MASTER

NEGA TIVE

NO. 93-81554-12

MICROFILMED 1993 COLUMBIA UNIVERSITY LIBRARIES/NEW YORK

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AUTHOR:

GUMPPENBERG, HANNS

TITLE:

GRUNDLAGEN DER

WISSENSCHAFTTEN

PLACE:

MÜNCHEN

DA TE :

1903

COLUMBIA UNIVERSITY LIBRARIES PRESERVATION DEPARTMENT

' Master Negative #

BIBLIQGRAPHIC MICROFQRM TARGET

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095 Gumppenberg, Hanns v«n V-VW. - \^0J6

Grundlagen der wiggenachaften Philosophie Mimchen 1903 0 56 p

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Grundlagen

der

wissenschaftlichen Philosophie.

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Von

Hanns von Gumppenberg.

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München 1903.

Verlag von Georg D. W. Callwey.

Vorwort.

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Kantus grösstes philosophisches Verdienst wird es bleiben, das unbedingte Vertrauen in die metaphysische Tragweite des menschüchen Denkens erschüttert zu haben. Ich spreche ab- sichtlich vom unbedingten Vertrauen und von einer blossen „Erschütterung", wenngleich Kant jedes Vertrauen zum meta- physischen Denken vernichtet zu haben glaubte: denn die heilsame, der Wahrheit dienende Wirkung seiner geistigen Tat reichte nicht weiter. Stammte doch das radikale Inkom- petenz-Urteil, das er über alle metaphysische Spekulation des menschlichen Denkens aussprach, nur wieder von ebendiesem menschlichen Denken, das nach Kant's eigenen Ergebnissen für solche die Erfahrungssphäre überschreitenden Feststellungen eben nicht als kompetent gelten darf! In Wahrheit vermochte Kant aus diesem und noch anderen Gründen nicht etwa die tatsächlichen Grenzen der Leistungsfähigkeit des menschlichen Denkens einwandfrei zu bestimmen, sondern nur deren Unbestimmbarkeit darzulegen. Die tatsächliche Un- entscheidbarkeit der Frage, ob das menschliche Denken kom- petent oder nicht kompetent sei, metaphysische Wahrheiten festzustellen, schliesst nun aber auch die Möglichkeit der vollen Kompetenz des menschlichen Denkens für diese Leistung ein. Kann es unter solchen Umständen müssig erscheinen, sich mit den metaphysischen Resultaten unseres Denkens zn beschäftigen ? Das Bewusstsein der möglichen Zuverlässigkeit schützt ein Unternehmen dieser Art ebenso vor dem Vor- wurf des wissenschaftlichen Unwertes wie das Bewusstsein der möglichen Unrichtigkeit oder Unzulänglichkeit vor dem einer Selbstüberhebung. Was so entsteht, wird mindestens den Wert einer wohlgestützten wissenschaftlichen Hypothese

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beanspruchen dürfen, die solange gelten kann, bis gewichtige Gründe sie zu Falle bringen.

In diesen Erwägungen liegt die allgemeine Rechtfertigung meiner Schrift; im Besonderen werde ich noch auf das Wert- verhältnis der wissenschaftlichen Philosophie, wie ich sie ver- stehe, zu den Erfahrungswissenschaften zurückkommen.

M ü n c h e n, im Frühling 1 903.

Hanns von Gumppenberg.

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Einleitung,

Kaum irgend ein früheres Zeitalter war von dem Ver- langen, das wahre Wesen der Dinge zu erfassen, in gleichem Masse und gleicher Ausschliesslichkeit durchdrungen wie das nunmehr zu Rüste gehende der materialistischen „Aufklärung". Wissenschaften und Künste wetteiferten im Streben nach un- geschminkter, vorurteilsloser Wahrheit; so wenigstens dröhnten die Losungsworte hier wie dort. Aber freilich : die materielle hünzelerfahrung, welcher sich die Wissenschaft und unter ihrem mächtigen Einflüsse auch die Kunst verschrieben hatte, konnte hinsichtlich der letzten und höchsten Fragen, die sich dem menschlichen Geiste aufdrängen, nur zu dem gänzlich resignierten Ausspruche Du Bois-Reymond's führen: „Wir wissen nichts darüber, und wir werden nie etwas darüber wissen!" Und doch sind es gerade diese Fragen, welche den menschlichen Erkenntnisdrang in seiner unverfälschten und ungebrochenen ürsprünglichkcit vor allem beschäftigen, wo- gegen er die Sichtung, Registrierung und Klassifizierung der einzelnen Naturphänomene, d. h. der stofflichen Verbindungen und Aggregate und ihrer verschiedenen Wechselwirkungen, wie auch ihre Reduzierung auf relativ einfachere Erscheinungs- formen und die naturgemäss immer nur bruchstückweise mög- liche Aufhellung ihrer stofflichen Entwicklungsgeschichte recht gerne der naturwissenschaftlichen Fachgelehrsamkeit überlässt, als etwas, das ihn persönlich eigentlich nichts angeht.

Allerdings war es nur allzu begreiflich, dass die mensch- liche Wissenschaft bei der „exakten'' materiellen Erfahrung ihr Heil suchte. Die Philosophie, von welcher sie eine Zeit lang Antwort auf die kühnsten wie auf die einfachsten Fragen erhoffte, hatte ihr nämlich nur grimmige Enttäuschungen ge- bracht. Was alles hatte sie ihr geboten? Entweder hatte auch

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sie oft genug ganz im Einklang mit dem Worte des em- pfindungsseligen Faust ,,Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen'^ das ,,ignoramus, ignorabimus" der Natur- wissenschaft nur wieder in anderer Fassung gelehrt und auf die „unmittelbaren Gewissheiten'' der seelischen Intuition, der inneren Stimme des Gemüts und der Willenspersönlichkeit verwiesen: man denke an Kant und Andere. Aber der Glaube mit seiner Phantasiefreudigkeit und Ueberlieferungs- treue hatte auch in seinen respektabelsten Verkleidungen bei dem Wissen keinen Kredit mehr. Oder die ,, Philosophie'* verlegte sich in siegesgewissem Souveränitätsgefühl auf in- dividuelle Gedankengebäude, die nach der jeweiligen persön- lichen Neigung und Einbildungskraft des betreffenden Philo- sophen auf diese oder jene ihm besonders naheliegende Begriffsverbindung oder Vorstellungsreihe sich gründeten, und deren ,, absolute Richtigkeit" mit Hilfe mehr oder minder glücklicher Sophismen verfochten wurde : man denke an Fichte, an Hegel, an Schopenhauer und viele Neueren. Wie aber hätte eines dieser im letzten Grunde nur indivi- duell gewollten ,, Systeme'' den Drang nach absoluter Wahrheit befriedigen können , da keines vorurteilslos*) von wirklich allgemeinen und ohne Einseitigkeit erfassten logischen Tatsachen seinen Ausgang nahm, und obendrein in der logischen Durchführung eines dem anderen folgenschwere Denkfehler nachweisen konnte? Ist es ein Wunder, dass diese vielen, mit gleicher Anspruchsfülle verkündeten „Philosophie en" der einen und einzigen Philosophie selbst und ihrer wissenschaftlichen Wertschätzung den empfindlichsten Schaden

*) Von den philosophischen Spekulationen der neueren Zeit scheinen mir die bedeutsamsten die noch lange nicht nach Gebühr ge- würdigten Gustav Theodor Fechner's. Aber auch er war nicht ganz vorurteilslos, denn bei aller Originalität seines Denkens stand doch auch er noch im Banne der modernen Naturwissenschaft. Wer sich über seine Lehre in Kürze unterrichten will, lese die Darstellung von Kurt Lasswitz („Gustav Theodor Fechner". Frommann's Klassiker der Philosophie I. Stuttgart 18%, Friedrich Frommann's Verlag). Die beste Kritik der bisherigen philosophischen Systeme hat meines Erachtens Friedrich Paulsen mit seiner „Einleitung in die Philosophie" (Berlin, bei Wilhelm Herz) geschrieben.

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zufügten? Ist es ein Wunder, dass schliesslich die „streng- wissenschaftlichen Köpfe" diese qualitativ aufschlussreichste aller Wissenschaften nur mehr als einen wüsten Tummelplatz buntverschiedener persönlicher Träumereien auffassten und sich geringschätzig von ihr abwandten ? Man war umsomehr zu dieser Auffassung geführt, als es den Lehrern der „Philo- sophie" an den Universitäten im Allgemeinen*) keineswegs einfiel, die logischen Irrtümer der im Grossen wie im Kleinen einander widersprechenden „Systeme" als Entgleisungen des richtigen Denkens klarzulegen und um der einen, ,, richtigen" Philosophie willen zu verurteilen oder andererseits das Un- anfechtbare aus den verschiedenen ,,PhiJosophieen" um einen festen Mittelpunkt zu sammeln. Jene für die öffentliche Auf- fassung massgebende Autorität beschränkte sich vielmehr darauf, mit den einzelnen Systemen bekannt zu machen, während sie den Streit um die ,, Richtigkeit" entweder grund- sätzlich den parteiischen Anhängern überliess oder, was noch schlimmer war, gelegentlich selbst kritiklos und dogmatisch das eine oder das andere System verfocht. So kam es, dass die betreffenden Lehrstühle unserer Universitäten nicht etwa mit Professoren der Philosophie, sondern teils mit Darstellern der Geschichte der Philosophie, oder richtiger: der Philo- sophie en, teils mit Kantianern, Fichteanern, Hegelianern, Schellingianern, Herbartianern, Schopenhauerianern, gelegent- lich auch wohl mit Verkündern eigener Philosophieen besetzt wurden. Es gehört aber wahrhaftig nicht viel Geist zu der Einsicht, dass es ebensowenig mehrere Philosophieen geben kann, die den Namen einer Wissenschaft verdienen, als zum Beispiel von mehreren wissenschaftlichen ,, Physiken" die Rede sein könnte: und ebensowenig als bei der Pflege dieser mate- riellen Erfahrungswissenschaft die kostbare Zeit mit eingehender Schilderung aller bestehenden und aller überwundenen Irr- tümer vergeudet wird , lässt sich bei der philosophischen Wissenschaft das endlose Wiederkäuen des nachweislich Un- haltbaren rechtfertigen. Was vollends soll man von jenen ,, Philosophieen" denken, weiche sich, wiewohl sie sich ganz

*) Eine rühmliche Ausnahme in dieser Hinsicht bildet Friedrich Paulsen in seiner „Einleitung in die Philosophie".

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in der Sphäre der reinlo^ischen*) Forschung bewerfen, mit den letzten entscheidenden Fragen, die der echten Philosophie zugleich die ersten und wegweisenden sein müssen, über- haupt nicht befassen und alle Mühe auf bedeutungslose formelle Einzel-Kleinigkeiten verschwenden, die bestenfalls an die Stelle der leichtverständlichen praktischen Alltagslogik ein ganz un- nötig kompliziertes, mysteriös-sublimes Begriffsgewebe setzen? Oder von jenen anderen „Philosophieen^', die unter Preis- gebung ihrer wissenschaftlichen Selbständigkeit und gänzlicher Verkennung des umfassenden Wesens der philosophischen Forschung Einzelerfahrungen der materiellen Naturwissenschaft ohne weitere Prüfung ihres allgemeinen Wesensgehaltes als absolute philosophische Wahrheiten zu verwerten, ja von Der- gleichen spekulativ auszugehen versuchten?

Gibt es nun aber vielleicht die eine und einzige, wissen- schaftliche Philosophie überhaupt nicht? Haben so viele be- deutenden Geister nur deshalb nicht zu ihr vordringen können, weil sie uns überhaupt unerreichbar ist?

Auch dieser radikale Pessimismus lässt sich logisch nicht rechtfertigen. Gegen ihn ist vor allem das Argument geltend zu machen, dass die bisherigen Versuche, eine, oder vielmehr: die wissenschaftliche Philosophie zu begründen, keineswegs tadelfrei waren, sondern dass ein jeder dieser Versuche durch nachweisbare Denkfehler von seinem Ziele abgelenkt wurde. Nur wenn einwandfreie logische Durchführungen zu den verschiedenen Resultaten geführt hätten**), liesse sich an der Möglichkeit der wissenschaftlichen Philosophie verzweifeln ; so wie aber die Sache tatsächlich liegt, bleibt erst der Versuch abzuwarten, ein logisch durchaus unanfechtbares „System'' zu schaffen. Ausser diesem negativen Argument sprechen aber auch positive Momente gegen den Resignationsstandpunkt. Die wissenschaftliche Philosophie hat es ihrem Bestreben zu- folge, die grossen Weltzusammcnhänge aufzudecken, im Gegen- satze zu der materiellen Naturwissenschaft, welche nur das Phänomenale der einzelnen Erfahrungs- existenzen erforscht, durchweg mit allgemeinen Zusammen-

*) Ich sage absichtlich ni cht: der abstrakten Forschunjr.

*) Auch Kant's „Antinomieen" sind logisch nicht einwandfrei.

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fassungen zu tun: sie lebt und webt daher in Begriffen, als in welchen sich jede solche Zusammenfassung vollzieht. Eine Spezial-Begriffswissenschaft von höchster Wirklichkeits- bedeutung und „exaktester" Geltung besitzen wir aber bereits in der Mathematik, denn diese ist nichts anderes als die Wissenschaft von den Grössenbegriffen und deren wechsel- seitigen logischen Verhältnissen. Es braucht hier die alte Streitfrage gar nicht entschieden zu werden, ob die Anschau- ungsformen, die Grundbegriffe und die Axiome, von welchen die mathematische Wissenschaft ausgeht, dem menschlichen Geiste schon selbsteigen innewohnen, oder ob sie durch logische Verarbeitung der äusseren Erfahrung zustande kommen; da nämlich auch in dem letzteren Falle der logische Geist erst das Seine die verallgemeinernde, zum gesetz- mässigen Wissen erhebende Verarbeitung beisteuern müsste und die Priorität der äusseren Erfahrung vor der Verarbeitung durch das geistige Subjekt schon deshalb nicht behauptet werden kann, weil die äussere Erfahrung des Sub- jekts eben dieses Subjekt bereits wieder voraus- setzt (ganz wie andererseits das Subjekt als solches die Existenz eines Objekts, das heisst: der äusseren Erfahrung zur notwendigen Voraussetzung hat), laufen beide Annahmen auf Dasselbe, auf die ge mei n same Arbe i t von Subjekt und Objekt hinaus. Es ist vielmehr die entscheidende Tatsache zu betonen, dass sich die Mathematik, ohne irgend etwas von ihrer exakten Geltung einzubüssen, oft genug in Grössenbegriffen bewegt, die mit der äusseren Er- fahrung gar nichts mehr zu schaffen haben, ja dass die auf die Aussenwelt angewandte Mathematik im Verlaufe ihrer Berechnungen mit Hülfe solcher rein ,, imaginärer" Be- griffe und Begriffsverbindungen Probleme der materiellen Wirklichkeit zum Beispiel astronomische Fragen genau und unbedingt zu lösen vermag, ohne die betreffende äussere Erfahrung erst abwarten zu müssen.

Zu dieser Tatsache, die Gemeingut aller Gebildeten ist, aber noch lange nicht alle Gebildeten zu gebührendem Nach- denken veranlasst hat, kommt noch eine andere, die min- destens ebenso schwer ins Gewicht fällt und in dem Vorigen

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bereits gestreift wurde. Auch die materielle Erfahrungs- Wissenschaft könnte ihre bedingt richtigen Fest- stellungen nicht machen ohne gewisse logische Begriffe und Gesetze. Wird doch überhaupt jede „Wissenschaft" als solche erst möglich durch bis zu einem gewissen Grade ausgeführte Verallgemeinerung der beobach- tenden Subjekte wie auch der beobachteten Objekte; jede Verallgemeinerung aber ist ein Werk des logischen Geistes, nicht etwa eine Tatsache der materiellen Erfahrungswelt. Denkt man sich eine äussere Erfahrung des Subjekts ohne alle Ver- allgemeinerung oder Zusammenfassung wie sie allerdings kaum jemals möglich ist, da der in dem Subjekt tätige be- obachtende Geist schon instinktiv überall verallgemeinert so könnte sie nur als Einzelerkenntnis im allerstrengsten und engsten Sinne des Wortes gelten, und auch dies nur für einen mathematischen, das heisst: dauerlosen Augenblick; Einzel- erkenntnisse solcher Art könnten aber, selbst wenn sie in mathematischer Dauerlosigkeit erreichbar wären, nicht wissen- schaftliche Erkenntnisse heissen, noch auch erlaubten sie die Feststellung wissenschaftlicher Gesetze oder irgendwelches Weiterschreiten zu neuen Erkenntnissen. Da andererseits alles Wissen, alle Erkenntnis sachgemäss nichts Anderes zum Ziele hat als die Ergründung des Wesens der Erfahrungswelt, muss natürlich überhaupt jede Wissenschaft von d er Erfahrungs- welt ausgehen, insoferne sie ihren Gegenstand aus dieser nimmt oder in der Gesamtheit derselben hat, nicht aber in dem Sinne, dass die Erfahrungswelt selbst ihr auch nur das geringste Mittel, auch nur die bescheidenste Methode an die Hand gäbe, über den Gegenstand klarer zu werden. Alle Möglichkeiten einer Erweiterung des unmittelbaren Einzel- wissens, alle Mittel und Methoden des wissenschaftlichen Er- kennens liefert vielmehr unser geistiges Erkenntniswerkzeug, die Logik, mit ihren für unser Urteil entscheidenden Axiomen und Lehrsätzen.

Nach solchen Erwägungen muss es nicht nur als mög- lich, sondern vielmehr als im höchsten Grade wahrscheinlich bezeichnet werden, dass es eine Wissenschaft geben kann, welche sich d ie Gesa mthei t der Erfahrungswelt zum

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Gegenstande wählt, wie die materiellen Fachwissenschaften nurje eine Gruppe verwandter Einzelerscheinungen der Erfahrungswelt behandeln, welche ferner von (aus der geistigen Verarbeitung der Erfahrungswelt gewonnenen) begrifflichen Axiomen über die gemeinsamen natürlichen Eigen- schaften nicht nur alles Erfahrenen, sondern auch alles Erfahr- baren ausgeht (wie die Mathematik von aus der geistigen Verarbeitung der Erfahrungsgrössen gewonnenen Begriffs- Axiomen über die gemeinsamen Wesenseigenschaften aller möglichen Grössen) und das wahre Wesen der gesamten Erfahrungswelt zu ergründen strebt, wie jede der einzelnen Fachwissenschaften eine Gruppe verwandter Erfahrungserschei- nungen auf deren einfachste phänomenale Stoff- und Kraft- ursachen zurückzuführen trachtet. Nur dieses tiefere Erkennen des Ganzen der Erfahrungswelt wird man als ,, Philosophie" den materiellen Einzelwissenschaften ebenbürtig an die Seite, ja bei seiner umfassenden Bedeutung über sie stellen können; ihm wird noch einmal das Recht zugesprochen werden, inso- ferne es auf einer höheren Stufe seiner Entwicklung sachgemäss wieder ins Einzelne übergreifen kann und muss, auch über alle Theorieen und Hypothesen der Einzelwissenschaften als massgebende Autorität das bestätigende oder verwerfende Urteil zu fällen. Noch mehr als die Einzelwissenschaften wird sich die wissenschaftliche Philosophie davor hüten müssen, über der äusseren Erfahrung, den Objekten, die innere Er- fahrung, die Subjekte, zu vernachlässigen oder beide in einen Wesensgegensatz zu stellen*), während doch leicht einzusehen

*) Auch bei Gustav Theodor Fechner sind Objekt und Sub- jekt, Physisches und Psychisches wesensidentisch, und ein und derselbe Vorgang physisch, insoferne er von aussen in seiner objektiven Wirkung, psychisch, insoferne er subjektiv in sich und für sich betrachtet wird. Bei Fechner ist auch bereits die Lösung des scheinbaren Wider- spruchs (vgl. auch die Anmerkung zu Seite 12 der vorliegenden Schrift) gegeben, dass z. B. der einzelne Mensch als praktisches Objekt, d. h. etwa im Sinne des ärztlich-wissenschaftlichen Befundes, sich nicht mit demselben Menschen als praktischem Subjekt, d. h. mit dem erfahrungs- gemässen Inhalt des gleichzeitigen (normalen) Selbstbewusstseins dieses Menschen deckt. Schon Fechner weist nämlich darauf hin, dass die unterhalb der menschlich- individuellen Bewusstseinsschwelle liegende

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ist, dass die Subjekte*) nur die von innen intensiv jnre- sehenen Objel<te, die Objekte nur die von aussen extensiv ^eseiienen Subjekte sind, dass wir selbst und alle anderen Subjekte tatsächlieh also aueh mit zur ,, objektiven'' Welt, zur ^Erfahrungswelt gehören und ,, Subjekte" einerseits, ,, Ob- jekte" andererseits nur einseitige B e t r a e li t u n gs w c i s c n der näni liehen Einzelexistenzen darstellen, welch letztere man daher am richtigsten und deutlichsten die Subjekt- subjektive Erfassung des einzelnen Mensciien nicht fehlt, sondern einer höheren Einheit des Selbstbewusstseins zukommt (zu welcher sich der Mensch eventuell in abnormen Zuständen des Hellsehens u. s. \v. erheben kann.) Wir werden auf Grund eigener Schlussfolgerun^^en sehen, dass diese schon von Fechner angenommene höhere Einheit des Selbst- bewusstseins tatsachlich aus einer unendlichen Reihe immer realerer Persönlichkeiten des betreffenden Menschen besteht (vgl. den IV. Abschnitt dieser Schrift.)

*) Der Begriff „Subjekt", wie er hier gemeint ist, deckt sich inhaltlich nicht ganz mit Dem, was man in der philosophischen Litteratur bisher mit „Subjekt" und „subjektiv" bezeichnete. Wie die Eiinzelexistenz als Objekt praktisch nicht ganz ins Bewusstsein der erfah- renden Nebenexistenzen tritt, sondern nur mehr oder minder, so wird sie andererseits auch durch das Se Ibs tbe w usstsei n der Ein- zelexistenz praktisch mehr oder minder, aber nie ganz erschöpft. Man erinnere sich an das Ich oberhalb und unterhalb der „Bewusstseins- schwelle", die sich bekanntlich in abnormen Zuständen zum Beispiel in dem Zustande des Hellsehens verschieben und tWn Inhalt des praktischen Selbstbewusstseins bereichern kann. Dieses sehr veränderliche praktisch-Subjektive einer Erfahrungsexistenz könnte nicht als deren wirklich-Subjektives in die philosophische Begriffsrechnung gezo- gen werden, und ebensowenig ihr nicht minder veränderliches praktisch- Objektives. Die wissenschaftliche Philosophie versteht daher untjr „Subjekt" nicht den Inhalt des jeweilig praktisch-wirklichen, sondern den des jeweilig möglichen Selbstbewusstseins, kurz: das ganze jeweilige Ich oberhalb u n d unterhalb der jeweiligen Selbstbewusstseins- schwelle. Ebenso versteht die wissenschaftliche Philosophie unter „Objekt" nicht den jeweiligen Inhalt des praktisch-wirklichen Bewusst- seins, welches diese oder jene Nebenexistenz von der betreffenden Existenz hat, sondern den Inhalt d e s j e w e i I i g möglichen B e w u s s t- seins aller Neben existenzen zusammen von der betreffen- den Existenz, kurz: den ganzen jeweiligen Gegenstand oberhalb und unterhalb der jeweiligen Bewusstseinsschwelle aller Neben- existenzen.

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Objekte*) nennen könnte. Ganz besonders vorsichtig aber wird die wissenschaftliche Philosophie in dem Aufsuchen ihrer Grundlagen zu verfahren haben, diese müssen umfassender als alle Axiome der materiellen Einzelwissenschaften und von unbedingter Geltung sein. Auf den Ausgangspunkt kommt bei der wissenschaftlichen Philosophie alles an, da sie nur mit diesen ihren Grundlagen in der Erfahrungswelt wurzeln kann und alles Uebrige bei ihr der logischen Folgerung über- lassen bleiben muss.

Die nachstehende Schrift versucht, diesen Ausgangspunkt zu gewinnen und von ihm in strengen logischen Folgerungen weiterschreitend zu den ersten fundamentalen Aufklärungen über das Wesen der gesamten Erfahrungswelt zu gelangen.

Dabei ist aber freilich vorher noch auf die Schranke hinzuweisen, welche wie jeder anderen menschlichen Wissenschaft auch der philosophischen gesetzt ist. Die menschliche Logik, das entscheidende Werkzeug aller mensch- lichen Erkenntnis, vermag nur für sie selbst bestehende Wahrheiten festzustellen ; wir wissen nicht mit Bestimmtheit, ob ihren Feststellungen auch für einen (etwa vorhan- denen) anders geart eten I nteliek t absolute Richtigkeit

*) Wenn man den Begriff „Subjekt" allgemein, als von innen heraus gesehenes, von seinem eigenen Standpunkt ausbetrach- t e t e s Objekt auffasst, besteht kein logisches Hindernis, wie von mensch- lichen und tierischen, so auch von pflanzlichen und anorganischen „Subj ekt -Objekten" zu sprechen. Das für das „Subjekt" Charakteri- stische ist eben nicht das Bew usstsein, welches, wo es vorhanden ist, erfahrungsgemäss die Objekte nicht minder in sich schliesst als das Subjekt, sondern lediglich das nach aussen Wirkende, wie jedes „Objekt" ein von aussen her Entgegen w irken des ist. Wirkungen bezw. Rückwirkungen nach aussen kommen aber beispielweise einem Kieselstein ganz ebenso wie einem Menschen zu, und in diesem Sinne kann man daher auch in jedem Kieselstein nicht nur ein „Objekt", sondern auch ein „Subjekt" erblicken. Uebrigens wissen wir vorläufig noch nicht, ob nicht den pflanzlichen und anorganischen Einzeldingen etwas eigen ist, das in allem Wesentlichen mit dem Bewusstsein der menschlichen Einzelexistenz zusammenfällt. Wir haben kein logisches Recht, das Wesentliche der Bewusstseinserscheinung ohne weiters in jeder Hinsicht mit ihrer menschlichen Form zu identificieren, wie das im Alltagsleben geschieht. Auch dies wäre einer jener Anthropomor- phismen, vor denen sich die Wissenschaft ganz besonders hüten muss.

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zukommt. Es ist zwar möglich, dass überhaupt nur ein und dieselbe Logik das All der Dinge durchleuchtet, und dass wir ganz wie alle anderen Wesen an diesem inneren Licht, dieser allgemeinen und einzigen Logik teilhaben ; dies ist sogar bis zu einem gewissen Grade wahrscheinlich, wenn man bedenkt, dass unter uns Menschen (und vielleicht auch sämtlichen Tieren) die im menschlichen Sinne logischen Begriffsverbindungen das einzig unbedingt Gemeinsame der Individuen (wie der Gattungen) darstellen. Trotzdem bleibt es andererseits immer möglich*), dass die Geltung der menschlichen Logik nur eine beschränkte ist. Allein diese letztere Möglichkeit ist gar nicht so bedenklich, als sie Manchem fürs erste erscheinen mag : wird doch dem menschlichen Drange nach Erkenntnis damit keine seiner Hoff- nungen geraubt. Der menschliche Geist will nämlich lediglich wissen, was die für ihn bestehende Welt der Subjekt-Objekte in Wahrheit für ihn ist, wie er diese Welt richtig anzu- schauen hat; dieser Leistung aber ist die menschliche Logik vollkommen gewachsen. Denn was wir Menschen „Wahr- heit" nennen, ist eben überall nur das, was unsere Logik als bestehend gelten lässt, was aus den Urteilen und Schlüssen unserer Logik folgt, wenn sie von für uns bestehen- den, für uns unbestreitbaren Wirklichkeitstatsachen ausgehen. Freilich bleibt die Möglichkeit, dass weder unsere die Wirk- lichkeitstatsachen feststellenden Sinnesorgane und künstlichen Werkzeuge noch auch die diese Erfahrung bearbeitenden lo- gischen Gesetze unseres Intellekts zum Erfassen der absoluten Wahrheit hinreichen: es muss aber nachdrücklichst hervor- gehoben werden, dass, wenn die absolute Wahrheit eine andere sein sollte, die der wissenschaftlichen Philosophie er- reichbare Erkenntnis doch jedenfalls höher, allgemeiner wäre, dass sie jener unergründlichen absolut-allgemeinen Wahrheit näher stehen, dass sie ,, exakter" sein müsste als die Erkennt- nis, welche die angeblich allein „exakten'' materiellen Einzel- wissenschaften in ihrer Gesamtheit über das Weltganze zu bieten vermögen. Denn die Erkenntnisse der wissenschaft- lichen Philosophie müssen, wie schon betont wurde, sachge-

*) Vgl. das Vorwort.

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mäss auf Evidenzen von umfassendster und strengster Allgemeinheit gegründet und in strenglogischer Folgerung aus diesen gewonnen werden, also für den menschlichen Intellekt wenigstens ganz wie die besonderen Er- kenntnisse der Mathematik unbedingte Wahrheit sein, während den Erkenntnissen 'der materiellen Erfahrungswissen- schaften als durch die Beobachtung einer beschränkten An- zahl von Fällen gewonnenen Einsichten auch für diesen menschlichen Intellekt bestenfalls nur ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit zugesprochen werden kann.

Nicht eitel und blind über die Grenzen des menschlichen Erkennens hinausschweifen will die nachstehende Spekulation : sie will nur der gedankenlosen Selbstüberschätzung jener Er- fahrungswissenschaftler den Fehdehandschuh hinwerfen, die ihre materialistischen Hypothesen und ihre Verzweiflung an der Möglichkeit eines bedeutsameren Wissens als die höchste und letzte, als die ,, exakteste'' Menschenweisheit verkünden; den Weg will sie bezeichnen, auf dem die uns Menschen überhaupt erreichbare, verhältnismässig exakteste. Welterkenntnis zu finden sein wird.

I.

Die Substanz der subjektiv-objektiven Erfahrungswelt und die Kräfte, welche die

letztere schaffen.

Die Frage nach dem ,, Innern der Natur", die Frage nach dem wahren Wesen der subjektiv-objektiven Erfahrungswelt in ihrer Gesamtheit schliesst vor allem zwei fundamentale Fragen in sich : ,,Aus welcher Substanz oder welchen Substanzen besteht die subjektiv-objektive Er- fahrungswelt?" und „Welche Kraft oder welche Kräfte rufen sie aus dieser Substanz oder diesen Substanzen hervor?"

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Nicht die wissenschaftliche Philosophie allein sucht die erstere dieser beiden Fragen zu beantworten; die chemi- sche Analyse ist hier ihre Rivalin. Mit der chemischen Fach- wissenschaft, und zwar da wir deren noch mögliche künf- tige Resultate nicht kennen mit der Methode ihrer Er- forschung des wahren Wesens der Erfahrungswelt muss sich daher die wissenschaftliche Philosophie zuerst auseinander- setzen.

Alle Erforschung des wahren Wesens der Erfahrungswelt, d. h. der unzähligen Subjekt-Objekte im unendlichen Raum und der unendlichen Zeit, hat ihre Anre^un^ und Berechtigung von der Einsicht genommen , dass keines dieser Subjekt- Objekte als solches dem Begriffe eines substanziellen Seins entspricht, der unserer menschlichen Logik als natürliche Mitgift innewohnt und von einer wirklichen Substanz unbe- dingtes, selbsteigenes un d dauerndes Sein*) fordert; mit geläufigeren Worten ausgedrückt: von dem Zweifel an der Realität der unmittelbar gegebenen Erfahrungserschei- nungen, welch' letztere der Gedankenlose schon an sich für unbedingt wirklich hält. Ohne diesen Zweifel müsste jede tiefere Ergründung der unmittelbar gegebenen Erfahrungs- Subjekt-Objekte müssig, ja närrisch erscheinen, ohne ihn müsste das menschliche Wissen für alle Zeit auf möglichst naturge- treue Registrierung dieser unmittelbar gegebenen Subjekt- Objekte beschränkt bleiben, auf eine Sammlung von Abbildern, deren Lehrprincip mit dem der bunten Bilderbücher zusammen-

*) So pflegen wir im Alltagsleben logisch die Existenz eines Gegenstandes festzustellen, wenn wir uns überzeugen, dass sein Dasein nicht von gewissen abnormen Bedingungen (z. B. einer Sinnestäuschung, eines Traumes oder Fieberdeliriums) abhängt, sondern dass alles für. den Gegenstand Charakteristische diesem als im Alltagssinne eigenster Besitz zukommt und, wenigstens während der Feststellungszeit, in Identität mit sich selbst dauert. Für den gemeinen Alltagsverstand ist nämlich unbe- dingtes Sein mit materiell-objektiver Existenz, selbsteigenes Sein mit materieller Selbständigkeit, dauerndes Sein mit relativer zeitlicher Dauer für die Sinne bzw. künstlichen Werkzeuge des Beobachters identisch, so dass die logische Forderung hier nur abgeschwächt und damit entstellt zu Tage tritt. Erst der philosophische Verstand vertritt das logische Axiom vom realen Sein in voller Gründlichkeit und Strenge.

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fiele, welche wir unseren Kinderchen zur ersten Orientierung in die Hand legen.

Der Zweifel an der unmittelbaren Realität der Erfahrungs- Subjektobjekte wurde zunächst namentlich durch die Beobach- tung ihrer mechanischen Teilbarkeit, natürlichen Vergänglichkeit und Zerstörbarkeit genährt, später durch die Erkenntnis ihrer chemischen Zerlegbarkeit bestätigt und verstärkt. Jene For- schungsweise, die eine durch künstliche Zerlegung gefundene kleinere Anzahl von verschiedenen Stoffen so lange für die wahren Substanzen der Erfahrungswelt hält, bis das Gelingen einer weiteren Zerlegung zur Vermehrung oder (infolge der Scheidung eines der erhaltenen „Elemente" in zwei oder meh- rere andere, bereits bekannte „Elemente") zur Verminde- rung dieser Anzahl führt, ist noch heute die Methode der sub- stantiellen Ergründung der Erfahrungswelt durch die chemische Analyse, während die formelle Zerlegung bei den Molekülen und den sie zusammensetzenden Atomen Halt machte. Allein das Atom bildet nicht etwa einen Abschluss, über den hinaus keine formelle Zerlegung mehr denkbar wäre, vielmehr ist es nur ein willkürlich angenommener Grenzbegriff, wie er vor- läufig den praktischen Zwecken genügt; und gegen die che- mische Methode der substantiellen Weitergründung spricht eine Tatsache, welche die Aufmerksamkeit jedes Vorurteilslosen nach einer ganz anderen Richtung lenken muss. Es ist dies die ausnahmslose Bestimmtheit alles dessen, was die substantielle und formelle Analyse derEinzel- wissenschaft jemals als das Wesen eines Subjekt- Objekts feststellen kann, durch die sämtlichen übrigen Subjekt-Objekte. Zur Anerkennung dieser Wahr- heit dürfte die folgende Erwägung genügen. Die Quantität, die Ausdehnung bzw. Form jedes einzelnen Subjekt-Objekts bis zum Molekül und Atom herab (und noch beliebig weiter) ist in unlösbarer Verquickung und Wechselwirkung bedingt durch die Ausdehnung bzw. Form sämtlicher übrigen (darin enthal- tenen und daran angrenzenden) Subjekt-Objekte; ferner ist auch jede „Qualität" eines Subjekt-Objekts bis zum Molekül, Atom u. s. w. herab in Wahrheit nur eine Wechselwirkung mit sämtlichen übrigen Subjekt-Objekten, nicht aber ein ruhen-

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der selbstei^rcner Besitz des betreffenden einzelnen Subjekt- Objekts*) Alle feststellbaren quantitativen und qualitativen Ei.irenschaften- oder „Kräfte^ von Subjekt-Objekten können daher logisch zunächst nur als Wech selwirku n gen un- zähliger Unbekannten gelten, über deren eigenes Wesen damit noch gar nichts gesagt ist : und doch identifiziert die materialistische Naturwissenschaft die allgemeinsten dieser Wechselwirkungen als „Elemente- oder „Substanzen- mit ihnen, den Unbekannten, selbst! In jeder Wechselwirkung zwischen einer der vorläufig in Frage kommenden unzähligen Unbe- kannten und allen übrigen von ihnen muss zudem mit logischer Notwendigkeit viel mehr von der Wesens w irku ng dieser übrigen als von der W irku n g ihres eigenen Wesens enthalten sein, welch letztere festzustellen doch die allermindeste Aufgabe der Wissenschaft wäre.

Um das Ergebnis dieser Ausführungen kurz zusammen- zufassen • Die naturwissenschaftliche Zerlegung der einzelnen E rf ahru n gs- S ubj ektob je k te kann immer nur Relationsbegriffe liefern, niemals aber einen Substanzbegriff.

Mit dem Verdachte, dass die Substanzforschung der philosophischen Wissenschaft sich eine Aufgabe gesetzt hätte, welche die Einzelwissenschaften ebensogut oder besser zu lösen im Stande wären, wird nun aber zugleich auch die Möglichkeit hinfällig, dass der Substanz der subjektiv- objektiven Erfahrungswelt ir ge n d eine Best i mmt- heit im materiellen Sinne eigen sein könnte. Jede solche Bestimmtheit inüsste nämlich, wie sich leicht einsehen lässt, eine wechselseitige Bestimmtheit sein, denn jedes

*) Von dieser Tatsache überzeugt am schnellsten der Hinweis auf unsere quantitativen Messwerkzeuge, die alle Objekte auf will- kürlich herausgegriffene andere Objekte beziehen, um Quantitätsurteile überhaupt zu ermöglichen; ferner auf die gleichfalls ausschliess- lich beziehende Art, in welcher die Fachwissenschaften Stoffe und Stoffverbindungen qualitativ zu charakterisieren

jr e z w u n - e n s i n d. Quantitäts- oder Qualitätsurteile über ein Subjekt- Objekt, welche nicht offen oder versteckt lediglich Vergleiche mit anderen Subjekt-Objekten wären, Hennen die Fachwissenschaften nicht.

bestimmte Sein setzt das Nebenherbestehen wenigstens eines*) anderen bestimmenden Seins voraus, welches dann auch seinerseits wieder durch das erstere Sein bestimmt wäre, insoferne essich von d i esem abgrenzen und unter- scheiden müsste. Schon dieser äusserste Fall, dass es sich um das Bestehen nur einer mitbestimmenden und mitbe- stimmten anderen Existenz neben jenem bestimmten Sein han- deln würde, schlösse aber die Möglichkeit aus, den beiden echte Substantialität zuzusprechen: vielmehr wären auch in diesem äussersten Falle nur wieder die untrennbar verquickten Wechselwirkungen zwischen (zwei) unbekannten Xen festzu- stellen, die an sich, ihrem selbsteigenen Wesen nach, gänzlich im Dunkeln bleiben würden. Es kann also überhaupt kein irgendwie bestimmtes Sein der gesamten subjek- tiv-objektiven Erfahrungswelt zu Grunde liegen.

Neben dem bestimmten Sein (dem „relativen Sein'', oder, was dasselbe ist, dem „relativen Nichtsein'^ ist nun aber nur noch einerseits das a b s o 1 u t e N i c h t s e i n , das Nichts, anderer- seits das absolut unbestimmte Sein, oder positiv ausgedrückt: das Sein vollkommen freier Selbstbestimmung denkbar. (Was das letztere anlangt, dürfte man aber den Artikel „das'' nicht etwa so deuten, als sollte er wie bei den Erfahrungsexistenzen eine Einheit ausdrücken, denn mit dem Charakter der Einheit wäre das unbestimmte Sein schon wieder bestimmt, was seinem Begriffe widerspräche).

Dass nun die subjektiv-objektive Erfahrungswelt aus ab- solutem Nichts bestehe, werden nur extremste Pessimisten behaupten wollen. Würde man ihre Ansicht überhaupt ernst- lich in Erwägung ziehen, so stünde alle Philosophie schnell genug am Ziele; denn genauer betrachtet ist diese Antwort auf die Frage nach der Substanz der Erfahrungswelt über- haupt keine Antwort, sondern eine blosse Negation der Frage. Wenn nämlich die Erfahrungswelt in Wahrheit

*) Oder das Nebenherbestehen von mehreren es bestimmenden Existenzen, welche zum Teil durch dasselbe, zum Teil auch da sie sonst nicht mehrere sein könnten wechselseitig durch einander bestimmt wären.

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gar keinen Wesenskern in sich birgt, kann auch die in ihr sich vollziehende Frage nach ihrer Substanz gar nicht in Wahrheit existieren. Ein solcher radikaler Nihilismus ist aber schon deshalb unvernünftig, weil die Welt der Subjekt- Objekte doch mindestens als Illusion, als irrtüm- liche Vorstellung tatsächlich existiert, und auch jede Illusion eine wirkliche Ursache zur logischen Voraussetzung hat. Es bleibt demnach als einzige Mög- lichkeit und damit als Gewissheit übrig, dass wir die Substanz der subjektiv-objektiven Erfahrungswelt in dem Sein freier Selbstbestimmung oder, was dasselbe ist: in dem ab- solut unbestimmten Sein zu erblicken haben. Und da der Ausdruck ,, absolut unbestimmtes Sein" ein negativer ist, lediglich jede äussere Bestimmung verneint und daher, indem' er der Vorstellung jeden Halt entzieht, der Gedankenlosigkeit den begrifflich gerade entgegengesetzten Eindruck des absoluten Nichts machen könnte, setzen wir besser dafür die begrifflich gleichwertige, aber deutlichere positive Bezeichnung „Sein vollkommen freier Selbstbestimmung''. Denn nur um das Freisein jeder Bestimmtheit von aussen her kann es sich hier handeln, wie ja der ganze bezügliche Gedanken- gang von der derartigen Bestimmtheit der Erfahrungs- Subjektobjekte ausging; die „Unbestimmtheit" der Weltsubstanz kann daher nur positiv als die Fähigkeit bezeichnet werden, ihr Wesen jederzeit selbst zu bestimmen.

Vergleicht man nun die so gefundene, der blos illusorischen Erfahrungswelt zu Grunde liegende Substanz mit dieser un- mittelbar gegebenen Erfahrungswelt selbst, so erhebt sich die zweite Frage: Was - d. h. welche von aussen wirkende Kraft oder welche von aussen wirkenden Kräfte oder welche im- manente Selbstbetätigung verwandelt das Sein freier Selbstbestimmung in diese bunte Fülle wechsel- seitig durch einander bestimmter subj ek tiv -ob- jektiver Scheinexistenzen?

Die allen diesen wechselseitig bestimmten Scheinexistenzen als Subjekten wie als Objekten erfahrungsgemäss gemeinsame Erscheinungsform gibt die Antwort darauf. Es ist dies eine Doppel form: jede dieser Scheinexistenzen stellt sich

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einerseits als eine Summe vieler Empfindungen dar, andererseits als eine einheitliche Vorstellung, und zwar beides für die übrigen Scheinexistenzen als Objekt wie auch für sich selbst als Subjekt*). Für die pflanzlichen und noch mehr für die anorganischen Subjekt-Objekte als Subjekte scheinen zwar die Worte „Empfindung" und „Vorstellung'* sehr am unrechten Platze. Allein auch hier ist wieder im Anschluss an die entsprechenden Ausführungen der Einleitung (S. 13, Anmerkung) daran zu erinnern, dass wir noch nicht wissen, ob das e i g e n 1 1 i c h W e s e n 1 1 i c h e dessen, was wir Menschen an uns selbst „Empfindung" und „Vor- stellung" nennen, nicht auch den pflanzlichen und sogar den anorganischen Einzeldingen eigen ist, ja dass diese Annahme bei dem auch den Fachwissenschaften immer mehr sich auf- hellenden einheitlichen Charakter der gesamten Erfahrungs- welt sogar die Wahrscheinlichkeit auf ihrer Seite hat. Wie die Wesensschranken zwischen Tier und Mensch und zwischen Pflanze und Tier dank der fachwissenschaftlichen Fortschritte gefallen sind, wie sich hier alle scheinbaren Wesensunterschiede als verschiedene Grade ein und desselben Wesenscharakters enthüllten, so kann man mit gutem Grund an eine Zukunft glauben, für welche auch der Wesensunterschied zwischen der anorganischen und der organischen Welt wissenschaftlich nicht mehr existiert. Wenn einmal die psychischen Vorgänge des Empfindens und des Vorstellens in objektiv-materiellem Betracht ihre mechanische Erklärung gefunden haben werden^ dann wird auch der Einsturz dieser letzten trennenden Schranke nicht auf sich warten lassen. Andererseits aber dürfte es vor-

*) „Empfindung" ist hier sowohl als subjektive empfindende Einzeltätigi^eit als auch als objektiver ein zelne r Em pf indungs- inhalt, und „einheitliche Vorstellung" sowohl als subjektive einheit- lich vorstellende Einz el tätigkeit als auch als objektiver Inhalt einer ei nzel n e n Einheitsv erstell u n g gemeint. So stellt sich z. B. ein bestimmter einzelner Mensch einerseits dar als eine Summe vieler verschiedener Empfindungen, andererseits als ein Ganzes, als die einheitliche Vorstellung von diesem Menschen, und zwar besteht er nicht nur als Objekt für die übrigen Subjekt-Objekte in dieser Doppelform, sondern auch als Subjekt für sich selber im Selbst- bewusstsein.

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läufig aus VerstäncHichkeits^ründen cliirchaus j^erechtferti^t sein, die Bezeichnungen für die genannten beiden, allen Erfahrunf];s- existenzen gemeinsamen Erscheinungsformen der Ausdrucks- sphäre des höchsten irdischen Subjekt-Objekts unserer Erfah- rung, des Menschen, zu entnehmen und ganz allgemein von „Empfindung" und „Vorstellung'' auch im subjektiven Sinne zu sprechen.

Die Empfindungen schaffende Kraft einer- seits, die Einheitsvorstellungen schaffende Kraft andererseits sind es also, welche gemeinsam das Sein freier Selbstbestimmung in die Schein- existenzen der Erfahrungswelt verwandeln. Dabei will hier unter „Kraft'' nicht etwa eine materielle Kraft im Sinne jener Kräfte verstanden sein, welche von den Erfahrungs- wissenschaften statuiert wurden und untrennbar an eine stoff- liche Basis gebunden sind; vielmehr ist der Ausdruck hier rein-formell als wirkende Ursache zu verstehen. Die Folge wird zeigen, dass diese Form sehr bald ganz von selbst wieder aus der philosophischen Begriffsrechnung verschwindet.

A.

Welches ist das Wesen der Empfindungen schaffenden Kraft?

Sie stellt sich dar als eine Kraft, wel ch e das absol u te unbestimmte Sein in eine Vielheit unter einander (mindestens hinsichtlich ihrer Stellung im Räume oder in der^ Zeit) verschiedener (subjektiver oder objektiver) E i n z e I - heiten verwandelt, von denen eine jede durch sämtliche übrigen (quantitativ und qualitativ) be- stimmt ist.

Statt „verwandelt" kann man auch „differenziert" sagen. Denn was die Subjekt-Objekte von einander unterscheidet, sind ausschliesslich die verschiedenen Empfindungen, die jedes als Objekt erregt und als Subjekt (von aussen und in sich selbst) erfährt, nicht aber etwa die für sie selbst und die übrigen Subjekt-Objekte bestehende Vorstellung ihrer Einheit als Subjekte. Die Erfahrungswelt wäre unter diesem ein- seitigen Gesichtspunkt betrachtet, der jede Zu- sammenfassung und jede Höherentwicklung ignoriert, das

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Werk einer unaufhörlich und schrankenlos tätigen Variations- kraft, ein Chaos. Die fünf Sinne des Menschen und der höheren Tiere sind nichts anderes als Werkzeuge dieser differenzierenden Kraft; sie zerlegen jeden Eindruck in ver- schiedenartige Gruppen von Gesichts-, Gehörs-, Geschmacks-, Geruchs- und Tastempfindungen.

B.

Welches ist das Wesen der Einheitsvorstel- lungen schaffenden Kraft?

Sie stellt sich dar als eine Kraft, welche*) eine Viel- heit untereinander (mindestens hinsichtlich ihrer Stellung im Raum oder in der Zeit) verschiedener (subjektiver oder objektiver) Empfindungen zu einem einheitlichen Ganzen verbindet, das nur von allen anderen (auf die gleiche Weise entstandenen) einheitlichen Ganzen (quantitativ und qualitativ) bestimmt wird, aber nicht mehr von allen jenen (subjektiven oder objektiven) Empfindungen, die es u m f a s s t und in sich s c h 1 i e s s t : aus dem einfachen Grunde , weil es mit jeder von diesen untrennbar eins ist und eine Bestinmitheit von dieser Seite also nur mehr den Sinn freier Selbstbestimmung hat.

Die Empfindungen schaffende Kraft wirkt ana- lytisch, trennend, differenzierend, besondernd, bestimmend und bindend: die Einhei tsvorstel lu ngen schaff e nd e Kraft wirkt synthetisch, vereinigend, indentifizierend, verallgemeinernd und befreiend.

II.

Die Weit der Subjel^t-Objel^te ais iliusorisciier Zustand des Seins freier Selbstbestimmung.

Die Empfindungen schaffende Kraft und die Einheitsvor- stellungen schaffende Kraft wurden bisher lediglich erfasst als zwei Energieen unbekannter Herkunft, welche, gewissermassen von aussen her wirkend, das Sein freier Selbstbestimmung in

•) In jedem einzelnen Falle ihrer Wirksamkeit.

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die nur illusorische Erfahrungswelt, d. h. in die blos für einander vorhandenen Subjekt-Objekte verwandeln. Da diese Erfahrungs- welt, wie schon betont wurde, als Illusion tatsächlich existiert, so muss auch den beiden Kräften als den Schöpferinnen einer tatsächlich bestehenden Illusion Realität zugesprochen werden ; und da alles Reale seinen Sitz in dem Sein freier Selbstbe- stimmung hat, wie gezeigt wurde, kann es sich dabei nur um zwei „Kräfte'' des Seins freier Selbstbestimmung handeln, die auf ebendieses Sein freier Selbstbestimmung a 1 s auf das einzig vorhandene reale ,,Objekt" wirken. Mit einfacheren Worten und ohne materielle Bildlichkeit aus- gedrückt: Das Sein vollkommen freier Selbstbe- stimmung verwandelt sich (freiwillig) selbst in die illusorische Erfahrungswelt, indem es bestrebt ist, sich bis ins Unendliche zu besondern, zu diffe- renzieren, zu bestimmen und zu binden, es verfolgt aber andererseits gleichzeilij^: die Tendenz, alle seine Besonderungen und Differenzierungen mehr und mehr zu einer unendlichen Einheit zu- sammenzuschliessen, derenWesensgehalt es, das Sein vollkommen freier Selbstbestimmung, selbst ist (welchem an sich, wie bereits betont wurde, keine „Einheit" zugeschrieben werden darf*).)

♦) Das klare Festhalten dieser letzteren Unterscheidung ist für das richtige Verständnis der elementaren All -Zusammenhänge von grösster Wichtigkeit. Würde es sich in dem Sein vollkommen freier Selbstbestimmung um eine Einheit handeln, die bestrebt wäre, sich in unendliche Vielheit zu zerteilen und gleichzeitig aus dieser unend- lichen Vielheit seine eigene Einheil, das heisst: sich selbst wieder zusammenzusetzen, so hätten wir in der obigen Formulierung des ele- mentarsten Weltgeschehens einen mehrfachen Nonsens vor uns. Einmal nämlich Hesse sich dann die „Tendenz" des absoluten Seins, etwas zu werden, was es schon ist (nämlich Einheit), nicht begreifen^ ferner noch weniger der (scheinbare, siehe S. 2b, o.) Widerspruch, gleich- zeitig dieser Tendenz und der entgegengesetzten zu folgen. In Wahrheit schaffen beide Tendenzen des absoluten Seins etwas Neues: einer- seits die unerschöpfliche Fülle des Verschiedenen, der illusorischen Differenzierungen, andererseits die unaufhörlich anwachsende, aber nie sich vollendende (siehe S. 25) Vereinheitlichung^ der illusorischen Welt der Subjekt-Objekte.

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Der vorstehende Ausdruck enthält ein Urteil, dessen logische Rechtfertigung noch nachgeholt werden muss: nämlich die Ausdehnung der Wirkung beider Tendenzen ins (zeitlich und räumlich) Unendliche. Der Nach- weis dieser unendlichen Wirkung ist einfach genug. Da es sich um wirkliche Tendenzen des Seins freier Selbstbestimmung handelt, würde die Annahme, dass diese Tendenzen endlich sein m ii s s e n , das heisst : dass die Differenzierung bezw. die Identifizierung des Seins in Zeit und Raum einmal Halt machen müsste, dem in keiner Weise beschränkten d. h. von aussen bestimmten Wesen des „Seins freier Selbstbestimmung" widersprechen. Anderer- seits wird man freilich zunächst dahin neigen, die Möglichkeit zuzugeben, dass diese Tendenzen aus eben jenem gleichen Grunde endlich sein können, denn der vollkommenen Frei- heit des Seins freier Selbstbestimmung muss anscheinend auch die Freiheit zugebilligt werden, eine Tendenz wieder aufzu- geben oder nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt oder einer gewissen Raumgrenze zu verfolgen. Allein diese Möglichkeit erweist sich bei näherem Betracht eben als eine nur schein- bare. Das Innehalten an einer bestimmten zeitlichen oder räumlichen Grenze hätte nämlich zur notwendigen ^logischen Voraussetzung, dass derartige zeitliche oder räumliche Ab- schnitte und Begrenzungen nicht nur für die illusorischen Subjekt -Objekte, sondern auch für das Sein freier Selbstbestimmung real existieren, was wieder seinem Wesen widerspricht. Die Freiheit, die beiden Ten- denzen an einer solchen Zeit- oder Raum-Grenze abzubrechen, wäre daher in Wahrheit gar keine Freiheit, sondern*) eine Gebundenheit. Da also die beiden Tendenzen des Seins vollkommen freier Selbstbestimmung zeitlich oder räumlich weder begrenzt sein müssen noch auch begrenzt sein können, ergibt sich die logische Notwendigkeit, dass sie räumlich und zeitlich ins Unendliche wirksam sind.

in den Begriffen der beiden genannten Tendenzen des Seins freier Selbstbestimmung scheint die logische Unmög-

*) Weil durch Existenz im Sinne der Subjekt-Objekte bedingt!

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}

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lichkeit zu liefen, dass sie gleichzeitig^ erfolgen könnten: handelt es sich doch um anscheinend direkt ent- gegengesetzte, sich widersprechende Tendenzen, scheint doch auch die synthetische Tendenz die wenigstens teilweise er- folgte Analyse zeitlich vorauszusetzen. Trotzdem folgt alier das absolute Sein für die denkende Betrachtung in der Tat stets beiden Tendenzen gleichzeitig, indem jede Tatsache, jede Wesenseigenschaft, jede Erscheinung und jede Veränderung der Erfahrungswelt sich einerseits als ein Werk der differen- zierenden, andererseits aber auch als ein Werk der identifi- zierenden Alltendenz darstellt. Zum Beweise und zur Er- läuterung sei auf das Folgende hingewiesen.

1.

Die Tatsache, dass die Erfahrungswelt sich überall und stets als eine endliche Vielheit von endlichen Einheiten dar- steUt, lässt sich nur durch das gleichzeitige Zusammenwirken einer unendlich differenzierenden und einer unendlich verein- heitlichenden Alltendenz erklären. Die unendlich differen- zierende Tendenz des Seins freier Selbstbestimmung würde, wenn allein wirksam wie schon betont worden ist dieses in jedem kleinsten Augenblick und in unaufhörlichem Wechsel in eine unendliche Vielheit unter einander durchaus verschie- dener Eigenschaften bezw. Tätigkeiten ohne irgendwelchen Zusammenhang, d. h. in ein „Chaos" verwandeln. Anderer- seits würde die unendlich vereinheitlichende Tendenz, wenn allein wirksam, das Entstehen einer Mehrheit überhaupt aus- schliessen, vielmehr das Sein freier Selbstbestimmung, welchem an sich, wie schon früher ausgeführt wurde, der Charakter der Einheit nicht zukommt, zu einer starren, allumfassen- den, unendlichen Einheit machen. Nur aus dem Zusammen- wirken beider Tendenzen, der unendlich differenzierenden und der unendlich identifizierenden, lässt sich eine Erfahrungs- welt erklären, die sich stets und überall als endliche Viel- heit endlich erEinheiten, beziehungsweise als e n d I i c h e Einheit endlicher Vielheiten darstellt*).

*) FürdicErfahrunj^ (irgend einer -nicht blosder menschlichen Einzelexistenzj bleibt die Zahl der beobachteten Einheiten mit logischer

27

2.

Die Erfahrungstatsache der Bewegung geht einerseits aus der differenzierenden Alltendenz hervor, insoferne jede Differenzierung (Veränderung) durch eine Be- wegung — nach dem gegenwärtigen Stande der Fachwissen- schaften qualitativ in letzter Instanz durch eine Be- wegung derMoleküle und Atome zustande kommt ; andererseits aber ist die Erfahrungstatsache der Bewegung auch eine notwendige Folge der vereinheitlichenden Tendenz, insoferne jede Vereinheitlichung in der Erfahrungs- welt nur mittelst einer Bewegung möglich ist, die das Ge- trennte zusammenschliesst. So bezeichnete auch die mate- rialistische Naturwissenschaft der neueren Zeit das Wesen der Welt als „bewegte Stoffatome", in der Erkenntnis, dass die Stoffatome allein als ewig getrennt und unvereinbar zur Er- klärung der F>scheinungswelt nicht hinreichen würden. In der Tat lässt sich von jeder einzelnen Bewegung in der Er- scheinungswelt leicht nachweisen, dass durch sie zugleich neue Differenzierungen und neue Einheiten entstehen.

3.

Die Einheitsvorstellungen sind ein Werk der differenzierenden Alltendenz, insoferne sich das absolute Sein in ihnen stets wieder in neuer Besonderung zeigt; sie fügen nämlich dem unendlich manigfaltigen (scheinbaren) Sein als blosse Eigenschaft oder Tätigkeit das ebenso unend- lich manigfaltige Sein der mit Eigenschaften und Tätigkeiten begabten (scheinbaren) Einzeldinge hinzu. Zugleich sind aber natürlich die Einheitsvorstellungen auch ein Werk der vereinheitlichenden Alltendenz, da sie Gruppen von niedrigeren Differenzierungen, d. h. von Eigenschaften und Tätigkeiten, zu Einheiten „Einzeldingen" verbinden.

Notwendigkeit stets eine endliche, auch wenn sie in jedem Augen- blick das Dasein von Billionen oder Trillionen neuer Einheiten fest- stellen könnte. Nur das logische Denken belehrt uns, dass die Gesamtzahl der Einheiten im Räume wie in der Zeit unendlich gross sein muss; die Erfahrung vermag immer nur die endliche Summe der beobachteten Einheiten zu vergrössern.

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4.

I

Die Veränderungen, welche sich fortwährend an jedem a n o r g a n i s c li e n E i n z c I d i n g der Erfah- rungswelt (infolge der Wechselwirkungen zwischen ihm und den Nebendingen) vollziehen, stellen sich einerseits dar als Wirkung der differenzierenden Tendenz des Allseins, insoferne jede kleinste Veränderung dieses Allsein weiterdifferenziert, andererseits aber auch als Wirkung von dessen vereinheitlichender Tendenz, indem jede Ver- änderung anorganischer Einzeldinge neue anorganische Einheiten schafft oder organische Einheiten schaffen

hilft.

5.

Die Entwicklung jedes organischen Lebe- wesens der Erfahrungswelt stellt sich dar als Wirkung der differenzierenden Alltendenz, insoferne jeder kleinste Fortschritt des Lebewesens (wie auch überhaupt jede seiner Betätigungen nach aussen) wieder neue Differenzierungen des Allseins bedeutet bzw. zur Folge hat ; andererseits aber stellt sie sich auch als Wirkung der vereinheitlichen d e n All- tendenz dar, indem nicht nur wie bei den anorganischen Einzeldingen fortwährend neue, von den früheren verschiedene Einheiten entstehen, sondern letztere auch immer umfassendere Bedeutung gewinnen. So nehmen, rein materiell betrachtet. Pflanze, Tier und Mensch im Ver- laufe ihres Wachstums organische und anorganische Neben- dinge in sich auf und assimilieren sie ihrem einheitlichen Ich, während ausserdem in einem höheren Betracht beim Menschen und wohl auch beim höheren Tier der Inhalt der einheitlichen Ichvorstellung im Selbstbewusstsein wie auch der Besitz an äusseren Vorstellungen im Bevvusstsein und Gedächtnis un- aufhörlich wächst.

Der unendliche Raum und die unendliche Zeit als die Daseinsformen der Erfahrungs- Subjektobjekte erklären sich als Wirkungen der ins Unendliche differenzierenden Alltendenz, insoferne erst diese Doppelform eine unendliche

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Differenzierung des Allseins ermöglicht, indem sie unter den Erfahrungs- Subjektobjekten auch nicht zwei in jeder Hinsicht gleiche duldet. Angenommen nämlich, es gäbe vollkommen gleichzeitig zwei an sich vollkommen gleich be- schaffene Atome, so wäre doch an ein und derselben Stelle des Raumes kein Platz für beide, und unter- schieden sich daher beide hinsichtlich ihrer Stellung im Räume. Andererseits aber müssen Raum und Zeit mit gleichem logischem Recht als Folgen der ins Unendliche vereinheitlichenden Alltendenz betrachtet werden, denn jede ins Unendliche wachsende Vereinheitlichung kann nur in einem unendlichen Raum und einer unendlichen Zeit geschehen, da jede Vielheit nur im räumlichen Nebeneinander, eine unendliche Vielheit also nur im unendlichen räumlichen Nebeneinander denkbar ist, und die allmäliche Vereinheit- lichung dieser unendlichen V^ielheit mit logischer Notwendigkeit eine unendliche Zeit beansprucht.

III.

Freiheit und Notwendigkeit in der Welt der

SubJekt=Objekte,

Der Begriff ,, Freiheit'' hat, streng verstanden, die unbe- dingte subjektive und objektive Freiheit des Wollens wie auch die unbedingte Freiheit des objektiven Vollbringens des Ge- wollten zum Inhalt. Dass beides, vollkommene Willensfreiheit und Allmacht, nur dem Sein freier Selbstbestimmung zukommt, versteht sich nach den bisherigen Ausführungen und aus dem Begriffe des Seins freier Selbstbestimmung von selbst*).

*) Freilich nur dadurch, dass für das Sein freier Selbstbestimmung überhaupt keine andere Existenz vorhanden ist, die seine „Freiheit'' beeinträchtigen könnte! Der obige Begriffsinhalt ist vom Standpunkte und im Sinne eines einzelnen illusorischen Subjekt-Objekts formuliert, als Gegensatz des Begriffsinhaltes der „Unfreiheit" eines solchen. Das „objektive Vollbringen" des Seins freier Selbstbestim- mung ist nur deshalb vollkommen frei, weil dieses eben selbst der reale Gehalt überhaupt aller möglichen „Objekte" ist.

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Wie verhält es sich nun aber damit bei jedem einzelnen der illusorischen Subjekt-Objekte ?

Dass jedes einzelne Subjekt-Objekt als solches bestimmt ist durch alle übrigen Subjekt-Objekte, wurde bereits festge- stellt. Betrachtet man daher seine Willenstätigkeit von aussen her, das heisst: objektiv, so wird man dieser Tätigkeit die Freiheit absprechen müssen. Allein damit ist eben die Sache noch nicht ganz entschieden, denn es fragt sich, ob diese rein-objektive Betrachtungsweise hier allein gerechtfertigt ist. Die subjektive Betrachtungsweise hat hier mindestens dieselbe Berechtigung. Wenn man z. B. die Frage aufwirft : ,,Kann der einzelne Mensch zwischen drei in einem kritischen Augenblick möglichen Entschlüssen a, b und c frei wählen ?** so meint man : „Ist es dem subjektiven Belieben dieses Men- schen, sowie er nun einmal in dem betreffenden Augenblicke durch seine persönliche Natur und durch äussere Einflüsse beschaffen ist, anheimge- geben, den Entschluss a, den Entschluss b oder den Entschluss c zu fassen, oder siebter sich auch als Subjekt in dem ent- scheidenden Augenblick von einem fremden Willen zu einem der drei möglichen Entschlüsse gezwungen? Die Antwort darauf lautet natürlich : Wenn ein einzelner Mensch die Möglichkeit dreier verschiedener Entschlüsse vor sich hat, so besteht ebenhiermit für ihn subjektiv ohne Zweifel die Freiheit der Wahl einer dieser Entschlüsse, wiewohl seine schliessliche Entscheidung objektiv betrachtet mit Not- wendigkeit erfolgt. Objektive und subjektive Freiheit sind eben streng zu unterscheiden; für die subjektive Freiheit der Wahl und nach ihr fragt das populäre Interesse bei der Sache vor allem kommt lediglich in Betracht, ob die subjektive Tätigkeit des Wählens ausschliesslich dem mensch- lichen Subjekt, so wie es in dem entscheidenden Augenblicke (beschaffen und beeinflusst) ist, überlassen bleibt, oder ob eine fremde Kraft in diesem Augenblick die Wahl erzwingt. Dass das Ergebnis sich als notwendige Wirkung der augenblicklichen Beschaffenheit des betreffenden Menschen darstellt, sobald man den Vorgang objektiv betrachtet, kann den subjektiv freien Charakter des Entschlusses nicht

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beeinträchtigen, denn eine Abhängigkeit, die als solche nicht empfunden wird, ist für den Menschen als Subjekt eben keine Abhängigkeit.

So löst sich denn das scheinbar so schwierige, vielum- strittene Problem der Willensfreiheit in ziemlich einfacher Weise. Der Wille des einzelnen Subjekt-Objekts ist zunächst, objektiv betrachtet, überhaupt illusorischen Charakters, wie alle Subjekt- Objekte selbst ; er ist mit diesen selbst eine (notwendige) Wirkung der freien Willenstendenzen des Allseins. Innerhalb der illusorischen Erfahrungswirklichkeit aber ist er subjektiv betrachtet frei, objektiv betrachtet unfrei, mit Not- wendigkeit bestimmt.

Kürzer lässt sich die Frage nach der Wirkungsfrei- heit des einzelnen Subjekt-Objekts erledigen. Freie Macht hat das einzelne Subjekt-Objekt bestenfalls*) nur über sich selbst, das heisst: über die Subjekt-Objekte, deren Einheit es ist; gegenüber den fremden Subjekt-Objekten ausser ihm reicht seine Macht nur so weit, als es die eigene Machtäusserung derselben gestattet.

Scheint es nach dem Bisherigen schlimm genug um die Freiheit in der Erfahrungswelt bestellt, so ändert sich doch das Bild wesentlich, wenn man die enge Sphäre unserer gegenwärtigen, menschlichen Erfahrung gedanklich verlässt und zu weiterem Ausblick eine der in den ersten Abschnitten festgestellten elementaren logischen Tatsachen heranzieht, an welche hier angeknüpft werden muss. Es ist dies die Tatsache, dass die eine der beiden die Erfahrungs- welt schaffenden Tendenzen des Seins freier Selbstbestimmung ins Unendliche identifizierend und ebenhiermit be- freiend wirkt. Für die menschliche Erfahrung zeigt sich diese identifizierende und befreiende Tendenz keineswegs unendlich und radikal, sondern nur in geringem Umfange wirksam (wie auch die Wirkungen der ins Unendliche differenzierenden Alltendenz sich der menschlichen

^) d. h. im normalen Falle. In abnormen Fällen, wenn ihm durch Krankheit die Herrschaft über einzelne Teile seines Ichs ent- rissen wird, ist auch diese Macht beschränkt; ebenso auch etwa im Rausche und in der Hypnose.

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33

f

Erfahrunj^: nur in beschränktem Masse darstellen), strcn^f^e- nommen nur in jedem der für uns Menschen bestehenden Erfahrungsindividuen, insoferne diese i n sich selbst keinen Widerstand gej^en ihren einheitlichen Willen finden. Man muss daher annehmen, dass sich (wie die weitere Differenzierung), auch die weitere Identifizierung bzw. Befreiung dieser Erfah- rungsexistenzen allgemein in der unendlichen Folge- z e i t und individuell in einer p o s t h u m e n *) hlöherentwicklung des einzelnen Indivi- duums vollzieht , welche unserer Beobachtung natur- gemäss verschlossen bleibt , solange wir selbst Menschen sind, das heisst: solange wir uns als Individuen (Einzel- existenzen, Subjekt- Objekte) selbst noch auf einer sehr niedrigen und unfreien Entwicklungshöhe befinden. Die erste re logische Notwendigkeit, dass die Willensfreiheit und Macht der Erfahrungs - Subjektobjekte a 1 1 g e m e i n in der Zeit stetig wachst, können wir schon in unserer mensch- lichen Erfahrung bestätigt sehen; es braucht hier nur auf die Kulturgeschichte der Menschheit hingewiesen zu werden, die eine Geschichte der stetig wachsenden Freiheit der höchstentwickelten grobmateriell -irdischen Subjekt-Objekte, der Menschen und ihrer wachsenden Macht nach aussen ist **). Aller- dings wurde dieser Fortschritt innerhalb der mensch- lichen Sphäre vorwiegend nur durch soziale Vereinigung, durch Werkzeuge, Maschinen und andere künstliche Mittel erreicht, welche die Freiheit und Macht des Individuums über

*) Diese posthumc (bzw. der grobmateriellen Zerstörung folgende) Höherentwicklung, d. h. Befreiung vom illusorischen Charakter, erfolgt, wie im Abschn. IV gezeigt werden soll, bei den untermenschlichen Subjekt-Objekten unserer irdischen Erfahrung (Tieren, Pflanzen, anor- ganischen Einzeldingen) plötzlich und radikal, beiden menschlichen aber allmälich in endloser Annäherung an die Realität.

**) Man denke unter anderem auch an die wachsende Freiheit der unteren Volksklassen und des Weibes. Uebrigens lässt sich das Gleiche auch bis zu einem gewissen Grade von den Tieren und den Pflanzen sagen, deren Freiheit mit der Freiheit des Menschen wuchs; man denke an den modernen Tierschutz und an die sorgsame und schützende Pflege, die der Mensch dem Gedeihen vieler Pflanzen widmet.

dessen natürliche Grenzen hinaus erweiterten und ein Mass der Freiheit und Macht künstlich antizipierten, das höheren, posthumen Entwicklungsstufen der Menschen gewesenen Indi- viduen von Natur aus eigen ist. Die zweite logische Notwendigkeit aber, dass die Freiheit und Macht des mensch- lichen Individuums sich in einer posthumen unendlichen Höherentwicklung mehr und mehr steigert (ohne doch je vollkommene Freiheit und Macht zu werden), soll in dem folgenden Abschnitt nähere Erörterung finden.

IV.

Der Tod des Menschen und die

Weiterentwicklung der Mensch gewesenen

illusorischen Einzelexistenz.

Dass der physische Tod des Menschen nicht das Ende der persönlichen Entwicklung desselben bedeuten kann*), ist in dem Vorigen nachgewiesen worden ; sowohl die unendliche Differenzierung des realen Seins als auch die unendliche Identifizierung und Befreiung des (illusorischen) bestimmten Seins fordert mit logischer Notwendigkeit die Weiterdifferen- zierung und Weitervereinheitlichung in der Verlängerungslinie jeder einzelnen menschlichen Persönlichkeit über den Tod hinaus. Wie hat man sich nun aber die Weiterverein- heitlichung des bestimmten Seins über den Tod eines einzelnen Menschen hinaus zu denken?

Hierüber sind folgende elementaren logischen Fest- stellungen möglich.

I.

Mit dem Tode tritt sowohl für den Menschen als Subjekt als auch für den Menschen als Objekt

*) Wir werden freilich später sehen, dass in besonderenAus- nahmefällen der physische Tod eines einzelnen „Menschen" das Ende seiner persönlichen Entwicklung bedeuten kann (vergl. S. 47), aber eben nur dann, wenn dieser einzelne „Mensch" in Wahrheit eben keinen menschlichen, sondern noch einen tierischen Charakter hatte.

3

34

eine Erweiterung seiner Persönlichkeitsgrenzen und damit seiner Willensfreiheit und unmittel- baren Macht ein. Um eine blosse Weiterentwicklung des Menschen als (geistigen) Subjekts kann es sich nämlich deshalb nicht handeln, weil die illusorische Einzelexistenz, wie festgestellt wurde, stets Subjekt und Objekt in einem bleibt. Auch die Natur der Mensch gewesenen Persönlichkeit trägt daher, wie der Mensch selbst, zugleich geistigen (subjektiven) und materiellen (objektiven) Charakter.

2.

Die unendliche Weitervereinheitlichung des bestimmten illusorischen Seins muss sich unter anderem auch an den der menschlichen Erfahrung gegebenen Sub- jekt-Objekten vollziehen, das heisst sie muss unter anderem in demselben (unendlichen) Räume wachsen, in welchem die Subjekt-Objekte unserer menschlichen Erfahrung neben einander existieren. Für den menschlichen Betrachtungs- standpunkt — die eventuelle menschliche Erfahrung wird die posthume subjektive und objektive Erweiterung der menschlichen Persönlichkeit daher in dem subjektiven und objektiven Sichausdehnen auf (mit ihm) gleich- zeitig existierende Subjekt-Objekte der mensch- lichen Erfahrungswelt bestehen, und zwar werden dafür naturgemäss zunächst diejenigen Subjekt-Objekte der mensch- lichen Erfahrungswelt in Betracht kommen, mit welchen das fortexistierende , Mensch gewesene Subjekt- Objekt seinem illusorischen Charakter nach etwas Gemeinsames hat, welchem es in der illusorischen Beschaffenheit generell und individuell ähnlich, verwandt ist: also zunächst Menschen verwandten Charakters.

3.

Wie wir schon früher festgestellt haben, nähert sich die unendliche Gesamtentwicklung der illusorischen Erfahrungs- welt wie auch die unendliche Entwicklung jedes einzelnen illusorischen Subjekt-Objekts mehr und mehr dem (nie er- reichbaren) Zustand einer individuellen, persönlichen Einheit,

35

die das Sein vollkommen freier Selbstbestimmung zum Inhalt hätte. Damit ist nun aber die Tatsache gegeben, dass di e materielle wie auch die geistige Bestimmtheit der einzelnen menschlichen Persönlichkeit bei ihrer posthumen Weiter- und H öherentwicklung immer mehr abnimmt, dass das posthume Individuum, ohne je- mals den Charakter einer bestimmten Persönlichkeit ganz zu verlieren , sich doch mehr und mehr der vollkommenen Wesensfreiheit, der wesentlichen Selbstbestimmungsfähigkeit des (von aussen her) unbestimmten absoluten Seins nähert.

4.

Da das Sein vollkommen freier Selbstbestimmung die lebendige Realität aller Subjekt-Objekte der Erde ist, so muss das posthum sich fortentwickelnde Mensch gewesene Subjekt-Objekt mit seiner Höherentwicklung auch das ver- hältnismässig realere (das nächstrealere) Wesen von zunächst einigen gleichzeitig mit ihm existierenden menschlichen oder untermenschlichen Subjekt- Objekten unserer menschlich-irdischen Erfah- rungswelt werden. Dass es jedenfalls, auch im Falle der sofortigen Entwicklung zum nächstrealeren Sein eines oder mehrerer Menschen, zugleich das nächstrealere Wesen unter- menschlicher — tierischer, pflanzlicher und anorganischer Subjekt-Objekte der Erde wird, lässt sich logisch nicht von der Hand weisen; so spröde dieser Schluss erscheinen mag, verliert er doch alles Verletzende durch die Erwägung, dass das Allwesen selbst das realste Wesen auch sämtlicher untermenschlichen illusorischen Existenzen ist, und dass die Betätigung der Menschen gewesenen Sub- jekt-Objekte als verhältnismässig realeres Wesen untermensch- licher Existenzen naturgemäss nur als in vollkommenerer (auch innerer) Beherrschung derselben zu höheren Zwecken, nicht aber etwa als in einer rückschritt- lichen Identifizierung mit ihnen bestehend angenom- men werden kann. Manche bezüglichen Phänomene des Occultismus könnten, falls ihre betrugfreie Tatsächlichkeit zu erweisen ist, in dieser vollkommeneren Beherrschung Unter- st

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menschlicher Subjekt-Objekte durch Menschen gewesene ihre hinreichende Erklärung finden.

5.

Im Laufe der weiteren Höherentwickkmg, die man sich wohl nicht in gewaltsamen Katastrophen, sondern mit kon- tinuierlicher AUmälichkeit erfolgend zu denken hat, muss dann immer vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet, welcher uns hier vor allem interessiert, da er allein unserer Vorstellung einigen Anhalt bietet die posthume Persönlich- keit (das Mensch gew. Subj.-Obj.) in immer mehr gleich- zeitig mit ihr existierenden Menschen und untermenschlichen irdischen Subjekt-Objekten leben, als deren gemeinsamer ver- hältnismässig realerer Wesensgehalt, bis schliesslich diese ehedem menschliche Persönlichkeit der verhältnismässig realere gemeinsame Wesensgehalt sämtlicher mit ihm gleichzeitig e xist ie re nder M ensc h e n wie auch sämtlicher gleichzeitig existierender tierischer, pflanzlicher und anorganischer S ubjekt- Objekte der Erde wird: also etwa das, was man mit Goethe ein- seitig-subjektiv „Erdgeist" nennen könnte. Damit ist dann eine Art erster grosser Etappe der Höherentwicklung des Mensch gewesenen Subjekt-Objekts erreicht*). Wohlgemerkt: es handelt sich hier um einen Punkt der Entwicklung, den jede menschliche Einzelexistenz früher oder später einmal

♦) Mit dieser Folgerung stimmt die Anschauung G. Th. Fechner's von der individuellen Einheit des Erdplaneten vielfach überein. Freilich aber erscheint bei Fechner die individuelle Einheit der Erde mehr wie eine menschliche Persönlichkeit, womit sich seine naturwissen- schaftlich beeinflusste Phantasie gewiss viel zu weit verstieg. Er dachte sich das glühende Erdinnere, die feste Erdrinde, den Ocean, die At- mosphäre und die gesamte Menschen-, Tier- und Pflanzenwelt durch ein gemeinsames individuelles und selbstbewusstes Kraftcentrum zu- sammengehalten und in allen Wirkungsbeziehungeu innig verwachsen; Tag und Nacht entsprachen ihm dem Wachen und Schlaf des Menschen, der Kreislauf der Gewässer dessen Blutkreislauf, Ebbe und Flut des Meeres dem Pulsschlag des menschlichen Herzens, die grüne Vegeta- tionsdecke des Erdballs der empfindenden Haut des Menschen. Das sind wohl dichterische Vergleiche, aber eine wirkliche organische Ein- heit der Erde in diesem grobmateriellen Persönlichkeitssinne lässt sich nicht anerkennen.

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passiert, auf der eine jede kürzere oder längere Zeit ver- weilt, so grotesk dieser Gedanke beim Anblick eines ästhetisch, intellektuell oder moralisch sehr minderwertigen Menschen- exemplars erscheinen mag. Das Minderwertige an einem solchen Menschen ist eben nur das Illusorische an ihm, während seine Realität, sein innerstes Wesen gar nicht erhaben genug gedacht werden kann. In dieser logischen Tatsache liegt ein Allhumor begründet, gegen den die Leistungen unseres win- zigen menschlichen Humors verschwinden.

Das im Verhältnis zum realen Sein freier Selbstbestim- mung trotz alledem noch illusorische, von aussen her seitens der gleichhoch entwickelten übrigen Subjekt-Objekte bestimmte Individuum, das jeweils die bezeichnete erste Etappe der nach- irdischen Entwicklung erreicht hat, ist nach innen, innerhalb der Erdsphäre, frei in demselben Sinne, in welchem das menschliche Individuum über seine eigene Person verfügt; es beeinflusst und leitet mit einem in diesen Grenzen ebenso freien Willen die Geschicke der gleichzeitig lebenden Menschen (wie auch aller gleichzeitig existierenden Tiere, Pflanzen und anorganischen Subjekt-Objekte der Erde); es ist, solange es auf dieser Höhe der Entwicklung verharrt, der (nächste, unmittelbare) Beherrscher*) der Erde. Ein solches die ganze Erdsphäre beherrschendes Mensch ge- wesenes Subjekt-Objekt wird, wenn es innerhalb dieser Grenzen in seinem eigenen Sinne wirkt, damit stets auch ganz im Sinne sämtlicher bereits noch höher (als es) entwickelter Subjekt-0 b je k t e (im Sinne des augen-

*) Wenn hier und im Folgenden von dem „Erdbeherrscher" und dem „Sonnenherrscher" die Rede ist, so darf man darin selbstverständ- lich nichts weiter erblicken als eine abgekürzte Ausdrucks wei se; um eine Persönlichkeit im menschlichen Sinne, geschweige denn um eine „männliche" Persönlichkeit handelt es sich natürlich keineswegs, überhaupt um nichts Anthropomorphes. Der Unterschied des Männlichen und Weiblichen besteht auch in seelischer Beziehung schon für die allernächsten nachmenschlichen Entwicklungsgrade nicht mehr, da man den Ausgleich der geschlechtlichen Differenzierung als eine der ersten nachmenschlichen Wirkungen der vereinheitlichenden Alltendenz an- nehmen muss; jedenfalls wird der jeweilige „Erdbeherrscher" ebensooft ein ehemaliger Mann als ein ehemaliges Weib sein.

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blicklichen „Sonnenherrschers" s. u. Absatz 7 dieses Ab- schnitts! des Herrschers der nächstweiteren Sphäre, und so fort) wie auch ganz im Sinne des Allwesens (des Seins freier Selbstbestimmung) wirken, da alles Positive (Nicht- illusorische) seiner Persönlichkeit mit dem in der Erdsphäre wirkenden Positiven (Nichtillusorischen) jener bereits noch höher entwickelten Subjekt-Objekte wie auch mit dem realen (durchaus positiven) Allwesen, insoweit dieses in der Erdsphäre wirkt, vollkommen identisch geworden ist. Die Machtwirkungen des jeweiligen (nächsten, unmittelbaren) „Erdbeherrschers'' innerhalb der Erdsphäre werden daher keineswegs beschränkt dadurch, dass auch allen jenen bereits noch höher entwickelten Subjekt-Objekten wie auch dem Allwesen selbst die freie Beherrschung dieser Sphäre eigen ist: denn da es sich in Wahrheit immer nur um ein und denselben Willen und ein und dieselbe Macht handelt, ist hier jeder Widerstreit verschiedener Willensrich- tungen bzw. Mächte ausgeschlossen. Aus dem gleichen Grunde bietet die Frage der „Succession" der Menschen gewesenen Subjekt-Objekte in der Beherrschung der Erdsphäre (oder der Sonnensphäre u. s. f.) keine logische Schwierigkeit, wie es dem oberflächlichen Urteil etwa scheinen könnte; ange- nommen nämlich, dass zwei oder mehrere Menschen ge- wesene Subjekt-Objekte gleichzeitig zur Beherrschung der ganzen Erdsphäre fortschreiten, oder dass ein oder mehrere solche Subjekt-Objekte sie erreichen, ehe der vorherige Erd- beherrscher sein Machtbereich weiter ausgedehnt hat, werden sämtliche „konkurrierenden" Subjekt-Objekte in dem für die Erdbeherrschung allein in Betracht kommenden Positiven (Realen, Nichtillusorischen) ihrer Persönlichkeit mit einander identisch, sodass unter ihnen jeder Widerstreit des Willens oder der Macht ausgeschlossen ist. Auch diesen Verhältnissen gegenüber darf man eben niemals vergessen, dass in Wahrheit nur das Allwesen (das Sein vollkommen freier Selbstbestimmung) vorhanden und jedes Subjekt-Objekt nur eine seiner illusorischen Selbstbeschränkungen ist, welch letztere sämtlich, unter steter Abnahme der Illusion, der völligen Identifizierung mit ihm, dem Allwesen, zustreben und sie in

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immer höherem Grade, in immer weiterem Umfange er- reichen.

Trotz der in dem Vorigen erläuterten Identität der (gleich- zeitigen und auf einander folgenden) Erdbeherrscher hinsicht- lich des Positiven, Nichtillusorischen ihrer Persönlichkeit darf man sie sich indessen keineswegs als unter sich durchaus identisch (als durchaus Einunddasselbe) denken, denn mit dem illusorischen Teil ihrer Persönlichkeit bleiben sie unter sich verschiedene, getrennte Individualitäten (ganz wie sie sich in dieser Hinsicht auch von den die Erdsphäre mitbeherrschenden, bereits höher entwickelten Subjekt-Objekten unterscheiden). Im illusorischen Sinne bringt daher ein jedes Subjekt-Objekt, das zur Erdbeherrschung fortschreitet, etwas Neues im Sinne der unendlich differenzieren- den Alltendenz hinzu. Beispielsweise wäre hier auf die jedesmal verschiedenen Erinnerungen aus den früheren und frühesten Entwicklungszeiten der betreffenden Subjekt- Objekte hinzuweisen, denn die Annahme, dass sämtliche Er- fahrungen (Erlebnisse) der Subjekt-Objekte (wenn sie auch in unserem menschlichen Alltagsbewusstsein nicht vollzählig zu haften pflegen) auf dem Grunde der Persönlichkeit („un- bewusst") erhalten bleiben, wird nicht nur durch die ins Unendliche differenzierende Alltendenz gefordert, sondern auch schon unserer menschlichen Erfahrung durch manche bedeutsamen psychischen Phänomene bekräftigt ; besondere Ausnahmezustände, abnorme Steigerungen des Seelenlebens, wie Traum, tiefe Versunkenheit, Hellsehen, Momente plötzlicher Lebensgefahr rufen dem Menschen erfahrungsgemäss oft die lückenlose Reihe auch des anscheinend „Vergessenen'' mit der Frische des ursprünglichen Eindrucks ins Gedächtnis zurück.

6.

Bei der nachirdischen Höherentwicklung des mensch- lichen Subjekt -Objekts handelt es sich notwendigerweise subjektiv um die Aneignung immer allgemeinerer, gemein- samerer, verhältnismässig realerer geistiger Kräfte, objektiv um das Gewinnen einer immer allgemeineren, gemeinsameren, verhältnismässig realeren Körperlichkeit.

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7.

Die zweite kosmische Etappe der nachirdischen Höher- entwicklung des Menschen in der hier ins Auge gefassten Richtung ist die Erhebung zum realeren Daseinsgehalt unseres Sonnensystems, wobei sich aber in der Beherrschung dieser umfassenderen Sphäre frühere Beherrscher eines der übrigen Weltkörper des Systems mit früheren Beherrschern der Erde ablösen werden.

8.

Der Grad der natürlichen Vereinheitlichung, in dem die umgebende subjekt-objektive Welt dem einzelnen Subjekt- Objekt erscheint, entspricht stets dem Grad der Vereinheitlichung, den es selbst erreicht hat. So stellen sich dem Menschen wieder die Menschen als die höchsten natürlichen Vereinheitlichungen des bestimmten Seins dar; ebenso werden sich jedem Erdbeherrscher (die übrigen eventuell gleichzeitig wirkenden Erdbeherrscher und) die Beherrscher der einzelnen Weltkörper unseres Sonnensystems als die höchsten Vereinheit- lichungen des bestimmten Seins darstellen.

9.

Als unfreies äusseres Wirkungsbereich des einzelnen Subjekt-Objekts muss man das Bereich seiner freien Herr- schaft auf der nächsten kosmischen Entwicklungsstufe annehmen; so sind äussere Wirkungen des einzelnen Menschen (und zunächst auch noch jedes Mensch gewesenen nach- irdischen Subjekt-Objekts) nur innerhalb der Erdsphäre, äussere Wirkungen eines Beherrschers der Erdsphäre (und zunächst auch noch jedes Erdbeherrscher gewesenen Subjekt- Objekts) nur innerhalb der Sonnensphäre unseres Sonnensystems möglich.

10.

Aus dem Entwicklungsfortschritt jedes einzelnen Subjekt- Objekts ziehen alle diejenigen Subjekt -Objekte, deren be- herrschende Einheit und verhältnismässig realeres Wesen es ist, für ihre eigene Höherentwicklung Vorteil. Der Ausdruck „Beherrschung" hat daher, wenigstens menschlichen Individuen

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gegenüber, weit mehr den Sinn einer freundlichen Förde- rung als den einer Tyrannei, zumal, wie im dritten Ab- schnitt dieser Schrift gezeigt wurde, jedes Subjekt -Objekt subjektiv frei ist.

11.

In der unter 10 betonten Tatsache liegt schon begründet, dass z. B. das subjektiv-geistige und objektiv- körperliche Niveau der lebenden Erdenmensch- heit unter dem Einfluss der Fortschritte aller Menschen ge- wesenen Subjekt-Objekte allmälich steigt, und zwar in fortwährend beschleunigtem Tempo. Unter der „körperlichen Höherentwicklung'* der Menschheit darf man indessen nicht etwa an eine Steigerung der persönlichen körperlichen Vollkommenheit, der natürlichen Kraft, Ge- wandheit oder Gesundheit des menschlichen Körpers denken, welche Steigerung erfahrungsgemäss nicht stattfindet, vielmehr handelt es sich hier um das Schaffen von Werkzeugen und Maschinen, deren Gesamtheit dem Menschen allmälich körper- liche bzw. materiebeherrschende Fähigkeiten verleihen, die früher Besitz erst nachirdischer Entwicklungsgrade des mensch- lichen Individuums waren.

12.

Aus dem bisher Festgestellten ergibt sich hinsichtlich des einzelnen lebenden Menschen, dass sein Wille objektiv freier und seine Macht über die irdische Aussenwelt grösser wird, sobald er auf seinem persönlichen Stand- punkte als einzelner Mensch dasselbe will, was eine realere Persönlichkeit, die ihn in sich schliesst (etwa sogar der jeweilige Erdbeherrscher) als solcher will. Hier liegt wohl der Grund der materiellen „Wunderkraft" bevorzugter Menschen und vieler über- raschender Erscheinungen des Mediumismus, hier auch die Quelle der übermenschlichen Genialität einzelner Künstler und Erfinder.

13.

Man könnte vielleicht den Einwand erheben, dass diese letzten Feststellungen einseitig nur der vereinheitlichenden,

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identifizierenden, von der Bestimmtheit befreienden Alltendenz entsprächen, nicht aber der differenzierenden, bis ins Unendliche bestimmenden Alltendenz. Bei näherem Betracht überzeugt man sich indessen leicht, dass dem nicht so ist. Was nämlich könnte die individuell- illusorische Bestimmtheit eines menschlichen oder untermensch- lichen Subjekt-Objekts in höherem Grade variieren, als die persönlich besondere und dabei beständig wechselnde Beein- flussung durch eine unendliche Reihe immer umfassenderer höherentwickelter Individuen? ganz abgesehen von der Tat- sache, dass bei der Höherentwicklung jedes einzelnen Subjekt- Objekts durch das Entstehen immer umfassenderer individuell- bestimmter Einheiten schon an sich eine rastlose Differen- zierung des Allseins stattfindet, die mit der Vereinheitlichung stets gleichen Schritt hält.

14.

Die Beherrschung von (organischen oder anorganischen) Einzelexistenzen (Subjekt-Objekten) unserer menschlich-irdi- schen Erfahrungswelt also z. B. einzelner Menschen, ein- zelner Tiere, einzelner lebloser Gegenstände muss den Mensch gewesenen Subjekt-Objekten, wie wir sahen, schon gleich nach dem physischen Tode in höherem Grade zu- kommen als den lebenden Menschen. Je höher aber die post- hume Entwicklung des Mensch gewesenen Subjekt-Objekts vorgeschritten ist, in desto höherem Grade wird sich das beherrschende Subjekt-Objekt seiner realen Wesensidentität mit dem beherrschten Subjekt-Objekt bewusst sein, und desto weniger illusorischen Charakter werden seine Einwirkungen auf das beherrschte Subjekt-Objekt haben. Mit anderen Worten : ein aus dem Gefühl der Identität geborenes wesentliches Auf- gehen in dem ,, beherrschten^* Subjekt-Objekt wird immer mehr an die Stelle egoistisch fremder Herrschsucht treten, und eben- hierdurch wird beispielsweise eine von einem lebenden Menschen empfangene Einwirkung dieser Art desto weniger als fremde Einwirkung, desto mehr als eigenes Wollen und Wirken empfunden werden, aus je höheren Sphären, das heisst: von einem je höherentwickelten übermenschlichen Subjekt-Objekt

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die Einwirkung kommt*). Zu solchen relativ höheren Ein- wirkungen dürfte wohl auch das persönliche ,, Gewissen'' des Menschen zu zählen sein. Ein Mensch, der ,,kein Gewissen mehr hat'S wäre hiernach ein Mensch, den das oder die höher entwickelten übermenschlichen Subjekt - Objekte , die früher in ihm wirkten, als Einzelperson aufgegeben haben, weil sie sich keine Höherentwicklung dieser menschlichen Einzelperson mehr versprechen, während ein ,,ge wissen- loser'' Mensch ein solcher wäre, dessen Höherentwicklung als menschliche Einzelperson überhaupt nicht von über- menschlichen Subjekt-Objekten gefördert wird.

So viel über die Höherentwicklung des einzelnen mensch- lichen Individuums nach dem physischen Tode. Wie ist es nun aber in dieser Hinsicht um die Tierindividuen, die Pflanzen- individuen und die anorganischen Einzeldinge der mensch- lich-irdischen Erfahrungswelt bestellt? Kommt auch ihnen eine Fortexistenz und Höherentwicklung nach dem physischen Tode bzw. nach der Zerstörung zu, oder nicht? Hat ferner jene naturwissenschaftliche Tiieorie, die den Menschen aus den höchstenwickelten Tieren hervorgehen lässt, Recht oder Unrecht?

Was nun zunächst die darwinistische Abstammungstheorie anlangt, so entspricht sie durchaus unseren bisherigen Fest- stellungen. Wir haben bereits gesehen, dass sich das geistige und körperliche Niveau der lebenden Menschheit unaufhörlich und stetig hebt und heben muss. Verfolgt man eben diese Tatsache der irdischen Gesamt-Höherentwicklung stromauf- wärts weiter und weiter in die Vorgeschichte der Menschheit,

*) Angenommen, dass es sich bei den grobmateriellen mediumi- stischen Phänomenen um Wirkungen Menschen gewesener Subjekt- Objekte handelt, so könnten dafür nur wenig höher entwickelte nachmenschliche Subjekt-Objekte in Frage kommen, ja nur verhältnis- mässig — im Verhältnis zu ihrer natürlichen Situation zurück- gebliebene, insoferne sie nämlich, nach Behauptung der Occultisten, in ihren Wirkungen, ja eventuell in voller körperlicher Gestalt (bei den „Materialisationen") dem Menschen noch wie Angehörige seiner eigenen Entwicklungsstufe ge genübertreten, anstatt von innen heraus unmerklich in ihm tätig zu sein.

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so gelangt man mit logischer Notwendigkeit zu der Fest- stellung eines immer tierischeren Niveaus der jeweilig höchst- entwickelten irdischen Subjekt-Objekte, endlich zu wirklichen höheren Tieren, und denkt man noch weiter zurück zu niederen Tieren, zuletzt zu Pflanzen, da ja die Grenze zwischen Tier- und Pflanzenwelt, zwischen der Tier- und der Pflanzenzelle nach den naturwissenschaftlichen Feststellungen der letzten Jahrzehnte nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. In nicht mehr allzuferner Zeit wird die materielle Natur- wissenschaft gewiss auch in bestimmten anorganischen Ver- bindungen bzw. Einheiten die unmittelbaren Voreltern der einfachsten pflanzlichen Organismen erkennen , denn nach unseren elementaren Feststellungen lässt sich auch zwischen der organischen und der anorganischen Welt keine dualistische Wesensgrenze annehmen.*) Folgt aber aus der philosophischen Anerkennung dieses Entwicklungszusammenhanges schon auch, dass der einzelne Affe, der einzelne Hund, die einzelne Fliege, der einzelne Baum, das einzelne Krystall oder der derbe ein- zelne Stein am Wege seine unendliche Höherentwicklung nach dem Vergehen seiner irdischen Einheit habe, ganz wie der einzelne Mensch?

Von dieser Annahme sollte schon eine bedeutsame Er- fahrungstatsache zurückhalten. W^ährend das Niveau der Mensch- heit infolge ihrer eigenen Fortschritte (niag man diese als selbständiges Werk der einzelnen Menschen oder als Wirkungen der in ihnen tätigen höherentwickelten übermensch- lichen Subjekt-Objekte auffassen, der Menschheit im- manent bleiben sie immer!) in jeder Hinsicht stetig sich hebt**), sind die Fortschritte der irdischen Tier- und Pflanzen- welt (von der anorganischen Welt natürlich ganz zu schweigen)

*) Auch hier hat G. Th. Fe ebner schon vorgearbeitet. Nach ihm beruht der Unterschied zwischen dem Anori^anischen und Orj^ani- schen nicht auf einer prinzipiellen Wesensverschiedenheit, sondern lediglich auf einer verschiedenen Bewegung der kleinsten Molekül- Teilchen.

**) Das Auf und Ab der Kultur, die Zeiten des Niedergangs und Zerfalls sind kein Beweis dagegen, denn jede „Decadence" dient in Wahrheit nur zur Herausforderung und neuen Anspannung der vorüber- gehend erschlafften fortschrittlichen Kraft.

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seit dem geschichtlichen Auftreten des Menschen nicht etwa das Werk der Tiere und der Pflanzen (bzw. höherentwickelter Subjekt-Objekte, die in diesen tätig gewesen wären), sondern ausschliesslich das Werk der Menschheit (bzw. der in ihr wirkenden höherentwickelten Subjekt-Objekte) gewesen. Bei näherem Nachdenken findet denn auch die Frage eine ziem- lich einfache Lösung. Was die Menschheit so gewaltig über die Tierwelt erhob und von Jahrhundert zu Jahrhundert immer weiter erhebt, war und ist im Wesentlichen keine Höher- entwicklung des persönlichen körperlich-geistigen Organismus, sondern die immer innigere und immer umfassendere Ver- bindung des einzelnen Menschen mit anderen irdi- schen Subjekt-Objekten menschlicher oder nicht- menschlicher Natur zum Zwecke einer Steigerung seiner beschränkten persönlich-natürlichen Kräfte, seiner Kenntnisse, seiner Macht und Sicherheit. Er verband sich mit anorganischen Einzeldingen und erhielt damit Werkzeuge und Waffen, schliess- lich Maschinen, die nach seinem Willen arbeiteten, wie erst nur seine Hände gearbeitet hatten ; er verband sich zu Schutz-, Nahrungs- und Arbeitszwecken mit pflanzlichen und tierischen Subjekt-Objekten, und wurde so Ackerbauer, Forstmann, Vieh- züchter, bediente sich der überlegenen Körperkräfte des Pferds, des Renntiers, des Rindes, des Kameeis, des Elefanten wie eigener Kräfte, des feineren Spürsinns des Hundes und seiner Wachsamkeit ganz wie entsprechender eigener Fähigkeiten ; er verband sich mit anderen Menschenindividuen zu den ver- schiedensten gemeinsamen Leistungen, die wieder jedem ein- zelnen Gliede des Bundes zugute kamen, und es entstand die Familie im festeren menschlichen Sinne der Zusammen- gehörigkeit und wechselseitigen Versorgung, der Stamm, der Staat, zuletzt die internationale Menschheit. Um das Erheben solcher im Erdenleben nur erst als äussere Aggregate möglichen Verbindungen zu einer vollkommeneren, inneren, nicht mehr künstlichen, sondern natürlichen Einheit handelt es sich, wie gezeigt wurde, bei der Höherentwicklung des einzelnen Menschen nach dem physischen Tode, nicht aber etwa um eine weitere Vervollkommnung des körperlich- geistigen Organismus seiner irdisch-menschlichen Persönlich-

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keit, während es sich z. B. für ein Affenindividuum nach dessen physischem Tode zunächst nur um eine solche Höher- entwicklung seines körperlich -geistigen Organismus, das heisst: um die Menschwerdung handeln könnte, diese aber wiederum naturgemäss nicht im Jenseits, sondern im Diesseits, in der menschlich-irdischen Erfahrungswelt erfolgen müsste. Da es nun der menschlich-irdischen Erfahrung wohl nicht an Anhaltspunkten fehlt, dass die ersten Menschen aus hochentwickelten Affen entstanden sind, andererseits aber, soweit ebendiese menschliche Erfahrung zurückreicht, noch niemals die Höherentwicklung eines Affen zum Menschentum beobachtet wurde*), muss man für die irdische Erfahrung wie auch für die posthume Welt die Höherentwicklung eines einzelnen Affen und damit überhaupt irgend eines Tieres, einer Pflanze oder eines anorganischen Einzeldings der Erde seit dem Entstehen der ersten Menschen für aus- geschlossen erklären.

Gefühlvolle Tierliebhaber, wie man sie ja auch in natur- wissenschaftlichen Kreisen neben den Verteidigern der Vivi- sektion heutzutage zahlreich genug findet, werden sich mit diesem „traurigen Schicksal" der untermenschlichen irdischen Lebewesen vielleicht nicht befreunden können ; allein doch wohl nur dann, wenn sie den illusorischen Charakter überhaupt aller Subjekt-Objekte nicht beachten und ausserdem sich von der anthropomorphen, im me n seh li ch -i rdischen Sinne egoistischen Auffassung der festgestellten Fort- existenz des Menschen nicht ganz frei machen können. Wenn man bedenkt, dass das einzelne Tier, die einzelne Pflanze, der einzelne Stein als Einheiten durch die irdische Zerstörung nicht etwa „vernichtet", sondern nur vollkom- menund endgültig ihres il lusorisc he n Charakters ledig, das heisst: zu unpersönlichem realem Sein freier Selbstbestimmung aufgelöst werden **), so

*) Die Menschenähnlichkeit erreichende Affendressur beweist natürlich nichts dagegen, da sie nur auf äusserem menschlichem Zwang, nicht auf innerer Entwiciclung beruht, und zudem nur scheinbar höhere Resultate zeitigt.

**) Aufgelöst zu unpersönlichem realen Sein wird dabei natürlich nur die betreffende organische oder anorganische Einheit als

hat man wahrhaftig keinen Grund, ihr Schicksal traurig zu finden. Uebrigens ist es nicht ausgeschlossen , dass auch einzelne Individuen der M enschengattung, die im Augen- blicke des physischen Todes mit ihrer Willenspersönlickeit in jeder Beziehung auf dem Standpunkte eines Tier Indivi- duums stehen, ganz wie Tierindividuen sofort jeden illuso- rischen, oder, was dasselbe ist, jeden persönlichen Charakter verlic-en und unpersönliches reales Sein freier Selbstbestim- mung werden. Solche „menschlichen" Individuen wären eben, wie das schon früher (Seite 33, Anmerkung) betont wurde, als Tiere, als nicht weiter entwicklungsfähige Wesen, nicht aber als Menschen aufzufassen , trotz ihrer menschlichen Körperlichkeit. Für jedes menschliche Individuum aber, dessen Wille schon in unserem Erdenleben, wenn auch in geringstem Masse, über die blos tierischen Lebensinteressen hinausgriff, steht die posthume Erhaltung und Erweiterung der Persön- lichkeit wie auch deren immer umfassenderes Wachstum bis ins Unendliche vollkommen fest.

„Edel sei der Mensch,

H ü l f r e i c h und gut!

Denn das allein

Unterscheidet ihn

Von allen Wesen,

Die wir kennen - " sagt Goethe. Die hülf reiche Güte, die nach den Worten des Dichters allein den Menschen vom Tier unterscheidet, ist in unserem philosophischen Sinne nichts anderes als die Betätigung des eigenen persönlichen Willens für andere irdische Subjekt-Objekte, ganz als ob es das eigene Ich gälte. Erst durch das (wenn auch minimale) Inkrafttreten eines solchen über das enge Ich hinausgreifenden Wollensund Wirkens erhebt sich der einzelne Mensch über die Tierheit, dem Sein freier Selbstbestimmung sich annähernd, das mit überhaupt allen illusorischen Subjekt-Objekten wesentlich eins ist; der natürliche Besitz eines menschlichen Körpers verbürgt durchaus noch nicht den menschlichen Wesenscharakter, ebensowenig als

solche, nicht aber notwendiger Weise auch schon die Teil-Einheiten, auswelchensiesichzusammensetzte.

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alle Betätigungen und Eigenschaften des einzelnen Menschen auch die er mit den Tieren, den Pflanzen, den anorganischen Einzeldingen gemein hat als spezifisch menschliche Betäti- gungen und Eigenschaften gelten können. Aus diesen Gründen ist anzunehmen, dass die persönliche Fortexistenz und Höher- entwicklung nach dem Tode nur den in der bezeichneten Richtung einigermassen entwickelten Menschen zukommt, nicht aber zum Beispiel im frühesten Alter sterbenden Kindern oder nach nur tierischen Willensfunktionen ihr Leben beschliessen- den Kretins, auch nicht jenen einzelnen, gewiss sehr seltenen Individuen der menschlichen Gattung, die bis zu ihrem Tod in reiferem Alter keine specifisch menschliche Eigenschaft er- warben.

Schliesslich dürfte hier auch eine Auseinandersetzung mit der ReYnkarnationslehre der indischen Theo- sophie am Platze sein. Diese Lehre muss schon deshalb als irrtümlich bezeichnet werden, weil sie auf einer dualistischen Trennung des Körperlich-Objektiven und des Geistig-Subjektiven unter Ueberschätzung des Letzteren beruht. Die geistige Persönlichkeit des einzelnen Menschen soll nach ihr solange immer wieder mit einem neugeborenen Menschenkörper „ver- bunden" werden, bis sie das irdische Menschendasein nach allen möglichen Richtungen ausgekostet und ausgekämpft hat; auf diese Weise soll das Rätsel der scheinbar so „unge- rechten" V^erteilung der menschlichen Erdenschicksale seine befriedigende Lösung finden, indem das nämliche irdische Glück und das nämliche irdische Unglück dem Einen in einer früheren, dem Andern in einer späteren Verkörperung zuteil würde. Allein abgesehen davon, dass eine transcendentale Lehre sich für die philosophische Betrachtung von vornherein diskreditiert, wenn sie von kleinen Gerechtigkeitsansprüchen im menschlichen und allzumenschlichen Sinne ausgeht, abge- sehen auch von dem Umstand, dass man das erfahrungsge- mässe Fehlen der menschlichen Erinnerung an frühere Inkar- nationen beziehungsweise der menschlichen Zuversicht auf künftige nur sehr schwer und sophistisch gewaltsam erklären, jedenfalls aber eher gegen als für die ,, ausgleichende Ge- rechtigkeit" ins Treffen führen könnte: abgesehen von diesen

beiden bedenklichen Eindrücken wird jeder mitdenkende Leser dieser Schrift sich sofort erinnern, dass sich das Objekt in diesem Falle der Körper des neugeborenen Kindes durchaus nicht von dem entsprechenden Subjekt in diesem Falle der geistigen Persönlichkeit des neugeborenen Kindes trennen lässt, dass vielmehr beide nur verschiedene Be- trachtungsweisen ein und desselben illusorischen Subjekt-Objekts sind. Die Vorstellung, dass das geistige Ich in den neugeborenen Menschenkörper als in seine äussere Hülle „hineinfährt'S ist zudem dermassen grobsinnlich, dass auch das geistige Ich selbst in dieser Anschauung genau betrachtet zu etwas Materiell-Objektivem, zu einem körperlichen „Kern'' der körperlichen „Hülle" herabsinkt. Mit dem ge- rechten Ausgleich des Schicksals sähe es übrigens auch im Falle der Richtigkeit jener theosophischen Behauptung schlimm genug aus, da ein wirklich exakter, vollständiger Ausgleich auch objektiv für glücklichere übermenschliche Beobachter

nie zustande kommen könnte; sollte er zustande kommen, so müsste nämlich jede einzelne menschlich-geistige Indivi- dualität das Erdenleben aller Menschen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft leben: damit wäre aber die irdische ReYnkarnation in (den bereits erkannten Wahrheiten wider- sprechende) Permanenz erklärt, die geistige Persönlichkeit bliebe dauernd in die engen Schranken des Menschendaseins gebannt und, was die schlimmste und lächerlichste Folge wäre

in jeder menschlichen Inkarnation müssten sämtliche menschlich -geistigen Individuen gleichzeitig leben. Ein in jeder Beziehung weit befriedigenderes Bild „gleichmässiger Gerechtigkeit" bietet die wissenschaftliche Philosophie, indem sie den Ausgleich der für sie von vornherein blos illuso- rischen Verschiedenheiten bzw. die allmäliche Befreiung von dieser Illusion in die posthume übermenschliche Höherentwicklung verlegt. Je höher die Entwicklung steigt, in desto mehr verschiedenen Erdenmenschen lebt das Mensch gewesene Subjekt-Objekt als deren verhältnismässig realeres Wesen, damit zugleich an dem ganzen Vergangenheits- erbe derselben teilnehmend, und zur subjektiv-freien Beherr- schung der gesamten Erdsphäre, der Sonnensphäre u. s. w.

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gelangt überhaupt jedes menschliche Individuum, ja überhaupt jedes lernt sich mehr und mehr als das wahre Wesen aller Dinge erkennen und betätigen.

V.

Die menschliche Begreifbarkeit des Weltzwecks. Ethische und aesthetische Ausblicke.

In dem Vorigen wurden die logischen Konsequenzen der gleichzeitig ins Unendliche differenzierenden und ins Un- endliche identifizierenden Tendenz des Allseins gezogen, jener Doppeltendenz, deren Feststellung sich aus der allgemeinsten Beobachtung der subjektiv-objektiven Erfahrungswelt ergab. Die alten metaphysischen Fragen dürften in dem vollständigen Weltbild, das sich vor unserem inneren Blick entrollte, eine klare und widerspruchsfreie Beantwortung gefunden haben. Es bleibt jetzt nur noch eine Grundfrage, die kühnste von allen: Wozu, zu welchem Zwecke ruft das Sein freier Selbstbestimmung die im Vorigen dargestellte illusorische Er- scheinungswelt aus sich hervor? Kann unser Verstand auch darauf eine einleuchtende Antwort geben, oder entziehen sich die Motive dieser schöpferischen Betätigung so gänzlich unseren Erkenntniskräften, dass unserem Denken die Welt nur als Werk einer unbegreiflichen Willkür erscheinen muss?

Ich meine, auch dieser gewaltigsten Frage gegenüber haben wir keinen Grund, unser Denken von vornherein in- kompetent zu erklären ; wenigstens werden sich in dieser Hinsicht wohl Jedem, der die bisherigen logischen Feststel- lungen überblickt, ganz von selbst die nämlichen Gedanken aufdrängen. Dass kein egoistischer Wille des Seins freier Selbstbestimmung die Welt ins illusorische Dasein rufen kann, ist leicht einzusehen; denn da für den Standpunkt des Seins freier Selbstbestimmung die Welt als solche, als ein von ihm V^erschiedenes eitel nichts ist, kann das Sein freier Selbstbestimmung durch das (illusorische) Dasein der Welt auch nichts für sich selbst gewinnen (oder verlieren). Es bleibt also nur die Möglichkeit, dass das Sein freier Selbst- bestimmung die Welt ausschliesslich um der We 1 1 w il len

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schafft, das heisst: um der unzähligen Subjekt-Objekte willen, aus welchen sie besteht. Versenkt man sich tiefer in diesen Gedanken, so ergibt sich eine Antwort auf die Frage nach dem Weltzweck, die an grossen Ausblicken nichts zu wünschen übrig lässt. Nicht nur das reale Sein soll existieren, sondern auch allem möglichen illusorischen Sein soll die ihm mögliche (illusorische) Form der Existenz ge- gönnt werden; das will und vollbringt die unendlich differen- zierende Alltendenz. Nicht Alleinbesitz des realen Seins ferner soll die Realität sein, sondern auch alle die unendlich vielen illusorischen Existenzen sollen nach M ö g 1 i c h k e i t A n t e i 1 daran haben, ja der Anteil der höheren illusorischen Existenzen an der Realität soll ins Unendliche wachsen; das will und vollbringt die unendlich identifizierende All- tendenz. In immer freierer, unendlicher Entwicklung sollen zahllose Existenzen der letzteren, höheren Art die unerschöpf- lichen Herrlichkeiten des realen Seins im Gegensatze zu allen Schranken und Unvollkommenheiten des illusorischen Daseins als ihren eigenen Besitz sich allmälich entrollen sehen, und in dem endlosen Wachsen dieses Besitzes, in der wachsenden Befreiung von Unvollkommenheiten Freuden fühlen, die dem realen Sein selbst (als solchem) nicht zukom- men. Das Schaffen alles überhaupt möglichen illu- sorischen Daseins bedingt zwar auch das Entstehen maximaler Unvollkommenheiten und Beschränkungen, die von jeder noch darin befangenen Einzelexistenz mit Unlust, Schmerz, ja Verzweiflung empfunden werden; allein gerade durch den Kontrast mit den überstandenen maximalen Unvollkommen- heiten des illusorischen Daseins strahlen jene höheren Sphären der Einzelentwicklung, die sich mehr und mehr dem realen, vollkommenen, freien Sein annähern, der Einzelexistenz in umso hellerem Lichte, und diesem Lichte strebt jede*) indivi- duelle Entwicklung zu, während die Qualen der Unvollkom-

*) Wie bereits gezeigt wurde, auch die Entwicklung der tieri- schen, pflanzlichen und anorganischen Einheiten, da sie im Augenblicke der Zerstörung sofort in reales Sein freier Selbstbestimmung aufgelöst werden.

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menheit mehr und mehr wesenlos, als abjreworfcne Illusionen hinter ihr versinken. Die Welt muss demnach nicht nur all- gemein als die reichst -mögliche, sondern zugleich auch als die reichst-mögliche im positiven Sinne, als die best- mögliche, die möglichst vollkommene bezeichnet werden, indem auch ihre ärgsten Unvollkommenheiten nur dazu dienen, ihre positiven Werte zu steigern und ihr jene relative Vollkommenheit zu geben, die bei ihrem illusorischen Charakter und ihrer Abhängigkeit von dem Sein freier Selbst- bestimmung naturmöglich ist.

Damit wären die Grundlagen der wissenschaftlichen Philosophie, wie diese Schrift sie bieten wollte, in allem Wesentlichen gegeben. Es empfiehlt sich nur noch die Auf- forderung an selbständig denkende Köpfe, die vorstehenden Feststellungen streng auf ihre logische Zuverlässigkeit zu prüfen und, wo es im Einzelnen nötig sein sollte, zu modifi- zieren; im Ganzen hoffe ich von der logischen Wahrheit nicht abgewichen zu sein. Dann mögen Berufene mit vor- sichtigen Einzelfolgerungen die gewonnenen logischen Grund- wahrheiten weiter verwerten und so das Lehrgebäude der wissenschaftlichen Philosophie ausbauen. Dazu werden viele Kräfte nötig sein, wie ja auch bei jeder materiellen Einzel- wissenschaft viele Kräfte nötig waren und sind.

Persönlich kann ich es mir aber zum Schlüsse nicht versagen, noch einige fundamentalen Folgerungen für die Ge- biete der menschlichen Ethik und Aesthetik zu ziehen. Die Frage nach der idealst möglichen Willensbetäti- gung des einzelnen Menschen ist bekanntlich eine vielumstrittene; so ist gerade in letzter Zeit eine Geistes- richtung emporgekommen, die im direkten Gegensatze zu jenem strengen, aus der Verzerrung christlicher Ideen hervor- gegangenen Altruismus, nach welchem der Mensch unter Opferung aller eigenen Interessen nur der Förderung des Nächsten dienen soll, ebenso einseitig die ausschliessliche Förderung und Bereicherung des eigenen menschlichen Ichs ohne Rücksicht auf die Nebenexistenzen als ethisches Grund- gebot aufstellt. Die aus den Grundlagen der wissen- schaftlichen Philosophie sich ergebe nde Et h ik ist

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geeignet, diese beiden sich feindselig gegenüberstehenden Richtungen zu versöhnen, indem nach ihr beide Ziele, das altruistische und das egoistische, gleichzeitig durch ein und dieselbe Willensbetätigung erreicht werden. Nach den Grundlagen der wissenschaftlichen Philosophie kann nämlich, wie wir gesehen haben, das realere Wachstum der eigenen Persönlichkeit des Menschen und damit sein einziges wirkliches Interesse nur dadurch gefördert werden, dass er für andere Menschen (oder für Tiere, Pflanzen, anor- ganische Subjekt-Objekte) wie für sich selbst tätig ist, in- dem er sich nur dadurch dem realen Sein freier Selbstbestim- mung, dem Wesen aller Subjekt-Objekte, anzunähern vermag. Der vernünftige Egoist wird daher in jeder Lebenslage alt- ruistisch handeln müssen, indem er dadurch schon im Diesseits seinem eigenen Ich höheren Wirklichkeitswert gibt und zu- gleich das Wachstum seines eigenen Ichs nach dem Tode sichert und beschleunigt, während der im engeren, „allzu- menschlichen" Sinne egoistisch Handelnde, der sein Ich einfach mit seiner menschlichen Person identifiziert, das „übermensch- liche" reale Wachstum seines Ichs verzögert oder auch ganz in Frage stellt. Der für jeden klar Denkenden und natürlich Fühlenden unerträgliche Widerspruch, dass der Wille des Ichs nur dann gut ist, wenn er sich gegen das Interesse ebendieses Ichs richtet oder wenigstens nur für fremde Interessen tätig ist, wird also durch die ethische Grund- lehre der wissenschaftlichen Philosophie gründlichst beseitigt. Wenn in dem Vorigen „altruistisches" Handeln als das zugleich allein wahrhaft egoistische empfohlen wird, darf man darunter freilich nicht alles verstehen, was der christ- liche Altruismus im Einzelnen anempfahl. Was der Einzelne nach den Einsichten der wissenschaftlichen Philosophie an sich selbst vernünftigerweise nicht fördern dürfte, das darf er auch an den Nebenmenschen nicht fördern oder passiv begünstigen ; es handelt sich lediglich um die Förderung und Begünstigung der Nebenmenschen hinsichtlich ihrer Höherentwicklung im Sinne der Realität, wobei freilich auch Unterstützung materiellster Art mindestens als indirektes Förderungsmittel in Betracht kommt. Die

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Vorschrift der christlichen Ethik, einem Gegner, von welchem man ungerechter Weise einen rechtsseitigen Backenstreich em- pfangen hat, auch die linke Backe zu reichen, kann die Ethik der wissenschaftlichen Philosophie durchaus nicht anerkennen, da ja in diesem Ealle der Misshandelnde nur im Unrechttun philosophisch ausgedrückt: in der grob-illusorischen Tren- nung der Persönlichkeiten bestärkt würde, anstatt reale Förderung zu erfahren. Wohl gebietet auch die Ethik der wissenschaftlichen Philosophie, ,,die Feinde zu lieben", aber nur um des realeren Wesens der Feinde willen, durch welches sie mit uns eins sind, nicht wegen ihrer und in ihren illusorischen Schwächen ; andererseits aber muss die Ethik der wissenschaftlichen F^hilosophie die energische Be- kämpfung des grobillusorischen, falschen Egoismus an dem Feinde wie an der eigenen Persönlichkeit fordern. Der wahre und echte Altruismus, die wahre Förderung des Neben- menschen kann eben sehr wohl in dem schonungslosen Kampf gegen dessen ,. allzumenschliche'' Interessen bestehen. Endlich: was stellt sich nach den Grundlagen der wissen- schaftlichen Philosophie als das Wesen des Schönen dar? Dass das Schöne, insoweit es allgemein definiert werden kann, in dem geniessenden Menschen ein Lustgefühl erweckt, da- rüber dürften alle Aesthetiker einig sein ; ebenso darüber, dass dieses Lustgefühl sich über die im engeren Sinn egoistischen Lustgefühle des natürlichen Menschen erhebt und den ethischen Gefühlen verwandt erscheint, welch letztere Erfahrungstatsache durch die auch den Willen er- hebende, beinahe religiöse Wirkung aller grossen Kunstwerke erwiesen ist. Wenn man sich nun ausserdem erinnert, dass nach den Grundfeststellungen der wissenschaftlichen Philo- sophie mit jedem höheren Entwicklungsgrade des Individuums desse n L u stge f üh 1 sich steigert, so wird man aus allen diesen Gründen unmittelbar zu der Annahme geführt, dass im ,, Schönen" eine Anschauungsweise der Aussen- welt antizipiert ist, die erst auf einer höheren Entwicklungs- stufe unser n a t ü r 1 i c h - n o r m a 1 e s Eigentum wird, und dass es sich dabei nur darum handeln kann, das V^iele und V^er- schieden e zugleich als vollkommene E i n h e i t empfinden zu

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können, weil nur die Vereinheitlichung für die menschliche Höher- entwicklung zugleich ethische Bedeutung hat und daher auch ethisch erhebende Empfindungen auslösen kann. Er- scheint nur die äussere Gestalt des betreffenden Gegen- standes als solche durchaus zu einer Gesamtempfindung vereinheitlicht, so sprechen wir von blos formaler Schön- heit; erstreckt sich die Vereinheitlichung auch auf das Ver- hältnis des geistig-subjektiven Gehalts zu der materiell-ob- jektiven Erscheinung, sodass beides dem Geniessenden in einer einzigen Empfindung gegeben wird, so sprechen wir von Schönheit im höh e ren, al Igem e ineren und eige ut- ile he n Sinne. Wenn man von dem echten Kunstwerk zu sagen pflegt, dass es ein selbständiger Organismus sein müsse, so behauptet man ganz dasselbe wie die wissenschaft- liche Philosophie, denn das Charakteristische des (menschlichen, tierischen oder pflanzlichen) Organismus ist eben, dass alle Teile alle „Organe" dem Ganzen, der Einheit dienen. Hiernach bedarf es kaum noch eines Hinweises, wie wenig ein naturalistischer Abklcitsch der menschlich -irdischen Er- fahrung als „schön" gelten kann, falls er nicht zugleich in einer höheren Einheit aufgelöst erscheint. Andererseits aber kann die Schönheitsempfindung nur ver- stärkt und gehoben werden, wenn sehr viele und sehr verschiedene Einzelheiten in einer höheren Einheit auf- gelöst erscheinen. Freilich steigen die Schwierigkeiten der künstlerischen Vereinheitlichung mit der Fülle der Einzel- heiten; die den Künstlern geläufige Unterdrückung des Details ist in diesem Zusammenhange so zu verstehen, dass sich der Schaffende in richtigem Instinkt die nötige Verein- heitlichung der dargestellten Einzelheiten zu erleichtern strebt. Aus dem gleichen instinktiven Streben, die Vereinheitlichung der Einzelheiten zu erleichtern, lässt sich auch das Entstehen der verschiedenen Kunstgattungen erklären, von welchen z. B. die echte, auf die Farbe verzichtende Plastik sich auf die körperliche Vereinheitlichung ihres Gegenstandes, die Malerei auf die Vereinheitlichung in der optischen Flächenprojektion beschränkt. Andererseits ist aber darauf hinzuweisen, dass die Eigentümlichkeit der bildenden Künste, ihren Gegenstand

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nur in einem Augenblicke vorführen zu können, die künstlerisclie Vereinheitlichung desselben nicht notwendig er- leichtern muss; so dürfte dem Dichter, der seine Gestalten in verschiedenen Situationen vorführen kann, die volle ein- heitliche Charakteristik eines Menschen unter Umständen leichter fallen als dem Porträtmaler von Bedeutung, der den ganzen Gehalt einer menschlichen Persönlichkeit in der Miene und Geberde eines einzigen Augenblicks erschöpfen muss.

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Hurhdriu-kerei L. Mössl, Wüiu-hfii.

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MAY 20 1904

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