſcheinlich meint er den Pfalzgrafen) geben.
Da tritt Enrique plötzlich ein und dankt ihm für dieſe ie Gnade. Da du deine Tochter dem Grafen geben Üſt und mich eben zum Grafen gemacht haſt. — Zum afen? Das Mißverſtändniß durch die verwechſelte Schrift lärt ſich. Der Kaiſer begreift, daß gegen ſo viele Schick⸗ snöthigungen kein Mittel bleibt, als die Tödtung des ägers jo vieler Anzeichen.
Er befiehlt ihm, einen Brief der Kaiſerin zu über⸗ ngen, und geht hin, dieſen zu ſchreiben.
Während einer Scene in Leopolds Hauſe, da der alzgraf ihm und Doriſten ſeinen Glückwunſch über
172 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Enrique's Standeserhöhung darbringt, dringt Rufinod mit drei Dienern, ſämmtlich verlarvt, ein und rauben Doriſten.
Enrique, auf dem Wege zur Kaiſerin, kehrt bei einen Schüler ein. Während er auf die Poſtpferde wartet und ſeinem Wirth auf die gutmüthigſte Art Protection am Hofe verſpricht, ſchläft er ermüdet ein. Der Schüler be: trachtet das kaiſerliche Schreiben, das Jener auf den Tiſch gelegt hat, und da er ſieht, daß man es eröffnen kann, ohne das Siegel zu verletzen, ſo thut er es. Er liest nun den Auftrag an die Kaiſerin, den Ueberbringer des Briefes augenblicklich tödten zu laſſen. Der gutmüthige Schüler radirt das Schreiben und ändert es dahin, daß die Kaiſerin den Ueberbringer auf der Stelle mit ihrer Tochter zu ver: mählen habe.
Die Kaiſerin mit ihrer Tochter Teoſinda. Enrique langt an. Die Kaiſerin liest den Brief, verwundert ſich, iſt aber bereit, zu gehorchen. Die Tochter deßgleichen, wenigſtens freut es fie, daß der Bräutigam gut ausſieht. Der Biſchof von Trier wird gerufen zur Vermählung.
Leopoldo und Doriſta; ſie fühlt, daß durch die ihr geſchehene Schmach, Enrique für ſie verloren iſt.
Dazu der Kaiſer und der Pfalzgraf. Der Kaiſer hat bereits erfahren, daß jenes Kind, das er vor Jahren zu tödten befohlen, nicht getödtet, ſondern nur ausgeſetz worden ſei.
Die Kaiſerin kommt und berichtet, daß ſie den erhal⸗ tenen Befehl ausgerichtet. — Alſo iſt er todt? — Todt? Verheirathet. Nur vor Kurzem gingen ſie zu Bette. Er liest den corrigirten Brief, erkennt die Hand des Himmels und beſchließt, einzuwilligen, da er nichts ändern kann. Leopoldo gibt ſich als der, der er iſt, und Enrique's Vater
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 173
zu erkennen. Die Vorbedeutungen ſind erfüllt. Das neue Ehepaar erſcheint, und ein zweites macht ſich im Pfalz⸗ grafen und Doriſten.
La disereta enamorada. 1 Der ſeltene Fall einer durchgeführten oder wenigſtens durch den Verlauf immer genährten Intrigue. In der That nicht von der feinſten Art, und trotz der Heftigkeit der Leidenſchaften in jener Zeit ſo ſtoßweiſe geführt, daß eben nur ein damaliges Publikum es für baar annehmen konnte. Der Anfang in der beſten Lope'ſchen Manier, bald wird aber auch die discreta enamorada in den wirbelnden Hexentanz hineingezogen.
Sehr witzig die Gaabhng der Gerarda, wie ſie, der ſchlechten Geſellſchaft (Compagnie) ihres Gatten überdrüſſig, ſich einen Fähndrich wählte, mit dem ſie in Wort und Werk ſechzehn Monate marſchirte, bis der Neid die Trommel ſchlug und der Gatte, um die Geſchüſalven auf ſeine Ehre zu hintertreiben u. ſ. w.
La Portuguesa.? Mag feiner Zeit ſehr gefallen haben, wenn die Heldin des Stückes eine vortreffliche Schauſpielerin war, die das Radbrechen des Portugieſiſchen graziös vor⸗ brachte. Sonſt lauter oft dageweſene Verwicklungen. Celia ſogar ohne jene Kunſt oder Natur (was auf eins heraus⸗ kommt), mit der ſonſt Lope derlei Figuren auszuſtatten weiß. Ob die Liederlichkeit jener Zeit ſo groß war, daß eine muger principal 3 vermummt zu einem Fremden aufs Zimmer kommt, um ſeine Bekanntſchaft zu machen, und ob daher das Ereigniß nur einen Schatten von Wahr⸗ ſcheinlichkeit hat, kann man jetzt nicht beurtheilen. Zuletzt
1 Die kluge Verliebte.
2 Die Portugiefin.
3 Vornehme Frau.
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regnet es die .improvifirten Heirathen, die Tauſende vt Dukaten und die allgemeine Zufriedenheit.
El maestro de danzar. 1 Ein armer Edelmann, d. ſich in eine der beiden Töchter eines reichen Hidalgo ver: liebt und, ohne Ausſicht, ſie zu erhalten, ſich im Hauſe als Tanzmeiſter aufnehmen läßt. Wer erwartet da nicht, daß er während der Lection ſich das Mädchen nach und nach geneigt machen wird? Aber beim erſten Zuſammen⸗ treffen hat ſie ſich ſchon in ihn verliebt und die Tanz lectionen dienen nur dazu, um verdächtiges Beiſammenſein zu maskiren. Daneben läuft eine Intrigue der ältern, bereits verlobten Schweſter, die einen andern Liebhaber der jüngern auf Rechnung dieſer letzten „genießen“ will. Der Tanzmeiſter trägt die Briefe hin und her, verwirrt die Sache und erzeugt ſehr wohlfeile und abgeſchmackte Verwicklungen. Die Tanzlectionen machten wohl, als Neuheit, den Hauptſpaß aus.
Lo que estä determinado. ? Ich ſchäme mich faſt, niederzuſchreiben, daß das Stück mit Ausnahme des dritten Aktes mich ſehr unterhalten hat. Ich ſchäme mich, denn es kommen darin ſo unerhörte Grauſamkeiten vor. — Ein Großvater, der ſeinen Enkel ermorden läßt wegen eines Traumes, der ihm Gefahr durch Jenen droht und der dann wieder auf die Vermuthung, daß ſein mit dem Mord Beauftragter den Auftrag nicht vollzogen habe, dieſem ſein eigenes Kind zum Eſſen vorſetzt — alſo dieſe unerhörten Grauſamkeiten haben mich nicht geſtört, weil die Sache dadurch in die Reihe der Kindermärchen kommt, die alle unerhört grauſam find. Zugleich find die ländlichen Ecenen und der erſte Akt, wie bei Lope alle erſten Akte, ſo gut,
1 Der Tanzmeiſter. 2 Was beſchloſſen if.
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daß es mir Vergnügen gemacht hat. Lope hat nicht ein⸗ mal allen Vortheil aus der allbekannten Fabel gezogen, ſondern begnügte ſich mit ſeiner bequemen Schleuderhaftig⸗ keit, ſich mit beliebten Knalleffecten abzufinden.
San Diego de Alcala. 1 Da iſt denn doch des Abſurden gar zu viel und nicht einmal das eingemiſchte Halbkomiſche, ſowie die vorkommenden Wunder ſchlagend genug. Da wir übrigens nicht den ächten Glauben haben, ſo können wir auch nicht begreifen, wie die damaligen Leute in derlei Stücken wie in einem Spiegel ſich ſelbſt und ihre Ueber⸗ zeugungen wiederfanden. Wahrſcheinlich zum Behuf irgend eines kirchlichen Feſtes geſchrieben.
Los donayres de Matico. ? Eines der ſchwächſten Stücke von Lope de Vega. Nicht als ob nicht andere eben ſo abgeſchmackt wären, aber kaum iſt eines ſo leer. Außer der Scene, wo Rugero im Lateiniſchen unterrichtet wird und ihm die Redetheile und Paradigmen Gelegenheit zu einigen Doppelſinnigkeiten und Wortſpielen geben, iſt kaum eine zweite, die irgend des Beachtens werth wäre. Daß zuletzt Prinz und Prinzeſſin, die aus Liebe von Hofe entflohen ſind und ſechs Jahre in der Wildniß gelebt haben, jedes mit einem Fremden ſich verheirathet, doch gar zu ſpaniſch.
El perseguido.3 Das iſt nun eines von Lope de Vega's guten Stücken. Die Charaktere bis auf das Ungemeſſene der Leidenſchaften und das Abenteuerliche, das nun einmal in der Nation, dem Geſchmacke der Zeit und in Lope de Vega ſelbſt liegt, vortrefflich gehalten. Namentlich dieſer Herzog Arnaldo. Auf dieſe Art die Mitte zwiſchen Güte,
1 Der heil. Jakob von Alcala.
2 Die Witzworte des Matico. 3 Der Verfolgte.
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Schwachheit und Ehrenhaftigkeit zu halten, iſt nur dem wahren Dichter gegeben. Jede einzelne Aeußerung hängt durch innere Anſchauung mit den gegebenen der Figur zuſammen. Die Herzogin kann von vorneherein mit der Phädra in die Schranken treten, ſpäter wird ſie uns zum Scheuſal; war es aber nicht in einer Zeit, wo die Rad: ſucht noch als in ihrem vollen Rechte galt. Der ſchwächſte Theil, Leonora da, wo fie von der äußerſten Heftigkeit über das verrathene Geheimniß ihrer Liebe, fo daß fe ſogar ihr Kind zu tödten droht, um ihrem Gatten wehe zu thun, ein paar Scenen darauf, ohne erklärenden Zwiſchenfall, ganz gefaßt und manierlich wieder erſcheint.
El cerco de santa Fé. 1 Dieſes Stück, eine Reiben folge von Heldenthaten bei der Belagerung von Granada, gewinnt erſt gegen das Ende Conſiſtenz durch die Beſiegung Tarfe's durch Garcilaſo de la Vega. Der frühere It ftallifätionspunft, das Liebesverhältniß des maurischen Vorkämpfers mit der ihn verſchmäbenden Alifa, ſehr gut mit Rückſicht auf Tarfe, verliert aber durch die matt Haltung des ihm vorgezogenen Celimo. Die eigentliche Einheit lag aber außer dem Stücke, in der vaterländiſchen Begeiſterung der Zuhörer.
Rey Bamba. Großartig der Monolog Ervicio's, wo er den Himmel anklagt, daß er ihn als Neidiſchen ſchuf, und doch gleich darauf ſeine habgierigen Pläne ins Werk zu ſetzen beſchließt. (I.) Unmittelbar darauf Bamba mit ſeiner Gattin, Zufriedenheit und Wohlwollen in jeden Worte. Derlei Gegenſätze, ungeſucht und aus der Notb: wendigkeit der Sache fließend, erfriſchen das Gemüth und gliedern den Stoff. Die Verſammlung der gothiſchen
1 Die Belagerung von Granada. 2 König Wamba.
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Großen, wo Jeder, nicht um zu fechten, ſondern als Sinnbild des Haders, mit gezogenem Schwerte auftritt. Die Scene, wo Wamba die Vorbedeutung der königlichen „Würde erhält und wo, ehe die Hand mit der goldenen Krone erſcheint, ihm vorher einleitend und vorbereitend aus den Zweigen deſſelben Baumes, Blumenkränze zufliegen, das iſt alles von einer Schönheit und Einfalt, die nur in jenen Zeiten der reinen Gemüthsauffaſſung möglich war. Zugleich ſind er und ſeine Frau, ohne Schaden ihrer Würde, durch ihre bäuerliche Unſchuld, halb und halb, die Luſtig⸗ macher des Stückes. Mitten unter dieſen phantaſtiſchen Vorgängen: die überliefert hiſtoriſchen Umſtände, daß Wamba der Erfinder von Maß und Gewicht, wohl auch der Früheſte war, von dem ſich Münzen in ſpäterer Zeit erhalten hatten. Ein wenig Radicalismus, da die gothi⸗ ſchen Großen den König wegen ſeiner niedern Geburt verachten, wogegen er ſich durch heroiſche Thaten recht⸗ fertigt. Schon beginnt das Stück durch den Kronenſtreit mit dem Griechen Paulus matter zu werden, als es auf einmal einen unerwarteten Aufſchwung erhält. Die Sage, daß der letzte König der Gothen, Roderich, als er eine verſchloſſene Höhle frevelhaft eröffnen ließ, dort auf einem Gemälde, das Niemand deuten konnte, den ſpätern Einfall der Mauren bildlich dargeſtellt fand, wird hier auf eine wahrhaft virtuoſe Weiſe, als aus ihrem Ausgangspunkte, eingewoben. Dem Verräther Ervicio, durch den Wamba am Ende des Stückes ſtirbt, wird von dem Mauren Mujarabe die Krone, aber auch vorhergeſagt, daß der dritte ſeines Geſchlechtes Spanien an die Mauren verlieren werde. Er läßt jenes Bild malen und in jener Höhle einſchließen. Das Geſchlecht des Verräthers ſollte jenes
Unglück über Spanien herbeiführen. Da die Sage von Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 12
178 Studien zum ſpaniſchen Theater.
dem Bilde und der Höhle in jedes Spaniers Munde war, fo kann man ſich die Großartigkeit der Wirkung denlen, die das im Publikum hervorbringen mußte. Lope de Vega erinnert hier an Euripides, der es gleichfalls verſtand, durch ſolche unerwartete Wendungen noch gegen das Ende der Fabel, neue Ausſichten zu eröffnen und das Gemütb emporzuheben. Dieſer König Wamba iſt ein vortreffliche Stück.
Es gilt von Lope de Vega etwas, was Goethe in einem etwas barocken Bilde von Euripides jagt, wo er ihn mit einer Stückkugel vergleicht, die auf Queckſilber ſchwimmt. Die Wunder des Katholicismus und die Groß thaten des ſpaniſchen Alterthums, das Sagenhafte ihrer Geſchichte war ſeinem Publikum fo geläufig, daß er an: klingen konnte, wo er wollte, und ſicher war, in jeder Bruſt Verſtändniß und Wiederhall zu finden. Er iſt die vollkommenſte Proteſtation gegen die Begriffspoeſie. Cal⸗ deron iſt es ſchon nicht mehr, obſchon ſeine ungeheure belebende Kraft das abſichtliche Moment meiſtens glücklich, ja glorreich überwindet. Darum wäre eine größere Ver: breitung Lope de Vega's durch eine neue Auflage ein eigentliches Glück für unſere heutige, in Klügeleien und Abſtractionen verſunkene Welt. Aber freilich, unfere Deutſchen würden ihn nachahmen, wie die Kinder mit Allem zum Maule fahren; und nachzuahmen iſt an ihm nichts. Aber ſich mit ihm erfüllen, die Phantaſie, das Vorhandene und die Beſchauung wieder in ihre Rechte einſetzen, es aber der äußern Form, ja dem Inhalte nach ganz anders machen, als Lope de Vega, das wäre die Aufgabe.
La traycion bien acertuda. 1 Man begreift kaum,
1 Der gelungene Verrath.
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wie derſelbe Autor einen König Wamba und dieſes Stück ſchreiben konnte. Dort alles weiſe angelegt und auf eine beſtimmte Abſicht bezogen, hier alles willkürlich, loſe, unzuſammenhängend, kaum eine Compoſition zu nennen, ſelbſt über das, der Novelle Erlaubte hinausgehend; Fäden angeknüpft, die gleich wieder zerreißen; das ſcheinbar von vornher Beabſichtigte in den Hintergrund gedrängt und neuen Bezügen Platz machend, die ſich ebenſo in Nichts auflöſen. Der erſt gegen das Ende ſich ſchürzende Knoten, daß Polyxena's Vater die verloren gegangene Tochter dem zur Ehe verſpricht, der ſie ihm wieder bringt, ſteht mit den Begebenheiten der beiden erſten Akte, beſonders mit der Feindſchaft und den Nachſtellungen Gerardo's, in gar keinem Zuſammenhange. Es ſcheint faſt, als ob Lope de Vega mit ſeinem großen Naturſinne, in derlei Stücken das Willkürliche und Zufällige des wirklichen Lebens habe nachbilden wollen. Es find in Scene geſetzte Novellen. Und da ſein Publikum das Drama doch immer weſentlich als Spiel betrachtete — wie denn ſelbſt in planvollen Stücken, die an das Publikum gerichteten Schlußworte, die Illuſion und ſcheinbare Wahrheit aufheben — ſo hatte es nichts dagegen, einem ſolchen poetiſchen Spaziergange zu folgen, wenn man dabei nur auf Parthien und Gegen: ſtände ſtieß, die die Mühe des Gehens verlohnten. In dem Ganzen iſt mir nichts Ingeniöſes aufgefallen, als wenn Gerardo, der den Don Antonio herausgefordert und nicht überflüſſigen Muth hat, bei ſeinem Secundanten, dem ſpani⸗ ſchen Hauptmann, vorläufig Lectionen im Fechten nimmt. Ein ſo einfaches und aus der Sache genommenes Mittel, Mannigfaltigkeit in die Ereigniſſe zu bringen, daß es der Beachtung und Nachahmung zu empfehlen wäre, wenn das Walten des Talentes überhaupt nachzuahmen ſtünde.
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Ein Gedanke kommt vor, der an einen Ausſpr. Leſſings erinnert oder vielmehr ganz und gar derſelbe Als Polyxena verloren iſt, ſagt Don Antonio in fein Schmerz:
no es posible que esté cuerdo, pues que no me he vuelto loco.
El hijo de Red uan.? Das iſt nun ein wildes Zeug. Zwei Alte, die ſich jugendlich verlieben, ohne, wie es ſcheint, darum lächerlich zu werden. Ein König, font ehrenhaft, der feine Gattin zu ermorden beſchließt, um ſich anderweits zu verheirathen. Die Königin, die ihm daſſelbe zurückgeben will, unmittelbar nachdem er ihr, ſie mit ſeiner Geliebten verwechſelnd, körperlich beigewohnt hat. Gomez, der Held des Stückes, gleich bereit, den König zu ermorden, ſobald er erfahren, daß dieſer ihm nachſtellen laſſe. Seine Tapferkeit ohne Gleichen, die ſogar einen wirklichen Löwen zur Anerkennung zwingt, der ſich auch leibhaft vor den Augen der Zuſeher zu feinen Füßen niederlegt, welches Ereigniß das Volk von Granada bewegt, den Mörder ſeines Vaters zum Könige zu machen. Wenn das Ganze irgend einen Anſpruch hatte, zu ſeiner Zeit zu gefallen, ſo war es, außer der Luſt am Bunten, wohl nur der Gedanke: Das iſt nun die gerühmte Tapferkeit der Mauren! Derlei Gräuel miſchen ſich in ihre großartigſten Thaten! Das Beſte noch die derben Proteſtationen des Helden gegen die mauriſch⸗ſpaniſche Galanterie von Lopes Zeitalter. Es fehlt übrigens nicht an guten Stellen. Eine davon, wenn der alte Reduan von ſich ſelbſt ſagt:
1 Es iſt nicht möglich, daß ich bei Verſtande bin, da ich nicht närriſch geworden bin. 2 Der Sohn Reduans.
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Que soy mozo quando viejo, porque mozo y viejo fui; !
Urson y Valentin.? Wenn man einmal für einen Dichter eine Vorliebe hat, iſt man in Gefahr, ſich von ihm Alles gefallen zu laſſen. Ludwig Tieck müßte dieſes Stück vortrefflich finden, wenigſtens hat er ſelbſt Aehn⸗ liches gemacht, und ich habe auch nichts dagegen einzu⸗ wenden. Die Fabel beſitzt alle Fehler eines Drama der damaligen Zeit. Vor Erfindung der Wahrſcheinlichkeit muß man es mit Unwahrſcheinlichkeit nicht genau nehmen. Was aber daran, wie an allen Lope'ſchen Stücken, be: wunderungswürdig erſcheint, iſt der Reichthum, mit dem er ſeine Perſonen, und gerade die Nebenperſonen am meiſten, zu individualiſiren und den Ausfüllſcenen In⸗ halt zu geben weiß. Dieſe wiederholten Schäferſcenen, wo einmal die Sprödigkeit der Weiber, das anderemal die Nachtheile der Blödigkeit, den Stoff des Geſpräches hergibt. Der humoriſtiſche Belardo mit einem Beiſchmack von Fourberie. Der Milchbruder Valentins, der, nach⸗ dem ſie ſich im Zank erhitzt, durch brüderliche Nachgiebig⸗ keit rührt und gewinnt. Die bis zum Revoltanten un⸗ wahrſcheinliche Scene, wo der König auf die bloße An⸗ klage Uberto’3 fein geliebtes Weib, ohne daß ſie eine Einwendung dagegen macht, tödten will, durch das Be⸗ nehmen Iſabela's zu einem kleinen Meiſterſtücke erhoben und ſo in einen Winkel des Stückes hingeworfen, was ein ärmerer Dichter ſich als einen Effektmoment für eine Hauptſituation aufgeſpart hätte. Ein paar Deutſche von der Leibwache weiß er durch nichts Beſſeres zu charakteriſiren,
1 Daß ich, obſchon alt, jung bin, denn jung war ich alt. 2 Urſon und Valentin.
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als durch Trunkenheit, wo denn unter angeblich deutſe Ausdrücken, als nite fiston (nicht verſtehn), brindis. aı bon ami mit figurirt.
El casamiento en la muerte. 1 Der Chara des Bernardo del Carpio unübertrefflich, ganz in der Haltung jener herben, heroiſchen Zeit. Die Befreiung ſeines Vaters und die Rehabilitation ſeiner unehelichen Geburt, tauchen wie eine fixe Idee aus all' ſeinen Groß thaten empor, in denen er für eine Zeit ſich ſelbſt über dem Vaterlande vergißt. Sein Auftreten am Hofe Karls des Großen (toma silla con estruendo y sientase ?). Wie dieſes: ſich ſetzen mit Geräuſch durch die Wirkung auf die Sinne, den Eindruck verſtärkt, den ſeine trotzigen Worte auf den Verſtand machen. Die ganze Poeſie it nichts als eine Verbindung dieſer beiden Factoren. Immer in ſeinen Hoffnungen durch die Wortbrüchigkeit des Königs getäuſcht, kommt er doch immer wieder auf denſelben Wunſch zurück. Ja endlich entſteht ſogar der Gedanke in ihm, ſich an dem Könige zu rächen, wo er aber nach einer Rede voll Heftigkeit ſich ſelbſt zurechte weist.
perdonad Rey y senor que ladra agora qual perro que castiga su seior. 3
Endlich befiehlt der König die Befreiung feines Vaters. Er eilt ins Gefängniß und findet den Gefangenen — tott. Wie nun der Schmerz über den Verluſt, die Liebe zu ſeiner Mutter, letzteres bis zur Härte, alles dem Gedanken
1 Die Vermählung im Tode.
2 Er nimmt einen Stuhl mit Geräuſch und ſetzt ſich.
3 Berzeiht, König und Herr, denn der Hund, den fein Herr züchligt. bellt gleich.
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Platz macht, die Ehrlichkeit ſeiner Geburt herzuſtellen. Wie er Dona Ximena, die Mutter, dem Kloſter entreißt, ſie dem todten Vater gegenüberſtellt und beide vermählt, wo er denn die Einwilligung des Todten dadurch ſupplirt, daß er deſſen Kopf mit der Hand faßt und ihn nicken macht. Das iſt von einer Großartigkeit, auf die ein Dichter in unſerer Verſtandeszeit freilich Verzicht leiſten muß.
In ſeiner Art nicht minder gut, der König, der trotz ſeiner Frömmigkeit immer wieder ſein gegebenes Wort bricht.
Die Franzoſen kommen, obwohl ſie als Feinde auf⸗ treten, noch ziemlich glimpflich davon, wahrſcheinlich wegen der Ehrfurcht für Karls des Großen zwölf Pairs und ihren Platz in den Romanen und Romanzen der Zeit. Nichtsdeſtoweniger ſind ſie, wo ſie unter ſich auftreten, mit Ausnahme Rolands, ziemlich matt gehalten. Erſt im Unglück erheben ſie ſich durch ihre Frömmigkeit, wo denn dem Dichter wieder ächt Euripideiſch ein Umſtand entgegen kommt, der dem Stücke neuen Schwung gibt. Sie ver⸗ bergen ein Muttergottesbild in der wahrſcheinlich noch heute fo genannten peda de Francia !, und dieſes ſpäter wieder aufgefundene Muttergottesbild, war wahrſcheinlich noch zu Lope de Vega's Zeiten ein Gegenſtand der An⸗ dacht und Wallfahrt zur pena de Francia. So kommt alles dem Genie entgegen, vornehmlich in einer ſagen⸗ reichen, poetiſchen Zeit.
Was nun aber das Künſtliche des Ausdrucks, die Gleichniſſe, die Wortſpiele in den leidenſchaftlichſten Si⸗ tuationen, überhaupt das Lyriſche im Dialog, vornehmlich
I Felſen Frankreichs.
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im Monolog betrifft, ſo hielt jene Zeit den Begriff der Poeſie auch im Drama feſt, und aus der Poeſie die Poeſie wegzulaſſen, hätte ihnen höchſt wunderlich geſchienen. Es bietet ſich hier der ähnliche Vorgang der italieniſchen großen Opern⸗Compoſiteure und Sänger dar, die in den leidenſchaftlichſten Situationen Triller und Paſſagen nicht verſchmähen, ohne daß daraus für die Wahrheit des Aus: drucks nur der geringſte Nachtheil entſtünde.
La escolastica celosa.! Dieſe Intriguenſtücke fin? die Schwache Seite Lope de Vega's. An Intriguen fehlt es zwar nicht, fie ſind aber fo ſchlecht mit einander ver: bunden, jeder Akt knüpft eine neue an, ſo daß man am Ende kaum weiß, wie man den Titel des Stückes recht fertigen ſoll. So ſind hier zwei eiferſüchtige Studentinnen. Der erſte Akt ſcheint Julien als den Mittelpunkt des Stückes anzukündigen, ja im dritten Akt macht ſie Miene, ſich von Neuem dazu zu erheben. Das verſchwindet aber wieder, und Celia, durch das größere Maß ihrer Thor: heiten und ihr überwiegendes Verhältniß zum Helden des Stückes, gibt den Abſchluß und den Namen her. Die Behandlung übrigens mit Lope's gewöhnlichem Leben und Schwung der Rede, warm und überreich, ſo daß, wie ſehr auch ſeine Vergleiche und Spitzfindigkeiten mitunter hinken mögen, man doch bei der Schnelligkeit, mit der Lope ſchrieb, kaum begreift, wie ihm das Alles im Lauf der Feder einfallen konnte.
La amistad pagada. 2 Von dieſem Stücke iſt wenig Gutes zu ſagen. Eine bis zur Caricatur getriebene Dankbarkeit, die im Römer Furio ſelbſt die nächſten Pflichten über dem phantaſtiſchen Wettſtreit der Freund⸗
1 Die eiferſüchtige Studentin.
2 Die (erwiederte) vergoltene Freundſchaft.
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ſchaftsbeweiſe vergißt. Dazu die Perſonen alle in einer neblichten Allgemeinheit gehalten, die außer der augen⸗ blicklichen Empfindung, nichts Weſenhaftes in ihnen zurück⸗ läßt. Ich weiß nicht, ob dieſer Leoneſe Curieno in Geſchichte oder Sage als eine wirkliche Perſon vorkommt.! Im Bejahungsfalle wäre Manches zu entſchuldigen. Das Geſchichtliche hat einen geringen Werth für die Poeſie; begründet aber doch den Unterſchied, daß der Dichter bei hiſtoriſchen Perſonen es ſich mit der Objectivirung etwas leichter machen kann, da die Wirklichkeit für ihn einſteht. Sollten es aber erfundene Perſonen ſein, ſo muß man denken, daß das Stück etwa für das Theater von Leon geſchrieben war, wo ein Lokalintereſſe dem allgemein Menſchlichen zu Hilfe kam. Daß Lope außer dem Helden des Stückes auch die Gefangene Claudia zu einer Leoneſerin macht, iſt ein Beweis von ſeinem glücklichen Takt, und rundet den Kern der Handlung nothdürftig ab.
Die beiden Konſuln mit ihrer knabenhaften Liebe, mitten in den Gefahren und Pflichten des Krieges, eigent⸗ liche abgeſchmackte Perſonen, und doch in den Mitteln, die ſie anwenden, und in der Art, wie ſie ſich nach dem Scheitern ihrer Plane benehmen, einigermaßen indivi⸗ dualiſirt.
Uebrigens iſt das Stück ein Beleg von der Zerſtreut⸗ heit, in der Lope de Vega ſchrieb. Er, der in ſeiner Jugend doch gewiß mit der klaſſiſchen Literatur genug geplagt worden war, miſcht die Epochen und die Helden⸗ namen der römiſchen Welt ſo wunderlich untereinander, daß kaum das Jahrhundert zu beſtimmen wäre, in dem ſeine Handlung möglicherweiſe hätte vorgehen können.
1 Er kommt vor. D. H.
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Ebenſo vergißt er, daß Furio ſich bei der Flucht Curier die feine Mitwiſſenſchaft verbergenden Wunden ſelbſt. gebracht hat, und läßt ihn mit dem ganzen Geſüble Wahrheit, dieſelben Wunden als einen Beweis feiner ! ſchuld in Anſpruch nehmen.
Ueberhaupt herrſcht in allen ſpaniſchen Stücken der maligen Zeit die traurige Anſicht vor, daß das Glänzen der Handlungen und die Stärke der Leidenſchaft, von all Anſprüchen der bürgerlichen Moral völlig entſchuldigen.
La comedia del molino. 1 Da wären nun wieder Intriguen über Intriguen, aber die Fugen ſind locke, und es klappt nichts. Der Hauptſpaß, wie ſchon der Titel anzeigt, daß die Verkleidungen in der Mühle vor: gehen und die mit Mehl beſtäubten Geſichter die Perſonen unkenntlich machen. Die zweite Atrappe, daß man einen als den Liebhaber Verkleideten zum Schein gefangen nimmt, um die Liebhaberin durch die Beſorgniß für deſſen Schickſal zur Nachgiebigkeit zu bewegen, wogegen ſie, von dem wahren Sachverhalt unterrichtet, denſelben Umſtand benützt, um die Freigebung ihres Geliebten, eine ſohin unmögliche Sache, als Preis ihrer Gunſtbezeigung von dem verliebten alten Könige zu begehren. — Dieſe zweite Verwicklung ſo loſe hingeſtellt, daß daraus keine rechte Wirkung hervorgehen will. Die Perſonen matt und al: gemein gehalten. Daß der alte König ſich Knall und Fall verliebt, ſchadet ſeiner Würde nichts. Ich bin ein Feind jener weithergeholten deutſchen Deutelei, die das Gras wachſen hört, demungeachtet fiel mir aber bei dem Prinzen von vornherein Don Karlos ein, nicht der ſchille⸗ riſch idealiſirte, ſondern der wirkliche, brutal gewaltthätige,
1 Die Komödie der Mühle.
Ueber Lope de Bega’s dramatiſche Dichtungen. 187
um ſo mehr, als von einer franzöſiſchen Heirath die Rede iſt. Dem Zuſchauer mochte vielleicht Aehnliches vorſchwe⸗ ben. Selbſt das der Anlage nach komiſche Verhältniß der Müllerstochter, die von Liebhaber an Liebhaber ab⸗ getreten wird, nicht bis zum eigentlich Schlagenden aus⸗ gebildet. Demungeachtet kommen aber alle Ingredienzen vor, um mit Hilfe guter Darſtellung einem Publikum, das die Planmäß'gkeit wohl vom Ernſte, aber noch nicht vom Spiele verlangte, hinlänglich zu gefallen.
El testimonio vengado. ! Wenn die Fabel dieſes Stückes von Lope erfunden wäre, ſo ließe ſich nicht viel Gutes davon ſagen. Es kam ihm aber ſchon wieder eine Sage oder Romanze entgegen, und er ſetzte ſie in Hand⸗ lung, ohne viel hinzu oder weg zu thun. Daß die Söhne ihre eigene Mutter des Ehebruchs mit dem Stallmeiſter anklagen, weil ſie dem älteſten von ihnen das weiße Lieb⸗ lingsroß des Vaters verweigert hatte, iſt ein derbes Stück alter Natur, das Lope, als einmal vorhanden, ſich gar nicht viel Mühe gibt, weitläufig pſychologiſch zu begrün⸗ den. Nicht allein, daß Lope's Zeit derlei glaubte, derlei geſchah wirklich in einer noch ältern Zeit. Herodots Ge⸗ ſchichte, die Geſchichte der römiſchen Könige, die ſkandina⸗ viſchen und orientaliſchen Ueberlieferungen ſind, das Ueber⸗ natürliche abgerechnet, durchaus nicht ſo fabelhaft, als man glaubt. Uns ſcheinen ſie freilich ſo unſtatthaft, als es uns unbegreiflich iſt, wie man je einen Gott verehren konnte, der ſeine Kinder freſſen will und dem man einen Stein unterſchob. Die Erfindungen einer Zeit ſind nur ein Abbild ihrer Handlungen. Glücklich übrigens der Dichter, der noch ſo ganze Ereigniſſe, ohne Zerſetzung und
1 Das gerächte Zeugniß.
188 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Abſchwächung, vorführen kann. Die Poeſie iſt im Bil und nicht im Räſonnement. Wie poetiſch hingegeb mußte ein Publikum fein, das nichts Lächerliches dari. fand, wenn eine Frau, wie hier die Königin, ihren mann⸗
baren Stiefſohn, allen anſichtig, unter den Mantel nimnt
und die leibliche Geburt nachahmend, ihn als ihren eigenen Sohn anerkennt.
In der Behandlung nichts eigentlich Hervortretendes.
Die dem erſten Bande beigegebenen zwölf Entremeses mit Ausnahme der langweiligen Meliſendra, ergötzlich genug, das Komiſche aber von einer ſo derben Art, daß es im ſchreiendſten Gegenſatze mit dem überbildeten Liebes geſchwätze der eigentlichen Luſtſpiele ſteht. Ueberhaupt ſind ſie in dem Tone einer viel frühern Zeit geſchrieben und zeigen, daß das Volk an ſeinen alten Erinnerungen und Genüſſen feſthielt und die feinere Welt eine wunder⸗ liche Miſchung von galanter Ueberbildung und unaus⸗ getilgter Rohheit war.
Die Erfindung dieſer Poſſen ſcheint wohlfeil; wer aber
Aehnliches und zwar in ſolcher Menge verſuchen wollte,
würde ſich leicht von der Schwierigkeit überzeugen. Merl: würdig der Abſtich zwiſchen dem rohen Tone dieſer Entre meses und den zu denſelben Vorſtellungen gehörigen Loas, ? die vortrefflich verſifizirt und mitunter von eigent⸗ lich poetiſchem Werthe ſind.
La fuerza lastimosa.3 Dieſes Stück genoß feiner Zeit des höchſten Anſehens in Spanien, und wenn ich mich recht erinnere, ſo war es das erſte von Lope de Vega, auf welches vor dreißig oder vierzig Jahren die
1 Zwiſchenſpiele.
2 Vorſpiel.
3 Die bedauernswürdige Stärke.
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deutſchen Romantiker verfielen, wobei es denn hin und her beſprochen wurde. Was die Behandlung betrifft, ſo kann man auch, namentlich von den beiden erſten Akten, nicht zu viel Gutes ſagen; der Stoff dagegen, die Hand⸗ lungen und ihre Motive ſind ſo grell, ja zurückſtoßend, daß alles, was man mit Rückſicht auf die Zeit, den Ge⸗ ſchmack und den Geiſt der Nation zur Entſchuldigung an⸗ führen kann, nicht ausreicht, des Widerwillens Herr zu werden, den dieſe eigentlich türkiſchen Vorgänge noth⸗ wendig erregen. Daß ein Mann ſein geliebtes Weib ermordet auf Befehl des Königs, zur Sühne eines Ver⸗ brechens, das er gar nicht begangen, ohne auch nur einen Verſuch zu machen, die falſche Anſchuldigung von ſich abzulehnen. Aber alle dieſe Motivirungen hätten Zeit und Raum weggenommen, die der Dichter brauchte für die Ereigniſſe und Situationen, um die es ihm vor allem zu thun war. Abgeſehen von der Geringſchätzung des Menſchenlebens, der Häufigkeit der Mordthaten in jener Zeit, der übertriebenen Ehrfurcht vor dem Willen der Könige, bleibt hier, wie in allen ähnlichen Stücken Lope's, der Hauptpunkt, daß er das Ereigniß in den Romanzen ſo verſtand, die Zuſchauer damit bekannt waren und er ſich daher keine Mühe gab, erſt zu begründen, was man ohne Grund hinnahm. Die Motivirung des Kindermords der Medea wird ſehr dadurch abgekürzt, daß der Zuſeher bei ihrem Namen ſchon weiß, daß ſie ihre Kinder ermorden wird. Das Grelle, das uns zurückſtößt, war eben, was jene Zeit liebte, und ſelbſt Shakeſpeare häuft gern die Mordthaten nach Möglichkeit. Den Stoff zugegeben aber, iſt die Behandlung der zwei erſten Akte von unſchätzbarem Werthe. Dieſes Durchfühlen der Situation bis in die ſcheinbaren Zufälligkeiten, dieſe Belebung ſelbſt der Neben⸗
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Wo es ihm um Wahrheit iſt ihm ſeine Schriftſtellerei n für das Publikum beſtimmt, Buntheit der Bilder und ein tereſſirend.
Der dritte Akt etwas verſch D. Juan als General der Arn gen Eindruck, nebſtdem, daß etn dem alle Erw chſenen ſich an €
herbeiführt. Das Komiſche, daı kindiſchen Heerſührers anklebt, < Ende mit ſteigendem Remussia:
eiden, wo die Prinzeſſin, ſtatt ihrem Vater ihre Ent⸗ hrung mündlich zu geſtehen, fortgeht und unmittelbar arauf in einem Briefe ihre Schuld bekennt, ſowie die amit im Zuſammenhange ſtehende, wenn Enrique, nach⸗ em er, über einen erdichteten Fall zu Rathe gezogen, ein eigenes Urtheil unbewußt ausgeſprochen, durch den⸗ Üben Brief erfährt, daß der gräßliche Spruch ihm ſelber elte. Sowie eine frühere andere Scene, in der die ſtufiker zur Erheiterung der Prinzeſſin eine Romanze von ner durch Liebe hintergangenen Herzogin ſingen, und un jene, ſich in die Perſon des Liedes vermengend, ihre gene Verzweiflung im Namen der betrogenen Herzogin usſpricht. Man würde nicht fertig, wenn man alle vor⸗ tefflichen Einzelnheiten aufzählen wollte. Denn das zroße in Lope de Vega iſt feine, bei aller Künſtelei der form, tiefe und innige Naturempfindung.
La ocasion perdida.! Das ift nun einmal ein stück mit einer vollkommen durchgeführten Intrigue. für uns dürfte es freilich eine höchſt wunderliche fein; ie Spanier waren, zum Behuf ihres Vergnügens, bereit, les das anzunehmen, was dieſes Stück vorausſetzt. Wie a auch heut zu Tage ein Beiſeite der Schauſpieler, das nan in der vierten Gallerie vernimmt, von den Mit⸗ pielenden auf dem Theater nicht gehört wird, oder in iner Nacht⸗Dekoration die Schauſpieler auf dem Theater ich nicht zu ſehen angenommen werden, indeß man im Barterre jede ihrer Bewegungen wahrnimmt. Man nimmt ilſo bei Lope de Vega Einen für den Andern, trotz der Verſchiedenheit in Geſtalt und Stimme. Der körperliche Senuß der verwechſelten Liebespaare geht binter der
1 Die verfäumte Gelegenheit.
Scene vor, ohne daß die Sittſamkeit es übel nimmt. Das Aergſte dürfte fein, daß die Prinzeſſin, um ohne Ge fahr für ihren Ruf des von ihr geliebten ſpaniſchen Flüchtlings „zu genießen,“ ihr Fräulein Doriclea vor: ſchiebt, fo daß D. Juan ſich in letztere verliebt, und un wiſſend ſo das Verhältniß mit der Prinzeſſin unterhält. Als endlich der als ſein eigner Botſchafter verkappte König von Leon, der durch ein Verſehen die für Don Juan be ſtimmte Einladung der Prinzeſſin erhält, den Vorſchmat der Ehe mit ihr genießt und ſomit denn ihr Gatte if, löſen ſich alle Verwicklungen. Doriclea, die dem Spanier ein gleiches Stelldichein zugedacht, geräth in die Arme ihres verſchmähten Liebhabers; es werden nach Gewohn⸗ heit noch mehrere Ehen für alle Mitſpielenden geſchloſſen, und Jedermann gibt ſich mit dem zufrieden, was der Zufall ihm zuführte. Nur der edle Don Juan hat die Gelegenheit verſäumt. Es iſt etwas ſehr Hübſches in dieſer Figur, die getäuſcht wird, ohne lächerlich zu werden. Auch daß die Prinzeſſin, die bereit war, eine gefährliche Unbeſonnenheit zu begehen, durch Verwechslung einem königlichen Freier in die Arme geführt wird, hat etwas providenziell Ausgleichendes.
El gallardo Catalan. 1 Da iſt denn die Romantik mit ihrem ganzen Rüſtzeuge. Eine alles hintanſetzende Liebe. Seefahrt, Seeräuber, eine verſchmähte Geliebte, die als Mann verkleidet ihren Ungetreuen rettet, aber auch fein neues Verhältniß ſtört und zerſtört. Von vorm: herein will das Ganze nicht viel ſagen, aber mit der Ankunft in England folgt eine Reihe ſehr guter Scenen. Die Deutſchen, zu denen das Stück ſich drauf hinfpielt,
1 Der tapfere Catalonier.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 193
ommen als Nation nicht ſehr gut weg. Gegen das Ende chleicht ſich das Abſurde wieder ein, und die als Mann ſerkleidete Clavela beſiegt im Gottesgericht⸗Zweikampfe inen ritterlichen Gegner, wofür ihr auch als Lohn der ingetreue Geliebte zu Theil wird.
Die Grundlage von Lope's Poeſie iſt das Märchen, ind das Vehikel der Glaube. Wo die Handlung Sprünge nacht, ſpringt nothwendig die Empfindung mit. Aber don einem Haltpunkte bis zum andern entfaltet ſich ſein zroßer Naturſinn; das Einzelne iſt von der größten Wahrheit, das Ganze mag ſo bunt ſein, als es will. Sein Reichthum zeigt ſich auch darin, daß er ſeine Neben⸗ perſonen nicht gerade individualiſirt, ihnen aber beſondere Intereſſen und Zwecke gibt, wodurch ſelbſt die Ausfüll⸗ ſcenen Leben und Bewegung bekommen. Lebendigkeit und Fülle iſt der Charakter ſeiner Poeſie.
El mayorazgo dudoso.! Fängt ganz vortrefflich an. Die Perſonen und Verhältniſſe individualiſiren ſich. Ein eiferſüchtiges Weib in der erſten Scene, die Moliere auch nicht beſſer hätte ſchreiben können. Die Verlegenheit des geplagten Ehemannes, als ihm das Kind der Prin⸗ zeſſin, die auf offener Straße unter ſeinem Beiſtande ge⸗ biert, in den Händen bleibt. Von da an aber wird das Ganze allgemein und unbedeutend. Ein König, der, wie Lope's Fabel⸗Könige überhaupt, alles einkerkert und um⸗ bringen will. Das im erſten Akte geborne Kind erſcheint im zweiten Akte als zwanzigjähriger Jüngling, als Maure Luzman, kommt nach Dalmatien zurück, findet den Vater im Kerker und die Mutter im Kloſter. Erwirbt unerkannt die Liebe ſeines tyranniſchen Großvaters, erwirkt die
1 Das zweifelhafte Erbrecht.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 13
194 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Freiheit feiner Eltern, heirathet die Tochter ſeines Nähr⸗ vaters u. ſ. w. Außer dem erwähnten Eingange und der unmittelbar darauf folgenden Scene, wo Luzmans Vater, noch jung und als Gärtner verkleidet, die hoff nungen ſeiner Liebe in einem hübſchen Monologe aus⸗ ſpricht, nur noch eine Scene im zweiten Akt herauszu⸗ heben, in der Luzmans Milchſchweſter und nachmalige Braut Clavela, über ihre erwachende Neigung von der Mutter zur Rede geſtellt, den Fragen ausweicht und die
Antwort verſchiebt. Das wiederholte: mire, se lo die!
macht eine höchſt unſchuldige Wirkung.
Warum übrigens das Stück el mayorazgo dudos heißt, begreift man nicht recht. Denn ob Luzman der Enkel des Königs ſei, mag allerdings zweifelhaft ſein, ob aber, wenn er es iſt, ihm das Erbrecht, das mayorazgo gebühre, liegt außer allem Zweifel, da kein anderer Be werber ſich vorfindet. Wahrſcheinlich hat Lope von vom herein die Handlung ganz anders führen und das dem Pflegevater Luzmans gleichzeitig geborne Kind, das jetzt ein Mädchen iſt, einen Knaben ſein laſſen wollen, wo denn allerdings Verwechslungen hätten ſtattfinden können. Die Unbekümmertheit und der Leichtſinn, mit dem Lope ſchrieb, geben einer ſolchen Deutung hier und an hundert andern Orten, nur zu ſehr Raum.
La resistencia honrada.? Das iſt nun wieder ein ſo artiges Frag⸗ und Antwortſpiel. Der ganze erſte Akt mit der tollköpfigen Madama Floris könnte allenfalls wegbleiben, die Handlung fängt erſt mit dem zweiten an. Die beiden Weiber ſehr gut gehalten, beſonders die tugend⸗ hafte Matilde, in welchen Figuren Lope eine beſondere
1 Schau, ob ich es ſagen werde.
2 Der ehrbare Widerſtand.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 195
Stärke beſitzt. Floris ſcheint von vornherein beſtimmt, einen Hauptantheil an der Handlung zu nehmen, ver⸗ ſchwindet aber ſpäter beinahe gänzlich. Sie überläßt ſich dem ganzen Uebermuthe der Schönheit und des Angebetet⸗ ſeins. Wenn ſie als Page verkleidet den Feſtſaal betritt, meint ſie, darüber möge ſich Niemand wundern:
que por ser maravillosas se suelen contar las cosas que siendo faciles no.
Dieſe Worte könnte man als Motto und Entſchuldigung allen Komödien Lope's voranſetzen.
Der Prinz eine Miſchung von Begehrlichkeit und Heldenmuth. Er und ſeine geliebte Floris, beſonders im Lügen ſtarker Worte, einander würdig. Daß doch eine Nation, bei der das famoſe: mentis? der größte Schimpf war, in Liebe und Eiferſucht jede Unwahrheit für er⸗ laubt hielt.
Ich weiß nicht, iſt es meine mangelhafte Kenntniß der ſpaniſchen Sprache, oder ſind es die vielen Druck⸗ fehler, oder das Schwankende in der übereilten Ausdrucks⸗ weiſe Lope's, oder ſchien die Dunkelheit damals eine Schön⸗ heit; ich habe Mühe, den genauen Sinn aus manchen dieſer Wechſelreden herauszufinden. Aber wie fließend und mit dem vollen Reize der Zufälligkeit die ganze Be⸗ handlung! Mich bezaubert dieſer Schriftſteller, ohne mich blind gegen das Heer ſeiner Fehler zu machen.
Los Benavides. Hat von vornherein ganz jene
1 Man erzählt ſolche Dinge, weil ſie wunderbar ſind, nicht aber, weil fie leicht geſchehen können.
2 Du lügſt.
3 Die Benavides.
196 Studien zum ſpaniſchen Theater.
alterthümliche Größe, welche Lope de Vega derlei Chronik ſtoffen zu geben weiß. Das Ganze handelt ſich um eine Ohrfeige, welche der alte Mendo von Pavo de Pin erhalten hat und als hochbetagter Mann ſelbſt nicht rächen kann; auch fehlen ihm Söhne, die es an ſeiner Statt könnten. Höchſt wunderlich des Alten Freude, als er erfährt, daß ſeine Tochter von dem verſtorbenen König Bermudo zwei uneheliche Kinder habe. Die königliche Würde des Verführers, und daß ſie unter dem Verſprechen der Ehe erzeugt wurden, ſcheint die Baſtardſchaft von ihnen abzuwälzen. Der Enkel Sancho wird zum Rächer auserſehen, tödtet aber aus Mißverſtändniß einen Un rechten. Durch die Ehrbegriffe der Zeit gerechtfertigt, aber für uns abſcheulich, iſt die Art, wie nun Mendo ſelbſt den Beleidiger im Angeſicht des Gottesgerichtes durch einen Dolchſtoß meuchelmörderiſch aus der Welt ſchafft. Gut gehalten Payo de Vivar, auf den nicht als bete noire alle Mängel und Schändlichkeiten zuſammengehäuft werden, ſondern der zwar gewaltthätig und eigennüßig, aber tapfer, gerade und in ſeiner Art ehrenhaft iſt.
Ebenſo König Alfons als Kind, beſonders weil er nicht ſo altklug iſt, als Lope's Kinder zu ſein pflegen. Er ſagt einmal bei einer Staatshandlung gerade heraus, daß ihm die Zeit lang werde. Als ihn die Mohren ge⸗ fangen nehmen, wundert er ſich, daß ſie wie Menſchen ausſehen und doch nicht an Gott glauben.
Los comendadores de Cordova. 1 Das Stück iſt ganz gut. Der Charakter des Beinticuatro ? ehrenhaft, verſtändig, ja in ſeinen Bemerkungen über die Ehre zeigt der Verfaſſer ihn und ſich, über die Vorurtheile der Zeit
1 Die Comthure von Cordova. 2 Rathsherrn.
erhaben. Aber Vorurtheile, die das Weſen der Zeit aus⸗ machen, müſſen geachtet werden, und ſo rächt denn der beleidigte Gatte, den noch dazu die Schlechtigkeit der beiden Comthure und ſeiner Frau erbittert, die Ehre ſeines Bettes auf eine um ſo furchtbarere Art, als der⸗ jenige immer das Maß überſchreitet, der nicht die volle Ueberzeugung von ſeinem leitenden Grundſatze hat. Nicht nur die Schuldigen, auch alle Diener, ja die Meerkatze und der Papagei werden getödtet. Der Todtſchlag, ſcheint es, erzeugt erſt die Wuth, ſtatt von ihr erzeugt zu werden. Der König billigt am Schluſſe das gräßliche Ehrengericht und gibt dem Wittwer ein anderes Weib, womit dieſer ſich ganz zufrieden bezeigt. Die Mordſcene, vielleicht nur wegen Undeutlichkeit der ſpaniſchen Einrichtung, nicht wirkſam genug.
Der Verlauf des Stückes untadelhaft bis auf den Umſtand, daß die ſündhafte Frau den Ring des Königs, den ihr ihr Gatte gab, wieder an Don Jorge verſchenkt, was früher oder ſpäter nothwendig an den Tag kommen mußte. Auch iſt es wirklich der König ſelbſt, der auf die Spur des Frevels kommt, da er ſeinen Ring an der Hand des Comthurs erblickt.
Sehr ſchön die Scene, wo der Veinticuatro, in ſeine vier Wände zurückgekommen, das Glück der Ehe preist, während der Zuſchauer ſchon weiß, daß der Wackere be: trogen iſt. Don Jorge, einmal ganz roh, dann wieder in ſeinen Redeblumen und Vergleichungen höchſt ſpitz⸗ findig. Namentlich da, wo er das Wort prima, das ſowohl Muhme, als die erſte Stufe der Tonleiter in der Muſik bedeuten kann, in dieſer letzten Bedeutung quetſcht und auspreßt. Ich muß hier wieder unentſchieden laſſen, ob es meine mangelhafte Kenntniß der Sprache iſt, die
198 Studien zum ſpaniſchen Theater.
mir das Gleichniß fo geſchraubt, ja grammqgtikaliſch un zuſammenhängend erſcheinen läßt, oder begnügte ſich Lope und das Publikum, bei der Raſchheit des Schreibens und der Deklamation, mit nur allgemeinen Anklängen und Andeutungen des Gedankens, ohne die genaue Ausführung und Durchbildung zu begehren und zu vermiſſen. Der gerügte Mangel kommt fo oft vor, daß die letztere Er klärung wohl die richtige fein dürfte. In den Auzfüll: ſcenen bilden die Verhandlungen zur Heirath der Infantin Johanna mit dem Erzherzog Philipp ein ſehr dankbares Thema. N
La bella malmaridada. 1 Das iſt nun ein wildes und ziemlich langweiliges Zeug. Von den Charak⸗ teren höchſtens der italieniſche Graf gut zu nennen mit ſeiner romantiſchen Liebe, worüber ihn ſeine eigenen Diener auslachen. Die übelverheirathete Schöne hat doch, beſonders gegen das Ende zu, etwas von dem Zangen⸗ artigen der tugendhaften Weiber, wodurch ſie ihren Ehe⸗ männern zur Laſt werden. Als ihr Gatte Hand an ſie legt, ruft ſie Vater, Vetter und Bruder zu Hilfe. Frei⸗ lich, als letzterer herbeieilt, gibt ſie vor, geſtrauchelt zu ſein und ſich den Fuß verrenkt zu haben. Der Gatte ein gewöhnlicher Lümmel. Teodoro der Unbeſtändige iſt ſeinem Charakter ſo treu, daß er jeden Augenblick ſeine Neigung ändert und bei dem bloßen Namen eines Frauenzimmers ſchon in ſie verliebt iſt. Nachdem die zwei erſten Akte unter nichtsſagenden, ſchattenſpielartigen Ereigniſſen hin⸗ gegangen ſind, überſtürzt ſich die Handlung im dritten ſo, daß kaum klar wird, wie ſich der Gatte von der Un⸗ ſchuld ſeiner Frau überzeugt hat und daher Hoffnung zur
1 Die übelverheirathete Schöne.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 199
Beſſerung gibt. Die alte Kupplerin Marcela ganz gut. Daß der Graf ihr im Finſtern, ſie für Lisballa haltend, fleiſchlich beiwohnt, muß man eben hinnehmen.
Los tres diamantes. 1 Dieſe drei Diamanten ſpielen nur auf dem Titel eine Rolle, aus dem Stücke könnten ſie eben ſo gut wegbleiben. Zur Verwicklung tragen ſie wenig bei, zur Entwicklung gar nichts. Die Fabel eine gewöhnliche, märchenhaft bunte. Die Charak⸗ tere ohne Bedeutung, man müßte denn den Entſchluß der entführten Prinzeſſin, ein Hoſpital zu gründen und dort Pilger und Kranke ſelbſt zu pflegen, für einen Ausfluß ihres Charakters ausgeben, was aber, da es mit ihrem frühern nicht zuſammenhängt, mehr eine und zwar wunder⸗ ſchöne Wendung der Erzählung iſt, als daß ſie aus irgend einer innern Nothwendigkeit hervorginge. Eine Scene aber hält für das ganze Stück ſchadlos. Es iſt die, wo der Held des Stückes auf der Flucht ſeiner wegemüden Geliebten ſeine Abſtammung und frühern Schickſale erzählt und dieſe trotz aller Aufmerkſamkeit dabei einſchläft. Ich zweifle, ob das ganze Gebiet der Poeſie etwas ſo Natur⸗ wahres und unausſprechlich Süßes aufzuweiſen hat. Shakeſpeare's Miranda hält dagegen keine Vergleichung aus, höchſtens die Liebesſcene in Romeo und Julie, nur freilich mit dem Unterſchiede, daß letzteres Stück ein tief⸗ gedachtes und künſtleriſch abgeſchloſſenes Ganzes iſt, indeß Lope de Vega ſeinen Reichthum wie ein ſpielendes Kind mitten unter die Albernheiten eines armſeligen Stoffes hineinwirft. |
La quinta de Horeneia.? Der erſte Akt ganz vortrefflich. Meiſterhaft geſchrieben. Der Herzog ein Fürſt
1 Die drei Diamanten.
2 Das Landhaus von Horencia.
200 Studien zum ſpaniſchen Theater.
in der edelſten Bedeutung. Wie wohlwollend ſeine Nei⸗
gung zu Don Cäſar, wie zart im Ausdruck und der Vor⸗
ſorge für ihn. Andrerſeits die Melancholie Cäſars mit
ihrer unbekannten Urſache, liebenswürdig und gewinnend.
Der Herzog will ihm ſogar die eigene Geliebte abtreten,
da er eine Neigung für ſie bei ihm vorausſetzt. Ebenſo gut gehalten die ſchöne Müllerstochter, Cäſars eigentliche Leidenſchaft. Der Scherz mit den unmöglichen Bedin⸗ gungen, die letztere ihren ländlichen Liebhabern ſetzt, wohl zu weit getrieben. Der zweite Akt erhält ſich noch bis auf Cäſars Entſchluß, ſie aus dem Vaterhauſe zu rauben und, nachdem er ſie genoſſen, mit ſeinem Hausverwalter zu vermählen. Es fehlt uns an einem Anhaltspunkte, um die Geſinnung jener Zeit zu beurtheilen, die die Heirath eines Adeligen mit einer Bäuerin für etwas halb Undenkbares hielt.
Laura wird geraubt, geſchändet. Der Vater wendet ſich an den Herzog, der in die Mühle und von da in Cäſars Landhaus kommt. Dieſer, mit dem Tode bedroht, heirathet nach mancher Weigerung das arme Mädchen, wo es denn ziemlich kindiſch iſt, daß unter die Gründe ſeiner Einwilligung auch der gehört, daß der alte Müller mit dem Herzoge an einem Tiſche geſpeist habe und alſo dadurch gewiſſermaßen geadelt ſei.
El padrino desposado. ! Das iſt nun wieder ein Stück, welches ſeine Bedeutung erſt durch einen in der Mitte auftauchenden, inhaltreichen Umſtand erhält. Dort nämlich tritt hervor, daß der Maurenkönig Argolan, eine prächtige Figur vall Tapferkeit und halb barbariſchem Stolz, ſich um des Herzogs von Medina Tochter Dona
1 Der Beiſtand als Bräutigam.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 201
Maria nur bewirbt, weil ihm geweiſſagt worden, daß, wenn ſie ſich einem Könige vermähle, ihr Sohn die Mauren aus Spanien vertreiben werde. Er gönnt ſie daher ſeinem Freunde, dem Grafen Don Pedro, eben deßhalb, weil er kein König iſt und daher die Prophe⸗ zeiung durch ihn nicht in Erfüllung gehen könne. Da erſcheint aber im letzten Akte der König von Arragonien, nachmals Vater Ferdinands des Katholiſchen, wird als Beiſtand zur Hochzeit gebeten, verliebt ſich aber in die Braut und heirathet ſie ſelbſt, daher der Titel: el padrino desposado: der Beiſtand als Bräutigam.
Der erſte Akt macht ſich ganz vortrefflich. Im zweiten Akte tritt eine ziemlich unwahrſcheinliche Verwicklung mit einem an die falſche Adreſſe gelangten Briefe und Ring auf, der an die von Don Pedro ausgeſchlagene Schweſter D. Ines gelangt, indeß er der geliebten D. Maria be⸗ ſtimmt war. Es wird nicht recht klar, ob D. Maria den Grafen nur ihrer in ihn verliebten Schweſter zu Gefallen ausſchlägt, oder ob ihr der abgeſchmackte D. Luis am Herzen liegt, dem ſie die leidenſchaftlichſten Vorwürfe macht, als er den Ring, den ſie ihm gab, an den Grafen im Spiele verlor.
Der Schluß wird für unſere Empfindung widerlich, theils weil ſich der König ſo Knall und Fall in D. Maria verliebt und trotz ſeiner Verpflichtung als Beiſtand keinen Augenblick anſteht, ſie dem Grafen wegzunehmen, theils wegen des bei den Spaniern ſo häufig vorkommenden Umtauſches der Geliebten. Daß der Graf D. Pedro ſeine Braut ſeinem Könige abtritt, mag angehn; daß er aber die verſchmähte D. Ines ſo ohne Umſtände heirathet, iſt nur in einer Zeit und bei einem Volke erklärlich, wo die Liebe nur Sache der Sinnlichkeit und der Phantaſie war,
202 Studien zum ſpaniſchen Theater.
die Ehe aber wie ein Geſchäft nach Nutzen und Vortheil abgeſchloſſen wurde. D. Ines, die geringſchätzig genug behandelt wurde, iſt gleichermaßen froh, den Gegenſtand ihrer unweiblichen Beharrlichkeit denn doch zu bekommen.
Las ferias de Madrid. Eine lebendige und höchſt ergötzliche Zuſammenſtellung von Volksſcenen, die ihren Anlaß in dem Jahrmarkt von Madrid haben. Die Un verſchämtheit der damaligen roués, die Habgier der Weiber und die Geldverlegenheit der Stutzer einer gewiſſen Klaſſe, vereinigen ſich zu einem Ballſpiel von Witz und Leicht fertigkeit. Aus dieſem bewegten Element taucht eine ein: zelne Verwicklung empor, die auch von Shakeſpeare und Moliere benützte Geſchichte eines Liebhabers, der ſein Abenteuer und ſeine Erfolge dem Gatten ſeiner Geliebten anvertraut, den er nicht kennt. Daß Shakeſpeare's Weiber von Windſor eines ſeiner ſchwächſten Stücke ſei, gibt Jedermann zu. Bei Molieère macht dieſe falſche Vertrau⸗ lichkeit den einzigen Inhalt des Stückes aus, wodurch das Ganze etwas einförmig wird. Hier aber, nur als Stickerei auf dem bunten Stoffe der Volksbeluſtigung, iſt es von äußerſt angenehmer Wirkung. Eine Zuthat, die den Werth einer Hauptſache hat; das Abſurde übrigens, das Lope de Vega immer auf dem Fuße folgt, geht auch hier nicht leer aus. Der betrogene Gatte ruft endlich den Vater ſeiner Frau als Zeugen ihrer Verirrungen herbei. Dieſer, obwohl höchſt erzürnt, findet denn doch zu ſtark, daß der Geprellte ſeine gekränkte Ehre durchaus durch den Tod der Schuldigen rächen will, und ſtreckt den armen Teufel durch einen herzhaften Degenſtoß mauſetodt zur Erde. Dieſe blutige Entwicklung einer komiſchen
1 Der Jahrmarkt von Madrid.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 203
Geſchichte macht eine höchſt wunderliche Wirkung. Die junge Wittwe, die unſeres Wiſſens von ihrem Gatten nur ein paar verdiente Maulſchellen zu leiden hatte, tröſtet ſich augenblicklich über die „verlorne Geſellſchaft“ und ver⸗ ſpricht dem Liebhaber nach überſtandenem Trauerjahr ihre Hand. ö
El santo negro Rozambuco. 1 Die Geſchichte eines Negers, der, als Korſarenkapitän gefangen, durch den Anblick eines Wunders zum Chriſtenthum bekehrt wird und als ein Heiliger ſtirbt. Der erſte Akt, wie es bei Lope de Vega öfter der Fall iſt, weit ſorgfältiger ausgearbeitet als die übrigen. Der Herr, dem der ge⸗ fangene Korſar als Sklave geſchenkt wird, faßt einen ent⸗ fernten Verdacht gegen die Treue ſeiner Frau und will ſie, ächt ſpaniſch, kurzweg umbringen, ſelbſt die Wohl⸗ that der Beichte verweigert er ihr. Endlich geſtattet er ihr doch, ſich an die Statue des heiligen Benedikt in ihrem Oratorium zu wenden. Sie wirft ſich auf die Kniee, und ihre Unſchuld betheuernd, bittet ſie um ſeinen Segen. Und ſiehe da! Der Heilige hebt die Hand auf und gibt ihr die Abſolution. Während der Gatte nun ſein Unrecht einſieht, wird auch der Neger, der als Gehilfe beigezogen ward, zum Chriſtenthume be: kehrt, das er früher entſchieden zurückgewieſen hat. In das Ganze hinein ſpielt eine im Hauſe dienende Negerin, ein liederliches Weibsſtück, das durch ihre Geſchwätzigkeit und ihr ſpaniſch⸗mohriſches Kauderwälſch eine höchſt komiſche Wirkung macht. Sie hat Abſichten auf den ſchwarzen Landsmann; von ihm zurückgewieſen, begnügt ſie ſich aber mit einem alten ſchlottrigen Bedienten, mit dem ſie
1 Der heilige Neger Rozambuco.
204 Studien zum ſpaniſchen Theater.
überraſcht und Rücken gegen Rücken zuſammengebunden wird, in welcher Stellung ſich die Beiden (wie vorge ſchrieben ſteht) mit dem Hintern einander Stöße geben und ſo mit Prügeln vom Theater gejagt werden; einer der wenigen ſichtlich obſcönen Späſſe, die ſich Lope de Vega erlaubt. Der bekehrte Neger wird nun Franzis kaner, in der Folge Guardian, zeichnet ſich beſonders durch die erniedrigendſte Demuth aus, kommt in den Geruch der Heiligkeit, wirkt Wunder, indem er Kranke heilt, Todte erweckt, wobei als prägnant nur die Aus treibung des Teufels aus dem Kinde des Vicekönigs an⸗ zuführen iſt. Die diaboliſchen Reden, der Spott, der Hohn aus dem Munde des unſchuldigen Kindes; und ent lich, als der Teufel wirklich ausfährt, weiß es Lope durch nichts anzudeuten, als daß er hinter der Scene einen Flintenſchuß abfeuern läßt. Das klingt beinahe läppiſch, wenn man ſich aber in die Situation hineinverſetzt, be⸗ greift man die Wirkung, die dieſer Schlag machen mußte, der zugleich die Vorſtellung von Feuer, Rauch und Schwefel geruch mit ſich führte. Ein ſchurkiſcher Mönch, der erbit⸗ tertſte Feind des Heiligen, in dem dieſer aber doch gleich von vorneherein gleichfalls einen prädeſtinirten Heiligen erkennt, bildet den Hebel der darauffolgenden ziemlich kahlen Ereigniſſe. Er will ſchon früher, um das Anſehn ſeines Guardians herabzuſetzen, deſſen Perſon beim Vice⸗ könig vorſtellen und ſich deßhalb das Geſicht ſchwärzen. Statt nach Ruß zu greifen, kommt ihm aber — ungewiß ob durch Wunder oder Verſehen — Mehl in die Hand, mit dem er ſich das Geſicht ganz weiß einſtäubt, was denn die komiſche Wirkung nicht verfehlt haben wird. Zuletzt will er den Guardian vergiften, dieſer aber ſegnet das Glas, worauf es zerbricht, was ſeine Wirkung auf
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 205
den Sünder nicht verfehlt, der plötzlich auch bekehrt wird. Diefe letzten Sachen und überhaupt die ſpätern Akte, nit Ausnahme der Teufelsbeſchwörung, ſind übereilt und icht mit Lope de Vega's gewöhnlicher Empfindung der Situation ausgeführt.
Laura perseguida. ! Ein Prinz, der mit einem deligen, aber nicht ebenbürtigen Frauenzimmer außer der be, zwei Kinder erzeugt. Der König, fein Vater, will hn von ihr trennen und wendet jenes Mittel an, das eit Arioſt ſo oft angewendet worden iſt und in der Ent⸗ ernung der Erzählung ſich ganz gut macht, in der Nähe es Drama aber noch immer verunglückt iſt, daß eine Dienerin in den Kleidern ihrer Herrin Nachts einen ins senfter Steigenden mit Liebkoſungen empfängt und ſo beiter. Auch hier glaubt der Prinz dem plumpen Spiel, nißhandelt die unſchuldige Geliebte, verſtößt ſie, kann ie aber doch nicht vergeſſen. Unterdeſſen hat ſein Vater ine Prinzeſſin Braut herbeigeſchafft, er iſt eben im Begriff, ſich zu vermählen, als das Geſchehene ſich auf⸗ lärt, der Prinz mit feiner Geliebten entflieht und fie nun wirklich zum Weibe nimmt. Der Vater bietet ein kleines Heer auf und will eben das Schloß Laura's, mo: hin ſich die Beiden geflüchtet, belagern, als jene mit ihren beiden Kindern ſich ihm zu Füßen werfen, der Alte ver⸗ zeiht und, da die verſchriebene Prinzeſſin einmal da iſt, ſie ſelber heirathet.
Die Ausführung iſt nicht viel bedeutender als der Stoff. Ein paarmal nimmt es den Anlauf, als ob etwas daraus werden ſollte, verſchwindet aber gleich wieder. Einmal im erſten Akt, wo der Prinz, erzürnt, daß ſein
1 Die verfolgte Laura. U
206 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Vater an der Würdigkeit, ja an der Schönheit ſeiner Geliebten gezweifelt, dieſe, die jener nicht kennt, zu ihn ſchickt, wo fie auch unter Erzählung einer erdichteten Ge: ſchichte den alten Herrn beinahe verliebt macht. Ganz gut auch die Scene, wo der Prinz, zwiſchen Abſcheu und Liebe kämpfend, einmal die Falſche zu rufen befiehlt und dann den Befehl zurücknimmt.
que & Laura me han quitado, que no tengo
u Laura, ni la hablo, ni la toco;
que no me puedo regalar con Laura.
que sus dolces palabras ya no escucho,
que no la he de ver mas. Llama a essa puerta.!
Zum Schluß bekommt ſogar der Böſewicht des Stückes ein Weib, jene Zofe nämlich, die ſich als Werkzeug ſeiner Schurkerei hergegeben. Man weiß nicht, ob dieſe Heirat eine Belohnung oder eine Strafe iſt, da er vorher in Laura verliebt war. Uebrigens zeigen ſich beide Theile als vollkommen zufrieden.
Nuevo mundo descubierto por Christoval Colon.? Da iſt nun ein weltgroßer Stoff, den Lope de Vega in ſeiner etwas kindiſchen Manier und doch, was den Grund der Sachen betrifft, mit reifer Urtheils kraft und, für ſeine Zeit, mit völliger Prägnanz dar geſtellt hat. Ich ſage: mit reifer Urtheilskraft, trof dem vielen Abſurden, das in dem Stücke vorkommt, denn es zeigt ſich, daß er die ſchändliche, ja für Spanien
1 Sie haben Laura mir genommen, ich habe Laura nicht mehr, kann nicht mit ihr reden, fie nicht mehr berühren, kann nicht mit iht mich ergößen, höre ihre ſüßen Worte nicht mehr, ſoll fie nicht meht ſehen. Klopfe an jener Thüre.
2 Die neue von Chriſtophoro Colombo entdeckte Welt.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 207
ädliche Kehrſeite dieſer Entdeckung einer neuen Welt Ükommen eingeſehen hat. Durch dieſe Einſicht in die yreurtbeile ſeiner Zeit unterſcheidet er ſich weſentlich von ilderon, der ihm an Verſtändigkeit der Anordnung und ſthalten einer Grundidee himmelweit überlegen, dagegen er von jenen Vorurtheilen fo befangen iſt, daß ihm ich nicht der geringſte Zweifel dagegen einfällt. So wie pe in früheren Stücken die Galanterie, den abſurden hrbegriff und die blinde Unterthänigkeit feiner Zeit leiſe rſpottet hat, ſo entgehen ihm auch hier die üblen Folgen r Goldvermehrung für Spanien nicht: Das Vaterland ird ſich entvölkern (3. Akt 1. Scene), böſe Kriege werden ıtfteben, das Gold, trotz feiner Vermehrung, wird ſich erſtecken und endlich fehlen.
Despoblaränse las tierras por ver los nuevos que encierras Nuevo mundo en tu Orizonte. 1
nd ſpäter: , Tarrazas: z Vendrä el oro a ser mejor? Arana: Mas ä esconderse y faltar. 2.
Nachdem er mit dieſen hingeworfenen Bemerkungen em Verſtande genug gethan hat, kommt nun die Be⸗ achtung, die Alles überwiegt und die er daher zum Rittelpunfte des Ganzen gemacht hat: die Ausbreitung es Chriſtenthums. Ganz feinem Zwecke gemäß läßt er aber die Indianer ſchon bei ihrem erſten Auftreten im recht fein. Ein Kazike hat den andern überfallen und
1 Die Länder werden ſich entvöllern, die Seltſamkeiten zu ſchauen, ind, deines neuen Horizontes. 2 Tarrazas: Denkſt du, daß das Gold von nun an reiner werde? Arana: Es wird ſich mehr verfieden und wieder fehlen.
208 Studien zum ſpaniſchen Theater.
ihm ſeine Braut geraubt. In der Folge gibt ſich dieſelbe Braut, die ihren Bräutigam bejammert, ohne viel Um: ſtände einem Spanier hin. Dieſe ſeine Landsleute kommen ſelbſt nicht beſſer weg. Sie ſind mit Ausnahme der Hauptperſonen fo ziemlich Lumpengeſindel. Nur das Kreuz, Columbus ſelbſt und der Geiſtliche der Expedition, bleiben bei Ehren. Die Indianer übrigens werden durch theils naive, theils komiſche Züge auch zu Gegenſtänden des Wohlgefallens gemacht. Der erſte Spiegel, klingende Schellen geben Anlaß zu ergötzlichen Scenen. Ein Brief, den ein Indianer zu überbringen erhält, und der ſeine Mauſerei enthüllt, wird von dieſem für ein lebendiges, mit Sprache begabtes Weſen gehalten.
Columbus ſelbſt iſt ſehr gut gehalten. Wir feben ihn anfangs in Portugal, um dem Könige ſeine Entdeckung anzubieten. Er ſpricht mit ſeinem Bruder und geſteht ſelbſt das Abenteuerliche, ja Unwahrſcheinliche ſeiner Projecte, beruft ſich aber auf eine innere Stimme, der er nicht mißtrauen könne. Der König von Portugal verlacht ſein Anerbieten. Er beſchließt, nach Spanien zu gehen, und ſchickt ſeinen Bruder nach England. In der dritten Scene finden wir ihn in Spanien angelangt und ſeinen Bruder mit einer abſchlägigen Antwort aus England zurückgelangt. Die katholiſche Königin erwartend, hat nun Columbus eine Viſion. Eine Geſtalt, in bunten Farben gekleidet, erſcheint ihm und kündigt ſich als ſeine eigene Imagination an. Sie führt ihn durch die Luft zum Throne der Providenz, der die chriſtliche Religion und die Abgötterei zur Seite ſtehen. Letztere widerſetzt ſich der Entdeckung von Amerika und wird von dem hinzugekommenen Teufel unterſtützt, aber wie natürlich vergebens, und Columbus ſieht ſich in ſeinem Vorhaben beſtärkt. Die katholiſchen Könige nehmen
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 209
trag an und fo weiter bis zum Schluſſe, wo des ks derſelben Könige nicht gedacht wird, ſondern der r neuen Welt zurückgekehrte Entdecker, zum Herzoge eraguas ernannt, den Königen die Fahne vorträgt s Ganze mit der Taufe der mitgebrachten Indianer
lb widerſinnig, und doch wieder durch eine Art endigkeit gerechtfertigt und daher nicht ohne Wirkung ß die Wilden, die, wie natürlich, von vorneherein h ſprechen, doch bei ihrem erſten Zuſammentreffen n Spaniern, ſie nicht recht zu verſtehen angenommen i, durch Zeichen Antwort geben, barbariſche Namen ertlichkeiten mit Wiederholung herausſtoßen, und im Akte die Rede iſt, daß ſie nach und nach ſchon h verſtehen und ſprechen. Ebenſo wirkſam die Scene, das aufgepflanzte Kreuz niederreißen wollen, und der Scene einige Schüſſe fallen, was ſie auf die rthätige Natur des räthſelhaften Holzſtammes be⸗ und ſo vorahnend ſich zum Chriſtenthum neigen, noch wiſſen, was Chriſtenthum ſei. Noch einmal: de Vega iſt nicht der größte Dichter, aber die heſte Natur der neuern Zeit.
| asalto de Mastrique. 1 Da ift nun Lope in Elemente, und er ſchwimmt darin wie ein Fiſch im t, wenigſtens in der erſten Hälfte des Stückes. Eine iche Lagerwirthſchaft. Spaniſche Soldaten, die über r klagen, den Krieg verwünſchen und doch gleich zu jeder Unternehmung bereit ſind, beſonders ſo⸗ hnen die Plünderung verſprochen wird, ja der ärgſte ‚ler iſt zum Schluß der Tapferſte der Tapfern. Sie
der Sturm von Maeſtricht. illparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 14
te vos ee Deualſeher,
Antwerpen mit ſich genomn
Dicke eiferſüchtig iſt, komm
gegen und ſagt ihr in ein
Schweinigeleien, wogegen di
Grenzen des Anſtandes bleil daß ſie in Bezug auf das Köi mit Jedem zu gehen, der gera und Ohrfeigen werden auch zi rechnet. Beſonders freigebig
de Figuerra, einer der Anführe Beine, an der Flamänderin 0 wirklich davonträgt, ſchon fri ſpäter mit ganzer Willfährigkei ihr geliebter Marcela ein Wei mändiſch oder Deutſch wird in der letzten Scene des erſten A nachdem ſie Aynora an Don liebten jagt, fie wolle feine ; einen Theil dieſer Ausdrücke, ! Druckfehlern, nicht verſtehe,
Scene hal
Alonso:
Mare.: Alonso:
Marc.: Alonso: Marc.: Alonso:
Marc.:
Tantos dizes que conviene alargarte luego el brazo. zQuieresme quanto te quiere esta alma?
Dat vuilghimeil. Yo lo soy, y te soy fiel. ‚seräslo tu?
Yit minhere. 3 0lvidaräs mi afieion? Liuerte sterven, mi bien. z querräs alguno bien Marcela?
Ni ti fiston. !
211
Das Schalkhafte dieſes letzten Ausdruckes bekam da⸗ rch ſeine ganze Wirkſamkeit, daß das ni ti fiston (nicht ſtehen), wahrſcheinlich aus dem Munde der walloniſchen
irdeſoldaten, jedem Spanier bekannt genug war.
Wie nachläſſig Lope ſeine Stücke ſchrieb und bei ihrer viſion zum Drucke verfuhr, geht auch daraus hervor, ß, als das erſtemal von der Flamänderin Aynora ge :ochen wird, dieß unter dem Namen Serafina geſchieht.
Das Stück erhält ſich in Bezug auf die Perſonen
1 Alon ſo: Willſt du mich umarmen, mein Augenlicht?
Marcela: Tu velfterthine.
Alonſo: Du ſprichſt ſo gut, daß ich dir gleich den Arm reichen muß. Liebſt du mich, wie dich meine Seele liebt?
Marc.: Dat vuilghinuil.
Alon ſo: Ich bin es und werde dir treu fein. Wirſt du es fein?
Marc.: Tit Minhere. |
Alonſo: Wirſt du meine Liebe vergefjen? Marc.: Liverte sterven, mein Schatz.
Alonſo: Und wirſt du irgend Jemanden lieben, Marcela?
Marc.: Ni ͤ ti verston.
212 Studien zum ſpaniſchen Theater.
gleich gut bis zum Ende, nur kommt ſo viel Gefecht und Sturmlaufen vor, daß es für uns etwas Puppenſpiel⸗ mäßiges erhält. Zur Zeit der Aufführung mochte das anders beurtheilt werden. Bei Einnahme der Stadt beißt es ſogar: aqui no ay representacion, sino cuchilladas. !
Peribauez y el Comendador de Ocana.? Hier haben wir eines der Lieblingsthemen Lope de Vega's. Das Glück und die Zufriedenheit des einfachen Landlebens. Ein Bauer Peribanez vermählt ſich zu Anfang des Stückes mit Caſilda, einem Landmädchen, und ſie erſchöpfen ſich in ziemlich unbeholfenen, aber wahren Verſicherungen wechſelſeitiger Neigung; ſelbſt der anweſende Pfarrer wird ſo ziemlich zur komiſchen Perſon. Da wird plötzlich der Ordenscomthur und Gutsherr, den ein zum Feſte vor⸗ bereiteter Stier ſammt dem Pferde zu Boden geworfen hat, ohne Beſinnung herbeigetragen. Man leiſtet ihm jeden Beiſtand, er erholt ſich und verliebt ſich in die Neuvermählte. Dieſe hat unterdeſſen ihrem Mann das Verlangen ausgedrückt, nach Toledo zum Feſt der virgen del Sagrario3 zu gehen, und deſſen Einwilligung erhalten, was dem Comthur Gelegenheit gibt, als Zeichen ſeines Dankes dem Bauer koſtbare Pferdedecken, ja ſogar zwei Maulthiere für deſſen Wagen zu ſchenken. Den Comthur muß ſich Lope ſehr jung und dieſe Liebe als ſeine erſte gedacht haben, denn in dieſer romantiſchen Exaltation pflegt ſich ſonſt die Liebe eines Gutsherrn zu einer Bäuerin nicht zu äußern. Das Paar geht nach Toledo, der Comthur folgt verkleidet zu Pferde und läßt dort von einem Maler ver⸗ ſtohlen das Bild ſeines geliebten Gegenſtandes anfertigen.
1 Hier gibt es keine Darſtellung, ſondern nur Meſſerſtiche.
2 Peribanez und der Comthur von Dcana. 3 Jungfrau des Altares.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 213
Im zweiten Akte hat Peribanez, der bei feiner Ge⸗ neinde in großem Anſehen ſteht, den Auftrag übernommen, inen heiligen Rochus, der durch Alter unſcheinbar ge⸗ vorden, nach Toledo zu bringen, um ihn durch einen’ Maler auffriſchen zu laſſen. Ebenſo fanden der Bediente ind ein Freund des Comthurs inzwiſchen Gelegenheit, ver erſtere ſich als Schnitter im Haufe des Bauers auf: vehmen zu laſſen, indeſſen der andere einer im Haufe be⸗ indlichen Muhme Ines den Hof macht, beide um dem Com⸗ hur die Gelegenheit anzubahnen. Der verkleidete Bediente äßt wirklich ſeinen Herrn ins Innere des Gehöftes ein, vo dieſer, als Caſilda das Fenſter öffnet, um die Leute ur Arbeit zu rufen, anfangs unter der Maske eines Schnitters ihr die Liebe des Comthurs anrühmt, worauf ie, auf die Maske eingehend, ihre Liebe zu ihrem Gatten erklärt und den Comthur an Frauen ſeines Gleichen ver⸗ veist und, als der Ritter ſich als Comthur zu erkennen zibt, ohne weiter von ihm Notiz zu nehmen, fortfährt, die Schnitter zur Arbeit aufzufordern. Dieſe Scene, ob⸗ vohl, mit Ausnahme des charakteriſtiſchen Schluſſes, mehr yrifch als dramatiſch gehalten, iſt von ergreifender Schön: zeit. Peribanez, in Toledo angekommen, geräth mit ſeinem yeiligen Rochus auf den nämlichen Maler, der Caſilda's Bild ins Große zu bringen übernommen hat. Er erfährt, haß der Comthur es beſtellt hat, ja, nach Ocanña zurück⸗ jekommen, hört er feine Schnitter, die etwas gemerkt haben, ein Lied auf jenen nächtlichen Beſuch ſingen. Er veiß nun, was geſchehen iſt, doch vertraut er ſeiner Frau. Der Comthur ergreift nun ein anderes Mittel, ihn zu entfernen. Er macht ihn zum Hauptmann über eine Schaar Landleute, die dem Könige gegen Granada zu Hülfe ziehen ſollen. Peribanez nimmt die Sendung an
214 Studien zum ſpaniſchen Theater.
und läßt ſich vom Comthur ſelbſt das Schwert umgürte
was einer Art Ritterſchlag gleichkommt, offenbar, um d. Recht zu erwerben, ihn in der Folge umbringen zu könne Er reist ab, kommt Nachts heimlich zurück, tritt bei ſeinen Nachbar ein, durch deſſen Hof in feinen eigenen, finde den Comthur eben im Begriffe, ſeiner Gattin Gewalt anzuthun, tödtet ihn und zur Geſellſchaft auch die ver: liebte Gelegenheitsmacherin, Muhme Ines, ſtellt ſich ſelbſt dem Könige, der einen Preis auf ſeinen Kopf geſetzt bat, und mit einer hübſchen Wendung bittet er, ſeine Frau als diejenige zu betrachten, die ihn geſtellt hat, und das Blutgeld der Verlaſſenen als Unterſtützung zukommen zu laſſen. Das wahre Verhältniß wird aufgeklärt und Be ribanez belobt und belohnt.
In dieſem letzten Akte iſt Lope de Vega etwas be⸗ gegnet, das ihm ſonſt nicht leicht zu geſchehen pflegt: er iſt abſichtlich geworden. Nachdem ſein Held ſchon mit Gedanken von Ehre und Rache umgeht, gibt Lope ſich ſichtliche Mühe, ihn noch als ſchlichten Landmann zu halten. Er läßt ihn ausdrücklich mit komiſcher Gravität hinter ſeiner Compagnie hermarſchiren, ihn, als er ſich ſchon zur blutigen That anſchickt, noch von Schweinen, Gänſen und Hühnern ſprechen, wogegen nichts zu ſagen wäre, aber es hat etwas Gemachtes, was, noch einmal geſagt, bei dieſem Dichter äußerſt ſelten vorkommt. Auch habe ich ſchon die Vermuthung ausgeſprochen, daß unter der oft vorkommenden Figur eines Belardo, Lope de Vega ſich ſelbſt gemeint habe. Hier wird es deutlicher als je, da Belardo einmal ſich gegen die Tadler auflehnt, die ihm Mangel an Kenntniſſen vorwerfen, und meint, er ſei der Erſte, der ſchreiben könne, ohne leſen gelernt zu haben.
. um
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 215
El Genoves liberal. ! Ein theils unbedeutendes, theils abſurdes Stück. Ottavio Grimaldo wird vom genueſiſchen Senate nach Paris geſchickt, um die Herr⸗ ſchaft über Genua dem Könige von Frankreich anzutragen. Er hat eine Geliebte, Alexandra, zurückgelaſſen, die wäh⸗ rend ſeiner Abweſenheit einen Edlen, Camillo, heirathet. Auch hat ſich in Paris eine vornehme Dame, Marcela, gefunden, die ſich in ihn verliebt und, bei ſeiner Abreiſe, ihm, als Mann verkleidet, in Pagenweiſe folgt. Seine Verzweiflung bei der Rückkehr iſt groß, man merkt aber bald, daß es ihm hauptſächlich um den „Genuß“ zu thun war. Als Gelegenheitsmacher wird die als Page ver⸗ kleidete Marcela dem Gatten Alexandra's ins Haus über⸗ laſſen, die den Plan darauf baut, ſich bei Gelegenheit der Geliebten unterzuſchieben und durch eine Verwechslung der Perſon ihres, gleichfalls ſinnlichen, Wunſches theilhaft zu werden. Das vergißt aber Lope de Vega ſpäter, oder es gereute ihn, eine bei ihm ſo oft vorkommende Verwicklung auch hier anzuwenden. Wenigſtens wird im Laufe des Stückes nichts mehr daran angeknüpft. Mittlerweile aber hat das Volk von Genua etwas von den Unterwerfungs⸗ planen des Senates gemerkt; ſie empören ſich und vertreiben den Adel. Darunter auch den Gatten Alexandra's, der aber Gelegenheit findet, von Zeit zu Zeit heimlich zurück⸗ zukehren und ſeiner Frau im Lauf des Stückes drei Kinder zu verfertigen. Nur Ottavio weiß ſich durch Achſelträgerei dem allgemeinen Verbannungsurtheile zu entziehen, ja als ſpäter der König von Frankreich die Stadt belagert und auszuhungern beſchließt, iſt Ottavio der Einzige, der ſein Haus zum Kaſtell umgeſtaltet und, als der Hunger ſchon in der Stadt wüthet, allein mit allem Nöthigen im Ueber⸗
1 Der großmüthige Genueſer.
216 Studien zum ſpaniſchen Theater.
fluß verſehen iſt. Auch im Haufe Alexandra's, die in zwiſchen alle Bewerbungen Ottavio's zurückgewieſen hat, ſteigt die Noth aufs Höchſte. Sie ſelbſt wäre bereit, Hungers zu ſterben, auch an ihrem Vater, meint ſe, läge nicht gar ſo viel, weil er denn doch ſchon alt und hinfällig ſei, aber ihre Kinder will ſie retten. Sie nimmt daher den Rath der Ihrigen, in den auch die durch Hunger gebändigte Marcela einſtimmt, obwohl mit Widerwillen, an, bei Ottavio um Nahrung zu bitten. Ihr Vater gibt ihr einen Dolch auf den Weg, den fie ſich, wenn Ottavio den Sündenpreis für ſeine Hilfeleiſtung begehre, nur friſchweg ins Herz ſtoßen möge. Sie kommt an, Ottavio wird von ihrer Lage gerührt, er hält mit allen ſeinen Seelen⸗Fakultäten einen Rath, was er thun ſolle, und beſchließt endlich, feinen Gelüſten Zaum anzulegen, ihr mit allen ſeinen Vorräthen im übertriebenſten Maße beizu⸗ ſpringen (worunter auch hunderttauſend Dukaten vor kommen) und dabei ihrer Ehre zu ſchonen. Das iſt denn nun die Großmuth dieſes Genueſers.
Die Stadt wird eingenommen. Der vom Volk zun Herzog gewählte Färber, der die vernünſtigſte Perſon im Stücke iſt, hingerichtet. Alexandra erhält ihren Gatten, Marcela gibt ſich zu erkennen und wird mit dem groß müthigen Genueſer vermählt.
Es hat wohl noch keinen Dichter in der Welt gegeben, bei dem die höchſte poetiſche Begabung mit der leicht ſinnigſten Schleuderei ſo Hand in Hand gieng.
Das Handwerk trug wahrſcheinlich wenig ein; das Verſemachen war ihm zum Bedürfniß geworden, der Begehr nach neuen Stücken war groß, und ſo überließ er denn der Stimmung und dem Zufall, ob die in Gang geſetzte Scheibe eine Vaſe oder einen Krug hervorbrachte.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 217
Los torneos de Aragon. 1 Wo möglich noch un: bedeutender als das vorige. Eine Eſtela, Schweſter des Grafen Balduyno, wird von Herzog Arnaldo auf der Reiſe überfallen, geſchändet und gefangen gehalten, findet aber Gelegenheit, zu entkommen. Dem Herzog Arnaldo wird die Hand Marcela's, der Tochter des Königs von Frankreich, Clodoveo, angeboten, die er auch mit Freuden annimmt. Sie iſt aber ſchon in den Grafen Balduyno verliebt, der ſie mit Hülfe eines Carlos, verſprochenen Bräutigams der geſchändeten Eſtela, entführt, bei welcher Gelegenheit aber Carlos gefangen wird. Sämmtliche Flüchtlinge nehmen ihren Weg nach Spanien, wo Eſtela in Männerkleidern und zwar, man weiß nicht, warum, als Narr am Hofe von Aragon auftritt. Inzwiſchen hat Balduyno erfahren, daß Carlos' Leben in Gefahr ſchwebt und er nur durch einen Gerichtskampf gerettet werden kann. Er verläßt daher heimlich ſeine Marcela und reist nach Paris, befreit ſeinen Freund, wird dabei ſelbſt ge⸗ fangen und ſeinerſeits wieder von Carlos befreit. Das Ende davon iſt, daß beide Freunde nach Arragonien gehen, wo der König ein Turnier ausgeſchrieben hat, in dem der höchſte Preis der Schönheit für ſeine Gattin von dem Platzhalter in Anſpruch genommen wird. Dahin hat ſich auch Marcela gewendet, die ſich von ihrem Geliebten verrathen wähnt und in Männerkleidern Nachricht von ihm einzuziehen gedenkt. Die als Narr bei Hofe in Gunſt ſtehende Eſtela verliebt ſich hier in den mädchenhaften Jüngling, wobei ſie meint, da ſie doch ſchon einmal ge⸗ ſchändet ſei, ſo wolle ſie doch ihre Luſt an ihrem neuen Liebling büßen. Hieraus entſteht die beſte Scene im
1 Die Turniere von Aragon.
ee”
Eſtela erklärt ſich zuerſt Marcela: Estela: z eon g Marcela:
es porq Estela: 3 Como! Marcela: Porque ı
Der König von Frankreic find unterdeſſen in Verfolgu Arragonien gekommen. Dat ſeitige Erkennungen. Bald Carlos eine Verwandte des $ kennt; und die begehrliche Eſt für ihren Ehrenſchänder Arn
La boda entre dos n Freundſchaft zweier jungen und eines Franzoſen Febo. 7 bis auf eine gar zu große € einanderleben und eins im Wortſpi⸗ l-
Ueber Lope de Bega's dramatiſche Dichtungen. 219
um dem Freunde ſeine Geliebte ſehen zu machen, und wohl auch, weil er ihm ihre jüngere Schweſter Celia zudenkt, nimmt er ihn bei einer ſeiner heimlichen Zuſammenkünfte mit, wobei aber Febo das Unglück hat, ſich heftig in Fabia zu verlieben, ohne jedoch ſeinem Freunde etwas davon merken zu laſſen. Die Zuſammenkünfte werden ruchbar und führen eine Verlobung Lauro's mit Fabia herbei. Nun erkrankt Febo plötzlich mit allen Zeichen der Geiſtesverwirrung. Lauro wendet vergebens alle Mittel an, um die Urſache dieſer Schwermuth zu ergründen. Erſt als er ſich ſelbſt den Dolch auf die Bruſt ſetzt und ſich zu ermorden droht, geſteht Febo ſeine Liebe. So ſehr er nun ſelbſt verliebt iſt, beſchließt er doch ohne Zaudern, die Braut dem Freunde abzutreten, deſſen Leidenſchaft ſtärker ſein muß, da ſie ihn krank gemacht hat:
Febo tu estas & la muerte de amores desta donzella, y yo no me muero agora. Amor nos puso esta mesa quien tiene mas hambre coma. !
Er ſchützt eine nothwendige Reife vor und gibt feinem Freunde eine falſche Vollmacht (?) (un fingido poder), ſich in ſeinem Namen mit Fabia trauen zu laſſen, und als die Nacht kommt, ſchwärzt er ihn in das Braut⸗ gemach ein.
Aus Furcht vor den Verwandten der Neuvermählten entflieht Febo mit Fabia und ihrer Schweſter nach Frank⸗ reich. Dagegen fällt Lauro in ihre Hände. Er verliert
1 Phoͤbus, du biſt aus Liebe zu dieſem Fräulein dem Tode nahe, und
ich bin noch nicht in Gefahr, zu ſterben. Amor deckte uns dieſe Tafel, wer mehr Hunger hat, der eſſe.
220 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Hab und Gut und muß als Bettler gleichfalls nach Frank reich fliehen. Auf dem Wege fällt er Räubern in die Hände und kommt, von Mangel und Hunger erſchöpft, in Paris an, wo er auf öffentlicher Straße ſeinen Freund Febo um Almoſen anſpricht, der ihn mit einem Gott helf! abfertigt. Nun glaubt er ſich von ihm verrathen, nimmt ſelbſt einen im Walde begangenen Todtſchlag auf ſich, um zu ſterben. Febo hat ihn aber nicht erkannt, als er ihn abwies, und da Lauro nun als Mörder vor den Prevot von Paris gebracht wird, nimmt er den Todtſchlag auf ſich, und ſo ſtreiten ſie an Großmuth, bis endlich ein anderer Spanier Andronio, ein früherer Liebhaber Fabias, geſteht, den Verblichenen im Zweikampfe getödtet zu haben, Alles ſich aufklärt und bei der Schlußverheirathung ſämmtlicher Weiber, Lauro die jüngere Schweſter Fabias, die bis dahin unbeachtete Celia, erhält. Gegen das Ende hebt ſich das Stück etwas, das ſonſt ziemlich unbedeutend verläuft. | El amigo por fuerza.! Ein Prinz Turbino von Ungarn, der einen Grafen Aſtolfo haßt, weil er der ke günſtigte Liebhaber der Schweſter des Prinzen iſt und doch wieder ſein Beſchützer und Freund iſt, weil er ſelbſt die Schweſter deſſelben liebt. Da wäre nun Stoff, ſollte man meinen, zu artigen Verwicklungen, intereſſanten Gegenſätzen und unerwarteten Ereigniſſen jeder Art. Aber nichts von dem Allem. Das Ganze verläuft ſich ſo ungeſchlacht und derb, daß der Gedanke, ſtatt den Bau daraus organiſch zu entwickeln, beinahe nur zum Aushäng⸗ ſchild wird, um die Kneipe von andern ihres Gleichen daduͤrch zu unterſcheiden. Die Prinzeſſin wird von ihrem
I Der aufgenöthigte Freund.
Ueber Lope de Bega's dramatiſche Dichtungen. 221
Vater in Folge eines Friedenstractates dem Könige von Böhmen zur Gemahlin beſtimmt und zugleich der Graf Aſtolfo, der einen Verwandten des Letztern getödtet, dem⸗ ſelben zur Hinrichtung ausgeliefert. Der Prinz befreit ſeine Schweſter, indem er ſie auf dem Wege zur gezwun⸗ genen Hochzeit rauben läßt. Er will auch ſeinen auf⸗ genöthigten Freund Aſtolfo befreien, worin ihm aber die beiden Weiber zuvorgekommen ſind, die, als Sklave und Sklavin verkleidet, mit einem alten Luſtigmacher Hortenſio als Sklavenhändler Eingang in den Thurm gefunden haben, wo der Alkalde des Gefängniſſes ſich in die Sklavin ver⸗ liebt, und nun beide Damen mit eigenen zarten Händen die Dolche brauchen, und dem verliebten Hüter den Garaus machen. Aſtolfo iſt nun zwar befreit, dafür aber wird der Prinz Turbino, der in der Verkleidung eines Brief⸗ trägers einen abgeſonderten Plan verfolgte, ſchlafend ge⸗ funden und ſeinerſeits gefangen genommen. Ein neuer Fund muß aushelfen. Der Luſtigmacher Hortenſio wird zum griechiſchen Arzt, den die beiden Weiber als Pagen und der befreite Aſtolfo als Diener begleiten. Der Prinz ſtellt ſich, nach Verabredung, krank, die Griechen werden eingelaſſen, knebeln den Aufſicht führenden Herzog Mau⸗ ricio und entfliehen mit dem Gefangenen. Der König von Ungarn, in der Freude, ſeine Kinder wieder zu haben, erfüllt die Wünſche ihrer Herzen.
Ich bin zu wenig bekannt mit der Vorgeſchichte des ſpaniſchen Theaters, um zu wiſſen, ob Lope de Vega der Erſte war, der dieſen Reichthum von Ereigniſſen und das Melodramatiſche der Handlung auf die Bühne brachte. Im Bejahungsfalle bleibt ihm immer das Verdienſt als Erfinder, das kein kleines wäre, da das Bunte doch immer beſſer iſt, als das Leere, und er dadurch einem künftigen,
222 Studien zum ſpaniſchen Theater.
gehaltvolleren Intereſſe den Weg gebahnt hätte. Wenn nicht, ſo bliebe es halb unbegreiflich, wie ein Dichter in vollem Sinne des Wortes, dem Publikum zu Liebe, ſich bis zu derlei Hervorbringungen herablaſſen konnte. Denn ſelbſt in der Ausführung ſind kaum ein paar Verſe, die ſich über die Jahrmarktsbude erheben.
El galan Cas trucho. 1 Eines jener liederlichen Stücke, in denen ſonſt Lope de Vega's Hauptſtärke beſteht, das übrigens auch nichts weniger als leer ausgeht. Eine alte Kupplerin, Teodora, die noch viel preiswürdiger wärt, wenn nicht die berühmte Celeſtina als Muſter vorgeſchwebt hätte. Dazu ihr Mündel Fortuna, die, obgleich bereit, ſich auf Befehl, ja aus Furcht vor ihrer ſie vergötternden Schützerin, Jedem preiszugeben, der den Preis bezahlt, doch wieder ſo gehorſam, eingeſchüchtert, natürlich, ja unſchuldig iſt, daß fie unter die beſten Figuren gehört, die in dieſer Art je geſchaffen worden ſind. Sie geht durch alle Hände. Der Hauptmann, der Fähnrich, der Sergeant ſind in ſie verliebt. Der commandirende General genießt ihre Gunſt und bezahlt ſie auch richtig, wozu ihr die Alte auch eigens einen leeren Geldbeutel umgehängt hat; der General⸗Quartiermeiſter iſt eben mit ihr handelseins ge: worden, als ihn die Lärmtrommel abruft. Sie hat für Alle nur Eine Antwort: ſie möchten vorher mit ihrer Mutter ſprechen. Eine wirkliche Neigung zeigt ſie nur für die als Page gekleidete Lucretia, welches Liebesverſtändniß ſie denn freilich gleich mit der Entwicklung anfangen möchte; dazu nun der Galan Caſtrucho, ein Lump, Spieler, Lügner, Prahler, Kuppler, der die beiden Weiber, nöthigenfalls ſelbſt durch die Gewalt der Fäuſte, in Unterwürfigkeit hält.
1 Der galante Caſtrucho.
Ueber Lore de Vega's dramatiſche Dichtungen. 223
Er jagt die ſchöne Fortuna, die er ſelbſt unter dem Ver⸗ ſprechen der Ehe verführt hat, jedem der drei in ſie ver⸗ liebten Offiziere ab, indem er einen gegen den andern auf⸗ hetzt und im allgemeinen Handgemenge als wirklicher Beſitzer übrig bleibt; ja ſpäter, von den drei Martisſöhnen gedrängt und vom Prahler zum Feigen geworden, ver⸗ ſpricht er Jedem ihren Beſitz, wo er denn dem Fähnrich und Sergeanten ihre eigenen verlaſſenen Geliebten, dem Hauptmann gar die alte Teodora unterſchiebt; dieſe beiden verlaſſenen Soldatenfreundinnen ſind der Armee nachgereist und befinden ſich, beide als Pagen verkleidet, im Hauſe Teodora's. Es iſt vielleicht die unſittlichſte Scene des ſpaniſchen Theaters, daß, nachdem die Offiziere ſich mit dem gehabten Genuſſe zufrieden erklärt haben, Caſtrucho vorausſetzt, ſie hätten Knaben Gewalt gethan, und ſie gar darüber gerichtlich zu belangen droht. Den Schluß macht der General, der den treuloſen Liebhabern befiehlt, ihre verlaſſenen Geliebten zu heirathen, wobei denn die kleine Fortuna dem lumpigen Caſtrucho zu Theil wird, ein Beſitz, um welchen er freilich nicht ſehr zu beneiden iſt, die arme Willenloſe aber noch viel weniger. Die Attrapen des Stücks ſind nichts weniger als geſchickt ins Werk geſetzt, was denn überhaupt nicht Lope de Vega's glänzende Seite iſt.
Es iſt merkwürdig, daß ein Stück von ſo nichtswür⸗ digem Inhalte uns nichts deſto weniger Vergnügen macht. Es iſt eben die Naturwahrheit der Darſtellung und das Intereſſe an der menſchlichen Natur, ſelbſt in ihren Aus⸗ artungen, wenn ſie nur nicht geradezu verderblicher Art ſind. Ja, es freut uns, jenen Energien der Urſprüng⸗ lichkeit, die wir in der Wirklichkeit möglichſt einzuſchränken ſuchen, auf dem Boden der Fiktion einmal freien Spiel⸗
224 Studien zum ſpaniſchen Theater.
raum zu geben. Ein Spaziergang gegenüber dem Ge⸗ ſchäftsgang. Nicht anders ſprechen uns auf Reiſen jene Völker am meiſten an, unter denen wir am wenigſten leben möchten.
Los embustes de Zelauro. 1 Da iſt ein Lupercio, der ſich gegen den Willen feines Vaters heimlich verher rathet hat. Gleich beim Eingange des Stüdes iſt der Alte darüber her, den Sohn mit dem Stocke zur Ber nunft zu bringen; Lupercio leugnet, verſpricht Alles, geht aber gleich darauf zum heimlichen Liebchen. In dieſe Letztere hat ſich indeſſen ein Zelauro verliebt, der das gute Verhältniß zwiſchen den Gatten zu ſtören ſich vor nimmt. Er führt zuvörderſt ſeinen Freund Lupercio ins Spielhaus, wo dieſer alles Geld verliert, das ihm der Vater in der Freude ſeines Herzens gegeben hat, ohne daß dieſer Leichtſinn für Lope de Vega nur den geringften Schatten auf deſſen Charakter wirft. Darauf macht 36 lauro die Gattin Fulgencia eiferſüchtig. Er nimmt den argloſen Lupercio als Rückhalt zu einem vergeblichen Stelldichein mit, in dem Zelauro's eigene Schweſter die Rolle der Angebeteten ſpielt und vom Fenſter aus mit den beiden Abenteurern ſpricht. Zelauro hat die eifer: ſüchtig gemachte Fulgencia in Männerkleidern als Zeugin hinbeſtellt, wo ſie denn zum Schluſſe, ihrer ſelbſt nicht mehr mächtig, vom Leder zieht und als Unbekannter ihren Gatten im Zweikampfe anfällt, was die beſte, ja die einzige gute Scene im Stücke bildet. Im zweiten Atte wird der Mann auf die indeß verſöhnte Frau eiferſüchtig gemacht. Er verſtößt ſie und nimmt ihr ihre zwei Kinder. Im dritten Akte kommt ſie auf das Gut des Vaters, der
1 Die Betrügereien des Zelauro.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 225
ſie nicht kennt und der ſie als Magd in ſeine Dienſte nimmt, ja endlich gar heirathen will. Zelauro, der ihren Weg verfolgt, iſt indeß Bauern in die Hände gefallen, die ihn als vermeintlichen Räuber ſchwer verwunden. In der Todesangſt geſteht er dem dazu gekommenen Lupercio ſeine Niederträchtigkeiten. Die Gatten finden ſich, der Alte gibt, wie natürlich, ſeine Anſprüche auf, und ſelbſt dem Schurken Lupercio wird verziehen. Auch in dieſem Stücke kommt ein Belardo vor, unter welcher Figur ich vermuthete, daß Lope de Vega ſich ſelbſt gemeint habe. Hier iſt nichts, was dieſe Vorausſetzung beſtätigte.
La fe rompida. 1 Ein König von Arkadien wird auf der Jagd von Meuchelmördern überfallen, als plötz⸗ lich eine Jägerin Lucinda, die Tochter eines reichen Land⸗ mannes, erſcheint und die Verſchworenen in die Flucht treibt. Sie führt den König in das Haus ihres Vaters, wo er, unter dem Verſprechen der Ehe, ihre Liebe genießt, aber, was ſchon von vornherein ſeine Abſicht war, fie am andern Morgen heimlich verläßt. Lucinda, die ihn, ſeinem Vorgeben gemäß, für den Sekretär des Königs hält, hüllt ſich in Männerkleider und folgt ihm, von einem Diener ihres Vaters begleitet, an den Hof, dort erkennt ſie in ihrem treuloſen Liebhaber den König, findet ihn aber zugleich in einem Liebesverſtändniſſe mit der Schweſter des Herzogs Floriberto, der, aus gekränktem Ehrgefühl, ſchon im erſten Akte die Meuchelmörder gegen den König beſtellt hat und ihn auch jetzt unter den Fen⸗ ſtern ſeiner Schweſter neuerdings überfallen läßt. Lucinda befreit ihn mit Hilfe einiger Landleute auch dieſesmal, wirft ihm ſeinen Undank vor und gibt ſich endlich zu
1 Die gebrochene Treue. Grillparzer, fämmtl. Werke. VIII. 15
226 Studien zum ſpaniſchen Theater.
erkennen, was aber auf den König wenig Eindruck macht, der meint, daß, da fie ſich einem Sekretär ergeben habe, fie auch nur Anſpruch auf die Hand eines Sekretärs habe. Es kommt ſo weit, daß Lucinda die Hand an den Dolch legt, und fie trennen ſich in Unfrieden. Im dritten Akt ſan⸗ melt ſie ein Heer und bringt das Land in Aufruhr. Sie hält einen engen Paß beſetzt, wo ſie jeden Wanderer zwingt, eine Erklärung zu unterſchreiben, daß der König ein Treuloſer und ein Schurke ſei. Der König, der mit ſeiner Flotte gegen die Rebellen ausgezogen iſt, leidet Schiffbruch und geräth, an die Küſte ausgeworfen, in denſelben Engpaß. Lucinda zwingt auch ihn, jene ſchmäh⸗ liche Erklärung zu unterſchreiben, was er, da er fe mittlerweile erkennt, denn auch, obwohl nicht ohne Zau⸗ dern, endlich thut. Bei dieſer Gelegenheit zeigt ſich aber, mitten durch die Erbitterung, Lucinda's Liebe fo übe: mächtig, daß der König ſich beſiegt fühlt, wo denn das Uebrige ſich von ſelbſt verſteht. Dieſe letzte Scene if wunderſchön und ganz gemacht, ein leidenſchaftliches Spiel zur vollen Geltung zu bringen. Einmal, da der König eine Geringſchätzung ſeines Lebens zu erkennen gegeben, ſagt Lucinda unter anderm:
Sin bravatas mi senor,
que en rendidos es locura.
El que vida no procura
no tiene mucho valor
que quien la vida no estima- es señal que no es honrado,
pues que no la tiene en nada ni el perdella le lastima.
Es muy de los afrentados
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 227
querer la vida perder, y el saberla defender muy de los que son honrados. !
Auch der ganze erſte Akt iſt gut und nur in der Mitte wird die Behandlung durch das Abgeſchmackte der Bege— benheiten aus dem Gleichgewichte gebracht.
El tirano castigado. ? Ein Herzog von Sardinien, glaub' ich, hat zwei Söhne, einen ächten, Floriſeo, und einen Baſtard, Teodoro. Floriſeo wird gleich in den erſten Scenen des Stückes bei einem verliebten Abenteuer von ſeinem Nebenbuhler mit Gehilfen überfallen, geknebelt und in einem lecken Nachen ins Meer hinausgeſtoßen. Unter Vorausſetzung ſeines Todes ſieht ſich nun der Ba⸗ ſtard als Erben des Thrones an und beſchließt, ſeinen Vater zu entſetzen, um ſo mehr, als er zugleich in ſeine Stiefmutter Laudemia verliebt iſt, der er auch ſeine Lei⸗ denſchaft erklärt, aber von ihr zurückgewieſen wird. Flo⸗ riſeo iſt von Seeräubern aufgefangen worden, und wir treffen ihn im zweiten Akte in Biſerta, wo er dem Könige das Leben gerettet hat und dafür ſeine Freiheit erhält. Seine Geliebte, Arminda, die in Männerkleidern ſeiner Spur gefolgt, wurde gleichfalls gefangen und nach Biſerta gebracht, wo denn gleich eine Eiferſuchtsſcene Statt findet, da Floriſeo nicht übel Luſt hat, die Liebe der mauri⸗ ſchen Königstochter zu erwiedern. Unterdeſſen langen
1 Tie Drohungen, mein Herr, ſind bei Gefangenen Narrheit. Der, der ſich um fein Leben nicht müht, befigt geringen Werth, denn wer ſein Leben nicht achtet, der gibt damit zu erkennen, daß es ihm an Ehre gebricht, weil er es geringe ſchätzt und den Verluſt deſſelben nicht bedauerl. Nur Entehrte wünſchen das Leben zu verlieren, und die Ehren⸗ haften wiſſen ſehr wohl, es zu vertheidigen.
2 Der beſtrafte Tirann.
228 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Geſandte des Baſtarden Teodoro an, der die Hilfe der Het: den gegen ſeinen Vater in Anſpruch nimmt, welche Hilfe der König, in der Abſicht, das Land ſpäter für ſich ſelbſt zu behalten, ihm zuſagt und ein Heer ſammelt, dem Floriſeo und die verkleidete Arminda ſich als Hauptleute anſchließen. Mittlerweile hat der tyranniſche Baſtard ſeinen Vater ins Gefängniß geworfen; die Stiefmutter iſt entflohen. Die Mauren langen an; auf dem Marktplatze wird ein Gerüſt aufgerichtet, auf dem der alte Herzog die Krone an ſeinen unächten Sohn abtreten ſoll, deſſen er ſich weigert und wieder ins Gefängniß zurückgebracht wird. Dieß Gefängniß, das Kaſtell der Stadt, haben indeß die Mauren beſetzt, und ihr König erklärt nun, daß er gekommen, um fd ſelbſt zum Herrn des Landes zu machen, was er als den erſten Schritt zur künftigen Eroberung Spaniens betrachtet. Aber der Hauptmann Floriſeo, der ihm zur Seite ſteht, droht ihm, ihn von den Mauern herabzuſtürzen, wenn er nicht ihm, dem rechtmäßigen Erben, das Land frei gibt. Es geſchieht, der Baſtard Teodoro iſt im Gefechte ſchwer verwundet worden, wo ihn denn fein Vater auf die Schul tern nimmt, ihm verzeiht, was zu rührenden Scenen An⸗ laß gibt. Jedermann erhält Verzeihung, und das Stück endet aufs Beſte.
Der Inhalt iſt eben ſo bunt, aber nicht ſo abſurd als bei ähnlichen Stücken Lope de Vega's. Die Behand⸗ lung flüchtig und ohne hervortretende Stellen.
Wenn ich übrigens von derlei Hervorbringungen Lope de Vega's abſchätzig zu ſprechen ſcheine, ſo möchte ich mich nur vor der deutſchen Erbſünde bewahren, an einem Lieb⸗ lingsſchriftſteller alles gut zu finden. Lope ſteht in ſeinen guten Stücken den beſten Schriftſtellern aller Zeiten gleich, ja an Anlage den meiften voraus. Das Uebrige iſt
Ueber Lope de Bega's dramatiſche Dichtungen. 229
Fabriksarbeit, und wenn ſeine Zuhörer daran Gefallen anden, jo möchte ich nicht mit ihm rechten, ſich die Sache eicht gemacht und das Schreiben, wie die Befriedigung ines natürlichen Bedürfniſſes, was es ihm war, ſo ſchnell ibgethan zu haben, als ihm eben beliebte.
El exemplo de la pacieneia ! behandelt die Ge: chichte der Griſeldis, die hier Laurencia heißt. Die Dar⸗ tellung ihres erſten ländlichen Zuſtandes ſo vortrefflich, ils derlei Schilderungen einfacher Glückſeligkeit bei Lope ve Vega immer find. Ihre Güte, Milde, Verſtändigkeit, ver: bunden mit großer Schönheit, machen begreiflich, daß der Braf von Rouſſillon, der ſich als einen Feind der Ehe rus Mißtrauen gezeigt hat, ſich in fie verliebt und fie am Schluſſe des erſten Aktes heirathet. Im Anfange des zweiten Aktes, wo eben ihr zweites Kind zur Taufe ge⸗ ragen wird, kehrt, man weiß nicht recht warum, der Zweifelſinn des Grafen zurück, und er beſchließt, ſeine Gattin zu prüfen. Er fängt auf gut ſpaniſch gleich mit dem Aeußerſten an und begehrt, daß Laurencia ihr eben nur gebornes Kind, mit der ausgeſprochenen Abſicht, es zu tödten, ausliefere. Sie fügt ſich in Geduld und wünſcht nur, daß man es nicht den wilden Thieren ausſetzen möge. Auch ihr älteres, ein Knabe, wird begehrt, weil die edlen Vaſallen nicht einem Herrn von ſo niederer Ab⸗ kunft dereinſt unterthänig ſein wollen. Gleiche Willfäh⸗ rigkeit. Offenbar hilft hier, nebſtdem, daß das Unglaub⸗ liche einmal ein Hauptingrediens der Dramen jener Zeit ausmacht, auch die Vorſtellung von der Würde des Adels und der Gottähnlichkeit der Herrſchergewalt mit, um derlei ſelbſt einem damaligen Publikum zuläßig erſcheinen
1 Das Muſter der Geduld.
230 Studien zum ſpaniſchen Theater.
zu machen. Endlich trifft er fie mit ein paar Landleuten ihrer frühern Bekanntſchaft, die zum Beſuch gekommen find, wirft ihr ihre Niedrigkeit vor, miſcht einen ſehr gut erzählten Apolog von der Katze ein, die in ein Mädchen verwandelt wurde und ſich auch ſehr gut menſch⸗ lich betrug, bis ſie zufällig einer Maus anſichtig wurde, wo die alte Natur hervorbrach und ſie dem Thierchen nachlief, um es zu haſchen. Sie antwortet ihm mit einer andern Fabel, deren Inhalt ich vergeſſen habe, obwohl die Seite, die Spalte und der Ort, wo ſie ſteht, mir vor den Augen ſchwebt, und er ſchickt die Arme ihren Vater zurück.
Ueberhaupt iſt der beinahe gänzliche Verluſt meines Gedächtniſſes der Grund, warum ich dieſe Hauptzüge Lo⸗ piſcher Schauſpiele hier niederſchreibe, damit beim Wieder: anblick der Umriſſe ich mich der Ausfüllungen zum Theile wenigſtens wieder erinnere. Zugleich der immer zune: mende Widerwillen gegen das Schreiben, ſo daß ich mich wenigſtens zwinge, die Feder in die Tinte zu tauchen und zuſammenhängende Sätze aufs Papier zu werfen.
Laurencia kommt alſo zu ihrem Vater zurück, der Graf zieht ins heilige Land, eine Reihe von Jahren ver: geht. Unterdeſſen hört ein Graf von Bearn von Lau rencia's Vortrefflichkeit und Schönheit, und er trägt ihr durch einen Abgeſandten ſeine Hand an. Zugleich aber iſt der Graf von Rouſſillon zurückgekommen und begehrt fie als Magd in ſein Haus, da er geſonnen ſei, zu einer neuen Ehe zu ſchreiten. Laurencia zieht vor, Magd im Haufe ihres frühern Gatten zu fein, und weist den vor nehmen Heirathsantrag zurück. Wir finden ſie mit dem Beſen in der Hand in den Zimmern, die ſie einſt als Gebieterin bewohnt. Die neue Braut langt an, von ihrem
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 231
autführer begleitet. Die vorgebliche Braut iſt aber emand anders als Laurencia's Tochter, ihr Begleiter urencia's Sohn. Das Ende ergibt ſich von ſelbſt.
Auch in dieſem Stücke kommt ein Belardo vor, der ſesmal ſich ſogar mit Versmachen abgibt und gewiß pe de Vega ſelbſt iſt.
A. W. Schlegel, der über Lope de Vega abgeurtheilt t, offenbar, ohne ihn zu kennen, hebt als einen Hauptzug pe's Neigung zu ſcholaſtiſchen Spitzfindigkeiten heraus. ichts kann im Allgemeinen falſcher ſein. Das gegen⸗ irtige Stück trägt übrigens mehrere Spuren davon und Stellen, wo ſie nicht hingehören.
La batalla del honor. 1 Ein König von Frank⸗ ich (offenbar Franz L) iſt in die Frau feines Vetters, 8 Almirante Carlos (der Konnetable Karl von Bourbon) rliebt und bedient ſich aller Mittel, um zu ſeinem Zwecke
gelangen, welche Angriffe und ſeine eigene Vertheidi⸗ ing dem Almirante unter dem Bilde einer Schlacht er vielmehr eines Krieges vorſchweben, von woher der itel des Stückes rührt. Den Anfang machen jene Nacht⸗ nen unter den Fenſtern der Geliebten, die bei Lope e fehlen, aber dießmal geſchickter angelegt ſind, ſo daß ir hier entweder die Anfänge des Intriguenſtückes ſehen, is Calderon ſpäter fo bewunderungswürdig ausgebildet it, wenn nicht Calderon inzwiſchen bereits erſchienen ar, und Lope de Vega keinen Anſtand nahm, ſeinen ücklichen Nebenbuhler ſeinerſeits nachzuahmen.
Der Almirante führt alſo den Vertheidigungskrieg iner Ehre. Er ſtattet die Dienerinnen ſeiner Frau aus id verheirathet ſie, da er ſie als Spione des Feindes
1 Der Kampf für die Ehre.
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betrachtet. Der König läßt die Mauer eines Nachbar hauſes einbrechen, um in den Garten ſeiner Geliebten zu gelangen. Da iſt denn eine Belagerung in beſter Form. Später will er ſogar einen Gang unter der Erde graben laſſen; alſo ein Minenkrieg. Blanka ſchläft im Garten, der König überraſcht ſie, aber der Almirante hat ſich ſeinerſeits auch hingelegt, und ſcheinbar im Schlafe pre chend, ſagt er einzelne Warnungsworte, die den König vertreiben, ja, als Blanka ſpäter aufwacht, ſetzt er dieſes Spiel fort, was er eine glückliche Kriegsliſt nennt. Da er übrigens gegen ſeine Frau geäußert, daß die koſtbaren Kleider der Frauen nur Mittel ſeien, Liebhaber anzutei⸗ zen, ſo legt dieſe ihren Schmuck ab und erſcheint ganz einfach gekleidet, ja ſie meint, ihr Gatte möge jene abge⸗ legten Kleider auf die niedergeriſſene Mauer, als einer Breſche, fahnenartig aufpflanzen, zum Zeichen, daß an eine Uebergabe nicht zu denken ſei. Unterdeſſen kommt aber der König, findet, daß Blanka, ſeine Muhme, da er ſie ſo einfach gekleidet ſieht, nicht ſtandesmäßig behan⸗ delt werde, und gibt ſeine Abſicht zu erkennen, die Ehe auflöſen zu laſſen. Darüber wird der Almirante Knall und Fall närriſch, und die fixe Idee eines Krieges ver⸗ folgend, läßt er ſich Sporen anſchnallen, eine Lanze geben, glaubt, zu Pferde zu ſitzen, und treibt ſolche Albernheiten ⸗ daß man kaum begreift, wie irgend ein Publikum ſic derlei gefallen laſſen konnte. Die Nachricht von dieſer Wahnſinn wirkt aber andererſeits auf den König fo woh L thätig, daß er von feiner Liebe abſteht und, theils zur Ge nugthung, theils um die frühern Vorgänge umzudeuter . die Schweſter des Almirante heirathet, wo denn dieſe & augenblicklich wieder zu Verſtande kommt. La obediencia laureada y primer Carlos
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 233
de Ungria. 1 Ein alter Edelmann in Neapel hat zwei Söhne und eine Tochter. Der Vater iſt in den Jüngern vernarrt, einen liederlichen Burſchen, einen Spieler und Schläger, der das Vermögen des Hauſes nach und nach durchbringt, die Tochter hat einen nicht kleinen Beiſchmack von ähnlichem Leichtſinn. Der ältere Sohn Carlos, von der Univerſität zurückkehrend, findet das Haus in dieſer Verwirrung. Seine Schweſter zurechtweiſend, gibt er ihr eine Ohrfeige, was der alte Vater ſo übel nimmt, daß er ihn mit dem Stocke verfolgt und, als er ihn einholt, wirklich prügelt, wobei er aber aus Altersſchwäche zu Boden fällt. Der fromme Sohn aber hebt den Vater auf, küßt den Stock, mit dem er ihn geſchlagen, und da der Alte ihn aus dem Hauſe weist, nimmt er den Stock als Zeichen des Gehorſams mit auf die Reiſe. Er kommt ins Lager des Königs von Böhmen, der eben mit der Königin Maria von Ungarn Krieg führt, weil dieſe ſeine Hand ausgeſchlagen. Er tritt ins Heer des Königs, er⸗ wirbt ſich deſſen Gnade und bietet ſich an, als Kund⸗ ſchafter den Fluß zu durchſchwimmen, der beide Heere trennt. Am andern Ufer angekommen, findet er ſich im Garten der Königin von Ungarn, die mit einer einzigen Begleiterin dort ſpazieren gieng und, von der lauen Sommernacht angelockt, ſich entfernt, um im Fluſſe die Füße zu baden. Carlos ſieht die Halbentblößte, ergießt ſich in Vergleichungen ihrer Füße mit Marmorſäulen, Jasmin, Schnee, Mondſtrahlen, und wird augenblicklich verliebt. Die Frauen hören Geräuſch und entfliehen über's Theater, wobei ſie Schuhe und Strümpfe in den Händen tragen. Sie erſcheinen darauf auf dem Balkon, und Carlos weiß ſeinen Charakter ſo glücklich geltend zu machen, daß
1 Der belohnte Gehorſam und Karl I. von Ungarn.
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die Königin, die der Meinung iſt, daß der Mann, der ſie, wenn auch nur zum Theile, nackt geſehen, ſterben oder ihr Gemahl werden müſſe, ihn für die nächſte Nacht beſtellt, wo ihn ein Nachen abholen werde. Er erſcheint, begleitet von dem verkleideten König, wo denn die ſchnel entſtandene Neigung ſich befeſtigt, und da ſich zeigt, daß Carlos von ſehr alter und guter Abkunft ſei, die Königin ihm ihre Hand reicht. Sein väterliches Haus iſt unter deſſen fo herabgekommen, daß der Alte mit beiden Hr dern auswandert und am Orte der Handlung anlangt, wo ſie denn, da ſich der König von Böhmen, wie natürlich, in die Schweſter Marcela verliebt hat, von dieſem zu Carlos Hochzeitsfeſte mitgenommen werden, bei welcher Gelegenheit der liederliche Bruder ihm das Mafchbeden hält, der alte Vater das Waſſer aufgießt und die Schweſter das Handtuch reicht. Bei all dieſen Wechſelfällen hat den gehorſamen Sohn der Stock begleitet, mit dem ſein Vater ihn geſchlagen. Zum Hauptmann ernannt, befeſtigt er die eiferne Spitze des Spontons (gineta) an ebendemſelben Stock. Da er General wird, läßt er den Stock abſchneiden und gebraucht ihn als Kommandoſtab. Noch einmal muß er abgeſchnitten werden, da er als König von Ungarn keinen andern Scepter will, als dieſen Stock.
Das wäre nun alles recht gut und Stoff zu einen vortrefflichen Stücke. Leider aber iſt die Hauptpartie: die Liebe der Königin von Ungarn und ihr Entſchluß, den Abenteurer zu heirathen, ſo übereilt, daß das Stück von dieſem Mangel ſich nicht erholen kann. Die Ausführung übrigens vorzüglich, beſonders die Haltung der Perſonen im erſten Akte und die Gartenſcene im zweiten. Auch der Schluß, mit Ausnahme der improviſirten Heirathen, macht ſich ſehr gut und rundet den Gedanken ab.
Ucber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 235
El hombre de bien. 1 Da iſt denn endlich ein Stück, in dem es ſo ziemlich vernünftig zugeht und das ein Intriguenſtück vorſtellen kann, ohne daß die Ereigniſſe gerade ſehr ſchlagend oder beſonders ſpannend wären. Der König von Dalmatien verliebt ſich auf der Jagd in die Tochter eines Landedelmannes, Lucinda, die in einem heimlichen Einverſtändniſſe mit einem ſeiner Hofleute, Jacinto, ſteht. Das Mädchen, um ſich dem Könige zu entziehen, entflieht mit ihrem Bruder, aber freilich, ſonder⸗ barerweiſe, nach der Hauptſtadt des Landes. Der König hat ſie dort bald ausgekundſchaftet und ſtellt ſich des Nachts unter ihrem Fenſter ein, wohin ein gleiches Ver⸗ langen auch den begünſtigten Jacinto führt, der, von den königlichen Begleitern angefallen, ſich durch alle durch⸗ ſchlägt und auf die Frage nach ſeinem Namen antwortet: un hombre de bien. Die Aufgabe iſt nun, herauszu⸗ bringen, wer der Unbekannte ſei, der auch ein zweitesmal, da der König, auf Anſtiften einer verlaſſenen Geliebten Clavela, von Wegelagerern angefallen wird, ihn befreit und auch hier wieder keine andere Auskunft von ſich gibt, als daß er ein ehrlicher Mann ſei. Es erfolgen ein paar Eiferſuchtsſcenen, die auf den Gang des Stückes wenig Einfluß nehmen. Einmal iſt es Clavela, die, um heraus⸗ zubringen, ob Lucinda in den König verliebt ſei, zu ihr geht und ihr verſtellte Vorwürfe macht, daß ſie ihren Liebhaber zu verlocken ſuche, als den ſie auf gut Glück Jacinto bezeichnet. Lucinda hat nichts eiliger zu thun, als ſich, vermummt, auf's Ballhaus zu begeben, wo Jacinto mit andern Hofherrn im Spiel begriffen iſt, ihn heraus⸗ rufen zu laſſen, ihm die heftigſten Vorwürfe zu machen,
1 Ein ehrlicher Mann.
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wo es ſich dann prächtig ausnimmt, wie die hitzige Spa⸗ nierin ihm geradezu erklärt, daß ſie bereit ſei, ſich den Könige zu ergeben, was ſie in dieſem Augenblicke gewiß auch meint. Ein anderesmal ſpricht Clavela, die mit Lucinden Freundſchaft geſchloſſen hat, aus den Fenſtern derſelben Nachts mit dem Könige, wird von Jacinto für Lucinden gehalten, was einen neuen Sturm erregt, der ſich aber wie der erſte legt und zwar ohne weitere Folgen. Endlich kommt der König doch auf die Vermuthung, daß der verkappte „ehrliche Mann“ Jacinto ſei, und um ſich zu überzeugen, ſendet er ihn zugleich mit dem Bruder Lucindens ſeiner fürſtlichen Braut entgegen, die eben in einem entfernten Hafen angekommen iſt. Jacinto aber reist in einer verhängten Kutſche fort, ſteigt außer den Thoren der Stadt aus, und als der König zu Nacht vor den Fenſtern Lucindens erſcheint, findet er den hombre de bien wieder. Nun iſt jeder Gedanke an eine mögliche Identität verſchwunden, und da der König, zum Behuf künftiger Pläne, vor ſeiner eigenen Verheirathung Lucinden mit einem Manne vermählen will, der ihr gleichgiltig iſt gibt er die beiden heimlich Liebenden zuſammen, wo denn, da der König eine neue Eiferſucht ſtiften will, heraus kommt, daß Jacinto der räthſelhaſte Unbekannte ſei.
Das Stück mochte, bei der Vorliebe des ſpaniſchen Publikums für Nacht: und Eiferſuchtsſcenen, einer gün ſtigen Wirkung nicht entbehren.
Servir con mala estrella. 1 Ein Franzoſe, Roger von Valois, kommt an den Hof König Alfonſo's von Caſtilien, deſſelben, der auch Schattenkaiſer von Deutſch⸗ land war. Er nimmt Dienſte und zeichnet ſich gegen die
1 Unter einem böfen Sterne dienen.
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Mauren bei allen Gelegenheiten aus. Der König würdigt ihn ſeiner Freundſchaft, gibt ihm aber nie etwas. Alle Andern werden belohnt, Rugero aber immer vergeſſen. Das wird ihm denn endlich doch zu viel, und er begehrt ſeinen Abſchied. Der König, der die Urſache davon ein⸗ ſieht und ſich ſeines eigenen Undanks ſchämt, tröſtet ſich damit, daß es nicht ſeine Schuld, ſondern der böſe Stern des Fremden ſein müſſe, was ihn unbelohnt gelaſſen, da, wo alle Andern mit Gnaden überſchüttet wurden. Er beſchließt, die Probe zu machen, und gibt dem Abreiſenden einen Begleiter mit, mit dem Auftrage, ihn an Hof zurück⸗ zubringen, wenn Rugero ſich über den Undank des Königs beklagen würde, ſonſt aber ſeines Weges ziehen zu laſſen. Der Begleiter bringt immer das Geſpräch auf den König, um Rugero'n zu Klagen zu verleiten. Dieſer aber weicht aus, und als er nicht mehr kann, läßt er das Bild des Königs, das ihm dieſer geſchenkt, herbeibringen, indem er ſagt: in Gegenwart der Könige beklagt man ſich nicht. Da gibt ihm jener den Zurückberufungsbrief des Königs, und ſie reiſen zurück. Der König hat indeſſen das reiche Löſegeld eines gefangenen mauriſchen Fürſten in einer koſtbaren Kiſte empfangen. Er läßt eine ähnliche anfer⸗ tigen, die aber leer bleibt. Bei der Rückkunft Rugero's bietet ihm der König die Wahl zwiſchen beiden Kiſtchen an, und Rugero greift wirklich nach der leeren. Da iſt nun der böſe Stern außer Zweifel geſtellt, den der König aber außer Wirkſamkeit ſetzt, indem er ihm die volle, und dazu die Hand einer in Spanien erworbenen Geliebten gibt.
Dieſe Idee wäre nun ganz gut, wenn nur dem immer ſich wiederholenden Vergeſſen des Königs begreiflich⸗ machende Umſtände beigefügt wären. Die Annahme eines böſen Sterns oder eines Unglücklich⸗Geborenſeins iſt nicht
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ſo in der menſchlichen Natur begründet, als die Idee eines Schickſals, einer Nemeſis, einer ausgleichenden Ge⸗ rechtigkeit, daß man darauf wie auf ein feſtes Haus Wechſel ziehen könnte. Lope's Aufgabe war, uns zu feiner Idee hinzuführen, nicht von ihr auszugehen. Ohne hin wird die Wirkſamkeit des böſen Sterns durch die Großmuth des Königs am Schluß wieder aufgehoben.
Durch das Ganze zieht ſich ein Liebesverſtändniß des Königs zu einer Dona Sancha, das im Gegenſatz des Phantaſtiſchen krudhiſtoriſch oder ſagenhaft behandelt ist. Die Gute nimmt keinen Anſtand, ihren eigenen Bruder zu vergiften, dafür wird aber auch ihre und des Königs Tochter von einer wahrſagenden matrifchen Zofe im Bor: aus als die „unglückliche“ Eſtefania bezeichnet, als welche ſie ohne Zweifel ſpäter in der Tradition eine Rolle ſpielt. So kommt dem Spanier überall ein hiſtoriſcher An⸗ knüpfungspunkt entgegen.
Die bei den ältern ſpaniſchen Dichtern öfter vorkom⸗ mende Situation, daß der König, bei ſeiner Geliebten überraſcht, ſich nicht verbergen will, ſondern bleibt und ſich durch Unbeweglichkeit und Schweigen für nicht an⸗ weſend gibt, erſcheint auch in dieſem Stücke. Nur ſchadet der Großartigkeit hier, daß der eintretende Bruder der Geliebten zwar ſeine Abſicht reſpektirt, aber von ihm doch, als von einem Bilde des Königs, ſpricht. Worauf dieſer ihm den Rücken wendet und fortgeht.
El cuerdo en su casa. 1 Einer der Lieblingsſtoffe Lope de Vega's. Ein ſchlichter Landmann, der, ohne Bildung, aber mit viel natürlichem Verſtand, ſich um alles Fremde wenig bekümmert, ſondern glücklich und
1 Der Kluge in ſeinem Hauſe.
Ueber Lope de Vegas dramatiſche Dichtungen. 239
zufrieden in ſeinem Hauſe lebt. Er hat ſogar ſeinen nächſten Nachbar, einen Edelmann und Gelehrten, bis jetzt nicht kennen gelernt, mit dem er zu Anfang des Stückes, als mit einem auf der Jagd Verirrten, auf einer entfernten Schäferei zuſammentrifft, wo ſie die Nacht zubringen und für die Zukunft Freundſchaft zu machen beſchließen. Der Gelehrte und ſeine Frau wiſſen ihren Antheil auf keine beſſere Art zu bezeigen, als daß ſie ſich alle Mühe geben, das Haus des reichen Bauers auf einen vornehmern Fuß einzurichten, was dieſer aber entſchieden zurückweist. Es haben ſich unterdeſſen auch zwei Neffen des Biſchofs ge⸗ funden, die ſich in die beiden Weiber des Edelmanns und Bauers verlieben. Die Edelfrau iſt nicht unempfindlich gegen dieſe Bewerbungen, die Frau des Bauers weist aber die auf ſie gerichteten entſchieden zurück. In der Mitte des Stückes kommt letztere mit einem geſunden Knaben nieder, der Bauer nimmt ſeinen eigenen Knecht und eine Magd zu Gevattern, obwohl der Neffe des Biſchofs und die adeligen Nachbarn ſich zu dieſem Liebesdienſte anbieten. Früher hat ſchon derſelbe Neffe des Biſchofs Gelegenheit gefunden, ins Haus des Bauers einzudringen und ſeine Bewerbungen anzubringen. Die Frau gibt ihm kein Ge⸗ hör, iſt aber kindiſch genug, den jungen Menſchen, da ihr Mann zurückkommt, hinter einem Vorhang zu ver⸗ ſtecken. Mendo entdeckt ihn, zweifelt aber darum keinen Augenblick an der Treue ſeiner Frau, ſondern begleitet den Ertappten ſelbſt aus dem Hauſe, damit nicht gerade ſein heimliches Entſchlüpfen Verdacht errege. Minder unſchuldig iſt die Frau des Gelehrten, und minder klug und beſonnen der Gelehrte ſelbſt. Der zweite Neffe des Biſchofs findet bis auf einen höchſt bedenklichen Grad Gehör bei der Edelfrau; der Gatte, den man durch ſeine
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Lieblingsleidenſchaft, die Jagd, aus dem Hauſe gelockt, kommt unvermuthet zurück und der Liebhaber wird unter“ Bette verſteckt. Der Gatte, der ihn dort entdeckt, bewaffnet ſich mit Schild und Schwert, nur daß ihn ſeine hohe Bildung hindert, ſogleich ein Unglück anzurichten, wie er ſelbſt ſagt:
Bien dizen, que hay pocos hombres
valientes con muchas letras
porque en abriendo discursos
no se vengan las ofensas. ! Er ſperrt vielmehr feine Hausthüre zu und ruft den Nach⸗ bar Bauer zu Hilfe. Dieſer erſcheint mit zwei Knechten und nimmt die Sache auf ſich. Er verwechſelt den ver ſteckten Liebhaber mit deſſen im Hauſe befindlichen Be dienten und ſchiebt das ganze Ereigniß auf dieſen letztern, der ein Liebesverhältniß mit der Magd habe. Der Gatte iſt froh, dieſes zu glauben. Die Gattin ſieht ſich kaum außer Gefahr, als ſie die unſchuldig Gekränkte ſpielt und nur mit Mühe ſich begütigen läßt. Alles kehrt in ſeine Ordnung zurück, und der Bauer iſt klug in ſeinem Hauſe geweſen, indeß die Andern, die klug im fremden ſein wollen, Narren im eigenen ſind.
Es fehlt nicht an Stellen von eigentlicher Lebensweis⸗ heit. So als Mendo den Literaten auf die Ungleichheit ihres Standes aufmerkſam macht, ſagt ihm dieſer:
La vida, Mendo, contiene
un mismo fin, que es vivir
en que el savio hasta morir . con el mas rudo conviene. ?
1 Man ſagt mit Recht, daß es wenig tapfere Gelehrte gibt, wenn man immerfort überlegt, rächt man keine Beleidigung.
2 Das Leben, Mendo, enthält das gleiche Ziel, nämlich zu leben, das bis zum Tode den Weiſen mit dem Roheſten verbindet.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 241
Ebenſo einfach und natürlich iſt der Charakter von Mendo's Gattin Antona. Als ihr eben Mendo verboten hat, eine reiche Mantille anzunehmen, die ihre vornehmen Freunde ihr ins Haus geſchickt haben, und er ſie fragt:
J Estas enojada? !
antwortet ſie ganz unſchuldig:
evo? z porque he de estar enojada?? Solche Meiſterzüge kommen in allen Werken Lope de Vega's vor, mitunter in den abſurdeſten.
La reyna Juana de Napoles. 3 Eines von den Stücken Lope de Vega's, wo, wie mir ſcheint, ſchon der Einfluß Calderons ſich ſichtbar macht, wo nämlich das Märchenhafte nicht mehr als das geträumt Natürliche, ſondern als das abſichtlich Geſteigerte vorkommt. Von dieſer Art wenigſtens iſt die Scene, wo Ludovico im Garten einſchläft und ihm die Königin, die in ihn ver⸗ liebt iſt, die Krone auf's Haupt ſetzt. Nur ſtellt es Lope de Vega nicht ſo geſchickt an, als ſein Nebenbuhler, weil ihm das Begriffsmäßige fehlt, das bei Jenem derlei Phantasmagorien erſt ihre Bedeutung gibt. Der Inhalt des Stücks abſonderlich genug. Die Königin iſt eben in jenen Ludovico verliebt, den eine Prinzeſſin Eſtela, eine Verwandte der Königin, gleich lebhaft in Anſpruch nimmt. Nun iſt aber der ungariſche Prinz Andreas, begleitet von ſeinem Vater Mathias, mit einem Heere ins Land ge⸗ kommen, um das Königreich und die Königin ſich anzu⸗
1 Biſt du ärgerlich?
2 Ich? Warum ſollte ich ärgerlich ſein?
3 Die Königin Johanna von Neapel.
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eignen. Letztere widerſteht auf's Aeußerſte, wird al von ihren Unterthanen verlaſſen und muß ſich der v. abſcheuten Verbindung fügen. Ludovico wird baburw wieder ein herrenloſes Gut und den Bewerbungen Eſtela's zugänglich. Er will eben bei ihr den Brautwerber für feinen Freund Mathias machen und nöthigt ihr das Ver⸗ ſprechen ab, ihm ſeine noch zurückgehaltene Bitte nicht abzuſchlagen, als Eſtela von ihm und Mathias ſich das gleiche Verſprechen geben läßt und nun von Mathias ver: langt, ſeinen Freund zu vermögen, daß er ihr ſelbſt ſeine Hand gebe. Beide nehmen keinen Anſtand, ihr Wort zu halten, und Ludovico iſt nun Eſtela's Verlobter. Darüber wird er verrückt, zündet den Bauern die Ernte an und treibt allerlei Unſinn.
Mittlerweile entwickelt Prinz Andreas den brutalſten Charakter. Er hat ſeine Gattin ſatt und ſtellt Eſtelen nach. Ja, ſeine Abſicht, ihr Gewalt anzuthun und ſie dann von einem ſeiner Helfershelfer ermorden zu laſſen, wird von dem Gerücht als wirklich ausgeführt verbreitet. Dieſe Nachricht ſteigert den Haß der Königin gegen ihren Gemahl auf's Aeußerſte, beſonders da nun auch die Hoff nung dazu kommt, den durch Eſtela's Tod freigewordenen Ludovico ſelbſt zu beſitzen. Ohnehin hat der König be⸗ ſchloſſen, ſeine Gattin durch Gift aus dem Wege zu räumen. Als er in dieſer böſen Abſicht zu ihr ins Zimmer tritt, lockt ſie ihn in ein Nebengemach, wo ſie ihn (hinter der Scene nämlich) mit Hilfe ihrer Frauen erdroſſelt oder vielmehr aufhenkt. Sie reicht hierauf, nicht ohne ſich den Verlauf des Trauerjahres vorzubehalten, ihre Hand dem Geliebten Ludovico, und auch die mittlerweile zum Vorſchein gekommene Eſtela hat nichts mehr einzuwenden, des Prinzen Mathias Frau zu werden.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 243
Wie loſe und puppenſpielartig das Ganze iſt, leuchtet in. Nichts deſtoweniger fehlt es dem Charakter der Königin ſeineswegs an einer Art wilder Großartigkeit. Schon das rite Zuſammentreffen mit dem Prinzen Andreas, als ſie hm ihren Abſcheu in den ſtärkſten Ausdrücken zu erkennen jibt, dabei aber nicht vergißt, ihn immer mit dem Titel „Eure Hoheit“ anzureden, macht den Eindruck verhaltener Wuth und einer großen Gewalt über ſich ſelbſt. Als der Rönig ſeinen ſchlechten Charakter gezeigt hat, behandelt ſie ihn geradezu als einen Ungezogenen, der ſich zu ändern habe, widrigenfalls man ihn zurecht bringen werde, welche Mühe ſie auf ſich nehmen wolle; wo denn die Ausdrücke: enmendaros, 1 ja castigaros ? vorkommen. Das Gewal⸗ tigſte aber zuletzt, wo die Königin bei ihrer Arbeit ſitzt, die in Verfertigung einer Schnur beſteht, während ihre Dienerinnen ſie mit einem Liede unterhalten, deſſen Refrain lautet:
Si te quiere matar algun enemigo fiero madruga y mata primero, 3
welches madruga ! ihre Vertraute Margarita ihr während der folgenden Scenen wiederholt zuruft.
Hierzu kommt der König, der ſchon den Entſchluß gefaßt hat, ſie mit Gift zu tödten. Das Geſpräch ver⸗ dient, ganz hergeſetzt zu werden, wobei man ſich aber die Königin ganz ruhig denken muß:
1 euch beſſern.
2 zuͤchtigen.
3 Wenn dich irgend ein Feind tödten will, komme zuvor und tödte ihn zuerſt.
4 Komme zuvor.
244 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Principe. zue estais haziendo? Reina. Un cordon para ahorcaros con el. Princ. z Para ahorcarme? Reina. Para ahorcaros. Princ. Digo, que de buena gana. Margarita. Como es San Andres manansa quiere la Reina colgaros. Prince. (ä parte). Que mal que nos ha entendido! De otra suerte me ahorcara, si el veneno adevinara. Un cordon aveis Tegido, ‚no sabremos para que? Reina. Para ahorcaros. Princ. No es bueno que os pienso yo dar veneno. Reina. z Veneno a mi? Ya lo se. Prince. Conde z que os parece desto? Ella se burla conmigo yo en burlas, veras le digo. | Reina. Yo os he de ahorcar bien presto. Prince. To el veneno os he de dar. Reina. Uno ser& de los dos el burlado. Princ. Sereis vos. Margarita. ‚Oyes? Reina. Si. Marg. Pues madruga! Reina. Oy fama a mi nombre doy. Fingire que tengo sed. Dai me agua
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 245
Prince. Conde, traed un vaso & la Reina. Conde. Voy. Prince. El veneno. Conde. Ya lo entiendo. !
tun folgt die Scene des Erwürgens oder Aufhenkens im tebengemach, mit derſelben Schnur, die die Königin,
1 König. Was macht ihr?
Rönigin. Eine Schnur, euch an derſelben zu hängen.
König. Mich aufhängen?
Königin. Ja, euch aufhängen!
König. Ich ſage mit gutem Willen.
Margarita. Da morgen der Tag des heiligen Andreas iſt, will euch die Königin dieß Angebinde machen.
König (bei Seite). Wie unangenehm, daß fie uns gehört hat! Auf eine andere Art wäre ihr Angebinde, wenn ſie die Vergiftung ahnen würde. Eine Schnur habt ihr gewoben, darf man wiſſen für wen?
Königin. Euch aufzuhängen.
König. If es nicht gut, daß ich daran denke, euch Gift zu geben?
- Königin. Mir Gift, ich weiß es ſchon.
König (u feinem Begleiter). Wie gefällt euch das? — Sie ſcherzt mit mir, und ich ſage ihr im Scherz die Wahrheit.
Königin. Ihr werdet bald gehängt werden.
König. Und ihr bald Gift bekommen.
Königin. Einer von uns Zweien wird der Gefoppte fein.
König. Ihr werdet es ſein.
Marg. Hört ihr?
Königin. Ja.
Marg. Nun denn, komme zuvor!
Königin. Heute mache ich meinen Namen berühmt. Ich gebe vor, daß ich Durſt habe. Gebt mir Waſſer. N
König. Graf! — Gebt der Königin ein Glas.
Graf. Ich gehe.
König. Das Gift.
Graf. Ich habe verſtanden.
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wie es nun ſcheint, ſchon von vorneherein zu dieſem Zwecke verfertigt.
El duque de Viseo.1 Dieſes Stück ſcheint in Spanien einen großen Ruf zu haben und wohl auch bei den Literaten außer Spanien, denn mir hat neulich ein hieſiger namhafter Dichter — der es wohl nicht geſagt, wenn er es nicht irgendwo geleſen hätte — geradeheraus erklärt, daß er dieſen Duque de Viseo für das beſte Stück Lope de Vega's halte. Dazu fehlt nun freilich viel, aber merkwürdig bleibt es immer. Es iſt von vorneherein hiſtoriſch gehalten, heißt das: in der Art, wie Lope de Vega die Geſchichte zu nehmen pflegt. In den erſten zwei Akten ſind eigentlich der Herzog von Guimarains und ſeine drei Brüder die Träger der Handlung. Einer von ihnen, der Condeſtable? von Portugal, kommt eben fig reich aus dem afrikaniſchen Feldzuge zurück, wird aber, trotz ſeiner Anſprüche auf Belohnung, von dem Könige Don Juan el Bravo (der Grauſame) höchſt widerwärtig empfangen. Die Brüder nehmen das, wie natürlich, ſehr übel und äußern ſich demgemäß über den König, mit Ausnahme des Herzogs von Guimarains, den feine Chr furcht vor der Krone den Träger derſelben reſpektiren heißt. Unglücklicherweiſe findet ſich eine Dona Ines, wie es ſcheint, eine ehemalige Geliebte des Condeſtable, die eben im Begriffe ſteht, ſich mit dem Günſtlinge des Königs, Don Egas, zu vermählen, und die den Condeſtable um Auskunft über die Perſon ihres Bräutigams angeht. Dieſer verhehlt ihr nicht, daß Don Egas von weiblicher Seite aus mauriſchem Blute herſtamme, wobei er ſich
1 Der Herzog von Viſeo. 2 Connetable.
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aber ausbedingt, daß ſein Name, als des Auskunftgebers, in der Sache nicht erwähnt werde. Nichts deſto weniger aber läßt ſich Doria Ines in dem darauf folgenden Streite mit dem nunmehr verſchmähten Bräutigam hinreißen, den Condeſtable als Bürgen für die Wahrheit der Aufklärung zu nennen. Von dieſem Augenblicke iſt Don Egas der Feind der Brüder, und er erklärt dieſes dem Condeſtable rund heraus. Der Herzog von Guimarains nimmt es auf ſich, die Sache auszugleichen, was nur dadurch ge⸗ ſchehen könne, daß Dona Ines den königlichen Günſtling dennoch heirathe. Als er ſie dazu überreden will, gerathen ſie in einen Wortwechſel, der ſo weit geht, daß Dona Ines ihn einen Dummkopf nennt, was er ihr mit einer Ohrfeige beantwortet. Auf ihr Geſchrei kommt der König herbei, der den Herzog von Guimarains ins Gefängniß ſchickt und ſeinen drei Brüdern Verhaft in ihren Häu⸗ ſern gibt.
Der König iſt mit der Schweſter des Herzogs von Viſeo vermählt, demungeachtet aber ſcheint er an einer Dona Elvira Gefallen zu finden, die die Geliebte ſeines Schwa⸗ gers iſt. Dieſer wendet ſich daher an Dona Elvira, da⸗ mit ſie bei dem Könige für den Herzog von Guimarains vorbitte. Der König läßt ſich auch bewegen auf die Be⸗ dingung, daß Guimarains die beleidigte Dona Ines hei: rathe. Dieſer weist die Bedingung als ſchmählich zurück. Nun läßt ihn der König in Ketten legen und verweist ſeine Brüder aus Portugal. Auch der Herzog von Viſeo, deſſen Beliebtheit beim Volke der König ſeit lange fürchtet und gegen den ihn Don Egas neuerlich eingenommen, wird von Liſſabon verbannt. Kaum an ſeinem Verban⸗ nungsorte angekommen, wird er zurückgerufen. In Liſſa⸗ bon angekommen, führt ihn der König ins Gefängniß
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des Herzogs von Guimarains. Ein Vorhang wird w. gezogen, und an einem ſchwarzbehangenen Tiſche zeigt | der Gefangene mit abgeſchlagenem Haupte. Der für heißt ihn, das Beiſpiel als Warnung für ſich hinzunehm was Jener kaum zu bedürfen ſcheint, da er noch jetzt de König nicht zu tadeln wagt und voll Ehrfurcht und ( gebenheit iſt, wie früher.
Im dritten beſchließt er, heimlich nach Liſſabon zu gehen, um ſeine geliebte Elvira zu ſprechen. Er findet einen bettelnden Studenten, den er beſchenkt und der ihm dafür ſchriftlich ſein Horoſkop ſtellt. In Liſſabon unter den Fenſtern D. Elvirens tauſcht er Briefe mit ihr aus, wobei er aus Verſehen, ftatt des ſeinigen, das Horoſkop des Studenten an die herabgelaſſene Schnur bindet. Dieſes, das die Prophezeiung enthält, daß er König ſein werde, fällt unglücklicherweiſe dem lauernden wirklichen König in die Hände, der ſeines Schwagers Tod beſchließt. Nun kommt die ſchönſte Scene des Stückes. Der Herzog von Viſeo hat ſich, um Elvira's Brief zu leſen, an eine Lampe geſtellt, die bei einem Kruzifixe brennt. Indem er ſich bemüht, die Worte zu entziffern, ertönt ein Getöse von Ketten und gedämpften Trompeten, dem bald darauf eine einzelne Weiberſtimme folgt, die den ganzen Verlauf von Viſeo's Schickſal ſingt und zuletzt die Warnung bin zufügt, auf feiner Hut zu fein. Wie Lope de Vega über: haupt das Wunderbare gern nach und nach einführt, meint der Herzog: das werde wohl ein Frauenzimmer ſein, das bei ihrer Arbeit wacht. Da erſcheint aber der Geiſt des ermordeten Guimarains im weißen Mantel und an ihm vorüberſchreitend, mahnt er ihn, ſich vor dem Könige zu hüten. Er verſucht, zu entfliehen, wird aber aufgefangen, und nachdem der König vergebens alle ſeine
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öflinge aufgefordert hat, den Herzog zu tödten, erſticht ihn endlich ſelbſt. Zuletzt kommt die Nachricht, daß 2s Herzogs Knappe den Verräther Don Egas auf der ztraße getödtet habe.
Ich habe das Stück hiſtoriſch genannt, inſofern es ehr eine Begebenheit als eine Handlung enthält. Der erzog von Viſeo thut eigentlich nichts, um ſein Schickſal erbeizuziehen oder abzuhalten. Die Grauſamkeit des önigs, das Schickſal der vier Brüder, Viſeo's Unglück ehen vereinzelt da und werden nur durch das Ereigniß iſammen gehalten. Ja man kann ſich wundern, daß zuimarains Geiſt es der Mühe werth findet, denjenigen i warnen, dem jener erſte Mord nicht einmal ein Wort er Mißbilligung entlockte. Aber wie es nun immer ſei, er Herzog von Viſeo lebte einmal als unſchuldig Er⸗ ordeter im Munde des Volkes, und als ſolchen, der ſich icht, ſelbſt mit einem Worte gegen den König vergieng, zt ihn Lope de Vega genommen. Dichter feiner Art ıben immer Recht, auch wo fie irren. Ich komme noch nmal auf den duque de Viseo zurück, weil ich Lope de ſega nicht gerne Unrecht thun möchte. Ihm fehlt das bſichtliche, welches aber gerade das iſt, was die Hand⸗ ing von der Begebenheit unterſcheidet. Dieſe Abſicht inn aber entweder in den handelnden Perſonen liegen der in dem Dichter oder in den Begebenheiten ſelbſt, in elchem letztern Falle man es das Schickſal nennt. Tritt eſe Abſicht nun zu ſehr in den Vorgrund, fo wird das ſegriffsmäßige daraus ein geſchworener Feind des Natür⸗ chen, und in dieſer Geſtalt erſcheint es bei Calderon, o es denn deſſen ganze belebende Kraft braucht, um das emde Element dem warmen Organismus zu aſſimiliren. ſei Lope de Vega ſteigen die Anſchauungen aus dem
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tiefen Brunnen der Empfindung empor, und ſie fordern nicht mehr zum Denken auf, als die Natur ſelbſt den Betrachter dazu auffordert, denn auch das Wunderbare iſt bei Lope de Vega ein Theil des Natürlichen. So is hier die Warnung des Herzogs von Guimarains über⸗ flüſſig und ohne Wirkung. Daß er ſich vor dem Könige zu hüten habe, wußte Viſeo ohnehin. Er ſchlägt die Warnung nicht aus irgend einem beſtimmenden Grunde in den Wind. Er thut zu ſeiner Rettung nicht etwas, das ihn, durch eine ſchickſalsartige Verkettung in das Gegentheil überſchlagend, gerade ſeinen Feinden in die Hände führte. Er benimmt ſich ſo, wie er ſich ohne die Warnung benommen hätte. Er entflieht und wird ganz einfach gefangen. Andererſeits kommen aber wieder aus der Anſchauung hergenommene Intentionen vor, die viel zu flüchtig ſind, um mit der Anſchauung aufgefaßt zu werden. So, als der Herzog von Viſeo, blutig und tot, Krone und Scepter zur Seite, ſich dem Zuſchauer dar ſtellt, liegt ihm gegenüber, gleichfalls todt, Dona Elvira, und zwar, wie ausdrücklich angegeben wird, eine Hand auf die Wange gelegt. Das ſoll ohne Zweifel auf die Ohrfeige anſpielen, die, von Dona Inez empfangen, Anlaß des ganzen traurigen Herganges war, und zugleich auf eine zweite, die D. Egas im Begriffe war, Elviren zu geben und nur durch die Anweſenheit des Königs davon abgehalten wurde. Wer Henker ſoll ſich aber derlei denken beim bloßen Anblick der auf die Wange gelegten Hand der Todten.
Während bei Calderon alles, ſelbſt der tiefſte Gedanke, auf die Oberfläche herausgeworfen wird, hat Lope de Vega, dieſer oberflächlich ſcheinende Dichter, eine Innig⸗ keit, die häufig bis zum Fehlerhaften geht. So weiß ich
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nicht, ob jene über alle Beſchreibung ſchöne Scene, wo der Herzog von Viſeo durch eine verborgene Weiberſtimme vor dem Könige gewarnt wird, möglicherweiſe auf dem Theater nur die Hälfte des Eindrucks machen wird, zu der ſie im Leſen unwiderſtehlich hinreißt.
El Secretario de si mismo. 1 Ein Herzog von Mailand, der in kinderloſer Ehe lebt, hat einen natür⸗ lichen Sohn, Feduardo, den er, um ihn den möglichen Nachſtellungen ſeiner Gemahlin zu entziehen, einem Edel⸗ mann Uberto übergibt, der ihn mit feinem eigenen Sohn Ceſarino erzieht. Ins höhere Alter gekommen und noch immer kinderlos, verabredet der Herzog eine Heirath dieſes ſeines natürlichen Sohnes mit der Tochter des Herzogs von Mantua, Otavia. Der Wunſch, die Nachfolge zu⸗ gleich in Mailand und Mantua ſeinem eigenen Geſchlechte zuzueignen, verleitet den Pflegevater Uberto, ſeinen eigenen Sohn Ceſarino für den des Herzogs auszugeben, was um fo leichter angeht, da der Herzog ſein Kind durch eine Reihe von Jahren nicht geſehen hat. Mittlerweile hat des Alten zweite Frau, Caſandra, ſich in den jungen Feduardo ver⸗ liebt, und dieſer, um ſich ihren Zudringlichkeiten zu ent⸗ ziehen, beſchließt, eine Reiſe zu machen, was ſein Pflege⸗ vater nur zu gerne zugibt. Er kommt zuerſt nach Rom, macht ſich dort durch die richtige Erklärung einer eben aufgefundenen alten Statue (freilich etwas wunderlich) bekannt, und da bald darauf der Herzog von Mantua dort um einen Lehrer für ſeine Tochter anfragt, wird ihm Feduardo empfohlen, und er geht nach Mantua. Wie natürlich verlieben ſich die beiden jungen Leute un⸗ mittelbar in einander und es kommt bald dahin, daß ihm
1 Sein eigener Geheimſchreiber.
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die Prinzeſſin einen Brief an ihren Liebhaber dictirt, den
ſie ihm abzugeben befiehlt, und als er fragt, wer der Gemeinte ſei, ſagt ſie ihm ganz einfach: Er ſelbſt; wobei
fie ſich entfernt. Auf dieſe Art nun iſt er der Secretär
ſeiner ſelbſt. Sie haben bald darauf eine nächtliche Zu⸗
ſammenkunft, bei der ſie überraſcht werden. Feduardo
entflieht, ohne erkannt zu werden, und obwohl dieß der
Prinzeſſin Gelegenheit gibt, die Schuld auf einen unbe günſtigten Liebhaber, den Prinzen von Viſignano, zu ſchieben, der deßhalb auch gefangen genommen wird, ſo bleibt doch der Makel auf ihrer Ehre, und als bald darauf der unterſchobene herzogliche Sohn Ceſarino zur Hochzeit anlangt, erklärt man ihm, die Heirath könne unter den obwaltenden Umſtänden nicht ſtattfinden. Dieſer ſammt ſeinem vermeintlichen Vater halten dieß nur für eine Ausflucht, um das gegebene Wort zurückzunehmen, und fangen Krieg an. Sowohl der alte Überto als der mitt lerweile nach Haufe gekehrte Feduardo ſammt der ver liebten Caſandra in Männerkleidern nehmen Theil an dem Feldzuge. Caſandra hat inzwiſchen von dem alten Uberto herausgebracht, daß eigentlich Feduardo der wahre Sohn des Herzogs von Mailand ſei, und als die Sachen auf's Aeußerſte gekommen find, tritt fie mit dem Geheimniſſe hervor, wo denn der Schluß ſich von ſelbſt ergibt.
Die Erzählung iſt zugleich eine Darlegung der Mängel des Stückes. Uebrigens iſt es einer poetiſch unſchuldigen Zeit nicht zu mißgönnen, wenn ſie an derlei Ereigniſſen Gefallen findet. Im Einzelnen tritt nichts beſonders hervor. Höchſtens die Stelle, wo der alte Überto Feduardo das Glück feines Bruders gemeldet hat, und daß er nun Thron: folger von Mailand ſei, und ihn nun fragt: z pesate de
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anto bien? 1 antwortet dieſer mit dem rührendſten Ebel: nuth: Pesame de que no sea mi hermano.?
Llegar en occasion.“ Eines jener Stücke von iemlich lascivem Inhalt, in denen ſich Lope de Vega zewöhnlich con amore ergeht. Ein Marcheſe von Ferrara ſt in eine junge Wittwe Laura verliebt, der er ſchon rüher nachgeſtellt, zu der ihm aber jetzt der Tod ihres Nannes den Zugang frei gemacht. Theils die Furcht zor dem Lehensherrn, theils doch eine Art Neigung, bringt ie zur Einwilligung, und es wird verabredet, daß er zu Nacht die Thüre offen finden ſoll. Da kommt ihm aber plötzlich die Nachricht, daß ein Federico, deſſen Schweſter 7 verführt, einen Aufſtand gegen ihn erregt, was ihn nöthigt, ſich von Laura's Landſitz nach Ferrara zurückzu⸗ begeben, wo er den Aufſtand dämpft und ſeinen Gegner Federico gefangen nimmt. Während Laura ihn erwartet, wird ein Edelmann Otavio in der Nähe ihres Sitzes von Räubern überfallen, die ihm Alles nehmen, namentlich die Hoſen, ſo daß er, und zwar zur Winterszeit, im Hemde vor Laura's Hauſe ankommt, wo ihm anfangs, da Laura allen Männern zürnt, ſogar der Eintritt verweigert wird. Endlich läßt ſie ſich doch erweichen; der Fremde wird aufgenommen, in ein wohlriechendes Bad geſetzt, das für den Marcheſe be⸗ ſtimmt war, in ein Gewand des verſtorbenen Gatten geklei⸗ det, Laura läßt ihn ſogar vor ſich, ihre Phantaſie iſt von dem beabſichtigten Rendezvous mit dem Marcheſe aufgeregt, llega en occasion, er gefällt ihr, und am Schluſſe des erſten Aktes merkt man, daß er ſchon etwas wagen dürfe.
1 Schmerzt dich fo großes Glück?
2 Es krankt mich, daß er nicht mein Bruder iſt. 3 Zur gelegenen Zeit eintreffen.
4 Er kommt zur gelegenen Zeit an.
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Er wagt es auch. Im zweiten Akte erzählt La. ihren Vertrauten, daß, als ſie von ſchweren Träum geplagt in ihrem Bette lag, der Fremde in ihr Zim gekommen ſei. Sie habe ihn anfangs für eine Erſcheinn gehalten, wo er ihr dann ſagte:
No soy vision, ni tal pienses; tientame. Ay triste! tentele, y vi que estava en camisa. atreviöse hasta abrazarme. Di un grito, mas no muy fuerte. El, porque no diesse mas y & socorrerme viniesses, Tapöme toda la boca, y assi me quexé entre dientes. Fenisa: z Con Ja mano? Laura: Ay no, Fenisa necia estäs, que no lo entiendes. !
Otavio iſt als begünſtigter Liebhaber im Haufe in ſtallirt. Der Marcheſe wird unter verſchiedenen Vorwänden abgehalten, das frühere Verſprechen einzulöſen und ſein Herrenrecht auszuüben. Einmal führt man ihm Otavio als
1 Denke nicht, daß ich eine Erſcheinung ſei, rühre mich an. Ach. zu meinem Schaden berührte ich ihn, und fand, daß er im Hemde wat. Er erfühnte ſich, mich zu umarmen, ich fiieß einen Schrei aus, abet nicht allzulaut. Er ſtopfte mir, weil ich nicht laut genug geſchrieen hatte, daß du mir zu Hilfe gekommen wärſt, den Mund ganz zu, und ſo verhallten meine Alagen zwiſchen den Zähnen.
Feniſa: Mit der Hand?
Laura: Ad nein, Feniſa, du biſt nicht klug, wenn du mich nicht
verſtehſt.
inen Vetter des Hauſes vor, ein andermal ſoll Lauren hr verſtorbener Gatte erſchienen ſein, ja, als ſie ſich nicht nders zu helfen wiſſen, ſtellt ſich Otavio an, von einem züthenden Hunde gebiſſen zu fein und auch Lauren feiner: its gebiſſen zu haben, und was denn des Unſinns mehr ſt, was aber nicht hindert, daß der Dialog und die anze Behandlung ſich in ächt Lope'ſcher Lebendigkeit und datürlichkeit erhält. Zuletzt heirathet Otavio Lauren, der Narcheſe ſeine verlaſſene Geliebte und der Rebell Federico es Marcheſen Schweſter.
El testigo contra si. 1 Das iſt nun einmal ein zuſtſpiel mit einer Verwicklung im eigentlichen Sinne des Vortes, wenn gleich etwas derber Natur. Ein Edelmann, ziſardo, durch einen aufgefangenen Brief eiferſüchtig ge: nacht, verläßt feine Geliebte Eſtela und Madrid. Er ommt nach Sevilla, wo er nichts Angelegentlicheres zu hun hat, als ſich auf einem öffentlichen Spaziergange in ine Dame Otavia zu verlieben, die auch geneigt ſcheint, hm Gehör zu geben, als der Bruder ſeiner verlaſſenen zeliebten mit einem Gerichtsdiener dazu kommt und ihn raft ſeines gebrochenen Eheverſprechens gefangen ſetzen äßt. Zufällig aber iſt der Aufſeher der Gefängniſſe ein gekannter Liſardo's. Dieſer läßt ihn auf fein Wort frei. dieſe Freiheit benützt er, um ſein Abenteuer zu Ende zu ühren, und er iſt eben im galanten Geſpräch mit Otavia, ils ihr eigener Bruder und der Madrider Bruder dazu ommen, zwiſchen Letzterem und Liſardo eine Ausforderung tattfindet und in dem darauf entſtandenen Zweikampfe ziſardo, wie Alle glauben, todt zu Boden fällt.
Zunächſt hat ſich der rächende Bruder in dieſelbe Otavia
1 Der Zeuge gegen ſich ſelbſt.
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verliebt, und um ihren Bruder zur Einwilligung gen zu machen, verſpricht er ihm ſeine eigene Schweſter, Braut des getödteten Liſardo. Die Sevillianer komm nach Madrid, und aus Liebe zu ihrem Bruder, und ihr Geliebter denn doch todt iſt, entſchließt ſich Eſte der Doppelheirath ſich zum Opfer zu bringen.
Liſardo, der noch immer für todt gilt, iſt aber gebe worden. Er kommt nach Madrid und beſchließt, j. Doppelheirath zu ſtören. Da Otavia in früherer 3 ein Verhältniß mit einem Feliciano gehabt hat, der nach Lima gegangen iſt, ſo verkleidet er ſeinen Bedienten Morato in einen Hauptmann Alvarado, der von Lima mit einer Vollmacht Feliciano's komme, um ſich in ſeinen Namen mit Otavia trauen zu laſſen. Otavia, als fie von den reichen Geſchenken hört, die der Indianer mit ſich bringt, iſt gleich bereit, ihren Madrider Bräutigam aufzugeben. Kaum aber wieder zurecht gebracht, findet ſich ein neues Hinderniß. Ein Ricardo, gegen den eiferſüchtig Liſardo zu Anfang des Stückes Madrid ver: laſſen hat, gibt vor, ein Eheverſprechen von Eſtela zu haben. Er leitet einen Prozeß ein, und da er ſich nach Zeugen, natürlich falſchen, umſieht, macht ihn ſein Diener auf Liſardo aufmerkſam, der, den vorgeblichen Indianer Morato als Bedienter begleitend, zu einem falſchen Zeug: niß wohl zu bringen fein werde. Liſardo, halb der In⸗ trigue willen, halb weil er von einem frühern Verſtändniß zwiſchen Ricardo und Eſtela ſich überzeugt hält, iſt bereit, Zeugenſchaft abzulegen. Und fo iſt er denn der testigo contra si, der Zeuge gegen ſich ſelbſt. Die Sache ver: wirrt ſich aber noch mehr, indem der wirkliche Indianer Feliciano anlangt, der Otavien längſt vergeſſen hat, und da er nun hört, daß Jemand da ſei, der ſich in ſeinem
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Namen mit ihr vermählen wolle, voll Schreck hineilt, um die Sache zu hintertreiben. Otavia iſt gleich wieder bereit, ihrem vergeſſenen Liebhaber in die Arme zu fallen, der ſich gegen ſie aus allen Kräften wehrt, ja ſie verfolgt ihn endlich bis in ſein Gaſthaus, nachdem vorher die beiden Weiber, die ſich wechſelſeitig die Schuld der Ver⸗ wirrung zuſchreiben, bis zum materiellen Handgemenge gekommen ſind, ſo daß man ſie kaum auseinander bringen kann. In demſelben Gaſthofe langt auch Eſtela an, die mit Liſardo entflohen iſt, da man ſie in Folge von Ri⸗ cardo's gerichtlicher Klage und Liſardo's Zeugenſchaft ver⸗ haften will. Hier klärt ſich endlich die Sache auf, Liſardo bekommt ſeine Eſtela, und Otavia, da Feliciano durchaus nichts von ihr wiſſen will, wird denn doch Eſtela's Bruder zu Theile. Das Stück iſt ſorgfältig und ſehr gut geſchrieben, der Dialog nach Art Lope de Vega's mit allem Anſchein der Zufälligkeit und des Geſchwätzes doch ſo, daß er immer die Situation und die Handlung weiter bringt. Von den Charakteren der etwas derbe Indianer Feliciano ſehr gut. Ebenſo Otavia, deren unbefangener Eigennutz bei allen Gelegenheiten durch den gemachten ſentimentalen Modeton durchbricht.
El marmol de Felisardo. 1 Hier wird nun wieder die Glaubensfertigkeit eines guten Katholiken ſehr in Anſpruch genommen. Ein junger Student Feliſardo be⸗ findet ſich auf dem Dorfe, wo er ſich in die Tochter des Alkalden, Eliſa, verliebt. Er gilt als der Sohn eines vornehmen Mannes und für hohe kirchliche Würden be⸗ ſtimmt. Als man ſie aber bei einer verliebten Zuſammen⸗ kunft überraſcht, was das Mädchen in üblen Ruf bringen
1 Die Statue des Feliſardo. Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 17
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müßte, und Feliſardo verſpricht, ſie zu heirathen, gibt der
Vater denn doch feine Einwilligung. Feliſardo iſt aber
ein natürlicher Sohn des Königs (von Gelanda. Ich weiß
nicht, wo das liegt). Da dieſer König im Laufe des
erſten Aktes durch den Tod feines rechtmäßigen Thron:
folgers erblos wird, muß er ſich nothgedrungen an den
natürlichen Sohn wenden, und er ſchickt den Almirante ab,
der ihn auch wirklich an den Hof bringt. Nun fängt der
Unſinn an. Eliſa hat einen Zwillingsbruder, Celio, der
ihr ſo ähnlich iſt, daß, als ihr Vater dieſen Celio als Pagen nach Hof bringen will, er ſich vergreift und ſeine Tochter in Pagenkleidern dem Prinzen als Diener ftelt. Feliſardo iſt ſelbſt im Zweifel über das Geſchlecht dieſes Zwitterweſens, wo ihm denn der luſtige Diener Triſtan den Rath ertheilt, dem Pagen einen Schilling geben zu laſſen, wo ſich denn herausſtellen müſſe, ob er ein Mann oder ein Weib ſei. Unterdeſſen will nian den Prinzen mit der Tochter des Almirante verheirathen. Triſtan gibt wieder den Rath, ſein Herr möge ſich wahnſinnig und in eine Statue im Garten verliebt ſtellen (el marmol de Felisardo). Nachdem alle Mittel der Heilung fruchtlos verſucht worden ſind, gibt der König, wieder auf den Rath Triſtans, ent- lich ſeine Einwilligung zu der Vermählung mit der Statue. Es verſteht ſich, daß Eliſa in die Statue verkleidet worden iſt und der König, durch ſein Wort gebunden, nun auch die Ehe mit der lebendigen Stellvertreterin zugeben muß, was er um ſo lieber thut, da ſich zeigt, daß der Alkalde, ihr Vater, eigentlich von hohen Verwandten abſtamme. Zuletzt hat ſogar der Zwillingsbruder Celio, der in dem Perſonenverzeichniſſe gar nicht vorkommt, einen einzigen Vers zu ſagen, als man ihn nämlich mit der für Feliſardo beſtimmten Tochter des Almirante verheirathet.
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El mejor maestro el tiempo. ! Das iſt nun ein ganz vernünftiges Stück, höchſtens ſollte es ſtatt: der beſte Lehrer die Zeit, heißen: der beſte Meiſter das Un⸗ glück. Doch kann man die Zeit auch für den Inbegriff alles deſſen nehmen, was die Zeit mit ſich bringt. Ein König von Iberien hat zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter, beide in Anmaßung und Ungeſtüm ſich ähnlich, was eine gute Wirkung macht, da das Proſaiſche des Gegenſatzes dadurch wegfällt. Die Prinzeſſin Euphroſia prügelt ihre Muhme (hinter der Scene nämlich) mit einem Gartenpfahl, was der Bruder der Geprügelten übel nimmt, dafür aber von dem Bruder der Prinzeſſin, Otto, ver⸗ wundet wird. Dieſe Gewaltthat bringt das Mißvergnügen des Volkes über die beiden Königskinder zum Ausbruch. Es entſteht ein Aufruhr, in dem der König mit den Seinigen vertrieben wird. Er flüchtet über's Meer und ſieht ſich genöthigt, mit ſeinen Kindern zu betteln, ſo daß er froh ſein muß, von dem fremden Herzog eine Gärtners⸗ ſtelle zu erhalten. Die Kinder ſind übrigens jetzt ſchon von ihrem Uebermuthe völlig geheilt.
Der Fürſt des fremden Landes beſitzt ebenfalls einen Sohn und eine Tochter, natürlich verlieben ſich die Paare wechſelſeitig in einander. Otto benimmt ſich wie alle Liebhaber in der Welt. Sehr gut iſt ſein alter Vater, der, indeß er ſich völlig in ſeine neue Lage fügt, doch überall die Würde des Königs durchſchimmern läßt. Auch Euphroſia hat von ihrem hohen Sinne ſo viel bewahrt, als gut iſt. Sehr hübſch macht ſich die Scene, wo der vertriebene König, von der Dorfgemeinde zum Richter erwählt, dem Herzoge die Hand zu küſſen naht und unter⸗
1 Der beſte Lehrmeiſter die Zeit.
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deſſen feinen Stab der Tochter zu halten gibt. Ta je mittlerweile vom Sohne des Herzogs angeſprochen wird, antwortet ſie ganz im Sinne eines Richters, deſſen Stab fie in den Händen trägt. Lope iſt unübertrefflich in ſolchem Geltendmachen von ſcheinbaren Zufälligkeiten.
Der Sohn des Herzogs, der den Bruder feine Ge⸗ liebten ſcheut, läßt ihm Geld in den Weg werfen, das dieſer findet und ſich dafür als Ritter kleidet und aus rüſtet, ſo daß er nun bald als Prinz, bald als Gärtner der Herzogstochter in den Weg kommt, was einige nicht ſehr ſchlagende Verwicklungen gibt, bis endlich die Unter: thanen des vertriebenen Königs des eingedrungenen Or waltherrſchers überdrüſſig werden, ihn verjagen und den frühern Herrn aufſuchen. Der entdeckte königliche Stand des vermeinten Bettlers macht allen Schwierigkeiten ein Ende, und eine Doppelheirath führt zum Schluß.
El villano en su rincon.! Das Stück iſt durch die Bearbeitung Friedrich Halms für die deutſche Bühne bekannt genug, ſo daß ich nicht fürchten darf, den Inhalt je aus dem Gedächtniſſe zu verlieren, weßhalb ich ihn auch gar nicht näher berühren will. Anders iſt es aber mit den Charakteren, die Halm, den Bedürfniſſen der Zeit und des heutigen Theaters nach, nothwendig modificiren und zum Theil abſchwächen mußte. Die Hauptfigur des Juan Labrador ſteht für ſich und gediegen da. Dieſe mit Stolz gemiſchte Zufriedenheit, dieſe Gediegenheit in Allem, was er ſagt und thut, macht ihn zu einer der vortreff⸗ lichſten Theaterperſonen. Der Grund, warum er den König nicht ſehen will, obgleich er in ſeiner letzten Ver⸗ wirrung einen andern läppiſchen angibt, iſt, außer dem
1 Der Bauer in feinem Winkel (König und Bauer).
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Stolze, die Furcht, daß er weniger zufrieden ſein werde, wenn er einen Höhern als ſich ſelbſt geſehen, was er im Lauf des Stückes einmal deutlich ſagt. Lope de Vega iſt bei all' ſeiner Natürlichkeit doch ein Frondeur, er ſieht das Nichtige aller Vorurtheile ſeiner Zeit ein. Hier hat er's nun mit der königlichen Macht zu thun. Der König iſt durch ſeine Unbehilflichkeit und Rathloſigkeit, als er ſich in der Hütte des Bauers befindet, wo, nach erloſchenem Schimmer des Königthums, Niemand von ſeiner Perſon Notiz nimmt, gedemüthigt genug; es muß nun, den Be⸗ griffen der Zeit gemäß, auch dem Königthume ſein Recht geſchehen, und der Bauer wird für das Zuviel ſeines Selbſtgefühls beſtraft. Trotz ſeiner Demüthigung bleibt er aber doch der Mittelpunkt des Ganzen, und Niemand möchte lieber der König als er ſein. Bewunderungswürdig aber iſt die Mannigfaltigkeit, die er in die Charaktere und in den, gegen Lope's Gewohnheit, etwas doctrinären Stoff hineinzubringen wußte. Schon daß die Kinder dem Vater ſo unähnlich ſind, iſt, obgleich begriffswidrig, da ſie ſeine Weisheit in der Erziehung in Zweifel ſetzten, doch ſo ganz natürlich. Der Sohn Feliciano iſt in ſeiner unbeſtimmten Eitelkeit ziemlich unbedeutend. Dagegen die Tochter Liſarda mit der eigentlichen sal espanola 1 prächtig und trotz aller Verſchiedenheit die wahre Tochter ihres Vaters. Mit ihr im Gegenſatze die beſonnene und weiſe Coſtanza, die der Alte trotz ihrer Armuth ſeinem Sohne zur Frau beſtimmt. Der Kämmerling Oton, der, um in ſeine Liebesbewerbung Intereſſe und Bewegung zu bringen, gegen den Schluß zu auf den König eiferſüchtig werden muß. Die Art, wie der König auf den ſtolzen Bauer,
1 Spaniſchem Witze.
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indem er deſſen anticipirte Grabſchrift auf dem Kirchhofe liest, zuerſt aufmerkſam wird, wo unter dem herzuge⸗ drängten Volk auch die romanhafte Liſarda ſich befindet. Wie die Mädchen und Burſchen mit Stangen und Stäben ausziehen, um Oliven abzuſchlagen, welche Bewaffnung die Mädchen ſehr gut kleiden mußte. Was dabei vorfällt, der Geſang, der Tanz, die geſellſchaftlichen Spiele, das Alles iſt jo mannigfaltig und wahr, daß man feiner de wunderung kein Ende findet. Ich wollte, Leſſing hätte Calderon und Lope de Vega gekannt, er hätte vielleicht gefunden, daß ein Mittelweg zwiſchen Beiden dem deut: ſchen Geiſte näher ſtehe, als der gar zu rieſenhafte Shakeſpeare.
El castigo del discreto. ! Der Befonnene it anfangs ziemlich unbeſonnen. Riccardo, die Titelrolle, obgleich mit einer Caſandra verheirathet, macht doch der Schweſter Alberto's, Hippolyta, den Hof. Auf feinen nächtlichen Liebesſtreifereien wird er von einem andern Bewerber Hippolyta's, Leonelo, in Begleitung zweier Diener überfallen, und es ſtünde ſchlimm um ihn, wenn nicht zufällig ein Sevillaner, Feliſardo, der eben in Madrid angekommen und in Alberto's Hauſe abgeſtiegen iſt, dazu käme und ſich auf Riccardo's Seite ſtellte, mit deſſen Hilfe die Angreifer zurückgeſchlagen und Einer von ihnen ſchwer verwundet wird. Riccardo nöthigt feinen Retter zu ſich nach Hauſe, wo er ihn ſeiner Gattin Caſandra vorſtellt, die ihn denn auch wirklich liebenswürdig findet, ohne aber bei ihrer großen Tugend weiter ein Arg zu haben. Von da ab aber iſt Riccardo ſo voll von dem Lobe ſeines Retters, er ſchildert deſſen Eigenſchaften Caſandra'n in ſo
1 Die Strafe des Beſonnenen.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 263
bezauberndem Lichte, daß dieſe ſich endlich in Feliſardo verliebt fühlt und beſchließt, ihm einen Brief zu ſchreiben. Während ſie damit beſchäftigt iſt, kommt ein Diener Leonelo's, des Veranlaſſers jenes nächtlichen Ueberfalls, mit einer Ausforderung an Riccardo. Der Bediente des Hauſes Pinabel übernimmt den Zettel und bald darauf auch den Brief Caſandra's an Feliſardo, und da er beide in dieſelbe Taſche ſteckt, verwechſelt er ſie, und gibt Ric⸗ cardo'n den Liebesbrief ſeiner Frau, die Ausforderung aber dem Feliſardo. Riccardo iſt wie aus den Wolken gefallen. Das Einfachſte ſchien ihm, ſeine Frau umzu⸗ bringen, als Beſonnener aber beſchließt er doch, ſie auf eine minder gefährliche Art zu beſtrafen. Er beantwortet daher im Namen Feliſardo's den Liebesbrief und verſpricht, ſich bei der angebotenen Zuſammenkunft einzufinden. Ebenſo hat ſich Feliſardo der Ausforderung geſtellt. Leonelo iſt zwar über die Verwechslung der Perſon über⸗ raſcht, da aber doch Feliſardo auch ſein Feind noch von jenem nächtlichen Ueberfall her und zugleich ſein Neben⸗ buhler in der Liebe zu Hippolyta iſt, ſo ſchicken ſie ſich zum Kampfe an, der nur durch die Dazwiſchenkunft des Gaſtfreundes Alberto gehindert wird.
Nun kommt die Reihe an die Strafe des Beſonnenen. Riccardo gibt eine Reiſe vor, um ſeiner Gattin Raum für die verabredete Zuſammenkunft zu geben. Nachts zu⸗ rückgekehrt, kommt er in der Perſon Feliſardo's in ſein eigenes Haus, wo er die liebesdürſtende Gattin, immer im fremden Namen, aufs Aeußerſte durchprügelt, während ſein Diener, Pinabel, dieſelbe Operation mit der Zofe Teodora vornimmt. Ja, er lädt ſpäter Feliſardo ſelber in ſein Haus, wo denn die geprügelte Geliebte Feuer und Flamme gegen ihn ſpeit, indeß er Feliſardo, der
264 Studien zum ſpaniſchen Theater.
ſich in alles dieß nicht zu finden weiß, glauben malt, ſeine Frau habe Anfälle von Wahnſinn, wodurch denn auch jeder künftigen Annäherung vorgebeugt wurde. Das eigentlich Künſtleriſche an der Sache aber iſt, daß auch Riccardo, aus Beſorgniß für ſein häusliches Verhältniß, von ſeiner Neigung zu Hippolyta geheilt wird und alles Mögliche thut, um fie Feliſardo zum Weibe zu ver: ſchaffen. Ja, derſelbe Fall iſt mit Leonelo, der ebenſo für eine Schweſter fürchtet, die er bei ſich im Hauſe hat, und von der er glauben muß, daß Feliſardo ihr den Hof mache. Die Heirath kommt denn endlich auch zu Stande und entwirrt die Fäden.
Las pobrezas de Reynaldos. 1 Mit dieſem Stücke hatte Lope de Vega wahrſcheinlich fein Publikum im Kern ſchuſſe getroffen. Es iſt eine jener Rittergeſchichten, die Cervantes mit ſeinem Don Quixote wohl lächerlich machen, aber nicht tödten konnte. Höchſtens find die Unmöglich⸗ keiten abgeſtreift, die Abgeſchmacktheiten aber ſind geblie⸗ ben. Reynaldos, bei Karl dem Großen verleumdet, wird aller ſeiner Güter beraubt, verbannt und in eine ſolche Armuth gebracht, daß er mit Frau und Kind Brod bei den Hirten betteln muß. Ein Einfall der Mauren von Marokko wird ſeinen Aufreizungen zugeſchrieben. Auf ſein Schloß Montalvan zurückgezogen, erhält er aber kaum Kunde von dieſem Einfalle, als er ſich zur Hilfe aufmacht, die Tochter und den Eidam des Königs von Marokko, ja endlich dieſen ſelbſt gefangen nimmt, die Reichsfahnen, die der Mainzer Florante auf der Flucht auf die Seite ſchafft, rettet und überhaupt den ſchon verlornen Sieg wieder den Franzoſen zuwendet. Die
I Die Armuth des Reynaldos.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 265
Mainzer wiſſen aber alles das, als von ihnen bewirkt, dem Kaiſer darzuſtellen. Endlich wird er ſogar durch Verrätherei gefangen, wo ſein Bruder Malgeſi ſeine Schwarzkunſt zu Hilfe nimmt, ihn befreit und an ſeiner Stelle einen Spiritus familiaris zurückläßt, der, als man ihn zum Tode führen will, wahrſcheinlich zum großen Jubel des Publikums, die verhaßten Mainzer Brüder nit Prügeln traktirt. Eben ſo ſicher des Beifalls war vohl die Scene, wo in Abweſenheit des Burgherrn, das Schloß Montalvan lediglich von ſeiner Frau und ſeinem Rinde unter den großſprecheriſchſten Redensarten gegen die ſturmlaufenden Soldaten Galalons vertheidigt wird. Wer übrigens das Wohlgefallen an derlei Dingen nicht heilt, findet kaum eine einzige erträgliche Scene in dem janzen Stück. |
El gran Duque de Moscovia. 1 Gegen dieſes,
o Gott will, hiſtoriſche Schauſpiel läßt ſich nichts ein⸗ venden. Es behandelt die Geſchichte jenes falſchen De⸗ netrius, den Lope de Vega für einen ächten nimmt, was hm, wie natürlich, freiſteht. Er fängt nach ſeiner Ge⸗ vohnheit mit den Kinderjahren ſeines Helden an. Seinem Zater Teodoro iſt mit Gift vergeben worden, das ihn iber, ſtatt zu tödten, blödſinnig gemacht hat. Der Groß⸗ yater Baſilius will daher die Nachfolge auf feinen jün⸗ ern Sohn Johann übertragen. In einem entſtandenen Vortwechſel tödtet er aber dieſen durch einen Schlag mit em Stocke, der bei den Ruſſen die Stelle des Scepters ertritt, und ſtirbt ſelbſt bald darauf aus Gram über ieſen Todtſchlag. Nun ſoll Demetrius' Mutter ſtatt ihres lödſinnigen Gatten regieren, ſie begeht aber die Unvor⸗
1 Der Großherzog von Moskau.
E
266 Studien zum ſpaniſchen Theater.
ſichtigkeit, die Gewalt ihrem Bruder Boris zu überlafen,
der ſich nun des Reiches bemächtigt und vor allem ſeinen
Neffen Demetrius aus der Welt zu ſchaffen trachtet. Dieſen
hat die beſorgte Mutter zu einem alten Ritter Lamberto
in Sicherheit gebracht, der, als die Mörder anlangen,
mit einem, damals wohl großen Effekt machenden Herois⸗
mus der Treue, wiſſentlich ſeinen eigenen zwölfjährigen
Sohn unterſchiebt, nach deſſen Ermordung Demetrius für
todt gilt. Dieſer hat nun verſchiedene Schickſale. Zuerſt begibt er ſich in ein Mönchskloſter, aus dem er aber wieder entfliehen muß, da der Tyrann Boris auf einer Rundreiſe durch ſeine Staaten im Kloſter anlangt und gegen Demetrius aus der Aehnlichkeit mit ſeinem Vater Verdacht zu ſchöpfen beginnt. Er kommt darauf als Küchen⸗ junge ins Haus eines polniſchen Palatins (aus dem Lope, wahrſcheinlich wegen der geläufigen Benennung eines Pfalz grafen am Rhein, einen Conde Palatino macht). Tort macht deſſen Tochter Margarita einen bleibenden Eindruck auf ihn, die aber, wie natürlich, ſeine Annäherung böchſt lächerlich findet. Glücklicher iſt er bei dem Vater felbit, dem er ſich entdeckt und der ihn ohne viel Umſtände für den ächten Demetrius nimmt, ſowie ſpäter der König von Polen ſelbſt. Sie geben ihm eine Armee. Er beſiegt den Tyrannen Boris und erhält die Krone des moskowitiſchen Reiches, ſowie die Hand ſeiner Geliebten, Margarita, die anfangs in höchſt komiſcher Verlegenheit iſt, ob er ſein als Küchenjunge ihr gegebenes Eheverſprechen, das ſie damals verlacht, nun als Großherzog auch halten werde. Das Stück iſt mit Ausnahme des annehmbaren Verlaufs der Begebenheiten höchſt unbedeutend. Allenfalls könnte der Vater des Demetrius, aus deſſen Blödſinn Spuren eines unterdrückten Verſtandes hindurchblitzen,
Ueber Lope de Bega's dramatiſche Dichtungen. 267
für etwas gelten. Sehr gut iſt auch die Scene, wo der Tyrann Boris mit ſeiner Frau und mit ſeinem Vertrauten Die auftauchenden Gerüchte beſpricht, daß Demetrius noch lebe. Wie der Vertraute verſichert, er habe ſelbſt die Leiche des Knaben in den Händen gehalten, ehe ſie das Feuer verzehrt, welches das ganze Schloß dem Erdboden gleich gemacht, ſo daß jetzt mannshohes Gras an der Stelle wachſe. Das alles nimmt man für gewiß, und doch taucht die Beſorgniß immer wieder auf. Beſonders bei der Frau, die allen Gründen ihres Mannes mit einem: ſo iſt es, ich glaube es, antwortet und zuletzt doch wieder darauf zurückkommt: ich möchte wohl das Schloß ſehen. Eben ſo die Anſicht des Tyrannen in derſelben Scene über den Vorſchlag, er ſolle verbieten, Tod und Leben des Demetrius zu beſprechen. Er meint nämlich: ein Verbot, zu ſprechen, habe nothwendig die Wirkung, daß man das Verbot beſpreche und ſomit ſtillſchweigend die Sache. | Las pazes de los Reyes y la Judia de To- ledo. 1 Eines der beſten Stücke von Lope de Vega. Leider hat er ſich hinreißen laſſen, auch die Jugendge⸗ ſchichte König Alfonſo's mit aufzunehmen. Ich ſage: leider, weil, ungerechnet die Unzukömmllichkeit, dieſelbe Perſon als Mann auftreten zu ſehen, die im erſten Akte als Kind erſchien, dieſe Ausdehnung der Fabel ihm den Raum genommen hat, die Haupthandlung: das Liebes⸗ verhältniß zur Jüdin von Toledo, mit gebührender Aus⸗ führlichkeit zu behandeln. Der erſte Akt, der die Einfüh⸗ rung König Alfonſo's als Kind in die von den Truppen ſeines Oheims beſetzte Stadt und die Gewinnung von
1 Der Friede der Könige und die Jldin von Toledo.
268 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Toledo für ihn zum Gegenſtand hat, bewegt ſich faſt ganz in patriotiſchen Erinnerungen. Doch iſt hineingeſtreut eine vortreffliche Scene ehelicher Zärtlichkeit zwiſchen dem Befeblshaber des befeſtigten Schloſſes Lope de Arena, einer vollkommenen Nebenfigur, und ſeiner Gattin. Lope de Vega wirft häufig ſeine Perlen ſo am Wege hin. Im zweiten Akte, bereits Mann geworden und mit der eng⸗ liſchen Prinzeſſin Leonore vermählt, verliebt er ſich in die Jüdin von Toledo, die er beim Baden im Fluſſe überraſcht. Es iſt dafür geſorgt, daß dieſes Vergehen, das unmittelbar nach der Vermählung eintritt, dem Könige nicht gar zu hoch angerechnet werde, denn die Jüdin ſpricht ſchon bei ihrem erſten Auftreten von der Kälte des engliſchen Blutes der Königin, und den Zeitgenoſſen Lope's mochte eine ſpaniſche Jüdin für jeden Fall an⸗ ziehender vorkommen, als eine Königin aus dem Stamme der verhaßten engliſchen Eliſabeth. Nichts deſto weniger vertritt ihm aber doch ein Engel den Weg, als er fih Nachts zu feiner geliebten Jüdin begeben will, die er in dem Palaſt Galiana eingeſchloſſen hält, ſowie ſpäter ihm ein zweiter Engel erſcheint, als er nach der Ermordung der Jüdin Wuth und Rache gegen ſeine Großen und die Königin ſchnaubt. Auf Aufforderung dieſer Letztern näm: lich wird die Jüdin Rahel überfallen und getödtet. Nun kommt der übervortreffliche Schluß des Ganzen, ſo vortrefflich, daß ich ihm an Innigkeit beinahe nichts im ganzen Bereiche der Poeſie an die Seite zu ſetzen wüßte. Der König, der an den Hof zurück will, und die Königin, die ihrem Gatten entgegenreist, treffen, ohne von einander zu wiſſen, in einer Kapelle zuſammen, in der ein wunderthätiges Bild der Muttergottes zur Ver: ehrung aufgeſtellt iſt. Sie knieen, von einander entfernt,
Ueber Lope de Vega's dramatiſcke Dichtungen. 269
nieder und fangen an, in lauten, ſich durchkreuzenden Worten ihr Herz vor der Gnadenmutter auszuſchütten. Der König, der ſich dadurch in ſeiner Andacht geſtört findet, ſchickt ſeinen Kämmerling, die fremde Dame um Mäßigung ihres lauten Gebetes zu erſuchen. Die Königin lehnt die Botſchaft ab. Sie habe ihren Gatten verloren, und ſei in ihrem Rechte, zu klagen. Indeß iſt ihr Kam⸗ merfräulein zu den Kammerherrn des Königs bingefniet, die Erkennungen tauſchen ſich aus, und das fürſtliche Ehe⸗ paar feiert ſeine Verſöhnung vor dem Altare der Ge— benedeiten.
Merkwürdig iſt übrigens, daß Lope de Vega ſich ſo ziemlich auf die Seite der Jüdin ſtellt. Sie iſt durchaus edel gehalten, und ſelbſt den Makel des Judenthums nimmt er für den Zuſeher dadurch hinweg, daß ſie vor ihrem gewaltſamen Tode begehrt, eine Chriſtin zu werden. Wieder ein Beweis von ſeiner Vorurtheilsfreiheit. Ja, ſelbſt in dem Titel: las pazes de los Reyes, ! liegt viel: leicht eine verſteckte Ironie. Im erſten Akte wird der Friede des Königreichs durch die verrätheriſche Ermordung Lope de Arena's geſchloſſen; im dritten iſt das Pfand des Friedens der Tod der von Allen am wenigſten ſchul⸗ digen Jüdin.
Lope de Vega kommt in der Maske des Gärtners Belardo dießmal völlig deutlich vor.
Los Porceles de Mureia.? Dieſes Stück wurde wahrſcheinlich für das Theater der Stadt Murcia geſchrie⸗ ben. Lope fand daſelbſt ein edles Geſchlecht los Porceles (die Junker Schweinichen), und die auch anderwärts ver⸗ breitete Sage, daß eine Bettlerin, mit Zwillingen auf den I Der Friede der Könige. 2 Die Porceles von Murcia.
„ oöhenſtande ſagen: er habe ihn mit eigentlich Erfindungen k ihm im Wege liegt, auf ſelbſt zu gliedern, gibt gleich loſes, doch beſtimi daß man am Ende erſt Samenkorn, ein wenig ( Pflanze geworden iſt. Er an die Bettlerin. Dieſe iſt
der Liebe vergeſſen und, n Nebenbuhler auf den Tod nöthigt ſah, gleichfalls die | wehen überraſcht, auf frei bringt, die von gutmüthi Mutter aufgenommen werd pelle mit einem wunderthät vornehmes Ehepaar aus Mu hat, um Segen für ihre kin fällt nun ganz paſſend die und Verwünſchung vor. Ab das Eiferſuchtsperbz lle ı
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 271
natürlich verdoppelt. Im zweiten Akte geht der Fluch der Bettlerin in Erfüllung. Die Edelfrau iſt ſchwanger geworden und gebiert in Abweſenheit ihres Mannes gleich einem Mutterſchwein ſieben Kinder auf einmal. Die Dame, die ſich gegen ihren Gatten vermeſſen hatte, daß, wenn ſie je mehr als Ein Kind zur Welt brächte, er ſie als eine überwieſene Unkeuſche auf der Stelle tödten möge, wählt in ihrem Schreck das ſchönſte der Kinder aus und gibt die andern Sechs einer Sklavin, ſie heimlich ins Waſſer zu werfen. Die Sklavin fällt dem nach Hauſe kehrenden Gatten in die Hände, der durch Drohungen die Wahrheit erpreßt und als beſonnener Hausvater die ſechs Kinder bei Landleuten unterbringt, den Vorfall aber gegen Jedermann verſchweigt.
Unterdeſſen iſt der entflohene Liebhaber der vermeinten Bettlerin zurückgekommen und hat ſich, ſo wie ſie, bei denſelben Bauern als Knecht verdingt; der todtgeglaubte Nebenbuhler hat fich in die im Stücke nicht vorkommende Schweſter ſeines Gegners verliebt, alles iſt zur Verſöh⸗ nung und Entwicklung reif, als auch der nachkommen⸗ reiche Vater Don Lope unter dem Vorwande, das Geburts⸗ feſt ſeines Majoratserben zu feiern, ein Gaſtmahl an⸗ ſtellt, zu dem auch die ausgeſetzten ſechs übrigen Kinder mit ihren Pflegeeltern beigezogen werden, wo denn alles ſich aufklärt und, ohne daß viel dabei herauskäme, ſich abſchließt. Es iſt hier auch nicht die Rede von einem guten Stücke, ſondern nur von dem Reichthum dieſer wunderbaren Natur, die aus allem Vortheil zu ziehen weiß und alles ſpecificirt.
Die Natur der Fabel macht viele Nebenperſonen noth⸗ wendig. Was dieſe ſagen und thun, ſteht keineswegs immer mit der Haupthandlung in Verbindung, bezieht
Murcia wegen ſeiner Seidenkt ſcheinlich, daß fie eben fo gi die Wächter, welche die Skla fie die ſechs Kinder trägt, au des Seidenzolles. Es iſt ein nur bedauern läßt, daß dieſe La hermosura aborı einige Aehnlichkeit mit einem Ende gut, Alles gut. Ein Fi verſchmäht wird, den ſie liebt, daß fie den König von einer fc nun, halb auf königlichen Befe des geliebten Gegenſtandes, in kommt. Wie mir denn überh ſpaniſchen Dramatik feiner 3 zweiter Hand, nicht ganz unbekce Die Fabel des vorliegenden Sti Sancho de Guevara verabſcheut, Hange zur Liederlichkeit, feine fd Von ihm verſtoßen, kommt ſie
zuſammen, die fie gütig aufr Rah -
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 273
en brutalen Don Sancho als Vicekönig nach Navarra hickt. Dieſer iſt aber noch nicht geheilt. Er geht ſogar amit um, ſeine ihm läſtige Gefährtin zu ermorden, bis ieſe ſich bereit erklärt, Pamplona heimlich zu verlaſſen nd vor der Welt für todt zu gelten. Sie kommt bei andleuten an und wird dort von dem Barbier des Dorfes ufgenommen, wo wir denn annehmen müſſen, daß ſie on der Heilkunde ihres Meiſters möglichſt profitirt habe. Zenigſtens wird fie als angehender Heilkünſtler zu einem zauernmädchen Coſtanza gerufen, die ſich in den hübſchen zarbierjungen verliebt hat, zu deren Heilung aber weder yre wiſſenſchaftliche, noch phyſiſche Begabung ausreicht, has eine gute Scene gibt. Unterdeſſen iſt König Fernando, er Katholiſche, bei oder nach der Eroberung von Granada urch einen jungen Mauren ſchwer verwundet worden. Zei ihm iſt der junge Arzt glücklicher. Er ſtellt den König er und wird dafür mit Ehren und Belohnungen über: yäuft. Eben jetzt trifft die Nachricht von den Gewaltthä⸗ igkeiten und Ausſchweifungen des Vicekönigs von Navarra hei Hof ein. Der junge Arzt bittet als einzigen Lohn zus, daß man ihn als Kommiſſär zur Unterſuchung nach Navarra ſende, wie alle Welt glauben muß, um ſich an dem treuloſen Gatten zu rächen. Es kommt aber ganz anders. In Pamplona angelangt, ſucht ſie auf alle Art die Anſchuldigungen gegen den Vicekönig zu entkräften. Sie läßt die Hauptankläger jeden mit hundert Peitſchen⸗ ſtreichen abfertigen, und ſetzt ſich dadurch bei dem Ange⸗ ſchuldigten, wie natürlich, in höchſte Gunſt, ſo daß, als zuletzt die Identität des königlichen Kommiſſärs mit der verſtoßenen Gattin an den Tag kommt, der Ehetyrann zu Kreuz kriecht und froh iſt, wieder mit ihr vereinigt zu werden. Die beſte Wendung kommt am Schluß vor, als Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 18
rt worden zu ſein, wel die einfache Angabe entkr des Vicekönigs Weib ſei, verführen, noch von dem konnte.
El primer Faxardı höchſt ſpezieller Zweck vor die Abſicht, dem Geſchlecht, zu bezeigen, denn es will
bauen, nicht einmal ein Liel
den encerragen Abindarrae
aber des Königs von Granada zu ichen Verwicklungen und Be
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 275
er noch gar nicht habe. Als nun ſpäter Faxardo die Mau⸗ ren fängt und als Spielverluſt übergibt, wird er gar nicht fertig, zu verſichern, daß er gar nicht gewohnt ſei, im Spiele oder ſonſt zu täuſchen, daß ſein Wort ſo gut ſei als die That ſelbſt, er wiederholt immer das Nämliche, und man merkt, daß ihm die Gelegenheit erwünſcht wäre, loszubrechen, welche Gelegenheit ihm aber der Fähnrich durch ſeine Nachgiebigkeit benimmt. Ja er fordert zwei der Gefangenen zurück, in was aber der andere wieder ohne Streit einwilligt, ſo daß er ſich endlich zur Ruhe geben muß. Eine jener vortrefflichen, naturwahren Neben⸗ ſcenen, wie ſie in Lope's ſchwachen Stücken häufig vor⸗ kommen. |
Faxardo wird bei dem Könige verleumdet, wird ge: fangen genommen, von dem dankbaren Mauren Abindar⸗ raez befreit, muß zu den Mauren nach Granada fliehen, tritt da eine Maurin Fatima, die ſich in ihn verliebt, an ihren mauriſchen Liebhaber ab, kehrt gerechtfertigt an den Hof von Kaſtilien zurück und iſt zum Schluß im Beſitz ſeiner verdienten Ehren.
Viuda, casada y donzella. 1 Da find nun ein⸗ mal wieder alle Novellen⸗Elemente vereinigt, welche No⸗ vellen vor dem Märchen wenigſtens das voraus haben, daß das völlig Abſurde darin nicht vorkommt. Clavela, Tochter eines Alberto, heirathet gegen den Willen ihres Vaters einen armen Edelmann Feliciano. Nach geſchloſſe⸗ ner, aber noch nicht vollzogener Ehe findet ſich der ver⸗ ſchmähte Nebenbuhler Liberio mit Begleitern vor dem Hauſe ein, um wenigſtens durch Lärmmachen zu ſtören. Feliciano geht mit gezogenem Degen hinaus und hat das
1 Wittwe, Frau und Mädchen.
Unglück, den Bruder ſeines Nebenbuhlers zu tödten. Er flüchtet und ſchließt ſich einem nach Italien gehenden ſpa⸗ niſchen Regimente an. Ein Sturm zerſtreut die Schiffs⸗ Abtheilung, und Feliciano, der ſich mit ſeinem Diener Celio auf eine wüſte Inſel rettet, wird dort von Barbaresken Seeräubern gefangen. Um nicht als Edelmann eine höhere Ranzion zahlen zu müſſen, gibt er ſich für einen Arzt aus, wo denn bei der Ankunft in Tremecen ſeine Kunſt ſogleich für eine Favorit⸗Sklavin Fatima in Anſpruch ge⸗ nommen wird, die aber nichts Schnelleres zu thun hat, als ſich in den ſchmucken Spanier zu verlieben. Sie verab: reden die Flucht; der Maure Haquelme wird auf die derbſte Art von der Welt betrogen, welche Derbheit wahrſchein⸗ lich dem Publikum das größte Vergnügen verſchaffte. Die Maurin hat einen bedeutenden Schatz an Gold und Edel⸗ ſteinen mit ſich genommen, und ſo langen ſie glücklich in Spanien an. Dort erklärt nach einigen Bedenken Feli⸗ ciano ſeiner Maurin (die ihm denn doch nur für eine galga, Betze, gilt), ganz trocken, daß er ſchon verheirathet ſei. Die Heidin begehrt wenigſtens ihre Kleinodien zurück, was er ihr eben ſo trocken verweigert, ſich aber doch end⸗ lich zu einer Theilung herbeiläßt und ſie mit der Hälfte als Mitgift ſeinem Diener, dem Spaßmacher Celio, zum Weibe gibt, womit ſie ſich zur Noth zufrieden ſtellt. Unter⸗ deſſen hat ſeine Wittwe Clavela, die ihn für todt hält, ſich halb gezwungen die Werbungen Liberio's gefallen laſſen, und ſie feiert eben ihre Hochzeit mit ihm, als Feliciano erſcheint; die Heirath geht zurück, und Clavela, Wittwe, Gattin und Jungfrau zugleich, wird mit dem Gegenſtande ihrer erſten Liebe vereinigt. Liberio erhält eine Schweſter Feliciano's, die er früher verſchmäht und die im Laufe des Stückes aus Liebe zu ihm alle möglichen Albernheiten gemacht hat.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 277
El principe despeüado ! (Despeñado im eigent⸗ lichen Wortſinne: vom Felſen herabgeſtürzt, genommen). Ein in ſeinen Hauptpartieen vortreffliches Stück, nur daß die Nebenereigniſſe, für uns wenigſtens, ſehr am Fehler des Läppiſchen leiden. Nach dem Tode des Königs D. Sancho von Navarra theilen ſich die Großen über die Nach⸗ folge in zwei Parteien: für den im reifen Mannesalter befindlichen nächſten Agnaten D. Sancho und für das Kind des Verſtorbenen, das die Königin Wittwe D. Elvira noch ungeboren im Schoße trägt. An der Spitze der beiden Parteien ſtehen die zwei Brüder Guevara, der ältere D. Martin für D. Sancho, indeß der jüngere D. Ramon an dem Kinde ſeines Königs feſthält. Die Partei D. Mar⸗ tins ſiegt, die Königin und D. Ramon müſſen fliehen, und Erſtere gebiert mitten in den unwirthbaren Pyrenäen, von einem zufällig hinzugekommenen Landmann unterſtützt, einen Knaben, den der Bauer, ohne Mutter oder Kind zu ken⸗ nen, nach dem Landhauſe ſeines Gutsherrn, D. Martins von Guevara, bringt, wo er von der Gattin deſſelben, Dona Blanka, eben ſo unbekannter Weiſe aufgenommen wird. Bis hieher iſt alles tadellos, ja die Königin Wittwe erinnert in der Großartigkeit ihres Schmerzes an ähnliche Figuren in Shakeſpeare, indeß die Uebrigen ganz in den herben Umriſſen der Volksſage gehalten ſind.
Aus dieſer Faſſung fällt das Stück jedoch im zweiten Akte, wo die Königin und D. Ramon, als Wilde, in Felle gekleidet, in den Bergen herumirren und auf ſie als auf Thiere Jagd gemacht wird, indeß die ländlichen Neben⸗ figuren mit nichtsſagenden Liebes⸗ und Eiferſuchtsſcenen den Raum nicht ſehr intereſſant ausfüllen.
1 Der geſtürzte Fürſt.
u *
278 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Das Stück erholt ſich jedoch von dem Augenblicke, der König ſich in die Gattin D. Martins verliebt und; letzt dem Drang, fie zu genießen, nicht widerſtehen fan was ihm denn auch mit Hilfe eines treuloſen Thürftche gewaltſamerweiſe gelingt.
Im dritten Akte kommt D. Martin von einem ihn zum Schein aufgetragenen Kriegszuge in fein Haus zurüt Er findet es verödet und ſämmtliche Bewohner, die ih ausweichen, in Trauer gekleidet. Er weicht ihnen im dor: gefühl eines Unglücks eben ſo aus, wie ſie ihm, ja hält den Diener zurück, als dieſer eine vorübergehende Kammer⸗ frau um die Urſache dieſer Trauer fragen will.
porque quando el mal se acerca el llegar& sin llamarle. 1
Endlich tritt eine Dame gleichfalls in Trauer auf ihn zu. Er meint:
La Reyna deve de ser del estado de la muerte. Es iſt D. Elvira, ſeine Gattin. Auf ſeine Frage: z quien es muerto? 3 antwortet ſie ihm tu honor.
Wunderſchön iſt nun, wie er, der den Zuſammenhang ahnet, ſich die Wahrheit und ſeiner Frau das Geſtändniß hinauszuſchieben ſucht. Als ſie ihm erzählt:
1 Denn wenn das Unglück herankommt, dann tritt es ungerufen ein. a
2 Sie muß die Königin des Todtenreiches fein.
3 Wer iſt geſtorben? 4 Deine Ehre.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 279
El Rey don Sancho ! La noche . 2 vino & tu casa, Senor. 3
D. Mar. 3 Como?!
D. Bl. El Rey vino ä tu casa. 5
D. Mar. Mira Blanca lo que dices. ® Mira lo que dices Blanca. Mira que el Rey no seria. Mira Blanca que te enganas.
Sie aber auch zögert auf alle Art. Sie erzählt ihm ihre veiſſagenden Träume in jener Nacht, die Vorahnungen ind Vorbedeutungen, die er ihr ſämmtlich widerlegt und vatürlich erklärt. Wo fie denn endlich ſagt:
No te cuento aquestas cosas porque las ereas, ni hagas conjetura en tus desdichas mas solo por dilatarlas
que tardandose las nuevas parece, que el mal se tarda. '
1 Der König Don Sancho.
2 Zur Nacht.
3 Kam er, Herr, in dein Haus.
4 Wie?
5 Der König kam in dein Haus.
6 Bedenke Blanca, was du ſagſt.
Bedenke, was du ſagſt, Blanca. Bedenke, ob es der König ſein konnte. Bedenke Blanca, ob du dich nicht täuſcheſt.
7 Ich erzähle dir dieſe Dinge nicht, damit du fie glaubeſt, noch Vermuthungen über dein Mißgeſchick aufſtellſt, ſondern nur es zu ver⸗ zögern. Denn das Uebel ſelbſt ſcheint zu zögern, wenn die Kunde von demſelben zögert.
280 Studien zum ſpaniſcken Theater.
Endlich erfährt er den gräßlichen Zuſammenhang. D. Elvira will ſich tödten, er hält fie zurück und beſchließt dann, wie natürlich, Rache gegen den König. Er fordert ihn zur Jagd gegen die beiden Wilden oder wilden Thiere im Gebirge auf, findet und erkennt dort ſeinen Bruder D. Ramon, und beide vereint ſtürzen den König von einem Felſen herab (el principe despeiiado). Natürlich wird nun die königliche Wittwe zurückgebracht, ihr Kind als König anerkannt und D. Martin, nachdem der Schänder ſeiner Ehre getödtet iſt, nimmt feine Gattin als unſchul dig wieder auf.
La serrana de la Vera. 1 Auch hier hatte Lope de Vega, wie aus mehreren Stellen deutlich wird, eine Romanze vor ſich von einem Weibe, das an der Spitze einer Räuberbande ſich in der ganzen Vera⸗Gegend furdt: bar machte. Nach ſpaniſcher Art, die die äſthetiſche Ab: ſchätzung von der moraliſchen beinahe völlig trennte, ter: den nun die Gräuel dieſer Räuberin aufs Aeußerſte über: trieben. Haufen von Ermordeten, Wegelagerung aller Art, Haß gegen das Männergeſchlecht, der ſich im Tode jedes Vorkommenden fättigte, das alles kommt theils in Er: zählung, theils in wirklicher Handlung ſo maſſenweiſe vor, daß man gar nicht begreift, wie ein ſolches Ungehever je wieder in die bürgerliche Geſellſchaft als Weib und Gattin zurückgeführt werden konnte, was zuletzt denn doch wirk— lich geſchieht. Ein Umſtand erinnert an Calderons devo cion de la eruz, 2 der nämlich, daß die Räuberin, als einziger Zuſammenhang mit dem Guten, zu jedem Er: mordeten ein Kreuz ſetzen läßt, fo daß Calderon die Idee
1 Die Gebirgsbäuerin von La Vera. 2 Andacht zum Kreuze.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 281
zu ſeinem eben genannten Stücke vielleicht aus dieſer Serrana geſchöpft haben könnte, nur daß Letzterer, abge⸗ ehen von dem Unterſchiede zwiſchen Mann und Weib, iuch den Verlauf der Handlung unendlich geſchickter an⸗ egt, da ſein Euſebio erſt durch die Verkettung der grauen⸗ ſafteſten Ereigniſſe zu dem Räuberhandwerke und all jenen Bräueln getrieben wird, indeß bei Lope die erſten zwei Ikte eine vollkommen heitere Luſtſpielverwicklung enthalten, ind Leonarda's Eiferſucht am Schluſſe des zweiten, höchſtens hre Flucht aus dem Hauſe ihres Bruders rechtfertigt, eineswegs aber das kannibaliſche Wüthen im Reſte des
Stückes erklärlich macht.
Leonarda's Charakter iſt von vorn herein komiſch ganz jut gehalten. Ihre Luſt am Reiten, Fechten und Jagen. Ihr männliches Weſen, das ſie beſonders zeigt, als ſie einmal die Thüre zu ſchließen befiehlt, um ihre beiden yermeinten Nebenbuhlerinnen durchzuprügeln. Aber zuletzt iberftürzt ſich alles.
Ein Bild von dem erbärmlichen Hofweſen jener Zeit zibt übrigens die Entwicklung des Stückes, wo eine von Leonarda verſchonte Nebenfigur des Stückes, D. Juan, durch eine Verwandte, die als Kammerfrau bei Hofe dient, kurzweg eine königliche Begnadigung für die Räuberin und Mörderin erwirkt, worauf ſie denn ohne Umſtände ihren gerechtfertigten Liebhaber heirathet: eine allerhöchſte Cle⸗ menz, an der Niemand Anſtand genommen zu haben ſcheint. Die Idee des Spiels iſt in allen dieſen Stücken vor⸗
herrſchend. 8. Isidro, labrador de Madrid. ! Eine Der:
1 Der h. Iſidor, der Ackersmann von Madrid.
282 Studien zum ſpaniſchen Theater.
herrlichung des Madrider Lokal⸗Heiligen, Iſidor. Auf eine ungezwungene und der Dürftigkeit des Inhalts zu Hilfe kommende Weiſe läßt er das Stück mit Rückkehr des Ma⸗ drider Adels von einem ſiegreichen Feldzuge gegen die Mauren beginnen, deſſen Trophäen ſie in der Kapelle der Mutter Gottes von Almudena aufhängen, in welcher Ka⸗ pelle Iſidor gewöhnlich ſeine Andacht zu verrichten pflegt. Den Reſt des erſten Aktes füllt die Verheirathung Iſdors mit einem Landmädchen, Maria. Die ſchlichte Frömmig⸗ keit des Bräutigams und die jungfräuliche Eingezogenheit der Braut ſind ſehr hübſch gehalten. Letztere iſt ſo groß, daß, weil ſie mit niedergeſchlagenen Augen daſteht, und man ihr ſagt, ſie ſolle doch ihren Verlobten anſehen, ſie erwiedert, ſie werde ihn ſchon ſehen, wenn er einmal ihr Mann ſei. Unter den Hochzeitsfeierlichkeiten iſt beſonders eine Tanzweiſe überaus ſchön, deren Worte alle Arbeiten des Landmannes vom Ackern bis zum Einernten ſchildern, wozu der Tanz das Darzuſtellende mit Geberden ausdrückt. So viele Frömmigkeit erweckt den Zorn der Hölle. Der Neid erſcheint und regt die übrigen Arbeiter auf, Iſidoren bei ſeinem Herrn zu verklagen, daß er über dem Gebet die Arbeit verſäume. Don Yvan de Vargas, der Gutsherr, bewahrt ſeine charaktervolle Mäßigung, beſchließt aber doch, ſich Ueberzeugung zu verſchaffen. Er findet wirklich Iſidoren, der, ſtatt zu arbeiten, betet, dagegen ſieht er aber auch die Engel, die an ſeiner Statt das Feld beſtellen. Zum Neid geſellt ſich ſpäter auch der Teufel und endlich die Lüge, welche letztere Iſidoren die Tugend ſeiner Frau verdächtig macht. Iſidor iſt Spanier genug, um eiferſüchtig zu werden. Da er ſich aber nach der Ermita 1 verfügt, wo Maria dem Gebete obliegt, und dieſe, 1 Einſiedelei.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 283
da ein Flüßchen ſie trennt, ihren Mantel auf das Waſſer breitet und darüber, wie über eine Brücke, in ſeine Arme eilt, erkennt er an dieſem Wunder ihre Unſchuld, wo denn wieder ſehr hübſch iſt, daß er bei dieſer Ausſöhnung, ſei⸗ nes Verdachtes nicht mit einem Worte erwähnt.
Nachdem das heilige Paar ſich entfernt, erſcheinen den verſammelten Landleuten die Flußgötter, Manzanares und Xarama, aus ihren Flußbeeten emporſteigend, und indem ſie das Lob von Madrid anſtimmen, ſagen ſie die künftigen Wunder Iſidors voraus, ſowie, daß er nach fünfhundert Jahren werde heilig geſprochen werden. End⸗ lich erſcheinen der Teufel und der Neid, die uns ſagen, daß Iſidor inzwiſchen geſtorben ſei, und die vierzig Jahre vorübergehen machen, ſo daß man die Handlung um eben ſo viel ſpäter in die Zeit König Heinrich II. verſetzt findet. Ein Vorhang wird weggezogen, und man ſieht den Heili⸗ gen auf einem Prachtbette ausgeſetzt. Wunder geſchehen. Namentlich an einem Domherrn, der dem Heiligen Haare abfchneidet, und an der Königin, die gar einen Finger deſſelben als Reliquie mitnehmen will, und die ſich Beide nicht von der Stelle bewegen können, bis ſie den from⸗ men Raub zurückgeſtellt. Ueberhaupt ſind Wunder durch das ganze Stück verſtreut.
Despertar ä quien duerme. 1 Der Grundgedanke des Stückes ſehr gut. Graf Anſelmo von Barcelona be⸗ ſitzt das Land, nachdem die rechtmäßigen Herrn aus der Familie Moncada von ſeinen Vorfahren vertrieben wor⸗ den ſind. Obgleich Rugero, der letzte Sprößling der ab⸗ geſetzten Herrſcherfamilie, ruhig auf ein paar Hufen Lan⸗ des lebt, die ihm geblieben, läßt dem Grafen Anſelmo
1 Den Schläfer wecken.
284 Studien zum ſpaniſchen Theater.
der Gedanke keine Ruhe, daß jener denn doch Abſicten zur Wiedergewinnung des Landes hegen könne, und er zieht daher jo viele Erkundigungen ein, ſendet fo oft Spione, ihn auszuforſchen, daß in dieſem endlich wirklich Pläne wach werden, auf die er früher nicht gedacht. Ja als er ihn endlich gefangen ſetzen läßt, ſpricht er wieder ſeiner Tochter ſo viel von dem Prätendenten vor, vergrößert die Gefahr fo ſehr durch das Anpreiſen feiner guten Eigen: ſchaften, daß endlich dieſe neugierig wird, ihn zu jeben, und ſich zuletzt gar in ihn verliebt. Despierta & quien duerme. 1 Die Ausführung bleibt aber hinter dem Ge⸗ danken weit zurück, indem ſie nichts als ein Abſpinnen längſt dageweſener und unbedeutender Ereigniſſe iſt. Die Tochter des Grafen befreit den Gefangenen. Dieſer findet eine Königin von Sicilien, die eben auf einem anderwei⸗ tigen Kriegszuge begriffen iſt. Sie ſetzt ihn auch wirklich mit Gewalt der Waffen in das Reich ſeiner Väter ein, und obwohl der Preis des Beiſtandes die Hand des neuen Grafen ſein ſoll, To findet ſich doch dieſe Heirath zuletzt unmöglich. Rugero hat nämlich die Hilfe als ſein eigener Geſandter angeſprochen, indeß die Prinzeſſin Eſtela in Männerkleidern ſeine Rolle als wirklicher Thronbewerber ſpielt. Zwei Weiber können ſich nicht heirathen. Die Königin von Sieilien iſt daher mit einem gleichfalls zum Beiſtande gekommenen Hexzog von Urgel zufrieden, indeß Rugero die Grafſchaft und die Hand Eſtela's erhält. Eine einzige Scene erhebt ſich über das Mittelmäßige. Als Eſtela Rugero aus dem Gefängniſſe befreit, bringt ſie ihn als Diener verkleidet ſelbſt ins Gebirge. Mit einer Umarmung von ihr Abſchied nehmend, fühlt er, daß fe
1 Er weckt den Schlafenden.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 285
ein Weib ſei. Sie gibt ſich auch als ſolche, ja endlich als ſeine Muhme Eſtela zu erkennen, begehrt aber Achtung Für ihr Geſchlecht und die Einſamkeit des Ortes, worauf er ſich denn auch beſcheiden zurückzieht. Nun wird ſie aber gar nicht fertig, Abſchied von ihm zu nehmen, woraus man merkt, daß der Mißbrauch, den ſie ſich verbeten, ihr eigentlich nicht gar ſo unangenehm geweſen wäre. Als er endlich Anſtalt macht, ihr zu folgen, meint ſie, die Ge⸗ legenheit ſei verſäumt, und entfernt ſich vollends. Auch hier iſt ein despertar à quien duerme: das Sinnliche der Leidenſchaft.
El anzuelo de Fenisa. 1 Man muß annehmen, oder vielmehr es geht aus allen Luſtſpielen Lope de Vega's hervor, daß Gewinnſucht in den roheſten Formen, das Charakteriſtiſche der Weiber ſeiner Zeit war, nicht bloß der abſolut liederlichen; dieſer letztern alſo um ſo mehr. Hier iſt nun eine ſolche Buhlerin Feniſa, die in Palermo ihre Angel auswirft und ſich ſchon ein hübſches Sümm⸗ chen erangelt hat. Ein junger Kaufmann aus Valencia, Namens Lucindo, begleitet von ſeinem Diener Triſtan, iſt mit einem reichbeladenen Schiffe angekommen und ſtößt im Hafen auf die dort nach Beute ausgehende Sirene. Trotz der Warnungen ſeines Dieners beißt er ſogleich an den Köder, und es iſt recht hübſch, wie er, zufolge dieſer Warnungen, Geld, Kette, alles, was er Werthvolles hat, an den Diener abgibt und nun glaubt, ohne Gefahr ihr in ihre Wohnung folgen zu können. Feniſa, die das be⸗ merkt, richtet ſogleich darnach die Lockſpeiſe. Statt Geld zu fordern, gibt ſie ihm kleine Beträge, beſchenkt ihn mit Hemden, und Lucindo findet ſich glücklich, nur um ſeiner
1 Der Köder Feniſa's.
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286 Studien zum ſpaniſchen Theater.
ſelbſt geliebt zu werden und aller Gefahr entronnen "fein. Es ſoll aber bald anders kommen. Feniſa erh einen Brief mit der Nachricht, daß ihr Bruder weg 2000 Dukaten in Gefahr des Todes ſei. Sie iſt in Le zweiflung, kein baares Geld zu haben, erklärt ſich ab bereit, Schmuck und Geſchmeide für ein Darlehen zu v. pfänden. Lucindo hat aber ſchon fo angebiſſen und hält ſich ſeiner Sache für ſo ſicher, daß er das Geld ohne Pfand und Schrift hergibt. Kaum aber hat er das Geld gegeben, als er verſpottet und abgewieſen wird, ja man ſtellt ſogar den Empfang des Darlehens in Abrede. Mit Verwün⸗ ſchungen kehrt er nach Valencia zurück. Neben dieſen Cr: eigniſſen ſpinnt ſich aber eine zweite Intrigue fort. Unter den Anbetern Feniſa's befindet fi) auch ein Sevillaner Albano, der eine Geliebte, Dinarda, zu Haufe zurüdge laſſen hat. Dieſe folgt ihm in Männerkleidern, und Feniſa hat das Unglück, ſich in dieſen weiblichen Mann zu ver⸗ lieben, der, um ſich vor den Zudringlichkeiten feiner Reit: gefährten zu retten, die in ihm das Weib ahnen, ihr ent⸗ gegenkommt und ſogar die Ausſicht auf eine Heirath als Köder braucht. Der Valencianer kann indeß den Verlust ſeines Geldes nicht verſchmerzen. Er kehrt nach Palermo zurück, deponirt im Zollamte unter der Scheinangabe als weiche Waaren, mit unbedeutenden Gegenſtänden gefüllte Kiſten und begibt ſich, wie ein von der alten Liebe noch Gefeſſelter zu Feniſa, die von ſeiner Ankunft und der reichen Ladung bereits Nachricht erhalten hat. Sie m: pfängt ihn auch mit der alten Zärtlichkeit, und da ſich findet, daß ſeine Waaren mit doppeltem Gewinn in ſpä⸗ terer Zeit verkauft werden können, erbietet ſie ſich, Jemand zu finden, der ihm gegen zwanzig Procent 3000 Dukaten vorſtrecken wolle. Sie gibt aber das Geld aus ihrem
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 287
Ligenen und empfängt dafür als Pfand die Schlüſſel des ollamtlichen Verſchluſſes. Der Valencianer hat kaum das Held empfangen, das er als fein eigenes ſammt Zinſen etrachtet, als er wieder nach Hauſe ſegelt. Da ſich nun uch Dinarda als Weib zu erkennen gibt, ſo iſt die Buh⸗ erin vielfach betrogen: um ihr Geld, um den Bräutigam md um die Geſchenke, die fie in der Freude ihres Herzens us Anlaß der Heirath an Mehrere gegeben hat.
Die Unbefangenheit von Lope de Vega's Geiſte gibt ich auch in dieſem Stücke kund. Ein ſpaniſcher Haupt⸗ nann Oſorio und mehrere ſpaniſche Soldaten laſſen ſich eradezu als Schreckmittel im Dienſte der Buhlerin ge: rauchen. Unter den Eigenſchaften der Spanier wird ge: adezu die Prahlerei als charakteriſtiſch aufgeführt. Ja inmal werden ſie als albern bezeichnet, da das Gold ihrer teen Welt mehr den übrigen Nationen, als ihnen ſelbſt, u Gute komme. Uebrigens das Ganze roh und wenig ebeutend.
Los locos por el cielo. 1 Offenbar eines der lang: veiligſten Stücke, das Lope de Vega, oder ſonſt irgend ein Menſch jemals geſchrieben. Der Titel ſchreibt ſich von iner einzigen Scene her, in der die beiden zum Chriſten⸗ thum bekehrten Geliebten ſich als wahnſinnig ſtellen, um den Verfolgungen der Heiden zu entgehen, wenn nicht berhaupt ihre Selbſtverleugnung und Leiden um des Glau⸗ dens willen, als ein Wahnſinn im Sinne der Welt be: zeichnet werden ſoll. Die Handlung ſelbſt bilden die Be: zebenheiten einer heidniſchen Prieſterin Dona, die auf Befehl des Kaiſers Maximianus das Orakel des Apollo befragt und von einer unſichtbaren Stimme die Antwort
1 Die Wahnfinnigen um des Himmels willen.
erhält: Christe vive. Sie verfällt darauf in einen Schlaf, in dem ihr ein Engel erſcheint, der ein Buch neben ſie hinlegt. Es find die Briefe des Apoſtels Paulus mit der aufgeſchlagenen Stelle: Mortui enim estis et vita nostra abscondita est cum Christo in Deo. Sie reflektirt dar⸗ über, anfangs allein, dann mit ihrem Bräutigam Indes. Eine chriſtliche Dame Agaſtes hilft ihr auf die rechte Spur, und ſie und ihr Geliebter laſſen ſich taufen. Nun fangen die Verfolgungen an, die mit dem gewaltſamen Tode aller im Stücke vorkommenden chriſtlichen Lehrer und Schüler endigen. Am beſten die Scene, wo die Chriſten in ihrer heimlichen Verſammlung ein Weihnachtsſchauſpiel aufführen und, als nun die Heiden hereinbrechen, die Perſonen des Joſeph und der Maria, wie in einer Fortſetzung ihrer Rolle, die beſtürzten Zuſeher zur Standhaftigkeit und Todes⸗ verachtung auffordern. Gleichſam eine Nobilitirung des Schauſpiels und der Schauſpieler im Allgemeinen. Das Stück iſt übrigens am Rande mit Citationen aus der kei: ligen Schrift bedeckt und enthält am Schluſſe die Klauſel: Si quid dietum contra fidem et bonos mores, tanquam non dietum, et omnia sub correctione Sanctae matris Eeclesiae.
El mas galan Portugues, duque de Ver- ganza.! Das jedenfalls nicht große Verdienſt dieſes Stückes beſteht mehr in der Haltung der Perſonen, als in der Ausbildung und Bedeutſamkeit der Handlung. Der erſte Akt hängt nach Lope de Vega's übler Gewohnbeit mehr in Weiſe einer Vorbegebenheit mit dem Reſte des Stückes zuſammen, als daß darin der Keim und die Be: dingung des Späteren enthalten wäre. Der Groß ⸗Prior
1 Der galanteſte Portugieſe, Herzog von Verganza.
Ueber Lope de Vega’3 dramatiſche Dichtungen. 289
von San Juan, auf einer Geſchäftsreiſe in Portugal und von dem Herzoge von Verganza gaſtſreundlich aufgenom⸗ men, läßt, nicht ohne Abſicht, unter dem Kopfkiſſen ſeines Bettes das Porträt ſeiner Schweſter Mayor zurück. Der Herzog verliebt ſich auch nach Wunſch in das Bildniß und ſucht den Gegenſtand ſelbſt in Kaſtilien auf. Nun haben zwar die zwei andern Brüder Mavyors ihre Schweſter dem Almirante ! von Arragonien zur Ehe verſprochen, die Sache wird aber rückgängig gemacht, und der Herzog von Ver⸗ ganza (Braganza ?) erhält die Hand feiner phantaſtiſch Ge: liebten. Man könnte nun allenfalls annehmen, daß die Unglücksfälle des eigentlichen Stückes eine Art Strafe dieſes Wortbruches in ſich ſchlößen. Aber einerſeits fällt es Niemanden im Stücke ein, ſich jenes Wortbruches nur noch zu erinnern, andererſeits träfe die Strafe gerade die⸗ jenigen, die ſich keines Treubruches ſchuldig gemacht ha⸗ ben, das Ehepaar nämlich; auch wäre die Strafe weder durch die Gleichheit des Uebels, noch als Fortwirkung eines ſchuldbaren Charakterzuges mit der Verſchuldung in einen kauſalen Zuſammenhang gebracht. Ueberhaupt muß man derlei weit hergeholte Deutungen bei Lope de Vega nicht fuchen, und ich ſchäme mich, bei ſoinen leichtblütigen Hervorbringungen auf derlei deutſche Grübe⸗ leien auch nur zu denken. Uebrigens iſt es da und mag für die Spekulanten den erſten Akt mit dem folgenden verbinden.
Das Glück der Ehe wird durch eine Liſarda geſtört, die, von ihrem niederträchtigen Geliebten verlaſſen, ja mit dem Tode bedroht, in Männerkleidern als Page in des Herzogs Dienſte tritt. Man muß annehmen, daß die
1 Admiral. Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 19
Herzogin durch den ſpezifiſchen Geruch, den Lope de Vega bei einer andern Gelegenheit, den beiden Geſchlechtern zuſchreibt, eine dunkle Vorſtellung von der weiblichen Natur ihres Pagen erhalten habe, denn ihre Vertraulichkeit geht ſo weit, daß die Eiferſucht des Herzogs halb und halb als gerechtfertigt erſcheint. Die verhaltene Wuth kommt end⸗ lich zum Ausbruch, und während der Herzog mit gezogenem Schwerte fruchtlos den Pagen verfolgt, entflieht die Her⸗ zogin an den Hof des Königs von Portugal. Ein Gericht wird angeordnet, die Verwandten der Herzogin kommen aus Kaſtilien herbei, es erfolgt eine Ausforderung, aber die Enthüllung von Liſarda's weiblichem Geſchlecht bringt alles ins Gleiche und das Stück zu Ende. Die Spanier nämlich, ſo haarſpaltend in Bezug auf die männliche Ehre, kannten für die weibliche keine andere Verletzung, als die höchſt körperliche. Sogar Liſarda heirathet zuletzt, wahr⸗ ſcheinlich auch zur Herſtellung ihrer Ehre, ihren niederträch⸗ tigen Geliebten.
Wenn die Handlung nicht viel ſagen will, ſo ſind doch mehrere der Figuren des Stückes recht gut. Wie der Herzog von Verganza zu den Beinamen el mas galan Portugues kommt, begreift man nicht wohl. Darin eine ſatyriſche Anſpielung zu ſuchen, verbietet die allem Ver⸗ ſteckten fremde Natur Lope de Vega's. Beſſer die Brüder Dona Mayors. Die innige Liebe des Groß⸗Priors zu ſeiner Schweſter zeigt ſich auf eine einfache ſinnliche Art, indem er in dem Geſpräch mit ihr, immer ihren Vornamen Mayor im Munde führt, obgleich der wunderliche Namen Mayor etwa Lope de Vega felber gefallen haben mag. Mayor iſt ein vollkommenes Weib im ſpaniſchen Sinn. Gehorſam ihren Brüdern, wird ſie durch das Lob, das der Groß⸗Prior dem Herzog von Verganza ſpendet, aufmerkſam
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 291
gemacht und erkundigt ſich um ſeinen Wuchs und ſeine ſonſtigen Eigenſchaften, wo ſie denn, obgleich die Braut eines Andern, bis zur Aeußerung geht: Glücklich, die ihn bekommt! In der Eiferſuchtsſcene mit dem Herzoge wird ihre Geſtalt auf einmal wirklich und lebendig, indem ſie ſich, mit dem Tode bedroht, trotz ihrer Furcht, doch nicht enthalten kann, ihrem Gatten zu ſagen: ihre Brüder ſeien mehr werth, als er. Ebenſo der König von Portugal, wenn er gegen den Schluß die Zeugen verhört und, ob⸗ wohl ihm um die Wahrheit zu thun iſt und er von der Unſchuld der Herzogin überzeugt iſt, er doch die Diener des Herzogs, die zu ihren Gunſten zeugen, hart anläßt und barſch behandelt, weil ihm zugleich leid thut, den Herzog verurtheilen zu müſſen, und er wohl auch einen Widerwillen empfindet, derlei niederes Volk gegenüber ſeinem Freund und Verwandten zu Wort kommen zu laſſen. In ſolchen Naturzügen iſt Lope de Vega unerreicht.
NB. Am Ende mag doch das gebrochene Wort den verſteckten Zuſammenhang des Ganzen ausmachen. Durch⸗ aus fehlerhaft. Denn, obgleich das Begriffsmäßige der Tod der Poeſie iſt, ſo muß doch der geiſtige Zuſammen⸗ hang ſchon im Eindruck liegen, und nicht erſt hinterher her⸗ ausgeklügelt werden.
Argel fingido y Renegado de amor. 1 Das Stück fängt mit einem Dialog in jenen Klappverſen an, die Lope de Vega ſo meiſterhaft zu gebrauchen weiß, wo jeder einzelne Vers, Rede und Gegenrede enthält und Schlag auf Schlag ſich alles auf die Spitze getrieben findet. Es iſt nämlich ein Rofardo in eine Florida verliebt, die ihn aber, trotz ſeines Reichthums, verſchmäht und ihre Neigung
1 Das angebliche Algier und der Nenegat aus Liebe.
feinem Nebenbuhler Leonido zugewendet hat. Das Liel paar überwindet endlich den Einſpruch von Florida's Br der, Aureliano, welcher Einſpruch zum Theile auch dab rührt, daß Leonido's Bruder, Manfredo, der begünſtig Liebhaber Flavia's iſt, des Gegenſtandes von Aureliano eigener Bewerbung. Mit einer, leider nur zu natürlich Rückſichtsloſigkeit opfert auch Leonido das Intereſſe ſein Bruders ſeinem eigenen auf, entfernt letzteren unter eine Vorwand, und Aureliano, der nun Platz für feine L werbung hat, gibt die Einwilligung zur Heirath ſein Schweſter. Der verſchmähte Liebhaber Roſardo gerä' darüber außer ſich und erklärt ſeinen Entſchluß, nach Algier zu gehen und als Renegat feine Feinde grimmig zu ver: folgen. Er iſt aber zu guter Chrift, um derlei in Wirklich keit zu thun. Wohl aber nimmt er mit ſeinen Leuten mauriſche Tracht an, zieht ſich auf eine benachbarte wüſte Inſel zurück, und als erſte Seeräuberthat nimmt er die beiden Weiber ſammt dem Bruder Aureliano auf einer Spazierfahrt im Meere gefangen. Er bedroht feine ab: trünnige Geliebte mit den fürchterlichſten Dingen, welche ſeine Drohungen mit ebenſo übertriebenen Betheuerungen zurückweist, wo denn Lope den richtigen Sinn hat, daß, obwohl Florida alles für Ernſt hält, ſie doch gerade durch die Uebertreibung unwillkürlich in den Spaß mit eingeht. Leonido und ſein inzwiſchen zurückgekommener Bruder Man⸗ fredo verkleiden ſich als Mönche von dem Orden zur Aus löſung der Gefangenen und begeben ſich nach der Inſel, werden aber gleichfalls erkannt und gefangen. Es leitet ſich nun eine wohlfeile Intrigue ein, daß nämlich Roſardo ſich anſtellt, als ob er ſeine Liebe von Florida auf Flavia gewendet, und von Leonido verlangt, daß er ihm einen
Liebesbrief an Flavia ſchreibe. Dieſen zeigt er Florida {
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. N 293
und macht ſie glauben, Leonido habe ihn im eigenen Namen an Flavia geſchrieben. Ein guter Zug iſt, daß, ſo lange Leonido und Florida an die Liebe Roſardo's zu Flavia glauben, ſie letzterer auf alle Art zureden, den Korſaren zu erhören, und ſo bereit ſind, Flavia eben ſo ihrem eigenen Nutzen aufzuopfern, als früher Leonido mit ſeinem Bruder gethan hat. Sobald aber Florida die Witterung erhält, daß ihr Leonido Flavien den Hof mache, ſo iſt ſie in aufbrauſender Eiferſucht auf der Stelle bereit, ihren Glauben abzuſchwören, den Korſaren zu heirathen u. ſ. w. Zuletzt klären ſich die Dinge auf. Die Gefangenen nehmen den Korſaren, den ſie abſeits treffen, ihrerſeits gefangen, und alles erreicht ſein natürliches Ende, ohne daß beſon⸗ ders viel Spaß oder Ernſt herauskäme.
In jener Zeit, wo man täglich von Seeräubern und Sklaverei in trauriger Wirklichkeit hörte, mochte eine Art Parodie ſolcher Zuſtände einen angenehmen Eindruck machen.
El postrer Godo de Espana. ! Das iſt nun ein Stück, von dem man, wenn man ihm auf neudeutſche Weiſe nachhelfen, oder vielmehr es als einen Kanevas für ein erſt zu ſchreibendes Stück betrachten will, recht viel Gutes ſagen könnte. Der hiſtoriſche Gang iſt eingehalten. Der Kauſalnexus der Ereigniſſe rundet ſich zur Handlung. Dem poetiſchen Gerechtigkeitsgefühl geſchieht Genüge. Nur iſt aber alles, was einer Ausbreitung und pſychologiſchen Vermittlung bedarf, ſo knapp und roh an einander gefügt, daß das Ganze doch mehr eine enumeratio partium, oder vielmehr eine Zuſammenfaſſung ohne vorhergegangene Ent⸗ wicklung iſt. Es iſt nämlich die Geſchichte der Eroberung
1 Der letzte Gothe Spaniens.
294 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Spaniens durch die Mauren. Die Tochter des Königs von Algier wird auf einer Spazierfahrt im Meere von den Spaniern gefangen. König Roderich verliebt ſich in ſie. Sie nimmt den chriſtlichen Glauben an und wird ſein Weib. Während der Tauf: und Trauungsfeierlichkeit kommt Graf Julian mit ſeiner Tochter an den Hof. Von der Trauung zurückkehrend, ſieht König Roderich dieſe Tochter und verliebt ſich eben ſo augenblicklich in ſie. Im zweiten Akte finden wir Florinden (die Cava), ſchon ſich über Gewalt beklagend, die ihr der König angethan. Graf Julian, als Geſandter bei den Mauren, reizt dieſe auf die Nachricht von jener Schandthat zum Einfalle in Spanien an. Sie finden das Land unvertheidigt und waffenlos. König Roderich fällt im Treffen. Den Grafen Julian befällt die Reue über ſeinen Verrath. Er macht ſeiner Verzweiflung gegen die Mauren Luft und wird von ihnen getödtet. Die Cava ſtürzt ſich vom Thurme herab.
Der letzte Akt befaßt ſich mit den Heldenthaten Pelavos, ſo daß dieſes Stück, deſſen Gegenſtand die Niederlage Spaniens iſt, mit dem Siegesgeſchrei der Spanier endet, wodurch denn auch dem Nationalgefühl Genüge geſchieht.
Alles dieß, wobei ich noch zu berühren vergeſſen habe, daß das Stück eigentlich mit der Thronbeſteigung und Krönung König Roderichs anfängt, alles dieß in einen Topf geworfen, würde dem Geſchmacke jedes Volkes uner⸗ träglich ſein, wenn nicht dieſe Ereigniſſe den Spaniern ſo geläufig geweſen wären, daß es für ſie einer Ausbreitung und weitläufigen Vermittlung gar nicht bedurfte. Dadurch wird aber das Stück als dramatiſches Kunſtwerk nicht beſſer.
La prision sin culpa.! Wenn man den Inhalt
1 Das Gefängniß ohne Schuld.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtun zen. 295
dieſes Stückes aufzeichnen wollte, müßte man eigentlich das ganze Stück abſchreiben. Da iſt ein Hin⸗ und Her⸗ gehen und Kommen, und die Perſonen werden zuletzt mehr an demſelben Orte vereinigt, als daß ſie derſelben Abſicht dienten. Ein D. Felix aus Toledo reist nach Amerika. Er iſt zu Hauſe in eine Lucinda verliebt, an deren voller Gegenliebe er zwar zweifelt, denn, meint er, hätte ſie ihn wahrhaft geliebt, ſo würde ſie ihm auch körperlich zu Willen geweſen ſein. Vor der Einſchiffung in Sevilla über⸗ gibt er die Briefe und das Bild ſeiner Geliebten einem dortigen Freunde D. Carlos, um ſich das Marternde der Erinnerung zu erſparen. Dieſer hat nichts Schnelleres zu thun, als ſich in das Bild zu verlieben. Er reist nach Toledo, macht der zurückgebliebenen Geliebten ſeines Freun⸗ des glauben, dieſer ſei auf der See verunglückt, und die Geliebte verliebt ſich eben ſo ſchnell in ihn. Da ihr aber eine gezwungene Heirath droht, beſchließen ſie, zu entfliehen. In der Dunkelheit der Nacht nimmt ſie einen Bedienten ihres Bräutigams für den Diener ihres Geliebten, vertraut ihm ihr Schmuckkäſtchen und entflieht, von ihm begleitet. Dieſer beraubt und verläßt ſie, ſo daß ſie kaum ſo viel behält, um ſich Knabenkleider anzuſchaffen, in denen ſie ſich nach Sevilla begibt und als Page in die Dienſte von Carlos' Schweſter tritt, die eben auch verheirathet werden ſoll; indeß Carlos ſelbſt, die verlorne Geliebte überall ſuchend, noch immer abweſend iſt. Endlich kommt D. Felix aus Amerika zurück und heirathet Carlos' Schweſter, indeß Carlos ſelbſt ſeine und ſeines Schwagers Lucinde zur Frau bekommt. Der Titel des Stückes rührt von einem gegen das Ende vorkommenden Ineidenzfalle her, wo der ſpitz⸗ bübiſche Bediente, der Lucinden auf ihrer Flucht beraubt bat, eine von jenem Raube herrührende Kette verkaufen
will, die D. Carlos als das Eigenthum ſeiner Geliebten erkennt, wo denn der Reihe nach D. Carlos, D. Felix und ſelbſt die als Page verkleidete Lucinde in den Ver⸗ dacht des Diebſtahls kommen und ins Gefängniß gebracht werden. Der Spaß hat aber eigentlich gar keinen Einfluß auf den Gang des Stückes. Der erſte Akt und der An⸗ fang des zweiten übrigens ſehr gut geſchrieben.
El escla vo de Roma. ! Die Geſchichte jenes An⸗ drokles, der einem Löwen den Dorn (hier eine Pfeilſpitze) aus der Tatze zieht und dafür von demſelben verſchont wird, als er in der Arena ihm zum Zerreißen vorgeworfen wird; verbunden mit einer ganz abſurden Liebesgeſchichte. Das Beſte der erſte Akt; dann aber folgen Ereigniſſe, denen man noch zu viel Ehre anthut, wenn man ſie als unwahrſcheinlich bezeichnet.
La imperial de Oton.? Da iſt nun die Geſchichte Ottokars von Böhmen und ſein Kronenſtreit mit Rudolf von Habsburg. Leider waren Lopen de Vega die Neben⸗ umſtände dieſes in ſich reichen Stoffes zu wenig bekannt, weßhalb er ſich zur Ausfüllung eigener Erfindungen be⸗ dient, die nicht von der beſten Art ſind. Da iſt nun vor allem ein Geſandter des ſpaniſchen Bewerbers um die Kaiſerkrone, D. Juan de Toledo, und ſein Liebesverhältniß
zu einer Margarita, die im Perſonenverzeichniſſe als eine Dama Alemana 3 vorkommt, aber im Stücke ſich als eine Spanierin zeigt. Dieſes Verhältniß wird übrigens nach dem erſten Akte nicht mehr berührt. Lope's Einſicht in edie Fehler feiner Nation zeigt ſich übrigens auch hier.
win er D. Juan iſt ein lächerlicher Großſprecher, der T Stlave Roms. ſerkrone Otto's.
1 Das Gefärz me.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 297
übrigens durch perſönliche Tapferkeit ſeinen Fehler zum Theile wieder gut macht. Die Hauptperſonen ſind ganz hiſtoriſch treu gehalten. Das Hauptverdienſt Rudolfs von Habsburg iſt, von Rechtens wegen, daß von ihm das Haus Oeſtreich ſtammt, dem die damaligen Könige von Spanien ihren Urſprung verdankten. Eine Art Zauberer Merlin ſagt ihm auch dieſe künftigen Dinge voraus. Seine Tapfer⸗ keit iſt außer Zweifel, mit Treu und Glauben ſieht es aber nicht gar gut aus, da jenes ſagenhafte Zuſammen⸗ ſtürzen des Zeltes während Ottokars Huldigung hier auf ſein Geheiß geſchieht, über welche Doppelzüngigkeit er ſich in der Folge damit rechtfertigt, daß er Ottokarn keinen Eid geſchworen und ihm nichts Schriftliches gegeben habe. Ueberhaupt iſt etwas Fadenſcheiniges in der ganzen Figur, welches die Meinung ausdrücken dürfte, welche die dama⸗ ligen Spanier überhaupt von den Deutſchen hatten. Die Majeſtät des Kaiſerthums, als der Gipfel aller menſch⸗ lichen Größe, wird übrigens aufs Lebhafteſte urgirt. Ottokar ſteht im Nachtheile gegen ſeine ſtolze und hel⸗ denmüthige Gattin, welche hier Etelfrida heißt, ohne gegenüber allen Andern dadurch an perſönlichem Werth zu verlieren. Seine erſte Unterwerfung am Vorabende der Schlacht wird hier auf ſpaniſch⸗phantaſtiſche Art dadurch motivirt, daß ihm eine ſchwarze Schattengeſtalt erſcheint (man ſollte faſt meinen, ſeine eigenen Umriſſe und Geber⸗ den nachahmend), die das Schwert gegen ihn zückt, als er mit ſeinem auf ſie losgeht. Er ſieht darin ein Vorzeichen ſeines Todes und eine Beſtätigung von dem bereits früher in ihm wach gewordenen Gedanken über die Ungerechtig⸗ keit ſeiner Sache. Er unterwirft ſich. Da folgt die Scene mit dem zuſammenbrechenden Zelte. Als er nach Hauſe kommt, verwehrt ihm Etelfrida den Eingang in ſeine
298 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Königsburg. Anfangs auf der Zinne erſcheinend, dann mit einem Wurſſpieß ins Thor tretend, überhäuft fie ihn mit Vorwürfen und Schmähungen, die ſich in bildernden Anti theſen überbieten. Er tritt ihr mit männlichem Zorn ent⸗ gegen, beſchließt aber doch im eigenen Gefühle der Schnach, einen ſolchen Zuſtand nicht zu ertragen. Er erneuert den Krieg. Als die Entſcheidungsſchlacht ſchon verloren iſt, erſcheint er allein auf der Bühne und ergeht ſich, wie in jenem deutſchen Stücke,! in allgemeinen menſcklichen de: trachtungen, in denen aber doch der Gedanke an ſeine Frau mit Vorwurf und Liebe vorherrſcht. Hier finden und tödten ihn gemeine Krieger, wobei die Schattengeſtalt aus dem zweiten Akte wieder erſcheint und ihm von rückwärts die Arme hält. Auch in der übrigen Haltung finden ſich Aehnlichkeiten. on vorn herein die ſtolze Zuverſicht auf den Ausſchlag der Kaiſerwahl, die Verachtung Rudolfs, als Grafen, gehen über einem Könige, wogegen die bangen Ahnungen der bochmütbigen Königin über den Ausgang ſchon des erſten Feldzuges recht glücklich und ächt künſtleriſch abſtechen. Elvaquero de Morana.? Ein Graf von Saldaña wird von dem Könige von Leon eingekerkert, ja bei Ge⸗ legenbeit ſogar zur Hinrichtung beſtimmt, wegen eines Liebesverbältniſſes mit der Infantin Marina, das der König nicht billigt. Das Stück beginnt damit, daß der Graf von einem Freunde D. Juan aus dem Kerker befreit wird, indem dieſer die Wachen durch einen betäubenden Trank vorübergebend verrückt macht. Die Infantin, die in ein Kloſter eingesperrt iſt, findet gleichzeitig Mittel, zu ent kommen. Sie erreichen das Gebiet der Grafen von Kaſtilien,
1 Griüparzers Onolar. D. H. 2 Der Kuhbirt von Morana.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 299
And finden ſich auf dem Landgute eines D. Fernando ‚ufammen, und treten unerkannt in die Dienſte deſſelben, Te als Magd und er als Kuhhirt (vaquero). Daß ſich die beiden Sprößlinge des Edelmanns, der Sohn in die Infantin, und die Tochter in den Grafen verlieben, ver⸗ teht ſich von ſelbſt. Die Infantin iſt überhaupt der Gegen⸗ tand der allſeitigen Bewerbung, ſogar der alte Edelmann ſtellt ihr nach, und bedient ſich ſogar ſeiner Tochter als Belegenheitsmacherin, was dieſe ganz natürlich findet. End: lich will er ſie zu ſeinen Zwecken mit dem Tölpel Tirreno berheirathen, wozu dieſer, obwohl er eine andere Geliebte hat, doch auch bereit wäre. Die Prinzeſſin ſelbſt findet ſich, nach Lope's Gewohnheit, in ihre Verkleidung ſo gut, daß ſie Zweideutigkeiten anhört und Anſtößigkeiten ſelber ſpricht, wofür ſie ſich freilich durch hochtrabende Oktaven entſchädigt, wenn ſie mit ihrem geliebten Grafen allein iſt. So ſpinnt ſich das Stück gut und ſchlimm durch Be⸗ werbungs⸗ und Eiferſuchtsſcenen fort. Endlich kommt der König von Leon auf die Vermuthung, daß ſeine Verwandte und ihr Geliebter ſich zu den Mauren nach Toledo ge⸗ flüchtet haben, und er kündigt den letztern Krieg an, wo⸗ bei er den Grafen von Kaſtilien als Bundesgenoſſen ge⸗ winnt. Im Lande deſſelben, zu Morana, angekommen, findet er die Infantin Marina, die er in ihrer Verkleidung nicht erkennt (und ſich gleichfalls in ſie verliebt). Als zuletzt die Erkennungen erfolgen, erwacht die Verfolgungs⸗ wuth des Königs aufs Neue. Der Graf von Kaſtilien tritt aber als Schützer und Vermittler ein, ſo daß alle nur irgend zu vereinigenden Paare vereinigt werden. Angelica en el Catay.! Dieß ift das einzige
1 Angelica in Catay.
aus allen Stücken Lope de Vega's, bei dem ihn ſein dra⸗ matiſcher Takt verlaſſen hat. Alle übrigen, die Begeben⸗ heiten und Motive mögen noch ſo wunderlich, ja mitunter abſurd ſein, ſchlingen ſich doch zuletzt in Einen alles ver⸗ bindenden und abſchließenden Knoten zuſammen, hier iſt aber von einem ſolchen dramatiſchen Zuſammenfaſſen keine Spur, und er hat lediglich Arioſts Abenteuer in Scene geſetzt; Angelica kommt zuletzt in ihr Königreich Catay, und macht Medoro zu ihrem Gemahl und zum Könige des Landes, ſo daß ihre Begebenheiten allerdings als ab⸗ geſchloſſen erſcheinen; aber ihre Perſon iſt zu oberflächlich gehalten, als daß eine Charakterentwicklung von ihrer Seite ſich als der Mittelpunkt des Ganzen darſtellte, ſo wie Medoro's Unbedeutendheit ſich nicht einmal, ſelbſt als ſolche, in einen hervortretenden Kontraſt gegen die übrigen Bewerber ſetzte. Zugleich ſchweben alle andern Figuren beim Schluſſe in der Luft. Reynaldos iſt abhanden ge⸗ kommen. Roldan iſt wahnſinnig geworden, und wird bei ſeinem letzten Erſcheinen eben als Wahnſinniger eingefangen. Nicht einmal die von Allen Umworbene iſt Angelica, denn Rodamonte und Mandricardo ſtreiten eben ſo heftig um eine Doralize. Die Begebenheiten Zerbins und Iſabellens ſtehen kaum in einer oberflächlichen Verbindung mit den Uebrigen. Das alles iſt in einem wenig bedeutenden Stücke ziemlich gleichgiltig, und nur darum zu bemerken, weil Lope de Vega einmal ſeinem glücklichen Naturell un⸗ treu geworden iſt. Das fin de la Comedia ı am Schluſſe des Stückes überraſcht, als ob man im Traume einen Fall gethan hätte.
Die abenteuerliche Haltung, die Großſprechereien der
1 ende des Stückes.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 301
Helden, in denen manchmal ſogar ein Bewußtſein des zächerlichen durchſchimmert, und die Liebesſcene zwiſchen Angelica und Medoro übrigens recht gut.
El nino inocente de la Guardia. Ein eigent⸗ ich abſcheuliches Stück, da, wenn auch nicht gerade ſein zweck, doch die nothwendige Folge eine Steigerung des zaſſes gegen die Juden ſein mußte. In dieſer Abſcheu⸗ ichkeit erreicht übrigens Lope de Vega lange nicht ſeinen zeitgenoſſen Calderon, bei dem Aberglaube und Vorurtheil ieiſtens den Anſtoß zur Begeiſterung darbieten. Der In⸗ alt des vorliegenden Stückes iſt der Martertod eines kindes, das die Juden, um ſich an den Chriſten zu rächen, n ſcheußlicher Nachahmung die ganze Leidensgeſchichte zbriſti durchgehen laſſen. Den Anfang machen die chriſt⸗ ichen Könige Ferdinand und Iſabella, die, nach Anpreiſung er Inquiſition, ihr frommes Werk durch die Vertreibung er Juden zu krönen beſchließen. Letztere beſchicken einen Magier in Frankreich, der ihnen auch ein Zaubermittel ınräth, das in einer geweihten Hoftie und dem Herzen ines unſchuldigen Kindes beſteht, welche, beide vereinigt ind in einen Fluß verſenkt, alle daraus Trinkenden ver⸗ ziften werde. Die Abgeſandten, um das Mittel zu prü⸗ en, handeln einem franzöfiſchen Vater fein Kind ab, der ſie täuſcht und ihnen das Herz eines Schweines überant⸗ vortet, ſo daß bei der Probe, ſtatt aller Chriſten, alle Schweine ſterben. Nach Spanien zurückgekommen, beſchließen ſie daher, ſich auf Niemand Fremden zu verlaſſen, ſondern ſtehlen ſelbſt ein Chriſtenkind, das ſie unter fortwährenden Mißhandlungen bis zum Oſterfeſte aufbewahren. Nun ügen ſie ihm, — wobei die Blasphemie eigentlich auf
1 Tas unſchuldige Kind von La Guardia.
den Autor und die Zuſeher fällt — alle Unbilden und Qualen zu, die die Leidensgeſchichte Chriſti ausmachen. Sie theilen ſich in die bibliſchen Perſonen. Einer iſt Kai⸗ phas, der andere Pilatus; nur Judas kommt mit ſeiner Rolle zu kurz, da er ſtatt der dreißig Silberlinge, die er verlangt, nur drei erhält. Das Kind benimmt ſich ganz wie Chriſtus, ſpricht auch in den entſcheidenden Momenten dieſelben Worte wie dieſer. Zur Rechtfertigung dieſes, bei einem Kinde Unglaublichen, wird etwas Unmögliches her⸗ beigebracht. Es erſcheinen nämlich der Verſtand (offenbar der des Kindes) und die Vernunft. Der Verſtand wun⸗ dert ſich ſelbſt, mit Aufzählung aller ſcholaſtiſchen Erforder⸗ niſſe des Verſtehens, über ſeine frühzeitige Ausbildung in dem unmündigen Kinde, wird aber von der Vernunft be⸗ lehrt, daß durch die Liebe Gottes die Vernunft der Zeit vorauseile, und durch den dem Heilande nachgeahmten Tod der Verſtand jene Reife erhalte, die dem Alter Chriſti zur Zeit ſeines Todes entſpricht, nämlich die von dreiunddreißig Jahren. So wird das Kind endlich gekreuzigt und ſtirbt. Die Vernunft ſagt die Strafe der Juden voraus, und damit auch die Auferſtehung nicht fehle, fliegt das Kind zuletzt in einer Maſchine in die Luft.
Der Umſtand, daß Lope das nido de la Guardia in der Zahl der Heiligen und Märtyrer vorfand, und alſo mit dem Ganzen vor allem die Verherrlichung eines Schutz⸗ patrones gemeint war, mildert etwas die Atrocität der Unternehmung.
La prueva de los ingenios. 1 Ein Herzog Ale: randro (von Mantua, glaube ich) hat ein Liebesverhält⸗ niß mit Florela, einem durch Körper und Geiſt ausgezeich-
1 Die Probe des Geiſtes.
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neten Frauenzimmer, von, wenn nicht niedriger, doch keineswegs ausgezeichneter Herkunft. Er aber, der nach einer ſtandesmäßigen und politiſch vortheilhaften Heirath ſtrebt, ſetzt ſich in Bewerbung um die Tochter und Erbin des Herzogs von Ferrara, um die aus gleichem Grunde ein Infant von Arragonien und ein Prinz von Urbino in die Schranken treten. Florela beſchließt, die Heirath zu ſtören, und begibt ſich unter dem Namen Diana in die Dienſte der vielumworbenen Prinzeſſin Laura. Sie weiß ſich in ihre Gunſt zu ſetzen, und dieſer einmal ſicher, gibt ſie ſich, wunderlicher Weiſe, für einen Mann aus und ſpielt die Rolle eines begünſtigten Liebhabers. Aus dieſer, wie geſagt, höchſt wunderlichen Situation iſt nicht einmal aller Vortheil gezogen, der ſich im Intereſſe der Romantik daraus ziehen ließ. Die Zweifel, die der Prinzeſſin über das Geſchlecht ihrer Sekretärin aufſteigen, haben nun zur Folge, daß ſie dieſelbe von einer ihrer Damen im Schlafe überraſchen läßt, wo aber dieſe in ihrer Unterſuchung nicht weiter kommt, als auf die Füße, deren blendende Weiße aber eben ſo gut einem Weibe, als einem Manne, an⸗ gehören kann. Florela erreicht aber wenigſtens ſo viel, daß Laura gegen die Vorzüge Alexandros und ihrer üb⸗ rigen Bewerber unempfindlich bleibt, ja wünſcht, ihren Bewerbungen enthoben zu ſein. Es werden daher, unter dem Vorwande, keinen der Freier zurückſetzen zu wollen, Proben des Geiſtes feſtgeſetzt, denen ſich jeder unterziehen, und demnach mit der Sekretärin über eine philoſophiſche Frage diſputiren, und zuletzt noch den Weg in einem eigens zu dieſem Zwecke erbauten Labyrinthe bis zum Mittelpunkt finden ſoll, wo die Prinzeſſin als Preis des Sieges ſich befinden werde. Die Diſputation iſt über die Vollkommenheit des Weibes, und wird in allen Feinheiten
304 Studien zum ſpaniſchen Theater.
der damaligen Hegel'ſchen Philoſophie, mit nego majorem, minorem concedo, distinguo, von Florela und den Freien durchgeführt. Der Unſinn iſt von beiden Seiten gleich groß, und man merkt nur aus dem Verſtummen der Freier, daß Florela den Sieg davon getragen hat, ſowie der ganze Der: lauf den Beweis gibt, daß Lope mit Nutzen die unnützen Wiſſenſchaften ſtudirt hat. Um den Weg ins Labyrinth zu finden, hat der Infant von Spanien ſein Vertrauen auf einen Knäuel Faden geſetzt, der ihm aber zerreißt. Ale xandro hat auf den Rath feines Dieners Kiſten mit an geblichen Geſchenken ins Labyrinth bringen laſſen, in denen aber Zunder und Schwefel nebſt Lebensmitteln ſich be⸗ finden, um den Weg zu erhellen und, wenn die Probe zu lange dauern ſollte, nicht zu verhungern. Dieſe Kiſten werden aber auf Florela's Rath geöffnet, die Lift entdeckt und die Kiſten beſeitigt. Nur der Prinz von Urbino hat Feuerzeug in dem Griff ſeines Schwertes verborgen. Er erreicht den Mittelpunkt und erhält die Prinzeſſin. Ale: xandro merkt, daß Florela alles aus Liebe zu ihm gethan, und, die vornehme Braut verloren, heirathet er die Per: laſſene. Auch die Prinzeſſin gibt ſich zufrieden, nachdem ſie das wahre Geſchlecht ihrer Sekretärin erfahren.
La donzella Teodor.! Die Begebenheiten eines gelehrten Mädchens, Tochter des Maeftro Leonardo, der Schule hält, wobei er ſich feiner Tochter als Unterlebrers bedient. Sie docirt und diſputirt auch gleich Anfangs nach allen Formen der Dialektik und Scholaſtik. Einer der Schüler, D. Felix, verliebt ſich in ſie. Der Vater hat ſie aber ſeinem Freunde, dem alten Catedratico ? Floresto, zum Weibe beſtimmt, der auch ſie abzuholen kommt, und
1 Die Jungfrau Theodora.
2 Profeſſor.
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davonführt, dabei aber von D. Felix mit ſeinem Diener Padilla und einem Freunde Leonelo überfallen werden, welche die Braut als Beute mit ſich führen. Es hat aber der König von Oran, von der Vortrefflichkeit der Chriſten⸗ natur überzeugt, beſchloſſen, ſeinen Neffen und Thron⸗ folger Celindo mit einer Spanierin zu vermählen, und deßhalb Schiffe auf den Mädchenraub ausgeſendet. Dieſen fallen die Flüchtlinge in die Hände und werden als Sklaven nach Oran geführt. Theils weil Teodor ſich taub und blödſinnig ſtellt, theils weil eine ſeiner Nichten dem Könige Verdacht gegen ſeinen Neffen Celindo einzuflößen verſteht, ändert der König ſeinen Plan und beſchließt, um doch Chriſtenblut in ſein Haus zu bekommen, jene Nichte mit D. Felix zu vermählen. Dieſer willigt auch zum Schein ein, begehrt aber als erſte Gunſt, daß Teodor nach Spa⸗ nien zurückgeſendet werde, in der Abſicht, ihr baldmög⸗ lichſt ſelbſt zu folgen. Auch dieſen Plan wittert die mau⸗ riſche Prinzeſſin, und Teodor wird, ſtatt nach Spanien, nach Konſtantinopel geführt und dort ala Sklavin aus: geboten. Dort findet ſie der mauriſche Prinz Celindo, den man in verrätheriſcher Abſicht gleichfalls nach Konſtanti⸗ nopel geſendet hat, und kauft ſie los. Teodor, die das Ganze einem Wortbruch ihres Liebhabers D. Felix zuſchreibt, begibt ſich in den Schutz eines Griechen, Finardo, um mit ihm nach Hauſe zu kehren. Sie leiden aber Schiffbruch, wobei der Grieche fein ganzes Vermögen verliert. Zum - Erſatz fordert ſie ihn auf, ſie für 10,000 Dukaten an den Hof des Schachs von Perſien zu verkaufen, der ein großer Freund von Gelehrten iſt. Unterdeſſen hat der türkiſche Kaiſer den Spanier D. Felix vom Könige von Oran als Feldherrn gegen die Perſer begehrt. Dieſer beſchließt viel⸗ mehr, die kriegführenden Parteien zu verſöhnen, und be⸗ Grillparzer, ſammtl. Werke. VIII. 20
eo
gibt ſich deßhalb an den Hof des Schachs von Perſien, wo er eben zurecht kommt, um einer gelehrten Diſputation beizuwohnen, die der Schach angeſtellt hat, um ſich von dem Wiſſen ſeiner theuer erkauften Sklavin zu überzeugen. Eben daſelbſt haben ſich auch Teodors Vater und ihr ver⸗ abſcheuter Bräutigam Floreſto, ihre Spur verfolgend, ein⸗ gefunden. Die Diſputation geht geradezu in der Form eines Räthſelſpieles vor ſich. Teodor beſiegt alle Gegner und erhält zum Schluß ihren gerechtfertigten D. Felix, wobei auch deſſen Begleiter mit Heirathen nicht überſehen werden.
Das Stück hat nichts von dem ſchreienden Nonſens anderer Produktionen Lope de Vega's, dafür aber auch nichts von ſeinen ſonſtigen einzelnen Schönheiten. Es mochte ſich anſehen, wie man ein Märchen erzählen hört. Die Perſonen ſind nicht übel gehalten, und die gelehrte Teodor nimmt ſich ganz gut aus.
El Amete de Toledo. 1 Ein abſcheuliches und, in ſeiner Art, wieder vortreffliches Stück. Dem Ganzen iſt zu Grunde gelegt, daß die Mauren den Johann den Täufer der Chriſten eben ſo hoch halten, als dieſe. Der Anfang ſpielt daher auch in der Johannisnacht. Nachdem D. Juan Caſtelvi, ein Maltheſer (deren Schutzpatron Johann der Täufer iſt), von feiner Geliebten in Valencia Abſchied ge: nommen, weil er zu einem Kreuzzuge einberufen worden iſt, werden wir nach Oran verſetzt, wo eine Geſellſchaft von Mauren dieſelbe Nacht feiert. Eine Art Wahrſagerin läßt Jedem in einem geheimnißvollen Buche ſein künftiges Schickſal in Zeichen ausgedrückt leſen. Hamet, der ſich mit ſeiner Geliebten Argelina unter ihnen befindet, ſieht
1 Der Hamete von Toledo.
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auf ſeinem Blatte einen Galgen, Feuer, Ketten und eine Menge Johanniskreuze, die gegen Himmel ſteigen. Die Wahrſagerin macht ihm glauben, er werde viele Sklaven von den Maltheſern erbeuten. Zugleich kommt die Mel⸗ dung, daß ein reiches Chriſtenſchiff im Angeſicht der Küſte ſei, und er macht ſich, von ſeiner Geliebten begleitet, auf, um es zu kapern. Statt deſſen ſtößt er auf Maltheſer Galeeren und wird ſelbſt gefangen. D. Juan de Caſtelvi ſendet durch ſeinen Diener Beltran das mauriſche Liebes⸗ paar nach Valencia, der Gebieterin ſeines Herzens zum Geſchenke. Dieſe, Unordnung im Hauſe beſorgend, behält die Maurin, läßt aber den Mauren weiter verkaufen. Erſte Verzweiflung, von feiner Geliebten getrennt zu fein. Er wird von einem D. Martin erhandelt, dem er ſich aber bald furchtbar macht durch ſeine ungeheure Körper⸗ ſtärke, indem er im Ringen jeden Gegner beſiegt, einen entkommenen Stier bei den Hörnern feſthält. Endlich, als er, während ſein Herr ſchläft, deſſen Schwert aus der Scheide zieht, vor der Hand noch ohne böſe Abſicht, fühlt ſich dieſer veranlaßt, ihn auch ſeinerſeits zu verkaufen. So kommt er nach Toledo ins Haus eines D. Gaſpar de Suarez, der nur kurz erſt ſeine Muhme geheirathet und mit ihr in einer wahren Taubenehe lebt. Nichts iſt lieblicher, als die Art, wie ſie ihre Empfindungen aus⸗ tauſchen, und ihr Verhältniß erhält einen eigenthümlichen Anſtrich dadurch, daß in das Eheband auch das Band der Verwandtſchaft mit hineinſpielt. Auch hier macht der Sklave keinen guten Eindruck auf die Frau, indeß der Mann ſich der ungeheuren Körperkraft und Tüchtigkeit Hamets erfreut. Auch Beltran, der Diener des Maltheſers D. Juan, nimmt Dienſte in demſelben Hauſe, da er das für den Sklaven gelöste Geld verſpielt hat und ſich
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daher nicht mehr zu ſeinem Herrn zurückgetraut. Hamets edle Natur hat ſich durch ſo viele Unglücksfälle auf die wildeſte Art verhärtet. Er mißhandelt eine Magd des Hauſes und nimmt ihr ihr Eſſen weg. Der Hausherr, darüber erzürnt, ſtraft ihn mit Stockſchlägen. Nun iſt das Maß voll. Ein edler Maure auf die verächtlichſte Art behandelt. Er ſinnt Rache. Während D. Gaſpar nach Wache geht, um den Sklaven zu binden, ſchließt dieſer das Hausthor. Während man das Thor einbrechen will, hört man von innen die Stimme der zurückgebliebenen Hausfrau und ihre Magd, um Hilfe rufend. Das Thor wird geſprengt, und Dona Leonor liegt in ihrem Blute. Hamet entkommt, nachdem er vorher den ſpitzbübiſchen Beltran ſchwer verwundet hat. Er durchſchwimmt den Tajo und entgeht dadurch der Verfolgung. Auf dem Wege tödtet er einen Müller, der ihn erkennt. Er kommt zu ganz fremden Landleuten, hält aber alle ihre unbefangenen Reden für Anſpielungen auf ihn und ſeine That, und tödtet und verwundet auch hier, wer ihm vorkommt, ſo daß des Guten doch eigentlich zu viel wird, bis endlich ein Alkalde mit Begleitung, worunter ein Fechtmeiſter, ſeiner Herr wird und ihn, ſchwer verwundet, einfängt. Seine Strafe ſoll nun natürlich eine außerordentliche ſein. Mit Zangen gezwickt, gebrannt, die Hände und Füße abge⸗ hauen und ſo an den Galgen geheftet. Das alles ge⸗ ſchieht nicht anſichtlich, aber man ſieht ihn, noch lebend, in dieſem entſetzlichen Zuſtande. Ein Mönch verſucht alles Mögliche, ihn zum Chriſtenglauben zu bewegen, er ver⸗ harrt aber im verſtockten Stillſchweigen. Nachdem die Vorſtellung von Gott, Chriſtus, den Apoſteln fruchtlos geweſen, fordert er ihn endlich im Namen Johann des Täufers auf. Da bricht der Maure ſein Schweigen,
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begehrt die Taufe und will Johannes geheißen werden. Er wird getauft und ſtirbt, indem er Jeſus, Maria und Johann den Täufer anruft.
Dieſes, wie geſagt, gräuliche Zeug, wird durch die lebensvolle Individualiſirung aller, ſelbſt der Nebenper⸗ ſonen, zu einer Art künſtleriſchen Geltung gebracht. Das fromme Ehepaar, der leichtfertige Beltran, ja ſelbſt die Bäuerinnen, die in ihrem Sonntagsſtaat zur Hinrichtung, wie zu einem Feſte gehen, das alles lebt und bewegt ſich. Ja ſelbſt eine Art Vergeltung geht durch das ganze Stück: Hamet, der der Wahrſagerin zu ſeinem Schaden glaubte. Der untreue Beltran, der ſchwer verwundet wird und bei der Hinrichtung mit verbundenem Kopfe erſcheint. Ja ſelbſt über D. Gaſpar und ſeiner Gattin dürfte vielleicht ein leiſer Tadel ſchweben, daß ſie als Nahverwandte eine Ehe eingegangen haben. Lope de Vega erwähnt derlei nicht, aber die Dinge ſind da und erweiſen ſich ſelbſt. Warum denn ſonſt hätte er ſie zu Vetter und Muhme gemacht?
D. Juan Caſtelvi, der das Stück eröffnet, verſchwindet im Verfolge, indeß es doch leicht war, ihn, allenfalls bei der Zuſtandebringung des Mörders, noch einmal vor die Augen zu bringen.
NB. Was das Verhältniß von Vetter und Muhme be⸗ trifft, ſo könnte ja ſein, daß ſie's wirklich waren, da das Stück offenbar auf einer wahren Begebenheit beruht. Man muß mit Deutungen nicht zu freigebig ſein.
El ausente en el lugar.! Dieß Stück iſt ein kleiner Edelſtein. Nicht als wäre es als Luſtſpiel gar ſo vortrefflich, dazu iſt der Inhalt denn doch zu unbedeutend; aber daß dieſer Inhalt, aus Schaum und Nichts gebildet,
1 Der Abweſende im Orte.
mit der gewandteſten Kunſt, oder vielmehr der glücklichſten Natur, ſich in volle drei Akte aus einander legt, ſo daß die Zuſeher, wenigſtens die damaligen, keinen Augenblick aus dem Zug der Begebenheiten herauskamen, das iſt das wahrhaft Meiſterliche an dieſem artigen kleinen Ding. Zwei Frauenzimmer, mit ihren Zofen und Ehrendienern (von denen der Eine Dichter aus Hunger iſt, welche Qualifi⸗ kation er bis ans Ende bewahrt), machen Bekanntſchaft auf dem Wege aus der Kirche. Sie plaudern von allem: von Schönheitsmitteln, von ihren Liebhabern, und die eine, Laurencia, verſpricht der andern, Eliſa, ihr ihren Liebhaber Feliciano zum Scheine mit einem Briefchen zu⸗ zuſenden, damit ſie deſſen Bekanntſchaft mache. Feliciano ſtellt ſich ein, findet Wohlgefallen an der Freundin feiner Geliebten, wird aber von Eliſa's Vater und Bruder über: raſcht, die durch den Beſuch die Ehre ihrer Tochter und Schweſter bloßgeſtellt finden und zur Genugthuung auf eine Heirath dringen. Feliciano, der nicht überflüſſigen Muth und eine Beimiſchung von Eigennutz hat, fügt ſich dem Unvermeidlichen und iſt nun Eliſa's Bräutigam. Lau⸗ rencia, von dem Treuloſen ſelbſt in Kenntniß geſetzt, be⸗ ſchließt, echt ſpaniſch ſich zu rächen, und läßt Eliſa's Lieb⸗ haber Carlos zu ſich bitten, unter dem Voͤrwande, daß ſie ihn, als einen Erfahrenen in der Aſtrologie, rühmen ge⸗ hört und ſich von ihm wahrſagen laſſen wolle. Er er⸗ ſcheint, macht das Kreuz über ihre Hand, küßt dieſes Kreuz und ſomit die Hand, und Wohlgefallen und Rachbegier ſpielen auch bei ihm ihr natürliches Spiel. Carlos ſtellt ſich an, nach Flandern in den Krieg gehen zu wollen, und begibt ſich zu Eliſa's Vater, um von ihm Wechſel dahin einzuhandeln. Er findet die ganze Familie mit dem Bräu⸗ tigam Feliciano beiſammen. Der Vater muß ihm geſtehen,
In
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daß ſeine Vermögenszuſtände herabgekommen ſeien, und er keine Verbindungen mit Flandern mehr habe. Unter dem Bilde eines treulos gewordenen Freundes erzählt er das Unglück ſeiner Liebe, und Eliſa iſt außer ſich. Unterdeſſen hat aber auch Feliciano ſeine Treuloſigkeit bereut. Da die Kontrakte ſchon geſchloſſen ſind, nimmt er die Gering⸗ fügigkeit der Mitgift zum Vorwande, und begehrt ſtatt der verſprochenen 6000 Dukaten 10,000. Er glaubt ſich nun⸗ mehr ſchon frei, aber Eliſa's Bruder Otavio, der die Heirath um ſo mehr wünſcht, als er ſelbſt in Laurencia verliebt iſt, erklärt, auf ſeinen Theil der Erbſchaft Ver⸗ zicht zu leiſten, ja Eliſa dringt ſelbſt auf die Heirath, da ſie ihre Ehre für gefährdet hält, wenn ihr Bräutigam, etwa gar in der Meinung der Welt wegen eines entdeckten Fehlers, ſelbſt zurückträte. Unterdeſſen hat Carlos, der für abweſend gilt, vorgeblich als ſein eigener Bedienter, mit Eliſa Nachts am Fenſter eine Zweiſprache gehalten, an deren Schluß er aus der Verſtellung herausfällt und Eliſa's Bild ſammt ihren Briefen vor ihrem Angeſicht zer⸗ reißt, was aber nur Spielkarten ſind, die ihm ſein Be⸗ dienter heimlich zugeſteckt. Eine ſehr komiſche Scene iſt, wie Eliſa, des Skandals wegen, Zofe und Diener herab⸗ ſchickt, um die zerriſſenen Trümmer aufzuleſen, und ſie nun nichts als Spielkarten findet.
Feliciano iſt in ſeinem eigenen Netze gefangen, die Be⸗ dingung der vermehrten Ausſteuer iſt erfüllt, und es kommt zur Verlobung, zu der ſich unter den übrigen Gäſten auch Carlos und Laurencia vermummt einfinden. Hier tritt nun Eliſa's eigentliche Abſicht hervor. Sie wollte nicht von ihrem Bräutigam aufgegeben ſein, aber feierlich um ihr Ja befragt, ſpricht ſie ein feſtes und beſtimmtes Nein aus. Daß nun Carlos in ſeine alten Rechte tritt, ver
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a nina de plata, ı Ecene ſehr gutes Stück, nur die Hauptſcene der Handlu ſchönes, aber armes Mädch Körper⸗ und Geiſtesvorzüge D. Juan, der Sohn eines liebt ſie gegen den Willen einer reichen Heirath zwingen Don Pedro (ſpäter der Gr Brüdern Enrique und dem M Stadt. Enrique wird von de getroffen, die von ihrem Ball Er ſieht ſie wieder in Alcazar
tecde mit dem Rönige und dem tea ein. u .. . —
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Doroteen ſo unbegründet vorkommt, daß ſie es als Scherz aufnimmt und in gleichem Tone erwiedert, was ihn bis zum Bruch des Verhältniſſes aufſtachelt, um ſo mehr, als die drei königlichen Brüder Doroteen Geſchenke von Werth zurückgelaſſen haben.
Im zweiten Akte finden wir den Bruder Doroteens, D. Felix, mit ſeiner Geliebten Marcela, einer Art Cour⸗ tiſane, die eben eine Wohnung ſucht. D. Felix bietet ihr ſeine eigene an, die Dorotea verlaſſen will, um ſich den Beſuchen des Infanten zu entziehen. Der Antrag wird angenommen, und es tritt ein Wohnungstauſch ein, welcher die Verwicklung des Stückes bildet. D. Juan, noch ganz aufgebracht, erhält einen Brief von Dorotea, begleitet von einem Käſtchen, von dem er glaubt, daß ſie ihm ſeine früheren Geſchenke zurückſende, in dem ſich aber bei der Eröffnung die Gaben der drei Prinzen befinden, mit einem Sonett, das Liebe und Unterwürfigkeit zugleich ausdrückt. Schon iſt er überwunden, als ſein Diener ihm anzeigt, daß in Dorotea's Wohnung koſtbares Hausgeräthe ge⸗ ſchafft werde, was er, der von dem Wohnungstauſche nichts weiß, für Geſchenke des Infanten nimmt, indeß es nichts als die Einrichtung der neuen Mietherin Marcela iſt. Aber auch der König, der ſieht, daß die Leidenſchaft an der Geſundheit, ja dem Leben ſeines Bruders zehrt, ſchickt einen Kämmerer in das Haus Dorotea's, um fie durch Gold zu bewegen, dem Infanten zu Willen zu ſein, welche Botſchaft natürlich an die neue Bewohnerin Mar⸗ cela gelangt, der es auf eine ſolche Willfährigkeit nicht ſehr ankommt. Zugleich aber ſendet er einen mauriſchen Arzt und Sterndeuter, der eben angekommen iſt, zu ſeinem Bruder, um ihm auch ärztlich beizuſtehen. D. Juan iſt mitt⸗ lerweile Zeuge, wie Marcela, die er, als aus deren Hauſe
24 S Type.
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Scene iſt ſchwach, nicht allein dem Ausdrucke nach, ſon⸗ dern auch, weil der Prinz nichts erfährt, als was er ohnehin ſchon wußte: daß Dorotea tugendhaft iſt und daß ſie — was er ſich wohl denken konnte — ſchon einen andern Liebhaber hat. Nichtsdeſtoweniger liegt darin die Entwicklung des Stückes. Der Prinz beſchließt, das tugendhafte Mädchen glücklich zu machen. Er gibt ihr eine Ausſteuer, verſichert dem Veinticuatro ein Ordens⸗ kreuz von Santiago, und dieſer iſt bereit, die Heirath Dorotea's mit ſeinem Sohne zuzugeben. D. Juan aber, der von dem nächtlichen Beſuch des Prinzen Kunde be⸗ kommen hat, ſieht darin nur ſeine Schande und ſchlägt Dorotea's Hand aus. Das Ehrenwort des Prinzen, daß er ſie nicht berührt, gleicht zuletzt Alles aus, und das Paar wird vereinigt. Auch Don Felix erhält die Hand ſeiner mehr als zweideutigen Geliebten Marcela. Aber ſo will es die ſpaniſche Theaterſitte: auf jedem Topf ein Deckel.
In dieſem Stücke kommt duch das berühmt gewordene Sonett vor, das der Bediente Chacon vorbringt: Un soneto me manda hacer Violante, 1 deſſen ganzer In⸗ halt nichts iſt, als der Verſuch, ein Sonett zu machen, und das Gelingen von Vers zu Vers.
El animal de Ungria. 2 In dieſem Stücke wird eben auch wieder der Einfluß Calderons fühlbar. Ohne Zweifel ſind die in Felle gekleideten Wilden eine Erfindung dieſes Letztern. Wenn nun bei Calderon häufig Ein ſolcher Wilder vorkommt, ſo ſind hier zwei und noch dazu Weiber. Auch polemiſirt Lope in einer Nebenſcene, wo er ſich als poetiſchen Barbier Pablo einführt, gegen die
1 Ein Sonett befiehlt mir Violante zu machen.
2 Das ungariſche Thier.
2000 WU ETET auf Len Neon Andern, wenn man von ihne begehrt, damit erſt auf Joha
Faltales el natur que da cielo, 4
Armer Lope! Deine aller gabe ſank im Werth, als ein Platz gemacht hatte.
Das Stück ſelbſt mochte fi hagen. Eine Königin, die, vol unter wilden Thieren lebt und Sie findet dieſe ihre Schweſter Thron und in der Ehe, wie ſie von Geburtswehen überfallen geborne Mädchen, das ſie nun erzieht. Aber auch ein Knabe, Gräfin von Barcelona, iſt in ! und von mitleidigen Bauern c zweiten Akte ſind die beiden lieben ſich in einander, wo den des jungen Mädchens nas N=
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ten, beſonders wo ſie, um zu prüfen, ob der Gegenpart ein Engel oder Teufel ſei, wiederholt das Kreuz über ihn macht und jedesmal dazu ausruft: cata la cruz! i ihn für einen Engel nehmend, da ihm das Kreuzzeichen keinen Schaden thut. Als der Geliebte, in ihrer Vertheidigung, gefangen wird, begibt ſie ſich freiwillig zu ihm ins Ge⸗ fängniß. Ihre wilde Ernährerin folgt ihr, als Bauer verkleidet. Die Falſchheit der verrätheriſchen Schweſter, die ihren Gemahl bei herannahender Enthüllung vergiften will, kommt an den Tag, und die fromme Königin wird mit ihrem Gemahl vereinigt, indeß man die Schweſter in ein Kloſter einſperrt. Auch die beiden Findlinge erhalten als ebenbürtig eines das andere.
Del mal lo menos. Ein völlig plauſibles Stück. Die erſten beiden Akte als gut an ſich, und der dritte, wo eigentlich der Hauptknoten ſchon gelöst iſt, durch die wunderbare Gabe Lope de Vega's, die Handlung zu ent⸗ wickeln und zu gliedern, überall natürliche Motive zu finden und jo ſelbſt Neben: und Ausfüllſcenen ein Intereſſe zu geben. Ein ſpaniſcher Ritter Don Juan de Mendoza hat ſich einer Ehrenſache wegen nach Neapel geflüchtet und iſt dort, ſeines perſönlichen Werthes wegen und als der natürliche Sohn eines vornehmen Mannes, gut auf⸗ genommen worden. Er verliebt ſich dort in die Muhme des Königs, Caſſandra, die bereits an den König von Dänemark verſprochen iſt, und findet Erwiederung. Seine Lage macht ihn einer Unterſtützung bedürftig; Caſſandra beſchließt, ſie ihm zu verſchaffen, und wendet ſich deß⸗ halb an die Königin um ihre Vorſprache. Vortrefflich iſt die Scene, in der ſie dieß thut. Die Königin ſagt
1 Schaue das Kreuz.
2 Von Uebeln das geringſte.
318 Studien zum ſpaniſchen Theater.
ihr beim erſten Worte ſchon Gewährung zu, fie fäh aber demungeachtet immer fort, Gründe anzuführen, un nachdem ihr die Königin ſchon zehnmal Ja geſagt, iſt ſie noch immer nicht müde, ſie zu beſtürmen. Jeder Andere würde der Königin anfangs Weigerungen in den Mund gelegt haben, um der Scene Mannigfaltigkeit zu geben, - aber diefe Mannigfaltigkeit in der Wiederholung zu finden, in dem Immerwiederausſprechen des einzigen Gedankens, der die Bittwerbende beherrſcht, beurkundet den Meiſter. Die Königin bringt die Bitte an ihren Gemahl, der auch dem Spanier auf der Stelle einen Gnadengehalt bewilligt, obwohl ihm der Eifer ſeiner Gemahlin bei dieſer Für⸗ ſprache unangenehm aufgefallen if. Die auſquellende Eiferſucht wird verſtärkt, als D. Juan bei einem Turnier durch Sinnbild und Sinnſpruch auf ſeinem Schilde zu erkennen gibt, daß er eine hohe Dame liebe, deren Beſitz er nie hoffen könne. Don Juan, der das veränderte Betragen des Königs merkt und keine Ahnung von ſeinem eigentlichen Verdacht hat, muß glauben, daß der König in Caſſandra verliebt ſei. Unterdeſſen verbreiten die Neider, worunter ein Nebenbuhler D. Juans, ein Cartel ſeines in Spanien zurückgelaſſenen Gegners, in dem er ihn zum Zweikampf nach Paris fordert. Caſſandra, um ihn von der Reife abzuhalten, wendet fich wieder an die Königin, damit deren Gatte die Ehrenſache am ſpaniſchen Hofe ver⸗ mittle. Die Königin läßt ſich wieder bereit finden, und nun iſt für den König kein Zweifel mehr. Er beſchließt, Don Juan aus der Welt zu ſchaffen.
Unterdeſſen kommt der Connetable des Königs von Dänemark an, um die Braut ſeines Herrn abzuholen. Caſſandra weiß kein Mittel, als eine Krankheit vorzu⸗ geben, wobei der Lakai des Spaniers Moncon als ver:
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kleideter Chirurg ihr zur Ader läßt und es an Späffen nicht mangelt. Der König hat ſich auf die Jagd begeben, und mit D. Juan von ſeinem Gefolge entfernt, will er dieſen tödten. Da kommt endlich das Geheimniß der Liebe zu Caſſandra an den Tag, und ſo peinlich dieß Verhältniß dem Könige iſt, kann er ſich doch vor Freude über das Unbegründete ſeines Verdachtes gegen die Königin kaum faſſen. Da übrigens das Verhältniß der Liebenden bei einem nächtlichen Beſuche ſehr verwickelt geworden iſt, ſo meint er: Von Uebeln das kleinſte, und beſchließt, das Paar zu vereinigen, zu welchem Ende er D. Juan zum Almirante, zum Oberſtkämmerer und mehr dergleichen ernennt. |
Aber auch der König von Dänemark, der inzwiſchen angekommen iſt, hat einen Brief von Caſſandra erhalten, in dem ſie ihm ihre Liebe zu einem Andern erklärt. Auch er meint: del mal lo menos, und zur Schonung ſeiner Ehre macht er ſich zum Freiwerber für Don Juan, der nun Caſſandra's Gatte wird.
Dieſer Auszug iſt, wie alle übrigen, ſehr liederlich, da ich die Stücke nicht in Einem Zuge leſe und am Schluſſe viele Nebendinge wieder vergeſſen habe. Mir iſt aber auch nur um die Hauptſache zu thun.
La hermosa Alfreda.! Jene ſchon mehrfältig bearbeitete Geſchichte, wo ein König von England einem ſeiner Vertrauten den Auftrag gibt, ein wegen ihrer Schönheit berühmtes Frauenzimmer in Augenſchein zu nehmen, um, wenn das Gerücht ſich beſtätigt, in des Königs Namen um ſie zu werben, der Abgeſandte ſich aber ſelbſt in die Schöne verliebt, den König mit falſchem
1 Die ſchöne Alfreda.
Bericht über die Mißgeſtalt des Mädchens täuſcht, ſich aber ſelbſt mit ihr vermählt. Als nun der Betrug an den Tag kommt, tödtet der erzürnte König den entlarvten Günſtling und heirathet die ſchöne Wittwe. Ein ganz guter Stoff, nur daß ſchwer ein Schluß zu finden iſt. Lope de Vega, der die Handlung nach Deutſchland ver⸗ legt, hat einen Schluß gefunden, aber welchen? Wie er denn überhaupt ſein Talent zur Vermannigfaltung hier auf eine ſehr unglückliche Weiſe in Anwendung gebracht hat. Die ſchöne Alfreda hat ſchon einen amante non corrisposto, Selandio, der durch das ganze Stück mit feinen Liebesklagen hindurchgeht. Der Günſtling Godofre, dem der König einen Begleiter auf die Geſandtſchaft mit⸗ gegeben hat, tödtet dieſen, da er ihn von dem Verrath an ſeinem Herrn zurückhalten will, ſchiebt aber die Schuld auf den meuchelmörderiſchen Anfall eines Unbekannten, ſo daß dieſe auf den unglücklichen Selandio fällt, der eben im Zimmer hinter den Tapeten verborgen war. Den König täuſcht er mit einem ſo übertriebenen Bericht von Alfreda's Häßlichkeit, daß das Gerücht ihrer Schönheit ſchon von vornherein unter die Unmöglichkeiten gehört. Demungeachtet erklärt er aber, die Häßliche heirathen zu wollen, um ſeine Vermögenszuſtände zu verbeſſern. Zu⸗ gleich tritt er dem Könige, der nun einmal im Liebes⸗ fieber iſt, ſeine eigene frühere Geliebte, Liſandra, ab, ſo daß ſeine Vermählung zugleich den Anſchein einer eifer⸗ ſüchtigen Rache bekommt. Die ſchöne Alfreda hat nichts weniger als eine beſondere Neigung zu Godofre, entſchließt ſich aber doch zuͤr Heirath, da ſie bei einem kalten Tem⸗ peramente eben nicht anderweitig verliebt iſt. Godofre bringt ſeine junge Frau, um ſie den Augen des Königs zu entziehen, auf eines ſeiner Güter, wo er ſie in länd⸗
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 321
lichen Kleidern unter Landleuten verbirgt, was die Stolze und Eitle ziemlich übel nimmt.
Lope de Vega, der eine große Vorliebe für Ländlichkeit und Landleute hat und beinahe in keinem ſeiner Stücke verſäumt, ſolche Naturkinder anzubringen, findet hier eine gute Nebenſcene, wo ein Bauernburſche Abſchied von ſeinem Vater nimmt, um unter die Soldaten zu gehen, und ſich ſchon im Voraus in allen Schwüren, Flüchen und Impertinenzen des damaligen Soldatenſtandes an feinem eigenen Vater einübt.
Im Verfolg kommt der König bei Gelegenheit einer Jagd auf das Gut Godofre's, ſieht dort die ſchöne Alfreda in ihren Bauernkleidern und will durchaus ihrer habhaft werden. Es nützt nichts, daß Godofre ſie für ſeine Schweſter ausgibt, die Begierden des Königs werden da⸗ durch nicht geſchwächt. Er muß endlich erklären, daß ſie ſeine Frau ſei, dieſelbe Alfreda, die er dem König als ſo häßlich geſchildert. Der König geräth in den heftigſten Zorn, und die ſchöne Alfreda, die nun erſt erfährt, um welche Hoheit und Größe ſie von Godofre betrogen wor⸗ den, iſt, ihrem Charakter getreu, auf der Stelle bereit, dem Könige zu folgen, der ihr ſeine Hand anträgt. Go⸗ dofre hat nichts Beſſeres zu thun, als auf der Stelle wahnſinnig zu werden. Daſſelbe thut Liſandra über die Untreue des Königs und hat bereits früher der amante non corrisposto Selandio gethan, ſo daß wir nun drei Wahnſinnige haben und das Stück dazu als vierten. Der Vermählung des Königs mit Alfreda ſteht das Leben ihres bisherigen Gatten im Wege. Der König will es kurz abthun und ihn hinrichten laſſen, was aber dem Zartgefühle Alfreda's widerſtrebt. Wie ſoll nun alles
das enden? Auf die natürlichſte oder vielmehr unnatür⸗ Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 21
322 Studien zum ſpaniſchen Theater.
lichſte Art von der Welt. Der tollgewordene Gatte kommt mit ſeinen und Alfreda's beiden Kindern auf dem Arme ins Königsſchloß und beſchwört ſeine Gattin, ihn nicht zu verlaſſen. Alfreda wird auch wirklich gerührt und will zu ihm zurückkehren. Als man aber den Hingeſunkenen aufheben will, findet ſich, daß er todt iſt. Das Hinder⸗ niß iſt nun gehoben, und Alfreda heirathet den König. Das Uebelſte bei der Sache aber iſt, daß dieſes Stück im neunten Bande von Lope 's dramatiſchen Werken vor⸗ kommt, dem erſten, deſſen Herausgabe der Verfaſſer ſelbſt beſorgte, welcher Band, ſo weit ich ihn bis jetzt geleſen habe, wirklich nur vergleichungsweiſe gute Stücke enthält, ſo daß es ſcheint, daß dieſe hermosa Alfreda dem Dichter ſelbſt gefallen habe. Das wäre denn freilich, wie geſagt, ein doppeltes Unglück. Es mag wohl viel Beifall gehabt haben; bunt genug wenigſtens iſt es. Los Ponces de Barcelona. 1 Der erſte Akt läßt
»ſich recht gut an. Don Pedro Ponce, der Sohn eines
reichen, aber geizigen und harten Vaters, heirathet eine arme Malerstochter. Nach dem Tode ihres Vaters, der das junge Paar von dem Ertrage ſeiner Kunſt erhalten hat, führt Don Pedro, von Noth getrieben, ſein ſchwan⸗ geres Weib ſeinem Vater zu, der über die Heirath außer ſich iſt und geradezu verlangt, daß die Ehe getrennt werde. Zuletzt kommt er gar, mit einer Flinte bewaffnet, auf das Landgut, wohin der Sohn ſeine dem Gebären nahe Gattin gebracht hat, in der ausgeſprochenen Abſicht, den Ungehorſamen zu tödten. Dieſer, der fürchtet, ſich gegen ſeinen Vater zu vergeſſen, entfernt ſich, wobei er freilich nicht in Anſchlag bringt, daß nun der ganze Zorn ſich auf
1 Die Ponces von Barcelona.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 323
ſeine Gattin und ihr Kind entladen werde. So weit iſt Alles gut, ja die Perſonen ſind vortrefflich gehalten. Mit welcher Empfindung mochte wohl Lope de Vega das Lob des verſtorbenen Malers niederſchreiben, wenn Lucania ſagt:
Quedaronnos por hacienda
algunas pintadas tablas
bien hechas por detenidas
pocas por bien estudiadas. !
Es liegt in dieſen Verſen ein Verdammungsurtheil über ſeine eigenen Stücke, die er Augenblicks in die Welt ſchickte, und deren viele waren, weil ohne Ueberlegung geſchrieben.
Mit dem zweiten Akte fängt eine ganz neue Geſchichte an, die mit dem erſten eigentlich in gar keiner Verbindung ſteht: die Begebenheiten des Sohnes, den die verfolgte Lucrecia zur Welt gebracht hat und der mittlerweile ſchon zum Jüngling herangewachſen iſt. Er iſt Gärtner und dient mit ſeiner Mutter, unerkannt, in dem Hauſe eines Gutsherrn, deſſen Vater die Hilfloſen aufgenommen hat. Eine wechſelſeitige Liebe zwiſchen ihm und der Tochter ſeines Herrn findet ein unüberſteigliches Hinderniß in der Ungleichheit des Standes. Eine Reihe wenig bedeutender Liebes⸗ und Eiferſuchtsſcenen, wobei ſelbſt die noch immer ſchöne Mutter Lucrecia ihre ländlichen Bewerber findet, endet mit der Zurückkunft des vermißten Vaters. Dieſer iſt bis Konſtantinopel gekommen, hat dort den berüchtigten Barbaroſſa von einer Waſſerſucht geheilt, was höchſt rühmend erwähnt wird, obwohl dieſer dadurch in den
1 Es blieben uns als Habe einige Gemälde, und zwar gut ausge⸗ führte, weil ſie zurückbehalten wurden. Wenige, aber gut ausgeführte.
un
Stand geſetzt wurde, Karl dem Fünften als Gegner in den Weg zu treten. Die Ankunft des Vaters löst den Knoten. Der Sohn iſt dadurch ebenbürtig geworden, und die Heirath geht vor ſich.
La Varona Castellana. 1 Der erſte Alt prächtig, ganz in der beſten chronikaliſchen Manier Lope de Vega's. Der dritte mag hingehen. Der zweite iſt dem Teufel. Die Geſchichte der Thronbeſteigung Alfons VIII., merk würdiger Weiſe in einer andern Verſion, als ſie in einem andern Stücke Lope de Vega's vorkommt. Damit iſt die Liebesgeſchichte der Varona Castellana, Doña Maria Perez, verflochten, die eigentlich das Schlimme an der Sache iſt. Sie erſcheint als ein heldenmüthiges Mädchen, die von ihren zwei Brüdern aus Beſorgniß für ihre Ehre von allen männlichen Beſuchern entfernt gehalten wird. Der Infant von Navarra, Don Vela, der gekommen iſt, um die Brüder zur Hilfe für den jungen Alfons aufzu: fordern, dem von ſeinem Stiefvater, dem Könige von Arragonien, ſein Reich vorenthalten wird, gelangt durch Beſtechung eines Dieners dazu, ſie als Bote verkleidet zu ſehen, wo denn eine wechſelſeitige Neigung entſteht.
Die Brüder, als ſie in den Krieg ziehen, nehmen die Schweſter, um ſie nicht allein zurückzulaſſen, als Page verkleidet mit ſich. Unterdeſſen haben die Großen von Kaſtilien beim Papſte es dahin gebracht, daß die Ehe des Königs von Arragonien mit Alfons Mutter wegen naher Verwandtſchaft aufgelöst wird, ſo daß Jener, ſeines Scheinanſpruches beraubt, Kaſtilien aufgeben muß. Sehr ſchön die Scene, als die Großen Kaſtiliens ihren jungen König im Gebirge aufſuchen, wo er, mit Herrſchergedanken
1 Die tapfere Caſtilianerin.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 325
beſchäftigt, die Bäume des Waldes, den Einen als ſeinen Kanzler, den Andern als einen ſonſtigen Beamten an⸗ ſpricht, und ihre furchtſamen Meinungen mit ſeinem eigenen Muthe zum Schweigen bringt.
Um die verwittwete Königin wirbt übrigens D. Pedro de Lara, nicht unerhört. D. Vela von Navarra glaubt indeſſen in dem verkleideten Pagen Dofa Maria Perez zu erkennen. Sie läugnet geradezu, und um ihn völlig zu desorientiren, begehrt ſie von ihm ſeinen Diener, um ſie auf einem verliebten Abenteuer mit einer Dame zu be⸗ gleiten. D. Vela, der ſich auf dieſe Art ſeiner Liebe ent⸗ rückt findet, bewirbt ſich gleichfalls um die Hand der Kö⸗ nigin.
Nun kommen die Großthaten der Varona Caſtellana, von denen die erſte ſehr hart an den Unſinn ſtreift, oder ihn vielmehr völlig erreicht. Es iſt ein Löwe ſeinem Käfig entſprungen, vor dem alles flieht, den aber Dona Maria einfängt und an eine Säule im Palaſte feſtbindet. Ueber denſelben Löwen kommen D. Pedro de Lara und Don Vela in Streit, zufolge deſſen fie ſich fordern. Dona Maria, unter dem Deckmantel der Nacht, nimmt die Stelle Don Vela's ein und beſiegt den Gegner deſſelben im Zwei⸗ kampfe. Da indeſſen der König von Aragonien ins Land gefallen iſt, ficht ſie die Schlacht mit, trifft einzeln auf den König, beſiegt ihn und bringt ihn gefangen ins Lager. Da ſich nun alles aufklärt, kehrt auch D. Vela zu ſeiner Liebe zurück und wird Dona Maria's Gatte.
Los melindres de Belisa. 1 Ein verzogenes Mäd⸗ chen, dem die Albernheiten als Kind ſo wohl angeſtanden haben, daß ſie ſich ſpäter nicht entſchließen konnte, als
1 Die Zimperlichkeiten Beliſa's.
—
0 ABE den Schuldner au perſonen in dem Hauſe des $ eben ein junger Mann, Feliſa ſeine Geliebte, Celia, vor den varreſen vertheidigend, dieſen wundet hat. Die ans Haus werden für die verfolgende Kri Feliſardo und Celia, um unerf, Kleider der eben abweſenden b freundes an. Das hat aber zu thum des Schuldners in die Pf das Haus von Beliſa's Mutter ſteht ſich von ſelbſt, daß Beliſa Bruder D. Juan, eben ſo verzo, derbern Manier, ſich in die vern liebt. Das gibt denn Anlaß 3 Scenen, bei denen die Zimperlichk gewachſenen Kindes die Haupti Letztere hat ſogar ein paar hinre Art eines muſikaliſchen Solo's od denen ſie ſich über ihren Charakter ſpricht. Da e. .
Ueber Lope de Bega’s dramatiſche Dichtungen. 397
befindet. Feliſardo und Celia werden vereinigt, die Mutter muß ſich tröſten, und für die zimperliche Beliſa findet ſich jener früher ausgepfändete Schuldner, der es kein Hehl hat, daß er hauptſächlich ihr Gold im Auge habe.
El galan de la Membrilla. 1 Der Hauptreiz dieſes Stückes für das Publikum von Madrid beſtand wohl darin, daß die Handlung in zwei nahe von der Hauptſtadt lie⸗ genden Dörfern, Membrilla und Manzanares, vorgeht. Mit der Erfindung der Fabel hat ſich's Lope nicht ſchwer gemacht. D. Felix, der Sohn eines armen Edelmanns aus Membrilla, liebt die Tochter eines reichen Landman⸗ nes aus Manzanares, um die ſich zugleich ein reicher Bauernſohn aus letzterem Orte, Ramiro, bewirbt. Der Vater des Mädchens fügt ſich endlich und gibt dem armen Edelmann eine Summe Geldes, um ſich damit an den Hof zu verfügen und vom Könige eine Belohnung für geleiſtete Kriegsdienſte zu erbitten. D. Felix iſt nicht glücklich in ſeinen wiederholten Geſuchen, und da zugleich ſein Geld und die ihm von dem Vater der Geliebten geſetzte Friſt zu Ende gehen, kehrt er heimlich nach Manzanares zurück und bewegt das Mädchen, mit ihm zu entfliehen. Sie begeben ſich zum Heere vor Granada und zwar Leonor in Männerkleidern, denen ſie durch Tapferkeit ſo viel Ehre macht, daß der König ſie zum Hauptmann ernennt, eine Würde, die ſie als zu groß von ſich ablehnt und auf ihren eben abweſenden Bruder (D. Felix) überträgt, indeß- fie ſich ſelbſt mit der Fähnrichsſtelle begnügt. In Manzanares hat man indeß Spottgedichte auf Leonor's Flucht gemacht, die der unglückliche Nebenbuhler Ramiro vor dem Hauſe des Vaters abſingen läßt. Von dieſen Unwürdigkeiten hat
1 Der Liebhaber von La Membrilla.
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durch den beleidigten Vater niß geſetzt worden iſt, und Auftrag zur Vollziehung der dieſes Befehls wird dadurch von Granada abzieht. Auf Felix und die verkleidete Leon einquartiert, wo denn das wehenden Fahne ſich recht gu Um es kurz zu machen: Die König verzeiht, der Vater auch, La venganza ventur vor vielen andern Lopes den heiten im Kreiſe des Möglichen Wahrſcheinlichen, bleiben, die ip laxe Moral jener Zeit vorau, Luſignan trägt Verlangen zu armen Edelmanns Feliciano. 1 langen, gibt er ihr ein ſchriftlic ausgeſprochenen Abſicht, es in 1 Bei dem nächtlichen Stelldichein That von dem Vater überraſcht
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über eine Verachtung ſeiner Ehre, außer ſich kommt. Er ſchreibt ſeinem Sohne Liſardo, der ſich in Portugal bei der Armee befindet, und beauftragt ihn mit der Rache. Dieſer nimmt einen Freund Celio und einen gemeinen Sol⸗ daten Trebacio mit und begibt ſich nach Madrid. Dort findet er durch fingirte Empfehlungsbriefe Mittel, in die Dienſte des Marques als Sekretär einzutreten, und wartet auf Gelegenheit, ihn meuchelmörderiſch aus der Welt zu ſchaffen, was man damals als Rache für beleidigte Ehre, einem Mächtigen gegenüber, für nicht unerlaubt gehalten haben mag. Es kommt aber anders, als er glaubte. Der Marques, nachdem er ihm einmal, um ihn ſicher zu machen, ſcheinbar das Leben gerettet hat, überhäuft ihn mit Wohl⸗ thaten, ſo daß ein Gefühl der Dankbarkeit ihn bei jeder günftigen Gelegenheit zurüdhält. Einmal will er ihn eben vergiften, als aber der Marques den Becher ergreift, macht er ihn, von plötzlicher Reue überfallen, glauben, es ſei eben eine Spinne in das Gefäß gefallen, und gießt den Inhalt weg, was denn bei dem damaligen Glauben an die giftige Eigenſchaft der Spinnen wieder für eine Lebens⸗ rettung gilt, und die Wohlthaten des Marques ſteigert. Der Soldat Trebacio, der als Diener Liſardo's figurirt, hat indeſſen der Schweſter des Marques, Flora, glauben gemacht, ſein Herr ſei ein Sohn des portugieſiſchen Her⸗ zogs von Aveiro, der, in ſie verliebt, ſich als Sekretär ins Haus eingeſchlichen. Der Dame hat der hübſche junge Mann ſchon früher gefallen, und der ins Vertrauen gezo⸗ gene Marques glaubt noch ein gutes Geſchäft zu machen, wenn er ſeine Schweſter mit dem reichen Herzogsſohne ver⸗ mählt. Die Verlobung geſchieht, und das iſt denn die glückliche Rache. Als der Marques den Betrug erfährt, meint er: das haben nicht die liſtigen Erfindungen eines
und Spiel⸗Intentionen. D vortrefflich, iſt es in dieſt wöhnlich. 5 Sonderbar iſt, daß Fel ſich in der Mitte des Stücke liebt, am Schluß aber zurüd dern Heirath abfinden laſſen der Verfaſſer die ſonſt kahle? wollte, oder aber von vornl einig war, auf welche Art e Da wäre denn Celio Felipa's Idee der Doppelheirath kam Wer dieſem Zweifel wider eilung und Schleuderhaftigfei: ger außerordentlichen Dichters Don Lope de Cordon derlichſten Begebenheiten zufc eben eine Geſchichte des ſpan geleſen. Der preist an Lope d thum feiner Erfindungen. N ehrer der Erfindungsgabe und
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Ueber Lope de Bega’3 dramatiſche Dichtungen. 331
herbeigeführten. Aber auch letzteres findet in dem vorlie⸗ genden Stücke nicht Platz. Die Ereigniſſe wären kaum für ein Melodram gut genug, und die Ausführung iſt ober⸗ flächlich und gemacht. Höchſtens wird er ein wenig warm in der Scene, wo D. Lope de Cordona ſeine todtgeglaubte Frau in Soldatenkleidern wieder findet und ihn die Aehn⸗ lichkeit zu Liebesäußerungen hinreißt, die der vermeinte Kriegsmann wie natürlich ſehr unſchicklich findet, was denn mitten in der Verzweiflung einen halb komiſchen Effekt macht, auf den wahrſcheinlich auch gerechnet war. Der Stoff iſt offenbar aus einer Romanze genommen, in die ſich der Dichter auch an einer Stelle verirrt, im zweiten Akte nämlich, wo der König befohlen hat, auf den Helden des Stückes zu ſchießen, wenn er ſich der Stadt nähere. Da ſagt denn der Königsſohn D. Pedro: „Der König befahl, daß man auf ihn ſchieße, er aber ſprach in fol⸗ gender Weiſe,“ und nun fängt D. Lope an, zu ſprechen, wie jener angibt, daß er bereits geſprochen habe, in der Romanze nämlich. Der Inhalt iſt ein buntes Gemenge von Unterthanentreue und Undank der Könige. Der Kron⸗ prinz verliebt ſich, unerhört, in D. Lopes Gattin. Als letzterer den Krieg zwiſchen Sicilien und Arragonien durch einen Zweikampf entſcheiden will, ſtellt man ihm, in der Rüſtung des Kronprinzen, ſeinen eigenen Vater entgegen, den man zu dieſem Ende aus dem Gefängniß geholt hat. Damit es auch an Eiferſucht nicht fehle, fällt D. Lope ein Brief ſeiner erprobten Gattin in die Hände, den dieſe im Namen der verliebten Prinzeſſin von Sicilien an den Kronprinzen von Arragonien geſchrieben hat, wo denn D. Lope nicht einen Augenblick anſteht, ſie für untreu zu halten, und was denn der eigentlichen Albernheiten mehr ſind. Man hat eine geringe Meinung von den Vorzügen
332 Studien zum ſpaniſchen Theater.
eines Schriftſtellers, wenn man auch ſeine Fehler für Vor⸗ züge ausgeben will.
Der Verfaſſer jener Geſchichte des ſpaniſchen Theaters iſt ein übriggebliebener Romantiker. Die Romantik nicht im Sinne der heutigen Kunſtrichter genommen, wo ſie eines und daſſelbe mit der Poeſie iſt, die ſie verbannen wollen, ſondern im Sinne jener Nebler und Schwebler zu Ende des vorigen und Anfang des gegenwärtigen Jabr: hunderts. Dieſen Leuten iſt der Unverſtand ein nothwen⸗ diges Ingrediens jeder Poeſie, weil ihnen der Verſtand proſaiſch ſcheint. Sie befinden ſich mit einem Lieblings⸗ autor aus alter Zeit in der Lage eines Erwachſenen gegen⸗ über einem reichbegabten Kinde, das ſie bewundern und dem ſie ſich zugleich überlegen fühlen, was denn ein Feſt für die Kunſtliebe und für die Eitelkeit zugleich iſt. Ja ſelbſt für die Bewunderer Shakeſpeare's liegt der Haupt: genuß darin, daß ſie Dinge aus ihrem Eigenen hineinlegen können, von denen ſich die übrigen Menſchen nichts träu⸗ men laſſen.
D. Beltran de Aragon. Hat mir nicht den Eindruck der übrigen Lope ſchen Schauſpiele gemacht. Im erſten Akt eine Intrigue mit einem verſchenkten, durch vier Hände gehen⸗ den Ring, die gar keinen Einfluß aufs Ganze nimmt. Im Uebrigen D. Beltran, der einen armen Edelmann, D. Juan Abarca, in Schutz nimmt und in den Dienſt des Kronprinzen, nachmaligen Königs, bringt, in deſſen Gunſt er immer ſteigt, während der Günſtling D. Beltran, durch Neider verläumdet (denen der König, wie alle Lope'ſchen Könige, ohne Umſtände glaubt), deſſen Vertrauen verliert und, endlich verbannt, aller ſeiner Güter beraubt wird. Selbſt
1 Don Bertram von Aragonien.
4
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 333
D. Juan, der treu an dem Verbannten gehalten, fällt endlich von ihm ab, da er glauben muß, daß er ſeine, D. Juans Schweſter, die, vom Hörenſagen in ihn verliebt, ihm in Pagenkleidern unerkannt dient, verführt und ent⸗ ehrt habe. Don Beltran, von D. Juan aufgefordert, kehrt an den Hof zurück, wird gefangen, zum Tode ver⸗ urtheilt. Don Juan, obgleich ſich von ihm verrathen glaubend, erbietet ſich, für ihn im Zweikampf zu ſtreiten. Die allſeitige Unſchuld wird entdeckt, die nothwendigen Heirathen werden geſchloſſen u. ſ. w.
Das Beſte der dritte Akt, nebſt dem Schluß des zweiten, wo D. Beltran im großartigen Sichgehenlaſſen des Un⸗ gläcks feine beiden Begleiter, den mädchenhaften Pagen und den tölpiſchen Bedienten, als Rathgeber befragt, ob er an den Hof zurückgehen ſoll oder nicht, und ihrer Mei⸗ nung wie einer Vorbeſtimmung folgt.
La noche Toledana. 1 Liſena, von ihrem Lieb⸗ haber aus Eiferſucht verlaſſen, verdingt ſich, in der Hoff— nung, ihm auf die Spur zu kommen, als Kellnerin in einem Wirthshauſe in Toledo. Der Ungetreue kommt wirklich, verliebt ſich aber, in eine zum ſelben Wirths⸗ haus gelangte Fremde, Gherarda, der bald auch ihr Bräutigam, Fimo, nachfolgt. Zwei toledaniſche Ritter, ein abgeſchmackter Hauptmann mit ſeinem nichtsnutzigen Fähnrich, vermehren die Geſellſchaft und machen theils jener Gherarda, theils ihrer Freundin Lucrezia, die meiſten aber der verſchmitzten Kellnerin den Hof. Letztere ver⸗ ſpricht den Einen Gelegenheit zu machen, den Andern ihren eigenen Beſuch für die Nacht und weiß die Verliebten ſo in die Zimmer zu vertheilen, daß Gherarda mit ihrem
1 Die Nacht von Toledo.
Bräutigam, der Hauptmann mit dem Fähnrich, ebenſo die Toledaner mit einander, ſie ſelbſt aber mit ihrem Flüchtling Florencio zuſammenkommt, wo denn, da der Vollzug der Ehen im Dunkeln vorangegangen, dem förm⸗ lichen Abſchluß derſelben nichts weiter im Wege ſteht. Gute Figuren der Hauptmann und Florencio's Freund Beltran, ein luſtiger Genußmenſch. Die Atrappen im letzten Akt etwas unbeholfen, aber ergötzlich. Beſonders die Flucht Florencio's und Beltrans über die Dächer, da ſie ſich von Gerichtsdienern verfolgt glauben, dafür aber ihnen gerade in die Hände fallen. Ebenſo der Schluß, wo aus allen Zimmerthüren des Wirthshauſes wie aus einer Arche die unreinen Thiere, herausgenöthigt werden. Uebri⸗ gens muß das Schamgefühl der Schauſpielerinnen nicht groß geweſen ſein, wenn ſie über ſich gewinnen konnten, auf die Scene zu treten, nachdem dem Publikum bekannt geworden, daß ſie eben nur „genoſſen“ worden ſeien.
El triumfo de la humildad y sobervia aba- tida.! Die Geſchichte von zwei Brüdern, Herzogen und ſpäter Königen von Albanien. Der ältere hochmüthig, der jüngere demüthig. Der ältere mißhandelt den andern auf jede Art, nimmt ihm ſogar ſeine Braut weg, was ſich dieſer ergebenſt gefallen läßt. Da kömmt Isbella, die Tochter des gefangenen und gleichfalls mißhandelten Königs von Macedonien, mit einem Heere ins Land. Der ſtolze Trebacio ſieht ſich nothgedrungen, dem jüngeren Bruder Filipo die Führung des Heeres anzuvertrauen. Isbella wird von Filipo perſönlich gefangen, wobei ſich die Beiden in einander verlieben. Trebacio aber begehrt, daß ihm Filipo auch dieſe neue Geliebte abtrete. Da
1 Der Triumph der Demuth und der erniedrigte Stolz.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 335
wird es aber den Großen und dem demüthigen Filipo zu viel, und ſie verjagen in einem Aufſtand den Tyrannen. Dieſer flüchtet ſich zu Kohlenbrennern, kommt in der Folge mit einem Kohlentransport nach Hof, wo ihn Niemand kennt, und muß, da bei der Krönung des jüngern Bruders die Stufen des Throns ſich zu hoch vom Boden finden, ſeinen Rücken als Fußſchemel hergeben. Das iſt denn die Erniedrigung des Stolzen und die Erhöhung des Demü⸗ thigen. Es fehlt nicht an einzelnen guten Scenen, z. B. eine räthſelhafte Hirtin Liſena, die in prägnanten Mo⸗ menten vorübergeht und, ſich auf einem Inſtrumente be⸗ gleitend, das Lob der Demuth und die Verwerflichkeit des Hochmuths ſingt. So wie, wenn der gewaltthätige Trebacio mit der ſeinem Bruder geraubten Braut in die Kirche eintreten will, dort eben das Magnificat angeſtimmt wird, wo denn die Schlußverſe: Deposuit potentes de sede et exaltabit humiles, ihren Eindruck nicht verfehlen. Die Haltung der Perſonen aber und die Führung der Fabel iſt im höchſten Grade roh und willkürlich. Trebacio iſt eben nichts als hochmüthig, und Filipo die Demuth ſelbſt. Die Scene, wo ſich Filipo und die ſtolze Isbella auf dem Kampfplatze verlieben, äußerſt oberflächlich und ohne überzeugende Motive abgemacht, höchſtens ſagt die Prinzeſſin gleich zum Eingang: buen talle tienes.“ Lope beſitzt durchaus nicht die Gabe Calderons, den abſtrakten Gedanken mit Fleiſch und Blut zu bekleiden, bei ihm iſt nur das Ereigniß lebendig. Uebrigens die Haltung der frühern Geliebten, Feliſarda, deren Wiedererſcheinen nach der Vertreibung des Tyrannen jeden Dichter in Verlegen⸗ heit geſetzt hätte, ganz mit Lope's ſicherm Naturgefühle
1 Du beſitzeſt einen guten Wuchs.
behandelt. Unter den Perſonen iſt auch eine Art Gracioſo, ein Spanier Lope, der ſeinem Herrn Filipo den Wunſch zu erkennen gibt, ſein Chroniſt zu werden, da es gar zu ſchwer ſei, immer der Menge zu gefallen. Lope de Vega's eigener Wunſch, auf den er in mehreren ſeiner Komödien anſpielt. (Bei Gelegenheit von Schacks Geſchichte des ſpaniſchen Theaters und der Verbreitung deſſelben im übrigen Europa, bemerke ich auch, daß zur Zeit Holbergs in Kopenhagen ein deutſcher Schauſpieldirektor war, der, wie es ſcheint, Stücke aus oder nach dem Spaniſchen daſelbſt darſtellte. Siehe Holbergs: Zauberei oder blinder Lärm.)
El amante agradecido. 1 Die Dankbarkeit dieſes Liebhabers D. Juan rührt daher, daß Dona Lucinda, die er in Toledo auf der Straße kennen gelernt, ibm mit Geld aushilft, als er ſich in ſeinem Wirthshauſe beſtohlen findet. Er kann auf dieſe Art in ſeine Heimath Sevilla zurückreiſen. Aber auch Lucinda iſt von ihren Oheim eben dahin gebracht worden, da um ihretwillen in Toledo ein Duell vorgefallen und in demſelben Einer ihrer Bewerber getödtet worden iſt, ſo daß der Oheim, den ohnehin Geſchäfte nach auswärts rufen, ſie zugleich vor den Nachforſchungen der Gerichte ſicher ſtellen will. Er bringt fie dort, ohne es zu ahnen, in ein höchſt ver: dächtiges Haus, zu einem alten Weib, die nicht viel beſſer als eine Kupplerin iſt. D. Juan, der als Begleiter eines Freundes auf die Spur des friſchangekommenen Wildes geht, erkennt ſeine Geliebte aus Toledo, und da alle Umſtände gegen ihre Ehrbarkeit ſprechen, beſchließt er, ſie auf eine höchſt wunderliche Probe zu ſtellen. Er ver⸗
1 Der dankbare Liebhaber.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 337
kleidet ſeinen Diener als reichen Indianer, der ihr auf die plumpſte Art Anträge macht, und da ſie dem Poſſen⸗ reißer widerſteht, iſt er völlig von ihrer Unſchuld über⸗ zeugt. Er trägt ihr trotz ihrer Armuth ſeine Hand an, und nun wäre die Komödie eigentlich zu Ende. Da der dritte Akt aber noch nicht die erforderliche Länge hat, werden noch eine Menge Ereigniſſe angereiht, worunter auch gehört, daß D. Juan ſeine Braut in das Haus ſeiner Mutter, ſein eigenes, bringt, wo ſie aber von ſeinem Oheim D. Pedro auf's Schmählichſte ausgewieſen wird. Bei dieſer Gelegenheit kommt ein Zug vor, der allein ein ganzes Stück von gewöhnlicher Mache werth iſt. Nach⸗ dem der Oheim D. Juans ihr alles Erniedrigende geſagt und ſie eigentlich zur Thüre hinausgeworfen hat, verſetzt ſie, ſich auf ihr reines Verhältniß berufend:
pero por el respeto, que se deve
a una muger no mas, no porque sea,
ni aya de su jamas lo que decia,
embiadme acompaüada de algun hombre
que soy muger de bien y forastera. !
worauf D. Pedro einen Diener ruft und ohne Reue oder weitere Reflexion ihm befiehlt: Llevad aquesta dama, adonde ella os dixere. ?
Man kann die Ehrenhaftigkeit des Spaniers und die Achtung gegen das Geſchlecht nicht prägnanter zeichnen.
1 Aber um der Achtung willen, die man einer Frau, bloß darum, weil ſie eine iſt, ſchuldig iſt, und damit ihr nie das geſchehe, was ihr ſagt, ſchict mich in Begleitung irgend eines Mannes fort, denn ich bin eine rechtſchaffene Frau und eine Fremde.
2 Führt jene Dame, wohin ſie es Euch befehlen wird.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 22
Darum wiederhole ich: wenn man Lope de Vega wieder auflegt, muß man keines ſeiner Stücke weglaſſen, es iſt kaum Eines, welches derlei herrliche Züge, oft wo man es am wenigſten ſucht, nicht aufzuweiſen hätte.
Zuletzt kommt Lucindens Oheim zurück, und es findet ſich, daß von ihrem Vater, was weiß ich, wie viel tauſend Dukaten aus der neuen Welt für fie angekommen find, was denn die volle Belohnung des Liebhabers ausmacht.
Ueberhaupt iſt das Stück gar nicht uneben, der erſte Akt ſogar vortrefflich und auch die übrigen mit Rückſicht auf den höchſt einfachen Stoff ſehr gut mit allerlei Scenen und Geſpräch ausgefüllt.
Los Guanches de Tenerife. ! Die beiden erſten Akte ziemlich alltäglich. Die Geſchichte der Eroberung von Teneriffa durch die Spanier. Letztere ganz gut als Helden mit einiger Verſchiedenheit in den Individualitäten charakteriſirt. Die Eingebornen ſo einfach und unſchuldig dargeſtellt, daß man manchmal zu dem Glauben verführt wird, der Verfaſſer nehme Partei für ſie. Das Zuſammen⸗ treffen des Kapitän Caſtillo mit der Tochter des Königs von Teneriffa hat einige gute naive Pointen. Der Spaß, daß drei Spanier an eben ſo viele Mädchen von Teneriffa ihre Seelen im galanten Verſtande ſchenken und dieſe im wörtlichen Sinne nehmen, iſt, wenigſtens für uns, ziemlich froſtig. Die Spanier werden durch die Uebermacht ver⸗ trieben und der Kapitän Caſtillo bleibt als Gefangener bei der Königstochter zurück. Der dritte Akt endlich eröffnet die Hauptintention des Stückes: die Verherrlichung einer Senora de la Candela,? eines Muttergottesbildes, das, ich weiß nicht wie, in einer Grotte auf der Inſel zurückgeblieben,
1 Die Guanches von Teneriffa. 2 Unſerer lieben Frau von der Kerze.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 389
oder allenfalls durch ein Wunder dahin gekommen iſt. Die Spanier ſind zurückgekehrt, und einige Hirten, die ihre Heerden in Sicherheit bringen wollen, entdecken die Grotte, in der das Wunderbild verborgen iſt. Als ſolches zeigt es ſich ſogleich, da ein Eingeborner, der einen Stein nach ihr werfen will, mit ſteifgewordenem Arme ſtehen bleibt, und ein Andrer, der es mit dem Meſſer beſchädi⸗ gen will, ſich in die eigene Hand verletzt, ſobald ſie aber ſich mit Bitten an die Ueberirdiſche wenden, eben ſo ſchnell ſich wieder geheilt finden. Die Dankbarkeit dieſer Leute und die Art, wie ſie einfache Geſchenke darbringen, hat etwas Poetiſches. Von da an iſt dieſe Muttergottes der Mittelpunkt des Ganzen. In derſelben Grotte erſcheint dem Könige von Teneriffa der Erzengel Michael und er⸗ mahnt ihn, ſein Land den Spaniern zu übergeben und ſelbſt katholiſch zu werden, was er denn auch thut. Ja, der Kapitän Caſtillo, der der Königstochter im Angeſicht der damals noch unenthüllten Grotte und, dieſe zur Zeugen⸗ ſchaft, die Ehe verſprochen, ſpäter aber wenig Luft hat, ſein Wort zu halten, geht in ſich, als die Grotte ihren Schatz enthüllt, und wird der Gatte ſeiner Geliebten. La octava muravilla. 1 Tomar, König von Ben⸗ galen, will zum Gedächtniß eines erfochtenen Sieges dem Mahomet den größten Tempel erbauen, den es in der Welt gebe. Er läßt ſich daher von verſchiedenen Archi⸗ tekten Pläne vorlegen, worunter ein Spanier ihm den Abriß des Eskurials zeigt, den der König ſofort für das achte Wunder der Welt erklärt. Aber auch ſonſt begeiſtert er ſich aus den Erzählungen des Baumeiſters für Spanien, und deſſen König Philipp und beſchließt, ſelbſt mit einer
1 Das achte Wunder der Welt.
Flotte dahin zu reiſen. Dieſe Reiſe beſchließt der Vezier und des Königs Schweſter, deſſen Geliebte, zu benützen, um ſich des Thrones zu bemächtigen. Der König leidet Schiffbruch und wird, auf einer Planke ſchwimmend, auf den kanariſchen Inſeln von dem Kapitän Don Baltaſar aufgefangen und als Sklave zu ſeinen Verwandten nach Sevilla mitgenommen.
Einer dieſer Verwandten, D. Juan, hat ſeine Schweſter
D. Anna einem reichen Indianer zur Ehe verſprochen,
obwohl dieſe einen Andern liebt. Eben als der Sklave Tomar in Sevilla anlangt, hat jener Indianer, Gerardo, in Erfahrung gebracht, daß ſeine Braut D. Anna ein uneheliches Kind ſei, und ſein Wort zurückgezogen. In den Streitigkeiten, die darüber entſtehen, zeigt Tomar ſeine Tapferkeit und Rieſenſtärke, ja er verliebt ſich bei dieſer Gelegenheit in D. Anna, die ſich ihm gleichfalls
geneigt erzeigt, um jo mehr, als auch ihr früherer Lieb:
haber, D. Pedro, ſich zurückzieht, da er außer der Baſtard⸗ ſchaft auch erfährt, daß die Mutter ſeiner Geliebten noch dazu eine Maurin geweſen ſei. Der Bruder D. Juan tödtet den Indianer Gerardo im Zweikampf, und die Ya: milie muß nun fliehen. Sie gehen nach Madrid. Der Anblick der Stadt und des Königs Philipp ſteigert die Begeiſterung Tomars für Spanien. Edelſteine, die Tomar aus ſeinem Lande mitbrachte und die er jetzt verkaufen will, bringen ihn, ja ſelbſt ſeinen Herrn, in den Verdacht des Diebſtahls, und Tomar wird eingekerkert, wo ihn denn die übrigen Gefangenen, da er ſich mit einer Dublone freigebig zeigt, zum König des Gefängniſſes ausrufen. Der etwas dunkle Schlußvers des zweiten Aktes läßt zweifelhaft, ob er dieſes Ereigniß, oder die Stadt Madrid für das achte Wunder der Welt erklärt.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 341
Die Geſellſchaft kommt wieder nach Sevilla zurück, und hier eröffnet endlich Tomar ſeinen wahren Stand und wirbt um D. Anna's Hand. Die Verwandten haben nichts Beſſeres zu thun, als ſie ihm zu verſprechen und mit ihm nach Bengalen zurückzukehren. Dort hat indeß des Königs Schweſter und der treuloſe Vezier den Thron an ſich geriſſen, ja auf die Nachricht von Tomars Wieder⸗ kehr ſchicken ſie Leute, ihn zu fangen und zu tödten. Durch die alte Liebe ſeines Volkes und die Würde, mit der er den Mördern entgegentritt, bringt er jedoch das Land auf ſeine Seite und beſteigt wieder den Thron, den er mit D. Anna theilt. Er hat mittlerweile die Taufe und in ihr den Namen Philipp erhalten, ſo daß bei ſeiner fortgeſetzten Begeiſterung für Spanien alle ihm ausge⸗ brachten Viva Felipe! vom Publikum ſehr leicht auf ihren eigenen König Philipp (III.) bezogen werden konnten, welcher ſonach das achte Wunder der Welt vorſtellt.
Don Juan de Dios y Martin.? Die Stiftung eines Ordens der Hoſpitäler, beſonders für geheime Kranke gegründet. Da kommen denn Männer und Weiber, mit dieſem Uebel behaftet, und geriren ſich ohne Scheu, wo nur zu wundern iſt, daß ſich Schauſpieler und Schau⸗ ſpielerinnen für derlei Rollen gefunden haben. Das Ganze übrigens nach dem Schnitte dieſer Heiligengeſchichten, aber mit voller Wirkſamkeit. Sogar der gewöhnliche heilige Spaßmacher fehlt nicht, ein früherer Dieb, Spieler und Lump, deſſen Erbaulichkeit mitunter ſpaßhafte Rückfälle hat. Man muß die Spanier glücklich preiſen, ſo aus der Mitte ihrer eigentlichſten Natur ergötzt und erhoben wor⸗ den zu ſein.
1 Es lebe Philipp.
2 Don Juan de Dios (von Gott) und Martin.
342 Studien zum ſpaniſchen Theater.
El poder vencido y el amor agradecido,! oder wie der Titel heißt (denn ich habe das Buch bereits zurückgegeben). Wenn die Erfindung, daß ein zur Heirath Gezwungener, um feiner Braut einen Abſcheu zu erregen, ſeinen Bedienten die Stelle ſeiner einnehmen läßt und dafür ſelbſt als deſſen Bedienter figurirt — von Lope de Vega als erſtem Urheber — ſo iſt das Stück wegen Neu⸗ heit der Situation nicht ganz ohne Verdienſt, ſollte aber das Verhältniß ſchon früher einmal da geweſen und ſomit nur Nachahmung ſein, ſo iſt von dem Ganzen wenig Gutes zu ſagen.
El anemal de Ungria. In dieſem Stücke führt ſich Lope de Vega ſelbſt als der poetiſche Barbier Pablos auf, als welcher er ſich gegen die autos und überhaupt gegen die ganze (Calderon'ſche) Spekulations⸗Poeſie erklärt. Er habe immer nur menſchliche Dinge gemacht, und da jeder Tropf ihn tadle, wolle er die ganze Poeſie aufgeben. Als die Bauern von ihm tauſend Sonette auf den König verlangen, iſt er bereit, ſie auf der Stelle zu machen. Und da Einer glaubt, das ſei unmöglich, indem ſo viele Andere, wenn man von ihnen ein Gedicht für Weih⸗ nachten verlangt, damit erſt auf Johannis fertig werden, meint dagegen der Barbier:
faltales el natural que da cielo a quien el quiere.
Wunderlich allerdings, daß, indeß alle Perſonen des Stückes, wie natürlich, ſpaniſch reden, Lauro, als er den
1 Die beſiegte Macht und die dankbare Liebe.
2 Das Thier von Ungarn.
3 Es fehlt ihnen die natürliche Begabung, die der Himmel dem verleiht, den er will.
Ueber Lope de Bega’s dramatiſche Dichtungen. 343
kleinen Neffen des Grafen von Barcelona in der Einöde findet, erklären muß, daß er ſpaniſch verſtehe und alſo mit dem Kinde reden könne. Vielleicht iſt ein Spaß damit gemeint. Die Sache kommt übrigens bei Lope öfters vor.
Calderon und Lope de Vega ſprechen in Bildern. Aber Calderon iſt bilderreich und Lope de Vega iſt bildlich. — Calderon ſchmückt ſeinen Dialog mit ausgeſponnenen und prächtigen Vergleichungen. Lope de Vega vergleicht nichts, ſondern beinahe jeder ſeiner Ausdrücke hat eine ſinnliche Gewalt, und das Bild iſt nicht eine Ausſchmückung, ſon⸗ dern die Sache ſelbſt.
Sehr gut die kurze Scene, wo Kaſſandra die Königin um ihre Interceſſion beim Könige für D. Juan bittet. Die Königin iſt ſchon bei der erſten Erwähnung bereit, alles für den Spanier zu thun, Kaſſandra aber unerſchöpf⸗ lich in neuen Gründen für die Gewährung ihrer Bitte, worauf die Königin ihr immer wieder von neuem Ge⸗ währung zuſagt, ohne daß Kaſſandra aufhört, die bereits erhaltene Zuſage ſich noch einmal verſprechen zu laſſen.
Wohl wunderlich, daß D. Pedro dem Zorne ſeines Vaters entflieht aus Furcht, ſich gegen ihn zu vergeſſen, ſeine Gattin aber zurückläßt, die von dieſem Zorne mehr zu fürchten hat, als er.
El verdadero amante. ! In der Zueignung an ſeinen eigenen Sohn bezeichnet es Lope als das früheſte ſeiner Stücke, das er geſchrieben, als er das Alter dieſes ſeines Sohnes hatte. Zugleich wird von dieſem geſagt, daß er eben bei den Anfangsgründen der lateiniſchen Sprache ſei; Lope konnte alſo, da er jenes Stück ſchrieb, nicht älter als vierzehn oder höchſtens fünfzehn Jahre alt
1 Der wahre Liebhaber.
344 Studien zum ſpaniſchen Thcater.
geweſen ſein. Für das iſt es allerdings eine Art Wunder⸗ werk. Es theilt die Vorzüge, aber freilich auch die Fehler feiner ſpäteren Stücke, namentlich den Hauptfehler: die Unwahrſcheinlichkeit und Willkürlichkeit der Fabel. Man darf aber nicht vergeſſen, daß Lope's Zeit durch die Chro⸗ niken, Rittergeſchichten, Romanzen, Volkstraditionen, ja Novellen an das Wunderliche, Kindiſch- Märchenhafte ge: wöhnt war, und dieſe Auswüchſe nicht allein duldete, ſondern wahrſcheinlich ſogar forderte. Das pragmatiſch Begründete hätte ihm vielleicht langweilig geſchienen, und ein Volk, das in Glauben und Wundergeſchichten auf: gewachſen war, fand ſich bereit, auch im Theater zu glauben und ſich über nichts zu verwundern.
In derſelben Vorrede bekennt ſich Lope de Vega auch zu 900 Schauſpielen, ſo wie auch ſonſt ſo viel geſchrieben zu haben, daß der Druck nie das erreichen werde, was noch zu drucken da wäre, und doch habe er damit kaum den nöthigen Unterhalt erworben.
Merkwürdig iſt, daß er ſeinem Sohn von dem Stu⸗ dium der griechiſchen Sprache abräth. Ein deutlicher Beweis, daß er ſelbſt die Meiſterwerke Griechenlands nicht kannte. Seine Vorbilder waren alſo die Italiener und die römiſchen Autoren. Ein Umſtand, der vieles erklärt. Plautus und Terenz haben reichlich gefruchtet, und Seneca konnte ihm keine Luſt zum Trauerſpiele geben.
Bu...
Studien
5
Vhiloſophie und Neligion.
Ich möchte die Philoſophie eine Brille für das geiftige Auge nennen. Perſonen von ſchwachem Geſichte können ſich ihrer mit gutem Erfolg bedienen. Für ganz Geſunde und für ganz Blinde, iſt ſie ganz überflüſſig. Man hat ſogar Fälle, daß bei Erſteren durch unvorſichtigen Gebrauch dieſer Brille das Augenlicht etwas geſchwächt wurde.
Braucht keine Worte, möchte ich den Philoſophen zu⸗ rufen, die in einer andern Bedeutung, als in der ihr ſie braucht, ſchon gang und gäbe geworden ſind! Es iſt der erſte Schritt zur Begriffs⸗Erſchleichung. Was haben die Worte: Glaube, Heilig, Gott für Verwirrungen an⸗ gerichtet in unſeren Tagen!
Man kann jedes Ding dieſer Welt entweder einzeln für ſich, oder in Verbindung mit den übrigen Dingen be⸗ trachten. Im erſten Falle nimmt man die zu Grunde liegende Idee zum Maßſtabe, und ſchätzt das Ding nach dem Grade ſeiner Uebereinſtimmung mit dieſer, d. h. mit ſich ſelbſt, und ſpricht ihm ſonach eine Würde zu oder ab; im zweiten betrachtet man es als Zweck für andere Mittel oder als Mittel zu andern Zwecken, in ſtufenweiſer Unter⸗ ordnung und Fortbildung bis zu einem letzten Menſchheits⸗ zweck. Man ertheilt dadurch dem Dinge einen Werth und
348 Studien zur Philoſophie und Religion.
0 die Individualität ſinkt herab zum Träger jener neuen, einer allgemeinen Geltung.
Ich begreife nicht, wie die Idee vom moraliſchen Uebel jemals den Weltweiſen eine Schwierigkeit machen konnte. Wenn wir nicht eine individuelle und ſpecielle Vorſehung wollen, ſo mußte die Natur, um die Exiſtenz des Ge⸗ ſchlechtes zu ſichern, doch jedem Individuum einen ins Un⸗ beſtimmte fortwirkenden Erhaltungs⸗ und Vervollkomm⸗ nungstrieb mitgeben. Wenn nun zwei ſolche unabgegränzte Beſtrebungen zuſammentreffen, müſſen ſie ſich nothwendig faſſen, und das Uebel iſt da. Mißgunſt, Neid, Liſt, Ge⸗ walt, was weiß ich? Eine genau abgegränzte Sphäre aber, wie wäre die — um in der Sprache jener Leute zu reden — mit der Freiheit vereinbarlich? oder um vernünf: tiger zu reden — mit der Perfektibilität?
Die Idee fängt beim oberſten Kettengliede an und läßt ſich zum unterſten herab, der Begriff beginnt beim unter⸗ ſten Gliede und ſteigt zum oberſten hinauf: ſo gut es nämlich gehen will bei Beiden. In der Mitte der Kette pflegen gewöhnlich einige Glieder unſicher und mangelhaft zu ſein, bei dem Begriff mehr gegen oben zu, bei der Idee, wenn es näher gegen die Erde kommt.
Wenn Jemand glaubt, eine neue Idee (metaphyſiſche, moraliſche, anthropologiſche) gefunden zu haben, ſo kann er 99 unter hundertmal darauf zählen, daß ſie falſch ſei; denn es haben bis jetzt ſo viel geſcheidte, ja ausgezeichnete Menſchen gelebt, daß die wahren (bei vielen falſchen) ſchon
Studien zur Philoſophie und Religion. 349
wiederholt gedacht, geſagt und geſchrieben worden ſind. Hievon machen nur die naturwiſſenſchaftlichen eine Aus⸗ nahme, da ihr Feld unbegrenzt iſt und daſſelbe erſt ſeit etwa drei Jahrhunderten zweckmäßig bebaut wird.
Die Vernunft iſt nur der durch die Phantaſie erweiterte Verſtand.
Erinnerung ruft den Eindruck auf das Subjekt zurück, Einbildungskraft ſtellt zugleich das Objekt dar, von dem der Eindruck ausging. Ich erinnere mich eines geleſenen Satzes; ich ſtelle mir die Seite, die Zeile vor, auf denen er ſtand.
Der erſte Schritt vom Wahrnehmen zum Denken iſt nämlich, daß von den unter Einer Gattung zu ſubſu⸗ mirenden Gegenſtänden ſich ein Typus bildet, deſſen Vor⸗ handenſein und Zugrundeliegen bei jedem Begriffe man, auch noch in der höchſten Ausbildung der geiſtigen Kräfte, mit größerer oder geringerer Deutlichkeit gewahr wird. Dieſer Typus vertritt Anfangs die Stelle des Begriffes, und ſein Ausdruck iſt die Sprache, die eigentlich erſt den Begriff möglich macht. Durch öfteres Wiederkommen auf denſelben Gegenſtand und öfteres Hervorrufen ſeines Typus wird die Bildlichkeit dieſes letztern immer ſchwächer, und es bleibt endlich nur noch ſeine Form, der Eindruck, den er gemacht, gleichſam die Erinnerung, daß er da geweſen: ſo geht er in den Begriff über, den ich in ſeinem Entſtehen
- die Erinnerung einer Erinnerung nennen möchte.
Der Geiſt iſt nicht ein Ruhendes, ſondern vielmehr das abſolut Unruhige, die reine Thätigkeit, das Negiren oder die Idealität aller feſten Verſtandesbeſtimmungen — nicht abſtrakt einfach, ſondern in ſeiner Einfachheit zu⸗ gleich ein Sich⸗von⸗ſich⸗ſelbſt⸗unterſcheiden — nicht ein vor ſeinem Erſcheinen ſchon fertiges, mit ſich ſelber hinter dem Berge der Erſcheinungen haltendes Weſen, ſondern nur durch die beſtimmten Formen ſeines nothwendigen Sich⸗ offenbarens in Wahrheit wirklich, und nicht (wie jene Pſychologie meinte) ein nur in äußerlicher Beziehung zum Körper ſtehendes Seelending, ſondern mit dem Körper durch die Einheit des Begriffes innerlich verbunden.
Was wir Gefühlsvermögen nennen, iſt vielleicht eines und daſſelbe mit dem Denkvermögen. Dann wäre der Gedanke eine klare Vorſtellung, das Gefühl eine dunkle. Jeder Gedanke wirkt ſchon als Bejahung oder Verneinung, als Steigerung oder Herabſtimmung der Perſönlichkeit auf das Bewußtſein (Phyſiſche). Dieſe Wirkung iſt natürlich um ſo ſtärker, je mehr Gedanken auf einen und denſelben Punkt coincidieren. Klare Vorſtellungen können aber ihrer ſcharf gezogenen Gränzen wegen nur weniger Aſſociations⸗ berührungen haben; bei dunkeln Vorſtellungen aber laufen, eben des Unbegrenzten wegen, die Berührungen wie an einer elektriſchen Kette ins Unermeßliche fort, und jede der nach⸗ und mitklingenden trägt ihren Theil zur Nerven⸗ wirkung bei; es kann daher, wenn ſie auf ein weitaus⸗ greifendes Feld gerathen, wohl eine Oscillation des ganzen Weſens entſtehen, die ſo mächtig iſt, daß ſie ſich nicht dem Grade, ſondern der Gattung nach von der Wirkung des Gedankens zu unterſcheiden und als Gefühl abgeſondert
Studien zur Philoſophie und Religion. 351
dazuſtehen ſcheint. Wie der Gedanke auf das ſogenannte
Phyſiſche wirke, muß man freilich nicht fragen, ſondern er wirkt, und das iſt genug.
Man hat von dem Gewiſſen auf die wunderlichſte Art geſprochen, ja es geradezu für eine göttliche Stimme erklärt. Nun hat aber z. B. das point d'honneur, die lächerlichſte Empfindung, die je in eines Menſchen Bruſt Platz genommen, ein eben ſo lebhaftes Gewiſſen als das Moralgeſetz, und der Offizier, der in einem Streithandel eine Ohrfeige bekommen, bietet alle innern Erſcheinungen des Todtſchlägers oder Betrügers und dgl. Das Gewiſſen iſt eine angebildete Empfindung, heißt das; im beiten Sinne des Wortes; und ſteht in genauer Verbindung mit dem Grade der Einſicht in die Natur der Handlung und ihrer Folgen. Wo es nicht zuſammenfällt mit der Furcht vor Entdeckung und Strafe und halb thieriſch erſcheint, iſt es die Mißbilligung der That, verbunden mit dem entſetz⸗ lichen Gefühl der verlornen Selbſtachtung.
Wenn das Schreiben den Seelenzuſtand erleichtert, ſo ſollte man das Mittel auch nicht ſo ſelten in Anwendung bringen. Das Schreiben iſt für das Denken das Nämliche, was der Gegenſtand für die Vorſtellung iſt, nur dort von innen heraus, wie hier von außen hinein. Es fixirt die Kraft und ordnet, indem es beſtimmt. Wir glauben oft von etwas überzeugt zu ſein, weil uns das Reſultat an⸗ zieht und wir uns der Mittelglieder nicht völlig bewußt ſind. Indem wir uns die Gedankenverbindung einzeln vor die Augen legen, bemerken wir erſt den Abgang oder den
| Fehler, das Schreiben iſt daher zur Verdeutlichung nütz⸗ licher, als das Reden, weil das Wort entſchwindet, die Schrift aber bleibt.
Die übertriebene Religioſität kann in ihrer Wurzel ganz verſchieden ſein. Einmal entſteht ſie bei Perſonen von heißem Gefühl und glühender Einbildungskraft, die die Ueberſpannung dieſer Grundkräfte wie auf alles, ſo auch auf die Religion übertragen. Dann findet ſie aber auch ſtatt, bei Perſonen von dürftigem Gefühl und ohne alle Einbildungskraft, welche, da es der Menſch in einer ſol⸗ chen Wüſte nicht aushalten kann, gerade die bereits fer⸗ tigen Geſtalten der Religion mit hartnäckigem Eifer er⸗ greifen. Dieſer Enthuſiasmus iſt bei all ſeiner anſcheinen⸗ den Erhitzung doch ſeinem Weſen nach kalt, weil er nicht aus Wärme entſteht, ſondern nach Wärme trachtet.
Unſterblichkeit der Seele.
Nehmt ihr einen frühern Zuſtand der Seele an vor ihrer Vereinigung mit dem Körper? — Nein? Alſo iſt ſie bei der Geburt des Menſchen entſtanden; und warum ſoll ſie nicht vergehen können, wenn ſie entſtanden iſt?
Von dieſem frühern Zuſtande hat ſie keine Erinne⸗ rung, es iſt alſo folgerecht zu ſchließen, daß ſie nach dem Tode auch von ihrem dermaligen keine haben werde. Iſt das aber noch meine Seele, was keine Exinnerung, mithin kein Bewußtſein der Identität, keine Perſönlich⸗ keit bat?
Studien zur Philoſophie und Religion. 353
Könnte es denn nicht eine Unſterblichkeit geben für Diejenigen, die den höhern Theil ihres Weſens ausgebildet haben bis zur Geiſtigkeit, indeß die andern rohen Körper ſterblich wären, wie das Thier, das auch einen geiſtigen Theil hat, aber untergeordnet und ſchwach, ſo daß mit dem Tode des Körpers auch dieſer feinere Anflug zerſtäubt und vergeht? Das Vorherrſchende überwöge, und die Un⸗ ſterblichkeit wäre der Lohn, die eigentliche Seligkeit der Auserwählten.
Wenn man einmal die Sterblichkeit der Seele und das Nichtdaſein Gottes glaubte, dann wäre es allerdings trau⸗ rig und um alles Heil und Glück, um Tugend und Kunſt geſchehen; ſo lang man aber nur die Unſterblichkeit der erſtern und das Daſein des letztern nicht glaubt, hat es nicht viel zu bedeuten, und es geht alles ſeinen gehörigen Gang.
Der Grundfehler des deutſchen Denkens und Strebens liegt in einer ſchwachen Perſönlichkeit, zufolge deſſen das Wirkliche, das Beſtehende nur einen geringen Eindruck auf den Deutſchen macht. Dieſe Eigenſchaft äußert ſich in verſchiedenen Perioden auf eine ganz entgegengeſetzte Weiſe. Einmal läßt ſie ihn, wenn nicht ein gewaltiger Anſtoß dazu kommt, Jahrhunderte lang in dumpfem Hinbrüten fortvegetiren; iſt der Anſtoß aber einmal gegeben, ſo wirkt er beinahe mechaniſch fort, unaufgehalten, endlos, wie die Wurfkraft ohne Reibung thun würde, weil er in nichts einen Widerſtand findet. Wie Scheidewaſſer greift der deutſche Geiſt alles an: Gott, Willensfreiheit, Moral, Materie. Er bleibt bei keinem letzten ſtehen, weil nichts
einen ſo ſtarken Eindruck auf ihn macht, daß es eine Ueber⸗ Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 23
354 Studien zur Philoſophie und Religion.
zeugung für ihn in ſich ſelbſt ſührte. So iſt die deutſche Philoſophie weſentlich atheiſtiſch, und wenn in neuerer Zeit viel von Gott die Rede iſt, ſo iſt das nur eine willkür⸗ lich⸗geſetzte Gedanken⸗Barriere, um nicht ganz in die boden⸗ loſe Kluft hineinzufallen, die dahinter unausweichlich gähnt. Sie nehmen einen Gott an, ſtatt von ihm überzeugt zu ſein; er hat keine Wirklichkeit für ſie, ſie achten ihn als ihr Werk, nicht ſich als ſeines.
Man hat die franzöſiſche Literatur unmoraliſch genannt, die deutſche iſt es viel mehr. In Frankreich tritt die Un⸗ ſittlichkeit mit Frechheit auf, und der congeniale Theil des Publikums genießt ſie mit Uebermuth. In Deutſchland macht fi das Unmoraliſche als höhere Weltanſicht gel: tend, mitunter wie eine Art Gottesdienſt, und das Publi⸗ kum nimmt es hin als etwas, das ſich von ſelbſt verſteht und wogegen nichts einzuwenden iſt. Letzteres iſt bei wei⸗ tem das Gefährlichere, denn gegen Spitzbuben gibt es Kerker und Galgen, gegen die Grundſatzloſigkeit aber fin⸗ det ſich keine Schranke und kein Geſetz. Nichts deſto we⸗ niger iſt der Deutſche moraliſch im gewöhnlichen Leben, aber ohne Energie, weil ohne Ueberzeugung.
So ſind ſie Idealiſten, weil ſich die Materie nicht be⸗ weiſen läßt, und zwar aus demſelben Grunde, warum man das Licht nicht hören und den Schall nicht ſehen kann.
Und wenn die Menſchen einen Gott denken können, ſo iſt dieſer Gedanke ſchon ein Gott; vielleicht aber auch kein anderer Gott als dieſer Gedanke.
Es iſt höchſt wahrſcheinlich ein Mittelpunkt und Com⸗ plex des Göttlichen, wohl gar ein Anordnendes, Schaffen⸗ des, dem wir aber vielleicht näher kommen, wenn wir
N
Studien zur Philoſophie und Religion. 355
ſagen: es iſt kein Gott, als wenn wir nach unſern Be⸗ griffen ausſprechen: es iſt ein Gott.
Könnte nicht ein Atheiſt ſagen: die Idee der Gottheit ſei eine rein formale? Ohne Inhalt, bloß durch die Technik in der Einrichtung des menſchlichen Verſtandes bedingt? Wenn der menſchliche Geiſt ſo eingerichtet iſt, daß er ſeiner Natur nach von Wirkung auf Urſache ſchließen, von der Mannigfaltigkeit zur Einheit dringen muß, ſo wäre ja wohl möglich, daß er noch fortſchließt und fort⸗ ſubſumirt, wenn er, ihm unbewußt, in eine Sphäre ge⸗ räth, wo andere Grundlagen ganz andere Reſultate be⸗ dingen, wo ihm ganz eigentlich der Stoff ausgeht, und ſeine mechaniſch fortgehenden Funktionen gleich ſind denen eines leeren Magens, oder einer Mühle, die, einmal in Gang geſetzt, fortmahlt, wenn auch alles Getreide bereits verſchroten und kein neues aufgeſchüttet worden iſt.
Der Satz: die Dinge müßten urſprünglich gedacht ſein, weil ich ſie ſonſt nicht denken könnte, iſt gerade ſo, als wenn ich ſagte: ſie müßten urſprünglich gemalt ſein, weil ſie ſonſt der Maler nicht malen könnte.
Die Nothwendigkeit eines vernünftigen Urhebers aller Dinge wird gewöhnlich von ihrer Zweckmäßigkeit abge⸗ leitet; da aber, was nicht zweckmäßig iſt, gar nicht exi⸗ ſtiren kann, ſo ſollte man ſich wundern, daß überhaupt etwas iſt; ſich wundern, daß man ſich verwundert, und ſo weiter, oder umgekehrt verſuchen, ſich das Nichts zu denken, was auch wieder kaum gelingen wird. Die
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Gedanken ſpielen überhaupt da die Hauptrolle. Weil man etwas Nichtübereinſtimmendes denken kann, glaubt man, es könne auch ſein. Das iſt aber nicht wahr. Sein und Zweckmäßigkeit ſind eins und daſſelbe. Die ärgſte Miß⸗ geburt, die nur Eine Stunde lebt, iſt in Bezug auf das Leben dieſer Stunde zweckmäßig.
Die Syſteme der Philoſophen find wie die Sternbilder am Himmel und die Benennungen, die man ihnen gibt. Die Grund⸗Fakten des Bewußtſeins ſind die Fixſterne, nach denen, als den gegebenen Punkten, jeder die Linien zu einer beliebigen Figur zieht, die er dann benennt nach dem, was ihm individuell das Bedeutendſte ſcheint, und leicht ſeine Buchdruckerwerkſtätte, ſeine Friedrichs⸗Ehre, ſeinen poniatowskiſchen Stier u. ſ. w. am Himmel wieder⸗ findet. Da nun aber doch Alle dieſelben Sterne gelten laſſen müſſen, ſo liegt eigentlich an der Verſchiedenheit der Bilder ſo viel eben nicht.
Wenn die Menſchen von Gott reden, ſo kommen ſie mir vor, wie Lichtenbergs Kahlenberger Bauern, die, wenn ein Meſſer fehlt, dafür ein Stück Holz in die Scheide ſtecken, damit dieſe nicht leer ſei.
Es iſt falſch, daß die Vor⸗Kantiſche Philoſophie das Ding⸗an⸗ſich nicht gekannt habe. Wenn Spinoza an die Spitze ſeines Syſtems den Satz ſtellt: Gott iſt die Subſtanz, beſtehend aus unendlichen Attributen, von denen uns aber nur zwei, das Denken und die Aus⸗ dehnung, bekannt ſind, ſo gibt er ja ſtillſchweigend zu,
Studien zur Philoſophie und Religion. 357
daß eine unendliche Menge Modifikationen dieſer unend⸗ lichen, uns unbekannten Attribute gar nicht in unſere menſchliche Vorſtellung fallen, ja es hindert nichts, daß ſelbſt in jenem Kreis, den wir vorſtellen, Beſtandtheile jener uns unfaßbaren, göttlichen Weſenheiten enthalten ſind, die eben daher von uns unerkannt bleiben, und ſo das eigentliche Ding⸗an⸗ſich bilden, nicht allein unſerm Vorſtellen, ſondern ſelbſt unſerm Denken unerreicht.
Spinoza mag ſich wenden, wie er will: er hat ſich ſeinen Gott doch geiſtig gedacht. Seine Schöpfung hängt immer vom Verſtande Gottes ab, und wenn er alles auf motus und quies reducirt, ſo ſind Ruhe und Bewegung Eigenſchaften, die aus dem Begriffe ſelbſt nur dem Denken, der Materie aber nur aus der Erfahrung, oder aus einer Abhängigkeit vom Denken zukommen können. Seine Materie iſt daher kein Attribut, ſondern nur ein, wenn auch nothwendig mit der Subſtanz verbundener Modus, allenfalls ein Außereinander des Hegel.
Kant ſchikanirt den Ariſtoteles offenbar mit ſeinem Tadel gegen deſſen Aufſtellung und Begründung der Kate⸗ gorieen. Ariſtoteles ſtellte aber ſeine Kategorieen durchaus zu keinem transcendentalen, ſondern zu einem rein logi⸗ ſchen Zwecke auf. Sie ſprechen ihm die Form der Prä⸗ dikate in allen möglichen Urtheilen aus, ohne daß er ſich um ihre Herſtammung gerade beſonders bekümmerte. Ja, ſelbſt die Genauigkeit der Eintheilung liegt ihm nicht gar ſo ſehr am Herzen. Er will lieber ein Eintheilungsglied zweimal in zwei Gattungen aufführen, als daß es der Schüler vermiſſen ſollte, wie er es ſelbſt bei Erwähnung
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jener Grenzlinien ausſpricht, wo die Roos Tu und die ro zuſammenlaufen.
Gerade für Menſchen, bei denen das Gemüth vor⸗ herrſcht, ſind Kants Schriften höchſt nützlich. Da ſie von dem Ihrigen da anzuſtücken vermögen, wo Kant aufhört, indeß er ihnen Ordnung machen hilft in der Sphäre, die in ſeinem Bereich liegt. Trockene Verſtandesmenſchen müſſen durch Kants Philoſophie nothwendig ganz aus⸗ trocknen.
Trendelenburg glaubt Kant widerlegt zu haben, wenn er das Princip der Bewegung aufſtellt. Wie aber, wenn die Bewegung allerdings die primitive, weſenhafte Eigen⸗ ſchaft der Dinge wäre, den Geiſt gleichfalls als Ding (ens) genommen, könnte dann nicht Zeit und Raum noch immer die Form ſein, in der ſie der Vorſtellung erſchei⸗ nen? Ueberhaupt wenn Kant gemeint hätte, daß Zeit und Raum nur Formen der Anſchauung ſeien, ſo hätte er dadurch indirekt erklärt, daß er das Ding an ſich kenne, was er immer geläugnet.
Schelling fängt ſeine Philoſophie der Mythologie gleich von vornherein mit einem Unſinn an. Er meint, wenn die gewöhnliche philoſophiſche Anſicht der Mythologie un⸗ zureichend ſei, ſo müſſe man immer höher ſteigen, bis man endlich auf die letzte und daher (?) nothwendige Anſicht gelange. Wenn aber Mythologie nichts wäre, als ein Mangel an Philoſophie, ſo würde im Höherſteigen der Abſtand immer größer, und es wäre vielmehr ein Herabſteigen indicirt. Auf dieſelbe Weiſe haben ſich die
Studien zur Philoſophie und Religion. 359
Deutſchen ihre Anſicht über die Poeſie verdorben, die mit der Mythologie Geſchwiſterkind iſt.
Wenn Einer ein neues Land entdeckt, ſo macht nicht das entdeckte Land, ſondern der entdeckte Weg den Werth der Entdeckung aus. Schelling wäre noch immer kein Phi⸗ loſoph, wenn ſein letztes Reſultat zufällig auch wahr wäre.
Wenn die neueſten Vertheidiger Hegels ſagen: das menſchliche Denken ſei nur ein Nach denken deſſen, was in der Welt, den Dingen vorgedacht iſt, ſo muß man dagegen erwidern: Ihr nehmt ja auf die Dinge keine Rückſicht, ſondern bewegt euch nur im reinen Denken. Euer Denken iſt daher Eins mit dem göttlichen.
Die Nachtheile der Hegel'ſchen Philoſophie für die deutſche Bildung concentriren ſich vielleicht in folgenden Punkten. Erſtens hat er durch ihre, das Geſetz des Wider⸗ ſpruchs verſchmähende Spekulation, das natürliche Denken, was man den geſunden Menſchenverſtand nennt, beeinträch⸗ tigt. Zweitens durch ihre Schwerverſtändlichkeit, ja Unver⸗ ſtändlichkeit ans Nachbeten gewöhnt, das ſich in alle Fächer eingeſchlichen. Endlich durch ihre Verſicherung, daß von nun an die Welt durchſichtig geworden und das Räthſel des Univerſums gelöst ſei, einen Eigendünkel erzeugt, der in dieſer Schroffheit früher noch nie dageweſen.
Mir kommt die Hegel'ſche Philoſophie vor, wie das Chriſtenthum. Aus dem Gefaſel der Theologen ſollte man
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ſchließen, daß nach der Genugthuung Chriſti und der Tilgung der Erbſünde, die Menſchen nothwendig hätten befler werden müſſen; ſie find aber ſo ſchlecht, als je früher waren. Ebenſo wäre natürlich, daß, nachdem Hegel die letzten Gründe und den nothwendigen Zuſammenhang alles Wiſſens und Seins gelehrt, die Wirkungen davon ſich in den ſpeciellen Doktrinen zeigen müßten. Sie find» aber ſämmtlich auf der Stufe geblieben, auf der ſie vor Hegel waren. Die Nothwendigkeit hat auf die Zufällig⸗ keiten keinen Einfluß geübt, und um die * Zufalligkeiten eben wäre es uns zu thun.
Die Hegel'ſche Philoſophie, die monſtroſeſte Ausgeburt des menſchlichen Eigendünkels, ſcheint als Philoſophie endlich abgethan, ſie ſpukt aber noch immer als alma en penas in den meiſten Zweigen des menſchlichen Wiſſens fort; namentlich in der Geſchichte und in der Aeſthetik. Die erſtere knüpft noch immer alles an den ſich ſelbſt entwickelnden Begriff, an die nachweisbare Nothwendigkeit, an den immerwährenden Fortſchritt, indeß die Aeſthetik mit ihren dürftigen Begriffsbeſtimmungen, ſich den uner⸗ klärten Wundern des menſchlichen Innern nicht etwa zu nähern — was erlaubt, ja wünſchenswerth wäre — ſon⸗ dern ſie vollſtändig zu erreichen meint. Ich nenne die Erſcheinungen des Gemüthes wunderbar und unerklärlich wegen ihrer Zuſammenſetzung ins Unendliche, oder, wenn man lieber will, wegen des Zuſammenwirkens unberechen⸗ barer und unzählbarer Faktoren. Es iſt mit der Kunſt in der moraliſchen Welt nicht anders, als mit dem, was wir in der phyſiſchen: Leben, nennen, deſſen Abbild und Gegenbild im Geiſtigen ſie iſt. Durch dieſes Verfahren
Studien zur Philoſophie und Religion. N 361
verliert die Geſchichte ihren praktiſchen Werth, indem ſie den Zuſammenhang der Begebenheiten von der ſichern Erde weg in ein höchſt unſicheres und zweifelhaftes Mittelreich verlegt und das Streben in ein Zuſchauen verwandelt. Die Aeſthetik wird hemmend, da ſie das Zuſammenſpiel aller menſchlichen Kräfte der Geſetzgebung. einer einzelnen, der Denkkraft, unterwerfen will, die zwar alle andern überwachen ſoll, aber nur da entſcheidende Macht hat, wo auch die Gründe und Fälle der Entſchei⸗ dung auf ihrem eigenen Gebiete vorkommen. Daß, nach⸗ dem man die Methode Hegels verworfen hat, man noch immer ſeine Reſultate beibehält, liegt einerſeits darin, daß die gegenwärtige Generation unter dem Einfluß ſeines Syſtems herangewachſen iſt, anderſeits aber darin, daß dieſe Reſultate der menſchlichen Eitelkeit ſchmeicheln.
Alle Bildung geht ſchrittweiſe. Jeder Sprung, wenn er ein wirkliches Vorwärtskommen ſein ſoll, muß zurück⸗ gemacht und das Vorwärts ſchrittweiſe noch einmal durch⸗ gemacht werden. Siehe z. B. die Revolution der neunziger Jahre. Selbſt das Chriſtenthum, ſcheinbar der grellſte Abſchnitt, der unſere ganze Geſchichte in ein Dieſſeits und Jenſeits theilt, iſt keineswegs ſo verbindungslos, als man glauben will.
Freilich, wenn man die Chriſtuslehre mit dem Saturn zuſammenhält, der ſeine Kinder frißt, und dem Jupiter, der aus Liebe zum Stier wird, iſt der Abſtand bedeutend genug, aber Sokrates und Plato, Confucius und Zoro⸗ aſter, das Judenthum abgerechnet, liegen als Mittelglieder dazwiſchen. Oder glaubt man, daß, ehe dieſe Vermittlung eintrat, etwa zur Zeit des Miltiades oder Tullus Hoſtilius,
362 Studien zur Philoſophie und Religion.
des Feridun, und, wie die Leute alle heißen, eine Aus: breitung des Chriſtenthums möglich geweſen wäre?
Abendländiſche rohe Kraft in Verbindung gebracht mi einer morgenländiſchen ſpitzfindig⸗aſcetiſchen Religion: Brutalität moderirt durch Abſurdität; aus dieſem Geſichts⸗ punkte erklärt ſich das ganze Mittelalter ſo bis aufs Kleinſte, daß alle weitwendigen Forſchungen der neueften Zeit als ein reiner Luxus erſcheinen. Damit ſind dieſer Uebergangsperiode nicht alle guten Seiten abgeſprochen. Der Menſch iſt immer von Gott, aber die Zeit war des Teufels.
Religion iſt die Poeſie der unpoetiſchen Menſchen.
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Der Ausſpruch jenes Kirchenvaters: credo quia ab- surdum, hat eine richtige Bedeutung. Der letzte Zuſammen⸗ hang der Dinge mußte allerdings dem Menſchen, als weit über ſeine Vernunft reichend, abſurd vorkommen. Warum man aber von den vielen möglichen Abſurditäten gerade die eine mehr als eine andere glauben ſoll, wird dadurch freilich nicht entſchieden.
Religioſität iſt die Weingährung des ſich bildenden, und die faule Gährung des ſich zerſetzenden Geiſtes.
Der Thierdienſt mancher alten Völker (ſelbſt mancher gebildeteren, wie der Egyptier) iſt ſo unbegreiflich nicht, als es beim erſten Anblicke ſcheint. In ganz robem
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Zuſtande wird nämlich der Menſch durch feine noch un: _ entwickelte Vernunft in Manchem offenbar unſicherer ge⸗ leitet, als das Thier durch ſeinen unfehlbaren, ohne Ausbildung vollkommenen Inſtinkt. Wohnungen bauen, Wurzeln ausgraben, fiſchen, jagen u. ſ. w. hat wohl der Menſch eher von den Thieren, als dieſe von jenem lernen können. Dadurch muß der ganz rohe Wilde die Thiere wohl in Vielem als ſeines Gleichen, in manchem ſogar als ſeine Beſſern erkennen. Worin ſie unter ihm ſind, kann er kaum früher bemerken, als bis einige von ihnen ihm Nachbarn und Hausgenoſſen geworden ſind. So entſteht Ehrfurcht für die Thiere, Verehrung. Wenn die Völker in der Folge ſich mehr bilden, ſo verſchwinden die mythiſchen und religiöſen Vorſtellungen ihrer Urzeit darum nicht, ſie modificiren ſich nur und erhalten den Reiz des Geheimnißvollen durch das Vergeſſen des Grundes ihrer Entſtehung. Was vorher im buchſtäblichen Sinne für wahr galt, gilt nun im Symboliſchen, und bleibt nun brauchbar für alle Zeiten. Auf dieſelbe Art erklärt ſich das Lächerliche alles alten Götterdienſtes. Es ſind Ueber⸗ bleibſel unvordenklicher Zeit, an denen die Nachwelt ge⸗ bildet, geſtaltet, zugeſchnitten hat, immer aber den Kern ſchonen mußte, der eben das Göttliche enthielt. Das Welt⸗Ei, der Stein des Saturn und die Sichel des Zeus, galten gewiß einmal buchſtäblich, erſt in der Folgezeit wurden ſie Symbole, und am Ende lächerlich, weil jedes Sinnbild es iſt, dem man den Sinn nimmt.
Der Grundfehler bei allen dieſen Mythenerklärungen iſt, daß man ſie von vornherein als ein Ganzes betrachtet, was grundfalſch iſt. Ein Geiſt, der, im Mittelpunkt ſtehend,
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die Mythen nur als Verſinnlichung der einzelnen Lehr⸗ ſätze gebraucht und betrachtet, hätte bald dieſe Mythen ſelbſt weggeworfen und die Wahrheit offen und deutlich ausgeſprochen ohne Furcht, dadurch beim Volke anzuſtoßen, das leichter eine nackte Wahrheit begreift, als ſich aus freier Fauſt ein Faktum aufheften läßt. Dieſe Mythen ſind einzeln erfunden, ſtehen urſprünglich miteinander in keinem Zuſammenhang, haben mitunter ſo viel lehrhafte Bedeutung, als eine mäßige äſopiſche Fabel, wirken als Faktum und nicht als Theorem, und werden erſt beim Fortſchreiten der Bildung in Verbindung gebracht und aus der gegenſtändlichen Geltung in die ſinnbildliche über⸗ tragen. Thor iſt ſchon als rüſtiger Kämpfer göttlich genug für eine Zeit, die nichts Höheres kennt, als Kampf und Rüſtigkeit.
Der Hauptirrthum bei Beurtheilung der alten Reli⸗ gionen beſteht darin, daß man ſie ſchon vornherein für ein Ganzes nimmt, indeß ſie doch, einige allgemeine Nationalübereinſtimmungen vorausgeſetzt, atomiſtiſch aus einzelnen Sagen, Zuthaten, Tempelwundern und Prieſter⸗ lügen ſich heranbilden. Dann, daß man die ſpätere Be⸗ deutung und Symbolik der Kultusobjekte ſchon auf ihr erſtes Vorkommen in den Anfängen der Religion über⸗ trägt, indeß ſie hier doch nur in ihrer roheſten Geltung zu nehmen ſind, ſo daß die Bedeutſamkeit wie die Glie⸗ derung erſt als die Frucht jahrhundertlangen Beſtehens angeſehen werden müſſen.
Es iſt nicht wahr, daß dieſen uralten Religionen pan⸗ theiſtiſche, kosmologiſche, aſtronomiſch⸗phyſikaliſche Andeu⸗ tungen zu Grunde liegen. Sie ſind von vornherein roher
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Unſinn von und für Barbaren; erſt die vorgeſchrittene Bildung der Nachkommen hat in das ererbt Heilige, bild⸗ lichen Zuſammenhang hineinzudeuten geſucht.
Es iſt das ſchreiendſte Mißverſtändniß, wenn wir die Götter der Alten mit unſerm Gott vergleichen. Die Götter waren nicht das Höchſte; über ihnen ſtand das ewige Recht. Das haben wir perſonificirt und nennen es: Gott. Die Götter ſollten nie als Muſter des Wandels dienen, ſie waren nur die Natur mit ihren Gewalten. Das Recht war als gewiß erkannt in des Menſchen Bruſt, ſein Zu⸗ ſammenhang mit einer höhern Quelle ward geahnet und dunkel angedeutet, aber man beſchied ſich, daß eine Er⸗ kenntniß davon nicht möglich.
Strenge Vollzieher des Rechtes waren die unterirdi⸗ ſchen, die alten Götter. Sie hatten kein Mitleid, aber auch keinen Haß. Den neuen Göttern war beides. Sie hatten die Rolle des Gefühls. Sie waren die Verſöhner und Verſucher der Chriſten in Einer Perſon.
Iſt denn die heidniſche Weltanſicht nicht wahr? Das Leben gibt dir nichts! Falſche Götter herrſchen drin! Nichts bleibt dir treu, als dein Selbſt, wenn du ſelbſt ihm treu bleibſt.
Als ob der jüdiſche Monotheismus minder eine Ab⸗ götterei geweſen wäre, als der griechiſche Polytheismus, und Jehova minder ein anthropomorphithiſcher National⸗Abgott, als Zeus, Pallas, Aphrodite ꝛc.? Vergißt man denn
immer, daß die griechiſchen Gottheiten eigentlich gar keine Götter (Gott nach unſern Begriffen genommen) waren, ſondern Dämonen, Elohim, die wohl über die Menſchen geſetzt waren und die Erſcheinungen des Luftkreiſes regier⸗ ten, aber ſelbſt unter einem höheren Geſetze ſtanden, und, ſtatt das All hervorgebracht zu haben, vielmehr ſelbſt von ihm und ſeinen Stellvertretern hervorgebracht worden waren. Wenn wir ſie Götter nennen, haben wir ihr Weſen ſchon mißverſtanden, wir ſollten ſie eigentlich Natur⸗ geiſter nennen. Das Unausgeſprochene, Unerklärte, Vor⸗ ausbeſtimmende, das, als über dieſen Dämonen Waltende Homers Zeus ſo häufig bekennt, das können wir unſerm Gott parallel ſetzen, und das war offenbar etwas Höhe⸗ res und Würdigeres, als der bornirte jüdiſche Winkel⸗ Gott. N Das indiſche Brahm kann für einen Gott (für Gott) gelten, ebenſo vielleicht das Zeruane Akerene der Parſen, aber die 9504 der Griechen würde man vielleicht ſachrich⸗ tiger mit: die Göttlichen, überſetzen, als: die Götter.
Der gerühmte Monotheismus der Juden rührt viel: leicht nur daher, daß ſie urſprünglich ein vereinzelter, ver⸗ achteter Stamm waren, der ſich gar nicht getraute, anzu⸗ nehmen, daß mehr als Ein himmliſches Weſen ſich ſpeziell um ſie bekümmern ſollte. Es iſt derſelbe Separatismus, der ſie das ganze Menſchengeſchlecht von einem einzigen Menſchenpaare herleiten ließ. In feiner Urſprünglichkeit kommt dieſer Glaube etwa noch bei Jakob und ſeinen Söhnen vor. Die moſaiſche Anſicht iſt ſchon eine erwei⸗ terte, als ſie ein Volk unter Völkern geworden waren. Aber auch damals bezweifelten ſie die fremden Götter nicht,
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ſie hielten nur ihren Gott für den mächtigſten und höchſten. Sie waren übrigens eiferſüchtig auf ſeinen Alleinbeſitz, und es fiel ihnen nie ein, fremde Völker an ihm Theil nehmen zu laſſen. Der Monotheismus als veredelter Fetiſchismus war in den urälteſten Zeiten wahrſcheinlich häufiger, als man zu glauben geneigt iſt.
Das Chriſtenthum iſt ſeiner früheſten Beſchaffenheit nach offenbar nur als Sekte berechnet. Es hat all das Abgeſchloſſene, ſich Ausſchließende, Ueberſpannte, aber auch Liebenswürdige, das von jeher den „Stillen im Lande“ eigen war. Das Papſtthum wußte aus dem ein⸗ fachen Grundſtoffe allerdings etwas zu machen, wodurch dieſe Lehre, obgleich mit Aufopferung ſeines beſten Theiles, eine Weltreligion für liebende und haſſende, hoffende und fürchtende Menſchen werden konnte. Der Proteſtantismus hingegen hat das Chriſtenthum als Religion von Grund aus und unwiederbringlich zerſtört.
Das Evangelium Johannis hat einen Punkt der Sonder⸗ barkeit, der mir bisher nicht genug hervorgehoben erſcheint. Die Hinneigung zum philoſophiſch⸗myſtiſchen Geſchwätz in ſeinem Lieblingsjünger mußte Chriſtus doch bekannt ſein, und da iſt denn zu verwundern, daß er ihm nicht geſagt: Freund, laß dieſe Thorheiten und halte dich gleich mir an die Sache, um ſo mehr als ſie eine göttliche iſt und deine Phraſen nur menſchliche Spitzfindigkeiten. Hat er ihn aber davon nicht abgemahnt, ſo dürfte er wohl ſelbſt nicht ohne Zuſammenhang mit der Philoſophie ſeiner und der vorher⸗ gegangenen Zeiten geweſen ſein, ſo daß das Urſprüngliche
ſeiner Lehre und Haltung in eine etwas ſchiefe Stellung geriethe. '
Man hat die chriſtliche Religion fo oft als die Haupt: urſache der neuern Bildung, als ihre letzte und weſentliche Bedingung bezeichnet. Sie iſt es auch, aber nur negativ. Die chriſtliche Religion hindert nämlich keine Art der Bil⸗ dung, und das zwar darum, weil ſie außer dem vortreff⸗ lichen Satze: liebe Gott über Alles und den Nächſten, wie dich ſelbſt, durchaus nichts Feſtes in ihren Anord⸗ nungen hat. Sie bereitet daher allerdings durch ihren Charakter einer allgemeinen Humanität der Bildung den Weg, dann aber geht ſie ihr nach, ſtatt ihr vorzugehen, und wird ſelbſt gebildet, ſtatt andere zu bilden. Daher war das Chriſtenthum in feinen Anfängen quietiſtiſch und ſeparatiſtiſch, ſpäter ſektireriſch, im Mittelalter roh und abgöttiſch, dann grauſam und fanatiſch, und erſt in der neueſten Zeit hat es mit der Bildung Frieden geſchloſſen, aber ſehr auf eigene Koſten.
Die chriſtliche Religion hat das vor allen andern voraus, daß ſie ſich ſo leicht allen Kulturſtufen, gewiſſer⸗ maßen ſogar den höchſten anpaßt. Dieß rührt von dem Unbeſtimmten ihrer Lehrſätze und Vorſchriften her, das wieder in dem Fragmentariſchen ihrer heiligen Schriften ſeinen Grund hat. Ihre Moral iſt, wenn auch über⸗ ſpannt, doch gut und löblich, ihre Mythen kann man ſymboliſch nehmen, wenn ſie Einem krud nicht anſtehen, und der ſchrankenloſe Geiſt iſt endlich froh, ſich durch etwas Poſitives zu beſchränken, beſonders wenn die Schranke nicht gar zu unverrücklich iſt. So könnte man wohl ſagen,
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die chriſtliche Religion werde dauern bis ans Ende der Welt. Wenigſtens wird ſie nicht leicht von einer andern verdrängt werden.
Das Chriſtenthum iſt die Religion der Melancholiker und Hypochondriſten. Wenn dagegen der Islam das Phlegma begünſtigt und der Judäismus ſeinen Anhängern eine gewiſſe choleriſche Heftigkeit mittheilt, ſo kann man den griechiſchen Heiden wohl recht gut den glücklichen Sanguiniker nennen.
Wenn man die praktiſche Seite des Heidenthums mit der des Chriſtenthums in zwei Worten vergleichen wollte, könnte man ſagen: das Heidenthum hielt den am höchſten, der die meiſten Vorzüge, das Chriſtenthum den, der die wenigſten Fehler hat. ,
Das Gräßliche in der neueſten Religioſität oder der Religioſität der Gelehrten iſt, daß ſie von einem theore⸗ tiſchen Bedürfniß ausgeht. Sie wollen das Geheimniß des Werdens, das Weſen der Subſtanz, das Verhältniß der Nothwendigkeit zum Willen einſehen, indeß der Kern des Chriſtenthums kein theoretiſcher, ſondern ein praktiſcher iſt. Zwar nicht die Moral, wie die Aufklärung meinte, wohl aber die Heiligung, die Rehabilitirung des Menſchen⸗ geſchlechtes, die Austilgung der böſen Anlage, die durch die Erbſünde in unſer Thun und Wollen gekommen ſein ſoll. Wenn der Zweck Jeſu die Erleuchtung des Verſtan⸗ des geweſen wäre, ſo läge der Haupteinwurf gegen die Göttlichkeit ſeiner Sendung in dem Unzureichenden ſeiner Erklärungen.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 24
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Es iſt in neueſter Zeit ein großes Gejammer über die an verſchiedenen Orten auftauchenden Verſuche, antiquirte Confeſſions⸗ und Aberglaubens⸗Elemente wieder ins Leben zu rufen. Die Sache iſt für den Augenblick wohl unan⸗ genehm genug. Manches und mancher Vernünftige dürfte ſich dadurch in der Gegenwart auf eine betrübende Art geſtört und gehemmt finden. Für die entferntere, ja für die nächſte Zukunſt iſt daraus aber durchaus kein Schaden zu beſorgen.
Warum für die ſittliche Verbeſſerung des gegenwär⸗ tigen Zeitalters auf dem Wege der poſitiven Religion durchaus nichts zu hoffen iſt, liegt in dem Aphoriſtiſchen und rein Gelegenheitlichen der heiligen Schriften des Chri⸗ ſtenthums. Dieſe Religion hat keinen abgeſchloſſenen Codex ihrer Lehren, wie der Koran oder die moſaiſchen Bücher ſind. Erſt die Zuſammenfaſſung und Auslegung einer Kirche bringt Ganzheit und Zuſammenhang in die Maſſe von Andeutungen, Parabeln, ſcheinbaren Widerſprüchen und Uebertreibungen. Nun wird aber keine Macht des Himmels und der Erde unſere pragmatiſche, auf Unter: ſuchung, Verfeinerung, Luxus, Gewinn, nicht bloß ge— ſtellte, ſondern baſierte neue Zeit auf jenen Standpunkt der Unſchuld zurückbringen, um ſich fremde Auslegungen in irgend etwas blind gefallen zu laſſen. Die atomiſtiſchen Lehren und Sagen der Schriften des alten und neuen Bundes aber in ein unruhiges, zerriſſenes, eigenwilliges Gemüth gegoſſen, müſſen darin nothwendig eine ſolche Gährung, ein ſolches Hexengebräu hervorbringen, daß der unſelige Experimentator bald ſehen würde, er hätte beſſer gethan, die gefährliche Miſchung ihrer eigenen Abklärung zu überlaſſen. Wenn die franzöſiſchen Liberalen, wie es
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wohl theilweiſe kommen möchte, ſich auch noch auf die Religion werfen, dann erſt iſt des Unheils kein Ende und keine Hilfe. In Deutſchland iſt das Amalgam ſchon halb vor ſich gegangen, da macht es aber der Mangel an That⸗ kraft unſchädlich.
Der Charakter der neuen Zeit iſt der Geiſt der Unterſuchung. Theils die vorgeſchrittene Verſtandesbildung (Naturwiſſenſchaft), theils das durch Uebervölkerung ge: ſteigerte materielle Bedürfniß, treibt unabweislich zur Analyſe, um durch Kenntniß der Gründe und Beſtand⸗ theile hier zu neuen Entdeckungen, dort zu neuen Er⸗ findungen und Befriedigungsmitteln fortzuſchreiten.
Wenn nun einmal der Geiſt der Unterſuchung allge⸗ mein geworden iſt, ſo ſetzt er ſich nicht leicht Schranken, am allerwenigſten aber läßt er ſich ſolche von außen und willkürlich ſetzen. Der Verſtand gibt gern zu, daß es etwas für ihn Unlösliches gibt, und erkennt daher als eine Wohlthat, wenn der für ihn unüberſchreitbare Abgrund durch ein Ehrſurchtgebietendes ausgefüllt wird, das ſeinem eigenen Weſen nicht geradezu widerſpricht, aber ein Ueber⸗ greifen dieſes Traditionellen in die von ihm erkannten Geſetze der Natur und in die Grundlagen der moraliſchen Werthbeſtimmung läßt er ſich nun und nimmermehr ge: fallen. Von einer Schöpfung aus Nichts, von einer Geſtaltverwandlung, einer Erbſünde und Erlöſung durch fremdes Verdienſt wird wohl ernſthaft nicht mehr die Rede ſein. Aber in einer gewiſſen magiſchen Ununterſcheidbarkeit kann das fort und fort beſtehen, jo daß, den moraliſchen Werth des Chriſtenthums dazu genemmen, dieſe Religion das Menſchengeſchlecht hoffentlich bis an ſein Ende be gleiten wird. Die confeſſionellen Unterſchiede aber wieder