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GRUNDRISS

DER

ALLGEMEINEN CHEMIE

VON

W. OSTWALD

MIT 57 TEXTFIGUREN

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LEIPZIG

YERLAG VON WILHELM ENGELMANN

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1899.

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Alle Rechte, besonders das der Übersetzung vorbehalten.

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DER ERINNERUNG

AN

LOTHAR MEYER

(t 1895)

GEWIDMET.

Vorbericht

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Die erste Auflage dieses Buches wurde zu einer Zeit (1889) her- ormmhAn alfiL die firefireuwärtiffe grosse und mannigfaltige Entwickelung

Berlchtigangen.

S. 3, Z. 4 V. u. lies das Doppelte der Energie statt die Hälfte der Energie.

S. 217, Z. 18 y. o. ist das ; durch , zu ersetzen.

S. 244, Z. 12 u. 13 V. o. lies Laar statt van Laar.

S. 260, Z. 6 V. 0. lies Min. statt Sek.

S. 324, Z. 20 V. u. lies Phasengesetz statt Phasenregel.

ordentlich mannigtaltige Autgaoe enisianaen, uie gewuuiieutju rLiusiuitu;! m ou den Gebieten zur Anwendung zu bringen, auf deren Gestaltung die Chemie einen Einfluss hat. Nicht nur etwa die chemische Technik und die analy- tische Chemie erfahren oder erwarten eine Umwandlung durch die neuen Gedanken, sondern auch weiter abliegende Gebiete, vor allen das der Physiologie, stehen am Anfange einer folgenreichen Entwickelung und Umgestaltung durch die Anwendung der Fortschritte der allgemeinen oder rationellen Chemie.

Die fortdauernde Nachfrage nach dem „Grundriss'*, auch nachdem die zweite Auflage längst vergriffen war, hat mich überzeugt, dass das in anderer Absicht geschriebene Buch auch dem neuen Bedürfnis in einem gewissen Sinne genügen könnte, und ich habe deshalb die Aufgabe einer

VI Vorbericht.

vollständigen Umarbeitung des Buches nicht gescheut, um es der in- zwischen erfolgten Entwickelung der allgemeinen Chemie entsprechend zu gestalten. Es erwies sich, dass zwar die Anordnung des StojQfes im wesentlichen beibehalten werden durfte, dass aber der Inhalt nicht nur zu bearbeiten, sondern vielfach ganz neu zu gestalten war. Es ist also zum grössten Teil ein neues Buch, das sich in dem alten Gewände dar- stellt. Unverändert ist sein Zweck geblieben, Anfängern, die sich durch ernsthaftes Studium mit den Gesetzen der allgemeinen Chemie vertraut machen wollen, ein möglichst zuverlässiger und klarer Führer zu sein. Durch die Herausarbeitung der Hauptsachen, unter Fortlassung allen entbehrlichen Beiwerkes hoffe ich den Weg gefunden zu haben, auch denen behilflich zu smn, welche sich mit diesen Gesetzen zum Zwecke der Anwendung in besonderen Gebieten bekannt machen wollen.

Als entbehrliches Beiwerk habe ich insbesondere auch die hypothe- tischen Bilder angesehen, von denen unsere Wissenschaft noch immer einen viel zu ausgedehnten und vertrauensvollen Gebrauch macht. Hier war an vielen Stellen Arbeit zu thun. Die Absonderung der stöchio- metrischen Grundgesetze von der Schale der Atomhypothese war nicht schwer; sie ist ja auch schon fiüher ausgeführt worden. Schwieriger war bereits die gleiche Operation an der Molekularhypothese; durch die in diesem Buche gegebene Ableitung des entsprechenden Begriffes des ^Normalgewichtes" aus den experimentellen Grundlagen allein hoffe ich der Lehre der Wissenschaft, wie ich sie verstehe, einen kleinen Dienst erwiesen zu haben. Das gleiche Bestreben wird man an manchen anderen Teilen dieses Buches wahrnehmen. Wenn auch zugegeben werden muss, dasa in dieser Richtung noch bei weitem nicht alles geschehen ist, was hätte geschehen können, so war doch andererseits in Rücksicht auf die not- wendige Stetigk.it der geschichtlichen Entwickelung eine gewisse Zurück- haltung geboten.

Ein anderer Schritt, dessen Ausfuhrung nur eine Frage der Zeit war, ist die Durchführung des einheitlichen Masssystems in allen Gebieten^ insbesondere auch in der Wärmelehre. Man wird sich hier überzeugen, können, wie sehr die Rechnungen, in denen Zahlen aus verschiedenen Gebieten benutzt werden, durch die ausschliessliche Anwendung der cm-g-sec-Einheiten erleichtert werden. Auch hoffe ich, dass sich die ge- troffene Wahl des Joule und Kilojoule als praktischer Wärmeeinheiten durch die Handlichkdt der Zahlen rechtfertigen und dass demnach die allgemeine Verwendung dieser Einheiten sich bald einbürgern wird.

Vorbericht. VII

Eliner Eigentümlichkeit des Buches, die mir zuweilen von Freunden tadelnd bezeichnet worden ist, habe ich nicht abzuhelfen gewusst. Es ist der Umstand, dass oft wichtige Dinge in wenigen Zeilen hingestellt und erledigt werden. Der Tadel bezog sich auf ein Zuviel des Inhaltes in einem Zuwenig von Worten und nahm gelegentlich die anschauliche Form an: „Von Fleischextrakt kann man nicht leben!'* Ich habe dar- auf nur erwidern können, dass man allerdings von Fleischextrakt nicht lebt, dass aber die tägliche Suppe durch eine angemessene Dosis davon sehr verbessert werden kann. Wenn mein Buch in solchem Sinne wirken könnte, dass es die wissenschaftliche Assimilation der alltägliclien Chemie befördert, die Auihahmefähigkeit des Organismus steigert und den Nutzungskoeffizienten der aufgewendeten Energie vergrössert, so würde ich die Zeit, welche ich für seine Herstellung der experimentellen Forschung entziehen musste, nicht als einen Verlust, sondern als einen grossen Gewinn ansehen.

Schliesslich soll nicht unterlassen werden, den Herren Luther, Böttcher und Brauer, welche mir beim Lesen der Korrekturen auf das gewissenhafteste geholfen und mir zahlreiche nützliche Bemerkungen gemacht haben, warmen Dank zu sagen.

Leipzig, 31. Juli 1899.

W. Ostwald.

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Inhalt.

Erster Teil. Stöchiometrie.

Erstes Bueh. Massen Verhältnisse chemischer Yerbindung-en.

Erstes Kapitel. Die Grundgesetze S. 1 12.

Stoffe und ihre Eigenschaften 1. Erfahrung und Induktion 2. Che- mische Vorgänge 2. Gesetz von der Erhaltung der Masse 3. Definition der Masse 3. Bewegungsenergie; ihre Einheit ist das Erg 4. Erhaltung des Gewichts 4. Proportionalität von Masse und Gewicht 5. Kraft 5. Er- haltung der Energie 6. Gesetz der konstanten Verbindungsverhältnisse 6. Elemente 7. Gesetz der multiplen Verbindungsverhältnisse 8, der Ver- bindungsgewichte 9. Atomhypothese 10.

Zweites Kapitel. Die Elemente 12 14.

Begriff eines Elementes 12. Verzeichnis der bekannten Elemente; Symbole ffir diese 13. Chemische Formeln 14.

Drittes Kapitel. Die Verbindungsgewichte 14 40.

Geschichtliches 14; Bezugselement 16. Verbindungsgewicht von Wasserstoff 17; Chlor, Kalium und Silber 19; Schwefel 20; Stickstoff 21; Aluminium 21; Antimon, Argon 22; Arsen, Baryum, Beryllium, Blei, Bor 23; Brom, Cäsium, Kadmium, Calcium 24; Cerium, Chlor, Chrom 25; Didym (Praseodym und Neodym), Eisen 26 ; Erbium, Fluor, Gadolinium, Gallium, Germanium, Gold 27; Helium, Indium, Iridium, Jod, Kalium 28; Kohlenstoff, Kypton, Kupfer 29 Lanthan, Lithium, Magnesium 30; Mangan, Molybdän, Natrium 31; Neon, Nickel, Niobium, Osmium, Palladium, Phosphor 32; Platin, Quecksilber Rhodium, Rubidium, Ruthenium 33; Samarium, Scandium, Schwefel, Selen, Silber 34; Silicium, Stickstoff 35; Strontium, Tantal, Tellur 36; Thallium, Thorium, Thulium, Titan, Uran 37; Vanadium, Wismut, Wolfram, Xenon, Ytterbium 38; Yttrium, Zink, Zinn, Zirkonium 39. Zusammenstellung der Verbindungsgewichte 40.

Viertes Kapitel. Beziehungen zwischen den Zahlenwerten der Verbindungsgewichte 41—47.

Prouts Hypothese 41. Widerlegung durch Stas 42. Reihen der Ver- bindungsgewichte 42. Das periodische System 43; Tabelle 45. Additive Eigenschaften 47.

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Alle Rechte, besonders das der Übersetzung vorbehalten.

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DER ERINNERUNG

AN

LOTHAR MEYER

(t 1895)

GEWIDMET.

XII Inhalt.

Gesetze der Umwandlung polymorpher Formen 183. Monotrope und enantio- trope Formen 184. Geschwindigkeit der Umwandlung 185. Sechstes Kapitel. Volume fester Stoffe 185 187.

Molekularvolum 186. Vergleichbare Formen 186. Parallelosterismus 187. Siebentes Kapitel. Spezifische Wärme 188 189.

Die Gesetze von Dulong-Petit und Neumann 188. Abweichungen 189.

Fttnftes Buch. Die TerdUnnten LQsungen«

Erstes Kapitel. Allgemeines 189—191.

Zustand gelöster Stoffe 190. Osmotischer Druck 190. Zweites Kapitel. Der osmotische Druck 191 194.

Halbdurchlässige Wände 191. Gesetze des osmotischen Druckes 192. Ausnahmen 194. Drittes Kapitel. Diffusion 194—200.

Diffusionskonstante 195. Abhängigkeit von den Stoffen und der Tem- peratur 196. Kolloidstoffe 196. Freie Diffusion 197. Diffusion der Elektro- lyte 198. Konvektion 199. Allgemeines über das Diffusionsgesetz 199. Viertes Kapitel. Dampfdrucke von Lösungen 200—207.

Spezifische Dampfdruckverminderung 200. Einfluss der Temperatur 200. Molekulare Dampfdruckverminderung 201. Theorie 202, Methoden 204. Beziehung zum osmotischen Druck 205. Fünftes Kapitel. Gefrierpunkte von Lösungen 207 211.

Spezifische und molekulare Gefrierpunktsemiedrigung 207. Verfahren 208. Theorie 209. Sechstes Kapitel. Übersicht 211—213.

Allgemeine Charakteristik der Lösungsgesetze 211. Beziehung zur os- motischen Arbeit 212. Siebentes Kapitel. Salzlösungen 214—218.

Abweichung der Molekulargewichte 214. Gesetz der Moduln 215. Ionen 217.

Sechstes Bueh. Systematik«

Erstes Kapitel. Die Wahl der Verbindungsgewichte 218 224.

Die Unbestimmtheit der rationalen Faktoren 218. Grundlagen für die Wahl: Einfachheit und Ähnlichkeit 219. Anwendung der Gesetze der Atomwärmen 220, der Isomorphie 220, der Molekulargewichte 220. Über- blick 221. Argon, Helium und Verwandte 224. Zweites Kapitel. Das periodische Gesetz 224 228.

Atomvolum 225. Schmelzpunkt 225. Typische Elemente 227. Drittes Kapitel. Die Molekulartheorie 228—232.

Die drei Arten der Eigenschaften 228. Anwendung der kolligativen

zur Definition des Molekulargewichts 228. Allgemeine Methoden zu seiner

Bestimmung 229. Lösungen 230, Flüssigkeiten 231, Feste Stoffe 231.

Viertes Kapitel. Theorie der chemischen Verbindungen 232 244.

Genetische Systematik 232. Atomhypothese 233. Elektrochemische

Theorie 233. Isomerie 234. Radikaltheorie 236. Substitution 236. Che-

Inhalt. Xni

mische Typen 237. Valenzlehre und Strukturformeln 237. Ungesättigte Verbindungen 241. Molekularverbindungen 241. Stereochemie 243. Tau- tomerie 244.

Zweiter Teil. Verwandtschaftslehre.

Einleitung. Allgemeine Energetik 245 251.

Allgemeinheit des Energiebegriffes 245. Definition der Energie 246. Energetik 246. Arten der Energie 247. Faktoren der Energie 247. In- tensität 248 und Kapazität 248. Faktoren der verschiedenen Energiearten 249. Beziehungen zur chemischen Energie 250.

Siebentes Bueh. Thermochemie.

Erstes Kapitel. Allgemeines 251 253.

Chemische Energie 251. Begründung der Thermochemie 252. Gesetz der konstanten Wärmesummen 252. Zweites Kapitel. Thermochemische Methoden 253 262.

Kalorie und Kilojoule 253. Thermochemische Gleichungen 254. Bil- dungswärme 256. Methoden 257. Berechnung 260. Einfluss der Tempe- ratur 261. Drittes Kapitel. Thermochemie der Nichtmetalle 261 268.

Sauerstoff, Wasserstoff, Chlor 263, Brom, Jod, Fluor 264, Schwefel, Selen, Tellur 265, Stickstoff, Phosphor 266, Arsen, Antimon, Bor, Kohlen- stoff 267, Silicium 268. Viertes Kapitel. Thermochemie der Metalle 268—274.

Kalium, Natrium 268, Ammonium, Lithium, Baryum 269, Strontium, Calcium, Magnesium, Aluminium, Mangan 270, Eisen, Kobalt, Nickel, Zink, Cadmium 271, Kupfer, Quecksilber 272, Silber, Thallium, Blei, Wismut, Zinn, Gold 273, Platin, Palladium 274. Fünftes Kapitel. Thermochemie der Salzbildung und der Ionen 274—282.

Thermoneutralität 275. Neutralisationswärmen 276. Starke und schwache Basen und Säuren 277. Lösungswärme von Niederschlägen 277. Disso- ciationswärmen 278. Bildungswärme der Ionen 280. Sechstes Kapitel. Organische Verbindungen 282 289.

Verbrennungswärme 283. Homologe Reihen 284. Kohlenwasserstoffe 285. Alkohole 286, Säuren 287, Äther und Ester 287. Stickstoffverbin- dungen 288. Aromatische Stoffe 288.

Achtes Buch« Chemische Mechanik«

Erstes Kapitel. Allgemeines 289—291.

Das Affinitätsproblem 289. Entgegengesetzte Vorgänge 290. Geschicht- liches 290. Kinetik und Statik 291. Zweites Kapitel. Chemische Kinetik 291 304.

Chemische Geschwindigkeit 291. Gesetz der Massenwirkung 292 und des Ablaufes eines chemischen Vorganges 293. Einheit der Konzentration 295. Inversion des Rohrzuckers 296. Allgemeine Bedeutung der Formel 297.

XrV Inhalt

Vorgänge zweiter Ordnung 298, Beispiel 299. Vorgänge höherer Ord- nung 299. Vorgänge mit Gegenreaktion 300. Das Koexistenzprinzip 301. Heterogene Gebilde 301. Die Geschwindigkeitskonstanten 302. Katalysa- toren 303. Drittes Kapitel. Allgemeines über das chemische Gleichgewicht. Das Phasengesetz 304—307.

Chemisches Gleichgewicht 304. Wirkliche und scheinbare Gleichge-. Wichte 305. Verschiedene Ordnungen 306. Das Phasengesetz 307.

Viertes Kapitel. Gleichgewichte erster Ordnung 307—313.

Stickstoff hyperoxyd 308; allgemeine Formel 309. Einfluss der Tem- peratur 310. Mehrere Phasen 311. Überschreitungen 312. Allgemeines Gesetz für das Auftreten neuer Formen 313.

Fünftes Kapitel. Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. Lösungen 313—340.

Definition 313. Lösungen in Gasen; Daltons Gesetz 314. Lösungen von Gasen in Flüssigkeiten; Löslichkeit und Absorptionskoeffizient 315. Einfluss chemischer Vorgänge 317. Übersättigung 317. Vertretbarkeit der Phasen 319. Lösungen von Flüssigkeiten in Flüssigkeiten 320. Der Dampf als Mass der wirksamen Menge 320. Molenbruch 321. Dampfdrucke von Lösungen 322. Konstant siedende Gemenge 323. Begrenzte Löslichkeit 324. Kritischer Lösungspunkt 325. Lösungen fester Stoffe in Flüssigkeiten 327. Grenze der Löslichkeit 327. Übersättigung 328. Einfluss der Temperatur auf die Löslichkeit 329. Stetigkeit der Lösungslinien 330; ihre Durch- schnitte 381. Einfluss des Druckes auf die Löslichkeit 332. Zwei feste Stoffe 332. Eutektische Lösungen und Kryohydrate 333. Schmelzen unter der Lösung 335. Feste Lösungen 336. Absorption 338. Kolloidstoffe 339.

Sechstes Kapitel. Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung 340—359.

Der allgemeinste Fall 340. Jodwasserstoff 341. Einfluss der Tem- peratur 343. Gleichgewichte in Lösungen 344. Die wirksame Menge 346. Zwei Phasen. Ammoniumsulfhydrid 347, Ammoniumkarbamat 348. Zwei feste Phasen 349. Dissociation des Calciumkarbonats, der krystallwasser- haltigen Salze 350. Einfluss der Temperatur 351. Flüssigkeiten und Gase 352. Flüssigkeiten und feste Stoffe 354. Kondensierte Gleichgewichte 356. Vierfache Punkte 359.

Siebentes Kapitel. Gleichgewichte höherer Ordnung 360—374.

Allgemeine Formel 360. Zahl der Bestandteile 361. Einzelne Fälle: Wassergas 363; Esterbildung 365. Dreifache eutektische Gemische 366. Lösungen 367. Anwesenheit einer festen Phase 368; zweier 369. Zwei flüssige Phasen. Teilungskoeffizient 371. Kritische Erscheinungen 372. Definition eines chemischen Individuums 374.

Neuntes Buch. Elektrochemie«

Erstes Kapitel. Allgemeines 375—378.

Chemische Ursache elektrischer Ströme 375. Voltasche Kette 376. Die

Inhalt. XV

Faktoren der elektrischen Energie 376. Die Gesetze von Ohm und Joule 377. Die elektrischen Einheiten: Volt, Coulomb, Ohm, Ampere, Joule 378.

Zweites Kapitel. Das Gesetz von Faxaday 378—381.

Leiter erster und zweiter Klasse 378. Ionen 379. Das elektrochemische Äquivalent und die Faradaysche Konstante 380.

Drittes Kapitel. Die elektrolytische Leitung 381 391.

Leitung durch Ionen 381. Widerstand 382, äquivalente und mole- kulare Leitfähigkeit 3SB. Methoden 383. Tabellen 385. Das additive Ge- setz der Leitfähigkeit 386. Die Wanderung der Ionen 387. Berechnung des Dissociationsgrades der Elektrolyte 390.

Viertes Kapitel. Die Eigenschaften der Ionen 391 400.

Salze 391. Zusammensetzung der Ionen 393; ein- und mehrwertige Ionen 393. Wasserstoff und Hydroxyl 395. Eigenschaften der Ionen 396; ihre Wanderungsgeschwindigkeit 397. lonenisomerie 398. Unterschiede gegen isomere neutrale Stoffe 399.

Fünftes Kapitel. Elektrolytische Gleichgewichte 400-430.

Abänderung des Phasengesetzes 400. Gleichgewichte erster Ordnung; Konzentration der Ionen des Wassers 401. Binäre Elektrolyte; das Ver- dünnungsgesetz 403. Abweichungen 406. Regel für mehrwertige Salze 406. Bestimmung der Löslichkeit schwerlöslicher Salze 407. Mehrwertige Elektro- lyte 408. Drei Ionen 410. Isohydrische Lösungen 412. Säuren und ihre Neutralsalze 413. Löslichkeit von Salzen bei Überschuss eines Ions 414. Zwei feste Phasen 415. Doppelsalze 417. Vier Ionen 418. Teilung einer Base zwischen zwei Säuren 420. Hydrolyse 422. Die Indikatoren 425. Die Fällungsreaktionen und das Löslichkeitsprodukt 426. Analytische An- wendungen 428.

Sechstes Kapitel. Voltasche Ketten 430 437.

Quelle der elektrischen Energie 430. Messung von Spannungen 431. Berechnung der Spannung in der Daniellschen Kette aus der Reaktions- wärme 433. Der Irrtum hierbei 433 und die richtige Formel 485. Kon- stante und umkehrbare Ketten 486.

Siebentes Kapitel. Die chemischen Vorgänge in der Kette und die lonenreaktionen 437—442.

Anode und Kathode 437. Vorgänge an ihnen 438. Oxydation und Reduktion 439. Allgemeine Formulierung der Oxydations- und Reduktions- vorgänge 439. Elektrische Messung der chemischen freien Energie 442.

Achtes Kapitel. Konzentrationsketten 442 454.

Der einfachste Fall 442; Formel 448. Der elektrolytische Lösungs- druck 446. Allgemeine Formel der Kette 447. Schwerlösliche Salze 450. Komplexe Verbindungen 452. Beziehung zu analytischen Reaktionen 454.

Neuntes Kapitel. Gasketten. Oxydations- und Reduktionsketten 455—463.

Bedingung der elektromotorischen Wirkung 455. Wasserstoffkette 456. Gasketten 458. Säure- Alkalikette 459. Knallgaskette 461. Oxydations- und Reduktionsketten 461. Elektrische Energie aus Kohle 463.

XVI Inhalt

Zehntes Kapitel. Einzelspannungen und Spannungsreihen463 170. Die Yoltasche Theorie 463 und die chemische 464. Das galvanische Verhalten des Quecksilbers 465. Messung einer Einzelspannung 467. Nor- malelektrode 468. Die Spannungsreihe der Metalle 468, der Oxydations- und Reduktionsmittel 469.

Elftes Kapitel. Elektrolyse und Polarisation 470 480.

Elektrolyse 470. Abscheidung der Metalle 471; Einfluss komplexer Verbindungen 471. Umwandlung der Ionen bei der Ausscheidung 473. Primäre und sekundäre Vorgänge 475. Polarisation 476. ünpolarisierbare Elektroden 477. Der Akkumulator 478.

Zehntes Bueh. Pbotochemie.

Erstes Kapitel. Die strahlende Energie 480 484.

Verhältnis zum Energiegesetz 480. Periodizität, Wellenlänge und Schwingungsdauer 481. Umwandlung in chemische Energie 482. Geschichte 483. Zweites Kapitel. Emission und Absorption 484—493.

Strahlungsgleichgewicht 484. Der Kirchhoffsche Satz 485. Strahlung eines schwarzen Körpers 485. Emissionsspektra 486. Gesetze derselben 488. Ab- sorptionsspektra 489. Elektromagnetische Strahlung 491. Drittes Kapitel. Die chemische Wirkung des Lichtes 493—498. Lichtempfindlichkeit und Absorption 493. Chlorknallgas 494. Gesetze der photochemischen Wirkung 495. Bruchteil der umgewandelten Energie 497. Verschiedene Arten photochemischer Vorgänge 497. Viertes Kapitel. Die Photographie 498 502.

Daguerreotypie 498. Kollodiumverfahren 499. Bromsilberverfahren 500. Positivverfahren 501. Orthochromatisches Verfahren 502.

Elftes Bueh. Die chemische Verwandtschaft.

Erstes Kapitel. Methoden 502—514.

Die Aufgabe: Koeffizienten des Gleichgewichtsund der Geschwindigkeit 503. Unmittelbare Analyse des Zustandes 504. Fixierverfahren 505. Physi- kalische Methoden der Analyse 506. Allgemeine Theorie 507, Beispiele 508. Besondere Eigenschaften 511. Quantit&tsbestimmungen an Ionen 513.

Zweites Kapitel. Reaktionsgeschwindigkeit und Katalyse 514 521. Geschwindigkeit und Gleichgewicht 514. Katalysatoren 515, Beispiele 516. Kritik der älteren Anschauungen 517. Gesetze der katal3rtischen Vorgänge 518.

Drittes Kapitel. Stöchiometrische Beziehungen 521 535.

Geschichte .521. Verwandtschaftsreihen 522. Esterbildung 523. Gesetz der Massenwirkung 523. Spezifische Affinitätskoeffizienten 523. Disso- ciationskonstanten organischer Säuren 524. Vergleichende Affinit&tslehre der Elemente und ihrer Verbindungen 533. Schluss 535.

Namen-Register 536—538.

Sach-Register 539—549.

Erster Teil. Stöchiometrie.

Erstes Buch.

MassenverMltnisse chemisclier Verbindungen.

Erstes Kapitel. Die Omndgesetze.

Die Chemie ist die Lehre von den Stoffen, ihren Eigenschaften und Umwandlungen. Wir erkennen und unterscheiden die Gegenstände der Aussenwelt überhaupt durch ihre Eigenschaften, d. h. durch ihre immittelbaren und mittelbaren Einwirkungen auf unsere Sinnesorgane. Betrachten wir die Gegenstände ohne Rücksicht auf Ort, Form und Masse^ also in Bezug auf Eigenschaften, die von diesen unabhängig sind, so nennen wir sie Stoffe.

Die verschiedenen Stoffe sind also durch die Verschiedenheit ihrer Eigenschaften gekennzeichnet. Nun ist die Zahl der möglichen Eigen- schaften unbegrenzt, und man kann sicher sein, dass, wenn man auch alle bekannten Eigenschaften untersucht hat, der Fortschritt der Wissen- schaft neue aufdecken wird, die gleichfalls bestimmte Werte an einem gegebenen Stoffe haben werden. Es sieht daher so aus, als wäre die Aufgabe, zwei Stoffe daraufhin zu piiifen, ob sie gleiche Eigenschaften haben, unlösbar, und als wäre es wissenschaftlich unzulässig, von zwei verschiedenen Körpern zu behaupten, dass sie aus gleichem Stoffe be- ständen. Denn wenn man auch alle bekannten Eigenschaften gleich ge- funden hat, so weiss man noch nicht, ob es nicht andere unbekannte Eigenschaften giebt, welche verschieden sein könnten.

Dieser Einwand wu*d durch ein sehr aUgemeines Naturgesetz be- seitigt, das dahin lautet: Wenn zwei Stoffe bezüglich einiger Eigenschaften übereinstimmen, so thun sie es auch bezüglich aller anderen Eigenschaften.

Durch dies Gesetz wird sonach die Existenz bestimmter Stoffarten mit bestimmten, sich immer wiederfindenden Eigenschaften ausgesprochen. Man nennt diese so gekennzeichneten Arten oder chemischen Individuen kurzweg Stoffe im chemischen Sinne.

Ostwald, Grondriss. 3. Aufl. 1

2 I. Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.

Dieses Gesetz lässt sich aus den eben angegebenen Gründen nie- mals erschöpfend beweisen. Ti'otedeiP. sehen wir es als so sicher an, dass es nicht einmal besonders ausgesprodien zu werden pflegt, sondern stillschweigend als „selbstverständlich" angenommen wird. Zu der Über- zeugung von der allgemeinen Gültigkeit dieses Gesetzes veranlasst uns die Thatsache, dass es in allen FäUen eingetroffen ist, die wir bis- her der Prüfung unterzogen haben. Da die Zahl solcher Prüflingen ausserordentlich gross ist, und sie in allen möglichen Gebieten der Chemie stattgefunden haben, so darf man einen Zufall als ausgeschlossen ansehen, und das Gesetz für aUgemeingültig halten. Indessen mnss man diesem Naturgesetz, wie allen übrigen, gegenüber stets dessen ein- gedenk sein, dass es das Ergebnis der Erfahrung ist, und durch gegen- teilige Erfahrungen in seiner Geltung eingeschränkt werden kann.

Man nennt dieses Verfahren, aus der Übereinstimmung sehr vieler FäUe auf die Allgemeingültigkeit der vorhandenen Beziehung (unter Vor- behalt einer Korrektur durch etwaige spätere Erfahrungen) zu schliessen, Induktion. Man muss die Ergebnisse des Induktionsverfahrens wegen des bescheidenen Masses an Gewissheit, das ihnen nach ihrer Herkunft zukommt, nicht gering schätzen; denn ein höherer Grad der Ge- wissheit lässt sich in wissenschaftlichen Dingen überhaupt nicht erreichen.

Man kann noch die Frage stellen, wie viele Eigenschaften übereinstimmen müssen, damit das Gesetz Anwendung findet. Eine bestimmte Antwort lässt sich hierauf nicht geben, da es auf die Art der Eigenschaft ankommt. Es giebt einige, die bei den vielen verschiedenen Stoffen so nahe gleich sind, dass man vorhandene Unterschiede nur durch sehr feine Messungen ermitteln kann. Andere Eigenschaften sind wieder von Stoff zu Stoff in grossen Ab- ständen verschieden. Es hängt also von der Art der Eigenschaft' ab, mit welcher Sicherheit man sie zur Unterscheidung der Stoffe verwenden kann. Doch kann man allgemein aussprechen, dass bereits die Bestimmung von drei oder vier verschiedenen Eigenschaften zu genügen pflegt, um einen Stoff zu kennzeichnen ; zum Schutz gegen zufällige Übereinstimmungen ist es indessen zweckmässig, diese Anzahl noch um einige zu vermehren.

Die hier berührte Frage nach einer allgemeinen Definition des chemischen Individuums kann an dieser Stelle noch nicht eingehend behandelt werden, da hierzu Kenntnisse erforderlich sind, die erst im Verlaufe dieses Buches vermittelt werden sollen. Die eben gegebenen Bestimmungen sind ausreichend zu einer Entscheidung in der weitaus grössten Mehrzahl der Fälle und als Grundlage für die zunächst anzustellenden Betrachtungen.

Nun können wir häufig beobachten, dass sich gegebene Stoffe in andere umwandehi, z. B. Eisen in Rost, Wein in Essig, wobei statt der ursprünglichen Stoffe andere mit anderen Eigenschaften erscheinen: das sind chemische Vorgänge.

Solche chemische Umwandlungen sind bestimmten Gesetzen unter- worfen, deren genaue Erkenntnis, nachdem sie die Vorarbeit vieler Jahr-

Die Grundgesetze. 3

hunderte beansprucht hatte, erst seit etwa hundert Jahren gewonnen worden ist. Das allgemeinste dieser Gesetze püegt man das von der Beständigkeit der Materie zu nennen; es kann folgendermassen ausgesprochen werden:

Bei allen chemischen Vorgängen bleibt die Summe der Massen der beteiligten Stoffe unverändert.

Die Masse eines Körpers ist eine Eigenschaft, welche sich bethätigt, wenn man ihn in Bewegung zu setzen oder seine vorhandene Bewegung zu ändern versucht. Dann verhalten sich die verschiedenen Körper verschieden, indem sie infolge gleicher Impulse (z. B. durch gleiche Entspannung derselben Feder) verschiedene Geschwindigkeiten annehmen. Man schreibt einem Körper, welcher im Vergleich zu einem anderen eine kleinere Geschwindigkeit annimmt, eine grössere Masse zu, und zwar lehrt die Mechanik, dass die Massen um- gekehrt proportional den Quadraten der auftretenden Geschwindigkeiten zu setzen sind. Verliert ein Körper seine Geschwindigkeit, indem seine Be- wegung vollständig auf einen anderen Körper übertragen wird, so verhalten sich demgemäss die Quadrate der Geschwindigkeiten umgekehrt wie die Massen; bezeichnet man erstere mit c^ und c,, letztere mit m^ und m,, so gilt c^ : c^ = m, : m^ oder m^c^ m, c^ . Es bleiben also bei der gegenseitigen Mitteilung von Bewegungen zwischen Massen die Produkte mc* unverändert. Man nennt die halben Werte dieser Produkte, die Grössen Va nic*> die lebendige Kraft oder besser die Bewegungsenergie der betreffenden Körper, und das eben ausgesprochene Gesetz von der Unveränderlichkeit dieser Werte bei der Wechselwirkung bewegter Massen heisst das Gesetz von der Erhaltung der lebendigen Kraft oder von der Erhaltung der Bewegungsenergie. Es wird sich später zeigen, dass dies Gesetz nur ein besonderer Fall eines all- gemeineren Gesetzes ist; dasselbe gilt übrigens auch von dem oben mitge- teilten Gesetz von der Erhaltung der Masse.

Man bezeichnet das Gesetz von der Erhaltung der Masse häufig als das von der Erhaltung des Stoffes oder der Materie. Indessen gerät man in Schwierigkeiten, wenn man diese beiden Ausdrücke definieren soll, und es empfiehlt sich daher hier wie in aller Wissenschaft, die gesetzmässigen Be- ziehungen nur für solche Grössen auszusprechen, die man thatsächlich auf- weisen und messen kann.

Als Einheit der Masse dient das Gramm, welches als der tausendste Teil eines in Paris aufbewahrten Platinstückes, des Normalkilogramms, definiert ist. Diese Masse eines Grammes ist sehr nahe gleich der Masse von einem Kubik- centimeter reinen Wassers bei 4°, im Zustande seiner grössten Dichte.

Die Einheit der Bewegungsenergie ergiebt sich aus dem Ausdrucke E = Yj m c* für dieselbe, wenn die Masse und die Geschwindigkeit gleich Eins gesetzt werden. Dann wird E =* Va > d- h. die Einheit der Bewegungs- energie ist die Hälfte der Energie, die in einem Gramm Masse enthalten ist, wenn deren Geschwindigkeit Eins beträgt.

Die Einheit der Geschwindigkeit ist durch die Einheiten der Länge und der Zeit festgesetzt, da di« Geschwindigkeit gleich Länge /Zeit ist.

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4 I. Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.

Als Längeneinheit dient das Centimeter, der hundertste Teil der Länge eines gleichfalls in Paris auf bewahrten Massstabes. Die Einheit der Zeit ist durch die Sekunde bestimmt, von der 60.60.24=« 86400 auf einen mittleren Sonnentag gehen.

Die auf solche Weise festgestellte Einheit der Bewegungsenergie hat eine allgemeinere Bedeutung. Wenn Bewegungsenergie bei irgend welchen Vorgängen verschwindet, so treten an ihrer Stelle andere Grössen auf, die man gleichfalls Energie nennt, und deren Betrag man durch die verschwundene Bewegungsenergie misst. Ebenso verschwinden entsprechende Beträge dieser anderen Energiearten, wenn Bewegungsenergie sich einstellt, ohne als solche anderen Körpern entnommen zu sein. Dadurch wird die Einheit der letzteren zur allgemeinen Einheit der Energie, und erhält deshalb den Namen Erg. Da diese Einheit sehr klein im Verhältnis zu den gewöhnlich gehandhabten Mengen ist, so benutzt man häufig Vielfache dieser Einheit. Am meisten werden die Grössen 10' Erg und 10*® Erg benutzt.

Das Gesetz von der Erhaltung der Masse ist nicht die erste Form, in welcher die hier vorhandene Beziehung ausgedrückt worden. ist. Viel- mehr lautet es ursprünglich dahin, dass bei allen chemischen Vorgängen die Summe der Gewichte der beteiligten Stoffe unverändert bleibt. Dieser Satz ist von Lavoisier bewiesen worden (1785).

Durch den Umstand, dass an einem gegebenen Orte Masse und Gewicht der verachiedenen Körper einander genau proportional sind, kann man von der Geltung des einen Gesetzes auf die des anderen sdüiessen. Man zieht gegenwärtig vor, das Gesetz in der auf die Masse bezüglichen Form auszusprechen, weil die Masse eine unter allen Umständen unver- änderliche Grösse ist, während das Gewicht mit dem Orte wechselt. Experimentell aber hat man das Gesetz immer in Bezug auf das Ge- wicht gepiüft, denn die genaue Bestimmung beliebiger Massen ist sehr schwierig, während Gewichte sich sehr viel leichter genau bestimmen lassen.

Solche Prüfungen lassen sich ausführen, indem man Stoffe, die auf einander chemisch einwirken können, so in Glasgefässe einschliesst, dass sie anfangs getrennt sind und später nach Beheben mit einander in Be- rührung gebracht werden können. Die Gewichte vor und nach dem chemischen Vorgange erweisen sich dann immer als gleich.

In viel gi'ossartigerer Weise liefert das Sonnensystem denselben Be- weis. Denn die ümlaufegeschwindigkeit der Planeten um die Sonne hängt von ihren Massen ab; da seit absehbarer Zeit die Lange des Jahres nicht die mindeste merkbare Veränderung erfahren hat, so muss ge- schlossen werden, dass trotz der mannigfaltigen chemischen Vorgänge auf der Erde wie auf der Sonne ihre Massen keine Veränderung er- fahren haben.

Die genauesten Versuche dieser Art sind von Landolt (1893) an- gestellt worden, und es hat sich ergeben, dass, wenn Gewichtsänderungen bei chemischen Vorgängen eintreten, sie weniger als ein MilHontel des

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Gesamtgewichtes ausmachen. Bis zu dieser Genanigkeit kann man also das Gesetz von der Erhaltung des Gewichtes als bewiesen ansehen.

Da die Proportionalität zwischen Masse und Gewicht noch genauer erwiesen ist, so gilt für das Gesetz von der Erhaltung der Masse die gleiche Grenze des Nachweises.

Das Gesetz, dass Masse und Gewicht einander proportional sind, ist von Galilei und Newton aufgestellt, und am genauesten von Bessel (1826) geprüft und bestätigt worden.

Das Gewicht ist die Grösse der Kraft, mit welcher sich ein gegebener Körper der Erde zu nähern strebt. Eine solche Kraft wird bei allen Objekten gefunden, welche Masse besitzen, und das eben ausgesprochene Gesetz besagt, dass beide nicht nur gleichzeitig vorhanden sind, sondern auch in einem unveränderlichen Verhältnis zu einander stehen. Um die Bedeutung des Satzes einzusehen, muss man erst wissen, wie Kräfte gemessen werden.

Eine Kraft nehmen wir dort an, wo wir sehen , dass Körper Bewegung erlangen. Ein sich bewegender Körper besitzt eine Geschwindigkeit, und da er auch Masse besitzt, so enthält er eine bestimmte Menge Bewegungsenergie, die durch ^/^ mc^ dargestellt und gemessen wird. Unter dem Einflüsse einer Kraft erlangt ein Körper also Bewegungsenergie. Die Erfahrung gestattet den Zusammenhang dieser Grössen durch die Formel Va™c* = fs darzu- stellen, in welcher f die Kraft und s die Strecke bedeutet, die der Körper unter dem Einflüsse der Kraft zurückgelegt hat.

Die Einheit der Kraft ergiebt sich aus der Formel, wenn man bedenkt, dass der Faktor s in dem Ausdruck fs als Strecke bereits seine Einheit, das Centimeter, hat. Die Kraft Eins, auch Dyne genannt, ist also die Kraft, welche, über ein Centimeter wirkend, ein Erg Bewegungsenergie erzeugt Erzeugt sie x Erg, so ist ihr Betrag x Dynen.

Lässt man ein Gramm unter dem Einflüsse seines Gewichtes sich bewegen, so erlangt es beim Fall durch 1 cm die .Geschwindigkeit von 44-3 cm / sec. Seine Energie beträgt daher Va . 44-3* 980 Erg, und das Gewicht von einem Gramm hat den Wert von 980 Krafteinheiten oder Dynen.

Nun fallen nach der Entdeckung von Galilei (1638) alle Körper gleich schnell; d. h. sie nehmen nach dem Falle durch gleiche Strecken gleiche Geschwindigkeit an. Betrachten wir zwei Körper, die wir durch die Ziffern 1 und 2 unterscheiden, so gelten für sie die Gleichungen */j m^ cj f^ Sj und Vä^aC^^^Sg. Sind sie durch gleiche Strecken gefallen, Si = S2, so ist nach dem Gesetz von Galilei auch c^ = c^, und daraus folgt m^ : m^ = fj : fg, d.h. die Kräfte beim Fall oder die Gewichte verhalten sich wie die Massen.

In der Gleichung 72°ic* = fs stellt die linke Seite die Bewegungs- energie dar. Die rechte Seite muss deshalb auch eine Grösse gleicher Art, eine Energie, darstellen. Diese Art der Energie wird bethätigt, wenn Körper unter dem Einflüsse von Kräften ihren Ort ändern, und man nennt sie dem Sprachgebrauch des gewöhnlichen Lebens gemäss Arbeit. Da andererseits Kräfte sich zwischen verschiedenen Körpern in solchem Sinne bethätigen, dass die gegenseitige Entfernung sich ändert, so kann die entsprechende

6 I. Massen Verhältnisse chemischer Verbindungen.

Energie auch passend Distanzenergie genannt werden. Die letztere Be- zeichnung ist sogar die bestimmtere, da es in Gebrauch gekommen ist, noch andere Formen der Energie, ja die Energie allgemein Arbeit zu nennen.

Der Sinn der Gleichung ist, dass Bewegungsenergie und Distanz energie sich gegenseitig in einander überführen lassen, so dass, wenn ein bestimmter Betrag der einen verschwindet, der durch die Gleichung gegebene Betrag der anderen entsteht. Bezeichnet man entstehende Energiemengen mit dem positiven, verschwindende mit dem negativen Zeichen, so kann man auch sagen, dass bei solchen Umsetzungen der Gesamtbetrag der Energie unver- ändert bleibt. Dies ist ein Beispiel für ein allgemeines Naturgesetz von allergrösster Wichtigkeit, das Gesetz von der Erhaltung der Energie.

Das Gesetz von der Erhaltung der Masse ist nicht das einzige, dessen Geltung bei chemischen Vorgängen erkannt worden ist. Vielmehr giebt es innerhalb seines Rahmens noch mehrere besondere Gesetze, die nunmehr ausgesprochen werden sollen.

Wandelt sich ein Stoff in einen anderen um, so stehen die Massen beider in einem unveränderlichen Verhältnis.

So geben 100 Teile Zink beim Verbrennen stets genau 124-5 Teile eines weissen Pulvers, Zinkoxyd, gleichgültig, ob man viel oder wenig Zink nimmt, oder wie man die Verbrennung ausführt. Ja, man kann das Zink- oxyd mit ganz gleichen Eigenschaften auch auf Wegen gewinnen, die von dem gewöhnlichen Verbrennen weit verschieden sind; immer erhält man aus einer gegebenen Menge Zink die proportionale Menge des Oxyds.

Eine derartige Umwandlung eines Stoffes in einen anderen von anderer Masse kann nach dem ersten Gesetz nur dann eintreten, wenn sich ein zweiter Stoff dabei beteiligt, dessen Masse zu der des ersten hinzutritt. Mit dem vorigen Gesetz steht daher das folgende im engsten Zusammenhange :

Entstehen durch Wechselwirkung mehrerer Stoffe neue, so stehen die Massen sowohl der verschwindenden, wie der erzeugten Stoffe in unveränderlichen Verhältnissen.

Hierbei ist besonders zu bemerken, dass die Änderung der Eigen- schaften der Stoffe bei chemischen Umwandlungen stets sprungweise erfolgt. Wenn man Zink zu Zinkoxyd verbrennt, so kann man nicht Zwischenstufen des Stoffes zwischen beiden Zuständen erkennen, indem die ganze Menge des Zinks allmählich ihre Eigenschaften ändert, bis die des Oxyds eingetreten sind, sondern das Zink verwandelt sich Teil für Teil. Unterbricht man den Vorgang, so ist derjenige Teil des Zinks, welcher sich in Oxyd hat verwandeln können, in dieses vollkommen übergegangen, und der Teil, welcher dies Ziel noch nicht erreicht hat, ist völlig unverändertes Zink. Daraus muss eben mit Notwendigkeit ge- schlossen werden, dass zur Bildung eines Stoffes die zugehörigen Aus- gangsstoffe in einem ganz bestimmten Verhältnis zusammenwirken müssen.

Die mit Massenverändemng verbundene Umwandlung der Stoffe in andere kann nach dem ersten Gesetze offenbar nur so stattfinden, dass

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entweder mehrere Stoffe sich zu einem vereinigen oder dass ein Stoff in mehrere zerfällt; auch können wohl Vorgänge von beiderlei Art gleichzeitig stattfinden. Die Stoffe, in welche ein gegebener Stoff zer- fällt (so dass die Summe ihrer Massen der des ursprünglichen Stoffes gleich ist), nennt man die Bestandteile des letzteren. Setzt man diese neuen zersetzenden Einflüssen aus, so gelingt es häufig, sie wieder zu spalten, und so fort; zuletzt gelangt man aber zu Stoffen, welche allen Versuchen, sie zu zerlegen, mit Erfolg widerstehen.

Solche Stoffe nennt man Elemente. Sie sind dadurch gekenn- zeichnet, dass sie bei chemischen Umwandlungen nur in solche Stoffe übergehen können, die ein gi'össeres Gewicht haben (oder allenfalls in Stoffe von gleichem Gewicht, aber anderen Eigenschaften, welcher Fall auch möglich ist).

Alle Stoffe sind sonach entweder Elemente, oder Verbindungen dieser unter einander.

Man stellt sich die Verbindungen gewöhnlich in der Weise vor, dass die Elemente in den Verbindungen noch fortbestehen, und nur darch das Zusammentreten mit anderen Elementen andere Eigenschaften angenommen haben. Diese Voratellung trifft auf die prinzipielle Schwierig- keit, dass man die Elemente wie alle anderen Stoffe nur durch ilu*e Eigenschaften kennt, und daher nicht angeben kann, was von ihnen übrig bleibt, wenn Urnen ihre Eigenschaften genommen werden. Indessen darf man formal immerhin diese Vorstellung festhalten, zumal sie auch eine VeranschauHchung eines anderen Gesetzes bietet, das man das Ge- setz von der Erhaltung der chemischen Ali; nennen könnte.

Kein Element kann in ein anderes umgewandelt werden.

Die Erkenntnis dieses Gesetzes ist die Frucht der jahrhundertelangen vergeblichen Arbeit der Alchemisten, welche sich bemühten, eine solche Umwandlung unter der Erzeugung der Elemente Gold oder Silber her- vorzurufen. An sich waren jene Versuche keineswegs unvernünftig, und erat die Erkenntnis des eben ausgesprochenen Gesetzes hat gezeigt, dass die beim Gold und Silber geftindene Unmöglichkeit nur eine von vielen ähnlichen Unmöglichkeiten ist.

An dies Gesetz schliesst sich ein anderes, das sich auf die Verbindungen bezieht; es besagt, dass die Verbindungen eines Elements nur mit Hülfe dieses Elements oder anderer Verbindungen des Elements gewonnen werden können, dagegen auf keine Weise aus anderen Stoffen, die ihrerseits sich nicht in jenes Element überführen lassen. Es bildet mit anderen Worten jedes Element eine Familie von Abkömmlingen, von denen mindestens einer vor- lianden sein muss, um zu einem anderen zu gelangen. Unter der Voraus- setzung, dass man von dem Element zu seinem Abkömmling und umgekehrt die chemischen Umwandlungen in jeder Richtung ausführen kann, lässt sich indessen dieses Gesetz auf das zuerst ausgesprochene zurückführen, und be- darf daher keiner besonderen Aufstellung.

8 I. Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.

Die eben ausgesprochene Voraussetzung, dass man aus jeder Verbindung ihre Elemente, und aus ihren Elementen jede Verbindung herstellen kann, ist experimentell noch keineswegs in jedem einzelnen Falle bewiesen. Zwar bezüglich des ersten Teiles der Voraussetzung besteht kein Zweifel: man kann gegenwärtig in der That jede Verbindung in ihre Elemente verwandeln. Aber der zweite Teil hat von jeher viel grössere Schwierigkeiten bereitet; und wenn auch jetzt schon viele, früher für unmöglich gehaltene Zusammen- setzungen oder Synthesen gelungen sind, so giebt es auch jet:rt noch zahl- reiche Stoffe, insbesondere Produkte des lebenden Organismus, deren Darstellung aus den Elementen oder aus einfacheren Verbindungen noch nicht ausge- führt worden ist. Vermöge eines Induktionsschlusses von ähnlicher Natur, wenn auch viel geringerer Sicherheit, wie der S. 2 angeführte, nimmt man an, dass die Synthese der noch ausstehenden Stoffe gelingen wird, weil die Synthese vieler verwickelt zusammengesetzter Stoffe bereits gelungen ist, wobei sich keine Eigentümlichkeiten gezeigt haben, welche in bestimmten Fällen die Möglichkeit einer Synthese ausschlössen. Die hier zu über- windenden Schwierigkeiten liegen namentlich in der Unbestimmtheit der Auf- gabe, denn mit der Kenntnis der elementaren Zusammensetzung eines Stoffes ist dieser noch durchaus nicht eindeutig bestimmt; es giebt zahlreiche Stoffe, die bei gleicher eleraentai'er Zusammensetzung doch verschiedene Eigenschaften haben, also verschieden sind.

Zwischen denselben Elementen können Verbindungen in verschiedenen Verhältnissen stattfinden. Von diesen Verhältnissen ist nicht nur Jedes nach dem dritten Gesetze konstant, sondern ihre gegenseitige Beziehung wird durch ein weiteres Gesetz geregelt, dessen Entdeckung man Dalton (1808) verdankt.

Verbindet sich ein Stoff A mit einem anderen B in mehreren Verhältnissen, so stehen die Massen von B, die sich mit gleichen Massen von A vereinigen, in rationalen Ver- hältnissen.

So können sich z. B. Sauerstoff und Stickstoff, die Bestandteile der atmosphärischen Luft, zu mehreren verschiedenen Stoffen verbinden. Diese enthalten auf 100 Teile Stickstoff 57-1, 114-3, 171-4, 228-6 und 285-7 Teile Sauerstoff, d. h. Mengen, die sich wie 1:2:3:4:5 verhalten.

Dalton entdeckte sein Gesetz nicht auf Grund entsprechender Analysen, sondern er war durch eine gewisse hypothetische Anschauung, die wir bald erörtern wollen, zu der Vermutung geführt worden, dass ein solches Gesetz bestehen müsse, und hat es dann bei dem Vergleich mit eigenen und fremden Analysen bestätigt gefunden. Doch hat er im Vertrauen auf die Richtigkeit seiner Hypothese sich nicht darum bemüht, den Genauigkeitsgrad festzustellen, der diesem Gesetze zukommt. Diese Untersuchung und damit die eigentliche wissenschaftliche Sicherung des Gesetzes ist erst von Berzelius (1811) vorge- nommen, wobei sich ergeben hat, dass es so genau gilt, als sich Analysen überhaupt ausführen lassen.

Die Grundgesetze. 9

Die bisher ausgesprochenen einzelnen Gesetze der Massen- oder Gewichtsverhältnisse chemischer Verbindungen ergeben sich schliesslich als Einzelfalle eines Hauptgesetzes, das alle Verbindungen der verechiedenen Elemente unter einander beherrscht. Es besteht darin, dass man jedem Elemente ein bestimmtes (relatives) Gewicht zuschreiben kann, mit welchem es in Verbindungen eintritt. Setzt man den Begriif dieses individuellen „Verbindungsgewichtes -^ als gegeben voraus, so kann man das Gesetz folgendermassen aussprechen :

Die Elemente verbinden sich nur im Verhältnis ihrer Verbindungsgewichte oder rationaler Vielfacher derselben.

Die Entdeckung dieses Gesetzes ist nicht auf einmal erfolgt, sondern es and einzelne Teile desselben bekannt gewesen, bevor es über alle Verbindungen ausgedehnt worden ist. So hat insbesondere Richter (1792) das Bestehen eines solchen Gesetzes bei den Verbindungen zwischen Säuren und Basen erkannt. Aus der Thatsache, dass zwei neutrale Salze neutrale Produkte liefern, wenn sie sich unter Wechselzersetzung in zwei neue Salze verwandeln, schloss Richter, dass die bei der Zersetzung des einen Salzes frei werdende Säure gerade ausreicht, um die bei der Zersetzung des zweiten freiwerdende Base zu sättigen. Daraus folgt, dass, wenn man in Bezug auf eine konstante Menge einer Base die Mengen ver- schiedener Säuren ermittelt, welche sich mit dieser zu einem neutralen Salze verbinden, oder sie sättigen, diese Säuremengen auch von jeder anderen Base konstante Mengen sättigen werden. Die Erfahrung hat ihm diesen Schluss bestätigt.

Dass es sich aber hier um ein allgemeines Gesetz handelt, welches noch in Bezug auf das Vorkommen von Verbindungen in mehreren Ver- hältnissen gemäss dem Gesetz der rationalen Verhältnisse zu ergänzen war, ist erst von Dalton (1808) ausgesprochen worden. Dalton gelangte auch zu diesem Gesetz von seiner Hypothese aus, und hat es nicht sorgfältig auf seine Genauigkeit geprüft. Auch war es wieder Berzelius, dem man die wissenschaftliche Sicherung des Gesetzes verdankt, während Dalton im Vertrauen auf seine Hypothese diese Arbeit für neben- sächlich hielt.

"Wasserstoff verbindet sich z. B. mit Sauerstoff im Verhältnis 1 -008 : 8, mit Schwefel im Verhältnis 1-008 : 16. Wir müssen demnach verlangen, dass alle Verbindungen von Schwefel mit Sauerstoff durch die Zahlen m8:nl6 ausdrückbar seien, wo m und n ganze Zahlen sind. In der That kennt man Verbindungen von Sauerstoff mit Schwefel, in welchen die Gewichte der beiden Elemente in den Verhältnissen 2x8:16 und 3x8:16 stehen, und keine anderen.

lieber die Genauigkeit, die den stöchiometrischen Grundgesetzen oder den Gesetzen über die Gewichts- und Massenverhältnisse chemischer Ver- bindungen zukommt, ist bereits in einzelnen Fällen bemerkt worden, dass sie sich soweit bewährt haben, als die MögUchkeit ihrer Prüfung bisher überhaupt gereicht hat. Man muss angesichts der Thatsache, dass alle unsere

10 I- Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.

Messungen mit Fehlem behaftet sind, die zwai' immer kleiner gemacht, nie aber zum Verschwinden gebracht werden können, allerdings darauf verzichten, für irgend ein Gesetz absolute Geltung in Anspruch zu nehmen. Vielmehr besteht die wissenschaftliche Aufgabe darin, die Grenze der Genauigkeit festzustellen, bis zu welcher das Gesetz Anwendung findet, oder wenn eine solche Grenze nicht gefunden worden ist, anzu- geben, bis zu welchem Grade das Gesetz geprüft worden ist. In dieser Beziehung ist nun zu sagen, dass die stöchiometrischen Grundgesetze zu den wenigen gehören, deren Grenze noch nicht gefunden worden ist. Man hat mit anderen Vierten keine grösseren Abweichungen von den Gesetzen beim Versuche beobachtet, als sie durch die unvermeidlichen Fehler be- dingt waren. Diese Fehler sind auf ziemlich geringe Beträge einge- schränkt worden, denn die stöchiometrischen Grundgesetze sind auf ein Hunderttausendstel bis zu einem Milliontel geprüft und stichhaltig be- funden worden.

Während die stöchiometrischen Gesetze, wie sie bisher ausgesprochen worden sind, den reinen Ausdruck der Erfahrung darstellen, und weiter keine Unsicherheit enthalten, als sie allen induktiv gefundenen Gesetzen anhaftet, so hat man zur besseren Veranschauiichung dieser Verhältnisse und zur Erleichterung weiterer Schlussfolgerungen aus ihnen eine Vor- stellung erdacht, aus der sie abzuleiten sind. Diese Vorstellung ist flu* sich der Prüfung nicht zugänglich, sondern nur in ihren Consequenzen. Da man niemals beweisen kann, dass nicht auch andere Vorstellungen zu den gleichen Consequenzen führen, so kann man auch die Richtigkeit einer solchen Vorstellung nie beweisen. Wohl aber kommt ihr die Eigenschaft der Zweckmässigkeit zu, wenn sie gestattet, die fraglichen Consequenzen leicht und anschaulich zu entwickeln, und so die Erlernung und Anwendung der Gesetze zu erleichtem.

Derartige Vorstellungen nennt man Hypothesen. Solche bestehen immer in der Übertragung bekannter gesetzmässiger Verhältnisse auf Gebiete, die weniger bekannt sind, und in denen ähnliche Gesetzmässigkeiten beobachtet werden. Da von allen Gebieten das der Mechanik am besten theoretisch bekannt ist, so werden seit jeher die Materialien für Hypothesen meist der Mechanik entnommen. Auch die hier zu besprechende Hypothese macht hiervon keine Ausnahme, indem sie gleichfalls die chemischen Gesetzmässigkeiten durch die Annahme gewisser mechanischer Beschaffenheiten der beteiligten Stoffe darstellt.

Diese Annahme ist, dass die Stoffe nicht stetig den Kaum erfüllen, sondern aus kleinen Teilchen bestehen, welche zu dem zusammentreten, was uns als Stoff erscheint. Diese kleinsten Teilchen werden Atome genannt. Die Atomhypothese ist bereits von den griechischen Philosophen aufgestellt worden, und hat während der ganzen Entwicklungsgeschichte der Wissenschaft immer wieder ihre Rolle gespielt. Doch war ihre Ver- wendung bis zum Anfange dieses Jahrhunderts nur eine qualitative und daher ziemlich unbestimmte; erst Dalton hat (1803) die Hypothese auch

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Die Grundgesetze. 11

zu quantitativen Schlüssen anzuwenden versucht, und dabei sehr günstige Ergebnisse erlangt.

Die erste Frage, welche er sich in solcher Richtung stellte, war die, ob die Atome eines gegebenen Stoffes untereinander in aller Strenge gleich, oder nur ähnlich anzunehmen seien, wie etwa die Kömer des Sandes.

Wäre das letztere der Fall, so müsste es möglich sein, von einem be- stimmten Stoffe, z. B. Wasser zwei Proben herzustellen, die etwas ver- schiedene Eigenschaften haben, wie man Sand in einen gröberen und einen feineren Anteil sondern kann. Die Erfahrung scheint im ersten Augenblicke dafür zu sprechen, denn Flusswasser, Quellwasser und Meer- wasser sind zwar ähnlich, aber nicht ganz gleich. Eine eingehende Untersuchung zeigt aber das Gegenteil. Diese Arten von Wasser sind nur deshalb verschieden, weil sie nicht rein, d. h. nicht Wasser allein sind. Befreit man sie durch zweckentsprechende Massnahmen von allen fremden Stoffen, so erhält man Wasserarten, die in allen Beziehungen und so vollkommen Übereinstimmen, dass in keiner ihrer Eigenschaften Unterschiede nachweisbar sind.

Dalton schloss also, dass die Atome jedes reinen Stoffes unterein- ander vollkommen gleich sind. Er nahm weiter an, dass die chemischen Verbindungen dadurch entstehen, dass sich die Atome der Bestandteile oder Elemente in bestimmter Zahl und auf bestimmte Weise aneinander lagern; jeder zusammengesetzte Stoff enthält also die Atome seiner Ele- mente auf bestimmte Weise geordnet.

Aus dieser Annahme lassen sich die stöchiometrischen Gesetze un- mittelbar ableiten. Da die elementaren Atome jedes Elements unterein- ander in allen Beziehungen gleich sind, so ist auch das Gewicht gleich- namiger Atome vollkommen gleich. Da femer sich die Atome nur in ganzer Anzahl aneinander zu Verbindungen lagern können, so müssen die Gewichtsverhältnisse der Elemente in den Verbindungen durch die Produkte aus der Anzahl der vorhandenen Atome jedes Elements in das Gewicht eines einzebien Atomes darstellbar sein. Dies ist aber das Ge- setz von den Verbindungsgewichten, welches wie bemerkt alle übrigen stöchiometrischen Gesetze umfasst. Das Verbindungsgewicht erhält dadurch die Bedeutung des (relativen) Atomgewichts.

Die grosse Einfachheit dieser Daretellungsweise hat es mit sich ge- bracht, dass die Daltonsche Atomhypothese nicht nur zur Einführung des Anftingers in das Thatsachengebiet der Chemie benutzt wird, sondern auch in wissenschaftlichen Darstellungen die Ausdrucksweise behen-scht. Auch ist es nur bUlig, zu betonen, dass bisher es noch immer möglich gewesen ist, die Atomhypothese so auszugestalten, dass auch die anderen chemischen Verhältnisse sich in ihrem Sinne haben darstellen lassen. Doch scheint gegenwärtig die Grenze ihrer Anpassungsfähigkeit nahezu erreicht zu sein, und die Stimmen mehren sich, welche auf ihre Unzu- länglichkeit in manchen Gebieten hinweisen.

12 I. Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.

Wenn sich auch die in diesem Buche zu behandelnden Gegenstände zu einem grossen Teil ohne Benutzung der Atomhypothese erörtern lassen, und daher ein wesentlicher Gebrauch von ihr nur ausnahmsweise zu ma<;hen sein wird, so ist doch noch gegenwärtig fast die ganze Nomenklatur der Chemie auf Grund der Hypothese entwickelt, und ein Versuch der Darstellung ohne sie würde die Schaffung einer Anzahl neuer Bezeichnungen nötig machen. Deshalb soll femer mit dem Gebrauch dieser alten Namen die Hypothese formell beibehalten werden; doch geht die Tendenz des Werkes dahin, möglichst die Thatsachen und die aus ihnen abgeleiteten Gesetze für sich selbst darzustellen, um ihre Tragweite besser zum Bewusstsein zu bringen und die Beurteilung der Erscheinungen nicht durch entbehrliche Zuthaten unsicherer zu gestalten.

Zweites Kapitel.

Die Elemente.

Das einzige Verfahren, um zu erkennen, ob ein gegebener Stoff einfach oder zusammengesetzt, ein Element oder eine Verbindung sei, besteht darin, dass man voraussetzt, er sei zusammengesetzt, und alle Hilfsmittel der Zerlegung, welche man besitzt, auf ihn anwendet. Er- hält man bei allen Umwandlungen, denen man den Stoff unterwii-fl, immer nur Produkte, welche ebensoviel oder mehr wiegen, als er selbst gewogen hat, und niemals (vollständige Umwandlung und Vermeidung jedes Verlustes vorausgesetzt) solche, welche ein geringeres Gewicht be- sitzen, so bleibt nichts übrig, als ihn für ein Element zu halten.

Der Begriff eines Elements im chemischen Sinn« ist also der eines unzerlegten, nicht der eines unzerlegbaren Stoffes; derselbe wird demnach einigermassen veränderlich, insbesondere von den Hilfsmittehi der chemischen Analyse abhängig sein, und man muss es zunächst für ganz ungewiss halten, ob den Elemente genannten Stoffen die im Namen vorausgesetzte Einfachheit wirklich zukommt.

Allerdings kann man niemals entscheiden, ob unsere gegenwärtigen „Elemente" wirklich unzerlegbar sind. Wohl aber kann man entscheiden, ob sie Stoffe gleicher oder verschiedener Ordnung sind. Nun sprechen die! Thatsachen fast ausnahmslos zu gunsten des Satzes, dass, wenn die Elemente wirklich zusammengesetzt sind, sie jedenfalls Verbindungen von gleichem I Grade der Zusammengesetztheit sein müssen. Wenn also die Zerlegung eine» der gegenwärtigen Elemente, z. B. des Kupfers, in einfachere Bestandteile gelänge, so wäre damit fast gewiss gemacht, dass auch alle anderen Elemente in gleicher Weise sich müssen zerlegen lassen. Die Gründe für diesen Schluss können freilich erst weiter unten, bei der Besprechung der Eigen- schaften der Elemente und der Beziehungen zwischen ihren Zahlenwerteft vollständig angeführt werden.

Die Elemente.

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Die Zahl der bisher bekannten Elemente beträgt über 70; genau lässt sie sieh nicht angeben, weil über einige von den als Elemente angesehenen Stoffen die Akten noch nicht geschlossen und ihre An- rechte daher zweifelhaft sind; die Namen der unzweifelhaften Elemente sind folgende:

Alnminium AI Antimon Sb Argon Ar Arsen As Baryum Ba Beryllium Be Blei Pb Bor B Brom Br Cäsium Cs Cadmium Cd Calcium Ca Cerium Ce Chlor Cl Chrom Cr Eisen Fe Erbium Er Ruor Fl

Gallium Ga Germanium Ge Gold Au Helium He Indium In Iridium Ir Jod J Kalium K Kiesel Si Kobalt Co Kohle C Kupfer Cu Lanthan La Lithium Li Magnesium Mg Mangan Mn Molybdän Mo Natrium Na

Neodym Nd Nickel Ni Niobium Nb Osmium Os Palladium Pd Phosphor P Platin Pt Praseodym Pr Quecksilber Hg Rhodium Rh Rubidium Rb Rutlienium Ru Samarium Sa Sauerstoff 0 Scandium Sc Schwefel S Selen Se Silber Ag

Stickstoff N Strontium Sr Tantal Ta TeUur Te Thallium Tl Tliorium Th Utan Ti Uran ü Vanadium V Wasserstoff H Wismuth Bi Wolfram W Ytterbium Yb Yttrium Y Zmk Zn Zinn Sn Zirconium Zr

Die allgemeine Kenntnis der Beschaffenheit der chemischen Ele- mente wird aus der beschreibenden Chemie vorausgesetzt, so dass auf sie hier nicht einzugehen ist. Nur soll bemerkt werden, dass die tiberwiegende Mehrzahl den Metallen angehört, deren selir ähnliche Eigenschaften eines der Argumente sind, welche zu gunsten der An- nahme sprechen, dass die Elemente Stoffe gleicher Ordnung darstellen.

Den Namen der Elemente sind ihre abgekürzten Symbole beigeschrieben. Derartige symbohsche Stoffbezeichnungen sind seit den ältesten Zeiten der Chemie üblich gewesen, wo insbesondere die Me- talle mit den Zeichen der Planeten belegt wurden. Sie hatten zunächst qualitative Bedeutung und standen einfach für den Namen des be- treffenden Stoffes. Mit der Entdeckung des Gesetzes der Verbindungs- gewichte erhielten die Symbole der Elemente eine erweiterte, nämlich quantitative Bedeutung, indem sie ein Verbindungsgewicht des betreffenden Elementes darzustellen hatten. So ist insbesondere von Dalton alsbald nach Aufetellung der Atomhypothese eine derartige Symbolik ausgearbeitet worden, die indessen aus willkürlichen Zeichen bestand, und daher grosse Anforderungen an das Gedächtnis stellte. Eine praktische Form erhielt sie erst durch Berzelius, welcher den Anfangsbuchstaben des lateinischen Namens des Elementes, erforderlichenfalls unter Zufligung eines weiteren

14 I. Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.

Buchstabens, zur Bezeichnung eines Verbindungsgewichtes des fraglichen Elementes benutzte, wodurch sich die Zeichen sehr leicht dem Gedächt- nis einprägen.

Chemische Verbindungen werden bezeichnet, indem die Zeichen ihrer Elemente nebeneinander geschrieben werden. Sind mehrere Ver- bindungsgewichte eines Elementes in der Verbindung vorhanden, &% schreibt man sie meist nicht einzeln hin, sondern setzt ihre Anzahl als Faktor zum Zeichen. Es ist üblich geworden, diesen Faktor nicht, wie in der Mathematik, vor das Zeichen zu setzen, sondern an die Stelle des Index oder des Exponenten. Ein Irrtum kann dadurch nicht veran- lasst werden, und für zusammengesetztere Formeln wird in erwünschter Weise Raum gewonnen.

Der Inhalt der chemischen Formeln ist durch die Bezeichnung der Art und Anzahl der Atome nicht erschöpft. Zunächst geben sie, da die Kenntnis der relativen Verbindungsgewichte vorausgesetzt wird, gleichzeitig vollständige Auskunft über die Massenverhältnisse der Elemente in der Ver- bindung. Ferner aber sucht man durch sie eine hypothetische Vorstellung von den engeren oder weiteren Beziehungen zu geben, in welchen die Atome innerhalb der zusammenhängenden Atomgruppe oder Molekel zu einander stehen. Mit Rücksicht auf diese Absicht schreibt man Eonstitutions- formeln, in welchen diese Beziehungen durch die räumliche Anordnung der einzelnen Zeichen zur Darstellung gebracht werden.

Drittes Kapitel.

Die Verbindungsgewlchte.

Nach den am Schlüsse des ersten Kapitels gegebenen Auseinander- setzungen existiert für jedes Element eine bestimmte Zahl, welche für sich, oder nach Multiplikation mit einer ganzen Zahl die Masse und das Gewicht bestimmt, mit welchem das Element Verbindungen eingeht. Diese Zahl, die Verbindungsmasse oder das Verbindungsgewicht lässt sich zu- nächst nur relativ bestimmen, d. h. man muss sie für irgend ein Element willkürHch festsetzen, und die Verbindungsgewichte der anderen Elemente auf diesen VTert beziehen.

Im Sinne der Atomhypothese sind diese Zahlen nichts als die rela- tiven Massen oder Gewichte der Atome und man pflegt sie daher kurz- weg die Atomgevdchte zu nennen. Wk können in der Folge den hypothetischen Namen Atomgewiclit, der in der chemischen litteratur allgemein gebräuchlich ist, benutzen, wo kein Irrtum von Belang durch seinen Gebrauch zu befurchten steht.

Die Bestimmung der relativen Verbindungs- oder Atomgewichte war die wichtigste Aufgabe, welche nach Entdeckung der stöchiometrisehen Grundgesetze der Experimentalchemie entgegentrat. Denn waren ein-

Die Verbindungsgewichte. 15

mal diese Konstanten bestimmt, so waren dadurch die Gewicbtsverhältnisse in allen chemischen Verbindungen mit demselben Grade der Genauigkeit berechenbar, nachdem in ihnen die verhältnismässige Anzahl der ver- schiedenen Atome durch eine Analyse von annähernder Genauigkeit be- stimmt war.

Zunächst widmete sich dieser Aufgabe fast allein Berzelius, und führte sie mit einer für jene Zeit ganz ausserordentlichen Sicherheit und Genauig- keit in weitem Umfange durch. Seine Zahlen genossen daher das grösste Vertrauen, zunächst auf dem Kontinent. In England waren in Folge einer später zu besprechenden Hypothese etwas abweichende Zahlen in Gebrauch. Als aber bei einer Prüfung ihrer Richtigkeit durch Turner die Werte von Berzelius eine glänzende Bestätigung erhielten, erreichte das Vertrauen in deren Genauigkeit den Höhepunkt.

Inzwischen waren bei Analysen organischer Verbindungen, welche nur Wasserstoff und Kohlenstoff enthielten, von den sorgfältigsten Beobachtern Zahlen gefunden worden, welche als Summe der Bestandteile ein grösseres Gewicht ergaben, als zur Analyse genommen war. Da bei der Analyse Kohlenstoff als Kohlensäure, Wasserstoff als Wasser gewogen wird, so blieb nur der Schluss übrig, dass der Gehalt des einen oder andern an dem fraglichen Elemente falsch in Rechnung gebracht war. Untersuchungen von Liebig und Redtenbacher, Dumas und Stas, Erdmann und Marchand, welche in diesem Sinne Yorgenommen wurden, ergaben, dass Berzelius bei der Be- stimmung des Atomgewichtes des Kohlenstoffs allerdings einen ziemlich groben Fehler, von zwei Prozent etwa, begangen hatte.

Diese gänzlich unerwartete Entdeckung (1841) brachte eine förmliche Panik unter den Chemikern hervor. Je höher man die Zahlen von Berzelius gestellt hatte, um so tiefer wurde das Misstrauen gegen sie. Es begann eine rührige Revision der von Berzelius gegebenen Zahlen. Als Resultat ergab sich, dass jener Fehler von Berzelius bei weitem der grösste, ja fast der einzige war; die zahlreichen Neubestimmungen erwiesen fast nur die Richtig- keit der übrigen Werte dieses gewissenhaften Experimentators.

In der Folge sind die Revisionen und Neubestimmungen der Verbindungs- gewichte stetig fortgeführt worden. Dreimal haben sie indessen noch be- sondere Impulse empfangen. Zuerat war es eine von Prout und Meinecke aufgestellte Hypothese, nach welcher alle Verbindungsgewichte Multipla von dem des Wasserstoffs sein sollten, die eine Anzahl äusserst genauer Arbeiten, insbesondere die in dieser Hinsicht unübertroffenen von Stas, anregte. Zweitens aber veranlasste eine vonMendelejew und L.Meyer entdeckte Beziehung zwischen den Verbindungsgewichten und den anderen Eigenschaften der Elemente viele Arbeiten, weil in einzelnen Fällen Widersprüche gegen die allgemeinen Beziehungen vorhanden waren, deren mögliche Veranlassung durch ungenaue Bestimmungen der Atomgewichte eine erneute Prüfung solcher Werte not- wendig machte. Endlich hat der Umstand, dass vor etwa 15 Jahren von verschiedenen Seiten die vorhandenen Bestimmungen der Verbindungsgewichte in systematischer Weise neu berechnet worden sind, auf die Unvollkommenheit

16 Massenverhältnisse chemischer Verhindungen.

- vieler dieser Bestimmungen aufmerksam gemacht, und erneute Untersuchungen lA/VU^L . angeregt. In diesen Arbeiten hat sich insbesondere Th. W. Richards grosse Verdienste erworben.

Da man die Werte der Verbindungsgewichte zur Zeit nur relativ be- stimmen kann, so ist zunächst die Einheit festzustellen, welche ihnen zu Grunde gelegt werden soll, d. h. das Verbindungsgewicht eines der Elemente ist willkürlich gleich einem bestimmten Zahlenwert zu setzen. Dal ton hatte als Ausgangspunkt den Wasserstoff gewählt, dessen Wert von allen der kleinste ist. Berzelius verliess in der Folge diese Einheit aus praktischen Gründen. Es giebt nämlich sehr wenig Wasserstoffver- bindungen, welche sich zu genauer Analyse eignen, so dass man das Ver- hältnis zwischen dem Verbindungsgewicht des Wasserstofis und dem anderer Elemente meist nur auf Umwegen festsetzen kann. Der Sauerstoff bildet dagegen mit fast allen Elementen sehr geeignete Verbindungen, und Berzelius wählte ihn als Ausgangsstoff, wobei er seinen Wert nicht gleich Eins, sondern, um die übrigen Verbindungsgewichte von bequemer Grösse zu haben, gleich Hundert setzte. In späterer Zeit ist man wieder zur Daltonschen Wasserstoffeinheit zurückgekehrt, weil Wasser- stoff auch in anderen Beziehungen für die Chemie ein Normalstoff ge- worden war. Daraus hat sich aber die praktische Schwierigkeit ergeben, dass alle Zahlenwerte der Verbindungsgewichte, welche in Bezug auf Sauerstoff bestimmt sind und dies ist die überwiegende Mehrzahl mit Hilfe des Verhältnisses Wasserstoff : Saueratoff berechnet werden müssen. Dieses war aber bis vor kurzer Zeit keineswegs mit der wünschenswerten Ge- nauigkeit bekannt; der mögUche Fehler, den es enthielt, betrug viel mehr, als die Felder einer ganzen Anzahl von Verbindungsgewichten anderer Elemente in Bezug auf Sauerstoff, so dass man durch diese Rechnungs- weise sie unnötigerweise mit einer Unsicherheit behaftet.

Daher ist es am zvveckmässigsten, zwar die Daltonsche Einheit formell beizubehalten, praktisch aber zu der von Berzelius zurückzu- kehren, indem man das Verbindungsgewicht des Sauerstoffs, welches sehr annähernd 16 mal so gross als das des Wasserstoffs ist, willkürlich genau gleich 16 setzt.

Gegenwärtig ist allerdings durch eine ganze Anzahl ausgezeichneter Untersuchungen das Verhältnis zwischen Sauerstoff und Wasserstoff' mit einer sehr befriedigenden Genauigkeit bekannt. Doch ist die Bestimmung dieses Verhältnisses so schwierig, dass mit einem gleichen Aufwände von Arbeit und Geschick viele andere Verbindungsgewichte mit einem erheblich kleineren Fehler bestimmt werden könnten. Der Übelstand ist also nur zurückgeschoben worden, bleibt aber sachlich bestehen, und wird alsbald wieder zur Geltung kommen, wenn die Arbeiten an den anderen Ele- menten entsprechend vorgescliritten sind.

Es ist deshalb durchaus sachgemäss, dass die deutsche chemische Gesellschaft (1898) den Beschluss gefassthat, die Rechnung mit 0 = 16-000 ihren Mitgliedern zu empfehlen; auch ist begiündete Aussicht vorhanden,

Die Verbindungsgewichte. 17

das8 die massgebenden Institutionen anderer Völker sich diesem Vor- sehlage anschliessen werden. Dadurch wird dem unerträglichen Zustande ein Ende gemacht, dass die Verbindungsgewichte von verschiedenen Autoren auf drei verschiedene Einheiten, nämlich 0= 15«96, 15'87 und 16-00 bezogen werden.

Es ist hier dasselbe Verfahren angewandt worden, welches sich als das einzig praktische für die Bestimmung der Längeneinheit erwiesen hat. Das Meter sollte ursprünglich der zehnmillionste Teil des Erdquadranten sein ; da aber die Bestimmung dieses Wertes mittelst geodätischer Messungen viel weniger genau ist, als man Kopieen eines gegebenen Massstabes herstellen kann, so läuft man Gefahr, bei jeder neuen Gradmessung ein merklich anderes Meter zu erhalten. Man ist daher übereingekommen, das in Paris bei der ersten, zum Zwecke der Bestimmung des Meters ausgeführten Gradmessung hergestellte und seitdem aufbewahrte Längenmass als wirkliches Meter anzu- sehen und die Bezidbung auf den Erdquadranten ganz aufzugeben.

Von den zahlreichen Arbeiten, welche zur Bestimmung der relativen Verbindungsgewichte der verschiedenen Elemente unternommen worden sind, können hier nur wenige besprochen werden. Doch sollen die wich- tigsten der benutzten Methoden an Beispielen erläutert werden.

Das Verbindungsgewicht des Wasserstoffs beträgt, wenn das des Sauerstoffs gleich 16 gesetzt wird, annähernd 1. Die erste etwas genauere Bestimmung wurde 1819 von Berzelius und Dulong nach einer Me- thode ausgeführt, welche seitdem von fast allen übrigen Forschern bei- bdialten wurde. Sie besteht darin, dass man möglichst reines imd trockenes Wassei-stoffgas über glühendes Kupferoxyd leitet. Der Wasser- stoff entzieht dem Kupferoxyd Sauerstoff, um sich damit zu Wasser zu vereinigen; letzteres wird in geeigneten Gefässen aufgefangen; die letzten dampfförmigen Anteile müssen mit Hilfe von wasseranziehen- den Stoffen, Schwefelsäure oder Phosphorpentoxyd, festgehalten werden. In den drei Versuchen der Genannten wurden 30'519g Wasser er- halten. Das Kupferoxyd, welches vor und nach den Versuchen gewogen wurde, hatte 27-1 29 g an Gewicht verloren. Dieses stellt den im Wasser enthaltenen Sauerstoff dar, der Wasserstoff beträgt somit 30-519 27'1 29= 3-390 g. Im Wasser nimmt man nun auf ein Verbindungsgewicht Sauerstoff zwei Verbindungsgewichte Wasserstoff an; ist die Masse des ersten gleich 16, so gilt folgende Proportion, in der [fl] das Verbindungsgewicht des Wasserstoffs bedeutet:

16:2[H] = 27.129:3.390

«der [H] = i^>i|^ = 0.9997.

^ ^ 2X27129

Ähnlidie Versuche mit ähnlichen Ergebnissen sind später von Dumas, sowie von Erdmann und Marchand ausgeführt worden. Alle diese Forscher schlössen aus ihren Messungen, dass das Verhältnis H:0 gleich 1:1600 sei.

Ostwald, Orandriss. 8. Aufl. 2

18 I- Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.

Als aber später Stas (1860) angab, dass er diesen Wert auf Grund unveröffentlichter Messungen für zu gross halten müsse, wurden von L Meyer die alten Zahlen neu berechnet, und es ergab sich der Wert 15-9G für den SauerstoflF, wenn Wasserstoff gleich Eins gesetzt wurde. Dieser Wert erhielt eine weitere Bestätigung durch Regnaults (fehlerhafte) Bestimmung der Dichten beider Gase, aus denen sich nach einem bald anzugebenden Gesetze die Verbindungsgewichte bestimmen lassen.

Infolge dieses Ergebnisses verbreitete sich der Gebrauch der auf 0=15-96 bezogenen Verbindungsgewichte, während von anderer Seite die Unsicherheit dieser Zahl betont und die Beziehung auf den willkürlich angenommenen Wert 0 = 1600 empfohlen wurde. Um den Zwiespalt zu schlichten und die wichtige Konstante endgültig festzustellen, sind dann seit 1887 zahlreiche Neubestimmungen unternommen worden, die nach sehr verschiedenen Methoden durchgeführt wurden. Cooke und Richards änderten das Verfahren von Berzelius dahin ab, dass sie den Wasserstoff und das Wasser wogen. ÄhnHch verfuhr Keiser (1888 und 1899), der den, Wasserstoff in Gestalt von Palladiumwasserstoff wog. Rayleigh (1889) wog beide Gase als solche, und bestimmte ihr Verhältnis, indem er sie portionenweise in einem Eudiometer mit einander sich ver- binden liess. Auch benutzte er zur Berechnung das von Scott ge- messene Volum Verhältnis, nach welchem sie sich verbinden. Noyes (1888) liess Wasserstoff in eine ausgepumpte Kugel treten, die Kupferoxyd ent- hielt, und bestimmte die Gewichtszunahme, die gleich dem Gewicht des Wasserstoffs ist, dann trieb er das gebildete Wasser aus, und bestimmte so dessen Gewicht. Dittmar und Henderson (1890) wiederholten die Versuche von Berzelius unter Berücksichtigung der inzwischen entdeckten Fehlerquellen, ebenso Leduc (1892). Morley wog die beiden Gase getrennt (den Wasserstoff in Palladium), und dann das gebildete Wasser (1895). Auch bestimmte er in einer meisterhaften Arbeit die Dichten und das Volum Verhältnis. Thomsen ermittelte das Verhältnis, in weldiem sich Ammoniak und Chlorwasserstoff verbinden, und berechnete unter Benutzung der von Stas in Bezug auf Sauerstoff bestimmten Verbindungs- gewichte des Chlors und Stickstoffs das des Wasserstoffs (1894). In emer anderen Versuchsreihe bestimmte er einerseits das Gewicht des Wasser- stoffs, der bei der Einwirkung von Aluminium auf Kalilauge entwickelt wurde, andererseits verbrannte er diesen Wasserstoff und wog das ent- standene Wasser (1895). Bezogen auf 0 = 16 sind folgende Gewichte für den Wasserstoff gefunden worden: Cooke und Richards 1-0069, Keiser 1-0031, später 1-0076, Rayleigh 10072, Noyes 10065, Dittmar und Hendereon 10087, Leduc 10059, Thomsen 1000 und 1.0082. Als die zuverlässigste aller neueren Untersuchungen ist die von Morley anzusehen, ans welcher H= 100762 folgt. Diesen letzteren Wert wer- den wir in Zukunft benutzen; für die meisten Zwecke kann er auf H = l-01 abgerundet werden.

Ein gutes Beispiel für ein etwas verwickelteres Verfahren zur Be-

Die Verbindungsgewichte. 19

Stimmung von Verbindungsgewichten bildet die gleichfalls von Berzehus angegebene Methode für Chlor, Kalium und Silber, wie es hernach von mehreren Anderen, insbesondere von Marignac und Stas benutzt worden ist.

Es wird zunächst Kaliumchlorat, KCIO*, durch Glühen nach der Formel KC10^ = KCl + 30 zersetzt. Bei einem derartigen Versuch hatte z.B. Stas 127-2125 g Chlorat genommen und 774023 g Chlorkalium im Rückstand behalten; es waren folglidi 49*8102 g Sauerstoff ent- wichen. Da in dem Kaliumchlorat drei Atome Sauerstoff angenommen werden, so kann man die Proportion ansetzen, wo [KCl] das Verbindungs- gewicht von Chlorkalium, KCl, ist:

3X16: [KCl] = 49-8102:774023 [KCl] = 74-59.

Daß Verbindungsgewicht des Chlorkaliums ist somit 74-59, d. h. die Smnme der Verbindungsgewichte von Kalium und Chlor beträgt eben- soviel.

Um die einzelnen Werte daraus zu erhalten wurde zunächst mit Hilfe des bekannten Verbindungsgewichtes des Chlorkaliums das des Chlor- silbers ermittelt. Zu diesem Zwecke wurde eine gewogene Menge Chlor- kalium mit überschüssiger Silberlösung gefallt, und das entstandene Chlor- sflber ausgewaschen und gewogen. Auf diese Weise erhielt Marignac (1846) aus 14-427 g Chlorkalium 27-733 g Chlorsilber, und das Verbindungs- gewicht des letzteren ergiebt sich nach der Proportion

74590 : [AgCl] = 14427 : 27-732 [AgCl] = 143-37

zu 143-37.

Endlich wurde das Verhältnis von Chlor und Silber im Chlorsilber dadurch festgestellt, dass eine gewogene Menge Silber in Chlorsilber übergeführt wurde, dessen Gewicht man gleichfalls feststellte. Die Um- wandlung kann auf verschiedene Weise geschehen; man kann das Silber im Chlorstrome erhitzen, wobei es zu Chlorsilber verbrennt, oder man löst es erst in Salpetersäure zu Silbemitrat und führt dieses durch Salzsäure, Chlorammonium oder irgend eine andere passende Chlorver- bindung in Chlorsilber über. Immer erhält man, unabhängig vom Ver- fahren, das gleiche Verhältnis zwischen Silber und Chlorsilber. Von den vorhandenen Versuchen führe ich einen von Stas an, bei welchem 101-519 g Silber in Chlor verbrannt 134-861 g Chlorsilber gaben. Da das Verbindungsgewicht des letzteren oben gleich 143-37 geftinden war, so erfährt man das Verbindungsgewicht des Silbers [Ag] nach der Proportion

143-37 :[Ag] = 134.861:101.519 [Ag] = 107-93.

20 !• Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.

Daß Verbindungsgewidit des Silbers ist somit [Ag] = 107-93. Daraas folgt weiter, da [AgCl] = 143-37 ist, dass das Verbindungsgewicht des Chlors 143»37 107-93 = 35 44 betragen muss: Zieht man endlich diesen Wert [Cl] = 35-44 von der in der ersten Reihe bestimmten Zahl [KCl] = 74*59 ab, so folgt das Verbindungsgewicht des Kaliums [K] =39-15.

Die genauesten und zuverlässigsten derartigen Versuche sind von J. S. Stas (1860 65) ausgeführt worden, und umfassen die Elemente Silber, Chlor, Brom, Jod, Kalium, Natrium, Lithium, Schwefel, Stickstoff und Blei. Bei den vier erstgenannten Stoffen änderte er die Methode von Berzelius dahin ab, dass er z. B. statt Kaliumchlorat Silberchlorat^ AgClO^, zersetzte. Er gelangte so unmittelbar zu dem Verbindungsgewidit des Chlorsilbers, und durch Bestimmung des Verhältnisses zwischen Chlor und Silber zu den Verbindungsgewichten der beiden Elemente. Ähnliche Versuche mit Silberbromat und Silber) odat ergaben unter Zufügung von Bestimmungen des Verhältnisses der Elemente im Bromsilber und Jod- silber die Werte für Brom und Jod, und ebenso zwei neue, völlig un- abhängige Werte für Silber. Es ist in hohem Grade bemerkenswert, dass diese völlig unabhängig voneinander und an ganz verschiedenen Stoffen bestimmten Verbindungsgewichte des Silbers auf das allerbeste miteinander überemstimmen. Es ist dies eine der strengsten Prüfungen des Gesetzes der Verbindungsgewichte.

Beim Schwefel verfuhr Stas dergestalt, dass er einerseits Silber- sulfat, Ag^SO*, mittelst Wasserstoff zu Silber reduzierte, andererseits Silber durch Schwefel in Schwefelsilber, Ag^S, umwandelte. Die Be- rechnung der Ergebnisse geschieht wie folgt.

Es gaben 150000 g Silber, im Schwefeldampf erhitzt, 172-2765 g Schwefelsilber; es verbinden sich somit mit 100 Silber 14-851 Schwefel. Andererseits wurden aus 81023 g Silbersulfat 56-071 g Silber erhalten. Da im Silbersulfat das Verhältnis zwischen Silber und Schwefel genau dasselbe ist, wie im Schwefelsilber, so folgt, dass neben 5 7 071 g Silber in den 81-023 g Sulfat noch 8-3275 g Schwefel vorhanden. Der Rest von 16-6247 g ist Sauerstoff. Nun muss sich das Gewicht von vier Verbindungsgewichten Sauerstoff zu dem von einem Verbindungsgewicht Schwefel, die im Silbersulfat enthalten sind, wie 16-6247:8-3275 ver- halten, und es folgt daher nach der Proportion

4X 16: [S] = 16-6247 : 8-3275 [S] = 32.06

das Verbindungsgewicht des Schwefels zu [S] = 32-06.

Für die drei Alkali-Elemente bediente sich Stas der von Gay-Lussac ursprünglich zu ganz anderem Zwecke ausgearbeiteten Methode der Silber- titrierung, welche von Pelouze (1845) zuerst zur Bestimmung von Ver- bindungsgewichten benutzt wurde. Setzt man zu der Lösung irgend eines Chlorids in kleinen Anteilen eine Silberlösung von bekanntem Gehalt, so kann man den Augenblick, wo alles Chlor in Chlorsilber tiberge-

Die Yerbindungsgewicbte. 21

gangen ist, leicht daran erkennen^ dass in der durch Schütteln und Ab- setzen geklärten Flüssigkeit ein weiterer Tropfen der Silberlösung keine Trübung mehr hervorbringt. So wurden z. B. 10-5249 g Chlomatrium abgewogen; sie verbrauchten eine Menge Silberlösung, in welcher 1 94160 g Silber (durch Salpetersäure gelöst) enthalten waren. Ist [NaCl] das Yerbindungsgewicht des Ghlomatriums, so folgt, da 107-94 das des Silbers ist,

[NaCl]: 107.94= 10.5249:19460

[Na Gl] = 58-50.

Man erhält auf diese Weise zunächst den Wert für das benutzte Chlorid; zieht man hiervon das Yerbmdungsgewicht des Chlors, 3544, ab, so folgt das des Natriums zu Na = 2306. Auf ähnliche Weise ist Ii = 7-03 gefunden worden.

Für den Stickstoff benutzte Stas eme zuerst von Penny (1839) angegebene Methode. Eine gewogene Menge von Chlorkalium wurde durch wiederholtes Eindampfen mit Salpetersäure in Kaliumnitrat über- geführt. Es wurden z. B. in einem Versuche aus 48-9274 g Chlor- kalium 66-3675 Ealiumnitrat erhalten. Ist [ENO^] das Verbindungs- gewicht des letzteren, und wird das des Chlorkaüums (S. 19) gleich 74-59 gesetzt, so folgt

[KNO»J : 74.59 = 66.3675 : 48-9274

[KNO^] = 101.175.

Da das Kaliumnitrat die Formel KNO* hat, so muss von der er- haltenen Zahl K=3915 und 30 = 48 00 subtrahiert werden, woraus N= 14.03 folgt. Ähnliche Versuche mit gleichen Ergebnissen stellte Stas mit Chlomatrium und Chlorlithium an.

Ein anderes einfacheres Verfahren bestand darin, dass Silber in Silbemitrat übergeführt wurde. In einem derartigen Versuche gaben 77.2684 g Silber 121-6749 g Nitrat, woraus nach der Proportion

[AgNO^] : 10793 = 121-6749 : 77-2684 [AgNO»] = 169.95

das Verbindungsgewicht des Silbemitrats AgNO^ gleich 169.95 und daraus nach Abzug von Ag= 107-94 und 30 = 48.00 das des Stick- stoffe N=: 14-02 gefunden wird.

Die vorstehend beschriebenen Versuche geben Beispiele für die ver- schiedenen allgemeinen Methoden, nach denen Verbindungsgewichte bestimmt Verden. In den folgenden Zeilen sollen für alle Elemente kurze Angaben über die Wege, auf welchen in den einzelnen Fällen die Verbindungsgewichte beetimmt wurden und die genauesten der dabei erhaltenen Zahlen mitgeteilt werden.

1. Aluminium. Berzelius hatte (1812) durch Glühen von Aluminium - siilfat die Zahl AI »= 27*32 erhalten. Mit diesem ganz am Anfange der-

22 I- Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.

artiger Arbeiten aus einem einzigen Versuche bestimmten Werte begnügte sich die chemische Welt jüber 30 Jahre lang, bis Tissier (1858) und nach ihm zahlreiche andere die Eonstante neu bestimmten. Die gegenwärtig als richtig anerkannte Zahl wurde von Mallet (1880) bestimmt, welcher durch Glühen von krystallisiertem Ammoniakalaun (2NH*AlS«On2H*0 : A1*0») AI«« 27-12, durch Titriren von Aluminiumbromid mit Silberlösung AI =27« 11, durch Verbrennen des Wasserstoffes, welchen gewogene Mengen Aluminium aus Kalilauge entwickelten, (2A1:3H*0) AI« 27-05, und durch Messen des Wasserstoffs bei der gleichen Reaktion AI a= 27-04 erhielt. Als wahrschein- lichstes Verbindungsgewicht ist AI = 27-08 anzunehmen.

2. Antimon. Auch dieser Wert war bis 1856 nur ungenau bekannt. Durch Reduktion von natürlichem Antimonglanz von Arnsberg mittelst Wasserstoff (Sb«S8:2Sb) erhielt Schneider (1856) Sb = 120-6. Zwar erhielt gleichzeitig Dexter durch Oxydation von Antimon zu Tetroxyd mittelst Salpetersäure (2Sb:Sb*0*) höhere Zahlen, die durch die von Dumas (1859) mitgeteilten Titrierversuche mit Antimonchlorid und Silberlösung eine schein- bare Bestätigung erhielten, doch ergab sich durch eine eingehende Unter- suchung von Cooke (1880), dass die Zahl von Schneider richtig war. Der Fehler bei den Bestimmungen von Dumas liegt darin, dass so leicht zer- setzliche Chloride, wie fAntimonchlorid, kaum jemals in reinem Zustande erhalten werden können. Die geringste Spur Wasserdampf bildet Oxychlorid, während Chlorwasserstoff entweicht^ und ersteres lässt sich nicht mehr durch Destillation völlig vom Chlorid trennen. Dadurch enthält das Präparat zu wenig Chlor und das Verbindungsgewicht wird zu gross gefunden.

Die Versuche von Cooke bestanden in Synthesen des Schwefelantimona (2Sb:Sb^S'), Brombestimmungen im Antimonbromid (SbBr':3AgBr), Titrie- rungen von Antimonbromid mittelst Silberlösung (SbBr*:3Ag) und Jodbe- stimmungen im Antimonjodid (SbJ*:3AgJ). Das Mittel ist Sb = 120-2.

Die Zahl ist in der Folge wiederholt bestätigt worden. Versuche nach einem neuen Prinzip sind von Pfeifer (1881) und von Popper (1887) ausgeführt worden. Nach dem elektrolytischen Gesetz von Faraday (s. w. u.) werden nämlich aus verschiedenen Elektrolyten durch denselben Strom äquivalente Mengen der Stoffe abgetrennt. Wenn man also denselben Strom hintereinander eine Silber- und eine Antimonlösung durchwandern lässt, müssen die aus- geschiedenen Metallmengen im Verhältnis der „Äquivalente", d. h. im Ver- hältnis Sb : 3 Ag stehen. Auf diese Weise wurde Sb = 120-7 gefunden. Eine Versuchsreihe von Bongartz (1883), bei der der Schwefel des Schwefelanti- mons in Baryumsulfat übergeführt wurde (2 Sb : 3BaS0*), ergab Sb=«120'l, Als wahrscheinlichstes Mittel ist Sb= 120-3 anzusehen.

3. Argon, Dies merkwürdige, in der Luft vorkommende Element bildet keine bekannten Verbindungen; sein wahrscheinliches Verbindungsgewicht musste daher aus der Gasdichte abgeleitet werden. Die von seinen Entdeckern Ramsay und Rayleigh (1895) angegebenen Werte führen auf Ar =a 39-88 ; spätere genauere Messungen mit sorgfältig gereinigtem Material ergaben den endgültigen Wert Ar = 39-91.

Die Verbindungsgewichte. 23

4. Arsen. Über dies Element sind nicht viel Untersuchungen gemacht worden. Eine interessante Methode benutzte Berzelius (1818), indem er Arsentrioxyd mit überschüssigem Schwefel erhitzte. Der nach der Gleichung 2As«0^ + 9S = 2As*S* + 3S0« entstehende Gewichtsverlust durch das ent- weichende Schwefeldioxyd liefert hier die nötigen Beziehungen. Die gegen- wärtig angenommene Zahl ist von Pelouze (1845) und Dumas (1859) durch Titrieren von Chlorarsen in wässeriger Lösung mit Silber ermittelt worden und beträgt As ==» 750.

5. Baryutn. Das Verbindungsgewicht des Baryums wurde zuerst von Ber- zelius (1811) durch Umwandlung des Carbonats in das Sulfat (BaSO*:CO*), später von ihm und vielen anderen (Turner 1829, Pelouze 1845, Marignac 1848 und 1858, Dumas 1859) an dem Chlorbaryum durch Fällung mit Silber bestimmt. Neben diesem Verfahren kommen einige andere, weniger gute Methoden kaum in Betracht. Die älteren Arbeiten werden indessen durch neue Untersuchungen von Richards (1893) in den Schatten gestellt, der mit grosser Genauigkeit das Verhältnis von Baryumchlorid und Baryumbromid zu Silber bestimmte. Aus diesen Arbeiten folgt Ba=a 137-43.

6. Beryllium. Es wurde fast nur das Berylliumsulfat analysiert. Neben älteren, weniger genauen Versuchen von Berzelius (1815 und 1826), Awde- jew (1842), Weeren (1854), Debray (1855), Klatzo (1869) besitzen wir sehr gute Versuche von Nilson und Pettersson (1880), welche die Analyse des Sulfats BeSO*, 4H*0 in denkbar einfachster Form ausführten, nämlich nur dwch heftiges Glühen, wobei Beryllerde, BeO, zurückbleibt. Diese Be- stimmungen wurden (1891) durch Krüss und Morath wiederholt und ergaben Be = 9-08.

7. Blei. In der Geschichte der Verbindungsgewichte nimmt das Blei in- sofern einen hervorragenden Platz ein, als es das erste Element war, an welchem Berzelius (1811) seine Kunst bethätigte. Seine Methode bestand in der Be- handlung metallischen Bleis mit Salpetersäure und Glühen des Nitrats, wo- bei Bleioxyd zurückblieb. Später (1818) analysierte er Bleichlorid, dann (1830) reduzierte er Bleioxyd mittelst Wasserstoff. Von Turner (1833) wurde Blei, sowie auch Bleioxyd in das Sulfat übergeführt, Marignac (1858) und Dumas (1859) titrierten Chlorblei mit Silberlösung von bekanntem Gehalt. Die gegenwärtig benutzte Zahl verdanken wir Stas, welcher in zwei Versuchs- reihen metallisches Blei in Bleinitrat, und Blei in Bleisulfat überführte. Das Mittel seiner Versuche giebt Pb = 206«91.

8. Bor. Zur Bestimmung dieses Verbindungsgewichtes stellte Berzelius (1824) den Wassergehalt des krystallisierten Borax fest, woraus B = 1101 folgt. Mit dieser Zahl musste man sich bis 1892 begnügen, da einige inzwischen von Deville (1859) mitgeteilte Analysen des Borbromids zu wenig übereinstimmende Werte ergaben. Dann wurde in kurzer Zeit eine Anzahl neuer Bestimm- ungen mitgeteilt. Abrahall (1892) analysierte Borbromid, Ramsay und Aston (1893) bestimmten den Wassergehalt im Borax, und führten ihn in Natrium- sulfat über, Rimbach (1893) titrierte Borax alkalimetrisch mit Methylorange als Indikator. Als Mittelwert kann man B 110 annehmen.

24: I- Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.

9. Brom, Die Älteren Bestimmungen des Verbindungsgewichtes des Broms von Baiard (1826) und Liebig (1826) geben zu niedrige Werte, weil das Ma- terial noch chlorhaltig war. Berzelius erhielt einen besseren Wert, indem er Bromsilber durch Erhitzen im Chlorstrome in Chlorsilber überführte. Marignac führte mit Brom statt Chlor eine Versuchsreihe KBrO* : KBr, KBr:AgBr, AgiBr^AgBr durch, welche der oben (S. 20) mit Chlor an Stelle des Broms geschilderten ganz ähnlich war. Es ergab sich Br = 7996.

Stas hat endlich Silberbromat zu Bromid reduziert, und im Bromsilber das Verhältnis Ag : Br festgestellt. Seine Versuche sind in weit grösserem Massstabe und unter Anwendung viel mannigfaltigerer Hilfsmittel ausge- führt worden, als die von Marignac; dennoch haben beide Versuchsreihen ganz gleiche Resultate. Die als endgültig zu betrachtende Zahl von Stas ist Br = 79.963.

10. Cäsium. Die Zahl für dieses Element ist ausschliesslich durch Über- führung des Chlorcäsiums in Chlorsilber gewichtsanalytisch bestimmt wor- den. Die genauesten Versuche rühren von Godeffroy (1876) her und geben Cs « 132-9.

11. Cadmium. Bis zum Jahre 1857 wurde als Verbindungsgewicht des Cadmiums eine aus einer einzigen Angabe des Entdeckers Stromeyer (1818) berechnete Zahl benutzt, die sich übrigens in der Folge als ziemlich richtig erwies. Von den späteren Forschern führte v. Hauer (1857) Cadmiumsulfat durch Glühen in Schwefelwasserstoff in Cadmiumsulfid über; Dumas (1859) titrierte Chlorcadmium mit Silber; Lenssen analysierte (1860) Cadmium- oxalat, Huntington (1881) analysierte Cadmiumbromid sowohl gewichts- wie massanalytisch durch Überführung in Bromsilber. Eine spätere Arbeit von Partridge (1890) stellt keinen Fortschritt dar, und auch die Be- stimmung des Verhältnisses zwischen Metall und Oxyd über das Nitrat durch Morse und Jones (1892) sind dem Bedenken ausgesetzt, dass die Zersetzung des Nitrats in der Hitze schwer vollständig zu erreichen ist. Dieselben analysierten ausserdem das Oxalat. Lorimer und Smith reduzierten das Oxyd elektrolytisch, und auch Härdin (1896) benutzte elektrolytische Methoden. Das Gesamtergebnis ist Cd = 112*1.

12. Calcium. Obwohl das Calcium von allen metallischen Elementen auf der Erdoberfläche in den grössten Mengen vorkommt, so ist doch sein Ver- bindungsgewicht keineswegs mit einer Sicherheit bekannt, welche der Bedeu- tung dieser Konstanten entspricht. Berzelius hat ganz am Anfange seiner Arbeiten (1811) eine einzige Analyse des Chlorcalciums gemacht und mit der daraus berechneten Zahl, die noch dazu durch einen Schreibfehler ent- stellt war, begnügten sich die Chemiker 30 Jahre. Erst 1842 machte Dumas durch Weissglühen von isländischem Kalkspat (CaCO*:CaO) einige Be- stimmungen, worauf Erdmann und Marchand eine lange Untersuchung (1842 bis 1850) nach verschiedenartigen Methoden durchführten, als deren Schluss- ergebnis sich ein einziger fehlerfreier Versuch über den Gewichtsverlust des Calciumcarbonats beim Glühen herausstellte. Er führt zu Ca =* 40-0.

Die Verbindungsgewichte, 25

Die Unsicherheit, welche über diesen Wert besteht, wird durch eine Ver- suchsreihe von Dumas (1859), in welcher Chlorcalcium mit Silber titriert wurde, nicht vermindert, da die Herstellung von oxydfreiem Chlorcalcium grosse Schwierigkeiten macht, von denen Dumas nicht erwiesen hat, dass er sie zu fiberwinden wusste. Einstweilen muss die Zahl Ca 40-0 beibehalten werden.

13. Cerium, Die Bestimmung des Verbindungsgewichtes dieses Elementes hat ungemein grosse Schwierigkeiten gemacht. Diese lagen nicht etwa in den analytischen Methoden, sondern darin, dass es äusserst schwierig ist, die Cerverbindungen von denen der begleitenden Erden rein abzuscheiden. Auf diesen Umstand ist es zurückzuführen, dass verschiedene Arbeiter bei gleich sorgsamen Bestimmungen ziemlich abweichende Werte erlangt haben.

Die ältesten Bestimmungen von Hisinger (1816) wurden zu einer Zeit ausgeführt, wo die Begleiter des Cers, Lanthan und die Didyme, noch nicht entdeckt waren. Mit einigermassen reinen Cerverbindungen arbeitete zuerst Beringer (1842), der das Chlorid und das Sulfat analysierte. Spätere Ver- Buche von Hermann, Hammelsberg, Marignac, Jegel, Wolf, Bührig bewiesen, dass man je nach dem Ursprung und der Reinigungsmethode der benutzten Cerpräparate sehr verschiedene Atomgewichte, zwischen 130 und 140, erhält. Erst in neuester Zeit haben Robinson (1884) und Brauner (1885) mit sorg- ftltig gereinigtem Material in ganz unabhängigen Untersuchungen überein- stimmende Werte erhalten. Die Methode bestand darin, dass das Sulfat durch Weissglühen in das Oxyd übergeführt wurde, und das Ergebnis war Ce ^ 140-2. Indessen scheint auch diese Übereinstimmung nur zufällig zu «ein, denn Schützenberger (1895) zeigte, dass die Cersalze sich durch geteilte Krystallisation in Anteile von verschiedener Farbe und verschiedenem Atom- gewicht spalten lassen. Dies wurde von Brauner bestätigt, und dieser teilte Atomgewichtsbestimmungen verschiedener Fraktionen mit. Die Angelegenheit harrt noch der Erledigung, und einstweilen kann kaum der runden Zahl Ce =^ 140 eine Bedeutung zugeschrieben werden.

14. Chlor. Bereits oben (S. 19) wurde die von Berzelius zuerst ange- wendete Methode mitgeteilt, nach welcher sowohl zuerst, wie auch endgültig das Verbindungsgewicht dieses Elementes ermittelt worden ist. Die Zahl der Forscher, welche ihre Kräfte von Berzelius bis Stas an dieser Aufgabe ver- sucht haben, ist sehr gross, die genauesten Ergebnisse haben ausser den genannten Penny (1839) und Marignac (1832 46) erhalten. Abweichende Methoden wurden zwar versucht, doch ohne Erfolg. So erhielt Marignac i(1842) sehr falsche Zahlen, als er Kupferoxyd im Chlorwasserstoifetrome er- pdtzte (CüO + 2HC1 « CuCl« + H^O) und ebensowenig verdienen die Ergeb- pisse der Analyse einer kompliziert zusammengesetzten organischen Ver- bindung, durch welche Laurent (1842) die Frage zu lösen suchte, irgend [welches Vertrauen. Die gegenwärtig als richtig angesehene Zahl ist die fron Stas gefundene, von der die älteren Bestimmungen von Marignac, Penny hmd Berzelius nur um geringe Grössen abweichen. Sie beträgt Cl = 35-453.

15. Chrom. Das Verbindungsgewicht dieses Elementes gehört zu denen, deren Wert noch nicht durch eine eingehende] Arbeit ganz unzweifelhaft festge-

26 Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.

stellt ist. Berzelius hatte (1818) einige Analysen des Bleichromats und des Ba- ryumchromats mitgeteilt, deren Ergebnisse sich aber viel weiter von der Wahr- heit entfernten, als sonst bei den Arbeiten dieses genauen Forschers der Fall ist. Mit ziemlich guter Annäherung wurde dann der gesuchte Wert von Berlin (1846) gefunden, welcher Silberchromat in Chlorsilber und Chromoxyd über- führte. Spätere Arbeiten von Morberg (1848), Lefort (1850), Wildenstein (1853) und Kessler (1861), in denen verschiedene, meist ungeeignete Metho- den benutzt wurden, stehen hinter der älteren Arbeit von Berlin zurück. Siewert (1861) gab eine Fehlerquelle in der letzten Arbeit an, die durch die Löslichkeit des Chlorsilbers in der sauren, chromoxydhaltigen Flüssig- keit, aus der es gefällt wird, liegen soll; indem er sie vermied, erhielt er statt Berlins Zahl 52-5 die niedrigere ,02-1. Einen mittleren Wert endlich fand Baubigny (1884) bei der Überführung von Chromsulfat in Chromoxyd durch starkes Glühen. Rawson (1889) zersetzte Ammoniumdichromat durch Erhitzen, Meinecke (1891) verwandelte Silberchromat und Ammoniumsilber- chromat in Chlorsilber, und Ammoniumchromat durch Fällen mit Mercuro- nitrat und Erhitzen in Chromoxyd. Diese neueren Bestimmungen ergeben etwas kleinere Werte als die früheren, und führen zu dem Mittel Cr = 52-1.

16. Didym, Praseodym und Neodym. Für dieses Element gelten dieselben Bemerkungen, welche über das Cer (S. 25) gemacht worden sind. Die älteren An- gaben von Marignac (1849 und 1853), Hermann (1861), Zschiesche (1869) und Erck (1870) schwanken alle sehr. Sie wurden meist durch die Fällung der Schwefelsäure des Didymsulfats mit Chlorbaryum erhalten und wurden dadurch fehlerhaft, dass das Baryumsulfat unter diesen Umständen erhebliche Mengen von Didymoxyd durch Adsorption mitreisst. Indessen gaben auch ver- schiedene Versuche von Cleve, Nilson und Pettersson, und Brauner, welche alle Didymsulfat durch heftiges Glühen in Oxyd überführten, trotz der gleichen Methode abweichende Zahlen. Im Jahre 1885 berichtete Auer V. Welsbach, dass er das bisher Didym genannte Element als ein Gemenge von zwei anderen , die er Praseodym und Neodym nannte , erkannt habe. Die Verbindungsgewichte sind nach vorläufigen Angaben, die inzwischen nicht ergänzt wurden, Pr = 143-6 und Nd = 140-8.

Die Angaben von Welsbach blieben lange ohne Kontrolle; erst in neuester Zeit ist, veranlasst durch die Verwendung der seltenen Erden in der Industrie des Gasglühlichtes, die Arbeit wieder aufgenommen worden. Dabei stellte sich heraus, dass, während die Existenz der beiden Bestand- teile desDidyms bestätigt wurde, dieVerbindungsgewichte gerade die umgekehrten Werte haben. Da die Untersuchungen von Scheele, Braunerund Jones (sämt- lich 1898) unabhängig das gleiche Resultat ergaben, so kann man gegenwärtig die Zahlen Pr = 140-4 und Nd =* 148-6 als ziemlich sicher bekannt ansehen.

17.^ Eisen. Auch für das Eisen hatte Berzelius anfänglich (1811) einen erheblich falschen Wert angenommen; auf den Fehler machten Stromeyer (1826) und Wackenroder (1844) aufmerksam, worauf Berzelius eine erneute Untersuchung durch Svanberg und Norlin (1846) veranlasste, der er einige eigene Bestimmungen hinzufügte. Diese, sowie die Untersuchungen von

r

Die Verbindungsgewichte. 27

Erdmann und Marchand (1844), von Maumen^ (1850) und Rivot (1850) wur- den angestellt, indem einerseits reines Eisen durch Behandlung mit Salpeter- säure, Abdampfen und Glühen in das Oxyd, andererseits reines Oxyd durch Erhitzen im Wasserstoffstrome in Metall übergeführt wurde und ergaben mit grosser Übereinstimmung Fe ^^ 56'00.

18. Erbium, Auch für dies seltene Element gelten die beim Cer und Didym gemachten Bemerkungen. Man hat in dem Masse, als man sich ein- gehender mit diesem Stoffe beschäftigte, andere Elemente von sehr ähnlichen Eigenschaften abscheiden gelernt, und hat gegenwärtig auch keine Sicherheit, dass das, was man Erbium nennt, wirklich ein einheitlicher Stoff ist. Die letzten Bestimmungen von Cleve (1880) gaben Er = 166.

19. Fluor. Das Verbindungsgewicht des Fluors war lange bestimmt worden, bevor man das Element in freiem Zustande kennen lernte, was erst vor kurzer Zeit geschehen ist. Man kannte es nur als Bestandteil verschiedener Verbindungen und schloss auf das Dasein des Elementes aus der Thatsache, dass diese Verbindungen von allen Verbindungen bekannter Elemente ver- schieden sind. Zur Bestimmung des Verbindungsgewichtes ist fast nur eine Me- thode benutzt worden: die Umwandlung von Fluorcalcium in Calciumsulfat durch Abdampfen mit Schwefelsäure : Ca Fl* + H* S 0* Ca S 0* + 2 H Fl. Der- artige Versuche stellten Berzelius (1818 und 1824), Louyet (1849), Dumas (1859\ de Luca (1862) mit etwas wechselnden Ergebnissen an, da das Fluorcalcium äusserst schwer vollständig durch Schwefelsäure zersetzbar ist. Deshalb wur- den von Einigen noch andere Verbindungen, Fluomatrium und Fluorblei, an- gewendet. Das Mittel der guten Versuche ist Fl = 19-00. Diese Zahl wurde neuerdings auf einem ganz anderen Wege bestätigt. Christensen (1886) zer- setzte die Verbindung (NH*)*MnFl*, welche schön krystallisiert, mit Jodwasser- stoff: (NH*)«MnF15 H- HJ = 2NH*F1 H- MnFl* -+- HFl + J und bestimmte das ausgeschiedene Jod massanalytisch mittelst Natriumthiosulfat. Das Ergebnis war dasselbe, Fl « 1900.

20. Gadolinium, Das Element ist von Marignac charakterisiert worden, der ihm das Verbindungsgewicht 156«8 zuschreibt. Lecocq de Boisbaudran giebt 156-3, Cleve 154-8. Alle diese Zahlen erscheinen noch sehr unsicher.

21. Gallium. Lecoq de Boisbaudran, der Entdecker des Galliums, hat (1878) das Verbindungsgewicht desselben durch Glühen von Ammoniumgalliumalaun, KH*GaS«0«-f 12H«0, wobei Galliumoxyd, Ga'O», hinterbleibt, bestimmt. Femer hat er Metall in Oxyd verwandelt. Das Ergebnis ist Ga 69-9.

22. Germanium. Der Entdecker des Germaniums, Cl. Winkler, analy- sierte Germaniumchlorid, GeCl*, durch Zersetzen mit Natriumcarbonat und massanalytische Bestimmung des Chlors mittelst Silberlösung. Aus seinen Angaben berechnet sich Ge == 72-3.

23. Gold. An diesem Element sind sehr mannigfaltige Methoden in Anwendung gebracht worden. Zuerst fällte Berzelius (1813) eine Goldlösung mit Quecksilber und bestimmte so das Verhältnis der Verbindungsgewichte der beiden Metalle. Später erhielt Javal (1821) durch Analysen von Goldoxyd ganz andere Zahlen, worauf Berzelius (1845) in einer neutralen Chlorgoldlösung

28 I- Masseiiverhältnisse chemischer Verbindungen.

das Verhältnis zwischen Chlor und Gold ermittelte, und andererseits Kalium- goldchlorid, KAuCl**, durch Glühen im Wasserstoffstrome zersetzte und das Verhältnis zwischen Gold und Chlorkalium bestimmte. Levol (1850) arbei- tete nach einer vollkommen abweichenden Methode: er reduzierte eine Goldchloridlösung durch Schwefeldioxyd, 2AuC18 + 3S0*+ 6H«0 =-2Au -j- 3H*SO*-t-6HCl, und bestimmte das Verhältnis zwischen dem Golde und dem aus der Lösung durch Chlorbaryum gefällten Baryumsulfat. In neuester Zeit endlich haben G. Krüss (1887) und Thorpe und Laurie (1887) nach der letzten Methode von Berzelius, Zerlegung von Golddoppelsalzen, eine Neu- bestimmung vorgenommen, und Au = 197-2 im Mittel erhalten. Diese Zahl wird auch durch die nach acht verschiedenen Methoden durchgeführte Unter- suchung von Mallet (1889) nicht verändert.

24. Helium. Dies gasförmige Element verhält sich ganz wie das Argon. Sein Entdecker Ramsay hat seine Dichte wiederholt bestimmt; die letzte, wohl auf einen Bruchteil eines Prozents sichere Bestimmung ergiebt He = 3*96.

25. Indium. Dieses von Reich und Richter entdeckte Element ist von ' seinen Entdeckern (1864), von Winkler (1867) und von Bunsen (1870) aufsein Verbindungsgewicht untersucht worden. Die hauptsächlich benutzte Methode bestand in der Oxydation des Metalls zu Oxyd. Der Wert ist In = 113-7.

26. Iridium. Vom Jahre 1828--1878, also 50 volle Jahre, begnügte sich die Wissenschaft mit einer einzigen Analyse von Kaliumiridiumchlorid, welche Berzelius ausgeführt hatte. In dem letzterwähnten Jahre führte Seubert eine sehr sorgfältige Arbeit nach derselben Methode aus, deren Ergebnis Ir = 193-2 ist. Joly fand (1890) den gleichen Wert.

27. Jod. Gay-Lussac (1814), dem wir die genaue Kenntnis dieses Ele- mentes verdanken, bestimmte das Verhältnis, in welchem Jod und Zink sich verbinden. Berzelius (1828) zerlegte gewogene Mengen von Jodsilber durcli Erhitzen im Chlorstrome, wobei es völlig in Chlorsilber übergeht; später sind diese Versuche von Dumas (1859) mit ganz übereinstimmendem Ergebnis wiederholt worden. Eine der von Berzelius für Chlor eingeführten (S. 19) Methode ähnliche benutzte Millon (1843), indem er Kaliumjodat durch Glühen in Jodkalium überführte. Marignac (1843) stellte das Verhältnis zwischen Jodkalium und Silber, sowie das zwischen Silber und Jodsilber fest.

Stas endlich analysierte Silberjodat, indem er es durch Erhitzen zer- setzte und den entweichenden Sauerstoff durch glühendes Kupfer aufnahm. Andererseits bestimmte er das Verhältnis zwischen Jod bez. Silber und Jod- Silber. Aus seinen Versuchen, mit denen die von Marignac völlig überein- stimmen, ergiebt sich J »« 126-86.

28. Kalium. Mit Ausnahme der allerältesten Bestimmungen von Ber- zelius (1811), bei denen metallisches Kalium (als Amalgam gewogen) in Chlor- kalium verwandelt wurde, hat man später das Verbindungsgewicht des Kaliums stets im Zusammenhange mit dem des Chlors durch die Analyse des Kalium - chlorats bestimmt; die verschiedenen Forscher, welche sich an der Arbeit beteiligt haben, sind dort (S. 19) genannt worden. Die gegenwärtig benutzte Zahl ist die von Stas, K «- 39.14.

Die Yerbindungsgewichte. 29

29. Kobalt. Über dieses Element ist eine Unzahl von Arbeiten aus- geführt worden, besonders zu dem Zwecke, um zu entscheiden, ob Kobalt und Nickel gleiche oder verschiedene Atomgewichte haben, und bei keinem Element sind von verschiedenen, gleich zuverlässigen Forschern so abweichende Ergebnisse gefunden worden. Die Namen der Beteiligten sind Rothoff (1818), Schneider (1857), Marignac (1857), Gibbs (1858), Dumas (1859), Rüssel (1863

: und 1869), Sommaruga (1866), Winkler (1867), Weselski (1868), Lee (1871),

Zimmermann (1886), Remmler (1891), Winkler (1893 und 1894), Hempel und

Thiele (1895), Richards und Baxter (1898). Die angewandten Methoden waren

sehr verschieden, und die Ergebnisse schwanken zwischen 58*8 und 60*6.

; Noch mehr yrurde die Frage durch die von Krüss (1889) behauptete Existenz

I eines dritten Metalls neben Kobalt und Nickel verwickelt, die sich indessen

' als ein Irrtum herausgestellt hat. Als wahrscheinlichster Wert ist der von

r Richards und Baxter durch die Analyse des Kobaltbromids gefundene,

Qp»59-0, anzusehen.

30. Kohlenstoff. Die Bestimmung des Verbindungsgewichts des Kohlen- stoffs wurde von Berzelius anfänglich auf die Beobachtung gegründet, dass der Sauerstoff sein Volum nicht vermehrt, wenn er in Kohlendioxyd übergeht; es verhält sich somit das Yerbindungsgewicht des Sauerstoffs zu dem des Kohlen- dioxyds wie die spezifischen Gewichte beider Gase. Indessen ist dies nicht streng richtig; das Volum des Kohlendioxyds ist etwas kleiner, als das des Sauerstoffe, und so entstand der falsche Wert, welcher erst spät (1841) durch Liebig und Redtenbacher, Dumas und Stas, sowie Erdmann und Marchand richtig gestellt wurde (S. 15). Die von diesen Forschem übereinstimmend gefundene Zahl C «= 12-00 ist in der Folge noch mehrfach bestätigt worden. So von Stas (1849) durch Verbrennung von Kohlenoxyd, von Roscoe (1882) durch Verbrennung von Diamanten (vom Kap), auf gleiche Weise von Friedel (1885) und endlich von van der Plaats (1885) durch Verbrennung von Zucker- kohle, Graphit und Papierkohle. Es ist somit mit grosser Sicherheit zu setzen €«1200.

31. Krypton. Dies Gas von dem Typus des Argons wurde von Ramsay (1898) gleichfalls in der atmosphärischen Luft aufgefunden. Über sein Ver- bindungsgewicht lässt sich noch nicht bestimmtes angeben.

32. Kupfer. Die meisten Versuche zur Bestimmung des Verbindungsge- wichts dieses Metalls sind durch Reduktion gewogener Mengen von Kupferoxyd in erhitztem Wasserstoff ausgeführt worden. So einfach der Versuch aussieht, so haftet ihm doch eine Fehlerquelle an, welche darin liegt, dass das schwamm - fönnige reduzierte Kupfer merkliche Mengen Wasserstoff auf sich verdichtet nnd dadurch sein Gewicht vermehrt. Nach diesem Verfahren arbeiteten Ber- zelius (1820), Erdmann und Marchand (1844\ Milien und Commaille (1864) und Hampe (1874). Letzterer bestimmte ferner den Kupfergehalt des wasser- freien Kupfersulfats durch elektrolytische Ausscheidung. Endlich verwandelte Banbigny (1883) Kupfersulfat durch Glühen in Oxyd.

Auf einem ganz anderen Wege, welcher dem beim Antimon angewen- deten (S. 22) gleich ist, bestimmte W. N. Shaw (1887) den gesuchten Wert

30 I- Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.

Er leitete denselben galvanischen Strom durch zwei Zersetzungszellen, wo derselbe einerseits Kupfer, andererseits Silber ausscheiden musste, und be- stimmte nach dem Faradayschen Gesetz daraus das Äquivalent- oder Ver- bindungsgewicht des Kupfers. Die Zahl stimmt mit den auf chemischem Wege gefundenen sehr nahe tiberein.

Sehr eingehende und sorgfältige Bestimmungen rühren von Th. W. Richards, her (1886 1891), der nach verschiedenen Methoden arbeitete. Er führte Silbernitrat in kalter Lösung durch metallisches Kupfer in Silber über, analysierte trockenes Kupfersulfat, bestimmte das Verhältnis zwischen Kupfer und Silber, bez. Silberbromid und Kupferbromid. Seine Zahlen können als die zuverlässigsten angesehen werden und ergeben Cu «= 63-60.

33. Lanthan. Auch das Verbindungsgewicht dieses Elementes leidet unter derselben Unsicherheit, wie das der anderen seltenen Erden. Es sollen daher nicht die sehr zahlreichen Forscher genannt werden, welche sich mit ihrer Bestimmung beschäftigt haben, zumal die benutzten Methoden die gleichen waren. Als wahrscheinlichsten Wert kann man einen von Cleve (1883) an- gegebenen ansehen; beträgt La =138-5.

34. Lithium. Das Verbindungsgewicht dieses Elementes ist ausserordentlich verschieden von verschiedenen Chemikern bestimmt worden. Der Entdecker Arfvedson (1818) fand Li = 10-3. Darauf fand Vauquelin (1818) Li == 9-2, Gmelin (1818) 10-8, Kralowanszky (1827) 10-6, dagegen Hermann (1829) 6-1, Berzelius (1830) 6-6, Hagen (1839) 6-5, Mallet (1857) 6-95. Erst Troost (1862), der anfänglich auch falsche Zahlen gefunden hatte, erhielt später annähernd richtige. Die genaue Zahl wurde dann von Diehl (1862) be- stimmt, indem er gewogene Mengen Lithiumcarbonat mit Schwefelsäure zersetzte und durch den Gewichtsverlust des Apparates das Kohlendioxyd ermittelte. Stas endlich stellte durch Titration die Beziehung zwischen Chlorlithium und Silber fest, und bestimmte so die gegenwärtig gültige Zahl Li « 7-03.

35. Magnesium. Die meisten älteren Bestimmungen sind durch Analyse oder Synthese des Sulfats gemacht worden, so von Berzelius (1812), Gay- Lussac (1819), Scheerer (1846), Svanberg und Nordenfeldt (1848), Jacquelain (1850), Bahr (1852). Die letztere Bestimmung ist dadurch besonders in- teressant, dass sie an einer Probe Magnesia gemacht wurde, die aus dem Olivin eines sibirischen Meteoriten stammte. Wie in allen anderen Eigen- schaften, erwies sich diese himmlische Magnesia auch in Bezug auf das Verbindungsgewicht von der irdischen nicht verschieden.

Eine ausgedehnte Untersuchung von Marchand und Scheerer (1850) über den Kohlensäuregehalt von natürlichem Magnesiumcarbonat (Frankensteiner Magnesit) ist wertlos geworden, als Scheerer neun Jahre später in dem be- nutzten Materiale einen Kalkgehalt entdeckte. Auch die Versuche von Dumas (1859) über das Verhältnis zwischen Chlormagnesium und Silber zeigten nur die Unbrauchbarkeit der Methode, da es trotz Erhitzens im Chlorwasaer- stoffstrome nicht gelang, ein sauerstofffreies Magnesiumchlorid herzustellen. Erst in neuerer Zeit hat Marignac (1883) durch die alte Methode, Synthese

Die Verbindiingsgewichte. 31

und Analyse des Sulfats, Bestimmungen geliefert, welche den berechtigten

Ansprüchen an eine so häufig gebrauchte Konstante genügen. Sie ergaben ; Werte, die etwa 1 Va Prozent höher ausfielen, als die bis dahin (und sogar noch ; zuweilen jetzt) benutzte runde Zahl 240. Die Bestimmungen von Burton und

Vorce (1890) sind durch eine inzwischen entdeckte Fehlerquelle zweifelhaft 1 geworden ; dagegen besitzen wir gute Messungen von Richards und Parker ! (1896), die auf der Bestimmung der Beziehung zwischen Magnesiumchlorid ! und Silber beruhen. Das Ergebnis stimmt ausgezeichnet mit dem von Marignac,

und die Zahl = 24-36 kann bis auf eine Einheit der letzten Stelle als richtig

angesehen worden.

36. Mangan. Die älteren Werte für das Verbindungsgewicht des Mangans waren ziemlich unsicher; genaueren Zahlen begegnen wir erst bei Hauer ll857), welcher Mangansulfat durch Glühen im Schwefelwasserstoffstrome in Mangansulfür überführte. Die Methode ist viel besser, als das von Dumas wieder angewandte Titrierverfahren mit Silber, wobei sich wieder die Un- möglichkeit herausstellte, reines Manganchlorür zu gewinnen. Auch eine Versuchsreihe von Schneider (1859) durch Verbrennung von Manganoxalat lässt zu wünschen übrig. Dewar und Scott (1883) analysierten Silber- permanganat, AgMnO*, und Marignac (1883) und Weeren (1890) führten Manganoxj'^dul in das Sulfat über; letzterer wiederholte auch die Versuche von Hauer. Beide Versuchsreihen gaben Zahlen, die unter sich und mit denen Hauers stimmten, so dass gesetzt werden kann M = 55*0.

37. Molybdän. Die ältesten Versuche von Berzelius (1818) beziehen sich auf die Umwandlung von Bleinitrat in Bleimolybdat, und gaben viel riehtigere Zahlen, als die Versuche von Svanberg und Struve (1848), bei denen Molybdänsulfid, MoS*, durch Rösten in Trioxyd, MoO', übergeführt wurde. Es findet dabei nur ein Gewichtsverlust von etwa 10 Prozent statt, und die begangenen Versuchsfehler haben einen sehr grossen Einfluss auf das Ergebnis. Gute Zahlen, Mo = 96, erhielt dagegen Dumas (1859), welcher das Trioxyd durch starkes Erhitzen im Wasserstoffstrome in Metall überführte. Auch die Analysen der Molybdänchloride von Liechti und Kämpe (1873) ergaben gleiches und in neuerer Zeit ist von 0. v. d. Pfordten (1884) durch die Analyse des Ammoniummolybdats ein gleicher Wert gefunden worden. Smith und Maas (1893^ erhitzten Natriummolybdat in einem Strome von Chlorwasserstoff, wobei Natriumchlorid nachbleibt. Seubert und Pollard lösten Molybdäntrioxyd in Natronlauge auf, und bestimmten das Äquivalent durch alkalimetrische Titration ; ferner reduzierten sie das Trioxyd im Wasser- stoffstrome zu Metall. Das Mittel der Werte führt auf Mo == 96*0.

38. Natrium. Berzelius (1811) bestimmte das Verbindungsgewicht dieses Elementes wie das des Kaliums (S.28) durch Überführung des Metalls im Amal- gam in Chlomatrium. Einen fast absolut richtigen Wert fand Penny (1839) durch Reduktion des Natriumchlorats zu Chlornatrium. Pelouze (1845), Dumas (1859) und Stas bestimmten das Verhältnis zwischen Chlornatrium und Silber; die Versuche des letzteren gaben die gegenwärtig sicherste Zahl Na = 23.06.

32 I- Massenverhftltnisse chemischer Verbindungen.

39. Neon ist ein von Ramsay (1889) entdecktes Gas von den allgemeinen Eigenschaften des Argons. Aus seiner Dichte ergiebt sich angenähert das Verbindungsgewicht Ne ■« 20.

40. Nickel. Fast alle Forscher, welche das Verbindungsgewicht des Kobalts festzustellen gesucht haben, haben sich auch mit dem des Nickels beschäftigt und ebenfalls sehr wechselnde Werte, von 58-0 bis 69«4, erhalten. Durch die Entdeckung des leicht flüchtigen Nickelcarbonyls, dem keine entsprechende Kobaltverbindung zur Seite steht, ist es (1890) möglich geworden, kobaltfreie Nickelpräparate mit Leichtigkeit herzustellen, und seitdem hat sich auch das Verbindungsgewicht des Nickels mit grösserer Sicherheit bestimmen lassen. Die besten Zahlen sind voraussichtlich die von Blchards und Cushmann (1898) bei der Ermittelung der Beziehung zwischen Nickel bromid und Silber erhaltenen, die Ni = 58'7 ergeben.

41. Niobium. Die Erforschung der Natur dieses Elementes hat sehr bedeutende Schwierigkeiten gemacht, die von Rose, welcher sich viele Jahre mit demselben beschäftigt hat, nicht tiberwunden worden sind. Erst Blom- strand fand die richtige Auffassung der Verhältnisse, und demselben ver- danken wir auch die Bestimmungen, welche als die richtigsten anzusehen sind. Die Analysen des Pentachlorids gaben Nb = 94*2 .

42. Osmium. Auch für dieses Element musste bis in die neueste Zeit eine einzige Analyse des Kaliumosmiumchlorids von Berzelius (1828) dienen, welche Os = 200 ergeben hatte. Erst 1888 hat K. Seubert eine genaue Neu- bestimmung ausgeführt, welche durch Analyse des Ammonium- und des Kaliumosmiumchlorids zu einer weit kleineren Zahl führte, welche als richtig anzusehen ist: Oss«191.

43. Palladium. Bis zum Jahre 1889 beruhte unsere Kenntnis von dem Atomgewicht dieses Elementes allein auf den alten Bestimmungen von Ber- zelius. In dem genannten Jahre teilte Keiser die ersten Ergebnisse seiner Arbeiten darüber mit, die er 1894 weiter führte. Inzwischen waren andere Forscher an der gleichen Frage thätig gewesen, so Bailey und Lamb (1892), Keller und Smith (1892), Joly und Leidie (1893). Der Mittelwert ist noch ziemlich unsicher, und es muss die runde Zahl Pd 106 genügen.

44. Phosphor, Zur Bestimmung des Verbindungsgewichtes dieses Ele- mentes hat Berzelius viele Methoden versucht, ohne ein genügendes Ergebnis zu erhalten. Noch mannigfaltiger sind die Methoden, aber auch die Zahlen, welche Jacquelain (1852) erhielt. Zuverlässige Zahlen, die bis jetzt auch die besten geblieben sind, erhielt Schröter (1852), der Entdecker des roten Phosphors, indem er gewogene Mengen desselben in einem geeigneten Appa- rate mit Sauerstoff zu Pentoxyd verbrannte. Gleiche Versuche sind auch in neuerer Zeit von van der Plaats (1885) angestellt worden und haben die gleichen Zahlen ergeben.

Von Pelouze (1845) und Dumas (1859) ist die Methode der Silber- titrierung unter Benutzung von Phosphortrichlorid angewendet worden; in- dessen macht sich auch hier die gewöhnliche Schwierigkeit geltend, ein reines,

Die Verbindungsgewichte. 33

hier insbesondere von Oxychlorid freies Trichlorid zu erhalten, und die Zahlen sind daher fast immer etwas zu hoch ausgefallen.

Das Ergebnis der Versuche von Schrötter führt zu P 31«03.

45. Platin. Das Missgeschick, welches Berzelius, entgegen der grossen Zuverlässigkeit seiner übrigen Bestimmungen, bei der Ermittelung der Ver- bindnngsgewichte der Metalle der Platingruppe hatte, machte sich auch bei der des Platins selbst geltend. Seine älteren Zahlen (1813 und 1826), welche er durch Fällung einer Platinlösung mit Quecksilber, und durch die Analyse des Platinchlorürs erhalten hatte, kommen der Wahrheit viel näher, als die von ihm bevorzugte Zahl, welche auf der Analyse des Kaliumplatinchlorids (1828) beruhte und Pt = 197-2 ergab. Im Jahre 1881 wies Seubert einen ziemlich beträchtlichen Fehler in dieser Bestimmung nach, und stellte durch Analyse des Kalium- wie des Ammoniumplatinchlorids den Wert Pt = 1 94-8 fest Die Zahl wurde bald darauf von Halberstadt (1884) bestätigt. Diese Verhältnisse zu kennen, hat eine gewisse Bedeutung, da bei den Analysen stickstoffhaltiger Stoffe sehr häufig der Stickstoff in Form von Platinsalmiak abgeschieden und aus der Wägung des aus Platin bestehenden Glührückstandes berechnet wird; bis zum Jahre 1881 sind daher die nach dieser Methode ausgeführten Analysen mit einem Rechenfehler behaftet, welcher den ge- fundenen Stickstoffgehalt kleiner erscheinen lässt, als er in Wirklichkeit ist.

46. Quecksilber. Über das Verbindungsgewicht dieses Elementes hat nie- mals eine erhebliche Unsicherheit geherrscht, da bereits die ältesten Analysen des Quecksilberoxyds von Sefström eine der richtigen sehr nahekommende Zahl gaben. Spätere Bestimmungen wurden nach verschiedenen Methoden ausgeführt. Turner (1883) analysierte ausser Quecksilberoxyd noch Queck- silberchlorid und Kalomel durch Glühen mit Kalk, Erdmann und Marchand (1844) reduzierten Quecksilberoxyd mit Kohle und Quecksilbersulfid mit metallischem Kupfer, Millon (1846) und Svanberg (1848) zerlegten wiederum Quecksilberchlorid durch Glühen mit Kalk. Hardin (1896) benutzte elektro- lytische Methoden. Der Mittelwert aller Bestimmungen führt auf Hg = 200-3.

47. Bhodium. Die Zahl, welche Berzelius (1828) durch die Analyse des Natriumrhodiumchlorids erhielt, scheint etwas richtiger zu sein, als die för die anderen Platinmetalle gefundenen. Denn sie wird durch spätere Be- stimmungen von Jörgensen (1883), die allerdings nur vorläufigen Charakter tragen, nur um eine Einheit verändert; nach letzterem ist zu setzen Rh = 103. Den gleichen Wert fanden Seubert und Kobbe (1890).

48. Bubidium. Als erste Frucht der neuentdeckten Spektralanalyse fand R. Bunsen die neuen Alkalimetalle Rubidium und Cäsium auf. Während die völlige Reindarstellung des letzteren nicht alsbald gelang, wurde Rubidium sogleich frei von Beimengungen erhalten, und die für dasselbe aus der Ana- lyse des Chlorids (1861) erhaltene Zahl ist durch spätere gleichartige Be- stimmungen von Piccard (1862) und Godeffroy (1875) bestätigt worden. Das Mittel ist Rb « 85-4.

49. Buthenium. Der Entdecker dieses Metalls, Claus, dessen Arbeiten wir üst unsere ganze Kenntnis darüber verdanken , hat auch das Verbindungs-

Ostwald, Grandriss. 3. Aufl. 3

34 I- Massenverhältnisöe chemischer Verbindungen.

gewicht durch Analyse des Ealiumrutheniumchlorids, K*RuCl*, bestimmt. Es fand sich Ru ^ 103-8. Neuere Untersuchungen von Joly (1889) ergeben den erheblich kleineren Wert Ru «= lOl«?.

50. Samarium, Dieses Element ist noch weniger sicher als einheitlich erwiesen, wie die anderen seltenen Erdmetalle. Cleve (1884), der das Oxyd in Sulfat überführte, giebt den Wert Sm « 150.

51. Scandium. Auch dieses Element gehört zu den „seltenen Erden", doch ist seine Einheitlichkeit viel wahrscheinlicher, als die der anderen, von denen es durch sein kleines Verbindungsgewicht sehr bedeutend abweicht. Nilson (1880), der es gleichzeitig mit Cleve entdeckt hat, giebt den Wert Sc = 441 ; die Zahl wurde durch Überführung des Oxyds in das Sulfat bestimmt.

52. Schwefel. Das Verfahren, nach welchem Berzelius (1811) zum ersten Male das Verbindungsgewicht des Schwefels feststellte, bestand darin, dass er gleiche Mengen Blei einerseits mit Sauerstoff, andererseits mit Schwefel ver- band; die erhaltene Zahl war allerdings noch nicht genau. Später (1818) führte er Blei in Bleisulfat über, welche Versuche Turner (1833) wiederholte. Erdmann und Marchand (1844) analysierten Quecksilbersulfid, nachdem sie das Verbindungsgewicht des Quecksilbers durch Analyse des Oxyds (S. 33) fest- gestellt hatten. Berzelius, welcher ihre Ergebnisse in Zweifel zog, führte (1845) Chlorsilber durch Erhitzen in Schwefelwasserstoff in Schwefelsilber über. Struve (1851) zersetzte Silbersulfat durch Erhitzen im Wasserstoff- strome, wobei reines Silber hinterbleibt, und Dumas (1859) endlich führte Silber durch Erhitzen im Schwefeldampf in Schwefelsilber über.

Die Ergebnisse der meisten Versuche führten zu Werten, welche nahe an S 32-0 liegen. Doch folgt aus den genauen Versuchen von Stas (S. 20\ dass der wahre Wert etwas höher liegt; er beträgt S = 32»06.

53. Selen. Die Bestimmung des Verbindungsgewichtes hat beim Selen erhebliche Schwierigkeiten gemacht. Berzelius (1818) benutzte ein ganz un- gewöhnliches Verfahren: die Überführung gewogener Mengen von Selen in das Tetrachlorid, SeCl*, und schenkte der hieraus gewonnenen Zahl ein grösseres Zutrauen, als der, welche sich aus der Analyse des Selensilbers und der des selenigsauren Baryts ergab. Eine Arbeit von Sacc (1847) enthält eigentlich nur ein Verzeichnis von Versuchen, welche nicht zum Ziele führten. Von Erdmann und Marchand (1852) rührt nur eine kurze Angabe über die Analyse des Selenquecksilbers her, Dumas (1859) endlich wiederholte die Ver- suche von Berzelius über die Bildung des Tetrachlorids.

Die gegenwärtig benutzte Zahl stützt sich auf eine Untersuchung von Ekmann und Pettersson (1876), in welcher einerseits Selen in das Dioxyd verwandelt, andererseits selenigsaures Silber in Chlorsilber übergeführt wurde. Das Mittel ist Se = 79-1.

54. Süher. Das Verbindungsgewicht des Silbers ist stets gleichzeitig mit dem des Chlors und des Kaliums bestimmt worden (S. 19), so dass auf die dort

. gemachten Angaben verwiesen werden kann. Die gegenwärtig angenommene

Die Verbindungsgewichte. 35

Zahl, die von allen Verbindungsgewichten überhaupt als die bestbekannte an- zusehen ist, wurde von Stas nach fünf unabhängigen Methoden ermittelt, deren Ergebnisse nachstehend zusammengestellt sind.

a) Analyse des Kaliumchlorats und Ermittelung des Verhält- nisses KCl: Ag 107-940

b) Analyse des Silberchlorats und Synthese des Ghlorsilbers . 107-941

c) Analyse des Silberbromats und Synthese des Bromsilbers . 107-923

d) Analyse des Silberjodats und Synthese des Jodsilbers . . 107-937

e) Analyse des Silbersulfats und Synthese des Schwefelsilbers 107-927

Der Mittelwert ist Ag = 107-938, und sein wahrscheinlicher Fehler be- trägt weniger als vier Einheiten der letzten Stelle. Es ist das eine Genauig- keit, welche in den exakten Wissenschaften sonst schwerlich erreicht, geschweige denn übertroffen wird.

55. Silicium. Das Verbindungsgewicht dieses Elementes war'^bekannt, bevor noch dieses selbst bekannt war. Berzelius (1810) und mit besserem Erfolge Stromeyer (1811) stellten nämlich siliciumreiches Eisen her, von dem sie ge- wogene Mengen oxydierten. Das Oxydationsprodukt wurde analysiert, und nach Abzug des Eisens im Ausgangsstoffe und des Eisenoxyds im Oxydations- produkte war das Verhältnis des Siliciums zu dem Dioxyd gegeben. Später untersuchte Berzelius verschiedene Silicate, natürliche, wie künstliche, sowie Kieselfluorbaryum, jedoch ohne genügendes Ergebnis.

Erst die Anwendung der Silbertitriermethode hat zu guten Erfolgen geführt. Nach den ersten Versuchen von Pelouze (1845) haben Dumas (1859) und Schiel (1861) das Verfahren mit gleichen Ergebnissen angewendet. In letzter Zeit haben Thorpe und Young (1887) gewogene Mengen Silicium- tetrabromid mit Wasser zersetzt und die entstehende Kieselsäure gewogen. Das Ergebnis ist Si = 28-4.

56. Stickstoff. Für dieses Element ist eine sehr grosse Zahl verschie- dener Methoden benutzt worden. Berzelius stellte zuerst (1811) das Ver- hältnis zwischen Chlorammonium und Chlorsilber fest. Später benutzte er den Satz, dass die spezifischen Gewichte der gasförmigen Elemente im Ver- hältnis ihrer Verbindungsgewichte stehen (s. w. u.), und gründete die von ihm für richtig gehaltene Zahl auf Wägungen von Sauerstoff- und Stickstoffgas, die er gemeinsam mit Dulong (1820) ausführte. Turner (1833) ermittelte das Verhältnis zwischen Silbemitrat und Chlorsilber, zwischen Baryumnitrat und -Sulfat, sowie zwischen Bleinitrat und -sulfat. Penny (183U), der seine be- wunderungswürdig genauen Bestimmungen mit den denkbar einfachsten Mitteln ausführte, führte Kaliumchlorat durch Eindampfen mit Salpetersäure in Kaliumnitrat über, ebenso Kaliumchlorid in Kaliumnitrat und umgekehrt. Femer leitete er das Verbindungsgewicht des Stickstoffs aus dem Verhältnis zwischen Silber und Silbernitrat, wie zwischen Silbernitrat und Chlorsilber her. Seine Ergebnisse stimmten fast absolut mit den viel späteren von Stas, den genauesten, welche wir besitzen, überein.

Trotz ihrer Vorzüglichkeit sind Pennys Resultate wenig beachtet wor- den, und ein viel weniger genauer Wert von Berzelius blieb in Gebraudi,

a*

36 I. MaBsenverhältnisse chemischer Verbindungen.

bis eine Wägung von Sauerstoff- und Stickstoffgas durch Dumas und Boussin- guult seine Fehlerhaftigkeit aufwies. Berzelius veranlasste eine neue, auf der Überführung von Blei in Beinitrat beruhende Bestimmung durch Svan- berg (1842), welche indessen auch nicht sehr genau ausfiel. Gute Zahlen gaben dagegen die Silbertitrierversuche von Pelouze (1843) mit Salmiak, die Überfuhrungen von Silber in Silbemitrat von Marignac U842), und die Gas- wägungen von Regnault (1846). Unsere gegenwärtige genaue Kenntnis ver- danken wir den Arbeiten von Stas, über welche schon oben (S. 21) berichtet worden ist; sie ergaben als Mittelwert N = 14-041.

57. Strontium. Die erste Kenntnis des Verbindungsgewichtes dieses Ele- mentes verdanken wir Stromeyer (1816), welcher das Carbonat und das Chlo- rid analysierte. Pelouze (1845), Marignac (1858) und Dumas (1859) titrierten den Chlorgehalt des Chlorstrontiums mit Silber. Richards bestimmte (1894) das Verhältnis zwischen Strontiumbromid und Silber, bez. Silberbromid, und erhielt die als richtig anzusehende Zahl Sr=^ 87-61.

58. Tantal. Das Verbindungsgewicht dieses seltenen Elementes ist gegen- wärtig noch nicht sehr sicher bekannt. Die älteren Versuche von Rose, Berzelius und Hermann haben ganz unzuverlässige Resultate gegeben. Die besten Zahlen lassen sich aus den Analysen des Kaliumtantalfluorids von Marignac (1865) ableiten und geben Ta = 183.

59. Tellur. Berzelius (1812 und 1833) oxydierte Tellur zu Dioxyd. Seine Zahlen wurden von Hauer (1857) nahezu bestätigt, welcher Kalium- tellurbromid analysierte. Nach beiden Methoden wiederholte Wills (1879) die Bestimmungen und erhielt gleiche Resultate.

Trotz dieser Übereinstimmung hat man doch die erhaltene Zahl 128 als unwahrscheinlich angesehen. Denn vergleicht man folgende Reihen:

P = 310 As =. 75.0 Sb == 1203

S « 32-1 Se = 79-1 Te «= 128

Cl=- 30-45 Br« 79-96 J =126-86

so findet man in den drei Gruppen P, As, Sb ; S, Se, Te und Cl, Br, J, welche je drei einander sehr ähnliche Elemente umfassen, zwar Schwefel zwischen Phosphor und Chlor, sowie Selen zwischen Arsen und Brom; Tellur aber würde sich mit der Zahl 128 nicht einordnen. Demgemäss glaubte denn auch B. Brauner (1883) eine Fehlerquelle in den ältesten Messungen gefunden zu haben, und bestimmte durch die Oxydation des Tellurs zu Dioxyd, sowie durch die Bildung des Sulfats Te*0*SO^ das Verbindungsgewicht auf Te = 125, entsprechend den Analogieen. Doch bestätigten spätere Untersuchungen dieses Ergebnis keineswegs. Gooch und Howland (1894) oxydierten eine alkalische Lösung von Tellurdioxyd mit Permanganat und erhielten 127-0, Staudenmayer reduzierte krystallisierte Tellursäure zu Dioxyd und erhielt 127*2 bis 127-6. Chikagishe (1896) zersetzte Tellurbromid durch Erhitzen mit Silber und fand 127-6. Man muss also das Verbindungsgewicht des Tellurs sicher als das höhere gegenüber dem Jod ansehen, und kann es im Mittel auf Te a> 127-3 setzen.

Die Verbindungsgewichte. 37

60. ThcUlium. Die älteren Bestimmungen des einen Entdeckers des Thalliums, Lamy (1862), durch Analyse des Chlorids und Sulfats, gaben das Verbindungsgewicht des Metalls noch nicht sehr genau. Wenig bessere Er- gebnisse erhielt Werther (1864) durch die Analyse des Jodthalliums, und Hebberling (1865) durch die Wiederholung der Versuche von Lamy. Mit allen irgend erdenkbaren Vorsichtsmassregeln, leider aber nur nach einer Methode (Überführung des Metalls in das Nitrat), ist eine Arbeit von dem anderen Entdecker, W. Crookes (1873) ausgeführt. Sie ergiebt Tl« 204-1. Durch eine neuere Untersuchung, die Lepierre (1894) nach drei verschiedenen Methoden durchführte, wurde der von Crookes bestimmte Wert bestätigt, so dass er beibehalten werden kann.

61. Thorium. Berzelius, der das Thorium entdeckt hat, bestimmte dessen Verbindungsggwicjht (1829) durch die Analyse des Sulfats. Die Ver- suche wurden in der Folge von Chydenius (,1863\ Delafontaine (1863), Her- mann (1864) und Cleve (1874) wiederholt, indem die späteren Forscher die Analyse meist durch heftiges Glühen, wobei Thorerde zurückbleibt, aus- führten. Cleve analysierte ausserdem das Oxalat. Mit besonders gereinigtem Material führte dann Nilson zuerst (1882) allein, später zusammen mit Krüss (1887) die Analyse des Thoriumsulfats aus; beide Versuchsreihen führen übereinstimmend zu einer Zahl, die etwas niedriger liegt, als die der älteren Forscher; sie beträgt Th « 232-4.

62. Thulium. Ein noch zweifelhaftes Element, dem Cleve (1880) das aus der Analyse des Sulfats abgeleitete Verbindungsgewicht Tu = 171 giebt.

63. Titan, Die ältesten Bestimmungen rühren von G. Rose (1823 und 1829) her und sind durch Rösten des Schwefeltitans zu Dioxyd, sowie durch Analyse des Titanchlorids erhalten worden. Letztere Methode ist später noch von Pierre (1847), Demoly (1849) und Thorpe (1883 und 1885) benutzt worden; aus den genauen Versuchen des letzteren, die auch noch auf Titan- bromid ausgedehnt wurden, ergiebt sich Ti = 48'l.

64. Uran. Bis zum Jahre 1840 wurde das Verbindungsgewicht des Urans aus den Versuchen von Arfvedson (1825) und Berzelius (1825) ganz falsch berechnet, weil man das bei der Reduktion der höheren Oxyde mit Wasserstoff entstehende schwarze Produkt UO* für metallisches Uran ansah, bis Peligot zeigte, dass es sauerstoffhaltig ,ist. Gleichzeitig bestimmte der- selbe aus der Analyse des Uranylacetats das Verbindungsgewicht ziemlich richtig. Spätere Versuche von Ebelmen (1882) und Wertheim (1843) kommen nicht besonders in Betracht, wohl aber die sorgfältigen Arbeiten von Cl. Zimmermann (1882 und 1886). Die angewandten Methoden waren an sich nicht sehr günstig, doch wurden durch besondere Sorgfalt in der Ausführung gute Zahlen erhalten. Eine Versuchsreihe bestand in der Reduktion des Üranyloxyds Ü^O^ zu ürandioxyd UO* durch Erhitzen im Wasserstoffstrome, die andere in der Umwandlung von Natriumuranylacetat üO^Na(C*H^O*)' in Natriumdiuranat Na*ü*0' durch oxydierendes Rösten. Der Mittelwert ist U = 239-5. Es ist zu erwähnen, dass Uran von allen Elementen das höchste Verbindungsgewicht besitzt.

38 I- Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.

65. Vanadium. Mit diesem Metall hat sich ein ähnlicher Irrtum zuge- tragen, wie mit dem Uran, der indessen erst 1868 durch Roscoe entdeckt worden ist; der früher für Metall gehaltene Stoff ist ein Oxyd VdO. Be- rechnet man mit Rücksicht darauf die älteren Analysen der Vanadinsäure und des Vanadylchlorids von Berzelius (1821\ so erhält man ziemlich richtige Zahlen. Unsere gegenwärtige genaue Kenntnis des Verbindungsgewichtes dieses Elementes verdanken wir einer ungemein sorgfältigen Untersuchung von Roscoe (1868), welcher sowohl Vanadinsäure zu Oxyd im Wasserstoffstrome reduzierte, wie auch Vanadylchlorid mit Silber titrierte. Das Mittel beider Versuchs- reihen ist Vd = 51-2.

66. Wismuth, Für das Verbindungsgewicht dieses Metalls ist fast immer ein falscher Wert benutzt worden. Schon die älteren Versuche von Lager- hjelm (1816) hatten zu hohe Werte gegeben, und obwohl Schneider (1851) durch Oxydation des Metalls die richtige Zahl 208 festgestellt hatte, wurde doch auf Dumas' Autorität hin (1859), der. auch in diesem Falle nach der Silbermethode einen zu hohen Wert erhalten hatte, dieser fast ausschliesslich benutzt. Erst in neuerer Zeit hat man diesen falschen Wert aufgegeben, als sowohl Löwe (1883) durch Oxydation des Metalls, wie Marignac (188ä) durch Überführung des Oxyds in das Sulfat und durch Reduktion des Oxyds zu Metall im Wasserstoffstrome übereinstimmend mit Schneiders Versuchen eine kleinere Zahl fanden. Zuletzt ist dann wieder diese durch eine Arbeit von Classen (1890) in Frage gestellt worden, welche bei der Um- wandlung von Metall in Oxyd durch Erhitzen des Nitrats Bi == 209 ergab. Schneider wiederholte seine Bestimmungen, und erhielt wieder 2U8. Bis auf weiteres, und obwohl dem niedrigeren Wert als dem wahrscheinlicheren mehr Zutrauen zu schenken ist, mag das Mittel Bi === 208'5 dienen.

67. Wolfram, Das Verbindungsgewicht des Wolframs ist grösstenteils durch Reduktion des Trioxyds zu Metall, sowie durch Oxydation des Metalls zu Trioxyd bestimmt worden. Solche Versuche liegen von Berzelius (1825), Schneider (1850), Borch und Dumas (1859) vor. Zu gleichen Ergebnissen führte eine von Roscoe (1872) ausgeführte Analyse des Wolframhexachlorids. Andere Bestimmungen, wie die Analyse des metawolframsauren Baryts von Scheibler (1861) und die des Ferrowolframates von Zettnow (1867), kommen weniger in Betracht. Neuere Messungen von Waddell (1886), Pennington und Smith (1894) über die Reduktion des Trioxyds haben zu etwas widersprechen- den Werten geführt, so dass neue Untersuchungen wünschenswert sind; bis dahin kann als Mittelwert benutzt werden W = 184.

68. Xenon. Dieses Element gehört gleichfalls zu den chemisch indiffe- renten Gasen vom Typus des Argons, und wurde 1898 von Ramsay und Travers entdeckt. Sein Verbindungsgewicht ist noch nicht bekannt

69. Ytterhium. Marignac entdeckte in der bisher für Erbinerde ge- haltenen Substanz 1872 eine vollkommen farblose Erde ohne Absorptions- spektrum, welcher er den Namen Ytterbinerde gab. Unmittelbar darauf fand Delafontaine denselben Stoff im Allanit von Amherst und auch Nilson be-

Die Verbindungsgewichte. 39

stätigte bald die Existenz der neuen Erde. Das Verbindungsgewicht des Me- talls wurde ziemlich übereinstimmend gleich Yb 173«2 gefunden.

70. Yttrium. Auch dieses Element ist erst allmählich von seinen Be- gleitern, mit denen es gemengt vorkommt, unterschieden und getrennt wor- den und es lässt sich selbst jetzt noch nicht mit Sicherheit behaupten, dass der Yttrium genannte Stoff wirklich einheitlich ist. Mit einigermassen rei- nem Material hat wohl zuerst Delafontaine (1865) gearbeitet. Die Methode, welche er sowohl wie Bahr und Bunsen (1866), Cleve und Höglund (1873\ Cleve (1873) und Jones (1895) benutzte, war die Überführung der Erde in das Sulfat. Das Mittel der besseren Versuche ist Y = 88-7.

71. Zink. Schon die ältesten Versuche von Berzelius (1811) gaben ein der Wahrheit sehr nahekommendes Resultat. Seine Methode war die der Überführung des Metalls in das Oxyd. Im Jahre 1842 wurde die Zahl auf Grund ganz ungenügender Versuche von Jacquelain angezweifelt und bald darauf suchte Favre durch die Analyse des Zinkoxalats sowie durch Auf- lösen von Zink in verdünnter Schwefelsäure und Verbrennen des gebildeten Wasserstoffs zu W^asser die Richtigkeit eines höheren Wertes zu erweisen. Berzelius Hess durch A. Erdmann (1843) neue Oxydationsversuche vornehmen, welche seine früheren Zahlen nahezu bestätigten. Noch näher kommen dem Wert von Berzelius die neuerdings Von Marignac durch Analyse des Kalium - Zinkchlorids gefundenen Werte. Ferner haben Baubigny (1883) durch Ana- lyse des Sulfats, van der Plaats (1885) durch Auflösen von Zink in Schwefel- säure und Messen des entwickelten Wasserstoffs, und Ramsay und Reynolds auf gleiche Weise (1887) gleiche Werte gefunden. Morse und Burton (1888) bestimmten gleichfalls das Verhältnis Zn:ZnO, doch wurde die Thatsache übersehen, dass auch stark geglühte Oxyde, die aus Nitraten durch Erhitzen gewonnen worden sind, einen Rückstand von Sauerstoff und Stickstoff behalten. Gladstone und Hibbert (1889) bestimmen das Verbindungsgewicht auf elektro- lytischem Wege. Rirjiflrds und Rogers endlich (1895) bestimmten die Be- ziehung zwischen Zinkbromid und Silber. Diese Arbeit ist die zuverlässigste und ergiebt Zn = 65'40.

72. Zinn. Beim Zinn ist fast ausschliesslich die Oxydation des Me- talls zu Dioxyd zur Bestimmung des Verbindungsgewichtes angewandt worden. Es liegen hierüber Versuche von Berzelius (1812), Mulder und Vlandeeren (1849), Vlandeeren (1858) Dumas (1858) und van der Plaats (1885) vor. In Übereinstimmung mit ihnen stehen zwei Analysen des Tetrachlorids von Dumas. Wälirend diese Bestimmungen alle zu dem Wert 118 führen, haben Bongartz und Classen (1888) nach verschiedenen Methoden einen um eine Einheit höheren Wert gefunden. Da die älteren Ergebnisse durch die letzt- genannte Arbeit nicht unbedingt überholt erscheinen, so mag einstweilen der Mittelwert Sn=« 118-5 benutzt werden; doch ist eine neue Bestimmung sehr zu wünschen.

73. Zirkonium. Dieser W^ert ist nur selten bestimmt worden: einmal von Berzelius (1825) durch Analyse des Sulfats, sodann von Marignac (1860) durch Analyse des Kaliumzirkoniumfluorids. WeibuU (1881) wiederholte

40

I. Massenverbältnisse chemischer Verbindungen.

die Versuche von Berzelius, Bailey (1889) ebenso. Die Bestimmungen des letzteren ergeben Zr = 90-6, wenig abweichend von dem Wert von Marignac.

In der nachstehenden Tabelle sind die Verbindungsgewichte der bis jetzt bekannten Elemente zusammengestellt, wobei wie immer 0=16 gesetzt worden ist.

1.

Aluminium

Al =

27-1

39.

Neon

Ne-^

20

2.

Antimon

Sb

120-3

40.

Nickel

Ni

58-7

3.

Argon

A

39-91

41.

Niobhim

Nb

94-2

4.

Arsen

As

750

42.

Osmium

Os

192

0.

Baryum

Ba

13743

43.

Palladium

Pd

106

6.

Beryllium

Be =

9-08

44.

Phosphor

P

31-03

7.

Blei

Pb

206-91

45.

Platin

Pt

194-8

8.

Bor

B

11-0

46.

Praseodym

Pr

140-4

9.

Brom

Br

79-963

47.

Quecksilber

Hg-

200-3

10.

Cadmium

Cd

112-1

48.

Rhodium

Rh

103

11.

Galciuiii

Ca

40-0

49.

Rubidium

Rb

85-4

12.

Cäsium

Cs

132-9

50.

Ruthenium

Ru

101-7

13.

Cerium

Ce

140

51.

Samarium

Sa

150

14.

Chlor

Cl

35-453

52.

Sauerstoff

0

16-00

15.

Chrom

Cr

52-1

53.

Scandium

Sc

44-1

16.

Eisen

Fe

560

54.

Schwefel

s

3206

17.

Erbium

Er

166

55.

Selen

Se

79-1

18.

iluor

Fl

19-00

56.

Silber

Ag

107-938

19.

Gadoh'nium

Gd

156

57.

Silicium

Si

k8-4

20.

Gallium

Ga

69-9

58.

Stickstoff

N

14041

21.

Germanium

Ge

72-3

59.

Sti-ontium

Sr

8761

22.

Gold

Au

197-2

60.

Tantal

Ta

183

23.

Helium

He-

396

Gl.

Tellur

Te

127-3

24.

Indium

in

113-7

62.

ThaUium

Tl

204-1

25.

Lidium

Ir

193-2

63.

Tliorium

Th

232.4

26.

Jod

J

126-86

64.

ThuUum

Tu

171

27.

Kalium

K

3914

65.

Titan

Ti

48-1

28.

Kobalt

Co

59

66.

Uran

u

239.4

29.

Kohlenstoff

c

12-00

67.

Vanadin

Vd

51.3

30.

Krypton

Kr>

45

()8.

Wasserstoff

H

1-007

31.

Kupfer

Cu

63-6

69.

Wismuth

Bi

208-5

32.

Lanthan

La

138-5

'70.

Wolfram

VV

184

33.

Lithium

Li

703

71.

Xenon

X >

65

34.

Magnesium

Mg

: 24-36

72.

Ytterbium

Yb

173-2

35.

Mangan

Mn

550

73.

Yttrium

Y

88-7

36.

Molybdän

Mo

96-0

74.

Zink

Zn

65-4

37.

Natrium

Na

2306

75.

Zinn

Sn

118-5

38.

Neodym

Nd

143-6

76.

Zirkonium

Zr

90-6

Beziehungen zwischen den Zahlenwerten der Yerbindungsgewichte. 41

Viertes Kapitel.

Beziehnzigen srwisohendenZahlenwerten derVerbmdungsgewiohte.

Nach zwei Richtungen hat man aus dem Zahlenmaterial ^ welches durch die Bestimmungen der Verbindungsgewichte der Elemente darge- boten war, allgemeine Schlüsse zu ziehen sich bemüht. Eine durch Prout (1815) und bald darauf durch Meinecke (1817) angeregte Gedanken- reihe geht von der hypothetischen Annahme eines allgemeinen Grand- stoffes oder einer Urmaterie aus. In dem Wasserstoff glaubte man diese gefunden zu haben, und musste nun den Schluss ziehen, dass, wenn alle anderen Elemente aus Wasserstoff bestehen, ihre Verbindungs- gewichte auch Multipla von dem des Wasserstoffs sein müssen.

Diese Hypothese wurde in England namentlich durch Th. Thomson, den Verfasser eines vielbenutzten Lehrbuches, verbreitet und mit Hilfe allerdings recht ungenügender Versuche zu stützen gesucht. Aul* dem Kontinent hatte die Hypothese keinen Erfolg, weil Berzelius auf Grund seiner Bestimmungen sie für unrichtig erklärte, und bei der schon er- wähnten, von der British Association veranlassten Prüfung der Frage durch Turner sich die Richtigkeit von Berzelius' Zahlen herausstellte.

Als aber 1841 der Fehler im Verbindungsgewicht des Kohlenstoffs ent- deckt wurde, und letzteres sich nach den Versuchen von Dumas und Stas 80 genau als möglich im Verhältnis 1:12 zu dem des Wasser- stoffs ergab, als femer Dumas auch das Verbindungsgewicht des Saueratoffs gleich dem 16 fachen des Wasserstoffs und das des Stickstoffs gleich dem 14£sichen des Wasserstofis fand, da sprach er alsbald die Überzeugung ans, dass es sich hier doch um ein allgemeines Gesetz handeln müsse. Er gab sich in der Folge der Prüfung desselben hin und kam zu dem Ergebnis, dass zwar nicht alle Verbindungsgewichte Multiple von dem ganzen VOTbindungsgewicht des Wasserstoffs seien, dass aber doch die Hälfte dieses Wertes allen anderen zu Grunde hege. Auch diese Einheit musste er indessen in der Folge auf ihren halben Wert verkleinern, so dass nach semer schliesslichen Ansicht alle Verbindungsgewichte sich dui'ch ein Viertel von dem des Wasserstoffs darstellen lassen.

Durch diese Einschränkung hatte die ganze Angelegenheit den gi'össten Teil ihres Interesses verloren, weil bei vielen Elementen die Genauigkeit der Bestimmung die von Dumas angegebene Einheit nicht erreicht, und somit eine Prüftmg der Hypothese ausgeschlossen wird.

Dieselbe Frage wurde gleichzeitig durch J. S. Stas aufgenommen. Dieser Forscher beschränkte sich im Vergleich zu Dumas, was die Zahl der zu untersuchenden Elemente anlangt, übertraf aber seinen Lehrer und früheren Arbdtsgenossen bei weitem in der Genauigkeit seiner Be- stimmungen, welche hernach kaum wieder von anderen Forschem erreicht worden ist. Als Ergebnis seiner auf diesen Punkt gerichteten Unter- suchungen erklart Stas die Proutsche Hypothese für vollkommen unzu-

42 !• Massenverhältnisse chemischer Verbindungen.

lässig; sie stellt nichts als eine ungefähre Annäherung an die Wahrheit dar, thatsächlich aber weichen fast alle von ihm bestimmten Verbindungs- gewichte weit mehr von den durch die Hypothese geforderten ab, als die möglichen Versuchsfehler irgend gestatten.

Trotzdem durch diese unübertroffenen Arbeiten die Frage endgültig erledigt schien, ist sie doch inzwischen immer wieder aufgeworfen worden. Der Grund dazu ist die erwähnte, thatsächlich vorhandene Annäherung der gemessenen Zahlenwerte an Multipla des Wasserstoffatoms. Ein Blick auf die Tabelle S. 40 zeigt diese Annäherung deutlich. Es hat daher immer Männer gegeben, welche die ganzzahligen Werte als die eigentlich richtigen ansahen. Für die Ursache der thatsächlichen Abweichungen ist allerdings bisher keinerlei wahrscheinliche Ansicht aufgestellt worden, vor allen Dingen deshalb nicht, weil kein Vorgang bekannt ist, durch welchen die Massen gegebener Stoffe irgend eine Änderung erleiden. Es bleibt also zur Zeit nichts übrig, als die Zahlen so zu nehmen, wie sie die Versuche geben, und die Frage, welche Ursache die auffällige- Annäherung derselben an Multipla des Wasserstoffs bedingen könnte, unbeantwortet zu lassen.

Neben diesen, bisher resultatlos gebliebenen Betrachtungen sind andere, nach anderer Seite gerichtete, über denselben Gegenstand seit der ersten Kenntnis stöchiometiischer Gesetzmässigkeiten verfolgt worden. Diese haben im Gegensatz zu den vorerwähnten sehr umfassende Regel- mässigkeiten ergeben, und sollen im folgenden dargelegt werden.

Bei seinen ersten Entdeckungen über die Massenverhältnisse bei der NeutraUsation einer Säure durch verschiedene Basen, mit welchen Arbeiten die wissenschaftliche Erforschung der Stödiiometrie chemi- scher Verbindungen ihren Anfang nimmt, kam J. B. Eichter (1798) alfr bald auf den Gedanken, dass diese Konstanten, abgesehen von ihrer allgemeinen Beziehung, noch besonderen Gesetzen unterworfen seien. Ordnet man sie ihrer Grösse nach an, so folgen die Zahlenwerte nach seinen Anschauungen einem bestimmten Gesetze, für welches er zu ver- schiedenen Zeiten verschiedene Formen annalim. Es hat der aUgemeinen Annahme des von Richter entdeckten Gnindgesetzes der Verbindungs- zahlen sehr geschadet, dass der Entdecker jene eben erwähnte Idee mit einer so grossen BeharrUchkeit verfolgte, dass er die Hauptsache fast ausser Augen liess. Doch hat die Nachwelt ihm auch insofern Recht gegeben, als die von Richter vermuteten Gesetzmässigkeiten thatsächhch bestehen, wenn auch nicht in der von ihm angegebenen. Gestalt

Zunächst erhielten die von Richter nur für Säuren und Basen, und später für Metalle entdeckten konstanten Verbindungszahlen die oben geschilderte Verallgemeineining, die zu dem Gesetz der Verbindungs- gewichte führte. Der erste, welcher sehr bald nach Aufstdlung des letzteren auf eine Gesetzmässigkeit hinwies, war Döbereiner (1817), welcher zeigte, dass das Verbindungsgewicht des Strontiums (87-6) das arithmetische Mittel von denen des Calciums (400) und des Baryums

Beziehungen zwischen den Zahlenwerten der Verbind ungsgewichte. 43

(137*4) sei. Nach unseren genaueren Zahlen, die ich in Klammem bei- I gefügt habe, findet das allerdings nicht streng statt, denn die berechnete I Zahl ist 88-7 statt 8 7 '6, doch ist die Annäherung immerhin bemerkens- wert, zumal solche Beziehungen sich mehrfach wiederholen. Derartige Triaden wurden mehrere aufgefunden, und später hat Lenssen (1875) die sämtlichen Elemente in dieser Weise in lYiaden einzuteilen gesucht.

Näher den ursprüngUchen Ideen Richters kommt die Anschauung von Pettenkofer (1850), dass die Verbindungsgewichte ähnHcher Elemente die Glieder arithmetischer Reihen bilden. Diese Ideen wurden dann von Kremers, Gladstone und namentUch Dumas in mannigfaltiger Weise weiter entwickelt

Diejenige Idee endhch, welche sich am fruchtbarsten erwies, ist zu- erst wenn auch noch in unzulänglicher Form von Newlands (1864) ent- wickelt worden, dem es allerdings nicht gelang, mit seinen Darlegungen Anerkennung zu finden. Newlands ordnete nicht allein die durch Ähn- lichkeit zusammengehörigen Elemente in Reihen, sondern sämtlichö Elemente nach der Grösse ihrer Verbindungsgewichte. Es ergab sich dabei, dass in annähernd gleichen Abständen in dieser Reihe die ähn- lichen Elemente auftraten: so war, von u'gend einem Elemente ab ge- zahlt, im allgemeinen jedes achte dem ersten ähnlicher als allen anderen. Er bezeichnete diese Beziehung als das Gesetz der Oktaven, vermochte sie aber nicht vollständig durchzuführen.

Letzteres wurde gleichzeitig (1869) von zwei Forschern, L. Meyer und D. Mendelejew erreicht, deren Ergebnisse sich durch den Satz aus- drücken lassen: Die Eigenschaften der Elemente sind periodische Funktionen ihrer Verbrindungsgewichte, Ordnet man also samt* Kehe Elemente nach der Grösse der Verbindungsgewichte in eine Reihe, flo ändern sich die Eigenschaften der Elemente von GUed zu Güed, so dass nach einer bestimmten Anzahl von Gliedern sich die früheren Eigen- schaften oder ihnen naheliegende wiederholen.

Anfangs stiess die Durchführung dieses Gedankens auf grosse Schwierig- keiten. Diese lagen einerseits darin, dass man zu jener Zeit noch nicht auf systematische Weise die Auswahl der angemessensten aus den möglichen Verbin- dangsgewichten durchgeführt hatte. Wenn man z. B. bestimmt hat, dass Kohlen- stoff mit Sauerstoff in den Verhältnissen 12 : 16 und 12 : 32 zusammentritt, 80 ist es zunächst willkürlich, wenn man in der ersten Verbindung ein Ver- bindungsgewicht Kohlenstoff auf eines Sauerstoff, in der zweiten ein Kohlen- stoff auf zwei Sauerstoff annimmt. Man könnte ebenso das Verbindungsgewicht des Kohlenstoffs gleich 6 setzen, und die Verbindungen C*0 und CO schrei- ben, oder die Annahme C =* 24 machen, wodurch die Formeln C 0* und C 0* vürden. Die Anhaltspunkte, welche man im Laufe der Zeit für die richtige Wahl gefunden hat, sind mannigfaltig, und werden weiter unten einzeln dar- gelegt werden. Hier nur soviel, dass zur Zeit, wo Meyer und Mendelejew ihre Anschauungen entwickelten, diese Anhaltspunkte zwar zum grössten Teil bereits gefunden waren, aber keineswegs in übereinstimmender Weise zur

44 I* Massenyerhältnisse chemischer Verbindungen.

Anwendung gelangten. Es musste umgekehrt vielfach die oben mitgeteilte Gesetzmässigkeit dazu benutzt werden , um zwischen den möglichen Werten zu entscheiden.

Neben dieser Schwierigkeit musste eine andere überwunden werden, welche in der thatsächlich falschen Feststellung mancher Zahlenwerte lag. Hier handelte es sich indessen meist darum, Umstellungen zweier neben- einanderliegender Elemente vorzunehmen, und es ist früher schon auf ein- zelne Fälle hingewiesen worden, bei welchen durch diesen Umstand eine richtigere Ermittelung der Werte veranlasst worden ist. Am energischsten und gleichzeitig am glücklichsten ging Mendelejew nach dieser Seite vor.

Die Anordnung der Elemente nach der Grösse der Verbindungsgewichte ist beistehend, wesentlich nach dem Plane von L. Meyer, doch ent- sprechend den neueren Entdeckungen ergänzt, dargestellt Die ganze Reihe ist in Stücke von je acht Gliedern geteilt, welche versetzt so unter einander geordnet sind, dass die einzelnen Glieder der ersten^ dritten, fünften, siebenten, neunten und elften Reihe zu einander in näheren Beziehungen stehen, als zn den Gliedern der paaren Reihen, und ebenso diese von den unpaaren getrennt sind.

Dadurch stehen untereinander die ähnlichen Elemente, deren Zu» sammengehörigkeit vielfach (wenn auch nicht immer) schon früher er- kannt und durch die Bildung ^natürlicher" Familien zum Ausdrucke gebracht worden ist. Und zwar bilden die Glieder der paaren Reihen einerseits, der unpaaren andererseits die nächstverwandten Elemente; die paaren und unpaaren sind etwas entfernter in ihrer Verwandtschaft.

In den allgemeinen chemischen Verhältnissen, insbesondere in der Fähigkeit, Basen oder Säuren zu bilden, zeigen sich zunächst die ^n- lichkeiten am deutlichsten. Nimmt man die Tabelle zur Hand, so haben wir zunächst in der ersten vertikalen Doppelreihe die ganz indifferenten Gase des Argontypus; dann folgen die sehr stark basischen Alkali-, so- dann in der nächsten Reihe die gleichfalls stark basischen Elrdalkalimetalle. Dann folgen die Erdmetalle, deren Oxyde schwach basische Eigen- schaften haben, alsdann die Elemente der Kohlenstoffgruppe, deren Oxyd© schon zum Teil schwache Säuren sind; die sauren Eigenschaftien nehmen dabei mit steigendem Verbindungsgewicht ab. Die Glieder der nächsten Reihe sind schon entschieden säurebildend und die der 8. Reihe zeigen diese Eigenschaft in ausgeprägtester Weise.

Eine sehr bemerkenswerte Regelmässigkeit zeigt sich in der Valenz der Elemente, wie sie in der Tabelle dmxh die römischen Ziffern ange- deutet ist. Dieselbe nimmt zunächst von 1 bis 4 zu, von da ab ver- mögen sich die Elemente meist mit verschiedener Valenz zu bethätigen^ gegen Chlor, Sauerstoff u. s. w. mit einer um je eine Einheit zunehmen- den, gegen Wasserstoff aber mit einer ebenso regelmässig abnehmenden.

Weitere Regehnässigkeiten, welche die physikalischen Eigenschaftea der Elemente, sowie auch ihrer Verbindungen in den voretehenden An- ordnungen zeigen, werden später ihre Besprechung finden.

Beziehungen zwischen den Zahlenwerten der Yerhindungsgewichte. 45

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(79 CO C4

46 !• Massen Verhältnisse chemischer Verbindungen.

In der Tabelle sind zahlreiche nicht ausgefüllte Plätze vorhanden. Sie gehören Elementen zu, die man noch nicht entdeckt hat Mendelejew hat die erwähnten Gesetzmässigkeiten dazu benutzt, um die Eigenschaften unbekannter Elemente aus denen der im Schema benachbarten ver- mutungsweise vorauszusagen. So hat er insbesondere eine ziemlich ein- gehende Beschreibung des Scandiums, Galliums und Germaniums, welche zur Zeit der Abfassung seiner Abhandlung nicht bekannt waren, und ihrer Verbindungen gegeben, und er sowie die Wissenschaft haben den Triumph erfahren, dass diese Voraussagungen zum grössten Teil bei der späteren Entdeckung dieser Elemente bestätigt worden sind.

Einigermassen ausserhalb der Tabelle stehen ganz rechts die Ele- mente der Eisen- und Platingruppe. Sie zeigen unter sich eine grosse Regelmässigkeit, indem sie in je drei Gruppen mit naheliegenden Verbin- dungsgewichten zerfallen; bei den Platinmetallen entsprechen sich ausserdem die einzelnen Elemente in den Formeln der Verbindungen, die sie bilden können, ganz genau. Ebenso ordnen sich die am linken Bande be- findlichen Elemente des Argontjrpus den anderen nicht wohl zu und bilden eine Gruppe für sich, die zu den anderen viel geringere Be- ziehungen zeigt, als sonst benachbarte Reihen es thun.

Einige Worte verdient auch die Stellung des Tellurs. Wie schon erwähnt, ist sein Verbindungsgewicht grösser gefunden worden, als es nach der Stellung im periodischen System zu erwarten war, und die Wiederholung der Be- stimmungen durch verschiedene Forscher (S. 36) hat dieses Ergebnis nur be- stätigt. Da man nicht daran denken kann, die Stellen des Tellurs und Jods in den natürlichen Verwandtschaften mit einander zu vertauschen, so liegt hier ein thatsächlicher Widerspruch zwischen der Anordnung nach der Grösse der Verbindungsgewichte und der nach der natürlichen Verwandtschaft vor.

Eine Art Erklärung hierfür findet man, wenn man beachtet, dass die Unterschiede der Verbindungsgewichte bei entsprechenden Gliedern der Tabelle keineswegs konstant sind, sondern anscheinend unregelmässig zwischen ziem- lieh weiten Grenzen schwanken. Wenn es sich hier um eine ungetrübte Gesetz- mässigkeit handelte, so müssten die Verbindungsgewichte nicht nur dem Zahlen- werte nach ungefähr die Reihenfolge ergeben, sondern ihre Zahlenwerte müssten gesetzmässige Abstände haben. Man wird also vermuten können, dass die Verhältnisse, die in dem periodischen System zum Ausdruck kommen, das Ergebnis mehrerer unabhängiger Umstände sind, deren Einfluss auf das Ergebnis wechselt.

Nun können dieselben Umstände, welche die entsprechenden Unterschiede bald grösser und bald kleiner machen, auch in einem bestimmten Falle so wirken, dass ein Unterschied ein umgekehrtes Zeichen annimmt, d. h. dass die Reihenfolge zweier Elemente sich umkehrt. Ein solcher Fall könnte bei Jod und Tellur vorliegen; auch die notwendige Einordnung des Argons zwischen Chlor und Kalium erfordert die Annahme einer solchen Umkehrung des Zeichens der Differenz.

IL Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.— Die allgemeinen Eigenschaften der Gase. 47

Dem Zeichen des Lanthans in der Reihe III ist ein etc. beigefügt, um

anzudeuten, dass auch die anderen „seltenen Erden", Cer, Neodym und

Praseodym hier anzuschliessen sind.

[ Da die Tabelle dort nur einen einzigen Platz hat, liegt wieder eine

Störung des Systems vor. Die fraglichen Elemente sind einander in noch

höherem Masse ähnlich, als die Elemente der Eisengruppe, und es sieht so

aus, als wenn die Umstände, die sonst nur zu der Bildung eines einzigen Ele-

I mentes Anlass gaben, hier die Entstehung einer Anzahl sehr ähnlicher be-

I wirkt hätten, ähnlich der Bildung der Planeten der Asteroidengruppe.

Somit ist das „periodische System" der Elemente noch keineswegs vollkommen. Es werden in der vorstehenden Tabelle häufig Elemente von- einander entfernt, die ein unbefangener Beobachter für ähnlich in ihren Ver- bindungsverhältnissen halten würde (z. B. Kupfer und Quecksilber), und an- dere zusammengestellt, welche als durchaus unähnlich erscheinen, wie Natrium mit Kupfer, Silber und Gold. In Bezug auf solche Schwierigkeiten ist zu hoffen, dass sie durch spätere Überlegungen und Thatsachen gehoben werden. Das „periodische System" ist daher nicht als der Abschluss, sondern vielmehr als der Anfang einer fruchtbaren Ideenreihe anzusehen.

Zum Schluss dieses Teiles möge noch eine allgemeine Bemerkung Platz finden. Aus der Thatsache, dass durch den chemischen Vorgang die Masse der beteiligten Stoffe sich nicht ändert^ geht hervor, dass die Masse einer chemischen Verbindung gleich der Summe der Massen ihrer Bestandteile ist. Derartige Eigenschaften, die unabhängig vom chemischen Verbindungszustande sind, und deren Zahlenwert in den Verbindungen daher als die Summe der den Bestandteilen zukommenden Zahlenwerte erscheint, sollen in Zukunft additive genannt werden. Aus dem Vor- handensein solcher Eigenschaften hat man darauf geschlossen, dass die chemischen Verbindungen ihre Bestandteile der Substanz nach noch ent- halten, indem nur deren Anordnung eine andere gew^orden ist; die ad- ditiven Eigenschaften bilden daher die Grundlage der Atomhypothese, doch bestehen sie natürlich unabhängig von jeder Hypothese.

Zweites Buch.

Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.

Erstes Kapitel.

Die aUgemeinen Eigenschaften der Gase.

Im gasförmigen Zustande sind die Stoffe durch die Fähigkeit ausgezeichnet, jeden gegebenen Raum gleichförmig zu erfüllen, und be- sitzen daher keine eigene Form. Sie nehmen in dieser Gestalt den grössten Raum ein, und gehorchen einfacheren Gesetzen, als in den anderen Zuständen.

48 ^^* Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.

Einer gegebenen Gasmasse kommt ein bestimmter Kaum v nur zu, wenn sie eine bestimmte Temperatur t hat, und unter einem be- stimmten Drucke p steht Wir können also allgemein setzen v = f(p,t), wo f (p, t) eine Funktion von p und t bedeutet, deren Form zu be- stimmen ist.

Der Einfluss des Druckes äussert sich in dem Sinne, dass mit wadisendem Dnick der Raum abnimmt, und zwar im umgekehrten Verhältnis des Drucks. Dies Gesetz ist von R. Boyle (1662) entdeckt worden und wird gegenwärtig meist wieder nach ihm benannt. Früher hiess es gewöhnlich das Gesetz von Mariotte, indessen hat dieser es erst 1679 mitgeteilt. Der algebraische Ausdruck des Gesetzes lautet^ wenn v und p, v' und p' zwei zusammengehörige Paare von Druck und Volum darstellen, die einer und derselben Gasmasse bei derselben Temperatur zukommen:

V : v' = p' : p

oder V p = v' p'

d. h. bei gegebener Temperatur ist bei einer Gasmasse das Produkt von Druck und Raum stets gleich gross.

Dies Gesetz gilt für alle Gase, unabhängig von ihrer chemischen Natur, und wir können daraus schliessen, dass die Ursache des Ge- setzes gleichfalls in einem Umstände liegt, der von der chemischen Natur des Gases nicht abhängt.

Eine gleiche Unabhängigkeit von der chemischen Beschaffenheit zeigt sich beim Einfluss der Temperatur auf das Volum der Gase. Das bierfiir gültige Gesetz ist von Gay-Lussac und Dalton gleich- zeitig (1802) aufgefunden worden und wird meist nach ersterem be- nannt Nach demselben dehnen sich alle Gase bei gleichen Temperatur- änderungen in gleichen Verbältnissen aus.

Setzt man den von einem Gase bei einem bestimmten Drucke und bei der Temperatur des schmelzenden Eises angenommenen Raum gleich Eins, so wächst bis zur Temperatur des siedenden Wassers dieser Raum auf den Wert 1-367. Man teilt diesen Temperaturunter- schied in 1 00 Teile, welche man so bestimmt, dass auf jeden Teil eine gleiche Zunahme (nämlich 0 00 3 67 des Raumes bei 0®) erfolgt, und nennt die 80 erhaltenen Temperaturstufen Gentesimalgrade. Sie werden von der Temperatur des schmelzenden Eises als dem Nullpunkte aufwärts mit positivem, abwärts mit negativem Zeichen gezählt Der Bruchteil der Volumzunahme ist nach der Definition bei Gasen tur jeden Tempe- ratiu'grad gleich; er beträgt 0*00367 oder y+^ des Raumes. bei 0" und wird der Ausdehnungskoeffizient genannt

Der algebraische Ausdruck för diese Beziehung stellt sich in der Formel dar

v = Vo(l + «t),

Die allgemeinen Eigenschaften der Gase. 49

wo V der Raum bei der Temperatur t^, Vq derselbe bei ist; a ist der Ausdehnungskoeffizient.

Erwärmt man das Gas^ ohne ihm die Ausdehnung zu gestatten^ so nimmt der Druck zu. Man kann diesen berechnen, wenn man das Boylesche Gesetz anwendet. Denken wir uns zuerst das Gas durch die Erwärmung von Vq auf v ausgedehnt und dann bei der Temperatur t wieder auf v^ zusammengedrückt, so muss nach dem Boyleschen Gesetz sich der Druck p^ bei zu dem bei t®, p, umgekehrt wie die entsprechenden Räume verhalten, d. h. es ist

Po P = ^0 : V oder p v^ = PoV.

Wird diese Gleichung mit der vorigen verbunden, so folgt

P = Po (1 + «*)• Es nimmt also bei konstantem Volum der Druck durch Temperatur- steigerung in demselben Masse zu, wie bei konstantem Druck das Volum. Die für einen Grad berechnete, auf den Druck bei be- zogene Druckzunahme oder der Druckkoeffizient ist gleich dem Ausdehnungskoeffizienten.

Lässt man endlich sowohl den Druck wie das Volum sich beliebig ändern, so nimmt das Produkt beider, welches bei konstanter Tempe- ratur konstant ist, bei wechselnder Temperatur in demselben Masse zu oder ab, wie einer der Faktoren, wenn der andere konstant gehalten wird. Für diesen allgemeinen Fall gilt daher die Beziehung

pv = PoVo(l -f at).

Diese Verhältnisse lassen sich durch ein Verfahren anschaulicher machen, dessen wir uns in der Folge vielfach mit Vorteil bedienen werden, so dass es hier in seinen Grundlagen beschrieben werden soll. Es beraht darauf, dass man irgend welche Grössen, die einen Zahlen- wert besitzen, durch gerade Linien von entsprechender Länge darstellen kann. Sind nun Grössen gegeben, die in gegenseitiger Abhängigkeit stehen, oder Funktionen von einander sind, so gelangt man zu einer Darstellung dieser Abhängigkeit unter Benutzung des Verfahrens durch folgende Methode.

Man trägt einen Wert der einen Grösse auf einer horizontalen Ge- raden von einem bestimmten Punkte 0 (Fig. 1) aus ab, und erhält so einen Punkt auf dieser, etwa 20. Li diesem Punkte errichtet man eine Senkrechte 20 d , die man zum Masse des zugehörigen Wertes der anderen Grösse macht. In unserem Falle würde 0 20 z. B. ein Volum einer bestimmten Gasmenge, und 20 d den zugehörigen Druck darstellen. Dann stellt der Punkt d diesen bestimmten Zustand des Gases dar, tmd jeder andere Punkt der Zeichenebene bedeutet einen anderen Zu- stand des Gases, für den man den Druck und das Volum auf die ent- sprechende Weise ablesen kann. So ist z. B. der Druck des Zustandes c 4urch die Länge 10 c, das Volum durch 0 10 dargestellt

Ostwaldy Grundriss. 3. Aufl. 4

50

II. StOchiometrie gaefürmiger Stoffe.

Haben wir nun beispielsweise eine (lasmenge, welches bd unter einem Drucke von 20 cm Quecksilber das Volnm 5 ccm hat, so nimmt die Konstante des Boyleseben Gesetzes den Wert 100 an, so das» pv^lUO g^h. Für eine Anzahl anderer, villkilrhch gewühlter Volume haben wü- folgende Drucke:

Volnm a 5 10 20 50 ccm

Druck 50 20 10 5 2 cm

Zeichnen wir diese Wertpaare in der beschriebenen Weise aui, so erhalten wir die Punkte abcde. Die gleichen Punkte erhSlt man nattirlich, wenn man zuerst die Drucke auf OP abträgt, und die zuge- hörigen Volume horizontal nach redits misst.

Fig. 1.

Denken wir uns jetzt beliebig viele weitere Wertepaare eingetragen, 80 wei-den die entsprechenden Punkte zwischen die angegebenen jalleo, und alle möglichen Wertepaare werden eine Pnnktreihe bilden, welche in der Öeatalt einer durch die Punkte abcde gelegten stetigen gekrümmten IJnie verläuft. Die besondere Form, welche unter der Anwendung d€8 Boyleschen Gesetzes entsteht, heisst die rechtwinklige Hyperbel. Sie ist ebenso eine Darstellung des Boylesclien Gesetzes, wie die Formel p V ^ const., und hat vor dieser den Vorzug der Anschanliebkeit.

Man nennt die Linie abcde, da sie das Verhalten des Gases konstanter Temperatur darstellt, eine Isotherme des Gases. Die Isothermen der Gase odei* die Linien konstanter Temperatur sind somit i-eiditwinklige Hyperbeln.

Die allgemeinen Eigenschaften der Gase. 51

Ein derartiges System von Masslinien nennt man ein Koordinatensystem. Die Linien OP und OV, die sich im Anfangs- oder Nullpunkte 0 schneiden, sind die Axen, die abgetragenen Strecken die Koordinaten. Und zwar heissen die Uprizontalen Strecken die Abscissen, die Senkrechten die Ordi- naten. Jeder Punkt hat eine Ordinate und eine Abscisse, die seine Ent- fernung von der entsprechenden Axe darstellt, und ist durch die Angabe ihrer Werte eindeutig bestimmt.

Handelt es sich um die Darstellung negativer Zahlen neben positiven, so verlängert man die Axe über den Punkt 0 hinaus und trifft die Fest- setzung, dass positive Werte nach rechts und oben, negative nach links und unten gerechnet werden sollen. Man überzeugt sich leicht, dass dadurch die Rechenregeln mit negativen Grössen befriedigt werden.

Die Produkte pv stellen in der Zeichnung die Flächeninhalte der Rechtecke dar, welche von den beiden Axen und den Koordinaten be- gi'enzt sind, und deren Ecken in der Kurve liegen. Letztere hat somit die Eigenschaft, dass alle derai-tigen Rechtecke wie 0 2a 50', 05b 20', 0 10 c 10', 0 20 d 5', 0 50 e 2' flächengleich sind.

Für eine andere Temperatur, z. B. 200®, erhält man die Isotherme, wenn man dem Gesetz von Gay-Lussac gemäss alle Volume für die ausgeworfenen Drucke im Verhältnis l:(l+at), also 1:1-784 in dem gewählten Beispiele vermehrt. Dai-aus ergiebt sich die der vorigen ent- sprechende Tabelle

Druck 2 5 10 20 50 cm

Volum 86-70 3468 17-34 8-670 3-468 com

Die zugehörige Kurve ist in der Zeichnung eingetragen; sie ist natürlich auch eine rechtwinklige Hyperbel, da sie einer ähnlichen Gleichung, nämlich pv = 173-4 genügt, derzufolge die von den Axen und den Koordinaten eingesdilossenen Rechtecke flächengleich sind.

Hieraus folgt, dass jedes beliebige Rechteck der eraten Kurve zu jedem beliebigen der zweiten bezüglich des Flächeninhaltes im Verhältnis l:(l-|-«t) steht, woraus die gewöhnhche Form der Gasgleichung p V = Pq Vq (1 -|- «t) sich alsbald ergiebt.

Diese Gleichung gestattet, durch Rechnung aus dem bei irgend einer Temperatur t und h-gend einem Drucke p beobachteten Volum eines Gases das Volum zu berechnen, welches es bei normalem Druck und normaler Temperatur haben würde. Letztere beiden Werte sind durch Übereinkunft festgestellt worden, und zwar so, dass als Normal- temperatur die des schmelzenden Eises oder Null Grad, als Normaldruck der einer Quecksilbersäule von 76 cm Höhe, gleich einem Gewicht von 1033 g pro Quadratcentimeter^), festgesetzt worden ist. Man schreibt zu dem Zwecke die Gleichung in der Gestalt

*) Das Quecksilber ist 13-595 mal schwerer als Wasser; eine Säule von 1 qcm Querschnitt und 76 cm Höhe enthält also 76 ccm Quecksilber und hat ein Gewicht von 76 >c 13-595= 1033 g.

4*

52

U. StÖchiometrie gasfSnniger Stoffe.

pv

100'

'7iy

" Po (1 + «t) ' in welcher sie vielfach benutzt wird.

Man kann der allgemeinen Gasgleichung pv =p^Vq(1 + ß^) ^^^^ einfachere Gestalt geben, wenn man sich folgender Überlegung bedient. SteUt man die Volume, die ein Gas unter konstantem Drucke bei

wechselnder Temperatur annehmen kann, durch entsprechende Linien Oa, lOOb, dar, die von der durch eine senkrechte Gerade dargestellten Thennometerskala entsprechend der Grösse des Volums nach rechts abge- tragen werden, so erhält man eine gerade Linie a b, welche för jede andere Tempe- ratur das zugehörige Volum in gleicher Weise angiebt. Verlängert man diese Ge- rade nach unten, so gelangt sie schliess- lich mit der Thermometerskala zum Durch- schnitt, d.h. es giebt eine Temperatur, bei welcher das Volum eines Gases gleich Null sein würde, wenn das Ausdehnungsgesetz noch bis daliin in Geltung bliebe. Nun kann man offenbar auch olme dies die Temperatur von diesem Durchschnittspunkte aus zählen, und würde dadurch den Vorteil haben, dass das Volum des Gases dieser neuen Temperatur unmittelbar proportional wäre, so dass der Ausdruck der Gasgesetze eine einfachere Gestalt annähme.

Ausser diesem Vorteile eines kürzeren Ausdruckes erlangt man hierbei noch einen wichtigen weiteren Vorteil, da die so gezählte Temperatur mit einer theoretischen Temperaturskala wesentlich zusammenfällt, welche sich auf Grund allgemeiner Betrachtungen über die Eigenschaften der Wärme ableiten lässt. Diese theoretische Skala ist von der besonderen Natur der thermometrischen Substanz unabhängig, was man von keiner anderen Skala, auch nicht von der auf der Ausdehnung der Gase beruhenden sagen kann; sie fällt aber thatsächlich fast vollkommen mit der wie oben definierten Skala zusammen.

Um den Punkt zu finden, in welchem der Durchschnitt der beiden Linien einti'itt, erinnern wir uns, dass das Volum für jeden Grad um 0-00367 oder 1/273 des Volums beim Schmelzpunkt des Eises abnimmt. Daher muss 273 Grad unter diesem Punkte (unter der oben gemachten; Voraussetzung) das Volum verschwinden. Die neue Zählung würde an

Fig. 2.

dem Punkte 273^0 anfangen, und jeder wie gewöhnlich gezählte Celsiusgrad ist um 273 zu vermelu'en, um die neue Temperatm* zu ergeben.

Die allgemeinen Eigenschaften der Gase. 53

Man nennt diese so gezählten Temperaturen absolute und be- zeichnet sie mit T, im Gegensatz zu der mit t bezeichneten, vom Ei»- ponkte ab gezählten Centesimaltemperatur. Handelt es sich um die Kenn- zeichnung von Zahlenangaben, so wird den Centesimalgraden ein C, den absoluten Graden ein A zugefügt.

Rechnerisch ergiebt sich diese Zählung aus den folgenden Gleichungen

P^ = PoVo (1+ «t) = PoVo (1 + t/273) = PoVo (273 + t)/273 = ^T

wo T = 273 + t gesetzt worden ist. Wird ausserdem die Konstante PoVo/273 mit r bezeichnet, so erhalten wir die einfache und allgemeine Form der Gasgleichung,

pv = rT.

Die Konstante r ist gemäss ihrer Definition rs«p„Vo/27o proportional der betrachteten Gasmenge. Auf Gnind späterer Erörterungen wird es sich als vorteilhaft erweisen, solche Mengen verschiedener Gase zu betrachten, für welche die Konstante r gleichen Wert hat. Die alsdann auftretende absolute Konstante, die seinerzeit definirt werden soll, wird mit R bezeichnet. -

Das in der Gasgleichung auffretende Produkt pv hat den Charakter einer Energie oder Arbeitsgrösse. Denn um unter gegebenen Verhält- nissen, z. B. unter dem Druck der Atmosphäre eine gewisse Gasmasse entstehen zu lassen, muss der Druck p über den Raum v zurückge- schoben oder überwunden werden, und diese Arbeit ist proportional einerseits dem Drucke p, andererseits dem vom Gase eingenommenen Raum V. Um diese Art Energie von anderen zu unterscheiden, kann man sie Volumenergie nennen. Sie gehört zu den mechanischen Energieen und ist fast die einzige Art mechanischer Energie, die für die späteren Betrachtungen in Frage kommt.

Die Gestalt des Gasgesetzes pv = rT lehrt nun eine wichtige Eigen- tümlichkeit der Volumenergie der Gase kennen, Sie zeigt, dass bei ge- gebener Temperatur T der Druck, unter dem ein Gas entsteht, keinen Einfluss auf die dafür verbraudite Volumenergie hat. Denn in dem Masse, wie der Dnick kleiner wird, nimmt das Volum zu, und das Produkt beider, welches eben diese Volumenergie misst, bleibt konstant Wir können daher die Gasgesetze auch in der folgenden Gestalt aus- sprechen, die das Verständnis gewisser Eigentümlichkeiten in dem Ver- halten der Gase erleichtert: Die für die Entstehung einer bestimmten Gasmenge erforderliche Volumenergie ist unabhängig vom Druck und proportional der absoluten Temperatur.

Aus dem Umstände, dass auf der linken Seite der Gasgleichung pv = rT eine Energiegrösse steht, folgt, dass auch die rechte Seite rT eine solche sein mu88. In der That bedeutet diese Grösse eine neue Art Energie, die Wärme. Auf diese Bemerkung wird später Bezug genommen werden.

Da py eine Energiegrösse ist, so hat sie auch gemäss S. 5 ein abso- lutes Mass in Erg. Daraus folgt weiter, dass es auch für den Druck eine

54 II- Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.

absolute Einheit giebt: der Druck Eins ist der Druck, der über ein Kubik- zentimeter wirkend, ein Erg Arbeit leistet.

Um diesen Betrag mit den gewöhnlichen Arten der Druckmessung in Beziehung zu bringen, erinnern wir uns, dass der Druck einer Atmosphäre durch eine Quecksilbersäule von 76 cm Höhe ausgeübt wird. Die Arbeit für die Überwindung dieses Druckes bei der Vermehrung des Volums um ein Kubikcentimeter ist gleich der für die Erhebung einer Quecksilbersäule von 1 cm* Querschnitt und 76 cm Höhe um 1 cm. Da nun die Schwere eines Gramms gleich 980 (genauer 980'53) absoluten Einheiten ist (S. 5), und 1 ccm Quecksilber 13-5953 g wiegt, so enthält eine Atmosphäre 76 x 980-53 x 13-5953 =«1013130, etwas über eine Million absolute Druckeinheiten.

Hierbei ist Rücksicht darauf genommen worden, dass die Kraft der Schwere mit dem Orte wechselt, indem als Normalort ein solcher unter Meeres- höhe und 45° Breite gewählt worden ist, für den die Schwere 980-53 Ein- heiten beträgt.

Will man den Druck einer Atmosphäre in Gewichtseinheiten auf die Einheit der Druckfläche, ein Quadratcentimeter, darstellen, so hat man zu überlegen, dass dieser Druck gleich dem Gewicht einer Quecksilbersäule von 1 cm* Querschnitt und 76 cm Höhe ist, welches 1033 g beträgt. Wegen der Annäherung dieses Wertes an 1000 g oder ein Kilogramm wird für technische Zwecke die Atmosphäre auch als der Druck von einem Kilogramm auf ein Quadratcentimeter definiert; doch ist für wissenschaftliche Zwecke die oben gegebene absolute Definition unbedingt vorzuziehen. Will man abrunden, so geschieht dies viel besser dahin, dass man 75 statt 76 cm Quecksilbersäule als Druckeinheit einführt, da dieser Betrag sehr nahe gleich einer Million absoluter Einheiten unter mittleren Verhältnissen ist.

Das Gasgesetz pv=rrT ist als Naturgesetz von ganz anderer Be- sehaflTenheit; als die früher besprochenen stöchiometrischen Gesetze. Wäli- rend von jenen keine Ausnahme bekannt ist, kennt man umgekehrt kein Gas, dessen Verhalten durch die Formel genau dargestellt wird. Es liegt dies an dem verschiedenen Verhalten der Grössen, die in den beiden Oesetzen auftreten. Während wir keinen Vorgang kennen, der auf die Masse der beteiligten Stoflfe den geringsten Einfluss ausübte, sind umge- kehrt Druck und Temperatur nicht die einzigen Bedingungen, von denen die Raumerflillung eines Gases abhängt. Vielmehr übt die chemische Natur des Gases gleichfalls einen Einfluss aus, der zwar unter den ge- wöhnlichen Verhältnissen gering ist, dagegen um so mehr hervortritt je kleiner der Raum ist, der dem Gase zur Verfügung steht.

Daher ist die Formel pv:^rT nur ein Grenzgesetz, d. h. eine Formel, die das wirkliche Verhalten zwar in grossen Zügen darsteUt, aber doch immer gegen die Wirklichkeit einen Rest lässt. Dieser Rest wird um so kleiner, je geringer der Druck und je höher die Temperar tur wird; doch erreicht nie das Verhalten eines wirklichen Gases genau die Formel. Man nennt daher ein gedachtes Gas, das genau dieser Formel (und einigen anderen, die hier nicht erwähnt werden können)

Die allgemeinen Eigenschaften der Gase. 55

gehorchen würde, ein ideales Gas, und sagt, dass sich das Verhalten der wirklichen Gase dem eines idealen um so mehr nähert, je höher die Temperatur und je kleiner der Druck wird.

Die ersten Untersuchungen über diesen Gegenstand machte Despretz 1825, nachdem schon früher van Marum und~0er8ted einzelne hierhergehörige Beobachtungen mitgeteilt hatten. Er kam zu der Ansicht, dass solche Gase, welche dem Punkte, ^o sie in Flüssigkeiten übergehen, nahe sind, sich im allgemeinen stärker zusammendrücken lassen, als dem Boyleschen Gesetze entspricht

An der Luft konnten Arago und Dulong, welche 1829 mit grösseren Mitteln die Versuche aufnahmen, bis 27 Atmosphären keine Abweichung ent- decken. Andere Gase wurden nicht untersucht. Pouillet verglich Kohlen - dioxyd, Stickstoffoxydul, Methan und Äthylen mit Luft, und fand bei allen eine Abweichung in demselben Sinne, d. h. die Gase Hessen sich stärker zusammendrücken, als dem Boyleschen Gesetze entsprach. Die letzten bei- den Gase waren noch nicht in flüssigem Zustande bekannt. Sehr umfassende Versuche rühren von Regnault her. Aus ihnen ergab sich, dass überhaupt kein Gas dem Boyleschen Gesetze genau folgt. Ausser der bereits bekannten Abweichung der zu grossen Zusammendrückbarkeit zeigte sich beim Wasser- stoffe das entgegengesetzte Verhalten, es ist nach Hegnaults Ausdruck ein „gaz plus que parfait^^

Indessen erwies es sich bald, dass dieses Verhalten, so unerwartet es anfangs war, sämtlichen Gasen zukommt, wenn sie sehr starken Drucken ausgesetzt werden, vorausgesetzt, dass sie sich bei diesen Drucken nicht ver- flüssigen. Natterer (1850) fand diese Thatsache bei seinen vergeblichen Versuchen, die sogenannten permanenten Gase, Sauerstoff, Wasserstoff und Luft, zu verflüssigen, auf.

Die von Regnault beobachtete Abweichung beim Wasserstoff ist also keine besondere Eigentümlichkeit dieses Gases, sondern kommt allen Gasen, nur bei verschiedenen Drucken zu.

So interessant auch Natterers Ergebnisse waren, und so sehr sie zu weiteren Forschungen einluden, dauerte es doch fast zwanzig Jahre, bis ein- gehendere Versuche über diesen Gegenstand begonnen wurden. Erst 1870 nahm Cailletet und gleichzeitig Amagat derartige Untersuchungen auf. Insbe- sondere der letztere hat die Frage ungemein gefördert.

Die nachstehenden Figuren (S. 56 und 58) geben das Verhalten einiger Gase unter starkem Druck anschaulich wieder. Nach oben sind die Werte der Produkte pv eingetragen, nach rechts die Drucke p. Wenn die Gase genau dem Boyleschen Gesetze folgten, so wäre das Produkt pv konstant und die zugehörige Kurve wäre eine Gerade, die parallel der horizontalen Axe verliefe. Wie man sieht, entspricht kein Gas diesem einfachen Fall. Die meisten Gase zeigen bei geringeren Drucken eine Abnahme des Produkts, sie lassen sich also stärker zu- sammendrücken. Bei höheren Drucken dagegen wird das Produkt pv ausnahmslos grösser, und alle Gase verhalten sich wie der Wasserstoff.

56

II. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.

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Fig. 4. Stickstoff.

Die allgemeinen Eigenschaften der Gase. 57

Eine wichtige Eigentümlichkeit, die sich bei allen Gasen wieder- findet, die nnter hohen Drucken untersucht worden sind, ist die, dass über einen bestimmten Dnick hinaus die pv- Linien wieder gerade werden. Das Verhalten, welches der Wasserstoff bereits bei niedrigen Drucken zeigt, tritt also bei allen Gasen ein, wenn man den Druck nur hoch genug nimmt. Dies führt zu dem folgenden Schlüsse.

Der geradlinige Verlauf der p v-Iinie bei veränderlichem Drucke p, wie er in flg. 2 bis 4 an der rechten Seite aUer Linien erscheint, bedeutet, dass dort der Wert pv proportional dem Drucke zunimmt, also einer Formel von der Gestalt pv=a + bp folgt. Formt man die Gleichung etwas um, so ergiebt sich p (v b) = a.

Vergleicht man dies mit der gewöhnlichen Gasgleichung, die für konstante Temperatur die Form pv = a hat, so sieht man, dass stark zu- sammengedrückte Gase sich von denen unter schwachem Drucke nur in- sofern verschieden verhalten, als bei ihnen nicht das ganze Volum dem Drucke umgekehrt proportional ist, sondern das Volum nach Abzug einer vom Druck unabhängigen Grösse b. Es verhalten sich mit anderen Worten die Gase so, als beständen sie aus einem Teil b, der nicht znsammendrückbar ist, und einem anderen Teil v b, der dem einfachen Gasgesetze bis in die höchsten Drucke folgt

Es ist dadurch kein Gegensatz zu den Gasen unter geringem Drucke in dem Sinne gegeben, als wäre bei diesen das „incompressible Volum" nicht vorhanden. Es beträgt in diesem Falle nur einen so kleinen Anteil des ganzen Volums, dass er für die Messung nicht in Be- tracht kommt. Im FaUe des Wasserstoffs z. B. ist der incompressible Anteil in dem bei und unter Atmosphärendruck befindlichen Gase nur 0-0006, erreicht also erst bei 16 Atmesphären Druck ein hundert- stel von dem Volum des Gases. Bei anderen Gasen ist dieser AnteU etwas grosser, bleibt aber immer von derselben Ordnung.

Die Thatsache, dass die Gase bei mittleren Drucken sich anders ver- halten, als bei hohen, legt die Vermutung nahe, dass ausser dem eben ge- schilderten Einflüsse' noch ein anderer vorhanden ist, welcher seine Wirkung auf das Volum äussert. Diesen zweiten umstand hat man mit Erfolg in der Dichte gesucht, vermöge deren Wirkungen eintreten, die bei stärkerer Ent- wickelung zu der Entstehung einer Flüssigkeit aus dem Gase führen. Die genauere Betrachtung dieser Verhältnisse wird an späterer Stelle vorgenommen werden.

Über das Verhalten der Gase bei sehr kleinen Drucken haben die da- hin gerichteten Experimentaluntersuchungen keine übereinstimmenden Ergeb- nisse geliefert. Doch scheint es wahrscheinlich, dass die gewöhnliche An- schauung, nach welcher sich alle Gase bei abnehmenden Drucken zunächst mehr und mehr dem idealen Gaszustande, d. h. der strengen Gültigkeit des Boyleecben Gesetzes nähern, zwar richtig ist, dass aber bei sehr kleinen Drucken neue Verhältnisse eintreten, die wieder eine Abweichung von den einfachen Gesetzen bedingen.

IL Stöchiometrie gsBronniger Stoffe.

Die Abweichungen der Gase von den ein&cben Gesetzen finden nicht bei den wechselnden Drucken, Bondem auch bei wechselnden Tempera- 1 statt. Zunächst vax allerdings schon der Ausdehnungskoeffizieat aelbst

Fig. 5. Kohlendiosyd.

sowohl von Gay - Lussac wie von Dalton nicht unerheblich zu gro»s stintnit worden. Nach der Zurechtsteliung dea Wertes durch Hudberg unter- suchte Magnus mehrere Gase und fand merkliche Verschiedenheiten. Wie anderen Falle sind die Abweichungen am grOsaten bei den dichtesten Gase) i sich die Koeffizienten solcher Gase grösser, als die dm

Dichte und Volum der Gase. 59

nonnalen Gase. Diese Abweichungen wirken gleichzeitig in solchem Sinne, dass die Abweichungen vom Boyleschen Gesetze um so geringer werden, je höher die Temperatur steigt. \ Gestattet man dem Gase nicht, sich auszudehnen, so nimmt sein Druck

I zu. Das Mass dieser Druckzunahme, der Druckkoeffizient, ist gleichfalls nur I im idealen Grenzfalle konstant, und zeigt bei verschiedenen Gasen Abweich- ungen von der Grössenordnung derjenigen, welche bei Ausdehnungskoeffizienten I vorkommen. Doch gelten diese Regeln nur für massige Drucke; bei hohen I drucken können die Ausdehnungs-, wie die Druckkoeffizienten sowohl grösser wie auch kleiner sein, als die normalen Werte. Die hier eintretenden Ver- hältnisse lassen sich aus den Figuren 3 5 durch naheliegende Betrachtungen und Konstruktionen ableiten, doch muss diese Hindeutung genügen. \ Es wurde schon hervorgehoben, dass die Abweichungen von den Gas-

^gesetzen am grössten bei solchen Gasen sind, welche ihrem Verflüssigungs- punkt am nächsten stehen. Ganz verschieden von diesen Abweichungen, die von der Dichte des Gases abhängen und sich bei nicht allzu hohen Drucken innerhalb massiger Grenzen bewegen, sind die Abweichungen, die sich bei gewissen Gasen, von denen Stickstoffhyperoxyd das beste Beispiel ist, zeigen. Diese sind viel grösser, und haben das Besondere, dass sie auf bestimmte mittlere Druck- und Temperaturgebiete eingeschränkt sind. Die Erklärung dieser Erscheinungen wird in der Veränderlichkeit der Konstante r gesucht, die mit dem Umstände verbunden ist, dass auch die anderen Eigenschaften des Gases (z. B. seine Farbe) erhebliche Änderungen erfahren. Es sind mit anderen Worten Gase, die umkehrbare chemische Änderungen erleiden. Deshalb kann ihr Verhalten erst an späterer Stelle eingehender betrachtet ! werden.

Zweites Kapitel. Dichte und Volum der Gase.

Die Dichte eines Stoffes ist das Verhältnis seiner Masse zu dem Baume, den er einnimmt. Da die Masse zahlenmässig durch das Ge- widit des Körpera in Grammen dargestellt wird, und die Kaumeinheit Wasser, ein Kubikcentimeter, 1 g wiegt, so kann die Dichte auch durch das Verhältnis der Gewichte gleicher Käume des Stoffes und reinen •Wassers von 4^ gemessen werden.

Für Gase ffthrt diese Bestimmung zu einiger Unbequemlichkeit. Einmal erhält man sehr kleine Zahlen, da die Gase einige hundert- bis tausendmal leichter sind, als gleiche Räume Wasser, andererseits aber fct das Gewicht der Raumeinheit eines Gases im höchsten Masse von Temperatur und Dinick abhängig. Man pflegt daher die Dichte in diesem Sinne nur für den „Normalzustand" der Gase bei 0^ und einer Atmo- sphäre Druck zu bestimmen.

60 n. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.

Für diesen Zustand ist die Dichte der atmosphärischen Luft von mittlerer Zusammensetzung gleich 0-010293. Es wiegt also ein Liter Luft nur etwas mehr als ^j^^ g.

Für wissenschaftliche Zwecke ist der Begriff „Luft" zu unbestimml^ da dies Gemisch keine konstante Zusammensetzung hat. Hier dient als Norm am besten der Sauerstoff, der ja auch als Norm der Verbindungsge- wichte dient. Die Dichte des Sauerstoffs ist 00014290.

Der reziproke Wert der Dichte ist das spezifische Volum, oder das Volum eines Gramms. Es beträgt beim Sauerstoff 699«80 ccm, also fast genau 700 ccm.

Bei anderen Temperaturen und Drucken (in cm Quecksilber) beträgt das Gewicht von einem Cubikcentimeter Sauerstoff:

G = 00014290 p/76 (1 + at)

und das Volum von einem Gramm Sauerstoff:

V = 699-80X76 (1 + at)/p.

Um nun die UnbequemUchkeit, die in der Veränderlichkeit der Dichte der Gase liegt, zu umgehen, ist es Gewohnheit geworden, statt der absoluten Dichte das Verhältnis anzugeben, in weldiem das Gewicht des fraglichen Gases zu dem eines Normalgases steht, wenn beide gleichen Druck und gleiche Temperatur haben. Denn da diese beiden Faktoren auf alle Gase einen gleichen Einfluss ausüben, so ist eine solche VerhäJtniszahl von dem Werte des Druckes und der Temperatur unab- hängig.

Als solches Normalgas hat früher die Luft gedient, doch ist sie aus den bereits angegebenen Gründen hierfür nicht geeignet. Auch hier hat der Sauerstoff einzutreten, und demgemäss ist die relative Dichte eines Gases das Verhältnfs, in welchem sein Gewicht zu dem eines gleidhen Volums Sauerstoff unter gleichem Drucke und bei gleicher Tempera- tur steht.

Aus Gründen, die alsbald zur Besprechung gelangen sollen, wird als Normalgas in diesem Sinne nicht der Sauerstoff unmittelbar benutzt, sondern man denkt sich ein Gas, dessen Dichte 32 mal so klein ist, als die des Sauerstoffs. Das Gewicht von einem Kubikcentimeter des Normalgases ist demnach 32 mal so klein, als des Sauerstoffs, und be- trägt 0-00004463 p/ 76 (1 + at). Dadurch wird die relative Dichte des Sauerstoffe selbst gleich 32, und die der anderen Gase werden 32 mal so gross, als die auf Sauerstoff als Einheit bezogenen relativen Diditea. Da die Dichten von Luft und Sauerstoff im Verhältnis 0001293/0001429 stehen, so sind die auf jenes Normalgas bezogenen Dichten um 32 X 0.001293/0-001429 = 28-98 mal so gross als die auf Luft als Einheit bezogenen relativen Dichten. Da die Zahlen der letzteren Art noch. häufig in d^ Litteratur vorkommen, so ist es wichtig, diesen Faktar 28-98 zu kennen.

Die auf jenes Normalgas bezogenen Dichten nennt man auf Grund

Dichte und Volum der Gase. 5X

einer bestimmten hypothetischen Anschauung die Molekulargewichte der betreffenden Gase Wegen des Nachteiles^ der immer damit ver- bunden isty dass man eine von allen Hypothesen unabhängige empirisdie Grösse mit einem der Hypothese entnommenen Namen bezeichnet^ soll dieser wenigstens vorläufig nicht benutzt werden; wir wollen vielmehr die auf unser gedachtes Normalgas bezogenen Dichten oder Volumge- widite Nor mal gewichte nennen. Später, nachdem die vorliegenden Verhältnisse unabhängig von entbehrlichen Zuthaten dargelegt sein werden, kann mit der Mitteilung der hypothetischen Veranschaulichung auch der entsprechende Name Molekulargewicht in Gebrauch genommen werden.

Die Kenntnis der Molekular- oder Normalgewichte verschiedener Gase hat für den Chemiker ein besonderes Interesse, und es sind daher ver- schiedene Methoden ersonnen worden, um sie zu erlangen. Die Methoden kommen immer darauf hinaus, dass man für eine gegebene Gasmasse sowohl das Gewicht, wie das Volum bei bestimmter Temperatur und be- stimmtem Druck ermittelt Berechnet man dann, wieviel ein gleiches Volum des Normalgases unter gleichen Umständen wiegt, so ist das Ver- hältnis beider Gewichte das gesuchte Normalgewicht. Ist W das Gewicht des zu untersuchenden Gases bei dem Volum V, dem Druck P und der Temperatur t, so ist das Gewicht g des gleichen Volums des Normal- gases:

PV

g = 0-00004463 : r

^ - 76(1 + 000367t)

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und das gesuchte Normalgewicht m = erhält den Wert

W.76 (1+ 000367t) ^WT

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wo T=273 + t ist.

Diese Gleichung gilt fär sämtliche Methoden der Gasdichtebestimmungen; ihre Anwendung setzt voraus, dass man die Drucke in Centimetem Quecksilber, die Volume in Kubikcentimetem, die Gewichte in Grammen und die Temperaturen in Celsiusgraden +273 misst. Die verschiedenen Bestimniungsmethoden gehen nur insofern auseinander, als man ver- sdiiedene Wege einschlägt, um zur Kenntnis dieser vier erforderlichen Zahlen zu gelangen.

Handelt es sidi um möglichst genaue Bestimmungen an Gasen, die man bei niederen Temperaturen untersuchen kann, so benutzt man zwei möglichst gleiche Glaskolben von passender Grösse, die durch Hähne versehliessbar sind, und die man durch Zusätze so abgleicht, dass sowohl ihr Gewicht, wie ihr äusseres Volum gleich werden. Der eine von beiden Kolben wird verschlossen (am besten in leerem Zustande) und dient als Gegengewicht fiir den andern, den man abwechselnd in leerem Zustande und mit den zu unterauehenden Gasen gefüllt, wägt. Die Not- wendigkeit eines. an äusserem Umfange gleichen Gegengewichtes wird da-

62 II- StÖchiometrie gasförmiger Stoffe.

durch bedingt, dass der Auftrieb, welchen die Gasbehälter durch die Luft, in welcher sie gewogen werden, erfahren, ungefähr ebensoviel be- ti'ägt, als im allgemeinen das Gasgewicht selbst, und dass dieser Auftrieb mit dem Zustande der Luft veränderlich ist Treffen aber, wie bei der beschriebenenen Anordnung, diese Veränderungen beide Seiten der Wage gleichförmig, so haben sie auf das Ergebnis der Wägung keinen Ein- fluss mehr. Bei den Wägungen des Versuchskolbens in luftleerem und gaserfülltem Zustande ist infolge der im ersten Falle auftretenden Zu- sammendrückung durch den äusseren Luftdruck das Volum und daher auch der Auftrieb etwas kleiner, ein Umstand, auf welchen bei sehr ge- nauen Messungen Rücksicht genommen werden muss.

Die bei solchen Versuchen auftretenden Schwierigkeiten liegen in der Notwendigkeit, den grossen Luftbehälter überaus genau zu wägen; die Be- stimmungen von Druck, Volum und Temperatur lassen sich viel leichter ge- nau ausführen. Deshalb kann man häufig bequemer und daher genauer zum Ziele kommen, wenn man das Gas nicht als solches wägt, sondern in festem oder flüssigem Zustande. Dies setzt keineswegs voraus, dass das Gas als solches in diesen Zustand bequem übergeführt werden kann, sondern man kann das Verfahren überall anwenden, wo man das Gas aus festen oder flüssigen chemischen Verbindungen erzeugen oder es in solche überführen kann, um z. B. die Dichte des Sauerstoffs zu finden, wog Buff eine mit Kaliurachlorat gefüllte Retorte, entwickelte aus derselben Sauerstoff, dessen Volum, Druck und Temperatur er mass, und wog die Retorte zurück. Der unterschied beider Gewichte ist das Gewicht des gemessenen Sauerstoffs, umgekehrt leitete Marchand die noch unbekannte Menge Sauerstoff, deren Volum, Druck und Temperatur er gemessen hatte, mit Hülfe eines indifferen- ten Gases (Kohlendioxyd) übergewogenes glühendes Kupfer, welches sich mit dem Sauerstoff vollständig zu Kupferoxyd verband, und erhielt durch dessen Gewichtszunahme das gesuchte Gewicht des Sauerstoffs. Man sieht leicht ein, wie man diese Methoden auf andere Fälle anwenden kann.

In Fällen, wo es auf geringere Genauigkeit ankommt, oder wo nur geringe Gasmengen zu Gebote stehen, wird der Massstab der Versuche erheblich verkleinert. Besonders häufig kommt der Chemiker in die Lage, das Normalgewicht von solchen Gasen, welche bei gewöhnlicher Temperatur feste oder flüssige Köi-per sind, oder von Dämpfen zu be- stimmen. Hierzu dienen kleinere Kolben von 200 bis 500 ccm Inhalt, in welche man etwas von dem Körper hineinbringt. Indem man als- dann den Kolben einer Temperatur aussetzt, welche erheblich (mindestens 80" bis 50®) über dem Siedepunkt des Stoffes liegt, und dadurch eine schnelle Dampfentwickelung hervorbringt, treibt man die im Kolben ent- haltene Luft durch den Dampf aus. Hat das Ausströmen aus dem (möghchst schmalen) Kolbenhalse aufgehört, so schmilzt man ihn zu und bemerkt die Temperatur und den Barometeratand. Das Gewicht wu'd durch den Unterschied bei der Wägung des leeren und des dampfer- füllten Kolbens gefunden (wobei auf den Aufhieb Rücksicht zu nehmen

Dichte und Volum der Gase. 6^

ist), und das Volum ermittelt man, indem man den Kolben leer und mit Wasser von 4" geMt wägt; der Gewichtsunterschied in Grammen ist gleich dem Inhalt in Kubikcentimetem. Doch darf nicht vergessen werden, dass bei der Beobachtungstemperatur der Kolben ein etwas grosseres Volum hatte, weil er durch die Wärme ausgedehnt war; die Zunahme beträgt bei Glas etwa 0-00003 fiir jeden Grad, ist also nicht erheblich. (Dumas.)

Man kann die Wägung des Kolbens vor und nach dem Versuche sich ersparen, wenn man das Gewicht des Dampfinhaltes auf irgend einem anderen Wege bestimmt. Handelt es sich z. B. um die Dichte des Joddampfes, so braucht man nur nach dem Versuche den Kolben mit Jodkaliumlösung auszuspülen und die Lösung mit Natriumthiosulfat zu titrieren, um zu sehr genauen Bestimmungen zu gelangen. Derartige Hilfsmittel sind indessen bisher fast gai* nicht benutzt worden.

Bei sehr hohen Temperaturen, wo Glas nicht mehr ausreicht, dienen

Kolben von Porzellan, die mittelst des Knallgasgebläses verschlossen werden.

Da unter solchen umständen die Bestimmung der Temperatur schwierig ist, 1 80 erspart man sie sich, indem man einen Parallelversuch unter gleichen üm- I ständen mit Luft macht, und deren Gewicht bestimmt, was allerdings zweck- i massiger durch Messung als durch Wägung geschieht. Zieht man eine Wägung

Tor, so benutzt man statt der Luft ein schweres Gas, dessen Dichte bekannt [ ist, um die Wägungsfehler unschädlicher zu machen (Deville und Troost).

Der früher hierzu benutzte Joddampf ist nicht geeignet, weil seine Dichte

bei höherer Temperatur nicht konstant ist.

Gewissermassen die Umkehrung des von Dumas herrührenden Ver- fahrens bildet die Methode von Gay-Lussac, bei welcher nicht die Menge des Dampfes bestimmt wird, welcher ein gegebenes Volum erfüllt, son- dern das Volum, welches von einer gegebenen Menge des Dampfes ein- I genommen wird. Die Ausführung der Methode setzt voraus, dass man j den fraglichen Stoff als festen oder flüssigen Körper wägen kann.

' Bei der Ausführung wird eine derart gewogene Menge in eine oben geschlossene und in Kubikcentimeter geteilte Röhre von Glas gebracht, welche mit Quecksilber gefüllt ist und in einer Quecksilberwanne steht.

' Die Röhre muss von einer Vorrichtung umgeben sein, welche gestattet,

lihr eine gleichförmige und genau bestimmbare Temperatur zu geben. Der hineingebrachte Stoff verwandelt sich in Dampf, welcher Quecksilber

i verdrängt und dessen Volmn man an der Teilung ablesen kann. Bei diesem Verfahren ist zu berücksichtigen, dass der Druck, unter dem das Gas steht, gleich dem Barometerstand minus der in der Röhre verbleiben- den Queckffllbersäule ist; auch muss die Höhe der letzteren nach dem Ausdehnungskoeffizienten des QuecksUbers (0-000182) auf reduziert werden.

Eine Abänderung dieser Methode unter Anwendung längerer Röhren

\ und eines Dampfmantels zur Erwärmung, welche von Hofmajin ange-

g4 II. Stdchiometrie gasfSnniger Stoffe.

^ben worden ist, ist eine ganz wesentliche Verbeeserung der in ihrer ursprünglichen Form etwas unbequemen Methode.

Der gleichen Gruppe angehörig ist ein glei<^fallB sehr bequemes Verfahren, welches von V. Meyer herrührt (Fig. 6). Es besteht darin, dasa man zunächst ein cylindriaches Gefäas mit langem Halse auf eine passende gleichförmige Tem- * peratur erhitzt. Der obere

Td] des Gelasses wird mit einem in Kubilicentinieter ge- teilten Messrohre in Verbin- dung gesetzt und alsdann lässt man in den unteren Teil eine gewogene Menge des KU vergasenden Stoffes feilen Indem er Gasgestalt annimmt, verdrängt er ein gleiches Volum der Luft, wel- die das Geftisa erfüllte; diese tritt in die Messröhre über, und aus den Ablesungen an dieser kann das entsprechende Gewicht des Normalgases in bekannter Weise bestimmt werden. Das Verfahren hat den grossen Vorteil, dass es * bei allen Temperaturen, für Fig. 6. welche man hfütbare G«fasse

hersteilen kann, Anwendung findet, und dass man die Temperatur des Dampfraumes nicht zu kennen braucht; letztere muss nur während des Versuches kon- stant sein.

Um, was für bestimmte Fragen von Wichtigkeit ist, die Temperatur des Dampfraumes kennen zu lernen, verdrängt V. Meyer die Luft daraus durch Clilorwasaerstoffgaa, und fangt Kie über Wasser auf, welches das Chlorwasser- Btoffgas aufnimmt. Ist v' das Volum der ausgetriebenen Lufl bei der Zimmer- temperatur T', und T das Volum des DampiraHmes, so ergiebt sich seine Tem- peratur T nach dem Gesetz von Gay-Lussac aus der Proportion v' : V T' : T

Andere Verfahren, welche in besonderen Fällen zu benutzen sind, hat mau mannigfach erftinden und beschrieben, doch sind sie nicht in allgemeineren Gebrauch gekommen und künnen daher hier übergangen werden.

Das Gesetz von Gay-Lussac und die Hypothese von Ayogadro. 65

Drittes Kapitel. Dm Gresets von Qay-Iiussao und die Hypothese von Avogadro.

Bd Versuchen über das Raumverhältnis, in welchem sich Sauerstoff und Wasserstoff zu Wasser verbinden, hat man schon am Ende des vorigen Jahrhunderts erkannt, dass es ungefähr 1:2 ist. Dass es, soweit die damaligen Hilfsmittel es zu bestimmen gestatteten, genau diesen einfachen Wert hat, ist indessen erst 1805 von Gay-Lussac und Hum- boldt ausgesprochen worden. Drei Jahre später stellte Gay-Lussac in einer sehr berühmt gewordenen Abhandlung fest, dass diesem Verhalten ein für alle Gase gültiges Gesetz zu Grunde liegt, welches lautet: Wenn gasförmige Stoffe sich chemisch verbinden, so stehen ihre Volume in einfachen rationalen Verhältnissen; entsteht dabei wieder ein gasförmiger Stoff, so steht auch sein Volum in rationalem Verhältnis zu dem Volum der ursprünglichen Gase. Vorausgesetzt ist dabei natürlich, dass alle Volumbestimmungen bei gleichem Druck und gleicher Temperatur erfolgen.

Dies Gesetz gestattet offenbar, die Dichten gasförmiger Verbindungen aus denen der Elemente zu berechnen, wenn man die Volumverhältnisse bei ihrer Bildung kennt. So geben 2 Volume Wasserstoff und 1 Volum Sauer- stoff 2 Volume Wasserdampf. Nun ist die Dichte des Wasserstoffs in der S. 61 angegebenen Einheit 2*02, die des Sauerstoffs ist 32-00. Wir haben nun folgende Rechnung:

2 Vol. Wasserstoff wiegen 2 x 2-02 « 4-04

1 Vol. Sauerstoff wiegt 32-00

Die entstehenden 2 Vol. Wasserdampf wiegen 36*04

folglich: 1 Vol. Wasserdampf wiegt 18-02

Die Beobachtung giebt 18-05, fast also eine identische Zahl.

Überlegt man nun, dass die Gase sich dem Gewichte nach im Verhältnis ihrer Verbindungsgewichte oder deren Multiplen, dem Volum nach aber zu gleichen oder multiplen Volumen verbinden, so folgt, dass die Gewichte gleicher Volume der Gase sich wie ihre Ver- bindungsgewichte oder der Multiplen verhalten müssen.

Es liegt daher der Gedanke nahe, die Verbindungsgewichte so zu wählen, dass die rationalen Faktoren derselben mit denen der Volume bei chemischen Verbindungen übereinstimmend werden. Dann verhalten fiidi die Dichten der verschiedenen Gase wie ihre Verbindungsgewichte.

Indessen zeigt sich dieser einfachen Annahme gegenüber eine Schwierigkeit, welche sie undurchführbar macht. Wenn Chlor und Wasser- stoff sich zu Chlorwasserstoff verbinden, so bleibt das Volum unver- ändert, d. h. ein Liter Chlor und ein Liter Wasserstoff geben zwei Liter Chlorwasserstoff. Nehmen wir solche Volume der beiden gasförmigen Elemente, dass jedes ein Verbindungsgewicht enthält, so wäre in den entstandenen zwei Volumen Chlorwasseratoff doch auch nur ein Ver-

Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 5

66 . .II. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.

bindungsgewicht Chlorwass^^toff enthalten, d. h. in dem gleichen Volum nur ein halbes Verbindungsgewicht. Dies widerspricht aber der Begrifis- bestimmung, xlass das V^rbindungsgewicht eines zusammengesetzten Stoffes gleich der Summe der Verbindungsgewichte seiner Elemente sein soU.

Bei Wasser ist eine ähnliche Schwierigkeit vorhanden. Es treten zwei Volume Wasserstoff mit einem Volum Sauerstoff zu zwei Volumen. Wasserdampf zusammen. Dies wäre im Sinne der versuchten Auffassung so zu deuten, dass ein Verbindungsgewicht Sauerstoff mit zwei. Wasser- stoff Wasser bildet; da dies aber den doppelten Raum des Sauerstoffs einnimmt, so wäre in dem einfachen Räume nur ein halbes Verbindungs- gewicht Wasser enthalten, wieder im Widerspruch mit dem allgemeinen Satze über das Verbindungsgewicht der zusammengesetzten Stoffe.

Noch schlimmmer ist der Fall des Phosphomvasserstofis. Hier ver- bindet sich ein Volum Phosphordampf mit sechs Volumen Wasserstoff, und es entstehen vier Volume Phosphorwasseratoff. Hier mtisste also das Verbindungsgewicht des Phosphorwasseratoffs nur ein Viertel von der Summe der Bestandteile sein.

Wir kommen somit zu dem Schlüsse, dass eine einfache Proportio- nalität zwischen Gasdidite und Verbindungsgewicht nicht durchführbar ist; man musa vielmehr zwischen beiden noch Faktoren annehmen, die von Fall zu Fall verschieden sein können, und von denen man nm* auf Grund des Gesetzes von Gay-Lussac sagen kann, dass sie rationale Zahlen sein müssen.

Man kann nun sich die Aufgabe stellen, die kleinsten Werte ganzer rationaler Faktoren aufzusuchen, welche eine widerspruchsfreie Dar- stellung des Zusammenhanges gestatten. Benutzen wir den Namen N 0 r m a 1 g e w i c h t f ür die auf das hypothetische Normalgas bezogene Dichte (S 6), so lautet die Frage: wieviel Verbindungsgewichte sind in eineni Normalgewicht anzunehmen, damit immer das Normalgewicht der Ver- bindung mindestens gleich der Summe der Verbindungsge^ichte der Elemente ist?

Im Falle des Chlorwasserstoffs genügt offenbar die Annahme, dass ein Normalgewicht Chlor und Wasserstoff je zwei Verbindungsgewichte enthält, und dass beim Chlorwasserstoff Normal- und Verbindungsgewicht gleich sind. Eine ähnliche Annahme führt beim Wasser zum Ziel. Beim Phosphorwassei^stoff muss dagegen die Annahme gemacht werden, dass der Phosphordampf vier Verbindungsgewichte in einem Normalgewicht enthält, damit in jedem der entstehenden vier Volume Phosphorwaaser- stoff ein Verbindungsgewicht Phosphor enthalten ist. Allgemein wii*d man, wenn aus einem Volum eines Bestandteils n Volume der Ver- bindung entstehen, in einem Normalgewicht des ersteren n Verbindungs- gewichte anzunehmen haben.

Schreibt man die chemischen Formeln so, dass sie je ein Normal- gewicht darstellen, oder dass die durch die Formel ausgedrückten Mengen

Das Gesetz von Gay-Lussac und die Hypothese von Avogadro. $7

den Gafidichten proportional sind, so werden die eben geschilderten Ver- hältnisse sehr übersichtlich. Wir haben die Reaktionen:

+ Cl« =2 HCl 2H« + =2H«0 P* + 6H« = 4PH».

Betrachtet man im Lichte dieser Gleichungen alle chemischen Re* aktionen, bei denen sich Stoffe beteiligen, die in Gas- oder Dampfform bekannt sind, so ergiebt sich, dass bei den Elementen Sauerstoff, Stick- stoff, Wasserstoff, Chlor, Brom, Jod die Annahme ausreicht, es seien in einem Normalge wicht je zwei Verbindungsgewichte enthalten; es ist keine Verbindung bekannt, die in einem Normalgewicht weniger als ein halbes Normalgewicht dieser Elemente enthielte. Dies ist der Grund, aus welchem die Normalgewichte auf eine Einheit bezogen worden sind, welche für den Sauerstoff die Zahl .*52, entsprechend dem doppelten Verbindungsgewicht, ergiebt.

Bei den nicht zahlreichen metallischen Elementen, die in Dampf- gestalt bekannt sind, genügt sogar die Annahme, dass die Normal- und Verbindungsgewichte identisch sind. Phosphor und Arsen ver- langen dagegen die Annahme von vier Verbindungsgewichten in einem Normalgewicht. Schwefel und Selen schliessen sich den erstgenannten Elementen an, zeigen aber etwas verwickeitere Verhältnisse, die alsbald erörtert werden sollen.

Die nachstehende Tabelle lässt diese Verhältnisse übersehen.

Verbindungs

Normal-

VArhSli

gewicht

gewicht

T ciUali

1.

Säuerstoff

16

32

2

2.

Wasserstoff

1-01

2-02

2-00

3.

Stickstoff

14-04

28-11

2-01

4.

Chlor

35.45

70-9

200

5.

Brom

7996

159-9

2-00

6.

Jod

12686

253-0

2-00

7.

Schwefel

32-06

65

206

8.

Selen

791

160

2-03

9.

TeUur

1273

254

2-00

10.

Phosphor

310

129

402

11.

Arsen

750

304

4-05

12.

Quecksilber

200

202

1-01

13.

Cadmium

112

114

102

14.

Zink

654

68

1-04

15.

Kalium

39.1

37.7

0-97

16.

Natrium

231

255

111

Die Tabelle ergiebt zunächst eine Bestätigung des Gesetzes von Gay-Lussac, nach welchem Gasdichte und Verbindungsgewicht in ein- fachen Verhältnissen stehen. Die vorhandenen Abweichungen von den

5*

68

II. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.

ganzen Zahlen rühren daher^ dafis die untersuditen Dämpfe nicht immer den einfachen Gasgesetzen gehorchen; auch spielen namentlich bei den letztgenannten die sehr erheblichen Versuchsschwierigkeiten eine Rolle.

Während nun die Einführung der Normal- oder Molekulargewichte für die elementaren Stoffe keinen erheblichen Fortschritt bedeutet^ so tritt ein solcher alsbald hervor, wenn man die Verbindungen aus diesen Elementen untersucht Dann zeigt es sich nämlich, dass in Hast allen Fällen das Yerbindnngs- oder Formelgewicht mit dem Normalgewicht übereinstimmt Diese Überdnstimmung tritt in der nachstehenden Tabelle hervor.

Verbindungs- gewicht

Normalgewicht beobachtet

Waaser H«0

18^2

18-05

Ammoniak NH'

17-07

17-10

Stickoxydul N«0 Chlorwasserstoff HCl

44-08 36-46

44-25 36*52

Chlordioxyd CIO« Nitrosylchlorid NOCl Jodwasserstoff HJ

67-5

65-5

127-9

68-68 67-53 128-6

Schwefelwasserstoff H*S

34-0

34-48

Schwefeldioxyd SO* Schwefelchlorür S«CP

64-0 134-9

65-21 136-2

Selen Wasserstoff SeH*

81-1

81-16

Phosphorwaaserstoff PH*"^ Phosphortrichlorid PCI« Phosphoroxychlorid POCl* Phosphorsulfochlorid PSCl« Phosphorpentasulfid P*S* Arsen Wasserstoff AsH*

34.0 137-4 153-4 169-4 222-3

78-0

33-90 141-5 154-5 171-0 222-3

78-25

Arsentrioxyd As*0^ Arsentrichlorid AsCl*

396-0 181-4

399-4 182-6

Quecksilberchlorid HgCl* Queeksilberbromid H^Br* Quecksilberjodid HgJ^ Cadmiumbromid CdBr*

271-2 360-2 454-0 272-0

284-0 352-4 452-1 296-6

Die beiden Spalten unter Verbindungsgewicht und Normalgewicht stimmen wieder innerhalb der Fehlergrenzen überein, und zwar so, dass die Formeln die kleinste Zahl von Verbindungsgewichten der Elemente enthalten, die bei der gegebenen Zusammensetzung nur möglich ist*). Dies ist ab^ durch eine solche Wahl der Verbindungsgewichte erreicht worden, wie sie in der vorigen Tabelle zum Ausdrucke gebracht worden ist Die Beziehung auf die Gasdichten hat zu einer Wahl der Verbindungs-

*) Ausnahmen sind nur Arsentrioxyd und Schwefelchlorür.

Das Oesetz von Gay-Lussac und die Hypothese von Avogadro. 69

gewichte gefiihrt^ weldie eine sehr einfache und daher zweckmässige Dar- stellung der Toihandenen Verhältnisse ermöglicht.

Die bisher durchgeführten Betrachtungen lassen sich noch weiter ausdehnen. Offenbar kann die Gültigkeit des Gesetzes von Gay-Lussac nicht davon abhängen, ob unsere Experimentierkimst weit genug ent- wickelt ist, dass alle Elemente auf ihre Dampfdichte untersucht sind. Es giebt nun eine grosse Anzahl zusammengesetzter Stoffe^ die flüchtig sind^ deren Gasdichte und Normalgewicht man daher kennt, während sie Elemente enthalten, fär welche diese Grössen nicht bekannt sind. Auch auf solche Stoffe muss das Gesetz Anwendung finden, und es nimmt hier die Gestalt an, dass allgemein die Normalgewichte flüchtiger Verbindungen in emfachen rationalen Verhältnissen zu ihren Verbindungsgewiditen stehen müssen.

Nun hat es sich als ausführbar erwiesen, alle Yerbindungsgewichte der Elemente so zu wählen, dass einerseits die durch die Normalgewichte bestimmten Mengen der Verbindungen mit deren Verbmdungsgewichten identisch werden, und dass andererseits die so bestimmten Verbindungs- gewidite sich zur Darstellung der chemischen Umwandlungen und der systematisdien Beziehungen als die einfachsten und zweckmässigsten er* wiesen haben. Die entsprechenden chemischen Formeln sind entweder die einfachst möglichen, oder wenn sie es nicht sind, so liegen meist er- hebliche Gründe vor, welche die durch das Normalgewidit geforderten Formehl als die angemesseneren erscheinen lassen.

Die nachstehende Tabelle giebt einen Überblick über gas- und dampfförmige Verbindungen von Elementen, die für eich in solchem Zn- stande nicht bekannt sind.

Verbindungs-

Normalgewicht

gewicht

beobachtet

Metiian GH*

16-0

16-1

Kohlendioxyd CO«

44-0

44-3

Chlorsilicium SiCl*

170.2

172-2

Bortrichlorid BCF

117.4

117-5

Chloraluininium AlCl^

133.5

1391

Galliumchlorid GaCl^

1763

177-6

Indiumdiehlorid InCP

184-6

1866

Ghromoxychlorid GrO«Cl*

1550

160-8

Eisenchlorür FeCl«

126-9

125-2

Zinkchlorid ZnCl»

136-3

1336

Kupferchlorür Cu«Cl«

198-1

200-8

Bleichlorid PbCl"

277.8

2783

Wismuthchiorid BiCP

314-9

330-4

Thalliumchlorür HCl

239-6

255-1

Antimonchlorür SbCl^

226-7

226-0

Niobchlorid NbCl^

2715

278-3

Vanadinchlorid VdCl*

1931

1938

70 11. StÖchiometrie gasförmiger Stoflfe.

Verbindungs- gewicht

Normalgewicht beobachtet

360-3

373-9

2733

2742

3611

3681

381-3

385-5

1894

1933

260-:3

266-7

190

198-3

232-4

2362

1043

102.6

214-1

2156

579-7

5941

166-0

169*5

374-2

359-9

Tantalchlorid TaCl^

Molybdänchlorid MoCF

Wolframchlorid WOl«

Uranchlorür UCl*

Zinnchlortir SnCl«

Zinnchlorid SnCl* . Titanchlorid TiCl*

Zirkonchlorid ZrCl*

Germaniumsulflir GreS

Germaniumchlorid GeCl*

Germaniumjodid GeJ*

Kaliumjodid EJ

Thoriumchlorid ThOl* Die Übereinstimmung der beobachteten und berechneten Zahlen ist nach Beschafiißnheit der in jedem einzelnen Falle vorhandenen Versuchs- Schwierigkeiten genügend, und gleichzeitig sieht man, dass die Formeln der Verbindungen unter der Voraussetzung der Gleichheit von Nonnal- und Verbindungsgewicht wieder die einfachste Gestalt angenonunen haben, die möglich ist.

Verwickelte Formeln, bei denen aber die chemischen Verhältnisse die Abweichungen von der Einfachheit vollauf rechtfertigen, treten namentlich bei den organischen Verbindungen auf. In diesem Gebiete macht sich auch der systematische Wert diese;- Ausdrucksweise am meisten geltend, und so ist es gekommen, dass die Entwickelung der hier geschilderten Beziehungen in der organischen Chemie zuerst stattgefunden hat. Als der Forscher, welcher am nachdrücklichsten darauf hingewiesen hat, dass die Formulierung der che- mischen Verbindungen am zweckmässigsten nach Ableitung ihrer Gasdichten zu geschehen hat, muss Gh. Gerhardt (1844) genannt werden. Dass die ent- sprechende Wahl der Verbindungsgewichte der Elemente auch in den übrigen Ge- bieten der Chemie zu einfachen und angemessenen systematischen Formen führt, hat am überzeugendsten Cannizzaro (1858) nachgewiesen.

Wenn wir die Normal- oder Molekulargewichte der verschiedenen Stoffe bei chemischen Vorgängen in Rechnung bringen, so sind wir meist veranlasst, mit bestimmten Quantitäten zu arbeiten, und beziehen dem- gemäss diese ursprünglich relativ ermittelten Zahlen auf eine bestimmte Masseneinheit Da als solche das Gramm dient, so betragen diese Mengen demgemäss soviel Gramm, als das Normalgewicht E^inheiten hat Man nennt diese Mengen, welche die eigentiich messbaren Quanti- täten bei chemischen Betrachtungen darstellen, Mole; ein Mol Sauer- stoff ist demnach die Menge von 32 g Sauerstoff, und ein Mol Chlor- wasserstoff wird durch 36-45 g dargestellt. Auf diese Grössen werden fast alle Eigenschaften der Stoffe bezogen, mit denen wir uns später zu beschäftigen haben werden.

Das Gesetz von 6ay-Lussac und die Hypothese von Avogadro. 71

Aus der Angabe (S. 60) ^ dass 1 g Sauerstoff im Normalzustände den Raum von 699-80 com einnimmt, folgt, dass 32 g Sauerstoff bei 0" und 76 cm Druck den Kaum von 22394 ccm haben. Den gleichen Raum nimmt vermöge der Definition ein Mol jedes anderen Gases ein, das unter den gleichen Umständen gemessen wird. Bei dem Drucke p und der Temperatur ist der Raum, den ein Mol irgend eines Gases oder Dampfes einnimmt, durch den Ausdruck 22394X76X(l + «t)/p gegeben. Beziehen wir daher die allgemeine Gasgleichung auf je ein Mol der verschiedenen Gase, so wird in pv = rT der Faktor eine all- gemeine Konstante, die unabhängig von der Natur des Gases oder Dampfes ist. Der Wert dieser Konstanten ergiebt sich aus dem Aus- drucke dafar: r = PoVo/273 gleich 76X22394/273, wenn man den Druck in Centimetem Quecksilber misst. Misst man ihn in absolutem Masse, so ist statt des Faktors 76 der Wert 1013130 einzuführen, weldier in absolutem Masse den Druck einer Atmosphäre darstellt (S. 54), und damit wird die Konstante gleich 8-31 X 10^ im Masse Erg/Tem- peraturgrad. Man pflegt diesen Wert mit dem Buchstaben R zu bezeichnen, und die Gasgleichung erlangt dadurch die Gestalt, in welcher sie später immer verwendet werden wird. Sie bezieht sich in dieser Form stets auf ein Mol des betrachteten Stoffes, und R ist demgemäss immer 8-31 X 10'.

Mit Bezugnahme auf die frühere Bemerkung, dass pv eine Energie- grösse ist, folgt, dass die bei der Entstehung von einem Mol irgend eines Gases austretende Volumenergie gleich 8-31 X 10'' XT Erg ist, unab- hängig von der Natur des Gases, solange es nur den Gasgesetzen folgt.

ist für mancherlei Rechnungen bequem, den Wert von R auch in anderen Einheiten zu kennen. Von diesen wird am häufigsten der Wert in Gravitationseinheiten benutzt, wo als Einheit des Druckes ein Grammgewicht pro cm* dient. In dieser Einheit beträgt eine Atmosphäre 1033, und da- durch wird 22394x1033/273 = 84736. Wird andererseits das Volum in Litern, der Druck in Atmosphären gemessen, so ist R =- 22-394 x 1/273 = 008203.

Auch erleichtert es die Anschauung, wenn man bemerkt, dass im Sinne der massanalytischen Einheiten, wo eine Lösung normal genannt wird, die ein Gramm-Formelgewicht im Liter enthält, die Gase bei einer Atmosphäre Druck und bei eine 1/224 -normale, bei Zimmertemperatur eine V24" normale Konzentration haben.

Die geschichtliche Entwickelung der eben behandelten Gesetzmässig- keiten hat nicht in der unmittelbaren Weise stattgefunden, wie sie dar- gestellt worden ist, sondern unter Vermittelung einer hypothetischen An- schauung, welche sich an die Atomhypothese angeschlossen hat. Der erste Schluss, der in dieser Hinsicht aus dem Volumgesetz von Gay-Lussac gezogen wurde, war, dass in gleichen Volumen der verschiedenen Gase gleich viel Atome enthalten seien. Die Durchftlhrung dieser Annahme seheiterte an denselben Thatsachen, welche die Gleichsetzung der Nor- malgewichte mit den Verbindungsgewichten unmögUch machen.

72 n. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.

Zur Hebung der Schwierigkeit wurde von Avogadro (1811) und Ampere (1812) eine Erweiterung der Atomhypothese yorgenommen^ durdi weldie zwischen den kleinsten bei chemischen Vorgängen in Be- tracht kommenden Teilchen der Materie, den Atomen, und den klein- sten ftir sich bestehenden Teilchen, den Molekeln, untersdüeden wurde. Beide sollten nichts wie anfangs stillschweigend angenommen worden war, identisch sein, sondern die Molekeln können auch aus einer grösseren Zahl von Atomen bestehen. Ampere setzte diese Zahl aus krystallogra- phischen Gründen auf mindestens vier; Avogadro dagegen, der nur che- mische Gründe in Betradit zog, zeigte, dass man bei dein bekannten elementaren Gasen mit der Annahme von Molekehi, die nur aus zwei Atomen bestehen, ausreidit

Indem Avogadro nun die Forderung aufstellte, dass in gleichen Räumen der verschiedenen Gase bei gleichem Druck und gleicher Tem- peratur eine gleiche Anzahl von Molekeln anwesend sei, kam er zu dem Schlüsse, dass die relativen Gewichte der Molekeln den Gasdichten proportional sein müssten, und dass daher umgekehrt in der Bestimmung der Gasdichte ein Verfahren zur Messung des relativen Molekulargewichtes gegeben ist^ wie in der Bestimmung des Verbindungsgewichtes eines zur Messung der relativen Gewichte der Atome. Der Begriff des Normalge- wichtes, der oben rein erfahrungsmässig eingeführt worden -war, erlangt durch diese Betrachtung die hypothetische Bedeutung des Molekular- gewichtes, und der Nachweis, dass sich mit seiner Hilfe das Postulat durchMiren lässt^ das Verbindungsgewicht eines zusammengesetzten Stoffes als die Summe der Verbindungsgewichte seiner Bestandteile darzustellen, geht im Lichte dieser Betrachtung in den Nachweis über, dass die Molekeln der Verbindungen sich alsdann so darstellen lassen, dass sie immer je eine ganze Anzahl der vorhandenen Atome enthalten.

Beim Rückblick auf den Charakter der Beziehungen, welche zwischen der Raumerfällung und der diemischen Zusammensetzung gasförmiger Verbindungen bestehen, sehen wir, dass . dieselben ganz anderer Nator sind als die, welche sich bei den Massenverhältnissen chemischer Ver- bindungen gezeigt haben. Die letzteren sind, wie schon (S. 47) er- wähnt wurde, rein additiv, d. h. die Masse einer Verbindung ist die Summe der Massen ihrer Elemente. Bei der Raumerfüllung der Gase ist aber diese Eigenschaft in gewissem Sinne ganz unabhängig von der diemischen Zusammensetzung. Wenn ich z. B. ein bestimmtes Volum Wasserstoff nehme, und ich verwandle diesen in Wasser, so ändert sich das Volum dabei nicht. Das Wasser, H*0, kann idi mir durch Ver- bindung mit Äthylen, C*H*, in Alkohol, G*H^O, verwandelt denken: das Volum bleibt unverändert. Ich kann mir noch einmal Äthylen hin- zuaddieii; denken, so dass sich Butylalkohol, C^H^^O, bildet: das Volum bleibt wiederum dasselbe u. s. w. Derartige Eigenschaften, welche für bestimmte Stoffgruppen, unabhängig von deren chemischer Natur und unabhängig von der Anzahl der Elemente in diesen Komplexen, stets

]

Abnorme Dampfdichten. 73

denselben Wert behalten^ will ich fernerhin koUigative nennen^). Das Volum der gasförmigen Stoffe ist eine derartige koUigative Eigenschaft.

Ebenso ; wie wir uns das Yorhandensdn additiver Eigenschaften mittelst der Atomhypothese durch die Annahme erklärt hatten^ dass in den Verbindungen die Bestandteile ihrer Natur nach bestehen bleiben (S. 47), so erklären yhx uns das Vorhandensein koUigativer Eigenschaften durch, die Annahme von Molekeln, d. h. selbständigen Atomgruppen, welche gewisse Beziehungen nur durch ihre Anzahl, nicht aber durch ihre Natur und chemische Zusammensetzung bestimmen.

Ist man darüber ins Klare gekommen, dass die der Molekularhypothese zu Grunde liegenden Gesetzmässigkeiten und methodischen Vorteile sich rein erfahrungsmässig entwickeln lassen, so wird man sich der eingebürgerten Be- zeichnung Molekulargewicht femer bedienen können, ohne an die Hypothese gebunden zu sein. Für wissenschaftliche Zwecke bedeutet ein Molekularge- wicht eines Stoffes immer nur eine Menge, für die die Konstante B in der Gas- gleichung einen bestimmten, von der Natur des Gases unabhängigen Wert hat. Von einem Molekulargewicht darf daher zunächst nur gesprochen werden, wenn der betreffende Stoff im gas- und dampfförmigen Zustande vorliegt. An späterer Stelle wird gezeigt werden, dass es möglich ist, die Definition auch auf gelöste Stoffe auszudehnen. Wenn aber versucht wird, auch die Mole- kulargrosse flüssiger oder fester Stoffe, die keine Lösungen sind, anzugeben, 80 ist immer erst ein Nachweis erforderlich, ob und wie sich die Begriffsbe- stimmung auf die neuen Fälle übertragen lässt Das Vorhandensein koUi- gativer Eigenschaften lässt sich im allgemeinen als ein solches Kriterium ansehen, wie denn auch das Auftreten solcher Eigenschaften bei Gasen auf die Schaffung dieses Begriffes geführt hat.

Viertes Kapitel.

Abnorme Dampfdichten.

In den vorstehenden Auseinandersetzttngen ist nur von solchen Mes- sungen die Eede gewesen, welche sich dem durch den Begriff des Nor- mal- oder Molekulargewichtes gegebenen System einordnen lassen. Es ist indessen eine^ fireilich nicht grosse Anzahl von Stoffen entdeckt worden^ weldie Ausnahmen zu bilden schienen. Doch hat sich überall nach- weisen lassen^ dass diese Ausnahmen nur scheinbar waren^ so dass jene FSäey statt der Theorie zu widersprechen ^ sie schliesslich nur unterstützt haben.

*) Ich verdanke den Vorschlag zu dieser Bezeichnungsweise meinem verehrten Kollegen W. Wundt.

74 11- Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.

Eines der bekanntesten Beispiele tiefert das Chlorammoninm. Ge- mäss der Formel NH^Cl hat es das Formelgewicht 53-5 und sein Normalgewicht mfisste ebensoviel betragen; dies ist aber nur etwas mehr als halb so gross^ nämlich gleidi 29 gefunden worden. Die Erklärung dafür liegt darin, dass der Dampf des Salmiaks gar nicht aus dem Stoffe NH*C1 besteht, sondern zum grössten Teil in NH^ und HCl zerfallen ist. Dadurch ist das Volum verdoppelt, die Dichte aber auf die Hälfte herabgesetzt worden.

Der Nachweis, dass thatsächlich der Salmiakdampf em Gemenge von Ammoniak und Chlorwasserstoff ist, wurde zuerat von PebaJ (1862) geföhrt. Dieser zeigte, dass bei der Diffusion dieses Dampfes das leichtere Ammoniak viel schneller fortgeht, als der schwerere Clilorwasser- stoff, und dass man beide durch ihre Wirkung auf Lackmuspapier nach- weisen kann. Einzelne Einwände, welche gegen die Beweiskraft des Versuches eriioben wurden, sind alle in der Folge widerlegt worden. Auf dieselbe Weise, nämlich mittelst der Trennung durch Diffiision, ist späterhin fBr sehr viele andere Stoffe, welche „abnorme Dampfdichten" zeigten, die Anwesenheit der Zerfallprodukte nachgewiesen worden, so dass jeder Zweifel, dass derartige Spaltungen die zu kleinen Dampfdiditen überall bedingen, wo sie vorkommen, gehoben ist

In neuerer Zeit hat Baker (1894) auf anderem Wege eine Be- stätigung dieser Auffassung am Sahniakdampf erbracht, indem es ihm ge- lang, die Dichte des unzersetzten Dampfes zu bestimmen. Beim sorg- fältigen Ausschluss der Feuchtigkeit wird nämlich die Reaktion zwischen Ammoniak und Chlorwasserstoff (und zwar sowohl die Verbindung, wie die Trennung) so langsam, dass fester Salmiak vergast werden kann, ohne zu zer^len. Für solchen Dampf aus trockenem Salmiak wurde der normale Wert des Molekulargewichtes, 53 «5, in wiederholten Ver- suchen gefunden.

In einzelnen Fällen ist der Nachweis noch auf anderem Wege ge- lungen. Phosphorpentachlorid müsste wegen seiner Zusammensetzung das Molekulargewicht 208-3 zeigen; es zeigt aber nur kleinere Werte, die stark mit dem Druck und der Temperatur wechseln und bis 104 heruntergehen. Dass dieses von emer Spaltung in PCI* und Cl* her- rührt, kann an der Farbe des Dampfes erkannt werden. Der unzer- Betzte Dampf des Pentachlorids ist wenig oder gar nicht gefärbt, wäh- rend Chlorgas grün ist. Es erwies sich, dass der Pentachloriddampf gleichfalls grünlich war, und zwar um so stärker gefärbt, je geringer Beine Dichte gefunden wurde, entsprechend einer zunehmenden Abspal- tung freien Chlors.

Ebenso, wie an Verbindungen die Abweichungen vom gewöhnlichen Verhalten sich durch eine eintretende Spaltung in einfachere Bestand- teile unter entsprechender Vermehrung des Gasvolums haben— ^kl&?en lassen, können auch einige an den elementaren Stoffen beobaditete auf- fällige Erscheinungen gedeutet werden.

Abnorme Dampfdichten. 75

Von Dumas war die Dampfdichte des Schwefels bei etwa 500® gleich 384 gefunden worden, während nach den Analogien ftlr Schwefel- dampf die Dichte 64, der Formel S^ mit dem Molekulargewicht 64 ent- ^rechend, erwartet werden musste. Als aber später die Vereuche von Bineau und namentlich von Deville und Troost bei hohen Temperaturen wiederholt wurden, ergab sich, dass bei etwa 800® der normale Wert Ton 64 erreicht wurde, welcher weiterhin konstant bleibt Wh- haben ^r Ei'klärung dieser Erscheinung anzunehmen, dass der Schwefeldampf )bei 600® nach einer Formel S" zusammengesetzt ist (n>6), und dass äiese Form des Schwefeldampfes bei höherer Temperatur in die ein- fachere Form S* übergeht.

Bestimmungen des Molekulargewichtes von Schwefel, der in verschiedenen Losungsmitteln gelöst war, haben das grössere Molekulargewicht ergeben. Mdererseits zeigt sich die Dampf dichte des Schwefels schon unmittelbar über inem Siedepunkte stark mit der Temperatur veränderlich, so dass sich der ampf in diesem Gebiete bereits wie ein teilweise zersetzter Stoff verhält. s ist daher die Annahme am wahrscheinlichsten, dass im Schwefeldampfe bei lederen Temperaturen ein Gemenge der Verbindungen und S* in w^echseln- en Verhältnissen vorliegt. Dass es überhaupt eine Verbindung von der brmel S* giebt, wie auf Grund der Versuche von Dumas angenommen wird, ht aus den bisherigen Versuchen nicht hervor, und es sprechen keine Be- eise für ihr Vorhandensein.

Nodi auffälliger sind die von V. Meyer (1880) beobachteten Dichte- derungen am Joddampf. Bis etwa 500® hinauf hat die Dichte den ert 254 der Formel J* entsprechend. Steigert man aber die Tempe- ^tur, so nimmt der Wert mehr und mehi' ab, und man gelangt bei aehr hohen Temperaturen (bis 1500®) und vermindertem Druck bis zu iTerten um 140, welche annähernd der Formel J entsprechen (Grafts und Meier, 1881).

Ähnliche Erscheinungen wie am Jod sind auch am Brom und Chlor beobachtet worden, jedoch in geringerem Umfange.

Alle diese Thatsachen zeigen die Zweckmässigkeit der Bildung des Begriffes des Normal- oder Molekulargewichtes und seine Durchführbai'- keit auch verwickeiteren Erscheinungen gegenüber. Ebenso hat er sich ym der Thatsache erprobt, dass solche Dämpfe, bei denen Normal- und Terbindungsgewicht zusammenfallen, wie z. B. Quecksilber,, auch bis in LÄe höchfiten erreichbaren Temperaturen keine Änderung der Dampfdichte aufwiesen. Im Sinne der Molekularhypothese ist dies so aufzufassen, dass Molekeln, die nur je ein einzelnes Atom enüialten, nicht weiter zerfaUen können.

76 n. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.

Fünftes Kapitel. Die kineüsohe Theorie der Gase.

Die ungemein einfachen mechanischen Eigenschaften der 6aM weldie in ihrem übereinstimmenden Verhalten gegen Änderungen de Druckes und der Temperatur zu Tage treten, laden sehr zu Versudiei ein, sie durch eine anschauliche Konstruktion abzuleiten. Solche Vei suche lassen sich weit zurückverfolgen; sdion D. Bemoulli hat 1731 eine mit der gegenwärtig gebräuchlichen übereinstimmende Yorstelluiij ausgearbeitet. Doch ist erst in neuerer Zeit, insbesondere durch die Ai beiten von Clausius und MaxweU der hierher gehörige Anschauungskrei weiter entwickelt und auf verschiedenartige Erscheinungen angewende worden.

Die grundlegende Thatsache ist das Ausdehnungsbestreben der Gase vermöge dessen sie jeden dargebotenen Raum gleichförmig erfüllen. Za erst nahm man in Analogie mit der durch den Raum wirkenden aa ziehenden Schwerkraft eine abstossende Kraft zwischen den Grasmolekeb an, doch gelangte man auf diesem Wege zu keinen anschaulichen Bil gebnissen. Erst als man die fragliche Eigenschaft als eine reine Be wegungserscheinung auffasste, glückte die Aufetellung einer konstnoai baren Hypothese.

Nadi dieser besteht ein Gas aus einer grossen Anzahl kläiii Teilchen, welche aber nicht in Ruhe, jedes an seinem Orte, verharr«! sondern mit grossen Geschwindigkeiten sich durcheinander bewegen. La folgedessen findet, sowie einem Gase ein freier Raum dargeboten wiW alsbald eine Einwanderung der nach der entsprechenden Seite dch bc wegenden Molekeln statt, und die Erfüllung des Raumes mit Gas ei folgt äusserst schnell. Vermöge der beständigen Bewegungen finden iii Durchschnitt überall in dem vom Gase eingenommenen Räume sich gieici viel Molekeln vor, die Dichte ist überall dieselbe.

Bei ihren allseitigen Bewegungen müssen auch an die Wände de Gefäfises, weiches das Gas einschhesst, beständig lebhaft bewegte Mc lekeln gelangen, welche von diesen wieder abprallen und in das Inner zurückeilen. Durch diese ununterbrochenen Stösse übt das Gas auf di Wände einen Druck aus, der offenbar sowohl mit der Anzahl der Mc lekeln, wie mit der Masse und Geschwindigkeit jeder einzelnen zt nehmen muss.

Um diesen Druck zu berechnen, denken wir uns einen würfd förmigen Raum, dessen Seitenlänge 1 betrage. Die Anzahl der ihn ei fUlenden Molekeln sei n, und sie seien alle von gleicher Art; jedes voi der Masse m und mit der Geschwindigkeit c ausgestattet Die B<i wegungen finden nach allen Richtungen in gleicher Weise statt

Wir betrachten nun eine Molekel, welche mit der Geschwindigkei c nach irgend einer Richtung fliegt. Nach den Gesetzen der Medianü

Die kinetische Theorie der Gase.. 77

looenten^ u^ y und w^ zerlegen^ welche zu c in der Beziehung stehen

Ibftüssen: u* + v^ + w* = ®**

1^ Die drei Komponenten seien parallel den Würfelkanien angenommen.

pie Wirkung, welche die Molekel, die mit der Geschwindigkeit c in der

Jütsprechenden schrägen Richtung auf eine Würfelseite prallt, dort aus- htj ist gleich der, welche sie ausüben würde, wenn sie mit der zu der and senkrechten Komponente dort anlangte. Betrachten wir zunächst ie Komponente u, so ist diese Wirkung gleich 2mu, indem zunächst Aufprall die ßewegungsgrösse mu abgegeben, sodann beim elastischen ickgang die gleiche entgegengesetzte aufgenommen wird.

i Diese Wirkung eines einmaligen Stosses erfolgt nun in der Zeit*

^Hnheit auf die beiden parallelen Wtirfelseiten -r-mal, d. h. soviel mal,

die in der Zeiteinhdt zurückgelegte Strecke u durch die Entfernung 1 Würfelseiten teilbar ist. Die Gesamtwirkung einer Molekel in der

ätdnheit beirägt also ^

Für die beiden anderen Komponenten der Bewegung gilt eine

jpeiche Entwickelung; die gesamte Wirkung einer Molekel in der Zeit-

2ra eit auf sämtliche 6 Würfelseiten beträgt somit -r- (u*-f~^* + w^?

2mc* er, nach der oben gegebenen Gleichung, - ; sämtliche n Molekeln

2mnc* en die Wirkung Um hieraus sdiüesslich den Druck p auf

e Flächeneinheit zu beredinen, muss der eben gefundene Wert durch ie gesamte gedrückte Oberfläche, welche beim Würfel 61* beträgt,

2 mnc vidiert werden; es folgt p = ^-r-^ , oder, da l* das Volum V des

ürfels ist, ^^

1 ,

pv = -— -mnc%

I 3

' Dies ist die auf Grund der oben dargelegten Hypothese über die mechanische Konstitution der Gase entwickelte Beziehung. Da rechts p der Gleichung lauter für eine gegebene Gasmasse konstante Werte iehen, so folgt, dass das Produkt von Druck und Volum bei einem flolehen mechanischen Gebilde konstant sein muss: das Boylesche Gesetz. Die Erweiterung dieses für einen Würfel geführten Beweises auf be- liebig geformte Gefässe macht keine Schwierigkeit, weil man solche mit 1>eliebiger Annäherung als aus lauter kleinen Würfeln bestehend ansehen ^im. Die Zwischenwände erfahren beiderseits gleichen Druck und können »mit ohne Veränderung des Gebildes fortgedacht werden.

LDie Grösse mn in der letzten Gleichung ist als Produkt der ) je emer Molekel in der Anzahl der Molekeln gleich der gesamten

78 n.. Stochiometrie gasförmiger Stoffe.

Masise des Gases. Das Produkt einer bewegten Masse in das halb«

Quadrat ihrer Geschwindigkeit, m , nennt man ihre lebendige Kraft

Da wir die obenstehende Gleichung auch in der Gestalt schreiben konnex

2

so können wir das Ergebnis aussprechen: Das Produkt von Druck unc Volum eines Gases ist gleich zwei Dritteln von der lebendigen Krafi seiner Molekeln. Haben yfa also verschiedene Gase, so muss, weni wir sie bei gleichen Volumen und Drucken betrachten, die gesamte lebendige Ki'aft ihrer Molekeln gleich sein.

Dies gilt offenbar für jeden beliebigen Wert der lebendigen Kraft. Ändern wir nun die Temperatur eines Gases, so wird dadurch dei Druck oder das Volum, allgemein das Produkt beider, verändert. Da von den beiden Faktoren der lebendigen Kraft, der Masse und der Ge- schwindigkeit, die erstere keine Änderungen erfahren kann, so muss di€ Änderung der Temperatur eines Gases die Geschwindigkeit seiner Mo- lekeln ändern, und die letztere, oder vielmehr das Quadrat derselben, isi proportional der absoluten Temperatur.

Zwei Gase stehen dann im Temperaturgleidigewicht, wenn sie sich gegenseitig bei der Beiührung nicht in Bezug auf Druck und Volum beeinflussen. Fragt man nun, unter welchen Umständen zwei mecha- nische Gebilde von der Art, wie wir uns die Gase denken, bei denen die Massen der bewegten Teildien verschieden sind, sich unbeeinflusst lassen, so lehrt die Rechnung (die hier ihrer verwickelten Besdiaffenheit wegen nicht wiedergegeben werden kann), dass dies geschieht, wenn die lebendige Kraft der bewegten Massen gleich gross ist So ent- sprechen bei verschiedenen Gasen gleichen Änderungen der Temperatur gleiche Änderungen der lebendigen Kraft der Molekeln. Da nun anderer- seits jedesmal das Produkt pv der lebendigen Kraft proportional ist, so folgt, dass bei verschiedenen Gasen gleiche Änderungen der Tempe- ratur proportionale Änderungen der Produkte pv bedingen. Dies ist aber das Äusdehnungsgesetz der Gase in seiner allgemeinsten Form, und auch dieses stellt sich somit als eine Folge der mechanischen Voraus- setzungen dar.

Auch der Satz von Avogadro endlich, dass in gleichen Eäumen verschiedener Gase unter gleichen Umständen gleich viel Atome ent- halten seien, lässt sich aus unseren Voraussetzungen ableiten. Alsdann sind nämlich, wenn pj und v^ Druck und Volum des ersten, pj und Vj dieselben Grössen bei einem zweiten Gase smd, nach der Voraus- setzung pj=p^, Vi=V2 und somit PiVi=p3V2. Nun wurde oben

2 c* 2 .

pv = mn— gefunden; wir haben also, wenn wir den Faktor - bei-

3 2

c, « c *

derseits fortlassen, m,n,-^^^ =m9n,— ^

7 ^-2 * ' 2

. Die kinetische Theorie der Gase. 7^

i

I Nach dem oben (S. 78) ei'wähnten Satze haben aber zwei Gase I dann gleiche Temperatur, wenn die lebendige Kraft ihrer einzelnen ^ Molekeln gleich ist, d. h. wenn

i Ci« c,»

m,— ^=m9— =—

[Wird diese Gleichung in die obere dividiert, so folgt

d. h. sind Druck und Temperatur bei gleichen Volumen zweier Gase gleich, so ist es auch die Anzahl der Molekeln beiderseits. Wir gelangen hier auf einem ganz unabhängigen, wenn auch h5T)othetischen Wege zu derselben Schlussfolgerung, welche wir als wahrscheinlichsten Ausdruck für die ehemische Molekularhypothese früher aufgestellt hatten.

Die eben entwickelten Beziehungen lassen sich endlich benutzen, um Ldie Geschwindigkeiten zu berechnen, mit welcher die Molekeln der verschie- denen Gase den Raum durchmessen müssen, um die Druckwerte zu geben,

' . 1

welche man thatsächlich beobachtet. Die Gleichung pv =«— -mnc*giebtnach

c aufgelöst den Ausdruck c=|/ ^^

f ' mn

3

Betrachten wir 1 g Sauerstoff bei 0* und 76 cm Druck, so ist zunächst die Masse mn=sl zu setzen; ferner ist das Volum von lg Sauerstoff unter diesen Umständen v = 6994 (S. 60). Der Druck einer Atmosphäre ist in ab- solutem Masse gleich 1013130. Führt man die Rechnung aus, so ergiebt sich

c = 46103. Eine Sauerstoffmolekel bewegt sich somit unter den angegebenen Umständen mit einer Geschwindigkeit von 46103 cm/sec, also fast einem halben Kilometer in der Sekunde durch den Raum.

K3pv mn hat eine einfache Bedeutung. Es ist

die Masse, dividiert durch das Volum, d. h. das auf Wasser gleich Eins be- zogene spezifische Gewicht. Setzen wir dasselbe gleich s, so wird die Formel

3p"

, die molekularen Geschwindigkeiten der Gase verhalten sich um- s

gekehrt wie die Quadratwurzeln aus ihren spezifischen Gewichten.

Eine unmittelbare Beobachtung dieser Geschwindigkeiten ist nicht wohl ausführbar. Lässt man verschiedene Gase durch enge Öffnungen in dünner Wand ausströmen, so lehrt eine allgemeine mechanische Betrachtung, dass als- dann ohne irgendwelche Annahmen über die Konstitution der Gase die Aus- strömungsgeschwindigkeit im umgekehrten Verhältnis der Quadratwurzel ^lus dem spezifischen Gewicht stehen muss. Dass ein solches Verhältnis auch thatsächlich beobachtet worden ist, ist somit die Bestätigung eines allgemeinen mechanischen Satzes. Doch ist es immerhin beachtenswert, dass auch die

V

30 U* Stöehiometrie gasförmiger Stoffe.

kinetische Gastheorie, insofern man unter den angegebenen Verhältnissen die Ausströmungsgeschwindigkeit als bedingt durch die Geschwindigkeit der Molekeln ansieht, zu der gleichen Beziehung führt.

Man kann nun angesichts dieser ungeheuren Geschwindigkeiten fragen, wie es kommt, dass in ruhiger Luft z. B. riechende Gase, die in einer £cke eines massig grossen Zimmers entwickelt werden, sich nicht augenblicklich durch dasselbe verbreiten, sondern dazu merkliche Zeit brauchen. In der That ist diese Frage als entscheidender Einwand gegen die Zulässigkeit der kinetischen Theorie der Gase geltend gemacht worden.

Die Antwort auf diese Frage hat Clausius gegeben, indem er betonte, dass zwar die Molekeln in ihrer Bahn diese Geschwindigkeit besitzen, dass aber die Bahnen, welche sie ungehindert, ohne auf andere Molekeln zu stossen, zurücklegen, aller Wahrscheinlichkeit nach sehr kurz sind. Der wirkliche Weg einer Molekel ist also nicht eine lange gerade Linie, sondern eine aus lauter kurzen Geraden zusammengesetzte, durchaus unregelmässige Zickzack- linie, auf welcher sich die Molekel trotz ihrer grossen Geschwindigkeit im allgemeinen nur wenig Ton ihrem Ausgangspunkte entfernt

Eine zweite Frage ist die, ob es denn zulässig ist, für alle Molekeln in einem Gase die gleiche Geschwindigkeit anzunehmen. Durch derartige unauf- hörliche Zusammenstösse müssen einzelne Molekeln offenbar gelegentlich eine grössere, andere eine kleinere Geschwindigkeit annehmen, und im allgemeinen werden in einem Gase in einem gegebenen Augenblicke alle möglichen Ge- schwindigkeiten vorhanden sein.

Dieser Einwand ist zuzugeben. Doch gelten die oben geführten Ablei- tungen immer noch, wenn man die Geschwindigkeit c so bestimmt, dass die lebendige Kraft aller Molekeln, wenn sie die gleiche Geschwindigkeit c hätten, der gesamten lebendigen Kraft gleich ist, welche die Molekeln thatsächlich haben. Statt des Ausdrucks „lebendige Kraft^^ ist also in sämtlichen vor- stehenden Ableitungen streng genommen der Ausdruck „mittlere lebendige Kraft" zu setzen. Doch wird offenbar an den allgemeinen Ergebnissen da- durch nichts geändert.

Von Cl. Maxwell ist die Verteilung berechnet worden, welche die Ge- schwindigkeiten in einem mechanischen System von der angenommenen Be- schaffenheit erlangen, wenn ein ständiger Zustand sich hergestellt hat. Der Ausdruck kann nur durch sehr verwickelte Rechnung abgeleitet werden und hat die Form

wo y die Wahrscheinlichkeit darstellt, dass eine Molekel die Geschwindig- keit X hat, wenn die wahrscheinlichste Geschwindigkeit gleich Eins gesetzt wird; n ist die bekannte Kreiszahl, und e die Basis der natürlichen Loga- rithmen.

Durch diese Betrachtungen kann man sich somit schon ein etwas genaueres Bild von der Beschaffenheit machen, welche ein Gas nach

Die kinetische Theorie der Gase. gl

der kinetisdieii H3^othese zeigt Die Molekeln werden darnach nach allen Seiten und mit sehr verschiedenen Geschwindigkeiten sich be- wegeU; und dabei beständig znsammenstossen. Man wird ffai gegebene Verhältnisse offenbar eine mittlere Wegiänge annehmen können^ durch welche jede Molekel ungestört gehen kann, bevor sie mit einer anderen zusammentrifft. Eine Molekel wu*d auf die andere um so seltener stossen^ je welter durchschnittlich die Molekehi von einander entfernt sind, und um 80 häufiger, je grösser ihr Querschnitt und der der anderen Molekeln ist Die mittlere Weglänge L ist also direkt proportional der Grösse des auf Je eine Molekel entfallenden Raumes, also umgekehrt proportional n, wenn wir mit n die Anzahl der Molekeln in der Raumeinheit bezeichnen. Sie ist femer umgekehrt proportional dem Querschnitt ^^ der Molekeln, wenn wir unter $ diejenige Entfernung verstehen, bis zu welcher höchstens die Schwerpunkte zweier Molekeln sich nähern können. Der genaue Aus- druck wird von 0. E. Meyer in der Gestalt gegeben

jrV'2.n£2

Nun ist freilich sowohl n wie g zunächst unbekannt. Doch kann man aus der Erscheinung, welche uns oben zu der Frage der Weglänge überhaupt geführt hatte, aus der Geschwindigkeit, mit welcher sich ein Gas in einem anderen yerbreitet, oder der Diffusionsgeschwindigkeit, Schlüsse auf den Wert dieser Grösse ziehen. Die Theorie dieser Vorgänge, sowie der verwandten Reibung und Wärmeleitung in Gasen ist freilich trotz vieler dahin gerichteter Anstrengungen noch keineswegs vollständig ausgearbeitet, doch ist man schon so weit gelangt, dass man die nach den verschiedenen Methoden ermittelten Weglängen ziemlich übereinstimmend gefunden hat. Sie sind sehr klein, und betragen z. B. bei Luft unter gewöhnlichen Umständen rund O'OOOOl cm, fallen also auch unter die Grenze des mikroskopisch Sichtbaren.

Hat man L bestimmt, so lässt sich, wie man aus der obigen Gleichung ersieht, auch ng*, die Summe der Querschnitte aller in der Hanmeinheit enthaltenen Molekeln, berechnen. Es ergiebt sich dabei, dass z. B. in einem Kubikcentimeter Luft diese Querschnitte mehr als 1-5 Quadratmeter ausmachen. Dies liihrt von der ungeheuren Anzahl und EJeinheit der Molekeln her, denn je feiner eine Masse von gegebener Didite zerteilt ist, um so grösser wird ihr Gesamtquerschnitt.

Die Aufgabe, die Grösse der Molekeln selbst zu bestimmen, erfordert noch ein weiteres Datum. Dieses wird durch eine Bestimmung des Ge- samt räum es der Molekeln gefunden.

Wenn die Molekeln in einer gegebenen Gasmasse einen messbaren Raum einnehmen, so muss dieser Umstand einen Einfluss auf die Gültig- keit des Boyleschen Gesetzes haben. Sei z. B. der Durchmesser einer Molekel, die gi einem würfelförmigen Räume senkrecht zu zwei Wänden aeh bewegt, ein Hundertstel von der Entfernung dieser Wände, so wird offenbar die Zahl der Stösse eine grössere, als wenn die Molekel über*

Ostwald, Grnndriss. 3. Aufl. 6

32 n. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.

hanpt keine Ausdehnung besässe, da jedesmal die Molekel nidit die ganze Entfernung zwischen den Wänden, sondern eine um ihren eigenen Durchmesser kleinere zurückzulegen hat Der Druck wird durch diesen Umstand bei abnehmendem Volum schneller wachsen mfissen, als das Boylesche Gesetz erfordert Es lässt sich leicht eine entsprechende Kor- rektur an dem Boyleschen Gesetz anbringen. Nennt man b den von den Molekeln eingenommenen Raum^ so ist das Boylesche Gesetz nicht auf den gesamten Raum des Gases^ sondern auf den nicht von der Substanz der Molekeln erföllten Zwischenraum v b zu beziehen^ (vergl. 8. 57) und wir erhalten statt der Gleichung pv=^RT vielmehr die Gleichung p(v-b)=rRT.

Dieses Korrektionsglied b fallt um so mehr ins Gewicht, je kleiner der Raum ist, in dem das Gas sich befindet, und kann daher nur genau bei grossen Drucken beobachtet werden. Ea erklärt die Abweichungen, welche Regnault beim Wasserstoff beobachtet hatte, und welche nach den Arbeiten von Natterer und Amagat bei sämtlichen stark zusammenge- druckten Gasen auftreten (S. 57). Auf diese Weise hat Bndde (1874) berechnet, dass z. B. im Wasserstoff bei 76 cm Quecksilberdruck b = 0*00062 ist Von van der Waals ist dann gezeigt worden, dass, wenn man die kinetische Hypothese annimmt, wegen der Bewegung der Molekebi b nicht als das Molekularvolum selbst, sondern als dessen vier- facher Wert aufzufassen ist.

Nun betragen nach den oben (S. 81) dargelegten Rechnungen die Summen aller Querschnitte der Wasserstoffmolekeln in einem Kubik- centimeter bei 76 cm Druck 9500 qcm. Nennt man x den Durchmesser einer würfelförmig gedachten Molekel, so muss x X 9500 gleich dem Gesamtvolum der Molekeln, also gleich */^ X 000062 ccm sein, woraus^ x = 1.6X10-8 cm folgt

Für die anderen Gase ergeben sich ähnliche Zahlen, die meist etwas hoher liegen, und deren Betrag im allgemeinen mit wachsendem Atomgewicht und wachsender Zusammengesetztheit der Stoffe zunimmt. Bei der grossen Unsicherheit, die diesen Werten noch anhaftet, kann von ihrer Mitteilung ab- gesehen werden. Dagegen hat sich die gefundene Grösse für die „Dimensionen der Molekeln" als eine Zahl erwiesen, der auch unabhängig von der kineti- schen Hypothese eine physische Bedeutung zukommt. Sie erweist sich als die Dimension, unterhalb deren die Stoffe andere Eigenschaften annehmen, als sie in grösseren Mengen, die wir zu betrachten gewohnt sind, aufweisen, und wir werden unter diesem Gesichtspunkte später wiederholt ähnlichen Werten begegnen.

Ausser der bei hohen Drucken hervortretenden Abweichung vom Boyle- schen Gesetz, nach welcher die wirklichen Volume grösser sind, als die be- rechneten, zeigen die Gase alle ausser Wasserstoff noch eii* andere, die namentlich bei mittleren Drucken deutlich ist, und das umgekehrte Zeichen hat: die beobachteten Volume sind zu klein. Zur Erklärung derselben wird

Die Wänneerscheinungen der Gase und der erste Hauptsatz etc. 33

angenommen, dass die Wechselwirkung der Molekeln, welche in flüssigen und festen Körpern ein Zusammenhalten derselben bedingt, sich auch bei Gasen bethätigt, und einen Teil des Druckes, welcher durch die Molekular- bewegung bewirkt wird, aufhebt. Van der Waals hat (1879) eine Theorie entwickelt, nach welcher diese Wechselwirkung dem Quadrat der Dichte direkt oder dem des Volums umgekehrt proportional gesetzt wird; zum äusseren

Druck ist demgemäss eine Grösse hinzuzufügen und die in Bezug auf

beide Störungen korrigierte Gasgleichung heisst darnach

Die Gleichung findet ihre Anwendung hauptsächlich beim Übergang aus dem gasförmigen in den flüssigen Zustand und wird weiter unten eingehender untersucht werden.

Sechstes Kapitel.

Die Wärmeersoheinungen der Gase und der erste Hauptsatz

der Wärmetheorie.

Bei den ersten Versuchen, die Erscheinungen der Wärme messend zu verfolgen, hatte sich ein Erhaltungsgesetz für sie herausgestellt, der- gestalt, dass die Wanne wohl ihren Ort, nicht aber ihren Betrag ändert, wenn man verschieden warme Körper mit einander in Berührung bringt. Wffd die in einem Körper enthaltene Wärme seinem Gewicht und seiner Temperatur proportional gesetzt, so ergiebt sich auf Grund dieses Ge- setzes eine mit der Erfahrung übereinstimmende Berechnungsweise der Temperaturen, die bei der Vermischung beliebiger Mengen eines Stoffes auftreten, wenn diese verschiedene Temperatur haben. Ist m, das Ge- wicht des einen Anteils, und tj seine Temperatur, und gelten m^ und t^ för den anderen Anteil, so wird die mittlere Temperatur t nach der Vermischung gefunden, wenn man den Wärmegewinn des einen Teils mj(t tj) dem Wärmeverlust des anderen, m, (tg t) gleich setzt. Diese Gleichsetzung, d. h. die Forderung, dass die Gesamtmenge der Wärme erhalten bleibt, ergiebt die Gleichung m^ (t tj ) = m^ {t^ t)

und daraus t = (m,t, + '^2^)/(^i "1" ^t)-

Werden Körper von verschiedener Beschaffenheit mit einander ver- mischt, so ergiebt die Erfahrung, dass diese Gleichung nicht mehr gültig ist. Doch gelingt wieder ein Anschluss an die Wirklichkeit, wenn man jedem Stoffe eine spezifische Wärmekapazität zuschreibt, d. h. annimmt, dass die Wärmemengen, welche von gleichen Gewichten verschiedener Stoffe bei gleicher Temperaturänderung aufgenommen werden, nicht durch ilire Masse allein bestimmt werden, sondern ausserdem von ihrer be- sonderen Natur abhängen. Nennt man die entsprechenden Faktoren c^

6*

84 H. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.

und c^, so geht die Gleichung über in m, c^ (t t,) = m2C2(tj t). Hierin kann einer der c -Werte behebig angenommen werden, und man kann die thatsächhchen Verhältnisse daratellen, wenn man den anderen Wert von c passend bestimmt.

Diese c-Werte nennt man die spezifischen Wärmen der betreffenden Stoffe. Die spezifische Wärme des Wassers wird willkürhch gleich Eins gesetzt, und damit geht die Gleichung über in m,Ci(t ti) = m,j(to t) oder c = mo(tQ t)/mi(t tj), wenn einer der Stoffe, dessen Werte mit dem Index 0 bezeichnet sind, Wasser ist. Diese Gleichung dient zur Bestimmung der spezifischen Wärme der Stoffe.

Es ist bei diesen Betrachtungen die Voraussetzung gemaclit, dass eine absolute, d. h. von der Beschaffenheit eines bestimmten Stoffes unab- hängige Temperaturskala bekannt ist, und dass die spezifische Wärme der Stoffe sich nicht mit der Temperatur ändert. Bezüglich des ersten Punktes ist zu sagen, dass die Skala des Quecksilberthermometers mit dieser absoluten Skala ziemlich nahe übereinstimmt, so dass wir einstweilen die eine für die andere setzen können. Ferner ist die spezifische Wärme allerdings im all- gemeinen mit der Temperatur veränderlich, doch meist nicht in so hohem Grade, dass das oben gegebene Bild dadurch wesentlich falsch erschiene.

Durch die Annahme, dass die spezifische Wärme des Wassers gleich Eins sein soll, wird gleichzeitig die Einheit der Wärmemenge defi- niert: es ist die Wärmemenge, die man einem Gramm Wasser zufuhren muss, damit seine Temperatur um einen Grad steigt. Man nennt diese Wärmemenge eine (kleine) Kalorie und bezeichnet sie mit c oder cal. Hierdurch gelangt man zu einer anderen Form für die Definition der spezifischen Wärme: sie ist die Wärmemenge in Kalorieen, die man einem Gramm des Körpers zufahren muss, um seine Temperatur um einen Grad zu erhöhen. Oder allgemeiner: die spezifische Wärme ist das Verhältnis zwischen der zugefuhrten Wärmemenge und der dadurch be- wirkten Temperaturerhöhung, bezogen auf die Gewichtseinheit. Nennt man erstere dW, letztere dt, und m das Gewicht des Körpers*), so ist seine spezifische Wärme c = dW/mdt.

Bei unseren künftigen Betrachtungen werden wir die zugefährt:en Wärmemengen nicht auf die Gewichtseinheit, sondern auf anderweit gegebene Mengen (meist Verbindungsgewichte) der Stoffe zu beziehen haben. Für die dann auftretenden Produkte aus spezifischer Wärme und Gewicht soll der Name Wärmekapazität gebraucht werdeij. Die Definition dieser Grösse ist einfach das Verhältnis der zugeführten Wärme zu der dadurch bewirkten Temperaturerhöhung, k = dW/dt; sie verlangt also immer eine Angabe darüber, welche Menge des Stoffes gemeint ist.

^) Es ist in der höheren Mathematik üblich. Ändern ngea vorhandener Grössen durch das Vorsetzen des Buchstabens d zu kennzeichnen, und wir werden uns in der Folge oft dieser Schreibweise bedienen.

Die WärmeersQheinungen der Gase und der erste Hauptsatz etc. g5

Diese Begriffsbestimmungen und Anschauungen haben sich als ziem- lich brauchbar erwiesen, solange man die Wärmevorgänge bei festen oder flüssigen Körpern allein in Betracht zog. Bei dem Versuche aber, sie auch auf Gase anzuwenden, traten neue Erscheinungen auf, welche das Gesetz von der Erhaltung der Wärme in dieser einfachen Gestalt undurchführbar machten. Durch die Überwindung dieser Schwierigkeiten ist dann schh'esslich wieder ein Erhaltungsgesetz zu Tage getreten, welches viel allgemeiner ist, als das ältere. Es stellt das allgemeinste Naturgesetz dar, das zur Zeit bekannt ist, und seine Entdeckung hat eine tiefgreifende Umgestaltung der ganzen Physik und Chemie bewirkt

Wir wenden uns nun zu den Wärmeerscheinungen bei Gasen.

Die spezifische Wärme der Luft ergiebt sich gleich 0-2375, wenn man den Versuch so anordnet, dass in einem System von Röhren Luft auf irgend eine höhere Temperatur vorgewärmt wird, und dann in einem Kalorimeter die aufgenommene Wärme an die Kalorimetei'flüssigkeit ab- gebt, während sie fortwährend unter gleichem Drucke steht.

Nun ist aber folgende Thatsache bekannt. Drückt man eine abge- schlossene Luftmenge zusammen, so erwärmt sie sich. Die zugefuhrte Wärme dW ist Null, die Temperaturänderung dt aber hat einen endlichen Wert;

dW der Quotient -- wird Null, und somit auch die spezifische Wärme.

Wenn wir eine Luftmenge ausdehnen, so wird sie kälter. Führen wir soviel Wärme zu, dass die Temperatur konstant bleibt, so hat dW einen endlichen Wert, dt ist Null, die spezifische Wärme ist unendlich. Lassen wir also das Gas sein Volum ändern, so wird der Wert der spezifi- schen Wärme unbestimmt; sie kann jeden bfeliebigen Wert annehmen.

Andererseits ist von Gay-Lussac (1807) folgender Versuch gemacht worden. Es wurde in einer hohlen Kugel Luft zusammengepresst, während aus einer anderen Luft entfernt war. Wurden die beiden Kugeln, nachdem sie in das Wasser eines Kalorimeters gebracht waren, miteinander in Verbindung gesetzt, so dass die zusammengepresste Luft sich ausdehnen konnte, so fand doch keine Temperaturänderung des Kalorimeters statt. Die Voluraänderung allein bedingt somit nicht die Temperaturähderung.

In diese scheinbar sich widersprechenden Thatsachen hat zuerst J. R. Mayer (1842) Klarheit gebracht. Auf die Frage: woher rührt die Wärme, welche beim Zusammenpressen eines Gases erzeugt wird, und was wird aus der Wärme, welche bei der Ausdehnung verschwin- det? gab er die Antwort: die Arbeit, welche zum Zusammenpressen verbraucht wird, wird in Wärme verwandelt, und die Arbeit, welche das Gas beim Ausdehnen im Zurückschieben der äusseren drückenden Luft leistet, kann nicht aus Nichts entstehen, sondern entsteht aus der Wärme, die im Gase verschwindet. Ist bei der Ausdehnung kein äusserer Druck zu überwinden, so ist insgesamt keine Arbeit zu leisten, und es wird auch (im Versuch von Gay-Lussac) keine Wärme verbraucht.

86 II- Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.

Die Arbeit und die Wärme erscheinen hier als zwei verschiedene Ponnen desselben Dinges, wie gelber und roter Phosphor oder Diamant und amorphe Kohle. Dies Ding selbst ist von Mayer als unerschaffbar und unvemichtbar, als unter allen Umständen beständig aufgefasst worden; es kann nur Änderungen der Erscheinungsform, keine aber in der Menge erleiden.

Mayer hatte dies Beständige „Kraft" genannt. Da indessen dieser Name in der Mechanik eine andere Bedeutung besitzt, als di^enige, welche Mayer im Sinne hatte, so ist dadurch einige Verwirrung hervor- gerufen worden. Deshalb ist gegenwärtig dafür der Name Energie allgemein angenommen worden und das von Mayer ausgesprochene Prinzip ist das von der Erhaltung der Energie.

Dieser Satz ist ein Erfahrungssatz von allgemeinster Bedeutung, ebenso wie der von der Erhaltung des [Stoffes. Ebenso wie nur durch Unkenntnis des letzteren Satzes die vergeblichen Anstrengungen der Alchemisten veranlasst wurden, viel Gold aus geringen Mengen Silber oder Blei zu machen, so hat die Unkenntnis des ersteren zu dem gleich unausführbar sich erweisenden Problem des perpetuum mobile geführt. Die Thatsache, dass überhaupt die Aufgabe, Arbeit aus nichts zu schaffen, für ausführbar gehalten wurde, beweist, dass der Energiesatz keineswegs, wie gelegentlich behauptet wird, eine Denk- notwendigkeit ist. Wohl aber ist er neben dem Satze von der Erhaltung des Stoffes die grösste und umfassendste Verallgemeinerung, unter welche die Naturwissenschaften die erfahrungsmässigen Thatsachen zusammenzufassen ge- wusst haben.

Um nun diesen Gedanken auf die Wärmeerscheinung bei Gasen anzuwenden, machte Mayer folgende Überlegung. Die spezifische Wärme der Luft ist bei konstantem Drucke, also indem sie sich unter Arbeits- leistung beim Erwärmen ausdehnen kann, gleich 0-2375 gefunden worden. Es wird also mit anderen Worten ein Gramm Luft durch Zuführung von 0-2375 cal um einen Grad wärmer, indem sie gleichzeitig sich aus- dehnt und eine Arbeit nach aussen abgiebt, deren Betrag sich wie folgt berechnet. Ein Gramm Luft hat bei 0^ den Raum von 773-3 ocm unter dem Drucke einer Atmosphäi^e. Bei der Erwärmung um einen Grad wird dies Volum um 1/273 grösser, d. h. um 2-830 com, und das Produkt dieser Zahl in den Druck ist gleich der geleisteten Ai'beit Der Druck einer Atmosphäi'e ist gleich dem Gewicht von 1033 g/cm*, die Arbeit ist also gleich 2-830 X 1033 gcm = 2923 gcm, d. h. gleich der Hebung von 2923 g um ein cm.

Andererseits ist die spezifische Wärme der Luft bei konstantem Volum, also ohne äussere Arbeitsleistung, gleich 0-1683 gefunden worden. Durch Zuführung von 0-1683 cal wird also ein Gramm Luft um einen Grad wärmer. Den Unterschied dieses Wertes gegen den vorigen wird man als das Aequivalent der eben berechneten Arbeit auffassen können, wenn man behaupten darf, dass ausserdem keine Wärme oder Arbeit

Die Wänneerscheinungen der Gase und der erste Hauptsatz etc. gj

entwickelt oder verbraucht worden ist. Nun besteht aber noch der Unterschied, dass beim ersten Versuche, abgesehen von der Leistung der äusseren Arbeit, sich das Volum der Luft vergi'össert hat, während es beim zweiten konstant geblieben ist. Welchen Einfluss hat dieser Umstand?

Die Antwort ist: keinen. Denn von Gay-Lussac (S. 85) ist ge- zeigt worden, dass die blosse Volum vergrösserung der Luft ohne Ar- beitsleistung die Temperatur der Luft nicht ändert Wenn wir uns also die Erwärmung unter konstantem Druck von einer Volumvergrösserung um 2-830 ccm ohne Arbeitsleistung gefolgt denken, so genügen noch immer 0-1683 cal für diese Änderung, und damit ist der ganze Unter- schied der beiden Fälle auf die Arbeiteleistung und den entsprechenden Wärmeverbrauch im ersten reduziert.

Man darf somit den Unterschied der beiden Wärmemengen, 0-2375 0-1683 = 0-0692 cal äquivalent der Arbeitsleistung von 2923 gcm setzen. Das macht 42240 gcm für eine Kalorie, und diesen Wert nennt man das mechanische Wärmeäquivalent, oder den Arbeitswert einer Kalorie.

Mayer betonte alsbald, dass man nicht nur die durch die Volum- äaderung der Gase geleistete Arbeit proportional der erzeugten Wärme setzen kann, sondern dass noch viele andere Arten von Arbeit oder Energie vorhanden sind, für welche eine gleiche Beziehung anzunehmen ist. Doch hat er keine weiteren Versuche darüber angestellt; solche verdankt man besonders den durch viele Jahre fortgesetzten Bemühungen von Joule (1843), der den gleichen Nachweis zunächst für die Arbeit &Uender Gewichte, die Distanzenergie in Beziehung zur Wärme erbrachte. Die hier geleistete Arbeit ist durch das Pi'odukt des Gewichtes mit der Höhe des Falles gegeben, wenn man nicht, wie beim freien Falle, diese Arbeit sich in Bewegungsenergie umwandeln lässt (S. 5), sondern sie durch Keibung in Wärme überführt, so dass der faUende Körper mit der Geschwindigkeit Null unten ankommt. Joule benutzte nun die Arbeit solcher Gewichte, um in einem mit Wasser gefüllten Gefäss zwei eiserne Platten gegeneinander zu reiben. Da diese hierbei keine datfem- den Veränderungen erfahren, so geht die aufgewendete Arbeit ausschhess- lieh in Wärme über, und deren Menge kann aus der Temperaturer- höhung des Wassers und seinem Gewicht berechnet werden. Setzt man nun die gefundene Wärmemenge gleich der verbrauchten Arbeitemenge, 80 erhält man, wie Joule fand, ein ganz unveränderliches Verhältnis zwisdien beiden, welches weder von der Art, wie die Wärme in Arbeit verwandelt wird, noch von den sonstigen Versuchsumständen abhängt. Der Mittelwert der später vielfach wiederholten Bestimmungen dieses Verhältnisses ist 42660 gcm = 1 cal, d. h. wenn das Pi*odukt von Fall- höhe und Gewicht 42660 beträgt, so wird durch diese Arbeit 1 g Wasser um C erwärmt. Die Zahl stimmt mit der oben berechneten

88 II. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.

so gut überein, als es die Genauigkeit zulässt, mit welcher die benutzten Werte bestimmt sind.

Um hiervon auf absolute Werte tiberzugehen, hat man nur zu be- denken, dass die Schwerkraft . rund 980-5 absolute Einheiten beträgt, da ein Gramm unter ihrem Emflusse die Beschleunigung von 980-5 cm in einer Sekunde erfährt. Somit beträgt eine Kalorie in absolutem Masse 4-183 X 10'^ Erg.

Da die spezifische Wärme des Wassers mit der Temperatur etwas ver- änderlich ist, so ist auch die Erwärmung einer bestimmten Wassermenge durch den gleichen Betrag von Arbeit mit der Temperatur veränderlich. Diese kleinen Verschiedenheiten sind von Rowland (1879) durch den Versuch im- mittelbar nachgewiesen worden, und der oben angegebene Zahlenwert bezieht sich auf die mittlere Temperatur von 18°.

Hierdurch wird es klar, dass die oben eingeführte Wärmeeinheit, die Kalorie, willkürlich und unsystematisch vom Standpunkte der Energie- lehre genannt werden muss. Denn ebenso, wie man die mechanischen Energieformen und ihre Faktoren alle so bestimmt, dass ihre Einheit tibereinstimmend die gleiche, das Erg, wird, so entsteht mit der Erkenntnis, dass die Wärme auch eine Form der Energie ist, das Bedürfiiis, sie gleichfalls in den gleichen Einheiten, in Erg, zu messen. Dieser not- wendige Schritt ist bisher in der wissenschaftlichen Litteratur noch nicht durchgeftihrt; um seine Durchfühning zu erleichtem, sollen in diesem Werke künftig alle Wärmeangaben in Erg gemacht werden.

Hierbei ist noch über die Einheit zu sagen, dass sie für die meisten Messungen und Rechnungen viel zu klein ist. Das Megerg wäre eine passende Einheit; indessen ist in der Elektrik als praktische Einheit der Betrag von 10000000 Erg unter dem Namen Joule, abgekürzt j, ge- bräuchlich geworden, und deshalb soll auch für praktische Zwecke diese Einheit in diesem Buche angenommen werden. Eine kleine Kalorie hat demnach den Wert von 4-183 Joule, und wir haben die Gleichungen

lcal = 4-183 j und Ij = 0-2391 cal.

Ausser diesem mit einem kleinen j bezeichneten Werte wird künftig auch der tausendfache Wert benutzt werden, der mit einem grossen J bezeichnet werden wird. Demnach ist

1 cal = 0-004183 J und 1 J = 239-1 cal= 10 ^^ Erg.

Es ist ftir viele Aufgaben wichtig, die Arbeit zu kennen, welche ein Gas leisten kann, wenn es sich bei konstanter Temperatur ausdehnt Im allgemeinen wird eine solche Arbeit durch das Produkt des Druckes mit der Volumänderung, pdv (wo dv die Änderung des Volums ist), dar- gestellt; die Rechnung macht aber etwas Schwierigkeiten, wenn der Druck nicht konstant ist.

Zu diesem Zweck soll die Beziehung zwischen Druck und Volum bei Gasen graphisch dargestellt werden, indem die Drucke und Volume als Entfernungen von zwei zu einander senkrechten Axen gerechnet werden

ÜCCC'

Fig. 7.

Die Wärmeerscheinungen der Gase und der erste Hauptsatz etc. 89

(S. 50). Entsprechend der Gasgleiehung pv=RT hat die zugehörige Kurve bb die Eigenschaft, dass an jeder Stelle das Pi'odukt zweier solcher Abmessungen oder Koordinaten denselben Wert hat. Die analytische Geometrie lehrt, dass die Gestalt der entsprechenden Kurve die der rechtwinkligen Hyperbel ist %

Die Arbeit, welche bei der Volumänderung dv geleistet wird, oder das Produkt pdv, erscheint in der Darstellung Fig. 7 als eine vierseitige schmale Figur aaß'ß. Die ge- samte Arbeit, welche zwischen zwei Zuständen des Gases, ß und 7, bei der Ausdehnung geleistet wird, ist somit die Summe aller schmalen Vierseite pdv, und auch gleich dem Vierseit aßyö. Die Berechnimg der Arbeit kommt somit auf die sogenannte Qua- .dratur der Hyperbel hinaus. Diese Aufgabe lässt sich auf elementarem Wege nicht lösen; es muss daher genügen, wenn hier allgemein das Resul- tat angegeben wird. Dehnt sich

ein Gas bei der Temperatur T vom Volum v^ auf das Volum v, aus, indem es dabei stets den durch die Gleichung pv = RT gegebenen Druck ausübt, so hat die zugehörige Arbeit A den Wert (davg/vi =Pi/p2)

A = RThi^=RThi^. Vi Pa

Hier bedeutet In den natürlichen Logarithmus, d. h. einen Logarith- mus mit der Basis e= 2-71828. Man kann die natürlichen Loga- rithmen aus den gewöhnlichen oder dekadischen Logarithmen erhalten, wenn man die letzteren mit 2-30259 multipliziert.

Kehren wir hiemach wieder zm* Frage nach den spezifischen Wärmen der Gase zmiick, so ergiebt sich, dass wir von solchen nur reden können, wenn wir genau bestimmen, ob bei der Erwärmung äussere Arbeit stattfindet, und welche. Der einfachste Fall ist oflenbar der, dass man äussere Arbeit ganz vermeidet, also das Gas in eine feste Hülle einschUesst, und unter diesen Umständen die spezifische Wärme bestimmt. Doch ist dieser theoretisch einfachste Fall experimentell bisher sehr schwer ausführbar gewesen. Die Hülle nämlich, in welche die Gase eingeschlossen werden müssen, und welche an den Erwärmungen und Abkühlungen notwendig teilnimmt, beansprucht einen so beträcht- lichen Teü des gesamten Wärmeaustausches für sich, da sie genügend widerstandsfähig angefertigt werden muss, um die Druckänderungen durch die Änderungen der Temperatur zu ertragen, dass der auf das Gas ent-

90

II. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.

fallende Anteil nur einen kleinen Teil der gesamten Wärmemenge ans- macht. Doch ißt es in neuerer Zeit Joly (1890) gelungen, durch ein sinnreich ausgedachtes Differentialverfahren diese Schwierigkeit zu über- winden, wobei sich Werte ergaben, die mit denen gut übereinstimmten, die tfaf dem gleich anzugebenden Umwege erhalten worden waren.

Man führt derartige Bestimmungen daher meist so aus, dass man unter konstantem äusseren Druck die Temperaturveränderungen vor sich gehen lässt. Es ergiebt sich auf diese Weise die spezifische Wärme bei konstantem Druck, die wir mit Cp bezeichnen wollen. Versuche zur Bestimmung dieser Zahl sind in weitem Umfange von Regnault ausge- führt worden, und ihre Ergebnisse werden weiter unten mitgeteilt wer- den; später hat E. Wiedemann einige der Versuche wiederholt und die Änderungen untersucht, welche die spezifische Wärme vieler, namentlich kohlenstofilialtiger Gase mit der Temperatur erfährt.

Um aus diesen Zahlen die von der äusseren Arbeit befreite spezifische Wärme bei konstantem Volum, Cy, zu ermitteln, hat man nur den Wärmewert der äusseren Arbeit abzuziehen. Am einfachsten gestaltet sich die Rechnung, wenn man je ein Mol der verschiedenen Gase be- trachtet. Alsdann nehmen sämtliche Gase dasselbe Volum, näm- Uch 22394ccm bei und 76 cm Barometerstand ein und dehnen sich bei der Erwärmung von um -y4T dieses Volums aus. Die äussere Arbeit pro Grad dabei ist gleich Po Vo/273, d.h. sie hat den Wert der Kon- stanten R in der allgemeinen Gasgleichung (S. 7 1), nämlich 8-31X10^ Erg/T oder 8*31 j/T. Ist also die auf ein Mol bezogene Wärmekapazität eines Gases bei konstantem Druck, oder die Molekularwärme bei konstantem Druck in Joule bekannt, so braucht man von ihr nur den Wert 8-21 abzuziehen, um die Molekularwärme bei konstantem Volum zu erhalten. In Formeln: c = c R.

Gewöhnlich werden die Molekularwärmen noch in Kalorieen pro Grad an- gegeben. Dann ist der Wert von R, durch den Betrag einer Kalorie in Joule, näm- lich 4-183 zu dividieren, wodurch sich R«« 1'99 ergiebt. Die Molekularwärme bei konstantem Druck ist also um 1*99 grösser, als die bei konstantem Volum.

In der nachstehenden Tabelle sind die von Regnault bestimmten Werte zusammengestellt

Molekular- gewicht

32 28 5 71 160 30 28 365

Namen

Formel

Molekularwärme in j bei konst. bei konst.

Sauerstoff

0>

Stickstoff

Wasserstoff

Chlor

Cl>

Brom

Br«

Stickoxyd

NO

Kohlenoxyd

CO

Chlorwasserstoff

HCl

Druck

Volnm

29-12

20-81

2853

2022

2853

2022

3593

2762

37-10

28-79

29-07

2076

28-69

20-38

28-28

19-97

Die Wärmeerscheinungen der Gase und der erste Hauptsatz etc. 91

Namen

^«-«' ''Är

Molekularwärme in j bei konst. b«i konst

v^

Druck

Volum

Kohlendioxyd

co*

44

39-99

31-68

Stickoxydul

N*0

44

41-71

3340

Walser

H«0

18

36-22

27-91

Schwefeldioxyd

SO*

64

41-08

3277

Schwefelwasserstoff

H«S

34

34-30

25-99

Schwefelkohlenstoff

CS»

76

49-71

41-40

Methan

CH*

16

39-41

3110

Chloroform

CHCl»

1195

77-61

69-30

Äthylen

C*H*

28

49-99

41-68

Ammoniak

NH*

17

35-97

2766

Benzol

C«H«

78

1215

113.2

Terpentinöl

QiOQlt

136

285-7

277-4

Methylalkohol

CH*0

32

60-87

5256

Äthylalkohol

C»H«0

46

86-60

78-29

Äther

C*H'«0

74

147-2

138-9

Äthylsnlfid

C*H'<»S

90

149-7

141-4

Chloräthyl

C«H*C1

645

7340

6509

Bromäthyl

C»H«Br

109

84-50

76-19

Äthylenchlorid

C»H*C1«

99

9412

85-81

Aceton

C«H«0

58

82-30

73-99

Äthylacetat

C*H«0*

88

146-4

138-1

Silicinm Chlorid

SiCl*

169

93-30

84-99

Phosphorchlorür

PCI*

137-5

76-78

68-47

Arsenchlorür

AsCl»

181-5

84-50

76-19

Titanchlorid

TiCl*

190

1029

94-6

Zinnchlorid

SnCl*

260

101-0

92-7

Bei der Betrachtung der vorstehenden Tabelle zeigen sich einige Regel- mässigkeiten. So sind die Molekularwärmen der Gase 0^ N*, H*, NO, CO und HCl, die aus je zwei Atomen bestehen, annähernd gleich gross. Doch zeigen Cl* und Br*, obwohl gleichfalls zweiatomig, bedeutend höhere Werte. Ebenso stimmen die aus je drei Atomen bestehenden Gase zum Teil tiberein, doch auch mit Ausnahmen. Eine durchgreifende Regelmässigkeit lässt sich übrigens kaum erwarten, da die meisten der untersuchten Dämpfe ihre Wärmekapazität stark und in verschiedener Weise mit der Temperatur ändern, und daher je nach der Versuchstemperatur ganz verschiedene Bilder gewähren.

Die Molekularwärmen bei konstantem Volum sind, wie erwähnt, durch Abzug der äussern Arbeit berechnet worden. Man kann sie in- dessen auch experimentell auf einem Umwege finden, welcher das Ver- hältnis beider spezifischen Wärmen zu messen gestattet.

Die hierher gehörigen Untersuchungen nahmen ihren Ausgang von einem rätselhaften Mangel an Übereinstimmung zwischen einem un-

92 II. Stöchiometrie gasförmiger Stoffe.

zweifelhaft scheinenden Ergebnis der Rechnung und der Erfahrung. Die Theorie der Schwingungsbewegung in elastischen Mitteln fuhrt

nämlich, wie Newton gezeigt hat, zu der Formel u ='J^p/d für die Ge- schwindigkeit des Schalles in einem Gase, wo u die Geschwindigkeit, p der Druck und d die Dichte ist; die Schallgeschwindigkeit ist gleich der Quadratwurzel aus dem Verhältnis zwischen Druck und Dichte. Für Luft unter normalen Umständen ist p= 1013130 in absolutem Mass, und d=^ 0-001293. Führt man die Rechnung aus, so erhält man rund 28000cm/sec., während die Beobachtung äSlOOcm/sec. ergiebt.

Ein solcher Mangel an Übereinstimmung zwischen den Ergebnissen der Analyse und der Erfahrung beweist immer einen Fehler im Ansatz. Laplace fand diesen auf. Newton hatte, um das VerhäUnis zwischen Druck und Dichte einzuführen, das Boylesche Gesetz, dass beide pro- portional seien, benutzt. Laplace aber wies darauf hin, dass dies unbe- rechtigt sei. Bei den schnellen Zusammendrtickungen und Ausdehnungen, welche die Luft bei der Schallbewegung erfährt, machen sich dieselben Erwärmungen und Abkühlungen geltend, welche oben (S. 85) erwähnt worden sind; dadurch steigt aber der Druck schneller, als die Dichte zunimmt, und nimmt auch schneller ab, als sie abnimmt. Das Verhält- nis zwischen Druck und Dichte muss also durch einen anderen Aus- druck dargestellt werden, welche diesen Einfluss zur Geltung bringt.

Da die elementare Ableitung der Formel fiirdie gleichzeitigen Ändeningen des Drucks und des Volums ohne Abführung der Wärme, also unter entsprechenden Temperaturänderungen, sich unübersichtlich gestaltet, so sei hier nur das Ergebnis mitgeteilt: es lautet, wenn p, und Vj, bez. Pj{ und Vg zusammengehörige Drucke und Volume sind, und das Ver- hältnis der beiden spezifischen Wärmen Cp/Cv=k gesetzt wird,

Vorgänge, wie der betrachtete, bei denen Wärme weder aus- noch eintritt, heissen adiabatische oder isentropische. Die durch die Formel zum Ausdruck gebrachte grössere Drucksteigerung, als sie dem Boyle- schen Gesetz entsprechen würde, rührt daher, dass sich durch die an dem Gas geleistete Arbeit seine Temperatur und damit sein Druck über den durch das Boylesche Gesetz geforderten Betrag hinaus steigert, und es ist einleuchtend, dass der Betrag dieser Temperaturerhöhung sich von der spezifischen Wärme abhängig zeigt, indem eine und dieselbe in Wärme sich verwandelnde Arbeit eine um so geringere Temperaturer- höhung bewirken muss, je grösser die spezifische Wärme des zu erhitzen- den Gases ist.

Die Temperaturerhöhung wird durch eine ähnliche Formel darge- stellt, die auch ohne Ableitung gegeben werden muss. Je nachdem man als zweite Veränderliche Druck oder Volum benutzt, erhält man

(P./P»)''-^ = (TxiT,)k und (vg/v,)>=-i =T,/T,.

Die Wärmeerscheinungen der Gase und der erste Hauptsatz etc. 93

Da in allen diesen Gleichungen das Verhältnis k der spezifischen Wärmen auftritt, so kann k experimentell mit ihrer Hilfe gemessen werden, wenn man die anderen Grössen bestimmt. Für diesen Zweck dient hauptsächlich die erste Gleichung, während die anderen zur Be- rechnung der Temperaturänderungen Verwendung finden, welche bei plötzlicher Entspannung oder Kompression von Gasen eintreten.

Die Verwendung der ersten Gleichung ftir die Bestimmung des Ver- hältnisses der spezifischen Wärmen hängt von der Art des adiabatischen Vorganges ab, welcher ausgeführt wird.

Als solcher dienen zunächst die bei der Schallbewegung erfolgenden Dichteäiiderungen der Luft, und die Grösse k ist die oben (S. 92) als notwendig erkannte Korrektion des Verhältnisses zwischen Druck und Dichte, sodass für die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalles nicht die

Formel v = Vp/d, sondern v = ykp/d zu benutzen ist. Somit ist

das Quadrat des Verhältnisses zwischen der nach der alten Formel be-

redmeten Schallgeschwindigkeit und der wahren gleich dem Verhältnis

der spezifischen Wärmen. Aus den oben mitgeteilten Zahlen ergiebt

1 8idi für Luft k = 140. Mit Hilfe dieser Zahl ist oben die spezifische

I Wärme der Luft bei konstantem Volum berechnet worden, wo auch die

j Übereinstimmung des hiermit berechneten mechanischen Wärmeäquivalents

jmit dem durch unmittelbare Versuche gefundenen nachgewiesen ist.

Um die Methode der Schallgeschwindigkeit auf andere Gase anwendbar ni machen, ist von Kundt (1866) ein Verfahren angegeben worden, mittelst dessen in Röhren die Wellenlänge bestimmter Töne durch die Figuren, in welchen sich hineingebrachte leichte Pulver anordnen, messbar gemacht werden. Ist 1 die Wellenlänge und n die Schwingungszahl des betreffenden Tones, so ist nl die Schallgeschwindigkeit. Die Schwingungszahl braucht nicht einmal besonders bestimmt zu werden, denn erzeugt man mit dem Apparat Wellen in Luft, so braucht man nur ihre Länge in die bekannte Schallgeschwindig- keit der Luft zu dividieren, um die Schwingungszahl zu finden.

Eine andere Methode, welche zuerst von Gay-Lussac und Welter ange- I wendet worden ist, besteht darin, dass man in einem grossen Glasgefäss die Luft schwach verdichtet, und ihren Überdruck genau misst. Dann wird plötz- lich ein grosser nach aussen führender Hahn geöffnet und alsbald wieder ge- schlossen. Die Sperrflüssigkeit im Manometer, welche sich beim Öffnen des [Hahnes auf gleiche Höhe gestellt hatte, beginnt dann nach einigen Augen- bÜcken wieder zu steigen und bleibt bei einem Drucke stehen, welcher kleiner ist, als der frühere. Die Erscheinung rührt daher, dass bei der plötzlichen Ausdehnung die Luft sich der Ausdehnungsarbeit entsprechend abkühlt. \ Nimmt sie nach dem Abschliessen des Hahnes wieder ihre frühere Temperatur aus der Umgebung an, so steigt der Druck im entsprechenden Verhältnis. Die Berechnung derartiger Versuche geschieht nach der S. 92 gegebenen Formel, welcher man die Gestalt

i k =

logPi logpa

logvg logvj

. I

94 U. Stöchlometrie gasförmiger Stoffe.

giebt. Doch sind die Versuche nach dieser Methode schwieriger oder weniger genau, als die nach der Methode der Schallgeschwindigkeit, weil es sehr schwer hält, den Vorgang streng adiabatisch auszuführen.

Berechnet man nach den Werten von k, die man auf solche Weise bestimmt hat, aus den Molekularwärmen bei konstantem Druck die bei konstantem Volum, so erhält man im allgemeinen Zahlen, welche etwas kleiner ausfallen, als die auf S. 90 aus der äusseren Arbeit berechneten. Dies rührt daher, dass bei zusammengesetzteren Gasen die dort gemadite Voraussetzung nicht zutri£ft; auch bei der Ausdehnung ohne äussere Arbeit findet bei solchen Gasen ein allerdings nicht grosser Wärmever- brauch statt, welcher daher rührt, dass noch eine merküche Wechsel- wirkung des Stoffes vorhanden ist, die bei der Ausdehnung teilwase aufgehoben wird.

Schliesslich sei noch das Verhältnis der kinetischen Hypothese zu den experimentellen Bestimmungen der spezifischen Wärme erörtert. Nadi dieser Auffassung ist die in einem Gase enthaltene Energie in erster Linie kinetische und zwar ergab sich der Betrag derselben, der in dem Gase anwesend sein muss, um einen Druck entsprechend den Gasge- setzen hervorzubringen, gleich '/g pv, oder gleich ^/g KT. Die Zu- nahme dieser Energie für jeden Grad hat also den Wert ^/g R, und somit ist auch ^/^ R der Wert der Molekularwärme des Gases, d. h. die Vermehrung von dessen Wärmeinhalt oder kinetischer Energie für jeden Grad. Da R = 8-3 1 j/T ist, so folgt für die Molekularwärme die Zahl 1247J/T oder 2.y8cal./T.

Vergleicht man dies Ergebnis mit der S. 90 gegebenen Tabelle, so findet sich keine Übereinstimmung; die Molekularwärmen sind alle viel grösser. Der Vergleich ist mit den Molekularwäi'men bei konstantem Volum, also ohne äussere Arbeit zu ziehen 5 doch auch diese Zahlen sind alle grösser, zum Teil sehr erheblich.

Es ist deshalb nötig, die kinetische Hypotiiese in der Richtung zu erweitern, dass man noch eine andere Art der Energie in den Molekehi der Gase annimmt. Eine solche bietet die folgende Betrachtung.

Im Sinne der Hypotiiese besteht eine Molekel auch der elementaren Gase aus mehreren Atomen, die durch irgend welche Kräfte zusammen- gehalten werden, und sich in einer gewissen Entfernung von einander be- finden. Dadurch wird bei den gegenseitigen Stössen nicht nur die ge- radlinige Fortschreitung der Molekeln beeinflusst, sondern es treten auch drehende Bewegungen der Bestandteile dieser Molekeln gegen einander ein, welche einen Teil der Energie aufiiehmen, ohne dass dieser an dem Betrage des Druckes zur Geltung kommt. Die eben berechnete Wärme- kapazität ist daher nur als ein kleinster Wert aufzufassen, der eintreten würde, wenn die Molekeln sich wie ausdehnungslose Punkte verhielten und keine Energie der drehenden Bewegungen enthalten könnten; anders beschaffene Molekeln müssen eine grössere Wärmekapazität zeigen, und

Die Wärmeerscheinungen der Gase und der. erste Hauptsatz etc. 95

r«rax eine um so grössere, je zusammengesetzter sie sind. Hiermit stehen die Zahlen der Tabelle in der That im Einklänge.

Ein noch weitergehender Schluss ist von Kundt und Warburg (1876) gezogen worden. Bei den in Dampfgestalt bekannten MetaUen bestehen die Molekeln nach der Hypothese von Avogadro (S. 67 und 72) aus einzelnen Atomen und bei ihnen ist daher der Minimalwert der Wärmekapazität zu erwarten. Nun ist es zwar schwierig, die spezifische Wärme eines Metall- dampfes unmittelbar zu messen, da schon der Siedepunkt des niedrigst siedenden Metalles, des Quecksilbers, bei 360^ liegt; doch genügt es, daa Verhältnis der beiden spezifischen Wärmen zu bestimmen. Denn da der Unterschied beider Werte gleich R ist, so lässt sich jeder einzelne Wert berechnen, wenn das Verhältnis der beiden gegeben ist. Zur Bestimmung des Verhältnisses aber kann das Verfahren der Schallgeschwindigkeit ohne aUzugrosse Mühe benutzt werden.

Ist nun die Molekularwärme eines solchen Gases bei konstantem Volum gleich ^/^ R, so ist die bei konstantem Druck um R grösser, also VjK? ^d das Verhältnis beider ^j^ =1.667, Ein solcher Wert der Verhältniszahl k ist also für Quecksilberdampf zu erwarten.

Der Versuch ergab k=l-66, entsprechend den Ei-wartungen.

Durch diesen glänzenden Erfolg gelangte die kinetische Hypothese zu grossem Ansehen, so dass sie auch noch heute vielfach als eine wissenschaft- liche Wahrheit, und nicht als das, was sie ist, eine bildliche Veranschau- lichung, angesehen wird. Es ist natürlich, dass ein solches Bild, das man den erfahrungsmässigen Thatsachen entsprechend gewählt hat, sich zur Dar- stellung dieser Thatsachen und verwandter als brauchbar erweist. In solchem Sinne ist ein solches Bild sogar ein wertvolles Hilfsmittel der Forschung, in- dem es auf die Möglichkeit und die mutmassliche Gestalt weiterer Beziehungen hinweist. Aber ebenso natürlich muss es einen Punkt geben, von dem ab Bild und Wirklichkeit auseinanderzugehen beginnen, und dann ist es meist eine vergebliche Verschwendung von Arbeit, das Bild noch weiter benutzen zu wollen und durch willkürliche Annahmen ad hoc den Schein einer weiteren Übereinstimmung herzustellen. Solche Schwierigkeiten sind auch in diesem Falle aufgetreten.

Theoretische Untersuchungen, um bei zusammengesetzteren Molekeln die zur intramolekularen Arbeit erforderliche Energiemenge zu bestimmen, sind Tielfach angestellt worden, doch ohne erheblichen Erfolg. Auf die hier ob- waltenden Verhältnisse hat nicht nur die Zahl der Atome, sondern auch ihre Beschaffenheit einen entscheidenden Einfluss, wie daraus hervorgeht, dass die Molekularwärmen solcher Gase, welche gleichviel Atome in der Molekel ent- halten, verschieden gefunden worden sind. Diese besondere Beschaffenheit aber hat man noch nicht zahlenmässig auszudrücken gewusst.

96 StöcMometrie der Flüssigkeiten r

Drittes Bnch.

StöcMometrie der Flüssigkeiten.

Erstes Kapitel.

Die allgemeinen Eigenschaften der Flüssigkeiten.

Im flüssigen Aggregatzustande haben die Stoffe die Fähigkeit ver- loren, jeden dargebotenen Raum gleichmässig auszuitlllen. Flüssigkeiten besitzen im Gegensatz zu den Gasen ein bestimmtes Volum, das zwar wie dort sich durch Druckänderungen vergrössem oder verkleinem lässt, jedoch nur in verhältnismässig sehr geringem Grade. Mit den Gasen übereinstimmend besitzen die Flüssigkeiten keine eigene Gestalt, sondern nehmen jederzeit eine solche an, welche der Gesamtheit der auf sie einwirkenden Drucke entspricht.

In Bezug auf den Einfluss des Druckes auf das Volum zeigen die Flüssig- keiten nichts mehr von der Übereinstimmung, welcher wir bei Gasen begegnet sind. Die Zusammendrückbarkeit, gemessen durch die Volumändening, welche die Einheit des Volums durch die Einheit der Druckänderung erfährt, ist sehr klein; sie beschränkt sich beim Wasser z. B. auf etwa 48 Milliontel für eine Atmosphäre. Bei anderen Flüssigkeiten ist sie meist grösser und bei allen von der Temperatur abhängig.

Die absolute Bestimmung dieser Grösse ist schwierig auszuführen, da die Volumänderung der Geiasse schwer in Rechnung zu ziehen ist. Leichter gelingt eine relative Bestimmung; und ist von einer Flüssigkeit die absolute Kompressibilität bekannt, so kann durch eine Vergleichsbe- stimmung dieser und der zu untersuchenden Flüssigkeit die relative Mes- sung leicht in eine absolute tibergefährt werden. Für diesen Zweck kann die Angabe dienen, dass das Quecksilber sich bei 0^ durch den Druck einer Atmosphäre um 0-000003198, also sehr nahe um 0-0000032 seines Volums zusammendrücken lässt. Bestimmt man also die schein- bare Volumverminderung des Quecksilbers in einem beliebigen Gefäss durch einen bekannten Druck, so ist der Unterschied zwischen dieser und der aus der wahren Zusammendrückbarkeit zu berechnenden gleich der Volumänderung des Gefässes für diesen Druck. Ist diese bekannt, so lässt sich aus der scheinbaren Zusammendrückung einer anderen Flüssig- keit in demselben Gefässe ihre wirkliche und damit ihre Zusammendrück- barkeit oder ihr Kompressionskoeffizient ableiten.

Auch die Ausdehnung der Flüssigkeiten durch die Wärme ist von ihrer Natur in hohem Masse abhängig, und hat sich noch nicht unter allgemeine Gesichtspunkte bringen lassen. Gewöhnlich wird der Einfluss der Temperatur auf das Volum durch eine Fonnel von der Grestalt V= Vo (1 + at + bt* -|- <^*^ + •) klargestellt, wo V das Volum bei der Temperatur t, Vq dasselbe bei 0", und a, b, c, ... Konstanten sind.

Die allgemeinen Eigenschaften der Flüssigkeiten. 97

Solche Formeln haben keinerlei theoretische Bedeutung und dienen nur dazu 7 die Volume für zwischenliegende Temperaturen zu berechnen, ftir welche kerne unmittelbaren Beobachtungen vorliegen. Dieselben Dienste leisten Kurven, deren Abscissen Temperaturen und deren Ordiuaten die Volume (oder zweckmäBsiger nur die Volumzunahme) darstellen.

Von Mendelejew ist (1884) eine Formel vorgeschlagen worden, welche die

Wärmeausdehnung der Flüssigkeiten mit ziemlicher Genauigkeit durch eine

Y

einzige Konstante zu kennzeichnen gestattet. Sie hat die Gestalt V ^j ^

und schliesst sich recht gut den gemachten Beobachtungen an. Indessen sind Abweichungen von denselben doch meist grösser, als die Versuchsfehler ge- statten, und Mendelejew will seine Formel deshalb als ein Grenzgesetz, ähn- lich wie die Gasgesetze, betrachtet wissen, dem eine ideale Flüssigkeit genau folgen würde, von dem aber die wirklichen Flüssigkeiten je nach Um- ständen mehr oder weniger abweichen. Untersuchungen über den etwaigen Zusammenhang der Grösse k, des „Ausdehnungsmodulus" mit der Zusammen- setzung der Flüssigkeiten sind noch nicht angestellt worden.

Eine ganz besondere Stellung in Bezug auf die Wärmeausdehnung nimmt das Wasser ein, welches, wi6 Rumford (1802) zuerst gezeigt hat, bei der Erwärmung von 0*^ aufwärts sich zuerst zusammenzieht, bis es bei 4** sein kleinstes Volum erreicht hat; darüber hinaus dehnt es sich wie alle Flüssigkeiten aus, und zwar für gleiche Temperaturerhöhungen um so mehr, je wärmer es bereits ist. Bis 100'^ beti-ägt die Ausdeh- nung etwa 4 Pi'ozent des Volums bei 0®, wovon 1 Prozent bis 50'* und die übrigen 3 Prozent zwischen 50® und 100^ zu stände kommen.

Da die Flüssigkeiten gegen äusseren Druck und Wärme sich unter- emander verschieden verhalten, so ist zu schliessen, dass ihr Volum nicht durch allgemeine, von ihrer chemischen Natur unabhängige Verhältnisse bedingt ist, wie bei Gasen, sondern durch ihre besondere Beschaffenlieit. Das Volum der Flüssigkeiten ist keine kolligative Eigenschaft, wie bei Gasen. Wir werden später sehen, dass es wesentlich additiven Cha- rakters ist.

Eine den Flüssigkeiten eigentümliche Erscheinung, die bei Gasen nicht vorhanden ist, besteht in der Ent Wickelung einer Oberfläche bei ihnen. Mit solch einer Oberfläche grenzt sich eine Flüssigkeit selbstthätig ab, wenn ilir ein Kaum dargeboten wird, der grösser ist als der, den sie unter den vorhandenen Umständen für sich einnimmt.

Die Gestalt dieser Oberfläche erscheint gewöhnlich als eine Ebene; indessen ist dies nur die Folge der Wirkung der Schwere, unter der die Flüssigkeiten gewöhnlich stehen. Schliesst man diesen Einfluss aus, 80 macht sich eine Wirkung geltend, vermöge deren sich die Oberfläche möglichst zu verkleinem strebt. Es ist somit Arbeit erforderlich, die Oberfläche zu erzeugen oder zu vergrössem; durch ihre Verkleinerung kann umgekehrt Arbeit gewonnen werden. Daraus folgt, dass die

Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 7

98 III« Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

Oberfläche der Flüssigkeiten der Sitz einer Energie ist, deren Vorhanden- sein durch sie bedingt ist, nnd deren Betrag sich mit ihi'er Grösse ändert Man nennt diese Energieart Oberflächenenergie. Sie lässt sich als eine für den Fltissigkeitszustand charakteristische Energieart ansehen, wie die Volnmenergie flir die Gase sich als die wichtigste Form herausge- stellt hat. Auch bestehen hier, wie später gezeigt werden wird, beztig- Uch allgemeiner Gesetze ganz bestimmte Analogien.

Zweites Kapitel.

Verdampfting und VerfLüssigong.

Die Existenz einer Flüssigkeit ist, allgemein gesprochen, daran ge- bunden, dass sie mindestens unter einem bestimmten Drucke steht, der von der Temperatur und von ihrer Beschaffenheit abhängt. Steht sie unter einem höheren Druck, so verhält sie sich, wie eben beschrieben, d. h. sie ändert ihr Volum nur wenig, wenn man den Druck auch er- heblich steigert.

Vermindert man den Druck, so giebt es einen Punkt, wo eine neue Erscheinung auftritt. Die Flüssi^eit scheidet einen Stoff aus, der die Eigenschaften eines Gases hat, und versucht man weiter durch Ver- grösserung des Volums den Druck zu vermindern, so erweist sich dies als nicht möglich. So lange die Temperatur dieselbe bleibt, bleibt nun- mehr auch der Druck unverändert, und die ganze Wirkung besteht da- rin, dass sich zunehmend mehr von dem gasförmigen Stoffe bildet, und dass die Menge der Flüssigkeit sich in gleichem Masse verringert. Die Flüssigkeit verwandelt sich also in diesen gasförmigen Stoff; man nennt ihn den Dampf der Flüssigkeit.

Setzt man die Volumvergrösserung bei konstanter Temperatur fort, so geht schliesslich alle Flüssigkeit in Dampf über. Ist dies geschehen, so tritt wieder eine gegenseitige Abhängigkeit von Druck und Volum ein, und zwar besteht nun zwischen beiden die Beziehung pv = const., wie wir sie von den Gasen her kennen.

Vermindert man umgekehrt das Volum des Dampfes, so nimmt erst der Druck gemäss dem Boyleschen Gesetz (meist unter einiger Ab- weichung, vergl. S. 55) zu; dann tritt bei einem bestimmten Drucke Verflüssigung ein, und nun bewirkt eine Verminderung des Volums nur eine fortschreitende Umwandlung von Dampf in Flüssigkeit, ohne dass sich der Druck dabei ändert; erst nachdem aller Dampf verflüssigt worden ist, treten die gewöhnlichen Eigenschaften der Flüssigkeit wieder ein.

Dieser Druck, welcher unabhängig von der Menge Dampf und Flüssigkeit ist, die nebeneinander bestehen, ist indessen mit der Tem-

!

\ Verdampfung und Verflüssigung. 99

!

i

peratur in hohem Masse veränderlich, und zwar besteht ohne Ausnahme das Gesetz, dass dieser Druck, den wir den Dampfdruck der Flüssig- keit nennen wollen, mit steigender Temperatur zunimmt.

Man wird also im allgemeinen zu erwarten haben, dass jedes Gaa durch geeignete Erhöhung des Druckes und Erniedrigung der Tempe- ratur in eine Flüssigkeit verwandelt werden kann. Diese Erwartung darf heute als allseitig bestätigt angesehen werden, nachdem in der neuesten Zeit durch Dewar (1898) auch die bis dahin widerstandsfähigsten Gase WasserstoflF und Heüum im Zustande statischer Flüssigkeiten er- halten worden sind.

Der erste Forscher, welcher in umfänglicher Weise sich mit der Aufgabe beschäftigte, die als Gase bekannten Stoffe in den flüssigen Zustand überzu- führen, war Faraday (1823). Er verflüssigte Kohlendioxyd, Schwefelwasser- stoff, Chlorwasserstoff, Schwefeldioxyd, Cyan, Ammoniak und Chlor, indem er sie unter starkem Druck niedrigen Temperaturen aussetzte. Später lehrte Thilorier (1835) das Kohlendioxyd in grossem Massstabe verflüssigen, so dass man sich des flüssigen, oder noch bequemer des festen, mit Äther vermischten Kohlendioxyd zur Erzeugung sehr niedriger -Temperaturen, bis 100", bedienen konnte. Faraday benutzte später (1845) dies Mittel, und erhielt Jodwasser- stoff, Brom Wasserstoff, Schwefeldioxyd, Schwefelwasserstoff, Stickstoffoxydul, Cyan und Ammoniak sowohl flüssig wie fest, während Chlorwasserstoff, Arsen- wasserstoff, Äthylen, Siliciumfluorid, Borfluorid und Chlor nur als Flüssigkeiten auftraten. Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Stickoxyd, Kohlenoxyd und Leuchtgas gaben hingegen kein Anzeichen von Verflüssigung zu erkennen.

Nachdem inzwischen entdeckt w^orden war (s. w. u.), dass möglichst niedrige Temperaturen für die Verflüssigung wesentlich sind, war auch der Weg gezeigt, die noch widerstehenden Gase zu verflüssigen. Pictet (1877) er- zeugte sehr niedrige Temperaturen, indem er flüssiges Kohlendioxyd durch flüssiges Schwefeldioxyd, welches im leeren Räume siedete, stark vorkühlte, und dann seinerseits im Vakuum zum Verdampfen brachte. Sauerstoff, welcher in einer dickwandigen schmiedeeisernen Retorte durch Erhitzung von Kalium- chlorat erzeugt und durch eigenen Druck auf einige hundert Atmosphären zusammengepresst wurde, ging bei der so erhaltenen Temperatur ( 140°) in den flüssigen Zustand über.

Cailletet verflüssigte gleichzeitig (1877) die „permanenten" Gase, indem

er zur Abkühlung derselben den Arbeitsverbrauch benutzte, welchen sie bei

plötzlicher Ausdehnung beanspruchen. Um die entsprechenden Temperatur-

j änderungen zu berechnen, gehen wir von der oben (S. 92) mitgeteilten Gleichung

für die adiabatische Zustands&nderung

k~i k-i Pi ^±x

k-i k-i

P2 Ta

aus. Setzt man für Luft k=l'41, so folgt für verschiedene Anfangsdrucke folgende Tabelle, wenn man voraussetzt, dass die Anfangstemperatur und der schliessliche Druck 1 Atmosphäre ist.

7*

715

201.5«

58-5

214.5«

520

221-0 <>

47-9

2251 «

44-8

228.2 °

100 III. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

Temperatur Druck in Atmosphären ^^^^^^^ Centesimalgrade

100

200

300

400

500

Es sind also sehr tiefe Temperaturen, welche sich bei etwas stärkeren An- fangsdrucken berechnen Allerdings werden dieselben nie ganz erreicht, da alsbald die Gasmenge, die wegen der hohen Drucke nur klein genommen werden kann, durch die Wände erwärmt wird. Die Verflüssigung macht sich unter diesen Umständen nur als Nebel geltend, welcher im Augenblick der Druckaufhebung entsteht, und in wenigen Augenblicken verschwindet.

In neuerer Zeit ist durch Linde (1Ö95) ein Verfahren erfunden worden, um atmosphärische Luft durch einen stetigen Vorgang in den flüssigen Zu- stand zu versetztti und beliebige Mengen davon herzustellen. Es beruht auf der Erscheinung, dass vermöge des unvollkommenen Gaszustandes bei der Aus- dehnung der Luft auch ohne Arbeitsleistung (z. B. durch ein Drosselventil) eine Abkühlung erfolgt. Diese ist zwar zunächst klein; ^lan benutzt sie aber, um die weiter hinzutretenden Luftmengen vorzukühlen, wodurch deren Tem- peratur beim Durchgang durch das Ventil noch tiefer sinkt. Die Abkühlung steigert sich auf diese Weise mit jedem weiteren Durchgange der Luft und wird nach einiger Zeit so bedeutend, dass sich die Luft verflüssigt. Eine Be- förderung erfährt der Vorgang dadurch, dass die Abweichung von den Gas- gesetzen, und damit die Abkühlung beim Durchgang durch das Ventil um so grösser wird, je niedriger die Temperatur geworden ist.

Die Temperatur der unter Luftdruck siedenden flüssigen Luft ist je nach dem Gehalt an Sauerstoff etwas verschieden, um 180®. Durch Siedenlassen unter der Luftpumpe kann man sie weiter erniedrigen. Bei diesen Temperaturen werden fast alle Gase flüssig oder fest, und fast alle Flüssigkeiten gehen in feste, krystallinische oder amorphe Körper über.

Vergleichen wir das Verhalten eines Gases oder einer Flüssigkeit allein mit dem des Gebildes aus Dampf und Flüssigkeit, so finden wir einen wesentlichen Unterachied. Wenn eine gegebene Gasmenge eine bestimmte Temperatur hatte, so war dadurch ihr Druck noch keineswegs bestimmt; er konnte vielmehr jeden beliebigen Wert haben, wenn man das Volum passend wählte. War aber noch eine dieser beiden Grössen bestimmt, so war die dritte gegeben; ein vorgeschriebener Druck konnte bei vor- geschriebener Temperatur nm^ bei einem ganz bestimmten Volum er- reicht werden, oder umgekehrt. Der Zustand eines Gases ist daher durch zwei Veränderliche vollständig bestimmt oder, wie man sich auch aus- drücken kann: eine gegebene Gasmenge hat zwei Freiheitsgrade. Ein Gebilde aus Flüssigkeit und Dampf hat dagegen nur einen Freiheitsgi*ad: ist die Temperatur frei gewählt, so ist dadurch der Dnick bestimmt, und umgekehrt.

Verdampfung und Verflüssigung. 101

Dies rührt daher, dass ein solches Gebilde aus zwei verschiedenen Anteilen besteht, in denen zwar gleicher Druck und gleiche Temperatur herrscht, deren Dichten und sonstige Eigenschaften aber verschieden sind. Solche verschiedene, durch physische Trennungsflächen gegeneinander abgegrenzte Teile eines Gebildes nennt man seine Phasen. Innerhalb jeder Phase suid alle Eigenschaften konstant, und ein jeder Teil einer Phase ist von jedem anderen nur durch seine Menge verschieden; von einer Phase zur anderen, wenn sie auch nebeneinander bestehen können, haben die Eigenschaften andere Werte.

Es besteht nun das allgemeine Gesetz, dass ein Gebilde um so weniger Freiheiten hat, je mehr Phasen in ihm auftreten, und zwar geht für jede neue Phase ein Freiheitsgrad verloren. Die Gebilde aus ein- heitlichen Stoßen, die zunächst betrachtet werden sollen, ergeben als konstante Summe der Phasen und der Freiheiten drei. In einem Gase oder in einer Flüssigkeit allein ist nur eine Phase vorhanden: folglich sind noch zwei Freiheitsgrade gegeben, entsprechend dem eben gesagten. Tritt aber eine zweite Phase auf, wie in dem Gebilde aus Flüssigkeit und Dampf, so geht ein Freiheitsgrad verloren, und es bleibt nur einer erhalten.

Diese Betrachtungsweise erscheint zunächst nur wie eine etwas umständ- lichere Umschreibung wohlbekannter Thatsachen. Dies ist ganz richtig; doch ergiebt sie für die Untersuchung verwickelterer Gebilde so erhebliche Vor- teile, dass es zweckmässig erscheint, sie schon auf diese einfachen Fälle anzu- wenden, um eine genügende Vertrautheit mit diesen Begriffen für die Be- handlung schwierigerer zu erreichen. Alsdann wird auch der allgemeine Aus- spruch des Gesetzes mitgeteilt werden, dessen Formulierung von W. Gibbs ;1876) herrührt.

Aus dem bekannten Verhalten der in Berührung mit der Flüssigkeit stehenden, oder wie man sie auch nennt, der gesättigten Dämpfe er- giebt sich als notwendig, dass weder die absoluten, noch die relativen Mengen, in denen die beiden Phasen anw'esend sind, einen Einfluss auf den Druck haben. Dies ist gleichfalls ein besonderer Fall eines allge- meinen Gesetzes: Auf das Gleichgewicht zwischen zwei belie- bigen Phasen haben die Mengen, in denen sie anwesend sind, keinen Einfluss. Auch von diesem Gesetz wird in der Folge sehr häufig Anwendung zu machen sein.

Sind die Mengen einer Phase sehr klein, so tritt allerdings ein Einfluss auf, der unterhalb einer gewissen Grenze merklich wird. Dies rührt daher, dass alsdann die Oberflächenenergie beginnt für den Zustand mitbestimmend zu werden. Bei Gelegenheit des entsprechenden Kapitels wird hierauf einge- gangen werden.

Das Gleichgewicht zwischen Flüssigkeit und Dampf wird also im allgemeinen durch eine Formel von der Gestalt p = f(T) dargestellt, wo f(T) eine vorläufig unbekannte Funktion der Temperatur ist, von der man

102 ni. Stöchiometrie der Flüasigkeiten.

dem oben ausgesprochenen Gesetz gemäss weiss, dass sie gleichzdtig mit der Temperatur zunimmt. Im übrigen wird sie sowohl von der Be- schaffenheit des Dampfes wie von der der Flüssigkeit abhängen , und die Eigenschaften beider zum Ausdruck bringen.

Die Beziehung zwischen Druck und Temperatur beim Gleichgewicht zwischen Flüssigkeit und Dampf wird experimentell auf zwei Wegen be- stimmt. Entweder sucht man die Drucke, welche sich herstellen, wenn man einen mit Flüssigkeit und Dampf erfüllten Raum auf die gewünschte Temperatur bringt, oder man bestimmt die Temperatur, bei welcher unter dem eingehaltenen Dinicke sich Dampf neben der Flüssigkeit bilden kann. Das erste Verfahren wird das statische genannt ^ es ist früher fast ausschliesslich benutzt worden, hat sich aber als das weniger genaue erwiesen. Das zweite wud gewöhnlich so ausgeführt, dass man die Flüssigkeit unter dem fraghchen Drucke sieden, d. h. Dampfblasen entwickeln lässt, indem man gleichzeitig von aussen die erforderliche Wärme zuführt; es heisst das dynamische und wird gegenwärtig fast allein zu genauen Messungen benutzt. Die zu einem bestimmten Drucke gehörige Temperatur heisst der Siedepunkt der Flüssigkeit für den bestimmten Dnick; der Druck, der sich bei einer bestimmten Tempe- ratur einstellt, heisst der Dampfdruck der Flüssigkeit bei jener Temperatur.

Man findet statt des Namens Dampfdruck häufig Dampfspannung oder gar Dampftension im Gebrauch. Es ist sehr zu wünschen, dass hier eine grössere Bestimmtheit Platz greift. In diesem Buche werden Spannungen nur die Wirkungen genannt werden, welche in Oberflächen auftreten, und die Kapillarerscheinungen verursachen ; ihre Dimension ist Energie/Fläche. Drucke haben dagegen die Dimension Energie /Volum, während die Dimension der Kräfte Energie /Strecke ist.

Was nun den Ausdruck der Beziehungen zwischen Dampfdnick und Siedetemperatur anlangt, so liegen hier zwei verschiedene Aufgaben vor. Man kann erstens nach einem allgemeinen Gesetz fragen, dm*cli welches an die Stelle der unbekannten Funktion f(T) ein bestimmter Ausdruck tritt. Zweitens wäre es denkbai-, dass, wenn ein solcher all- gemeiner Ausdruck nicht gefunden werden sollte, doch zwischen den zu zwei verschiedenen Flüssigkeiten gehörigen Funktionen f, (T) und fj (T) eine einfache Beziehung gefunden werden könnte, welche gestattete, aus der empirischen Kenntnis der einen die andere zahlenmässig abzuleiten. Es soll schon hier hervorgehoben werden, dass weder die eine, noch die andere Aufgabe bisher als allgemein gelöst bezeichnet werden kann.

Was die Frage nach einer allgemeinen Dampfdruckformel anlangt, durch welche der Verlauf der Funktion f(T) angegeben wüi'de, so ist bekannt, dass diese in grossen Zügen einer Exponentialfunktion ähnlich ist, so dass der Logarithmus des Druckes der Temperatur annähernd pro- portional wächst. Doch gilt dies nur in gi^ober Annäherung, denn ftlr gleichbleibende Unterschiede der Temperaturen sind die Differenzen dieser

Verdampfung und Verflüssigung. 103

Logaiithmen nicht konstant, sondern nehmen langsam mit steigender Temperatur ab. Das Gesetz dieser Abnahme hat sich noch nicht in eine einfache Gestalt bringen lassen.

Eine für rechnerische Zwecke brauchbare Interpolationsformel ist von

Bertrand (1887) angegeben worden. Sie hat die Gestalt p G I = 1 ,wo G und A zwei Konstanten sind.

Die Frage, warum eine so allgemeine Erscheinung, wie die Dampf- bildung, nicht auf eine einfache Formel hat gebracht werden können, da doch z. B. die Eigenschaften der Gase eine solche Formulierung gestattet haben, ist dahin zu beantworten, dass beim Dampfdruck es sich um das Gleichge- wicht zwischen Flüssigkeit und Dampf handelt. Wenn auch für den letzteren, wenigstens solange seine Dichte noch nicht bedeutend ist, einfache Verhältnisse bekannt sind, so wissen wir doch umgekehrt, dass sich die Flüssigkeiten indi- viduell verhalten. Im Dampfdrucke kommen die Eigenschaften beider Phasen zur Geltung, und daher ist zwar wegen der Verhältnisse der Dämpfe eine An- näherung an einfache Beziehungen vorhanden, diese wird aber durch den individuellen Einfluss der Flüssigkeitsphase verwischt. Aus diesem Grunde ist denn auch gerade der Dampfdruck ein gutes Mittel, um über den Einfluss der Temperatur auf die Eigenschaften einer Flüssigkeit Auskunft zu erhalten, und den Weg zu ihrer allgemeineren Behandlung zu bahnen.

Etwas erfolgreicher sind die Versuche gewesen, unter Verzicht auf eine allgemeine Formel die Dampfdrucke der Flüssigkeiten aufeinander zu beziehen, so dass man aus der Kenntnis des Verlaufes der Dampf- druckfiinktion einer Flüssigkeit die Dampfdrücke anderer ableiten kann, nachdem man einen oder einige Dampfdrucke an letzteren be- stimmt hat.

Der erste Versuch rührt von Dalton (1801) her; Dalton stellte die Regel auf, dass Flüssigkeiten von verschiedenen Siedepunkten bei solchen Temperaturen gleichen Dampfdruck zeigen, welche um gleich viel Grade von ihren Siedepunkten abliegen. So siedet Wasser bei 100®, Äther bei 35", d. h. sie haben bei diesen Temperaturen beide einen Dampfdruck von 76 cm. Bei 80*^, also 20° unter dem Siedepunkt, hat Wasser den Druck von 35-5 cm; Äther hat bei der entsprechenden Temperatur von 15° den Druck 354 cm. Die Zahlen stimmen vortrefflich, und Dalton hatte sein „Gesetz" in der That auch aus dem Vergleich von Äther und Wasser abgeleitet. Alkohol dagegen, der bei 78° siedet, hat bei 58° einen Druck von 33 cm, also einen erheblich zu kleinen, und das gleiche trifft für die meisten anderen Stoffe zu.

Viel besser stimmt mit der Erfahrung eine dem Daltonschen „Gesetz" nachgebildete Kegel von Dühring. Sie kommt darauf hinaus, dass zu der Daltonschen Formel noch ein von der Natur der Flüssigkeit abhängiger Faktor kommt. Wenn man von Temperaturen gleichen Druckes zu anderen Tempe- raturen gleichen Druckes übergeht, sind nicht (nach Dalton) die Temperatur-

104 ni. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

unterschiede gleich, wohl aber untereinander proportional. Das Daltonsche „Gesetz" würde, mit anderen Worten, gültig sein, wenn man für jede Flüssig- keit eine besondere Temperaturskala benutzte, die der Centesimalskala pro- portional wäre. Die Formel von Dühring lautet, wenn man als Vergleichs- flüssigkeit Wasser einführt:

t' = ö- + q (t 100).

Hier ist 100 die Siedetemperatur des Wassers und d- die des Stoffes bei

Kormaldruck (76 cm), t und t' sind die Siedepunkte beider bei irgend einem

anderen Drucke; q endlich ist ein Faktor, welcher je nach der Natur der

Flüssigkeit zwischen 0-5 bis 2'3 schwankt. Um q zu berechnen, hat man

t' ^ einfach q = r— , d. h. man dividiert die Unterschiede der zu zwei ver-

schiedenen Drucken gehörigen beiderseitigen Siedetemperaturen.

Eine andere Formel, die gleichfalls eine gute Annäherung gewährt^ die um so grösser ist, je näher die verglichenen Stoffe miteinander ver- wandt sind, besteht in der Annahme, dass die in absoluter Zählung ge- rechneten Siedetemperaturen für gleichen Druck einander proportional sind. Es ist also T^ /T^ = const., wenn man mit T^ und T^ die Siede- punkte zweier Stoffe bei gleichem Druck bezeichnet. Ramsay und Young (1886) haben u. a. gezeigt, dass sich diese Beziehung an den Halogenabkömmlingen des Benzols sowie an einer gi'össeren Anzahl ver- schiedener Fettsäureester bewährt. In solchen Fällen, wo sie nicht gilt, kann man sie durch die etwas verwiekeltere Formel

t;/t',=tjt, + c(t\-Ti)

eraetzen, welche in die erstgenannte einfache übergeht, wenn c = 0 wird. Hier bezeichnen die gestrichelten Temperaturen die Siedepunkte bei einem anderen Druck, der wieder für beide Stoffe gleich ist.

Durch den Mangel allgemeiner Gesetze auf diesem Gebiete ist da- her die Chemie auf die Zusammenstellung begrenzter Zahlenbeziehungen angewiesen. Solche sind zuerst von H. Kopp (1842) ausgesprochen worden, in der Form, dass bei analogen Stoffen gleichen Unter- schieden der chemischen Zusammensetzung organischer Ver- bindungen gleiche Unterschiede der Siedepunkte entsprechen So siedet z. B. jeder Äthylester einer Säure um durchschnittlich 19^ höher, als ihr Methylester, und die Säure selbst um 45" höher, als ihr Äthylester, etc.

Diese Bemerkung hatte alsbald grosses Interesse erregt und eine er- hebliche Anzahl von Versuchen veranlasst, statt der von Kopp mit sach- gemässer Zurückhaltung aufgestellten engeren Beziehungen allgemeine Gesetze aufzustellen. Diese Versuche sind sämtlich gescheitert, und haben scheitern müssen, weil die Autoren derselben die Siedepunkte als an und für sich ver- gleichbare Grössen betrachteten, ohne sich zu fragen, ob nicht statt der Tem- peraturen gleicher Dampf drucke nicht etwa die Temperaturen verschiedener.

Verdampfung und Verflüssigung. 105

von der Natur der untersuchten Stoffe abhängiger Dampfdrucke zu vergleichen seien. Denn es verschiebt sich das Bild der für einen bestimmten Druck he- obachteten Siedepunkte alsbald, so wie man auf irgend einen anderen Druck übergeht.

So ist denn auch die spätere Forschung nicht erheblich über den von Kopp aufgestellten allgemeinen Satz hinausgekommen; vielmehr hat seine Geltung erhebhch eingeschränkt werden müssen. Nach dem Satze ßiüssten metamere Stoffe gleichen Siedepunkt haben; dies trifft nicht genau zu. Insbesondere hat sich ergeben, dass die zur Zeit, wo Kopp seinen Satz aufstellte, noch nicht bekannten Konstitutionsverschieden- heiten isomerer Stoffe von gleicher chemischer Funktion, wie sie bei primären, sekundären und tertiären Alkoholen und Säuren, den soge- nannten Stellungsisomeren unter den Benzolabkömmlingen u. s. w. sich zeigen, jedesmal Verschiedenheiten der Siedepunkte bedingen. Zwar sind auch hier die Verschiedenheiten gesetzmässiger Natur, indem im allgemeinen primäre Alkohole höher sieden, als sekundäre, und diese höher, als die tertiären, oder in der anderen Gruppe die Paraver- bindungen höher zu sieden pflegen, als die Ortho- und Meta Verbin- dungen. Doch sind derartige Regelmässigkeiten noch zu beschränkten Charakters und nicht frei von Ausnahmen, so dass ihre Andeutung hier gentigen muss.

Wären die von Kopp an einem beschränkten Gebiete ähnhcher Ver- bmdungen beobachteten Beziehungen allgemein gültig, so wäre der Siede- punkt der chemischen Verbindungen eine additive Eigenschaft (S. 47); denn wenn gleichen Unterschieden der Zusammensetzung gleiche Unter- schiede des Siedepunkts entsprechen, so lässt sich dieser als die Summe von Zahlen darstellen, welche nur von der Art und dem Verhältnis der Elemente dieser Verbindungen abhängen. So verhalten sich die Siede- I punkte nun nicht; vielmehr sind weder ihre Unterschiede fiir gleiche Unterschiede der Zusammensetzung genau gleich, noch haben gleich zu- sammengesetzte Stoffe gleiche Siedepunkte. Es macht sich somit noch ein anderer Einfluss geltend, der auch bei gleich zusammengesetzten Stoffen verschieden ist.

Die Chemie besitzt fiir die Thatsache, dass es Stoffe von gleicher Zusammensetzung aber verschiedenen Eigenschaften giebt, den Ausdruck, dass deren Konstitution verschieden sei. Gewöhnlich veranschaulicht man sich diese Verschiedenheit durch verschiedene Anordnung der Atome, ' aus denen sich der Stoff aufbaut. Da aber diese Vorstellung hypothe- tisch ist, so muss man nach einem hypothesenfreien Begriff fragen, der die Thatsache ausdrückt. Diesen findet man in dem Umstände, dass olme Ausnahme solche gleich zusammengesetzten Stoffe von verschiedenen Eigenschaften einen nach Art und Menge verschiedenen Energieinhalt besitzen, und sich deshalb in verschiedener Weise verhalten, wenn sie (mit oder ohne Mitwirkung anderer Stoffe) irgend welche Umwandlungen erfahren. Man verbindet daher am besten mit dem Begriffe der Kon-

106 I^I- Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

8titution den des Energieinhaltes; daneben kann man zur kurzen Dar- stellung der chemischen Beziehungen noch von der sehr ausgebildeten Formelsprache Gebrauch machen, in der die heutige Chemie diese ver- sinnlicht; denn die Bedeutung der Struktur- und räumlichen Formehi ist keine andere, als dass sie zur übersichtlichen Darstellung chemischer Umwandlungen und Reaktionen dienen.

Benutzt man in diesem Sinne das Wort Konstitution, so wird man solche Eigenschaften, die von dieser abhängen, also bei gleich zusammen- gesetzten Stoffen verschieden sein können, konstitutive Eigenschaften nennen. Wie an dem vorliegenden Falle ersichtlich ist, verbinden sich additive und konstitutive Eigenschaften miteinander, so dass bei sich chemisch ähnlich verhaltenden Stoffen die Werte der Eigenschaft; additive Beschaffenheit annehmen, welche verschwindet, wenn man femer stehende Stoffe vergleicht. Ein besonderer Fall dieses Gesetzes ist, dass die Eigenschaften gleich zusammengesetzter oder isomerer Stoffe sich um 80 näher stehen, je ähnlicher ihre Konstitution ist. Es gehen mit anderen Worten die Zahlenwerte der physikalischen Eigenschaften der Stoffe mit ihren chemischen Beziehungen parallel.

Wiewohl für solche chemische Ähnlichkeit noch kein zahlenmässiger Ausdruck gefunden ist, so hat doch dieser Satz trotz seiner unbestimmten Fas- sung viele und nützliche Anwendung gefunden. Insbesondere liefert er in zweifelhaften Fällen ein Hilfsmittel für die Ermittelung der chemischen Ähn- lichkeit, und nach dieser Seite ist die Stöchiometrie der konstitutiven Eigen- schaften (deren es eine grosse Anzahl giebt) besonders wichtig geworden.

Um aus dem vorliegenden Gebiete einige Beispiele zu geben, so sind die Siedepunkte der isomeren Fettsäureester nicht gleich: sie stehen sich aber nahe, und um so näher, je weniger die Zusammensetzung der vorhandenen Säm'en, bez. Alkyle verschieden ist. Die mit diesen Estern isomeren fi*eien Fettsäuren sieden viel höher, doch bestehen zwischen ihren Siedepunkten wieder ähnüche Verwandtsdiaflsbeziehungen. Aus der nachstehenden Tabelle gehen diese Verhältnisse hervor.

Isomere Ester G^Hi^^O« Isomere Säuren C^H^OO'*

n-Buttersäure-Metiiylester 102-3® n-Valeriansäure 186-4®

i-Buttersäure-Metiiylester 92-3® i-Valeriausäure 176-3®

Propionsäure-Äthylester 98-8® Trimethylessigsäure 163-8®

Essigsäure-n-Propylester lOO-S® Äthylmethylessigsäure 177-0®

Essigsäure-i-Propylester 91-0®

Ameisensäure-n-Butylester 106-9®

Ameisensäure-i-Butylester 97-9®

Die kritischen Erscheinungen. 107

Drittes Kapitel.

Die kritischen Erscheinungen.

Der mit einer Flüssigkeit im Gleichgewicht stehende Dampf erfahrt einen doppelten Einfluss, wenn man die Temperatur erhöht Einmal würde er, wenn sein Druck unverändert bliebe, durch die höhere Tem- peratur ausgedehnt werden. Andererseits nimmt aber der Druck zu, und der Dampf wird dichter. Erfahrungsmässig tiberwiegt der zweite Einfluss immer bedeutend den ersten, so dass die Zunahme der Dichte des gesättigten Dampfes mit steigender Temperatur eine regelmässige Erscheinung ist, von der keine Ausnalime je beobachtet wurde.

Denkt man sich nun die Temperatur mehr und mehr gesteigert, so muss die Dichte des Dampfes der der Rüssigkeit immer näher kommen, und sie schliesslich erreichen. Es zeigt sich, dass mit dem Gleichwerden der Dichte auch das Gleichwerden aller anderen Eigenschaften verbunden ist, so dass an dieser Stelle Dampf und Flüssigkeit identisch werden. Eine Flüssigkeit, die in einem gegebenen Räume bis zu diesem Punkte neben ihrem Dampfe unterscheidbar und durch eine Fläche getrennt be- stand, wird von diesem Punkte ab den Raum gleichförmig ausfüllen und keine Trennungsfläche mehr erkennen lassen. Diese Erscheinung ist von Cagniard-Latour (1822) zuerat beobachtet worden.

Umgekehrt müsste man schliessen, dass man ein Gas nur genügend zusammenzudrücken brauchte, um es in eine Flüssigkeit zu verwandeln. Doch konnte Natterer (1848) trotz sehr grosser Drucke die Verflüssigung von Sauerstofl^, Stickstoff und Wasserstoff" nicht erreichen, wenn auch eine Anzahl anderer Gase durch die Anwendung hohen Druckes und starker Kälte von Faraday (1823 und 1845) verflüssigt worden war.

Diesen Widerspruch klärte erst Andrews (1869) auf, indem er nachwies, dass die Verflüssigung eines Gases nicht Sache des Druckes allein ist, sondern in entscheidender Weise von der Temperatur mit ab- längt. Er machte seine Beobachtungen am Kohlendioxyd, und sie sollen daher auch an diesem Beispiele geschildert werden.

Wird dies Gas bei Zimmertemperatur, also etwa 18*^, einem steigen- den Drucke unterworfen, so vermindert sich sein Volum anfangs dem Boyleschen Gesetze gemäss, und dann schneller. Bei 60 Atmosphären scheidet sich Flüssigkeit aus, und die weitere Volumverminderung erfolgt ohne Druckzunahme, bis alles Gas flüssig geworden ist. Dies ist das gewöhnliche Verhalten eines Dampfes.

Wiederholt man aber den Versuch oberhalb 31®, so kann man keine Verflüssigung erzielen, so hoch man den Druck auch steigert. Der Inhalt der Röhre, in der man den Versuch anstellt, bleibt immer gleich- förmig. Bei eingehenderer Untersuchung erweist sich die Temperatur von 31«1® als die Grenze zwischen diesen beiden Möglichkeiten: unter-

108

III. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

halb 31-1® kann man Kohlendioxyd durch Druck zu einer Flüssigkeh verdichten, oberhalb 31.1® nicht. Man könnte also diese Temperatur als die Grenze des flüssigen Zustandes bei diesem Gase ansehen.

Indessen sind die Verhältnisse doch etwas verwickelter. Der höchste Druck, durch den Kohlendioxyd verflüssigt wird, tritt bei 31» ein und beträgt 75 Atmosphären. Wir unterwerfen das Gas bei einer über 31^ liegenden Temperatur einem grösseren Drucke, z. B. von 80 Atmosphären, und kühlen es dann ab, indem wir den Druck unverändert erhalten.

Ist die Temperatur untei 31® gesunken, so heben wii den Druck auf: es zeigt sich, dass wir Flüssigkeil vor uns haben, denn dei Inhalt des Rohres siedet aui und verwandelt sich teilweise in Dampf.

Es ist also möglich, von einem Gase auszugehen, und etf in eine Flüssigkeit zu ver- wandeln, ohne dass jemals Heterogenität eintritt

Ebenso ist der umge- kehi-te Vorgang möglich. Wii nehmen Kohlendioxyd untei 31** und verflüssigen es durch Druck. Die Flüssigkeil drücken wir weiter, bis über 80 Atmosphären, und erwär- men sie, indem der Druck unverändert gehalten wii-d. Dann lässt sich in keinem Augenblicke, insbesondere auch nicht beim Durch- schreiten der Temperatur 3 1 ** ein Verdampfen beobach- ten; der Inhalt der Röhre bleibt immer gleichförmig. Wird nun bei 4u^ z. B. der Druck wieder vermindert, so erweist sich der Inhalt als gasförmig, denn man kann bis auf Atmosphärendruck herabgehen, ohne dass man irgend eine Siedeerscheinung wahrnimmt.

Die Zustände des Gases und der Flüssigkeit hängen also auf stetige Weise zusammen, und die gewöhnlich beobachtete Unstetigkeit dieses Überganges ist nur eine Folge des Weges, auf dem er gewöhnlich vor- genommen wird.

Die Gesamtheit der Verhältnisse lässt sich übersehen, wenn man die zusammengehörigen Dinicke und Volume bei konstanter Temperatur in

Fig. 8.

Die kritischen Erscheinungen. 109

einem Koordinatensystem darstellt, Fig. 8, wo die Drucke in Atmo- sphären nach oben, die Volume in willkürlicher Elinheit nach rechts eingetragen sind.

Die Linien konstanter Temperatur oder Isothermen eines vollkommenen Gases sind unter diesen Umständen durch Hyperbeln, entsprechend der Formel pv = const. dargestellt. Die flir die Luft geltenden Unien weichen nicht viel von diesen ab, und sind rechts oben für eine Anzahl Temperaturen verzeichnet. Für Kohlendioxyd haben wir zu Oberst die Isotherme für 48'1", die sich in ihrem Verlaufe diesen Linien anschliesst; nur ist wegen der Abweichung von den Gasgesetzen das Produkt pv kleiner, als bei Luft, und deshalb liegt die Linie niedriger. Die Isotherjne ftir 35-5° liegt noch niedriger, und zeigt eine auftällige Ausbiegung bei 85 Atmosphären, d. h. die Zusammendrückbarkeit ist bei höheren Drucken gering, und nimmt dort plötzlich grosse Werte an. Noch auftauender ist diese Ausweichung bei der Isotherme für 32*5^; bei der für 31-1® endlich ist sie so gross, dass die Linie einen Augen- blick bei 75 Atmosphären horizontal läuft, und dort die Zusammendrück- barkeit ausserordentlich gross ist, indem einer geringen Dnickverminderung eine sehr bedeutende Volumzunahme entspricht.

Ein wesentlich anderes Bild zeigt die Isotherme ftir 21-1^. Hier ist die Linie nicht mehr stetig, sondern setzt sich aus drei Stücken zu- sammen, die unter Winkeln aneinander stossen. Beginnt man bei grossen Volumen und kleinen Drucken rechts unten, so haben wir zu- erst einen Teil, der dem gasförmigen Kohlendioxyd angehört. Bei emem Drucke von etwas über 60 Atmosphären entsteht ein Winkel, und die Linie verläutt als horizontale Gerade. Es ist dies der Punkt, wo sich die Flüssigkeit auszuscheiden beginnt; der Druck ist dort von dem Volum unabhängig. Dies dauert so lange, bis alles Gas flüssig geworden ist; dann üitt ein neuer Knick auf, und der Druck nimmt sehr schnell zu, wenn sich das Volum nur um ein Geringes vermin- dern soll.

Die Isotherme für 13-1® zeigt ganz ähnliche Erscheinungen, nur dass die Flüssigkeit bei grösserem Volum und kleinerem Druck zu er- scheinen beginnt und der Dampf bei kleinerem Volum verschwindet.

Verbindet man die Knickpunkte durch eine Linie, die in der Fig. 8 punktiert gezeichnet ist, so liegen alle Zustände, in denen Flüssigkeit neben Dampf vorhanden ist, oder alle Zustände mit zwei Phasen innerhalb dieser punktierten Linie; die einphasigen Zustände dagegen ausserhalb. Jede ununterbrochene Linie, die wir in der Zeichenebene ziehen, stellt eine zusammenhängende Reihe von Zuständen dar, deren Volume und Drucke aus den Koordinaten unmittelbai* abgelesen werden können; die Temperaturen ergeben sich aus den Isothermen, welche geschnitten werden. Jede Linie nun, die so gezogen wird, dass das zweiphasige Gebiet vermieden wird, stellt eine Reihe von Zuständen dar, bei denen der Stoff homogen bleibt.

110 ni. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

Nun sind die Zustände am rechten unteren Rande der Zeichnung jeden- falls gasförmige; solche am unteren linken Rande jedenfalls flüssige. Man kann also vom Gase zur Flüssigkeit und umgekehrt gelangen^ ohne dass der Zustand jemals unstetig wird, oder dass zwei Phasen auftreten, wenn man nur die Drucke und Volume vermeidet, die durch die punktierte Linie eingeschlossen sind. Dies ist der Sinn des Satzes von dem stetigen Zusammenhange des flüssigen Aggregatzustandes mit dem gasförmigen.

In dem mit K bezeichneten Punkte liegt der höchste Druck und die höchste Temperatur vor, bei welchem eine Flüssigkeit unterscheidbar neben ihrem Dampfe bestehen kann. Der Punkt heisst der kritische, und demgemäÄsdie zugehörigen Werte die kritische Temperatur und der kritische Druck. Durch den Punkt ist ferner ein Volum gekennzeichnet, dem eine bestimmte Dichte entspricht. Diese heisst die kritische Dichte, und das zugehörige Volum das kritische Volum. Man kann das letztere entweder wie gewöhnlich auf ein Gramm des StoflFes beziehen, oder man bezieht es rationeller auf ein Mol 5 der letztere Wert mag daa kritische Molekularvolum heissen.

Die experimentelle Bestimmung der kritischen Grössen ist gegenwärtig an sich keine schwierige A.rbeit, soweit nicht durch die Zersetzlichkeit der Stoffe bei den meist hohen Temperaturen besondere Schwierigkeiten entstehen. Am leichtesten lässt sich die kritische Temperatur bestimmen. Man schliesst zu diesem Zweck den Stoff in eine Glasröhre ein, die er etwas mehr als zur Hälfte ausfüllt. Das Rohr wird zugeschmolzen und langsam erhitzt, bis man an einer charakteristischen Nebelerscheinung das Eintreten des kritischen Zustandes erkennt; noch leichter lässt sich dieser beim Abkühlen erkennen, und durch Wiederholung des Versuches gelangt man bald zu guten Werten.

Man könnte gegen dies Verfahren den Einwand erheben, dass die kritische Temperatur genau erst eintritt, wenn man gerade das kritische Volum ge- troffen hat. Doch sieht man aus der Fig. 8, dass eine grosse Änderung des Volums nur einen kleinen Einfluss auf den kritischen Punkt hat, da gerade an dieser Stelle die Isothermen alle fast parallel der Volumachse verlaufen.

Um den kritischen Druck zu bestimmen, schliesst man die Flüssigkeit in eine längere Röhre, die mit einem Kompressionsapparat und einem Mano- meter verbunden ist, und erwärmt die Röhre an ihrem oberen Ende über die kritische Temperatur, während man den Druck unter dem kritischen hält. Dann bildet sich eine Trennungsfläche zwischen Flüssigkeit und Dampf aus. Man steigert den Druck, bis diese eben verschwindet; das Manometer zeigt dann den kritischen Druck an.

Das kritische Volum ist am schwierigsten zu bestimmen. Man benutzt dazu ein von Mathias (1892) gefundenes Gesetz. Zeichnet man in ein Koordinatensystem die Temperaturen und die Dichten des Stoffes im flüssigen und gasförmigen Zustande, so erhält man für jede Temperatur zwei Punkte, die sich um so näher rücken, je höher die Temperatur wird, und die im kritischen Punkte zusammenfallen. Die Gesamtheit dieser Punkte erscheint

Die kritischen Erscheinungen.

111

wie in Fig. 9 als eine parabelartige Kurve. Diese hat die Eigenschaft, dass die Mitten zwischen den beiden Dichtewerten für die verschiedenen Tempe- raturen alle in einer Geraden mimjing liegen. Man hat also nur für einige Temperaturen die beiden Dichten zu bestimmen, um die Richtung der Ge- raden festzulegen, und dann ihren Durchschnitt mit der Ordinate der kritischen Temperatur zu bestimmen.

Die Werte der kritischen Grössen sind nicht flii- sehr viele Stoffe bekannt Allgemein lässt sich angeben, dass die kritischen Temperaturen sich über das ganze Gebiet verbreiten, in welchem Temperaturen über- haupt gemessen werden können. Sie liegen rund um die Hälfte höher als die Siedetemperaturen unter Atmosphärendruck nach absoluter Zählung, doch gilt die Regel nur als Annäherung. Über ihren Zusammenhang mit der

chemischen Zusammen- setzung lässt sich sagen, dass die im Anschluss an den Satz von, Kopp ent- wickelten Beziehungen der gewöhnlichen Siedepunkte ^ sich annähernd auch bei den kritischen Tempera- turen wiederfinden. Die früher gehegte Hoffnung, dass die letzteren genauer

den additiven Gesetzen folgen würden, hat sich nicht bestätigt; vielmehr scheinen die kritischen Temperaturen, die in viel höherem Masse als ver- gleichbare Grössen angesehen werden können als die gewöhnlichen Siede- punkte, den Einfluss der Konstitutionsverschiedenheiten deutücher zu zeigen als diese.

Die kritischen Drucke sind viel weniger untereinander verschieden, als die Temperaturen, denn sie bewegen sich meist zwischen den Grenzen von 30 bis 80 Atmosphären. Bei nahe verwandten Stoffen sind sie fast gleich, was im Hinblick auf spätere Betrachtungen besonders hervorge- hoben sei.

Die kritischen Volume endlich sind den Volumen bei den Siede- temperaturen der betreffenden Stoffe angenähert proportional. Auch diese Bemerkung ftihrt zu weiterer Verwendung.

Einige Angaben über die kritischen Grössen wichtiger Stoffe finden sich in der nachstehenden Tabelle.

Fig. 9.

112

III. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

Kritische Grösse

n.

^

n

<P

(in Centesimal-

(in Atmo-

(in com für

graden)

sphären]

1 Mol)

Aceton

2375

60-0

Acetylen

371

680

Äthan

350

45-2

Äthylalkohol

2436

628

160

Äthyläther

1944

356

301

Äthylen

101

51-0

127

Aldehyd

182.0

Ammoniak

130-0

1150

Benzol

288-5

479

220

Brom

302-2

135

Chlor

141-0

83-9

Chlorkohlenstoff

283-2

450

Chloroform

2600

550

Chlorwasserstoff

523

86-0

Essigsäure

3215

570

147

Kohlenoxyd

1395

35-5

Kohlensäure

311

73-0

147

Methylalkohol

2400

78-5

Methan

95-5

500

Pentan

197-2

330

Sauerstoff

1 18-0

50-0

Schwefelkohlenstoff

2777

78-1

215

Schwefelwasserstoff

1002

92-0

Schwefelige Säure

155-4

78-9

116

Stickoxyd

935

712

Stickoxydul

36-4

731

107

Stickstoff

146-0

33-0

Wasser

3650

2000

420

Wasserstoff

2345

20-0

Viertes Kapitel.

Überschreitungserscheinungen und die Theorie von

van der Waals.

Wenn man einen Dampf zusammendrückt^ bis er auf den Sättigungs- punkt gekommen ist, so tritt Verflüssigung nicht mit Notwendigkeit ein. Vielmehr kann man Zustände herstellen, in denen der Dampf untei höherem Drucke, als dem der Sättigung steht, und doch die Eigenschaften seines Zustandes beibehält.

Überschreitungserscheinungen und die Theorie von van der Waals. 113

d.

Das gleiche gilt ftlr die Flüssigkeit Es ist möglich, eine Flüssig- keit unter einem Druck zu erhalten, welcher unterhalb ihres Dampf- druckes bei der herrschenden Temperatur liegt.

Beide Möglichkeiten hören auf, wenn man die andere Phase zu- gegen sein lässt; ein Dampf lässt sich bei Gegenwart von Flüssigkeit nicht unter einen höheren Druck versetzen, als dem Gleichgewicht ent- spricht, und ebenso verwandelt sich eine unter geringerem als dem Dampfdrucke stehende Flüssigkeit sofort teilweise in Dampf, so wie ein kleines Dampfbläschen mit ihr in Berührung kommt.

Um die erste Erscheinung zu beobachten, verdünnt man in einer etwas Wasser enthaltenden grossen Flasche die Luft plötzlich durch Saugen. Ist die Flasche kurz vorher offen gewesen, so zeigt sich dabei sofort ein Nebel, indem durch die Ausdehnung der Luft deren Temperatur sinkt, wodurch der Sät- tigungsdruck des vorhandenen Wasser- dampfes unterschritten wird und Ver- flüssigung erfolgt. Als „Keime** dienen j die in der Luft schwebenden Stäubchen, die mit Feuchtigkeit gesättigt sind, und M-^

deshalb wie Flüssigkeitstropfen wirken. Hat man aber die Flasche über Nacht ruhig stehen gelassen, so erscheint bei nicht über- mässiger Ausdehnung der Luft kein Nebel, obwohl die Abkühlung die gleiche ist; der Wasserdampf kann also unter Umständen bestehen, wo seine Dichte grösser ist, als dem Gleichgewicht mit flüssigem Wasser entspricht. Dies rührt daher, dass in der ^^S- 1^«

Ruhe sich die Nebelkeime gesenkt oder an

den nassen Wänden der Flasche gefangen haben. An den letzteren, sowie an der freien Wasserfläche findet natürlich Verflüssigung statt; wegen der lang- samen Diffusion in Gasen bleibt aber die Hauptmenge lange „übersättigt^^

Bei verhältnismässig starker Abkühlung erscheint auch in staubfreier Luft Nebel.

Dass Flüssigkeiten unter Drucken nicht verdampfen, die weit unter ihren Dampfdrucken liegen, zeigt sich in den Erscheinungen der „Überhitzung". In sorgfältig gereinigten Gefässen kann man Wasser um viele Grade über den Siedepunkt erwärmen, und in einem gut ausgekochten Barometer sinkt das Quecksilber nicht auf seinen normalen Stand, sondern füllt die ganze Röhre aus, wenn diese auch ein Meter oder mehr zu hoch ist. Ist aber erst einmal das Quecksilber gesunken, wobei eine sehr kleine Menge Gas abge- schieden ist, so gelingt der Versuch nicht mehr, wenn das Bläschen nicht durch erneutes Auskochen beseitigt wird.

Es ist also durch die Knickstellen in den Isothermen der Fig. 8 kein Ende des flüssigen^ bez. gasförmigen Zustandes gegeben; diese

Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 3

O

114 in. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

können vielmehr über diese Punkte hinaus fortbestehen, und zwar, wie die Beobachtung gelehrt hat, in stetiger Fortsetzung der Isotherme.

Die Isothermen werden somit die Gestalt haben, wie sie in Fig. 10 angedeutet ist. Gehen wir vom Gaszustande a aus, so endet dieser nicht an dem Punkte b, wo die Dampfdrucklinie bd beginnt, sondern sie lässt sich über b hinaus stetig, etwa nach ß fortsetzen. Ebenso endet die Flüssigkeitsisotherme nicht in d, bei dem Dampfdrucke der Flüssigkeit, sondern man kann sie ein Stück in der Richtung d/ in das Gebiet kleinerer Drucke beobachten. Es ist deshalb von J. Thomson (1872) die Vermutung ausgesprochen worden, dass die Isothermen nicht nur oberhalb, sondern auch unterhalb des kritischen Punktes stetig zu- sammenhängen, und daher die Form abj^c/de haben.

Von dieser stetigen Isotherme lassen sich die Teile und ^y wenigstens teilweise beobachten; von dem hypothetischen Teile ßcy wird man aber sagen müssen, dass er sich nie als dauernde Erscheinung wird erhalten lassen. Denn während in den Teilen Siß und ey ein wirklicher Ruhezustand möglich ist, indem bei zunehmendem Druck sich das Volum verkleinert, also sich so ändert, dass der Druck verringert wird, so müsste im Teil ßcy das Gegenteil stattfinden: mit steigendem Druck würde das Volum w^achsen und die Drucksteigerung unbegrenzt weiter vermehren, und ebenso würde mit abnehmendem Druck audi das Volum abnehmen und die Druckverminderung nicht begrenzen, sondern steigern. Die durch den Teil ßcy gekennzeichneten Zustände würden daher, wenn sie auch herstellbar wären, sich labil im Sinne der Mechanik verhalten, d. h. sie würden bei der geringsten Zustandsänderung ihr Gleichgewicht verlieren, und unaufhaltsam in einen entfernten Zustand übergehen.

Im Gegensatz dazu sind die Zustände ab und de stabil und haben die Eigenschaft, sich selbstthätig wieder mehr oder weniger vollständig herzustellen, wenn sie gestört werden.

Die Zustände und äy sind zwar stabil gegen Änderungen des DiTickes und Volums, solange diese sie nicht in das labile Gebiet hinüber führen. Sie sind aber nicht stabil gegen die Berühnmg mit der anderen Phase, sondern erleiden dadurch gleichfalls endliche Zustandsänderungen, die sie nach der Linie dcb führen. Wegen dieser Mittelstellung sollen solche Zustände metastabil genannt werden.

Die hier geschilderten Erscheinungen sind nicht auf die Zustandsänderung^ Flüssigkeit: Dampf beschränkt, sondern treten allgemein auf, wo es sich um die Übergänge zwischen zwei Phasen und die Gleichgewichte dabei handelt. Es wird daher auch später oft von labilen, stabilen und metastabilen Zu- ständen die Rede sein, wobei der Übergang aus dem stabilen Gebiete in das metastabile durch die charakteristische Eigenschaft der Überschreitungser- scheinungen, die Empfindlichkeit gegen Spuren der anderen Phase, gekenn- zeichnet ist.

Überschreitungserscheinungen und die Theorie von van der Waals. I15

Eine Theorie, welche diese und andere Thatsachen in einen be- merkenswerten Zusammenhang bringt, ist von van der Waals im An- schluss an die früher (S. 57) angedeuteten Betrachtungen entwickelt worden (1881). Es wurde erwähnt, dass ausser dem ^inkompressiblen Volum '^ noch ein anderer Umstand das Volum der Gase so beeinflusst, dass bei mittleren Drucken das Volum kleiner wird, als es nach dem Boyleschen Gesetze sein sollte. Aus der Betrachtung der Fig. 5, S. 58 ergiebt sich, dass dort, wo diese Beeinflussung am deutlichsten hervor- tritt, auch das Gas in den flüssigen Zustand übergeht. Van der WaaJs hat dies als eine Wirkung einer gegenseitigen Anziehung der Molekeln aufgefasst, welche unter geeigneten Verhältnissen bis zur Verflüssigung führt. Man kann das Thatsächliche beibehalteu, ohne sich der hypo- thetischen Sprache zu bedienen, indem man die innere ^Energie des Gases, die bei einem vollkommenen Gas vom Volum unabhängig ist, bei dem unvollkommenen als vom Volum abhängig ansetzt. Diese Abhängigkeit zeigt sich darin, dass das Volum nicht mehr allein durch den von aussen bewirkten Druck bestimmt vdrd, sondern dass sich diesem ein „innerer Druck" hinzufugt, der mit abnehmendem Volum zunimmt. Die Funktion ; dieses Einflusses ist von van der Waals auf Grund schwieriger und nicht i unbestrittener Betrachtungen abgeleitet worden. Wir können uns mit der Thatsache begnügen, dass die auf diese Weise geftindene Funktion jdie wirklichen Verhältnisse mit bemerkenswerter Annäherung darzustellen vermag, ohne uns auf diese Ableitung einzulassen.

Van der Waals setzt den inneren Druck umgekehrt proportional dem Quadrate des Volums, so dass der Druck, welcher das Volum des Gases that- sächlich bestimmt, die Summe des äusseren Druckes p und des inneren a/v* ist. Unter gleichzeitiger Berücksichtigung des „inkompressiblen Volums" er- giebt sich dann die Formel

(p + :^) (v-b) = RT. Wird die Gleichung ausmultipliziert und nach v geordnet, so folgt

o A I ^T\ a ab V* V* [h A 1 + V r = 0.

V ' p y ' p p

l)ie Gleichung ist also in Bezug auf v vom dritten Grade und hat daher, je nach dem Werte der Konstanten, entweder drei reelle, oder eine reelle und zwei imaginäre Wurzeln. Das heisst: es giebt für jeden Wert von p und T entweder ein oder drei zugehörige Volume. Ersteres gilt offenbar für den gasförmigen Zustand unter geringem und für den flüssigen Zustand unter jbohem Druck, wo zu jedem Werte von Druck und Temperatur ein bestimmtes Volum vorhanden ist. Für Temperaturen, wo der Stoff sowohl als Flüssigkeit wie als Gas bestehen kann, giebt es offenbar zwei Volume, das im flüssigen und das im dampfförmigen Zustande; ein drittes Volum ist aber nicht bekannt.

Wenn man nun die durch diese Gleichung ausgedrückten Isothermen mit passenden Werten der Konstanten a und b in den Koordinaten p.

8*

116 in. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

und V zeichnet, so erhält man Kurven von der Gestalt der in Mg. 10 dargestellten hypothetischen stetigen Linie nach J. Thomson. Das dritte Volum ist dann durch den Punkt c gegeben, und es wird klar, warum es unbekannt ist: es liegt im labilen Gebiete und kann deshalb nidit beobachtet werden^

Die bemerkenswerteste Anwendung der Formel ergiebt sich, wenn man den Wert von p und T aufsucht, bei welchen die drei verschie- denen Volume in eines zusammenfallen. Das Gleichwerden des flüssigen und gasförmigen Volums findet im kritischen Punkte statt; da das dritte Volum zwischen diesen beiden liegt, so muss es gleichfalls am gleichen Punkte mit den anderen zusammenfallen.

Es sind also die drei Wurzeln der Gleichung gleich geworden. In solchem Falle ist in einer Gleichung von der Gestalt v* qv' + rv s = 0 der Wert tp, bei welchem die drei Wurzeln gleich werden, gegeben durch

^ = ^'«-g- und ^•*=s.

RT a ab

Wir haben also 3 o) = b H ; 3cp' == und w^ = , und wenn wir

P P P

die speziellen Werte, welche p und T in diesem Falle annehmen, mit n und ^

bezeichnen, so folgt

das kritische Volum ^=a3b,

a

der kritische Druck n =^

27 b**

die kritische Temperatur d == - .

27 Rb

Diese Gleichungen sind sehr merkwürdig. Die Grössen a und b, welche als Korrektionsglieder in die Gasgleichung eingeführt wurden, lassen sich z. B. aus den S. 56 bis 58 gegebenen Kurven berechnen, so dass sie die Ab^ weichungen von den Gasgesetzen mit genügender Annäherung darstellen. Hat man sie berechnet, so kann man aus ihnen die kritischen Konstanten: Druck, Volum und Temperatur bestimmen, ohne nur einen einzigen unmittelbaren Versuch zu machen.

Eine weitere ^merkwürdige Schlussfolgerung ist gleichfalls von van der Waals gezogen worden. Ersetzt man in der Gleichung

(p + :^)(^-b)-RT

die in gewöhnlichen Einheiten gemessenen Veränderlichen durch Bruchteile ihrer kritischen Werte, d. h. setzt man p = r7r, v=«n^ und T == m^, so folgt

(r+l)(3n-l) = 8m

In dieser Gleichung ist alles verschwunden, was von der besonderen Natur des Stoffes abhängt, und sie beansprucht daher wie die Gleichung der vollkommenen Gase allgemeine Geltung. Die Zustandsgieichung aller Stoffe müsste gleich werden, wenn man Druck, Temperatur und Volum als Bruch- teile ihrer kritischen Werte ausdrückt.

V.

Überschreitungserscheinungen und die Theorie von van der Waals. 117

Die Prüfung dieser sehr folgenreichen Beziehung hat ergeben, dass es sich um ein Grenzgesetz handelt, das von ähnlicher, aber noch eingeschränkterer Bedeutung ist, wie die Gleichung der idealen Gase. Während es sich nicht verkennen lässt, dass in der THat das Verhalten vieler Stoffe durch die Formel annähernd dargestellt wird, hat es sich andererseits erwiesen, dass die that- sächlichen Verhältnisse fast immer Abweichungen erkennen lassen, die zu gross sind, als dass sie den Versuchsfehlern zugeschrieben werden können. Man kann daher dieses „Gesetz der übereinstimmenden Zustände" zwar als einen brauchbaren Führer zur allgemeinen Übersicht, nicht aber als ein strenges Naturgesetz betrachten.

Die Anwendungen dieser Betrachtungsweise sind sehr mannigfaltig, denn man muss danach erwarten, dass jede Eigentümlichkeit des Zustandes eines flüssig -gasförmigen Stoffes sich bei den entsprechenden Werten eines anderen wiederfindet. So müssten z. B. alle Dampfdrucklinien übereinstimmen, wenn man die Drucke und Temperaturen als Bruchteile der kritischen Werte dar- stellte. Dies wäre eine Lösung des S. 102 gestellten Problems der gegenseitigen Beziehungen der Dampfdrucklinien verschiedener Stoffe.

Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkte die Formeln von Dühring und von Ramsay und Young, so sieht man, dass sie den Ansprüchen der Theorie von van der Waals nicht genügen. Am ehesten thut dies die ein- fachste Formel, nach welcher die Temperaturen gleicher Dampfdrucke ver- schiedener Stoffe einander proportional sind. Die Theorie verlangt, dass gleichen Bruchteilen des kritischen Druckes gleiche Bruchteile der kritischen Temperatur entsprechen ; sie geht also in jene Formel über, wenn die kritischen Drucke der verglichenen Stoffe gleich sind. Da die kritischen Drucke ein- ander im allgemeinen nahe stehen, so ist auch einzusehen, weshalb jene einfache Formel oft eine Annäherung an die Wirklichkeit giebt.

Die Rechnungen von van der Waals zeigen, dass in der That eine gegenseitige Beziehung der Dampf drucklinien verschiedener Stoffe im Sinne der Formel vorhanden ist. Doch haben die späteren Messungen verschiedener Forscher erwiesen, dass von einer genauen Übereinstimmung zwischen Ver- such und Theorie nicht die Rede sein kann, wie denn auch die Ausgangs- formel zwar eine gute erste Annäherung, nicht aber eine exakte Darstellung der Thatsachen enthält.

An späterer Stelle wird sich wiederholt Gelegenheit finden, die Theorie der übereinstimmenden Zustände als Führer in entsprechenden Fragen anzu- wenden. Rückblickend lässt sich bereits sagen, dass die zu vergleichenden Siedetemperaturen im Sinne der Betrachtungen Kopps (S. 104) nicht die bei gleichem Drucke wären, sondern die bei gleichen Bruchteilen des kritischen l>ruckes. Bei den geringen Verschiedenheiten zwischen den kritischen Drucken, die ohnedies mit der Konstitution der Stoffe unzweifelhaft gesetzmässig zusammenhängen, lässt sich indessen übersehen, dass das aus den Betrachtungen der gewöhnlichen Siedetemperaturen gewonnene Bild sich durch den Über- gang auf die vergleichbaren Temperaturen nicht wesentlich ändern wird.

118 in. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

Fünftes Kapitel.

Die Verdampfüngswärme und der zweite Hauptsatz.

Ausser der Änderung des Volums bei dem Übergange einer Flüssig- keit in den Dampf findet eine Änderung des Wärmezustandes in dem Sinne statt, dass dabei eine gewisse Wärmemenge verschwindet, die der Flüssigkeitsmenge proportional ist, und im übrigen von deren Natur und der Temperatur abhängt. Weil eine gleichgrosse Wärmemenge zum Vorschein kommt, wenn man den Dampf umgekehrt wieder in Flüssig- keit verwandelt, nahm die ältere Wärmetlieorie an, dass bei dem ersten Vorgange die aufgenommene Wärme in dem Stoffe noch enthalten sei, nur für das Thermometer nicht nachweisbar oder „latent". Gegenwärtig wird eine solche unbewiesene Annahme nicht gemacht, * vielmehr sieht man die Aufiiahme von Energie als eine Bedingung für die Änderung des Zustandes an, indem jeder Zustand eben durch die Energiemenge gekennzeichnet ist, die der Körper aufnehmen oder abgeben muss, um von einem willkürlich gewählten Anfangszustande in diesen zu gelangen.

Man bestimmt die Verdampfungswärme gewöhnlich, indem man den Dampf von gemessener Temperatur in einem Gefäss verdichtet, das in einem Kalorimeter, d. h. einem mit einer gewogenen Wassermenge beschickten Ge- fäss liegt, und die Temperaturerhöhung mittelst eines empfindlichen Thermo- meters feststellt. Das Produkt aus der Wassermenge in die Temperatur- erhöhung giebt (nach Anbringung der erforderlichen Korrekturen) die Zahl der abgegebenen Kalorieen. Von diesen ist noch die Wärmemenge abzu- ziehen, welche die verdichtete Flüssigkeit abgiebt, indem sie sich von der Temperatur der Verflüssigung (d. h. ihrer Siedetemperatur unter dem vor- handenen Drucke) auf die des Kalorimeters abkühlt; man erfährt diese durch einen entsprechenden Versuch mit der erwärmten Flüssigkeit.

Die Verdampftmgswärme wird gewöhnlich auf 1 g des Stoffes be- zogen; für unsere Betrachtungen ist die Rechnung auf ein Mol die rationelle. Man unterscheidet jene als die spezifische Verdampfungswärme oder Verdampfungswärme schlechtweg von der molekularen, die aus der ersten durch Multiplikation mit dem Molekulargewicht entsteht. In diesem Werke wird nur mit der molekularen Verdampfungswärme gerechnet wer- den, und es soll auch ohne weitere Bezeichnung stets diese gemeint sein.

Die Verdampfungswärme nimmt bei demselben Stoffe mit steigen- der Temperatur ab, und wird im kritischen Punkte gleich Null. Denn da in diesem Punkte der Unterschied zwischen den beiden Zuständen verschwindet, so kann auch der Übergang von dem einen zum anderen keine Änderung der Energie mehr bedingen. Durch unmittelbare Messungen ist übrigens auch von Mathias (1897) festgestellt worden, dass mit der Annäherung an den kritischen Punkt der Wert in solcher Weise kleiner wird, dass sein Verschwinden an diesem Punkte sich durch eine kleine Extrapolation mit Sicherheit ergiebt.

Die Verdampfungswärme und der zweite Hauptsatz. 119

Das Gesetz der Abnahme ist in allgemeiner Form nicht bekannt; auch sind nur wenig Stoffe in einigem Umfange daraufhin untersucht worden.

Der Betrag der molekularen Verdampfungswärme W ist bei den verschiedenen Stoffen durch ein angenähert gültiges Gesetz von ziemlich weiter Anwendbarkeit gegeben. Ist T die absolute Temperatur des Siede- punktes der betreffenden Flüssigkeit, so gilt W = AT, wo A eine von der Natur der Stoffe unabhängige Konstante ist. Ihr Wert beträgt für Atmosphärendruck in runder Zahl 20 cal oder 83-7 j, die man auf 84 j abrunden kann, so dass die Formel lautet: W=84Tj.

Die Gleichung gilt nur für den Vergleich der Verdampfungswärmen bei Atmosphärendruck, und man muss sich hüten, sie als eine allgemeine Formel anzusehen. Ihre Ungültigkeit für alle Temperaturen geht schon daraus her- vor, dass sie nicht bei der kritischen Temperatur W = 0 giebt, wie sie müsste. Es ist also der Koeffizient 84 seinerseits eine Funktion des Druckes, deren Gang einstweilen unbekannt ist.

Mit Hilfe der Eigenschaften des Dampfes wird bekanntlich die durch Verbrennung von Steinkohle erhaltene Wärmeenergie in mechanische umgewandelt, und die hierfür betrachteten Verhältnisse geben die allge- meine Grundlage dafür. Für das Verständnis sind einige Erörterungen über die Umwandlung der Energie vorauszuschicken.

Während der erste Hauptsatz oder der Satz von der Erhaltung der Energie die Bilanz bei jeder möghchen Umwandlung ziehen lässt, giebt er keine Auskunft darüber, ob und zu welchem Betrage in einem : gegebenen Falle diese Umwandlung stattfinden kann. Diese Frage beant- i wortet der zweite Hauptsatz. Ehe dieser indessen in seiner aUge- raeinsten Fassung vorgelegt wird, sollen einzelne wichtige Fälle gesondert studiert werden.

Vorhandene Wärmemengen lassen sich in mechanische Arbeit nicht unter allen Umständen verwandeln; so ist es insbesondere nicht möglich, in einem Räume, dessen Temperatur überall dieselbe ist, eine solche Ändening auszufiihren, dass schliesslich eine gewisse Wärmemenge ver- schwunden und eine äquivalente Menge irgend einer anderen Energie daftir entstanden ist. Für eine solche Umwandlung ist vielmehr ein Temperaturunterschied erforderlich (Carnot 1824), und man kann alsbald hinzufiigen, dass der Betrag der umwandelbaren Wärme mit der Grösse dieses Unterschiedes zunehmen wird, und dass immer nur ein Bruchteil x der Wärme in Arbeit verwandelt werden kann.

Femer kann man aber beweisen, dass der Maximalwert dieses Bruchteils, der sich in eine andere Form (z. B. mechanische Arbeit, von der zunächst ausschliesslich die Rede sein wird) umwandeln lässt, nur von der Temperatur abhängig sein kann.

Um dieses einzusehen, denken wir uns irgend eine Maschine, durch welche Wärme in Arbeit verwandelt wird, in möglichster Vollkommenheit

120 III« Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

ausgeführt, so dass die auf Reibung und dergl. verbrauchten Energie- mengen verschwindend klein sind. Eine solche Maschine würde umkehr- bar sein, d. h. wenn man sie umgekehrt laufen Hesse, so würde sie Arbeit verbrauchen, und die Wärmemengen, die sie beim direkten Laufe aufnimmt und abgiebt, umgekehrt bei den beti-effenden Temperaturen abgeben und aufnehmen.

Bei der Bethätigung dieser idealen Maschine müssen wir noch einen Vorbehalt machen. Da nämlich die in der Maschine verwendeten Stoffe durch die Änderung der Temperatur und des Druckes Änderungen ihrer inneren Energie erfaliren, von denen möglicherweise ein Teil der Wärme oder Arbeit herrühren könnte, so muss man, um dieses auszuschliessen, die weitere Bedingung stellen, dass nur solche Vorgänge beti-achtet wer- den, bei denen schliesslich die Stoffe wieder in ihren ursprünglichen Zu- stand zurückgeflihrt werden, so dass auch ihr Energieinhalt wieder der- selbe ist. Solche Vorgänge nennt man Kreisprozesse, und es muss betont und festgehalten werden, dass die zunächst zu entwickehiden Ge- setze nur für umkehrbare Kreisprozesse Geltung haben. Wenn sie an- gewendet werden sollen, muss man daher den zu untersuchenden Vor- gang als einen Teil eines umkehrbaren Kreisprozesses darstellen.

Nimmt also diese Maschine die Wärmemenge Q^ bei der Temperatur Ti auf, und verwandelt sie den Betrag Q davon in Arbeit, so wird sie den Rest Q^ ::= Qj Q bei der niedrigeren Temperatur Tg abgeben. Lässt man sie umgekehrt laufen, so wird sie die Arbeitsmenge Q ver- brauchen, um die Wärme Q3 bei der Temperatur Tg aufzunehmen, und diese nebst der in Wärme umgewandelten Arbeit Q, also die Wärme Q2 -|- Q = Qj bei der höheren Temperatur T^ abgeben.

Ausser dieser Maschine sei noch eine andere vollkommene oder umkehrbare gegeben, welche zwischen denselben Temperaturen arbeitet, im übrigen aber beliebig von der ei-sten verschieden sein mag. Die in ihr bethätigten Wärmemengen seien mit einem Strich bezeichnet. Dann lautet der zu beweisende Satz Q/Qj=Q'/Q/, d.h. das Verhältnis der umgewandelten Wärme zur aufgenommenen ist unabhängig von der Art der Maschine.

Wären die beiden Verhältnisse nicht gleich, so könnte man die Maschine, welche einen grösseren Bruchteil der Wärme in Arbeit um- wandelt, vorwärts, und die andere mit Hilfe der aus der ersten erhaltenen Arbeit rückwärts laufen lassen. Das Ergebnis würde sein, dass wir nicht alle von der eraten Maschine gelieferte Arbeit brauchen würden, um die von ihr entnommene Wärme Qj wieder auf die Temperatur T^ zu schaffen, sondern einen Überschuss Q Q' behielten. Durch Wieder- holung des Vorganges könnte man diesen überschuss beliebig gross machen.

Wäre das Umwandlungsverhältnis in der zweiten Maschine das gi'össere, so würde man diese vorwärts, die andere umgekehrt laufen lassen, und damit das gleiche Ergebnis haben.

Die Verdampfungswärme und der zweite Hauptsatz. 121

Da wir nach der Voraussetzung immer die von der einen Maschine bei der höheren Temperatur aufgenommene Wärme durch die andere in gleichem Betrage zurückbefördem lassen, ist zunächst Q^ = Q^', und fiomit Qj Q=Qjj' Q'. Da ferner die zum Betriebe der zweiten Maschine verbrauchte Arbeit kleiner sein soll, als die von der ersten geUeferte, so ist Q'<CQ und daher Qi'<CQ2. Es wird mit anderen Worten beliebig viel Wärme bei der unteren Temperatur der Maschinen in Arbeit verwandelt.

Erfahrungsmässig ist eine derartige Umwandlung unmöglich. Dann Bind aber auch die Ungleichungen unmöglich, und es muss das Ver- hältnis Q/Qj =Q'/Qi' bestehen.

Die eben ausgesprochene Erfahrung ist von ähnlicher allgemeiner Art, wie der Satz von der Erhaltung der Energie, und wird deshalb als der zweite Hauptsatz bezeichnet. Man kann diesen in sehr verschiedenen Formen aussprechen; im Sinne der hier durchgeführten Betrachtungen wird man sagen, dass ruhende Energie sich nicht freiwillig in Bewegung setzt oder in andere Formen umwandelt.

Die Unmöglichkeit eines Perpetuum mobile in Gestalt einer Maschine, durch welche Energie ohne anderen Aufwand geschaffen würde, ist eine an- schauliche Form des ersten Hauptsatzes. Um aber den Gedanken eines Per- petuum mobile, d.h. die Arbeitsleistung ohne Aufwand, zu verwirklichen, bedarf es keiner Verletzung dieses Satzes. Die Arbeit, welche die Riesenmaschine eines Oceandampfers leistet, wird vollständig wieder in Wärme verwandelt, denn selbst die Bewegungsenergie des Schiffes während der Fahrt ist nach der An- I kunft gleich Null geworden und in Wärme übergegangen. Könnte man diese, dem Wasser des Meeres mitgeteilte Wärme wieder in Bewegungsenergie ver- wandeln, so könnte der Dampfer seine Rückfahrt ohne Kohlenverbrauch aus- führen, was nicht möglich ist. Allgemein würde ein geringer Bruchteil der im Ocean als Wärme enthaltenen Energie ausreichen, um alle Maschinen der Welt zu treiben. Eine solche Leistung wäre einem Perpetuum mobile gleich- wertig, wenn auch dabei keine Energie aus nichts erschaffen würde; wenn I man nur eine und dieselbe Energiemenge immer wieder für die gleiche Um- ! Wandlung in Anspruch nehmen könnte, dürfte man gleichfalls die technische Aufgabe unentgeltlichen Arbeitsgewinnes als gelöst ansehen. Dass es einen solchen nicht giebt, lässt sich in der Gestalt aussprechen: Ein Perpetuum mo- bile zweiter Art ist unmöglich. Dabei ist unter einem Perpetuum mobile zweiter Art eine Maschine verstanden, welche ruhende Energie in Bewegung setzen oder in andere Formen verwandeln kann. Ein Perpetuum mobile erster Art wäre dagegen eine Einrichtung zur Schaffung von Energie über- haupt.

Der hier benutzte Begriff der ruhenden Energie bedarf noch eingehen- derer Untersuchungen. Diese sollen nicht an dieser Stelle vorgenommen werden, sondern später im Zusammenhange mit den Eigentümlichkeiten anderer Energiearten. Einstweilen soll als Kennzeichen der Zustände ruhen-

122

III. Stochiometrie der Flüssigkeiten.

der Energie die Thatsache dienen, dass dies Zustände sind, die sich aus anderen selbstthätig oder freiwillig ausbilden.

Der zwischen den beiden Temperaturen T, und T^ durch einen umkehrbaren Kreisprozess in Arbeit verwandelbare Bruchteil der Wärme ist also nur eine Funktion dieser Temperaturen, hängt dagegen nicht von der Beschaffenheit der Maschine ab. Hierin liegt die ungemein ausgedehnte Anwendbarkeit des auf die Wärmeumwandlungen bezogenen zweiten Hauptsatzes, die sich noch dadurch ungeheuer erweitert, dass ähnliche Gesetze für die anderen Umwandlungen der Energie gelten, bei denen die Wärme nicht beteiligt ist. Denn man kann mit Hilfe dieses Satzes flir jede derartige Umwandlung alsbald eine bestimmte Beziehung zwischen den dafür in Betracht kommenden Grössen aufstellen, und er- langt somit je ein besonderes Naturgesetz für jede derartige Aufgabe. Die Funktion der Temperatur, welche die Umw^andlung der Wärme in mechanische Arbeit regelt, ergiebt sich, wenn man einen beliebigen umkehrbaren Kreisprozess berechnet, und man darf dazu den wählen,

dessen Grundlagen am besten bekannt sind. Hierzu dient ein von Camot (1824) angegebener Kreisprozess an einem voll- kommenen Gase.

Wir lassen ein Mol eines Gases (z. B. 32 g Sauerstoff) folgenden Kreisprozess durchmachen, den wir gleichzeitig graphisdi darstellen (Fig. 11).

Das Gas habe zunächst einen Druck Pi und ein Volum v^ bei der Temperatur T, . Es soll sich etwas ausdehnen, während die Temperatur konstant bleibt; dazu ist erforderlich, dass ihm die der Arbeit entsprechende Wärmemenge Q, zugeführt werde. Druck und Volum be- tragen alsdann Pjj und Vg . Alsdann entfernen wir die Wärmequelle und lassen das Gas sich weiter ausdehnen. Es leistet dabei gleichfalls Arbeit; da es aber keine Wärme von aussen empfängt, so muss es dieselbe ans seinem eigenen Wärmeinhalt nehmen und sich daher abkühlen. Die Temperatur, welche es erreicht, sei Tg; Druck und Volum p^ und v^. Jetzt drücken wir das Gas wieder zusammen. Hierzu wird Arbeit ver- braucht; die erzeugte Wärme fähren wir ab, so dass die Temperatur Tg erhalten bleibt (p4, V4). Schliesshch isolieren wir das Gas von neuem und drücken es weiter zusammen. Die erzeugte Wärme bleibt im Gase und erhöht dessen Temperatur. Der Punkt 4 wird so gewählt, dass wenn das Gas die Temperatur Tj wieder erreicht hat, es auch den früheren Druck und das frühere Volum p^ und Vj wieder besitzt, was immer möglich ist.

Die Arbeit, welche das Gas bei diesem Kreisprozess geleistet hat, wird durch das kinimmlinige Viereck 12 3 4 ausgedrückt. Denn diese Arbeit ist stets das Pi'odukt von Druck und Volumänderung des Gases.

Vi

cc

7

■r

Fig. 11.

Die Verdampfungswärme und der zweite Hauptsatz. 123

Für den Weg 1 2 des Gases stellt die Fläche a 1 2 ß diese Arbeit dar, da die Höhe der zahllosen kleinen Streifen, in die man sie durch Parallelen nach p zerlegen kann, gleich dem Drucke p und ihre Breite gleich der zugehörigen Volumänderung ist. In gleicher Weise ist die zum Wege

2 3 gehörige Arbeit numerisch gleich der Fläche j9 2 3 /. Zum Wege

3 4 gehört die Arbeit d 4 3 /, zu 4 1 endlich a 1 4 d Zieht man [die Summe der beiden letzteren von der Summe der beiden ersten ab, 80 bleibt das Viereck 12 3 4 als Mass der beim ganzen Ereisprozess geleisteten Arbeit.

Nun ist die Arbeit, welche ein Gas leisten kann, wenn es sich vom Volum v, auf das Volum v^ ausdehnt, indem die Temperatur T, konstant bleibt^ gegeben durch RTj In(vjvjj), wo R die Gaskonstante und in der natürliche Logarithmus ist (S. 89). Es wird daher auch die auf diesem Wege zuzuführende Wärme Qi gleich RT, ln(v, /v,) sein, denn zur blossen Volumänderung braucht das Gas keine Wärme. Auf dem Wege von 2 bis 3 wird nach der Voraussetzung keine Wärme aufgenommen. Indem nun das Gas von 3 bis 4 zusammengedrückt wird, entbindet es eine Wärmemenge Qj, welche durch eine gleiche Formel, Qj = RTg In (v^/Vg) gegeben ist; zwischen 4 und 1 tritt wiederum Wärme weder aus noch ein.

Somit ist die während des Kreisprozesses aufgenommene Wärme Q, die abgegebene Wärme Qg und das Verhältnis beider

Q, ^T^ln(vWv,) Q, T,ln(vjv3)*

Es läfist sich beweisen, dass Vj /v, = v^/vj ist. Für die Vorgänge 2 3 und 4, 1 gilt nämlich die Formel, welche S. 92 unter der Voraussetzung entwickelt wurde, dass keine Wäi-me aus- und eintritt

'=P^und(^)'=P^.

Nun ist pv = RT, speziell p2Vj = RTi und p3V3=RT2. Daraus folgt

5?- = ^.^ und ähnlich ^= --•^*- Setzt man diese Werte in die V3 Tj Pi V4 Ti

Gleichungen, so folgt nach einer kleinen Umformung

also Vj/v3=Vi/v4 oder yJy^=yJ\Q.

Damit gestaltet sich aber das Verhältnis der beiden Wärmemengen zu

Die bei diesem Kreisprozess ein- und austretenden Wärmemengen ver- halten sich wie die absoluten Temperaturen, bei welchen der Aus- und Eintritt stattfindet.

124 ni. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

Durch einfache Umformungen läBst sich diese Gleichung in folgende Gestalt bringen

Q,^Q,^T, -T, Q|-Q2^T,-T,

Qt T, Q, T,

Nun ist Q = Qi Qg die in Arbeit tibergefiihrte Wärme. Es verhäH sich somit die in Arbeit übergefahrte Wärme zur gesamten eintretenden Wärme wie der Unterschied der Temperatm*en, zwischen denen da Kreisprozess sich vollzieht, zur Temperatur des Eintritts. Ebenso ver- hält sich die in Arbeit übergeführte Wärme zur austretenden^ wie der Temperaturunterschied -zur Temperatur des Austrittes.

Zieht man nur kleine Temperaturunterschiede in Betracht, so ist die Arbeit, welche die Wärme bei umkehrbaren Kreisprozessen infolge gleichgrosser Temperaturunterschiede leisten kann, umgekehrt proportional der absoluten Temperatur, bei welcher die Arbeitsleistung stattfindet.

Wäre es möglich, den absoluten Nullpunkt der Wärme zu erreichen,

Q Q X T

so würde in der Gleichung ^ -— «* ^= - der Wert Tj «* 0 und scHnit

^ti ■*-i

die rechte Seite gleich eins werden. Daraus folgt dann notwendig Q, = 0, d. h. wenn die untere Temperatur dem absoluten Nullpunkt gleich gemacht werden könnte, so würde die gesamte zugeführte Wärme sich in Arbeit ver- wandeln lassen.

Die Grösse kann der ökonomische Koeffizient genannt wer-

den. Da der oben beschriebene Kreisprozess der denkbar günstigste ist, so folgt, dass der ökonomische Koeffizient einer Maschine nie grösser als

T T

Sp werden kann. Eine Dampfmaschine z. B., welche mit Dampf von

150*^ C. und einem Kondensator von 17** C. betrieben wird, kann höchstens

^ == 0-31, also noch nicht ein Drittel der zugeführten Wärme in

Jlo -f- JOÜ

Arbeit verwandeln. Thatsächlich ist das Ergebnis noch viel ungünstiger.

Bei einer gleichen Schlusstemperatur ergiebt sich der Koeffizient um so günstiger, je höher die Anfangstemperatur ist. Zwischen 1000° C. und C. würde eine Maschine schon 0-785, also beinahe vier Fünftel der Wärme in Arbeit verwandeln können.

Der Satz, dass die in Arbeit um wandelbare Wärme der absoluten Temperatur umgekehrt proportional ist, gestattet eine grosse Reihe folgenreicher Anwendungen.

So gelangen wir z. B. mit Hilfe des Satzes zu einer sehr wichtigen Beziehung in Betreff der Verdampfung der Flüssigkeiten. Wir denken uns ein Mol einer solchen, deren Volum v^ sei und die unter einem Drucke p, stehe, welcher gleich dem ihres Dampfes ist; die Temperatur sei T. Jetzt erhöhen wir die Temperatur um ein sehr Geringes; die-

Die Verdampfungswärme und der zweite Hauptsatz.

125

selbe steigt von T auf T + dT. Dabei wächst der Druck um dp. Nun lassen wir die Flüssigkeit sich vollständig in Dampf verwandeln. Zu diesem Zwecke muss ihr die Wärmemenge W zugei))hrt werden, wo W die molekulare Dampi'wärme darstellt. Der Druck bleibt dabei kon- stant, und das Volum nimmt sehr bedeutend zu; diese Zunahme, oder das Volum des Dampfes minus dem der Flüssigkeit heisse u. Alsdann soll der Dampf wieder um dT abgekühlt werden, und bei der Tem- peratur T und dem entsprechenden Drucke p soll er zur Flüssigkeit ver- dichtet werden, bis er schliesslich wieder in den Anfangszustand zurück- kehrt. Die graphische Darstellung des Kreisprozesses ist in Fig. 12 gegeben und die dabei erhaltene Arbeit wurd durch das Viereck 12 3 4 dargestellt.

i:

^

V

Fig 12.

Nun gilt der erwähnte Satz

Qi -Qa^T, T,

Qi T,

Qi ^s* ^^® '^ Arbeit übergeführte Wärme; dieselbe ist gleich der Arbeit, die durch das Viereck 12 3 4 dargestellt ist. Der Inhalt des- selben ist gleich dem Produkt der Grundlinie 1, 4, welche die Volum- i zunähme u bei der Verdampfung darstellt, mit der Höhe, der Druckzu- ; nähme dp; es ist also Q^ Qjj =udp. Die zugeführte Wärme Q ist die latente Dampfwärme W. Für T^ T^ ist der Temperaturunter- schied dT der beiden Teile des Kreisprozesses zu setzen, und wir er- halten demnach

udp dr

W

T

Die Gleichung kann in einer der folgenden Formen geschrieben werden W = Tu dp/dT oder dp/dT = W/Tu,

I ihre Bedeutung ist die folgende.

I Ändert man die Temperatur um den kleinen Betrag dT, so ändert

ffldi gleichzeitig der Dampfdruck p um einen Betrag dp. Stellt dd in iig. 13 die DampfdruckUnie dar, so ergiebt sich, wenn man eine bestimmte

126 III- Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

Temperaturzunahme dT = ab betrachtet, die dazu gehörige Dmckzu^ nähme, dp = fe. Diesem Verhältnis fe/cf = dp/dT ist nach der Gleichung die Yerdampfungswärme direkt und das Dampfvolnm umgekehrt propor- tional, und man kann, wenn zwei von diesen Grössen bekannt sind, die dritte berechnen. So braucht man z. B. die Yerdampfungswärme nicht zu messen, wenn man den Verlauf der Dampfdrucklinie mit der Tempe- ratur und die Dichte des gesättigten Dampfes kennt

Eine besonders brauchbare Gestalt erlangt die Gleichung, wenn man fiir den Dampf die Gasgesetze als gültig annehmen darf. Dann kann man für u das Volum von einem Mol des Dampfes einföhren, wie es sich aus der Formel pv = RT ergiebt und erhält u = RT/p, womit

dp/dT = pW/RT2

folgt, in welcher Gestalt die Gleichung, deren Geltung weit über den einfachen Fall des Dampfdruckes einer Flüssigkeit hinausgeht, sehr viet angewendet wird. Mit dieser ist identisch die Gleichung

dlnp/dT = W/RT2,

welche sich aus der ersten mittels höherer Mathematik alsbald ergiebig Um die Anwendung kennen zu lernen, wollen wir sie auf die Be-i rechnung der Verdampftmgswärme des Wassers bei 20^0 anwenden, wo für den Wasserdampf die Gasgesetze noch genügend genau sind. InW=rRTMp/pdT haben wir R = 84lX 10', T=273 + 20. Dein Dampfdruck*) des Wassers ist 16-319 cm Quecksilber bei 19*^, 17-363i bei 20®, 18.466 cm bei 21«; der Unterschied dp = 2447 gUt für den Temperaturunterschied von 19® bis 21®, oder dT=2, der Druck p = 17'363 ist für die mittlere Temperatur 20® zu rechnen. Die Gleichung wird:

W=8.41 X 10' X 293«X 2.147/17-363 X 2 = 44-7 X 10*® = 44-71.

Die unmittelbaren Messungen haben 44-4 bis 45-0 J ergeben.

Während die Gleichung zwar die Berechnung der Verdampfungs- wärme aus dem Ansteigen des Druckes mit der Temperatur gestattet, giebt sie umgekehrt die MögUchkeit nicht, den Druck selbst aus der Verdampfungswärme zu berechnen, sondern nur sein verhältnismässiges Ansteigen mit der Temperatur.

Zum Schlüsse dieses Kapitels soll noch erwähnt werden, dass durdi die Gleichung Qi/Q3=T, /T^ ein experimentelles Mittel gegeben ist, eine wirklich absolute, d. h. von den besonderen Eigenschaften eines einzelnen Stoffes unabhängige Temperaturskala herzustellen. Die Ableitung der Gleichung erfolgte auf Grund der Annahme, dass es ein ideales Gas gebe, das dem Gesetz pv = RT genau gehorcht. Durch die Be- stimmung des Betrages der Abweichifngen eines wirklichen Gases von

^} Die Drucke sind nicht auf absolutes Mass bezogen worden, weil so- wohl im Zähler wie im Nenner eine DruckgrÖsse steht, wodurch sich der Faktor heraushebt und die Formel unabhängig von der Druckeinheit wird.

Volumverhältnisse flüssiger Stoffe. 127

dem idealen kann man ermitteln, wie gi'oss die Abweichungen zwischen den nach der Ausdehnung dieses Gases gemessenen Temperaturen und denen sind, die ein ideales Gas ergeben würde. Hierfür aber dient die obige Gleichung und es hat sich ergeben, dass die Temperatur eines Gas-, z. B. des Wasserstofftliermometere, von der absoluten nur sehr venig abweicht.

Sechstes Kapitel. Volumverhältnisse flüssiger Stoffe.

Die Beziehung zwischen Kaum und Masse wird gewöhnlich durch die Dichte oder die Masse der Raumeinheit dargestellt. Bereits bei den Gasen hat es sich erwiesen, dass diese Grösse für die Darstellung chemischer Ge- setzmässigkeiten nicht geeignet ist, und dass sich einfache und übersicht- Bche Verhältnisse ergeben, wenn man statt der Dichte die Volume der änreh die Molekulargewichte dargestellten Mengen, oder kurz die Molekular- volume, miteinander vergleicht.

Auch für Flüssigkeiten hat sich diese Art des Vergleiches als die angemessenste erwiesen, und in der Folge wurd ausschliesslich diese Grösse benutzt werden.

Unter Molekularvolum verstehen wir daher das in Kubikcenti- metem gemessene Volum von einem Mol, d. h. dem in Grammen ge- messenen Molekulargewicht des Stolfes. Da z. B. das Volum von einem Gramm Wasser bei 4^ 1 ccm beträgt, während das Molekulargewicht 1802 ist, so ist das Molekularvolum des Wassers bei gleich 18-02,

Ist von einer Flüssigkeit die Dichte oder das spezifische Gewicht, d. h. das Gewicht von 1 ccm, gleich d, so ist das Volum von 1 g der Flüssig- keit gleich 1/d, und wenn m das Molekulargewicht ist, so ist das Molekularvolum gleich m/d.

Die ersten Regelmässigkeiten zwischen den Molekularvolumen wurden von H. Kopp (1842) zu dereelben Zeit entdeckt, als er die Beziehungen zwischen den Siedepunkten auffand; auch Hessen sie sich in derselben Form ausdrücken: dass gleichen Unterschieden in der Zusam- mensetzung gleiche Unterschiede im Molekularvolum ent- Bprechen. Nun sind allerdings die Molekularvolume der hier hauptsächlich betrachteten organischen Verbindungen in hohem Masse von der Tem- peratur abhängig, und bevor irgend ein Vergleich angestellt werden konnte, musste entschieden werden, bei welchen Temperaturen der Ver- gleich anzustellen sei. Kopp fand bald, dass viel aUgememere Regel- mässigkeiten, als bei gleichen Temperaturen (z.B. 0^) sich herausstellen, renn man die Flüssigkeiten bei ihren Siedepunkten unter gleichem Druck vergleicht.

128 ^11« Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

Der ersten Entdeckung der vorhandenen Beziehungen liess Kop] eine lange Reilie überaus sorgsamer Experimentaluntersuchungen folgen welche jene ereten Beobachtungen teils bestätigen, teils en^^eitem ode: wohl auch beschränken. In der Hauptsache ergab sich das Molekular volum beim Siedepunkt als eine additive Eigenschaft: das Molekulai volum einer Verbindung ist die Summe der Molekulai*volume ihrer Be standteile. Bei anderen Temperaturen treten vorhandene Beziehongei nicht so klar hervor.

Bei analogen Verbindungen ändert sich das Molekular volum für je CH* um 22 Einheiten im Durchschnitt Die Bezid» ung wurde in Kohlenwasserstoffen, Alkoholen, Estern, Säuren, Aldehydei und Ketonen nachgewiesen.

Isomere Flüssigkeiten haben gleiche Molekularvolume, wie namentlich durch den Vergleidi von isomeren Estern und Säurei gezeigt wird.

Wenn zwei Atome Wasserstoff durch ein Atom Saaerstof ersetzt werden, so ändert sich das Volum nicht wesentlich. Dies gilt namentlich für den Übergang von Alkoholen in Säuren, dodi auch für andere Fälle.

Ein Atom Kohlenstoff und zwei Atome Wasserstoff könnei sich ohne Volumänderung ersetzen. Diese Beziehung wurde au» schliesslich durch den Vergleich zwischen Fettkörpem und aromatischeB Verbindungen erhärtet.

Die eben angegebenen Gesetzmässigkeiten legen den Gedanken nahe, den Elementen Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, aus welchen die bisher behandelten Verbindungen bestehen, bestimmte Atomvolum€ zuzuschreiben, als deren Summe das Molekularvolum der Verbindung erscheint. Doch erweist sich dies nicht als völlig möglich, indem die Ab- weichungen zu gross werden. Die fi-agliche Eigenschaft ist also keine rein additive. Kopp zeigte nun, wie die verschiedene Bindung des Sauerstoffs mit den Abweichungen in Beziehung steht: wenn der Sauer- stoff zweiwertig an dasselbe Kohlenstoffatom gebunden ist (Carbonyl- Sauerstoff), so ist das Molekularvolum gi*össer, als wenn der Sauerstofl nur durch eme Valenz mit dem Kohlenstoff in Beziehung steht (Hydroxyl- bez. Äthersauerstoff). Erteilt man dem Sauerstoff je nach seiner chemischen Funktion verschiedene Volume, so lassen sich die Molekularvolume der Ver- bindungen mit Abweichungen von höchstens 4 Prozent als Summen der Atomvolume ihrer Verbindungen darstellen.

Die Zahlenwerte dieser Volume sind

Kohlenstoff 1 1

Wasserstoff 5 »5

Carbonyl- Sauerstoff 12-2

Hydroxyl- Sauerstoff 7 8

Volum Verhältnisse flüssiger Stoffe. 129

Haben wir z. B. Essigsäure, CH*CO(OH), so giebt die Rechnung

folgendes

2C =-22

4H «22

0 (Carbonyl) = 1l^'2

0 ^Hydroxyl^ = 7s

ül-u

Der beobachtete Wert ist 63*7.

Auch für andere Elemente hat Kopp Atomvolume festgestellt, die sich

wie folgt ergeben haben:

Schwefel 22- (5

Chlor 22-8

Brom 278

Jod 37-r)

Phosphor

254

Silicium

32

Arsen

26

Antimon

33

Zinn

40

Titan

35

^ Die letzten Zahlen sind ziemlich unsicher, da sie nur aus wenig Verbindungen

' abgeleitet wurden.

! Am Stickstoff wurden, je nach der Natur der untersuchten Stoffe, sehr

i verschiedene Zahlen erhalten, die sich nicht einheitlich erklären Hessen;

[ ebenso gaben einige Schwefelverbindungen Abweichungen zu erkennen. Diese Umstände führten zu der Überzeugung, dass der Einfluss, welchen die che-

! mische Funktion des Elements auf das Atomvolum hat, nicht nur beim Sauer-

I Stoff vorhanden ist, sondern tiberall dort, wo die Elemente in verschieden-

, artiger Bindung auftreten.

I So hat Buff (1865) gezeigt, dass die ungesättigten V^erbindungen stets

I ein etwas grösseres Molekularvolum aufweisen, als es sich aus Kopps Zahlen- werten der Atomvolume berechnet. Das gleiche Ergebnis ist später von Schiff und Horstmann erhalten worden; letzterer hat gleichzeitig den grossen Einfluss nachgewiesen, welchen die chemische Konstitution noch in anderer Richtung, durch die sogenannte Ringschliessung ausübt.

Die spätere Entwickelung der Lehre von den Molekularvolumen wurde lange Zeit dadurch gehemmt, dass die Forscher Versuche machten,

j die additive Form der Gesetzmässigkeiten festzuhalten, und durch die Annahme besonderer Reihenkonstanten, verschiedener Werte der Atom- volume in verschiedenen Gruppen u. s. w. die thatsächlichen Abweichungen von den einfachen Summenwerten der Koppschen Formel in einen Aus- druck von dem gleichen Typus aufzunehmen. Alle diese Versuche sind schliesslich missglückt.

Erst in neuerer Zeit ist die andere Betrachtungsweise angenommen worden, dass daß Molekularvolum nicht eine rein additive Eigenschaft

Ostwald, Grimdriss. 3. Aufl. 9

130 IIL Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

ist, sondern konstitutive Einflüsse enthält, wenn auch in viel ge- ringerem Betrage, als der Siedepunkt. Nun muss man sich aber sagen, dass es nie zwei Fälle geben kann, wo formell übereinstimmende chemisdie Änderungen zweier Stoffe als völlig gleichwertig angesehen werden können. Nehmen wir die Substitution, welche den geringsten bez. regelmässigsten Einfluss auf die chemischen Eigenschaften ausübt, den Ersatz von Wasser- stoff durch Methyl. Die dabei entstehenden Stoffe nennt man gerade wegen der Geringfügigkeit dieses Einflusses homolog.

Während nun z. B. der Übergang von einem Alkohol zu dem nächst höheren homologen bei Verbindungen mit 20 und mehr Kohlen- stoffatomen einen so geringen Einfluss übt, dass man beide an ihren chemischen Eigenschaften kaum unterscheiden kann, so ist die ent- sprechende Änderung um so grösser, je weniger Kohlenstoffatome vor- handen sind, und wird zwischen Äthyl- und Methylalkohol am grössten. Ähnliches gut für alle entsprechenden li^lle. Man muss allgemein sagen, dass übereinstimmende Substitutionen oder sonstige chemische Änderungen in verschiedenen Stoffen nicht gleichwertig sind, ja streng genommen nie gleichwertig sein können. Deshalb giebt es auch nie zwei ganz gleich- wertige Konstitutionsverschiedenheiten, und deshalb kann auch der kon- stitutive Einfluss analoger chemischer Verschiedenheiten nie vollkommen der gleiche sein.

Die Aufgabe der Forschung auf diesem Gebiete kann daher nicht die Aufstellung irgend welcher starrer Formeln sein, sondern es ist der Parallelismus zwischen der Mannigfaltigkeit der Konstitutionsverschieden- heiten und den entsprechenden Abweichungen des Molekularvolums vom einfachen Schema festzustellen. Doch ist mit Bewusstsein in dieser Richtung bisher kaum gearbeitet worden.

Die bisherigen Betrachtungen bezogen sich auf die Molekularvoluine, wie sie bei den Siedepunkten der Stoffe unter Atmosphärendruck gemessen wurden. Man kann sich fragen, ob die Wahl dieser Temperaturen als ver- gleichbarer berechtigt ist. Die einzige einigermassen begründete Kritik, welche hier geübt werden kann, beruht auf dem Theorem der vergleichbaren Zustände von van derWaals (S. 116). Hiernach müssten es nicht die Siedepunkte unter gleichem Drucke, sondern unter gleichen Bruchteilen der kritischen Drucke sein, bei denen die Volume vergleichbar werden. Dass mau auch bei den gewöhnlichen Siedepunkten Regelmässigkeiten gefunden hat, wäre auf den Umstand zurückzuführen, dass die kritischen Drucke voneinander nicht sehr verschieden sind, und dass daher die Siedepunkte bei gleichem Druck sich nicht sehr weit von vergleichbaren Zustanden unterscheiden.

In der That haben auch Untersuchungen über die Molekularvolume bei anderen Temperaturen gleichen Dampfdruckes ergeben, dass sich die dort gefundenen Gesetzmässigkeiten in gleicher Form, nur mit etwas anderen Zahlenwerten wiederholen. Andererseits sind in den verhältnismässig wenigen Fällen, wo man vergleichbare Molekularvolume im Sinne von van der Waals

Lichtbrechung in Flüssigkeiten. 131

der Rechnung zu Grunde legte, vorhandene konstitutive Abweichungen vom additiven Schema keineswegs zum Verschwinden gebracht worden. Wenn also auch eine Untersuchung der Frage in diesem Sinne unzweifelhaft manche wertvolle Auskunft geben wird, so wird sich doch das allgemeine Bild zwar schärfer, aber kaum wesentlich anders ausweisen. Auch darf nicht vergessen werden, dass der Satz von den übereinstimmenden Zuständen sich bisher nicht als ein strenges Gesetz, sondern als eine angenäherte Regel gezeigt hat. Dadurch wird auch die Sicherheit seiner Anwendung auf den vorliegenden Fall vermindert.

Siebentes Kapitel.

Lichtbrechung in Flüssigkeiten.

Das Licht pflanzt sich in verschiedenen durchsichtigen Stoffen mit sehr verschiedener Geschwindigkeit fort. Man kann die relativen Werte derselben ermitteln, wenn man den Weg eines Lichtstrahls verfolgt, welcher unter irgend einem Winkel zum Einfallslot aus einem Mittel in ein anderes tritt. Dann heiTscht das Gesetz, dass der Sinus des Ein- fallswinkels zum Sinus des Brechungswinkels in einem beständigen Ver- hältnis steht, welches gleich dem Verhältnis der Lichtgeschwindigkeiten in beiden Mitteln ist und der Brechungskoeffizient genannt wird.

Zur Bestimmung des Brechungskoeffizienten von Flüssigkeiten bedient man sich hohler Prismen, die mit planparallelen Glasplatten verschlossen sind und mit der fraglichen Flüssigkeit gefüllt werden. Schickt man durch einen Spalt und eine um ihre Brennweite von demselben entfernte Linse ein paralleles Lichtbündel durch das Prisma und sucht mit einem auf Unendlich eingestell- ten Fernrohr das abgelenkte Bild des Spaltes auf, während man das Prisma 80 dreht, dass die Ablenkung möglichst klein ist, so steht der Ablenkungs- winkel d zum brechenden Winkel des Prismas w und dem Brechungskoeffi- zienten n in der einfachen Beziehung:

^ ^ sin Va (w -f d) sin 7a w

Dies ist die gewöhnlichste Methode der Bestimmung des Brechungs- koeffizienten. Ein anderes, viel bequemeres, und ebenso genaues Verfahren be- ruht auf der Erscheinung der totalen Reflexion.

Ist i der Einfalls- und r der Brechungswinkel, so gilt, wie erwähnt,

-; = n oder sin i = n sin r. Bewegt sich das Licht aus einem optisch dün- neren in ein dichteres Mittel, so ist n grösser als Eins, und daher i grösser als r. Es giebt also für jeden Wert von i immer einen reellen Wert von r. Geht aber das Licht aus einem dichteren in ein dünneres Mittel über, so i8t n kleiner als Eins, und daher r grösser als i. Dann aber kann nicht zu

9*

132 in. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

jedem Wert von i ein reeller Wert von r gehören. Ist z. B. n = 0-8, so ist zwar für Einfallswinkel, deren Sinus kleiner als 0-8 ist, ein Brechungs- winkel möglich; für sin i = 0*8 aber wird sin r=l, und daher r = 90', d. h. der Strahl tritt nicht mehr in das zweite Mittel, sondern bewegt sich parallel der Einfallsebene fort. Für Einfallswinkel, welche grösser sind, ist sin i>0-8, und sin r müsste grösser als Eins sein, was unmöglich ist Es hört dann die Brechung überhaupt auf, und statt ihrer tritt totale Re- flexion ein.

Der Grenz Winkel, bei welchem die totale Reflexion beginnt, folgt aus dem Gesagten ; er entspricht der Bedingung sin r «* 1 , woraus sin i = n folgt. Bestimmt man diesen Grenzwinkel, so lässt sich aus ihm der Brechungs- koeffizient berechnen.

Die Apparate, welche zu diesem Zwecke dienen, heissen gewöhnlich Refraktometer. Das erste Instrument dieser Art ist von Wollaston (1801) an- gegeben worden, neuerdings sind bequeme Apparate von Abbe und von Pulfrich konstruiert worden.

Beobachtet man die Ablenkung eines weissen Lichtstrahls durch ein Flüssigkeitsprisma, so erhält man ein Spektrum, indem die ver- schiedenen Farben verschieden stark gebrochen werden. Man muss da- her die Brechungskoeffizienten für bestimmte Lichtstrahlen messen. Die für diesen Zweck zumeist angewendeten Lichtarten sind in der nach- stehenden Tabelle mit ihren Wellenlängen in Milliontel-Millimetern ver- zeichnet.

Lithium (rot) 670-6

Wasserstoff (rot) 656-2

Natrium (gelb) 085-5 und 588-9

ThaUium (grün) 534-5

Wasserstoff (grün) 486-0

Wasserstofl' (violett) 434-0

Der Brechungskoeffizient einer gegebenen Flüssigkeit ist ausser von der Natur des Lichtes noch von der Temperatur abhängig, und zwar nimmt er im allgemeinen mit steigender Temperatur ab. Ebenso ändert er sich, wenn man durch Änderung des äusseren Dinickes das spezifische Volum der Flüssigkeit ändert. Es muss daher gefragt werden, ob es nicht eine Funktion des Brechungskoeffizienten giebt, welche den Ein- fluss des Stoffes auf die Lichtgeschwindigkeit, unabhängig von dem Räume, auf welchen der Stoff verteilt ist, zur Darstellung bringt.

Solcher Formeln sind im Laufe der Zeit mehrere vorgeschlagen worden. Zuerst hatte Newton auf Grund seiner Emissionstheorie des Lichtes den Ausdruck (n* l)/d, wo d die Dichte ist, entwickelt. Durch die Undulationstheorie wurde dieser Formel der theoretische Boden ent- zogen; dass sie auch empirisch sich nicht halten Uess, wurde durch Gladstone und Dale erwiesen. Die letzteren zeigten gleichzeitig (1858), dass die ähnlich gebildete, aber einfachere Funktion (n l)/d in viel

Lichtbrechung in Flüssigkeiten. 133

höherem Masse bei wechselnden Temperataren konstant bleibe, und schlössen daher^ dass sie als das eigentliche Mass des Brechungsver- mögens anzusehen sei.

Bei der Prüfung dieser Formel^ die bald darauf durch Landoit und andere erfolgte, erwies sieh, dass sie zwar mit ziemlich guter Annäherung, nicht aber vollständig konstante Werte gab. Eine theoretische Be- gründung für sie wurde nicht aufgestellt.

Bei dem Versuche eine theoretisch begründete Formel, wenn auch auf teilweise hypothetischem Boden zu finden, gelangten zwei Forscher, L. Lorenz und H. Lorentz (1880), zu dem gleichen Ausdrucke (n* l)/(n*+2)d ==con8t., welcher somit das gesuchte absolute Mass der Brechung dar- stellen sollte. Da die eine Ableitung auf den Voraussetzungen der elastischen Äthertheorie des Lichtes, die andere auf der elektromagnetischen Lichttheorie beruhte, so war durch diese Übereinstimmung ganz ver- schiedenartiger Entwickelungen eine Wahrscheinlichkeit dafür gegeben, dass das Ergebnis allgemeinere Bedeutung habe, als sie ihm vermöge der be- nutzten einzelnen Grundlagen zukam.

Die Bedeutung solcher Formeln ist, dass die entsprechenden Aus- drücke ein Mass des Einflusses der Stoffe auf die Lichtgeschwindigkeit darstellen sollen, das nur von der Beschaffenheit des Stoffes, nicht aber von seinen willkürlich veränderlichen Zuständen abhängen soll. Die Prüfung der Formeln besteht daher darin, dass man einen und denselben Stoff in möglichst verschiedene Zustände bringt, und zusieht, ob der Aus- druck seinen Wert beibehält oder änderte

Solche verschiedene Zustände kann man auf mehreren Wegen er- reichen. Man kann die Temperatur oder den Druck ändern und dadurch die Dichte beeinflussen, oder man kann den Stoff mit einem anderen von bekannten Brechungsverhältnissen vermischen, und zusehen, ob sich der Wert des Ausdruckes additiv aus den Werten der Bestandteile zusammensetzt.

Nach den beiden ersten Methoden hat man nur die mit der Tempe- ratur oder dem Drucke veränderUchen Werte der Dichte d gleichzeitig mit dem entsprechenden gemessenen Brechungskoeffizienten in die Formel zu setzen, und die erhaltenen Werte zu vergleichen.

Das Mischungsverfahren beruht auf folgendem Ansatz. Ist r^ und rg der Wert der Funktion an den Bestandteilen des Gemisches, und r derselbe am Gemische selbst, das aus den Mengen x und 1 x der beiden Anteile zusammengesetzt sei, so muss bei additivem Verhalten die Beziehung gelten r = xri + (1 x)r2.

Die Prüfung der drei vorgeschlagenen Ausdrücke (n^ l)/d, (n l)/d und (n* l)/(n*4~2)d hat nun ergeben, dass keiner von ihnen die Forderung der Unabhängigkeit von den äusseren Umständen vollständig erfüllt. Am wenigsten thut dies der erste Ausdruck, der des- halb allgemein verworfen worden ist. Die beiden anderen Ausdrücke sind annähernd gleichwertig, indem bald der eine^ bald der andere einen

134 m* Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

besseren Anschluss an die Erfahrung liefert. Es würde dalier der erste als der einfachere vorzuziehen sein, wenn nicht abgesehen von der (aller- dings nicht zwingenden) theoretischen Ableitung sich in einem besonderen Falle die letzte Formel als überlegen erwiesen hätte. Während nämlidi sich die zweite Formel beim Vergleich der Brechung flüchtiger Stoffe im gasförmigen und im flüssigen Zustande als ungenau erwiesen hatte, zeigte Lorenz durch eine experimentelle Untersuchung an einer Anzahl verschiedener Stoffe, dass die letzte Formel auch dieser sehr grossen Änderung der Dichte zu folgen vermag. Die nachstehende Tabelle giebt die Werte des Ausdruckes (n* l)/(n*-|-2) d in beiden Zuständen an, und man sieht, dass die Wert« gut übereinstimmen.

flüssig (20«) gasförmig

Äthyläther 0-3029 0-3068

Äthylalkohol 0-2807 0-2825

WaÄser 0-2061 0-2068

Chloroform 0.1791 0-1796

Aus diesem Grunde ist gegenwärtig die dritte Formel fast aus- schliesslich im Gebrauch. Für die alsbald zu besprechenden stöchio- metrischen Zwecke ist übrigens die Anwendung der einen oder der an- deren Formel ohne gi'ossen Belang, da die gefundenen Beziehungen sich ganz übereinstimmend nach beiden gestalten; die Zahlenwerte sind zwar verschieden, die allgemeinen Gesetzmässigkeiten dagegen bleiben bestehen.

Ehe indessen hierauf eingegangen werden kann, muss bedacht werden, dass der Zahlenwert der Brechungskonstanten noch von der Wellenlänge des Lichtes abhängt, fiir welches die Brechung bestimmt worden ist. Denn der Brechungskoeffizient wird meist um so grösser, je kleiner die Wellenlänge ist, und zwar in verschiedenem Masse bei verschiedenen Stoffen; es ist mit anderen Worten die Dispersion fiir ver- schiedene Stofle verschieden. Wäre sie dem Brechungskoeffizienten pro- portional, wie Newton angenommen hatte, so könnte dieser Einfluss da- durch eliminiert werden, dass man alle Werte auf irgend einen be- stimmten Brechungskoeffizienten bezöge, da der Übergang auf irgend einen anderen durch einen konstanten Faktor zu bewirken wäre. Doch ist eine solche einfache Beziehung keineswegs vorhanden, und es ist da- her die Frage vielfach erörtert worden, wie die hierin liegende Mannig- faltigkeit zu bewältigen ist.

Zuerst hatte Schrauf (1862) vorgeschlagen, statt irgend einer be- stimmten Wellenlänge die Konstante A der Dispersionsfoimel von Cauchy

n = A4- ^ + -^4^ + •• zu benutzen, wo A die Wellenlänge ist, und

in welcher für 2 = oo der Brechungskoeffizient n = A wird, und der Vorschlag war auch vielfach befolgt worden. Es schien in der That rationell, statt mit dem Brechungskoeffizienten fiir irgend eine Wellen- länge mit d^m für uaeudlich lange Wellen ?u rechnen, Doch ergab

Lichtbrechung in Flüssigkeiten. 135

sich^ dass die erwälmte Formel die Dispersion gar nicht genügend dar- stellt; je nach den benatzten Beobachtungen erhielt man verschiedene Werte fiir A, und wie insbesondere durch Messungen im ultraroten Spektrum wahrscheinlich gemacht wurde, strebt der Grenzwert des Brechungskoeffizienten keinem bestimmten Werte zu.

Man ist daher zu der Benutzung eines bestimmten Strahles zurück- gekehrt, und bezieht die Werte meist auf die rote Wasserstofflinie mit der Wellenlänge von 656-2 Milliontel-Millimeter, oder die Natriumlinie, die mit der D-Iinie des Sonnenspektrums zusammenfällt

Der Übergang auf stöchiometrische Berechnungen wird erzielt, wenn man die auf die Masseneinheit (durch die Dichte) bezogene Brechungs- konstante mittelst Multiplikation mit dem Molekulargewicht auf chemisch vergleichbare Mengen bezieht. Man erhält dadurch die Molekular- refraktion R = m(n— l)/d und = m (n« l)/(n« + 2)d, und die erste Frage, die sich erheben lässt, ist die nach den Beziehungen der Molekularrefraktionen chemisch vergleichbarer Stoffe, insbesondere nach der Beziehung zwischen den entsprechenden Werten der Verbindungen und ihrer Elemente.

Solche Fragen and zuerst (1856) von Berthelot unter Benutzung der unzulänglichen Newtonschen Formel aufgeworfen worden, und es hatte sich dort bereits ergeben, dass es sich um eine im wesentlichen additive Eigenschaft handelt. Mit Benutzung der Gladstoneschen Formel hat dann Landolt (1864) an einem sehr umfassenden und sorgfältig be- stimmten Material gezeigt, dass sich in der That ein additives Schema in gutem Anschlüsse an die Erfahrung durdiföhren lässt

Der Weg, den die Forschung hier genommen hat, ist völlig über- einstimmend mit dem, den Kopp bei der Erforschung der Molekular- volume gegangen ist Es wurde zuerst nachgewiesen, dass gleichen Unterschieden der chemischen Zusammensetzung gleiche Unterschiede der Molekularrefraktion entsprechen, und daran schloss sich der Versuch, flir die Elemente Atomrefraitionen zu bestimmen, durch deren Summierung unter Multiplikation mit den Atomzahlen sich die Molekularrefraktion er- gab. Ist R die Molekularrefraktion einer Verbindung, deren Elemente die Atomrefraktionen R], R^, R3, . . . . haben und mit den Zahlen Hj, ng, Ug,.... in der Verbindung enthalten sind, so gilt die allgemeine Formel R = n, R, + n, R^ + Ug R3 +

Auf diese Weise sind besonders von Landolt viele organische Ver- bindungen der Fettreihe untersucht worden, wobei es sich ergab, dass die Formel sich den Thatsachen zwar nicht absolut, doch mit ziemlich guter Annäherung anschliesst. Einflüsse von der Art, wie sie Kopp bei der verschiedenen Bindung des Sauerstoffe beobachtet hatte, Hessen sich hier gleichfalls erkennen, wurden aber zunächst nicht eingehender verfolgt.

Aus seinen Messungen hatte Landolt unter Benutzung der Formel von Gladstone die Atomrefraktioneu C = 50Ö, H = 1-30, 0 = 3-00 berechnet. Die

136 HI. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

Anwendung ergiebt sich aus einem Beispiel. Für Äthylalkohol, C^ H^ 0, wurde d = 0-8011, n = 1-361 gefunden. Da m = 46 ist, so ergiebt sich m(n l)/d = 20-70, während die Summe der Atomrefraktionen 20-80 be- trägt. Die Übereinstimmung liegt innerhalb VaVo-

Während bei diesen ersten Arbdten der Nachweis der additiven Gesetzmässigkeiten im Vordergrunde stand ^ stellte sich doch trotzdem herauS; dass diese nicht allein thätig sind. Nachdem bereits Grladstone und Landolt einzelne abweichende Fälle nachgewiesen hatten, zeigte Binihl (1880), daas insbesondere eine konstitutive Eigentümlichkeit, die sogenannte doppelte Bindung des Kohlenstofls, grosse und regelmässige Abweichungen von dem ursprünglichen Schema bewirkt. Derartige Stoffe zeigen stets eine grössere Molekularrefraktion, als sich aus den Einzelwerten berechnet, und man muss daher den Satz von Landolt in ähnlicher Weise erweitem, wie das Koppsche Gesetz von den Molekular- Volumen. Neben der additiven Sumraierung machen sich konstitutive Einflüsse geltend, und die Elemente tragen je nach der Art, wie sie sich bethätigen, verechieden viel zur Molekularrefi'aktion bei.

Dies ist zunächst beim Kohlenstoff* genauer untersucht worden, gilt aber, wie die vorhandenen Messungen ersehen lassen, auch für andere Elemente, und zwar nicht nur für solche, die wie Sauerstoff, Schwefel, Stickstoff u. s. w. sich mit verschiedener Valens und in ver- schiedener Bindungsweise bethätigen, sondern auch für einwertige. So wird von Brühl folgende Zusammenstellung gegeben:

Kohlenstoff 2-48

Wasserstoff 1 04

Hydroxy Isanerstoff 1-58

Carbonylsauerstoff 2-34

Chlor 602

Brom 8-95

Jod 13-99

Stickstoff (einfach gebunden) 3-02

Doppelbindung am Kohlenstoff 1-78 Dreifache Bindung am Kohlenstoff 2-18

Die beiden letzten Werte bedeuten, dass zwei doppelt gebundene Kohlenstoffatome nicht die Atomrefraktion 2x2-48 = 4-96, sondern die um 1-78 gi'össere 6-74 besitzen; ebenso haben zwei dreiwertig gebundene Kohlenstoffatome den Refraktionswert 4-96 -|- 2-18 = 7-14.

Mit Hilfe dieser Konstanten, welche sich auf die Formel ^^

n^-l- 2 d

und den a-Strahl des Wasserstoffs beziehen, ergeben sich nun Werte für die Molekularrefraktion von Verbindungen, welche mit den beobach- teten meist recht gut übereinstimmen. Der ziemlich erhebliche und sehr konstante Einfluss der doppelten Bindung hat sich insbesondere mehr- fach von Nutzen bei der Erörterung von Konstitutionsfragen erwiesen.

Lichtbrechung in Flüssigkeiten. 137

Man darf indessen nicht annehmen, dass die noch vorhandenen Unter- schiede zwischen Messung und Rechnung nur Beobachtungsfehler sind. Es geht vielmehr aus dem sehr vermehrten Beobachtungsmaterial mit Sicherheit hervor, dass die Unterschiede wirklich bestehen. Man hat sie darauf zu- rückzuführen versucht, dass die Dispersion sich noch nicht berücksichtigen lasst, wie denn Stoffe mit starker Dispersion regelmässig eine grössere Mole- nilarrefraktion aufweisen, als sich aus den vorstehenden Konstanten be- Tßchnen lässt. Aber auch bei anderen Stoffen ohne starke Dispersion haben ich solche Abweichungen gezeigt, so dass der oben gezogene Schluss, dass her das additive Schema der Refraktionskonstanten sich konstitutive Ein- üsse von geringerem Betrage lagern, sich überall geltend macht. Die Fest-

Uung der Art und des Betrages dieser Einflüsse steht noch der Zukunft

heim.

Die oben mitgeteilten Konstanten lassen sich zum Teil in der Weise

rufen, dass man die Atomrefraktionen der freien Elemente aus ihren

echungskoeffizienten und Dichten berechnet. So ergaben sich aus den

Herten für die gasförmigen Stoffe Wasserstoff und Chlor die Refraktionen

= 105, CI = 5-78, welche mit den aus den Verbindungen abgeleiteten

igermassen stimmen.

Andere Fälle zeigen indessen wieder grosse Abweichungen. Ebenso ndet man bei dem Versuche, die Molekularrefraktion insbesondere der ein- ichsten Verbindungen additiv zu berechnen, mannigfaltige Widersprüche. Is sind hier die gleichen Erwägungen anzustellen, die bezüglich der Lolekularvolume (S. 130) angestellt worden sind. Gerade bei den ersten rüedem der verschiedenen Reihen vergleichbarer Stoffe machen sich die esonderen konstitutiven Eigentümlichkeiten am meisten geltend, und man It daher nicht berechtigt, aus Verhältnissen, die sich an zusammenge- ßtzteren Stoffen ergeben haben, Schlüsse auf Konstitutionseigenschaften [>lcher einfacher Verbindungen zu ziehen. Vielmehr sind diese durch- ns als individuell zu behandeln.

Dies gilt insbesondere auch fiir die Refraktionskonstanten gasförmiger toffe. Wiewohl sich diese in den vergleichbarsten Zuständen befinden, e wir überhaupt kennen, sind doch ihre Brechungsverhältnisse in ossem Widerspruch mit dem additiven Schema. Dies rührt daher, dass sich hier meist um ganz einfach zusammengesetzte Stoffe handelt, ren individuelle Beschaffenheit entscheidend in den Vordergrund tritt, ie Refraktionsverhältnisse der Dämpfe zusammengesetzterer Stoffe zeigen egen wieder dieselben Regelmässigkeiten, die an den Stoffen im igen Zustande zu beobachten sind.

Viel weniger eingehend untersucht, als die organischen Verbin- gen, sind die der anorganischen Chemie. Hier verdanken wir fast es, was wir wissen, den Arbeiten Gladstones. Auch hier hat sich im gemeinen ein additives Gesetz gültig gezeigt, jedoch mit deutlicher itwirkung konstitutiver Umstände. So ist z. B. die Molekularrefraktion ier Säuren von denen ihrer Kalisalze um eJn^ß Wert verschieden, der

138 ni. Stöchiometrie der Flüssigkeiten. !

für alle starken Säuren nahezu gleich ist^ und ebenso für alle schwache^

Säuren; fiir beide Gruppen ist der Unterschied aber nicht gleich. Ebeal

so stellte sich heraus, dass wenn ein Metall mehrere Salzreihen zu bildel

vermag, es in jeder dieser Reihen eine besondere Atomrefraktion besitz!

Die Bestimmungen der Molekularrefraktionen der hierhergehörigfl^

Stoffe ist meist an ihren wässerigen Lösungen ausgeführt worden. Bestel

dieselbe aus p Molen Wasser auf ein Mol des Stoffes, so gilt die Beziehun

(vgl. S. 135) ^ ^

^ ^ (18.01 p + m) r « 18-01 p + m R,

wo 18'01 das Molekulargewicht des Wassers, m das des gelösten Stoffes

deutet, und r, Tq und R die Brechungskonstanten ((n l)/d oder ^— ^-d

der Lösung, des Wassers und des Stoffes sind. Daraus folgt die Moleküls^ refraktion des letzteren '

m R = (18-01 p + m)r— 18-01 pr^. '

Durch besondere Versuche glaubte Gladstone sich überzeugt zu haben, dal man übereinstimmende Werte für die Molekularrefraktion erhält, ob man ^ an dem festen Stoff (er benutzte Prismen von Steinsalz) oder an der Lösu^ bestimmt, doch haben neuere Untersuchungen erwiesen, dass auch diese Be Ziehung nicht genau ist.

Achtes Kapitel.

I Drehung der Folarisationsebene. ^

Die Fähigkeit gewisser flüssiger Stoffe, die Polarisationsebene dl Lichtes zu drehen, ist völlig konstitutiver Natur. Sie ist eine Egel Schaft, welche relativ nur wenigen Stoffen zukommt, die, soweit die \m herigen Kenntnisse reichen, ausschliesslich Kohlenstoffverbindungen sini und ist bei diesen, wie weiter unten gezeigt werden soll, an ganz \a stimmte Verhältnisse gebunden.

Der Winkel, um welchen die Ebene des geradlinig polaiisierte lichtes durch Flüssigkeiten gedreht wird, ist abhängig von dere Natur, sowie von der Wellenlänge des Lichtes. Er ist proportiom der Länge der durchstrahlten Schicht und ändert sich mit der Ten peratur.

Man nennt den Winkel, um welchen polarisiertes Licht von b< stimmter Wellenlänge gedreht wird, wenn es durch eine Schicht gegange ist, deren Dicke ihrem spezifischen Gewichte umgekehrt proportional is das spezifische Drehvermögen. Dasselbe wird mit [a] bezeichne und es gilt dann die Beziehung

r 1 «

Drehung der Polarisationsebene. 139

^0 a der abgelesene Winkel, 1 die Länge der Schidit und d das spezi- Bsche Gewicht der Flüssigkeit ist. Als Längeneinheit dient gewöhnlich lias Decimeter.

Multipliziert man diesen Wert mit dem Molekulargewicht m, so

lUt m[a] das molekulare Dreh vermögen dar. Gewöhnlich wird, da

ie Zahlen meist sehr gross werden, der hundertste Teil dieses Wertes

enutzt^), und man hat das molekulare Drehvermögen [m] = ^^ , ,

Handelt es sich um Lösungen oder Gemenge, so kann man unter der

Voraussetzung (die übrigens meist nicht zutrifft), dass das Lösungsmittel

^inen Einfluss auf das Drehvermögen habe, gleichfalls ein spezifisches und

pnolekulares Drehvermögen des gelösten Stoffes bestimmen. Sind p Gramme

Ides Stoffes zu v Cubikcentimetem gelöst, so ist die spezifische und mole-

Kulare Drehung

r ^ r T av r T av

\ ' ' Ip' ^'"J-100 Ip

Ist der Gehalt der Lösung dem Gewichte nach gegeben, so dass in 100 g ier Lösung k Gramm des Stoffes enthalten seien, und ist d das spezifische

(jewicht der Lösung, so ist ihr Volum =—, und die Ausdrücke nehmen die

restalt an . _ 100 a , r -. m . a

t«^=kd--T «nd [m] - -j^ j- .

)ie Länge 1 pflegt wiederum in Decimetem gemessen zu werden.

Die Bestimmung des Drehvermögens wird meist fiir eine be- itimmmte Lichtart, fast ausnahmslos für das gelbe licht der Natrium- lamme ausgeführt; man bezeichnet die entsprechenden Werte mit fß]^ md [m]D, weil die Natriumlinie der Linie D im Sonnenspektrum ent- geht

Die Apparate, welche zu derartigen Messungen dienen, können hier nicht nsführiich beschrieben werden. Sie bestehen sämtlich aus zwei Polarisatoren, ischen welche die zu untersuchende Flüssigkeit, eingeschlossen in eine [Glasröhre, die an den Enden durch planparallele Glasplatten verschlossen ist, bracht wird. Waren die Polarisatoren vorher in eine bestimmte Beziehung einander gebracht, z. B. senkrecht gestellt, so dass sie kein Licht durch- essen, so muss man nach dem Zwischenbringen der Röhre nunmehr den einen olarisator drehen, um den gleichen Zustand zu erzeugen. Die verschiedenen Apparate unterscheiden sich nur durch die Hilfsmittel, vermöge deren die egenseitige Stellung der Polarisatoren erkannt und wieder hergestellt wird, er Winkel, um den der Polarisator gedreht werden muss, ist der oben mit bezeichnete Drehungswinkel. Man nennt Stoffe rechtsdrehend, wenn man en am Auge befindlichen Polarisator bei eingeschalteter Flüssigkeit nach

') Besser wäre es, 1 in cm zu messen; dann würde das molekulare Prehvermögen ohne den Faktor 100 bequeme Zahlen geben.

140 m* Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

rechts drehen muss, um den früheren Zustand wieder herzustellen, xuA umgekehrt.

Während bei flüssigen Stoffen die Messung sich unzweideutig ausföhrei lässt, machen sich bei Stoffen, welche erst in einer geeigneten Flüssigkeil aufgelöst werden müssen, ganz erhebliche Schwierigkeiten geltend. Die Fähig« keit der Drehung der Polarisationsebene ist eine Eigenschaft, die gegen di| mindesten Einflüsse sich äusserst empfindlich zeigt, und so findet man den^ oft, wenn man an Ijösungen desselben Stoffes in verschiedenen Lösungsmittelii oder auch nur solchen von verschiedenem Gehalt nach den oben gegebenei Formeln das spezifische Drehvermögen bestimmt, ganz verschiedene Zahlen

Was nun die Gesetze dieser Erscheinung anlangt, so sind die erstei allgemeinen Verhältnisse von Pasteur (1848) an den verschiedenen Wein säuren nachgewiesen worden. Ausser der gewöhnlichen rechtsdrehendei Weinsäure war bereits seit längerer Zeit die lYaubensäure bekann^ welche mit dieser gleich zusammengesetzt ist, aber andere Eigenschaftei hat und die Polarisationsebene des Lichtes nicht dreht. Pasteur ent deckte nun, dass man die Traubensäure in zwei verschiedene Säurei spalten kann, von denen die eine mit der gewöhnlichen rechten Wein säure identisch ist, während die andere in jeder Beziehung dieser gleicht insbesondere auch genau dieselben chemischen und physikalischen Eigen Schäften zeigt, mit der Ausnahme, dass sie linksdrehend ist^). Durd Zusammenbringen gleicher Mengen von gelöster rechter und linker Säuii erhält man eine Lösung, die alle Eigenschaften einer Traubensäure lösung hat.

Es giebt also zu der gewöhnlichen rechten Weinsäure eine „optisd symmetrische" isomere Form mit ganz gleichen Eigenschaften, ausser den entgegengesetzten Zeichen der Drehung, die sich mit jener zu einer \ei bindung vereinigen kann, welche andere Eigenschaften hat und inaktiv ist. Aus der letzteren Thatsache folgt, dass die beiden aktiven Säurei in ihren optischen Eigenschaften vollkommen symmetrisch sein müssei da sich diese sonst nicht vollständig kompensieren könnten. Die unmittel bare Messung hat das Gleiche ergeben.

Die weiteren Arbeiten von Pasteur und seinen Nachfolgern an vei schiedenen -anderen Stoffen zeigten dies Verhalten als ganz allgemein alle optisch aktiven Stoffe treten paarweise auf, so dass immer ein rechte und ein hnker sich entsprechen; diese können sich zu inaktiven Ver bindungen vereinigen, welche man in Erinnerung an den ersten Fall Traubensäure racemische zu nennen pflegt.

Hieraus ist nun zu schliessen, dass die chemische EigenschaJ welche die optische Drehung zur Folge hat, mit der Eigentümlicbkd der Symmetrie ausgestattet sein muss, so dass sie sich in zwei entgegen gesetzt gleichen Weisen bethätigen kann.

^) Auch an ihren Kry stallen zeigen beide Säuren „rechte" und ^^link^^ Formen.

Drehung der Polarisationsebene. 141

Weiter wurde von Pasteur festgestellt, dass die unmittelbaren Ab- kömmlinge eines optisch aktiven Stoffes (wie z.B. die Salze der Säuren) gleichfalls aktiv sind. Auch die ferneren Abkömmlinge sind es oft; doch giebt es Änderungen, welche die Aktivität vernichten. Es ist daraus zu schliessen, dass das Drehveimögen an einem bestimmten Komplex in fiesen Verbindungen haftet, und ein Hil&mittel zur Erkennung eines solchen Komplexes liegt in dem Auftreten, bez. Verschwinden des Dreh- vermögens.

Als allgemeines Kennzeichen aktiver Komplexe wiesen gleichzeitig (1874) van't Hoff und Le Bei das Vorhandensein eines „asymmetrischen Kohlenstoffatoms '^j d. h, eines mit vier verschiedenen Elementen oder Etadikalen verbundenen Kohlenstoffatoms nach.

Zur Durchfuhrung des Sätzeä, dass optisches Drehvermögen und asymmetrischer Kohlenstoff miteinander in kausalem Verhältnis stehen, war ein zweifacher Beweis zu fuhren.

Ist nämlich das asymmetrische Kohlenstoffatom die Ursache der optischen Drehung, so muss einerseits jeder drehende Stoff ein solches besitzen, anderei-seits jede ein asymmeüisches Kohlenstoffatom besitzende Verbindung sich als optisch aktiv erweisen.

, Von diesen beiden Schlüssen liess sich der erste verhältnismässig ^cht bewahrheiten. Bis auf wenige zweifelhafte Fälle, die bald zu jGunsten der Theorie Erledigung fanden, waren in allen als aktiv be- kannten Stoffen entweder aus rein chemischen Gründen bereits solche Konstitutionsverhältnisse angenommen worden, oder sie konnten ohne Widerspnich mit anderen Thatsachen angenommen werden. Nach dieser ^ite konnte also die Theorie als zutreffend bezeichnet werden.

Nach der anderen Seite sah es scheinbar weniger günstig aus, denn waren sehr viele Stoffe bekannt, in denen nach ihren chemischen erhältnissen asymmetrische Kohlenstoffatome angenommen werden mussten, ährend sie kein Drehvermögen aufwiesen.

Hier tritt nun die von Pasteur entdeckte Symmetriebeziehung als lEi'klärungsgmnd und gleichzeitig als neues Postulat ein. Man muss in lallen diesen Fällen annehmen, dass eine inaktive Verbindung mit asym- metrischem Kohlenstoff die racemische Form ist, und steht daher in }edem solchen Falle vor der Aufgabe, eine derartige Verbindung in ihre aktiven Bestandteile zu spalten. Die daliin gerichtete Forschung hat ergeben, dass in der That in sehr vielen Fällen die Spaltung ausfuhrbar ist, und dass somit auch nach dieser Richtung die Theorie Bestätigung findet.

Die Methoden der Spaltung beruhen auf zwei verschiedenen Thatsachen. Zwar sind alle Verbindungen symmetrischer aktiver Stoffe mit inaktiven Be- standteilen in ihren Eigenschaften völlig tibereinstimmend, nicht aber solche mit zweitem aktivem Bestandteil. Übereinstimmend sind demgeraäss zwar alle Salze der rechten und der linken Weinsäure, die Metalle an Stelle des Wasser-

142 in. Stochiometrie der Flüssigkeiten.

Stoffs enthalten; stellt man aber Salze optisch aktiver Alkaloide her, so sinl die Eigenschaften des rechten Salzes von denen des linken nicht nur optisch^ sondern auch bezüglich der Löslichkeit, des Wassergehaltes u. s. w. verschiedea Solche Salze lassen sich nach dem gewöhnlichen Verfahren der getrenntei| teilweisen Krystallisation scheiden, und damit sind auch die Säuren trennbai^

Das zweite Verfahren beruht darauf, dass unter gewissen Bedingungen der Temperatur, die allerdings von Fall zu Fall besonders zu ermitteln sin^ aus Lösungen der racemischen Verbindungen die aktiven Bestandteile de^ selben getrennt auskrystallisieren. Während nun zwar alle physikalisch^ Eigenschaften der Kry stalle, wie Farbe, Dichte, Habitus, ganz übereinstimmeni^ sind , erweisen sich meist die Kry stallformen als . symmetrisch verschiedea Es erscheint nämlich, wälirend alle Krystallwinkel übereinstimmen, die Axh Ordnung gewisser Flächen symmetrisch entgegengesetzt, so dass sich dil Krystalle wie Gegenstand und Spiegelbild, oder wie rechte und linke HanI verhalten. Ist eine solche Krystallisation erfolgt, so kann man durch Aus- lesen der rechten und linken Krystalle die beiden Formen trennen.

Ein drittes Verfahren, nach welchem durch die Lebensthätigkeit voi Pilzen oder Bakterien die eine von den beiden Formen schneller oder aus- schliesslich verzehrt wird, kommt wahrscheinlich auf das erste hinaus, da da Protoplasma der lebenden Wesen optisch aktiv ist, und sich somit bei da Assimilation den beiden Formen gegenüber verschieden verhalten muss.

Zur Veranschaulichung des Zusammenhanges zwischen Drehvef- mögen und dem asymmetrischen Kohlenstoff haben van't Hoff und Le Bd in ziemlich übereinstimmender Form eine Hypothese aufgestellt, welche eine sehr zweckmässige und anschauliche Darstellung gestattet. Sk nehmen an, dass die vier verechiedenen mit einem Kohlenstoffatom ver- bundenen liadikale an diesem geordnet sind, wie an den Ecken eine« Tetraeders. So lange mindestens zwei gleiche Radikale vorlianden sind, lassen sich die vier nur auf eine Weise am Tetraeder ordnen, d. h. wie man sie auch ordnen mag, immer lassen sich zwei derartige Tetraedet durch einfache Drehung miteinander zur Deckung bringen. Erst wenn alle vier Radikale verschieden sind, giebt es zwei, und nur zwei Anord- nungen, die sich nicht zur Deckung bringen lassen, sondern sich zu einander verhalten, wie Gegenstand und Spiegelbild. Werden diese vier Radikale mit a, b, c, d bezeichnet, und denkt man sich die Tetraedei mit einer Fläche auf die Ebene des Papiers gestellt, so hat man folgende nicht kongruente, wohl aber symmetrische Formen (Fig. 14 u. 15).

Stellt man beide Tetraeder so, dass das Radikal d im Scheitel sidb befindet, so ist die Reihenfolge abc bei dem einen im Sinne der Uhr- zeigerbewegung, bei dem anderen entgegengesetzt.

Durch dies Bild sind also gleichzeitig die beiden wesentlichsten Eigentümlichkeiten dargestellt, die erfalirungsmässig an den optisch aktiven Stoffen auftreten: der Zusammenhang mit dem asymmetrischen Kohlen- stoffatom und das paarweise Auftreten der drehenden Stoffe in zwa

Drehung der Polarisationsebene.

143

symmetrischen Formen. Dadurch hat sich die Hypothese als eine sehr zweckmässige und brauchbare erwiesen.

Auch verwickeitere Verhältnisse, die teils bereits bekannt waren, teils erst infolge der Anwendung der H5^othese aufgesucht und gefunden wurden, fanden ihre ungezwungene und anschauliche Darstellung, so dass ne als ein wichtiges Hilfsmittel der Forschung in diesem Gebiete ge- dient hat.

Ein Beispiel bietet die vierte Weinsäure. Neben den beiden aktiven Weinsäuren und der Traubensäure giebt es nämlich noch eine Weinsäure, welche gleichfalls optisch inaktiv ist, wie die Traubensäure, nicht aber wie diese in rechte und linke Säure sich spalten lässt. Sie zeigt auch andere chemische Eigenschaften, als jene.

Um diese Thatsache vom Standpunkt der Theorie aus zu begreifen, muss »an sich erinnern, dass die Weinsäure, der Formel

COOK

H-C<

OH

OH ^~^<COOH

entsprechend, zwei asymmetrische Kohlenstoffatome von ganz gleicher Be- schaffenheit besitzt. Diese beiden Kohlenstoffatome können von der Art sein, dass durch beide der Lichtstrahl in gleichem Sinne, also entweder rechts oder links, gedreht wird : dies wäre die Konstitution der rechten oder linken Weinsäure. Es können aber auch zwei asymmetrische Kohlenstoff- itome verbunden sein, welche entgegengesetzte Wirkungen auf den Lichtstrahl lusüben. Dann findet, da die Konstitution der beiden im vorliegenden Falle eine symmetrische ist, eine Kompensation innerhalb der Molekel selbst statt: Äer Stoff muss optisch inaktiv sein, und kann auch nicht in aktive Anteile gespalten werden.

Durch die ausgeprägt konstitutive Beschaffenheit des optischen Dreh- vennögens ist das Vorhandensein ausgedehnter additiver Beziehungen von Tomherein ausgeschlossen. Doch liegt immerhin die Möglichkeit vor, fess innerhalb engerer Gruppen vergleichbarer Stoffe additive Eigentüm- lichkeiten auftreten, wie dies sich bei den Siedepunkten gezeigt hatte.

144 in. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

Die Untersuchung solcher Fälle hat indessen auch hier anderes ep

geben. Das Ansteigen in der homologen Reihe bedingt nicht gidche

Änderungen des Drehvermögens, sondern dieses geht einen besondere!

Gang, wenn man hinreichend viele Glieder der Reihe untersucht: a

steigt erst in einer Richtung ^ en-eicht einen höchsten Wert und nimmj

dann wieder langsam ab. Als Beispiel seien Messungen von FranklanI

über die Ester der Glyceiinsäure angeführt:

Molekulare Drehung

Methylester der Glycerinsäure 5-76 Äthylester ,, —12.31

Propylester 19- IG

n-Butylester 17-85

Wenn nur kleinere Teile solcher Gruppen vorliegen, so scheint ol die Änderung der Drehung einsinnig zu verlaufen; ob es sich um dl allgemeines Gesetz handelt (Guye 1893) bleibt noch zu entscheiden.

Viel einfachere Verhältnisse zeigen die Salze in verdünnter wässerige Lösung. Bei diesen wird die konstitutive Eigenschaft der molekulare! Drehung rein additiv, so dass z. B. die Salze mit einer aktiven Saun und beliebigen inaktiven Basen alle das gleiche Drehvermögen habes Die Erklärung dieses besonderen Verhaltens wird später gegeben werden Eine Gruppe von Erscheinungen, welche mit den vorbeschriebenei in einiger Beziehung stehen, ist die von Faraday (1846) entdeckte mag netische Drehung der Polarisationsebene. Sie besteht darii dass durchsichtige Körper, welche in ein magnetisches Feld, z. B. I das Innere einer von einem galvanischen Strome durchflossenen Drabl spule gebracht werden, vorübergehend, nämlich solange die magnetisciii Einwirkung dauert, die Fähigkeit zm* Drehung der PolarisationsebeB< des Lichtes erhalten. Der Drehungswinkel ist proportional der Intensiti des magnetischen Feldes, proportional der Länge der dem E^nfluss ausge setzten Schicht, und im übrigen von der Natur des Stoffes und Temperatur abhängig.

Die Untersuchung dieser Erscheinung wurde zunächst vom physi kaiischen Standpunkte ausgeführt. Chemische Gesichtspunkte bradit zuerst Perkin (1882) zu Geltung, dem wir fast alles verdanken, wa nach dieser Richtung über den Gegenstand bekannt ist.

Perkin nennt spezifische Rotation das Verhältnis der Drehungen welche der fragliche Stoff einerseits und eine Wassersäule andererseil in demselben Magnetfelde bewirken, wenn die Längen beider Säulen sid umgekehrt wie ihre spezifischen Gewichte verhalten. Ist co der Dreh ungswinkel, welchen eine Säule von der Länge 1 des Stoffes, dessei spezifisches Gewicht d ist, zeigt, und sind cOq, lo und d^ die ent sprechenden Zahlen für Wasser von gleicher Temperatur, so ist di(

spezifische Rotation r = \~- Die molekulare Rotation ist das Ver

cöj^ld

hältnis der Drehungen molekularer Mengen, und hat zum Wert

Oberflächenspannung. 145

oder Tj

"^ ISco^id 18.01

wo M das Molekulargewicht des Stoffes, 18 01 das des Wassers ist. Die molekulare Rotation des Wassers ist somit gleich Eins.

Bei einer Vergleichung der magnetischen Molekularrotationen verschie- dener Stoffe ergab sich ein additiver Charakter dieser Eigenschaft nur beim Aufsteigen in den homologen Reihen; in denselben bedingt jedes CH* eine Zunahme von 1-023 Einheiten. Dieser Wert ist f^r alle Verbindungs- reihen der gleiche. Es kann also die Molekularrotation dargestellt wer- den durch C4-1023n, wo n die Zahl der CH^-Gruppen und C eine Konstante ist, die für jede Reihe homologer Verbindungen ihren eigenen Wert hat. Die Konstanten C sind gänzlich konstitutiven Charakters; sie sind z. B. verschieden für normale und Isoparaffine, normale und Isoalkohole oder dergleichen Säuren. Auch gelten die Formeln nur für solche Ver- bindungen, welche mindestens einmal Methylen, CH^, enthalten; so gilt z. B. die Konstante 0-393 der normalen Fettsäuren nicht für Ameisen- säure, HCOOH, und Essigsäure, CH8.C00H, in welchen CB^ nicht in der Kette enthalten ist.

Dadurch hat sich das magnetische Drehvermögen schon wiederholt als nützlich erwiesen, um die Zugehörigkeit neuer Stoffe zu bestimmten Verbindungsgruppen zu ermitteln.

Viel verwickelter als bei den einfachen Stoffen der Fettreihe zeigen sich die Verhältnisse bei den zusammengesetzteren Stoffen, den Verbindungen der aromatischen Reihe und allgemein den cyklischen Verbindungen. Hier treten die konstitutiven Einfltlsse derartig in den Vordergrund, dass von der additiven Grundlage nicht viel übrig bleibt Dadurch erweist ach die magnetische Drehung als etwa zwischen den Molekularvolumen und Molekularrefraktionen einerseits, den Siedepunkten andererseits in der Mitte stehend. Sie ist stärker durch konstitutive Verschiedenheiten beeinflusst, als jene Eigenschaften, und weniger als diese. Ein vergleichen- des Studium der Stoffe unter diesem Gesichtspunkt ist systematisch noch nicht durchgeflihrt worden; in den neueren Arbeiten von Perkin (1896) -finden sich bemerkenswerte Ansätze dazu.

Neuntes Kapitel.

OberfläohenspannuDg.

Die Oberfläche, mit welcher Flüssigkeiten gegen den „freien", d. h. mit ihren eigenen Dämpfen erfällten Raum grenzen, ist von anderer Be- ßdiaffenheit, als das Innere. Während im Inneren jedes Teilchen frei beweglich ist, kann ein in der Oberfläche liegender Teil sich nur nach

Ostwald, GruDdrisB. 3. Aufl. 10

146 ni. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

der Seite der Flüssigkeit hin frei bewegen; einer Bewegung aus der Flüssigkeit hinaus iaber setzen sich erhebliche Kräfte entgegen. Denn im Innern der Flüssigkeit befindet sich jedes Teilchen nach allen Seiten unter gleichen Einflüssen und kann sich daher bewegen, als wenn es überhaupt keiner Wirkung unterworfen wäre. Liegt es dagegen in der Oberfläche, so ergiebt die Wirkung der angrenzenden Teilchen eine Resultierende senkrecht zur Oberfläche.

Die Kraft, welche auf diese Weise zustandekommt, ist sehr be- deutend. Man kann sie in einer von Stefan (1886) angegebenen Weise berechnen. Denken wir uns aus dem Inneren einer Flüssigkeit ein Teilchen gegen die Oberfläche bewegt, so muss, damit es in diese gelangt, die Hälfte aller Wechselwirkungen überwunden werden, wie aus dem Anblick der Fig. 11 unmittelbar erhellt Wird dann weiter das Teilchen ganz in den oberen Raum hinübergebracht, so gelangt es aus

dem Wirkungsgebiet der „^'- --.^ Flüssigkeit überhaupt hin-

\^ aus, und wird ein Dam pf-

\ teilchen. Um also ein

\ Teilchen in die Ober-

fläche zu bringen, ist halb soviel Arbeit er- forderlich, als um es in Dampf zu verwan- deln.

Die letztere Arbeit

1

—^ 1—

1

- \

»1

/

\

" ■'/ -

\

/

\

-v,^

,^''

~Z. ~ aber ist bekannt; es ist

die Verdampfungs- wärme der Flüssigkeit Um zu einer Vorstellung von der Grösse der hier wirksamen Kräfte zu gelangen, soll eine angenäherte Rechnung durchgeführt werden. Ist v das Volum von einem Mol der Flüssigkeit, W seine Verdampfungswärme, p^ der (unbekannte) Oberflächendruck innerhalb der Flüssigkeit und p^ der Dampf- druck, so ist die Arbeit, welche die Teilchen erfahren müssen, um in die Oberfläche gebracht zu werden, gleich (p, p,) v, wenn v in erster An- näherung als konstant angenommen wird. Somit ist nach dem Obigen

(Pa Pi)v-=yW.

Für ein Mol Äther bei seinem Siedepunkte beispielsweise istv = 1074, p, = 1 Atm, und W = 26.6 J = 26.6x10^°; dividieren wir gleichzeitig mit I-OIS x 10«. um den Druck in Atmosphären zu haben, so folgt, da pj = 1, der Ober- flächendruck Pa = 1284 Atm.

Wie man sieht, handelt es sich um sehr bedeutende Druckwerte, mit welchen das Innere der Flüssigkeit gegen die Oberfläche presst. Natürlich machen sich dieselben auf eingetauchte Körper nicht geltend, weil sich an

Oberflächenspannung.

147

solchen auch eine Flüssigkeitsoberfläche ausbildet, an welcher der Druck vom eingetauchten Körper weg ins Innere der Flüssigkeit gerichtet ist.

Von diesem starken Drucke wirkt nur ein geringer Anteil auch in der Oberfläche der Flüssigkeit Denn denken wir uns, dass wir die Flüssigkeit vergrössem, so müssen wir eine Anzahl innerer Teilchen in die Oberfläche versetzen, und somit Arbeit leisten. Umgekehrt wird in einer Flüssigkeit stets das Bestreben vorhanden sein, nach welchem möglichst viel Teilchen dem Drucke folgend in das Innere treten, wobei die Oberfläche verkleinert wird. Die Oberflächen der Flüssigkeiten ver- halten sich demnach so, als wenn in ihnen zusammenziehende Kräfte Üiätig wären, welche sie auf die möglichst geringe Ausdehnung zu bringen streben.

Diese Auffassung einer Oberflächenspannung der Flüssigkeiten rührt von Young (1804) her und hat sich als ungemein förderlich er- wiesen. Man kann aus dem Prinzip, dass die Flüssigkeiten die kleinste Oberfläche zu bilden suchen, die mit den übrigen vorhandenen Be- dingungen verträglich ist, sämtliche entsprechenden Erscheinungen, die man Kapillarerscheinungen zu nennen pflegt, theoretisch ableiten, und hat dabei keinerlei Schwierigkeiten, ausser den mathematischen, zu überwinden. Letztere sind freilich schon in äusserlich einfachen F^len meist sehr erheblich.

Die för die Betrachtung dieser Erscheinungen erforderlichen Begrifle erlangen wir von der Thatsache aus, dass zur Bildung einer Oberfläche von bestimmter Grösse Arbeit d. h. Energie aufzuwenden ist. Diese Arbeit ist proportional der Flädie, und dividiert man die Arbeit durch die Fläche, so erhält man den Wert der Oberflächenspannung oder Mrz Spannung.

Um eine Anschauung für den Betrag er vorkommenden Spannungen zu haben, kann man sidi merken, dass der Wert für Wasser bei 0^, der einer der grössten ist, 77 in absoluten Einheiten beträgt, id. h. es sind 77 Erg aufzuwenden, um eme Wasserfläche von 1 cm* zu erzeugen.

Um die Grösse der Oberflächenspan- iinng zn messen, bedient man sich fast immer starrer Wände, welche von der Flüssigkeit benetzt werden, d. h. auf denen sich eine Schicht der Flüssigkeit aus- breitet. Sei (Fig. 17) eine solche senk- recht stehende, benetzte Wand in eine

Blussigkeit getaucht, so wird die Oberfläche abc sich zu verkleinem streben und wird die Form ajSc annehmen. Gleichgewicht wird ein- treten, wenn das längs der Wand gehobene Flüssigkeiisgewicht P dem Produkt

10*

L

a

Fig. 17.

148 ro. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

aus der Oberflächenspannung s^ und der Länge der Berühnmgslinie 1 gleich geworden ist. Aus P = sl folgt s=P/l, oder in absolutem Masse^ wenn g die auf 1 g wirkende Schwerkraft (rund 980 Dynen) ist,

sg = 7=:Pg/l.

Hat die Wand cylindrische Gestalt, d. h. haben wir es mit einer Röhre zu thun, so ist, wenn diese einen kreisförmigen Querschnitt mit dem Radius r hat, die Berührungslinie l=2jrr, und die hebende Kraft 2 jrr/. Das gehobene Gewicht ist andererseits Pg^jrr^hsg, wo h die Höhe, jtr^ der Querschnitt der gehobenen Flüssigkeitssaule, :7rr*h somit ihr Volum und s ihr spezifisches Gewicht ist. Es ist somit 2:7rr/ = jrr^hsg oder / = |hrsg und h = 2//rsg. Die Steighöhe h ist somit umgekehrt proportional dem Röhrenradius r, und die Oberflächen- spannung ist gleich dem halben Produkt von Steighöhe, Röhrenradius, spezifischem Gewicht und Schwerekonstante.

Eine andere Methode, die Oberflächenspannung zu messen, besteht in der Bestimmung des Gewichts der Tropfen, welche von einem gegebenen Umfang getragen werden. Ist P das Gewicht des grössten Tropfens, der an einer ebenen horizontalen Kreisfläche vom Radius r hängen kann, so ist

P P = 27rry und daher y = 7T Die Schwierigkeit der Methode liegt darin,

ZTIT

dass der Tropfen beim Abfallen sich nicht vollständig von der Kreisfläche trennt, sondern einen mehr oder weniger erheblichen Teil zurücklässt. Man müsste also die Wägung nicht des abgefallenen, sondern des hängenden Tropfens ausführen.

Prinzipiell von dieser Methode nicht verschieden ist das Verfahren, eine Scheibe von bekanntem Umfange mit der Flüssigkeit in Berührung zu bringen und das Gewicht zu bestimmen, welches zum Abreissen derselben er- forderlich ist. Auch hier gilt die Gleichung P = 27rry, wo 27rr der Um- fang der (kreisförmig gedachten) Scheibe ist.

Bei allen diesen Rechnungen ist vorausgesetzt, dass man den festen Körper als einen Teil der Flüssigkeit insofern betrachten kann, als er in der Nähe der Berührungslinie vollständig mit Flüssigkeit überzogen ist, und die letztere sich ihm in stetiger Krümmung anschliesst. Von Gauss wurde zu- erst darauf hingewiesen, dass die Flüssigkeit auch an den festen Körper unter irgend einem Winkel a anschliessen könne. Die Kraft, welche dann von der Oberflächenspannung ausgeübt wird, ist kleiner und beträgt, wie eine leichte geometrische Überlegung zeigt, y cos a, wo a der Winkel zwi- schen der Normalen des festen Körpers und der des letzten Flüssigkeits- teilchens an der Grenzlinie ist. Bei gut benetzenden Flüssigkeiten scheint dieser Winkel stets Null zu sein, doch sind Messungen über seinen genauen Wert schwierig auszuführen.

Die Oberflächenspannung y ist von der Natur der Flüssigkeit und von der Temperatur abhängig. Die Wirkung der letzteren, bedingt eine nahezu proportionale Abnahme, so dass im allgemeinen die Oberflächen-

OberflächenHpannung. 149

Spannung y^ bei der Temperatur t durch einen Ausdruck von der Form

7^ = /q (1 at) dargestellt werden kann. Dementsprechend muss es

eine Temperatur geben, bei welcher 7^ = 0 wird. Schon Frankenheira

(1841) hat darauf hingewiesen, dass diese Temperatur wahrscheinlich mit der kritischen übereinkomme; da in der Tliat bei der kritischen Temperatur Flüssigkeit und Dampf identisch werden, so kann zwischen ihnen auch keine Oberflächenspannung mehr vorhanden sein.

Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen der Oberflächen- spannung und der chemischen Konstitution sind zuerst von Mendelejew (1866) ausgeführt worden, hatten aber noch kein allgemeines Ergebnis geliefert. In späterer Zeit hatte B. Schiff (1884) die Frage wieder aufgenommen. Diese älteren Versuche scheiterten alle daran, dass die Aufstellung einer auf chemisch vergleichbare Mengen bezogenen Grösse nicht gelungen war. Um eine solche zu erhalten, machen wir folgende Überlegung.

Nehmen wu* je ein Mol jeder Flüssigkeit und überlassen sie in einem von der Schwere befreiten Räume sich selbst, so wird infolge der Oberflächenspannung die Gestalt jeder dieser Massen eine Kugel sein. Die Oberflächen dieser Kugeln sind dann als molekulare Oberflächen aufzufassen, und die zu ihrer Bildung erforderliche Energie ist die mole- kulare Oberflächenenergie.

Im Sinne der Molekularhypothese kann man sagen, dass in diesen Ober- flächen je eine gleiche Zahl von Molekeln enthalten sind, denn die Gesamt- zahl der Molekeln ist in den verschiedenen Kugeln nach der Voraussetzung gleich, und die Kugeln sind einander geometrisch ähnlich, so dass auch auf jede Oberfläche die gleiche Molekelzahl kommt.

Nun verhalten sich die Volume verschiedener Kugeln wie die Kuben, und ihre Oberflächen wie die Quadrate der Radien. Da die Volume gleich den Molekularvolumen genommen sind, so verhalten sich die Oberflächen wie die 2/3-ten Potenzen der Molekularvolume. Multiphziert man also diese letzteren mit der Oberflächenspannung, so ergiebt sich die molekulare Oberflächenenergie, eine Grösse, die der Volumenergie der Gase pv ganz vergleichbar ist.

Ist also V das Molekularvolum und / die Oberflächenspannung, so ist V*/»/ die molekulare Oberflächenenergie, wobei der allgemeine

Zahlenfaktor ySBjr weggelassen ist.

Für die so definierte molekulare Oberflächenenergie sind nun von Eötvös (1886) und Ramsay und Shields (1893) folgende Gesetze ge- ftmden worden.

Die molekulare Oberflächenenergie nimmt proportional der Tempe- ratur ab, um beim kritischen Punkt gleich Null zu werden. Der Temperaturkoeffizient dieser Abnahme ist für alle homogenen Flüssigkeiten der gleiche. Ist also w^, die molekulare Oberfläeben

150 UI* StOchiometrie der Flüssigkeiten.

energie bei der Temperatur t und Wq dieselbe hd 0^, so gilt die Gleichung

wt = Wo Bt,

wo der Koeffizient B unabhängig von der Natur der Flüssigkeit ist

Man kann die ÄhnUchkeit dieser Gleichung mit der Gasgleidiung noch mehr hervortreten lassen^ wenn man die Temperatur abwärts von dem kritischen Punkte oder dem Werte Null der molekularen Oberflächen- energie rechnet. Nennt man die so gezählten Temperaturen D, die molekulare Oberfläche co und die Spannung /, so nimmt die Gleidiung die Gestalt an y(» = BD,

die der Gasgleichung pv = RT ganz entspridii

Die Konstante B beträgt^ wenn man die Spannung in absolutem Masse ausdrückt^ 2*121.

Es ist alsbald hervorzuheben, dass diese Gleichung die Thatsachen nicht vollständig genau darstellt. Die molekulare Oberflächenenergie verläuft in der Nähe des kritischen Punktes nicht ganz linear, so dass man die Tempe- ratur nicht von diesem ab rechnen darf, sondern von einem etwas um einige Grade unter der kritischen Temperatur gelegenen Punkte.

Hieraus ergiebt sich die bemerkenswerte Thatsache, dass die mole- kulare Oberflächenenergie eine kolligative Eigenschaft ist; wie die Dampfdichte (S. 73). Die durch sie bestimmten Stoffinengen stehen mit den chemisch vergleichbaren Mengen in einem ähnlich einfachen Zusammenhange, wie die durch die Dampfdichte bestimmten, und man kann mittelst dieser Eigenschaft daher ebenso ^Normalgewichte^ fest- stellen (S. 66), wie mittelst der Dampfdichten. Die aus der Oberflädien- energie bestimmten Normalgewichte sind in vielen Fällen den aus der Dampfdichte bestimmten proportional, oder bei geeigneter Wahl dei Konstanten gleich. Im Sinne der Molekularhypothese hegt also in der Bestimmung der Oberflächenspannung ein Mittel vor, um das Mole- kulargewicht homogener Flüssigkeiten zu bestimmen, wie die Dampf- dichte die Bestimmung des Molekulargewichts von Dämpfen gestattet

Da indessen beide Methoden auf Grundlagen beruhen, die von em- ander unabhängig sind, so war von vornherein nicht zu erwarten, dass sie übereinstimmende Ergebnisse Uefem müssen. Dass sie es dennoch thun, ist als ein sehr bemerkenswertes Naturgesetz anzusehen.

Bei eingehender Untersuchung zeigt sich, dass nicht alle Stoffe diesem einfachen Gesetze gehorchen; die vorhandenen Abweichungen liegen so, dass der Faktor B kleiner als 21 21 ausfällt. Man kann den normalen Wert des Faktors durch dasselbe Verfahren erzielen, welches zur „Erklärung" d. h. Einbeziehung der abnormen Dampfdichten gedient hat. In dem Ausdrucke für die molekulare Oberflächenenergie sind alle Werte experimentell gegeben ausser dem des Molekulargewichts; man kann daher, wenn sich eine Ab- weichung des Faktors B von den gewöhnlichen Werten herausstellt, das Molekulargewicht so wählen, dass wieder der normale Wert herauskommt Wenn der Faktor B zu klein gefunden wird, so muss das Mo)e]^ulargewiclit

Oberflächenspannung. 151

erhöht werden, damit er seinen gewöhnlichen Wert erhftlt. Im Sinne der Molekularhypothese heisst dies, dass die betreffenden Stoffe im flüssigen Zu- stande an Stelle der einfachen Molekeln, die sie im Dampfe bilden, zusammen- gesetzte oder associierte enthalten. Hierbei ist die noch nicht bewiesene Voraussetzung gemacht, dass in den normalen Flüssigkeiten die aus der Oberflächenspannung bestimmten Molekulargrössen mit denen aus der Dampf- dichte gleich gesetzt werden können.

Die Zweckmässigkeit dieser Auffassung erhellt daraus, dass viele von den Stoffen, die sich in dieser Weise als associiert ausweisen, auch im Dampf- zustande Anzeichen von der Bildung vielfacher Molekeln geben. Dies trifft insbesondere für die Essigsäure zu, deren Molekularzustand als Flüssigkeit durch die Formel (C* H* 0*)° dargestellt wird, wo n je nach der Temperatur von 1-3 bis 2-1 geht. Femer geben andere Methoden der Molekulargewichts- bestimmung aus den Eigenschaften verdünnter Lösungen, die später erwähnt werden sollen, auch gerade für solche Stoffe Neigung zur Bildung vielfacher Molekeln zu erkennen, die aus der Oberflächenspannung zu dem gleichen Schlüsse führen.

Zu solchen sich im flüssigen Zustande polymerisierenden Stoffen ge- hören die Alkohole, deren n- Werte bis 2-6 gehen, die Fettsäuren, einige Eetone^ Nitrile, Nitroparaffine, insbesondere auch das Wasser, dessen n von 1>7 bei bis 13 bei 140« geht

Dagegen sind Kohlenwasserstoffe und ihre Halogenabkömmlinge, Äther und Ester normal, ebenso die meisten anorganischen Flüssigkeiten, Säure- chloride und -anhydride, Schwefelverbindungen, Anilin, Pyridin, Chinolin u.s. w.

Für die allgemeine Theorie der Flüssigkeiten ergiebt femer Be- trachtung der Oberflächenspannung folgenden Schluss. Die Arbeit zur Erzeugung von einem cm^ Oberfläche beträgt beim Wasser (S. 147) 77 Erg. Mit einer gegebenen Wassermenge kann man nun nicht eine unbegrenzt grosse Oberflädie herstellen ^ da sonst dne unbegrenzte Energiemenge mit einer endlidien Stofimenge verbunden wäre, was ein Widerspruch ist Im Sinne der S. 146 gegebenen Betrachtungen ist viel- mehr das Maximum der Energie, die man der Flüssigkeit als Ober- flächenenergie zuführen kann, durch die halbe Verdampfiingswärme ge- geben. Diese beträgt flir 1 g Wasser rund 25 J oder 25 X 10*^ Erg. Daraus folgt, dass man mit 1 g Wasser höchstens eine Fläche von 16 X 10' cm* bedecken kann. Die Dicke dieser Schicht ist 0-6 X 10~® cm.

Die Molekulaiiiypothese giebt flir diese Dicke die Auffassung, dass sie eine einfache Sehidit von Molekeln darstelle, und danach wäre sie aadi als der Durchmesser der Molekeln anzusehen. Diese Zahl stimmt der (rrössenordnung nach gut mit der überein, die aus den Annahmen der kinetischen Hypothese berechnet wurde (S. 82). Hieraus ist abgesehen von allen Hypothesen zu schliessen, dass die Eigenschaften der Stofle andere werden, als wir sie gewöhnlich kennen lernen, wenn ihre Ab- messunpep npter den Wert vpi^ ^und }0~*cw hei^bgehen,

152 ni. Stöchiometrie der Flüssigkeiten.

Man kann sich schliesslich fragen, ob die bisher stillschweigend festge- haltene Annahme, dass die Oberflächenspannung auf die Verkleinerung der Oberfläche hinwirke, immer zutrifft, und ob es nicht auch Spannungen umgekehrten Zeichens giebt. Eine solche Spannung müsste die Oberfläche zu vergrössern streben. In der That sind solche Wirkungen bekannt: sie liegen bei den Escheinungen der Benetzung und der gegenseitigen Auflösung der Flüssigkeiten vor. Wenn man eine Fläche von reinem Glase mit Wasser oder Alkohol in Berührung bringt, so tritt eine Bewegung der Flüssigkeit in solchem Sinne ein, dass sich die Berührungsfläche zwischen beiden vergrössert. Da hierdurch u. a. Wasser gehoben werden kann, so kann der Vorgang Arbeit leisten, und es liegt also hier eine Oberflächenenergie zwischen der festen Fläche und der Flüssigkeit vor, deren Zeichen das umgekehrte von dem der gewöhnlichen, flächenverkleinernden ist.

Femer besteht an der Berührungsfläche zweier nicht mischbarer Flüssig- keiten, wie Wasser und Phenol, bei niedrigen Temperaturen eine Oberflächen- spannung von der gewöhnlichen Art, die die Oberfläche zu verkleinem strebt Erhöht man die Temperatur, so wird diese Spannung (während sich, gleich- zeitig die Flüssigkeiten mehr und mehr ineinander lösen) immer kleiner, schliesslich gleich Null. Gleichzeitig werden die beiden Flüssigkeiten in allen Verhältnissen ineinander löslich. Daraus kann man schliessen, dass bei Flüssigkeitspaaren, die sich in allen Verhältnissen vermischen lassen, eine Oberflächenspannung umgekehrten Zeichens besteht. Bringt man solche Flüssigkeiten miteinander in Berührung, so sucht ihre gemeinsame Oberfläche den grössten Wert anzunehmen, und dies geschieht, wenn sich beide Flüssig- keiten vollkommen miteinander vermischen. Hierdurch werden die Erschei- nungen der Lösung mit denen der Oberflächenspannung in Zusammenhang gebracht.

Die Oberflächenspannung hat einen Einflnss auf den Dampfdruck der Flüssigkeiten, der indessen wegen des kleinen Betrages der Ober- flächenenergie nur in Fällen zur Geltung kommt, wo das Verhältnis der Oberfläche zur Stoflftnenge gross ist, wie z. B. bei kleinen Tröpfchen. Dieser Einfluss erhöht an konvexen Flächen, z. B. Tropfen, den Dampf- druck, so dass dieser bei derselben Flüssigkeit und derselben Temperatur um so grösser wird, je kiemer das Tröpfchen ist. An konkaven Flächen wird der Druck umgekehrt kleiner.

Man kann sich von der Notwendigkeit eines solchen Einflusses leicht überzeugen, wenn man überlegt, dass die Gesamtoberfläche zweier Kugehi grösser ist, als die Oberfläche der einen Kugel, die man aus der gleichen Stoffmenge bilden kann, und die daher das gleiche Volum hat Da die Oberflächenspannung die Gesamtoberfläche so klein als möglich zu machen strebt, so muss sie auch in solchem Sinne wirken, dass zwei nebeneinander beflndliche Tropfen sich zu einem vereinigen. Durch die Betrachtung der verhältnismässigen Änderungen der Oberflächen bei der Übertragung der Flüssigkeit aus dem einen Tropfen in den anderen ; ergiebt sich alsbald, dass sich ein grösserer Tropfen auf Kosten eines

Innere Reibung. 153

kleineren vergr(>s8ern muss; da die Tropfen auch durch Destillation ihr Grössenverhältnis verändern können, so muss in solchen Fällen Destillation eintreten, und zwar vom kleineren Tropfen zum grösseren. Daraus er- giebt sich die Notwendigkeit einer Verschiedenheit der Dampfdrucke mit der Tropfengrösse in dem angegebenen Sinne.

Man kann sich von dem Vorhandensein solcher Unterschiede überzeugen, wenn man eine (nicht zu leicht) flüchtige Flüssigkeit in eine Röhre ein- schliesst, diese luftleer macht, und in ihr an einer vorher trockenen Wand einen Beschlag von Tröpfchen erzeugt. Überlässt man dann den Versuch sich selbst, so findet man nach einiger Zeit, dass die Tröpfchen, die durch Zufall grösser geworden waren, als die anderen, sich mit einem trockenen Hof um- geben haben, zum Zeichen, dass die angrenzenden kleineren Tröpfchen auf ihren grösseren Nachbar überdestilliert sind. Ein geeignetes Material für diesen Versuch ist Schwefel, der sich aus dem Dampfe in flüssiger Form ab- zusetzen pflegt.

Um den Betrag der Änderung zu berechnen, denke man sich in ein Gefäss mit der Flüssigkeit eine Kapillarröhre gestellt. Dann wird sich die Flüssig- keit bis zu einer bestimmten Höhe erheben, die durch die Formel h«= 2y/rs (S. 148) gegeben ist. Da das Gebilde im Gleichgewicht ist, so muss der Dampf- druck am Meniskus, der die Flüssigkeit oben begrenzt, gleich dem Drucke des von der unteren ebenen Fläche ausgesendeten Dampfes, vermindert um den hydrostatischen Druck des zwischen beiden Flächen befindlichen Dampfes sein. Dieser aber ist gleich dem Produkte der (absoluten) Dichte des Dampfes D in die Steighöhe h. Nennt man die Dampfdruckverminderung im Meniskus dp, so ist dp =^ Dh oder nach Einsetzen des Wertes für h, dp = 2Dy/rs. Sie ist also proportional der Oberflächenspannung y, dem Verhältnis D/d der Dichten des Dampfes und der Flüssigkeit, und umgekehrt proportional dem Radius der Röhre, und somit dem Radius der begrenzenden Kugelfläche.

In diesem Falle besteht der Einfluss der kapillaren Fläche in einer Verminderung des Druckes, weil die Fläche konkav ist. Bei Tropfen ist sie konvex und da tritt demgemäss eine Vergrösserung des Druckes ein. Man erhält eine entsprechende Versuchsanordnung, wenn man eine nicht benetzende Flüssigkeit in einem zweischenkligen Rohre mit einem kurzen engen und einem hohen weiten Schenkel betrachtet.

Zehntes Kapitel.

Innere Reibung.

Die Flüssigkeiten sind bisher als Körper behandelt worden, welche jede Form annehmen. Dies ist zwar der Fall, doch bedingt die Form- änderung der Flüssigkeiten eine Arbeit, welche durch ihre innere Reibung gemessen wird. Diese ist allerdings meist selir gering, doch

154 in. StöcMometrie der Flüssigkeiten.

giebt es auch Flüssigkeiten mit grossen Werten der inneren Reibung. Je grösser diese Werte werden, um so mehr nähern sich die Flüsag- keiten den festen Körpern, und es findet auf diesem Gebiet ein zu- sammenhängender Übergang statt zwischen Stoffen von der BesdiaflTen- heit des warmen Äthers, welcher überaus flüssig ist, bis zu der des Pechs und Glases, welches sich in den meisten Beziehungen wie ein fester Körper verhält.

Die innere Reibung der Flüssigkeiten macht sich bei allen Be- wegungen geltend, wenn sie audi ohne Formänderung stattfinden, felis nur die Teilchen der Flüssigkeit sich aneinander versdiieben. Der Koeffizient der inneren Reibung tj ist gleich der Arbeit zu setzen, welche erforderlich ist, um zwei Flächen von 1 qcm Grösse in 1 Sekunde ein- ander parallel um ebensoviel zu verschieben, als ihre Entfernung beträgt Er hat für die gewöhnlichen Flüssigkeiten recht kleine Werte; für Wasser von mittlerer Temperatur z. B. beträgt er nicht mehr als 0 011 in ab- soluten Einheiten.

Am zweckmässigsten bestimmt man die innere Reibung von Flüssig- keiten mittelst Ausflusses aus cylindrischen Röhren. Für diesen Fall gilt

p:7rr* die Formel ?/=• ^ , wo p der Druck, r der Röhrenradius, 1 ihre

olv

Länge und v das in der Zeiteinheit ausfliessende Flüssigkeitsvolum be- deutet; üt ist die bekannte Zahl 3-1415.. Die Ableitung der Formel erfordert höhere Mathematik und wird daher nicht gegeben.

p:7rr* Die in der Formel w = -— - enthaltenen Beziehungen, dass das

81v

ausfliessende Flüssigkeitsvolum proportional dem Drucke und der vierten Potenz des Radius und umgekehrt proportional der Länge der Röhre ist, sind auf empirischem Wege von Hagen (1839) und Poiseuille (1843) gefunden worden. Diese Übereinstimmung zwischen Theorie und Er- fahrung bestätigt die Voraussetzung, unter welcher erstere entwickelt worden ist: dass nämlich die innere Reibung proportional der Grösse der reibenden Flächen, sowie der relativen Geschwindigkeit ihrer Be- wegung sei.

Die oben gegebene Formel gilt streng genommen nur für den Fall, dass alle Arbeit, welche durch den Druck geleistet wird, nur zur Überwindung der Reibung dient. Thatsächlich ist dies nie erfüllt, da die Flüssigkeit immer mit einer endlichen Geschwindigkeit, also mit einem Vorrat von lebendiger Kraft die Röhre verlässt. Nennt man R den durch die Reibung verbrauchten Anteil der Arbeit, so muss diese plus der lebendigen Kraft, mit welcher die Flüssigkeit austritt, gleich der gesamten Arbeit sein. Für das Volum V der Flüssigkeit, welche unter dem Drucke P in die Röhre tritt, hat die Arbeit den Wert PV, und somit ist PV = R + L, wo L die lebendige Kraft darstellt Diese ist gleich dem halben Produkt der Masse Vs (s = spezifischem Gewicht)

Innere Reibung.

155

mit dem Quadrat der Geschwindigkeit Letztere ist aber gleich - , wo t die

tq

Zeit und q den Querschnitt bedeutet. Wir haben demnach

PV«R4. ^*^

und

R=:PV 1

(.

2t«q«

V«s

.)■

2Pt«q«

An dem Zahlenfaktor dieser Formel muss indessen noch eine Korrektion angebracht werden. Er ist unter der Voraussetzung berechnet worden, dass alle Teile der strömenden Flüssigkeit dieselbe Geschwindigkeit haben. Dies ist nun nicht richtig; die mittleren Teile gehen am schnellsten, die äusseren langsamer. Die Berücksichtigung dieser Verschiedenheiten, die nur mit höherer Mathematik behandelt werden können, führt dazu, den Faktor 2 im Nenner

durch y 2 = 1-260 zu ersetzen; im Übrigen bleibt die Formel unverändert und hat sonach, da R dem Koeffizienten tj proportional ist, die Gestalt

/ V^s \

'/"=•'/ (beob.) \^ l^ePt^qV *

Im Verhältnis des zweiten Gliedes in der Klammer muss also der aus den Dimensionen der Röhre abgeleitete Wert des Reibungskoeffizienten vermindert werden. Da dies Glied dem Quadrat der Geschwindigkeit proportional ist, so wird es am zweckmässigsten sein, die Geschwindigkeit des Ausflusses mög- lichst zu vermindern, indem man lange Röhren und geringe Drucke verwendet.

Da die Bestimmungen der absoluten Werte der inneren Reibung insbesondere wegen der BeschaflFiing und Ausmessung vollkommen cylindrischer Kapillaren ziemlich beschwerlich ist, begnügt man sich häufig mit relativen Werten, indem man die innere Reibung des Wassers bei 0** (oder auch bei der Versuchstemperatur) als Norm benutzt; gewöhnlich setzt man sie gleich 1 I oder 100. Dies Verfahren hat den grossen Vorteil, dass i man dann die Konstante des Apparates mit ungeMr der- selben Genauigkeit bestimmen kann, welche den Messungen selbst zukommt, während einzelne der erforderlichen ab- soluten Messungen einen weit grösseren Fehler bedingen. Dem Fortschritt der Wissenschaft ist es zu überlassen, die gewählte Einheit mit entsprechender Genauigkeit in absolutem Werte zu ermitteln.

Am zweckmässigsten hat sich für die Ausführung von relativen Reibungsbestimmungen der beistehend ab- gebildete Apparat bewährt. Er besteht wesentlich aus einer Röhre db, welche in ihrem obersten Teile einige Millimeter breit ist, sieh bei c verjüngt, um in eine Kugel k überzugehen, an welche sich die Kapillare db schliesst, die ihrerseits wieder in die weitere Röhre be übergeht. Man füllt den Apparat von f aus mit einem gemessenen ypl^m der Flüssigkeit^ und ermittelt die Zeit, in welcher die Oberfläche.

/

156 IV. Stöchiometrie fester Stoffe.

der Flüssigkeit durch eine oberhalb und eine unterhalb der Kugel ange- brachte Marke tritt. Ist t diese Zeit fiir eine Flüssigkeit, deren Dichte s ist, und r die Zeit fiir Wasser mit der Dichte ö, so ist die relative

st innere Reibung q = , da die Drucke sich in beiden Fällen wie s:ö

verhalten.

Was nun die stöchiometiischen Ergebnisse der Bestimmungen von Reibungskonstanten flüssiger Stoffe anlangt, so sind dieselben, obwohl von einzelnen Forschern viel Mühe auf ihre Messung gewendet worden ist, bisher noch nicht in eine irgendwie allgemeinere Beziehung zu der chemischen Zusammensetzung und Konstitution gebracht worden. Die ersten Versuche hierüber liegen von Graham (1861) vor, später stellten Rellstab (1868), Pribram und Handl (1878) und besonders umfassend Thorpe und Rodger (1896) entsprechende Untersuchungen an. Die er- haltenen Ergebnisse beschränken sich auf einige innerhalb enger Gebiete geltende Regeln, deren Anfiihrung unterbleiben kann.

Insbesondere hat sich kein Anhaltspunkt zur Entscheidung der Frage gefunden, bei welchen Temperaturen die Reibungskoeffizienten vergleidi- bar seien. Die Werte derselben nehmen mit steigender Temperatur sehr schnell ab; ein Gesetz, welches diese Änderung darstellt, ist von Graetz (1888) angegeben worden, doch hat seine Anwendung gleichfalls nidit zu stöchiometaischen Ergebnissen gefuhrt.

Etwas ergiebiger haben sich die Lösungen gezeigt, über deren Ver- halten aber hier nicht berichtet werden kann.

Viertes Buch.

Stöchiometrie fester Stoffe.

Erstes Kapitel.

Allgemeines.

Flüssige und gasförmige Körper sind im stände, mechanische Energie ausser in Gestalt von Bewegungsenergie auch dadurch aufzu- nehmen, dass sie ihr Volum ändern. Durch die Wiederannahme des früheren Volums wird die aufgenommene Energie wieder ausgegeben, und die beiden Zustände unterscheiden sich durch den Umstand, dass den Gasen diese Fähigkeit bei jedem Volum zukommt, während die Flüssig- keiten ein bestimmtes grösstes Volum für jede Temperatur haben, das durch Druckänderungen nur verkleinert, nicht vergrössert werden kann.

Allgemeines. 157

Feste Körper verhalten sich in Bezug auf die Volumenergie zu- nächst den Flüssigkeiten ähnlich: sie lassen sich zusammendrücken^ nehmen aber durch Druckverminderung nicht ein beliebig grosses, sondern ein endliches eigenes Volum an. Ausser dieser Eigenschaft haben sie aber noch eine andere, die ihren Charakter als feste Körper bedingt. Auch zu blossen Änderungen ihrer Form, ohne gleichzeitige Volum- änderung ist Arbeit erforderlich, und auch diese Arbeit wird wieder- gewonnen, wenn man den Körper seine frühere Form wieder an- nehmen lässt.

Diese Formenergie nennt man auch Elastizität. Sie bedingt, dass ein fester Körper seine Gestalt beibehält, solange nicht sie durch ent- sprechende Arbeit geändert wird, und dass nach dem Aufhören eines solchen Zwanges sich seine frühere Gestalt wieder herstellt. Sie bildet das wesentliche Kennzeichen des festen Zustandes.

Über diese Eigenschaft lagert sich eine andere , welche sie zum Teil ver- decken kann. Auch festen Körpern kommt flüssige BeschaiFenheit, d. h. die Eigenschaft zu, ihre Teilchen dauernd gegeneinander zu verschieben. Hierfür ist auch Arbeit erforderlich ; diese wird aber nicht wiedergewonnen, wenn man den Körper aus dem Zwang entlässt, sondern ist verbraucht, d. h. in Wärme ver- wandelt. Man bezeichnet dieses Fliessen fester Körper als unvollkommene Elastizität, doch ist es besser, von dieser Bezeichnung keinen Gebrauch zu machen, da es sich um eine Eigenschaft handelt, die in der Hauptsache ge- rade das Gegenteil von Elastizität ist.

Von dem Zustande einer gewöhnlichen Flüssigkeit zu dem eines festen Körpers giebt es also einen stetigen Übergang, wenigstens bei gewissen Stoffen. So verhält sich beispielsweise geschmolzenes Glas bei höherer Temperatur ganz wie eine Flüssigkeit. Lässt man es abkühlen, so nimmt seine innere Reibung zu; gleichzeitig tritt die Eigenschaft der Formelastizität, die bei gewöhnlichen Flüssigkeiten kaum nachweisbar ist, mehr und mehr auf, und wird schliesslich bestimmend für das Verhalten. Dass aber auch bei gewöhnlicher Temperatur das Glas noch etwas flüssig ist, geht aus der den Glasbläsern bekannten Thatsache hervor, dass Glasröhren, die nur an den Enden unterstützt lagern, sich allmäh- lich im Sinne der Schwerewirkung durchbiegen und krumm werden. Die gleiche Eigenschaft zeigt sich darin, dass frischgefertigte Quecksilber- tiiermometer, in denen sich ein leerer Raum befindet, und die deshalb den äusseren Luftdruck erfahren, ein langsames Ansteigen des Null- punktes, entsprechend einem langsamen Zusammenfliessen des Queck- ffllberge^lsses, zeigen.

Die festen Körper lassen sich femer in zwei grosse Gruppen teilen, welche voneinander scharf getrennt sind: in amorphe und krystal- linische. Beide haben die eben geschUderte Eigenschaft, die Form- elastizität, aber mit folgendem Unterschiede. Amorphe feste Körper haben nur einen Koeffizienten der Formelastizität; ein Kreiscylinder aus

158 rV« Stöchiometrie fester Stoffe.

amorphem Material erleidet durch gleichen Druck nach allen Sdten die gleiche Durchbiegung und es ist gleichgültig, nach welcher Richtung der Cylinder etwa aus einem grösseren Stück geschnitten ist. Ein krystal- linischer Körper dagegen hat mehrere Elastizitätskoeffizienten. Schneidet man einen Kreiscyhnder aus einem solchen, so ist dessen Durchbiegung verschieden je nach der Ebene, in welcher man den Druck wirken lässt, und es giebt nur eine endliche Zahl von Ebenen, nach denen sich der Cylinder gleich verhält. Ebenso hat der Cylinder verschiedene elastische Eigenschaften, je nach der Lage, in der man ihn aus einem Stück ge- schnitten hat. Nur Cylinder, die einander parallel geschnitten sind, ver- halten sich übereinstimmend, und ausser dieser gegenseitigen Lage giebt es wieder nur eine endliche Anzahl anderer, welche übereinstimmende Cylinder ergeben.

Bei den krystallinischen Körpern ist die Formelastizität also noch an demselben Stück räumlichen Verschiedenheiten unterworfen, während sie bei amorphen Körpern nur von der Natur des Stoffes und seiner Temperatur abhängt.

Hierbei ist immer vorausgesetzt, dass wir es mit einheitlichen Körpern zu thun haben, in denen übereinstimmend gelagerte Stücke in allen Be- ziehungen gleiche Eigenschaften haben. Ungleichförmigkeiten der chemischen Zusammensetzung und der physikalischen Eigenschaften von Ort zu Ort sind nach der am Anfange dieses Werkes stehenden Bestimmung überhaupt von der Betrachtung ausgeschlossen.

Zweites KapiteL Exystalle.

Es wurde bereits hervorgehoben, dass die festen Körper oft die Eigenschaft gesetzmässiger Richtungsverschiedenheiten in ihrer Beschaffen- heit besitzen. Diese Gesetzmässigkeit macht sich bei allen Beziehungen geltend, bei welchen die Richtung in Frage kommt, also bei der äusseren Begrenzung, der Elastizität, den optischen Eigenschaften, der Wärme- leitung u. s. w. Während in einem amorphen Körper, wie Glas, diese Eigenschaften nach allen Richtungen gleiche Werte haben, sind bei Krystallen, wie man derartige Körper nennt, die Eigenschaften nur nach parallelen Richtungen gleich; nach den anderen dagegen im allgemeinen verschieden.

Von den Eigenschaften, welche hier in Frage kommen, ist die äussere Begrenzung firüher als jede andere beachtet und in ihren Gesetz- mässigkeiten erforscht worden. Das erste Gesetz rührt von N. Steno (1669) her, und lautet, dass bei den verschiedenen Eaystallen desselben

Krystalle. 159

Stoffes zwar die Form und Grösse der Flächen beliebig wechselnd sein können, dass aber die Winkel, unter denen die Flächen zusammenstossen, stets dieselben bleiben.

Von Hauy ist dann (1781) zwischen den verschiedenen Flächen eines Krystalls eine weitere Gesetzmässigkeit aufgefunden worden, die von ihm folgendermassen dargestellt worden ist Denkt man sich, was immer möglicli ist, die einfachsten Formen eines Krystalls aus prisma- tischen Elementen von bestimmten Winkeln und Seitenverhältnissen auf- gebaut, so ist es möglich, mit Hilfe gleicher prismatischer Elemente auch alle anderen am Krystall vorkommenden Formen aufzubauen, so dass die durch die entsprechenden Ecken der Elementarprismen gelegten Flächen die Krystallfläclien darstellen.

Eine lange benutzte Gestalt hat die Krystallographie durch Weiss (1809) erlangt, welcher die Beziehung der Krystallgestalten auf be- stimmte Achsensysteme einfiihrte. Die beiden eben erwähnten Gesetze eriialten in dieser Darstellungsweise die Form, dass erstens jedem Stoff ein Achsensystem, dessen Winkel und relative Längen bestimmte Werte haben, zukommt, und dass zweitens die verschiedenen an einem Krystall vorkommenden Flächen, wenn sie parallel sich selbst durch einen Punkt einer Achse gelegt werden, die anderen Achsen in einfachen rationalen Veihältnissen schneiden.

Zu diesen beiden Gesetzen tiitt noch als drittes das Symmetrie- gesetz, dessen Erkenntnis zum Teil gleichfalls auf Hauy zurückzu- führen ist. In vollständiger Weise ist es von Hessel (1830) ausge- sprochen worden, dessen Entdeckung aber lange Zeit völlig unbeachtet blieb. Erst in neuerer Zeit, als die gleichen Ergebnisse von verschiedenen anderen Forschem auf unabhängigen Wegen gefdnden wurden, kam diese Betrachtungsweise zur allgemeinen Geltung.

Das Symmetriegesetz besagt, dass die in den Krystallen vorhandenen Richtungen übereinstimmender Eigenschaften gesetzmässig derart zu ein- ander geordnet sind, dass sie miteinander auf n verschiedene Weisen znr Deckung gebracht werden können, wo n eine endliche Zahl ist. We Operationen, durch welche diese Deckbewegungen ausgefiihrt werden, sind Drehungen und Spiegelungen.

Ein Rad mit 6 Speichen kann beispielsweise durch Drehungen um seine Achse sechs Mal mit sich selbst zur Deckung gebracht werden. Ist es aasserdem auf beiden Seiten gleich geformt, so ist auch eine Drehung von 180° um jeden Durchmesser eine Deckbewegung. Dagegen kann die rechte und die linke Hand nur durch eine Spiegelung zur Deckung gebracht werden.

Stellt man sich die Aufgabe, im Rahmen der oben angegebenen allgemeinen Eigenschaften der Krystalle alle möglichen Arten derselben anzufinden, so wird man folgende Aufgabe zu lösen haben: Auf wieviel wesentlich verschiedene Arten kann man Richtungen im Räume symmetrisch anordnen?

160 rV- Stöchiometrie fester Stoffe.

Untersucht man alle möglichen Arten, durch welche Deckbewegxmgen bewirkt werden können, so findet man drei: Spiegelung in einer Ebene, Drehung um eine Achse, und Drehspiegelung, d. h. eine Bewegung, die aus einer Drehung um eine Achse und einer darauf folgenden Spiegelung in einer senkrecht zu dieser Achse stehenden Ebene besteht. Alle anderen denkbaren Zusammenstellungen von Drehungen und Spiegelungen lassen sich auf eine einzige der genannten Operationen zurückfahren.

Die einfachste Symmetrieart ist die Spiegelung. Sie liegt vor, wenn jedem Punkte der ersten Lage ein Punkt der zweiten so entspricht, dass er auf der Normalen einer bestimmten Ebene ebenso weit hinter dieser liegt, als jener vom gelegen ist. Diese Ebene heisst die Symm etrieeb ene.

Die Drehung erfordert eine Symmetrieachse, d.h. eine Gerade, um die man das Gebilde so drehen kann, dass es mit sich selbst zur Deckung kommt. Soll, wie bei Krystallen, die Bedmgung erfüllt sein, dass die Zahl dieser Drehungen endlich ist, so muss der Winkel jeder Drehung ein rationaler Bruchteil von 360® sein. Es lässt sich beweisen, dass diese Brüche nur */g, '/j, ^/^ und ^6 ^^^^ können; andere Ein- teilungen würden mit dem Gesetz der rationalen Achsenschnitte in Wider- spruch geraten. Demgemäss wird die Symmetrieachse eine zwei-, drei-, vier- oder sechszählige sein, d. h. das Gebilde wird bei einer voll- ständigen Drehung um diese Achse 2, 3, 4 oder 6 Mal mit sich selbst zur Deckung gelangen.

Nachdem sich die Symmetrieebene und -achse als Eigentümlichkeiten der beiden ersten Symmetriearten ausgewiesen haben, könnte man versucht sein, das Symmetriezentrum als die der dritten, der Dreb- spiegelung anzusehen. Doch erweist sich der letztere Begriff weiter, als der erste, so dass zwai* alle durch ein Symmetriezentrum gegebenen Be- ziehungen durch Drehspiegelung erreicht werden können, nicht aber umgekehrt.

Die Drehspiegelung kann nur bei 2, 4 und 6-zähhger Drehachse zn Stande kommen; versu(*.ht man sie mit einer dreizahligen auszuführen, so gelangt man nicht mit einer ganzen Drehung zur Ausgangslage zu- rück, sondern erst mit zweien, und das Ergebnis ist dann mit dem einer sechszähligen Achse identisch.

Aus diesen acht Symmetrieelementen: der Spiegelung, der zweh, drei-, vier- und sechszähligen Symmetrieachse und der zwei-, vier- und sechszähligen Drehspiegelung setzen sich nun die Symmetrieeigenschaften aller Krystalle zusammen. Bei dem Versuche, alle möglichen Zusammen- stellungen dieser Elemente zu erschöpfen, überzeugt man sich bald, daas ihre Zahl nicht besonders gross ist, denn man kann nicht willkürlich jedes Element mit jedem anderen verbinden, sondern gewisse schliessen sich gegenseitig aus, und andere Zusammenstellungen fiihren zu berdfs vorhandenen Formen. Die Gesamtzahl aller möglichen Krystallarten ergiebt sich zu 31, und wenn man den Fall, dass gar keine Symmetrie vorhanden ist, dazunimmt, 32.

Krystaüe. 161

Die Ableitung dieser 32 Arten soll hier nicht gegeben werden, wohl aber eine kurze Zusammenstellung der Ergebnisse^).

Zur besseren Übersicht ordnet man die 32 Klassen in 7 Krystall- systeme, die aus der auf Achsenkreuze bezogenen Systematik von Weiss übernommen sind.

I. Triklines System. Die Formen sind die wenigst symmetrischen. Das System enthält zwei Klassen: 1. die asymmetrische Klasse ohne jedes Symmetrieelement; 2. die pinakoidale Klasse mit einer zwei- zähligen Drehspiegelung. Dadurch entsteht ein Symmetriezentrum, d. h. jeder Fläche entspricht eine parallele Gegenfläche, und die Verbindungsgeraden entsprechender Punkte schneiden sich alle in einem Punkte unter gegen- seitiger Halbierung.

II. Monoklines System. 3. Sphenoidische Klasse: eine zwei- zählige Symmetrieachse. 4. Domatische Klasse: eine Symmetrie- ebene. 5. Prismatische Klasse: eine S3anmetrieebene und eine dazu senkrechte zweizählige Symmetrieachse. Die Krystalle dieses Systems zeigen einen höheren Grad von Symmetrie, indem durch die Symmetrie- ebene bez. -achse nach einer Richtung eine rechtwinklige Ausbildung bedingt wird.

in. Rhombisches System. 6. Bisphenoidische Klasse: drei zu einander senkrechte zweizählige Symmetrieachsen. 7. Pyramidale Klasse: eine zweizählige Achse und zwei ihr parallele, einander recht- winklig schneidende Symmetrieebenen. 8. Bipyramidale Klasse: drei zu einander senkrechte Symmetrieebenen und drei zu einander senkrechte zweizählige Achsen. Die Krystalle dieses Systems sind durch drei aufeinander senkrechte Ausbildungsrichtungen oder Achsen gekennzeichnet, die durch ihre Symmetrieelemente bedingt werden.

lY. Tetragonales System. 9. Bisphenoidische Klasse: eine vierzäblige Drehspiegelung. 10. Pyramidale Klasse: eine vierzählige Symmetrieachse. 11. Skalenoedrische Klasse: eine vierzählige Dreh- spiegelung; senkrecht zu deren Achse zwei zweizählige, senkrecht zu einander stehende Symmetrieachsen; in der Achse zwei Symmetrieebenen, welche die Winkel der zweizähligen Achsen halbieren. 12. Trapezo- edrische Klasse: eine vierzählige Achse; in der dazu senkrechten Ebene vier zweizählige. 13. Bipyramidale Klasse: eine vierzählige Adise und senkrecht dazu eine Symmetrieebene. 14. Ditetragonal- pyramidaleKlasse: eine vierzählige Achse und vier sich in ihr schnei- dende Symmetrieebenen. 15. Ditetragonal-bipyramidale Klasse: wie 14, dazu senkrecht zur vierzähligen Achse eine Symmetrieebene und vier zweizählige Symmetrieachsen. Die Krystalle dieses Systems sind aUe durch eine vierzählige Symmetrie um eine Hauptachse, d. h. eine gegen alle übrigen Richtungen ausgezeichnete Richtung gekennzeichnet.

*) Groth, Physikalische Krystallographie. .3. Aufl. Leipzig 1895.

OBtwftld, Gnindrisa. 3. Aufl. 11

162 rV- Stöchiometrie fester Stoffe.

V. Trigonales System. 16. Pyramidale Klasse: eine drei- zalilige Symmetrieachse. 17. RhomboSdrische Klasse: eine dreizählige Achse 7 welche zugleich die Achse einer sechszähligen Drehspiegdimg ist 18. Trapezoedrische Klasse: eine dreizählige Symmetrieachse und drei zweizählige senkrecht dazu. 19. Bipyramidale Klasse: eine dreizählige Achse und senkrecht dazu eine Symmetrieebene. 20. Ditri- gonal-pyramidale Klasse: eine dreizählige Achse^ in der sich drei Symmetrieebenen schneiden. 21. Ditrigonal-skaleno^drische Klasse: ausser den Elementen der 20. Klasse drei zweizählige Achsen senkrecht zu der dreizähligen. 22. Ditrigonal-bipyramidale Klasse: ausser den Elementen der 20. Klasse eine Symmetrieebene und sechs zwei- zählige Achsen senkrecht zur dreizähligen. Die Krystalle des trigo- nalen Systems sind durch eine dreizählige Symmetrie um eine Haupt- achse ausgezeichnet

VI. Hexagonales System. 23. Pyramidale Klasse: eine sechszählige Achse. 24. Trapezoedrische Klasse: eine sechsr zähhge Achse und senkrecht dazu sechs zweizählige. 25. Bi pyra- midale Klasse: eine sechszähhge Achse und senkrecht dazu eine S3nnmetrieebene. 26. Dihexagonal-pyramidale Klasse: eine sechs- zählige Achse und darin sechs Symmeüieebenen. 27. Dihexagonal- bipyramidale Klasse: ausser den Elementen von 26 eine Symmetrie- ebene und sechs zweizählige Achsen senkrecht zur sechszähUgen. Die hexagonalen Krystalle besitzen gleichfalls eine ausgezeichnete Richtung oder Hauptachse und sind in sechszähliger Symmetrie um diese ausgebildet

YII. Kubisches System. 28. TetraSdrisch-pentagondode- kaädrische Klasse: drei gleichwertige zwdzählige Achsen^ die zu ein- ander senkrecht stehen; unter gleichen Neigungen zu diesen vier drei- zählige Achsen. 29. Pentagon-ikositetraedrische Klasse: drei gleichwertige, gegeneinander senkrechte vierzähUge Achsen, vier drei- zählige und sechs zweizählige, welche die Winkel der vierzähligen hal- bieren. .30. Dyakisdodekaedrische Klasse: die Elemente der Klasse 28 und drei Symmetrieebenen senkrecht zu den zweizähligen Achsen. 31. Hexakistetraädrische Klasse: die Elemente der Klasse 28 und sechs Symmetrieebenen. 32. HexakisoktaSdrische Klasse: drei vierzählige gleichwertige Symmetrieachsen senkrecht zu einander^ vier dreizählige und sechs zweizählige, femer sämtliche Symmetrieebenen der Klassen 30 und 31. Die Krystalle des kubischen Systems haben drei gleichwertige, senkrecht zu einander stehende Symmetrieachsen, zu denen die weiteren Elemente kommen. Sie stellen die am regelmässigsten ausgebildeten Krystalle dar, insbesondere ist die Klasse 32 der Ausdruck der höchsten Symmetrie, die innerhalb der krystallographischen Grund- gesetze möglich ist.

Die Entwickelung der möglichen Krystallklassen aus den Symmetrie- verhältnissen ist unabhängig von der Frage der äusseren Begrenzung

Krygtalle. Iß3

der Eiystalle. Da sich die Krystallform als erste und aufUllligste Eigen- sdiaft der Krystalle bemerkbar macht^ ist man lange geneigt gewesen^ sie als die Grundlage der Systematik anzusehen. Doch ist die Form nur eine von den vielen Eigenschaften der Krystalle, die räumliche Gesetz- mässigkeiten aufvf eisen, und eine angemessene Systematik muss alle diese Eigenschaften umfassen.

Es entsteht nun die weitere Frage, ob die verschiedenen Eigen- schaften alle dieselbe Mannigfaltigkeit zeigen, welche in den 32 Klassen zum Ausdruck gekommen ist. Die Antwort ist, dass dies durchaus nicht der Fall ist Die 32 Klassen stellen die grösste Mannigfaltigkeit der Symmetriebeziehungen dar, die überhaupt möglich ist. Nun sind ver- schiedene Eigenschaften von solcher Beschaffenheit, dass sie gewisse Symmetrieelemente bereits in sich enthalten; in Bezug auf solche gehen daher die Klassen, welche diese Elemente nicht enthalten, in solclie über, welche durch die Zufügung dieser Symmetrie entstehen. Dadurch wird immer die Anzahl der möglichen Verschiedenheiten vermindert und die 32 Klassen treten zu Gruppen zusammen, von denen jede eine gewisse Zahl von Klassen umfasst

Je nach der hinzugetretenen Symmetrieart können diese Gnippen verschieden sein, doch müssen Eigenschaften, welche gleiche Symmetn'e- bedingungen enthalten, auch gleiche Gruppen ergeben. Die Erfahrung hat dies allgemein bestätigt.

Die wichtigste Gruppe wird durch solche Eigenschaften gebildet, deren Symmetrie im allgemeinsten Falle durch ein dreiachsiges Ellipsoid dargestellt wird. Wenn man z. B. im Inneren eines Krystalls, der ursprünglich überall gleiche Temperatur besass, in einem Punkte eine Wärmequelle sich bethätigen lässt, so hegen die Punkte gleicher Tempe- ratur in der Fläche eines dreiachsigen Ellipsoids. Dies tritt bei Krystallen des triklinen, des monoklinen und des rhombischen Systems ein. Dabei ist das Elhpsoid im ersten Falle ohne irgend welche geometrische Be- ziehung zur Krystallform gelagert. Bei den monoklinen Krystallen muss die vorhandene Symmetrieachse bez. -ebene mit einer solchen des Ellip- soids zusammenfallen, und bei den rhombischen muss dies mit den drei aufeinander senkrechten Achsen bez. Ebenen geschehen.

Die Krystalle des trigonaleu, tetragonalen und liexagonalen Systems besitzen eine Achse mit drei- oder mehrzähliger Symmetrie. Eine solche ist in einem dreiachsigen Ellipsoid nicht vorhanden, dieses muss dalier in ein emachsiges oder RotationselUpsoid übergehen. Hierdurch wird die Gruppe der einachsigen oder der mit einer Hauptachse veraehenen Krystalle gebildet.

Die Krystalle des kubischen Systems haben di'ei zu einander senk- rechte gleichwertige Achsen. Durch diese Bedingung geht das Ellipsoid in eine Kugel über.

Für Eigenschaften der geschilderten Art bilden die Krystalle dem- nach drei (bez. unter Berücksichtigung der bei den drdachsigen Krystallen

11*

164 IV. StOchiometrie fester Stoffe.

erwähnten Vei-schiedenheiten fünf) Gruppen, und durch die Messung der Symmetrie einer derartigen Eigenschaft kann man die Zugehörigkeit des Erystalis zu dem entsprechenden System feststellen, auch wenn er eine wiUküriiche oder zufällige Form hat

Die meistuntersuchte von den Eigenschaften dieser Art ist die Fort- pflanzung des Lichtes, und die davon abhängigen Brechungs- und Zer- streuungsverhältnisse. Sie sind wegen ihrer Wichtigkeit in einem eigenen Kapitel behandelt.

Den gleichen Charakter haben alle anderen Eigenschaften, die auf eine Ausbreitung von Punkt zu Punkt sich zurückführen lassen, wie die Leitung der Wärme, der Elektrizität, des Schalls u. s. w. Femer gehören hierher die Form- und Volumänderungen durch Temperatur und allseitigen Druck, ebenso die Verwitterungserscheinungen und überhaupt die chemischen Ände- rungen an Krystallen, die ihn nur teilweise ergreifen.

Eine andere Art von Zusammenfassung wird durch solche Eigenschaften bewirkt, welche zwar nach der Richtung verschiedene Werte haben, bei denen es aber keinen Unterschied zwischen vor- und rückwärts giebt. Solcher Art sind die elastischen Kräfte, denn ein gespannter Stab strebt sich zu verkürzen, aber die Kraft treibt ihn nicht ausschliesslich nach der einen oder der an- deren Seite. Durch eine solche Eigentümlichkeit erhält die Eigenschaft ein Symmetriezentrum, und in Bezug auf sie giebt es nur so viele Klassen, als aus den 32 werden, wenn man zu jeder noch diese Bedingung hinzufugt, und die dann gleich werdenden zusammenfasst. Es bleiben dann elf Klassen übrig ^).

Eine Eigenschaft polaren Charakters dagegen, d. h. eine solche, welche immer und notwendig mit zwei entgegengesetzten Werten auftritt, wie z. B. die elektrische Ladung, kann sich nur an solchen Achsen ausbilden, die an ihren Enden verschieden sind, die z. B. nicht mit einer senkrecht dazu stehenden Symmetrieebene verbunden sind. Ebenso sind alle Krystalie aus- geschlossen, welche ein Symmetriezentrum haben.

Durch diese Betrachtungen wird der enge Zusammenhang klar, welcher zwischen der Symmetrie der Krystalie und der Weise besteht, in welcher sich die verschiedenen Eigenschaften an ihnen bethätigen. Die weitere Ver- folgung des Gegenstandes gehört der Krystallphysik an.

Die vorstehenden Entwickelungen enthalten nur die Voraussetzung, dass die Krystalie symmetrische Gebilde seien, deren Mannigfaltigkeit nur durch die anderen krystallographischen Grundgesetze eingeschränkt ist. Sie sind daher frei von hypothetischen Annahmen bezüglich der inneren Struktur der Krystalie und eines etwaigen Aufbaues derselben aus gesetzmässig ge- ordneten Teilchen. Doch haben bereits seit dem Beginn der wissenschaft- lichen Krystallographie Bestrebungen sich gezeigt, auf Grund der beobachteten Gesetzmässigkeiten Vorstellungen der letzteren Art zu entwickeln, und solche

^) Im Falle der Elastizität tritt noch eine weitere Bedingungsgleichung hinzu, durch welche noch zwei von diesen Klassen verschwinden.

Krystalle. 165

sind bis auf unsere Zeit verfolg worden. Dabei hat sich allerdings heraus- gestellt, dass zwar die erste Ausbildung der Kenntnisse und Anschauungen in der Krystallographie durch diese Hilfsvorstellungen erleichtert und be- fördert worden ist; für die vollstftndige Erledigung der Aufgabe sind sie aber nicht geeignet gewesen, sondern dies ist auf rein geometrischem Wege, also ohne jede derartige Annahme erfolgt, und auch in ihrer weiteren Entwickelung hat die molekularhypothetische Betrachtung an Vollständigkeit und Einfach- heit die geometrische nicht erreichen können.

Ein solches Verhältnis ist zu erwarten gewesen. Durch jede hypothe- tische Veranschaulichung werden ausser den für die Erscheinung wesentlichen Elementen noch zufällige in die Darstellung hineingebracht, die von der Be- schaffenheit des angewendeten Bildes herrühren. Andererseits enthält die geometrisch-mathematische Theorie nur die nötigen 'Elemente; sie muss daher notwendig eine angemessenere Darstellung liefern, als die mit zufälligen Be- standteilen beschwerte „anschauliche^* Hypothese. Indessen hat diese doch auch im vorliegenden Falle eine so bedeutende Rolle gespielt, dass wenigstens die Hauptpunkte erörtert werden müssen.

Schon Hauy, einer der ersten wissenschaftlichen Bearbeiter der Krystallo- graphie, hatte seine Darstellung auf die Annahme gegründet, dass die Kry- stalle aus kleinsten Teilchen von gleicher Form und paralleler Lage zusammen- gesetzt seien, wie ein Mauerwerk aus Ziegeln. Das Gesetz der rationalen Achsenschnitte ergab sich alsbald anschaulich aus dieser Annahme. Denkt man sich z. B. parallelepipedische Stücke so übereinander gelagert, dass jede höhere Schicht nach Länge und Breite um einen Stein kleiner wird, so entstehen die Seiten einer Pyramide. Indem man die Abnahme erst bei jeder zweiten, dritten u. s. w. Schicht eintreten lässt, oder jede folgende Schicht um mehr als einen Stein kleiner macht, erhält man andere Pyramiden, deren Lage zu der ersten dem Gesetz der rationalen Achsenschnitte (das Hauy auf Grund dieser Betrachtung als das Gesetz der Decrescenzen be- zeichnet) entspricht.

Während Hauy aber es noch als nötig angesehen hatte, seine Bausteine von solcher Form anzunehmen, dass der Raum durch ihre Zusammensetzung vollständig gefüllt wurde, gab man später diese Annahme als unnötig auf, und bearbeitete die allgemeinere Aufgabe, die Molekeln oder Massenpunkte ohne Rücksicht auf ihre etwaige Form in gesetzmässiger Weise anzuordnen, und zuzusehen, wie sich diese Anordnung mit den krystallographischen That- Sachen in Übereinstimmung bringen lässt.

Solche Vorstellungen sind mehrfach ausgebildet worden von Franken - heim (1832—56), Bravais (1849), Möbius (1849) und Sohncke (seit 1867), und haben zu dem gesuchten Ergebnis geführt.

Man denke sich ein System von Punkten im Räume, welches der Be- dingung entspricht, dass die Anordnung desselben um jeden beliebigen Punkt die gleiche ist, wie um jeden anderen. Verbindet man einen Punkt mit einem benachbarten, so wird diese Gerade, beiderseits verlängert, in gleichen Entfernungen immer wieder einen Punkt treffen, da nach der Voraussetzung

166 r^- Stöchiometrie fester Stoffe.

der dritte Punkt zum zweiten ebenso liegen muss, wie der zweite zum ersten; die Gerade wird also eine unendliche Reihe äquidistanter Punkte ver- binden. Zieht man von demselben ersten Punkte zu einem anderen benach- barten wieder eine Gerade, so gilt für diese das Gleiche. Ebendasselbe gilt aber auch für jede Parallele zur ersten Geraden, die man durch einen Punkt der zweiten zieht und umgekehrt. Die beiden Scharen von Parallelen, die man durch diese Konstruktion erhalt, liegen in einer Ebene und ihre Durch- schnitte enthalten alle Punkte, welche zum System gehören. Die für Krystalle charakteristische Anordnung führt also in der Ebene zunächst auf zwei Scharen äquidistanter Parallelen, die unter irgend einem Winkel sich schneiden. Fügt man die Bedingung hinzu, dass die beiden bestimmenden Geraden von dem Ausgangspunkte zu den beiden zu nach st liegenden Punkten gezogen werden, so lässt sich beweisen, dass der Winkel zwischen 60® und 90* liegen muss.

Ziehen wir weiter eine dritte Gerade zu einem nicht in der Ebene Hegenden nächstbenachbarten Punkte, so gilt für diese und für jede durch einen Punkt in der Ebene gezogene Parallele wiederum das oben Gefundene. Die Gesamtheit der gesetzmässig möglichen Punkte ordnet sich somit in den Durchschnittspunkten von drei Scharen paralleler äquidistanter Ebenen an, für deren Winkel das oben Gesagte gleichfalls gilt. Wird keine weitere Be- stimmung getroffen, so haben wir den Fall geringster Symmetrie, das asym- metrische System.

Wenn wir nun die weitere Bedingung hinzufügen, dass eine Sym- metrieebene vorhanden sein soll, so muss diese jedenfalls senkrecht zu einer von zwei Punktreihen bestimmten Ebene stehen und den Winkel der Reihen halbieren, da anders nicht die Bedingung der Symmetrie, d. h. die Bedingung, dass jenseits der Symmetrieebene die Anordnung das Spiegel- bild der diesseits befindlichen darstellt, zu erfüllen ist. Ferner müssen die beiden Parallelenscharen in der Ebene auch in Bezug auf Entfernung über- einstimmen. Denn denkt man sich die eine Schar in der Ebene bis zu ihrem Durchschnitte mit der Symmetrieebene gezogen, so erfordert die Schar ihr Spiegelbild auf der anderen Seite, und verlängert man die Paral- lelen beiderseits unbegrenzt, so ist das Netz in der Ebene endgültig fest- gestellt. Wir kommen also zum Schluss, dass eine Symmetrieebene in einer dazu senkrechten Ebene ein Punktnetz mit rhombischer Masche bedingt, die Symmetrieebene geht durch eine Diagonale. Was nun die Punkte ausser- halb der Ebene betrifft, so soll zunächst in Erinnerung gebracht werden, dass jede Ebene, die parallel der eben betrachteten durch einen solchen Punkt gelegt wird, genau dieselbe Punktanordnung enthalten muss, wie diese. Wir können dies zweite Punktsystem also erhalten, wenn wir das erste parallel sich selbst um irgend eine Grösse verschieben. Dabei muss aber dem Gesetz der Symmetrie Genüge geschehen. Da nun durch die Spiegelung die Zahl der Punkte sich verdoppeln würde, wenn die Ver- schiebung willkürlich geschähe, so muss diese so ausgeführt werden, dass die ftrsprünglicten Punkte und ijire Spiegelbilder zusampaenfallen , d, Iji. wan

Kry stalle. 167

muss das System so verschieben, dass jeder Punkt sich in einer zur Symmetrie- ebene parallelen Geraden bewegt. Die Projektion der Punkte ausserhalb der Ebene muss also in die Diagonale der Rhomben fallen, durch welche die Symmetrieebenen gehen. Man erlangt so als Grundform des Raumgitters eine Parallelepipedon mit rhombischer Basis, von dem je zwei angrenzende Seitenflächen gleiche Neigung zur Basis haben. Zieht man die Diagonalen der Basis und verbindet ihren Durchschnittspunkt mit dem entsprechenden Punkte der Gegenfläche, so hat man ein Achsensystem, in welchem sich die Achsen zweimal unter rechten, einmal unter schiefen Winkeln schneiden. Damit ist aber das monokline System charakterisiert.

Wir wollen nur annehmen, es existiere noch eine zweite Symmetrie- ebene. Dann muss dieselbe eine dritte hervorrufen, welche ihr Spiegelbild in der ersten ist; das Spiegelbild der ersten Symmetrieebene in der zweiten bedingt eine vierte. Jede der neuen Symmetrieebenen bedingt wiederum drei weitere und so fort. Eine willkürliche Lage zweier Symmetrieebenen ruft also unendlich viele neue hervor, die alle durch dieselbe Gerade gehen, führt also auf eine Unmöglichkeit. Wir müssen daher spezielle Lagen auf- suchen, in welchen die Zahl der Symmetrieebenen endlich bleibt; dies findet

180° statt, wenn der Winkel beträgt, wo n eine ganze Zahl ist.

Wir nehmen zunächst n 2 ; dann schneiden sich beide Ebenen unter rechten Winkeln. Beide müssen aus den oben ausgesprochenen Gründen senkrecht auf einem ebenen Punktnetz stehen. Die Punktreihen dieses Netzes müssen gegen beide senkrechte Ebenen symmetrisch sein; diese Bedingung aber lässt sich erfüllen, indem entweder die Punkte Rhomben bilden, durch deren beide Diagonalen die Symmetrieebenen gehen, oder in- dem die Punktreihen senkrecht zu einander und parallel den Symmetrie- ebenen angeordnet sind. Die Masche des Netzes ist also rhombisch oder rechteckig. Die Punkte des parallelen Netzes können ebenfalls zwei Lagen haben: entweder liegen sie gleichzeitig in beiden Symmetrieebenen, d. h. senkrecht über den unteren Punkten, oder senkrecht über den Diagonal - durchschnitten. In beiden Fällen findet dies ebenso über wie unter der be- trachteten Ebene statt, und diese erweist sich demgemäss gleichfalls als eine Symmetrieebene. Diese Darlegung gilt ebenso für jedes System von mehr als zwei Symmetrieebenen, welche gleichzeitig durch dieselbe Gerade gehen, und wir können daher allgemein aussprechen: Zwei oder mehrere Symmetrie- ebenen, die sich in einer Geraden schneiden, bedingen eine neue Symmetrieebene senkrecht dazu.

Kehren wir nun zu den gefundenen Netzen und Raumgittern zurück. Im Falle die Punkte in der Parallelebene senkrecht über den Mitten der Diagonalen liegen, liegen die Punkte der dritten Ebene wieder senkrecht über den Punkten der ersten, wir können daher solche Systeme als Kom- bination zweier ineinander gestellter senkrechter Raumgitter betrachten. In allen Fällen gelangen wir zu drei aufeinander senkrechten Achsen, welche ungleichwertig sind; es ist dies die Charakteristik des rhombischen Systems.

168 IV. Stöchiometrie fester Stoffe.

Die zweite Symmetrieebene mag nun durch n «« 3 bestimmt werden, der Winkel wird 60^. Es tritt alsbald eine dritte zur ersten und zweiten gleichfalls unter 60® stehende dazu, die alle senkrecht auf der ursprünglichen Punktenebene stehen und gleichwertig sind. Die einzig mögliche Anordnung der Punkte in der Grundebene ist die in drei Scharen von Punktreihen, die je einer der Symmetrieebenen parallel sind ; die Punkte bilden Rhomben yon 60® und 120®. Die Parallelebene kann ihre Punkte wieder entweder senk- recht über denen der ersten Ebene oder senkrecht über der Mitte der Rhomben haben; im letzteren Falle befinden sich die Punkte der dritten Parallelebene senkrecht über denen der ersten. Aus den gleichen Gründen, wie beim vorigen Systeme, ist auch hier die ursprüngliche Ebene eine Sym- metrieebene, 80 dass das System deren vier hat, drei unter 60®, durch eine Gerade gehend, und die vierte senkrecht zu dieser Geraden. Die Achsen werden durch die Durchschnitte der vier Symmetrieebenen bestinmit, und wir haben das hexagonale System mit drei gleichwertigen Achsen in einer Ebene unter 60® und einer dazu senkrechten vierten.

Für n BS 4 tritt eine zweite Symmetrieebene unter 45® gegen die erste auf. Beide rufen zwei weitere Symmetrieebenen hervor, welche senkrecht zu beiden vorhandenen stehen und ihnen gleichwertig sind; wir haben also vier, die alle durch dieselbe Gerade gehen, und von denen je zwei senkrecht stehende gleichwertig sind, die benachbarten unter 45® stehenden sind es je- doch nicht. Die Anordnung der Punkte in der Ebene kann nur quadratisch sein, auch ist natürlich die Grundebene, zu welcher die vier Symmetrieebenen senkrecht stehen, gleichfalls eine Symmetrieebene. Die Lage der Punkte in den parallelen Ebenen wird durch dieselben Überlegungen bestimmt wie früher. Das System hat fünf Achsen, von denen vier in einer Ebene liegen und abwechselnd gleichwertig sind, während die fünfte dazu senkrecht steht Gewöhnlich beachtet man von den vier ersten nur zwei senkrecht stehende und gleichwertige und betrachtet die beiden anderen als sekundäre. Das System heisst das quadratische.

Setzt man n »» 5 oder grösser, so findet man, dass eine solche Zahl von Symmetrieebenen sich nicht verwirklichen lässt. Oben wurde erwähnt, dass der Winkel, welchen die von einem Punkt zu den beiden nächsten gezogenen Geraden einschliessen, nicht unter 60® herabgehen kann, während fünf oder mehr Symmetrieebenen dies bedingen würden, sie sind also nicht mdglicL Es bleibt nur noch ein einziger Schritt zu thun übrig, um den äussersten Grad von Regelmässigkeit zu erreichen. Dazu muss man die fünfte Symmetrie- ebene des quadratischen Systems mit zwei anderen gleichwertig machen; man hat dann drei gleichwertige, unter sich senkrechte Hauptsymmetrieebenen, wozu noch sechs weitere treten. Wir haben das kubische System.

Die vorstehende Entwickelung macht keinen Anspruch auf Strenge und Vollständigkeit, sondern soll nur ein Bild von dem Wege geben, auf dem solche Betrachtungen angestellt werden können. Eine systematische Unter- suchung des Problems ist insbesondere von Sohncke durchgeführt worden, und hat ergeben, dass die mögliche Mannigfaltigkeit auf die angedeutete Weise

Die optischen Eigenschaften der festen Körper. 169

nicht erschöpft werden kann. Die vollständige Lösung des Problems fordert, dass ausser den durch diese Betrachtungen entwickelten einfachen Raum- gittern noch zusammengesetzte angenommen werden, die aus mehreren inein- ander gestellten kongruenten Raumgittern bestehen.

Femer aber hat der Vergleich der auf solchem Wege gewonnenen Ergeb- nisse mit denen der rein geometrischen Betrachtung gezeigt, dass die letzteren gleichzeitig vollständiger und einfacher sind, so dass die voraussetzungslose Ableitung nicht nur die prinzipiell bessere, sondern auch die praktisch zweck- entsprechendere ist.

Die Krjstallographie hat damit eine Entwickelung durchgemacht, die der Chemie bezüglich der stöchiometrischen Grundgesetze noch grösstenteils be- vorsteht.

Drittes Kapitel. Die optischen Eigenschaften der festen Körper.

Die amorphen festen Körper unterscheiden sich in ihren optischen Eigenschaften nicht von den Flüssigkeiten, denn auch in ihnen pflanzt sich die Lichtbewegung nach allen Richtungen in gleicher Weise und ins- besondere mit gleicher Geschwindigkeit fort.

Bei den Krystallen machen sidi dagegen die Verschiedenheiten der Richtung auf die entsprechenden Lichtbewegungen in ausgeprägtester Weise geltend. Wegen ihrer auffallenden Beschaffenheit und wegen ihrer praktischen Wichtigkeit zur Kennzeichnung der Krystallbeschaffen- hdt sind sie eingehender, als irgend eine andere Eigenschaft ausser der Krystalfform untersucht worden, und bieten ein besonder gutes Beispiel für den Zusammenhang der allgemeinen Symmetrieeigenschaften dar.

Kubische Krystalle verhalten sidi in optischer Beziehung ganz wie amorphe Stoffe oder Flüssigkeiten. Ein einfallender Lichtstrahl wird so gebrodien, dass er in der Ebene bleibt, die durch die Richtung des Strahls und die Einfallsnormale bestimmt ist, und dass der Sinus des Emfallswinkels sich zu dem des Brechungswinkels verhält, wie die Licht- geschwindigkeit im ersten Mittel zu der im zweiten.

Bei den Krystallen aller anderen Systeme erfolgen dagegen andere Bewegungen des Lichtes. Durch Fresnel (1831) und Neumann (1832) wurde gezeigt, dass in solchen Krystallen die Bedingungen, unter denen die Liditschwingungen erfolgen, nicht nach allen Richtungen gleich sind, sondern gesetzmässig im Zusammenhange mit der Krystallform sich ändern. In einem solchen Mittel zerfällt jede Schwingungsbewegung in zwei unab- hängig voneinander verlaufende, die in zwei senkrecht aufeinander stehenden Ebenen polarisiert sind. Im allgemeinsten Falle löst sich jeder eintretende Lichtstrahl in zwei auf, die dem gewöhnhchen Brechungsgesetz nicht folgen. Die mathematische Untersuchung der Schwingungsvorgänge in einem

170 IV. Stöchiometrie fester Stoffe.

solchen Mittel hat theoretisch eine grosse Zahl von mei^wiirdigen optischen Erscheinungen an Krystallen zu erklären^ ja sogar neue^ bis dahin nicht beobachtete vorauszusagen gestattet. Die Hauptergebnisse sind folgende:

Legt man durch die Achsen grösster und kleinster Elastizität, welche stets zu einander senkrecht stehen, eine Ebene, so finden sich in dieser zwei Richtungen, in welchen sich die Strahlen mit gleicher Geschwindig- keit bewegen. Nach diesen Richtungen findet also keine Zerlegung in zwei Strahlen statt. Die Lage dieser Richtungen, welche die optischen Achsen genannt werden, hängt von dem Verhältnis der Elastizitäten nach den Achsen ab; sie schneiden sich unter beliebigen Winkeln, sind aber immer symmetrisch zu den Elastizitätsachsen, so dass diese die Winkel halbieren, welche von den optischen Achsen gebildet werden. Halbiert die Achse der grössten Elastizität den spitzen Winkel der optischen Achsen, so heisst der Krystall positiv, im entgegengesetzten Falle negativ.

Senkrecht zu den beiden Richtungen grösster und kleinster Elasti- zität liegt eine Achse mittlerer Elastizität, deren Wert die optischen Eigenschaften des E^rystalls erst vollständig definiert. Diese mittlere Elastizität kann je nach der Natur des Erystalls alle Werte zwischen denen der grössten und kleinsten Elastizität annehmen. Im Grenz- falle aber, wo sie der einen von beiden gleich wird, treten neue Eigen- schaften ein.

In diesem Falle gehen nämlich die beiden optischen Achsen in eine zusammen, deren Richtung mit der der ungleichen Elastizitätsachse zu- sammenfällt. Statt der zwei optischen Achsen giebt es jetzt nur eine. Gleichzeitig sind aber im Krystall alle Ebenen, welche man durch die optische Achse legen kann, gleichwertig geworden. Während in dem vorher besprochenen allgemeinen Falle der einfallende Lichtstrahl nidit in der Einfallsebene blieb, sondern sie verliess, ist in dem Falle der optisch einachsigen Krystalle nur noch ein Strahl mit dieser Eigenschaft behaftet; der andere folgt dagegen dem gewöhnlichen Brechungsgesetz. Man nennt ersteren den ausserordentlichen, letzteren den ordentlidien Strahl

Wird auch die Elastizität nach der dritten Achse der nach den beiden anderen gleich, so finden die Schwingungsbewegungen nach allen Seiten unter gleichen Verhältnissen statt, und es tritt keine Doppelbrechung ein; der Krystall ist isotrop und verhält sich wie ein amorpher Körper.

Die drei Gruppen der isotropen, optisch einachsigen und optisch zweiachsigen Krystalle fallen mit den drei krystallographischen Gruppen der kubischen, der mit einer Hauptachse versehenen (tri-, tetra- und hexa- gonalen) und der keine Hauptachse besitzenden (rhombischen, monoklinen und triklinen) Formen zusammen. Erstere sind optisch isotrop, die zweiten einachsig und die dritten zweiadisig. Bei letzteren fallen im rhombischen System die Elastizitätsachsen mit den krystallographischen Achsen zusammen, und die optischen Achsen liegen symmetrisch zu ihnen. Beim monoklinen System liegen zwei Elastizitätsachsen in der

Die optischen Eigenschaften der feaUn Korper. 171

Symmetrieebene bez. in der zur Symmetrieachse Benkrechten Ebene, die dritte senkrecht dazu. Die beiden optischen Adisen liegen daher gleich- falls entweder in raner jener Ebenen oder in einer zu ihr senkrechten, welche die dritte Elastizitätsachse enthält Beim triklinen System endlicli besteht gar keine bestimmte Beziehung zwischen optischen und kryslaüo- graphisehen Eigenschaften.

Auf Grund dieser VerliSltiüsse kann man ans den optischen Eigen- sdiaften von Krystallplatten SdilUsse auf ihre krystallographische Natur ziehen. Das Lacht wird beim Durchgang durch doppelb redien de Platten gleichzeitig polarisiert; betrachtet man daher eine Kry stallplatte zwischen zwei Polarisationsapparaten, z. B. zwei Turmalin platten oder Nicoischen IVismen, so kann man zunächst entscheiden, ob es sich nm einen regu- lären Krystall handelt oder nicht. Wenn die Polarisationsebenen beider Apparat« gekreuzt sind, so geht kein Licht durch das System, aucli nicht, wenn eine Platte aus einem regulären Krystall dazwischen ange- bracht wird. Ist aber die Platte doppelbrechend, so zerlegt sie das aus dem ersten Apparat kommende poluisierle Liclit in zwrä andere Strahlen, welche durch den zwei- ten Polariaationsappa- ^ rat im allgemeinen so zur Interferenz gebracht werden, dasa gefärbte licht durch das System g^L Erscheint also eine

Platte zwischen ge- kreuzten Nicola oder Tnrmalinen hell, so ist sie doppeibrechend, ^ ^

Um die verschie- denen Arten doppel- brechender Erystalle zd unterscheiden, benutzt man am besten Platten,

welche senkrecht zu einer Elaatizit&tsBchse

geschnitten sind, und he- d

trachtet sie im konver- Fig. 19.

genten Licht Dann ent- stehen gefärbte Figuren, deren Theorie vollständig bekannt Ist; sie kann hier frei- lich nicht entwidfelt werden. Optisch einachsige Krystalle zeigen, wenn diePlatteii senkrecht zur Hauptachse geschnitten sind, die Fig. 19, welche aus farbigen Kngen, durchsetzt von einem schwarzen Kreuz, besteht. Optisch zweiachsige Erystalle geben die Gestalten Fig. 20 und 21, welche durch zwei senkrechte Durchmesser in vier kongruente Quadranten zerlegt werden kennen. Bei rbombisdien Kristallen sind die Hinge in den vier Quadranten völlig über-

172

IV. StOchionetrie fester Stoffe.

einstimmend gefärbt; bei moiioklinen bestellt aber noch eine Symmetrie der Farben in Bezug auf einen der DurchmesBer. Bei Platten aus triklinen Krystalten sind endlich die Färbungen weder nach dem einen, noch nach dem anderen Durchmesser symmetriBch.

Von diesen allgemeinen Gesetzen existieren einzelne AusDahmen, indem sich namentlich reguläre Krystalle häufig doppelbrechend zdgen. Die Erklärung dafUr ist nach zwei Richtungen gesucht worden. Einmal hat man nachweisen können, dass in vielen I^^len innere Spannnngen in den Erystallen vorhanden sind, darcli welche dieselhen doppelbrechend werden, ebenso wie di« an einseitig gedehnten oder gespannten amor- phen Stoffen eintritt

In anderen F^len scheint dagegen die re- guläre Eryställform nur eine scheinbare zu sein, die Erystalle sind that- ^Ichlich ans zweiachsi- gen ErystalleD durch Zwillingsbtlduug so zu- sammengesetzt, dasB die äussere GestaJt ein«fl regulären Erystalls ent- steht

Eine besonders in-

Fig, 21.

von Herschel (1835) zwischen der Krystall- form uudderFäbigk^ die PolarisationsebeDe des Lichtes zu drehen, gefunden worden. Der Quarz krystallisiert in hexa- gonalen Sänlen mit sechsflächiger pyramidaler Zuspitzung. An den Ecken befinden sich häufig einseitig gelagerte Flächen, welche entweder rechts oder links anl^reten. Vollkommen parallel mit diesem Auftreten der rechten oder linken Nebenfläohen geht die Fähigkeit des Quarzes, Hnen in der Richtung der optischen Achse durchgesdiickten Liditstrabl nach rechts oder nacli links zu drehen, so daaa man einem Quarzkrystalf seine optischen Eigenschaften äusserlich ansehen kann.

Beim Quarz ist diese Eigenscliaft an die Itrystallinische Form ge- bunden; geschmolzener Quarz dreht nicht mehr die Polarisationsebene. Auch haben alle anderen Erystalle, weldie die Polarisationsebene dr^en, gleichfalls derartige unsymmetrische Nebenflädien. Sind m am Krystall nicht sichtbar auagebildet, so kann man sich von der emseitigen Natur solcher Krystalle durch oberflächliches Anätzen überzeugen. Es ent-

Die optischen Eigenschaften der festen Körper. 173

stehen dadurch scharfbegrenzte mikroskopische Figuren, welche bei ge- wöhnlichen Krystallen symmetrisch ausgebildet sind, w^end die erwähnten Gebilde entsprechend ihren optischen Eigenschaften einseitig rechts oder links ausgebildete Ätzfiguren aufweisen.

In den erwähnten Krystallen liegt die Ursache der Drehung der Polarisationsebene in der Symmetrie der festen Form, weil mit der Zer- störung der krystallinischen Beschaffenheit durch Schmelzen oder Auf- lösen die Fähigkeit verschwindet Frülier haben wir Stoffe kennen gelernt, die im amorphen Zustande drehen. Wenn solche Stoffe krystallisieren, so zeigen sie sich gleichfalls ausnalimslos einseitig ausgebildet, was nötigenfalls gleichfalls durch Ätzfiguren nachgewiesen werden kann. Ver- schwindet die optische Aktivität, wie beim Übergange der Weinsäure in Traubensäure, so verschwindet gleichzeitig an den Krystallen des Stoffes die einseitige Ausbildung.

Mit Bezug auf das Gesetz vom Zusammenhange der Eigenschaften mit der allgemeinen Symmetrie kann man die Fi'age aufwerfen, welche Symmetrieeigentümlichkeit vorliegen muss, damit die optische Drehung auftritt. Nun beruht die Erscheinung darauf, dass sich in der Richtung des Strahls zwei Ldchtschwingungen fortpflanzen, welche entgegengesetzt kreisförmig polarisiert sind; die eine pflanzt sich jedoch schneller fort, als die andere. Die Symmetrie dieses Vorganges wird also durch die einer Schraube dargestellt, die entweder nach rechts oder nach links ge- dreht ist. Ein solches Gebilde hat weder ein Symmetriezentrum, noch eine Symmetrieebene, wohl aber eine Symmetrieachse." Die Erscheinung kann also nur bei Krystallen eintreten, welche diesen Bedingungen ent- "sprechen. In ihrer äusseren Gestalt lassen sich derartige Krystalle daran erkennen, dass sie enanliomorph sind, d. h. dass es zwei verschiedene LFormen aus den gleichen Elementen giebt, die miteinander dm*ch Ver- I Schiebung und Drehung nicht zur Deckung gebracht werden können, sondern nur durch Spiegelung. Die rechte und linke Hand sind ein Beispiel eines solchen enantiomorphen Formenpaares.

Untersucht man von diesem Gesichtspunkt aus die 32 Klassen, so ergeben die Klassen 10, 12, 16, 18, 23, 24, 28 die Möglichkeit solcher enantiomorpher Bildungen bei den kubischen und den einadisigen Kry- stallen. Bei den dreiachsigen ist noch eine weitere Anzahl vorhanden, indessen werden dort die Verhältnisse durch die nach allen Richtungen vorhandene Doppelbrechung so verwickelt, dass sich einfache Drehungs- erscheinungen nicht mehr beobachten lassen.

Die Theorie stimmt insofern mit der Erfahrung überein, als die Krystalle, an denen Drehung beobachtet worden ist, alle einer der ange- gebenen Klassen angehören. Doch sind umgekehrt noch nicht für alle Klassen, in denen Drehung zu erwarten ist, entsprechende Beispiele ge- funden worden.

174 IV. Stöchiometrie fester Stoffe.

Viertes Kapitel.

Schmelzen und Erstarren.

Früher wurde erwähnt, daas der amorphe feste Zustand die regel- mässige Fortsetzung des flüssigen Zustandes ist. Ein plötzlicher Sprung findet nirgend statt, und insbesondere haben die amorphen Körper keinen eigentlichen Schmelzpunkt. Insofern ist dieser Übergang dem der Gase in Flüssigkeiten unter einem grösseren als dem kritischen Drucke zu vergleichen. Der Übergang des flüssigen Zustandes in den krystallinischen ist dagegen ein plötzlicher; er erfolgt bei einer bestimmten Temperatur, bei welcher beide Zustande nebeneinander existieren können, während ausserhalb nur der eine oder andere beständig ist. Dieser Übergang ist mit dem eines Dampfes in den flüssigen Zustand unterhalb des kritischen Druckes vergleichbar, und in der That ist die Ähnlichkeit beider Über- gänge sehr weitgehend.

Diese Ähnlichkeit hat ihren Grund darin, daas es sich auch in diesem Falle um das Gleichgewicht zweier Phasen handelt (S. 101), welches nach dem allgemeinen Gesetz nicht von deren Menge abhängig ist. Vielmehr besteht für jeden Druck eine bestimmte Temperatur, bei welcher beide Phafien nebeneinander bestehen können; bei jeder anderen Temperatur verschwindet die eine oder die andere.

Die Umwandlung der einen Phase in die andere ist wie immer mit einer Energieändening verbunden. Ähnlich wie bei der Verdampfung besteht bei der Verflüssigung das erfahrungsmässige Gesetz, dass der Übergang aus dem festen Zustande in den flüssigen immer mit Auf- nahme von Wärme oder aUgemein Energie verbunden ist. Der Betrag dieser Wärmemenge, der Schmelzwärme, ist von der Natur des Stoßes abhängig. Umfassendere Gesetze stöchiometrischer Art sind für diese Grösse noch nicht gefunden worden.

Gleichzeitig mit der Wärmeaufnahme erfolgt bei der Schmelzung eine Änderung des Volums. Auch hierüber lässt sich allgemeines nicht sagen, denn es ist nicht nur der Betrag, sondern sogar das Zeichen dieser Änderung von Stofl" zu Stofl" verschieden. Während die meisten Stofle ihr Volum beim Schmelzen vergrössem, giebt es einige wenige, bei denen das Umgekehrte eintritt. Das bekannteste und wichtigste Beispiel für diesen zweiten Fall bietet das Wasser dar, welches beim Schmelzen sein Volum um etwa den zehnten Teil vermindert.

Von der Verdampfung unterscheidet sich die Verflüssigung dadurch, dass der Druck einen sehr geringen Einfluss auf die Temperatur des Gleichgewichts hat. Dieser Einfluss ist so gering, dass er anfangs ganz übersehen wurde; er wurde theoretisch durch J. Thomson (1849) und experimentell unabhängig von Bunsen (1850) aufgefunden.

Die Theorie dieses Einflusses ist völlig analog der S. 125 entwiekdten Theorie des Zusammenhanges zwischen Druck, Temperatur und Um-

Schmelzen und Erstanden. I75

Wandlungswärme bei der Verdampfung, und man kann die dort gegebenen Betrachtungen vollständig wiederholen, wenn man an die Stelle der Flüssigkeit den festen Stoff, und an die Stelle des Dampfes die Flüssig- keit setzt. In der sich ergebenden Gleichung dp/dT = W/Tu bedeutet T wie früher die absolute Temperatur, p den Druck, dT und dp die gleichzeitigen Änderungen beider Grössen bei einer Verschiebung des Gleichgewichts. Dagegen nimmt W die Bedeutung der Schmelzwärme an, und u ist die Volumänderung bei der Schmelzung.

Hieraus ergiebt sich zunächst, dass in der That der Einfluss des Dnickes auf die Schmelztemperatur sehr klein sein muss, denn im Ver- gleich mit der sehr bedeutenden Volumzunahme bei der Verdampfung ändert sich das Volum bei der Schmelzung nur sehr wenig, während die Schmelzwärme W zwar auch kleiner ist, als die Verdampfungswärme, aber bei weitem nicht in gleichem Verhältnisse. Femer aber ist ein wesentlicher Unterschied daiin vorhanden, dass bei der Verdampfung nur eine Vergrösserung des Volums vorkommt, während bei der Schmelzung ausser Vergrösserungen auch Verkleinerungen auftreten. Die Folge da- von ist, dass der Einfluss einer Zunahme des Druckes auf den Schmelz- ipunkt nicht immer in einer Erhöhung besteht, sondern dass der Schmelz- punkt auch durch Druck sinken kann. Und zwar hängt dies nur von jdem Zeichen der Volumänderung u ab, denn die beiden anderen Grössen auf der rechten Seite der Gleichung W und T sind immer positiv.

Demgemäss ist beim Eise, welches unter Verminderung des Volums ischmilzt, auch eine Erniedrigung des Schmelzpunktes durch den Druck beobachtet worden, während die anderen Stoffe, deren Volum sich beim Schmelzen vergrössert, ihren Schmelzpunkt durch Druck erhöhen.

Eine zahlenmässige Prüfung der Theorie ergiebt sich, wenn man in |die Formel die entsprechenden Werte einsetzt. Das Molekularvolum des Wassers bei ist 1802, das des Eises 19-66, woraus u = 1-66 folgt. Die Schmelzwärme ist 80 cal für 1 g, also 603 J = 603 x W Erg für ein Mol, T ist 273. Wird dT = 1 gesetzt, d. h. fragt man, welcher Druck erforderlich ist, um den Schmelzpunkt des Wassers um einen Grad herabzusetzen, so er- giebt sich dp =* 138x10', oder wenn man durch Division mit 1-013 x 10® auf Atmosphären umrechnet, 136 Atm. Umgekehrt wird durch eine Atmo- Bphäre Druck der Schmelzpunkt des Eises um 0-0074® erniedrigt.

Wird zu den beiden Phasen fest-flüssig noch eine dritte genommen, Bo geht auch die eine noch vorhandene Freiheit fort, und man hat ein Gebilde, welches nur bei einer bestimmten Temperatur und einem be- stimmten Druck bestehen kann. Einen solchen Zustand erhält man, wenn man neben Eis und Wasser noch Dampf zugegen sein lässt.

Der Dampfdruck des Wassers bei beträgt 4-57 mm Quecksilber. Bei diesem Druck ist der Schmelzpunkt nicht mehr genau 0®, sondern + 0-0074®; die entsprechende Erhöhung des Dampfdruckes kommt in der zweiten Dezimaie nicht mehr zum Ausdruck. Nur bei diesen

176 IV- Stöchiometrie fester Stofife.

Werten von Druck und Temperatur können also Eis^ Wasser und Dampf nebeneinander bestehen.

Solcher dreifacher Punkte giebt es einen für jeden StoflF, der in den drei Aggregatzuständen bestehen kann. Doch ist dies nicht die einzige der- artige Möglichkeit; auch das Zusammenbestehen zweier allotroper Formen neben Flüssigkeit oder Dampf ergiebt einen solchen Punkt von der gleichen Eigenschaft der Unveränderlichkeit.

Man kann sich die Frage stellen^ ob der Dampfdruck des Eises und der des Wassere denn bei dieser Temperatur notwendig derselbe sein muss. Die Antwort lautet bejahend. Wäre dies nicht der Fall, so könnte man ein Perpetuum mobile zweiter Art (S. 121) heratellen, und da ein solches erfahrungsmässig unmöglich ist, so können beide Dampf- drucke nicht verechieden sein. Wäre nämlich der Dampfdruck des Eises bei derselben Temperatur, bei welcher Eis und Wasser sich im Gleich- gewicht befinden, etwa kleiner, als der des Wassere, so könnte man mit dem Druckunterechiede eine Maschine treiben, in der Wasser verdampft und Eis von gleicher Temperatur gebildet wird. Bei dereelben Tempe- ratur könnte man aber das iBis wieder schmelzen und so einen KreiB- prozess durchfiihren, durch den bei konstanter Temperatur Wärme in Arbeit verwandelt wird. Eine solche Maschine wäre das Peipetuum mobile zweiter Art. Ähnlich kann man für den umgekehrten FaO schliessen, und daher ist nur die Gleichheit der beiden Drucke möglich.

Man kann diese Schlussweise in die kurze Form fassen: was au feine Weise im Gleichgewicht ist, muss auf alle Weise im Gleichgewicht sein. Sind Eis und Wasser bei unmittelbarer Berührung im Gleichgewicht, so sind sie auch für jeden anderen Vorgang, durch den unter gleichen Umständen Eis in Wasser oder umgekehrt übergeführt werden könnte, im Gleichgewicht, ins- besondere auch für die Überführung durch Vermittelung des Dampfzustandes. In dieser Möglichkeit, aus dem Verhalten des Gebildes in gewisser Hinsicht Schlüsse auf sein Verhalten in anderer Hinsicht zu ziehen, liegt die grosse Bedeutung des zweiten Hauptsatzes.

Es kann nun weiter die Frage gestellt werden, ob diese Gleichh«t des Dampfdruckes auch bei anderen Temperaturen besteht. Diese Frage hat eret dann einen Sinn, wenn man Eis und Wasser bei anderen Temperaturen gleichzeitig haben kann. Nun lehrt die Erfahining, dass es allerdings möglich ist, Wasser bei Temperaturen unter 0**, im söge» nannten überkalteten Zustande, zu beobachten. Eis oberhalb 0^ ist bis- her noch nicht beobachtet worden, doch scheint nach der Analogie sdne Existenz möglich. Es erhebt sich also die weitere* Frage nach der Beschaffenheit solcher Zustände.

Nachdem schon im vorigen Jahrhundert von Fahrenheit (1724) beobachtet worden war, dass sich Wasser, das in eine Glaskugel ein- geschlossen ist, unter den Gefrierpunkt abkühlen lässt, ist ein solches Verhalten als eine allgemeine Eigenschait flüssiger Stoffe erkannt worden.

Sdimelzen und Erstarren. 177

Jede Flüssigkeit lässt sich unter ihren Schmelzpunkt abkühlen , wenn sie gegen die Berührung mit der festen Phase geschützt ist^ und so be- liebig lange flüssig erhalten. Erniedrigt man die Temperatur mehr und mehr, so tritt schliesslich ein Zustand ein, in welchem auch ohne die Mitwirkung der festen Phase die Erstarrung erfolgt.

Es liegt also eine vollständige Ähnlichkeit mit dem Verhalten des überkalteten Dampfes (S. 114) vor, und man kann die Thatsache ange- messen darstellen, wenn man auch für diese Überschreitungserscheinnng zunächst ein metastabiles Gebiet annimmt, in welchem die Umwandlung in die andere Form nur unter Mitwirkung eines „Keimes" derselben stattfindet, während nach weiterer Überschreitung das labile Gebiet be- ginnt, in welchem die Umwandlung freiwillig, d. h. ohne Keim statt- findet Die Grenze zwischen beiden Gebieten ist sehr schwer zu be- obachten, da nicht nur kleine Verschiedenheiten des Druckes und der Temperatur, die sich an den Messmstrumenten nicht erkennen lassen, die Grenze einseitig beeinflussen, sondern auch die Beschaffenheit anderer fester Körper, die mit der Flüssigkeit in Berührung sind, einen gleichen Einfluss übt.

Die Erstarrung einer überkalteten Flüssigkeit bei der Berührung mit einem Krystall desselben Stoffes ist eine ausschliessliche Wirkung des letzteren. Taucht man z. B. in geschmolzenes und auf Zimmer- temperatur erkaltetes Natriumthiosulfat einen mit demselben Salze über- zogenen Glasstab, so beginnt alsdann eine Krystalldruse sich um diese zu entwickehi. Hebt man ihn aus der Flüssigkeit, so dass kein Kry- stallteilchen in ihr zurückbleibt, so erstarrt sie nicht weiter, sondern be- halt ihren flüssigen Zustand bei. Der Zustand überkalteter Flüssigkeiten ist somit kein an sich labiler, wie er häufig genannt wird, sondern er ist dies nur, wenn etwas von dem festen Körper zugegen ist.

Was nun die Eigenschaften der Flüssigkeit im Überkaltungsgebiet anlangt, so sind sie eine stetige Fortsetzung von denen im gewöhnlichen Flüssigkeitsgebiete. Keine von ihnen erleidet eine sprungweise Änderung, und der Überkaltungszustand erweist sich daher nicht als eine Besonder- heit der Flüssigkeit, sondern nur als ein Ausdruck der Beziehung zwischen flüssiger und fester Form.

So wü'd insbesondere der Dampfdruck der Flüssigkeit als Funktion der Temperatur durch eine vollkommen stetig verlaufende Linie darge- steUt, deren Gang am Erstarrungspunkte keinerlei Änderung erfährt. Eine gleiche Stetigkeit ist ftir die Dampfdrucklinie des festen Stoffes zu er- warten. Da femer beide Linien am Schmelzpunkt einen Punkt gemeinsam haben, so sind nur die beiden Möglichkeiten vorhanden, dass sie in ihrem ganzen Verlaufe zusammenfallen, oder dass zwei verschieden ver- laufende Linien sich in diesem Punkte schneiden.

Die erste Auffassung war früher auf Grund iniger Versuche an- genommen worden; die zweite dagegen hat sich theoretisch wie experi-

Ostwald, Grandriss. 3. Aufl. 12

178

IV. Stöchiometrie fester Stoffe.

mentell als die richtige erwiesen. Dies ergiebt sich aus der Betrachtung der Formel für den Dampfdruck dp/dT = W/Tu. FOr die Verdampfung des Wassers bedeutet W die Wärme, die beim Übergang von Wassei in Dampf aufzuwenden ist. Soll Eis bei der gleichen Temperatur ver- dampft werden, so kann man sich den Vorgang so vorstellen, dass znersl Eis zu Wasser geschmolzen, und dann dieses in Dampf verwandelt wird. Die dafür aufzuwendende Wärme muss dieselbe sein, wie bei der un- mittelbaren Umwandlung des Eises in Dampf, da sonst Energie aufl Nichts geschaffen oder der erste Hauptsatz verletzt werden könnte. Da femer bei der Schmelztemperatur die beiden Dampfdrucke und Tempe- raturen gleich sind, so ist nicht» verschieden, als die Verdampfungswärme W, welche die Neigung der Dampfdrucklinie bestimmt (S. 25). Und zwar muss, da die Verdampftmgswärme des Eises (um etwa ein Sechst^ grösser ist, als die des Wassers, auch dp/dT um ebensoviel grosse sein,

d. h. die Dampfdrucklinie des Eises muss steiler verlaufen, als die dei flüssigen Wassers (Fig. 22).

Um diesen Einfluss zahlenmässig zu berechnen, sind in die Formel die Werte einzusetzen. Bei 0* ist der Dampfdruck des Wassers oder Eises nur 4*57 mm, man kann daher die Gasgesetze für den Dampf als gültig ansehen, und die Gleichung in der Form dp/dT = pW/RT' anwenden. Sie hat für Wasser und Eis die gleiche Gestalt, nur dass im zweiten Falle statt W zu setzen ist W + S, wo S die Schmelzwärme bedeutet. Zieht man die beiden Gleichungen dp/dT «pW/RT» und dp'/dT « p (W+ S)/RT« voneinander ab, so erhüt man links den Unterschied der Dampfdrucke von Wasser und Eis, und zwar für die gleiche Temperatur, wenn man T und dT gleich nimmt. Wir setzen d T = 1, berechnen also den Dampfdruckunterschied für einen Grad unter Null. Dann ist dp dp' pS/RT*. Hier ist p = 4.57 mm, T«=273, S = 6-07 X 10^^ R « 831 x 10' und daraus folgt dp dp' «0.044 mm. Der Unterschied ist klein genug, um auch einem geschickten Experimentator zu entgehen. Doch hat der Versuch hier und in einigen weiteren Fällen diesen zuerst von der Theorie vorausgesehenen Unterschied bestätigt, und auch eine sehr befriedigende Übereinstimmung der Zahlenwerte ergeben.

Isomorpbie und Polymorphie.

179

Stellt man die Gleichgewichtszustände des Wassers in den drei Formen als Eis, Wasser und Dampf durch eme Zeichnung dar, deren Abmessungen durch Druck und Temperatur gegeben sind, so hat man zunächst die Dampfdrucklinie des Wassers II; I Ist die Dampfdrucklinie des Eises, die sich mit der vorigen immer bei (genauer bei -j- 0-0075®) schneidet Da in diesem Punkte Eis, Wasser und Dampf nebenein- ander bestehen können, so muss auch die Dnie, die die Änderung des Schmelzpunktes mit dem Druck, d. h. das Gleichgewicht Wasser-Eis darstellt, durch dies^en Punkt gehen. Da femer die Temperatur sich hierbei mit dem Druck nur äusserst wenig ändert, so wird diese Linie fast senkrecht nach oben gehen, wie das in III angedeutet ist Beim Wasser, das sich durch das Erstarren ausdehnt, liegt diese Linie etwas nach rechts über, bei den anderen Stoffen nach links. Die drei Linien teilen das Feld in drei Gebiete, welche je einer der Formen Dampf, Wasser oder E^s zukommt; die Linien selbst kennzeichnen die Werte von Druck

und Temperatur, bei denen die beiden angrenzenden Phasen zusammen vorkommen können, und der Durchschnittspunkt stellt die einzige Möglichkeit für das Zusammenbestehen der drei Phasen dar.

Diese Erläuterungen gelten nur filr die vollkommen stabilen Zu- stande; die metastabilen reichen allerseits über die Grenzen in das be- nachbarte Gebiet hinein.

Fig. 23.

Fünftes Kapitel. Isomorphie und Polymorphie.

Von Hauy wurden am Anfange des neunzehnten Jahrhunderts als Axiome die beiden Sätze aufgestellt, dass jedem bestimmten Stoff nur eine bestimmte Krystallform zukomme, und dass verschiedene Stoffe not- wendig verschiedene Formen (ausser im regulären System, wo solche nicht möglich sind) besitzen.

Gegen beide Sätze machten sich bald Erfahrungen geltend. Elap- roth hatte (1798) gefunden, dass Kalkspat und Aragonit bei gleicher Znsammensetzung verschiedene Formen haben, und eine spätere Prüfung dieser Angabe konnte sie nur bestätigen. Andererseits fand man gleich- SeBtaltete Stoffe, wie die Alaune, die Rotgültigerze, die gemischten Vitriole

12*

180 ^* Stöchiometrie fester Stoffe.

von ganz verschiedener ZusammenBetzung. Die zur Erklärung ver* suchte Annahme, dass die fraglichen Ejystalie die fremden Stoffe nur eingemengt enthalten, wurde durch die vollkommene Gleichförmigkei und Durchsichtigkeit vieler derselben widerlegt

Durch Mitscherlich (1820) wurden diese Widersprüche aufgeklärt Er fand bei seinen Untersuchungen der phosphorsauren und arsensauret Salze^ dass diesen gleiche Krystaliform zukommt, wenn sie in ähnlicher Weise zusammengesetzt sind, d. h. wenn ihre Bestandteile gleich sini^ ausser dass das eine Salz Phosphor, das andere Arsen enthält EinI ähnliche Beziehung fand sich bald bei vielen anderen Stoffen, so dafl man allgemein sagen konnte: auch chemisch ähnlich zusammengesetztem Stoffen kommt gleiche Krystaliform zu.

In einem Falle indessen, bei den Salzen NaH*PO*-|-H*0 unl NaH*AsO* + H*0, war keine Übereinstimmung der Formen nadizu- weisen. Doch wurde gelegentlich das Phosphat in Formen erhalten, welche von den gewöhnlich auftretenden abwichen und mit denen dei Arseniats übereinstimmend waren.

Somit war wiederum nachgewiesen, dass gleiche Stoffe verschi» dene Formen annehmen können, und Mitscherlich sprach aus, dass dia allgemein möglich sei.

Die Thatsache, dass chemisch ähnliche Stoffe in gleichen Formel krystallisieren, ist von Mitscherlich mit dem Namen Isomorphismufl bezeichnet worden. Isomorph heissen zunächst die gleichgestalteten Stoffe, also z. B. die Salze Na«HPO* -f 12H«0 und Na2HAsO*+ 12H«0. Da aber sehr viele analoge Verbindungen des Phosphors und des ArseM isomorph sind, so hat man sich gewöhnt, auch diese Elemente selb6l isomorph zu nennen^ so dass dieser Name nicht nur für Stoffe gilt welche gleiche Gestalt haben, sondern auch för solche, welche mit den- selben anderen Stoffen gleichgestaltete Verbindungen bilden können.

Die Übereinstimmung der Winkel ißomorpher Stoffe ist (ausser iin regulären System) keine vollkommene; streng genommen müsste daher dei Name Isomorphie gegen Homöomorphie vertauscht werden. Die Abweichangen sind bald grösser, bald kleiner, und können bis zu mehreren Graden ansteigen.

Ein sichereres Kriterium, als die Übereinstimmung der Winkelj ist für das Stattfinden der Isomorphie die Fähigkeit isomorpher Stoffe Mischkrystalle zu bilden. In solchen Krystallen sind die isomorpli sich vertretenden Bestandteile nicht in stöchiometrischen Verhältnissen vorhanden, sondern in ganz veränderlichen, welche von den Bildungsbedin gungen abhängig sind. Nur die Summe der isomorphen Elemente isi genau äquivalent der der Formel der einfachen Verbindungen ent sprechenden Menge, oder die isomorphen Elemente vertreten sich im Verhältnis ihrer Äquivalentgewichte.

Die Eigenschailen solcher Mischkrystalle sind im allgemeinen difi^ welche sich aus denen der Gemengteile nach der Mischungsregel be-

Isomorphie und Polymorphie. 181

vedmen lassen. Nachgewiesen ist dies von den Brechungskoeffizienten; den spezifischen Gewichten und den Winkeln. In einigen Fällen er- gaben sich indessen Abweichungen, welche noch der Aufldärung bedürfen.

Der Isomorphismus hat zu vielen theoretisclien Spekulationen in Bezug auf die Gestalt der kleinsten Teilchen u. s. w. Anlass gegeben, die indessen zu belangreichen Ergebnissen nicht geführt haben. Nach einer anderen Seite indessen, zur Auffindung und Nachweisung chemischer Analogieverhäitnisse, ist er ungemein nützlich gewesen, worauf später eingegangen werden wird. Allerdings sind in früheren Zeiten die Kriterien des Isomorphismus nidit immer streng beobachtet worden, so dass viele St(^e miteinander isomorph genannt worden rnnd, bei denen nur eine Winkelähnlichkeit vorhanden war, wie sie sehr leicht zufällig eintreten kann.

Die Elemente, die entweder für sich isomorph sind, oder isomorphe Verbindungen bilden können, sind die chemisch ähnlichen Gruppen, wie äe grösstenteils durch das periodische S3n9tem (S. 45) zusammengefasst werden. In der That fallen die früher emph^sch zusammengestellten der- artigen Gruppen fast immer mit diesen Reihen zusammen, und ein Blick auf die Tabelle S. 45 ergiebt auch die isomorphen Gruppen.

Dabei ist indessen auf folgende Punkte Acht zu geben. Die Ele- mente mit dem niedrigsten Atomgewicht schliessen sich im allgemeinen kdner isomorphen Gruppe an; so stehen die ersten Elemente bis etwa zum Fluor isoliert da. Vom Natrium ab beginnen die isomorphen Gruppen, aber in der Art, dass vorwiegend die paaren und die unpaaren Gruppen unter edch isomorph sind.

Neben diesen einfadien Beziehungen sind noch weitere vorhanden, deren Unregelmässigkeit vielleicht nur in der Unvollkommenheit des periodischen Systems liegt So ist Blei mit der Gruppe Ca, Sr, Ba isomorph, während Cadmium viel lockerere Beziehungen zu Zink und Magnesium zeigt. Die ausserhalb des Systems befindlichen Metalle der Eisengruppe nebst Kupfer schliessen sich in ihren zweiwertigen Verbindungen dem Magnesium und Zink, in den dreiwertigen, soweit sie solche bilden, dem Aluminium an, u. s. w. Überhaupt wird durch die verschiedene Wertigkeit, die viele Elemente annehmen können, deren Zugehörigkeit zu mehreren Gruppen bedingt, und so eine einfache Systematik vereitelt. So ist das Mangan in seinen zweiwertigen Verbindungen dem Magnesium, in seinen drei- wertigen dem Aluminium isomorph. Die Salze der Mangansäure schliessen sich denen der Schwefel- und Selensäure, die der Übermangansaure denen der Überchlorsäure an, während das Hyperoxyd mit den nach gleicher Formel zusammengesetzten Verbindungen des Titans, Zircons, Zinns XL s. w. isomorph ist Dies Element gehört demnach mindestens fönf ver- schiedenen isomorphen Gruppen an.

An das Verhältnis der Isomorphie schliesst sich das von Groth (1870) zuerst in Betracht gezogene der Morphotropie. Es sind namentlich in der organischen Chemie zahlreiche Stoffe bekannt, welche sich voneinander

182 IV. Stöchiometrie fester Stoffe.

durch den Ersatz eines oder einiger Wasserstoffatome mittelst anderer Ele- mente oder Radikale ableiten lassen. Zwischen solchen Verbindungen sind schon oft Beziehungen der Gestalt vermutet worden. Groth zeigte nun, dass diese Beziehungen sich vielfach so darstellen, dass die Achsenverhältnisse sich nur nach einer Seite ändern. So ist das Benzol, seine Oxy- und Kitroderivate rhombisch; in diesen Verbindungen bleibt das Verhältnis zweier Achsen ziem- lich konstant, während die dritte Achse starke Veränderungen erleidet. Ähn- liche Beziehungen sind später mehrfach an anderen Stoffreihen nachgewiesen worden. Häufig bedingt eine Substitution den Übergang in ein anderes Kry- stallsystem, z. B. des rhombischen in das monosymmetrische. Aber auch dann bleibt oft eine allgemeine Übereinstimmung des Habitus und eine nahe Gleich- heit der analogen Winkel erhalten.

Die klare Erfassang der Isomorphiebeziehungen wird vielfach er- schwert durch die schon oben erwähnte Fähigkeit vieler Stoffe, in ver- schiedenen Krystallformen auftreten zu können. Man hat dieselbe mit dem Namen Polymorphie oder auch AUotropie bezeichnet. Die Polymorphie ist eine viel allgemeinere Erscheinung, als man früher an- nahm; namentlich hat die krystallographische Untersuchung organischer Stoffe, besonders mit Hilfe des Mikroskops erwiesen, dass fast jeder Stoff, wenn man nur die Versuchsbedingungen gehörig ändert^ in zwei oder mehreren verschiedenen Formen erhalten werden kann.

Diese Thatsache lässt sich zu der Schlussfolgerung verwenden, dass zwischen der Zusammensetzung der Stoffe aus den Elementen und der Krystallform nicht jener vielfach vermutete Zusammenhang besteht, nadi welchem sich diese aus jener gewissermassen aufbauen lassen soll.

Die Frage nach den Gesetzen, denen die Umwandlungen polymorpher Stoffe unterliegen, lässt sich am besten durch den Hinweis beantworten, dass sich der Übergang aus einer Form in die andere ebenso verhält, wie der Übergang aus einem Aggregatzustand in den anderen. Danach ist es wesentlich die Temperatur, welche hierfiir bestimmend ist Schon Mitscherlich, der am Schwefel zuerst diese Beziehung entdeckt hatte, stellte fest, dass von den beiden Formen dieses Elements, der rhom- bischen und der monoklinen, die erste bei Temperaturen unter 100^, die andere bei höheren Temperaturen beständig ist. Ebenso wie Eis über schmilzt, so geht rhombischer Schwefel über 100^ in monoklinen über, und ebenso, wie Wasser unter 0*^ erstarrt, vei'wandelt sich mono- kliner Schwefel unter 100® in rhombischen. Es giebt also für jeden dieser Zustände ein Gebiet der Beständigkeit, und beide Gebiete sind durch eine Übergangstemperatur voneinander getrennt, bei der beide Formen nebeneinander (und neben Dampf) bestehen .können.

So lassen sich denn auch die anderen Eigentümlichkeiten der ge- wöhnlichen Änderungen des Aggregatzustandes hier wiederfinden. Zu- nächst die Überschreitungserscheinungen, die hier noch viel leichter und nach beiden Richtungen stattfinden. Wenn man rhombischen Schwefel über 100® erwärmt hat, so verwandelt er sich keineswegs augenbCcküeb

Isomorphie und Polymorphie. ^33

In monoklinen, sondern bleibt je nach dem Betrage der Überschreitung kürzere oder längere Zeit in dem alten Zustande. Dies geht so weit^ dass man bei schneller Arbeit den Schmelzpunkt des rhombischen Schwefels bestimmen kann^ ehe er in monoklinen übergegangen ist; er liegt bei 115®, während der des monoklinen bei 120® liegt. Die hierin zum Aus- drucke kommende Beziehung, dass die unbeständigere Form den nied- rigeren Schmelzpunkt hat, ist allgemein.

Ebenso ist der monokline Schwefel bei niedriger Temperatur ziem- lieh lange beständig. Seine Umwandlung in rhombischen, die man an dem Trübewerden der bis dahin durchscheinenden Masse erkennen kann, breitet sich von bestimmten Punkten aus, zum Beweis dafür, dass sie durch die Berührung mit der beständigen Form bewirkt wird. Ob man auch hier ein metastabUes Gebiet von einem labüen unterscheiden kann, wie dies nach der Analogie zu erwarten ist, ist noch nidit eingehend untersucht worden, aber sehr wahrscheinlich.

Auch die Verschiedenheit der Dampfdrucke, welche für die feste und flüssige Form eines Stoffes ausserhalb des Schmelzpunktes nachge- wiesen ist, findet sich hier in der Gestalt wieder, dass der Dampfdruck der beständigen Form kleiner ist, als der der unbeständigeren. Im Über- gangspunkte werden beide Drucke gleich, indem sich die Dampfdrucklinien hier schneiden.

Die Umwandlung der Formen im Übergangspunkte unterliegt dem Gesetz, dass eine bei steigender Temperatur erfolgende Umwandlung immer unter Wärmeaufiiahme stattfindet, ebenso wie dies bei den Änderungen des Aggregatzustandes der Fall ist. Es üegt hier ein Fall emes aUgemeineren Gesetzes vor, dass bei der Überschreitung eines Gleichgewichtspunktes durch eine äussere Einwirkung oder einen Zwang immer der Vorgang eintritt, der sich diesem Zwang widersetzt. So be- wirkt die Erwärmung immer Reaktionen, die mit Wärmebindung ver- knüpft sind, und ebenso wird durch eine Vermehrung des Druckes die Reaktion bewirkt, durch welche sich das Volum vermindert, also d&t Druck gleichfaUs verkleinert wird. Viele der früher erörterten Verhält- nisse bieten weitere Beispiele fOr diesen Satz.

Daher besteht auch für die polymorphe Umwandlung die Beziehung, dass die Übergangstemperatur durdi den Druck verschoben wu'd. Die för die Schmelzpunktsänderung entwickelte Gleichung (S. 175) behält auch för diesen Fall unverändert ihre Geltung; insbesondere bestimmt das Zeichen der Volumänderung fiir die mit Wärmeaufiiahme verbundene, also durch Temperatursteigerung bewirkte Umwandlung, ob sie durch Druck erhöht oder erniedrigt wird.

Ebenso wie der Schwefel verhalten sich sehr viele andere Stoffe, aber nicht alle. Es giebt auch polymorphe Stoffe, die gar keinen Über- gangspunkt erkennen lassen, und bei denen nur eine beständige und ^e (oder einige) unbeständige Form vorkommt. Dies wird dadurch bewirkt, dass die Temperatur des Umwandlungspunktes höher lie^, al?

184

IV. Stöchiometrie fester Stoffe.

der Schmelzpunkt der weniger bestilndigen Form. Da Übersehreitongea des Schmelzpunktes unter gewöhnlichen Umständen nicht eintreten (S. 176), so ist ein so gelegener Umwandlungspunkt unzugänglich. Die Ver- schiedenheit dieses Falles von Pol3rmorphie von dem gewöhnlichen ist von Lehmann zuerst henrorgdioben worden, der die Stoffe der ersten Art enantiotrope nannte, während die der zwdten Art monotrope heissen.

Gremäss dem Satze, dass der Dampfdruck der unbeständigeren Form immer höher liegt, als der der beständigeren, und dass im Schmelzpunkte sich die Dampfdrucklinien der flüssigen und der festen Form schneiden, hat man fwc die beiden fUlle die in Figm* 24 und 25 angegebene Lage der Dampfdrucklinien, wo sich I ünmer auf die FlQssigkeit, II und in auf die festen Formen bezieht Die Durchschnitte von I mit II und IQ sind daher Schmelzpunkte, während der von II mit III den Umwandlungs-

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Fig. 24.

Fig. 25.

punkt darstellt. Die Linie der Flüssigkeit schneidet die beiden anderen entweder oberhalb des Umwandlungspunktes, Figur 25, und dann haben beide Formen ein beständiges Gebiet. Oder der Durchschnitt von I mit II und III hegt unterhalb des Umwandlungspunktes, Figur 24; dann ist die Form II in ihrem ganzen Existenzgebiete bis zum Schmelzpunkt unbeständig, und III ist beständig. Der erste Fall stellt somit die enantio- tropen, der zweite die monotropen Stoffe dar.

Es ist denkbar, dass bei tiefen Temperaturen die Linien wieder zum Schnitt kommen, und die Verhältnisse sich demgemäss ändern. Doch ist ein derartiger Fall noch nicht bekannt.

Man muss fragen, wie man überhaupt zu der Beobachtung der unbeständigen Formen monotroper Stoffe gelangt, da es doch gar kein Gebiet ^ebt, in welchem sie beständig sind. Darauf ist zu ant- worten, dass vermöge eines allgemeinen Gesetzes die unbeständigen Formen aus den flüssigen, bez. dampfförmigen eher entstehen, als die beständigen. Als erste Produkte der freiwilligen Erstarrung einer über-

Volume fester Stoffe. 185

kälteten FlfiBsi^eit pflegen gerade die nnbeständigen Formen znent auf- zutreten ^ wenn man die Wirknng von Keimen der beständigeren ver- meidet. Liegt dann diese Form noch im metastabilen Gebiete^ so kann sie sich beliebig lange ertialten.

Die Umwandlung der unbestftndigen Formen in die beständigen ist wie die der überkalteten Flüssigkeiten im metastabilen Gebiet von der Gegenwart eines Keims der beständigen Form abhängig; in dieser Be- aehung ist zwischen monotropen und enantiotropen Formen kein Unter- schied vorhanden.

Nach den yorstehenden Erörterungen ist unter gegebenen Umständen immer nur eine von den verschiedenen Formen^ in die sich ein Stoff um- wandeln kann, im strengen Sinne beständig, und in der Natur müsste sich daher (ausser in Fällen, wo der Zutritt von Keimen der beständigsten Form ausgeschlossen ist) nur diese eine Form vorfinden. Die Erfahrung bestätigt diesen Schluss nicht; vielmehr sind gerade unter den Mineralien viele polymorphe Formen bekannt» deren Individuen sicher oft genug Gelegen- heit zur Berührung mit Keimen der anderen Formen gehabt haben. Eines der bekanntesten Beispiele bietet Calciumcarbonat in der Gestalt von Kalk- spat und Aragonit. ^Yährend bei beginnender Rotglut sich der letztere frei- willig in Kalkspat verwandelt, können beide Formen bei den in der Natur gewöhnlich auftretenden Temperaturen sich anscheinend beliebig lange neben- einander erhalten.

Über die Ursache solchen Verhaltens besitzen wir noch keine ein- gehende wissenschaftliche Untersuchung. Doch kann man vermuten, dass es sich hier um den Umstand handelt, dass die Geschwindigkeit der Umwand- lung einer Form in die andere von mehreren Faktoren abhängt Einmal ist sie nm so geringer, je näher die Temperatur an der Übergangstemperatur selbst liegt; in unmittelbarer Nähe an derselben ist sie unendlich klein. Dann aber kann auch die Umwandlungsgeschwindigkeit in grösserer Entfemng unterhalb der Übergangstemperatur unmerklich klein werden, da alle chemischen Vor- gänge durch Temperaturemiedrigung sehr schnell ihre Geschwindigkeit ver- mindern. Beide Umstände können also eine scheinbare Beständigkeit von Formen ergeben, die sich nach den vorhandenen Verhältnissen eigentlich um- wandeln müssten. Sie wandeln sich thatsächlich um, aber so langsam, dass man es nicht merkt.

Sechstes Kapitel.

Volume fester Stoffe.

Die wenigen Andeutungen gesetzmässiger Beziehungen, welche man bisher an den Volumverhältnissen fester Stoffe entdeckt hat, liegen ganz auf demselben Gebiete, wie die bei Flüssigkeiten. Wenn auch bei festen Stoffen die Schwierigkeit in Bezug auf die Vei^eichsteraperatur fast

186 IV. Stöchiometrie fester Stoffe.

völlig weg&llt^ weil die Ausdehnung meist eine sehr geringe ist, so tritt doch eine neue Schwierigkeit damit auf, dass viele feste Körper in mehreren verschiedenen Krystallformen, welchen immer verschiedene Mole- kularvolume entsprechen, auftreten können. Man ist in solchen Faulen nur dann in der Lage, einen einwurfefreien Vergleich durchführen zu können, wenn die zu vergleichenden Stoffe isomorph sind; sind sie es nicht, so lässt sich von vornherein nicht absehen, welche der verschiedenen vorhandenen Formen man zum Vergleich heranziehen darf.

Zu dieser prinzipiellen Schwierigkeit gesellt sich eine praktische. Die Bestimmung der spezifischen Gewichte fester Stoffe ist zwar an und für sich meist keine sehr schwere Aufgabe, und die vorhandenen Methoden gestatten leicht, die Zahlen auf Viooo ihres Wertes genau zu erlangen. Wohl aber ist es äusserst schwierig, die zu bestimmenden Krystalle in einem Zustande zu erlangen, welcher eine genaue Bestimmung gestattet. Wenn Stoffe aus Lösungen krystallisieren, so schliessen die gebildeten Krystalle äusserst häufig mit Mutterlauge gefüllte Bläschen ein, durch welche das spezifische Gewicht um so mehr vermindert wird, je grösser es ist. Dadurch erklären sich die zum Teil enormen Unterschiede zwischen den Zahlen, welche verschiedene gewissenhafte Forscher an demselben Stoff beobachtet haben; im allgemeinen hat man den grössten Werten der spezifischen Gewichte oder den kleinsten der spezifischen Volume das meiste Vertrauen zu schenken, und muss sich dabei doch die Möglichkeit von Fehlem, die mehrere Prozente betragen, gegenwärtig halten.

Über die älteren Arbeiten von Le Royer und Dumas (1821), Herapath (1823), Karsten (1824) und BouUay (1830) ist nicht viel mehr zu berichten, als dass insbesondere durch die beiden letzteren festgestellt wurde, dass das Volum einer chemischen Verbindung aus festen Ele- menten nicht gleich der Summe der Volume der Bestandteile ist; meist tritt eine Volumverminderung, in einigen Fällen aber auch eine Aus- dehnung ein. Die erste Gesetzmässigkeit auf diesem Gebiete fand Ammermüller (1840) durch die Beobachtung, dass Kupferoxydul, Cu*0, und Kupferoxyd, CuO, dasselbe Molekularvolum haben, wenn man Cu^O mit Cu*0* vergleicht; die Verhältnisse sind so, als wenn das eine Atom Sauerstoff im Oxydul denselben Raum einnähme, wie die beiden Atome im Oxyd. Eüm'ge andere Beispiele entsprachen gleichfalls einer ähnlichen Gesetzmässigkeit, doch zeigten sich alsbald auch zahl- reiche Abweichungen.

Die Frage, ob das Molekularvolum bei festen Körpern sich ähnlich wie bei Flüssigkeiten als eine additive Eigenschaft auffassen lasse, ist dann von Kopp (1841) eingehend untersucht und im ganzen bejahend beantwortet worden. Die Molekularvolume sind in der That annähernd Summen von Gliedern, die von der Natur der zusammensetzenden Atome oder Atomgruppen abhängig sind. Doch sind erstens diese Tdlvolume nicht immer gleich den Atomvolumen der freien Elemente, und zweiten?

Volume fester Stofife. 187

erweisen sich die Addenden nur innerhalb engerer Gruppen konstant Letztere werden, was im Anschluss an eine oben gemachte Bemerkung betont werden soll, meist von isomorphen Verbindungen gebildet

Mit dieser Beziehung im engsten Zusammenhange steht der von Schröder (1859) betonte „Parallel oster ismus" solcher isomorpher Gruppen. Ordnet man nämlich salzartige analoge Verbindungen (z. B. die Chloride, Bromide und Jodide der Alkalimetalle und des Silbers) tabellarisch so an, dass Verbindungen desselben Elements in eine Reihe kommen, so sind die Unterschiede der Molekularvolume der Glieder paralleler Eeihen konstant. So wurde gefunden:

KCl 374 Na Gl 27-1 AgCl 256

KBr 443 NaBr 338 AgBr 31-8

KJ 54-0 NaJ 435 AgJ 42 0

Die daneben geschriebenen Molekularvolume zeigen in der That die erwähnte Beziehung, indem z. B. alle Jodide ein um etwa sechzehn Einheiten grösseres Moiekularvolum haben, als die entsprechenden Chlo- ride, oder die Natrium- und Silberverbindungen nur um eine bis zwei Emheiten verschieden sind, unabhängig von dem anderen Bestandteil.

Eine ähnliche Gruppe bilden die Sulfate, Carbonate und Nitrate des Baryums, Bleis und Strontiums, doch ist, wie erwähnt, die Beziehung auf isomorphe Gruppen beschränkt.

Auch die Frage, in welcher Beziehung die Atomvolume der Ele- mente im freien Zustande zu denen in den Verbindungen stehen, ist erst in sehr unvollständiger Weise beantwortet Aus der Thatsache, dass z. B. Chlorkalium ein kleineres Volum (37-4) einnimmt, als das in demselben enthaltene Kalium (45«2), geht schon hervor, dass einige der freien Elemente ihr Volum sehr verkleinem, wenn sie sich ver- binden. Von Schröder ist die Annahme gemacht worden, dass das in den Verbindungen eingenommene Volum ein rationeller Bruchteil des Atomvolums sei, wenn eine Kondensation stattfindet In der That lassen sich durch eine solche Annahme einige Thatsachen gut dar- stellen. Doch ist mit dem Ausdruck, dass ein Bestandteil eines festen Stoffes innerhalb desselben einen bestimmten Raum einnehme, dne klare Vorstellung kaum zu verbinden.

Nimmt man an, dass im Chlorsilber das Silber mit dem Volum ent- halten sei, welches es in metallischem Zustande annimmt, nämlich 10-3, so bleibt für das des Chlors 15-3 übrig; zieht man diese Zahl von den Volumen von Chlorkalium und -natrium ab, so bleiben die Zahlen 22-1 und 11*8. Nun sind die Volume von Kalium und Natrium im freien Zustande 45-2 und 23*8, welche Werte nahezu doppelt so gross sind, wie die unter den er- wähnten Annahmen berechneten Volume der gebundenen Metalle.

Eine weitere Ausdehnung solcher Beziehungen hat sich indessen nicht ohne Zwang durchführen lassen.

188 IV. Stöchiometrie fester Stoffe.

Siebentes Kapitel. Spezifische Wärme.

Bei Gelegenheit einer ausgedehnten Arbeit über die Gesetze der Wärme entdeckten Dulong und Petit (1818) ein Gesetz von merk- würdiger Einfachheit, welches sie selbst in den Satz znsammen&ssten: Die Atome aller einfachen Körper haben genau dieselbe Wärmekapazität

Es ist mit anderen Worten das Produkt aus der spezifisdien Wärme und dem Verbindungsgewicht eine konstante Grösse. Oder: Mengen ver- schiedener Elemente, welche im Verhältnis ihrer Verbindungsgewichte stehen, erfahren durdi die gleiche Wärmemenge eine gleiche Temperatur- erhöhung.

Die Wichtigkeit der Entdeckung wurde sofort anerkannt, doch erhoben sich alsbald Zweifel gegen die aUgemeine Anwendbarkeit des Gesetzes, insbesondere da durch die erhaltenen Zahlen die unzweifelhaft vorhandene Analogie zwischen Kobalt und Nickel in Frage gesteUt wurde. Die Arbeit wurde nicht fortgesetzt, da Petit bald starb und Dulong sie nicht wieder aufiiahm.

Eine Erweiterung erfiihr das Gesetz von Dulong und Petit durch F. Neumann (1831), welcher einen ähnlichen Satz i^r zusammengesetzte Stoffe au&tellte: ^Es verhalten sich bei chemisch ähnlich zu- sammengesetzten Stoffen die spezifischen Wärmen umge- kehrt wie die stöchiometrischen Quantitäten, oder, was das- selbe ist, die stöchiometrischen Quantitäten bei chemisch ähnlich zusammengesetzten Stoffen besitzen gleiche spezi- fische Wärmequantität."

Die zahlreichsten Untersuchungen über diesen Gegenstand sind dann von Regnault (1840) und H. Kopp (1864) ausge^ihrt worden. Sie haben zunächst die Gesetze von Dulong und Petit und Neumann in ziemlich weitem Umfange bestätigt, dabei aber gleichzdtig gezeigt^ dass beide Gesetze nur angenäherten Charakter haben. Die Produkte von spezifischer Wärme und Verbindungsgewicht sind zwar bei sehr vielen, aber doch nicht bei allen Elementen gleich, sondern die Zahlen weichen mehr voneinander ab, als die Versuchsfehler betragen.

Was die Beziehungen zwischen den Atomwärmen der Elemente und denen ihrer Verbindungen betrifft, so ist, nachdem frühere An- nahmen von Avogadro, Hermann und Schröder sich als &lsch erwiesen hatten, von Joule (1844) der Satz ausgesprochen worden, dass die Wärmekapazität einer Verbindung die Summe derer ihrer Bestandteile sei. Das Verdienst, diesen Satz als in hohem Grade allgemeingültig erwiesen zu haben, kommt H. Kopp zu.

Nach letzterem Forscher haben folgende Elemente eine ^normale" Atom wärme, d. h. das Produkt ihrer auf Wasser = 1 bezogenen spezifischen

i

y. Die verdünnten Losungen. Allgemeines. 189

Wäime mit dem Verbindungsgewicht giebt nahezu die Zahl 6*4: Ag, AI, As, Au, Ba, Bi, Br, Ca, Cd, Cl, Co, Cr, Cu, Fe, Hg, J, Ir, K, Li, Mg, Mn, Mo, N, Na, Ni, Os, Pb, Pd, Pt, Rb, Rh, 8b, Se, 8n, Sr, Te, Ti, Tl, W, Zn, Zr.

Eine kldnere Atomwärme haben: 8 = 5*4, P=5*4, Fl = 50, 0 = 4*0, Si = 3*8, B = 2.7, H = 2*3, C=1.8. Hieran schlieflst sich noch Beryllium.

Wie man sieht, gehören zu der letzteren Gruppe nur Elemente mit kleinem Atomgewicht Sowie das letztere über 30 hinausgeht, ge- horchen die Elemente dem Gesetz von Dulong und Petit.

Für mehrere der in zweiter Reihe genannten Stoffe ist berdts nachgewiesen, dass ihre Atomwärme mit stdgender Temperatur schnell zunimmt, bis sie den ^ normalen^ Wert von etwa 6 erreicht haben, so von Weber &lt Kohlenstoff, Silidum und Bor, von Nilson und Pettersson für Beryllium. Auch sind mehrere der oben angeföhrten Zahlen nicht unmittelbar beobachtet, sondern aus den Molekularwärmen von Ver- bindungen durdi Abzug der auf die anderen Elemente Menden Anteile berechnet worden.

Bei der noch vorhandenen Unklarheit über den eigentlichen Inhalt der von Dulong und Petit gefundenen Regel ist es auch noch nicht möglich, über die Bedeutung der Abweichungen von ihr etwas auszu- sagen. Man kann sich nur empirisch merken, dass sie für Stoffe mit höherem Atomgewicht als 30 zutrifft und auf diese daher angewendet werden kann. Die Regel ist indessen von grosser praktischer Bedeutung gewesen, da sie lange Zeit neben der Dampfdichtebestimmung und den Beziehungen im periodischen System der Elemente fast das einzige Mittel war, um bei neuentdeckten Elementen aus den verschiedenen möglichen Verbindungsgewichten das richtige zu wählen.

Fünftes Buch.

Die verdünnten Losnngen,

Erstes Kapitel.

Allgemeines.

Streng genommen gehört die Lehre von den Losungen in den zweiten Teil dieses Werkes, der von den Beziehungen zwischen zweien und mehreren Stoffen handelt, während der erste der Betrachtung der Stoffe als einzelner Individuen gewidmet ist. Indessen erscheint es angemessen, die verdünnten Lösungen an dieser Stelle zu behandeln. Durch den

190 V. Die yerdünnten Lösungen.

Zustand einer verdünnten Lösung gewinnen die Stoffe gewisse gemdn> same Eigentümlichkdten, wddie gestatten, in gewissem Sinne den Lö- sungszustand wie einen besonderen Aggregatzustand zu betrachten, und ihn den drei gewöhnlichen Aggregatzuständen anzuschliessen. Zwar er- geben sich die hier zu entwickehiden Beziehungen auch als einfachste GrenzMe der allgemeineren Gesetze, welche das Verhalten der Gleich- gewichtszustände aus zwei oder mehr Stoffen regeln; aber die Va^- fachung, die aus dem Übergange auf die verdünnten Lösungen entsteht, ist so bedeutend, und die Wichtigkeit der entsprechenden Gesetze ist so gross, dass die vorgängige Kenntnis dieser Grenzfälle auch das beste Mittel ist, die aUgemeinere Beziehung zu übersehen und zu beherrschen.

Der Zustand, welchen die gelösten Stoffe innerhalb der Lösung an- nehmen, ist schon früher oft als ein vergleichbarer angesehen worden, und verschiedene Forscher haben gerade von der Untersuchung der ver- dünnten Lösungen die einfachsten Resultate erwartet Zu ihrer gegen- wärtigen Bedeutung sind diese Betrachtungen indessen erst durch die Arbeiten van't Hofls (1886) gelangt, weldie die frühere ungefähre Analogie in eine festgefügte und zu zahlenmässiger Anwendung bereite Theorie verwandelt haben. Der Grundgedanke dieser Theorie ist, dass die gelösten Stoffe innerhalb ihrer Lösungen ähnlichen Gesetzen gehorchen, wie die Gase. Überlegt man die ausgezeichnete Rolle, welche die Gase vermöge ihrer einfachen und allgemeinen Eigenschaiften fOr die En^ Wickelung unserer Wissenschaft gespielt haben, wo sie einerseits die Ge- staltung des Molekularbegriffs, andererseits die der Thermodynamik er- möglicht haben, so ist ersichtlich, welche Bedeutung die Ausdehnung ihrer Gesetze auf eine weitere Klasse von Stoffen haben muss. Gelten in der That die Gasgesetze in irgend einem Sinne ftlr die gelösten Stoffe, so bedeutet dies, dass an Stelle der wenigen Stoffe, die man im Gaszu- stande untersuchen kann, die zahllosen Stoffe, die sich in irgend einem Lösungsmittel auflösen, der theoretischen Forschung und damit der Yor- ausbestimmung ihres Verhaltens in einem mehr oder weniger weitgehen- den Grade zugänglich werden.

In der That hat die allgemeine Chemie in der wenig länger, als ein Jahrzehnt dauernden Zeit, die seit der Aufteilung der Theorie von van't Hoff verflossen ist, gerade durch diese eine ungemein besdileunigte Fortbildung er&hren, und die gesamte Chemie hat durch sie einen so bedeutenden Schritt in ihrer Entwickelung zu einer von allgemeinen Prinzipien beherrschten Wissenschaft gemacht, wie vielleicht nie vorher durch einen derartigen Gedanken. Dadurch, und durch die verhältnis- mässige Neuheit dieses Fortschrittes rechtfertigt sich die hervortretende Stellung, die hiermit der Theorie der verdünnten Lösungen angewiesen wird.

Der wichtigste Begriff, von dessen. Erfassung die Theorie der Lö- sungen entscheidend bestimmt worden ist|, ist der des osmotischen Druckes. Denn es ist kaum je ein rein erMirungsmässig definierbarer und aufweisbarer Begriff so vielfach missverstanden worden, wie dieser.

Der osmotische Dradü 191

Verfolgt man diese Missverständnisse auf ihren Ursprung zurück, so findet man sie meist durch hypothetische Zuthaten verursacht, durch die man diesen Begriff hat ^erklllren^ oder gar rechtfertigen wollen. Es sei da- her gleich von vornherein betont, dass es sich hier um nichts, als die Zusammenfassung gewisser Er&hrungsthatsachen handelt, die durch keine hypothetische Erklärung sicherer gemacht werden können, als sie es ver- möge der Erfahrung sind. Die ganze Theorie der Lösungen lässt sich vollständig und geschlossen ohne diese Zuthaten entwickehi, welche wirk- fich auch in diesem Gebiete bisher viel mehr verwirrend, als aufklärend gewirkt haben. In den nachstehenden Kapiteln ist versudit worden, eine hypothesenfreie, rein thatsächliche Darstellung der Theorie zu geben.

Zweites Kapitel. Der osmotisohe Druok.

Wenn man über irgend dne Lösung, z. B. von Zucker in Wasser, vorsichtig eine Schicht reinen Wassers bringt, so bleibt das Grebilde nidit in diesem Zustande. Ähnüch wie bei einem Gase, dessen Dichte in mem Räume nicht überall dieselbe ist, beginnt alsbald der Zucker sich zu erheben und in dem Wasser zu verbreiten, und die Bewegung hört earst auf, wenn sich der Stoff in der gesamten Wassermenge gleichförmig verteilt hat

Man kann diese Bewegung hemmen, indem man zwischen die Lö- Bong und das reine Lösungsmittel eine Wand bringt^ welche zwar das letztere, nicht aber den gelösten Stoff durchtreten lässt. Solche ^halb- dorchläfisige^ Wände lassen sich darstellen, wenn man z. B. eine poröse Thonzelle zuerst mit einer Lösung von Eupfersulfat tränkt, sie sorgfältig ausspült und alsdann mit einer Lösung von Kaliumferrocyanid anfüUt. Es bildet sich alsbald auf und in der Thonwand eine zusammenhängende Decke von Kupferferrocyanid, durch welche man Wasser filtrieren kann; filtriert man aber eine Zuckerlösung, so erfordert dies zunächst einen viel stärkeren Druck, und was schliesslich durchtritt, ist nicht Zucker- lösung, sondern reines Wasser.

Statt des Niederschlages von Kupferferrocyanid kann man mit gleichem Erfolge Niederschläge von anderen amorphen Stoffen, wie Eisenoxyd, gerb- saurem Leim, Kieselsäure u. s. w. anwenden. Das Protoplasma der organi- schen Zellen pflegt gleichfalls mit einem Häutchen umkleidet zu sein, welches vielen gelösten Stoffen gegenüber dieselbe Eigenschaft hat.

Wenn man in eine derartig vorbereitete Zelle Zuckerlösung fiillt und sie alsdann durch einen Pfropfen verschliesst, welcher ihren Inhalt mit einem Manometer in Verbindung zu bringen gestattet, so bemerkt man, wenn man die Zelle in reines Wasser setzt, eine Zunalime des

192 ^' ^io verdünnten Lösungen.

Druckes im Inneren der Zelie^ welehe bis zu einem bestimmten Btaximal- wert geht. Letzterer ist von der Konzentration der Zudserlösung und der Temperatur abhängig.

Ist zunächst die Temperatur konstant , so ist der Druek, wie Pfeffer (1877) gefunden hat^ proportional dem Gehalt der Lösung. Die schliesslichen Druckwerte sind sehr bedeutend ; einprozentige Zuekerlösungen geben Drucke von mehr als 50 cm Quecksilber; eine einprozentige Sal- peiterlösung lässt sogar den Druck auf mehr als drei Atmosphären steigen.

Die Proportionalität zwischen Konzentration und Druck ergiebt sidi aus nachstehenden Messungen Pfeffers an Zuckerlösungen:

Konzentration Druck Verhältnis

1 Prozent 53«5 cm 53-5

2 101.6 50-8 274 1518 554 4 208-2 521 6 307-5 51-3

Das Gesetz, welches den osmotischen Druck regelt, hat ganz die- selbe Gestalt, wie das Boylesche Gesetz bei Gasen, denn auch bei diesen ist der Druck, weichen sie ausüben, proportional ihrer Dichte oder Kon- zentration. Dass das Gesetz des osmotischen Druckes f&r alle gelösten Stoffe unabhängig von ihrer Natur gültig ist, hat sich durch eine Reihe von sowohl direkten wie mittelbaren Messungen in vielen anderen Fällen feststellen lassen.

Der Einfluss der Temperatur auf den osmotischen Druck macht sich in derselben Weise geltend, wie bei Gasen: der Druck nimmt proportional der Temperatur, und bei allen gelösten Stoffen in gleichem Verhältnis zu. Die Verhältniszahl selbst oder der Druck-Temperaturkoeffizient hat denselben Wert wie bei Gasen.

Hat man somit den osmotischen Druck Fq bei 0^ bestimmt, so ist derselbe bei gleich P^ (1 + 0-003 6 7 t). Man kann die Beziehung wie bei den Gasen daher auch folgendermassen ausdrücken: der osmotische Druck ist proportional der absoluten Temperatur. Zum Beweise dieses wichtigen Gesetzes gebe ich nachstehende Messungen von Pfeffer nach den Berechnungen von van't Hoff wieder.

bei 32-0^

366«» 37.0®

Die unter ber. stehenden Zahlen sind unter der Voraussetzung, daas der Koeffizient 0-00367 richtig sei, berechnet worden. Die Unter- schiede überschreiten nicht die Versuchsfehler.

Kohrzucker

Druck 544

7)

56-7

Natriumtartrat

1564

«

98-3

bei

beob.

her.

14.15»

510

512

15.5<>

521

529

13.3«^

1432

144.3

13.3«

90-8

907

Der osmotische Druck. 193

Durch Versuche mit lebenden Zellen ist auch noch von anderer Seite der Beweis erbracht worden, dass solche Lösungen, welche mit dem Zell- inhalt bei 0^ im osmotischen Gleichgewicht standen, dasselbe auch bei 34® zeigten; die Zunahme des Druckes war also stets dieselbe, so verschieden auch die angewendeten Lösungen waren, und so zusammengesetzt auch der Zellinhalt selbst war.

Man kann somit den osmotischen Druck der gelösten Stoffe durch ganz dieselbe Formel darstellen, welche den Druck der Gase zum Aus- druck bringt, nämlich pv = RT. Es fragt sich nur noch, welchen Wert die Eonstante K, welche für molekulare Mengen der verschiedenen Gase gleich gross ist, im Falle der Lösungen hat Die Konstante R ist schon früher (S. 71) berechnet worden und hat sich fiirGase gleich 8-31 X 10' in absolutem Masse ergeben.

Pfeffer hatte nun Mr eine einprozentige Zuckerlösung bei den Druck von 49 3 cm Quecksilber gefunden. Das Molekulargewicht des Zuckers, C'«H"O^S ist 342; das Volum, in welchem 342 g Zucker enthalten sind, beträgt somit 34200 ccm. Der Druck von 49-3 g Queckaüber ist gleidi 49-3 X 13-59 X 980 = 656 X 10^ Die Tem- peratur 0^ G. ist 273 A. Für Zucker ist somit die Konstante R =

= 8-22X10''. Wie man sieht, stimmt der

273

Wert innerhalb der Versuchsfehler mit der Gaskonstante überein.

Der osmotische Druck einer Zuckerlösung hat somit den- selben Wert, wie der Druck, welchen der Zucker ausüben würde, wenn er sich gasförmig in demselben Räume befände, den die Lösung einnimmt Die Gasgleichung pv = RT gilt un- verändert mit denselben Konstanten für die Lösung, nur dass p den osmotischen Druck bedeutet Diesen überaus wichtigen Satz verdanken wir J. H. van't Hoff (1886).

Die Frage, ob dies bei anderen Konzentrationen und Temperaturen ebenso ist, muss sofort bejaht werden, da schon oben die Gültigkeit des Boyleschen und Gay-Lussacschen Gesetzes fiir die Ijösungen nachgewiesen wurde. Es bleibt also nur noch die Frage aufzuwerfen, ob auch noch das Avogadrosche Gesetz lUr Lösungen gilt, d. h. ob auch alle anderen Stoffe ausser Zucker fiir R den Wert der Gaskonstante zeigen, wenn man molekulare Mengen in Betracht zieht Auch diese Frage hat sich bejahend beantworten lassen. Zwar hegen nur w^ge unmittelbare Messungen des osmotischen Druckes vor, doch ist nach der früher schon angedeuteten Methode mit organischen Zellen festgestellt worden, dass solche Lösungen der verschiedensten Stoffe gleichen Einfluss auf dieselben ausüben, welche die Stoffe im Verhältnis ihrer Molekulargewichte ent- halten.

Alle die umfassenden Beziehungen, welche früher über den Zu-

Ostwald, QrnndriBs. 3. Aafl. 13

194 V. Die verdünnten Lösungen.

sammenhang der Gasdichten and Molekulargewichte entwickelt wurd^, finden auf Lösungen somit ihre Anwendung, und man kann allgemein sagen ; dass der Zustand gelöster Stoffe mit dem der Gase in ausge- dehntester Weise vergleichbar ist.

Einzelne Gruppen von Stoffen, insbesondere die Salze, daneben audi viele Säuren und Basen, zeigen indessen Abweichungen von diesen einfachen Beziehungen. Der osmotische Druck, welchen sie ausüben, ist weit grösser, als er nach der Molekulargrösse sein sollte; bei Ghlorkalium z. B. ist er fast doppelt so gross.

Bei den Gasdichten war eine ganz ähnliche Unregelmässigkeit in be- stimmten Fällen, z. B. bei den Ammoniaksalzen, aufgetreten, indem die Dichte viel kleiner, oder, was dasselbe ist, der Druck viel grösser gefunden wurde, als ihr Wert nach der Theorie sein sollte. Dort wurden die Abweichungen dadurch erklärt, dass man die fraglichen Stoffe als dissociiert, d. h. in einfachere Stoffe zerfallen erkannte ; an Stelle der durch die Formel ausgedrückten Ver- bindung waren mehrere Mole der Zerfallprodukte vorhanden und dahei^ war der Druck in demselben Verhältnis grösser.

Es liegt nahe, hier eine ähnliche Erklärung anzunehmen, d. h. die fraglichen Stoffe, welche eine derartige Abweichung zeigen, gleichfalls in ihren Lösungen als dissociiert anzusehen. Es wird später gezeigt werden, dass diese Annahme in der That wohlbegründet ist, und nicht nur diese, sondern eine grosse Anzahl anderer Erscheinungen befriedigend erklärt.

Drittes Kapitel.

Difitision.

Die Erkenntnis der Thatsache, dass zwischen zwei verschieden kon- zentrierten Lösungen desselben Stoffes ein Druck, der osmotische , herr- schen muss, war zunächst daraus abgeleitet worden, dass sich der gelöste Stoff freiwillig aus dem Gebiete grösserer Konzentration in das der geringeren begiebt. Durch die Verhinderung dieser Bewegung kam die Möglichkeit ein^ unmittelbaren Messung des osmotischen Druckes zu stände. Umgekehrt lässt sich eine Theorie dieser Bewegungen auf Grund des Begriffes des osmotischen Druckes entwickeln, und bietet durch den Vergleich mit der Erfahrung eine weitere Prüfung fiir die Brauchbarkeit jenes Begriffes (Nernst 1888).

Denken wir uns zwei Lösungen aneinander grenzend, in denen die osmotischen Drucke p^ und p^ herrschen. Dann wird der gelöste Stoff mit dem Drucke p = Pi Pg aus der konzentrierteren Lösung in die ver-

Diffusion. 195

dfinntere getrieben. Die Geschwindigkeit dieser Bewegung ist proportional dem Dmckunterschiede p und einem Koeffizienten^ der eine Art Reibung; d. h. einen Energieverbrauch darstellt. Denn die Geschwindigkdt der Bewegung ist so gering, dass die Bewegungsenergie stets verschwindend klein bleibt, und die ganze Arbeit in Wärme verwandelt wird.

Man erhält ein Mass dieser Eigenschaft, der Diffusionskonstan- ten ^ wenn man sich an den Enden eines Cylinders von 1 cm^ Quer- -schnitt und 1 cm Länge den Konzentrationsunterschied Eins hergestellt und erhalten denkt, und nun die Stoffinenge misst, welche in der Zeit- einheit, einer Sekunde, durch den Oylinder tritt Und zwar gilt diese Definition ; nachdem sich ein dauernder Zustand im Oylinder herausge- bildet hat Alsdann nimmt die Konzentration proportional der Länge, von dem Ende der höheren Konzentration gerechnet, ab, und die durdi- tretende Menge stellt einen konstant fliessenden Strom dar.

Man kann eine derartige Yersuchsanordnung praktisch herstellen^ wenn man einen entsprechenden Hohlcylinder, z. B. ein Stück einer Glasröhre, mit Leim- oder Eieselsäuregallerte ausfüllt, und an dem einen Ende eine Lösung vom Gehalte Eins, am anderen reines Wasser langsam vorbeiströmen lässt'). Bestimmt man dann nach längerer Zeit die durchgetretene Stoffmenge, so ist sie dieser Zeit und dem Diffusionskoeffizienten proportional. Hat der Oylin- der nicht die vorgeschriebenen Einheitsdimensionen, so berücksichtigt man, dass die durchgetretene Stoffmenge dem Querschnitt direkt und der Länge umgekehrt proportional ist, und man daher die für die Zeiteinheit ermittelte Menge durch den Querschnitt dividieren und mit der Länge multipli- zieren muss.

Da die Zahlen auf diese Einheiten bezogen sehr klein ausfallen, hat man gewöhnlich zur Zeiteinheit den Tag an Stelle der Sekunde gewählt, und so 86400 mal grössere Werte für den Koeffizienten erhalten. Man gewinnt eine Anschauung von den hier vorkommenden Grössen aus der Angabe, dass aus einer einprozentigen Lösung von Zucker in einem Tage 0*312 g durch den Einheitscylinder diffundieren.

Angesichts der grossen osmotischen Drucke, die durch verhältnismässig kleine Konzentrationen bewirkt werden, muss man die erreichten Geschwindig- keiten auffallend klein finden. Vom Standpunkte der Molekularhypothese kann man sich dies indessen erklären, da eine gegebene Stoffmenge in einem widerstehenden Mittel einen um so grösseren Widerstand erfährt, je feiner sie zerteilt ist Eine Kugel von 2 cm Radius hat einen Querschnitt von 4 TT cm*. Zerlegt man sie in 8 Kugeln von 1cm Radius, so ist die Summe von deren Querschnitten 8;rcm*, also doppelt so gross, und so fort. Der Ge- samtquerschnitt ist umgekehrt proportional der Anzahl qi : q^ = r, : r^ der ge-

*) Die meisten Stoffe diffundieren in Gallerten ebenso schnell, wie in reinem Wasser.

13*

196 V. Die verdünnten Lösungen.

i

bildeten (geometrisch ähnlichen) Teile'), und wächst daher mit steigender Teilung schnell an. Dem Gesamtquerschnitte aber ist die Reibung für die Bewegung derselben Stoffmenge proportional.

Die DifFasionskonstanten der verschiedenen Stoffe sind meist nicht sehr voneinander verschieden; im allgemeinen sind sie um so kleiner, je grösser das Molekulargewicht der Stoffe wird. Bezieht man wie gewöhnlich die Konstante auf Konzentrationen, die durch Gewichts- prozente gemessen werden, so liegt ein doppelter Grund für diese Ah- nahme vor. Einmal wird der Unterschied der osmotischen Drucke för den gleichen Unterschied des GewichtsgehaJtes um so kleiner, je grbsset das Molekulargewicht ist; andererseits wandern auch die hochmolekularen Stoffe bei gleichen Unterschieden des osmotischen Druckes viel langsamer, sie erfahren also grössere Reibung, was wieder vom Standpunkte der Molekularhypothese angemessen auf einen grösseren Querschnitt der wandernden Molekeln zurückgeführt wird.

Der Einfluss der Temperatur ist bei den wässerigen Lösungen ver- schiedener Stoffe auffallend wenig verschieden; die Diffiisionskonstante wächst etwas schneller, als proportional der Temperatur; die Zunahme ist zwischen 0^ und 20^ rund 0-023 des Wertes bei 20** für jeden Grad.

Es giebt nun eine Anzahl Stoffe, deren Lösungen durch ihr Vor- handensein kaum messbare Änderungen im Gefrierpunkte oder Siede- punkte gegen das reine Lösungsmittel zeigen, deren Molekulargewicht also sehr gross ist. Solche Stoffe diffundieren auch äusserst langsam, und werden als Kolloidstoffe von den gewöhnlichen oder Krystalloid- st offen unterschieden. Lösungen dieser Art kennt man nur an Stoffen, die sehr schwer lösUch sind; auch scheint sich ihr Vorkommen fast völlig auf wässerige Lösungen zu beschränken*). Kieselsäure, Eisenoxyd, viele Schwefelverbindungen der Schwermetalle und auch manche Metalle lassen sich in solchem Zustande erhalten. Ferner treten sehr viele Stoffe der tierischen und pflanzlichen Organismen in kolloidalem Zustande auf, wie insbesondere die verschiedenen Eiweissarten, Leim (der der Gruppe den Namen gegeben hat) und viele andere.

Oben wurde erwähnt, dass die meisten Stoffe, insbesondere die

*) Nennt man n^ und n^ die Zahl, r^ und r^ die Radien oder allgemein eine homologe Dimension der Teile, q^ und q, die Gesamtquerschnitte, so gelten die Proportionen nJi\^ = r^^/T^^ und (ij(i% = T^ir^yn^r^* , woraus q,/q,

*) Die Gläser scheinen im stände zu sein Stoffe, wie Gold, Silber, Kupfer, Kohlenstoff u. s. w. im kolloidalen Zustande zu lösen, doch liegen unter diesem Gesichtspunkte zu wenig Untersuchungen vor, als dass man über die Ähnlichkeiten und Unterschiede dieser Gebilde den wässerigen Lösungen der Kolloidstoffe gegenüber bestimmtes angeben könnte.

Diffusion. 197

eigentlichen Krystallolde ungestört durch Gallerten^ d. h. durch kolloide Massen^ wandern, ohne ihre Diffusionsgeschwindigkeit merklich zu ändern. Dies gilt nicht mehr Rlr diffundierende Kolloide; diese werden durch Wände aus anderen Kolloiden zurückgehalten , und man kann aus Gemengen beider Arten Stoffe die Anteile trennen , indem man sie der Diffusion durch kolloide Wände unterwirft. Als solche dienen tierisdie Häute, wie Harnblase, Herzbeutel, ferner Pergamentpapier, Leimschichten u.s.w. (Graham 1862).,

Ebenso, wie zwischen den Krystalloid- und den Kolloidstoffen stufenweise Übergänge bestehen, die keine scharfe Grenze zu ziehen ge- statten, so ist auch die Fähigkeit solcher Scheidewände, erstere durchzu- lassen und letztere zurückzuhalten, nur gradweise verschieden. Manche von den genannten Wänden beschränken auch die Diffusionsgeschwindig- keit einiger Krystalloide sehr bedeutend. Sie erfahren dann auch als Scheidewände zwischen verschieden konzentrierten Lösungen solcher StoffiB einen osmotischen Druck, der indessen nur ein Bruchteil von dem ganzen ist, ebenso wie eine nicht vollständig luftdichte Wand nicht den ganzen Druck eines eingeschlossenen Gases erfahrt Von solcher Be- schaffenheit, die nur gradweise verschieden ist, müssen wir alle praktisch herstellbaren halbdurchlässigen Scheidewände ansehen; sie werden nie vollkommen dicht ftir einen gegebenen Stoff sein, sondern ihn durch- treten lassen, wenn auch oft mit so stark verminderter Geschwindigkeit, dass die Abweichung des beobachteten Druckes vom theoretischen Grenz- wert sich der Messung entzieht.

Dadurd), dass solche teilweise durchlässige Wände fiiiher vorwiegend untersucht worden sind, erklärt sidi die geringe Übereinstimmung und die verwickelte Beschaffenheit der entsprechenden Erschanungen, die unter dem Namen Diosmose, Dialyse u. s. w. im Interesse physiologischer Fragen vielfach untersucht worden sind. Erst die Rückkehr zu den schon von Parrot (1815) untersuchten Vorgängen der freien Diffusion hat Graham (1851) in den Stand gesetzt, wenigstens die Hauptzüge der Erscheinungen zu erkennen. Durch die Herstellung nahezu idealer halbdurchlässiger Scheidewände hat dann Pfeffer (1877) die experimentellen Grundlagen beschafft, auf denen van^t Hoff (1886) das Gebäude seiner Theorie errichten konnte.

Die Versuchsanordnung von Graham bestand darin, dass er auf den Boden eines cylindrischen Gefässes eine konzentrierte Lösung des zu unter- suchenden Stoffes brachte und sie vorsichtig mit reinem Wasser überschichtete. Nach längerer Zeit wurden die oberen Schichten, in die inzwischen der Stoff difihndiert war, mit einem Heber abgezogen und auf ihren Gehalt untersucht. Dieser ist unter gleichen Umständen um so grösser, je grösser der Diffusions- koeffizient ist, doch diesem nicht proportional. Die verwickelte Formel, die ihn zu berechnen gestattet, soll hier nicht angeführt werden.

In allen Fällen werden messende Bestimmungen der Diffusion sehr da-

198 ^' ^^ verdünnten Lösungen.

durch erschwert, dass durch kleine Änderungen der Temperatur leicht Strömungen eintreten, durch welche die Schichten mechanisch miteinander vermischt werden, so dass das Ergebnis der reinen Diffusionswirkung gefälscht wird. Die Störung liegt immer in dem Sinne, dass die Vermischung weiter gegangen ist, als durch die Diffusion allein geschehen wäre, und dass daher der scheinbare Koeffizient zu gross ausfällt.

Die einfachsten Verhältnisse solcher Versuche liegen vor, wenn man an einem Ende einer langen Säule des Lösungsmittels eine konstante Eonzentration der Lösung (etwa durch die Gegenwart festen Stoffes, der die Lösung ge- sättigt erhält) bestehen lässt. Die Strecke, bis zu der eine bestimmte (durch ein Reagens bemerkbare) Konzentration vorgedrungen ist, erweist sich dami als proportional der Diffusionskonstanten, der Quadratwurzel aus der Zeit und der konstanten Konzentration am Ende der Säule. Das Gleiche gilt von der eingedrungenen Stoffmenge.

Ein besonders verwickelter Fall tritt bei der Diffusion der Lösung eines Elektrolyts ein. Da dessen Ionen unabhängig voneinander sind, so diffundiert jedes mit seiner eigenen Geschwindigkeit; und es erfolgt eine Trennung in dem Sinne^ dass das geschwindere Ion vorangeht Da aber sich mit den Ionen gleidizeitig elektrische Ladungen bewegen, so ist hiermit eine Trennung derselben verbunden^ und die baden Flüssigkeitsgebiete nehmen entgegengesetzte Ladungen an: das ver- dünntere die des schnelleren Ions, das dort vorherrscht^ und die ursprOng- liche Lösung die des langsameren. Hierdurch entstehen aber elektro- statische Kräfte; die das vorangegangene Ion zurückhalten und das zurückgebliebene beschleunigen. Da beide Ionen wegen ihrer elektrischen Verhältnisse nur in verschwindend geringem Masse getrennt werden können/ so stellt sich schliesslidi eine mittlere Diffusionsgeschwindigkeit heraus, die thatsächlich zur Beobachtung kommt.

Diese Betrachtungen (Nemst 1888) haben zur Erklärung der zwischen verschiedenen Lösungen auftretenden elektromotorischen Kräfte geführt, die hier nicht behandelt werden können. Sie haben aber noch eine andere Folgerung ergeben. Da man durch die Anwendung elektrischer Kräfte, wie sie beim Durchleiten eines elektrischen Stromes entstehen, die auf die Ionen wirkenden Kräfte messbar verändern kann, während die Bewegungshindemisse unter gegebenen Verhältnissen dieselben bleiben, so wird man zu bestimmten Beziehungen zwischen dem Diffusionskoeffizienten und dem Koeffizienten der elektrischen Leitfähigkeit geführt: die Diffusionskoeffizienten der Ionen müssen ihren Koeffizienten der elektrischen Leitfähigkeit proportional sein. Die entsprechenden Rechnungen haben gezeigt, dass auf solche Weise in der That das Wesentliche der beiden Erscheinungsreihen dargestellt wer- den kann.

Die Difiusionserscheinungen sind in der Natur ausserordentlich ver- breitet und üben einen grossen Einfluss auf die Gestaltung der Natur- yorgän^e aus. Sie treten iusbeaondere im tieriacheu und pflanzlichen

Diffusion. 199

.Organismus auf, und besorgen in diesem zum Teil den Transport der ani&unehmenden und auszuscheidenden Stoffe. Da sie dahin streben, alle Unterschiede der Konzentration der einzelnen Stoffe, somit also ebemische Unterschiede auszugleichen, so müssen Einrichtungen vor- banden sein, um solche Unterschiede dort aufrecht zu erhalten, wo sie nötig sind. Dies geschieht entweder durch schwerlösliche Formen der beirrenden chemischen Verbindungen (z. B. Stärke), wodurch diese ans der Lösung heraustreten und daher nicht mehr diffundieren köimen, oder durch Bildung von Eolloidstoffen, die der Diffusion gleichfalls kaum unter- worfen sind (wie die meisten Bestandteile des Protoplasmas), oder endlieh durch die Abschliessung der zu schützenden Zellen mittelst halbdurch- lässiger Membranen, die die betreffenden Stoffe nicht durchtreten lassen.

Indessen ist zu beachten, dass in kürzeren Zeiträumen, wie sie hier in Frage kommen, die durch Diffusion zurücklegbaren Entfernungen nur sehr klein sind. Überall dort, wo es sich um erheblichere Strecken handelt, muss daher eine andere Art der Beförderung, die der gesamten Massen, eintreten, und so sehen wir die Konvektion oder Fort- führung stets dort verwendet, wo die Stoffe auf erheblichere Distanzen zu transportieren sind. Beispiele sind die Blutbewegungen in den Tieren, die Saftbewegungen in den Pflanzen, die Sammlung des im Wasser ge- lösten Sauerstoffs durch die Kiemen der Fische und vieles mehr. In solchen Fällen vereinigt sich die Diffusion mit der mechanischen Fort- führung, indem die schliessliche Auffiahme der mechanisch herangeführten Stoffe durch die Diffusion erfolgt. Ja man überzeugt sich leicht, dass selbst ein so einfacher Versuch, wie die Herstellung einer überall gleich konzentrierten Flüssigkeit durch Umrühren des rohen Gemenges, keines- wegs ausschliesslich auf der mechanischen Vermischung beruht. Ohne die Diffusion zwischen den durch das Rühren einander nahe gebrachten Teilen verschiedener Konzentration würde die gleichförmige Verteilung sehr viel längere Zeit erfordern und sehr unvollkommen bleiben, wie man dies an Gemengen verschiedener Pulver leicht beobachten kann.

Schliesslich soll erwähnt werden, dass die Diffusionserscheinungen zu einem allgemeinen Typus gehören, dem sich die Leitung der Wärme und der Elektrizität, die innere Reibung und noch manche andere Vorgänge anschliessen. Man kann sie allgemein als räumliche Vernutzungser- scheinungen der Energie kennzeichnen, denn sie bestehen darin, dass eine vorhandene arbeitsßlhige oder freie Energie sich ausgleicht, ohne entsprechende Arbeit zu leisten; sie geht vielmehr in letzter Instanz in Wärme über. Damit eine Energie verwandelbar ist, muss ein Unter- schied ihrer Intensitätsgrösse vorhanden sein; zwischen zwei Orten, wo solch ein Unterschied besteht, tritt eine „Leitung" der Energie ein, welche diesen Unterschied auszugleichen strebt. Dieser Vorgang erfolgt pro- portional dem Intensitätsunterschiede oder GefUlle, und ist im übrigen in. seinem Zeitverlaufe von bestimmten Konstanten abhängig, die teil- weise eine Funktion der Natur des Materials sind, in dem der Vor-

200 ^' ^i^ verdünnten Lösungen.

gang erfolgt, teilweise durch die geometrische Gestalt des Leiters bedingt werden.

Man stellt sich daher diese analogen Vorgänge unter dem Bilde eines besonderen Falles vor, und benutzt dazu gewöhnlich den einer strömenden Flüssigkeit Doch hat man bei der Benutzung dieses Bildes darauf Acht zu geben, dass die strömenden Dinge in den anderen Fällen nicht etwas der Bewegungsenergie ähnliches besitzen, und dass daher das Bild nur zutrifit, wenn man den Widerstand, den die strömende Flüssigkeit erfährt, so gross annimmt, dass die Geschwindigkeit relativ klein, und die Bewegungsenergie verschwindend ist.

Die Theorie dieser Erscheinungen ist im Falle der Wärmeleitung durch Fourier (1822) in sehr vollkommener Weise entwickelt worden. Hemadi ist es dann nur nötig gewesen, die der Temperatur, Wärmemenge und Wärmeleittähigkeit entsprechenden Grössen in den anderen Gebieten aufzusuchen und in die Gleichungen sachgemäss einzusetzen, um die ent- sprechenden anderen Theorien zu haben. Dies ist durch Ohm (1827) für die Elektrizitätsleitung und durch Fick (1855) für die Diffusion ge- schehen.

Viertes Kapitel. Dampfdraoke von Lösungen.

Es ist eine allgemeine Er&hrung, dass der Dampfdruck von Flüssig- keiten, welche andere Stoffe gelöst enthalten, kleiner ist, als der der reinen Flüssigkeit. Die Gesetze dieser Erscheinung sind, zunächst für die Lösungen nichtflüchtiger Stoffe, von Babo (1848) und WüUner (1856) ermittelt worden. Sie besagen, dass die Verminderung des Dampf- druckes proportional der zugesetzten Mengedes gelösten Stoffes ist, und dass bei einer und derselben Lösung die Verminderung bei jeder Temperatur denselben Bruchteil des Dampfdruckes der reinen Flüssigkeit beträgt.

Bezeichnet man mit f den Dampfdruck des Lösungsmittels, mit { den der Lösung, und mit g den Gehalt der Lösung an gelöstem Stoffe, so gilt die Beziehung

f— r

f— f wo r eine Konstante bedeutet, welche das Verhältnis - oder die

relative Dampfdrucksverminderung für den Gehalt Eins darstellt

Das Gesetz ist indessen, wie viele derartige Beziehungen, nur ein GrenzgesetZy welchem sich die thatsächlichen Verhältnisse um so mehr

D&mpfdmcke von Lösungen. 201

nähern, je verdünnter die Lösungen sind. In konzentrierteren Lösungen machen sich Abweichungen geltend, die ähnlich den Abweichungen der Gase von den einfachen Gesetzen bei höherem Druck sind, und zunächst ausser Be- tracht bleiben sollen.

Es liegt nahe 7 die Eonstante r^ oder die relative Dampfdmcksver- minderang nicht auf gleiche Gewichte zn beziehen, sondern auf Mole. Alsdann ergiebt sich ein weiteres allgemeines Gesetz ^ indem sich die Produkte aus der relativen Dampfdrucksverminderung und dem Molekular- gewicht bei Anwendung desselben Lösungsmittels gleich gross ergeben. Löst man also in gleichen Mengen eines Lösungsmittels soldie Mengen verschiedener Stoffe auf, welche im Verhältnis ihrer Molekulargewichte stehen , so erhält man Flüssigkeiten von gleichem Dampfdruck. Man kann den Satz auch so aussprechen: die molekulare Dampfdrucks- verminderung, welche beliebige Stoffe in demselben Lösungs- mittel hervorbringen, ist konstant.

Vergleidit man schliesslich die relative Dampfdrucksvermindemng, welche verschiedene Lösungsmittel erfahren, so sind dieselben wiederum gleidi^ wenn man gleiche Mengen eines Stoffes in solchen Mengen ver- schiedener Lösungsmittel auflöst, welche im Verhältnis der Molekular- gewichte stehen. Dabei verhält sidi der Dampfdruck der Lösung zu dem des reinen Lösungsmittels, wie die Zahl der Mole des Lösungsmittels zur Gesamtzahl der in der Lösung vorhandenen Mole.

Ist daher G das Gewicht des Lösungsmittels, g das des gelösten Stoffes, und süid M und m die entsprechenden Molekulargewichte, so and G/M = N und g/m = n die relativen Molenmengen. Stellen ferner, wie oben, f und f' den Dampfdruck des reinen Lösungsmittels und den der Lösung dar, so gilt nach allem die Beziehung

f^__N

T~ N-f n' welche man umformen kann in

f— r_ n

f ""N+r*

Die relative Dampfdrucksverminderung jeder Lösung ist gleich dem Verhältnis zwischen der Zahl der Mole des gelösten Stoffes und der Gesamtzahl der in der Flüssigkeit enthaltenen Mole.

Mit Benutzung der Beziehungen G/M = N und g/m = n haben wir 8chUe88Üch (f_f)/f=gM/(gM + Gm).

Die vorstehenden Sätze sind meist von F. M. Raoult (1887) entdeckt worden.

In der letzten Gleichung treten neben den Molekulargewichten des Lösungsmittels und des gelösten Stoffes lauter unmittelbar messbare

202 ^- I^ie yerddnnten Lösungen.

Grössen- auf. Ist daher das Molekulargewicht des LösnngBirnttete be- kannt, 80 kann man durch die Messung der relativen Dampfdrucksyer- minderung, weiche eine gewogene Menge eines unbekannten Stoffes in einer gleichfalls gewogenen Menge des Lösungsmittels hervomif^ dessen Molekulargewidit bestimmen.

Angesichts der grossen Bedeutung, welche die Messung des Molekular- gewichts neuer Stoffe fOr die Ermittelung ihrer Konstitution und dadurch ihrer allgemeinen chemischen Verhältnisse hat, lässt sich die praktisdie Wichtigkeit dieser Formel begreifen. Dehnt sie dodi die Möglichkeit, Molekulargewichte zu bestimmen ^ von den flüchtigen Stoffen auf alle löslichen aus. Wenn auch vor einem halben Jahrhundert, wo die organische Chemie wesentiich mit der Erforschung der meist leichtflüchtigen Ver- bindungen der Fettreihe zu thun hatte, ein derartiges Hilfsmittel von geringerer Bedeutung gewesen sein mochte, so war es doch zu der Zeit seiner Entdeckung, wo die Forschung vorwiegend auf die im Dampf- zustande vielfach unzugänglichen hochmolekularen aromatischen und cyklischen Verbindungen übergegangen war, um so willkommener.

Formt man die oben gegebene Gleichung so um, dass sie unmittel- bar das Molekulargewicht des gelösten Stoffes ersehen lässt, so hat man, wenn man zur Abkürzung die relative Dampfdrucksemiedrigung (f f')/{

= 9) setzt, m = gM(1^9))/9)G.

Bei verdünnten Lösungen ist der Wert von q) sehr klein gegen- über 1; man kann ihn daher im Zähler vernachlässigen und erhält die einfachere Gleichung m = gM/9)G,

welche zur Bestimmung von Molekulargewichten aus der Dampförueks- vermmderung allgemein angewendet wird.

Das experimentelle Verfahren zur Bestimmung von q> bestand an- fangs in der Ermittelung der 'beiden Drucke f und f' nadi ^^r statischen Methode. Wegen der Schwierigkeit und Unsicherheit solcher Bestimmujigen (S. 102) ist diese durch die dynamische ersetzt worden, dereti Anwendung allerdings dadurch erschwert war, dass die Bestimmung der Siedetempe- ratur einer Lösung ganz besondere Vorsichtsmassregeln zu erfordern schien. Die hier vorhandenen Schwierigkeiten sind indessen, namentlidi durch die Arbeiten von Beckmann (1889), überwunden worden und gegenwärtig macht eine Molekulargewichtsbestimmung nach dieser Methode weit weniger Arbeit, als die Dampfdichtebestimmung eines niedrig siedenden Stoffes.

Man bestimmt nach diesem Verfahren nicht die Drucke, unter denen das Lösungsmittel und die Lösung den gleichen Siedepunkt haben, sondern die Siedetemperaturen, die sie unter gleichem Drucke, dem der Atmo- sphäre, zeigen. Kennt man die Beziehung zwischen Druck und Tempe- ratur bei dem reinen Lösungsmittel, so kann man. den Druck erfahren, den es bei der Siedetemperatur der Lösung haben würde, und damÜ

Dampfdrücke von IjöBungen.

203

hat man die zur Ermittelung der relativen Dampfdracksverminderung er- forderlichen Daten.

Es sei Fig. 26 11 die Dampfdrucklinie des reinen Lösungsmittels, SS die der Lösung, so ist f=ac und f' = ab; die relative Dampfdruck- Verminderung ist daher gp = bc/ac. Die Temperatur, bei weldier die Lösung unter demselben Druck siedet, wie das Lösungsmittel, findet man, wenn man die Linie konstanten Druckes cd zieht Die Siedetemperatur der Lösung ist notwendig höher, als die des Lösungsmittels, wenn der Dampfdruck durch die Auflösung des fremden Stoffes vermindert wird, und diese Erhöhung ist durch cd dargestellt.

Kennt man nun das Verhältnis bG:cd, welches gleich dem Ver- hältnis der Dampfdrucksverminderung zur Siedepunktserhöhung in der- selben Lösung ist» so kann man auch die Bestimmung der letzteren zur Ermit- telung des Molekulargewichts verwerten. Sei s die Siedepunktserhöhung und d die (absolute, nicht die relative) Dampf- drucksverminderung und das Verhältnis zwischen beiden d/s = r, so ist die rela- tive Dampfdrucksverminderung 9) =3 rs/f, und damit geht die Gleichung m = gM/gpG über in m = gMf/rsG, oder wenn man die Konstanten f&i dasselbe Lösungsmittel in K = Mf/r vereinigt, in

m = Kg/sG.

Die Verhältniszahl r = bc/cd (Fi- gur 26) ergiebt sich aus der Kenntnis

der Dampfdrucklinie des reinen Lösungsmittels. Denn man kann für kleine Unterschiede die Linien 11 und ss als parallele Gerade ansehen; dann ist bc/cd = ed/cd, und das letztere Verhältnis ist das der gleich- zeitigen Änderungen des Druckes mit der Temperatur am reinen Lösungs- mittel, dp/dT. Nun ergiebt sich dies Verfiältnis einerseits aus der Ver- dampfnngs wärme (S. 125), andererseits aus der experimentellen Bestimmung der Dampfdrucklinie in der Nähe des Siedepunktes.

Um an einem Beispiele die angenäherte Berechnung der Konstanten E kennen zu lernen, ermitteln wir sie für Äther. Nach Kegnault ist der Dampf- druck des Äthers bei 35<> gleich 76-33 cm, bei 40® gleich 9096 cm Quecksilber»); das Verhältnis zwischen der Zunahme des Druckes und der Tempei^itur ist also r = 2-926.. In dem Ausdrucke für die Konstante K = Mf/r ist femer M, das Molekulargewicht des Äthers, gleich 74-1, der Druck f im Mittel von

') Da in der Gleichung für das Molekulargewicht die Drucke nur als Verhältniszahl eingehen, braucht man sie nicht in- absoluten Werten auszu- drucken, indem der Faktor sich heraushebt.

204 y- Die Terdünnten Lösungen.

76-33 und 90-96 gleich 83-e. Daraus folgt K 2117; die strengere Rechnung ergiebt 2110.

Die Ausbildung des praktjaclien Verfahrens der Siedemethode ist wesent- lich durch Beckmann (1869) erfolgt, dem sich viele andere Forscher durch mehr oder weniger abgeänderte Methoden angeschlcwsen haben. Der am meisten verbreitete imd für fast alle Zwecke verwendbare Apparat ist in Fig. 27 abgebildet Er besteht aus einem Siedegefäsee Ä in Gestalt eines grossen Probierglases mit einem seit- lichen Stutzen. In dem Siedegef^ksse ist das Thermometer angebracht, das an seinem oberen Ende eine mehriach anf- und abgebogene Erweiterung trSgt; diese ermöglicht, durchÄbtrennen eine« Teils der Quecksilberfüllung das nur einige Grade umfassende, in O-Ol" ge- teilte Thermometer für alle vorkom- menden Temperaturen anwendbar zo machen. Um das Sieden regelmassiger zu machen, ist das GefBss A znm Teil mit Granaten oder Platin schnitzeln gefüllt. K, ist ein Kühler beliebiger Form, der den Dampf des Lösungs- mittels verflüssigt und der Haiiptmei^ wieder zuführt.

Um die Temperatureinstellung \<m der Umgebung unabhSngig zu machen, ist das Siedegeftss in den Siedemantel B gestellt, in dessen Innerem sich etwas von dem Lüsungsmittel befindet Durch den aus Asbestpappe gefertigten Heizkasten C wird die Wärme so zu- geleitet, dass in beiden B&umen ruhiges Sieden stattfindet.

Man beschickt zuerst das Siede- gei&ss mit einer gewogenen Menge dee pj- a-j Lösungsmittels und beobachtet an dem

zusammengestellten Apparat« den Sie- depunkt, bis er konstant ist. Dann wird durch den Kühler K, (nötigen&lls durch den Stutzen selbst) der Stoff hineingebracht, worauf man bald die ein- getretene Erhöhung des Siedepunktes beobachten kann. Durch Einbringen weiterer Mengen kann man die Bestimmung auf höhere Konzentrationen ausdehnen.

In manchen Fällen kann man von dem Satz Gebrauch machen, daas in Gasen der Dampfdruck ebenso gross, wie im leeren Räume ist Leitet man z. B. einen Luftatrom durch die Lösung, und sodann durch das reine Lösungs-

Dampfdrucke von Lösungen.

205

mittel, 80 wird der Gewichtsverlust der ersteren zu dem des zweiten sich Terhalten« wie f : f f , indem die Luft sich beim Durchstreichen durch die Lösung mit dem Dampfe bis zum Druck f sättigt, und diese teilweise gesättigte Luft aus dem reinen Lösungsmittel noch soviel desselben auf- nimmt, bis sie zu dem Drucke f gesättigt ist. Bestimmt man noch die Ge- samtmenge des mitgefiihrten Dampfes, so ist derselbe proportional dem Dampfdruck f des Lösungsmittels.

Handelt es sich um wässerige Lösungen, so kann man auch die Methoden

f der Hygrometrie zur Bestimmung der verhältnismässigen Feuchtigkeit -tt

anwenden.

Was die Allgemeingültigkeit des oben (S. 201) aus- gesprochenen Gesetzes anlangt, so machen sich hier ganz dieselben Ausnahmen geltend, deren Vorhandensein bei dem Gesetze für den osmotischen Druck hervorgehoben wurde. Alle Stoffe, welche letzteren zu gross ergaben, und für welche daher ein Dissociationszustand, ein Zer- fallen in einfachere Molekeln angenommen werden musste, zeigen ganz die gleiche Abweichung in Bezug auf die Dampfdrucksverminderung. Das Verhältnis zwischen dem thatsächlichen osmotischen Drucke und dem theoretischen ist gleich dem Verhältnis zwischen der thatsächlichen Dampfdrucksverminderung und der theoretischen. Dieser Umstand ist eine kräftige Stütze für die Richtigkeit der Annahme, dass die Ursache der Abweichungen dem ge- lösten Stoffe und nicht etwa dem Lösungsmittel zu- zuschreiben ist.

Angesichts des vollkommenen Parallelismus beider Erscheinungsreihen, der osmotischen Drucke und der Dampfdrucksverminderungen, muss man sich fi*agen, ob zwischen beiden nicht ein theoretischer Zusammenhang besteht. Ein solcher ist in der That vorhanden, so dass man, wenn die Gesetze des osmotischen Druckes gegeben sind, die der Dampfdrucks- venninderung daraus ableiten kann, und umgekehrt.

Wir denken uns ein Gefass in der Form eines langen Cylinders (flg. 28), welches oben mittelst einer halbdurchlässigen Wand geschlossen ist Es sei mit dem Lösungsmittel gefüllt und stehe in einem Gefass F, welches gleichfalls das reine Lösungsmittel enthält. Darüber sei etwas von der Lösung nach L gebracht. Das Ganze sei mit einer Glocke überdeckt, unter welcher ein luftleerer Raum hergestellt worden ist.

Alsdann wird die Lösung mit dem Lösungsmittel im Gleichgewicht Sern, wenn der Dnickunterschied, welcher der Säule FL entspricht, gleich dem osmotischen Druck ist. Nun verdampft sowohl die Flüssigkeit bei F, sowie die Lösung bei L; es muss auch bei L der Dampfdruck der Lösung gleich dem Druck sein, welchen der Dampf der Flüssigkeit an dei-selben Stelle besitzt. Denn wäre er grösser oder kleiner, so müsste

A

\

Fig. 28.

206 V. Die yerdünnten Lösungen.

in h entweder Flüssigkeit verdampfen oder sich niederschlagen; in bdden Fällen würde sich der Drack auf die halbdurchlässige Wand äqd^ni und Flüssigkeit würde aus- oder eintreten. Dieser Vorgang könnte zum Be- trieb einer Maschine bei konstanter Temperatur benutzt werden; man hätte em perpetuum mobile zweiter Art, was unmöglich ist

Der Dmck^ welchen die Dämpfe der Flüssigkeit F bei L ausübe ist also gleich dem Dampfdruck des Lösungsmittels^ vermindert um das Gewicht einer Damp&äule von der Höhe FL. Diesem Drud^e muss der Dampfdruck der Lösung gleich sein.

Wir wollen nun die Gesetze des osmotischen Druckes als gegeben

ansehen. Die Lösung enthalte n Mole des gelösten Stoffes und N Mole

des Lösungsmittels. Dann ist da* osmotische Druck^ welcher (S. 193)

gleich dem Drucke ist, den der gelöste Stoff ausüben würde, wenn er

sich in dem gegebenen Räume in Gasform befände, durch die Gleichnng

nRT pv = nRT gegeben; es ist also p = Um v zu finden, beachten

wir, dass die N Mole des Lösungsmittels da« Gewicht MN haben, wo

MN M das Molekulargewicht ist, und das Volum einnehmen, wo s das

spezifische Gewicht des Lösungsmittels ist Wir erhalten also p = -,> ,rf-

Die Höhe h des Lösungsmittels, welche diesem Druck entspricht, ist durch

nRT die Gleichung p = hs gegeben, wir finden h= - Da MN gleidi

MN

dem Gewicht des Lösungsmittels ist, in welchem n Mole des gelösten Stoffes enthalten sind, so lässt sich der Satz aussprechen: Die osmotische Steighöhe ist bei Lösungen desselben Stoffes von gleichem Gewichts- gehalt unabhängig von der Natur des Lösungsmittels.

Um den Druck, welchen eine Dampfsäule von der Höhe h aus-

übty ist nun, wie oben bewiesen wurde, der Dampfdruck f der Lösung

kleiner, als der des Lösungsmittels. Sei letzterer f, so ist r = f hd,

wo d die Dichte des Dampfes bedeutet. Diese ergiebt sich gleichfialis

aus der Formel pv = RT; p, der Druck des Dampfes, ist gleich f, und

d ist, da die Formel sich auf je ein Mol Dampf bezieht, gleich dem

M Gewicht M, dividiert durch das Volum v, also d = Dadurch erhalten

. ^ fM ^

Wir d = RT

Setzen wir nun schliesslich in die Gleichung f' = f hd die Wertei{ , nRT _ fM . .. ., ./ n\ . f- f ' n

^= "MN ^^^^ = RT ^^«^«^^«^g* ^ =V -n) ^^^' -r= n' Als Ergebnis der Versuche von Raoult war oben (S. 201) die Formal

f— f n

«- =|j~r~~ gefunden worden. Der Unterschied rührt daher ^ dass

Gefrierpunkte von Lösungen. 207

jene Versuche an Lösungen von endficher Konzentration ausgeführt worden sind^ während die Redinnngen für unbegrenzt kleine Konzen- tration gelten; wird n sehr klein gegen N; so geben beide Formeln gleiche Resultate.

Fünftes Kapitel. Gefrierpunkte von Lösnngen.

In einer für jene Zeit ungewöhnlich genauen Arbeit hatte bereits im vorigen Jahrhundert J. Blagden (1788) zwischen den Temperaturen, bei welchen Salzlösungen erstarren, und dem Gehalt dieser Lösungen die ein£ädie Beziehung gelinden, dass beide einander proportional sind. Die Arbeit ist indessen Yöllig in Vergessenheit geraten; 1861 entdeckte Rüdorff dieselbe Thatsache noch einmal, und 1871 fügte de Coppet^ weldier dieses Ergebnis bestätigte, nodi den Satz hinzu, dass versdue- dene Stoffe von ähnlicher Natur den Gefrierpunkt um gleich viel er- niedrigen, wenn sie im Verhältnis ihrer Molekulargewichte in Wasser ge- löst werden.

Die wdtere Entwickelung unserer Kenntnisse über diesen Gegen- stand wurde lange Zeit dadurch aufgehalten, dass man ^e Untersuch- ungen ausschliesslich auf Wasser als Lösungsmittel und auf Salze als Versuchsstoffe beschränkte. Erst als durch F. M. Raoult zunächst (1882) wäss^ge Lösungen indifferenter organischer Stoffe studiert wurden, er- gab sich das dnfache Gesetz, dass äquimolekulare Lösungen, d. h. solche, deren Gehalte ün Verhältnis der Molekulargewichte der gelösten Stoffe stehen, gleiche Erstarrungspunkte haben. Als dapn auch andere Stoffe als Lösungsmittel verwendet wurden, fand sich das gleiche Ergeb- nis, nur mit einem anderen Koeffizienten, so dass man allgemein folgende Formel au&tellen kann.

Ist J die Erniedrigung, welche der Erstarrungspunkt des Lösungs- mittels erfahrt, wenn n Mole des Stoffes in G Gramm des Lösungsmittels gelöst sind, so gilt ^

wo r eine Konstante ist; welche von der Natur des Lösungsmittels allein

abhängig. Ist das Molekulargewicht m des Stoffes nicht bekannt, so

kann man es somit ableiten, wenn man den Gefrierpunkt einer Lösung

bestimmt, welche g Gramme des Stoffes in G Grammen Lösungsmittel

g rg

enthält Es ist nämlidi dann n = : die Gleichung wird A = z^

m m(j

oder rg

m =

wodturch man das Molekulargewicht erhält.

206 ^- Die Terdttnnten LSrangen.

Die Eonat&nta r, welche, wie erwBhnt, von der Ifatur der FlOegigk^ abhftngt, lAsBt sich bestimmen, wenn man Stoffe Ton bekanntem Molekular- gewicht in der Flüssigkeit auflöst und die Erniedrigung des Gefrierpunktes bestimmt Setzt man die so erhaltenen Werte in die erste Formel ein, so Ifiatt

JG

berechnen.

ÄQch dies Gesetz gilt zunAcbst nur fDr in- differente Stoffe; Salze, starke SBuren und Basen bilden Ausnahmen. Aber diese Ausnahmen stehen wiederum in engster Beziehung zu den ent- sprechenden Ausnahmen in Bezng auf den osmotischen Druck und die Dampfdrucksvermin- derung; die tbateächlich beobachteten Gefrier- punktaemiedrigungen ergeben sich grSsBer sla die berechneten, und die Verbal tri szahlen zwi- schen Messung und Rechnung sind bei den ver- schiedenen Stoffen dieselben, welche bei anderen Methoden gefunden wurden.

Zur praktischen Ausführung derartiger Be- stimmungen dient am besten nach Beckmann (1888) der beistehend abgebildete Apparat Das Glas A enthalt ein in 0-01 Grade geteiltes Ther- mometer D nnd einen aus Flatindraht geboge- nen Rubrer. Es wird mit einer gewogenen Menge des Lösungsmittels beschickt, in ein etwas wei- teres Glas B gesetzt, welches als Luftmantsl dient, und dann in den Deckel eines starken Glases C gesetzt, welches Wasser oder ein« K&ltemischung enthält, deren Temperatur 2* bi« 5* unter dem Erstarrungspunkte der Flflssigköt liegt Man beobachtet nun unter stetem Rfihm (dessen Wirkung noch durch einige in Ä hinein- gebrachte Schnitzel von Flaünblech unterstfiU wird) das Thermometer. Es sinkt anttuigs in- folge von Überkaltung unter den GeftieipunU um alsdann plötzlich, indem sich feste Substaol ausscheidet, auf denselben sich zu erheben. Hd man auf diese Weise zuerst genan den Erstar- rungspunkt des Lösungsmittels bestjmmt, H bringt (man aus einem gewogenen Glase) eine b»" kannte Menge des zu untersuchenden Stoffes in A durch den Stutzen hineiM vermischt, und wiederholt den Versuch. Die Erstarrung tritt jetzt bei niedrigr"" Temperatur ein, und der Unterschied beider Temperaturen ist der Gleichungen aui^retende Wert J.

Bei vielen Lösungen erfolgt leicht eine sehr starke Überkaltung,

Gefrierpimkte von Lösungen.

209

beim Erstarren sich eine grosse Menge von Eis ausscheidet. Dadurch wird die nachhleihende Lösung aber konzentriert, und die beobachtete Temperatur ist zu niedrig. Dann lässt man das meiste Eis durch Erwärmen wieder zer- gehen, und bringt, wenn nur noch eine sehr kleine Menge vorhanden ist, den Apparat in das Eühlgefäss.

Es liegt nahe^ zwischen der oben be£^rochenen Erscheinung der DampfdiTicksverminderung und der Gefrierpunktsemiedrigong einen ähn- lichen theoretischen Zusammenhang zu vermuten, wie er zwischen jener und dem osmotischen Druck besteht. Ein solcher ist in der That vor- handen und zuerst von C. M. Guldberg (1870) nachgewiesen worden. Später (1886) hat van't Hoflf die Theorie dieses Zusammenhanges in wesentlichen Stücken vervollständigt und die Konstante r aus anderen Grössen abzuleiten gelehrt

Zunächst ist die Frage zu beantworten, ob sich aus Lösungen reines Eis^) ausscheidet, oder ob die Lösung als Ganzes gefriert Aus den hierüber angestellten Untersuchungen und gepflogenen Diskussionen hat sich ergeben, dass in den meisten Fällen das erstere stattfindet Es scheidet sich (abgesehen von bestimmten Ausnahmen), so lange die Lö- sung nicht so konzentriert ist, dass der gelöste Stoff schon durch die Temperaturemiedrigung auskrystallisiert, nur reines Eis aus.

Nun lässt sich durch eine Schlussweise, die der auf S. 176 ange- wendeten ganz ähnlich ist, beweisen, dass die Temperatur, bei welcher sich £^ aus einer Lösung ausscheiden kann, diejenige ist, bei welcher Eis und Lösung gleichen Dampfdruck haben. Da mit anderen Worten Eis und Lösung unmittelbar im Gleichgewicht sind, so müssen sie es auch unter Yermittelung des Dampfes sein, und dieser muss P

daher beiderseits gleichen Druck haben. Auch könnte man sich, wenn die Drucke verschieden wären, eine Ma- schine konstruieren, durch wel- che Wärme bei konstanter Temperatur dauernd in Arbeit fibergefuhrt werden könnte, im Widerspruch mit dem zwei- ten Hauptsatz.

Daraus folgt also, dass Gesetze, welche wir oben für ^^*

den Dampfdruck äquimolekularer Lösungen gefunden haben, auch für ihre Gefrierpunktsemiedrigungen gelten müssen.

Um die hier obwaltenden Verhältnisse anschaulich zu machen, stelle in der beistehenden flg. 30 ww die Dampfdruckkurve des Wassers

*) Es soll hier mit „Eis" ganz allgemein das erstarrte Lösungsmittel, sei es Wasser, Benzol oder etwas anderes, bezeichnet werden.

Ostwald, Griindrlss. 3. Aufl.

14

210 ^' I^iö verdünnten Lösungen.

dar, indem die Temperaturen als Abscissen, die Dampfdrucke als Ordi- naten eingetragen sind. Die Dampfdruckkurve e des Eises hat bei 0* einen Punkt mit der des Wassers gemein (S. 176). Unter 0^ verläuft aber die Dampfdruckkurve des Eises unterhalb der des (überkalteten) Wassers. Die Dampfdruckkurve einer Lösung 11 endlich verläuft unter- halb der des Wassers so, dass ihre Abscissen stets denselben Bruchteil von denen des Wassers darstellen.

Dann ist der Gefrierpunkt der Lösung die Abscisse desjenigen Punktes, in welchem sich die Dampfdruckkui-ven des Eises e und der Lösung 1 schneiden, weil beide, wie eben bewiesen wurde, gleichen Dampfdruck haben müssen.

Bei den hier in Betracht kommenden kleinen Temperaturunterschieden kann man die entsprechenden Teile der Dampfdrückkurven als gerade Lmien betrachten. Es ist dann klar, dass der Schnittpunkt von e und 1 in demselben Verhältnis nach links rücken muss, in welchem 1 sich unter w senkt. Nun ist diese Senkung, oder die relative Dampfdrucksvermin- derung früher experimentell wie theoretisch proportional dem Gehalt der Lösung an aufgelöster Substanz gefunden worden, und es muss dem- nach auch die Gefrierpunktsemiedrigung dem Gehalt proportional sein, wie es die Versuche ergeben hatten.

Die Konstante r lässt sich auf folgende Weise ableiten. Wir denken uns eine grosse Menge der Lösung, welche aus n Molen des gelösten Stoffes auf G Gramm des Lösungsmittels besteht, in einen Cy linder mit halbdurch- lässiger Wand eingeschlossen. Durch einen auf einen Kolben ausgeübten Druck, welcher den osmotischen Druck um ein sehr geringes übertrifft, wird von dem Lösungsmittel so viel hinausgepresst, als dem Volum entspricht, in welchem ein Mol des gelösten Stoffes enthalten ist. Die zugehörige Arbeit ist, wenn p der osmotische Druck und v das eben definierte Volum ist, gleich pv, welche Grösse ihrerseits gleich RT ist. Dieser Vorgang werde bei der Schmelztemperatur T des Lösungsmittels ausgeführt. Die dabei heraus-

gepresste Menge des Lösungsmittels ist Gramm.

Jetzt lassen wir diese Menge des Lösungsmittels gefrieren, wobei w Wärmeeinheiten frei werden, wenn w die Schmelzwärme von 1 g des Lö-

n sungsmittels ist. Dann kühlt man alles um J ab, bis man den Gefrierpunkt der

Lösung erreicht hat, bringt das Eis mit der Lösung in Berührung und lässt

P

es schmelzen. Dabei werden die w Einheiten wieder verbraucht, aber bei

n

der niedrigeren Temperatur T J. Zum Schluss erwärmen wir das Ganze wieder auf T und es ist alles wieder im früheren Zustande.

Dieser Vorgang stellt einen umkehrbaren Kreisprozess dar (S. 125). Es muss daher die durch die Wärme hierbei geleistete Arbeit gleich dem Bruchteil

-=- der gesamten, von höherer zu niederer Temperatur übergehenden Wärme

sein, wo z/ der Temperaturunterschied und T die absolute Temperatur des

Übersicht. 211

Überganges ist. Im vorliegenden Falle beträgt die übergehende Wärme

G JGw

w, und der Teil -=, derselben ist somit in Arbeit verwandelt worden.

n Tn

Letztere aber wurde oben gleich pv oder RT gefunden, und daraus folgt

~tS ^^-

RT* n

Wir haben demnach J = -^ Vergleicht man diesen Wert mit

w G

RT*

dem S. 207 gegebenen für J, so folgt r = Die Konstante r ist somit

w

durch die latente Schmelzwärme w und die absolute Schmelztemperatur T bestimmt

Um die Anwendung der Formel zu zeigen, soll die Konstante für Wasser

RT*

berechnet werden. In r = ist R 8-31 x 10^ T =- 273, w 80 cal ==

w

335 X 10'. Daraus folgt r = 1850. Zur Prüfung dieses auf theoretischem Wege

RT* abgelei teten Ergebnisses r«=5 hatte van' t Hoff (1887), dem wir diese Ab- leitung verdanken, eine Anzahl Konstanten aus den Werten der latenten Schmelzwärme w und der absoluten Schmelztemperatur T abgeleitet und mit den von Raoult empirisch gefundenen Konstanten verglichen. Die Zahlen sind:

RT*

Wasser

T

273

w 79

w 1850

r 1890

Essigsäure

290

432

3880

3860

Ameisensäure

2815

55-6

2840

2770

Benzol

277-9

291

5300

5000

Nitrobenzol

2783

223

6950

7070

Die Übereinstimmung ist in Anbetracht der geringen Genauigkeit, mit welcher mehrere Schmelzwärmen bekannt sind, genügend. Eine spätere eingehende Prüfung durch Eykman und andere hat die Formel allseitig bestätigt.

Sechstes Kapitel. Übersicht.

Die Gesetze der Einflüsse^ welche gelöste Stoffe auf den Siedepunkt imd den Gefrierpunkt des Lösungsmittels ausüben, sind in so hohem Grade übereinstimmend, dass man zu der Frage gedrängt wird, welcher gemeinsame Bestandteil diese Gleichheit bewirkt. Prüft man unter diesem Geäehtspunkte die theoretischen Ableitungen der beiden Formeln, so er- giebt sich folgendes.

Das Molekulargewicht der Gase ist durch die Arbeit pv bestimmt,

welche geleistet werden muss, damit ein Gas in einem Räume, wo irgend

ein Druck p herrscht, sich bilden kann. Diese Arbeit ist unabhängig ! 14*

212 V. Die verdünnten Lösungen.

von dem Druck p^ proportional der absoluten Temperatur und der Gas- menge. Bestimmt man letztere so, dass die Arbeiten bei allen Gasen für dieselbe Temperatur denselben Wert erhalten , so hat man Mengen, die im Verhältnisse der Molekulargewichte stehen.

Da filr die zu verdünnter Lösung gelösten Stoffe dieselben Gesetze gelten, wie für Gase, so gilt auch dieselbe Definition des Molekular- gewichtes, und da die beiderseitigen Arbeitsgrössen unmittelbar vergleich- bar sind, so besteht auch kein prinzipieller Unterschied zwischen den nach den beiden Methoden bestimmten Molekulargewichten. Wenn Ver- schiedenheiten des letzteren bei Lösungen gefunden werden, so haben sie denselben Grund, wie die Verschiedenheiten der aus den Dampf- dichten bestimmten Molekulargewichte eines und desselben Stoffes: sie liegen in Änderungen des chemischen Zustandes, Polymerisierungen und Zersetzungen, Die verschiedenen Lösungsmittel wirken auf den gelösten Stoff, wie verschiedene Temperatur und verschiedener Druck auf Dämpfe.

Wenn wir also an dem gelösten Stoffe auf irgend eine Weise die Grösse pv bei einer bekannten Temperatur bestimmen, so können wir daraus die Stoffbaenge berechnen, welche in der Gleichung pv=:RT die Konstante R auf den festgesetzten Wert von 8-31 X 10' (S. 71) bringt Darin liegt eine Molekulargewichtsbestimmung von ganz derselben Ar^ wie wenn wir bei einem Dampfe die für die Ausfiillung der Gleichung pv = RT erforderüchen Werte des Druckes, des Volums und d^ Temperatur bestimmen. '

Prüfen wir unter diesem Gesichtspunkte die drei Methoden dtf Molekulargewichtsbestimmnng, so überzeugen wir uns, dass es sich in der That um die Ermittelung derselben drei Grössen auf einem meW oder weniger direkten Wege handelt. Am unmittelbarsten ist dies bei der Bestimmung aus dem osmotischen Druck ersichtüch. Der Gehalt der Lösung am gelösten Stoffe giebt das Volum, der Druck und die Tem- peratur werden unmittelbar gemessen.

Bei den beiden anderen Methoden wird die Temperatur unmittel*^ bar gemessen, das Volum aus dem Gehalt berechnet. Der Druck da- gegen wird mittelbar dadurch bestimmt, dass man die (osmotische; Arbeit berechnet, welche durch eine kleine Konzentrationsänderung der Lösung hervorgebracht wird, und die angewandten Formeln ergeben sidu wenn man diese Arbeit durch die anderen in Betracht kommend^ Grössen, insbesondere die Schmelz- bez. Verdampfongswärme ausdrückli|

Thatsächlich ist jeder Druckmesser oder jedes Manometer ein Apparal)| der den Druck auf solche Weise zu bestimmen gestattet. Nehmen wir als BeH spiel ein gewöhnUches Quecksilbermanometer, in welchem der Druck dm*ch M Höhe der Quecksilbersäule gemessen wh-d. Dass diese Höhe dem Drada^ proportional ist, liegt daran, dass die Arbeit zur Hebung des Quecksilber^ bei einem kleinen Steigen des Manometers gleich ist der entsprechenden; Arbeit, die der Druck bei der gleichzeitigen Änderung des Volums im Manometer leistet. Es kann überhaupt kein Manometer geben, bei

Übersicht. 213

weldiem nicht durch den zu messenden Druck eine Volumänderung be- wirkt und daher. eine Volumarbeit geleistet wird, und die Theorie jedes Manometers beruht auf der Gleichsetzung dieser Arbeit mit irgend einer anderen, durch deren Leistung es bethätigt wird.

Durch die Berechnung der Arbeit bei einer Eonzentrationsänderung der Lösung erfahren wir also den Druck, der in ihr herrscht, und können die dritte Grösse in der Gafigleichung feststellen. Daraus folgt, dass jeder beliebige Vorgang, durch welchen eine Änderung im Gehalte einer Lösung bewu*kt wird, die Berechnung des osmotischen Druckes gestattet, vemi man nur den Vorgang wenigstens theoretisch so leiten kann, dass er umkehrbar ist, und man also den Höchstwert der entsprechenden Arbeit berechnen kann. Ein jeder derartiger Vorgang kann also auch als Grundlage einer Methode der Molekulargewichtsbestimmung dienen.

Andererseits kann bei bekanntem Molekulargewicht für jeden Vorgang, [weldier die Konzentration einer Lösung ändert, auf Grund der osmo- tischen Gesetze die zugehörige Arbeit berechnet werden. Da nach dem «weiten Hauptsatze dieser Arbeitsbetrag unabhängig von dem Wege ist, auf welchem er gewonnen wird, wenn dieser nur umkehrbar ist, so ist durch die Berechnung der osmotischen Arbeit auch gleichzeitig der Be- trag irgend einer anderen Energie festgelegt, die in Gestalt von Arbeit ans dem Gebilde gewonnen werden kann, wenn die Lösung eine be- kannte Änderung der Konzentration (eines oder mehrerer Stoffe) erleidet. Daraus ergeben sich dann die Gesetze für die Umwandlung der chemischen Energie in die anderen Formen, denn die chemischen Vorgänge lassen sieh meist darauf zurückführen, dass in einem gegebenen Räume die Menge, imd damit die Konzentration vorhandener Stoffe eine Änderung erleidet. Selbst in den Fällen, wo unmittelbar keine Änderung der Konzentration fvorliegt, wie beim Entstehen und Verschwinden eines festen Stoffes, ist es möglich, von den gleichen Gesichtspunkten aus Gesetze für das Ver- halten unter solchen Umständen aufzustellen, so dass die Lehre vom osmotischen Druck in der That eine fast unübersehbare Anwendung finden kann.

Diesem weiten Umfange ihrer Bedeutung gegenüber darf nicht ver- gessen werden, dass die oben abgeleiteten Gesetze nur für verdünnte Lösungen gelten, und im Falle konzentrierterer durch verwickeitere Ge- setze ersetzt werden müssen, deren Kenntnis nur in geringem Grade Torgeschritten ist. Thatsächlich haben wir in den unmittelbaren und mittelbaren Beziehungen aus den einfachen Formeln nur Grenzgesetze, Äe in jedem vorliegenden Fall eine Untersuchung darüber verlangen, innerhalb welcher Gebiete ihre zahlenmässige Anwendbarkeit gesichert ist.

214 V. Die verdünnten Lösungen.

Siebentes Kapitel. Salzlösiingen.

Wie schon erwähnt wurde, weicht eine grosse Gruppe von Stoffen, nämlich die Säuren, Basen und Salze, in wässerigen Lösungen von den einfachen Gesetzen ab. Es ist dies keine Eigenschaft, die diesen Stoffen als solchen immer anhaftet, denn in den meisten anderen Lösungsmitteln verhalten sie sich ganz normal und lassen genau die aus den Molekular- gewichten berechneten Einflüsse erkennen. Ebenso zeigt das Wass« anderen Lösungsmitteln gegenüber keinerlei Ausnahmestellung, wenn man indifferente Stoffe darin löst. Die Ausnahme tritt nur ein, wenn die erwähnten Stoffe in Wasser gelöst werden, und ist eiu Ergebnis der Wechselwirkung beider Faktoren^).

Das Molekulargewicht der genannten Stoffe ergiebt sich, wenn man es nach einer der vorerwähnten Methoden an ihren wässerigen Lösungen bestimmt, stets kleiner, als es nach der chemischen Formel sein sollte. Ist M das der Formel entsprechende Molekulargewicht, und M^ das in wässeriger Lösung gefundene, so kann man M = iMw setzen, wo i eine Zahl darstellt, die stets grösser als Eins ist und bis 4 oder 5 wachsen kann. Dabei ist zu beachten, dass die verschiedenen Methoden an ein und derselben Lösung den gleichen Wert für i geben ^ eine Lösung von Ohlorkalium, für welche i nahezu gleich 2 ist, zeigt nicht nur eine doppelt so grosse Erniedrigung des Gefrierpunktes, als der Formel entspricht, sondern auch die Verminderung des Dampfdruckes, sowie der osmotische Druck sind in ganz demselben Verhältnis 2:1 zu gross. Die Zahl i ist daher nicht von der benutzten Methode abhängig, sondern nur von der Natur des gelösten Stoffes, und einigermassen von der Konzentration sowie von der Temperatur.

Es ist schon oben auf die Erklärung dieser Erscheinung hingewiesen worden. Man muss annehmen, dass die fraglichen Stoffe in ihren Lösungen dissodiert, d. h. in Verbindungen von einfacherer Zusammen- setzung gespalten sind, ähnlich wie Chlorammonium in Dampfgestalt dissociiert ist. Fi'eilich handelt es sich hier um eine Dissociation besonderer Art, die im engsten Verhältnis zu den elektrischen Eigenschaften dieser Lösungen steht, und die weiter unten in dem Buch über Elektrochemie eingehender erklärt werden wird. Hier soll nur betont werden, dass unter Rücksichtnahme auf den Faktor i auch die Lösungen der Salze,

*) Es soll schon hier erwähnt werden, was später sich für die Theorie dieser Erscheinung als von entscheidender Wichtigkeit erweisen wird: dass nämlich die Lösungen, welche diese Ausnahmestellung ein- nehmen, und nur diese, Elektrolyte sind. Beide Eigenschaften sind ausnahmslos miteinander verbunden. Ausser Wasser haben einige andere Lösungsmittel, wie Aceton, flüssiges Ammoniak, reine Salpetersäure die gleiche Eigenschaft^ doch meist in geringerem Grade,

Salzlösungen.

215

Säuren und Basen sich den allgemeinen Gesetzen der Lösungen unter- ordnen.

Mit dieser Thatsache stimmt auf das beste das gesamte Verhalten der Salzlösungen überein. Während es ein charakteristisches Kennzeichen der chemischen Verbindungen ist; dass die Eigenschaften der Bestandteile, ans denen sie sich bilden, in der Verbindung verschwunden, oder doch mehr oder weniger verändert sind, zeigen die verdünnten Lösungen der Salze im Gegenteil eine auffällige Unabhängigkeit der Eigenschaften ihrer einzelnen Bestandteile von der Natur der anderen. So haben alle verdünnten Ijösungen von Nickelsalzen dieselbe grüne Farbe; eine genauere Unter- snchung der Farbstärke zeigt sogar, dass diese gleich ist, wenn gleiche Mengen Nickel vorhanden sind, unabhängig davon, mit welcher Säure das Nickel verbunden ist. Ebenso kann man an allen löslichen Bichromaten oder Permanganaten dieselbe Färbung beobachten, und die Natur des Metalles hat darauf nicht den geringsten Einfluss^).

Was hier für die Farbe gesagt worden ist, findet auf alle anderen Eigenschaften der Salzlösungen Anwendung. In einer noch etwas un- vollkommenen Gestalt ist diese Thatsache von Valson (1874) an den spezifischen Gewichten äquivalenter Salzlösungen beobachtet und in das sogenannte Gesetz der „Moduln" gefasst worden.

Ordnet man die spezifischen Gewichte verschiedener Lösungen, welche auf gleich viel Wasser äquivalente Mengen verschiedener Salze enthalten, in eine Tabelle so ein, dass alle Salze mit gleicher Basis in je eine senkrechte, alle Salze mit gleicher Säure in je eine wagerechte Keihe kommen, so zeigen sich die Unterschiede entsprechender Glieder der Reihen nach beiden Richtungen konstant. Daraus geht hervor, dass das spezifische Gewicht äquivalenter Salzlösungen sich aus zwei Gliedern additiv zusammensetzt, von denen das eine nur von der Säure, das andere nur von der Basis abhängt.

Valson wählte eine normale Ghlorammoniumlösung (53-5 g im Liter), deren spezifisches Gewicht 1«015 ist, als Ausgangspunkt, und bestimmte dazu folgende Addenden (in Einlieiten der dritten Stelle) zur Berechnung der spezifischen Gewichte der anderen Lösungen:

Kalium

30

Eisen

37

Brom

34

Natrium

25

Zink

41

Jod

64

Calcium

27

Kupfer

42

Sulfate

20

Magnesium

20

Cadmium

61

Nitrate

15

Strontium

55

Blei

103

Carbonate

14

Baryum

73

SUber

105

BicArbonate

16

Mangan

37

Chlor

0

Um z. B. die Dichte einer

normalen

Calciumnitratlösung zu

erhalten.

hat man zu 1-015

die

Konstante 27

ftir Calcium und 15 für

Salpeter-

') Einige scheinbare Ausnahmen werden später ihre Erklärung finden.

216 ^- ^i® verdünnten Lösungen.

säure zu addieren, woraus sich 1*057 ergiefot, nahe übereinstimmend mit dem Versuche.

Ausser den eben erwähnten Eigenschaften haben sich bisher auch alle anderen, die man daraufhin untersucht hat, dem gleichen Gesetz unterworfen gezeigt: die Eigenschaften der Salzlösungen setzen sich ans zwei Summanden zusammen, von denen der eine nur von dem Metall (oder dem metallähnlichen Radikal, wie Ammonium) und der andere nur Yon dem Halogen oder dem entsprechenden Radikal abhängt

Salze verhalten sich mit anderen Worten in ihren verdünnten Lo- sungen so, als wären ihre Bestandteile gar nicht verbunden; denn die Ändenmg der Eigenschaften, die ftlr die Thatsache der Verbindung charakteristisch ist, bleibt hier aus. Nimmt man hierzu die andere That- sache, dass die Salzlösungen , und nur diese, nach ihren osmotischen Eigenschaften auf mehr Molekeln schliessen lassen, als sich aus ihrer Formel ergeben, so wird man zu der Annahme geftihrt, dass dies letztere thatsächlich der Fall ist, und dass in den verdünnten wässerigen Lö- sungen die Salze nicht als Verbindungen enthalten sind, sondern nur in ihren Bruchstücken.

Welches sind nun diese Bruchstücke? . Die Antwort ist unzweifel- haft in solchen Fällen, wo die Salze nur aus zwei Elementen bestehen. Die Bruchstücke des Chlomatriums können nur Chlor und Natrium, oder Verbindungen dieser Elemente mit dem Lösungswasser sein^). Nun zeigen die Lösungen des Chlomatriums allerdings keine von den Eigen- schaften des elementaren Chlora; doch sind wir auch gar nicht berechtigt, dies in der Lösung anzunehmen. Denn dies Chlor hat das durdi die Formel Cl* bezeichnete Molekulargewicht von 71, während das Molekular- gewicht des in Chlomatriumlösung anzunehmenden Chlors nicht anders, als durch die Formel Cl dargestellt werden kann, da sein Zahlenwert 35*5 ist Wenn also wirklich elementares Chlor in der Chlomatrium- lösung enthalten ist, so muss es eine allotrope Form des gewöhnlichen Chlors sein.

Ähnliche Überlegungen sind ftir den anderen Bestandteil des Chlor- natriums anzustellen; das in den Lösungen enthaltene Natrium hat nicht die Eigenschaften des gewöhnlichen metallischen Natriums, und wir be- trachten es gleichfalls als eine allotrope Form desselben.

^) Man hat gelegentlich angenommen, dass die Bruchstücke sich mit dem Wasser so umsetzen, dass statt des Chlors und Natriums beispielsweise Chlorwasserstoff und Natriumhydroxyd vorhanden sind. Eine solche Annahme widerspricht den Thatsachen, denn wenn man Lösungen dieser beiden Stoffe mit einander yermischt, so erfolgt eine bedeutende Wärmeentwickelnng, eine Yolumänderung und eine Reihe anderer Erscheinungen, welche beweisen, dass beide Stoffe nicht unverändert nebeneinander bestehen können, sondern auf- einander' chemisch einwirken.

Salzlösungen. 217

Hieraus ergeben sich die Formeln der Bestandteile zusammenge- setzterer Salze durch Analogie. Natriumverbindungen irgend welcher Art können als einen Bestandteil nur dies allotrope Natrium enthalten^ und der andere Bestandteil ist demnach das^ was ausser dem Natrium im Salze enthalten ist. Das gleiche gilt für die Chloride. Es schliessen sich also dem allotropen Chlor die Atomgruppen NO^ der Nitrate, SO* der Sulfate, ClO^ der Chlorate, CIO* der Perchlorate an, während andererseits das Ammonium NH* und die analogen metallähnlichen Radikale dieselbe Rolle spielen, wie das Natrium. Um einen kurzen Namen für diese Stoffe zu haben, nennen wn» sie Ionen ^), und zwar die dem Natrium analogen Ionen Kationen, die dem Chlor analogen Anionen.

Gegen die Annahme dieser Bestandteile kann man das Bedenken geltend machen, dass sie nie för sich dargestellt worden sind, und ihre Existenz daher ganz hypothetisch ist Die Antwort ist einerseits, dass die elektrischen Eigenschaften, welche diese Bestandteile oder Ionen er- fahrungsmässig zeigen, mit Notwendigkeit die Unmöglichkeit ergeben, sie emzeln in solcher Menge anzuhäufen; dass sie flir sich untersucht werden können; vielmehr können sie wegen dieser Eigenschaften immer nur so beobachtet werden, dass chemisch äquivalente Mengen Anionen und Kationen, gleichgültig in welcher Zusammenstellung, in einer ge- gebenen Lösung gleichzeitig anwesend sind.

Andererseits aber kann man antworten, dass die Existenz dieser Ionen dadurch gesichert ist, dass sie besondere Eigenschaflien aufweisen, als deren Summe die Eigenschaften der Salzlösungen erscheinen. Am deutlichsten werden diese Verhältnisse aus den Thatsachen, die der ana- lytischen Chemie zu Grunde liegen. Hier giebt es kaum Reaktionen auf einzelne Salze, sondern fast nur solche auf Ionen. Baryumchlorid ist z. B. kein Reagens auf Natriumsulfat oder Schwefelsäure, sondern eines auf das Ion SO*, denn alle beliebigen Salze, in denen dieses vorkommt, geben mit Baryumchlorid einen Niederschlag. Ebenso ist Schwefelsäure, oder vielmehr irgend ein das Ion SO* enthaltendes Salz ein Reagens auf das Ion Ba, denn jedes Baryumsalz giebt mit Schwefelsäure oder einem beliebigen anderen Sulfat den Niederschlag. Diese Beispiele Hessen sich ins Unbegrenzte vermehren*).

Wir werden daher in der Folge die Salzlösungen als binäre Ge- mische ihrer Ionen betrachten. Eine grosse Zahl späterer Erörterungen wird zeigen, dass ausser den Thatsachen, die sich um den osmotischen Druck und die daraus bestimmten Molekulargewichte, um die physi-

*) Die Bezeichnung rührt von ihren elektrischen Eigenschaften her, die weiter unten erläutert werden sollen.

*) Ausführliches hierüber findet sich in des Verfassers Wissenschaftlichen Grundlagen der analytischen Chemie, 2. Aufl. Leipzig 1897.

218 ^- Systematik.

kaiischen Eigenschaften und um die analytischen Reaktionen gruppieren lassen^ auch die elektrochemischen Verhältnisse und die chemisehen Gleichgewichte der Salzlösungen nicht nur die gleiche Auffassung ge- statten, sondern sie als die einzig durdifuhrbare fordern.

Sechstes Buch.

Systematik.

Erstes Kapitel. Die Wahl der Verbindungsgewichte.

Durch die Analyse geeigneter Verbindungen der Elemente ergeben sich deren Verbindungsgewichte nicht eindeutig. Denn es werden da- durch zwar die Zahlen festgestellt, nach welchen sich die Elemente vereinigen können; aber ausser diesen Zahlen treten noch die durch das Gesetz der multiplen Proportionen bedingten rationalen Faktoren auf, und über deren Festsetzung ergeben die stöchiometrischen Grund- gesetze keine Auskunft.

Es ist mit anderen Worten durch den Nachweis, dass mit 16 Teilen Sauerstoff sich einerseits 1008 Wasserstoff, andererseits 12-00 Kohlen- stoff verbinden können, zwar auch festgestellt worden, dass sich Wasser- stoff und Kohlenstoff nur in dem Verhältnis mX 1-008 zu nX 12-00 verbinden können, wo m und n ganze Zahlen sind; aber diese Forderung kann auch erfüllt werden, wenn statt der Zahlen 1-008 und 1200 irgend ein rationales Vielfaches oder ein rationaler Bruchteil davon der Rechnung zu Grunde gelegt wird.

Wenn alle Elemente sich untereinander nur in einem Verhältnis vereinigten, so könnte man diesen Zweifel dadurch vermeiden, dass man als Verbindungsgewichte eben die Werte wählte, die diese Verhältnisse ausdrücken; dann würde jede Verbindung immer je ein Verbindungsge- wicht der darin vorhandenen Elemente enthalten. Dies ist aber nicht der Fall; vielmehr besagt das Gesetz der multiplen Proportionen, dass diese Verhältnisse verschieden sein können, und die Erfiahrung lehrt, dass sie es in der tiberwiegenden Mehrzahl der Fälle auch sind.

Es liegt hier somit noch eine Unbestimmtheit vor, und die Lehre von den Verbindungsgewichten ist in der Lage, noch weitere Beziehungen suchen zu müssen, um die hier vorhandene unerwünschte Freiheit so einzuschränken, dass eine eindeutige Bestimmung der „richtigen", d. h. der zweckmässigsten Verbindungsgewichte möglich wird.

Die mit dem Gesetz der Verbindungsgewichte in unmittelbarer Be- ziehung stehende Atomhypothese hat dieses weitere Bestimmungsstück nicht

Die Wahl der Verbindangsgewichte. 219

liefern können. Zwar verlangt sie auch, dass unter den möglichen Verbindungs- gewichten nur eines das Atomgewicht sein könne; sie giebt aber kein unab- hängiges Kriterium för die Bestimmung dieses Wertes an die Hand.

Ein erster Versuch zur Gewinnung der Entscheidung wurde von Berzelius auf Grund des Gesetzes von Gay-Lussac über die Beziehungen zwischen Gasdichte und Verbindungsgewicht gemacht. Sind die Dichten der gasförmigen Elemente den Verbindungsgewichten oder einfachen rationalen Multiplen derselben proportional, so hat man die Möglichkeit, beide unmittelbar proportional zu setzen, und so eine eindeutige Wahl zu treffen. In der That stellte Berzelius zuerst dies Prinzip auf.

Er musste es indessen bald aufgeben. Denn wenn auch die Elemente sich auf diese Weise betrachten Hessen, so war es bei ihren Verbindungen nicht mehr möglich, ausser man verletzte den Grund- satz, dass das Verbindungsgewicht des zusammengesetzten Stoffes gleich der Summe der Verbindungsgewichte der Elemente sein müsse. Die hier auftretenden Schwierigkeiten sind bereits (S. 65) dargelegt worden. Sie haben sich durch die Entwickelung eines diesen Verhältnissen ange- passten neuen Begrifis, des Molekulargewichts, heben lassen, doch ge- hört diese Entwickelimg erst einer späteren Zeit an.

Berzelius, der um jene Zeit der fiihrende Forscher auf diesem Ge- biete war, musste sich daher mit weniger unzweideutigen Grundlagen be- gnügen. Er fand sie in den Prinzipien der Einfachheit und Ähnlich- keit, die er für die Formulierung der chemischen Verbindungen anstrebte.

Es wurden demgemäss die Verbindungsgewichte so bestimmt, dass die bekanntesten und wichtigsten Verbindungen möglichst einfache Formeln erhielten. Alsdann wurde dafür gesorgt, dass die Formeln solcher Stoffe, welche sich chemisch ähnlich verhalten, übereinstimmende Gestalt er- hielten. So giebt das Eisen zwei Sauerstoffv^erbindungen, welche auf 56 g Eisen 16 und 24 g Sauerstoff enthalten. Die einfachste Annahme ist, dass in dem ersten Oxyd gleiche Atome Eisen und Sauerstoff ent- halten seien, im zweiten auf zwei Atome Eisen drei Atome Sauerstoff. Nähme man nämlich für das zweite Oxyd das Atomverhältnis 1:1 an, so müssten im ersten auf drei Atome Eisen zwei Atome Sauerstoff ent- halten sein, was Berzelius weniger einfach erschien. Denn wenn auch die Formebi der Eisenverbindungen selbst durch die getroffene Wahl nicht einfacher wurden, so giebt es doch eine grosse Anzahl von anderen Oxyden, welche dem niederen Oxyd des Eisens ähnlich sich verhalten, und in denen nach dem zweiten Grundsatze somit auch überall drei Atome Metall und zwei Atome Sauerstoff angenommen werden müssten. Andererseits erteilte Berzelius dem Aluminiumoxyd die Formel Al^O^, welche zwar weniger ein&ch ist, als die Formel AlO, und auch durch keine andere Verbindung von Aluminium und Sauerstoff notwendig ge- macht wird, nur aus dem Grunde, weil das Aluminiumoxyd in seinen Yerbindungsverhältnissen die grösste Ähnlichkeit mit dem Eisenoxyd hat.

220 ^- Systematik.

Trotz der Unbestimmtheit dieser Gnmdlagen hat Berzelins mit ihrer Hilfe ein System der Verbindungsgewichte geschaffen ; welches in der Zukunft nur eine wesentliche Änderung erfahren hat: die Halbienmg der Verbindungsgewichte der Alkalimetalle^ welche Berzelius denen der Erd- alkalimetalle äquivalent angenommen hatte.

Ein unabhängiges Mittel f^ die Wahl schien sich dann durdi die Entdeckung von Dulong und Petit über die Wärmekapazität der ele- mentaren Stoffe (S. 188) zu ergeben. Aber ein besonderes Missgeschiek vereitelte zunächst diese Hilfe. Unter den mitgeteilten Messungen be- fanden sich auf Kobalt und Tellur bezügliche, nach denen die unzweifel- haft vorhandene chemische Ähnlichkeit des ersteren mit dem Nickel und des anderen mit dem Schwefel nicht hätte in der Formel zum Ausdruck kommen können. Es lag dies daran, dass die Messungen an unreinen Stoffen ausgeführt worden waren; da sie indessen einstweilen nidit wiederholt wurden, war Berzelius ganz im Eecht^ wenn er die Annahme der aus diesem Prinzip sich ergebenden Schlüsse für unzulässig vom chemischen Standpunkte aus erklärte.

Die Entdeckung der Isomorphie gewährte (S. 180) ein weiteres wertvolles, weil objektives Kennzeichen der chemischen Ähnlichkeit Die Verbindungsgewichte waren so zu wählen, dass die Formeln isomorpher chemischer Verbindungen die gleiche Gestalt erhielten.

Dies Mittel bestätigte überall die von Berzelius getroffenen Ent- scheidungen, war aber zunächst nur innerhalb engerer Grenzen anwend- bar und wurde bei seiner weiteren Anwendung dadurch vielfach behindert, dass die Methoden zum Nachweis des wirklichen Isomorphismus und zu seiner Unterscheidung von zufölügen Übereinstimmungen der Winkel sich nur langsam entwickelten.

Durch das weit verbreitete Handbuch von Gmelin kam dann eine Auswahl von Verbindungsgewichten in ausgedehnte Annahme, welche zwar mit dem Ansprüche aufgestellt waren, dass sie blosse Äquivalent- gewichte darstellten; doch sind sie thatsächlich nur eine recht zweck- mässige Wahl aus den verschiedenen durch das Gesetz der multiplen Proportionen gegebenen Äquivalenten, da ja eine eindeutige Bestimmung derselben nicht möglich ist.

Durch die in den vierziger Jahren erfolgende' Entwickelung der organischen Chemie erfolgte gleichzeitig eine Ausgestaltung des Molekular- begriffes, durch weldien ein unabhängiges Mittel gefanden wurde, zwar nicht die Verbindungsgewidite der Elemente, wohl aber die Molekular- grösse der Verbindungen festzustellen. Die Verbindungsgewichte der Elemente mussten dann so bemessen werden, dass keine* Bruchteile in den Formeln auftraten. Dadurdi war wenigstens eine obere Grenze für sie festgelegt. Eine untere Grenze ergab sich daraus, dass man die Ver- bindungsgewichte so gross nahm, als es nur ohne Verletzung jener Forderung mögUch war. Die hieraus sich ergebenden Verbindungsge-

Die Wahl der Yerbindungsgewichte. 221

widbte der Elemente wurden insbesondere von Gerhardt und seiner Schule angewendet.

In diese Verwirrung hinein kam eine Abhandlung von Canizzaro (1858)^ in welcher gezeigt wurde, dass alle die bisher benutzten Grund- lagen für die Wahl der Yerbindungsgewichte bei angemessener An- wendung zu gleichen Ergebnissen führen. Das Gesetz von Dulong und Petit war durch die inzwischen mitgeteilten genaueren Bestimmungen von Regnault durchführbar geworden (ausser fQr die Elemente mit kleinem Yerbindungsgewicht), und die Grundsätze der Einfachheit und Ähnlichkeit Hessen sich unter gleichzeitiger Befriedigung der Forderungen der Molekulartheorie wahren.

So wurde es möglich gemacht, eine einwurfsfreie Wahl zwischen den möglichen Yerbindungsgewichten zu treffen, welche von der Wissenschaft jetzt ausnahmslos angenommen worden ist. Auch die inzwischen ent- deckten neueren Hil&mittel haben nur zur Bestätigung dieses Systems gedient

In der nadistehenden Tabelle sind die Gründe kurz zusammenge- stellt, welche zu den gegenwärtig gebräuchlichen Annahmen bei den emzelnen Elementen geführt haben.

Wasserstoff, H=1008, dient als Ausgangspunkt.

Sauerstoff, 0=16, aus dem Yolum Verhältnis zum Wasserstoff 1:2 bei der Wasserbildung; aus der Gleichheit der Atomwärme mit Wasserstoff im Gaszustande.

Stickstoff, N= 14*04, aus dem Yolumverhaltnis zum Wasserstoff 1:3 bei der Yerbindung zu Ammoniak, und zum Sauerstoff bei den entsprechenden Yerbindungen; aus der Gleichheit der Atomwärmen mit gasförmigem Sauerstoff und Wasserstoff.

Kohlenstoff, G = 12. Aus den Dampfdichten organischer wie anorganischer Yerbindungen hat sich nie ein kleineres Molekulargewicht derselben, als dem Atomgewicht 0=12 entspricht, ergeben. Die spe- zifische Wärme giebt nur unsichere Anhaltspunkte.

Chlor, 01 = 35-45. Aus dem Yolumverhaltnis 1:1 bei der Yer- bindung mit Wasserstoff; aus den Yolumverhältnissen der Sauerstoffver- bindungen.

Brom, Br= 79-96, und Jod, J = 126-86, sind in ihren Yer- bindungen dem Chlor vollkommen analog, auch isomorph.

Fluor, F=190, ist, einigermassen unsicher, aus der Analogie mit den Chlorverbindungen bestimmt worden. In neuerer Zeit ist der Wert durch die Gasdichte des Fluors bestätigt worden.

Schwefel, S=3206, aus der Dampfdichte, den Yolumverhält- nissen des Schwefelwasserstoffs, sowie aus der spezifischen Wärme.

Selen, Se = 79-1, ist isomorph und analog mit Schwefel.

Tellur, Te = 127-3, ist isomorph und analog mit Schwefel und Selen.

Phosphor, P = 31-0, aus der spezifischen Wärme (etwas unsicher). Aus der Dampfdichte des Elementes selbst wäre zunächst ein doppelt so

222 VI. Systematik.

grosser Wert zu folgern gewesen, doch widerspricht dem die Gasdichte des Phosphorwasserstofls, aus welcher P = 31 folgt. .

Arsen, As = 75, aus der spezifischen Warme, der Gasdichte des Trichlorids und dem Isomorphismus mit Phosphor.

Silicium, Si = 28-4. Die spezifische Wärme giebt nur unsichere Auskunft. Dagegen wird die Zahl durch die Dampfdichte des Tetra- chlorids, sowie durch den Isomorphismus mit Titan und Zirconium sicher gestellt.

Bor, B = 110, aus den flüchtigen Borverbindungen.

Lithium, Li = 7-03, aus der spezifischen Wärme, die ausnahms- weise trotz des kleinen Atomgewichtes normal ist.

Natrium, Na = 23*06, aus der spezifischen Wärme.

Kalium, K = 39-14, aus der spezifischen Wärme.

Rubidium, Rh = 85-4, ist isomorph mit Kalium.

Cäsium, Gs=132'9, ist isomoiph mit Kalium und Rubidium.

Beryllium, Be = 90-8. Dies Element hat grosse Schwierigkeiten gemacht. Die spezifische Wärme ist, entsprechend dem kleinen Atom- gewicht, sehr klein, und ein imzweifelhafter Isomorphismus ist auch nicht nachgewiesen. Schliesslich hat eine Bestimmung der Dampfdichte des Berylliumchlorids die Entscheidung gebracht.

Magnesium, Mg = 24.36, aus der spezifischen Wärme.

Calcium, Ca = 40, aus der spezifischen Wärme.

Strontium, Sr=87-6, ist isomorph mit Calcium und Blei.

Baryum, Ba=1374, isomorph mit Calcium, Strontium und Blei.

Aluminium, AI = 27. Aus der Dampfdichte des Chlorids , wie aus der spezifischen Wärme.

Gallium, Ga=69'9. Dampfdichte flüchtiger Verbindungen, spezi- fische Wärme und Isomorphismus mit Aluminium fuhren zu gleichen Werten.

Scandium, Sc = 44-1, aus dem Isomorphismus mit Aluminium.

Cer, Ce=140, aus der spezifischen Wärme.

Lanthan, La =138-5, auf gleiche Weise.

Praseodym, Pr = 140-4 und Neodym, Nd = 143-6 sind im reinen Zustande nicht auf ihre spezifische Wärme untersucht worden. Doch gehen aus der entsprechenden Messung an dem früher Didym genannten Gemisch die angegebenen Atomgewichte sicher hervor.

Yttrium, Ytterbium und die anderen Erdmetalle aus der Analogie, resp. dem Isomorphismus mit Cer, Lanthan und den Didymen.

Eisen, Fe =56-0, aus der Dampfdichte der Chlorverbindung, der spezifischen Wärme und dem Isomorphismus mit Calcium.

Kobalt, Co = 59, aus der spezifischen Wärme und dem Isomor- phismus mit Eisen u. s. w.

Nickel, Ni = 58-7, aus der spezifischen Wärme und dem Isomor- phismus mit Eisen u. s. w.

Zink, Zn = 65-4, aus der spezifischen Wärme, dem Isomorphismus mit Magnesium und der Dampfdichte des Metalls wie der Chlorverbindung.

Die Wahl der Verbindungsgewichte. 223

Cadmium, Cd = 112-1; aus der spezifischen Wärme und der Dampfdichte.

Kupfer, Cu = 63-6, aus der spezifischen Wärme und dem Iso- morphismus mit Eisen u. s. w.

Silber, Ag= 107*9, aus der spezifischen Wärme und dem Iso- morphismus mit Natrium.

Quecksilber, Hg = 200-3, aus der spezifischen Wärme und der Dampfdichte des Metalls sowie seiner Halogenverbindungen.

Blei, Pb = 206-9, aus der spezifischen Wärme und der Dampf- dichte des Chlorids. Isomorph mit Calcium u. s. w.

Thallium, Tl = 204-1, aus der spezifischen Wärme, dem Iso- morphismus mit Kalium, Cäsium, Rubidium, sowie der Dampfdichte des Chlortirs.

Titan, Ti=48-1, aus der Dampfdichte des Chlorids und dem Isomorphismus mit Silicium und Zinn.

Zirconium, Zr = 90-6, aus der Dampfdichte des Chlorids und dem Isomorphismus mit Silicium, Titan und Zinn.

Zinn, Sn = 118-5, aus der spezifischen Wärme, der Dampfdichte des Chlorids und dem Isomorphismus mit Silicum, Titan und Zirconium.

Thorium, Th = 232-4, aus der spezifischen Wärme und dem Iso- morphismus mit Zirconium.

Vanadium, Vd = 51-3, aus der Dampfdichte des Chlorids und Oxychlorids und dem Isomorphismus mit Phosphor und Arsen.

Niobium, Nb=94-2, aus der Dampfdichte von Chloriden und Oxychloriden.

Tantal, Ta=183, aus der Dampfdichte flüchtiger Chlorverbin- dungen.

Antimon, Sb= 120-3, aus der spezifischen Wärme, der Dampf- dichte des Chlorids u. s. w. und der Analogie mit Arsen.

Wismut, Bi = 208-5, aus der spezifischen Wärme, der Dampf- dichte der Chlorverbindung und der Analogie mit Arsen und Antimon.

Chrom, Cr=52-1, aus der spezifischen Wärme, der Dampfdichte flüchtiger Verbindungen und dem Isomorphismus mit Eisen, Schwefel u.a.

Molybdän, Mo = 96-0, aus der spezifischen Wärme (zweifelhaft), der Dampfdichte flüditiger Verbindungen und dem Isomorphismus mit Chrom.

Wolfram, W=184, aus der spezifischen Wärme, der Dampf- dichte der Chlorverbindungen und der Analogie mit Chrom und Molybdän.

Gold, Au =197-2, aus der spezifischen Wärme.

Platin, Pt= 194-8, aus der spezifischen Wärme.

Iridium, Ir= 193-2, aus der spezifischen Wärme.

Osmium, Os = 192

Palladium, Pd = 106 ^ desgleichen. Rhodium, Rh = 103 ' ^ Ruthenium, Ru = 101-7

224 VI. Systematik.

Zu mancherlei Erörterungen haben die in den letzten Jahren ent- deckten seltenen Gase Argon, Helium und ihre Verwandten Anlass ge- geben. Da keine definierten chemischen Verbindungen von ihnen be- kannt sind, ist man auf die Gasdichte angewiesen, welche nur einen höchsten V7ert geben kann, da die Molekulargewichte dieser Elemente ja Vielfache ihrer Atomgewichte sein können. Das einzige ausserdeni vorhandene Hilfsmittel ist das Verhältnis der spezifischen Wärmen, welches beim Quecksilberdampf eine mit den Forderungen der kinetischen Hypothese übereinstimmende Entscheidung über die Beschaffenheit des Dampfes gegeben hatte (S. 95). Bei diesen Gasen zeigt sidi das Ver hältnis der spezifischen V^ärmen gleich dem beim Quecksilberdampf zu 1-667. Wenn man auch der kinetischen Hypothese keine entsdieidende Stimme wird zuschreiben wollen, so liegt doch in diesem Ergebnis mt nicht zu übersehende, von allen Hypothesen unabhängige Analogie mit dem Quecksilberdampf vor, dass eine entsprechende Formulierung ge- rechtfertigt erscheint, wenn andere Anhaltspunkte fehlen. Nun hat sLdi durch die Entdeckung des Neons in der That ein solcher weiterer An- haltspunkt auf Grund des periodischen Gesetzes gefunden (s.w.u.), und die Wahl He = 4, Ar = 40 u. s. w. erscheint gerechtfertigt

In der vorstehenden Tafel sind nur die wesentlichsten Momente zusammengestellt; eine grosse Anzahl weiterer bestätigender Beziehungen hat keine Erwähnung finden können.

Zweites Kapitel. Das periodisohe Gesetz.

Die umfassendste Bestätigung, welche die Angemessenheit der vor- stehend bestimmten Verbindungsgewichte gefunden hat, bilden die gesetz- mässigen Beziehungen, welche sich herausstellen, wenn man die Elemente nach der Grösse dieser Verbmdungsgewichte ordnet Dieselben sind kurz schon oben (S. 48) angedeutet worden. Sie bilden gegenwärtig neben den fiiiher erwähnten Mitteln ein weiteres von grösster Bedeutung, nm aus den möglichen Verbindungsgewichten das angemessenste zu bestimmen, und haben in vielen Fällen, wo die anderen Methoden versagt oder nicht deutiich genug gesprochen hatten, die Entscheidung gegeben.

Es sollen hier zur Ergänzung des fiHher Gesagten noch einige Zusammenstellungen von Eigenschaften der Elemente, sowie ihrer Ver- bindungen in Bezug auf das periodische Gesetz mitgeteilt werden. Derartige Forschungen sind ausser von den Entdeckern L. Meyer nnd D. Mendelejew noch insbesondere von Th. Camelley angestellt worden, und man kann in der That jetzt sagen, dass fast jede gut definierte und vergleichbare Eigenschaft eine periodische Funktion der Verbin- dungsgewichte ist

Das periodische Gesetz. 225

Über die chemischen Eigenschaften ist bereits früher das Nötige gesagt worden. Von den physikalischen Eigenschaften, zunächst der freien Elemente, zeigt die periodische Änderung am deutlichsten das Atomvolum, worauf zuerst L. Meyer hingewiesen hat. In der um- stehenden Fig. 31 sind die Verbindungsgewichte in horizontaler Linie als Absdssen, die Atomvolume vertikal als Ordinaten eingetragen, und die Endpunkte sind durch die starke Linie verbunden. Wie man sieht, er- scheint diese Linie als eine Reihe von immer grösser werdenden Wellen und bringt die Periodizität auf das Deutlichste zur Geltung. Die Elemente von ähnlichen chemischen Eigenschaften befinden sich stets an ähnlichen Orten der Wellenlinien; so nehmen die stark basischen Alkali- metalle überall den Gipfel ein, während unmittelbar vor ihnen die stark saurebildenden Halogene ihren Platz gefunden haben. Nach ihnen, in den nach rechts absteigenden Teilen der Wellen liegen die Erdalkali- metalle, die Erdmetalle u. s.w. mit abnehmenden basischen Eigenschaften, während die aufsteigenden Seiten die mehr und mehr säurebildenden Elemente beherbergen.

Eine zweite Eigenschaft von ebenso ausgeprägt periodischem Cha- rakter ist der Schmelzpunkt. Die entsprechende Kurve ist in der Fig. 31 mit schwachen Zügen angegeben, sie liegt etwa in der Mitte zwischen den Wellen der Atomvolume, und zeigt einen ausgesprochen doppelperiodischen Gang, indem sich je eine kleine und eine grosse Welle folgen.

Weitere Regelmftssigkeiten periodischer Natur haben sich bei folgenden Eigenschaften erkennen lassen: Molekularvolume analoger Verbindungen, Refraktionsäquivalente, Bildungswärme entsprechender Verbindungen, Leit- fähigkeit für Wärme und Elektrizität, Farbe, innere Reibung.

Doch mußs hervorgehoben werden, dass die Regelmässigkeiten, so- weit sie bis jetzt bekannt sind, noch sehr der wünschenswerten Schärfe und Bestimmtheit entbehren. Sie sind nicht von der Beschaffenheit, dass man aus den Eigenschaften der Nachbarglieder die der zwischen- liegenden Elemente berechnen kann; man kann sie nur annähernd sehätzen. Dies vermindert natürlich nicht den Wert der allgemeinen Erkenntnis, es macht nur deutlich, dass in der Angelegenheit noch wichtige Probleme ihrer Lösung harren.

Ein solches Problem ist die offenbare Zugehörigkeit einzelner Elemente zu verschiedenen Gruppen. So gehört Chrom durch sein ausgeprägt basisches Monoxyd zum Magnesium, und Zink, durch sein alaunbildendes Sesquioxyd, zu Aluminium und Gallium, während es durch seine Säure mit Molybdän und Wolfram vereinigt wird; nur die letzte Beziehung hat in der Tafel (S. 45) ihren Ausdruck gefunden. Kupfer gehört durch sein Oxydul und unlösliches Ghlorür allerdings zum Silber; beiden aber schliesst sich das Quecksilber aus der nächsten und das Thallium aus der dritten Reihe viel mehr an, als Natrium und Gold; andererseits verweist das Kupferoxyd dies Metall unzweideutig zu

Ostwald/'Grundriss. 8. Aufl. 15

Das periodische Gesetz. 227

Magnesium und Zink. Mangan könnte seinen Verbindungen MnO, Mn'O*, MnO*, MnO* und Mn*0' entsprechend in fünf verschiedenen Reihen unter- gebracht werden. Für alle diese und noch zahlreiche andere Beziehungen ist im periodischen System noch kein Ausdruck vorhanden.

Femer ist der eigentümlichen Verhältnisse zu gedenken, welche die Elemente mit dem niedersten Verbindungsgewicht zeigen. Mendelejew hat dieselben typische genannt, eine Bezeichnung, die das Gegenteil von dem aussagt, was der Wirklichkeit entspricht. Denn diese Elemente sind keineswegs Typen für die Reihen, an deren Eingang sie stehen, sondern sie zeigen eine ausgesprochene Neigung, mit ihren Eigenschaften in die nächste Reihe hinüberzugreifen. Das Lithium bildet ein schwerlösliches Carbonat und ein leichtlösliches Bicarbonat, wie die zwei- wertigen Erdalkalimetalle und entgegen dem Verhalten der Alkalimetalle. Das Beryllium ist in seinem Verhalten dem Aluminium so ähnlich, dass es bis zur Bestimmung der Dampfdichte seines Chlorids von vielen Chemikern für dreiwertig gehalten wurde. Das dreiwertige Bor ist keinem Elemente in seinen Eigenschaften im freien Zustande sowie in seinen Verbindungen ähnlicher, als dem vierwertigen Silicium. Fluor bildet mit Vorliebe Verbindungen, in denen es sidi wie ein zweiwertiges Element verhält Auch für diese Eigentümlichkeiten hat das periodische System noch keinen rationellen Ausdruck gefanden.

Auch sind die Unterschiede der Zahlenwerte der Verbindungsgewichte beim Fortschreiten in der Reihe keineswegs konstant, sondern schwanken vom ein- fachen bis zum doppelten. Und zwar findet sich dies bei Verbindungsgewichten, die so genau bekannt sind, dass die Hoffnung, ihre Zahlenwerte durch spätere genauere Bestimmung in regelmässige Abstände zu bringen, in keiner Weise gehegt werden darf. Vielleicht wird es aber möglich sein, späterhin diese Unregelmässigkeiten mit den anderen vorhandenen Unregelmässigkeiten in ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis zu bringen und so ein Gesetz in ihnen zu entdecken. Das periodische System macht gegenwärtig den Eindruck, als seien über ein an sich regelmässiges Schema die Elemente einigermassen willkürlich hingestreut, so dass nicht jedes genau an den ihm zukommenden Ort gelangt ist.

Trotz alledem darf man nicht anstehen, die Erkenntnis, dass die ; Eigenschaften der Elemente und ihrer vergleichbaren Verbindungen perio- dische Funktionen der Verbindungsgewichte sind, als einen der wichtigsten Fortschritte anzuerkennen, welchen die wissenschaftliche Chemie in neuerer Zeit gemacht hat. Die Betrachtungsweise hat ihre Feuerprobe bereits mehrfach bestanden, sowohl in der Voraussagung der Eigenschaften noch unbekannter Elemente, wie durch die Fingerzeige zur Korrektur felsch bestimmter Verbindungsgewichte. Auch sei hier nochmals der innige Zusammenhang betont, welcher zwischen dem periodischen System und den anderen Grundlagen für die Auswahl der richtigen Verbindungsgewichte be- ■> steht Jeder Versuch, an einem anderen System von Verbindungsgewichten,

15*

228 VI. Systematik.

etwa an den Gmelinschen ^ Äquivalenten ^^ ähnliche umfassende Beg^l* mässigkeiten zu finden, schlägt fehl, so dass das periodische Gesetz nebffl dem Isomorphismus, dem Dulong-Petitschen Gesetz und dem Avogadro- schen Prinzip eine gleichwertige Stellung zur Bestimmung der wahres Verbindungsgewichte einnimmt.

Drittes Kapitel.

Die Molekulartheorie.

Es ist bei Gelegenheit der Besprechung der einzelnen EigensehafteB der Stoffe auf den dreifachen Charakter derselben schon wiederholt hm- gewiesen worden. Einzelne Eigenschaften erleiden durch den Vorgang der chemischen Bindung überhaupt keine Änderung; sie sind unabhängig von dem Zustande des Elements und ihre Werte finden sich daher in den Verbindungen als Summen der entsprechenden Werte der einzehien Elemente wieder. Es sind dies die additiven Eigenschaften, deren reiner Typus die Masse ist, welche bei allen chemischen Vorgängen vollkommen unverändert bleibt Wesentüch additiv erwies sich femer noch die Wäraiekapazität. Das Molekularvolum und die Molekular- refraktion haben in der Hauptsache auch noch additiven Charakter; die Eigenschaften der Elemente gehen aber nicht immer mit demselben Wert in die den Verbindungen entsprechenden Summen ein, sondern weisen je nach der Art, wie sich die Elemente chemisch bethätigen, dne grosse Mannigfaltigkeit auf

Hierdurch gehen die additiven Eigenschaften in die konstitutiven über, welche abgesehen von den Eigenschaften der zusammensetzenden Elemente noch von weiteren chemischen Eigentümlichkeiten der entstandenen Verbindungen abhängen. Ausser der Masse, welche rein additiv istf sind alle annähernd additiven Eigenschaften mit konstitutiven Anteilen behaftet, und sie unterscheiden sich wesentlich durch den verhältnis- mässigen Betrag der letzteren. Aber auch bei den am meisten kon- stitutiven Eigenschaften, wie die Farbe oder die optische Drehung, macht sich doch innerhalb engerer Grenzen ein annähernd additiver Gharakttf geltend, der die Grundlage für die Schematisierung solcher Grössen liefert

Ganz verschieden von diesen Eigenschaften sind die, welche fmh&t (S. 73) bereits kolligative genannt worden sind. Sie zeigen sich ganz unabhängig von der Art und Zahl der zusammensetzenden Ele- mente, so dass sie filr gewisse Mengen der verschiedenartigsten Stoffe gleiche Werte annehmen.

Man kann also die Formehi der Stoffe so wälilen, dass sie Stoff- mengen dai'stellen, fui* welche die koUigativen Eigenschaften gleiche Werte annehmen. Die so gewonnenen Formeln ergeben wichtige Vor-

Die Molekulartheorie. 229

teile f&r die chemische Systematik, und die auf diese Weise erhaltenen Zahlen sind als die Molekulargewichte bekannt.

Es ist bereits (S. 7*2) dargelegt worden, dass dieser BegriflF zwar ent- wickelungsgeschichtlich mit besonderen Hypothesen über die Beschaffenheit der Materie und ihre Zusammensetzung aus sich frei durch einander bewegen- den kleinsten Teilchen zusammenhängt, in seiner chemischen Bedeutung aber unabhängig von solchen Annahmen ist. In gleicher Weise ist das Gesetz von der Erhaltung der Masse bei chemischen Vorgängen unabhängig von der Atomhypgthese und von der Annahme, dass die Elemente noch in ihren Ver- bindungen fortbestehen, wenn auch die Entdeckung und Entwickelung dieses Gesetzes unter ihrem Einflüsse stattgefunden hat.

Besonders nutzbringend hat sich der Molekularbegriff bei der Systematik der organischen Verbindungen erwiesen. Bei diesen, aus wenigen Elementen in den mannigfaltigsten Verhältnissen zusammenge- setzten Verbindungen ist er für das Verständnis der gegenseitigen Be- ziehungen von entscheidender Bedeutung geworden. Ebenso, wie bei der Wahl der Verbindungsgewichte zunächst das Äquivalenzprinzip durchzu- fahren gesucht wurde-, und erst langsam, nachdem sich das Gesetz der multiplen Proportionen immer wieder als unüberwindliches Hindernis solchen Versuchen entgegengestellt hatte, das gegenwärtige System sich Bahn gebrochen hatte, so versuchte man auch zunächst in der organischen Chemie mit den einfachsten Formeln auszukommen. Erst Grahams und namentlich Liebigs Untersuchungen über die mehrbasischen Säuren, Williamsons klassischer Nachweis, dass in den Äthem zwei Alkohol- radikale enthalten seien, und die Darlegungen von Laurent und Gerhardt, dass durch die Beziehung der Formeln auf gleiche Dampfvolume eine umfassende Systematik der organischen Verbindungen von einer bis dahin nicht erreichten inneren Konsequenz möglich sei, brachen der Molekular- theorie in der Chemie endgültig ihre Babn.

Die gegenwärtige Aufgabe der speziellen Chemie ist, wie im nächsten Kapitel dargelegt werden wird, die Konstitution der chemischen Ver- bindungen zu bestimmen. Die erste Grundlage zur Lösung dieser Auf- gabe ist nach der Bestimmung der chemischen Zusammensetzung und der Aufstellung der empirischen Formel, d. h. des einfachsten Atom Ver- hältnisses, welches die gefundenen Zahlen darstellt, die Ermittelung der Molekulargrösse oder des Molekulargewichts. Früher gab es nur ein Mittel für diesen Zweck: die Bestimmung der Dampfdichte. Das Mittel konnte natürlich nur für flüchtige Stoffe Anwendung finden, und versagte somit ausserordentiich oft.

Man sieht alsbald ein, dass man die Aufgabe durch die Messung jeder kolligativen Eigenschaft lösen kann. Denn kolligative Eigenschaften sind definitionsgemäss solche, welche fiir äquimolekulare Mengen der ver- schiedenen Stoffe gleiche Werte annehmen. Bestimmt man also, wieviel von dem Stoffe mit unbekanntem Molekulargewicht dazu gehört, um den gleichen Zahlenwert irgend einer kolligativen Eigenschaft zu ergeben,

230 VI. Systematik.

welchen eine bekannte Menge eines Stoffes von bekanntem Molekular- gewicht ergiebt, so müssen diese Mengen im Verhältnis der Molekular- gewichte stehen.

Kolligative Eigenschaften sind ausser bei Gasen bei Lösungen beobachtet worden, und zur Bestimmung von Molekulargewichten gelöster Stoffe kann jede der S. 193 bis 211 erörterten kolligativen Eigenschaften dienen, also der osmotische Druck, die Erniedrigung des Dampfdruckes und die des Erstarrungspunktes. Von diesen Methoden sind die beiden letzten am besten entwickelt; eine Molekulargewichtsbestimmung durch Siede- punktserhöhung oder Gefrierpunktsemiedrigung ist weit leichter und schneller auszuflihren, als eine Dampfdichtebestimmung.

Es erhebt sich hier die Frage, in welchem Verhältnis die nach den verschiedenen Methoden bestimmten Molekulargewichte stehen, insbesondere ob sie übereinstimmend ausfallen. Eine ziemlich umfassende Prüfung, welche seit Beckmann (1888) in dieser Richtung durchgeführt worden ist, er- gab eine sehr weitgehende Übereinstimmung der Ergebnisse dieses Ver- fahrens mit den durch die Dampf dichten gewonnenen. In einzelnen Fällen, wo auch durch die Dampfdichte eine Neigung zur Bildung von Doppelmole- keln nachweisbar ist, z. B. bei der Essigsäure, ergab sich, dass verschiedene Lösungsmittel verschieden wirken. In Wasser gelöst zerfällt die Essigsänre in normale Molekeln G'H^O^ in Benzol gelöst hat sie dagegen die doppelte Formel. I^as erste Lösungsmittel wirkt danach so auf die Essigsäure, wie eine hohe Temperatur oder ein kleiner Druck, das zweite umgekehrt. Auch für nicht flüchtige Sto^e, deren Molekulargrösse bisher nur aus ihren chemischen Reaktionen abgeleitet werden konnte, ergaben sich die aus den GeMerpunkts- erniedrigungen bestimmten Werte fast ausnahmslos übereinstimmend mit den aus chemischen Gründen abgeleiteten, so dass sich das Verfahren allseitig be- währte. Zu bemerken ist noch, dass, wenn eine Neigung zur Bildung von Doppelmolekeln vorliegt, wie sie sich bei vielen Hydroxyl enthaltenden Ver- bindungen findet, dieselbe in Benzollösung viel leichter und ausgiebiger zur Geltung kommt, als wenn der Stoff in Wasser, Essigsäure oder Phenol aufgelöst wird.

Die S. 212 gegebenen theoretischen Betrachtungen führen überein- stimmend mit der Erfahrung zu dem Schlüsse von der Gleichartigkeit der an Gasen und Lösungen bestimmten Molekulargewichte.

Durch die Entdeckung des kolligativen Charakters der erwähnten Eigenschaften von Lösungen hat die Möglichkeit der Molekulargewichts- bestimmung, welche früher auf flüchtige Stoffe beschränkt war, eine enorme Erweiterung erfahren, mdem sie gegenwärtig auf alle lös- lichen Stoffe sich ausdehnen läfist, d. h. auf fast alle Stoffe, die dem Chemiker überhaupt unter die Hand kommen. Es ist einleuchtend, wie sehr durch diese Möglichkeit die Erforschung unbekannter Stoffe gefordert wird; ist von einem neuen Körper das Molekulargewicht be- kannt, so wird das Gebiet der Möglichkeiten ftir seine rationelle Kon-

Die Molekulartheorie. 231

stitution sofort ausserordentlich eingeschränkt und eine Entscheidung wesentlich erleichtert

Mit der Dampfdruck- und der Gefrierpunktsmethode sind die Möglich- keiten der Molekuiargewichtsbestimmungen an Lösungen keineswegs er- sdiöpft, da sich ausserdem noch eine grosse Anzahl verschiedener Wege erdenken und praktisch ausföhren iässt^ um die Konzentration einer Lösung umkehrbar zu ändern (S. 212). Indessen liegt ein praktisches Bedürfiiis nach der Ausarbeitung weiterer Methoden kaum vor, und die erwähnten Beziehungen dienen vielmehr dazu, mit Hilfe der als bekannt vorausgesetzten Molekulargewichte andere Gesetzmässigkeiten zahlenmässig zu berechnen.

Was die kolligativen Eigenschaften bei reinen flüssigen Stoffen anlangt^ so ist eine solche in dem Temperaturkoeffizienten der moleku- laren Oberflächenenergie gefunden worden (S. 160). Die Ergebnisse dieses Verfahrens stimmen im wesentiichen mit den an Dämpfen und Lösungen gefdndenen iiberem. Man darf darauf die Vermutung gründen, dass zwischen beiden Methoden ein prinzipieller Zusammenhang besteht.

Eine zweite koUigative Eigenschaft ist durch die sogenannte Troutonsche Regel für die Verdampfungswärme gegeben, nach welcher der Quotient Ver- dampfiingswärme/Siedetemperatur (abs.) für äquimolekulare Mengen verschie- dener Stoffe nahezu gleich ist; Abweichungen von ihr deuten auf Abweich- ungen der Molekulargrosse.

Weitere Kriterien beziehen sich auf die kritischen Eonstanten und das Theorem der übereinstimmenden Zustände. Sie sind von Guye (1894) und Bamsay (1894) erörtert worden, und haben im allgemeinen Resultate ergeben, die mit den aus der Methode der Oberflächenspannungen erhaltenen überein- stimmen. Doch sind sie weniger bestimmt als diese, und es wird daher diese Andeutung genügen.

Über das Molekulargewicht fester Stoffe hat man auf folgende Weise Auskunft zu gewinnen versucht. Es giebt feste Stoffe von veränder- licher Zusammensetzung, auf welche man den Begriff der Lösung anzu- wenden versuchen kann. Solche Stoffe sind die isomorphen Gemische, femer Palladiumwasserstoff und ähnliche Dinge, endlich solche gleichförmige Gemische, die durch Zusammenkrystallisieren nicht isomorpher Stoffe entstehen, und von denen eine grosse Zahl nachgewiesen worden ist. Durch die Anwendung ähnlicher Überlegungen, wie sie zu den vern, schiedenen Methoden der Molekuiargewichtsbestimmungen an flüssigen Lösungen führen, hat man aus den Eigenschaften dieser Gemische Schlüsse auf die Molekulargrösse der beteiligten Stoffe gezogen, indem man sie nach dem Vorgange van't Hoffs als feste Lösungen auffasste.

Die Ergebnisse dieser Versuche, die indessen noch einigermassen zweifelhaft erscheinen, gehen dahin, dass im allgemeinen auch die festen Stoffe keine besonders zusammengesetzten Molekeln enthalten; die Mole- kulargewichte, die ftir sie berechnet worden sind, stimmen mit denen an Flüssigkeiten meist überein. Dies schliesst nicht aus, dass auch ftir ge-

232 VI. Systematik.

wisse feste Stoffe eine grössere ZusammengesetzÜieit anzunehmen ist; so kommt dem festen Schwefel schwerlich eine kleinere Formel zu, ate dem gelösten: im letzteren Falle aber kann sie bis Sg ansteigen.

Aus der Erscheinung der Polymorphie fester Stoffe ist firüher vielfach der Schluss gezogen worden, dass die festen Stoffe aus sehr zusammengesetzten Molekeln bestehen müssten, da die verschiedenen Formen nur durch die ver- schiedene Zusammenlagerung der chemischen Molekeln zu erklären sei.

Führt man die allotropen festen Stoffe in den flüssigen oder gasförmigen Zustand über, so bleibt gewöhnlich von ihren Verschiedenheiten nichts übrig. Der Dampf des roten Phosphors ist identisch mit dem des gelben, und eine Lösung von rhombischem Schwefel in Schwefelkohlenstoff unterscheidet sich in keinem Punkte von einer gleich zusammengesetzten Lösung, zu welcher monosymmetrischer Schwefel verwendet wurde. Umgekehrt kann aus derselben Lösung z. B. von Nickelsulfat, die man durch Abkühlen übersättigt hat, durch Einbringen eines entsprechenden Erystallfragments jede der mehreren Formen des Salzes erzeugt werden. Das Auftreten der sogenannten physikalischen Isomerie ist sonach ausschliesslich an den festen Zustand der Stoffe ge- bunden, und diese verschwindet, sowie dieselben in einen anderen Aggregat- zustand übergehen.

Während diese Erscheinungen sich ganz wohl im Sinne einer grossen Zusammengesetztheit der Erystallpartikeln im Verhältnis zu den chemischen Molekeln der Flüssigkeiten oder Dämpfe deuten lassen, stehen die oben er- wähnten Ergebnisse an festen liösungen im Widerspruch damit.

Viertes Kapitel. Theorie der chemischen Verbindungen.

Die chemischen Verbindungen stellen eine Mannigfeltigkeit besonderer Art dar^ deren Glieder sich teilweise und nach bestimmten Gesetzen in- einaader umwandeln lassen. Man könnte die Gesetzmässigkeit dieser Umwandlungen in all den mannigfaltigen Beziehungen, die dabei zu Tage treten, unabhängig von irgend welcher hypothetischen Vorstellung über hie Natur dieser Verbindungen entwickeln, und würde dadurch zu einer genetischen Systematik der chemischen Individuen gelangen, welche der gegenwärtig benutzten in vielen Stücken ähnlich, von ihr aber da- durch verschieden wäi*e, dass sie keine hypothetischen Elemente enthielte.

Indessen liegt zu einer solchen Darstellung nodi nicht einmal ein Versuch vor, und wenn ein solcher hier gemacht würde, so würde der Leser eine Sprache lernen, von der zwar gesagt werden darf, dass künftig jeder Chemiker sie sprechen wird, von der aber auch gesagt werden muss, dass sie heute noch nirgend gesprochen wird.

Theorie der chemischen Verbindungen. 233

Vielmehr ist bisher die gesamte Systematik der chemischen Um- wandiungsbeziehangen nur unter dem Bilde der Atomhypothese ent- wickelt worden. Dieses hätte nicht stattfinden können^ wenn nicht das Bild thatsächlich ein ausserordentlich glückliches wäre und eine nach vielen Seiten zutreffende Vorstellung von den wirklichen Verhältnissen vermittelte. Auch hat es bisher in den wichtigsten Punkten eine genügende Mannig- Mtigkeit gezeigt, um einen naturgemässen Ausdruck auch für solche neue Thatsachen zu ermöglichen, welche bei dem ursprünglichen Ent- wurf nicht vorgesehen waren. Aber es scheint, als ob diese Anpassungs- fähigkeit der Erschöpfung nahe sei, und man thut wohl, sich klar zu machen, dass nach der immer wiederholten Lehre, die die Geschichte der Wissenschaft uns giebt, an solches Ende früher oder später unver- mddlich ist.

Unter diesem Vorbehalt sollen die Hauptergebnisse der bisherigen Untersuchungen über die Eonstitutionsverhältnisse der chemischen Ver- bindungen in der üblichen Form der Atom- und Molekularhypothese entwickelt werden.

Von den zahlreichen Fragen über die Natur der chemischen Ver- bindungen hatte die Daltonsche Atomhypothese nur die eine beant- wortet, ob in diesen noch die Elemente als solche anzunehmen seien oder nicht, und zwar im bejahenden Sinne. Die chemische Verbindung war ein durch Aneinanderlagerung der Elementaratome entstandener Komplex. Über die relative Masse der Elementaratome gaben die in den beiden ersten Kapiteln des ftinften Buches dargelegten Thatsachen nnd Theorien Auskunft, über die Anzahl der Atome in solchen Komplexen konnte in bestimmten Fällen durch die Molekulartheorie und die derselben zu Grunde liegenden Beobachtungen Auskunft gewonnen werden. Im gegenwärtigen Kapitel soll uns die Frage nach den gegenseitigen Be- ziehungen der Atome innerhalb der Molekel beschäftigen.

In der That ist die Frage auch ebenso alt, wie die Atomtheorie selbst; seitdem man chemische Verbindungen sich aus Atomen zusam- mengesetzt vorstellte, suchte man sich auch über das Verhältnis der zu- sammensetzenden Atome klar zu werden.

Wie bekannt, rührt die erste durchgeführte Theorie der chemischen Verbindungen von Berzelius her, der dieselbe auf die von ihm studierten Erscheinungen bei der Elektrolyse von Salzen begründete. Er beobach- tete, dass am Kupferpole sich die Säuren, am Zinkpole die Basen, der von ihm hauptsächlich untersuchten Alkalisalze ansammelten, und nach dem alten Grundsatze Stahls: woraus etwas zusammengefuget ist und darein es wieder zerlegt werden kann, daraus besteht es, setzte er vor- aas, dass Säuren und Basen die Bestandteile der Salze sein müssten. Zwar gaben die bekannten Säuren und Basen bei ihrer Verbindung auch stets Wasser aus; dieses aber wurde in ihnen vorgebüdet angesehen und spielte in den Säuren die Rolle einer Basis, in den Basen die Rolle

234 VI. Systematik.

einer Saure; die eigentlich^i Säuren und Basen waren die bekannte

Verbindungen ohne das Wasser.

Gleichzeitig wurde die gewonnene Erkenntnis auf alle übrigen Stoffgruppen ausgedehnt. Auch Oxyde liessen sich elektrolytisch zer- setzen und gaben einerseits Sauerstoff, andererseits Metall; Berzelius sah daher ganz allgemein alle Verbindungen als aus zwei Anteilen gebildet an, welche durch elektrische Anziehungskräfte zusammengehalten and, wie sie durch solche getrennt werden können. Es entstand so das elektrochemische System, nach welchem die binäre Gliederung sich stufen- weise auch in den verwickeltsten Verbindungen geltend macht. Alaun z. B. bestand zunächst aus schwefelsaurem Thonerdekali und Wasser; letzteres war eine binäre Verbindung von Wasseratoff und Saaerstofi^ ersteres eine ebensolche von schwefelsaurer Thonerde und schwefelsaurem KaU. Jedes dieser Salze bestand wieder aus Schwefelsäure (SO3) dner- seits, und Metalloxyd andererseits, und diese beiden Bestandteile waren wiederum jedes fiir sich in Metall, resp. Schwefel und Sauerstoff ge- gliedert.

Diese Betrachtungsweise, deren Prinzip so einfach und anschaulich wai', hat ausserordentlichen Nutzen gebracht, obwohl die Grundlage, von welcher aus sie entwickelt wurde, falsch war. Das schwefelsaure Kali zerfällt thatsächlich, wie jetzt bekannt ist, bei der Elektrolyse nicht nach dem Schema K^O + SO3, sondern nach dem Schema K^ -j- SO4, und der Grundsatz der dualistischen Theorie von Berzelius, dass nur Verbin- dungen gleicher Ordnung zu höheren Verbindungen zusammentreten, steht im Widerspruch mit der Fundamentalerscheinung, aus welcher es ab- geleitet wurde.

Trotz dieses Grundirrtums ist die elektrochemische Theorie für die Ent- wickelung der Chemie von allergrösster Bedeutung gewesen. Durch die Auf- stellung der elektrochemischen Spannungsreihe wurde von Berzelius die Grundlage der vergleichenden Affinitätslehre gelegt, und die leicht verständ- liche und scharfe Systematik, welche die Theorie ermöglichte, hat das Stu- dium der Chemie ausserordentlich gefördert. Sie ist auch nicht durch Aufdeckung des Irrtums über den elektrolytischen Vorgang zu Falle gebracht worden, sondern dadurch, dass ihre Nichtanwendbarkeit für ein Gebiet von Verbin- dungen zu Tage trat, welche zur Zeit ihrer Entwicklung noch unbekannt waren. Es sind das die nicht elektrolysierbaren organischen Verbindungen.

Eine Bezugnahme auf die gegenseitige Stellung der Atome in der Molekel wurde erforderlich, als Thatsachen bekannt wurden, welche sich auf dem Boden der Atomtheorie nicht anders erklären liessen, als durch verschiedene Atomlagerung. Es sind das die Verhältnisse der Isomerie.

AlsWöhler 1823 die Cyansäure, und liebig 1824 die Knallsäure analysierte, ergab sich, dass beide Forscher flir ihre unzweifelhaft ver- sdiiedenen Stoffe die gleiche Zusammensetzung gefunden hatten. Ber- zeUus, welcher in seinen Jahresberichten diese Arbeiten zusammenstellte, erwog verschiedene Vermutungen, auf welche Weise der eine oder der

Theorie der chemischen Verbindungen. 235

andere Forscher in einen Irrtum gefallen sdn könne, denn dass zwei derart verschiedene Stoffe eine gleiche Zusammensetzung haben könnten, erschien so unwahrscheinlich, dass die Möglichkeit gar nicht in Frage kam.

Indessen fand schon im folgenden Jahre Faraday bei Gelegenheit der Untersuchung von Kohlenwasserstoffen, welche sich in Cylindem an- gesammelt hatten, in denen Leuchtgas komprimiert wurde, neben dem Benzol ein Gas (das Butylen), welchem die gleiche elementare Zusam- mensetzung, wenn auch doppelt so grosse Dichte im Dampfzustande zu- kam wie dem längstbekannten ölbildenden Gase (Äthylen). Berzelius befreundete sich allmählich mit der Vorstellung, dass in der That gleich zusammengesetzte Stoffe verschiedene Eigenschaften haben könnten, und erinnerte seinerseits an die beiden verschieden sich verhaltenden Zinn- oxyde. Fast jedes Jahr brachte nun neue Stoffe von ungleichen Eigene Schäften bei gleicher Zusammensetzung, bis schliesslich 1830 die von Kestner in Than (Eisaas) aufgeftmdene Traubensäure sich mit der gewöhn- lichen Weinsäure in jeder Beziehung gleich zusammengesetzt erwies, während sie doch in ihren Löslichkeitsverhältnissen, in der Kiystall- form ihrer Salze, ihren Reaktionen von dieser unzweideutig verschie- den war.

Berzelius führte daher die Erkenntnis, dass gleich zusammengesetzte Stoffe verschiedene Eigenschaften haben können, in den Besitzstand der Wissenschaft über, indem er der Erscheinung den Namen Isomerie gab. Hierbei unterschied er bald verschiedene Fälle; flir solche Verbindungen, wie Faradays Kohlenwasserstoffe, die dieselben Elemente in denselben Verhältnissen, aber nach einer verschiedenen (multiplen) Anzahl Atome enthalten, führte er den Namen polymer ein, während er solche gleich zusammengesetzte Stoffe, in denen auch die Anzahl der Atome gleich, nur ihre „Anordnung" verschieden ist, metamer nannte. Diese sehr zweckmässigen Bezeichnungen sind bis heute im Gebrauch ge- blieben.

Die Thatsache der Isomerie ist von aJlergrösster Bedeutung flir die theoretische Gestaltung der Chemie geworden, denn aus ihr ging hervor, dass auf die Eigenschaften eines zusammengesetzten Stoffes nicht nur die Natur und 'Zabl der zusammensetzenden Elementaratome von entscheidendem Einfluss sind, sondern ausserdem etwas anderes, was Berzelius zunächst hypothetisch darauf zurückfiihrte, dass die Atome „auf verschiedene Weise zusammengelegt" seien. Dieser Gesichtspunkt wurde in der ganzen kommenden Entwickelung des Isomeriebegriffs festgehalten und gelangte zunächst durch die Annahme verschiedener „Radikale" in den Verbindungen zur Geltung. Allerdings geschah die Annahme der- selben nicht zur Erklärung der Isomerieerscheinungen, sondern ganz andere Thatsachen veranlassten diese Entwickelung der elektrochemischen Lehre; wohl aber konnten manche Isomeriefölle durch die Verschieden- heit der Radikale erklärt werden.

236 VI. Systematik.

Durch die grossartige Arbeit von Liebig und Wöhler über das Ben- zoyl (1832) war eine Anzahl yon Stoffen bekannt geworden, welche alle denselben Atomkomplex (G^H^O) enthielten und aus demselben Ausgangsstoff entstanden waren. Dem unverftnderlichen Anteil wurde eine besondere Rolle innerhalb der Verbindungen zugeschrieben; man dachte sich seine Atome durch stärkere Kräfte zusammengehalten, als die waren, welche die wechseln- den Bestandteile fesselten. Das war die Radikaltheorie; jene beständigeren Gruppen spielten in den zusammengesetzteren Stoffen dieselbe Rolle, wie die Elemente in den einfacheren, ja Liebig sprach wiederholt aus, die Radikale seien die wahren Elemente der organischen Chemie. Durch die helden- mütigen Forschungen Bunsens über das Eakodyl und Franklands vermeinte Isolierung des Äthyls wurden so yiel Momente zu Gunsten der Radikaltheorie herbeigeschafft, dass sie allgemein als einzig richtige Form der Auffassung und Darstellung der Natur chemischer Verbindungen angesehen werden durfte.

Die Unklarheit in der Radikal theorie darüber, welcher Art die engere oder stärkere Bindung der Atome innerhalb des Radikals sei, und inwiefern sich diese yon der Art der Verbindung der Radikale unter sich oder mit anderen Atomen unterscheidet, wurde nicht empfunden, weil zu jener Zeit die Probleme der chemischen Verwandtschaft überhaupt nicht in Frage kamen. Ja, späterhin nahmen einzelne Forscher nach dem Vorgange yon Berzelius sogar ausdrücklich eine besondere Art der Bindung, yerschieden von der ge- wöhnlichen, an, welche als „Paarung" von dieser unterschieden wurde.

Während die Radikaltheorie aus der elektrochemischen erwachsen war, und die Grundvorstellungen derselben in unveränderter Weise auf ihre neuen Einheiten anwandte, trat seit 1839, unterstützt durch immer zahlreichere Thatsachen, eine Betrachtungsweise in den Vordergrund, welche von Laurent begründet, von Dumas abwechselnd abgelehnt und verteidigt, von Berzelius auf das schärfete angegriffen, doch schliesslich sich als vollkommen berechtigt und von grösster Fruchtbarkeit erwies. Es ist dies die Idee der Substitution, die Vorstellung, dass einzelne Atome einer Verbindung durch andere ersetzt werden können, so dass der neu entstehende Stoff dem Mheren analog verbleibt Zuerst wurden derartige Beobachtungen \m der Einwirkung des Chlors auf wasserstoff- haltige organische Verbindungen gemacht; ein besonders prägnantes Bei- spiel bildete die von Dumas entdeckte Trichloressigsäure, in welcher drei Wasserstoffatome der Essigsäure durch ebensoviel Chloratome ersetzt waren. Die enge Beziehung der neuen Säure zur Essigsäure wurde besonders deutlich an ihrer Rückwandlung in Essigsäure, welche Melsens entdeckte.

Mit der elektrochemischen Theorie trat die neue Betrachtungsweise auf zwei Hauptpunkten in Widerspruch. Berzelius konnte nicht zugeben, dass der „elektropositve" Wasserstoff durch das „elektronegative" Chlor so ersetzt werden könne, dass die Ähnlichkeit der beiden Verbindungen gewahrt blieb. Andererseits widersprach die Annahme einer Substitution, des Ein- tritts eines Atoms an die Stelle eines anderen, dem elektrochemischen Grund-

Theorie der chemischen Verbindungen. 237

satz der binären Gliederung. Beide Widersprüche wurden von den Vertretern der Substitutionstheorie energisch betont. Der erste führte zu dem Satz, dass nur die „Stellung" eines Atoms in der Verbindung, nicht seine Natur auf die Eigenschaften der Verbindung von Einfluss sei. In dieser Form ist der Satz sicher falsch und fand alsbald Widerspruch; auch konnte A.W. Hof- mann an den Bromsubstitutionsprodukten des Anilins bald zeigen, dass zwar je nach der Stellung die Eigenschaften der substituierenden Elemente häufig in erheblich geschwächtem Masse sich geltend machten, verschwunden waren sie jedoch nicht

Während hier ein Kompromiss zwischen den alten und den neuen Anschauungen hergestellt werden konnte, siegte die zweite Idee der uni- tären Konstitution der chemischen Verbindungen vollständig über die der binären Konstitution. Diese Reform traf zusammen mit der oben geschilder- ten Entwickelung des Begriffs der Molekel und führte zur Aufstellung der molekularen Schemata, der chemischen Typen, auf die alsbald näher ein- gegangen werden soll.

Das Substitutionsgesetz wurde inzwischen mehr und mehr erweitert. Man erkannte, dass nicht nur Chlor, Brom oder Jod den Wasserstoff organischer Verbindungen substituieren konnten, sondern auch zusammen- gesetzte Komplexe. Hier stellten sich die Radikale der älteren Theorie als die wahren Substituenten dar, wie dies namentlich von Hoftnaim und Würtz an den substituierten Ammoniaken erkannt wurde. Gleich- zeitig wurde die Unterscheidung zwischen Atom und Äquivalent vor- bereitet, ein Atom Sauerstoff vertritt bei der Substitution nicht ein, sondern zwei Atome Wasserstoff und hat daher diesem gegenüber den doppelten Substitutionswert

Dumas hatte bei der Erfassung der Substitutionsidee dieselbe seiner Gewohnheit gemä^is alsbald einseitig in ihre äussersten Konsequenzen verfolgt, indem er nur die Anordnung der Atome, nicht ihre Natur als bestimmend für die Eigenschaften der Verbindungen ansah. Für ihn lag daher unmittelbar die Aufgabe vor, diese wesentlichen Formen zu erkennen. Ein Versuch, den er in der Aufstellung seiner Theorie der chemischen Typen machte, schlug indessen fehl.

Erst spätere Forschungen, wie die Williamsons über die Äther, Hof- manns und Würtz' über die organischen Ammoniake beföhigten Ger- hardt und Laurent, dieselbe Idee in brauchbarer Gestalt zur Geltung zu bringen. Nach ihnen leiten sidh sämtliche Verbindungen von den Typen

Wasserstoff TT >, Chlorwasserstoff pj, Wasser tt>0 und Ammoniak H>N ab,

indem der Wasserstoff derselben durch andere Elemente oder Radikale ersetzt wird. Zu diesem Schema fügte später Williamson das der ver- doppelten oder verdreifachten „kondensierten'^ Typen und Kekul6 fiihrte die zusammengesetzten Typen ein, indem er zwei oder mehr verechiedene

238 ^- Systematik.

Typen vereinigte. Bei diesen letzteren Versuchen, die Schemata mit den Thatsachen in Einklang zu bringen, kam bereits ein später wiehlig gewordenes Moment zur Geltung. Damit in den kondensierten und gemisditen Typen die beiden Gruppen zusammengehalten wurden, musste ein Atom oder Badikal vorhanden sein, welches zwei Wasserstoffatome ersetzen konnte, und welches das Bindeglied abgab, indem es in jeder Gruppe ein Wasserstoffatom vertrat Hier trat der Begriff des mehr- atomigen Radikals oder Elements als Bedingung für den Zusammen- hang der Molekel zuerst auf.

Die Klassifizierung der chemischen Verbindungen nach Typen war ton grossem Nutzen für die Wissenschaft, denn sie gestattete eine bequeme Über- sicht einer grossen Zahl von Stoffen und gab Anhaltspunkte zur Darstellung neuer. Eine umfassende Theorie der chemischen Verbindungen war sie da- gegen infolge ihres formalen Charakters nicht. Gerhardt, ihr eigentlicher Begründer, war sich auch ganz klar darüber; er betonte immer wieder, dass seine Formeln nur als Reaktions-, nicht als Eonstitutionsformeln aufzufassen seien. Auch erwies sich die Typenlehre bald als unzulänglich, dem Fort- schritt der Wissenschaft zu folgen.

Das typische System war keineswegs allgemein angenommen, da sich die wichtigsten Vertreter der Radikal theorie, welche das Substitutionsgesetz an- erkannten und mit seiner Hilfe die älteren Anschauungen erweiterten, von demselben fern hielten. Insbesondere Frankland und Eolbe suchten zu einem Verständnis der chemischen Verbindungen auf einem anderen Wege zu ge- langen, welcher der Natur der Elemente und den Analogieen mit anorganischen Verbindungen besser Rechnung trug. So war Eolbe im stände, die Existenz von Isomerieen da vorauszusagen, wo im typischen System nur für einen Stoff Platz war, bei den Alkoholen. Und nicht nur die Existenz, auch das Verhalten dieser Stoffe wurde von Eolbe prognostiziert; wenige Jahre darauf entdeckte Friedel den sekundären Propylalkohol und bestätigte Eolbes Prognose.

So hatte wiederum ein Isomeriefall die Notwendigkeit tieferen Eingehens in das Eonstitutionsproblem erwiesen. Die leitende Idee dazu fand Frankland.;

Bei Gelegenheit seiner Untersuchungen über die organischen Metall- Verbindungen machte Frankland 1852 die Bemerkung, dass ein Atom' Zink, Arsen, Antimon u. s. w. stets durch eine bestimmte Anzahl em-^ wertiger Elemente oder Radikale in seinem Verbindungsbestreben be- friedigt werde, welcher Art auch diese letzteren sein mögen. Dadurch wurde der Grund zur Lehre von der Sättigungskapazität oder Vaiemt' der Atome gelegt. i

Die Anwendungen auf Kohlenstoffverbindungen machte Frankland^ nicht. Dieser wichtige Schritt wurde fast gleichzeitig (1858) von Couper' und Kekule getiian, welche den Kohlenstoff als vierwertig erkannten und zeigten, dass die Zusammensetzung zahlreicher Kohlenstoffver-' bindungen sich dadurch darstellen liess. Jedes Kohlenstoffatom kann sich'

Theorie der chemisclien Verbindungen. 239

mit vier anderen einwertigen Atomen oder Radikalen (d. h. solchen, die ein Atom Wasserstoff substituieren) vereinigen, nicht aber mit mehreren. Die Durchflihrung dieser Idee verdanken wir hauptsächlich Kekuie.

In der Valenzlehre, welche die gegenwärtig herrschende Voratellung ist, wird also angenommen, dass jedem Atom eine bestimmte und be- grenzte Flüiigkeit, sich mit anderen Atomen zu vereinigen, zukomme. Man nennt diese Fähigkeit Valenz oder Wertigkeit, und nennt solche Atome ein-, zwei-, drei-, vierwertig u. s. w., die sich je mit einem, zwei, drei oder vier Wasserstoffatomen, oder äquivalenten Atomen resp. Radi- kaien vereinigen können. Kohlenstoff ist vierwertig wegen der Ver- bindung CH4, Sauerstoff zweiwertig wegen OH^. Im allgemeinen sind nun die chemischen Verbindungen derart beschaffen, dass die Valenzen der verschiedenen Atome einer Verbindung sich gerade ausgleichen. In der Essigsäure, deren rationelle Formel HOCO-CHa ist, bindet zu- nächst das eine Kohlenstoffatom mit zwei Valenzen ein zweiweiüges Sauerstoffatom. Die dritte Valenz ist mit einer Valenz eines zweiten Sauerstoffatoms vereinigt, dessen' zweite durch ein Wasserstoffatom ge- sättigt ist. Mit der vierten Valenz des Kohlenstoffatoms steht endlich die eines zweiten Kohlenstoffatoms in Verbindung, dessen drei andere Valenzen durch drei Wasserstoffatome gesättigt sind.

Diese Verhältnisse können nach dem Vorgang Coupers veranschau- licht werden, wenn man den Atomzeichen soviel SMche anhängt, als Va- lenzen thätig sind, und diese dann von Atom zu Atom vereinigt. Die Essigsäure würde folgende graphische oder Strukturformel erhalten:

0 H

H 0 C-^C H.

I H

£ine derartige Formel ist in der That im stände, sehr mannigfaltige Beziehungen zu veranschaulichen. Sie zeigt, dass ein Viertel des vorhandenen Wasserstoffe oder ein Atom Wasserstoff sidi anders verhält, als die drei anderen, weil es mit Sauerstoff zu Hydroxyl verbunden ist, während die übrigen mit Kohlenstoff vereinigt sind. Femer verhalten aidi die beiden Sauerstoffatome versdiieden, indem das des Hydroxyls leichter angegriffen und entfernt wird. EndUch haben auch die beiden Kohlenstoffatome verschiedene Funktionen; das eine, mit zwei Sauerstoff- atomen verbundene, wird leicht in Kohlensäure übergehen, das andere wird sieh dagegen als Methyl, CH3 abspalten. AUe diese Beziehungen, die ehen aus der Formel abgeleitet wurden, sind thatsächliche; die Strukturformeln erfüllen also in hohem Grade den Anspruch, Reaktions- und Konstitutionsformeln zu sein.

Was nun die Beurteilung der Bedeutung solcher Formeln anlangt, so ist zweierlei zu trennen: einerseits die Lehre von der chemischen Va- lenz, und andererseits ihre Darstellung durch sogenannte Strukturformeln.

240 VI. Systematik.

Die erste hat einen materialen Inhalt, sie ist auf die Beobachtung begründet, dass die Elementaratome in ihrem Yerbindungsbestreben durch eine gleiche Anzahl von Äquivalenten anderer Atome oder Radikale befriedigt werden können, unabhängig von der Natur der letzteren. Die Darstellung durch Strukturformeln, welche diese Thatsache gefunden hat, ist zunächst eine rein formale, sie dient nur als Gedächtnis- und Anschauungshilfsmittel, um zu zeigen, ob die Postulate der Valenzlehre erfüllt sind.

Als Einheit der Valenz nimmt man die des Wasserstoffes an^ weil nach der bisherigen Erfahrung ein einzelnes Atom irgend eines Elenients sich nur mit einer bestimmten Anzahl Wasserstoffatome vereinigen kann und das Gesetz der multiplen Proportionen auf die Wasserstoffver- bindungen ^ welche nur je ein Atom anderer Elemente enthalten, keine Anwendung findet. Leider bilden nur wenige Elemente Waaserstoffver- bindungen^ so dass die Feststellung der Valenz werte mit deren Hilfe eine beschränkte ist. Mit Hilfe anderer durch Vermittelung des Wasser- stoffs als einwertig erkannter Elemente (oder Radikale) ist man zu einer Erkenntnis der Valenz solcher Elemente gelangt^ welche keine Wasserstoff- verbindungen bilden. Doch haben sich dabei erhebliche Schwierigkeiten gezeigt^ welche gegenwärtig noch nicht vollständig überwunden sind.

Die bemerkenswerteste Beziehung der Valenzwerte, soweit solche bekannt sind, hat sich zum periodischen System der Elemente ergeben, indem jene sich gleichfalls als periodische Funktion der Elementaratome darstellen lassen. Die Valenz ist in der Tabelle S. 45 in jeder Ver- tikahreihe konstant und nimmt von Reihe zu Reihe um je eine Ein- heit zu. Von der fünften Reihe ab nimmt sie eben so regelmässig ab, wenn man die Wasserstoffverbindungen als entscheidend ansieht; die Chlor- und Sauerstoffverbindungen zeigen dagegen eine fortlaufende Steigerung der Valenz. Daneben macht sich allerdings die früher er- wähnte Zugehörigkeit einzelner Elemente zu verschiedenen Rdhen geltend. Mendelejew hat, wie erwähnt, zuerst diese Beziehungen hervorgehoben.

Der vollständigen Durchführung der Valenztheorie haben sich, trotz der grossen Übereinstimmung zahlreicher Thatsachen , namentlich in der organischen Chemie, doch einige namhafte Schwierigkeiten in den Weg gestellt. Vor allen Dingen ist der an die Spitze gestellte Satz, dass das Verbindungsbe- streben der Elementaratome stets durch die gleiche Zahl von Äquivalenten befriedigt wird, nicht allgemein. Es giebt zahlreiche Verbindungen, welche auf gleiche Mengen eines Elementes eine verschiedene Zahl von Äquivalen- ten anderer Elemente aufweisen, wie z. B. Kohlenoxyd CO und Kohlen- säure CO3; Stickstoffoxydul NjO, Stickstoffoxyd NO, Salpetrigsäureanhydrid NjOj und Stickstoffhyperoxyd NO,. Es ist hervorzuheben, dass dies Körper sind, deren Gasdichte man kennt, und über deren Molekulargrösse daher kein Zweifel besteht.

Mit dieser Thatsache hat man sich auf zweierlei Weise abzufinden gesucht. Man nahm trotz derselben die Lehre von der konstanten Valenz als richtig an und nannte die Verbindungen eines Elementes, in welchen

Theorie der chemischen Verbindungen. 241

die aus der Mehrzahl der überhaupt bekannten Verbindungen gefolgerte Anzahl von Valenzen nicht befriedigt erschien, ungesättigte, unter der Voraussetzung, dass es eben unter Umständen Verbindungen geben kann, m welchen einzelne Valenzen unthätig bleiben. Die Ursache, warum das In einzelnen Fällen geschieht, und warum die Atome nicht die prinzipiell ^ts mögliche Anordnung, dass alle Valenzen befriedigt sind, einnehmen, blieb dabei unerledigt.

Andere Forscher nahmen wiederum an, dass die Valenz der Atome wechseln könne, dass z. B. im Stickstoffoxyd NO der Stickstoff ebenso wie der Sauerstoff zweiwertig sei. Auch diese Art und Weise, die thatsächlichen Verhältnisse auszudrücken, ist ebensowenig eine Erklärung derselben, wie die Annahme von ungesättigten Valenzen. Trotzdem hat der Streit zwischen den Anhängern der konstanten und der wechselnden Valenz erbittert genug gewogt.

Es ist indessen noch eine Möglichkeit vorhanden, die thatsächliche Ver- schiedenheit der Valenzwirkungen im Sinne der Atomhypothese zu erklären. Wenn wir die Valenz als Folge einer Eigenschaft der Atome auffassen, deren Wirkung durch die Verschiedenheit der Zustände des Atoms, insbesondere 4er Bewegungszustände, modifiziert werden kann, so ist es denkbar, dass, ob- wohl die Ursache der Valenz unveränderlich ist, die Wirkungen dieser Ur- sache, eben die Valenz selbst, von Fall zu Fall verschieden erscheint.

Eine Hypothese der erwähnten Art ist in der That von van't Hoff (1878) aufgestellt worden. Indem er annahm, dass die chemische Anziehung zwischen den Atomen eine Folge der Gravitation sei, zeigte er, dass, wenn ein Atom eine von der Kugelgestalt abweichende Form besitzt, die Intensität der Anziehung auf seiner Oberfläche eine bestimmte Anzahl Maxima besitzen Jttüsse, welche von der Form abhängt. Die Maxima können von verschiedenem Werte sein. Ist die Wärmebewegung des Atoms eine lebhafte, so werden nur die grössten Maxima ihre Atome festhalten können, und die Valenz zeigt sich entsprechend der Erfahrung bei höherer Temperatur kleiner, als bei niederer.

Das Bedürfiiis, für eine grosse Anzahl meist nur in fester, selten flüssiger Form bekannter Verbindungen, deren Konstitution aus den igewöhnüchen Annahmen über die Valenz der Elementaratome nicht zu erklaren ist, eine Erklärung zu finden, hat die Vertreter der Lehre von 4er konstanten Valenz auf den Ausweg geführt, soldie Verbindungen als verschieden von denen anzusehen, welche der erwähnten Form der Valenzlehre entsprechen. Man unterschied solche Verbindungen als Molekularverbindungen von den anderen, als Atomverbindungen. lErstere, zu denen Salze mit Krystallwasser, Doppelsalze, von einigen laber auch Chlorammonium und alle anderen Ammoniaksalze gerechnet werden, sollen den Zusammenhang ihrer Atome nicht den zwischen Atom und Atom wirkenden Kräften, welche die Valenz bedingen, ver- «danken, sondern die Molekeln, aus welchen diese Verbindungen ent- stehen, sollen als Ganzes wechselseitige Kräfte aufeinander ausüben, durch welche der fi-aglidhe Zusammenhang bewirkt wird.

Ofltwald, Grtmdriss. 8. Aufl. 16

242 VI. Systematik.

Man hat die Molekularverbindungen erst der Lehre von der kon- stanten Valenz zuliebe von den Atomverbindungen untersdiieden. Schon dies kann gegen sie misstrauisch machen. Dazu kommt aber, dass trotz aller Mühe ein anderer Unterschied zwischen beiden Klassen nicht hat gefunden werden können, als dass die eine bestimmten Annahmen über konstante Valenz entspridit, die andere dagegen nicht. Im übrigen gehen die Eigenschaften der einen vollkommen stetig in die der andere über, indem man überall einen stufenweisen Abstieg geringster Zersetzlich- ' keit zu grösster an entsprechenden Verbindungen nachweisen kann.

Die vorstehenden Betrachtungen zeigen, wie entfernt die Valenz- lehre davon ist, den Namen einer vollständigen Theorie der chemiscfaea Verbindungen zu verdienen. Ihr hängt von ihrer Mutter, der Typen- theorie, das bloss formale Element noch in so hohem Masse an, da« der Versuch, die thatsächlichen Verhältnisse der gegenseitigen Umwandlungen quantitativ gemäss der grösseren oder geringeren Beständigkeit der Produkte darzustellen, nur eben erst unternommen worden ist. Man lasst sich meist daran genügen, dass durch die Strukturformeln Schemata gegeben sind, welche die vorhandenen Isomerieen und möglichen Reaktionen darstellen.

Eis soll damit nicht ein ungünstiges Urteil über die Bedeutung der Strukturformeln ausgesprochen sein. Diese stehen zu den durch sie repräsentierten Stoffen ungefähr in der Beziehung, wie die Formehi der analytischen Geometrie zu den repräsentierten räumlidien Gebilden, nnr erreichen sie letztere freilich nicht entfernt in Bezug auf die Sicherheit und Vollständigkeit der Darstellung, wie dies ja dem Unterschiede der beiden Wissensgebiete entspridit. Sie gestatten daher dem Kundigen eine grosse Zahl von Schlüssen, und gewähren die Möglichkeit, eine grosse Summe von Thatsachen in einen kurzen Ausdruck zu fassen.

Die in der vorbeschriebenen Weise entwickelten Strukturformeln haben sich doch nicht dauernd als ausreichend gezeigt, alle neuentdeckten Isomerieverhältnisse darzustellen, und sind daher in einem Sinne erweitert worden, der als eine sachgemässe Weiterentwickelung des Prinzips be- zeichnet werden muss. Nachdem schon früher Wislicenus darauf hinge- wiesen hatte, dass gewisse Isomerieerscheinungen bei den Milchsäuren nicht mehr ausreichend durch die in der Ebene des Papiers geschriebenen StiTikturformeln dargestellt werden können, hat van't Hoff (1877) den ersten Versuch durchgeführt, eine Ausgestaltung der Strukturtheorie auf den Raum zu bewerkstelligen. Er nahm insbesondere an, dass die vier Valenzen des Kohlenstoffs in den vier Ecken eines regulären Tfetra^dere angeordnet seien, und entwickelte die daraus entspringenden Konsequenzen. Eine der wichtigsten davon haben wir bereits kennen gelernt (S. 143): es ist die, dass ein mit vier verschiedenen Radikalen verbundenes Kohlenstoffatom asymmetrisch sein muss, d. h. dass es in zwei ver- schiedenen Formen auftreten kann, die nicht überdeckbar, sondern spiegel- bildlich symmeti'isch sind. Die gute Ü^bereinstimmung dieses Schlnsses mit den thatsächlichen Verhältnissen ist bereits dargelegt worden.

Theorie der chemischen Verbindungen. 243

Ein zweiter Schluss, der insbesondere von WisKcenus in mannig- faltigster Weise zu der Erklärung und auch Auffindung neuer Isomerie- verhältnisse benutzt worden ist; bestand in der Erkenntnis^ da^s ein doppelt gebundenes Paar von Kohlenstoffatomen, das mit irgend welchen anderen Gruppen verbunden ist, vermöge der räumlichen Anordnung je zwei Isomere von gleicher Struktur geben muss. Der Gedanke wird am einfachsten aus der beistehenden Figur klar, welche die Isomerie von Maleinsäure (Fig. 32) und Fumarsäure (Fig. 33) darstellt.

Auch dieser Gedanke hat sich als ungemein fruchtbar erwiesen, indem er nicht nur den Chemikern, die bis dahin diesen mit der Struktortheorie nicht vereinbar gewesenen Isomerieiällen mit einer ge- wissen Scheu aus dem Wege gegangen waren, den Mut gab, sie ge- nauer zu erforschen, sondern audi sich als ein zweckmässiger Führer in verwickeiteren Verhältnissen erwies. Für die weitere Ausgestaltung der Grundgedanken sind insbesondere die Forschungen E. Fischers über die Zuckersurten zu nennen, wo die sehr verwickelten und mannigfaltigen

com Ewz TfCom

ieoos woc^

Fig. 32. Fig. 33.

Verhältnisse durch die Theorie eine zur Zeit noch vollkommen aus- reichende Darstellung gefanden haben.

Auch in der Chemie der Stickstoffverbindungen haben sich solche räumliche Betrachtungen als ein gutes systematisches Hilfsmittel erwiesen, wie dies namentlich durch Hantzsch gezeigt worden ist.

Es lässt sich vermuten, dass es mit der auf den Kaum ausgedehnten Strukturchemie oder der Stereo eh emie ebenso gehen wird, wie es seiner- zeit mit der ebenen Strukturchemie gegangen war. Wenn eine solche glückliche Veranschaulichung gefunden worden ist, so treten der Forschung zunächst eine Menge Thatsachen entgegen, die sich mit ihr in bester Übereinstimmung befinden. Dies ist wegen der von allen besonderen Theorieen unabhängigen Analogieerscheinungen in dem Verhalten der Stoffe notwendig. Auch erweist sich ein gutes Bild darin erfolgreich, dass es noch nicht bekannte Erscheinungen voraussehen lässt. Es verhält sich ungefähr so, wie eine empirische Formel, welche irgend eine Naturerscheinung darstellt, sich bei der Extrapolation ver- hält. Solange diese nicht bedeutend ist, findet Übereinstimmung zwischen der Voraussicht und den nachträglich beobachteten Thatsachen statt. Wird aber die Extrapolation bedeutender, oder sind die nächsten Analogieen er-

16*

244 VI. Systematik.

schöpft, so werden die Unterschiede grösser, und schliesslich erweist sich die Formel nicht mehr als anwendbar, und muss durch eine mit mehr Eonstanten ersetzt werden, welche nicht nur die früheren Thatsachen darstellt, sondern auch die inzwischen aufgefundenen neuen.

Bisher hat sich die Möglichkeit der Erweiterung immer noch innerhalb der Hypothese beschaffen lassen, doch es ist nicht wahrscheinlich, dass dies immer so sein wird. Sind doch schon aus dem Lager der „Organiker" in letzter Zeit Stimmen laut geworden, die auf die bevorstehende Erschöpfung der Hilfsmittel der Strukturchemie hinweisen.

Eine andere notwendige Entwickelung der Strukturchemie hat sidi ohne wesentiiche Änderung durch die angemessene Verwendung der auf anderen Gebieten gewonnenen Erkenntnisse bewerkstelligen lassen. Von van Laar (1885) ist auf eine Anzahl von Fällen hingewiesen worden, wo Stoffe sich so verhielten, als wären sie nach verschiedenen Strokturformeln konstituiert Er nannte solche Stoffe tautomer, und in neuerer Zeit ist eine grosse Anzahl zugehöriger Erscheinungen beschrieben worden. Dabei hat sich herausgestellt, dass es sich um Stoffe handelt, welche sich sehr leidit und schnell in Isomere von anderer Konstitution umlagern. Im festen Zustande kann von diesen Formen immer nur eine vorhanden sein (ausser wenn die beiden Formen Mischkrystalle bilden, was zwar nicht beobachtet, aber auch nicht ausgeschlossen ist); im flüssigen Zustande werden aber^ wie dies die Theorie der chemischen Gleichgewichte verlangt, immer Ge- mische der mehreren möglichen Formen vorliegen. Da nun die Stoffe, wenn sie reagieren, immer flüssig (gelöst oder geschmolzen) sind, so sind auch die verschiedenen Formen vorhanden, und der Stoff reagiert je nadi den Umsiänden mit der einen oder der anderen Form, die sich in dem Masse nachbilden kann, als sie durch die Reaktion verbraudit wird. Aus diesen einfachen Gesichtspunkten lassen sich die vorkommenden Ver- hältnisse verstehen, doch können sie im Einzelnen hier nicht erörtert werden, da sie die Kenntnis der chemischen Dynamik voraussetzen.

Zweiter Teil. Verwandtschaftslehre.

Einleitung. Allgemeine Energetik.

Wenn wir nach den allgemeinsten Kennzeichen der natürlichen Vorgänge fragen, so ergiebt sich, dass alle mit zeltlichen und räumlichen Änderungen der Energie verbunden sind. Ohne eine solche Änderung verläuft kein Vorgang; wenn keine Änderung des Energiezustandes statt- findet^ so sind wir nicht im stände, überhaupt eine Änderung des vor- handenen Zustandes zu behaupten.

Man wird also alle physikalisch-chemischen Vorgänge dadurch defi- nieren können, dass man die dabei stattfindenden Energieänderungen ihrer Art und ihrem Betrage nach angiebt. Und zwar wird eine solche Angabe nicht nur immer möglich, sondern sie wird auch erschöpfend sein. Denn alle Kennzeichen, die wir fiir die versdiiedenen Dinge der Aussenwelt besitzen, lassen sich gleichfalls auf deren Energieverhältnisse zurückföhren, da solche Kennzeichen notwendig in Vorgängen bestehen, welche diese Dinge unmittelbar oder mittelbar in unseren Sinneswerk- zeugen hervorrufen und letztere ausschliesslich auf Zu- oder Abfuhr von Energie reagieren. Somit sind die Energieverhältnisse thatsächlich das Einzige, was wir von der Aussenwelt wissen, und diese lässt sich voll- ständig als ein Gebilde beschreiben, in welchem verschiedene Energieen auf bestimmte Art im Räume und in der Zeit geordnet sind.

Unter den gleichen Gesichtspunkt fallen notwendig auch die Er- scheinungen, mit denen sich die Chemie speziell beschäftigt. Es kann kein chemischer Vorgang stattfinden, ohne dass dabei Energiezustände geändert werden, und ein chemischer Vorgang ist definiert, wenn die beteiligten Energieen nach Mass und Art angegeben sind.

Die Energieverhältnisse sind aber nidit nur die Kennzeichen der Zustände und ihrer Änderungen, sondern sie enthalten auch die Be- dingungen fiir die Möglichkeit und die Art der Vorgänge, welche statt- finden können, wenn bestimmte Zustände gegeben sind. Es lassen sich mit anderen Worten die in der Physik und der Chemie bekannten all- gemeinen und besonderen Gesetze alle auf eine Form bringen, welche die durch diese Gesetze geregelten Vorgänge als Umwandlungen oder allgemeiner Beziehungen der vorhandenen Energieen erscheinen lässt Die Gesamtheit dieser Wissenschaften lässt sich daher als Energielehre oder

I

246 Verwandtschaftslehre.

Energetik bezeichnen, und die Reduktion auf diese Form ist die all- gemeinste und exakteste Gestalt, die man zur Zeit unseren Kenntnissen geben kann.

Diese bevorzugte Stellung verdankt die Energie dem Umstände, dass sie derjenige Begriff ist, der vermöge des allgemeinen Umwandlung»- gesetzes einerseits in allen Einzelgebieten Anwendung findet, andererseils zwischen allen Gebieten einen Zusammenhang herstellt

Man hat oft der Energie die Materie voran, oder wenigstens zur Seite gestellt, und beide als die Grundbestandteile der physischen Dinge be- zeichnet. Indessen ist der Begriff der Materie zu unbestimmt, als dass man ihm eine solche Stellung einräumen könnte. Die Materie ist besten- falls nur durch die Arten der Energie bestimmbar, die zusammen in einem begrenzten Baume vorkommen. Einen Stein nennen wir materiell, weil er einerseits Gewicht und Masse, d. h. Gravitationsenergie und die Aufnahme- fähigkeit für kinetische Energie besitzt; seine weiteren Eigenschaften, wie Temperatur, Farbe, chemische Zusammensetzung beschreiben seine Verhältnisse bezüglich der Wärme, der strahlenden, der chemischen Energie. Das Gesetz von der Erhaltung der Materie, das dem von der Erhaltung der Energie an die Seite gesetzt zu werden pflegt, bezieht sich nicht auf alle diese Eigenschaften, sondern wesentlich auf seine Masse, und daneben noch auf das von der Er- haltung der chemischen Art (S. 7) und wird sich als ein besonderer Fall eines allgemeineren Energiegesetzes ausweisen. Als besonders bleibt nur der Umstand übrig, dass alle die genannten Energieen in dem gleichen Baume nebeneinander bestehen und gleichzeitig miteinander fortbewegt werden können. Diese Thatsache des Zusammenbleibens der Energieen ist die einzige, welche als eine Eigentümlichkeit eines Dinges, das wir Materie nennen, in Anspruch genommen werden könnte; es kann nicht behauptet werden, dass darin etwas von dem Energiebegriff Unabhängiges enthalten ist.

Es ist oft gefi*agt worden, was denn die Energie sei. Eine vollständige Definition giebt natürlich nur die Besdireibung ihres Ver- haltens, welche der Inhalt der exakten Naturwissenschaften ist Unter Bezugnahme auf die oben gegebenen Darlegungen kann man aber kurz sagen: die Energie ist das Unterschiedliche in Raum und Zeit

Die Bedeutung des Energiebegriffes für die Zusammenfassung der Erfahrungsthatsachen liegt, abgesehen von seiner allgemeinen Anwendbar- keit in sämtlichen Gebieten physischer Erscheinungen, darin, dass für die Energie selbst sich eine Anzahl allgemeiner Gesetze au&teUen lassen, die auf jedes einzelne Gebiet in gleicher Weise Anwendung finden und da- her bekannte Verhältnisse übersichtlich zusammenfassen, unbekannte er- schliessen lassen. Der Betrachtung der Beziehungen zwischen chemischer Energie und den anderen Formen wird also eine allgemeine Erörterung über die Gesetze der Energie im allgemeinen, oder die Energetik vor- auszugehen haben.

Die gegenwärtig bekannten Energiearten zerfallen in mechanische und nichtmechanische. Es sind folgende:

Einleitung. Allgemeine Energetik. 247

A. Mechanische Energiearten.

1. Volumenei^e,

2. Flächenenergie.

3. Distanzenergie.

4. Bewegungsenergie.

B. Nichtmechanische Energiearten.

5. Wärme.

6. Elektrische und magnetische Energie.

7. Strahlende Energie.

8. Chemische Energie.

Die Frage, oh die genannten Energiearten die einzig möglichen sind, ist bisher noch nicht erörtert worden. Durch eine Zusammenstellung aller denkbaren Mannigfaltigkeiten, die bei einer Grösse von dem allgemeinen Charakter der Energie möglich sind, kann man sich eine Vorstellung von den Eigenschaften anderer Energieformen schaffen, die zwar denkbar, aber noch nicht bekannt sind. Nach den Ergebnissen einer vorläufigen Untersuchung, die ich über diese Frage angestellt habe, sollte es noch ziemlich viele unbe- kannte Energiearten geben.

Die Volumenergie ist bereits bei der Erörterung der Gasgesetze (S. 53) erwähnt worden, welche ein Ausdruck für das Verhalten dieser Energieform in dem wichtigsten Falle smd, der uns vorkommt. Es hatte sich ergeben, dass der Betrag dieser Energie durch das Produkt zweier Grössen gemessen wu-d, des Druckes und des Volums. Eine solche Zu- sammensetzung des Energiewertes aus zwei Faktoren ist eine allgemeine Erscheinung; alle Energiearten lassen sich in zwei Faktoren zerlegen, deren Produkt den Zahlenwert der Energie selbst ergiebt.

Von diesen Faktoren hat jeder besondere Eigenschaften. Der eine ist ein Ausdruck für das Bestehen oder die Abwesenheit eines dauernden Zustandes oder Gleichgewichts zwischen zwei benachbarten Räumen, in denen diese Energieart vorhanden ist. Diese Rolle spielt im vorliegen- den Falle der Druck: zwei Gase, deren Druck gleich ist, beeinflussen sidi gegenseitig nicht in Bezug auf ihr Volum, d. h. sie sind bezüglich der Volumenergie im Gleichgewicht. Die Gleichheit des Druckes stellen wir fest, indem wir einen Apparat, an welchem wir das Vorhandensein und die Verschiedenheit von Drucken durch irgend ein Kennzeichen wahrnehmen können, ein Manometer, mit beiden Gasen einzeln in Be- ziehung setzen. Zeigt das Manometer mit beiden einzeln gleiche Ein- stellung, so finden wir, dass auch bei der unmittelbaren Berührung der beiden Gase die Drucke sich als gleich erweisen. Folglich sind zwei Drucke, die einzeln einem dritten gleich sind, auch untereinander gleich: ein Satz, der in entsprechender Anwendung für alle Grössen dieser Art gilt, und dem trotz seiner anscheinenden „Selbstverständlichkeit" eine er- hebliche Bedeutung zukommt.

Grössen solcher Art, die das Gleichgewicht einer bestimmten Energie-

248 y erwandtschaf tslehre.

art definieren^ sollen Intensitätsgrössen genannt werden (Helm 1887); jede Energieart hat ihre Intensitätsgrösse, und die Kenntnis dies^ ist für die Beurteilung ihres Verhaltens unter gegebenen Bedingungen ent- scheidend.

Einige Worte verdienen die Instrumente zur MeBSung der Intensitftts- grössen; hierbei wird das, was in Bezug auf die Druckmesser oder Mano- meter gesagt wird, in entsprechender Weise auf alle Intensitätsmesser anwend- bar sein. Ein Manometer ist ein Apparat, welcher Yolumenergie aufzunehmen vermag und den aufgenommenen Betrag auf irgend eine Weise sichtbar macht. So bestehen die gewöhnlich an Dampfkesseln angebrachten Mano- meter aus Büchsen von elastischem Metall, die durch den Druck, der auf ihr Inneres wirkt, erweitert werden bis der elastische Gegendruck dem znge- fuhrten Druck das Gleichgewicht hält. Diese Yolumänderung wird durch ein Hebelwerk, das die kleinen Bewegungen der Büchsenwand mechanisch ver- grössert, leicht ablesbar gemacht. Das Manometer kann nur wirken, wenn sein Volum durch den Druck thatsächlich verändert wird; eine starre Büchse wäre unbrauchbar. Doch ist der Betrag dieser Volumänderung willkürlich und kann um so kleiner gemacht werden, je grösser die Übersetzung des Zeigerwerkes ist; diese kann um so erheblicher sein, je leichter und beweg- licher es gebaut ist Allgemein wird also ein derartiges Messinstrument dem Gebilde immer einen gewissen Betrag der Energie entziehen müssen, deren Intensität gemessen werden soll; doch kann dieser Betrag um so kleiner ge- macht werden, je weniger Energie das „Zeigerwerk^^ (im allgemeinsten Sinne) verbraucht, um bethätigt zu werden. Niemals aber kann dieser Betrag gleich Null gemacht werden.

In diesen Darlegungen ist eine allgemeine Theorie der Messinstrumente für Intensitätsgrössen angedeutet, deren Entwickelung hier aber nicht durch- geführt werden kann.

Der andere Faktor der Volumenergie ist das Volum oder der Raum. Ihm kommt ersichtlicher Weise die Eigenschaft^ das Gleichge- wicht zu bestimmen^ nicht zu, denn es können beliebige Gasvolume mit- einander im Gleichgewicht sein. Dagegen ist die Umwandlung der Volumenergie in andere Formen von dieser Grösse abhängig: eine solche Umwandlung kann nicht ohne Änderungen des Volums erfolgen. Wir nennen Grössen dieser Art Kapazitätsgrössen.

Eine wichtige Eigenschaft der Kapazitätsgrössen ist das Erhaltungs- gesetz^ das sie alle (mit einer Ausnahme) befolgen. Im Falle des Volums erscheint es wegen unserer Vertrautheit mit diesen Thatsachen so selbstverständlich^ dass man sich auf sein Vorhandensein erst besinnen muss, und sich ein gegenteiliges Verhalten der Erscheinungen nicht vor- stellen kann. Doch giebt es andere Kapazitätsgrössen^ die uns weniger geläußg sind; und bei denen die Entdeckung des entsprechenden speziellen Gesetzes ein wichtiger Fortschritt war.

Das Gesetz besagt, dass in einem gegebenen Gebilde bei allen möglichen Änderungen die Summe der Kapazitätsgrössen

Einleitung. Allgemeine Energetik. 249

konstant bleibt. In seiner Anwendung auf die Volumenergie heisst dies, dass das Gesamtvolum sich nicht ändern kann, oder dass, wenn irgend ein Körper sein Volum vermehrt, daf^ ein anderer (oder mehrere) sein Volum um gleich viel vermindern muss. Dass es sich hier nicht um etwas ^Selbstverständlidies" handelt, sieht man, wenn man etwa versueht, einen gleichen Satz fQr den Druck auszuspredien, und sich überzeugt, dass er unzutreffend ist. Vielmehr ist diese Eigenschaft ein wichtiges Stück für die Beschreibung des Raümbegriffes.

Die beiden nächsten Formen der mechanischen Energie, die Ober- flächen- und die Distanzenergie, geben zu ganz ähnlichen Betrachtungen Anlass. Bei der ersteren ist die Intensitätsgrösse die Spannung, die Eapazitätsgrösse die Fläche; bei der anderen sind es Strecke und Kraft. Da sie ftir die Umwandlung in chemische Energie so gut wie gar nicht in Frage kommen, muss hier von der eingehenderen Erörterung ihrer Eigenschaften abgesehen werden.

Die vierte mechanische Energieform hat eine mehrfache Wichtig- keit. Ihre Faktoren sind Masse und Geschwindigkeitsquadrat, entsprechend der Formel ^/^mv^ (S. 5). Die Masse haben wir als Kapazitätsgrösse anzusehen; die Greschwindigkeit ist die Intensität. Denn zwei Massen sind nur dann gegen die wechselseitige Änderung ihrer Bewegungsenergie geschützt, wenn sie (an Wert und Richtung) gleiche Geschwindigkeiten haben, da sie nur dann in unveränderlicher gegenseitiger Entfernung bleiben.

Für die Masse haben wir das Erhaltungsgesetz der Kapazitäts- grössen auszusprechen, und finden das wichtige Gesetz von der Er- haltung der Masse, das uns bereits am Anfange unserer Betrachtungen entgegentrat, hier als einen besonderen Fall des allgemeineren Ge- setzes wieder.

Ausser dieser Zerlegung der Bewegungsenergie in zwei Faktoren kann man noch eine andere in Vi^ und mv vornehmen. Hier tritt mv als Kapa- zitätsgrösse auf, und auch für diesen Ausdruck, der in der Mechanik als Be- wegungsgrösse bekannt ist, gilt das Erhaltungsgesetz. Es nimmt je nach Umständen verschiedene Formen an; am bekanntesten ist es als das Gesetz Yon der Erhaltung des Schwerpunktes. Doch ist wegen mangelnder chemischer Beziehungen hierauf nicht näher einzugehen.

In^em wegen der Beschreibung der Eigenschaften der anderen Energieformen auf die späteren TeUe dieses Buches verwiesen wird, seien hier noch einige Worte über die chemische Energie voraus- geschickt. Bei der Umwandlung irgend welcher Stoffe in andere finden allgemein Änderungen der Gesamtenergie statt, welche wir einem ver- änderten Gehalt des Gebildes an chemischer Energie zuschreiben, soweit nicht andere Energiearten dabei aus- oder eingetreten sind. Auch ftir diese Energieform ist die Intensitäts- und Kapazitätsgrösse aufzusuchen.

Als Kapazitätsgrösse kennzeichnet sich die Stoff menge, welcher die ehemische Energie proportional ist, und deren Betrag keinen Ein- flnss auf ein gegebenes chemisches Gleichgewicht hat. Man muss diesen

250 Yerwandtschaftslehre.

Begriff durchaus nicht mit der Masse oder dem Gewidit verwechseln;' er ist beiden Grössen proportional, aber mit keiner von ihnen identisch. Dies ergiebt sich schon daraus, dass zwei Körper an Masse und Gewidit gleich sein können, und dabei in Bezug auf chemische Energie wät' verschieden. Das Erhaltungsgesetz für diese chemische EapazitätsgrosBe ist dalier auch nicht auf die Erhaltung der Masse und des Gewichtes bei beliebigen (Gemischen Umwandlungen beschränkt, sondern das früher ausgesprochene Gesetz von der Erhaltung der Art bei chemischen Vorgängen (S. 5) tritt noch als weitere Spezialisierung dazu.

Gegenüber den anderen chemischen Kapazitätsgrössen zeigt die chemische einen wesentlichen Unterschied, der auch ein entsprechendes Verhalten der chemischen Intensitätsgrösse bedingt. Zwei Massen oder Volume sind nur durch ihren Zahlenwert verschieden und können nur positiv sein. Zwei Stoff- mengen sind ausser durch ihren Zahlenwert im allgemeinen noch durch ihre Art verschieden. Eine Folge davon ist, dass man Massen oder Volume unbe- schränkt addieren oder zusammensetzen kann, während man chemische Mengen nur dann addieren kann, wenn sie gleicher Art sind. Ausserdem bestehen zwischen den chemischen Kapazitätsgrössen noch die Beziehungen, die durch die chemischen Gleichungen auf Grundlage der stöchiometrischen Gesetze ausgedrückt werden können. Diese viel grössere Mannigfaltigkeit der chemischen Energie bedingt eine entsprechende Verwickelung der chemischen Energetik und ist eine Erklärung für die Verspätung, die ihre wissenschaftliche Gestaltung erfahren hat.

Hierdurch fällt auch ein neues Licht auf die Frage nach einer etwaigen gegenseitigen Umwandlung der Elemente. Man kann nicht sagen, dass sie absolut unmöglich sei, aber man kann sagen, dass sie eben so wahrscheinlich, bez. unwahrscheinlich ist, wie eine Verletzung des Gesetzes von der Er- haltung der Masse.

Der Intensitätsfaktor der chemischen Energie ist das chemische Potential in Analogie mit dem mechanisdien und dem elektrischen Potential genannt worden. Der Begriff fällt nahezu zusammen mit dem, was man unbestimmter die chemische Verwandtschaft genannt hat Es wird sich später Gelegenheit finden, ihn schärfer zu bestimmen. Für jetzt sei nur erwähnt, dass die Gleichheit des chemischen Potentials der vorhandenen Stoffe fUr das chemische Gleichgewicht ebenso wesentlich ist, wie etwa Gleichheit des Druckes für das Gleichgewicht der Volumenergie.

Die Lehre von der chemischen Verwandtschaft ist nun die Lehre von der Umwandlung der chemischen Energie in die anderen Formen, und es wird demgemäss soviele Teile dieser Lehre geben, als es andere Energieformen giebt. Bei dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens ist allerdings dieses Programm nicht ganz auszufüllen, und die Kenntnis der verschiedenen Umwandlungsbeziehungen ist sehr verschieden entwickelt.

Von diesen sind Thermochemie und Elektrochemie längst anerkannte Gebiete; auch die Beziehung zwischen strahlender Energie in der Form des Lichtes und chemischer Energie sind als Photo-

VII. Thennochemie. Allgemeines. 251

ehemie ein besonderes Kapitel der Wissenschaft. Bezüglich der vier Energieformen^ die in ihrer Beziehung zur chemischen Energie eine Mechano Chemie geben sollten^ ist eine derartige Zusammenfassung zwar Ihatsachlich vorhanden ^ aber dodi in diesem Sinne kaum ausgesprochen worden. Beachtet man aber, dass bei allen chemischen Vorgängen Änderungen der Konzentration der beteiligten Stoffe vorkommen und fflch als wesentlich für den Verlauf der Erscheinungen erweisen, so wird man als die zugehörige Energieform die Volumenergie erkennen, die (teilweise in der Form osmotischer Volumenergie, S. 211) sich mit der chemischen umsetzt und die Ercheinungen bedingt. Was man also in übertragener Bedeutung chemische Mechanik genannt hat, verdient in der That diesen Namen im eigentlichen Sinne, da die Lehre vom chemischen Gleichgewicht thatsächlich die Lehre von den gegenseitigen Beziehungen zwidien chemischer und mechanischer, speziell Volum- energie ist.

Es erhebt sich alsbald die Frage nach etwaigen Beziehungen der diemischen Erscheinungen zu den drei anderen mechanischen Energieformen. Hierüber ist zu sagen, dass sie noch sehr wenig entwickelt sind. Es ist bekannt, dass manche Lösungen an ihrer Oberfläche eine andere Zu- sammensetzung haben, als im Inneren: hier haben wir es also mit einer Be- ziehung zwischen chemischer und Oberflächenenergie zu thun. Femer sind einige wenige Fälle bekannt, in denen chemische Vorgänge durch Be- wegungsenergie beeinflusst werden (Einflussder Centrifiigalkraft auf che- mische Gleichgewichte, Bredig 1895), und ein gleicher Einfluss durch die Schwere, eine Form der Distanz energie ist gleichfalls theoretisch wie experimentell nachgewiesen worden. Indessen sind alle diese Beziehungen sehr wenig entwickelt und spielen auch in den Erscheinungen der Natur und den technischen Vorgängen keine erhebUche Rolle, so dass sich die Mechanochemie praktisch auf die erstgenannte Beziehung zur Volum- energie beschränkt.

Siebentes Buch.

Thermochemie.

Erstes Kapitel. Allgemeines.

Von allen Umwandlungen der chemischen Energie in andere Formen erfolgt die in Wärme am leichtesten und vollständigsten. Die Thermo- chemie oder die Lehre von den Beziehungen .zwischen Wärme und chemischer Energie gehört daher zu den ältesten Gebieten der Ver- wandtschaftslehre und kann auch zur Zeit noch als das experimenteil am vollständigsten bearbeitete bezeichnet werden.

Die Wichtigkeit einer genauen Kenntnis der Beträge chemischer Energie ergiebt sich, wenn man sich die Frage nach den Quellen und

252 Vn. Thennochemie.

Vorräten der Energie stellt, welche für die technisdi und physiologüdi wichtigen Vorgänge verwendet werden. Es zeigt sidi dann, dass zu- nächst alle in der Technik verwerteten Energiequellen chemischen Ur- sprungs sind, indem sie auf die Verbindung der Elemente der Brenn- materialien mit dem Sauerstoff der Luft zurückgehen. Dazu kommt aber noch, dass auch die gesamte Lebensthätigkeit aller Organismen sieh ausschliesslich auf chemische Vorgänge und die bei denselben ireiwerdende Energie gründet. Die chemische Energie ist somit diejenige Form, weldie von allen am meisten und häufigsten in Frage kommt, und weldier im Haushalte der Natur der erste und umfassendste Platz eingeräumt ist

Die Geschichte der Thermochemie beginnt demgemäss mit technisdien und physiologischen Problemen, welche von Lavoisier und Laplace, Rumford, Dulong, Despretz u. a. gestellt und zu lösen versucht wurden. Eine prinzipielle Grundlegung nach einer Seite rührt von den erstgenannten her, welche den Satz aufstellten, dass zur Zerlegung einer Verbindung ebensoviel Wärme er- forderlich sei, wieviel bei ihrer Bildung aus den Elementen frei wird. Es ist dies ein einzelner, und zwar besonders einfacher Fall des allgemeinen Energiesatzes.

Durch 6. H. Hess wurde (1840) für thermochemische Vorgänge der erste Energiesatz zuerst in seinem ganzen Umfange als das Gesetz der konstanten Wärmesummen ausgesprochen. Dasselbe besagt, dass für die Wärmeentwickelung bei chemischen Vorgängen nur der Anfangs- und der Endzustand massgebend ist; sind diese gegeben, so ist damit auch die Wärmeentwickelung gegeben, welches auch die Zwischenzustände seien.

Entsprechend unseren gegenwärtigen Vorstellungen ist mit jedem Zu- stande eines Gebildes ein bestimmter Wert seiner Energie verknüpft, indem daß, was wir den „Zustand" nennen, eben durch die Art und Menge der vorhandenen Energie gegeben ist. Zwei verschiedenen Zu- ständen entsprechen daher zwei verschiedene Energiegrössen, und die Differenz der beiden muss ab- oder zugeführt werden, wenn das Gebilde aus dem einen Zustande in den anderen übergehen soll. In welchen Anteilen diese Ab- oder Zufuhr geschieht, ist flir den schlieöshchen Wert offenbar gleichgültig.

Hess hat seinen Satz als eine Folgerung aus der Erfahrung, mit vollem Bewusstsein indes seiner Tragweite aufgestellt. Er prüfte ihn auf ver- schiedene Weise, indem er einen und denselben chemischen Vorgang auf ver- schiedene Weise in Teilvorgänge zerlegte und deren Wärmeentwickelung einzeln mass. Die Summe erwies sich dann immer gleich gross, wie auch die Zerlegung vorgenonftnen war. Aus seinen Zahlen sei die folgende Tabelle

angeführt:

Summe

H«SO*

+ 2NH« ^gelöst) 595-8

595-8

H«SO* + H*0

77-8

518-9

596-7

H«S0* + 2H«0

116-7

480.5

597.2

H«S0* + 5H*0

155-6

446.5

6018

Thermochemische Methoden. 253

He erste Zahlenreihe stellt die Wärmemengen dar, welche bei der Ein- wirkung von Schwefelsäure auf 1, 2 und 5 Mole Wasser frei werden, die iweite die Wärmemengen, welche die so verdünnten Schwefelsäuren beim ^^eutralisieren mit Ammoniak geben. Die Summe beider ist sehr annähernd constant.

Die Bedeutung dieses Satzes für die Methodik der Thermochemie st sehr gross und von Hess vollständig erkannt worden. Er gestattet^ lie Wärmemengen solcher Vorgänge zu berechnen, welche direkt nicht nessbar sind, indem man sie als Glieder einer Summe darstellt , deren mdere Glieder und Gesamtwert bekannt sind. So kann man z. B. licht die Wärmemengen messen, welche bei der Verbrennung d^ Kohle Bu Kohlenoxyd firei wird. Misst man aber die Wärmemenge, welche nan erhält, wenn man Kohle zu Dioxyd verbrennt, so muss sie gleich }ein der Verbrennungswärme von Kolile zu Kohlenoxyd plus der von Kohlenoxyd zu Dioxyd. Letztere kann man gleichfalls messen; zieht man die Zahl von der ersteren ab, so erhält man die gesuchte Ver- brennungswärme der Kohle zu Kohlenoxyd.

Neben und nach Hess, welcher als der eigentliche Begründer der Thermochemie anzusehen ist, wirkten andere Forscher, so Andrews, Graham und namentlich Favre und Silbermann, welch letztere ein sehr reichliches Beobachtungsmaterial sammelten. An Klarheit der Anschauungen stehen sie alle hinter Hess zurück.

Die Ergebnisse der inzwischen entwickelten mechanischen Wärme- theorie wurden von J. Thomsen zuerst (1853) auf die Thermochemie ange- wendet; dieser Forscher hat bis in die neueste Zeit eine überaus grosse Zahl von Messungen auf diesem Gebiete, grossenteils von erheblicher Ge- nauigkeit, ausgeführt. Später (1865) begann Berthelot sich mit ähnlichen Problemen, besonders auch im Gebiete der organischen Chemie zu beschäftigen. Beide Forscher sind diejenigen, welchen wir den grössten Teil unserer Kennt- nisse auf dem Gebiet der Thermochemie verdanken. Eine grosse Zahl von sehr genauen Bestimmungen über Verbrennungswärmen organischer Stoffe verdanken wir F. Stohmann.

Zweites Kapitel. Thermochemische Methoden.

In der Thermochemie hat man bisher als Wärmeeinheit die Kalorie benutzt, d. h. die Wärmemenge, welche zur Erwärmung von 1 g Wasser um einen Grad erforderlich ist. Es ist bereits (S. 88) dargelegt worden, dass diese Einheit nicht rationell ist, und durch das Erg oder ein Viel- feches davon ersetzt werden muss. Für die Zwecke der Thermochemie ist der Wert von 10^® Erg gleich 1000 Joule,, oder das Kilojoule = J ^e zweckmässige Einheit. Sie soll in der Folge benutzt werden. Der Umrechnung aus den gewöhnlichen Angaben ist die bei 18" gemessene

254 VII. Thermochemie.

Kalorie nach Rowland, 1 cal = 41830000 Erg zu Grande gelegt wordeiu] Dies ist dadurch gerechtfertigt, dass die meisten thermochemischen B^j Stimmungen auf diesen Wert bezogen sind.

Um also eine in Eilojoule = J gegebene Zahl auf gewöhnlichi Kalorieen umzurechnen , ist sie mit 0*004183 zu dividieren oder mil 2391 zu multiplizieren. Will man mittiere Kalorieen K=100 cal ei halten, so ist der Faktor 2-391.

Die thermochemischen Thatsachen lassen sich kurz und zur Rechnun(

geeignet darstellen, wenn die Bedeutung der gewöhnlichen chemischen]

Gleichungen dahin erweitert wird, dass sie nicht nur die Massen- sondei

auch die Energieverhältnisse zur Darstellung bringen. Wenn wir z. B.

die Gleichung schreiben

Pb + 2J = PbJ^

so besagt sie, dass sich aus Blei und Jod Jodbld bildet, und zwar ans 206-9 g Blei und 253-8 g Jod 460-7 g Jodblei. Sollen die Zeichen aber nicht die Gewichtsmengen der Stoffe, sondern auch die Energiemengen, welche sie kennzeichnen, darstellen, so ist die Gleichung unvollständig. Denn bei der Bildung des Jodbleis wird Wärme frei, und zwar 167 J*), um soviel ist die Energie des Jodbleis kleiner, als die der Bestandteile. Die entsprechende Energiegldchung lautet demnach

Pb-f-2J = PbJ»+167J,

und bedeutet: 206-9 g Blei und 253-8 g Jod enthalten ebensoviel Energie, wie 460-7 g Jodbiei plus 167 J.

Die Gleichung gestattet beliebige algebraische Umformungen, und muss dann entsprechend verschieden gelesen werden. So bedeutet

Pb + 2J PbJ»=167J,

der Unterschied der Energie von Blei plus Jod und Jodblei beträgt 167J.

Oder PbJ2 = Pb + 2J 167 J,

wenn Jodblei in Blei und Jod zerlegt wird, so müssen dabei 167J auf genommen werden.

Die Gleichungen sind sämtlich so zu verstehen, dass die Energie der Stoffe f&r eine und dieselbe Temperatur gelten soll. Als solche dient gewöhnlich die mittlere Zimmertemperatur von 18®.

Der Energieinhalt der Stoffe ist femer davon abhängig, in welchem Aggregatzustande sie sich befinden. Es ist am einfachsten, diesen durcli Klammem anzudeuten *). Ohne E^lammern erschdnen Flüssigkeiten, die am meisten in Betracht kommen. Gase sollen mit randen, feste Körper mit eckigen Klammem (an Krystalle erinnemd) bezeichnet werden. Dann bedeuten die Gleichungen

*) Eine Verwechslung der gleichen Zeichen J (Jod) und J (Kilojoule) wird durch den ZusammeiUiang als ausgeschlossen angesehen.

*) Ich verdanke diese Form der Bezeichnung einem Fachgenossen, dessen Namen ich nicht mehr weiss.

Thermochemische Methoden. 255

H,0 [H8 0]= 60 J

(H,0)— H«0 =40.5J

dass beim Übergange des flüssigen in festes Wasser 6-OJ, beim Über- gange des gasförmigen in flüssiges 40-5 J abgegeben werden.

I Es soll noch bemerkt werden, was bisher stillschweigend voraus- i gesetzt wurde, dass die angegebenen Energie- und Wärmemengen sich lauf Mole, d. h. auf solche Mengen der verschiedenen Stoffe beziehen, als deren Formelgewicht in Grammen beträgt.

Häufig sind die reagierenden Stofle in sehr viel Wasser aufgelöst. Man bezeichnet dies, indem man hinter das chemische Zeichen die Buch- staben Aq (aqua) setzt. Solche Lösungen geben keine Wärmeändening, wenn sie mit weiteren Wassermengen versetzt werden. Deshalb gelten die Gleichungen

M.Aq + nH«0=rM.Aq,

M.Aq nH«0 = M.Aq,

wo M den gelösten Stoff darstellt. Man kann also in thermochemischen i Gleichungen begrenzte Wassermengen neben Aq verschwinden lassen, \ oder davon abtrennen, ohne einen Fehler zu begehen.

So haben wir z. B. bei der Bildung des Ghlorkaliums in wässeriger ; Lösung

KOHAq + HClAq = K01(Aq + Aq + H «Q) + 573 J.

Statt dieser Gleichung schreiben wir stets

KOHAq + HClAq = KOlAq + 573 J,

; da die Vermischung der fireiwerdenden Wassermengen mit der Clilor- kaliumlösung keine Wärmeänderung bedingt.

Die vorstehend eingeführten Energiegleichungen sind besonders nützlich,

um mit ihrer Hilfe auf indirektem Wege thermochemische Daten berechnen

zu können, welche man unmittelbar nicht beobachten kann. Kehren wir zu

dem oben (S. 253) von Hess gegebenen Beispiel zurück, so haben wir durch

unmittelbare Messung

[C] + 2(0) = (CO«)+'394J

(C0)+ (0) « (CO«) + 284 J.

Zieht man die untere Gleichung von der oberen ab, so kommt

[C] + 2(0) (CO) 0 = llOJ oder [C] + (0) = (C 0) -f 110 J

d. h. die Verbindungswärme von Kohlenstoff mit Sauerstoff zu Kohlenoxyd beträgt llOJ.

Ein zweites, etwas verwickelteres Beispiel ist die von Hess bestimmte Bildungswärme des Schwefeltrioxyds. Das Verfahren bestand darin, dass ein Gemenge von Bleioxyd mit Schwefel im Sauerstoff verbrannt wurde. Es bildet sich dabei Bleisulfat unter Entwickelung von 692 J ; wir haben demnach die Gleichung [Pb 0] + [S] + 3 (0) = [Pb SO*] + 692 J.

256 ^n. Thermochemie.

Um die Glieder Pb 0 und Pb SO^ aus der Gleichung zu eliminieren, wurde Bleioxyd mit verdünnter Schwefelsäure zu Bleisulfat verbunden; es ergab sieb

[Pb 0] + H«SO* Aq « [PbSO*] + Aq + 97 J. Subtrahiert man diese Gleichung von der oberen, so folgt

[S] + 3 (0) + Aq == H«SO* Aq + 595 J, d. h. die Bildung der wässerigen Schwefelsäure aus Schwefel, Sauerstoff und Wasser entwickelt 595 J.

Schliesslich löste Hess Schwefeltrioxyd in Wasser:

[SO»] + Aq = H^SO* Aq + 172 J. Durch Abziehen dieser Gleichung von der vorigen folgt

[S] + 3[0] [SO»] + 423J, wodurch der gesuchte Wert erhalten wird.

Auf ähnliche Weise können zahllose Aufgaben gelöst werden. Die Methode besteht im allgemeinen darin^ dass man irgend zwei Reaktionen misst, bei welchen die iraglichen Stoffe, welche den Ausgang und das Endprodukt der gesuchten Reaktion bilden, vorkommen, und die Hil^ Stoffe, welche bei diesen Reaktionen gedient haben, durch passende Gleichungen zwischen denselben eliminiert. Von der Geschicklichkeit des Experimentators hängt es ab, die Reaktionen so zu wählen, dass sie sich möglichst genau messen lassen, und dass sie das Ziel mit möglichst wenig Umständen zu erreichen gestatten.

Eine besonders häufig berechnete Reaktionswärme ist die Bildungs- wärme. Man bezeichnet mit diesem Namen den Unterschied zwisdien der Energie einer chemischen Verbindung und der ihrer Elemente. Man erhält diese Zahlen aus den entsprechenden Reaktionsgleichungen, in denen nur die Elemente und die Verbindung vorkommen. Aus

[Pb] + 2 [J] = [Pb Ja] 4- 167 J

folgt, dass die Bildungswärme des Jodbleis 167 J ist

Die Bildungswärme ist somit der Energieverlust, weldien die Elemente erfahren, wenn sie sich zu der betreffenden Verbindung ver- einigen. Zählt man die Energiemengen (die ihrer absoluten Grösse nach vollkommen unbekannt sind), indem man die der freien Elemente gleich Null setzt, so erhält die Gleichung die Form

0 + 0 = PbJ«+167 J,

indem [Pb] = 0 und [2 J] == 0 gesetzt wnrd. Man kann dies auch schreiben

[PbJ2]=— 167 J.

In den Energiegleichungen lässt sich somit die Formel der Verbindungen durch ihre Bildungswärme unter Umkehrung des Zeichens ersetzen.

Diese Regel gestattet, mit Hilfe der Bildungswärmen Reaktions- wärmen sehr leicht zu berechnen. Es sei z. B. die bei der Darstellung des Magnesiums auftretende Wärmemenge zu berechnen. Wir haben

[Mg Gl*] + 2 [Na] = 2 [Na Gl] + [Mg] + x.

Nun ist die Bildungswärme von Ghlormagnesium 632 J, die von Chor-

Thermochemische Methoden. 257

natrimn 408 J. Machen wir die Snbstitation; so kommt; indem man die Bildungswärme der freien Elemente gleich Null setzt,

632 + 2X0 = 2X408 + 0 + X

x = 184 J.

Wegen dieser einfachen Gestalt der Rechnung pflegt man für die ver- schiedenen chemischen Verbindungen die Bildungswärme zu ermitteln, um sie weiteren Rechnungen zu Grunde zu legen. Auch in den weiter unten folgenden Zusammenstellungen sind die Bildungswärmen vorzugs- weise angegeben.

Was nun die Ausführung thermochemischer Versuche anlangt, so lassen sich, trotz der Mannigfaltigkeit der von verschiedenen Forschem benutzten Methoden und Apparate, doch einige allgemeine Angaben aufstellen. Denn von den zahlreichen Reaktionen der Experimental- diemie eignet sich nur eine relativ geringe Anahl zu thermochemischen Messungen, nämlich fast nur solche, welche m der kurzen Zeit einiger Minuten bei gewöhnlicher Temperatur verlaufen. Dahin gehören vor allem die verschiedenen Vorgänge der Sabsbildung in wässerigen Lösungen, sowie alle Lösungs- und Verdtinnungsvorgänge.

Eine zweite Klasse von thermochemischen Vorgängen sind die leb- haften Verbrennungen, welche dadurch, dass man sie in einem allseitig geschlossenen, von Wasser umgebenen Räume stattfinden lässt, gleich- falls der Messung bequem zugänglich werden. Auf diese beiden Formen lässt sich die grösste Zahl der thermochemischen Experimente zurückführen.

Für thermochemische Messungen in wässeriger Lösung bedient man sich gläserner oder metallener Kalorimeter, am besten solcher von Platin.

Handelt es sich um die Auflösung eines festen, flüssigen oder gas- formigen Stoffes in der Flüssigkeit des Kalorimeters, so besteht der Versuch darin, dass man den Stoff möglichst auf die Temperatur des Kalorimeters bringt und dann den Vorgang einleitet. Durch einen Rührer wird für gleich - formige Verteilung der Stoffe wie der Wärme gesorgt. Dieser hat gewöhnlich die Form einer horizontalen Platte, die für den Durchgang des Thermometers u. 8. w. passend durchbrochen ist, und wird senkrecht auf und ab bewegt.

Wenn die Reaktion zwichen zwei annähernd gleichen Flüssigkeitsmengen stattfinden soll, so muss die Temperatur jeder im Augenblicke der Ver- mischung genau gemessen sein. Thomson ordnet in diesem Falle über dem Kalorimeter ein kleineres Gefäss an, welches mit Rührer und Thermometer ausgestattet wird, wie das Kalorimeter, und lässt, nachdem die Temperatur beiderseits abgelesen ist, durch ein Ventil im Boden des oberen Gefässes die Flüssigkeit in das untere strömen. Berthelot bringt die eine Flüssigkeit wie Thomsen in das Kalorimeter, die andere dagegen in einen dünnwandigen, breithalsigen Kolben, welcher innerhalb eines Schutzcylinders von innen ver- silbertem und poliertem Kupferblech steht. Nachdem die Temperatur fest- gestellt ist, wobei das Thermometer als Rührer dient, wird der Kolben mit einer hölzernen Zange erfasst und in das Kalorimeter entleert. Die An-

Ostwald, GrundriBB. 8. Aufl. 17

258

VII. Thermochemie.

Ordnung Thomsons verwirft er, weil die Flüssigkeit des oberen Gefässes beim Durchgang durch das Ventil ihre Temperatur ändern könnte. Dieser Einwand ist indessen unbegründet, da nach der Art, wie Thomsen seine Thermometer vergleichbar macht, ein derartiger Fehler eliminiert wird. Im Gegenteil er- weist sich Thomsons Anordnung als genauer, was wohl wesentlich dadurch bedingt wird, dass dieser die Thermometer mit einem Femrohr abliest, BerÜielot dagegen mit blossem Auge.

Das Kalorimeter zu Verbrennungen fester, flüssiger oder gasförmige Körper in Gasen hat eine allmähliche Ausbildung von der unvoll- kommenen Gestalt; die es bei Dalton, Davy und Rnmford besass, durdi Dulong; Despretz und namentlich Favre und Silbermann erhalten. Es besteht aus einem mit Wasser gefüllten Cylinder, in welchem die Ver- brennungskammer eingesenkt ist; eine Anzahl Röhren, die zur Zuftlhinmg der erforderliehen Gase bestimmt sind, münden in dieselbe, und die Verbrennungs- produkte werden durch ein langes, schraubenför- mig aufgewickeltes Metallrohr abgeleitet, um all die Wärme an das Calorimeterwasser abzugeben. Der Apparat hat im Laufe der Zeit nicht vid Änderung er&hren. Thomsen nimmt die Metallteüe aus Platin, und Berthelot hat gläserne Verbren- nungskammem eingeführt, die ein bequemes Be- obachten des Vorganges gestatten.

An Stelle der Verbrennung in Sauerstoff von gewöhnlichem Druck ist in neuerer Zeit die in ver- dichtetem Sauerstoff getreten, welche das ältere Verfahren so gut wie vollständig verdrängt hat Der Apparat ist von Berthelot und Vieille ausge- bildet worden (1881); er besteht aus einem stark- wandigen Gefäss von Stahl, Fig. 34, das im Inneren mit einem Überzuge von Platin (bei wohl- feileren Apparaten von Email) ausgekleidet ist Ein durch eine Schraube verschliessbares Ventil gestattet, den Sauerstoff unter Druck hineinzubringen; gewöhnlich genügen 25 Atm. Der zu verbrennende Stoff befindet sidi in einem Platinschälchen, das in äex Mitte der „Bombe" aufgehängt ist Die Entzündung wird dadurch bewirkt, dass sich dicht über dem Schälchen ein dünner Eisendraht befinde^ durch welchen von aussen ein elektrischer Strom geleitet werden kann; es verbrennt zunächst der Draht, und die weissglühenden Tröpfchen von Eisenoxyd, die sich dabei bilden, fallen auf den Stoff und entzünden um. Feste und nichtflüchtige flüssige Stoffe kommen unmittelbar in das Schälchen; flüchtige Flüssigkeiten schliesst man in Blasen aus Kollodium- haut. Einige sauerstoffreiche Stoffe verbrennen unter diesen Umständen nicht; solche werden mit einer gewogenen Menge Naphthalin vermischt und das Ergebnis wird für die Verbrennungswärme dieses Zusatzes korrigiert

Fig. 34.

Thermochemische Methoden. 259

Der Vorteil der Verbrennung in der Bombe liegt einerseits dann, dass der Vorgang augenblicklich erfolgt, andererseits in der Vollständig- keit der Verbrennung. Die meisten Stoffe geben in Sauerstoff von Atmosphärendruck mehr oder weniger erhebliche Mengen Kohlenoxyd neben Kohlendioxyd, und die Messungen müssen hierflir korrigiert werden,

; was grosse Schwierigkeiten, bez. Ungenauigkeiten mit sich bringt.

! Durch die Anwendung des im Handel vorkommenden auf 100 Atm.

verdichteten Sauerstoffs, die von Stohmann heiTührt, ist das Arbeiten mit der Bombe besonders einfach gemacht worden.

Ein anderes Verfahren ist die Verbrennung mit gebundenem Sauerstoff, speziell mit chlorsaurem Kali, welches zuerst von Frankland (1866) benutzt, später von Stohmann und seinen Schülern entwickelt und angewandt wurde. Dabei wird der zu untersuchende Stoff mit chlorsaurem Kali und indifferenten Verdünnungsmitteln (Bimstein) zu einer Art von Feuerwerkssatz gemengt und innerhalb eines Wasserkalorimeters zum Abbrennen gebracht. Es wird jetzt nicht mehr benutzt.

, Schliesslich muss noch erwähnt werden, dass in einigen Fällen auch das

Bunsensche Eiskalorimeter zu thermochemischen Versuchen benutzt worden

j ist. Neben dem Vorzug der kleinen Substanzmengen ist als Nachteil die subtile Behandlung zu nennen. Zudem gestattet es nur bei der Temperatur zu arbeiten, was häufig ein Vorteil, in gewissen Fällen aber ein Nachteil ist.

I Der wichtigste und schwierigste Teil einer kalorimetrischen Be-

stimmung ist die Temperaturmessung. Man kann allerdings durch Ver- wendung enger Kapillaren und grosser Gefaßse sehr empfindliche Thermo- meter herstellen und verwendet jetzt gewöhnlich solche, die direkt in

I -— Grad geteilt sind, also mit dem Femrohr noch -——- Grad zu schätzen ! 50 ' 500

gestatten. Doch liegt die Schwierigkeit viel weniger im Mangel an Empfiindlichkeit der Thermometer als darin, dass das Kalorimeter in stetem Wärmeaustausch mit seiner Umgebung steht, wodurch das eigentliche tiiermische Ergebnis mehr oder weniger gestört wird. Der Fehler ist um so grösser, je kleiner das Kalorimeter ist, mit der Grösse von einem halben liter ist das zulässige Minimum gegeben, bei welchem die zu- fälligen Störungen noch unterhalb der durch die Genauigkeit der Tempe- i raturmessung gegebenen Grenze bleiben.

IJm die Strahlung möglichst zu beschränken, poliert man das Kalori- meter glänzend, und stellt es in einen etwas weiteren, auf der Innenseite gleichfalls glänzend polierten Cylinder. Letzteren umgiebt Berthelot mit einem grossen Doppelgefäss aus Weissblech, dessen Zwischenräume mit Wasser gefüllt sind. Thomsen zieht die Anwendung von Metall- oder PapphtiUen, zinschen denen sich nur Luft befindet, vor.

Die Methode, um die Temperaturmessungen von dem Einflüsse der Strahlung zu befreien, rührt von Regnault her und beruht auf folgender Überlegung. Die Temperaturänderung, welche das Kalorimeter während des

17*

260 VII. Thermochemie.

Versuches duch Ausstrahlung erfährt, kann innerhalb der geringen Unter- schiede als eine lineare Funktion der Temperatur selbst angesehen werden. Kennt man sie daher für die äussersten vorgekommenen Temperaturen, so kann man sie für alle Zwischentemperaturen proportional interpolieren.

Um dies auszuführen, beobachtet man das Thermometer in regelmässigen Zeitabschnitten (z. B. 1/3 Sek.) vor dem Beginn des Versuches; daraus er- giebt sich die Änderung für die niedrigste Temperatur, falls die Reaktion Wärme entwickelt. Dann leitet man die Reaktion bei einem solchen Ab- schnitte ein, und beobachtet in gleicher Weise das Thermometer, bis die Temperatur sich wieder proportional der Zeit ändert. Dann ist die Reaktion zu Ende, und man erfährt die Änderung für eine Temperatur, die der höchsten sehr nahe liegt. Indem man nun proportionale Temperaturverluste für die inzwischen abgelesenen Temperaturen während der Reaktion ansetzt, kann man durch deren Zufügung berechnen, welches die Endtemperatur gewesen wäre, wenn gar keine Verluste stattgefunden hätten.

Dies ist das Prinzip des Verfahrens; die Einzelheiten sind in den Werken über Thermochemie oder den ausführlicheren Lehrbüchern der Physik nachzusehen.

Die Zahl der bei einer thermochemischen Reaktion entwickelten Wärmeeinheiten erhält man, wenn man die Wärmekapazität des Kalori- meters mit der (korrigierten) Temperaturänderung multipliziert. Um die Berechnung auf die oben (S. 253) angegebenen Einheiten durchzufiihren, ist noch die obige Zahl im Verhältnis der wirklich angewandten zu der durch das Formelgewicht gegebenen Gewichtsmenge der wirkenden Stoffe zu vergrössem resp. zu verkleinem.

Was die Wärmekapazität des Kalorimeters anlangt, so hat man zunächst die Kapazität des Gefässes, Rührers, Thermometers, sowie sämtlicher anderen Teile, welche die Temperaturändeiningen mitmachen, zu bestimmen oder durch Multiplikation der spezifischen Wärme mit dem Gewicht zu berechnen. Femer muss man die spezifische Wärme der Flüssigkeit kennen, wenn diese nicht Wasser ist. Da man die spezifische Wärme von Lösungen nicht aus denen des Losungsmittels und des Ge- lösten ableiten kann, so müsste sie eigentlich in fast allen FUllen neu bestimmt werden. Die Thermochemiker haben bisher meist von dieser erheblichen Komplikation abgesehen und sich durch Annalimen geholfen, welche ohne Kenntnis der fraglichen Zahlen dennoch recht genaue Rechnungen gestatten. Thomson setzt die Wärmekapazität seiner Lösungen gleich der des in ihnen enthaltenen Wassers. Die Annahme, weldie Thomson selbst eingehend geprüft hat, ist zwar in den seltensten Fällen ganz richtig, die Abweichungen sind aber bald positiv, bald negativ, und bei den verdünnten Lösungen, um die es sich hier fast ausschliesslich handelt, stets nur klein.

Ein Urteil über die Zulässigkeit eines solchen Verfahrens erhält man, wenn man die Werte der Molekularwärmen wässeriger Lösungen und ihrer Unterschiede gegen die des enthaltenen Wassers nachrechnet. Aus ihnen

Thennochemische Methoden. 261

ist ersichtlich, dass die Unterschiede meist nicht ein Prozent erreichen und nur in besonderen Fällen grösser sind. Die Genauigkeit kalorimetrischer Be- stimmungen ist wechselnd, häufig aber grösser, so dass immerhin nicht zu leugnen ist, dass durch die angegebene Kechenweise die Zahlen etwas be- einträchtigt werden.

Entsprechend den fUr unsere Rechnungen benutzten Einheiten ist die Wärmekapazität von 1 g Wasser gleich 0*004 183 J zu setzen.

Die Berechnung der beobachteten Wärmeeflfekte Q erfolgt nun nach der Formel

Q= (tc ta)a + (tc - tb)(b + p),

wo ta die Temperatur der ausserhalb des eigentlichen Kalorimeters befindlichen Substanz, tb die der im Kalorimeter befindlichen und tc die korrigierte Endtemperatur nach der Reaktion darstellt; a ist das kalori- metrische Äquivalent der ersten, b das der zweiten Substanz (beim Mischungskalorimeter also der Wassergehalt der benutzten Lösungen). Mit p ist endlich der Wasserwert des Kalorimeters bezeichnet

So ist z. B. die Neutralisationswärme der Salzsäure mit Natron von Thomsen gleich 57-5 J geftinden worden, indem er je Vg Formelge- wicht oder ^/^ Äquivalent einer Lösung von der Zusammensetzung Na«0 + 200H«0 und H«C1« + 200H«0 aufeinander wirken liess. Die Lösung im Kalorimeter hatte die Temperatur 18 "-6 10, die im oberen Gefäss 18^-222, nach der Mischung war die korrigierte End- temperatur 22^-169. Die Lösungen hatten somit Temperaturerhöhungen von 3^-559 bez. 3**«947 erfahren. Multipliziert man diese mit dem Wassergewicht 450 g (= VsX 200H*0) und dem Faktor 0-004183, wobei für die erste Lösung noch der Wasserwert des Kalorimeters, 13 g, hinzuzufügen ist, so erhält man 6-90 -|- 7'47 = 14-37 J und durch. Multiplikation mit 4 (da ^4 Äq. benutzt war) 57-48 J als Neutralisations- wänne von einem Äquivalent Natron mit einem Äquivalent Salzsäure,

oder NaOHAq + HClAq = NaClAq + 57-5 J.

Von Thomsens Weise weicht Berthelot insofern ab, als er die Wärme- kapazität seiner Lösungen nicht nach dem Gewicht des Wassers, sondern nach dem Gesamtvolum bestimmt. Er verwendet daher auch nicht, wie Thomsen, Lösungen, die nach bestimmten Verhältnissen der Formelgewichte zusammengesetzt sind, sondern solche, wie sie in der Massanalyse gebräuchlich sind, die ein Mol oder einen Bruchteil davon in einem Liter enthalten. In einzelnen Fällen erreicht man dadurch einen noch besseren Anschluss an die Wahrheit, in anderen ist es umgekehrt. Doch hat das Verfahren den Vorzug grösserer Bequemlichkeit in der Ausführung.

Ein wichtiger Punkt bei thermochemischen Messungen ist der Ein- fluss der Temperatur auf die erhaltenen Zahlenwerte. Im allgemeinen ändern sich nämlidi die Energieunterschiede mit der Temperatur, und zwar deshalb, weil die Wärmekapazität der Ausgangsstoffe nicht gleich der der Produkte zu sein pflegt. Ist die erstere grösser, als die letztere,

262 VII. Thermochemie.

so wird für ihre Erwärmnng mehr Wärme aufgenommen, als ftkr die der Produkte 7 und daher muss die Wärmeentwickelung mit steigender Temperatur zunehmen. Umgekehrt ist es, wenn die Produkte eine höhere Wärmekapazität haben, als die Ausgangsstoffe.

Nun lehrt zwar das Gesetz von Neumann und Kopp (S. 188), dass die Wärmekapazität der Verbindungen unabhängig von ihrer Natur gleich der Summe der Wärmekapazitäten der Bestandteile sei, so daas hiemach die Ausgangsstoffe und die Produkte gleiche Kapazität haben müssten. Danach wäre also die Wärmeentwickelung unabhängig von der Temperatur. Aber dies Gesetz gilt nur für feste Stoffe, und andi für diese nur angenähert; so wie eine Verschiedenheit des Aggregat- zustandes eintritt, ja nur eine Flüssigkeit bei der Reaktion beteiligt ist, verliert das Gesetz seine Geltung, und es tritt die Veränderlichkeit der Wärmetönung mit der Temperatur ein.

Um diesen Einfluss in einer Formel auszudrücken, sei Q| die Wärmetönung bei der Temperatur t^, Qg bei t^; die Wärmekapazität der Ausgangsstoffe sei K, die der Produkte K'. Dann muss nach dem ersten Hauptsatze der Energieunterschied derselbe sein, auf welchem Wege man auch die Reaktion ausführt. Wir lassen sie einerseits bei t^ stattfinden, und haben die Wärmetönung Q^. Dann erwärmen wir die Ausgangsstoffe von t, auf t, und nehmen dabei die Wärme K (t, tj) auf. Bei t^ findet die Reaktion statt, und ergiebt Qg. Die Produkte werden auf tj abgekühlt, und geben dabei die Wärme K' (t^ t,^) ab. Die Summe muss gleich Qj sein, da beiderseits der Anfangs- und der Endzustand gleich ist. Es ist also

Q,=Q^+(K~K')(<,-t,),

welches die gesuchte Formel ist Sie ist zuerst von Kirchhoff aufgestellt worden.

Drittes Kapitel.

Thermochemie der Kiohtmetalle.

Infolge der Wichtigkeit, welche die Kenntnis der Energieändenmgen bei chemischen Vorgängen für die verschiedensten Aufgaben der Wissen- schaft und der Praxis haben, sind Messungen soldier Grössen in aus* gedehntester Weise durchgefiihrt worden, und es giebt kein anderei Gebiet der allgemeinen Chemie, in welchem eine so grosse Menge voa thatsäx^hlichem Material angehäuft wäre. Doch hat die Auffindung aO^ gemeiner Gesetze an diesem Material mit seiner Menge nicht Schrifl gehalten; mit Ausnahme der bereits ausgesprochenen halbquantitativei ]3eziehung, dass die Wärmeentwickelungen bei den Reaktionen entspredien-

Thermochemie der Nichtmetalle. 263

der Stoffe ebenso wie alle anderen Eigenschaften periodische Fanktionen der Atomgewichte der beteiligten Elemente sind, lässt sich kaum ein thermo- diemisches Gesetz von einigem Umfange angeben.

Die Ursache hiervon ist darin zu sadien, dass die Energieonter- sehiede för chemische Vorgänge nicht den Charakter von Naturkonstanten haben ; sondern in selir verschiedenartiger Weise von der Temperatur abhängen. Die bei durchschnittlich 18® bestimmten Wärmetönungen sind daher einigermassen zufällige Zahlen, und das Bild verschiebt sich in ungleichförmiger Weise, wenn man eine andere Beobachtungstempe- ratur wählt. Darin liegt gleichzeitig ein Hinweis darauf, dass zahlen- mässige Beziehungen, wie sie von verschiedenen Forschem angenommen worden sind, auf strenge Genauigkeit keinen Anspruch erheben können, ja in den meisten Fällen als zufällig angesehen werden müssen, wenigstens solange nicht der Einfluss der Temperatur auf jeden derartigen Fall ins klare gestellt worden ist.

Nur in der organischen Chemie, wo die grosse Ähnlichkeit der homologen Stoffe sich auch in ihren Energieverhältnissen geltend macht, und bei den Erschemungen der Salzbildung sind etwas umfassendere Regelmässigkeiten ausfindig gemacht worden, die an entsprechender Stelle Erwähnung finden sollen. Im übrigen kann auf den nachstehenden Seiten nicht viel mehr gegeben werden, als eine Zusammenstellung der beobachteten Bildungswärmen. Aus diesen lassen sich in der S. 256 geschilderten Weise die Wärmevorgänge, welche den verschiedenartigsten Reaktionen entsprechen, durch leichte Rechnungen ableiten, so dass die Tabellen der Bildungswärmen so ziemlich den ganzen thatsächlichen In- halt der Thermochemie darstellen*).

§ 1. Sauerstoff. Bildungswärme

Ozon 140 J (ungefähr).

Ozon bildet sich aus gewöhnlichem Sauerstoff unter bedeutendem Wärme verbrauch.

§ 2. Wasserstoff.

1. Wasser H^O 286 J flüssig. Schmelzwärme 6*0 J, Verdampfungswärme bei 100® 40-5 J.

2. Wasserstoffsuperoxyd H^O^ 189 J.

Die Bildungswärme des Wasserstoffeuperoxyds ist kleiner, als die des Wassers; somit geht ersteres in letzteres unter Abgabe von freiem Sauerstoff mit Wärmeentwickelung von 97 J über.

§ 3. Chlor.

1. Chlorwasserstoff HCl 92 J

Wasser nimmt das Gas unter Entwickelung von 72 J auf, so dass die Bildungswärme im gelösten Zustande 164 J beträgt.

*) Wegen der Einzelheiten verweist der Verf. auf sein ausführliches Lehrbuch der allgemeinen Chemie^ B4. II. I^eipzig, Engelmann,

264 Vn. Thermochemie.

BildungBwärme

2. ünterchlorige Säure CPO 74J

ClOH,Aq 126 J

Die Losungswärme des Anhydrids in Wasser beträgt 39 J.

3. Chlorsäure HClO^Aq 100 J

4. Überchlorsäure HC10*,Aq 162 J

Die wasserfreie Säure löst sich unter Entwickelung von 85 J m Wasser; die Bildungswärme derselben beträgt somit 77 J.

§ 4. Brom.

1. Brom. Die Schmelzwärme beträgt 5 «4 J, die Verdampfungs- wärme beim Siedepunkt 63® lö-l J.

2. Bromwasserstoff HBr 50*6 J

Das Brom ist hierbei gasförmig angenommen. Für flüssiges ist die Bildungs wärme 35-1 J. Von Wasser wird Brom Wasserstoff unter Entwickelung von 83 J aufgenommen.

3. ünterbromige Säure HOBr,Aq 125 J

4. Bromsäure HBrO^Aq 91 J In beiden Fällen ist das Brom gasförmig angenommen.

§ 5. Jod.

1. Jod. Die Schmelzwärme beträgt 6-3 J, die Verdampftingswärme 12-6 J. Für die Dissociationswärme des Jods J* in einzelne Atome ist der Wert 119 J von Boltzmann berechnet worden.

2. Jodwasserstoff HJ 25-5 J

Die Bildung des Jodwasserstoffs aus Wasserstoff und festem Jod verbraucht Wärme. Gasförmiges Jod würde sich fast ohne Wärme- effekt mit Wasserstoff verbinden. In Wasser löst sich das Gas mit 80 J auf, so dass die Bildungswärme des Jodwasserstoffii, HJ^Aq, 55 J beträgt.

3. -Jodsäure flJO» 243 J

HJ03,Aq 234 J

In Wasser löst sich die Säure mit 9-2 J. Für das Anhydrid ^t die Bildungswärme J^O^ 190 J

4. Überjodsäure HJO*,Aq 199 J

Die Lösungswärme der krystallisierten Säure, HJQ-*. 2H*0, ist nur 6 J.

5. Chlorjod JCl 24 J Schmelzwänne 9-6 J.

6.

Chlorjod

JCl

24 J

JCl»

90 J

Bromjod

JBr

10 J

§ 6. Fluor.

1. Fluorwasserstoff HFl 162 J

Lösungswärme 49 J, also Bildungs wärme der wässerigen Lösung 2 1 1 J.

ThermoGhemie der Nichtmetalle.

265

§ 7. Schwefel.

1. Schwefel. Schmelzwärme 1'26 J. Die verschiedenen Formen zeigen Energieonterschiede von 2 bis 4 J. Bildungsw&rme

2. Schwefelwasserstoff fl*S 11-3 J Die Lösongswärme in Wasser beträgt 19 J.

3. Schwefelige Säure SO« 297 J

Die Zahl bezieht sich auf die bei gewöhnhcher Temperatur be- ständige rhombische Modifikation des Schwefels. In Wasser löst sich das Dioxyd mit 32 J^ so dass die Bildungswärme der wässerigen Säure H«SO^Aq aus Wasserstoff^ Sauerstoff und Sdiwefel 615 J beträgt.

4. Schwefelsäure H«SO* 807 J

H«SO*,Aq 882

SO» 432

SO»,Aq 596,,

Die Losungswärme der Schwefelsäure in Wasser beträgt 75 J, die des Anhydrids 164 J.

5. Unterschweflige Säure

6. Unterschwefelsäure

7. Tetrathionsäure

8. Überschwefelsäure

9. Schwefelchlorür

10. Schwefelbromür

11. Sulfurylchlorid

12. Thionylchlorid

13. Pyrosulfurylchlorid

§ 8. Selen.

1. Selenwasserstoff

2. Selenige Säure

3. Selensäure

4. Selenchlorür

5. Selentetrachlorid

§ 9. Tellur.

1. Tellurige Säure

H>S«O^Aq

S«0«,Aq

H«S»0«,Aq

S«OSAq

H«S*0« Aq

S*O^Aq

H«S»08,Aq

S»CP

S«Br«

SO^Cl«

SOCl«

S^O^Cl»

514 J

284 1170

883 1093

807

1073

60

42

376

208

806

f} ff

SeH« SeO« SeO«,Aq 236 H>SeO^Aq 521 Se08,Aq 321 fl«SeO*,Aq 607

93

106 J Lösungswärme 40 J 239

Se«CP SeCl*

193

ff

ff ff ff ff

ff

TeO«,Aq H2TeO»,Aq TeO^Aq H«TeOSAq 3. Tellurtetrachlorid TeCl*

2. Tellursäure

323 J Lösungswärme 0

609

412

699

324

??

V

266 VII- Thermochemie.

§ 10. Stickstoff. Bildungswärme

1. Ammoniak NH» 50 J

NH«,Aq 85

2. Stickoxydul N^O —75

3. Salpetrige Säure HNO*, Aq —28

4. Salpetersäure HNO^Aq 205

N«O^Aq 2X 62

HNO 3 175 Lösungswärme 30 J

N*0^ 55 70

Die Schmelzwärme des Stickstoffpentoxyds ist 35 J, die Dampf- wärme — 20 J. Die Summe beider beträgt soviel, wie die Bildungs- wärme des festen Stickstoflpentoxyds, so dass die Bildungswärme des gasförmigen gleich Null ist.

5. Stickstoffhyperoxyd

N«0* 11 J

NO* 32

Die Dissociation des Hyperxoyds N*0* in 2N0* bedingt 54 J.

6. Stickoxyd NO 90 J

7. Hydroxylamin NH»0,Aq 102

§ 11. Phosphor.

1.

1

Phosphor. Die Umwandlung des gelben Phosphors in roten ent-

wickelt 114 J.

2.

Phosphorsäure H^PO*

1267 J

H^POSAq

1278

P^O^Aq

2 X 849

3.

Phosphorige Säure

H3P03

952,,

H'PO»,Aq

951,,

P«O^Aq

2 X 523

4.

Unterphosphorige Säure

H3P02

586

H^PO^Aq

585

P2 0,Aq

2X156

5.

Phosphorwasserstoff PH*

18

6.

Phosphoniumjodür PH*J

93

7.

Phosphorchlortir PCI»

316 Dampfwärme 28-9 J

8.

Phosphorchlorid PCl^

440,,

9.

Phosphoroxychlorid POOP

611

10.

Phosphorbromür PBr*

187

11.

Phosphorbromid PBr^

247

12.

Phosphoroxybromid POBr*

442,,

13.

Phosphorjodür ?P

41;;

Thermochemie der Nichtmetalle. 267

§ 12. Arsen.

Bildungswftrme

1. Arsensäure As*0*

918 J

Lösungswärme

As«05,Aq

2X471

H«AsOSAq

901

2. Arsenige Säure^ A8*0'

647,,

f)

As^O^Aq

2 X 307

3. Arsenwasserstoff AsH'

- 185

4. Arsenchlortir AsCl*

299,,

Dampfwärme

5. Arsenbromür AsBr'

188,,

6. Arsenjodür AsJ'

53

§ 13. Antimon.

1. Antimonchlortir SbCP

382 J

2. Antimonchlorid SbCl^

439,,

3. Antimonoxyd Sb^O*

700,,

4. Antimonpentoxyd Sb^O*^

953

(Hydratisches Oi

§ 14. Bor.

1. Borchlorid BCP

435 J

2. Bortrioxvd B«0«

1326

B»0»,Aq

1401

25 J

32 J

35 J

Die Zahlen beziehen sich auf amorphes Bor und sind nicht sein* sicher.

§ 15. Kohlenstoff.

Die verschiedenen Modifikationen des Kohlenstoffs, Diamant, Graphit und amorphe Kohle, haben verschiedenen Energieinlialt. Die grösste Energiemenge besitzt Holzkohle, Graphit enthält etwa 10 J weniger. Dementsprechend giebt Holzkohle beim Verbrennen 10 J mehr aus, als Graphit. Für Diamant wurde von Berthelot und Petit die Verbrennungs- wärme 394 J geftinden, er enthält 12 J weniger Energie als amorphe Kohle.

1. Kohlensäure 00^ 406 J (aus amorpher Kohle,

2. Kohlenoxyd CO 122 Losungswärme 25 J)

Es ist aufiTällig, dass das erste Sauerstoffatom, welches mit dem Kohlenstoff in Verbindung tritt, viel weniger Wärme entwickelt, als das zweite; die Zahlen sind 122 und 284. Es ist deshalb die Vermutung ausgesprochen worden, dass beide Wärmemengen eigentlich gleich seien und der Unterschied von 162 J nur dazu diene, den festen Kohlenstoff in gasförmigen zu verwandeln.

3. Methan

CH*

72 J

4. Carbonylchlorid

COCl«

221,,

5. Kohlenstofftetrachlorid

CGI*

197,,

6. Carbonylsulfid

COS

91

7. Schwefelkohlenstoff

CS«

- 120

8. Cyan

C,N,

- 275

9. Cyanwasserstoff

HCN

-115„

268

VII. Thermochemie.

Die Bildungswärme des SchwefelkohlenstoÖB ist negativ, d. h. Kohle verbrennt mit Schwefel nicht unter Wärmeentwickelung, sondern unter Abkühlung. Die Zahlen beziehen sich auf amorphe Kohle.

§ 16. Sflfclum.

Krystallinisches SJlicium enthält 38 J mehr Energie, als amorphes. Die Bildungswärme sämtlicher Siliciumverbindungen ist noch sehr un- sicher, so dass die Angabe von Einzelheiten unterbleiben mag.

Viertes Kapitel.

Thermochemie der Metalle.

Ähnlich, wie im vorigen Kapitel, sind die Bildungswärmen der wichtigsten Verbindungen an den Elementen zusammengestellt. Einige allgemeine Gesetzmässigkeiten, die mit den hier gegebenen Zahlen zu- sammenhängen, werden in dem nächsten Kapitel über die Salzbildung dargelegt werden; im übrigen erklären die Tabellen sich selbst.

§ 1. Kalium.

1. Kali

*2. Chlorkalium

3. Kaliumchlorat

4. Kaliumperchlorat

5. Bromkalium

6. Kaliumbromat

7. Jodkalium

8. Kaliumjodat

9. Schwefelkahum

10. Kaliumhydrosulfid

11. Kaliumsulfit

12. Kaliumpyrosulfit

13. Kaliumsulfat

14. Kaliumhydrosulfat

15. Kaliumpyrosulfat

16. Kaliumnitrat

17. Kaliumcarbonat

18. KaüumhydrocarbonatHKCO»

§ 2. Natrinm.

1. Natron Na OH

NaOH,Aq Na>0

KOH KOH,Aq K*0,Aq KCl KCIO^ KCIO* KBr KBrO' KJ KJO» K«S [HKS K^SO« K«S«0» K«SO* KHSO*

K2S207

KNO» K«CO»

Bildungswärme 432 J 487 2 X 344

436 Lösungs wärme 13 J 402

473

398

352

335

521

423

261

1151

1555

1442

1161

1303

500

1165

974

7?

n n

n

n n n n

n.

7) 7)

7)

n n n n

n

51

21

41

21

7?

71

n n

77 1)

28 25,

47

16. 36

27, 22 ,

426 J 468

n

419 Löanngswänne 230 J

Thermochemie der Metalle.

269

2. Chlornatrium NaCl

3. Natriumliypochiorit NaOCl,Aq

Bildungswärme

408 J Tjösungswärme 349

4. Natriumehlorat

5. Bromnatrium

6. Jodnatrium

7. Schwefelnatrium

8. Natriumhydrosulfid

9. Natriumhyposulfit

10. Natriumsulfit

11. Natriumsulfat

12. Natriumbisulfat

13. Natriumnitrat

14. Natriumphosphat

NaClO»

NaBr

NaJ

Na^S NaHS

363 359 289 364 226

77

15. Natriumcarbonat

16. NatriumhydrocarbonatNaHCO'*

§ 3. Ammonium.

Na2S«03.5aq. 1109

Na^SO-'*

Na« SO*

NaHSO*

NaNO»

Na«HPO*

Na«CO^

1123 1375 1120

466 1731 1140

962

77

77

77

77

77

77

77

77

77 77

77

77 77 77 77 77

77 77 77 77

77

1. Chlorammonium

2. Bromammonium

3. Jodammonium

4. Ammoniumsulfat

5. Ammoniumnitrat

§ 4. Lithium.

1. lithiumhydroxyd

2. Chlorlithium

3. Lithiumsulfat

4. litliiumnitrat

NH*C1 NH^Br NH*J

(NH*)«SO' NH^NO»

317 J Lösungswärme 274 206 1181 368

77 77 77 77

77 77 77 77

LiOH,Aq Lia Li^SO* LiNO*

491

392

1398

467

^ Lösungswärme

77 77

77 7?

5 J

23

1

5

63

18

48

46

1

5

21

23

23

18

17 18 15 11 26

77 77 77

77

77 77 77

77 77

77

35 25

1

77 77

§ 5. Baryum.

Es ist kein thermochemischer Versuch bekannt ^ der von Baryum ausgeht oder zu demselben fuhrt. Indessen hat Thomsen es wahrschein- lich gemacht, dass die Bildungswärme des Baryumhydroxyds etwa 812 J beträgt. Nimmt man diesen Wert vorläufig an, so kann man die auf Grundlage desselben berechneten Bildungswärmen wie andere Zahlen be- nutzen, und ist sicher, kernen Fehler zu begehen ^ solange man nicht eine Frage behandelt, bei welcher metallisches Baryum in Betracht kommt. Um indessen den vorläufigen Charakter der Zahlen zu kenn- zeichnen, sollen dieselben mit einem Sterne bezeichnet werden.

1. Baryumhydroxyd Ba(OH)^

2. Baiyumoxyd BaO

3. Baryumhyperoxyd BaO^

4. Chlorbaryum BaCP

5. Baryumchlorat BaCPO«

6. Brom baryum BaBr*

*899 J

Lösnngswärme 51

*519

144

*592

*815

9

*720„

- 28

*71l

21

77

77

77

V

270

VII. Thermochemie.

7.

8.

9. 10. 11.

1. 2.

3. 4. 5.

6.

7. 8.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

1. 2. 3.

4. 5. 6.

1. 2. 3. 4. 5.

1. 3.

Baryumsulfid

Baryumsulfat

Baryumnitrit

Baryumnitrat

Baryumcarbonat

BaS

BaSO*

BaN«0*

BaN^O«

BaCO»

§ 6. Strontium.

Strontiumhydroxyd Sr (0 H) ^ Strontiumoxyd

Chlorstrontium Bromstrontium Strontiumsulfid Strontiumsulfat Strontiumnitrat Strontiumcarbonat

§ 7. Calcium.

Calciumhydroxyd

Calciumoxyd

Chlorcalcium

Bromcalcium

Jodcalcium

Schwefelcalcium

Galciumsulfat

Calciumnitrat

Calciumcarbonat

SrO

SrCl«

SrBr«

SrS SrSO* SrN^O« SrCO^

Ca (OH)«

CaO

CaCP

CaBr«

CaJ»

CaS

CaSO*

CaN>0<^

CaCO»

§ 8. Magnesium.

Magnesiumhydroxyd Mg (0 H) *

Magnesiumoxyd MgO

Chlormagnesium

Magnesiumsulfid

Magnesiumsulfat

Magnesiumnitrat

MgCP

MgS

MgSO*

MgN»06.

Bildungswärme

*410 J *1414

*748 Lösungs wärme

*946 *1186

;;

24 J 39

ji

§ 9. Aluminium.

Aluminiumhydroxyd AI (0 H) ^ Chloraluminium AI Cl ^

Bromalumlnium AlBr^ Jodaluminium AIJ^

Alummiumsulfid APS^

§ 10. Mangan.

Manganhydroxyd Mn (0 H) « Chlormangan MnCl*

Mangansulfiir Mn S . aq

897 J 537 772,, 659 408,,

1384 919

1176

Lösungswärme 49 J

123,, 46 67

V

19

r

958 J Lösungswärme 13 J

611,, Hydratationswärme 65 ,,

760 648 510 435

1389 908

1192

?;

fj

yy

?>

Lösungswärme 73

10

>7

yy yy

116

20 17

r

V

«

6aq

909 J 602 632 324,, 1265 881

Lösungs wärme 150 J

yy

85 18„

1242 J

674 Lösungswärme 502

295

502 295 512

321J 357,, 372,,

683 J

469 Lösungswärme 67 J

186 (Hydratisches Sulfiir)

Thermochemie der Metalle.

271

4. 5. 6.

1. 2. 3. 4.

5.

6.

7.

8.

9. 10. 11.

das

Mangansul&t Mn S 0 ^

Mangancarbonat MnGO^ Kaliumpermanganat KMnO^

§ 11. Elsen.

Ferrohydroxyd Ferrihydroxyd Eisenoxyduloxyd Eisenchlorüi*

Bildungswärme

1046 J LöBungswärme

58 J

Eisenchlorid

Eisenbromür

Eisenbromid

Eisenjodür

Eisensulfür

Ferrosulfat

Ferrisulfat

Fe(OH)«

Fe(0H)8

Fe^O*

FeCl«

FeCP

FeBr^Aq

FeBr«,Aq

FeJ«,Aq

FeS,aq

FeSO^Aq

882 816

571 829 1107 343 402 338 405 194 100 986

>j

44

fj

w

>?

??

77

Lösungs wärme 75 J

133 .,

77

(Hydratisches SulfÜr)

FeVSO*)»Aq 2587 Vom Eisen wird die Kohle (im Gusseisen) unter Wärmebindung, Silicium unter Wärmeentwickelung aufgenommen.

§ 12. Kobalt.

1. Kobalthydroxyd

Co (OH)«

551 J

2. Kobaltchlorür

CoCl«

320,,

Lösiingswärme

77 J

3. Kobalteulfür

CoS.aq

82

4. Kobalteulfat

CoSOSAq

964,,

§ 13. Nickel.

1. Nickelhydroxyd

Ni(0H)8

540 J

2. Nickelchlorür

NiCl«

312,,

Lösungswäruie

80 J

3. Nickelsulför

NiS.aq

73

4. Nickelsulfat

NiSOSAq

960

'

§ 14. Zink.

1. Zinkoxyd

ZnO

359 J

2. Zinkhydroxyd

Zn(OH)«

632,,

3. Chlorzink

ZnCl«

407,,

Lösungswärme

65 J

4. Bromzink

ZnBr«

318,,

77

63

5. Jodzink

ZnJ«

206

77

47

6. Zinksulfid

ZnS.aq

166,,

7. Zinksulfat

ZnSO*

962,,

77

77

8. Zinknitrat

ZnN^O^jAq

554,,

§ 15. Cadmlum.

1. Cadmiurnhydroxyd

Cd (OH) 2

561 J

2. Chlorcadmium

CdCP

390

Lösungswäruie

13 J

3. Bromcadmium

CdBr«

315,,

2„

4. Jodcadmium

CdJ«

204,,

,V

-4„

\

272

VII. Thermochemie.

Die Halogenverbindungen des Cadmiums folgen nicht dem Gesetz der Thennoneutralität; die Neutralisationswärmen flir je 2 Chlor-, Brom- und Jodwasserstoff betragen folge weise 85, 90 und 101 J, statt wie bei den meisten anderen entsprechenden Salzen gleich 2u sein.

5. Cadmiumsulfid

6. Gadmiumsulfat

7. Cadmiumnitrat

8. Cadmiumcarbonat

§ 16. Kupfer.

1. Kupferoxyd

2. Kupferoxydul

3. Kupferchlorid

4. Kupferchlortir

5. Kupferbromid

6. Kupferbromür

7. Kupferjodtir

8. Kupfersulflir

9. Kupfersulfat 10. Kupfemitrat

Bildungswärme

CdS.Aq 136 J

Cd SO* 925 Lösungswärme 45 J

CdN«0«,Aq 486,,

CdCO» 761

CuO

Cu«0

CuCP

Cu^CP

CuBr»

Cu^Br«

Cu^J«

Cu«S

CuSO*

CuN'Qß, Aq

156 J 171 216 275 137 209 136 77 764 344

yy yy

Lösungswärme 46 J

35

yy

n

yy

66

yj

§ 17. Quecksilber.

Durch die Wahl einer ungeeigneten Methode hatte Thomsen für die Bildungswärme der Quecksilberverbindungen erheblich falsche Werte erhalten, welche erst später (Nenist 1888) durch richtigere ersetzt worden sind.

1. Quecksilberoxydul *J. Quecksilberoxyd

3. Quecksilberchlorür

4. Quecksilberchlorid HgCF 223 Lösuneswärme 14 J f). Quecksilberbromür

6. Quecksilberbromid

7. Quecksilberjodür

8. Quecksilberjodid

Auch die Halogenverbindungen des Quecksilbers folgen nicht dem Gesetz der Thermoneutralität.

9. Quecksilbersulfid HgS 21 J

10. Amalgame. Die Alkalimetalle verbinden sich unter stai-ker Wärme- entwickelung mit Quecksilber. Festes Kaliumamalgam, KHg**, hat eine Bildungswärme von 142 J; Natriumamalgam, NaHg^, 88 J. Da das Kalium bei seiner Verbindung mit Quecksilber viel mehr Wärme aus- giebt als das Natrium, so kommt es, dass Natriumamalgam auf Waaser oder Säuren mit etwa 25 J mehr einwirkt als Kalium amalgam.

Hg'O

93 J

HgO

87

Hg« Gl«

262

Hg Gl«

223 Ljsnngs wärme

Hg»Br»

205

HgBr«

169

Hg«J«

119

HgJ«

102

Thennochemie der Metalle.

273

§ 18. Silber.

1. Silberoxyd

2. ChlorsUber

3. Bromsilber

4. Jodsilber

5. Silbersulfid

6. Silbersulfat

7. Silbercarbonat

8. Silbemitrat

Ag>0 AgCl AgBr AgJ

Ag«S Ag«SO* Ag«CO» AgNO»

§ 19. Thallium.

1. TbaUiumoxydul T1*0

2. Thallohydroxyd

3. Thalliumchlorür

4. Thalliumbromtir

5. Thalliumjodtir

6. Thalliumsulftir

7. Thalliumsulfat

8. Thalliumnitrat

9. lliallihydroxyd 10. Thallibromid

TlOH

TlCl

TlBr

TIJ

TPS

T1«S0*

TINO«

T1(0H)8

TlBr»,Aq

§ 20. Blei.

1. Bleioxyd

2. Bleichlorid

3. Bleibromid

4. Bleijodid

5. Bleisulfid

6. Bleisulfat

7. Bleinitrat

8. Bleicarbonat

§ 21. Wismut.

1. Wismutchlorür

2. Wismutoxychlorid

3. Wismutoxyd

§ 22. Zinn.

1. Zinnoxydul

2. Zinnchlorür

3. Zinnchlorid

PbO

PbOl»

PbBr«

PbJ»

PbS

PbSO*

PbN«0«

PbCO»

BiCF Bio Gl Bi(0H)8

Sn(OH)«

SnOl«

SnCl*

25 J

123,,

95

58

14

700,, 514 120,,

Lösungswärme 19 J

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23

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7}

177 J Lösungswärme 13 J i^«5o -~" lo 203 42 173 126 82 924 243 610,, 236

»

V

- 35

42

jy

210 J

346 Lösungs wärme

270

167

28 J

jj

jy

42

yy

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77 904,, 441,,

698 ,y

380 J 369 718

571 J

338

532

?7

32

w

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yy

Losungswärme 1 J

25

yy

)}

§ 23. Oold.

Das aus den Lösungen niedergeschlagene Gold kann in verschiedenen Modifikationen mit verschiedenem Energieinhalt auftreten; die Unter- schiede belaufen sich auf 13 bis 20 J. Die nachstehenden Zahlen

Ostwald, Grundriss. 3. Aufl.

18

274 VII. Thermochemie.

beziehen sich auf die Modifikation mit dem grössten Energieinhalt, welche beim Fällen des Chlorids mit Schwefeldioxyd erhalten wii-d.

Bildungswärme

1. Goldhydroxyd Au (OH)» 402 J

Au^O».aq 55„

2. Goldchlorid Au Gl» 95 Lösungswärme 19 J

3. Chlorgoldwasserstoff HAuCl*,Aq 298

4. Goldbromid AuBr»,Aq 21 ,,

5. Bromgoldwasserstoff HAuBr*,Aq 172

6. Goldchlorür Au Gl 24 ,,

7. Goldbromür AuBr 0

8. Goldjodür Au J 23

§ 24. Platin.

1. Chlorplatinwasserstoff H«RCl«,Aq 683 J

2. Bromplatinwasserstoff H*PtBr^,Aq 515

Die Neutraiisationswärmen beider Säuren sind gleich der der Salzsäure.

3. Ghlorplatinowasserstoff H2PtGl*,Aq 503 J

4. Bromplatmowasserstoff H*PtBr*,Aq 370

5. Platinoxydul R(0H)2 361

§ 25. Palladinm.

1. PaUadiumoxydul Pd(OH)« 381 J

2. Ghlorpalladowasserstoff H^PdClSAq 529

3. Palladiumjodür PdJ* 76 ,

4. Palladiumhydroxyd Pd (0 H) ^ 699,,

Fünftes Kapitel.

Thermochemie der Salzbildung und der Ionen.

Dieselbe Regelmässigkeit, welche an aUen früher besprochenen Eigen- schaften der verdünnten Salzlösungen (S. 214) beobachtet worden war, und nach welcher ihre Eigenschaften als Summen der Eigenschaften ihrer Bestandteile oder Jonen erschienen, findet sich auch bei der wichtigsten, der Energieänderung wieder, nur ist hier die Form etwas anders, als in den früheren Fällen. Der Analogie nach wäre ein Satz aufzusteUen, dass die Energie einer Salzlösung gleich der Summe zweier Glieder sein muss, von denen das eine nur durch das Kation oder Metall, das andere nur durch das Anion oder Halogen be- dingt ist. Dieser Satz ist auch richtig, da man aber den Energieinhalt seinem Gesamtwerte nach nicht messen kann, sonde]^ nur Energie- unterschiede zwischen verschiedenen Zuständen, so kann er nicht un- mittelbar, sondern nur in seinen Folgen geprüft werden.

Thermochemie der Salzbildung und der Ionen. 275

Die erste Folge ist, dass beim Vermischen zweier verdünnter Salz- lösungen keine Energieänderong stattfinden darf. Denn da in der ge- mischten Lösung die Ionen dieselben geblieben sind, die sie vorher waren, und durch ihr gleichzeitiges Vorhandensein kein Vorgang verursacht wird, so kann auch keine Wärmewirkung auftreten.

Dies Gesetz ist in der That als erstes Ergebnis der systematisch in Angriff genommenen Thermochemie der Salze von Hess (1840) gefanden und als das Gesetz der Therm oneutrali tat bezeichnet worden.

Die spätere Prüfung hat ergeben, dass dies Gesetz nicht allgemein gültig ist; vielmehr giebt es mancherlei Ausnahmen, wenn auch die über- wiegende Mehrzahl der I^Ue dem Gesetz entspricht. Diese Ausnahmen stehen aber in einem regelmässigen Zusammenhange mit den anderen Eigenschaften der Salzlösungen, insbesondere ihrem osmotischen Drucke und den davon abhängigen Grössen, und man kann aUgemein aussprechen, dass das Gesetz der Thermoneutralität dort gültig ist, wo durch den osmotischen Druck die vollständige Unabhängigkeit der vorhandenen Ionen voneinander angezeigt ist, indem der Wert i (S. 214) gleich der Anzahl der in der Formel des Salzes enthaltenen Ionen ist. In dem Masse, als i kleiner ist, als dieser Grenzwert, stellen sich auch die Ab- weichungen von dem Gesetz der Thermoneutralität ein.

Nun haben die Beobachtungen über die Gefrierpunktsemiedrigungen der Salzlösungen ergeben, dass die i -Werte dem theoretischen Grenzwert um so näher kommen, oder mit anderen Worten das Salz um so voll- ständiger in seine Ionen zerfaUen ist, je verdünnter die Lösung ist. Demgemäss stimmt auch das Gesetz der Thermoneutralität um so genauer, je verdünnter die Lösungen sind.

Abweichungen treten auch bei verdünnten Lösungen in einzelnen Fällen ein; insbesondere die Halogenverbindungen des Gadmiums und des Quecksilbers weisen solche auf, desgleichen manche Gyan- und Rhodan- verbindungen. Alle die Salze erweisen sich auch nach den anderen Methoden als nur wenig in ihre Ionen zerfallen.

Die besonderen Verhältnisse der Säuren und Basen, die ja auch den Salzen zuzurechnen sind, werden weiter unten erörtert werden; sie kommen auf die gleichen Ursachen zurück.

Abweichungen anderer Art treten ein, wenn sich ein Salz in fester Gestalt ansschddet. Dann ist die Wärmewirkung die Summe einer etwaigen Wirkung im gelösten Zustande und der Ausscheidungswärme des gelöst gewesenen Salzes, die mit umgekehrtem Zeichen gleich der Lösungswärme ist. Folgen die gelösten Salze dem Gesetz der Thermo- neutralität (wovon man sich u. a. durch die Bestimmung der i -Werte überzeugen kann), so ist die gesarate beobachtete Wärme gleich der Fällungs wärme zu setzen, und man hat hierin ein Mittel, die Lösungs- wärme auch solcher Salze zu messen, deren geringe Löslichkeit eine du*ekte Bestimmung nicht gestattet.

18*

276 VII. Thermochemie.

Bei der Wechselwii*kung von Säuren und Basen ist das Gesetz von der Therm oneutralität nie erftült; es findet vielmehr immer eine beträchtliche Wäimeentwickelung statt Untersucht man insbesondere solche Säuren und Basen^ deren i -Werte auf einen nahezu vollständigen Zerfall in ihre Ionen schliessen lassen, so findet man die Wänneentwidc:elung sehr hoch, nämhch gleich 57 J; sie ist aber konstant, d. h. von der Natur der beiden Stoffe unabhängig. Dies ergiebt sich aus der nach- stehenden Übei-sicht: Tetamethyl-

ammoniam- Natron lithion Kali Baryt Strontian faydroxyd

Chlorwasserstoff 57 J 57 J 57 J 58 J 58 J 58 J

Brom Wasserstoff 57

Jodwasserstoff 57 -

Salpetei*säure 57 ~

Chlorsäure 58 58

Bromsäure 58

Chlorplatin wasserstoflsäure 57 58

Unterschwefelsäure 56

Die Erklärung för diesen sdieinbaren Widerspruch ergiebt sich, wenn man die Neutralisation einer Säure und einer Basis vollständig formuliert. Nehmen wir als Beispiel Chlorwasserstoffsäure und Natron, so heisst die Gleichung

HCl + NaOH = NaCl + H«0.

Von den beteiligten Stoffen haben Chlorwasserstoff, Natron und Chlor- natrium i = 2, sie sind also vollständig^) gespalten. Das Wasser da- gegen ist es nicht; obwohl es auch in Ionen zer£sülen kann, nämlieh in H', das charakteristische Ion der Säuren, und OH', das Ion der Basen, so erweisen doch alle Methoden, die bisher in Anwendung gebracht worden sind, dass im Wasser diese Ionen nur in äusserst geringer Menge vorhanden sind, so dass Wasser für unsere Betrachtungen als unzersetzt angenommen werden darf. Während also die Ionen Gl' und Na* während der Reaktion unverändert bleiben, und daher auch keine Wärmewirkung verursachen können, verbinden sich die Ionen H* und OH' zu nicht zerfallenem Wasser, und die beobachtete Wärmewirkung von 57 J ist daher nichts als die Bildungswärme des Wassers aus den Ionen Wasserstoff und Hydroxyl.

Diese Bildungswärme ist durchaus nicht mit der Bildungswärme des Wassers aus Sauerstoff- und Wasserstoffgas zu verwechseln. Denn abgesehen, dass es sich hier nicht um Sauerstoff, sondern um Hydroxyl handelt, so ist auch der Wasserstoff im Ionen zustande nicht mit dem Wasserstoffgase gleich zu setzen, sondern beide haben wesentlich verschiedene Eigenschaften (S. 216) und daher auch verschiedenen Energieinhalt.

') Der Zerfall ist nicht absolut vollständig, aber doch hinreichend, dass der Rest für die vorliegenden Betrachtungen vernachlässigt werden kann.

Thermochemie der Salzbildung und der Ionen. 277

Zwischen dem Wasser, das äusserst wenig, und den meisten Neutral- salzen, die ziemlich vollständig in ihre Ionen zerfallen sind, ordnen sich die Säuren und Basen ein, bei denen die versdiiedenartigsten Stufen des Zerfalls vorkommen können. Dabei besteht immer das Gesetz, dass der Zerfall mit wachsender Verdünnung zunimmt; doch verwisdit diese Ver- änderlichkeit nicht die wesentlichen Unterschiede, welche hier vor- handen sind.

Wenn auch die genauere Erörterung dieser Verhältnisse erst in dnen späteren Abschnitt gehört, so sollen doch zur Übersicht die wichtigsten Gruppen angegeben werden, da ihre Kenntnis das Ver- ständnis der thermochemischen Thatsachen sehr erleichtert.

Sehr weitgehend zerfallen sind von den Säuren die HaJogenwaÄser- stofisäuren, mit Ausnahme der Fluorwasserstoflfeäure, femer die sauer- stofireichen einbasischen Säuren, die sich vom Stickstoff und den Halogenen ableiten. Von den zweibasischen Säuren sind hier nur die Platinchlor- wasserstoffsäure und die Polythionsäuren zu nennen, die dreibasischen gehören fast alle der weniger gespaltenen Gruppe an. Schwefelsäure ist etwa zur Hälfte in massig verdünnten Lösungen zerfallen, die anderen zweibafflschen Säuren sind es noch weniger. Noch geringer ist der Zerfall bei der Phosphor- und Arsensäure. Die Carbonsäuren der Fettreihe sind wenig zerfallen; durch Eintreten von Halogenen, der Nitrogruppe, Cyan u. dergl. wird der Zerfall gesteigert und kann nahezu vollständig werden (Trichloressigsäure).

Unter den Basen sind die Hydroxyde der Alkali- und der Erdalkali- metaUe und Thallohydroxyd fast vollständig zerfallen. Ihnen schliessen sich die quatemären Ammoniumbasen und die entsprechenden Abkömm- linge des Phosphors, Arsens, Antimons an, ebenso die Sulfinbasen. Die meisten anderen Basen, insbesondere die flüchtigen Ammoniakabkömm- linge sind wenig zerfallen.

Vergegenwärtigen wir uns unter diesen Voraussetzungen den Vor- gang der Salzbildung aus Säure und Basis, so wird er, im Falle beide Stoffe zerfallen sind, nur in der Bildung von Wasser aus den Ionen Hydroxyl und Wasserstoff bestehen, und die entsprechende Wärmeent- wickelung wird 57 J betragen. Dies zeigt der Versuch in der That, wenn irgend welche der oben als zerfallen angegebenen Stoffe mitein- ander in Wechselwirkung gebracht werden, und kein Niederschlag sich ausscheidet.

Entsteht ein Niederschlag, so ist der Unterschied gegen den Wert 57 J als die Lösungswärme des Stoffes zu dissoziierter Lösung mit um- gekehrtem Zeichen aufzufassen.

Wird eine nur wenig zerfallene Base mit einer ganz zerfallenen Säure neutralisiert, und es entsteht kein Niederschlag, so ist die Wärme die Summe zweier Grössen: der Bildungswärme des Wassers aus den Ionen, 57 J, und der zur Zerlegung der Säure in ihre Ionen erforderlichen Wärme, Denn man kann sich den Vorgang so geteilt denken, dass

278 VII. Thermochemie.

erst die Säure in ihre Ionen zerfällt, und dann der Neutralisationsvor- gaiig..wie bei einer zerfallenen Säure stattfindet; da das Endergebnis dasselbe ist, müssen auch die beiderseitigen Wärmetönungen dieselben sein. Der Unterschied zwischen der beobachteten Neutralisationswärme und der Konstanten 57 J ist dann die zum ZerM erforderiiche Wärme, oder die Dissoziations wärme der Säure.

Ist die Säure teilweise zerfallen, so kommt nur ein entsprechender Bruchteil der Dissoziationswärme zur Geltung; die ganze lässt sich be- rechnen, wenn man diesen Bruchteil auf geeignete Weise (z. B. aus der Gefrierpunktsemiedrigung) bestimmt

Ganz dieselben Betrachtungen sind fOr die Neutralisation einer teil- weise zerfaUenen Base mit einer ganz zerfallenen Säure anzustellen; sie brauchen daher nicht wiederholt zu werden.

Sind beide Stoffe wenig oder doch nicht ganz zerfallen, so treten zu der Konstanten 57 J die beiden Dissoziationswärmen der Säure und der Basis. Dies ist der allgemeine Fall, von dem die bisher besprochenen nur Grenzfalle darstellen.

In diesem Falle wird die Neutralisationswärme durch einen Aus- druck von der Gestalt C + a -f- b dargestellt, wo C die Konstante 57 J, a die Dissoziationswärme der Säure und b die der Base ist Der Aus- druck hat die gleiche Form, ob die Säure und Basis mehr oder weniger zerfallen ist, da er in jedem Falle den Betrag an Wärme bedeutet, der zur Überfiüirung der Stoffe aus dem vorliegenden Zustande in den des vollständigen Zerfalls notwendig ist.

Dies ist nun genau das Ergebnis, zu welchem die Beobachtung lange vor der Entwickelung der eben mitgeteilten Anschauungen ge- Mirt hat Hess hatte, als er sein Gesetz der Thermoneutralität entdeckt hatte, angenommen, dass die Neutralisationswärme nur durch die Säure bestimmt werde, so dass dieselbe Säure mit verschiedenen Basen gleiche Wärmemengen entwickelt; hieraus würde das Gesetz der Thermoneutralität folgen. Andrews, der sich etwas später mit ähnlichen Fragen beschäftigte, vertrat die umgekehrte Meinung; nach ihm sollte die Basis bestimmend für die Neutralisationswärme sein. Favre und Silbermann endlich er- kannten, dass keine von diesen Ansichten zutrifft, dass vielmehr nur die Unterschiede der Neutralisationswärmen verschiedener Säuren mit einer und derselben Basis von der Natur dieser Basis unabhängig sind; ebenso sind es die Unterschiede der Neutralisationswärmen verschiedener Basen mit einer Säure von der Natur dieser Säure. Dies Gesetz ist aber identisch mit dem oben ausgesprochenen, dass die Neutralisationswärme durch einen Ausdruck von der Gestalt C -|- a -f- b dargestellt wird. Denn da a nur von der Natur der Säure, b nur von der Basis abhängt, so sind die Neutralisationswärmen flir verschiedene Säuren mit derselben Basis durch die Grössen C + a^ + b, C -f- a,, + b, C -|- a^ + b u. s. w. gegeben. Bildet man die Unterschiede, z. B. gegen die erste, so ergiebt

Thermochemie der Salzbildung und der Ionen. 279

sich aj a^, a^ a^ u. s. w., welche von dem Werte von b unab- hängig sind. Eine gleiche Beweisföhrang gilt für die Basen.

Ausser diesen Wärmeerscheinungen bei der Neutralisation sind noch andere bekannt^ die insbesondere beim Vermischen von Neutralsalzen mit den dazu gehörigen Säuren oder Basen auftreten. Sie zeigen sich nur^ wenn diese Stoffe teilweise zerfallen sind, und rühren daher, dass die Gegenwart der Neutralsalze auf den Betrag dieses Zerfalls einen Ein- fluss ausübt. Diesen können wir indessen erst aus der Lehre vom chemischen Gleichgewicht berechnen, und es muss einstweilen die Angabe genügen, dass auch hier Beobachtung und Rechnung übereinstimmen.

Man kann also die Dissoziationswärme einer teilweise zerfallenen Säure bestimmen, wenn man ihre Neutralisationswärme mit Natron (oder irgend einer anderen zerfallenen Baas) bestimmt, und von dem Betrage 57 J abzieht Ebenso erhält man die Dissoziationswärme einer Basis durch ein entsprechendes Verfahren mit einer zerfallenen Säure. In heiden f^en muss bekannt sein, in welchem Grade der weniger zer- fallene Stoff in der verwendeten Lösung gespalten war.

Wenn auch eine systematische experimentelle Untersuchung in dieser Richtung noch nicht vorgenommen worden ist, so liegen doch bereits so viele gelegentiich gemessene Daten vor, dass sich eine Übersicht ge- winnen lässt Hiemach sind die Dissoziationswärmen im allgemeinen unbedeutend, und betragen einen kleinen Bruchteil der gesamten Neu- tralisationswärme, der über 10 J nur selten hinausgeht. Dem Zeichen nach sind sie bald positiv, bald negativ; in einigen Fällen entwickelt sieh bei dem Zerfall der Stoffe in ihre Ionen Wärme, in anderen wird welche aufgenommen. Einfache Zusammenhänge mit anderen Eigen- schaften sind wegen der geringen Ausdehnung des Beobachtungsmaterials nicht aufzuweisen; nach den allgemeinen Verhältnissen lassen sich wesent- lich konstitutiv beeinflusste Beziehungen erwarten.

Die Thatsache der gegenseitigen Unabhängigkeit der Ionen der meisten Salze in ihren verdünnten Lösungen gestattet die Thermochemie dieser Stoffgruppe auf eine besonders einfache Form zu bringen. Be- stimmt man nämlich die Bildungswärme der verschiedenen Ionen aus ihren Elementen, so giebt die Summe zweier beliebiger von ilmen die Bildungswärme des entsprechenden Salzes in verdünnter Lösung.

Nun ergeben freilich die thermochemischen Beobachtungen nicht das Mittel, die Bildungswärmen der einzelnen Ionen zu berechnen. Denn da immer äquivalente Mengen von Anionen und Kationen gleichzeitig nebeneinander entstehen müssen, so kann man immer nur die Summen zweier solcher Bildungswärmen erfahren, und hat kein Mittel, die Einzel- werte zu ermitteln. Würde man andererseits auch nur von einem Ion die Bildungswärme kennen, so könnte man die aller anderen Ionen be- rechnen. Sei z. B. die Bildungswärme der Chlorionen aus dem Chlor- gase bekannt, so brauchte man sie nur von der Bildungswärme irgend eines Chlorids in verdünnter Lösung abzuziehen, um dio des entsprechen-

280 VII. Thermochemie.

den Metallions zu haben. Und die auf solche Weise ermittelte ßildungs- wärme des Natriumions würde die Berechnung aller Anionen gestatten, die mit dem Natrium lösliche Salze bilden, deren gesamte Bildungswärme durch die gewöhnlichen Methoden bestimmt worden ist.

Solche Anhaltspunkte zur Bestimmung einzelner lonenbildnngs- wärmen haben sich nun auf elektrochemischem Gebiete ergeben. Sie können hier nicht auseinandergesetzt werden, nur das Ergebnis soll ab Unterlage der Rechnung dienen. Sollte sich später einmal eine Änderung dieses Wertes notwendig machen, so würde eine solche nur in der Hin- zufügung einer für alle Ionen gleichen Konstanten bestehen, da nur me einzige lonenbildungswärme der Umrechnung der unmittelbaren thermo- chemischen Bestimmungen dient.

Die erwähnten elektrochemischen Beziehungen haben nun gezeigt, dass zur Umwandlung des gasförmigen Wasserstoffs in Wasser- stoffionen nur eine sehr geringe Wärmemenge erforderlich ist, deren Betrag nach den vorhandenen Daten um 4 J für Hg liegt Da die Unsicherheit dieser Werte diesen Betrag mindestens erreicht, so ist es bei dem gegenwärtigen Zustande unserer Kenntnis am zweckmässigsten, ihn vorläuHg gleich Null zu setzen. Die etwa notwendigen späteren Verbesserungen lassen sich dann am leichtesten an- bringen.

Hieraus ergiebt sich alsbald, dass die Bildungswärme der Metallionen gleich der Wärmetönung bei der Zersetzung einer ganz zerfallenen Säure durch das Metall unter Wasserstoffentwickelung ist Denn der Vorgang besteht in der Bildung von Metallionen aus dem Metall und der gleich- zeitigen Umwandlung von Wasserstoffionen in Wasserstoffgas. Da der letzte Vorgang nach der eben gemachten Voraussetzung keine Wärme- tönung bewirkt, so rührt die ganze Wärme von der eraten Um- wandlung her.

Hierin Uegt gleichzeitig, dass die Auflösung eines Metalls in irgend einer ganz zerfallenen Säure zu ebensolchem Salz die gleiche Wärme- entwickelung geben muss, unabhängig von der Natur der Säure. Dies ist in der That der Fall, und die Beziehung ist schon früh von Andrews experimentell gefunden worden.

Die auf dieser Grundlage berechneten Bildungswärmen der wichtigsten Ionen finden sich nachstehend verzeichnet Durch die Summierung der den beiden Ionen eines Salzes zukommenden Werte unter Berücksichtiguttg der etwaigen (sich aus der Formel ergebenden) Vielfachen infolge der Valenz erhält man die Bildungswärme der gelösten Salze. Um die Formeln der Ionen von denen der anderen Stoffe unterscheiden zu können, sind die Kationen mit soviel Punkten und die Anionen mit sovid Strichen bezeichnet worden, als ihre Wertigkeit beträgt Auf solche Weise kann man Ener^egleichungen unter Kennzeichnung der Ionen ähnlich wie die bisher benutzten schreiben. Die Formeln

Thermochemie der Salzbildang und der Ionen. 281

Na = Na+240J

und (Cl«) = 2 Gl' -f- 2 X 164 J

bedeuten, dass bei der Umwandlung des metallischen Natriums in Natrium- ionen sich 240 J entwickeln und 164 J bei dem Übergange von gas- fönnigem Chlor in Ohlorionen. Zu beachten ist noch, dass Ionen nur in verdünnten Lösungen auftreten^ so dafls neben ihrem Zeichen stets Aq stehen müsste. Da hiervon keine Ausnahme vorkommt, so kann man, wo kein Irrtum zu befürchten ist, dieses Zeichen fortlassen, da es sich von selbst versteht. Kationen

Wasserstoff H* + 0 J

Kalium K* +259

Natrium Na* -f 240

Lithium Li- +263

Rubidium Rb* + 262

Ammonium NH4' +137

Hydroxylamin NH^O* +157

Magnesium Mg + 456

Calcium Ca- + 458 (?)

Strontium Sr* + 501

Aluminium AI*** +506

Mangan Mn** +210

Eisen Fe** +93

Fe-** —39

Kobalt Co- +71

Nickel Ni** + 67

Zink Zn-* +147

Cadmium Cd** +77

Kupfer Cu** —66

7?

V

yj yi yy

7?

yy yy yy jy

Cu* - 67 (?)

Quecksilber Hg* 83

Silber Ag* 106

Thallium Tl* + 7

Blei Pb- +2

Zinn Sn- +14

Anion der

ChlorwaBserstoffsäure Cl' + 164 J

Unterchlorigen Säure CIO' +109

Chlorsäure CIO3' + 98

Überchlorsäure CIO4' 162

Bromwasserstofisäure Br' +118,,

Bromsäure BrOj' + 47

Jodwasserstoflfeäure J' + 55

Jodsäure JOj' +234,,

282 VII. Thermochemie.

Anion der

Überjodsäure

JO/

+ 195 J

Schwefelwasserstoffsaure

S"

53

HS'

+ 5,,

Thioschwefelsäure

S.0,"

+ 581

DithioTisäure

S,Oe"

+ 1166

Tetrathionsäure

S.Oe"

+ 1093

schwefligen Säure

SO3"

+ 633

SchwefeM,ure

SO/'

Se'^

+ 897

Selenwasserstoffsäure

149

selenigen Säure

SeOg"

+ 501 ,,

Selensäure

SeO/'

+ 607 ,

Tellurwasserstoffeäure

Te"

146

tellurigen Säure

TeOa"

+ 323

Tellursäure

TeO^

+ 412,,

salpetidgen Säure

NO/

+ 113

Salpetersäure

NO3'

+ 205

Stickstoffwasserstoffsäure

Ns'

277

unterphosphorigen Säure

HPOj'

+ 603

phosphorigen Säure

HPO,"

+ 962

Phosphorsäure

PO4'"

+ 1246

HPO4"

+ 1277

Arsensäure

AsO/"

+ 900

Kohlensäure

CO3"

+ 674

HCO3'

+ 683

Hydroxyl

OH'

+ 228

Diese kurzen Tabellen gestatten, die Bildungswärme von über 7000 Salzen in verdünnter wässeriger Lösung zu berechnen.

Sechstes Kapitel. Organische Verbindungen.

Die Thermochemie organischer Verbindungen hat ein besonderes Interesse dadurch, dass die meiste technisch verwertete, sowie aUe in den Organismen zur Geltung kommende Energie durch die Oxydation organischer Verbindungen erlangt wird; zum genauen Verständnis der Ökonomie des einen wie des anderen Betriebes gehört also eine Kenn^ nis des Energieinhaltes der in Betracht kommenden Stoffe.

Die besondere Eigentümlichkeit der Vorgänge zwischen Kohlenstoff- verbindungen, welche fast ausnahmslos nur langsam oder unter Druck bei höheren Temperaturen eintreten, hat eine unmittelbare thermocbemi^che

Organische Verbindungen. 283

Untersuchung solcher Vorgänge sehr eingeschränkt. Es giebt zur Be- BÜmmung des Energieinhaltes organischer Verbindungen^ ähnlich wie zu ihrer Analyse, fast nur eine Methode, die der vollständigen Ver- brennung. Die hierbei auftretende Wärmemenge ist dieselbe, welche bei der technischen oder physiologischen Verwertung organischer Stoffe zunächst in Betracht kommt, und so spielt die Verbrennungswärme eine ungemein wichtige Rolle.

Zieht man die Verbrennungswärme einer organischen Verbindung von der ihrer Elemente ab, so erhält man, dem ersten Hauptsatz zufolge, die Bildungswärme der Verbindung aus ihren Elementen. Letztere hat, da kaum je organische Verbindungen sich aus ihren Elementen zu bilden vermögen, nur eine rechnerische Bedeutung. Zum Zweck der Berechnung von Reaktionswärmen kann man sich indessen ebensogut der Verbrennungswärmen bedienen, denn der Unterschied der Ver- brennungswärmen der Stoffe vor und nach der Reaktion ist gleich der bei der Reaktion selbst entwickelten Wärme, wie man gleichfalls leicht mit Hilfe des ersten Hauptsatzes beweisen kann.

Nun sind die bei chemischen Vorgängen zwischen organischen Ver- bindungen austretenden oder aufgenommenen Wärmemengen verhältnia- mässig klein. Die Verbrennungswärmen sind andererseits beträchtlich, 80 dass wenn man Reaktionswärmen aus den Unterschieden der Ver- brennungswärmen der Stoffe vor und nach der Reaktion berechnen will, es sich um kleine Unterschiede grosser Werte handelt, in denen sich die Versuchsfehler entsprechend vervielfachen. Um irgend brauchbare Zahlen zu haben, muss man daher die Verbrennungswärmen mit grosser Ge- nauigkeit messen.

Während die älteren Methoden der gewöhnlichen Verbrennung in dieser Richtung durch die Unvollständigkeit des Vorganges auch in reinem Sauerstoff mit schwer zu beseitigenden Fehlerquellen behaftet waren, ist die Methode der Verbrennung in verdichtetem Sauerstoff nach Berthelot und Vieille namentlich in den Händen Stohmanns bis zu einem solchen Grade der Genauigkeit ausgebildet worden, dass auch die Reaktiona- wärmen sich mit einiger Zuverlässigkeit ableiten lassen. Die dabei er- haltenen Resultate haben indessen zu keinen wichtigeren allgemeinen Ergebnissen geftihrt, und insbesondere besteht zwischen dem Betrage dieser Wärmetönungen und der Möglichkeit, bez. Geschwindigkeit der entsprechenden Reaktionen kein ersichtlicher Zusammenhang.

Der allgemeinste Satz, der sich bei diesen Untersuchungen ergeben hat, ist die wesentlich additive Beschaffenheit der Verbrennungswärme. Diese ist allerdings ebensowenig absolut vorhanden, wie bei irgend einer anderen Eigenschaft, die Masse ausgenommen; doch sind hier die kon- stitutiven Einflüsse so gering, dass erst die eben erwähnten genauesten Untersuchungen ihr Vorhandensein ausser Zweifel gesetzt haben. Am deutlichsten macht sich dies Verhalten in den homologen Reihen geltend. Für die Vermehrung um jedes CH* wächst die Verbrennungswärme um je

284 ^n. Thermochemie;

655 J; nnd diese Beziehung ist so allgemein und dieser Unterschied ist in den verschiedenen Reihen so nahe derselbe, dass er fast als eine allgemeine Eonstante angesehen werden kann.

Eine Folge dieser Beziehung ist, dass die Beaktions wärme für irgend einen Vorgang bei den verschiedenen GHedem einer homologen Reihe stets fast genau denselben Wert hat. Schreiben wir einen der- artigen Vorgang (z. B. die Umwandlung eines Alkohols in eine Säure) in Gestalt einer Reaktionsgleichung, und nennen A die Verbrennungs- wärme der auf der linken Seite stehenden Stoffe, B die der auf der rediten Seite stehenden; dann ist A-B gleich der Reaktionswärme. Für einen um nCH^ reicheren Stoff, an dem die gleiche Reaktion vorgenommen wird, sind die entsprechenden Verbrennungswärmen A -f- n 655 J und B-f-n655J, und der ' Unterschied oder die Reaktionswärme beträgt wieder A-B.

Durch diesen Umstand kann man das thermochemische Zahlen- material der organischen Chemie auf eine sehr einfache Gestalt bringen; sind die Verbrennungswärmen je eines Gliedes flir alle vorkommenden Verbindungstypen gegeben, so lassen sich alle Homologen (wobei dieses Wort in einem ziemlich weiten Sinne genommen werden darf) durch die Zufügung von n 655 J berechnen, wo n die (positive oder negative) Zahl der Kohlenstoffatome bedeutet, welche die Formel der fraglichen Verbindungen mehr enthält, als die des typischen Stoffes.

Immerhin muss beachtet werden, dass es sich um eine Annähenings- regel handelt, und dass konstitutive Einflüsse thatsächlich vorhanden, wenn auch den grossen Werten der Verbrennungswärmen gegenüber nur unbedeutend sind. Man kann nach diesem Verfahren auf rund ein Prozent Genauigkeit rechnen.

Als typische Stoffe sind die ersten Glieder der homologen Reihen weniger geeignet, als irgend ein höheres Glied. Die Ursache der all- gemeinen Erscheinung, dass die homologen Regelmässigkdten erst bd den höheren Gliedern genauer werden, ist an früherer Stelle (S* 130) be- reits erörtert worden, und die dort angestellten Betrachtungen lassen sich in sachgemässer Umgestaltung auch hier anwenden.

Bevor an die Mitteilung einzelner Versuchsergebnisse gegangen werden kann, aus denen sich die Belege für die eben gegebenen allgemeinen Be- ziehungen entnehmen lassen, muss noch eine Bemerkung über den Einflnse des äusseren Druckes gemacht werden. Wenn die Verbrennung einer organischen Verbindung wie gewöhnlich unter dem konstanten Drucke der Atmosphäre vorgenommen wird, so enthält die gemessene Wärmetönung ausser dem Unterschiede der chemischen Energie der Stoffe vor und nach der Ver- brennung im allgemeinen noch Beträge äusserer mechanischer Arbeit, die daher rühren, dass das Volum der Verbrennungsprodukte nicht gleich dem Volum der Ausgangsstoffe ist. Vermindert sich bei der Verbrennung das Volum, so wird äussere Arbeit in Wärme verwandelt, und die beobachtete

OrganiBche Verbindungen. 285

Wärmetönung ist um so viel grösser, als der Unterschied der chemischen Energieen ; im anderen Falle ist sie kleiner. Nur wenn das Volum unverändert bleibt, sind beide gleich.

Man hat sich daher gewöhnt, zwei verschiedene Verbrennungswärmen zu unterscheiden, nämlich die bei konstantem Volum ohne den Einfiuss äusserer Arbeit, und die bei konstantem Druck, wo die äussere Arbeit eingerechnet ist. Die älteren Methoden der Verbrennung im offenen Kalori- meter gaben den letzteren Wert, die Verbrennung in der kalorimetrischen Bombe giebt den ersteren. Für physiologische und technische Zwecke kommt der letztere Wert allein in Frage, und die nachstehenden Angaben beziehen sich daher auf konstanten Druck.

Der theoretische Einwand, dass die mit der äusseren Arbeit behafteten Verbrennungswärmen eine Summe zweier verschiedener Energiegrössen , der chemischen und der mechanischen sei, während die Verbrennungswärme bei kon- stantem Volum den einen Summanden allein darstellt, ist ganz richtig, ändert aber nichts an der Bedeutung jener zusammengesetzten Zahlen. Insbesondere muss betont werden, dass die Rechnung mit den Verbrennungswärmen bei konstantem Druck ein in sich vollkommen zusammenhängendes System von Zahlen giebt, welches keinen systematischen Fehler enthält. Ein solcher würde nur auftreten, wenn während der Verbrennung der Druck geändert würde, was experimentell nicht vorkommt. Im Übrigen ist es für die Ver- gleichbarkeit der Zahlen nicht einmal erforderlich, dass die Verbrennungen alle bei demselben Drucke stattfinden; dieser kann vielmehr beliebig sein, wenn er im Laufe eines Versuches nur konstant bleibt.

Der Beweis hierfür, und der Zahlenwert der anzubringenden Korrektur, wenn man von den einen Werten auf die anderen übergeht, ergiebt sich aus . der folgenden Betrachtung. Wenn ein Mol eines Gases entsteht, so wird \ dabei eine Arbeit verbraucht, die von der Natur des Gases unabhängig ist und sich aus der Gasgleichung pv-— RT ergiebt (S. 71). Die Konstante R beträgt in absolutem Masse 8-31 x 10'; die Arbeit ist sonach 8-31 T Joule, unabhängig vom Druck und proportional der absoluten Temperatur. Für die mittlere Zimmertemperatur von 18® C. oder 291° A ist der Betrag also 2419 j oder 242 J.

Ist m die Zahl der Mole gasförmiger Stoffe vor der Verbrennung, und n diese Zahl nach der Verbrennung, so steht die Verbrennungswärme W bei konstantem Druck zu der Verbrennungswärme (W) bei konstantem Volum in der Beziehimg. (W) « W (m n) 8-31 T j oder bei Zimmertemperatur (W) « W— (m n) 242 J.

Die nachstehenden Zahlenangaben sollen einen Überblick über die wichtigsten Gruppen der organischen Chemie geben; ein vollständiges Verzeichnis der ausgefiihrten Arbeiten ist nicht beabsichtigt.

Für die gasförmigen Kohlenwasserstoffe der Methanreihe wurden von Thomsen folgende Verbrennungswärmen bestimmt:

(CH4) 886 J Unterschied

(CsHc) 1550,, 664 J

286 Vn. Thermochemie.

Unterschied (CäHg) 2214 J 664 J

(C4H10) 2877,, 663,,

(C5H,a) 3544 667

Das Mittel der Zunahme für jedes GH, beträgt 664 J. Bei flüssigen Stoffen ist dieser Wert etwas grösser, da die Verdampfimgswärme (um welche die Verbrennnngswärme im flüssigen Zustande die im gasförmigen übertriffl;) mit wachsendem Molekulargewicht langsam ansteigt. Von Stohmann ist bestimmt worden:

CßHi^ 4146 J Unterschied

C7H16 4830,, 684 J

CißH34 11030 9X689

Ähnlich verhalten sich die Stoffe der Äthylenreihe. In Gasform gaben sie

(OgH^) 1395 J Unterschied

(CaHe) 2061,, 666 J

(C4H3) 2722 661

(C5H10) 3378,, 656,,

Flüssige Verbindungen derselbe Reihe gaben:

CgH^<j 5239 J Unterschied

CjoH^o 6677,, 2X664

Acetylen hat die Verbrennungswärme 1321J. Vergleicht man die drei Verbindungen C*H^, C*H*, C*H®, so ergeben sich die Unterschiede 74 und 155 J. Die Verbrennungswärme von H* ist 286 J; es würde also bei der Aufnahme von Wasserstoff durch Acetylen dne erhebliche Wärmeentwickelung von 212 J stattfinden; ebenfalls bedeutend, wenn auch kleiner (131 J), ist sie beim Übergang von Äthylen in Äthan. Die Verbrennungswärmen der einwertigen Alkohole sind: CH4O 714 J Unterschied

CgHeO 1362 648 J

OgHgO 2009 647

C^HioO 2663 „- 654

CßHijO 3321 658

CgHigO 5280,, 8X653,,

Propylglykol C^HgOg hat 1804 J, Glycerin CsHgOs 1662 J. Der Über- gang vom einwertigen Alkohol auf den zweiwertigen vermindert die Verbrennungswärme um 205 J, von diesem auf den dreiwertigen um 142 J.

Isopropylalkohol hat 2000 J, während der normale 2009 J hat Der Unterschied kennzeichnet den geringen Einfluss der Isomerie auf die Verbrennungswärme.

Einige wichtigere mehratomige Alkohole und Kohlehydrate sind; Erythrit, C4H10O4, 2103 J, Rhamnose C^HigOg 3006 J, Quercit CgHijOs 2972 J, Mannit CgHi^Oß 3048 J, Glukose GqU^^O^ 2833 J, Rohrzucker C12H22O,, 5668 J, Milchzucker CigH^Ou 5653 J, Dextrin CgHioOs 279 IJ, Stärke C^HioOs 2865 J, Cellulose 2846 J.

Organische Verbindungen. 287

Aldehyde der Fetti*eihe haben im flüssigen Zustande C^H^O 1127 J Unterschied

CgHjoO 3104',, 3X659J

Aceton, CgHeO, hat 1772 J, Diäthylketon, C^HioO, 3083 J; der Unter- schied fiir CH, ißt 656 J.

Die normalen Fettsäuren ergaben:

CHjjO^ 258 J Unterschied

CgH^O, 876 616 J

CsHgO, 1537 ., 661

C^HgOa 2194 657

CßHi^Oj 2852 658

CßHigO, 3503 651

Hier ist die Abweichung des ersten Gliedes besonders auMlig.

Für die Säuren der Oxalsäurereihe wurde gefunden:

CjHjO^ 251 J unterschied

CgH^O^ 867 616 J

C^HeO^ 1492 " 625

C6H8O4 2154 662

CßHjoO^ 2798,, 644,,

C^HijO^ 3467 669

CsH.^O, 4114,, 647,,

Cj^HieO^ 4774 660

CioHigO^ 5410

Auch hier zeigen die Anfangsglieder die grössten Abweichungen. Hervorzuheben ist das Oscillieren der Unterschiede bei den höheren Homologen, welches mit entsprechenden Verschiedenheiten vieler anderer Eigenschaften (z. B. der Schmelzpunkte) der Säuren mit paarer und mit unpaarer Kohlenstoffzahl zusammenhängt

Die aus den Alkoholen bei ihrer Verbindung unter sich oder mit Säuren entstehenden Stoffe, die Äther und Ester, welche die Elemente ihrer Bildungsbestandteile minus denen des Wassers enthalten, haben meist eine Verbrennungswärme, welche von der Summe der Verbrennungs- vrärmen ihrer Komponenten nicht viel abweicht, zum Zeichen, dass diese Vorgänge nur mit geringer Wärmeänderung erfolgen. Letztere hat häufig ein negatives Zeichen, d. h. die Stoffe nehmen bei ihrer Ver- emigung Wärme auf.

So ist die Verbrennungswärme des Äthyläthers (C*H^)^0 gleich 2726 J, die von zwei Molen Äthylalkohol 2724 J, so dass bei der un- mittelbaren Ätherbildung überhaupt keine nachweisbare Wärmewirkung stattfinden würde.

Ähnlich stellen sich die Zahlen beim Vergleich der Verbrennungs- wärmen der Ester mit denen der Säuren und Alkohole. Hier treten meist 4 bis 8J bei der Bildung der Ester ein, und um so viel über-

288 VII Thermochemie.

treffen die Yerbrennungswärmen der letzteren die ihrer Bestandteile. So ist die Verbrennungswärme des Äthylacetats 2246 J; die von Essigsäme und Alkohol zusammen 2238 J; ebenso hat Äthylbulyrat 3561, während die Summe 3556 J ist. Man kann sieb dieser Reg^l bedienen, um as- nähemd die Verbrennungswärmen der unter Wasseraustritt gebildeten organischen Verbindungen vorauszuberechnen.

Über die organischen Stickstoffverbindungen lässt sich wenig Allgemeines sagen. Es ist bemerkenswert, dass die Bildung des Cyans aus Kohle und Stickstoff unter sehr erheblichem Wärmeverbrauch er- folgt. Die Verbrennungswärme von (CN)* beträgt 108GJ, während die der zwei Atome Kohlenstoff nur 788 J ausmacht; es wird also die er- hebliche Wärmemenge von 298 J aufgenommen. In dieser Beziehung schliesst sich das Cyan dem Acetylen an, welches gleichfalls wie jenes bei hohen Temperaturen unter starkem Wärmeverbrauch (von 247 J, da die Verbrennungswärme 1321J geftinden wurde) entsteht'

Bei der Verbindung des Cyans mit Wasserstoff würden sieh 45 J (fiir ein Atom Wasserstoff) entwickeln. Die Zahl nähert sich der för die Bildung des Brom Wasserstoffs. Die Bil^ungswärme aus den Elementen bleibt negativ.

Schliesslich seien die physiologisch wichtigen Verbrennungswärmen derstickstoffhaltigen Endprodukte des tierischen Stoffwechsels nach Stohmann angegeben.

Harnstoff CO(NH»)« 636 J

Harnsäure C«H*N*0» 1924

Hippursäure CöH^NO» 4242

Eiweissstoffe entwickehi 2«3 bis 2*5 J bei der Verbrennung von 1 g.

Auch die Verbrennungswärmen zahlreicher aromatischer Verbindungen sind bestimmt worden. Die hauptsächlichsten Ergebnisse haben ganz dieselbe Form, wie sie bei den Fettkörpem gefunden wurde, so dass eine kurze Erwähnung genügen mag.

Die Verbrennungswärme des Benzols ist 326 J. Für die dem Benzol homologen Kohlenwasserstoffe macht sich wieder der bekannte Anwuchs von je 655 J fiir jedes CH* geltend; die verschiedenen Iso- meren zeigen dabei keine erheblichen Unterschiede. Eine Anzahl von Verbrennungswärmen anderer aromatischer Verbindungen (nach Stohmann) sei zur allgemeinen Orientierung hergesetzt.

Phenol C«H«0 3082 J

Brenzkatechin C^H^O^ [2865

Resorcm C^HßO« ^2857

Hydrochinon C^H^O^ (2857

Pyrogallol C^H^O» 2635

Benzogsäure C'H«0* 3228

Benzaldehyd C'H«0 3521 ,,

Benzylalkohol CH^O 3744

YIII. Chemische Mechanik. Allgemeines. 289

Phtalsäure C^H^O* 3234 J

Saücylsäure C^H^O» 3052

Die früher angegebenen Regeln finden sich anch hier im allge- meinen bestätigt. B^nerkenswert ist, dass, während die drei isomeren Kresole, CH^O^H^OH, gleiche Verbrennungswärmen haben, das meta- mere Anisol, C^*H^OCH^, merklich abweicht. Dass nicht alle Stellungs- isomeren gleiche Verbrennungswärmen haben, macht sich endlich beim Vergleich von Brenzkatechin mit den anderen Dioxybenzolen geltend.

Die Verbrennungswärmen der den oben angeführten Stoffen ho- mologen Verbindungen lassen sich alle mit genügender Annäherung durch Hinzufügen von je 655 J für je GH* berechnen.

Eine Regel von bemerkenswerter Allgemeinheit ist von Stohmann zwischen der Verbrennungswärme der Säuren und ihrer chemischen „Stärke" oder Affinitätskonstante (s. w. u.) geftmden worden: beide nehmen bei isomeren Säuren gleichzeitig zu und ab. Da für die letz- tere Grösse allgemeine Beziehungen zur chemischen Zusammensetzung, die später besprochen werden sollen, bekannt sind, so lassen sich auch die Unterschiede der wirklichen Verbrennungswärmen gegen die aus der additiven Regel berechneten angenäherten Werte im Voraus schätzen.

Achtes Buch.

Chemische Mechanik.

Erstes Kapitel. Allgemeines.

Der Inhalt der Thermochemie war wesentlich durch den ersten Hauptsatz der Energetik bestimmt: sie handelte von dem Gesamtbetrage der Energie, welche die chemischen Vorgänge begleitet, und lehrte sie in Wärmemass bestimmen. Dabei war vorausgesetzt, dass die dhrch die Formeln angegebenen Vorgänge in dem Sinne und mit der Vollständig- keit stattfinden, welche durch diese Formeln dargestellt sind. Warum die Vorgänge gerade in solchem Sinne erfolgen, und nicht im entgegen- gesetzten, der formell immer ebenso möglich wäre, wurde noch nicht er- örtert, ebensowenig, ob die stillschweigend vorausgesetzte Vollständigkeit der Reaktionen tiiatsächlich stattfindet.

Früher hat man geglaubt, diese Fragen auf Grund der thermoche- mischen Daten selbst beantworten zu können, denn es war der Satz aufgestellt worden, dass von den beiden möglichen entgegengesetzt ge- richteten chemischen Vorgängen derjenige ausschliesslich stattfindet, welcher mit Wärmeentwickelung verbunden ist. Denn da beim chemischen Vor-

Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 19

290 VIII. Chemische Mechanik.

gange jedenfalls eine Energieänderung eintritt, so muss jede chemische Gleichung, in einem Sinne gelesen, einer Wärm eent Wickelung und im anderen Sinne einem Wärmeverbrauch entsprechen.

Diese Ansicht, welche noch bis in die neueste Zeit Vertreter ge- funden hat, ist unrichtig. Sie ist der letzte Rest einer Lehre, die im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts von T. Bergmann aufgestellt worden ist. Nach dieser verhalten sich die chemischen Stoffe gegenein- ander wie mechanische Massen, die von entgegengesetzt gerichteten Kräften angegriffen werden; eine oder die andere Kraft ist die grössere, und dieser gemäss erfolgt der Vorgang. Da Bergmann diese „chemischen Kräfte" nur durch die Natur der Stoffe und die Temperatur bestimmt ansah, so musste er gleichzeitig annehmen, dass sie solange wirken, als noch etwas von den umwandlungsföhigen Stoffen vorhanden ist, d. h. dass die Vorgänge alle vollständig verlaufen.

Während diese Ansicht das Wissen ihrer Zeit, in welcher nur die (praktisch) vollständigen Vorgänge gekannt waren oder beachtet wurden, in genügender Weise darstellten, ergab sich bald bei grösserer Aufmerk- samkeit, dass die nach dieser Theorie nicht möglichen unvollständigen Reaktionen viel häufiger vorkamen, als angenommen worden war. Um den Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts entstand daher eine ent- gegengesetzte Theorie, die von C. L. BerthoUet entwickelt wurde. Ihr Gnindgedanke war, dass auf den Verlauf eines chemischen Vorganges nicht nur die Beschaffenheit der Stoffe und die Temperatur einen Ein- fluss hat, sondern auch die im Reaktionsgebiet vorhandene Menge eines jeden beteiligten Stoffes. Dadurch, dass die aufeinander wirkenden Stoffe infolge dieser Wirksamkeit verschwinden und die Produkte sich anhäufen, entsteht eine Ursache, welche eben diesen Vorgang behindert und schliess- lich zum Stillstande bringt. Denn die entstandenen Stoffe haben in dem Masse, als sie sich bilden, immer mehr die Tendenz, die Ausgangsstoffe wieder zurtickzubilden, und es tritt ein Stillstand der Reaktion ein, be- vor sie sich hat vollenden können.

Dass trotzdem viele Reaktionen innerhalb der Messbarkeit vollständig verlaufen, lässt sich meist darauf zurückführen, dass die Anhäufung der Produkte irgendwie verhindert wird. Ist z. B. eines derselben gasfönnig, so wird es entweichen und keinen Einfluss mehr ausüben; ist es unter den vorhandenen Umständen unlöslich, so wird es sich ausscheiden und sich gleichfalls der weiteren Wirkung entziehen.

Diese Gesichtspunkte haben sich in der Folge als richtig herausge- stellt. Allerdings hat es sehr lange Zeit gedauert (Guldberg und Waage, 1867), bis sie sich zu einer wirklichen Theorie der chemischen Vorgänge und Gleichgewichtszustände entwickelt haben. Nachdem die Angemessen- heit von BerthoUets Anschauungen sich durch die späteren Forschungen zunächst erfahrungsmässig in vielen Fällen hat nachweisen lassen, ist später durch die Entwickelung der Energetik und ihre Anwendung anf chemische Probleme eine „chemische Dynamik" entstanden, welche die

Chemische Kinetik. 291

Grnindlagen der Bertholletschen Affinitätslehre trotz der nngemeinen Er- weiterung und Vertiefung des Gebietes im wesentlichen beibehalten hat.

Die Grundlage dieser Entwickelung bildet das Gesetz der chemischen Massenwirkung, nach welchem die chemische Wirkung der wirk- samen Masse, d. h. der Stoffmenge in der Yolumeinheit oder Kon- zentration proportional ist. Die chemische Wirkung, von der hier die Kede ist, kann sich nach zwei Richtungen bethätigen: in der Regelung des Verlaufes der Reaktion einerseits, und in der Regelung der Gleidi- gewichtsverhältnisse nach Ablauf derselben andererseits. Daraus ergeben sich die beiden Gebiete: die chemische Kinetik und die chemische Statik.

In bestimmtem Sinne kann man die Kinetik als die grundlegende Wissenschaft ansehen, da der Vorgang erst verlaufen muss, bevor sich das Gleichgewicht einstellt. Doch hat sie sich viel weniger entwickelt, als die Statik. Dies liegt einerseits darin, dass sie durch die Beziehung auf die Zeit eine Veränderliche mehr enthält, als die Statik, und dadurch notwendig eine grössere Verwickelung aufweist, als diese. Andererseits ist eB noch nicht gelungen ein allgemeines Prinzip auf energetischer Grundlage aufzustellen, welches über dieses Gebiet in ähnlicher Weise Auskunft gäbe, wie die verschiedenen, auf der Verallgemeinerung des zweiten Hauptsatzes beruhenden Gleichgewichtsprinzipien dies fttr die chemische Statik thun. Doch lässt sich eine wachsende Bedeutung für die Kinetik voraussehen, da einerseits der Betrag der Aufschlüsse über die Beschaffenheit der chemischen Gebilde auf ihrem Wege viel grösser ist, als auf dem der Statik, und andererseits auch für jenes noch ge- suchte allgemeine Prinzip bereits Andeutungen vorhanden sind, die seine umfassende Aussprache in naher Zeit erwarten lassen.

Zweites Kapitel. Chemische Kinetik.

Als im Jahre 1777 der Chemiker C. F. Wenzel sich die Aufgabe gestellt hatte, die Ursache der chemischen Vorgänge, oder die (jesetze äer chemischen Verwandtschaft zu erforschen, musste er vor allen Dingen eine Methode haben, diese zu messen. In Analogie mit der Methode, nach welcher die Ursachen der mechanischen Vorgänge oder der Bewegungen gemessen werden, wollte er die chemischen „Kräfte" mittels der Geschwindigkeiten messen, mit welchen die verschiedenen Stoffe analoge Vorgänge bewirken.

Der Begriff der „chemischen Geschwindigkeit" ist durch das Ver- IhUltnis zwischen der durch den betrachteten Vorgang umgesetzten Stoff- I menge zu der dazu erforderlichen Zeit gegeben. Der Ausdruck, dass

19*

i

292 VIII. Chemische Mechanik.

z. B. eine Gärung schneller bei höherer, als bei niederer Temperatur verläuft; besagt, dass unter sonst gleichen Umständen bei höherer Tem- peratur mehr Zucker in Alkohol und Kohlensäure umgesetzt wird, als bei niederer. Mit der mechanischen Geschwindigkeit hat diese chemische nur eine ziemlich äusserliche Ähnlichkeit, und man muss sich hüten, die- selbe für weitergehend zu halten.

Die Menge der in der Zeiteinheit umgesetzten Stoffe oder die che- mische Geschwindigkeit irgend einer Reaktion hängt offenbar von sehr vielen einzelnen Umständen ab. Wenzel, welcher die chemische Ver- wandtschaft der Säuren zu den Metallen messen wollte, führte seine Ver- suche so aus, dass er die Oberflächen der Metallstücke, welche die Wirkung der Säuren erfahren sollten, gleich machte, denn er sagte sich, dass die in einer gegebenen Zeit aufgelöste Metallmenge der Oberfläche pro- portional sein müsse. Femer war er über die Wirkung eines versdiie- denen Gehaltes seiner verdünnten Säuren vollkommen im klaren: die Wirkung muss auch dem Gehalt proportional sein. „Denn wenn ein Saueres in einer Stunde eine Drachma von Kupfer oder Zink auflöst, so braucht ein halb so stai-kes Saueres zwei Stunden dazu, wenn näm- lidi die Flächen und Wärmen in allen diesen Fällen einander gleidi bleiben."

Dieser von Wenzel ausgesprochene Grundsatz, dass die Wirkung pro- portional der Konzentration des wirksamen Stoffes ist, bildet nun in der That die Grundlage der chemischen Mechanik. Er ist später von Berthollet von neuem und unabhängig von Wenzel ausgesprochen worden, hat aber erst in neuerer Zeit die von letzterem bereits vorausgesehene Anwendung zur Messung „chemischer Kräfte" erfahren.

Zunächst ist es klar, dass man eine von den Komplikationen der Versuchsanordnung Wenzels beseitigen kann, weim man die Anwendung fester Körper aufgiebt. Chemische Vorgänge, bei welchen überhaupt keine Oberflächen in Frage kommen, kann man in homogenen Flüssig- keiten oder Gasen erzeugen. Freilich ist in solchen der Verlauf der Vorgänge selbst nicht immer leicht zu messen, doch hat sich das bereits in vielen Fällen ausfuhrbar erwiesen.

Die ereten derartigen Messungen sind von Wilhelray (1850) ge- macht worden, welcher auch das richtige Gesetz des Verlaufes einer be- stimmten Klasse chemischer Vorgänge zuerst aufgestellt hat Wenn nämlich bei dem Vorgange in einer homogenen Flüssigkeit nur ein ein- ziger Stoff betroffen wird, so kann offenbar nach dem Prinzip der Massenwirkung die Geschwindigkeit nicht konstant sein, sondern muss beständig abnehmen. Es werde z. B. in der Zeiteinheit immer je 0-1 des eben vorhandenen Stoffes umgewandelt Dann erleiden nach Ver- lauf der Zeiten 1, 2 folgende Mengen die Umwandlung:

Zeit vorhandene Menge umgewandelte Menge

0—1 1-000 0-100

1 2 0-900 0-090

Chemische Kinetik. 293

Zeit YorhAndene Menge umgewandelte Menge

2—3

0810

0081

3 4

0729

0073

4—5

0-656

0066

Zum Beginn der Zeit ist die Menge 1-000 da, nach Verlauf der Zeit 1 ist 0-100 nach der Annahme umgewandelt. Es ist dann die Menge 0-900 nachgeblieben, von der wieder ein Zehntel, d. h. 0-090 die Um- wandlung erfährt. Alsdann ist die Menge 0-900 0090 = 0-810 nach- geblieben, von der wieder ein Zehntel, nämlich 0-081 umgewandelt wird, u. s. f.

Nennt man also G die zu irgend einer Zeit d' vorhandene Kon- zentration des sich umwandelnden Stoffes, und dC die Änderung^), welche sie in der kleinen Zeit äd- erfährt, so wird der Satz, dass die Reaktionsgeschwindigkeit der Konzentration proportional ist, durch die Gleichung ausgedrückt

dC/d^ = kC.

Hierin ist dCjäd^ die Reaktionsgeschwindigkeit, oder das Verhältnis der umgewandelten - Menge zu der entsprechenden Zeit. Das negative Zeichen von dO/d^ ergiebt sich daraus, dass durch die Reaktion die Konzentration des betrachteten Stoffes abnimmt, während die Zeit in positivem Sinne wächst. Die Bedeutung von k ergiebt sich, wenn man 0=1 setzt: k ist die Reaktionsgeschwindigkeit für die Konzentration Eins.

Man kann diese Gleichung nicht genau an der Erfahrung prüfen. Denn da sich die Konzentration C während eines Zeitraumes d^ beständig ändert, so ist auf der rechten Seite in den Ausdruck k C für C ein Mittelwert zwischen dem Anfangs- und dem Endwerte in der Zeit d^ zu setzen; wie man aber diesen berechnet, geht aus der Gleichung nicht unmittelbar hervor.

Ofifenbar wird dieser unbekannte Mittelwert um so genauer durch das arithmetische Mittel beider Konzentrationen ersetzt werden können, je näher sich diese liegen, je kürzer also der Zeitraum d d- gewählt wird. Ist d d' sehr klein, so sind beide Konzentrationen überhaupt nicht merklich verschieden, und die Unsicherheit über den Mittelwert verschwindet ganz.

Wenn man also die Gleichung prüfen will, so muss man möglichst kleine Konzentrationsänderungen nebst den zugehörigen Zeiten messen. Als kleine Unterschiede grosser Zahlen sind aber solche kleine Änderungen mit experimen- tellen Unsicherheiten behaftet, die relativ um so grösser werden, je kleiner die Unterschiede sind. Wir haben also zwei sich widersprechende Forderungen zu erfüllen: möglichst kleine Unterschiede wegen der Anwendbarkeit der Formel, möglichst grosse wegen der Versuchsfehler.

Eine strenge Prüfung der Formel ist also auf diesem Wege nicht möglich. Wohl aber kann man durch Rechnung aus der für sehr kleine Zeiten d^ geltenden Formel die Änderungen bestimmen, welche nach einer endlichen

*) Wegen der Bedeutung des Zeichens d vergl. S. 84, Anmerkung.

294 VIII. Chemische Mechanik.

Zeit & eingetreten sind. Hierzu muss man die Zeit in sehr viele kleine Teile d^ zerlegen, für jeden Zeitanteil die Änderung dC berechnen und alle Beträge summieren.

Mit der Lösung solcher Aufgaben beschäftigt sich die Integralrechnung^ deren Kenntnis hier nicht vorausgesetzt wird. Um eine Vorstellung von dem Verfahren zu geben, soll eine entsprechende Rechnung ausgeführt werden, wobei wir die S. 292 gemachte willkürliche Zahlenannahme durch einen allge- meinen Ausdruck ersetzen. Wir haben, wenn wir den in der Zeiteinheit umgewandelten Anteil gleich k und die ursprüngliche Menge gleich Eins setzen:

Zur Zeit vorhandene Menge umgewandelte Menge

0 1 1 k

1 2 1 k (1 k)k

2 3 1— k (1 k)k = (l k)* (1— k)*k 3_4 (i_k)a— (l— k)*k = (l k;i» (l_k)»k 4 5 (1 k)»— (1 k)»k = (l k)* (1— k)*k

u. s. w.

Bezeichnet man daher mit ^ die Zahl der seit dem Anfang des Vor- ganges verflossenen Zeiteinheiten, so ist die zur Zeit ^ noch vorhandene Menge (1 k)^. Dies gilt, wenn die anfängliche Konzentration gleich Eins gesetzt wird. Wird sie gleich Cq gesetzt, so ist die nach der Zeit ^ vorhandene Konzentration C gegeben durch C/Cq = (1 k)^ oder C = Cq (1 k)^*^.

Indessen ist die Gleichung unter einer ungenauen Voraussetzung abge- leitet. Wir haben uns den Vorgang so vorgestellt, als fände in den aufein- anderfolgenden einzelnen Zeiträumen die Umwandlung immer mit konstanter Geschwindigkeit statt, und ändere sie sich sprungweise beim Anfang des nächsten Zeitraumes der nunmehr verminderten Menge entsprechend. Dies ist nun allerdings nicht der Fall, denn die Änderung geht oflenbar stetig vor sich; wir werden uns aber diesem wirklichen Vorgang am besten annähern, wenn wir die Zeiträume so klein als möglich nehmen.

Führen wir also statt der bisherigen Zeiteinheit eine n-mal kleinere ein, so ist der in der neuen Zeiteinheit umgewandelte Bruchteil der Anfangs- menge nur k/n, während die Zahl der Zeiteinheiten auf n^ gestiegen ist Für denselben Augenblick, für den die angenäherte Gleichung C/Gq = (l k)* gilt, gilt auch die genauere Gleichung C/Co = (l k/n)"^.

Lässt man nun n immer grösser werden, so wird die Gleichung immer genauer, und sie wird richtig, wenn n unendlich gross wird, n = Qo. Dann wird k/n = 0 und der Ausdruck erlangt die Form (1 0)qo. Die Analysis lehrt, dass der Ausdruck (1 (k/n)n^ für unendlich werdendes n übergeht in e k^, wo e die Basis der natürlichen Logarithmen, die Zahl 2-7183 ist

Wir haben demnach C/Co = ek^ oder Co/C = ek^. Wird beiderseits der natürliche Logarithmus genommen, der mit In bezeichnet wird, so folgt

InCo lnC = k^

als Ausdruck des gesuchten Gesetzes, welches für jede beliebige Zeit ^ die zugehörige Konzentration C angiebt.

Chemische Kinetik. 295

Die aus der maÜlematischen Formulierang des Massenwirkungsge- gesetzes sich ergebende Gleichung lautet

InCo— lnC = k,->,

wo Co die Konzentration am Anfange der Zeitmessung, C dieselbe nach der Zeit ^ und k die Geschwindigkeitskonstante ist; die Definition der letzteren ergiebt sich aus der Ableitung; sie stellt den Bruchteil der ursprünglichen Menge des Stoffes dar, welcher in der Zeiteinheit umge- wandelt werden würde, wenn die anfangliche Geschwindigkeit während der Zeiteinheit konstant bliebe^).

Was die zu benutzenden Einheiten anlangt, so ist als Einheit der Konzentration die Menge Eins im Volum Eins zu definieren. Die Mengeneinheit im chemischen Sinne ist das Mol, oder wo dieses nicht bekannt ist, das Formelgewicht in Grammen. Als Einheit des Volums sollte bei absoluter Messung das Kubikcentimeter dienen. Da indessen alsdann die Konzenti'ationen durch sehr kleine Zahlen dargestellt werden würden, so benutzt man praktisch das Liter als Volumeinheit, und die Einheit der Konzentration ist ein Mol im Liter.

Die Zeit ^9- sollte gleichfalls im System nach Sekunden gemessen werden. In der chemischen Kinetik ist die Minute als Einheit üblich geworden, und da bisher noch keine vollständige Beziehung der Reaktions- geschwindigkeit zu anderen, in absoluten Einheiten gemessenen Grössen bekannt geworden ist, kann sie vorläufig beibehalten werden.

Schliesslich kann die unbequeme Rechnung mit natürlichen Logarithmen durch die Einführung dekadischer vermieden werden. Bezeichnet man letztere mit log, so besteht die Beziehung log 0 = 04343 In C, und wir ^aben log c log C^ = 04343 k^,

in welcher Gestalt die Formel allgemein zu benutzen ist.

Aus der Form der Gleichung geht hervor, dass die Einheit der Konzentration ohne Einfluss auf den Wert der Konstanten k ist, Denn misst man jene in einer n-mal kleineren Einheit, so dass die Zahlenwerte n-mal grösser werden, so erhält die linke Seite der Gleichung die Form lognC lognCß, welche gleich logC logC^ ist. Man kann daher bei der Rechnung jede beliebige Konzentrationseinheit benutzen.

Diese Unabhängigkeit der Konstanten von der Konzentrationseinheit ist nur bei dem eben behandelten einfachsten Falle der Reaktionsgeschwindigkeit vorhanden, in allen anderen Fällen tritt ein Einfluss der Einheit auf die Ge- schwindigkeitskonstante zu Tage, wie sich später ergeben wird.

Der Fall, an welchem Wilhelmy zuerst die Richtigkeit dieser Formel zeigte, war die Inversion des Rohrzuckes. Dieser Stoff zerfällt, wie bekannt, unter dem Einflüsse freier Säuren in Dextrose und

*) Diese Definition von k ist von der S. 293 gegebenen nur der Form nach verschieden.

296

YIII. Chemische Mechanik.

Läviüose, indem er die Elemente des Wassers aufnimmt^ der Formel C'«H"0ii4-H20 = 2C«H^»0« gemäss. Dabei erleidet die freie Säure keine Änderung ihrer Menge, und das Wasser ist bei derartigen Versuchen stets in so grosser Menge da^ dass die Änderung seiner Menge unmerklich ist. Die Vorbedingung bei der Ableitung der Gleichung ist somit erfüllt. Um die zu jeder Zeit noch vorhandene Menge des nicht umgewandelten Rohrzuckers zu bestimmen, benutzte Wilhekny die Methode mittelst der Drehung der Polarisationsebene , welche eine Analyse ohne jeden chemischen Eingriff gestattet Aus seinen Messungen ergab sich z. B. folgende Reihe:

'Minuten'

> Abgelesener ' Winkel

Konzentration

logCo-logC

0-4343 k

0

46.75<^

65-45

15

43.75

62-45

00204

0-00136

30

41-00

59.70

0-0399

0-00133

45

3825

56.95

00605

0-00134

60

35.75

54.45

0-0799

0-00133

75

3325

5195

0-1003

0-00134

90

30-75

49-45

0-1217

0-00135

105

28-25

46-95

0-1441

0-00137

120

26-00

4470

0-1655

0-00137

*

oo

—18-70

Mittel 0-4343 k = 0-00135, k = 000310.

Die Beobachtungen sind in folgender Weise berechnet. Die ur- sprüngliche Zuckerlösung hatte die Drehung 46^75; nachdem sie voll- ständig in Dextrose und Lävulose übergegangen war, betrug die Drehung 18^70. Da die Drehung der Zuckermenge proportional ist, so ist der ganze zurückgelegte Winkel von 46-75 + 18-70 = 65-45 das Mass der anfänglichen Konzentration Gq. Der nach 15 Minuten beobachtete Drehungswinkel von 43^5 ergiebt C = 43-75 + 18-70 = 62-45. Nimmt man von beiden Zahlen die Logarithmen, so ist der Unterschied gleich 0-0204, und diese Zahl durch ^=15, die Zahl der vergangenen Minuten dividiert, giebt endlich 0-00136, u. s. w.

Die in der letzten Spalte verzeichnete Grösse

log Co- log C ,

^

ist

nach der Gleichung also gleich 0-4343 k und muss konstant sein. Wie man an der Tabelle sieht, trifft dies zu. Denn die vorhandenen Ab- weichungen rühren nur von Versuchsfehlem her.

Um an demselben Versuchsmaterial die Ergebnisse der Rechnung nach der Formel dC/dd- = kC zu zeigen, sind die Zeitunterschiede von 15 Minuten zwischen den einzelnen Ablesungen ^eich d^ gesetzt worden; dC sind die zugehörigen Winkeländerungen und für C sind die Mittelwerte vom Anfang und Ende dieser Zeiten angenommen worden. Dann ergiebt sich

Chemische Kinetik. 297

dS^

dC

C

k

15

300

63-95

0-003 1 2

15

275

6108

0-00300

15

275

58-33

0-00315

15

2-50

55-70

0-00300

15

2-50

53-20

0-00313

15

2-50

5070

000328

15

250

48-20

0-00335

15

2-25

4583

0-00328

Mittel k = 000316

Wie man sieht, schwanken die einzelnen Werte viel mehr, als bei der Benutzung der anderen Formel; auch liegt der Mittelwert um fast zwei Prozent höher. Doch kann man auf diesem Wege immerhin zu leidlich angenäherten Resultaten gelangen, zumal im vorliegendem Falle die Messungen nur auf Viertelgrade haben abgelesen werden können, und somit jeder einzelne Wert von dC eine Fehlermöglichkeit von +4 bis 6 Prozent enthält

Gleiche Ergebnisse, wie Wilhelmy sie bei der Inversion des Rohr- zuckers erhalten hatte, haben sich späterhin bei vielen anderen Vor- gangen wiedergefunden. So verläuft die Reduktion der übermangan- saure durch einen grossen Überschuss von Oxalsäure, der Zerfall des Methylacetats in Methylalkohol und Essigsäure, welcher in verdünnter wässeriger Lösung bei Anwesenheit von Säuren erfolgt, die Umwandlung von Bibrombemsteinsäure in Bromwasserstoff und Brommale'msäure, von Monochloressigsäure in Glycolsäure, die Umwandlung des Atropins in Hyoscyamin durch die Gegenwart von Alkalien, u. s. w. nach dem gleichen Gesetz. Dieses hängt nicht von der Beschaffenheit der an der Reaktion beteiligten Stoffe ab; wo immer ein chemischer Vorgang so verläuft, dass dabei die Menge nur eines Stoffes sich ändert, so erfolgt er nach der Foimel InC^ lnC = k{^. Die Formel ist wieder nichts als eine mathematische Folgerung aus dem Satze, dass die chemische Wirkung der wirkenden Masse oder Konzentration proportional ist.

Die Betrachtung der Formel lehrt, dass theoretisch gesprochen eine Reaktion nie zu Ende kommen kann. Denn für jeden noch so grossen Wert der Zeit behält der Ausdruck log log C einen endlichen Wert, d. h. es ist noch etwas unzersetzter Stoff vorhanden. Erst für ^ = qo wird log Co log C unendlich oder C = 0.

Allerdings lässt sich der Nachweis dieses theoretischen Ergebnisses experimentell nicht führen, da alle Messhilfsmittel begrenzt sind, und die Konzentration C, wenn sie unter eine bestimmte Grenze gefallen ist, nicht mehr gemessen, also auch nicht mehr von Null unterschieden werden kann. Als durchschnittiiche Grenze der gewöhnlichen analytischen Bestimmungen kann man */iooo ^^^ Wertes ansehen; wenn also die ursprüngliche Konzen- tration unter diesen Wert gesunken ist, hat man den Wert Null praktisch

298 VIII. Chemische Mechanik.

erreicht. Nun lehrt eine leichte Rechnung, die dem Leser anzusetzen über- lassen werden mag, dass in einer Zeit, die das Zehnfache der für die halbe Um- setzung erforderlichen beträgt, die Konzentration unter Viooo des Anfangswertes gesunken ist, und somit das Ende des Vorganges experimentell erreicht ist Es soll schon hier hervorgehoben werden, dass auch die dem bis- her entwickelten Gesetze nicht unterliegenden Reaktionen alle theoretisch erst nach unendlich langer Zeit zu Ende gehen. Das Verhältnis zwischen der Zeit für die Hälfte und 0-999 der Reaktion verschiebt sich aber in den anderen Fällen so, dass die Regel keine Anwendung mehr findet.

Ein zweiter Fall chemischer Vorgänge, fiir welchen ein neues Ge- setz gültig ist, tritt ein, wenn zwei Stoffe bei demselben ihre Kon- zentration ändern. Wir müssen wieder voraussetzen, dass die Wirkung der Konzentration jedes einzelnen proportional ist. Daraus folgt, dass die Wirkung dem Produkt beider Konzenti*ationen proportional zu setzen ist, denn dies ist die einzige Funktion, welche die Bedingung erfüllt.

Für die Formuliening eines solchen Vorganges erscheint es auf den ersten Blick, als wären zwei Gleichungen aufzustellen, da zwei Stoffe gleichzeitig ihre Konzentration ändern. Doch ist die Änderung der Konzentration des ersten Stoffes nicht unabhängig von der des zweiten: vielmehr verlaufen beide einander proportional, und wenn die chemische Gleichung des Vorganges gegeben ist, so wird dessen Zustand durch eine einzige Veränderliche vollständig bestimmt.

Für die hier zu beti'achtenden Reaktionen machen wir die Vor- aussetzung, dass die auf einander wirkenden Stoffe zu gleichen Molen reagieren; dann ist die gleichzeitige Ändening der Konzentrationen beider Stoffe in dem hier eingehaltenen Mass gleich gross, und kann durch einen gemeinsamen Ausdruck dC dargestellt werden. Danach lautet denn die Grundgleichung für diese Art Vorgänge, die wir als solche zweiter Ordnung bezeichnen,

dC/dö' = kCC',

wo C und C' die Konzentrationen der beiden beteiligten Stoffe in molekularem Masse sind. Die Bedeutung von k ist wieder die des Ge- schwindigkeitskoeflSzienten , d. h. der Geschwindigkeit, mit der der Vor- gang verlaufen würde, wenn beständig die Konzenti*ation der bdden Stoffe gleich Eins wäre.

Auch in diesem Falle ist es iiir eine strenge Prüfung erforderlich, von der fiir unbegrenzt kleine Zeiträume geltenden Gleichung (der Differentialgleichung) auf einen Ausdruck überzugehen, welcher die in be- liebigen endlichen Zeiten erfolgten Umsätze dai'stellt. Die elementare Ableitung dieser Gleichung (der Integralgleichung) würde sehr unüber- sichtlich ausfallen, und es soll daher nur das Ergebnis gegeben werden (zu welchem die Integralrechnung alsbald führt). Je nachdem man von gleichen (d. h. reaktionsäquivalenten) Konzentrationen ausgeht, oder von verschiedenen, erhält man verechiedene Formeln.

Chemische Kinetik. 299

Sind die Anfangskonzentrationen C^ und C'^ beider Stoffe gleich, so bleiben sie es auch während der ganzen Reaktion, und die Integral- gleichung lautet: i /C - 1 /C« = C, k*,

wo C die gemeinsame Konzentration nach der Zeit & ist.

Ein Beispiel eines derartigen Vorganges ist die von R. Warder (1881) untersuchte Verseifung des Äthylacetats mit Natronlauge.

n C "(T^C" ^^^

0 16-00 '

5 10-24 0-563 0-113

15 6-13 1-601 -0-107

25 4-32 2-705 0108

35 3-41 3-69 0-106

55 2-31 6-94 0-108

120 1-10 13-55 0-113

In letzter Reihe steht der Wert des Ausdruckes—-!— -) = Cok,

welcher der Theorie gemäss konstant sein soll. Auch hier lühren die vorhandenen kleinen Schwankungen nur von Versuchsfehlern her.

Für die Vorgänge der zweiten Ordnung gilt ganz ähnliches, wie fiir die der ersten Art. Es wird durch die Natur der vorhandenen Stoffe, die Temperatur und die Konzentration nur allein die Konstante k bestimmt; kennt man deren Wert, so ist dadurch der ganze Verlauf des Vorganges gegeben.

Sind die beiden Stoffe, welche aufeinander wirken, nicht in gleichen Konzentrationen vorhanden, so gilt eine etwas verwickeitere Gleichung, deren elementare Ableitung noch weniger anschauhch wäre, als die der vorigen, und die daher gleichfalls ohne eine solche mitgeteilt werden soll. Sind beide Anfangskonzentrationen C^ und C'q, so lautet die Gleichung

ln^-^^ = (Co-C'o)k^,

WO In der natürliche Logarithmus ist und C und C' die Konzentrationen der beiden beteiligten Stoffe in einem und demselben Augenblicke, näm- lich nach Verlauf der Zeit ^ darstellen. Auch diese Gleichung ist geprüft und mit der Erfahrung in Übereinstimmung gefunden worden.

Es sind nun w^eiter die Fälle ins Auge zu fassen, in denen mehr als zwei Stoffe miteinander reagieren. Es gelten für sie ganz älmliche Betrachtungen, wie für die Vorgänge zweiter Ordnung, indem die Grund- gleichung lautet _dC/d^ = kCC'C",

WO C, C und C" die Konzentrationen der drei Stoffe darstellen.

Auch diese Gleichungen lassen sich für endliche Zeiten umrechnen, und nehmen je nach den Voraussetzungen über die Gleichheit oder Ver-

300 YIII. Chemische Mechanik.

schiedenheit der Anfangskonzentrationen verschiedene Formen an. Von deren Mitteilung kann hier abgesehen werden^ da derartige Reaktionen dritter Ordnung sehr selten zu sein scheinen ^ so selten, dass es langes Suchen gekostet hat, bis die ersten derartigen Vorgänge überhaupt ge- funden worden sind.

Vorgänge vierter Ordnung, bei denen vier verschiedene Stoffe gleichzeitig aufeinander reagieren, sind noch nicht nachgewiesen oder untersucht worden.

Bei den eben erwähnten Arbeiten über die Vorgänge höherer Ordnung hat sich herausgestellt, dass Reaktionen, die nach der chemischen Gleichung höherer Ordnung sein sollten, doch nach einer niederen verliefen. Die Ur- sache dafür scheint zu sein, dass diese Vorgänge nicht so verlaufen, wie sie durch die übliche Formulierung der beteiligten Stoife erscheinen, sondern dass diese thatsächlich das Schlussergebnis einer Reihe von nacheinander sich ab- spielenden Teilvorgängen sind, deren Ordnung eine andere sein kann, als die aus der Gesamtgleichung sich ergebende. Dadurch werden solche Unter- suchungen umgekehrt wieder ein Mittel, über das Auftreten von Zwiscben- vorgängen Aufschluss zu erlangen, und so unsere Einsicht in die Natur der Reaktionen zu vertiefen.

Die bisherigen Betrachtungen beruhen auf der stillschweigenden Voraussetzung, dass die Vorgänge, deren Verlauf in der Zeit durch die Gleichungen dargestellt wird, vollständig zu Ende gehen, ohne dass die Produkte aufeinander unter Bildung der ursprünglichen Stoffe wieder reagieren. Wie bereits erwähnt, ist diese Voraussetzung streng genommen nie richtig, sondern wir müssen in jedem einzelnen Falle die Möglichkeit zugeben, dass die entgegengesetzte Reaktion thatsächlich verläuft, dass also z. B. eine Lösung von Dextrose und Lävulose mit etwas Säure versetzt, eine gewisse, wenn auch wahrscheinlich äusserst kleine Menge von Rohrzucker zurückbildet. Dass dennoch die ohne eine solche An- nahme entwickelten Gleichungen die thatsächlichen Verhältnisse innerhalb der Fehlergrenzen darzustellen vermochten, liegt daran, dass eben in sehr vielen Fällen der Betrag einer solchen umgekehrten Reaktion unter die Fehlergrenze der Messungen fallt, und daher nicht nachweisbar ist Inner- halb dieser Grenzen sind denn auch die entwickelten Gleichungen richtig, wenn auch das Vorhandensein eines gewissen Fehlers prinzipiell zuzu- geben ist.

Daneben giebt es aber auch viele Vorgänge, bei denen die umge- kehrte Reaktion erhebliche Beträge annimmt, so dass sie nicht veniaGfa- lässigt werden kann, ohne dass bedeutende Fehler entstehen. Um solche Fälle rechnerisch darzustellen, machen wir folgende Überlegungen.

Wandelt sich ein Stoff Aj in einen anderen Ag um, und umgekehrt, so wird die Geschwindigkeit der ersten Umwandlung proportional der Konzentration von Aj, die der zweiten proportional der von Aj sein; für jeden dieser Vorgänge wird also, wenn Cj und Cj die zugehörigen

Chemische Kinetik. 301

Konzentrationen sind, eine entsprechende Gleichung dCi/d^=KiCi und dC^jäd- =K^C2 gelten.

Für den gleichzeitigen Verlauf der beiden Vorgänge stellen wir nun das Prinzip der Koexistenz auf, d. h. wir machen die Annahme, dass die beiden entgegengesetzten Teilvorgänge nach dem Gesetze der Massenwirkung so nebeneinander verlaufen, als fände jeder allem statt, ohne einen anderen Einiluss auf den anderen auszuüben, als den durch die Veränderung der Konzentration der beteiligten Stoffe. Die wirklich stattfindende Änderung der Konzentration dC ergiebt sich, da durch den einen Vorgang der Stoff gebildet, durch den anderen aber zerstört wird, als der Unterschied der beiden Teiländerungen, dC = dCi ^^s? ^^^ indem man diese Werte aus den beiden Einzelgleichungen einfiihrt, findet

^^ dC/d^ = kC k'C'.

Die Gleichung lässt sich ebenso behandeln, wie die für die einfachen Vorgänge erster Ordnung (S. 293), und hat sich gleichfalls durch die Erfahrung bestätigen lassen.

In ähnlicher Weise ergiebt sich für zwei entgegengesetzt verlaufende Vorgänge zweiter Ordnung die Gleichung

dC/d^ = kC, Cg k'Ci'C/,

wo die Konzentration Cj und C^ sich auf die Ausgangsstoffe, 0/ und Cj,' auf die Produkte beziehen. Wegen der chemischen Reaktions- gleichung sind diese vier Werte so voneinander abhängig, dass wenn die vier Konzentrationen in einem bestimmten Augenblicke gegeben waren, die Angabe einer von ihnen zu jeder anderen Zeit genügt, um den Wert der drei anderen zu bestimmen. Denn es ist notwendig dCj=:dC2, dCi'=dC,' und dCj = dO^', und wenn man die einzelnen Re- aktionsgleichungen ansetzt und dann gemäss dem Koexistenzprinzip addiert, 80 erhält man alsbald die oben gegebene Gleichung.

Auch diese verwickeitere Gleichung ist in mehreren Fällen geprüft und mit der Erfahrung in Übereinstimmung gefunden worden.

Die Mannigfaltigkeit der zusammengesetzten Vorgänge ist durch die erwähnten Fälle keineswegs erschöpft. Doch kann auf die Anführung weiterer verzichtet werden, da sie sich alle durch die Anwendung des Koexistenzprinzips behandeln und wenigstens prinzipiell lösen lassen.

Femer ist noch der Fall zu betrachten, dass der Vorgang in einem heterogenen Gebilde verläuft, oder dass es sich mit anderen Worten um Vorgänge zwischen zwei Phasen (S. 101) handelt. In solchen Fällen besteht eine Trennungsfläche zwischen den beiden Phasen, und der Vor- gang findet in dieser statt. Das Grundgesetz für diesen Fall ist gleich- falls schon von Wenzel aufgestellt worden und lautet, dass die umge- setzten Mengen der Grösse der Berührungsfläche proportional sind. Im übrigen hängt die Reaktionsgeschwindigkeit gemäss dem Massenwirkungs-

302 VIII. Chemische Mechanik.

gesetze von den Konzentrationen der beteiligten Stoffe in der gemein- samen Grenzfläche ab. Hierdurch wird im allgemeinen die Verteilung der Konzentrationen in den einzelnen Phasen ungleichförmig, und die Geschwindigkeit wird davon abhängig, auf welche Weise (durch Difl'usion, Bewegung u. s. w.) sich die Konzentrationen in der Grenzfläche regeh.

In einigen einfacheren Fällen ist die Eichtigkeit des Grundsatzes, dass die umgesetzten Mengen unter sonst gleichen Umständen der Be- rührungsfläche propoi^tional sind, experimentell erwiesen worden. Die erwälmten, durch den Vorgang selbst verursachten mannigfachen Kon- zentrationsänderungen in der Berührungsfläche lassen indessen derartige Vorgänge leicht so verwickelt werden, dass ihre theoretische Bewältigung auf grosse Schwierigkeiten stösst.

Zum Schlüsse werden einige Bemerkungen über die bei diesen Unterauchungen auftretenden Konstanten k am Platze sein. Für ge- gebene Bedingungen der Stoße (einschliesslich etwaiger Lösungsmittel), der Temperatur und des Druckes sind diese Geschwindigkeitskoeffizienten ebensolche Naturkonstanten, wie irgend welche anderen Grössen, die man messen und wiederherstellen kann. Man kann sich ihrer also zur Kennzeichnung bestimmter Stoße bedienen, und auch, soweit das Massen- wirkungsgesetz sich als gültig erweist, zu ihrer quantitativen Bestimmung.

Was die genannten Einflüsse anlangt, so vermehrt die Steigerung der Temperatur sehr bedeutend die Geschwindigkeit. Es giebt wenig andere Grössen, welche in ähnlichem Masse durch die Temperatur ge- ändert werden^).

Der Einfluss ist mit der Natur der Reaktion einigermassen, doch nicht sehr veränderlich; er beträgt durchschnittlich so viel, dass durch eine Temperaturerhöhung von rund 10^ die Geschwindigkeit verdoppelt wird.

Der Einfluss des Druckes ist dagegen sehr gering, so dass es gi'osser Drucke bedarfj um ihn überhaupt messen zu können.

Ein Einfluss „fremder ''S d. h. nicht in der Reaktionsgleichung auf- tretender Stoffe, die zugegen sind, lässt sich gleichfalls immer erkennen.

*) Die Dampfdrucke zeigen eine ähnlich grosse Veränderlichkeit, welche sogar einige zahlenmässige Annäherungen aufweist. Dieser Zusammenhang scheint nicht zufällig, denn da die wirksame Menge der Flüssigkeiten durch ihren Dampfdruck gemessen wird (wie sich aus später anzustellenden Betrachtungen ergiebt), und andererseits die Reaktionsgeschwindigkeit der wirksamen Menge proportional ist, so kann man einen solchen Zusammenhang von vornherein erwarten. Nur wird sich neben ihm noch der spezifische Einfluss der Tem- peratur auf die Geschwindigkeit geltend machen.

Hierzu ist allerdings zu bemerken, dass ähnliche Veränderungen der Reaktionsgeschwindigkeiten mit der Temperatur auch bei gasförmigen Gebil- den beobachtet worden sind, auf welche diese Beziehung nicht angewendet werden kann.

Chemische Kinetik. 303

In vielen Fällen ist die Ätdening der Geschwindigkeit durch die Gegen- ^w^art solcher Stoffe gering, in anderen wieder sehr bedeutend; in ein- zelnen Fällen genügen fast unmessbar kleine Mengen fremder Stoffe^ um die Geschwindigkeit auf ein Vielfaches ilires Wertes zu erhöhen, oder auf einen kleinen Bruchteil zu vermindern. Solche die Geschwindigkeit sehr stark beeinflussende Stoffe nennt man kataly tisch wirkende oder Katalysatoren. Doch handelt es sich hier nur um quantitative Unter- schiede (die allerdings zuweilen ungeheure Beträge annehmen); im Grunde -wirkt jeder fremde Stoff katalytisch, d. h. die Reaktionsgeschwindigkeit ändernd.

Durch diesen allgemeinen Umstand ist eine Ursache gegeben, welcher die Geltung der einfachen Gesetze der Reaktionsgeschwindigkeiten sehr ein- schränkt. Infolge der Reaktion entstehen ja notwendig neue Stoffe, welche in dem oben ausgesprochenen allgemeinen Sinne katalytisch wirken, d. h. die Geschwindigkeitskonstante «Indem. Die oben gegebenen Gesetze sind aber unter der Voraussetzung entwickelt, dass diese Konstante während der ganzen Reaktion ihren Wert unverändert beibehält. Die einfachen Gesetze können daher nur in solchen Fällen Geltung haben, wo diese Einflüsse auf die Kon- stante unterhalb der Versuchsfehler bleiben. Es muss als ein besonderer Glücksfall angesehen werden, dass das erste Beispiel einer Reaktionsgeschwindig- keit, welches Wilhelmy untersuchte (S. 290), die Zuckerinversion war, denn diese ist wohl unter allen bisher untersuchten Reaktionen am wenigsten von derartigen Nebenwirkungen beeinflusst.

Im übrigen sind die Geschwindigkeitskonstanten der verachiedenen Vorgänge untereinander ausserordentlich verschieden und umfassen das ganze Gebiet der mess- und beobachtbaren Werte. Am schnellsten ver- laufen Vorgänge zwischen Ionen in wässerigen Lösungen ; ihre Ge- schwindigkeit überschreitet die Grenze des gegenwärtig Messbaren. Die Vorgänge zwischen organischen Verbindungen sind dagegen meist durch geringe Geschwindigkeiten gekennzeichnet; daher rührt die so häufige Anwendung erhöhter Temperatur in geschlossenen Gefässen^). Ebenso sind die meisten Vorgänge zwischen Gasen, soweit sie nicht bei hoher Temperatur erfolgen, von gi'osser Langsamkeit. Sind derartige Vorgänge von technischer Wichtigkeit, so bedient man sich geeigneter katalytischer Beschleuniger, um eine genügende Geschwindigkeit zu erzielen. Ebenso regeln die tierischen und pflanzlichen Organismen die Geschwindigkeit ihres Stofl'wechsels durch Katalysatoren der verschiedensten Art. Da- durch kommt diesen Wirkungen eine ausserordentliche Wichtigkeit zu, und die Erkenntnis ihrer allgemeinen Gesetze wird auf die chemische Technik, wie auf die Physiologie und Medizin unübersehbare Einflüsse

') Die gelegentlich ausgesprochene Annahme, als käme dem Druck hier- bei eine grosse Wirkung zu, ist irrtümlich ; der Druck ist nur nötig, um die beteiligten Stofl^e im flüssigen Zustande bei so hohen Temperaturen zu halten, dass die Reaktionsgeschwindigkeit einen genügend grossen Wert annimmt.

304 VIII. Chemische Mechanik.

ausüben. Leider ist die wissenschaftliche Erforschung der katalytischen Erscheinungen unter den hier gegebenen Gesichtspunkten erst in jüngster Zeit aufgenommen worden^ und hat noch nicht zu Ergebnissen geführt, die einen einfachen Ausdruck gestatten.

Drittes Kapitel.

Allgemeines über das ohemisohe Gleichgewicht. Das Fhasengesets.

Das Gesetz der chemischen Massenwirkung beherrscht, wie bereits erwähnt, zwei Gruppen von Erscheinungen: den zeitlichen Ablauf der chemischen Vorgänge einerseits, und andererseits die Gleichgewichte, zu denen dieser führt. Beide Fälle stehen unter dem allgemeinen Gesetz, dass die Tendenz, mit welcher sich ein vorhandener Stoff umzuwandeln strebt, mit seiner Konzentration wächst. Demgemäss ändert sich die Ten- denz, mit welcher ein Stoff sich zu bilden strebt, umgekehrt mit seiner Konzentration.

Findet daher ein chemischer Vorgang statt, so wird durch die Ver- minderung der Ausgangsstoffe infolge ihrer Umwandlung deren Tendenz zur Umwandlung immer geringer, und durch die Vermehrung der Pro- dukte deren Tendenz zur Rückverwandlung immer grösser. Schliesshch muss ein Zustand eintreten, in welchem beide Tendenzen sich gegen- seitig aufheben, und die Reaktion stillsteht.

Ganz die gleichen Überlegungen sind anzustellen, wenn die Reaktion in umgekehrtem Sinne vor sich geht. Wenn in beiden PlUlen die äusseren Umstände, wie Druck, Temperatur und Gesamtkonzentration gleich sind, so muss die Umwandlung bei den gleichen Verhältnissen der Ausgangsstoffe und der Produkte aufhören, wie im ersten Falle. Einen solchen Zustand nennt man den eines chemischen Gleichgewichts in leicht ersichtlicher Analogie mit dem mechanischen Gleichgewicht

Ein mechanisches Gleichgewicht ist im allgemeinsten Sinne dadurcli gekennzeichnet, dass eine Verschiebung des Zustandes Ursachen hervor- ruft, welche sich dieser Verschiebung widersetzen und den früheren Zu- stand wieder herzustellen streben. Ganz dieselbe Definition lässt sich auf das chemische Gleichgewicht anwenden. Die Verschiebung des Zu- standes besteht hier zunächst in einer Veränderung des Verhältnisses der be- ^ teiligten Stoffe. Es giebt also ein bestimmtes Verhältnis, bei welchem das Gebilde in Ruhe ist, und jede Ändening dieses Verhältnisses ruft einen chemischen Vorgang hervor, der den früheren Wert desselben wieder herstellt.

Zu demselben Ergebnis kommt man, wenn man ein chemisches Gleich- gewicht als einen Zustand auffasst, in welchem die Geschwindigkeit der einen Reaktion gleich der der entgegengesetzten geworden ist. Da die Geschwindig-

Allgemeines über das chemische Gleichgewicht. Das Phasengesetz. 305

keiten von den Konzentrationen abhängen, so kann die Gleichheit der ent- gegengesetzten Geschwindigkeiten, oder die Gesamtgeschwindigkeit Null nur bei einem bestimmten Verhältnis jener eintreten.

Vergleicht man die Erfahrungen an den meisten chemischen Vor- gängen mit diesen allgemeinen Betrachtungen, so findet man nur teil- weise Übereinstimmung. Zwar sind viele derartige Oleichgewichtszu- stände bekannt; daneben stehen aber noch zalitreichere Reaktionen, die keinen Gleichgewichtszustand erkennen lassen, sondern durchaus den Ein- druck der Einseitigkeit machen: nur die eine von den beiden entgegenge- setzten Reaktionen tritt ein, und die andere lässt sich nicht nachweisen.

So bildet Salzsäure in wässeriger Lösung mit Natron anscheinend ganz vollständig Natrium chlorid und Wasser, und die entgegenge- setzt€ Reaktion, die Zerlegung des Natriumchlorids durch Wasser in Salzsäure und Natron, scheint unmöglich zu sein. Indessen lässt sich schon in dem sehr ähnlichen Falle, wo das Natron durch Ammoniak, oder die Salzsäure durch Kohlensäure ersetzt ist, die entgegengesetzte Reaktion beobachten: die Lösung ist im ersten Falle etwas sauer, zum Zeichen, dass etwas Salzsäure unverbunden vorhanden ist, und im zweiten Falle ist sie stark alkalisch, zum Zeichen, dass normales Natrium- karbonat in wässeriger Lösung so zersetzt wird, dass sich eine merk- liche Menge Natron bildet. Zwischen solchen Salzen, die sicher teil- weise zersetzt sind, und solchen, an denen sich keine Zersetzung nach- weisen lässt, sind alle Übergänge vorhanden.

Wir können dieses Beispiel verallgemeinern, und sagen, dass von den thatsächHch vorhandenen Gleichgewichtszuständen uns nur die ver- hältnismässig kleine Zahl zur Kenntnis kommt, wo die Konzentrationen, bei denen das Gleichgewicht eintritt, innerhalb der analytisch nachweis- baren Grenzen liegen. Da diese Grenzen täglich erweitert werden, so erweitert sich dadurch auch das Gebiet der nachweisbaren Gleichgewichte, und da sich bisher kein Widerspruch gegen die Verallgemeinerung des Gleichgewich tsbegriifes gezeigt hat, so kann man ihn als einen be- rechtigten Induktionsschluss aus der Erfahrung annehmen.

Ein wichtiger Umstand muss indessen hier betont werden. Die eben durchgeführten Betrachtungen gelten für wirkliche Gleichgewichte, die der oben gegebenen Definition entsprechen, und sich bei einge- tretener Störung wieder hersteUen. Die Geschwindigkeit dieser Her- stellung ist sehr verschieden, und wird in der Nähe des Gleichgewichts ohnedies immer kleiner. Es kann bei den ungeheueren Verschiedenheiten der Reaktionsgeschwindigkeiten also häufig der Fall eintreten, dass ein Zustand anscheinend unverändert in der Zeit bestehen bleibt, nicht weil er ein Gleichgewicht ist, sondern weil seine Reaktionsgeschwindigkeit so klein ist, dass sich die Veränderung der Beobachtung entzieht. Solche Zustände lassen sich von denen des Gleichgewichts immer dadurch unter- scheiden, dass sie nicht in absehbarer Zeit von beiden Seiten her erreicht

Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 20

306 VIII. Chemische Mechanik.

werden, und sich daher auch nicht selbstthätig wieder herstellen, wenn ae gestört worden sind.

Die Mechanik unterscheidet femerstabile, indifferente und labile Gleichge- wichte; die oben gegebene Definition passt nur auf die ersteren. Die labilen Gleichgewichte sind eine mathematische Fiktion, der keine Thatsachen entsprechen, da die vollständige Abwesenheit von Störungen, welche für die Existenz der labilen Gleichgewichte vorausgesetzt wird, sich nicht herstellen lässt. Die Bezeichnung von Zuständen der Überkai tung u. dergl. (S. 113) als labiler ist ungeeignet, und führt zu irrtümlichen Vorstellungen. Dagegen sing als labil im chemischen Sinne solche Zustände zu bezeichnen, welche an sich unbeständig sind, und ohne äusseres Zuthun in andere übergehen.

Dagegen ist für die indifferenten Gleichgewichte eine Analogie vor- handen. Indifferent hetsst in der Mechanik ein Gebilde gegen solche Zustands- änderungen, welche auf das stabile Gleichgewicht keinen Einfluss haben. Solche Veränderungen sind bei den chemischen Gleichgewichten die Menge verschiedener heterogener Phasen (S. 101). Ein einfaches Beispiel ist das Gleichgewicht zwischen Flüssigkeit und Dampf; dieses ist ganz unabhängig von den absoluten und relativen Mengen dieser beiden Phasen, und in Be- zug auf die Veränderung dieser Mengen befindet sich das Gebilde also im indifferenten Gleichgewicht.

Man kann die verschiedenen Fälle des chemischen Gleichgewichts in Klassen ordnen, die von der Zahl der Bestandteile abhängen, welche sich am Gebilde beteiligen. Die Gleichgewichte erster Ordnung, bei denen nur ein Bestandteil vorhanden ist, sind zum Teil bereits bei früherer Gelegenheit behandelt worden: es sind die Änderungen des Aggregatzustandes, denen sich die allotropen und polymorphen Um- wandlungen anschliessen. Die ersteren dieser Gleichgewichte nennt man wohl auch physikalische, im Gegensatze zu den chemischen. Doch ist eine solche Unterscheidung nur äusserlich und nicht in der Natur der Sache begründet, denn die Gesetze der chemischen Gleichgewichte im engeren Sinne beruhen auf ganz denselben Prinzipien, wie die der sogenannten physikalischen. Insbesondere werden die gegenseitigen Umwandlungen polymorpher Stoffe von ganz genau denselben Gesetzen geregelt, wie die Übergänge der verschiedenen Aggregatzustände in einander, während man sie doch chemische Umwandlungen nennen muss. Doch gehören zu den Gleichgewichten erster Ordnung noch andere, wie die Spaltung des Stickstoffhyperoxyds, N^O^ in 2 NO*, des Jods, J*=r2J, und ähnhche Fälle mehr.

Beim Gleichgewicht zweiter Ordnung beteiligen sich zwei verschie- dene Stoffe oder Bestandteile; hierher gehören einerseits die Lösungen, andererseits aber auch chemische Gleichgewichte im engeren Sinne.

Die „Bestandteile" eines im Gleichgewicht befindlichen Gebildes sind nicht notwendig die Elemente. Vielmehr nennt man Bestandteile die Stoffe, aus denen man alle am Gleichgewicht beteiligten Phasen zu- sammensetzen kann. Sind alle Phasen eines solchen Gebildes von

Gleichgewichte erster Ordnung. 307,

gleicher elementarer Zusammensetzung (und lassen sie sich ineinander umwandeln), so liegt ein einziger Bestandteil vor; sind alle Phasen von der Beschaffenheit, dass ihre Zusammensetzung sich als Summe ent- sprechender Mengen zweier Stoffe (gleichgültig, ob diese im reinen Zu- stande vorliegen oder nicht) darstellen iässt, so ist das Gleichgewicht zweiter Ordnung u. s. f. So stellt eine Lösung von Magnesiurasulfat in Wasser, neben festem Salz und Wasserdampf ein Gleichgewicht zweiter Ordnung dar; denn jede der Phasen Iässt sich durch eine Formel xMgSO^ + yH^O darstellen, wo x und y irgend welche Werte (u. a. auch Null) annehmen können.

Ein zweiter Einteilungsgrund ist durch das Phasengesetz (Gibbs 1874) gegeben. Wir haben früher (S. 101) gesehen, dass ein einheit- licher Stoff, d. h. ein Gleichgewicht erster Ordnung, mit einer einzigen Phase zwei Freiheiten hat, d. h. dass sein Zustand erst bestimmt ist, wenn man für zwei Grössen, von denen er abhängt, bestimmte Werte an- genommen hat. Tritt eine zweite Phase hinzu (z. B. Dampf zu Wasser, BO bleibt nur eine Freiheit übrig, und nur eine Zustandsgrösse kann will- kürlich, gewählt werden. Eine dritte Phase hebt alle Freiheit auf (S. 175).

Wenn nun mehr als ein Bestandteil vorhanden ist, so wächst die Zahl der Freiheiten mit der Zahl der Bestandteile, und zwar mit jedem Bestandteil um Eins. Nennt man die Zahl der Bestandteile B, und P die Zahl der Phasen in einem Gleichgewicht, so ist die Zahl der Frei- heiten F durch die Formel F = B -)- ^ P gegeben.

Trotz ihrer anscheinenden Einfachheit ist diese Formel von sehr aus- gedehnter Anwendbarkeit und gestattet Folgerungen der mannigfaltigsten Art zu ziehen, die allerdings nur qualitativer Natur sind. So kann man z. B. mit ihrer Hilfe die früher bestrittene Frage entscheiden, ob der Druck einen Einfluss auf die Löslichkeit der Stoffe ausübt. Wir betrachten ein Gebilde, das aus dem festen Stoffe und der mit ihm im Gleichgewicht befindlichen Lösung unter irgend einem Drucke besteht. Die Zahl der Bestandteile ist zwei, ebenso die Zahl der Phasen; folglich müssen nach der Formel zwei Freiheiten vorhanden sein. Über eine von diesen verfügen wir durch die Wahl einer bestimmten Temperatur; dann ist noch eine Freiheit übrig, und folglich muss sich die Zusammensetzung der Lösung mit dem Drucke ändern können, wie es der Versuch auch thatsiichlich erwiesen hat.

Viertes Kapitel.

Gleichgewichte erster Ordnung.

Bei der Besprechung der abnormen Dampfdichten wurde bereits (S. 74) einiger Fälle gedacht, in denen Gase durch Veränderungen des Druckes und der Temperatur ihre Eigenschaften ändern, ohne dass sich üire chemische Gesamtzusammensetzung ändert. Das am längsten be-

20*

308 VIII. Chemische Mechanik.

kannte Beispiel ist das Stickstoffhyperoxyd ^ dessen Umwandlung durch die Gleichung N*0*=2N0* dargestellt wird. Die erste Urs^die für die Aufstellung einer solchen Formel war die Veränderlichkeit des Normal- oder Molekulargewichts^ wie es sich aus der Messung der Dampfdichte ergab. Doch sind mit diesen Änderungen auch solche anderer Eigen- schaften verbunden. Insbesondere zeigen die Dämpfe in solchen Zu- ständen, die durch die erste Formel ausgedrückt werden, nur geringe Färbung, und diese wird um so dunkler braunrot, je grösser der An- teil an der Form NO' wird.

Man könnte auf die Messung der Farbe eine Bestimmung des Ver- hältnisses beider Anteile gründen, indem man die wahrscheinliche An- nahme macht, dass sich die Färbung des Gemisches additiv aus der der Bestandteile zusammensetzt. Doch hat man ein sicheres Mittel in der Messung der Dichte.

Bestimmt man den Wert von R in der Gasgleichung pv = RT für ein Mol N*0* oder 92 g des Stoffes, so erhält man je nach der Temperatur und dem Drucke Werte zwischen dem normalen und dem doppelten, entsprechend der oben formulierten Zersetzung. Nennt man X den Bruchteil des unzersetzt gebliebenen N*0*, so wird der an einem entsprechenden Gemisch beobachtete Wert der Konstanten, der r genannt werden soll, gegeben sein durch die Summe xR + 2(l x)R, oder r=R(2 x), woraus sich x = 2 r/R ergiebt. Bestimmt man also r =r pv/T für 92 g des teilweise zersetzten Gemisches, so ergiebt sich daraus alsbald der Zersetzungsgrad x. Da ferner den Grössen r und R die Dichte d des teilweise zersetzten Gemisches und die Dichte D des unzersetzten Stoffes N'O'^ umgekehrt proportional ist, so kann man das Verhältnis r/R durch D /d ersetzen und erhält die Gleichung x = 2 D/d.

Die Erfahrung zeigt nun, dass die Dichte d um so kleiner aus- fällt, je geringer der Druck wird, dass also die Zei*setzung mit ab- nehmendem Drucke zunimmt. Das Gesetz für den Einfluss des Druckes lässt sich theoretisch ableiten.

Der unmittelbare Ansatz des Massenwirkungsgesetzes würde in unserem Falle zu folgender Gleichung führen. Setzen wir die Wirkung jeder der beiden Formen des Hyperoxyds auf die Entstehung des Gleich- gewichts proportional ihrer Konzentration, so würden wir die Gleichung a = kb erhalten, wo a die Konzentration von N*0* und b die von NO* ist; k bedeutet einen Koeffizienten, der noch von der Temperatur abhängig sein kann. Indessen ist diese Gleichung im Widerspruch mit der Erfahrung, da sie zu dem Schlüsse führt, dass das Verhältnis beider Konzentrationen unabhängig von deren absolutem Werte sein soll, während doch mit abnehmender Konzentration (abnehmendem Druck) sich das Verhältnis zu Gunsten der Form NO* verschiebt.

Auch lässt sich allgemein absehen, dass der Druck einen Einfluss auf den Zersetzungsgrad haben muss, denn dieser hat einen EinflnflS

Gleichgewichte erster Ordnung. 309

auf den Druck, indem der Druck sich vermehrt, wenn NO* auf Kosten von N*0* zunimmt. Es ist also noch die eintretende Volumänderung in der Gleichung zur Geltung zu bringen. Die einzige Form, dies zu thun, ohne in Widerspruch mit den Voraussetzungen zu geraten, und ohne neue Koeffizienten einzuführen, ist die entsprechender Potenzen der Konzentrationen. Die Gleichung

a = kb^

stellt in der That das Verhalten des Stickstoffhyperoxyds bei wechseln- der Konzentration (oder wechselndem Dmck) und konstanter Temperatur vollkommen dar; sie ist mehrfach an der Erfahrung geprüft und mit ihr in Übereinstimmung gefunden worden.

Zerfällt aUgemein ein Mol eines Gases in n Mole eines anderen, und sind a und b die zugehörigen Konzentrationen, so ist die Gleich- gewichtsgleichung bei konstanter Temperatur, oder die Gleichgewichts- isotherme gegeben durch die Formel a = kb^.

Die Formel a = kb° zeigt, dass ein Einfluss der Konzentration auf das Gleichgewicht nur in dem Falle vorhanden ist, dass n von Eins verschieden ist. Ist n = 1 , so bleiben beide Konzentrationen einander proportional; der Zersetzungsgrad ändert sich nicht, wenn man das Gas- gemisch einem veränderten Dnicke unterwirft, da hierbei beide Konzen- trationen in gleichem Verhältnisse geändert werden. Femer ergiebt sich, dass eine Änderung der Konzentration b einen grösseren Einfluss ausübt, als eine von a; in dem Fall des Stickstoff hyperoxyds, wo n = 2 ist, muss eine Verdoppelung der ersteren von einer Vervierfachung von a begleitet sein, wenn das Gleichgewicht bestehen soll. Daraus ergiebt sich, dass bei einer Druckvermehrung der Zerfall zurückgehen muss, dass mit anderen Worten der Vorgang einti*itt, welcher sich der Druckver- mehrung widersetzt.

Die vorstehende Formel lässt sich streng auf Grund der Definition ab- leiten, dass ein Gleichgewichtszustand eintritt, wenn für eine unendlich kleine Verschiebung dieses Zustandes die zugehörigen Arbeiten in Summa Null sind. Nun ist die Arbeit, welche ein Gas bei konstanter Temperatur bei einer Ausdehnung von v, auf v^ leistet, gleich RTln(vj/v,) (S. 89), oder da bei konstanter Temperatur v^/v^ = p,/p2 ist, RTln(pi/Pj) oder RT(lnp, Inp,). Für eine kleine Änderung des Druckes p ist die Arbeit nach der mehrfach benutzten Schreibweise (dRTlnp) oder RTdlnp.

Verschieben wir nun das Gleichgewicht in unserem Falle, so entstehen 2, oder allgemein nMole des Produktes B, wenn ein Mol des Ausgangsstoffes A verschwindet. Die zugehörigen Arbeiten sind nRTdlnpg und RTdlnp^, und ihre Summe muss nach dem oben ausgesprochenen Prinzip gleich Null sein. Wir haben also nRTdlnpg RTdlnp^ = 0 oder ndlnpg dlnp^ = 0, oderd(nlnpß) dlnp^ = 0 oder dlnpß = dlnp^. Es sollen also die gleich- zeitigen Änderungen des Logarithmus von p^ und von p^ gleich sein; dies tritt ein, wenn die beiden Zahlen selbst in konstantem Verhältnis stehen.

310 VIII. Chemische Mechanik.

denn dann sind ihre Logarithmen stets um eine konstante Zahl verschieden und ihre gleichzeitigen Änderungen gleich. Nennen wir r dies konstante Verhältnis, so folgt n

Nun sind aber hier die Konzentrationen der beiden Gase den Teildrucken und p^ proportional, p^ =* ha und = hb, wo h der Proportionalitäts- faktor ist. Hiermit, und indem wir rhn— i=-k setzen, folgt

a = kb°-

lieber den Einfluss der Temperatur auf das Gleichgewicht lässt sich zunächst sagen, dass zufolge des allgemeinen Gleichgewichtssatzes (S. 304) bei einer Steigerung der Temperatur der Vorgang einti^eten wird, der sich der Steigerung widersetzt, d. h. das Gleichgewicht wird sich in solchem Sinne verschieben, dass die mit Wärmeverbrauch ver- bundene Reaktion eintritt. Da dies beim StickstofFhyperoxyd der Zer- fall in die einfachere Verbindung ist, so wird mit steigender Temperatur dieser Zerfall zunehmen. Die Erfahrung bestätigt diesen Schluss.

Man kann dies sehr leicht anschaulich machen, wenn man dampfförmiges Hyperoxyd in eine Glasröhre einschmilzt. Während bei gewöhnlicher Tem- peratur der Inhalt der Röhre nur wenig gefärbt ist, wird bei einigem Er- wärmen der Dampf schnell dunkler, und nimmt beim Erkalten wieder seine ursprüngliche P'arbe an. Ein nicht erwärmtes, ebenso gefülltes Rohr dient zum Vergleich.

Eine Formel für den Einfluss der Temperatur auf das Gleichgewicht lässt sich auf einem Wege erhalten, der dem S. 125 benutzten zur Ab- leitung der Dampfdruckformel ganz ähnlich ist, und auf dem Satze beruht, dass das Verhältnis der in Arbeit umsetzbaren Wärme zur Ge- samtmenge der in Bewegung gesetzten Wärme sich bei einem zwischen zwei Temperaturen verlaufenden umkehrbaren Kreisprozess verhält wie der Temperaturunterschied zu der Temperatur in absoluter Zählung. Sie lautet dlnr/dT = L/RT^

Die Arbeit, welche aufgenommen wird, wenn sich in einer grösseren Ge- samtmenge ein Mol eines Gases in n Mole eines anderen verwandelt, ist gleich RT(lnp^ ^^Pa) nRT(lnpß Inp'^), da ein Mol verschwindet und n Mole entstehen; die neuen Teildrucke sind mit einem Strich bezeichnet. Die Änderung dieser Arbeit wird demnach durch RT d In (pA/p^) ausgedrückt, und die Gleichung für die Änderung der Arbeit mit der Temperatur, oder die zwischen den Temperaturen T und T-f-dT in einem Kreisprozess zu gewinnende Arbeit erlangt die Gestalt

RTdln(pA/p»)/L-=dT/T,

WO L die bei der Umwandlung von einem Mol des Gases aufgenommene Wärmemenge ist. Nun ist das Verhältnis p^ /pß die Gleichgewichtskonstante (siehe oben); hiernach vereinfacht sich die Gleichung zu

dlnr/dT = L/RT*.

Gleichgewichte erster Ordnung. 311

Diese Gleichung (van't Hoff 1885) stimmt in ihrer Form durchaus mit der für die Änderung des Dampfdruckes mit der Temperatur (S. 126) abgeleiteten überein, nur dass links unter dem Logarithmus an Stelle des Druckes der Quotient der Teildrucke (bez. ihrer Potenzen) steht. Es wird sich später zeigen, dass diese Formel für alle Arten des Gleich- gewichts ihre Geltung behält, indem immer nur unter dem Logarithmus der auf die Drucke bezogene Gleichgewichtskoeffizient auftritt.

Die Formel gestattet, wenn der Verlauf der Konstanten r, d. h. des Gleichgewichtszustandes mit der Temperatur gegeben ist, die Re- aktionswärme L zu berechnen und umgekehrt. SSie hat durch die Er- fahrung Bestätigung gefunden, wenn auch noch nicht in sehr weitem Umfange, und hat sich als nützlich erwiesen, um die Wärraetönungen von Reaktionen zu berechnen, die man nicht unmittelbar messen konnte. So hat sich z. B. die beim Zerfall des Jods, J2 = 2J, bei sehr hohen Temperaturen (S. 15) verbrauchte Wärme zu 119 J ergeben (Boltz- mann 1884).

Ähnliche Gleichgewichtszustände, wie in einem Gemenge von gegen- seitig umsetzbaren Gasen, können auch in Flüssigkeiten eintreten, die sich gegenseitig umwandeln. So ist unzweifelhaft das flüssige Stickstoff- hyperoxyd ein Gemenge der beiden Formen, wenn auch mit vorwiegen- dem N*0*, und das Verhältnis beider verschiebt sich mit steigender Temperatur zu gunsten der einfachen. Von den für das Gleichgewicht der Gase entwickelten Gesetzen bleibt hier aber nur der allgemeine Teil in Kraft, der sich auf den Sinn der Verachiebung des Gleichgewichts bei geänderten Verhältnissen bezieht: eine Druckvermehrung wird immer die Reaktion begünstigen, welche mit Raum Verminderung verbunden ist, und eine Temperaturerhöhung die Reaktion mit Wärmeverbrauch. Die quantitativen Gesetze dagegen, die auf Grund der Berechnung der Arbeit mittels der Gasgesetze abgeleitet worden sind, treffen nicht mehr zu, wo die Gas- gesetze nicht gültig sind. Für verdünnte Lösungen gelten die Gas- gesetze noch unter Ersatz des Gasdruckes durch den osmotischen (S. 93); für konzentriertere Lösungen ist dagegen zur Zeit eine Berechnung der Arbeitsgrössen in allgemeiner Weise nicht möglich und die Formeln ver- lieren ihre Anwendung.

Weitere Fälle des Gleichgewichts erster Ordnung entstehen, wenn mehrere Phasen auftreten. Das wesentliche über solche Gleichgewichte ist bereits in den Kapiteln über die Änderungen der Aggregatzustände gesagt worden (S. 98 und 174); hier ist nur zuzufügen, dass die ent- wickelten Beziehungen ganz unabhängig davon sind, ob. die beteiligten Stoffe isomere Umwandlungen erleiden, oder nicht Der einzige Unter- schied ist, dass bei chemischen Umwandlungen das Gleichgewicht sich meist langsamer einstellt, als in den Fällen ohne Umwandlung.

So besitzt z. B. das Stickstoffhyperoxyd einen bestimmten, nur von der Temperatur abhängigen Dampfdruck, unabhängig davon, dass es in beiden Zuständen, dem flüssigen und dem als Flüssigkeit und als Dampf, kein ein-

312 VIII Chemische Mechanik.

heitlicher Stoff im chemischen Sinne ist Ebenso besteht zwischen fester Gyanursäure, C, N5 O^Hs, und dem aus ihr beim Erhitzen entstehenden Cyan- säuredampfe CNOH ein nur von der Temperatur abhängiges Gleichgewicht, ob- wohl mit der Verdampfung eine chemische Umwandlung verbunden ist. Das gleiche gilt für gasförmiges Cyan und festes Paracyan, das dem ersteren po- lymer ist.

Für den Gleichgewichtszustand fest-flüssig sind dieselben Betrachtungen geltend zu machen. Ein fester Stofl* und seine Schmelze befolgen alle die Gesetze, welche S. 174 für den Fall der einfachen Schmelzung entwickelt worden sind, welche chemische Verschiedenheit auch zwischen beiden Phasen bestehen mag, wenn nur beide gleich zusammengesetzt sind und bleiben. Hierbei ist es nicht einmal erforderlich, dass irgend eine der Phasen ein chemisches Individuum sei; wir werden später in den „Kryohydraten" Ge- bilde kennen lernen, welche im festen, wie im flüssigen Zustande Gemenge beliebig vieler Bestandteile sein können, und doch genau den Schmelzpunkts- gesetzen gehorchen, da sie die Bedingung erfüllen, dass die beiden Phasen, die feste und die flüssige, gleiche Zusammensetzung haben und sich in ein- ander umwandeln. Diese Betrachtungen gestatten, die möglichen Fälle der Gleichgewichte erster Ordnung sämtlich unter die vorhandenen Gesetzmässig- keiten zu bringen.

Schliesslich sei noch auf einen wichtigen Punkt hingewiesen. Es kann in keinem Gebilde mehr als eine Gasphase sein, da alle Gase sich in allen Verhältnissen miteinander vermischen. Flüssige Phasen kommen 7 soweit die bisherigen Erfahrungen reichen ^ höchstens in so grosser Zahl vor, als Bestandteile vorhanden sind; es sind demnach Gleichgewichte erster Ordnung nur mit einer flüssigen Phase bekannt Flüssigkeiten und Gase können einheitliche Stoffe und Gemische sein. Feste Körper können sich an Gleichgewichten in beliebiger Zahl be- teiligen: sie werden in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von ein- heitlichen Stoffen gebildet. Feste Lösungen sind zwar möglich und be- kannt, doch ist ihr Vorkommen beschränkt, und sie sollen vorläufig von den Betraditungen ausgeschlossen werden.

Bei allen Gleichgewichten mit mehreren Phasen ist das Auftreten einer noch nicht vorhandenen Phase, wenn sie neben der vorhandenen unter den gegebenen Umständen bestehen kann, keine Notwendig- keit. Vielmehr darf man die Überschreitungserscheinungen (S. 112) als eine allgemeine Eigentümlichkeit mehrphasiger Gebilde ansehen, und nach den bisherigen Erfahrungen ist es auch statthaft, die Begriffe stabil, metastabil und labil auf alle derartigen Fälle anzuwenden, und sie nicht auf das Gleichgewicht zwischen einer Flüssigkeit und ihrem Dampf zu beschränken. Die Leichtigkeit, Überschreitungen experimentell her- zustellen, ist allerdings sehr verschieden, und ebenso ist es die Breite der metastabilen Gebiete,

Wenn man das metastabile Gebiet überschritten hat, und es ent- steht eine neue Phase freiwillig, so macht sich das bemerkenswerte Ge-

Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 313

setz geltend^ dass die entstehende Form nicht die unter den vorhandenen Umständen beständigste ist, sondern im Gegen- teil die wenigst beständige, d. h. die in Bezug auf ihre Be- ständigkeit der sich umwandelnden Form zunächst liegende. Die Erscheinung ist ausserordentlich verbreitet. Als Bei- spiel diene, dass Schwefel sich aus seinem Dampfe immer in Gestalt von Tröpfchen abscheidet, wenn auch die Temperatur weit unter dem Schmelzpunkte liegt. Quecksilberjodid schlägt sich aus dem Dampfe immer erst in der unbeständigen gelben Form nieder, obwohl deren Umwandlungstemperatur bei etwa 140® liegt, u. s. w. Es handelt sich hier um eine ganz allgemeine Erscheinung, die nicht auf die Gleich- gewichte erster Ordnung beschränkt ist, sondern bei allen Zustands- änderungen chemischer oder physikalischer Art sich zur Geltung bringt.

Fünftes Kapitel.

Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen.

Nach Anleitung der Definition eines Gleichgewichts erster Ordnung (S. 306) ist eines zweiter Ordnung dadurch bestimmt, dass alle vor- handenen Phasen sich ihrer Zusammensetzung nach als Summe zweier Bestandteile darstellen lassen; diese Bestandteile können ihrerseits chemisch einfache oder zusammengesetzte Stoffe sein. Daraus ergiebt sich, dass die Zuordnung eines gegebenen Gebildes von der Art der Umwandlungen und von den Existenzbedingungen abhängig ist, welche man in Betracht zieht. Bei Temperaturen, die einige hundert Grade nicht überschreiten, sind z. B. die möglichen Umwandlungen des Wassers erster Ordnung; sowie man aber in das Gebiet gelangt, wo der Zerfall des Wassers in Sauerstoff und Wasserstoff messbar zu werden beginnt, wird das Gleich- gewicht zweiter Ordnung, weil die nun auftretenden Phasen nur noch durch unabhängige Mengen der Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff dargestellt werden können.

Eine der wichtigsten Gruppen in den Gleichgewichten zweiter Ordnung sind die Gemenge zweier Bestandteile, die eine homogene Phase von stetig wechselnder Zusammensetzung bilden. Wir bezeichnen solche Gemenge aus zwei oder mehreren Bestandteilen als Lösungen, und betrachten deren Eigenschaften zunächst für sich. Von der Theorie der Lösimgen bilden die S, 189 u. ff. mitgeteilten Beziehungen nur einen kleinen, wenn auch sehr wichtigen Teil, der aus äusseren Gründen an der früheren Stelle abgehandelt worden ist.

Gemäss den drei Aggregatzuständen haben wir gasförmige, flüssige und feste Lösungen zu unterscheiden.

314 VIII. Chemische Mechanik.

A. Lösungen in Gasen.

Gase bilden unter allen Umständen miteinander Lösungen, denn alle Gase (soweit sie sich nicht gegenseitig chemisch verändern) lassen sich in allen Verhältnissen vermischen. Die Eigenschaften solcher Ge- mische sind die sachgemäss gebildeten Summen der Eigenschaften der Bestandteile; sie sind mit anderen Worten additiv. Dies wichtige Ge- setz, dessen erste allgemeine Aufstellung wir Dalton (1805) verdanken, gestattet die hier auftretenden Fragen sämtlich zu beantworten.

Es lässt sich auch in der anschaulichen Form aussprechen: in einem Gemisch verhält sich jedes einzelne Gas in Bezug auf die von ihm ab- hängigen Erscheinungen so, als wäre es allein vorhanden.

Eine der häufigsten Anw^endungen dieses Gesetzes ist die auf den Druck. Alle vom Druck des Gases abhängigen Vorgänge erfolgen in einem Gasgemenge so, als übe jeder Bestandteil den Druck aus, den er in dem vorhandenen Räume allein ausüben würde. Man nennt diesen Druck den Teil druck des betreffenden Bestandteils, und nur von ihm ist in den uns beschäftigenden Fällen (z. B. bei Erörterung der chemischen Gleichgewichte) die Rede (S. 308).

Die Anwendung des Gesetzes setzt voraus, dass die Gase des Gemisches in diesem gleichförmig verteilt sind. Dieser Zustand stellt sich freiwillig her, wenn man die Bestandteile lange genug miteinander in Berührung lässt, und ist daher der einzige, welcher für Gleichgewichtszustände in Frage kommt. Ebenso, wie ein Gas in einem Räume nur in Ruhe sein kann, wenn sein Druck überall denselben Wert hat, so ist ein Gasgemisch erst in Ruhe, wenn alle Teildrucke überall gleich geworden sind.

Das Gültigkeitsgebiet dieses Daltonschen Gesetzes ist das der Gas- gesetze überhaupt; Abweichungen beginnen einzutreten in Zuständen grösserer Dichte, wo die Gasgesetze nicht mehr zur Darstellung der thatsäclilichen Erscheinungen ausreichen.

Über Lösungen von Flüssigkeiten und festen Stoffen in Gasen ist wenig zu sagen. Bringt man eine verdampfbare Flüssigkeit in ein Gas, so verdampft sie, als wäre sie in einen leeren Raum ge- bracht, denn gemäss dem Daltonschen Gesetz ist ihr Dampfdruck unab- hängig davon, ob das Gas anwesend ist oder nicht. Doch gelten hier auch die Grenzen des Daltonschen Gesetzes, so dass bei erheblicheren Drucken Abweichungen eintreten.

Ein anderer Grund ftir Abw^eichungen Hegt darin, dass sich das Gas in der Flüssigkeit löst, und ihren Dampfdruck gemäss den allgemeinen Gesetzen (S. 'iOO) vermindert. Dieser Einfluss ist indessen nur bei leichtlöslichen Gasen merkbar und verschwindet in vielen Fällen.

Die gleichen Beziehungen gelten ftir die Lösung fester Stoffe in Gasen. Auch hier kann von einer solchen nur die Rede sein, wenn der feste Stoff flüchtig ist, und sein Dampfdruck in einem Gase ist gleich dem im leeren Räume. Da sich Gase in festen Stoffen nicht

Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 315

lösen, so liegen die Verhältnisse noch einfacher, als bei Flüssigkeiten, da die eben erwähnte Ursache von Abweichungen fortfällt. Bei sehr istarken Drucken werden feste Stoffe in Gasen löslicher, als im leeren Räume, einerseits, weil die Gase dann wie flüssige Lösungsmittel wirken, anderer- seits, weil der Dampfdruck eines festen (und flüssigen) Stoßes durch eine solche Pressung unmittelbar vermehrt wird. Man kann letzteres verstehen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Stoff durch die Pressung dichter wird, und daher auch einen dichteren Dampf zum Gleichgewicht erfordert.

B. Lösungen von Gasen in Flüssigkeiten.

Viel mannigfaltiger sind die Verhältnisse bei flüssigen Lösungen. Die Gesetze der gelösten Stoffe in verdünnten Lösungen sind bereits (S. 189) behandelt worden; hier sind die Gleichgewichtsbeziehungen zu betrachten, welche bei der Bildung der Lösungen auftreten.

Flüssige Lösungen lassen sich aus Flüssigkeiten mit Gasen, mit Flüssigkeiten und mit festen Stoffen bilden, und wir haben die Gesetze dieser drei Fälle gesondert zu erörtern.

Das Lösungsgleichgewicht zwischen Gasen und Flüssigkeiten ist durch das Gesetz von Henry (1803) geregelt, nach welchem die von einer Flüssigkeit gelöste Gasmenge dem Drucke proportional und ausser- dem mit der Temperatur veränderlich ist. Von Dalton ist (1805) dies Gesetz dahin erweitert worden, dass es auch für die Bestandteile be- liebiger Gasgemische gilt, wenn für diese die Teildrucke in Rechnung gebracht werden.

Da das Volum eines Gases seinem Drucke umgekehrt proportional ist, so kann man das Henrysche Gesetz auch in der Gestalt aussprechen, dass das von einer Flüssigkeitsmenge absorbierte Gasvolum unabhängig vom Drucke ist.

Nennt man die Menge des Gases, welche in der Volumeinlieit (so- wohl des Gasraumes, wie der Lösung) enthalten ist, die Konzentration desselben, so kann man dies Gesetz endlich auch so ausdrücken, dass unter gegebenen Verhältnissen bei wechselndem Druck die Konzentration im Gasraume zu der im Flüssigkeitsraume in einem konstanten Verhältnis stehen muss. Dies Verhältnis wollen wir den Löslichkeitskoeffizienten oder kurz die Löslichkeit des Gases nennen.

Eine mit diesem Werte in nahem Zusammenhange stehende Zahl ist der von Bunsen (1885) definierte Absorptionskoeffizient. Der- selbe bedeutet das auf 0" und 76 cm Druck reduzierte Gasvolum, wel- ches bei ebendemselben Druck von 1 ccm der Flüssigkeit aufgenommen wird, und unterscheidet sich von der oben definierten Löslich keit nur dadurch, dass das Gasvolum auf reduziert, also durch 1 -{- 0-00367 t dividiert worden ist. Es erscheint sachgemässer, das Volum dö& Gases für die Temperatur zu bestimmen, für welche die Ijöslichkeit selbst bestimmt worden ist, indessen ist die von Bunsen gegebene Definition noch allgemein verbreitet und muss daher auch erwähnt werden.

316 VIII. Chemische Mechanik.

Die Berechnung eines Absorptionsversuches, bei welchem das Volum Y der Flüssigkeit ein Gasvolum v bei der Temperatur t und dem Drucke p aufgelöst hat, geschieht nach Bunsen, indem man zunächst das Gasvolum

durch Multiplikation mit , V_ - auf Normalverhältnisse reduziert, darauf

durch Multiplikation mit die Gasmenge berechnet, welche nach dem

Henryschen Gesetz beim Normaldrucke aufgelöst würde, und dann schliess- lich durch Division mit dem Flüssigkeitsvolum v die auf die Volumeinheit der Flüssigkeit entfallende Menge berechnet. Es ergiebt sich so der Ab- sorptionskoeffizient ß= -,. .^ . -r = —7^—1 TT-

^ ^ V 76(l + at) p v(l + at)

V

Die Löslichkeit, wie sie oben definiert wurde, ist einfach A==

V

Bunsen und seine Schüler haben die Werte der Absorptions- koeffizienten für eine grössere Anzahl Gase gegenüber dem Wasser so- wie dem Alkohol bei Temperaturen zwischen und 20® bestimmt Die Zahlen sind meist nicht gross und bewegen sich für die „perma- nenten" Gase, StiekstoflT, Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenoxyd/ Methan, zwischen 002 und 005. Die leichter verdichtbaren Gase, wie Kohlen- dioxyd, Stickoxydul, Schwefelwasserstoff haben Koeffizienten zwischen 1 und 4. Diese Zahlen gelten für Wasser; für Alkohol fallen sie zwei- bis achtmal grösser aus; beide Reihen sind nicht proportional.

Mit steigender Temperatur nimmt in den meisten Fällen die Lös- lichkeit ab. Dies hängt damit zusammen, dass sich bei der Auflösung der Gase regelmässig Wärme in verschiedenem Betrage entwickelt.

Die Genauigkeit der eben besprochenen Gesetze ist von derselben Be- schaffenheit, wie die der Gasgesetze: es sind Grenzformeln, denen die that- sächlichen Verhältnisse sich mehr oder weniger annähern, und zwar im all- gemeinen um so besser, je kleiner die Löslichkeit und je geringer der Druck ist. Doch ist selbst bei einem so leicht absorbierbaren Gase, wie Kohlen- dioxyd, noch bis zu Drucken von 4 Atmosphären das Henrysche Gesetz mit einer Annäherung von 1 Prozent gültig.

Bei Gasen, von welchen Volume gelöst werden, die das mebr- hundertfache des Flüssigkeitsvolums betragen, hört meist das Henrysche Gesetz auf, gültig zu sein. Indessen haben wir in solchen Fällen regel- mässig Ursache, chemische Vorgänge zwischen dem gelösten Gase und dem Lösungsmittel anzunehmen, so dass das gelöste Gas teilweise chemisch verändert wird, und für das schliessliche Gleichgewicht nur der (meist unbekannte) unveränderte Teil in Frage kommt. In solchen Fallen wächst die aufgenommene Gasmenge in kleinerem Verhältnisse, als der DiTick. Zuweilen zeigen sich bei niederen Temperaturen Abweichungen, welche bei höheren, wo die Löslichkeit geringer wird, versehwinden. So folgt Schwefeldioxyd oberhalb 40^ dem Henryschen Gesetz und weicht

Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 317

unterhalb dieser Temperatur davon ab; Ammoniak wird erst bei 100® nach dem Henryschen Gesetze von Wasser gelöst

Wenn man statt reinen Wassers Lösungen verschiedener Stoffe zur Absorption von Gasen benutzt, so erscheint die Löslichkeit meist vermindert. Daher entweichen auch gelöste Gase aus Plüssigkeiten, wenn man feste Stoffe darin auflöst. In einzelnen Fällen, so in dem von Haoult (1874) untersuchten, bei welchem Kali- und Natronlösungen mit Ammoniak gesättigt wurden, er- gab sich, dass die Abnahme proportional dem Gehalte am festen Stoffe war. Ähnliche Ergebnisse fand Setschenow (1875) für das Verhalten verschiedener Salzlösungen gegen Kohlendioxyd, doch machte sich hier neben der Lösungs- wirkung zuweilen noch ein chemischer Vorgang zwischen der Kohlensäure und dem gelösten Salze geltend, wodurch die Erscheinungen weit verwickelter wurden. In den einfachsten Fällen setzte sich die aufgelöste Menge aus einem der Salzmenge proportionalen und vom Druck unabhängigen (chemisch gebundenen) Anteil und aus einem dem Druck proportionalen, einfach ge- lösten Anteil zusammen. In anderen Fällen aber erwies sich auch der erste Anteil vom Druck abhängig, wenn auch viel weniger, als der Proportionalität entsprach ; alsdann fand auch ein chemischer Vorgang statt, derselbe war aber unvollständig und mit dem Drucke veränderlich.

Bei Lösungen von Gasen in Flüssigkeiten treten Überschreitungserschei- nungen sehr leicht auf, wohl leichter, als in jedem anderen Falle. Sie zeigen sich darin, dass eine Lösung, die unter einen geringeren Druck gebracht wird, als dem ihrer Sättigung, doch keineswegs das Gas entwickelt, sondern homogen bleibt. Die Übersättigung muss einen recht bedeutenden Betrag an- nehmen, wenn sie freiwillig aufhören soll.

Wird eine Gaslösung unter einem bestimmten Drucke gesättigt, und vermindert man nun den Druck, so geht keineswegs augenblicklich die ent- sprechende Gasmenge aus der Lösung heraus. Vielmehr bleiben Gaslösungen äusserst leicht „übersättigt", und erst, wenn man die Flüssigkeit in möglichst ausgedehnte Berührung mit dem Gase bringt, welches unter dem geringeren Drucke steht, oder noch besser mit einem fremden Gase, in welchem der Teildruck des gelösten Gases gleich Null ist, entweicht der Überschuss. Da- her sind poröse, viel Luft einschliessende Pulver, die man in die Gaslösung einführt, sowie heftiges Schütteln, welches zahlreiche Gasblasen im Inneren verteilt, endlich Sieden des Lösungsmittels, wo die Dampfblasen diese Rolle übernehmen, in dieser Beziehung besonders wirksam. Sehr lange dagegen halten sich übersättigte Gaslösungen in sorgfältig (mit Schwefelsäure, Kali- lauge u. s. w.) gereinigten Glasgefässen.

Dagegen wirkt jedes Bläschen eines Gases, sei es desselben oder eines fremden, als ein Keim (S. 177), der die Bildung der neuen Phase auflöst. Diese Keimwirkung ist aber wieder an die örtliche Berührung gebunden; ist das Bläschen aufgestiegen, so bleibt die Flüssigkeit übersättigt zurück und ent- wickelt freiwillig keine weiteren Blasen mehr.

In dieser ohne Zuthun erfolgenden Austreibung des Keimes liegt einer der wesentlichsten* Gründe für die Beständigkeit übersättigter Gaslösungen.

318 VIII. Chemische Mechanik.

Denn eine feste Ausscheidung in einer überkalteten Flüssigkeit bleibt darin, und die Erystallisation hört nicht eher auf, als bis die Überkaltung beseitigt ist; eine übersättigte Gaslösung treibt dagegen einen vorhandenen Keim selbsttbätig aus, und bleibt übersättigt.

Man beobachtet derartige Erscheinungen bequem bei dem als Gre- tränk benutzten kohlensauren Wasser (Selters- und Sodawasser), welches etwa bei 4 Atmosphären Druck gesättigt in den Handel gebracht wird. Ist das erste Brausen nach dem Eingiessen in ein Glas vorüber, so entwickeln sich gewöhnlich von Stellen aus, an denen das Glas Schrammen hat, in denen etwas Luft gefangen bleibt, feine Gasblasen in Gestalt eines Stromes. Hat man aber das Glas vorher sorgfältig benetzt, so bleibt die Flüssigkeit in Ruhe. Jeder Körper, an dessen Oberfläche Gas haftet, also insbesondere poröse Stoffe, bringen wieder eine Gasentwickelung hervor. Senkt man in die Flüssigkeit eine oben geschlossene, mit Luft gefüllte reine Kapillare, so sieht man nur von der Grenzfläche der Luft und der Lösung die Blasen aufsteigen, zum Zeichen, dass nur dort die Auslösung erfolgt.

Dass eine Überschreitung des Sättigungspunktes bei der Abwesenheit von Gaskeimen eintreten muss, ergiebt sich aus der Betrachtung der Ober- flächenenergie (S. 148). Da die Oberflächenspannung jede Flüssigkeitsober- fläche zu verkleinern strebt, so muss im Innern einer kugelförmigen Gras- blase ein grösserer Druck herrschen, als er für eine ebene Fläche sich aus den vorhandenen Verhältnissen ergeben würde, und die Kapillaritätstheorie giebt dafür die Formel p = 2y/r, wo p der Druck, y die Oberflächenspannung und r der Radius der Kugel ist. Wenn also ein Bläschen des Gases freiwillig entstehen sollte, so müsste es unter einem weit grösseren Drucke entstehen, als der Sättigung unter den vorhandenen Umständen entspricht.

Es scheint nach dieser Betrachtung sogar, dass ein Bläschen freiwillig über- haupt nicht entstehen könnte. Denn man wird sagen, dass im ersten Augenblicke das Bläschen ja unendlich klein, der Druck der Formel gemäss also unendlich gross sein müsste. Dass trotzdem freiwillige Bläschenbildung eintritt, lehrt, dass die Annahme, es habe die Flüssigkeit bis zu unendlich kleinen Dimen- sionen dieselben Eigenschaften, wie in endlichen Mengen, niclit richtig sein kann. Der gleiche Schluss hatte sich früher aus anderen Betrachtungen er- geben (S. 151). Führt man die Grenze für die gewöhnlichen Eigenschaften der Flüssigkeiten mit 10~* cm ein , so ergiebt die Rechnung für den Druck in einem Bläschen von diesem Radius den Wert von 15000 Atmosphären in Wasser bei Zimmertemperatur. Doch ist anscheinend bei weitem nicht ein so grosser Übersättigungsgrad erforderlich, um freiwillige Gasentwickelung zu bewirken.

Die eben angestellten Betrachtungen finden auch auf den Fall der Übersättigung bezüglich fester oder flüssiger Stoffe ihre sachgemässe Anwen- dung, da ein Stoff wegen der Mitwirkung der Oberflächenenergie um so lös- licher sein muss, je feiner er zerteilt ist. Man kann dies aus der Analogie der Erhöhung des Dampfdruckes kleiner Tröpfchen (S. 152) schliessen; auch ergiebt es sich aus der Betrachtung, dass die Arbeit bei der Auflösung eines

i

Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 319

heterogenen Stoffes um so kleiner wird, je mehr Energie durch die Bildung einer gemeinsamen Oberfläche mit dem Lösungsmittel herausgenommen wor- den war.

An dieser Stelle soll noch eine allgemeine Bemerkung gemacht werden, welche sich auf alle mehrphasigen Gebilde bezieht. Für solche besteht das Gesetz, dass alle Phasen, die miteinander im Gleichge- wicht stehen, einander bei beliebigen anderen Glefchgewichten ersetzen können, bei denen ein gemeinsamer Bestandteil dieser Phasen in Frage kommt. Es handelt sich hier um eine Eigenschaft der Intensitätsgrösse der chemischen Energie (S. 250), des chemischen Potentials. Ebenso, wie zwei Körper, die mit einem dritten gleiche Temperatur oder gleiches elektrisches Potential haben, auch untereinander in dieser Beziehung gleich sind, so stellt sich zwischen zw^ei oder mehreren Phasen im Gleichgewichte Gleichheit des chemischen Potentials her, durch welche Itir die chemischen Verhältnisse ein gleicher Zustand bewirkt wird, ^\\e ihn z. B. Gleichheit der Temperatur für die Wärme bewirkt.

Um sich dieses wichtige und allgemeine Gesetz anschaulich zu machen, denke man sich etwa eine Lösung von Wasserstoff in Wasser, die mit Wnsser- stoffgas von Atmosphären druck im Gleichgewicht steht. Bringt man in eine solche Lösung etwas Palladium, so wird dieses aus der Lösung (falls deren Konzentration konstant gehalten wird) ebensoviel Wasserstoff aufnehmen, wie aus gasförmigem Wasserstoff, obwohl die Konzentration in der wässerigen Lö- sung etwa 50 mal geringer ist.

Dieser Satz ist ein besonderer Fall des zweiten Hauptsatzes der Energetik, und sein Beweis liegt darin, dass man ein Perpetuum mobile zweiter Art her- stellen könnte, wenn er nicht richtig wäre. Nehmen wir an, das Palladium sättige sich weniger aus der wässerigen Lösung, als aus dem Gase. Dann würde man das Metall erst aus dem Gase sättigen und es dann mit der Lö- sung zusammenbringen. Da es mehr Wasserstoff enthält, als der Sättigung in der Lösung entspricht, so wird diese Wasserstoff aus dem Metall auf- nehmen und dadurch dem Gase gegenüber übersättigt sein. Der Gasüber- schuss steigert den Druck des mit der Lösung in Berührung stehenden Gases, und man kann Arbeit gewinnen," indem man dieses sich auf Atmosphärendruck ausdehnen lässt Nun kann man mit diesem Gase wieder das Palladium sättigen, und den Vorgang wiederholen, so dass man eine unbegrenzte Menge Arbeit bei konstanter Temperatur durch einen Kreisprozess gewinnen könnte. Dies ist aber ein Widerspruch gegen den zweiten Hauptsatz und daher nicht möglich. Eine ganz ähnliche Schluss weise würde man anwenden können, wenn man die entgegengesetzte Annahme betreffs der Sättigung machte.

Das Gesetz von der gegenseitigen Vertretbarkeit solcher Phasen, die untereinander im Gleichgewicht stehen, bezieht sich nur auf gemein- same Bestandteile. Haben wir zwei Phasen, die aus den Bestandteilen A, B, 0 und A, D, E bestehen, und bringen die erste mit einer dritten

320 VIII. Chemische Mechanik.

Phase A, E, F ins Gleichgewicht, so sind A, D, E und A, E, F zwar in Bezug auf A im Gleichgewicht, sie brauchen es aber keineswegs in Bezug auf E zu sein. Man muss auf diesen Umstand achten, wenn man das Gesetz von der Gleichheit der chemischen Potentiale anwenden will. Diese Eigenttimiichkeit rührt daher, dass es soviel verschiedene Arten chemischer Potentiale giebt, als Bestandteile vorhanden sind, während es z. B. nur eine Art Temperaturen giebt.

C. Lösungen von Flüssigkeiten in Flüssigkeiten.

Die bei Gasgemischen vorhandenen einfachen Verhältnisse finden sich bei Flüssigkeiten nicht wieder. Zunächst fehlt bei diesen die all- gemeine Mischbarkeit der Gase: viele Flüssigkeiten sind ineinander nur teilweise, löslich. Femer besteht bei Flüssigkeitslösungen das additive Gesetz der Eigenschaften nicht. Man muss es vielmehr als einen Grenz- fall ansehen, der nur sehr selten erreicht wird, während mehr oder weniger grosse Abweichungen die Regel bilden.

Solche Abweichungen sind vielfach studiert worden, ohne dass sieh allgemeine Ergebnisse geftinden hätten. Beispielsweise ist das Volum eines Gemisches zweier Flüssigkeiten nie gleich der Summe der Teil- volume, sondern es findet meist eine Zusammenziehung statt, in einigen Fällen indessen auch eine Ausdehnung. Durch diesen Umstand ist es nicht möglich, aus der Dichte einer Lösung deren Gehalt an dem ge- lösten Stoffe durch eine einfache Proportionsrechnung zu bestimmen, sondern es muss für jedes Flüssigkeitspaar (und streng genommen auch für jede Temperatur) die Beziehung zwischen Dichte und Zusammen- setzung empirisch bestimmt werden.

Man kann die Volumverminderung beim Vermischen zweier Flüssig- keiten anschaulich zeigen, wenn man eine meterlange Röhre zur Hälfte mit Wasser füllt, und darüber Alkohol schichtet. Vermischt man beide Stoffe durch mehrmaliges Umwenden der geschlossenen Röhre, so zeigt sich hiernach trotz der erhöhten Temperatur ein leerer Raum von mehreren Centimetern Länge.

Die Abweichungen von dem additiven Gesetze erweisen sich als besonders gross in Fällen, wo Wasser den einen Bestandteil bildet, und sind am geringsten bei der Vermischung von gesättigten Eohlenwasser* Stoffen, oder ihren HalogenabkömmUngen von Estern u. s.w. Es scheint, dass allgemein die Flüssigkeiten, welche sich nach der Methode der Oberflächenspannungen (S. 150) als polymer gegenüber iliren Dämpfen erweisen, die grössten gegenseitigen Beeinflussungen in der Lösung zeigen, und man kann mit einigem Rechte die Abweichungen von dem additiven Gesetz häufig als eine Folge der gegenseitigen Änderung der Molekular- grosse der betreffenden Flüssigkeiten auffassen.

Die bestimmteste Auskunft über den Zustand der Flüssigkeiten in einer Lösung erhält man durch die Bestimmung ihres Dampfdruckes, bez. der Konzentration ihres Dampfes. Denn dieser ist ein Mass fiir

Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 321

die wirksame Menge der Fltißsigkeit in jedem Zustande, d. h. für den Betrag, mit welchem sie sich an Gleichgewichten aller Art beteiligt.

Der Beweis hierfür liegt in dem allgemeinen Satze von der Ver- ti^etbarkeit der Phasen (S. 319) und darin, dass für Gase und Dämpfe das einfache Massenwirkungsgesetz gilt.

Der Dampfdruck einer Flüssigkeit aus einer ihrer Lösungen ist einfachen Gesetzen unterworfen, wenn die Flüssigkeit einen sehr grossen oder einen sehr kleinen Anteil der Lösung bildet. Im ersten Falle wissen wir (S. 201), dass jeder beliebige Stoff den Dampfdruck seines Lösungs- mittels um einen Betrag vermindert, der durch das Verhältnis Ng /(N^ -|"^i) gegeben ist. Hier ist Nj die Zahl der Mole des reichlich vorhandenen Stoffes oder Lösungsmittels, und Ng die des in geringer Menge vor- handenen Stoffes oder des Gelösten ^). Wir nennen zur Abkürzung in Zukunft den Bruch Nj/(N, +N2) den Molenbruch von N^, und ^a/C^i+^a) ^^^ Molenbruch von Ng.

Tragen wir daher auf einer horizontalen Geraden den einen Molen- bruch von links nach rechts ab, und messen die entsprechenden Dampf- drucke des Stoffes nach oben, so wird die zugehörige linie sich am rechten Ende als eine nach dem Anfangspunkte gerichtete Gerade dar- stellen, Fig. 35. In diesem Gebiete ist der Dampfdruck gleich dem Dampf- drucke des reinen Stoffes, multipliziert mit dem Molenbruch.

Am Anfange, wo die Flüssigkeit nur geringe Mengen des Stoffes enthält, wird das Verhältnis zwischen Teildruck und Molenbruch durch das Henrysche Gesetz gegeben sein. Denn es ist offenbai* fiir dessen Gültigkeit gleichgültig, bei welchem Drucke das Gas von einer Flüssigkeit gelöst wird; wenn überhaupt der Stoff eine gasförmige Phase oder einen Dampf bilden kann, so wird seine Konzentration in der Lösung zu der im Dampfe in einem konstanten Verhältnisse stehen, vorausgesetzt, dass die Lösung nicht zu konzentriert ist. In diesem Gebiete wird also der Dampfdruck auch durch eine Gerade dargestellt sein, die durch den An- fangspunkt geht, weil bei der gelösten Menge Null auch der Dampfdruck Null ist, deren Richtung aber nicht notwendig die des letzten Teils der Linie ist. Vielmehr kann, je nachdem die Löslichkeit des Dampfes in der anderen Flüssigkeit gross oder klein ist, der Anfang der Dampfdruck- linie flacher oder steiler verlaufen.

Nehmen wir schliesslich fiir den mittleren Teil der Linie einen möglichst einfachen Gang an, so wird die Linie der Teildrucke des einen Bestandteils der flüssigen Lösung eine der Formen a, b oder c der

*) Die Bezeichnung Lösungsmittel und Gelöstes sind nicht so zu ver- stehen, als deuteten sie auf eine wesentliche Verschiedenheit im Verhalten der beiden an der Lösung beteiligten Stoffe. Eine solche ist nicht vorhanden, und die Worte sollen nur die im Text gegebenen Mengenverhältnisse aus- drücken.

Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 21

322

VIII. Chemische Mechanik.

Fig. 85.

Flg. 35 haben. Die erste Form erscheint ^ wenn die Losliehkeit sehr klein ist; die Form b entspricht einer grossen Ijöslichkeit. Der einfachste Fall wird durch c dargesteUt, welcher eintritt, wenn der Teildruck gleich

dem Dampfdruck der reinen Flüs- sigkeit; multipliziert mit dem Molen- bruch ist. Dann herrscht an bei- den Enden der Dampfdrucklinie das gleiche Gesetz, und meist auch in dem ganzen mittleren Gebiete. Ganz dieselben Betrachtungen gelten fttr den zweiten Bestandteil; auch sein Dampfdruck kann eine der drei Formen annehmen. Die Theorie zeigt, dass beide Bestandteile eines gegebenen Flüssigkeitspaares Teildrucklinien von übereinstimmen- der Form haben müssen; beide gehören gleichzeitig einem der drei Typen a, b oder c an.

Die nicht sehr zahbreichen Untersuchungen über den Gegenstand haben gezeigt, dass bei sehr ähnlichen und nicht polymerisierten Flüssig- keiten, die sich in allen Verhältnissen ineinander lösen, meist eine ziemlich

grosse Annäherung an den Typus c vorhanden ist. Die Form b tritt bei Flüssigkeiten auf, zwischen denen starke chemische Wechsel- wirkungen vorhanden sind, wäh- rend a bei solchen Paaren erscheint, die der Entmischung sich nähern (s. w. u.).

Die beiden TeUdrucklinien der Dämpfe eines Gemenges liegen einander entgegengesetzt, und ihre Summe giebt die Linie des ge- samten Dampfdruckes, welche zwischen den Dampfdruckwerten OA der beiden Bestandteile verläuft. Je nach der Form der Teillinien erhält die Gesamtlinie verschie- denartige Gestalten, deren ein- fachste Typen in Fig. 36 dargestellt sind.

Sind beide Teillinien gerade, so ist es auch die Summe, und wir haben die Form 1. Der Satz lässt sich auch umkehren: ist die Ge- samtdrucklinie gerade, so sind es auch die Teildrucklinien.

Teillinien von der Form a, Fig. 35 geben Summen von der Ge- stalt 2 und 3. Solche nach oben konvexe Linien können entweder

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Fig. 36.

Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 323

beständig ansteigen, Nr. 2, oder sie gehen durch einen Maximalwert, Nr. 3. Den gleichen Unterschied zeigen die aus Teillinien von der Form b entstehenden Gesamtlinien Nr. 4 und 5.

Diese Linien des Gesamtdruckes sind wichtig, weil ihr Verlauf Aus- kunft über das Verhalten der Stoffe beim Verdampfen oder Destil- lieren giebt.

Die Zusammensetzung des Dampfes ist nämlich von der der Flüssig- keit im allgemeinen verachieden. In welchem Sinne, ergiebt sich aus der Richtung der Gesamtdioicklinie nach der Regel, dass die Zusammen- setzung des Dampfes im Sinne der aufsteigenden Seite liegt. In der Fig. 36 sei der Molenbruch der Flüssigkeit durch den Punkt a dar- gestellt. Dann werden Lösungen, deren Gesamtdrucklinien die Formen 1, 2, 3 und 4 haben. Dämpfe entwickeln, deren Zusammensetzung durch einen rechts von a liegenden Punkt dargestellt ist, während der Dampf von 5 durch einen links von a liegenden Wert des Molenbruchs ge- kennzeichnet ist. Eine Flüssigkeit von der durch b angegebenen Zu- sammensetzung bUdet bei 1, 2, 4 und 5 Dämpfe, deren Zusammen- setzung rechts von b zu suchen ist, während die Dämpfe von 3 nach links abweichen.

Durch die Entwickelung solcher Dämpfe wird die Flüssigkeit ihre Zusammensetzung im entgegengesetzten Sinne ändern, so dass man die allgemeine Regel aussprechen kann: bei der Destillation ändert die Flüssig- keit ihre Zusammensetzung im Sinne der absteigenden, das Destillat im Sinne der aufsteigenden Dampfdrucklinie.

Die Ursache dieses Verhaltens ergiebt sich aus der .Bedingung, dass die betrachteten Zustände Gleichgewichte sind. Dies erfordert, dass durch die Verdampfung bei konstanter Temperatur sich die Flüssigkeit nur so ändern kann, dass ihr Dampfdruck kleiner wird, da anderenfalls die eingeleitete Änderung sich freiwillig fortsetzen müsste.

Einen besonderen Fall bilden die Linien 3 und 5, welche einen höchsten, bez. niedrigsten Punkt haben. Nach der eben ausgesprochenen Regel kann in einem solchen Punkte der Dampf weder im einen, noch im anderen Sinne von der Flüssigkeit verschieden sein, und daher müssen beide gleiche Zusammensetzung haben. Dann aber wird der Rückstand durch die Destillation nicht geändert, und eine solche Lösung mnss bei konstanter Temperatur destillieren, d. h. sie verhält sich wie ein einheitlicher Stoff.

Solche Fälle konstant siedender Gemenge sind vielfach beobachtet worden, und man hat früher derartige Lösungen für chemische Ver- bindungen gehalten; ja dieser Irrtum tritt zuweilen noch heute auf. Dass es sich nur um Lösungen handelt, geht erstens daraus hervor, dass die Zusammensetzung keine einfachen stöchiometrischen Verhältnisse zu zeigen pflegt Femer ergeben Dampfdichtebestimraungen die Abwesenheit che- misdier Verbindung, und schliesslich hat sich die Zusammensetzung der

21*

324 VIII. Chemische Mechanik.

konstant siedenden Lösungen mit dem Druck als stetig veränderlich er- wiesen.

Hieraus folgt, dass man Geraenge zweier flüchtiger Flüssigkeiten nur dann durch Destillation in ihre Bestandteile sondern kann, wenn ihre Dampf- drucke in Bezug auf die Zusammensetzung bei konstanter Temperatur (oder was praktisch fast auf dasselbe herauskommt, ihre Siedepunkte bei konstantem Druck) kein Maximum oder Minimum zeigen. Tritt ein solches auf, so geht die Scheidung durch Destillation nur bis zu einer Trennung des konstant siedenden Gemisches von dem überschüssigen Bestandteil.

In vielen Fällen ist die Löslichkeit zweier Flüssigkeiten ineinander begrenzt. Wenn man zu der Flüssigkeit A stufenweise kleine Mengen einer anderen B zufügt, so werden diese anfangs autgelöst; ist aber eine bestimmte, von der Temperatur (und auch etwas vom Dnieke) ab- hängige Konzentration erreicht, so gehen weitere Mengen von B nicht mehr in Lösung, sondern bleiben unvermischt neben der „gesättigten'^ Lösung von B in A. Diese zweite Flüssigkeit besteht wesentlich aus B, jedoch erweist sie sich immer etwas von A enthaltend. Setzt man weiteres B hinzu, so vermehrt sich die zweite Schicht, ohne ihre Zu- sammensetzung zu ändern; es sind mit anderen Worten zwei gesättigte Lösungen entstanden: eine vorwiegend aus A mit etwas B, und eine vorwiegend aus B mit etwas A bestehend. Dieses Gegenseitigkeitsver- hältnis ist allgemein; nie kann eine Flüssigkeit A eine begrenzte Löse- fähigkeit für B zeigen, ohne dass auch etwas A von B zu einer ge- sättigten Lösung aufgenommen würde.

Im Sinne der Phasenregel ist der Fall dadurch gekennzeichnet, dass durch die Bildung der beiden Flüssigkeitsschichten neben Dampf drei Phasen bei zwei Bestandteilen vorliegen Es ist somit eine Freiheit vorhanden, und verfügt man über diese durch Bestimmung der Temperatur, so darf eine Änderung der Mengenverhältnisse keinen Einfiuss mehr auf das Gleichgewicht haben. Dies geschieht dadurch, dass die Mengenverhältnisse der Bestandteile nur noch die Mengenverhältnisse der Phasen, nicht aber ihre Zusammen- setzung beeinflussen. Da erstere keinen Einfluss auf das Gleichgewicht haben, so ist die Forderung der Phasenregel erfüllt.

Die gegenseitige Löslichkeit der teilweise löslichen Flüssigkeiten ändert sich mit der Temperatur meist in solchem Sinne, dass sie beide gleichzeitig zunehmen. Misst man die Temperaturen nach rechts, und die (durch den Molenbruch oder durch Gewichtsanteile ausgedrückte) Zusammensetzung nach oben, so gehören zu jeder Temperatur zwei Werte der Zusammensetzung, für jede Schicht einer. Bei steigender Temperatur rücken sich diese Werte meist näher, d. h. die beiden Lösungen werden einander ähnlicher, und schliesslich werden sie identisch. Dann können sie aber auch nicht mehr getrennt bleiben, sondern müssen sich zu einem einheitlichen Ganzen vermischen. Fig. 37 giebt eine Dar- stellung dieser Verhältnisse.

Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen.

325

Der eben geschilderte Übergang hat so viele Ähnlichkeit mit dem kritischen Funkte beim Übergange einer Flüssigkeit in den Dampf (S. 109); dass man ihn als den kritischen Lösungspunkt bezeichnet. Allgemein nennt man einen kritischen Punkt einen solchen^ wo zwei Phasen nach stetiger Annäherung einander gleich werden ^ und dadurch In eine zusammentreten.

Gewöhnlich wird der kritische Lösungspunkt bei ansteigender Tem- peratur erreicht, doch giebt es auch Fälle, wo die Löslichkeit bei ab- steigender Temperatur grösser wird, und zu einem „unteren" kritischen Punkt führt Beispiele für den ersten Fall sind Isobuttersäure -Wasser, Phenol -Wasser, für den zweiten Triäthylamin -Wasser.

Die Zusammensetzung, welcher sich die beiden Lösungen bei der Annäherung an den kritischen Punkt nähern, ist die kritische Kon-

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Fig. 37.

zentration, der kritischen Dichte in dem emfachen Falle (S. 110) ent- sprechend. Dagegen giebt es hier keinen kritischen Druck, denn die kritische Lösungstemperatur ist ihrerseits eine Funktion des Druckes, wenn man das Gebilde ohne Dampf nur aus den beiden flüssigen Phasen bestehen lässt. Doch ist der Einfluss des Druckes so klein, dass er nur schwierig überhaupt hat nachgewiesen werden können.

Der Dampfdruck solcher Lösungen zeigt sich mit der Zusammen- setzung nach den bekannten Gesetzen veränderlich, so lange noch kerne Sättigung eingetreten ist. Hat sich die Lösung in zwei Schichten ge- trennt, so bleibt bei weiterem Zusätze des einen Bestandteiles deren Zu- sammensetzung unveränderlich, und nur die Anteile ändern sich. Daraus geht hervor, dass so lange die beiden Lösungen nebeneinander vor- handen sind, 4er Dampfdruck sich nicht ändern kann, denn er hängt nur von der Zusammensetzung, nicht von der Menge der Flüssigkeiten ab. Femer aber kann man behaupten, dass die Dampfdrucke der bei-

326

VIII. Chemische Mechanik.

den einzelnen Lösungen einander gleich sind, und zwar nicht nur der Gesamtdruck, sondern auch die Teildrucke (Konowalow 1881).

Der Beweis hierfür liegt wieder in dem Satze, dass was auf eine Weise im Gleichgewicht ist, dies auf alle Weise sein muss. Sind die beiden Lö- sungen bei unmittelbarer Berührung im Gleichgewicht, so würde die Abwesen- heit des Gleichgewichts ihrer Dämpfe die Möglichkeit eines Perpetuum mobile zweiter Art ergeben, und daher müssen die Dämpfe einzeln und zusammen gleichen Druck haben.

Für den Verlauf des gesamten Dampfdruckes teilweise mischbarer Flüssigkeiten mit der Zusammensetzung ergiebt sich daher das Bild Fig. 38; die Verschiedenheiten der Fälle sind davon abhängig, ob der Gesamtdruck im heterogenen mittleren Teile zwischen den Drucken der reinen Bestandteile liegt, Linie s, oder oberhalb beider, r. Unter- halb kann er nicht liegen. Aus der Dampfdrucklinie lässt sich das Ver- halten bei der Destillation

r unmittelbar nach S. 328 ab-

^ "^ ^ ^ leiten; insbesondere ergiebt

sich, dass so lange zwei Schichten in der Retorte sind, die Zusammensetzung des Destillats konstant und un- abhängig von dem Verhältnis in der Retorte ist.

Die gegenseitige Lös- Hchkeit der Flüssigkeiten kann so gering werden, dass sie sich der Beobachtung ent- zieht, und man bezeichnet dann die Stoffe als unlöslidi

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Fig. 38.

ineinander. Man hat aUen Grund, eine gegenseitige Unlöslichkeit im strengen Sinne als ausgeschlossen anzusehen, und nur quantitative Ver- schiedenheiten anzunehmen. Denn abgesehen davon, dass die Grenze zwischisn löslichen und unlöshchen Flüssigkeiten sich beständiger Ver- schiebung, entsprechend der Zunahme der analytischen Hilfsmittel be- findet, sprechen auch theoretische Bedenken gegen die Annahme einer absoluten Unlöslichkeit.

Je geringer die gegenseitige Löslichkeit wird, desto geringer wird auch die gegenseitige Dampfdruckverminderung, und der Dampfdruck eines Ge- menges beider Flüssigkeiten nähert sich der Summe der Dampfdrucke der Einzelbestandteile. Der Siedepunkt solcher Gemenge liegt viel niedriger als der der Bestandteile, da das Sieden eintritt, wenn die Summe der beiden Dampfdrucke den Betrag des äusseren Druckes erreicht hat.

Destilliert man solche nicht mischbare Flüssigkeiten, so gehen, da ihr Dampf aus den Dämpfen der Bestandteile im Verhältnis ihrer Dampfdrucke

Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 327

besteht, heide in dem entsprechenden unveränderlichen Verhältnisse über, un- abhängig von dem Verhältnis der beiden Stoffe in der Retorte. Da die bei- den Mengen sich verhalten, wie die Produkte von Dampfdruck und Dichte, oder von Dampfdruck und Molekulargewicht, so kann man bei bekanntem Dampfdruck das Molekulargewicht finden.

Meist ist indessen auch der Dampfdruck unbekannt. Man findet diesen aber, wenn man die Beziehung zwischen Dampfdruck und Temperatur bei der anderen Flüssigkeit kennt, und die Temperatur des gemeinsamen Siedens misst. Diese liegt natürlich unterhalb der Siedetemperatur des niedriger siedenden Stoffes, und bei der Temperatur, bei welcher die Summe der Teil- drucke beider Dämpfe gleich dem Luftdruck ist. Man braucht daher nur den zur gemeinsamen Siedetemperatur gehörigen Teildruck der zweiten Flüssigkeit von dem Luftdruck abzuziehen, um als Rest den Teildruck des anderen Stoffes bei derselben Temperatur zu finden. Freilich ist die Me- thode nicht sehr genau.

Übersättigungserscheinungen sind bei Lösungen von Flüssig- keiten in Flüssigkeiten noch nicht sicher nachgewiesen worden.

D. Lösungen fester Stoffe in Flüssigkeiten.

Der bei Gasen stets, und bei Flüssigkeiten oft yorkommende Fall der unbegrenzten LösUchkeit ist bei festen Stoffen gegenüber flüssigen Lösungsmitteln ausgeschlossen; hier giebt es nur begrenzte Löslichkeit, und somit einen Sättigungszustand. Setzt man daher zu einer Flüssig- keit einen festen Stoff, so wird dieser zuerst aufgelöst; bei einer be- stimmten Konzentration, die von der Temperatur wesentlich, vom Druck nur in sehr geringem Masse abhängt, tritt Sättigung ein, d. h. weitere Mengen des festen Stoffes bleiben unverändert in der Flüssigkeit liegen. Diese Sättigungskonzentration ist nach dem allgemeinen Gesetze des Fhasen- gleichgewichts von den Mengen der Lösung und des festen Stoffes ganz unabhängig.

Es giebt viele Zusammenstellungen von Flüssigkeiten und festen Stoffen, bei denen wir gewohnt sind, von Unlöslichkeit zu reden. Doch gilt für solche Fälle das eben (S. 326) Gesagte, und es ist am zweckmässigsten, in jedem Falle einen, wenn auch noch so kleinen ßetrag von Löslichkeit anzunehmen. Gerade bei Lösungen fester Stoffe ist es in letzter Zeit gelungen (durch elektrische Hilfsmittel), das Vorhandensein und den ßetrag der Löslichkeit bei Stoffen (z. B. Brom- und Jodsilber in Wasser) nachzuweisen und zu messen, wo man früher vollständige ünlöslichkeit annahm.

Die Bestimmung der Löslichkeit erfolgt, indem man den festen Stoff und das Lösungsmittel zusammenbringt und bei konstanter Temperatur auf- einander wirken lässt. Die Sättigung wird je nach der Art der Stoffe mit sehr verschiedener Geschwindigkeit erreicht; es ist daher gut, durch möglichst feine Zerteilung des festen Stoffes und beständige Bewegung des Gemenges die Geschwindigkeit thunlichst zu erhöhen. Man kann dann entweder die Tem- peratur bestimmen, bei welcher die (vorher gewogenen) Bestandteile sich ge-

328 VIII. Chemische Mechanik.

rade auflösen, oder man nimmt den festen Stoff im Überschuss, und analysiert, nachdem man die Sättigung bei konstanter Temperatur hat eintreten lassen, die klare Lösung. Das zweite Verfahren ist meist genauer, das erste ist je- doch allgemeiner in der Anwendung und gestattet durch die Benutzung zu- geschmolzener Gefässe auch bequemes Arbeiten mit Flüssigkeiten, die der Luft nicht ausgesetzt werden dürfen, oder deren Siedepunkt in der Nähe, bez. oberhalb der Arbeitstemperatur liegt. Es setzt jedoch eine genügende Sät- tigungsgeschwindigkeit voraus.

Eine andere Form des ersten Verfahrens ist die, dass man zuerst eine tibersättigte Lösung (s. w. u.) herstellt, und diese bei konstanter Tempera- tur solange mit einem Überschüsse des festen Stoffes in Berührung hält, bis sich das Gleichgewicht hergestellt hat. Durch gleichzeitige Anwendung dieses und des gewöhnlichen Verfahrens sichert man sich am besten gegen Sät- tigungsfehler.

Der Sättigungszustand beim Gleichgewicht zwischen dem festen Stoffe und seiner Lösung ist durch die Beschaffenheit des ersteren be- dingt und ändert sich mit dieser. So kommt jeder allotropen Form eines Stoffes, ebenso wie seinen verschiedenen Aggregatzuständen je dne besondere Löslichkeit zu, und die Werte werden nur gleich in Punkten, wo diese verschiedenen Formen nebeneinander und neben der Lösung bestehen können. Gleiches gilt auch för die verschiedenen festen Ver- bindungen zwischen dem festen Stoffe und dem Lösungsmittel, z. B. die verschiedenen Krystallwasserverbindungen der Salze. Eine Angabe über Löslichkeit ist also erst dann bestimmt, wenn die Form des festen Stoffes angegeben ist, auf welche sie sich bezieht.

Ist kein fester Stoff zugegen, so ist auch die Konzentration der Lösung willkürlich. Dies gilt nicht nur für Konzentrationen, die unter- halb der Sättigung liegen, sondern auch für grössere. Lösungen, die mehr von einem festen Stoffe enthalten, als der Sättigung entspricht, nennt man übersättigt. Dieser Zustand ist ebenso von der Form des festen Stoffes abhängig, wie der der Sättigung, und eine Lösung kann in Bezug auf eine Form übersättigt, in Bezug auf eine andere unge- sättigt sein. Bringt man eine übersättigte Lösung mit einer kleinen Menge des festen Stoffes in Berührung, so vergrössert sich diese so lange, bis die niedrigere Konzentration der Sättigung eingetreten ist.

Die dazu erforderliche Menge des festen Stoffes ist sehr klein, aber nicht unbegrenzt. Die Grenze - ist ungefähr dieselbe, welche für die Aufhebung der Überkaltung gefunden ist, und liegt bei 10~^ bis

Übersättigte Lösungen werden auf alle Weise erhalten, durch welche sich in der Lösung eine grössere Menge des gelösten Stoffes ansammelt, als der Sättigung entspricht. Am einfachsten geschieht dies bei Stoffen, deren Lös- lichkeit mit steigender Temperatur zunimmt, indem man eine bei höherer Temperatur gesättigte Lösung herstellt und nach sorgfältiger Entfernung aller festen Teilchen abkühlt. Doch kann jedes andere Verfahren, z. B. die Er-

Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 329

zeiignng des betreffenden Stoffes auf chemischem Wege innerhalb der Lösung, angewendet werden, welches den erforderlichen Überschuss ergiebt.

Am meisten ist in Bezug auf Übersättigung das Natriumsulfat studiert worden. Versetzt man krystallisiertes Glaubersalz, das 10H*0 als Krystall- wasser enthält, mit etwa der Hälfte seines Gewichtes Wasser, erhitzt in einem mit einem Wattepfropf versehenen Kolben bis zum Sieden und lässt erkalten, so hat man eine Lösung, die bei gewöhnlicher Temperatur in Bezug auf Glau- bersalz übersättigt ist, und beim Hineinbringen eines Stäubchens davon als- bald krystallisiert. Da in der Luft beständig Stäubchen dieses Salzes vor- handen sind, so genügt ein einfaches öffnen des Kolbens, um Krystallisation in kurzer Zeit zu bewirken.

Kühlt man den verschlossenen Kolben auf 10^ ab, so scheidet sich ein Salz mit 7 H*0 ab, nachdem die Ijösung zuerst in Bezug auf dieses Salz übersättigt gewesen ^ar. Die tiberstehende Lösung ist dann in Bezug auf das neue Salz gesättigt, denn dieses löst sich bei Erhöhung, und scheidet sich reichlicher aus bei Erniedrigung der Temperatur. Dabei ist diese Lösung aber dauernd für Glaubersalz übersättigt, und bildet dieses Salz, sobald ein „Keim" davon in die Flüssigkeit kommt.

Die Fähigkeit, übersättigte Lösungen zu bilden, ist bei verschie- denen festen Stoffen sehr verschieden; einige gestatten sehr weitgehende Überschreitungen, andere nur ganz geringfügige. Steigert man den Übersättigungsgrad (z. B. durch Abkühlen der Lösung eines Stoffes, dessen Löslichkeit mit der Temperatur zunimmt), so gelangt man an einen Punkt, wo die Bildung des festen Stoffes freiwillig eintritt. Man kann also auch hier, auf das stabile Gebiet der üntersättigung folgend, zunächst ein metastabiles Gebiet unterscheiden, und weiter bei stärkerer Überschreitung ein labiles (S. 114). Die experimentelle Bestimmung der Grenze zwischen beiden ist sehr schwierig, da sie nicht nur von der Beschaffenheit der Stoffe und dem Übersättigungsgrade, sondern auch noch von der Anwesenheit fremder Festkörper (Stäubchen) in einer noch ' nicht näher bekannten Weise sich als abhängig erweist.

Die Temperatur hat, wie bereits erwähnt, einen meist ziemlich be- deutenden Einfluss auf die Löslichkeit fester Stoffe in Flüssigkeiten. Man pflegt diesen Zusammenhang darzustellen, indem man die Temperaturen nach rechts und die Konzentration der gesättigten Lösungen nach oben misst. Die meisten so erhaltenen Löslichkeitslinien verlaufen aufsteigend, d. h. in den meisten Fällen nimmt die Löslichkeit mit steigender Tem- peratur zu. Rg. 39 zeigt eine Anzahl derartiger Lösungslinien, in denen die Konzentrationen nach Gewichtsprozenten festen Stoffes in der Lösung gerechnet sind. Es sind über diesen Gegenstand sehr zahlreiche Untersuchungen angestellt worden, doch beziehen sich diese ganz vor- wiegend auf die Löslichkeit von Salzen in Wasser. Wegen des teil- weisen Überganges gelöster Salze in Ionen ist dieser Fall von allen ge- rade der verwickeltste , und daher mag es rühren, dass nur wenige

330 ^m« Chemische Mechanik.

und unscharfe allgemeine Beziehungen zwischen der Löslichkeit und den anderen Eigenschaften der Stoffe bekannt sind.

In erster Annäherung kann man sagen, dass Ähnlichkeit der chemischen Natur günstig auf die Löslichkeit wirkt. So lösen sich in Wasser die Hydroxylverbindungen unter den organischen Stoffen am reichlichsten, und zwar um so reichlicher, je mehr Hydroxyle vorhanden sind. Die Anb&ufimg von Kohlenstoff und Halogenen vermindert dagegen die Löslich keit in Wasser. Femer steht die Löslichkeit in einem bestimmten Zusammenhange mit dem Schmelzpunkt; von isomeren Verbindungen ist in einem und demselben Lö- sungsmittel die am löslichsten, deren Schmelzpunkt am niedrigsten liegt.

Eine weitere annähernde Beziehung ist die, dass die Löslichkeit ver- gleichbarer Verbindungen im Sinne dejs periodischen Gesetzes mit dem Ver- bindungsgewicht zu- oder abnimmt. Doch handelt es sich auch hier nur um eine ungefähre Regel.

Eine wichtige Eigenschaft der Lösungslinien ist ihre Stetigkeit. So lange die Beschaffenheit des festen Stoffes dieselbe bleibt, verläuft auch die Lösungslinie ohne Sprung oder Knick. Umgekehrt kann man fflcher sein, dass wo eme Losungslinie unstetige Änderungen enthält, die Be- schaffenheit des festen Stoffes unter der Lösung eine plötzliche Änderung erlitten hat. Solche Änderungen können von Polymorphie, Schmelzung, Verbindung mit dem Lösungsmittel, bez. Änderung eines vorhandenen Verbindungszustandes henühren; sie beeinflussen jedesmal den stetigen Verlauf der Linie.

Die angemessene Auffassung dieser Erscheinung ist die, dass jeder Form des festen Stoffes eine eigene Löslichkeit zukommt. Bei Tempe- raturen , wo zwei verschiedene Formen des festen Stoffes unter der Lösung nebeneinander bestehen können, muss auch ihre Löslichkeit gleich sein, da sonst wieder ein Peipetuum mobile zweiter Art möglich wäre. Die beiden Lösungslinien schneiden sich also in einem solchen Punkte. Da ausserhalb dieses Punktes eine der beiden Formen instabil wird, so ist es auch diese Form neben der Lösung. Doch sind häufig ziemlich bedeutende Überschreitungen möglich, so dass die Thatsache des Be- stehens und Durchschneidens der mehreren Lösungslinien vielfach experi- mentell nachgewiesen worden ist

Das bekannteste Beispiel hierfür ist das Natriumsulfat, für dessen Lös- lichkeit schon von Gay-Lussac die in Fig. 40 gezeichnete Kurve gegeben worden ist. Die mit 10 bezeichnete Linie bezieht sich auf das gewöhnliche Glaubersalz mit lOH-0, die mit 0 bezeichnete auf wasserfreies Salz. Bei 33° verwandelt sich das erstere in eine gesättigte Lösung neben wasserfreiem Salz, und man beobachtet von dort ab nur die Löslichkeit des letzteren. Je- doch kann man, wenn man Keime von Glaubersalz sorgtUltig ausschliesst, Lö- sungen unter 33° herstellen, die mit wasserfreiem Salz im Gleichgewicht sind, und deren Zusammensetzung sich völlig stetig der der Lösungen über 33° anschliesst, wie das durch die Verlängerung der Linie über den Durch Schnittspunkt nach links zum Ausdruck gebracht ist.

Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen.

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Fig. 39. Löslichkeit Ton Sulfaten.

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Bei der Auflösung fester Stoffe in Flüssigkeiten wird gewöhnlich 'Wärme aufgenommen, doch ist audi der umgekehrte Fall nicht ganz selten. Allgemeine Gesetzmässig- ^^^ ' keilen über den Znsammenhang der Lösungswärme mit anderen ^^° Eigenschaften sind kaum bekannt teo

Zwischen der Änderung der ^^^ Löslichkeit mit der Temperatur und der Lösungswärme besteht ^^^ der Zusammenhang, dass eine loo

Zunahme der Löslichkeit in solchen Fällen eintritt, wo für die Auflösung bei konstanter Tem- ^^ peratur Wärme aufgenommen *0 werden muss. Solche Stoffe, welche Wärme entwickeln, ver- mindern umgekehrt ihre Löslich- keit mit steigender Temperatui*. Der Zusammenhang beider Grös- sen wird durch eine Formel dargestellt, welche der für den Zusammen- hang zwischen Dampfdruck und Verdampfungswärme (S. 126) ähnlich ist Dies rührt daher, dass der Vorgang der Auflösung selbst dem der Verdampfung ähnlich ist, indem es sich um einen Übergang in den dem Gaszustande vergleichbaren Zustand der verdünnten Lösung handelt. Bedeutet c die Konzentra- tion der Lösung und L die ^ Lösnngswärme (eintretende Wärmemengen positiv ge- rechnet), so besteht die Be- ziehung

dlnc/dT = L/RT«.

Der Unterschied gegen die Dampfdruckformel, in wel- cher statt der Konzentra- tion c der Druck p auftritt, rührt daher, dass die Lö- sungswärme der gewöhnlichen Verdampfungswärme nicht ganz vergleichbar ist, da bei der Lösung in einem Lösungsmittel keine äussere Arbeit geleistet wird, wie bei der Verdampfung unter irgend einem Drucke. Die genauere Entwickelung dieser Verhältnisse erfordert die Hilfs- mittel der höheren Mathematik.

Bei der Benutzung dieser Formel ist zu beachten, dass sie unter

Fig. 40.

332 VIII. Chemische Mechanik.

der Voraussetzung abgeleitet ist, dass die einfachen Gesetze des osmoti- ' sehen Druckes auf die Lösung noch Anwendung finden. Sie ist abo für konzentrierte Lösungen nicht mehr gültig.

Im dem letzteren Falle entsteht eine weitere Verwickelung dadurch« , dass die Lösungswärme nicht wie bei verdünnten Lösungen von der Koq- zentration unabhängig ist^ sondern mit dieser wechselt. Löst man z B. in einer gegebenen Wassermenge folgeweise gleiche Mengen Ammonium- nitrat, so wird die aufgenommene Wärmemenge immer kleiner, je mehr Salz in der Lösung bereits vorhanden ist. Diese Veränderlichkeit ist in j einzelnen Fällen so gross, dass sich das Zeichen umkehrt; krystallisiertes ' Kupferchlorid löst sich z. B. in reinem Wasser unter Wärmeaufiiahme, in einer fast gesättigten Lösung des Salzes dagegen unter Wärmeent- wickelung.

Wenn auch die Formel für konzentrierte Lösungen nicht mehr gilt so bleibt doch der Zusammenhang zwischen dem Zeichen der Losungs- wärme und dem des Temperatureinflusses bestehen. Nur muss alsdann als Lösungs wärme nicht die in reinem Wasser, sondern die sogenannte letzte Lösungswärme, d. h. die in einer nahezu gesättigten Losung ge- rechnet werden. Man erfahrt das Zeichen dieser Lösungswärme, wenn man eine etwas übersättigte Lösung des fraglichen Stoffes herstellt, und durch Einsäen von Krystallkeimen eine plötzliche Ausscheidung des festen Stoffes hervorruft.

Der Einfluss des Druckes auf die Löslichkeit wird durdi die Regel bestimmt, dass durdi Steigerung des Druckes die Eeaktion eintritt, durch welche eine Volumverminderung hervorgerufen wird, oder mit anderen Worten die Reaktion, die sich der Drucksteigerung wider- setzt. In den meisten Fällen wird das Volum kleiner, wenn sich in der fast gesättigten Lösung noch etwas Salz auflöst; alsdann wird die Lös- lichkeit durch Druckzunahme gesteigert. Daneben sind einige wenige Fälle bekannt, wo die Auflösung unter Ausdehnung stattfindet (ein Bei- spiel ist Salmiak in Wasser); solche Lösungen scheiden Salz aus, wenn sie im gesättigten Zustande bei konstanter Temperatur einem grosseren Drucke untei'worfen werden.

Diese Einflüsse sind indessen wegen der sehr geringen Volum- änderungen, die hier aufti^eten, äusserst klein, und es bedarf sehr be- deutender Drucke, um einigermassen messbare Änderungen der Löslich- keit zu erzielen. Für Drucke, die einige Atmosphären betragen, kann man die Beeinflussung der Löslichkeit vernachlässigen, da sie weit unter- halb der analytischen Fehlergrenzen bleibt.

E. Zwei feste Stoffe.

Bei den bisherigen Betrachtungen ist von möghchen Zustands- änderungen des Lösungsmittels abgesehen worden. Doch wird man im allgemeinen in Betracht ziehen müssen, dass bei fortgesetzter Verfolgung der Lösungslinie nach immer tieferen Temperaturen schliesslich auch das

Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen. 333

j

Lösungsmittel in den festen Zustand übergehen wird. Denn es wird zwar durch die Auflösung eines fremden Stoffes die Erstarrungstemperatur der Lösung immer herabgesetzt, doch nicht unbegrenzt.

Es wird also je nach der Löslichkeit des zugesetzten Stoffes mehr oder weniger tief unter dem Schmelzpunkt des Lösungsmittels ein Zu- stand eintreten, wo das I^sungsmittel selbst in fester Form erscheint. Wir haben dann neben der Lösung zwei feste Phasen; nehmen wir an, dass das Gebilde in einen leeren Raum gebracht worden ist, so kommt als vierte Phase Dampf hinzu, und nach der Phasenregel ist nun der Zustand eindeutig bestimmt, da gar keine Freiheit mehr übrig ist^).

Eis wird also für jedes Paar solcher gegenseitig löslicher Stoffe eine bestimmte Temperatur geben, bei welcher die beiden festen Formen neben der Lösung bestehen können. Man nennt diesen Punkt den kryo- hydratischen oder eutektischen. Seine Lage ist durch folgende Be- traditungen gegeben.

Wir gehen von der Schmelztemperatur tx des reinen Stoffes A aus. I Fügen wir etwas B hinzu, so verflüssigen sich beide gegenseitig, und erst bei einer niedrigeren Temperatur, die mit der Vermehrung von B immer mehr sinkt, kann sich wieder ein Gleichgewicht ausbilden, bei welchem A als feste Phase neben der Lösung besteht. Tragen wir die Mengen- verhältnisse nach oben ab, so erhalten wir eine Linie, die von tA nach links verläuft, und zwar wegen der Proportionalität zwischen Kon- zentration und Gefrierpunktsemiedrigung (S. 207) wesentlich geradlinig.

Gleiche Betrachtungen gelten fiir den Stoff B; tragen wir dessen Gleich- gewichtstemperaturen mit der Lösung von A in B in dasselbe Koordinaten- system, so erhalten wir eine von rechts nach links abwärts verlaufende, annähernd gerade Linie.

Beide Lösungslinien müssen sich daher in einem Punkte K schneiden. Dieser gehört beiden Linien an, und steUt daher das Gleichgewicht der Losung sowohl mit dem einen wie p. ^^

mit dem anderen Stoffe im festen Zu- stande, d.h. den eutektischen Punkt des fraglichen Stofl^aares dar.

Wie sich aus der Figm* unmittelbar ergiebt, liegt der eutektische Punkt um so weiter unter den Schmelzpunkten der reinen Stoffe, je

*) Bei der gewöhnlichen Art, den Versuch anzustellen, steht das Gebilde unter dem Drucke der Atmosphäre. Die Ergebnisse sind von denen im leeren Räume nicht messbar verschieden, da der Einfluss des Druckes auf dies Gleichgewicht, der sehr kleinen Volumänderung wegen verschwindend klein ist.

334 VIII. Chemische Mechanik.

näher sich die beiden Schmelzpnnkte liegen. Femer ist die Lage des Durchschnittspunktes noch von der Neigung der beiden Linien abhängig; diese wu^ aber nach der S. 211 gegebenen Formel durch die Groeae L/T- bestimmt; wo L die Schmelzwärme und T die Schmelztemperatur ist Wenn wir die gebräuchliche Bezeichnung beibehalten, wonach wir bei einer gesättigten Lösung den in fester 1^'orm anwesenden Stoff als das Ge- löste, und den anderen als das Lösungsmittel bezeichnen, so stellt die untere Gerade die Löslichkeit des Stoffes A in B dar, d. h. der in grösster Menge anwesende Stoff erscheint als das Gelöste, und der kleine Zusatz als Lösungs- mittel. Der Widerspruch, den wir hier mit unseren gewöhnlichen Vorstellungen empfinden, zeigt, dass die Unterscheidung der beiden Bestandteile in solchem Sinne unzweckmässig ist. In der That liegt auch kein wissenschaftlicher Grund für eine Unterscheidung vor, und man sollte daher immer nur von den beiden Bestandteilen einer Lösung sprechen, ohne dem einen oder anderen einen Vorrang einzuräumen.

Durch diese Betrachtungen wird das Verhalten einer Losung bd fortdauerndem Erkalten vollständig übersichtlich. Kühlen wir die Losung ab, so wird zunächst die Sättigungstemperatur in Bezug auf einen der Bestandteile (welchen, hängt von der Zusammensetzung der Lösung ab) erreicht, und dieser scheidet sich aus^). Dadurch wird die Lösimg koo- zentrierter in Bezug auf den anderen Bestandteil, und die Temperatnr wird niedriger. Dies setzt sich fort, bis der eutektische Punkt erreicht ist; alsdann scheiden sich die beiden Bestandteile gleichzeitig aus. Die Aus- scheidung muss in demselben Verhältnisse erfolgen, wie die Stoffe in der Lösung vorhanden sind, da anderenfalls die Gleichgewichtstemperatnr freiwillig steigen müsste, was nicht möglich ist. Die Temperatur bleibt konstant, bis alles erstarrt ist.

Hat die Lösung von vornherein die Zusammensetzung des eutektischen Gemisches, so kann die Erstarrung überhaupt erst bei der eutektisdien Temperatur beginnen, und erfolgt von Anfang bis zu Ende bei derselben Temperatur. Solche Gemenge verhalten sich also ganz wie einheitliche Stoffe, und man hat auch anfanglich sie mit solchen* verwechselt Dies Verhalten ist dadurch hervorgerufen, dass infolge der vorhandenen Ver- hältnisse die flüssige Phase die gleiche Zusammensetzung hat, wie das Gemenge der beiden festen, was sich der Definition eines Gleichgewichts erster Ordnung anschliesst. Dass es sich aber um ein Gemenge der festen Stoffe und nicht um eine chemische Verbindung zwischen ihnen handelt, geht daraus hervor, dass alle Eigenschaften des festen Gemenges sich additiv aus denen der Bestandteile zusammengesetzt erweisen.

Ein wenig verwickelter werden die Vorgänge bei der Erstarrung der Gemische dadurch, dass mehr oder weniger leicht Überschreitungen eintreten.

*) Es wird hier und in der Folge vorausgesetzt, dass keine Über- schreitungen eintreten, bez. dass solche durch rechtzeitige Zuführung von Keimen vermieden werden.

Chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung; Lösungen.

335

Um diese Möglichkeit anzudeuten, sind in der Fig. 41 die beiden Linien über ihren Durchschnittspunkt hinaus verlängert. Wenn man sie nicht ausschliesst, Bo bleibt ein Gebilde auch nach dem Durchschreiten des eutektischen Punktes noch ein Stück auf seiner Linie und die Temperatur geht unter den eutek- tischen Punkt. Erst wenn die labile Grenze (S. 329) erreicht ist, oder wenn auf irgend eine Weise Keime in die Flüssigkeit gelangen, scheidet sich der betreffende feste Stoff aus. Dann steigt durch das Freiwerden der Schmelz- wärme die Temperatur, doch nicht höher, als auf den eutektischen Punkt.

Da Überschreitungen auf dem umgekehrten Wege beim Schmelzen nicht einzutreten pflegen, so wird sich hier stets das einfache Bild zeigen. Doch kommt der Abkühlungsvorgang praktisch so viel häufiger vor, dass seine Schilderung nicht zu umgehen war.

Die beschriebenen Erscheinungen treten ein, wenn die beiden Stoffe im flüssigen Zustande sich in allen Verhältnissen mischen. Dies ist nun durchaus nicht notwendig, sondern die teilweise Löslichkeit der Flüssig- keiten ist eine mindestens ebenso häufige Erscheinung. In diesem Falle beobachtet man ein Schmelzen der festen Stoffe unter der Lösung, und die Verhältnisse werden verwickelter.

Man kann diese Erscheinung als eine Abänderung des eben er- örterten einfacheren Falles betrachten, der dadurch hervorgerufen wird, dass mit der durch Fig. 41 gegebenen Linie der Zustände fest- flüssig eine Lösungslinie von der Art Fig. 4 1 für die gegenseitige Lösung zweier Flüssigkeiten zum Durchschnitt kommt. In Rg. 41 ist ein solcher Fall sche- matisch dargestellt.

Der Teil akb stellt die gewöhn- lichen beiden Lösungslinien neben festem Stoffe dar; bei ak ist der erste, bei kb der zweite Stoff im festen Zustande neben der Lösung vorhanden, und k ist der eutektische Punkt. Bei b wird aber durch wei- tere Vermehrung des zweiten Stoffes

B (was in der Zeichnung einem Fortschreiten nach oben entspricht) eine zweite flüssige Lösung abgeschieden, die vorwiegend aus B besteht, und wir haben vier Phasen, nämlich zwei Flüssigkeiten, festes B und Dampf. Somit besteht keine Freiheit mehr, und eine Vermehrung von B kann keinen Einfluss mehr auf die Zusammensetzung der Phasen und die Temperatur haben. In der That wird durch weiteres B nur be- v^iriit, dass sich die Menge der zweiten Lösung vermehrt und die der ersten vermindert, bis schliesslich im Punkte e die erste Lösung ver- schwunden ist. Wird noch mehr R hinzugesetzt, so liegt wieder eine gewöhnliche Lösungslinie zwischen festem B und einer Lösung vor, die sich bis f, dem Schmelzpunkte von reinem B, erstreckt

Fig. 42.

336 ^ni. Chemische Mechanik.

In dem Gebiete be haben wir ein Gleichgewicht zweier flüssiger Phasen. Solange festes B zugegen sein soll, bleiben wir auf der Ge- raden be; verzichtet man aber auf dessen Gegenwart, so gewinnt man wieder eine Freiheit, und kann die Temperatur ändern. Dadurch erhält man eine Linie bde von der Gestalt Flg. 37, S. 325, wie sie für die gegenseitige Löslichkeit zweier Flüssigkeiten auftritt. Diese ist nicht not- wendig durch die Punkte b und e begrenzt, sondern lässt sich nach niedrigeren Temperaturen verfolgen, wie das durch die punktierten Vct- längerungen bc und eg angedeutet ist. Doch sind diese Gebiete über- sättigt in Bezug auf die feste Phase B.

Diese Andeutungen erschöpfen den Gegenstand keineswegs, und sollen nur eine Anschauung von den hier möglichen Mannigfaltigkeiten geben. Von den mannigfaltigen Beziehungen, die hier auftreten, soll nur noch Erwähnung finden, dass die beiden LösungsUnien kb und bd, von denen die erste flir den festen Stoff B neben der Lösung, die zweite för eine vorwiegend aus B bestehende Flüssigkeit neben derselben Lö- sung gilt, sich unter einem Winkel schneiden, dessen Grösse von der Schmelzwärme des festen Stoffes B in ähnlicher Weise abhängt, wie der Knick in der Dampfdrucklinie (S. 178) beim Schmelzpunkt des Eises von der Schmelzwärme desselben. Die Auflösung eines festen Stoffes in einer Flüssigkeit hat vielfache Ähnlichkeiten mit der Verdampftmg, und man kann die lur das eine Gebiet gemachten Überlegungen leicht auf das andere übertragen, und entsprechende neue Ergebnisse gewinnen. Doch sind diese von so mannigfaltiger Art, dass sie hier nicht erörtert werden können und ihr Studium den grösseren Lehrbüchern überlassen bleiben muss.

F. Feste Lösungen.

Ausser den gasförmigen und flüssigen muss es der Analogie nach auch feste Lösungen geben können, d. h. solche Stoffe, die mit dem festen Aggregatzustande die Eigentümlichkeiten der Lösungen: stetig veränderliche Zusammensetzung und entsprechend stetig veränderliche Eigenschaften verbinden. Durch van't Hoff ist (1890) in der That ge- zeigt worden, dass eine Reihe bekannter Erscheinungen sich dem Begriffe der festen Lösungen unterordnen lassen.

Zunächst haben stetig veränderliche Zusammensetzung und stetig veränderliche Eigenschaften die Gemenge isomorpher Krystalle. Diese würden also Beispiele für feste Lösungen bilden. An die isomorphen Mischungen schliessen sich die nicht ganz seltenen Mischungen aus zwei krystallinischen Stoffen, die einzeln in verschiedenen Formen krystalli- sieren, aber doch einheitiiche Mischkrystalle von der Form des vorwie- genden Bestandteiles bilden können. Hierher gehören NaphthaUn und Naphthol, Benzoesäure und Salicyläure.

Diesen Fällen schliessen sich ferner die an, wo flüssige oder gas- förmige Stoffe sich mit festen in wechselnden Verhältnissen zu festen Stoffen vereinigen können, in denen die Eigenschaften stetig mit der

Chemisches Gleichgewicht zweiter Ordnung; Lösungen. 337

Zusammensetzung wechseln. Für die Zusammenstellung flüssig-fest giebt es Beispiele unter den wasserhaltigen natürlichen Silikaten, den Zeolithen. Aus manchen von ihnen lässt sich das Wasser in beliebigen Mengen austreiben, ohne dass sie ihre physikalisch homogene Beschaffenheit ver- lieren ; sie bleiben durchsichtig und ihr Dampfdruck in Bezug auf Wasser wird stetig kleiner in dem Verhältnis, wie der Wassergehalt geringer w^ird. Auch lässt sich das ausgetriebene Krystallwasser durch andere Flüssigkeiten, wie Alkohol, Chloroform, Schwefelkohlenstofl^ u. s. w. er- setzen, ohne dass die Durchsichtigkeit und das homogene Aussehen ver- loren geht.

Die Aufnahme gasförmiger Stoflfe zu festen Lösungen ist von den ebengenannten offenbar nicht wesentlich verschieden, da es eine Sache des zufälligen äusseren Druckes ist, ob man einen Stoff, wie Wasser oder Chloroform, als eine Flüssigkeit oder einen Dampf betrachtet. Die Neigung der schwer zu verflüssigenden Gase, feste Lösungen zu bilden, ist im allgemeinen gering; doch giebt es einige auffallende Ausnahmen, unter denen Palladiumwasserstoff die bekannteste ist. Ebenso vermag Eisen mit Wasserstofl^ eine feste Lösung zu bilden, denn wenn man einen ausgepumpten Raum mit einer Eisenplatte schliesst, und diese zur Kathode in verdünnter Säure macht, so findet sich bald im Räume Wasserstoff, der sich im Eisen gelöst hatte und nach der anderen Seite dm'chdiffundiert ist.

Der wesentlichste Unterschied zwischen einer Lösung und einem Gemenge, dass nämlich die Herstellung der Lösung aus den Bestand- teilen Arbeit leisten kann, und dass demgemäss Arbeit erforderlich ist, um die Lösung wieder in ihre Bestandteile zu scheiden, findet sich auch bei festen Lösungen wieder. Am einfachsten ist dies bei den festen Lösungen flüchtiger Stoffe nachzuweisen. Ein gelöster Stofl' muss immer einen kleineren Dampfdruck haben, als der reine Stoff bei gleicher Tem- peratur, denn nur dann ist die ebengenannte Arbeitsbedingung erfüllt.

Der Betrag dieser Arbeit ergiebt sich aus folgendem Vorgange:

Man verdampfe aus dem reinen Stoffe bei konstanter Temperatur ein Mol unter dem normalen Dampfdrucke (Arbeit =RT), lasse dann den Dampf unter entsprechender Arbeitsleistung sich ausdehnen (Arbeit =RTln(p/p'), bis er den Druck erreicht hat, unter dem er mit der Lösung im Gleich- gewicht ist, und lasse ihn dann von der Lösung absorbiert werden (Arbeit = RT). Ist p der Dampfdruck der reinen Flüssigkeit, p' der der Lösung, «0 ist die bei diesen drei Vorgängen für jedes Mol des gelösten Stoffes ge- wonnene Arbeit gleich RT -f RTln(p/p) RT = RTlnp/p . Der gleiche Arbeitsbetrag ist anzuwenden, um die Lösung wieder in ihre Bestandteile zu trennen.

Hierbei ist die Menge der Lösung im Verhältnis zu der des Dampfes 80 gross angenommen, dass eine messbare Änderung in der Zusammensetzung <ier gesamten Lösung und damit eine Änderung in ihrem Dampfdrucke durch

Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 22

338 Ylll. Chemische Mechanik.

die Aufnahme des Dampfes nicht bewirkt wird. Diese Voraussetzung lässt sich immer erfüllt denken.

Eine solche Dampfdrucksvermindening wird in der That bei festen Lösungen beobachtet so dass auch nach dieser Richtung ihre Lösongs- natur gesichert erscheint.

Kann man diese Arbeitsleistung, oder allgemein gesprochen, die Verminderung des chemischen Potentials des gelösten Stoffes nicht durch unmittelbare Dampfdrucksmessungen nachweisen, so ist dies meist auf irgend einem anderen, theoretisch gleichwertigen Wege möglich. Ebenso wie der Dampfdruck muss sich die Löslichkeit in allen Lösungsmitteln, die elektromotorische Kraft in solchen Ketten, in denen der gelöste Stoff verbraucht wird, u. s. w., an der Lösung kleiner zeigen, als am reinen Stoffe. Auch diese Kriterien sprechen im allgemeinen für die Lösungs- natur der festen Lösungen.

Wenn auch eine qualitative Übereinstimmung des allgemeinen Ver- haltens unverkennbar ist, so haben die Versuche einer quantitativen Prüfung dieser Anschauungen noch nicht zu unzweideutigen Ergebnissen geführt, denn einzelnen guten Fällen stehen andere gegenüber, die sich noch nicht haben bewältigen lassen.

Eine grosse Übereinstimmung mit den festen Lösungen zeigen in ihrem Verhalten gewisse Gebilde, in denen unzweifelhaft sich die Ober- flächenenergie als entscheidender Faktor bethätigt. Es ist eine woW- bekannte Erscheinung, dass feste Körper sich an ihrer Oberfläche, wenn diese mit Luft in Berührung steht, mit einer Schicht überziehen, die aus den Bestandteilen der Luft: Stickstoff, Sauerstoff, Wasser und Kohlen- dioxyd besteht, die in wesentlich anderen Mengenverhältnissen als in der Luft anwesend sind. Die Erscheinung ist allgemein; die Mengenverhält- nisse ändern sich mit der Natur der beteiligten Stoffe. Die Erscheinung der Benetzung gehört gleichfalls hierher, und das Allgemeine liierbei ist, dass die Bildung einer mit solchen Schichten bedeckten Oberfläche frei- willig erfolgt, d. h. Arbeit leisten könnte. Wir haben es also mit der Art der Oberflächen energie zu thun, die der gewöhnlichen entgegen- gesetzt ist; die Bildung einer benetzten Fläche erfordert nicht Arbeit, wie die Bildung einer freien Flüssigkeitsfläche, sondern sie leistet welche.

Ganz ähnUche Erscheinungen zeigen sich, wenn man feste Körper mit grosser Oberfläche in flüssige Lösungen bringt. Auch hier bethätigt sich eine auswählende Oberflächenenergie, die sich meist in einer rela- tiven Anhäufung des gelösten Stoffes an der Oberfläche des festen Körpers äussert. In der Anwendung der Knochenkohle oder äbnlichei* poröser Stoffe zum Entfärben unreiner Flüssigkeiten, z. B. der rohen Zuckersäfte, wird von dieser Eigenschaft ein ausgiebiger Gebrauch ge- macht; dabei hat sich die früher unerwartete, von dem gegenwärtigen Standpunkte aus aber ganz verständhche Thatsache gezeigt, dass sich die reinigende Wirkung nicht nur auf den Farbstoff, sondern auch auf an- dere beigemischte Stoffe erstreckt.

Chemisches Gleichgewicht zweiter Ordnung; Lösungen. 339

Solche Gebilde aus festen Körpern mit auf der Oberfläche abge- lagerten oder „adsorbierten" Stoffen zeigen nun ganz ähnliches Ver- halten^ wie feste Lösungen und Lösungen überhaupt. Die abgelagerten Stoffe haben immer einen geringeren Dampfdruck oder allgemein ein geringeres chemisches Potential, als im reinen Zustande, und zwar nimmt dessen Wert um so mehr ab, je kleiner verhältnismässig die Menge de» adsorbierten Stoffes geworden ist Beide sind ganz wie bei Lösungen eindeutige stetige Funktionen voneinander. Auch kann man eine „Sät- tigung'^ erzeugen, wenn man das Gleichgewicht mit dem reinen Stofle herstellt. Über die von der Einheit der Oberfläche hierbei aufgenommene Menge des Stoffes ist nur wenig bekannt; sie scheint sich in den Grenzen zu bewegen, die für die BenetzungsfUhigkeit ü-üher (S. 151) berechnet worden sind, d. h. um weniger als ein MiUiontel Gramm auf ein Quadratcentimeter.

Noch eine dritte Art von Gebilden zeigt die gleichen stetigen Ver- minderungen der Dampfdrucke vorhandener Stoffe; es sind dies die leim- artigen oder Kolloidstoffe. Der gewöhnliche Tischlerleim ist ein gutes Beispiel hierfür; er nimmt in Berührung mit feuchter Luft Wasser- dampf auf bis zu einem bestimmten Grade, der in gleichem Sinne, wie der Teildruck des Wasserdampfes, stetig veränderlich ist. Es ist dies wieder das Verhalten der Lösungen überhaupt und der festen Lösungen insbesondere.

Der Zusammenhang aller dieser Erscheinungen scheint auf dem Boden der Oberflächenenergie vorhanden zu sein. Während bei der Ad- sorption eine solche unzweifelhaft ist, haben neuere Forschungen auch für die Kolloidkörper eine gleiche Auffassung zu rechtfertigen begonnen. Durch mikroskopische Untersuchungen ist bei allen Kolloidkörpern eine „wabige'' Struktur d. h. eine Zusammensetzung aus Hohlräumen, die von dünnen Zellwänden umschlossen sind, erwiesen worden (Bütschli, 1893 1899). Hierdurch wird eine ungemein grosse Oberfläche gebildet, die der Stoffmenge proportional ist, und so den Betrag der Adsorption von der äusseren Gestaltung unabhängig macht. Die ungemein starke Ent- wickelung der Adsorptionserscheinungen, die von jeher an den Kolloid- stoffen aufgefallen war, wird auf diese Weise erklärlich.

Der Übergang von diesen Stoffen auf die Lösungen ist nun durch die Betrachtungen von S. 152 gegeben, denen zufolge zwei teilweise mischbare Flüssigkeiten beim Durchgange durch den kritischen Lösungs- punkt das Zeichen ihrer gemeinsamen Oberflächenenergie ändern, indem die bis dahin auf Verkleinerung der Fläche gerichtete Spannung nun- mehr auf Vergrösserung der Fläche gerichtet ist. Diese zweite Art der Oberflächenenergie ist es gerade, welche sich vorher als die wesentliche Ursache der Adsorptionserscheinungen erwiesen hatte, und so ist ein Zu- sammenhang zwischen allen diesen Erscheinungen auch in Bezug auf ihre Ursache hergestellt, nachdem sie eine weitgehende Übereinstimmung in der Wirkung, der Beeinflussung des Dampfdruckes und allgemein des chemischen Potentials des gelösten Stoffes haben erkennen lassen.

22*

340 VIII. Chemische Mechanik.

Sechstes Kapitel. Weitere chemische Gleichgewichte asweiter Ordnung;.

Der allgemeinste Fall eines Gleichgewichts zweiter Ordnung tritt ein, wenn sich aus beiden Bestandteilen eine einzige Phase zusammensetzt, in welcher sich diese nebst den Produkten ihrer Wechselwirkung im Zustande eines homogenen Gemisches oder einer Lösung befinden. In dem Falle, dass alle diese Stoffe gasförmig sind, lässt sich auch die Auf- gabe, den Einfluss der Temperatur und des Druckes auf das vorhandene Gleichgewicht zu bestimmen, allgemein lösen. In flüssigen Gebilden ist dies nur noch unter der Voraussetzung der Fall, dass wir es mit ver- dünnten Lösungen zu thun haben, dass also die emzelnen Stoffe ent- weder den grössten Teil, oder nur einen kleinen Teil der Gesamtmenge bilden. In diesem Falle bestehen drei Freiheitsgrade; wir können also die Temperatur, den Druck und noch eine dritte Veränderliche, z. B. die Konzentration eines der Stoffe oder etwa auch das Verhältnis der beiden Bestandteile, oder sonst eine auf die Zusammensetzung bezüg- liche Grösse beliebig (innerhalb gewisser Grenzen) bestimmen, und erst dann sind die anderen Bestimmungsstticke des Gebildes, also die Kon- zentrationen aller vorhandenen Stoffarten, eindeutig festgelegt.

Diese Mannigfaltigkeit vennindert sich in dem Grade, als die Zahl der Phasen zunimmt. So wird bei zwei Phasen eine zweifache Freiheit vorhanden sein, bei dreien nur eine Freiheit. Diese Gebilde zeigen eine gewisse Ähnlichkeit mit den Gleichgewichten erster Ordnung vom glei- chen Freiheitsgrade, und wir werden uns der Analogieen, die sich daraus ergeben, vielfach bedienen können, um die hier geltenden Gesetze auf- zufinden.

Eine Eeaktion, die zu einem Gleichgewichte zweiter Ordnung führt, wird sich allgemein durch eine chemische Formel von der Gestalt dar- stellen lassen:

ra, Ai -f m2 Ajj = n^ Bj + Ug B2 + Ug B3 + . . . .

wo Aj und Ag die Bestandteile, Bj, Bg, B3 . . . die Produkte, und

m^, mg, n, , n^, Ug, die Molekularkoeffizienten der Reaktion sind.

Die Zahl der verschiedenartigen Produkte, die aus den Bestandteilen nebeneinander entstehen und im Gleichgewicht sich befinden können, ist theoretisch gesprochen unbegrenzt. Thatsächhch übersteigt sie kaum jemals die Zahl zwei, oft ist nur ein Produkt vorhanden, und in den anderen Fällen ist es immer möglich, die Gleichung in einfachere zu zer- legen. Es wird also genügen, diese beiden Fälle allein zu betrachten.

Da in einem einphasigen Gleichgewicht zweiter Ordnung ausser Druck und Temperatur nur noch eine Freiheit vorhanden ist, so ist die Konzentration der verschiedenen Produkte, die nebeneinander entstehen können, nicht fi'ei, sondern wenn die eines dieser Stoffe gegeben ist, so ist es dadurch auch die aller anderen. Es bestehen somit Beziehungen

Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. 341

zwischen den Konzentrationen dieser Stoffe, welche gestatten, deren Werte bis auf einen aus der Gleichgewichtsgleichung zu eliminieren, und sie auf eine Form zu bringen, als wäre nur ein Produkt der Reaktion vorhanden.

Gehen wir vom Massenwirkungsgesetz aus, so wird die Gleichge- wichtsgleichung fiir den Fall eines einzigen Produktes die Gestalt haben

a;"^a^^« = k.b",

wo a^ und a^ die Konzentrationen der Bestandteile, b die des Produktes und m^, m^ und n die Molekularkoeffizienten der Reaktion sind. Es muss also das Produkt der Konzentrationen der Bestandteile der Kon- zentration der Produkte proportional sein, nachdem jede Konzentration auf die Potenz ihres Molekularkoeffizienten erhoben ist.

Die energetische Ableitung dieser Gleichung kann auf ganz dieselbe Weise erfolgen, wie die für das Gasgleichgewicht erster Ordnung (S. 309), in- dem man von dem Prinzip der virtuellen Energieänderungen Gebrauch macht. Bezeichnet man die zu den Konzentrationen a^, a^ und b gehörigen Drucke mit Pi, P2 und q, so ist die virtuelle Arbeit gegeben durch m^RTd lnpj-|- m^RTdlnpa nRTdlnq, und die Bedingung, dass dieser Wert gleich Null sein soll, führt zu der Gleichung p"^ p'"^ .= r- q". Die Drucke sind den Kon- zentrationen proportional, und somit ist die Gleichung identisch mit der oben gegebenen a™i a™2«k.b°.

Ein Beispiel für diese Art des chemischen Gleichgewichts liegt in deni Verhalten des Jodwasserstoffs vor. Dieses Gas zerfällt bei Tempe- raturen in der Nälie der dunklen Rotglut in Wasserstoff und Joddampf und bildet sich andererseits bei gleicher Temperatur aus den Bestand- teilen. Beide Reaktionen sind unvollständig und führen zu einem chemischen Gleichgewicht, das durch die Formel H*-)-J^ = 2HJ dar- gestellt wird. Die Gleichgewichtsgleichung nimmt demgemäss die Gestalt a^ a2=kb^ an, welche folgendes Verhalten voraussehen lässt:

a. Das Gleichgewicht ist unabhängig vom Dmck oder der Kon- zentration. Denn fügt man jedem Konzentrationswerte denselben Faktor zu, so hebt sich dieser aus der Gleichung wieder heraus. Es ist also fiir das Gleichgewicht nur das Verhältnis der Konzentrationen von Belang, nicht aber ihr absoluter Wert.

Ein solches Verhalten tritt keineswegs bei allen Gleichgewichten zweiter Ordnung auf, sondern nur bei solchen, in denen sich in der eben erwähnten Weise ein gemeinsamer Faktor heraushebt. Dies ge- schieht, wenn die Summe der Molekularkoeffizienten auf beiden Seiten der Gleichgewichtsgleichung dieselbe ist, also wenn m^ + ™2 = ^* Diese Bedingung ist identisch mit der, dass durch die Reaktion sich der Druck oder das Volum des Gasgemisches nicht ändert, und es ist nach dem früher erörterten Satze unmittelbar einleuchtend, dass eine Reaktion, die den Druck nicht ändert, ihrerseits auch nicht durch den Druck ge- ändert werden kann.

342 VIII. Chemische Mechanik.

Die Versuche am Jodwasserstoff hab^a diesen Schluss in -weitem Umfange bestätigt.

b. Die Konzentration keines der beteiligten Stoffe kann Null werden. Je mehr man die des einen, z. B. des Wasserstoffs vermehrt, um so mehr vermindert sich die des anderen, z. B. des Jods, doch müssen sich beide immer in endlichen Grenzen bewegen.

c. Setzt man zu reinem Wasserstoff eine kleine Menge Joddampf, so geht diese keineswegs vollständig in Jodwasseratoff über, sondern nur in einem bestimmten Verhältnis, das von dem Werte der Konstanten k abhängt; solange der Zusatz klein ist, sind die Mengen des Jods und des Jodwasserstoffs proportional. Dies ergiebt sich, wenn man der Vor- aussetzung gemäss in der Gleichung die Konzentration des Wasserstoffe als konstant ansieht.

d. Das Gleichgewicht wird nicht geändeil, wenn man die Kon- zentrationen des Jods und des Wasserstoffs gegeneinander vertauscht, da der Wert des Produktes derselbe bleibt. Dies ist gleichfalls nicht immer beim Gleichgewicht zweiter Ordnung der Fall, sondern nur dann, wenn m^ = m2 ist.

e. Bei gleichem Gesamtdruck wird die Menge des gebildeten Jod- w^asserstoflfe am grössten, wenn Jod und Wasseratoff in äquivalenten Mengen zugegen sind. Dies folgt daraus, dass das Produkt zweier Faktoren, deren Summe konstant ist, seinen grössten Wert annimmt, wenn beide Faktoren einander gleich sind.

Alle diese Schlüsse sind durch die Erfahrung bestätigt worden.

Einen anderen Fall bietet das Gleichgewicht zwischen Phosphor- trichlorid, Chlor und Phosphorpentachlorid dar. Die Reaktionsgleichung ist PCP + Cl^^^PCl^ und die Gleichgewichtsgleichung nimmt daher die Form an a, a,=kb.

In diesem Falle ist der Druck allerdings von Einfluss auf das Gleichgewicht, denn wenn man alle Konzentrationen mit einem kon- stanten Faktor multipliziert, so hebt sich dieser nicht heraus, und die Gleichung wird unrichtig. Vielmehr sieht man, dass wenn man etwa a verdreifacht, man b neunmal so gross nehmen muss, damit die Gleichung richtig bleibt. Wenn also der Druck vergrössert wird, so vermehrt sidi die Menge der Verbindung auf Kosten der Bestandteile und umgekehrt Da die Verbindung aus den Bestandteilen unter Verminderung des Volums auf die Hälfte entsteht, so sieht man, dass von den möglichen Reaktionen die erfolgt, welche sich der Drucksteigerung durch die Raum Verminderung widersetzt. Ebenso wird bei der Vergrösserung des Raumes mehr von den beiden Bestandteilen gebildet; auch hierbei wird der Druck nicht so stark vermindert, vne er es werden würde, wenn keine Reaktion stattfände.

Die Versuche mit Phosphorpentachlorid haben die eben ausgesprochenen Schlussfolgerungen aus dem Gleichgewichtsgesetze zwar in grossen Zügen be-

Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. ä4.3

stätlgt, doch fehlt es noch an einer genaueren zahlenmässigen Prüfung in derartigen Fällen.

Eine Reaktion zwischen Gasen, wobei die Bestandteile unter Vermehrung des Volums aufeinander einwirkten, würde sich umgekehrt verhalten; hierbei würde mit steigendem Druck die Zersetzung zunehmen, und Druckverminderung würde die Bildung der Verbindung befördern. Doch ist ein solches chemisches Gleichgewicht nicht bekannt.

Über den Einfluss der Temperatur auf das Gleichgewicht erhalten wir durch dieselben Überlegungen Auskunft^ die wir in dem entspre- chenden Falle des Gleichgewichts erster Ordnung benutzt haben. Die Arbeit beim Verschwinden von m^ und mg Molen der Bestandteile und dem Entstehen von n Molen des Produktes wird durch m, RT(ln p^ Inp^') H- nijjRT (In pg In pg') nRT (In q In q') dargestellt, und die Än- derung dieser Arbeit bei einer kleinen Verschiebung der Temperatur ist

RTdln (p™^P™7q")' I^^r unter dem Logarithmus stehende Ausdruck ist die auf den Druck bezogene Gleichgewichtskonstante, und wir ge- langen wieder zu der Formel

dlnr/dT:;=L/RTS

wo L die Reaktionswärme bei der vollständigen Umwandlung nach der Reaktionsgleichung m, A -4- m^ A = nB ist.

Man ersieht aus dieser Ableitung noch deutlicher, als aus der früher (S. 310) gegebenen, dass man unabhängig von der Anzahl der- be- teiligten Stoffe und daher unabhängig von der Ordnung der Reaktion immer dieselbe Schlussgleichung dlnr/dT = L/RT^ findet. Wir können uns daher in späteren Fällen die ausführliche Ableitung ersparen.

Die Gleichung besagt wie früher, dass sich das Gleichgewicht bei steigender Temperatur in solchem Sinne verschiebt, dass dabei Wärme aufigenomraen wird, und die Temperaturerhöhung also geringer ausfällt, als wenn gar keine Reaktion stattgelunden hätte. Diese Reaktion braucht keineswegs immer eine Spaltung der Verbindung zu sein. Vielmehr kennen wir im Cyan, Acetylen und einigen anderen Gasen Fälle, wo die Verbindung mehr Energie enthält, als die Bestandteile, und wo da- her steigende Temperatur nicht wie gewöhnlich den Zerfall der Ver- bindung in ihre Bestandteile befördert, sondern umgekehrt die Bestand- teile ab- und die Verbindung zunehmen lässt. Auch hat die Beobach- tung ergeben, dass bei den höchsten erreichbaren Temperaturen, denen im elektrischen Flammenbogen, Kohlenstoff (der hier als gasförmig an- gesehen werden kann) sich mit Stickstoff oder Wasserstoff leicht zu Cyan, bez. Acetylen verbindet.

Es ist also weder theoretisch, noch experimentell gerechtfertigt, wenn man annimmt, dass bei sehr hohen Temperaturen alle Verbindungen in ihre Elemente zerfallen müssten, wie das noch heute vielfach geschieht Auch die übliche Folgerung aus der kinetischen Theorie, dass die zusammenge- setzten Molekeln bei steigender Temperatur wegen der immer heftiger wer-

944 ^^^I* ChemiHche Mechanik.

denden Zusammenstösse schliesslich in Einzelatome zersprengt werden mfisseD) steht zwar in Übereinstimmung mit jenen landläufigen Irrtümern, im Wider- spruch aber mit der Erfahrung und der rationellen Theorie des chemischen Gleichgewichts, und es ist auch bisher noch nicht gelungen, diesen Wider- spruch durch eine plausible Entwickelung zu beseitigen.

Ein bemerkenswerter Schluss ergiebt sich, wenn man L = 0 setzt Im allgemeinen ist die Reaktionswärme mit der Temperatur veränderlich (S. 361), und es kann daher ganz wohl geschehen, dass sie einmal durch Null geht. Dann wird auch dlnr = 0, d.h. das Gleichgewicht wird an dieser Stelle von der Temperatur unabhängig. Ist die Veränderung der Re- aktionswärme mit der Temperatur von der gewöhnlichen Art, dass sie von positiven Werten durch Null in negative übergeht (oder umgekehrt), so nimmt die Grösse r erst zu, und dann ab (bez. erst ab und dann zu), d. h. die Gleichgewichtskonstante geht durch einen höchsten (bez. kleinsten) Wert.

Ein solcher Fall scheint beim Jodwasserstoff vorzuliegen, doch reichen die bisherigen Messungen nicht aus, um ihn sicher nachzuweisen.

Ausser Gasen können noch Flüssigkeiten einphasige Gleichgewichte zweiter Ordnung bilden. Doch bleiben hier von den quantitativen Ge setzen dieser Gleichgewichte nur die Beziehungen nach, welche den Sinn der Verschiebungen des Gleichgewichts mit einer Änderung der Bedingungen desselben in Zusammenhang bringen. Denn die Form der Gleichgewichtsgleichungen ergab sich aus der Berechnung der Arbeits- beträge beim Entstehen und Verschwinden der Bestandteile und ihrer Produkte; diese aber lassen sich nur für den Fall vollkommener Gase und verdünnter Lösungen genau berechnen.

Einen Fall der letzteren Ali; bietet das Verhalten des Stickstoff- hyperoxyds dar. Dieses zerfällt, wenn es in einem indifferenten Lösungs- mittel wie Chloroform, Hexan u. s. w. aufgelöst ist, nach ganz denselben Gesetzen in die einfachere Verbindung gemäss der Formel N^O* = 2N0', wie wenn er im Gaszustande vorhanden wäre (S. 308). Nur ist der Koeffizient der Gleichgewi chtsgleichung nicht derselbe, wie für das Gas, sondern er wechselt mit dem Lösungsmittel; im allgemeinen ist der Grad des Zerfalls in den verschiedenen Lösungsmitteln viel kleiner, als bei gleicher Konzentration in Gasgestalt.

Liegt dagegen keine verdünnte Lösung vor, so ergiebt die Be- rechnung der experimentell bestimmten Gleichgewichtszustände nach der einfachen Massenwirkungsformel keinen konstanten Wert des Koeffi- zienten k. Dies rührt daher, dass man die Konzentration der beteiligten Stoffe nicht mehr gleich der vorhandenen Menge in Molen, dividiert durch das gesamte Volum, setzen darf. Die Frage, welche Grösse hier die Bedeutung der Konzentration zu erhalten hat, muss von Fall zn Fall eine verschiedene Beantwortung erhalten. In vielen Fällen lässt sich die Konzentration durch den „Molenbruch'', d. h. das Verhältnis der Zahl der Mole des betrachteten Stoffes zu der Gesamtzahl der im

Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. 345

Gemenge vorhandenen Mole eraetzen. Doch ist bei dieser Rechnung vorausgesetzt, dass man das Molekulargewicht der Stoffe im flüssigen Zustande kennt, und dieses ist unter Umständen (S. 150) nicht nur von dem desselben Stoffes im Dampfzustande verschieden, sondern wechselt auch mit der Temperatur und der Beschaffenheit der beige- mengten Stoffe.

Eingehendere Untersuchungen über chemische Gleichgewichte in Flüssigkeiten liegen in einem besonderen Falle sehr zahlreich vor; es ist der, wo die gelösten Stoffe einen Zerfall in Ionen erfahren. Dies tritt, wie bereits ei*wähnt (S. 214), ein, wenn Salze in Wasser gelöst werden, und es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die Ionen nicht allein aus den Teilen des Salzes bestehen, sondern dass sich das Lösungswasser bei ihrer Bildung in Substanz beteiligt, dass also die Ionen als Hydrate der Bestandteile der Salze aufzufassen sind. Die eingehendere Erörterung der lonengleichgewichte soll an späterer Stelle vorgenommen werden; hier soll nur im Anschlüsse an das eben Bemerkte betont werden, dass die Frage, ob die Ionen Hydrate sind oder nicht, mit Hilfe der Gesetze der verdünnten Lösungen nicht beantwortet werden kann. Zwar geht der Molenbruch n/(n4-N), der für die Dampfdrucks- und Gefrierpunkts- emiedrigung massgebend ist, über in n/(N + n m), wenn die nMole des gelösten Stoffes m Mole Wasser aufgenommen und dies dem Lösungs- mittel entzogen haben. Bei der gemachten Voraussetzung indessen, dass wir es mit einer verdünnten Lösung zu thun haben, ist die Ände- rung des Wertes, den der Molenbruch dadurch erleidet, so klein, dass er nicht sicher von den Versuchsfehlern unterschieden werden kann. Versucht man, den Einfluss durch Anwendung einer konzentrierteren Lösung zu steigern, so treten wieder Zweifel an der Gültigkeit der ein- gehen Gesetze ein, und man kann etwa beobachtete Abweichungen nicht mit Sicherheit einer etwaigen Hydratbildung zuschreiben.

Da die gleiche Überlegung für alle Fälle gilt, in denen zwischen dem Lösung-smittel und dem gelösten Stoffe Verbindungen einti-eten, so ißt der Nachweis solcher Verbindungen innerhalb der homogenen Lösung sehr erschwert, und wir haben nur wenig Kenntnisse darüber. Der emzige Hinweis, der indessen nur Andeutungen, keine Beweise giebt, sind die Abweichungen, welche die Eigenschaften der Lösungen von dem additiven Schema zeigen; je mehr die Eigenschaften der Lösung von der Summe der Eigenschaften der Bestandteile verschieden sind, um so eher kann man auf chemische Vorgänge zwischen letzteren scliliessen.

Ein Beispiel bilden die Färbungen, welche das Jod zeigt, wenn man es in verschiedenen Ti)sungsmitteln aufnimmt. In Schwefelkohlen- stoff und Chloroform löst es sich mit rotvioletter, in Äther, Petroleum und anderen Flüssigkeiten mit brauner Farbe auf; ausserdem ändert sich die Färbung der Lösung mit der Temperatur. Molekulargewiclitsbestim- mungen haben ergeben, dass in beiden Arten Lösungen das Jod als J^

346 VIII. Chemische Mechanik.

enthalten ist, so dass als wahrscheinlichste Ursache der Verschiedenheit«! die Bildung von Verbindungen zwischen dem Jod und den Lofiungs^ mittein nachbleibt. Eine eingehendere Untersuchung der anderen Eigen- schaften solcher Lösungen würde noch mehr Aufschluss in dieser Rich- tung geben.

Es entsteht die Frage, wie man zu verfahren hat, um in den Fällen konzentrierterer Lösungen die „wirksame Menge" d. h. den Be- trag zu bestimmen hat, mit welchem der Stoff in die Gleichgewichts- gleichung einzusetzen ist, wenn diese ihre Form behalten soll. Ein all- gemeines Verfahren, diesen Wert experimentell zu ermitteln, liegt in Bestimmung des Teildruckes, welchen der Dampf jedes Stoffes üb«r dem Gemenge hat. Nach dem Gesetz von der Vertretbarkeit der im Gleichgewicht befindlichen Phasen oder der Gleichheit der chemischen Potentiale der beteiligten Stoffe in solchen muss man die wirksame Menge im flüssigen Zustande gleich der Konzentration im dampfförmigen setzen, und hat in letzterer ein unzweideutiges Mass der ersteren.

Es ergiebt sich hieraus der Schluss, dass die Stoffe in den Ver- hältnissen der Dampfphase, wie sie sich nach den Teildnieken aus Lösung einstellen, gleichzeitig auch untereinander im Gleichgewicht sein müssen, da sonst ein Perpetuum mobile zweiter Art möglich sein würde. Femer sieht man ein, dass in verdünnten Lösungen dieselben Gleicb- ge Wichtsgesetze gelten müssen, wie bei Gasen. Denn nach dem Gesetze von Henry (S. 315) sind die Konzentrationen in der Lösung denen im Gaszustande oder Dampfzustande proportional, und nach dem Gesetze von Dalton beeinflusst die gleichzeitige Gegenwart verschiedener Gase diese Beziehung nicht.

Für die verdünnten Lösungen muss daher ein Massen Wirkungsgesetz gelten, das sich von dem für Gase entwickelten nur durch das Aufhreten konstanter Faktoren unterscheidet, die durch die Löslichkeitskoefüzienten der beteiligten Dämpfe bestimmt werden.

Im Lichte dieser Betrachtungen lässt sich angeben, in welchen Fällen die wirksame Menge der Stoffe in Lösungen endlicher Konzentration dem Molenbruch proportional gesetzt werden kann. Dies ist zulässig, wenn der Teildruck des Dampfes gleich dem Druck der reinen Flüssigkeit, multipli- ziert mit dem Molenbruch ist. An früherer Stelle ist angegeben worden, in welchen Fällen die Beobachtung eine Annäherung an dieses Verhältnis er- geben hat.

Auch die Formel für den Einfluss der Temperatur auf das Gleichgewicht in einem flüssigen Gebilde verliert bei endlichen Konzentrationen der be- teiligten Flüssigkeiten ihre zahlenmässige Anwendbarkeit. Da man aber er- fahrungsmässig den Satz aufstellen kann, dass in allen Fällen die wirksame Menge eines Stoffes mit der Konzentration oder dem Molenbruche gleich- zeitig zu- und abnimmt, so ist wenigstens der Satz noch beweisbar, die Temperatur das Gleichgewicht in solchem Sinne beeinflusst, dass

Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. 347

höherer Temperatur die Reaktion fortschreitet, durch welche Wärme aufge- nommen wird.

Wenn sich zwei Phasen an einem Gleichgewichte zweiter Ordnung beteiligen, so ergeben sich die einfachsten Verhältnisse, wenn eine dieser Phasen fest, die andere gasförmig ist. Die verhältnismässig nicht häufigen Fälle fester Lösungen (s. w. u.) ausgenommen darf man die festen Stoffe als von konstanter Zusammensetzung ansehen. Daraus ergiebt sich, dass ihr Dampf einen nur von der Temperatur abhängigen Teildruck besitzen muss, und dass demnach in einer mit dem festen Stoffe im Gleichgewichte befindlichen Dampfphase die Konzentration dieses Bestandteiles bei ge- gebener Temperatur nur einen Wert haben kann. In der isothermen Gleichgewichtsgleichung wird die Konzentration dieses Stoffes durch eine Konstante ersetzt werden können, wodurch sich der Ausdruck ent- sprechend vereinfacht.

Betrachten wir den einfachsten Fall der Reaktion m^ A^ + "^8^2 = ^ß? 80 sind zwei Möglichkeiten vorhanden. Es kann entweder einer der Bestandteile Aj oder A^, oder aber die Verbindung B in fester Gestalt zugegen sein. Die Gleichgewichtsgleichung nimmt in beiden Fällen eine verschiedene Form an; bringen wir die konstante Konzentration in den Koeffizienten k unter, so haben wir die beiden Gleichungen

a™ = k.b° und a™^a^* = k.

Im ersten Falle sind die potenzierten Konzentrationen der variablen Stoffe einander direkt proportional, im anderen sind sie umgekehrt pro- portional oder bilden ein konstantes Produkt.

Am eingehendsten untersucht ist der zweite Fall, welcher vorliegt, wenn zwei gasförmige Stoffe sich zu einem festen verbinden. Solches tritt bei den Ammoniakverbindungen vieler gasförmiger Säuren ein, und an diesen Stoffen (Ammoniumsulfhydrid, Ammoniumkarbamat u. s. w.) sind die hier auftretenden Gesetze am ersten experimentell geprüft und bestätigt worden (Isambeit 1881).

Ein Beispiel bietet das Ammoniumsulfhydrid, das sich aus gleichen Molen Ammoniak und Schwefelwasserstoff nach der Forrael NH^ + H=^S =NH* HS bDdet. In der Gleichgewichtsgleichung sind daher die beiden Exponenten ra gleich Eins, und sie nimmt die Form an

Ej -a^ = k.

Unter passender Änderung der Konstanten können wir die Konzentrationen durch die diesen proportionalen Teildrucke (welche experimentell unmittel- bar gemessen wurden) ersetzen, und erhalten die Gleichung Pi-P2=r? aus der sich folgende Schlüsse ziehen lassen:

Ist im Dampfraume keines der beiden Gase im Überschuss, so bleibt dauernd p^ =^Vi* Daraus folgt, dass das Gleichgewicht sich bei einem ganz

bestimmten Drucke p = VpiP2=Vr einstellen muss, so dass sich der feste Körper, obwohl er ein Gasgemenge aussendet, doch wie ein einheit- licher Stoff verhält, der einen nur von der Temperatur abhängigen Dampf-

348 Vill. Chemische Mechanik.

druck hat. Dies lässt sich auch von anderer Seite als notwendig m sehen. Wir machen ja die Voraussetzung, dass die Gasphase dieselbe Zi sammensetzung habe, wie die feste; dies ist aber die Definition d Gleichgewichts erster Ordnung, und innerhalb dieser Bedingung m sich unser Gebilde auch wie ein solches erster Ordnung verhalten. Beobachtung hat diesen Satz in solchem Masse bestätigt, dass es eini Mühe bedurfte, bis die Erkenntnis eines abweichenden Verhaltens i Falle nicht äquivalenter Gasmengen gewonnen wurde.

Dieser „Dissociationsdruck" ist im übrigen von der Temperatur abhängig und nimmt wie ein Dampfdruck immer mit steigender Tempel ratur zu. Die Abhängigkeit wird durch eine Formel von der GesiM d In p/dT = L/RT* dai-gestellt, wo L die Bildungswärme des festen Stoii aus den beiden Gasen ist. Der Beweis der Formel ergiebt sich der Berechtigung, das Gebilde wie eines erster Ordnung zu behanddii.;

Sind beide Gase im Gasraume von vornherein in verschiedenen Mengen vorhanden, so ist der Gesamtdruck nicht mehr dem eines ein- heitlichen Stoffes vergleichbar, sondern er ist grösser und ändert sii mit dem Volum. Dies ergiebt sich aus folgender Betrachtung.

Wird bei konstanter Temperatur das Gasvolum vermindert, sd scheiden sich die Gase teilweise im verbundenen Zustande ab. gleiche Volume beider Gase hierbei verschwinden, so wird das Verhältnil beider um so ungleicher, je kleiner das Gesamtvolum wird. Nun iatj der Gesamtdruck gleich Pi +PJ»; nach dem MasseuA^arkungsgesetz \m steht zwischen beiden Drucken die Beziehung p, -p^ = konst. Di^ Summe der beiden Faktoren eines konstanten Produktes ist aber m so grösser, je verschiedener die beiden Faktoren sind; daher ist der Ge- samtdruck um so grösser, je kleiner man bei einem gegebenen Über- schüsse des einen Gases das Gesamtvolum macht. Im übrigen verhalte» sich beide Bestandteile symmeti-isch, d. h. gleiche Überschüsse jedes der Bestandteile haben gleichen Einfluss auf den Gesamtdruck.

Wird dagegen das Volum zunehmend vergrössert, so nimmt der Gesamtdruck ab; sein Grenzwert ist der für gleiche Mengen der beiden

Bestandteile geltende =:Yr.

Das Verhalten des carbaminsauren Ammons weicht in einigen Be- ziehungen von dem des Sulfhydrids ab. Es bildet sich aus Ammoniak und Kohlendioxyd im Molekularverhältnis 2:1; die chemische Gleichung lautet 2NH3 + C02 = NH*.C02NH^ und die Gleichgewichtsgleichung demgemäss a|a2=k. Hier sind die Konzentrationen der beiden Be- standteile nicht symmetrisch; vielmehr muss eine Verdoppelung des Ammoniaks durch das Herabgehen des Kohlendioxyds auf ein Viertel wett gemacht werden, wenn das Gleichgewicht erhalten bleiben soll.

Dieses Verhalten war theoretisch erschlossen worden, bevor noch die Beobachtung es ergeben hatte; eine daraufhin angestellte Unter- suchung bestätigte die theoretische Voraussicht (Horstmann 1873).

Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. 349

Die entwickelten Beziehungen behalten ihre Gültigkeit im wesentlichen unabhängig davon, ob der Dampfdruck des unzersetzten festen Stoffes einen messbaren Wert besitzt oder nicht, d. h. ob im Dampfe neben den Bestand- teilen auch die Verbindung in messbarer Menge enthalten ist. In den meisten bisher untersuchten Fällen tritt letzteres nicht ein; der Dampf enthält keine durch den Einfluss auf die Dichte (die bei der Verbindung 2, bez. 1-5 mal 80 gross ist, wie für das Gemisch der Bestandteile) nachweisbare Menge der Verbindung.

Dass es trotzdem am rationellsten ist, das Vorhandensein der letzteren im Dampfe anzunehmen, geht aus Betrachtungen hervor, die den auf S. 226 angestellten ganz ähnlich sind. Zwischen den Fällen, wo man einen endlichen Dampfdruck naxihweisen kann, und denen, wo das nicht mehr geht, liegt kein durch irgendwelches unabhängige Kennzeichen gesicherter unterschied vor; vielmehr ist diese Grenze nur ein Ausdruck unserer analytischen Hilfsmittel, und daher beweglich. Andererseits hat die prinzipielle Annahme, dass alle I Stoffe in einem bestimmten, wenn auch häufig äusserst kleinen Betrage flüchtig sind, in ihren Konsequenzen noch in keinem Falle zu irgend welchen Widersprüchen mit der Erfahrung geführt, so dass man sich ihrer mit Ver- trauen zu weiteren Anwendungen bedienen kann.

Ein anderes Verhalten, als das eben geschilderte, wird in dem Falle eintreten, dass ein Gas auf einen festen Köi'per unter Bildung eines zweiten Gases einwirkt. Ein wohluntersuchtes Beispiel für diesen Fall liegt noch nicht vor; doch kann man die zu erwartenden Erscheinungen mit Sicherheit voraussagen. Denken wir uns, um eine Anschauung zu haben, ein Metall, das sich mit Chlor zu einem flüchtigen Chlorid ver- bindet, das bei der Versuchstemperatur wieder in messbarem Betrage in seine Bestandteile zerfallt, so wird sich ein Gleichgewicht herstellen, das gemäss der chemischen Formel 2Me4- iiC)l^= 2MeCl° durch die Gleichung = k-b^ gekennzeichnet ist. In diesem Falle bewirkt eine Vermehrung des Druckes des einen Gases auch eine Vermehrung beim anderen Gase. Ist ii = 2, so bleiben beide Dnicke immer in konstantem Verhältnisse 5 ist n von 2 verschieden, so ist das Verhältnis veränderlich; doch bleibt die gleichzeitige Ab- und Zunahme bestehen.

Noch einfachere Verhältnisse ergeben sich, wenn zwei feste Phasen auftreten. Hierher gehören die ersten Fälle des chemischen Gleichgewichts heterogener Gebilde, die unter dem Namen der Dissociation studiert worden sind; durch ihre genauere Kenntnis ist wesentlich be- wirkt worden, dass die früher verbreitete Meinung, die chemischen Re- aktionen seien ihrer Natur nach vollständige, verdrängt wurde.

Die Gesetze dieses Gleichgewichts ergeben sich aus den allgemeinen Formeln, indem man zwei von den Konzentrationswerten konstant setzt. Es ist offenbar gleichgültig, welche von den Werten der typischen

Gleichung a™*a^* =k'b'* es sind; immer bleibt eine Gleichung von der Gestalt a"* = K übrig, d. h. es ist eine einzige veränderliche Konzen-

350 VIII. Chemische Mechanik.

tration vorhanden. Dies ergiebt sich auch aus der Phasenregel: drei Phasen bedingen eine Freiheit.

Dadurch verhält sich ein derartiges Gleichgewicht wie das eines verdampfbaren einheitlichen Stoffes; es ist fiir jede Temperatur nur ein Wert der Konzentration oder des Druckes möglich, bei welchem Gleidi- gewicht besteht, und dieses Gleichgewicht ist unabhängig von der Menge der beteiligten Stoffe. Ein wesentlicher Unterschied gegen jenen ein- fachen Fall liegt nur darin, dass zur Definition des Gleichgewichts zwei feste Phasen erforderUch sind, und dass, wenn nur eine vorhanden ist, das Gleichgewicht unbestimmt bleibt. Dieser wichtige Umstand wird sehr oft übersehen, und bis auf den heutigen Tag findet man Arbeiten über die Zersetzungsdrucke solcher Gebilde, in denen die Frage, welches die beiden festen Phasen sind, nicht gestellt und nicht beantwortet ist

Einer der ensten Fälle, die untei-sucht worden sind, ist die Spaltung des Calciumkarbonats in Kalk und Kohlendioxyd. Es sind hier Calcium- karbonat und Kalk die beiden festen Phasen, Kohlendioxyd ist die gas- förmige, und es ist gezeigt worden (Debray 1867), dass die Zersetzung des ersten durch die Hitze zu einem bestimmten „Dissociationsdruck" fiihrt, der fiir jede Temperatur einen bestimmten Wert hat. Ist der Dnick grösser, so wird das Gas vom Kalk aufgenommen, bis sich der nonnale Wert hergestellt hat; ist er kleiner, so zerfällt Calciumkarbonat bis zu dem entsprechenden Werte.

Es hat sich später erwiesen, dass die Verhältnisse nicht ganz so einfach liegen, wie Debray sie angesehen hatte; insbesondere scheint es ein Subkar- bonat zu geben, durch dessen Auftreten das Gleichgewicht eine andere Kon- stante erhält.

Ein vielstudiertes Beispiel solcher Gleichgewichte sind die Verwitterungs- erscheinungen wasserhaltiger Salze. Schon Mitscherlich (1844) hat den Dampfdruck des verwitternden Glaubersalzes gemessen, und aus seiner Darstellung geht hervor, dass er ihn als eine reine Temperatui*funktion angesehen hat. Ausdrücklich ausgesprochen wurde ein solcher Satz erst später durch Wiedemann und Debray (1866 und 1868), welche Ver- suche zu seiner Bestätigung mitgeteilt haben. Die späteren, ziemhch ausgedehnten Erörterungen haben ergeben, dass in der That die Menge der festen Phasen gar keinen Einfluss auf den Druck hat; vielmehr ist der Dampfdruck eines Gemenges aus dem Salze und seinem Vei^witterungs- produkte nur von der Temperatur abhängig.

Dabei ist lange übersehen worden, dass die Natur des Verwitterungs- produktes auf den Dampfdruck ebenso einen Einfluss ausübt, wie die des wasserhaltigen Salzes. Insbesondere erhält man verschiedene Drucke, wenn man ein und dasselbe Salz zu verschiedenen Produkten ver- wittern lässt.

Ein Beispiel für diesen wichtigen Satz bietet das Chlorealdum. Dieses krystallisiert gewöhnlich mit 6H*0; femer giebt es zwei wasser- ärmere Hydrate mit 4H*0, die verschieden sind, und von denen eines

Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. 351

eine unbeständigere Form dem anderen gegenüber darstellt. Die Dampf- drucke des Hexahydrats zeigen sich nun verschieden, je nachdem es zu dem einen oder dem anderen Teti'ahydrat vemittert, und zwar ist der mit dem beständigeren Hydrate der grössere.

Ein solches Verhalten scheint im Gegensatz zu der allgemeinen Er- fahrung zu stehen, dass der Dampfdruck der unbeständigeren Verbindung grösser ist, als der der beständigeren (S. 184). Der Widerspruch verschwindet, wenn man den Vorgang genauer überlegt. Denkt man sich die beiden Ge- bilde, das Hexahydrat mit dem beständigen Tetrahydrat, und dasselbe mit dem unbeständigen nebeneinander in denselben Raum gebracht, so muss das Wasser von dem Gebiete grösseren Dampfdruckes zu dem mit kleinerem destillieren, d. h. von dem beständigen zu dem unbeständigen Hydrat. Die Folge davon ist, dass in dem ersten Gebilde ein Teil des Hexahydrats sich in das beständigere wasserärmere Salz verwandelt, während in dem anderen eine gleiche Menge der unbeständigen Form in das Hexahydrat übergeht. Das Ergebnis ist daher, dass die unbeständige Form verschwindet, die be- ständige sich vermehrt, und die Menge des Hexahydrats unverändert bleibt. Ein solches Verhalten entspricht vollkommen dem, was zu erwarten ist, und würde insbesondere auch eintreten, wenn man die beiden Gebilde in unmittel- bare Berührung brächte.

Andere Fälle, welche unter das Schema fallen, sind die Ammoniak- verbindungen mancher Salze (z. B. der Metallchloride) und welche leicht in diese Salze und gasföimiges Ammoniak zerfallen. Auch hier zeigt sich ein nur von der Temperatur abhängiges Gleichgewicht, welches voll- kommen unabhängig von den Mengen der beiden festen Phasen ist, da- gegen sich mit jeder Änderung der Natur einer dieser Phasen ändert.

Der Einfluss der Temperatur auf den Zersetzungsdruck steht in einer unmittelbaren Beziehung zu der Bildungs- bez. Zersetzungs- wärme der Verbindung. Da es sich hier nur um einen veränderlichen Bestandteil in der Gasphase handelt, so vereinfacht sich die Formel auf die Gestalt der Dampfdruckformel eines homogenen Stoffes. Ist also L die Bindungswäi-me von einem Mol Wasserdampf durch das Verwitterungs- produkt zu dem Hydrat, so gilt (S. 126) dlnp/dT =L/RT*. Zieht man die entsprechende Gleichung für Wasser, dessen Druck durch p^ bezeichnet werde, dlnp^/dT = W/RT^, hiervon ab, wo W die Ver- flüssigungswärme von einem Mol Wasserdampf bei gleicher Temperatur ißt, so folgt dhi(p/pw)/dT=(L W)/RT«. Der Unterschied L W bedeutet nun nichts, als die Verbindungs wärme des flüssigen Wassers mit dem Verwitterungsprodukt, und da man experimentell nur diese Grösse zu bestimmen pflegt, so giebt die letzte Gleichung einen un- mittelbaren Vergleich mit der Beobachtung.

Durch die Messung der Dampfdrucke einer Anzahl teilweise verwitterter Salze in ihrer Abhängigkeit von der Temperatur einerseits, und durch thermochemische Bestimmung der Hydratationswärmen andererseits ist nun diese Gleichung geprüft worden. Während die früheren Versuche dieser

352 VIII. Chemische Mechanik.

Kontrolle wegen der üngenauigkeit der Messungen zu so widersprechen- den Ergebnissen geführt hatten, dass aus ihnen eher eine Widerlegung, als eine Bestätigung zu entnehmen war, ergaben spätere Untersuchungen (Frowein 1887), bei denen das Messverfahren der Dampfdrucke genügend verfeinert worden war, eine ausgezeichnete Bestätigung.

Die eben geschilderten Verhältnisse sind bestimmend für das Verhalten der wasserhaltigen Salze an der Luft. Bekanntlich verwittern einige an der Zimmerluft (Glaubersalz), während andere (Borax) ihr Krystallwasser zwar meist behalten, unter Umständen aber auch verwittern. Andere Salze wieder (Nickelsulfat) zeigen an der Zimmerluft keine Verwitterungserscheinungen.

Dies rührt daher, dass die Zimmerluft nicht mit Feuchtigkeit gesättigt zu sein pflegt, sondern meist nur 0-6 bis 0-7 von dem Wasserdampf enthält, der bei der vorhandenen Temperatur vorhanden sein könnte. Daher müssen alle Hydrate, die mit ihrem Verwitterungsprodukt einen relativen Dampfdruck über 0'7 ergeben, Wasser verlieren und verwittern ; solche, deren Dampfdruck an der Grenze liegt, verhalten sich verschieden, und solche, deren relativer Dampfdruck erheblich unter 0-6 liegt, bleiben unverwittert.

Wird ein reiner und unverletzter, wasserhaltiger Kry stall in eine Atmo- sphäre gebracht, deren Wasserdampfdruck unter dem Zersetzungsdruck liegt, so tritt die Verwitterung nicht notwendig ein; vielmehr kann man hier ebenso Überschreitungserscheinungen beobachten, wie sie in vielen ähnlichen Fällen auftreten. Solange nämlich die zweite feste Phase, das Verwitterungsprodukt, noch nicht anwesend ist, ist auch der Dampfdruck nicht bestimmt, und es kann innerhalb gewisser Grenzen (denen des metastabilen Gebietes, S. 114) jeder beliebige Druck vorhanden sein. So gelingt es z. B., ganz unverletzte Glaubersalzkrystalle an der Luft von gewöhnlicher Trockenheit beliebig lange unverwittert zu erhalten, wenn man den Zutritt von Keimen ausschliesst. Wird an einer Stelle die Verwitterung eingeleitet, so zeigt sich die Abhängig- keit von der unmittelbaren Berührung mit der zweiten Phase darin, dass die Verwitterung am Orte bleibt und sich nur regelmässig um den angegriffenen Punkt ausbreitet. Das verwitterte Gebiet bildet dann je nach dem Krystall- system eine Kugel, ein einachsiges oder ein dreiachsiges Ellipsoid, vollkom- men entsprechend der optischen Wellenfläche, wenn auch natürlich mit anderen Konstanten.

Die einfachsten Fälle der Gleichgewichte zweiter Ordnung, die sich zwischen Flüssigkeiten und Gasen einstellen, sind bereits (S. 315) betrachtet worden; sie werden durch das Henrysche Gesetz geregelt, nach welchem die Konzentration in beiden Phasen einander proportional sind. Jetzt wollen wir die Frage stellen, was in dem Falle geschieht wo das gelöste Gas teilweise eine chemische Umwandlung erleidet.

Die Umwandlung besteht in einer Wechselwirkung mit dem Lfösungs- mittel, und wird durch eine Gleichung von der Gestalt m, A, + mg Ag = nB dargestellt werden können. Zur Berechnung des Endzustandes machen wir die Voraussetzung, dass das Henrysche Gesetz nur flir den nicht umgewandelten Teil des gelösten Stoffes Geltung hat, und dass der

Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. 353

umgewandelte Teil für sich keinen Einfloss ausübt. Dies Gesetz der Unabhängigkeit der Verteilung eines Stoffes zwischen zwei Phasen ver- änderlicher Konzentration von der Gegenwart anderer Stoffe, der „Ver- teilungssatz", ist in einzelnen Fällen von verschiedenen Forschem aus- gesprochen worden; seinen zusammenfassenden und allgemeinen Ausdruck hat es von Nemst (1891) erfahren.

Ist nun die Konzentration des unveränderten Teiles des gelösten Gases mit aj, die des Lösungsmittels mit ag, die des entstandenen Produkts mit b bezeichnet, so wird die Gleichung des Gleichgewichts in der Lösung gemäss der oben angenommenen chemischen Formel lauten

a^*a™* = k-b°. Da nach der Voraussetzung aber die Lösung verdünnt Ist^ so ist die Konzentration des Lösungsmittels konstant zu setzen, und

ersetzt man die Konstante k/a^* durch K, so lautet die Gleichung a*" =Kb°.

Hieraus geht nun hervor, dass wenn m=:n ist, also aus jedem Mol des Gases ein Mol der Verbindung entsteht, die Konzentration des unveränderten Anteils der des umgewandelten immer proportional ist. Daher bleibt in diesem Falle das Henrysche Gesetz bestehen, denn die gesamte absorbierte Gasmenge ist gleichfalls der unverändert bleiben- den proportional, und der ganze Einfluss besteht darin, dass die Löslich- keit um so ^iel erhöht wird, als von dem gelösten Gase in die Verbin- dung übergeht

Besteht die Gleichung m = n nicht, so besteht auch keine Pro- portionalität zwischen der unveränderten und der umgewandelten Menge, und das Henrysche Gesetz kann nicht mehr in Geltung bleiben. Eine leichte Rechnung, die dem Leser überlassen werden mag, lehrt, dass im Falle m^n die scheinbare Löslichkeit (d. h. die gesamte gelöste Gas- menge, dividiert durch den Druck) mit steigendem Drucke zunimmt, wäiirend sie im Falle m < n mit steigendem Drucke abnimmt.

Fälle derartiger Beeinflussung der Löslichkeit sind vielfach unter- sucht worden, doch hat sich dabei kein Beispiel mit einfachen, berechen- baren Verhältnissen ergeben.

Am auffallendsten ist der Einfluss chemischer Vorgänge auf die Loslichkeit im Falle der Halogenwasserstoflsäuren. Diese werden be- kanntlich von Wasser in sehr bedeutenden Mengen unter starker Wärme- entwickelung aufgenommen; letztere beträgt mehr, als die Verflüssigungs- wärme der reinen Gase, oder es entwickelt sich auch Wärme, wenn man die Halogenwasserstoffsäuren im flüssigen Zustande in Wasser auf- löst Ferner steigt der Siedepunkt des Wassers durch die Auflösung des Gases erst an, erreicht ein Maximum und fällt dann wieder ab; der Dampfdruck bei konstanter Temperatur hat demnach den umge- kehi-ten Verlauf. Gemäss der S. 323 gegebenen Regel folgt, dass verdünntere Lösungen dieser Säuren sich durch Destillieren konzentrieren müssen, indem vorwiegend Wasser übergeht; sehr konzentrierte werden umge-

Ostwald, Grundriss. 8. Aufl. 23

354 VIII. Chemische Mechanik.

kehrt Säure verlieren und verdünnter werden. Dazwischen giebt es eine Konzentration (sie liegt für Chlorwasserstoff bei 20 "/q), bei welcher ' der Dampf dieselbe Zusammensetzung hat^ wie der Rückstand^ und die unverändert destilliert. Dass es sich hier nicht um eine chemische Ver- bindung handelt; wie irrtümlich noch jetzt zuweilen angenommen wird, ist von Roscoe (1860) damit gezeigt worden, dass diese Zusammen- setzung mit dem Drucke wechselt, von 18 bis 23 Prozent bei Drucken von 180 bis 5 cm Quecksilber. Auch ist die Dampfdichte die eines Gemenges von Chlorwasserstoff und Wasserdampf.

Der chemische Vorgang, welcher in diesen Fällen stattfindet, be- steht wesentlich in der Bildung der Ionen Wasserstoff und Halogen aus der Verbindung. Da sich dabei die Molenzahl vermehrt, so muss sich die scheinbare Löslichkeit nach der oben gegebenen Theorie mit steigen- dem Drucke vermindern. Dies ist in ausgeprägtester Weise der Fall, da schon bei sehr kleinen Drucken der grösste Anteil des Gases aufge- nommen wird, und eine Vermehrung des Druckes nur eine verhältnis- mässig unbedeutende Vermehrung der gelösten Menge bewirkt.

Den gegebenen Erörterungen über das Gleichgewicht zwischen einer festen und einer flüssigen Phase ist wenig hinzuzufügen. Die auf Grund der Phasenregel entwickelten allgemeinen Beziehungen werden nur durch die Zahl der Bestandteile bestimmt, nicht durch die Zahl der aus ihnen entstandenen Verbindungen. Der Umstand, dass solche etwa entstanden sind, ist ganz ohne Einfluss auf die allgemeinen Ver- hältnisse, und aus diesen kann umgekehrt nichts über die Frage etwaiger Verbindungen ermittelt werden. Deshalb ist auch noch bis in unsere Zeit die Frage, welche Verbindungen in einer gegebenen Lösung anzu- nehmen sind, nur in wenigen Fällen befriedigend beantwortet worden.

Falls zwischen dem gelösten Stoffe und dem Lösungsmittel irgend welche chemischen Vorgänge eintreten, so wird dadurch die Loslichkeit immer vermehrt werden. Denn wenn sich schliesshch das Gleich- gewicht hergestellt hat, so besteht es zwischen der festen Phase und dem unverändert in der Lösung vorhandenen Teil desselben Stoffes. Es wird also die scheinbare Löshchkeit um so viel gi'össer als die wirk- Uche sein, als der in andere Verbindungen übergegangene Teil des Stoffes beträgt. Der chemisch veränderte Anteil wirkt auf die wahre Löslichkeit nur wie irgend ein anderer fremder Stoff: ist er in geringer Konzentration vorhanden, so ist sein Einfluss vensch windend; anderen- falls wirkt er durch die Änderung in der Beschaffenheit des Lösungsmittels.

Diese Betrachtungen finden insbesondere Anwendung auf den meist- untersuchten Fall der wässerigen Salzlösungen. Bei diesen weiss man jetzt sicher, dass nur ein kleiner Teil als unverändertes Salz gelöst ist; der grössere Teil pflegt in Ionen zerfallen zu sein, und dieser Umstand trägt am meisten dazu bei, dass die Salze vorwiegend in Wasser lös- lich sind.

Hat man irgend einen Anhaltspunkt, der die Löslichkeit des un-

Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. 355

veränderten Stoffes bestimmen oder schätzen lässt, so kann man aus dem überschuss der experimentell gefundenen, über die zu erwaii;ende den Betrag der stattgehabten chemischen Vorgänge ermitteln. Über deren Natur erfährt man auf diese Weise nichts, hierftlr müssen andere Verfahren eintreten, die an dieser Stelle noch nicht erörtert werden können.

Man kann sich die Frage stellen, ob nicht durch die Bildung der Verbindungen in der Lösung, vermöge der grösseren Mannigfaltigkeit, die Zahl der Freiheiten sich vermehrt. Indessen sieht man leicht ein, dass solches nicht eintreten kann, da durch die Menge der unverändert gebliebenen Bestandteile die Mengen der entstandenen Verbindungen eindeutig festgestellt sind. Sind a^ und a^ die Konzenti*ationen der Bestandteile, und ist b die einer Verbindung, so besteht zwischen diesen

Grössen eine Gleichgewichtsgleichung von der Gestalt a™^ a™* = k b°, und da a^ und ag bestimmt sind, so muss es auch b sein. Für jede neue Verbindung, die entstehen mag, gilt eine deraiüge Gleichung mit einem neuen Koeffizienten k; doch bringt keine von ihnen eine unab- hängig veränderliche Grösse hinein.

Die bisher betrachteten Gleichgewichte waren alle dadurch gekenn- zeichnet, dass sich in ihnen Phasen veränderlicher Konzentration befanden. Wenn ein Gebilde vorlag, in welchem nur eine Freiheit vorhanden war, so konnte es, wenn man die Temperatur veränderte, durch Änderung der Konzentration einen neuen Gleichgewichtszustand aufsuchen, und die Existenz solcher Gebilde liess sich stetig über ein mehr oder weniger weites Gebiet verfolgen.

Anders werden die Verhältnisse, wenn keine Phase veränderlicher Konzentration vorhanden ist. Wenn man in einem solchen Gebilde die Temperatur ändert, so gelangt man alsbald aus der Existenzmögüchkeit heraus, und es tritt eine unstetige Umwandlung ein.

Phasen veränderlicher Konzentration sind zunächst die Gase, sodann die flüssigen Lösungen. Unveränderliche Konzentration (mit einer kleinen Einschränkung) findet sich bei festen Stoffen, femer bei solchen Flüssig- keiten, die keinen von den anderen vorhandenen Stoffen in merklicher Menge auflösen. Der letzte Fall ist verhältnismässig selten.

Die einfachsten Beispiele für diesen Unterschied finden sich bei den Gleichgewichten erster Ordnung. Zwischen Dampf und Wasser besteht ein ausgedehntes Gleichgewichtsgebiet, das sich von 0*^ bis etwa 400*^, der kritischen Temperatur, erstreckt. Dies liegt daran, dass der Dampf veränderliche Konzentration annehmen und sein Gleichgewicht mit Wasser auf diese Weise den Änderungen der Temperatur folgen kann. Dagegen ist das Gleichgewicht zwischen Eis und Wasser kaum über einige Zelmtel- grade bekannt; beide Stoffe können ihre Konzentration fast nicht ändern, und deshalb muss bei einer kleinen Verschiebung der Temperatur ent- weder das Eis vollständig in Wasser, oder das Wasser vollständig in Eis übergehen.

23*

356 VIII. Chemische Mechanik,

Durch starken Druck kann man die Dichte und daher die Kon- zentration von Wasser und Eis allerdings ein wenig ändern. Doch ist diese Änderung so überaus klein, dass ein Einflnss nur bei sehr starken Drucken beobachtet werden kann und es nur ein sehr kleines Tempera- turgebiet giebt, innerhalb dessen das Gebilde bestehen kann; beim Über- schreiten dieses Gebietes verschwindet eine oder die andere Phase.

Auch bei Gleichgewichten zweiter Ordnung tritt ein ähnliches Ver- halten ein.

Die Zahl der Fälle, wo Gleichgewichte erster Ordnung solche Ge- bilde ergeben, die man auch als „kondensierte" bezeichnet, beschränkte sich auf zwei; es ist entweder eine feste und eine flüssige Phase (wie bei Wasser und Eis) oder es sind zwei feste vorhanden. Der letzte Fall tritt bei polymorphen Stoffen am ümwandlungspunkte ein (S. 183).

Kondensierte Gleichgewichte zweiter Ordnung verlangen drei Phasen. Es können zwei flüssige und eine feste, zwei feste und eine flüssige und drei feste sein. Alle solche Gebilde zeigen die Eigenschaft, dass sie nur bei einem praktisch unveränderlichen Temperaturpunkte bestehen können, und beim Verlassen dieses Punktes eine der vorhandenen Phasen verlieren.

Der Fall zweier flüssigen Phasen und einer festen ist uns schon entgegengetreten. Er hegt vor, wenn ein Stofl" unter seinem Lösungsmittel schmilzt, wobei es gleichgültig ist, ob der gelöste Teil weitere chemische Änderungen in der Lösung erleidet oder nicht. In einem solchen Ge- bilde giebt es nur eine Temperatm-, bei der fester und flüssiger Stoff neben der Lösung bestehen kann. Erwärmt man, so verschwindet der feste Stoflj und es bleibt nur der flüssige neben der Lösung; kühlt man ab, so verschwindet die Schmelze, und man hat nur den festen Stoff neben der Lösung.

Man kann sich diese Verhältnisse an der Benzoesäure veranschaulichen, die bei -\-db^ unter ihrer gesättigten Lösung zu einer Flüssigkeit schmilzt, welche wesentlich aus Benzoesäure besteht, daneben aber Wasser enthält. Nur bei dieser Temperatur können feste und flüssige Benzoesäure neben der Lösung bestehen. Die Temperatur ist im übrigen ganz unabhängig von den Mengen der drei Phasen, also auch von den Verhältnissen, in denen die bei- den Bestandteile vorhanden sind, falls nur solche Grenzen eingehalten sind, dass alle drei Phasen sich ausbilden können.

Ein anderes Beispiel ist Äther und Wasser, die bei 3-85° Eis aus- scheiden, so dass dieses neben einer gesättigten Lösung von Wasser in Äther und einer von Äther in Wasser vorhanden ist. Auch hier ist die Tempera- tur unabhängig von den Mengenverhältnissen und ändert sich insbesondere auch nicht, wenn man beliebig viel Eis sich ausscheiden oder verflüssigen lässt.

Der zweite FaU einer flüssigen Phaseneben zwei festenist in dem Falle der „Schmelzung'^ des Glaubersalzes gegeben. Bei 34® verflüssigt sich das mit lOH^O krystallisierende Natriumsulfat, doch erfolgt keine

Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung. 357

wirkliche Schmelzung, denn es scheidet sich gleichzeitig wasserfreies Salz aus und die entstehende Flüssigkeit hat daher nicht die Zusammensetzung des Glaubersalzes ; sondern ist salzärmer. Im übrigen verhält sich das Gebilde wie ein schmelzender einheitlicher Stoff, denn die Temperatur bleibt bei weiterer Wärmezufuhr ganz konstant, bis alles Glaubersalz verschwunden und nur noch wasserfreies Salz neben der gesättigten Lösung nachgeblieben ist.

Wenn man zu den drei festen oder flüssigen Phasen eines „kon- densierten" Gleichgewichts als vierte noch die DampQ)hase hinzutreten lässt, so erhält man einen Punkt, in dem keine weitere Freiheit besteht. Die Eigenschaften solcher vierfacher Punkte werden alsbald besprochen werden. Lässt man die vierte Phase fort, so bleibt noch eine Freiheit, welche durch die allgemeine Gleichung dp/dT = L/uT (S. 125) ge- regelt ist. Wegen der Abwesenheit der Gasphase sind die Volum- änderungen u, die in dem Gebilde auftreten können, sehr klein, während die Reaktionswärmen L die gewöhnlichen Werte haben. Dadurch wird, wie dies schon in dem einfachsten Falle Wasser-Eis dargelegt worden ist, das Verhältnis dp/dT sehr gross, d. h. es sind sehr bedeutende Änderungen des Druckes erforderlich, um geringe Änderungen der Gleich- gewichtstemperatur herbeizufahren. In den meisten Fällen lassen sich diese Änderungen kaum nachweisen, und wenn nicht besondere Ver- hältnisse eintreten, durch welche der Druck erheblich gesteigert werden kann, erscheinen diese kondensierten Gleichgewichte an eine ganz be- stinamte Temperatur gebunden. Praktisch liegt schon in der üblichen Bestimmung des thermometrischen Nullpunktes durch schmelzendes Eis ein solcher Fall vor; die Temperatur ist zwar vom Drucke abhängig, doch in so geringem Grade, dass die Druckverschiedenheiten, wie sie durch Änderungen des Barometerstandes oder den hydrostatischen Druck der Eis- Wassermasse bedingt werden, auch bei feinen Messungen nicht zur Geltung kommen. Dalier lassen sich Gleichgewichtspunkte zweiter Ordnung ahnhch zur Festlegung bestimmter Temperaturen benutzen, wie dies bei solchen erster Ordnung längst üblich ist.

Bei einer dahin gerichteten Untersuchung am -Glaubersalz hat es sich gezeigt, dass man auf solche Weise äusserst konstante Temperaturen erhalten kann, die sich für die Festlegung bestimmter Punkte ebensogut eignen, wie die gewöhnlichen Schmelzpunkte reiner Stoffe, z. B. des Wassers. Die Temperatur wird allerdings durch die Gegenwart fremder Stoffe ebenso be- einflusst, wie ein gewöhnlicher Schmelzpunkt, doch hat es sich als ausführbar erwiesen, durch verhältnismässig einfache Reinigungen auf einen Tausend - Stelgrad genau schmelzendes Glaubersalz herzustellen. Die Temperatur ist 32-484° der internationalen Skala, oder 32-379° des Wasserstoffthermometers Lichajds 1898).

Ein anderes hierhergehöriges Beispiel bilden die eutektischen Punkte (S. 333), in denen die beiden festen Stoffe neben dem aus ihnen entstehenden flüssigen Gemisch vorliegen, und welche gleichfalls von den Mengenverhält-

358 YIII. Chemische Mechanik.

nissen unabhängige, nur durch die Natur der beteiligten Stoffe bestimmte Gleichgewichtstemperaturen ergeben.

Kondensierte Gleichgewichte dreier fester Phasen aus zwei Bestand- teilen sind noch nicht genauer untersucht, so dass sich keine geeigneten Beispiele angeben lassen. Es läfist sich absehen^ dass sich für das Be- stehen solcher Gebilde Verhältnisse herausstellen werden^ die sich unter ähnliche, nur mannigfaltigere Typen bringen lassen werden, wie sie in den enantiotropen und monotropen Formen bei einheitlichen Stoffen (S. 184) vorliegen.

Soll endlich gar keine Freiheit mehr übrig bleiben, so müssen bei zwei Bestandteilen vier Phasen vorhanden sein, und man hat einen ^vierfachen Punkt", der dem dreifachen bei den Gleichgewichten erster Ordnung entspricht (S. 179). Ein solcher liegt z. B. vor, wenn man dem oben geschilderten Gebilde aus Glaubersalz, wasserfreiem Na- triumsulfat und gesättigter Lösung noch Dampf hinzufügt. Von den ^kon- densierten" dreifachen Punkten unterscheidet sich ein solcher dadurch, dafis nicht nur seine Temperatur, sondern auch sem Druck vollkommen be- stimmt ist, und dass keines von diesen auch nur um das Geringste ver- schoben werden kann, ohne dass eine Phase verschwindet.

Aus den vier Phasen eines solchen Punktes lassen sich vier Zu- sammenstellungen zu dreien machen, nämlich abc, abd, acd und b c d, wenn a, b, c, d die vier Phasen sind. Jedes dieser dreiphasigen Gebilde hat eine Freiheit, und ergiebt demnach eine Drucktemperaturlinie. Ist eine der vorhandenen Phasen Dampf, so haben drei dieser Linien den Cha- rakter von Dampfdruck- oder Dissociationslinien, da jede Phase, also auch die dampfförmige, in drei Zusammenstellungen vorkommt. Die vierte Linie ist dann die eines kondensierten Gebildes. Ist eine Damp^hase nicht vorhanden, so sind alle Linien kondensierte, d. h. sie verlaufen fast parallel der Druckachse.

Es gehören also zu jedem vierfachen Punkte vier Zustandsreihen mit einer Freiheit, die sich durch vier Drucktemperaturlinien darstellen lassen. Diese vier Linien schneiden sich notwendig in einem Punkte, eben dem vierfachen. An der Stelle, wo sich zwei beliebige dieser Linien schneiden, sind die beiden Reihen angehörigen Phasen alle im Gleichgewicht; da jede Reihe drei Phasen enthält und beide Gruppen verschieden sein sollen, so sind im Durchschnittspunkte zweier Linien bereits alle vier Phasen vertreten, die dort im Gleichgewicht sind. Da der Durchschnitt jeder der beiden anderen Linien mit einer der be- trachteten wieder ein Gleichgewicht dieser selben vier Phasen ergiebt, und nach der Phasenregel zwischen diesen nur ein einziger Gleichge- wichtspunkt möglich ist, so müssen alle vier Linien denselben Durch- schnittspunkt haben, und also etwa wie in Fig. 43 liegen.

Die Zahl von vier Phasen ist zwar die grösste, die bei zwei Be- standteilen nebeneinander im Gleichgewicht sein können, sie machen es aber

Weitere chemische Gleichgewichte zweiter Ordnung,

359

möglich, dass aus zwei Bestandteilen mehr als vier verschiedene Verbin- dungen oder Lösungen, allgemein mehr als vier Phasen entstehen können. So tritt die Frage auf, wie sich die Verhältnisse gestalten, wenn die An- zahl der möglichen Phasen grösser ist.

Die Antwort ist, dass in solchen Fällen mehrere vierfache Punkte entstehen, die durch die Zustandslinien der drei Phasen ver- bunden sind, welche den beiden vierfachen Punkten gemeinsam sind. Auf diese Weise können beliebig viele Formen und Verbindungen unter- gebracht werden, und die Beobachtungen haben ein derartiges Verhalten bereits in vielen Fällen erkennen lassen.

Als Beispiel diene der erste Fall, der in dieser Hinsicht genauer unter- sucht wurde, die Verbindungen des Schwefeldioxyds mit Wasser (Roozeboom 1885). Die möglichen Phasen sind:

Fig. 44.

Fig. 43.

a. Festes Hydrat S0*.7H«0.

b. Lösung von SO* in Wasser.

c. Lösung von Wasser in SO*.

d. Gasförmiges SO* mit etwas Wasserdampf.

e. Eis.

Im Punkte L (Fig. 44) sind die Phasen a, b, c, d zusammen; im Punkte B die Phasen a, b, d, e. Die Verbindungslinie I stellt somit die Gleichgewichte der gemeinsamen Phasen a, b, d dar. Die anderen Linien haben die Be- deutung: II = a, c, d; III = b, c, d; IV = a, b, c; V = a, d, e; VI b, d, e; VII = a, b, e.

Die vielfach interessanten Verhältnisse, die sich bei dem eingehenden Studium solcher vollständiger Gleichgewichtsverhältnisse ergeben, können hier nicht eingehend betrachtet werden; für ihr Studium stehen die Originalarbeiten und die ausführlichen Lehrbücher zu Gebote.

360 - VIII. Chemische Mechanik.

Siebentes Kapitel.

Gleichgewichte höherer Ordnung.

Die allgemeine Formel für das isotherme Gleichgewicht zwischen beliebig vielen Bestandteilen lässt sich auf einem Wege ableiten, der dem ganz ähnlich ist, auf w^elchem wir die Formeln für die Gleichgewichte erster und zweiter Ordnung gefunden haben. Ist die Reaktionsgleichung zwischen den auftretenden Stoffen gegeben durch m^ A^ + 0^2-^2 ~l~ ^^ä-^a "i" ••• = n, Bj 4" ^3 ß« + ^^s ^3 + so ist die Arbeit für eine kleine Ver- schiebung des Zustandes alle Bestandteile als Gase vorausgesetzt

gegeben durch RTdln(p"^p,"^;;'» ...)/(qf*q,"*q"«...). Die Bedingung,

dass die Summe dieser Arbeiten gleich Null sem soll, ergiebt p™* p^^ p™* . . . =

k- q°^ q°* q"* . . . als ganz allgemeine Gleichung för den Fall beliebig vieler Stoffe, die sich bei konstanter Temperatur ins Gleichgewicht setzen.

Ebenso gilt für den Einfluss der Temperatur die allgemeine Formd dlnk/dT = L/RT', wo L die bei dem vollständigen Verlauf der durdi die Gleichung ausgedrückten Reaktion aufgenommene Wärmemenge istj

Die Gleichung vereinfacht sich in dem Falle, dass feste Phasen auf- treten, dadurch, dass so viele der Faktoren p oder q konstant werden, als feste Phasen vorhanden sind. Sind insbesondere bei einem solchen Gleich- gewichte n-ter Ordnung n feste Phasen zugegen, so besteht, da die gesamte Zahl der Phasen mit der gasförmigen zusammen n + 1 ist, ein Freiheitsgrad, und es hegt daher ein Gleichgewichtsdruck von der Art eines Dampfdruckes vor, der nur von der Temperatur abhängig ist Ins- besondere ist dann notwendig die Zusammensetzung der Gasphase für eine gegebene Temperatur eine ganz bestimmte, wie mannigfaltig auch das Gasgemisch sei; wird die Temperatur geändert, so wird sich aller- dings auch die Zusammensetzung des Gasgemisches ändern.

Ist die Zahl der festen Phasen n 1, die der Freiheiten also 2, so ist die Zusammensetzung des Gasgemisches auch bei konstanter Temperatur veränderlich; doch in solcher Weise, dass durch eine Be- stimmung die anderen Verhältnisse festgelegt sind. Es stellen sich dann Beziehungen heraus, die den S. 340 entwickelten ganz ähnlich sind.

Ist eine der vorhandenen Phasen flüssig, so verschwinden im all- gemeinen die einfachen Verhältnisse und machen verwickeiteren Platz, für welche eine allgemeine Darstellung noch nicht gefunden ist Nur in dem allerdings recht häufigen Falle, dass in der flüssigen Phase einer der Bestandteile ^) seiner Menge nach stark überwiegt, treten wieder dn- fachere Verhältnisse durch die Gültigkeit der Gesetze verdünnter Lösungen

*) Der vorherrschende Stoff kann auch eine Verbindung aus mehreren der vorhandenen Bestandteile sein, ohne dass dies an den vorhandenen Be- ziehungen formell etwas ändert. Denn man kann auch jeden aus einfacheren Bestandteilen zusammengesetzten Stoff als einen Bestandteil im Sinne des

Gleichgewichte höherer Ordnung. 361

€m, und die füi Gasgleichgewichte entwickelten Beziehungen finden sachgemäfise Anwendung.

Die Regel, nach der in solchen Fällen zu verfahren ist, ergiebt sich daraus, dass die wirksame Menge des vorherrschenden Stoffes oder Lösungs- mittels konstant gesetzt wird, während auf die in geringer Menge vor- handenen Stoffe die Gasgesetze unter sachgemässer Deutung des Druckes als des osmotischen Anwendung finden. Dabei ist natürlich auch noch das Auftreten beliebig vieler fester Phasen möglich, die nach Anleitung der bereits betrachteten Fälle zu behandeln sind.

Als empirische Regel fiir die zusammengesetzteren Gleichgewichte kann noch angegeben werden, dass bisher die Zalil der flüssigen Phasen nie grösser, als die der Bestandteile gefdnden worden ist.

Was die Beurteilung dec Zahl der Bestandteile anlangt, die für ein gegebenes Gleichgewicht anzunehmen sind, so gilt die Regel, dass man nur soviele annehmen muss, dass man jede vorkommende Phase als Summe (nötigenfalls mit negativem Vorzeichen) dieser Bestandteile ihrer Zusammensetzung nach darstellen kann. Dies föhrt zu dem Schlüsse, dass in der Regel so viele Bestandteile für einen gegebenen Vorgang anzunehmen sind, als die um Eins verminderte Zahl der Glieder in der chemischen Gleichung beträgt, welche den Vorgang darstellt. Denn die Notwendigkeit, dass auf beiden Seiten einer jeden chemischen Gleichung die Summe der Elemente gleich ist, giebt die Möglichkeit, ein Glied jeder Gleichung durch die anderen darzustellen, und es sind somit nur n 1 Güeder einer aus n Gliedern bestehenden Gleichung unabhängig voneinander.

Diese Regel gilt für die einfachste Form chemischer Gleichungen. Daneben kann es noch Formen geben, denen zufolge aus denselben Ausgangsstoffen gleichzeitig verschiedene Produkte entstehen. Solche Gleichungen lassen sich immer in einfache Gleichungen zerlegen, als deren Summen sie erscheinen, und für diese Einzelgleichungen gilt die ausge- sprochene Regel allgemein.

Jede derartige Gleichung fuhrt zu einer Gleichgewichtsgleichung zwischen den potenzierten Konzentrationen oder wirksamen Mengen der beteiligten Stoffe, die einen Koeffizienten enthält, der im allgemeinen noch eine Funktion der Temperatur und des Druckes ist. Eine zu- sammengesetzte Gleichung enthält soviele Koeffizienten, als sie einfache Gleichungen enthält. Häufig lässt sich die zusammengesetzte Gleichung auf mehrfache Weise in einfache zerlegen; dann gilt als Zahl der ent- haltenen einfachen Gleichungen die kleinste Anzahl, welche durch

vorhandenen Gleichgewichts betrachten, wenn man sich gestattet, mit negativen Mengen zu rechnen. Zu Irrtümern kann dies nie führen, wenn man nur darauf achtet, dass diese negativen Beträge nicht unter die möglichen Werte fallen, die durch die gesamte Zusammensetzung des betrachteten Gebildes festgelegt sind.

362 VIII. Chemische Mechanik.

Summierung die zusammengesetzte ergiebt, und zwischen den Koeffizienten der verschiedenen einfachen Gleichungen bestehen soviele Zahlenbe- ' Ziehungen, dass die dui'ch die Regel gegebene Anzahl unabhängiger I Koeffizienten herauskommt.

So enthält z. B. die Gleichung 2 Ca CO» + H«0 =- Ca(0H)2+ CaO + 2C0« fünf verschiedene Stoffe, müsste also ein Gleichgewicht vierter Ordnung dar- stellen. Sie lässt sich aber in die Einzelgleichungen CaC0^ + H*O= Ca(OH)« + CO- und CaCO« = CaO -]- CO« auflösen, von denen die erste dritter, die zweite zweiter Ordnung ist.

Subtrahiert man die beiden Einzelgleichungen voneinander, so folgt i Ca(OH)*=== CaO + H*0, welche Gleichung den Zerfall des Calciumhydroxyds in Kalk und Wasserdampf darstellt. Diese Gleichung ist nicht unabhängig von den anderen, und daher muss ihr Gleichgewichtskoeffizient sich als Funktion der anderen Koeffizienten darstellen lassen. Bezeichnet man nämlich die Teildrucke oder wirksamen Mengen der einzelnen Stoffe wie folgt CaCO^ = a, ( H*0 = b, Ca(OH)* = c, CO« = d, CaO«e, so ergeben die Gleichungen | CaCO» + H«0=Ca(OH)«-hCO* und CaCO» + CaO + CO* die Gleichge- ; Wichtsgleichungen ab/cd=«k, a/de = r, wo k und r dieGleicfagewichtskonstanten j sind. Durch Division folgt c/be = r/k; diese Gleichung stellt aber das Gleich- j gewicht Ca (OH)*=CaO-{-H'^0 dar, und der zugehörige Gleichgewichtskoeffizient ^ ergiebt sich als Quotient der beiden anderen Koeffizienten.

Hieraus folgt also das bemerkenswerte Resultat, dass man die Gleich- gewichtszustände zwischen Calciumhydroxyd und Wasserdampf berechnen kann, wenn man die Zersetzung des Calciumkarbonats durch Wasserdampf ^ einerseits, und durch seinen Zerfall in Kalk und Kohlendioxyd andererseits ; kennt. Diese Möglichkeit beruht darauf, dass man die chemischen Reaktions- gleichungen entsprechend kombinieren kann, und dies geht immer, wenn die verschiedenen Gleichungen teilweise dieselben Stoffe enthalten Denn jede neue chemische Gleichung, die man durch die Elimination solcher gemein- samer Glieder erlangt, stellt notwendig wenigstens einen denkbaren, wenn auch nicht immer ausführbaren chemischen Vorgang dar.

Die Anzahl der Bestandteile für ein gegebenes Gleichgewicht ist durch die Art des chemischen Vorganges bestimmt, welcher betrachtet wird, und ein und dasselbe Gebilde kann bei geändertem Vorgange auch die Zahl der Bestandteile ändern. So werden die gewöhnlichen Zustandsänderungen des Wassers unter die Gleichgewichte erster Ordnung zu rechnen sein; steigert man aber die Temperatur auf 2000®, so zer- fallt das Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff, und wir haben es mit Gleichgewichten zweiter Ordnung zu thun.

Eine weitere wichtige Voraussetzung ist, dass die Gleichungen, welche die Phasen als Summen der angenommenen Bestandteile aus- drücken, unter den angenommenen Bedingungen ausführbar sind^ oder wirkliche Umwandlungen darstellen. Ein Gemenge aus Essig- säure, Äthyl- und Methylalkohol, in dem sich Wasser und die bei- den Ester gebildet haben, stellt ein Gleichgewicht vierter Ordnung

Gleichgewichte höherer Ordnung. 363

r, obwohl die Zahl der anwesenden Elemente nur drei ist^ und sich rch diese die Zusammensetzung aller möglichen Phasen ausdrücken Bt. Da aber unter den bekannten Versuchsbedingungen sich die ge- onten Stoffe aus den Elementen nicht bilden, so dürfen diese auch lit als Bestandteile angenommen werden. Wohl aber kann durch vier r genannten Stoffe, z. B. die beiden Alkohole, die Säure und Wasser I Zusammensetzung jeder Phase dargestellt werden, denn die beiden deren Stoffe, hier die Ester, lassen sich als Summe von Säure plus kohol minus Wasser ausdrücken, und diese Beziehungen sind auch perimentell ausführbar.

Was die verschiedenen FäUe der Gleichgewichte dritter Ordnung langt, so sind sie so zahh*eich, dass es nicht ausführbar ist, sämtliche ^glidien Typen hier zu kennzeichnen. Es muss genügen, eine Anzahl Q Fällen zu beschreiben, die entweder durch ihre allgemeine Be- laffenheit oder durch die Wichtigkeit des Vorganges besondere Auf- srksamkeit beanspruchen.

Ein durch seine technische Bedeutung wichtiger Fall des Gleichgewichts itter Ordnung ist die durch die Gleichung H^O-f- CO = + CO* rgestellte Wechselwirkung zwischen Kohlenoxyd, Wasserdampf, Wasser- >ff und Kohlendioxyd. Als Bestandteile kann man die Elemente Kohlen- iff, Wasserstoff und Sauerstoff auffassen; will man solche Bestandteile Wen, die wirklich vorhanden sind, so können drei von den Gasen liebig dazu genommen werden, da sich die chemische Zusammensetzung B vierten immer durch Summen (nötigenfalls mit negativen Gliedern) r drei anderen darstellen lässt.

Es ergiebt sich hieraus eine Willkür in der Wahl der Bestandteile, lohe für die Anwendung des Phasengesetzes bedenklich zu sein scheint. Doch erzeugt man sich bald, dass die Willkür nur in Bezug auf die Auswahl, jht aber in Bezug auf die Anzahl der Bestandteile vorhanden ist; für das flsengesetz kommt aber nur die letztere in Betracht.

Bezeichnen wir die Drucke der vier Bestandteile nacheinander mit ,P3,q,,q8, so gut fär das Gleichgewicht die Formel pj pg •^=k-q| q^. % wir drei Bestandteile und eine Phase haben, so liegen vier Freiheiten T d. h. es können neben Gesamtdruck und Temperatur noch zwei Jüdrucke beliebig bestimmt werden. Der Gesamtdruck hat in diesem die auf das Gleichgewicht keinen Einfluss, da die Reaktion ohne Volum- tderung vor sich geht oder da ein gemeinsamer Faktor zu allen Druck- arten sich aus der Gleichgewichtsgleichung wieder heraushebt (vgl. S. 381).

Dass die Ergebnisse der Beobachtung wenigstens in grossen Zügen itder Theorie übereinstimmen, ist von Horstmann (1877) gezeigt worden, och mussten sich die Beobachtungen auf das Gleichgewicht beschränken, 18 bei der Verpuffung von Kohlenoxyd-Wasserstoffgemengen mit unzu- Ichendem Sauerstoff sich im Augenblicke der Reaktion einstellt. Da e höchste Temperatur nur sehr kurze Zeit dauert, so ist man nicht

364 VIII. Chemische Mechanik.

sicher, ob das Gleichgewicht erreicht wird; ausserdem wird es eine V< Schiebung bei der absinkenden Temperatur erleiden.

Die Umwandlung von Wasserstoff und Eohlendioxyd in Wasserd und Kohlenoxyd absorbiert Warme; sie ist somit die Reaktion^ d Betrag sich bei steigender Temperatur steigert Umgekehrt wird um mehr Wasserstoff gebildet, je niedriger die Temperatur ist, bei der das Gleichgewicht herstellt. Diese Thatsache ist von Wichtigkeit I die Beurteilung der Vorgänge bei der Gewinnung von „Wassergi^ d. h. des Einwirkungsproduktes von Wasserdampf auf Kohle in der G hitze. Die Reaktion verlauft bei hoher Temperatur vorwiegend im Si der Gleichung H20 + C=CO + H2. Doch folgt aus den eben gebenen Verhältnissen, dass bei niedriger Temperatur mehr und mcf die Reaktion 2H20 + C = 2H« + CO« vorwiegt. Bei der steigend^ Verwendung des Wassergases ist es von Wichtigkeit zu wissen, dass 4 Menge des giftigen Kohlenoxyds zu Gunsten der Bildung von W; Stoff eingeschränkt werden kann, wenn man den Prozess bei mögüi niedriger Temperatur ausführt (Mond 1897).

Ein Beispiel temären Gleichgewichts mit gasförmigen und f< Phasen liegt in der Reaktion zwischen Eisen und Wasserdampf vor, zu einer teilweisen Bildung von Eisenoxyduloxyd und Wasserstoff Die chemische Gleichung ist 4H20 + 3Fe = 4H2 -[- Fe^O^ und zwei feste Phasen neben der gasförmigen zugegen sind, so bestehen Freiheiten. Ist also Temperatur und Gesamtdruck gewählt, so k noch ein Teildruck beliebig angenommen werden; der andere stellt dann auf einen bestimmten Wert ein.

Dies ergiebt sich, wenn man den Druck des Wasserdampfes mit den des Wasserstoffs mit q bezeichnet, und die übrigen konstant Faktoren mit der GleicHgewichtskonstante vereinigt; die Gleichgewidrf gleichung wird dann p* = k-q*, oder p = Kq d. h. es muss der Drttl des Wasserstoffs dem des Wasserdampfes proportional sein. '

Femer folgt aus den thermochemischen Zahlen, dass die ReaktÜ des Wasserdampfes auf Eisen Wärme entwi6kelt, 34 J für ein Mol Bl

Aus den entsprechenden Beobachtungen von Deville (1870), d das Vorhandensein dieser Beziehung weder vermutet, noch aus sein! Beobachtungen ersehen hatte, ergiebt sich unzweifelhaft eine Bestätigt der Formel. Ebenso verschiebt sich das Gleichgewicht bei fallenl Temperatur zu Gunsten des Wasserstoffe, da dessen Bildung Wanne ei wickelt. i

Die Verhältnisse der Gleichgewichte werden durch das Auftrek flüssiger Phasen verwickelter, da solche im allgemeinen Losongl bilden, in denen die wirksame Menge der beteiligten Stoffe weder kd stant, wie bei festen Stoffen, noch der Konzentration proportional w bei Gasen gesetzt werden darf. Nur im Falle der verdünnten Löaungi ist letzteres möglich, und dann werden die Verhältnisse wieder 4 Rechnung leichter zugänglich. {

Gleichgewichte höherer Ordnung. 365

' Unter den Reaktionen dritter Ordnung in homogener Rtissigkeit ist Ge Wechselwirkung zwischen organischen Säuren und Alkoholen zu er- NÜmen. Sie hat eine geschichtliche Bedeutung dadurch^ dass sie die feste Beaktion ist, an der der zeitliche Verlauf und die Gleichgewichts- terhältnisse in umfassenderer Weise studiert worden sind (Berthelot und l^ean de St. Gilles 1862); auch die ersten erfolgreichen Versuche theo- fetischer Erlassung sind an diesem Material ausgeführt worden (Guld- berg und Waage 1867; van't Hoff 1877).

Bezeichnet man die Säure mit H.A, den Alkohol mit R.OH, so Itet sich der Vorgang in der Gestalt schreiben: H.A-|-R.OH = R.A-f-H^O. Es stellt sich bei der Wechselwu-kung der beiden Stoffe im Gleichgewichtszustand heraus, der von der Natur der Säure und der Temperatur ziemlich unabhängig ist, und der durch eine Gleichung von ler Gestalt 2i^9L^=k.\h^

gekennzeichnet ist Hierin bezeichnet a^ die Konzentration des Alkohols,

^ die der Säure, b, die des Esters und h^ die des Wassers. Die

onstante k hat meist den Wert 1/4. Daraus folgt, dass, wenn man

äure und Alkohol zu gleichen Molen anwendet, sich etwa 2/3 von

en zu Ester und Wasser umsetzen.

Die Berechnung der zahlreichen Versuche über dies Gleichgewicht laben nur angenäherte Übereinstimmung mit der Theorie ergeben. Dies iegt dai'an, dass man als wirksame Menge den Molenbruch hat einführen müssen (S. 346); da aber Alkohol und Wasser teilweise polymerisierte Stoffe sind (S. 151), so ist gerade in diesem Falle eine solche Rechnung »weifelbaft. Doch ist immerhin die Übereinstimmung genügend, um die Anwendbarkeit der Theorie im Prinzip ausser Zweifel zu setzen.

Treten feste Phasen neben flüssigen auf, so kann man zunächst |iach dem Falle fragen, welcher dem der gegenseitig löslichen Schmelzen nnd dem eutektischen Punkte (S. 333) entspricht. Um eine Übersidit ^erüber zu gewinnen, machen wir uns mit einem Koordinatensystem |l)ekannt, welches gestattet, drei veränderliche Bestandteile darzustellen.

\ Hierzu zeichnen wir ein gleichseitiges Dreieck, dessen Seitenlängen Igleich der Einheit gemacht werden, und beachten, dass jeder Punkt im famem dieses Dreiecks die Eigenschaft hat, dass die Summe der drei )Pai'allelen zu den Seiten pa + pb + pc gleich der Seitenlänge, also ||leich Eins ist. Bezieht man somit die Berechnung auf ein Mol des Ge- misches, so kann man jede beliebige Zusammensetzung derselben durch leinen Punkt des Dreiecks angeben. Die Eckpunkte stellen dann die Ireinen Stoffe dar, die Seiten des Dreiecks Gemenge aus je zwei Be- standteilen, und im inneren liegen die temären Gemische. \ Nun seien die eutektischen Gemische für die drei Stoffpaare AB, fiC und BC bestimmt; sie mögen bei K3, K^ und K^ liegen, Fig. 45. Jüan löse in dem flüssigen Anteile des eutektischen Gemisches AB, das mit den festen Stoffen A und B im Gleichgewicht ist, etwas C auf. Dann

366

VIII. Chemische Mechanik.

wird die Temperatur sinken^ und gleichzeitig >^ird sieh im allgemeinen auch das Verhältnis zwischen A und B in der Flüssigkeit etwas ändern, bis sie wieder mit festem A und B im Gleichgewidit ist. Der Punkt, welcher jetzt die Zusammensetzung der Flüssigkeit darstellt, liegt inner- halb des Dreiecks in der Nähe von ab, etwa bei i. Setzt man mehr C hinzu, so rückt der Punkt weiter hinein, und die Gesamtheit dieser Punkte, die die Gleichgewichte mit den beiden festen Phasen A und B darstellen, wird eine (nahezu gerade) Linie bilden, die etwa nach K läuft Schliesslich wird die Lösung auch in Bezug auf C gesättigt sein, und wir gelangen zu einem Punkte, bei welchem sie mit allen drei festen Stoffen im Gleichgewicht ist.

Ganz dieselbe Überlegung können wir machen, indem wir von dem eutektischen Gemisch AC ausgehen. Wir finden eine Linie, die von K,

nach K verläuft und sich mit der

Fig. 45.

ersten in K schneidet. Da es um dasselbe Gleichgewicht, näni' lieh die Lösung neben den drei festen Stoffen handelt, so muss dei Punkt beiden Linien gemeinsam sem, d. h. es muss deren Durch- Schnittspunkt K sein.

Aber auch fiir das eutekti- sche Gemisch BC gilt die gleiche Überlegung. Dessen Linie muss gleichfalls durch K gehen, und so wu'd die Erscheinung durch Flg. 45 dargestellt, wo sich die drei Linien des Gleichgewichts mit je zwei festen Stoffen in demselben Punkte K schneiden, der den temären eutek- tischen Punkt darstellt. Er liegt, wie aus der Entwickelung hervor- geht, bei tieferer Temperatur, als jeder der binären eutektischen Punkte, hat aber im übrigen ganz dieselben Eigenschaften, wie diese, insbeson- dere die, dass er die tiefste Temperatur darsteUt, bei welcher eine flüssige Phase aus den drei Bestandteilen bestehen kann, und dass sich die Zusammensetzung der Flüssigkeit während des Erstarrens nicht ändern kann, so dass auch die Temperatur unverändert bleibt, solange noch Flüssigkeit zugegen ist.

Der Versuch hat diese Schlüsse bestätigt.

Die Verschiedenheit der Temperaturen ist in der Zeichnung Hg. 45 nicht zur DarsteUung gebracht. Um dies zu thun, kann man senkrecht zur Zeichenebene Ordinaten errichten, welche den Temperaturen pro- portional gemacht werden. Die drei Linien liegen dann im Räume und bilden die Kanten einer dreiseitigen Hohlpyramide.

Fig. 46 veranschaulidit die Verhältnisse. Die drei Spitzen A, H und C stellen die Schmelzpunkte der reinen Stoffe dar; an den drei

\

Gleichgewichte höherer Ordnung,

367

Seiten des Prismas erscheinen die eutektischen Punkte K^^ K^ und K^ der binären Gemische, und von diesen aus setzen die drei Linien der temären Gemische an^ die sich im dreifachen eutektischen Punkte K schneiden. Auf den Flächen AKjKjjK, BK^KjK und CKiKgK liegen die Losungen, welche mit einer festen Phase, auf den Linien K^K, K^K, K3K die, welche mit zwei festen Phasen im Gleichgewicht sind.

Die mehrfach betonte Ähnlichkeit zwischen der Lösung und der Verdampfung bringt es mit sich, dass die Gleichgewichtszustände zweiter Ordnung mit einer Gasphase sich in ganz ähnlicher Weise in der dritten Ordnung wiederfinden, indem der leere Raum durch ein Lösungs- mittel ersetzt ist und an Stelle des Dampfes ein gelöster Stoflf erscheint. ^^ Dabei hat der Umstand, dass etwa das Lösungsmittel sich mit den an- deren Bestandteilen oder ihren Ver- bindungen vereinigt, auf die Gestalt der Gesetze keinen Einfluss, solange es nur in so grossem Verhältnis vorhanden ist, dass man die Lö- sung als eine verdünnte bezeich- nen darf.

Man muss die Frage stellen, welches denn die Grenze der ver- dünnten Lösungen sei. Die Antwort hängt einigermassen von der Natur der beteiligten Stoffe ab; doch wird man annehmen können, dass Lösungen, die weniger als Vs ^^^^ ^^ Liter ent- halten, unbedenklich als verdünnt an- gesehen werden können. Oft ist dies noch bei stärkeren Lösungen möglich, doch bedarf es bei solchen der Vor- sieht, und man sollte entsprechende °*

Prüfungen anzustellen nicht versäumen, wenn man die einfachen Lösungs- gesetze auf sie anwenden will.

Der erste Fall ist der eines homogenen Gleichgewichts zwischen zwei Bestandteilen in der Lösung. Für ein solches wird die Gleichung

von S. 341 gelten: a^^a™^ = k.b°; alle die dort entwickelten Beziehungen finden sieb hier wieder.

An gut untersuchten Beispielen för diese Art des Gleichgewichts and mehr bekannt, als för alle anderen Arten zusammengenommen, denn der Zerfall der binären Elektrolyte in ihre Ionen wird durch diese

368 VIII. Chemische Mechanik.

Gleichung geregelt (Ostwald 1888). Da indessen die lonen^eichgewichte später für sich betrachtet werden sollen, so muss hier der Hinweis genüge.

Ist neben der flüssigen Phase noch eine feste vorhanden, so gelten die S. 347 entwickelten Beziehungen. Der feste Stoff kann entweder eine Verbindung sein, und dann muss das Produkt der potenzierten Konzentrationen seiner Beständteile konstant (d. h. nur eine Funktion der Temperatur) sein, oder der feste Stoff ist ein Bestandteil, und dann müssen die beiden veränderlichen (potenzierten) Konzentrationen einander proportional sein. Für den ersten Fall werden sich bei den Lösungen der Elektrolyte zahlreiche Beispiele ergeben; der zweite, fir den der einfachere Typus noch nicht beobachtet worden ist (S. 349}, kann durch folgendes Beispiel erläutert werden (Noyes und Seiden- sticker 1898).

Jod löst sich in Wasser nur in sehr geringer Menge auf; wird zu dem Wasser irgend ein lösliches Jodid gefügt, so nimmt die Löslichkeit sehr stark zu. Die Ursache davon ist, dass sich zu dem vorhandenen Jodion freies Jod zufügt, und ein Ion von der Formel J* bildet. Man hat also die Reaktions- gleichung J' + J* -«^J*'. Es wird sich soviel Jod lösen, bis die zufolge desi chemischen Gleichgewichts zwischen dem freien Jod und dem Jodion J®' so- viel von ersteren in der Lösung vorhanden ist, als der Löslichkeit in reinem Wasser entspricht, wobei die Voraussetzung festzuhalten ist, dass das Lösungs- mittel keine erhebliche Änderung erleidet, die Lösung also verdünnt bleibt

In der zugehörigen Reaktionsgleichung a^a, = k.b ist die auf das freie Jod bezügliche Konzentration a, konstant zu setzen; es soll demnach a^ und b proportional sein, d. h. die Menge des Trijodions soll zu dem des Jodions in konstantem Verhältnis stehen. Es wurden deshalb Jodkaliumlösungen mit festem Jod bei 25" gesättigt, das aufgenommene Jod titriert, und von dieser Menge der einfach gelöste Teil abgezogen. Letzterer beträgt 0001342 Mo! oder 1-342 Millimol im Liter und wurde durch Lösungsversuche in reinem Wasser ermittelt.

K J genommen Jod gelöst (corr) = J^'

106-3 53-94

53-15 26-69

2657 13-34

13-29 6-66

6643 3-325

3322 1-710

In der ersten Spalte stehen die angewandten Konzentrationen des Jod- kaliums in Millimolen im Liter und damit die der Summe J' + J'', in der zweiten die gelösten Jodmengen nach Abzug der auf das Wasser entfallenden kon- stanten Menge von 1»342, welche somit die Konzentration des entstandenen Trijodions J*' angeben; in der dritten Spalte die Konzentrationen des unver- ändert gebliebenen Jodions J', die sich aus den beiden ersten durch Sub- traktion ergeben. In der letzten Spalte ist endlich das Verhältnis 3*'/J' ver-

J'

Verhältnis P'/5'

524

1-03

26-46

1-01

13623

102

6-6o

l-Ol

3-118

100

1-612

106

Gleichgewichte höherer Ordnung. 369

zeichnet, welches gemäss der Theorie konstant sein soll. Wie man sieht, ist die Übereinstimmung vorzüglich, und es ergiebt sich, dass ungefähr die Hälfte der Jodionen sich mit Jod zu Trijodionen verbindet, oder dass die verdünnte Jodkaliumlösung ebensoviel freies Jod auflöst, als sie gebundenes enthält.

Bei sehr konzentrierten Lösungen machen sich Abweichungen geltend, indem sich bedeutend mehr Jod auflöst, als der Proportionalität entspricht. Deshalb lässt eine gesättigte konzentrierte Lösung von Jod in Jodkalium festes Jod fallen, wenn man sie mit Wasser verdünnt. Die Ursache hiervon liegt in der Veränderung des Lösungsmittels; vermöge der grösseren chemi- schen Ähnlichkeit ist die konzentrierte Jodkaliumlösung ein besseres Lösungs- mittel.

Sind von den am Gleichgewicht beteiligten Stoffen zwei in fester Grestalt neben der Lösung anwesend^ so wird der Zustand vergleich- bar dem bei zwei festen Stoffen neben Dampf. Das Gleichgewicht, das

in der Lösung durch die Gleichung aj"*a™*=k.b" dargestellt ist, ver- einfacht sich dadurch, dass zwei von den drei Konzentrationen konstant fverden. Dann muss es auch die dritte sein, und es stellt sich somit me ganz bestimmte Zusammensetzung der Lösung ein, die sich nur noch mit der Temperatur ändert, von den Mengen der festen Stoffe und ier anfänglichen Zusammensetzung der Lösung aber ganz unabhängig ist.

Beispiele für diesen Fall bieten die Doppelsalze dar. Während z. B. lie Löslichkeit des Kupfersulfates in einer Lösung, die Kaliumsulfat ent- tiält, mit der Konzentration des letzteren sich ändert, so dass man von aner „Verdrängung^ des einen Salzes durch das andere gesprochen liatte, so wird die Konzentration sofort unabhängig von der Menge des B^aliumsulfats, wenn sich neben dem Kupfersulfat das Doppelsalz Kalium- kupfersulfat in fester Gestalt vorfindet. Es erfolgt, wenn das Gleichge- (dcht noch nicht eingetreten war, Auflösung oder Ausscheidung der äalze eines oder beider, bis die bestimmte Konzentration in Bezug auf ille Bestandteile erreicht ist.

Es giebt ersichtlicher Weise in diesem Falle drei Arten des Gleich- gewichts, je nachdem als feste Phasen die beiden Bestandteile, oder einer, bez. der andere neben der Verbindung vorhanden ist. In unserem Bei- spiele wären es die Lösungen mit KaJinmsulfat und Kupfersulfat, mit Kaliumsulfat und Doppelsalz und mit Kupfersulfat und Doppelsalz. Von liesen drei Gleichgewichten ist im allgemeinen eines unstabil; im vor- liegenden Falle ist es das erste, und wenn man die in Bezug auf die Bestand- teile gesättigte Lösung heimstellen will, tritt nach einiger Zeit das Doppel- salz freiwillig auf, wodurch eines der beiden einßichen Salze zum Ver- schwinden gebracht wird, und das entsprechende neue Gleichgewicht sich einstellt.

Zur Prüfung des Massenwirkungsgesetzes sind solche Gleichgewichte aicht geeignet, da sie durch die lonenbildung mit einer Verwickelung be- haftet sind, deren Bewältigung erhebliche Schwierigkeiten macht.

Ostwald, Grondriss. 3. Aufl. 24

370 ^11^- Chemische Mechanik.

Ein Beispiel, bei welchem die verschiedenen Arten des Lösungsgleich- gewichts zur Geltung kommen, und das gleichzeitig eine Anwendung des Massenwirkungsgesetzes gestattet, bietet die Bildung der aus je einem Mol der Bestandteile zusammengesetzten Verbindung von Anthracen und Pikrin- säure in alkoholischer Lösung (Behrend 1894).

Die nachstehende Tabelle enthält die Ergebnisse der Löslichkeitsver- suche bei 25^.

Feste Phasen.

Anthracen Anthracen u. Pikrat Pikrat pSrSaaiu«.^

.y^.

1 2345"6 7 89 10 11 1

Anthracen 0-176 0190 0206 0-215 0228 0-236 0-202 0180 0-162 0-151 0-149 -

Pikrinsäure 1017 2-071 2-673 3-233 3-469 3-994 5-087 5-843 6-727 7-511 7-' Anthracen

frei =- a^ 0-176 0176 0-176 0176 0-183 0-140 0-127 0-109 0-098 0-096 - Pikrinsäure

frei « a, 0-999 2-032 2-623 3466 3-401 3926 5-019 5775 6659 7-443 -

Pikrat =-b 0-032 0.069 0-089 0-119 0.121 0121 0-121 0-121 0-121 0-121 - a^aj/b 5-5 5-2 5-2 4-7 5-1 48 5-3 5-2 5-4 5-2

Die Zahlen bedeuten Gewichtsteile der bezeichneten Stoffe in 100 Teilen der Lösung. Jede Spalte giebt die Zusammensetzung einer bestimmten Lö- sung an, die mit den darüber angegebenen festen Stoffen im Gleichgewicht ist. Die einzelnen Posten haben folgende Bedeutung.

Unter Anthracen und Pikrinsäure sind die unmittelbaren Ergebnisse der Analyse verzeichnet, welche die Summe der verbundenen und der unver- bundenen Mengen beider Bestandteile angeben. Um zu bestimmen, wieviel die unverbundenen Anteile betragen, sind Löslichkeitsbestimmungen der bei- den Bestandteile in reinem Zustande ausgeführt, die in der ersten und der letzten Spalte angegeben sind. Alle Lösungen, welche mit festem Anthracen im Gleichgewicht sind, müssen die Menge 0-176 davon enthalten, und das Anthracen, welches sich mehr in ihnen findet, ist als Pikrat vorhanden. Dasselbe gilt für die mit Pikrinsäure gesättigte Lösung. Auf diese Weise sind die freien! Anteile, bez. die Mengen des Pikrats in den verschiedenen Lösungen berech*! net. Aus der Zusammensetzung der Lösung 6 im Vergleich mit der von ll; muss man den gleichen Gehalt an Pikrat finden, da beide mit festem Pikral im Gleichgewicht sind. Führt man die Rechnung aus, so findet sich Über- einstimmung, wenn auch wegen der ziemlich bedeutenden Versuchsfehler n eine massige*).

Bildet man schliesslich den Ausdruck a^a^/b, wie er in der unters Reihe angegeben ist, so findet er sich konstant, bez. unregelmässig um eine) Mittelwert schwankend. In den Lösungen 2 bis 6 ist a^ konstant, somit am a^/b = const.; in den Lösungen 6 bis 11 ist b konstant, somit a^a, »« const

') Darum ist in der Lösung 6 der Gehalt an freiem Anthracen mil

0183 statt 0-176 angegeben.

Gleichgewichte höherer Ordnung. 371

Die Lösungen 6 und 11 stellen den Fall dar, dass zwei feste Phasen vorhan- den sind; für diese giebt es nur eine Zusammensetzung unabhängig von den Mengen der anwesenden Bestandteile. Die dritte konstante Lösung, die mit Anthracen und Pikrinsäure im Gleichgewicht wäre, ist nicht herzustellen ver- sucht worden. Sie liegt im instabilen Gebiete, doch ist nicht ausgeschlossen, dass es noch das metastabile Gebiet ist, und dann wäre die Herstellung der entsprechenden Lösung möglich, wenn sie auch sich als übersättigt in Bezug auf das Pikrat verhalten würde.

Ein weiterer interessanter Fall der Lösungsgleichgewichte ist der mit zwei flüssigen Phasen. Hat man zwei Flüssigkeiten, die inein- ander wenig löslich sind, und bringt einen Stoff dazu, der sich in beiden auflösen kann, so wird er sich zwischen beiden Lösungsmitteln verteilen, wie sich ein Gas zwischen dem Gasraume und einem flüssigen Lösungs- mittel verteilt. Das Gesetz von Henry, dass die Konzentrationen in den Phasen in einem konstanten Verhältnis stehen, lässt sich auf diesen Fall wörtlich anwenden. Man nennt dies Verhältnis den Teilungskoeffi- zienten. Bei der Lösung der Gase wurde die Konzentration in der Flüssigkeit naturgemäss auf die im Gasraume bezogen; im Falle zweier Flüssigkeiten hat keine von ihnen einen natürlichen Vorzug, und man muss bei der Angabe eines Teilungskoeffizienten nicht versäumen, anzu- geben, welche Flüssigkeit als Bezugsstoff dienen soll. Giebt man z. B. den Teilungskoeffizenten der Bemsteinsäure zwischen Wasser und Äther zu 6*0 an, so ist gemeint, dass die Gleichung erfüllt ist:

Konzentration im Wasser

Konzentration im Äther

Das Stattfinden dieses Gesetzes ist von Berthelot und Jungfleisch (1872) entdeckt und an einer Anzahl von Beispielen nachgewiesen worden. Spätere mannigfaltige Anwendungen des Gesetzes haben seine ausge- dehnte Gültigkeit und Genauigkeit gezeigt. Als Beispiel diene die folgende Beobachtungsreihe mit Bemsteinsäure.

Konzentration im Wasser im Äther Verhältnis

424 7-1 60

43-8 74 6-0

47-4 7.9 60

Untersucht man das Gleichgewicht in weiterem Umfange, so zeigt sich der Teilungskoeifizient etwas veränderlich. Dies kann von zwei Gründen herrühren. Einmal ist oft der Zustand des gelösten Stoffes mit der Ver- dünnung veränderlich, indem chemische Wirkungen mit einem oder dem anderen der Lösungsmittel eintritt. Der Einfluss eines derartigen Vor- ganges auf den Teilungskoeffizienten ergiebt sich aus den S. 353 angestellten Betrachtungen. Wird durch den Vorgang die Molenzahl der Verbindung kleiner, als die des ursprünglichen Stoffes, so vermehrt sich die Menge der Verbindung verhältnismässig mit steigender Konzentration. Nehmen

24*

372 YllL. Chemische Mechanik.

wir an, dass dieser Anteil wesentlich in derselben Lösung verbleibt (was in den meisten Fällen zutreffen wird), so muss der Teilungskoeffizient zu Gunsten dieser Lösung mit steigender Konzentration wachsen, und mit abnehmender abnehmen. Umgekehrt wird ein Stoff, der eine Ver- m^irung der Molenzahl durch den chemischen Einfluss des Lösungsmittels erföhrt, sich bei steigender Verdünnung mehr und mehr hi der Losung ansammeln, in welcher dieser Einfluss stattfindet. Bleibt endlich die Molenzahl unverändert, so hat die Verdünnung keinen Einfluss auf den Teilungskoeffizienten, wenn auch chemisdie Vorgänge zwischen dem ge- lösten Stoffe und dem Lösungsmittel stattfinden.

Ein zweiter Grund, der eine Veränderlichkeit des Teilungskoeffizienten bewirken kann, sind die Abweichungen von den einfachen Lösungsge- setzen, die bei grösserer Konzentration antreten. Dadurch wird nicht nur das V^halten der Stoffe zu den einzelnen Lösungen geändert, sondern die gegenseitige Löslichkeit der beiden Lösungsmittel, die immer vorhanden ist, wenn sie auch klein sein kann, erfährt durch die An- wesenheit erheblicher Mengen des dritten Stoffes eine Beeinflussung. Diese wird in den meisten Fällen in einer Vermehrung der gegenseitigen Löslichkeit bestehen, und die Teilungskoeffizienten beziehen sich nicht mehr auf die früheren Lösungsmittel, sondern auf geänderte.

Wird der dritte Stoff erheblich vermehrt, so nimmt die gegenseitige Löslichkeit der beiden anderen in solchem Masse zu, dass endlich eine homogene Lösung entsteht. Wir haben es wieder mit einer kritischen Erscheinung (S. 325) zu thun, bei welcher zwei Phasen durch stedge Übergänge miteinander identisch werden, doch ist in diesem Falle eine grössere Mannigfaltigkeit vorhanden. Denken wu* uns, um eine An- schauung zu haben, als ursprüngliche Flüssigkeiten Äther und Wasser, so steUen sich diese ins Gleichgewicht, indem jede von der anderen etwas auflöst. Wird nun Alkohol ^zugefügt, so verteilt sich dieser zwischen beiden Phasen. Gleichzeitig werden Äther und Wasser lös- licher ineinander und die beiden Schichten kommen sich in ihrer Zu- sammensetzung näher. Bei weiterem Zusatz von Alkohol ist dies mehr und mehr der Fall, und schliesslich werden beide Schichten identisch, und gehen in eine zusammen, gerade wie beim kritischen Punkt einer einheitlichen Flüssigkeit diese mit ihrem Dampfe identisch wird und beide sich vereinigen. Die Zusammensetzung, auf welche beide Schichten bis zum kritischen Punkte zustreben, ist offenbar eine ganz bestimmte.

Denken wir uns ähnlich wie in Fig. 37, S. 325 die Zusammen- setzung der beiden Schichten in Bezug auf das Veriiältnis zwischen Äther und Wasser nach oben, und die Zusätze an Alkohol nach redits aufgetragen, so erhalten wir eine Linie, die ganz ähnhch verlaufen wird, wie die Linie der gegenseitigen Löslichkeit zweier Flüssigkeiten. Nur tritt als Veränderliche hier nicht die Temperatur auf, sondern die Alko- 1 holmenge. Durch die beiden Stücke der Ordinate im kritischen Punkte wird die Zusammensetzung in Bezug auf Äther und Wasser, durch die

1

Gleichgewichte höherer Ordnung. 373

Absdsse die in Bezug auf Alkohol angegeben; alle drei Verhältnisse sind somit vollkommen bestimmt.

Infolge des Vorhandenseins dreier Bestandteile ist indessen die Zahl der Freiheitsgrade erhöht, und zwar, wenn man keine Dampiphase zu- lässt, auf drei. Die Bedingung, dass ein kritischer Punkt vorhanden sein soll, verfugt über einen von diesen; der kritische Punkt selbst hat daher noch eine zweifache Veränderlichkeit nach Druck und Temperatur. In Bezug auf den Druck kann auf das bei Gelegenheit des kritischen Lösungspunktes binärer Gemische Gesagte verwiesen werden (S. 325); sein Einfluss ist wegen der kleinen Volumänderungen äusserst gering, und liegt in dem durch die Regel vom Widerstand gegebenen Richtung. Die Temperatur wirkt (S. 324) in den meisten Fällen steigernd auf die gegenseitige Löslichkeit; daher wird bei höherer Temperatur im all- gemeinen ein immer geringerer Zusatz des dritten Stoffes nötig sein, um den kritischen Punkt hervorzubringen. Während also im Falle der binären Gemische die kritische Temperatur und die kritische Zusammen- setzung abgesehen von dem verschwindenden E^influsse des Druckes nur von der chemischen Natur der Stoffe abhing, so sind hier beide mit- einander veränderlich, und man kann durch die Änderung der Zu- sammensetzung den kritischen Punkt innerhalb gewisser Grenzen auf jede beliebige Temperatur legen.

Hierdurch wird, wenn diese Verhältnisse in der eben geschilderten Weise durch Kurven wiedergegeben werden sollen, flir jede Temperatur eine neue Kurve nötig. Man kann sich die Temperaturen senkrecht zur Zeichenebene auftragen, und die einzelnen Kurven entsprechend in parallelen Ebenen übereinander schwebend denken. Dann bildet ihre Gesamtheit eine krumme Fläche, deren Gestalt die vorhandenen Gleich- gewichte für alle Temperaturen übersehen lässt.

Die bei binären Gemischen beobachteten Verschiedenheiten in Be- zug auf den Einfluss der Temperatur finden sich auch hier wieder, in- dem es obere wie untere kritische Punkte (S. 325) giebt. Erstere stellen den häufigeren Fall dar; letztere kann man bei ätherhaltigen Gemischen beobachten.

In ähnlicher Weise, wie hier die Gleichgewichte dritter Ordnung, lassen sich die Fälle behandeln, in denen noch mehr Bestandteile sich ver- binden. Wenn auch die Verhältnisse entsprechend verwickelter werden, so treten doch keine wesentlich neuen Gesichtspunkte auf, und die Ge- winnung eines Überblickes über die vorhandenen Beziehungen lässt sich nach den dargelegten allgemeinen Grundsätzen bewerkstelligen. Ein Ein- gehen auf die Einzelheiten würde über den Rahmen dieses Werkes hin- ausgehen.

Die bisherige Behandlung des Gleichgewichtsproblems geschah in wesentlich formaler Weise, indem die Gestalt der Beziehungen zwischen den bestimmenden Grössen, nicht aber ein etwaiger Zusammenhang

374 VIII. Chemische Mechanik. Gleichgewichte höherer Ordnung.

zwischen den Konstanten und der chemischen Natur der beteiligten StoiFe berücksichtigt worden ist. Die letztere Aufgabe gehört ihrem Wesen nach der beschreibenden Chemie an, und die künftigen Lehr- bücher werden solche Daten ebenso wie etwa Schmelz- und Siede- punkte bringen. Einstweilen ist allerdings die Kenntnis dieser Grössen noch viel zu wenig entwickelt , als dass sie als allgemeines Hilfs- mittel der Beschreibung verwendet werden könnten. Was an Beziehungen in dieser Richtung bekannt geworden ist, wird an späterer Stelle er- örtert werden.

Schliesslich gestattet die allgemeine Auffassung der chemischen Gleichgewichte im Sinne des Phasengesetzes eine Beantwortung der Frage nach der Kennzeichnung eines chemischen Individuums, die uns bereits am Anfange unserer Betrachtungen entgegengetreten war (S. 2). Ein chemisches Individuum ist ein Stoff, den wir als Phase von konstanter Zusammensetzung behalten, wenn wir seine Zustandsbedingungen (Temperatur, Druck, Zusammen- setzung der anderen gegenwärtigen Phasen) stetig innerhalb eines gewissen Umfanges (des Existenzgebietes dieses Stoffes) verändern (Wald 1897).

Dadurch unterscheidet sich ein chemisches Individuum von einer Lösung, deren Zusammensetzung als Bestandteil eines Gebildes aus mehreren Phasen sich mit den Umständen stetig ändert. Beispiele sind die Lösungen fester Stoffe in Flüssigkeiten, die Gaslösungen u. s. w. Aber auch solche Fälle, in denen die Phase in Bezug auf gewisse Änderungen konstant in der Zusammensetzung bleibt, wie z. B. die kon- stant siedenden Lösungen mit maximalem oder minimalem Dampfdrucke (S. 323) lassen sich durch dasselbe Kriterium erkennen. Solche Lösungen, die zwei Phasen gleicher Zusammensetzung bei bestimmter Temperatur und dem entsprechenden Drucke ergeben, ändern die Zusammsetzung der beiden Phasen, wenn man die Temperatur und den zugehörigen Druck ändert Eben dieses Kennzeichen hat in dem angegebenen Falle dazu gedient, die konstant siedenden Gemische als Lösungen zu erkennen, und ihnen den Anspruch auf die chemische Individualität abzusprechen.

Für die auf solche Weise gekennzeichneten konstanten Phasen gelten nun die im ersten Buche entwickelten stöchiometrischen Gesetze. Man darf die Überzeugung aussprechen, dass letztere sich künftig aus der eben gegebenen Begriflsbestimmung des chemischen Individuums werden ableiten lassen; doch ist trotz wichtiger Vorarbeiten in dieser Ricli- tung (Wald, seit 1895) der Zusammenhang beider noch nicht so klar und übersichtlich hergesteUt worden, dass er sich an dieser Stelle er- örtern liesse.

IX. Elektrochemie. Allgemeines. 375

Neuntes Buch.

Elektrochemie.

Erstes Kapitel. Allgemeines.

Ein Stab von völlig reinem Zink wird von verdünnter Schwefel- säure nicht angegriffen, ebensowenig ein solcher von Platin. Taucht man aber gleichzeitig einen Zink- und einen Platinstab in die verdünnte Schwefelsäure, und bringt die herausragenden Enden entweder unmittel- bar oder mit Hilfe eines metallischen Drahtes in Belehrung, so löst sich das Zink auf und der aus der Schwefelsäure verdrängte Wasserstoff er- scheint am Platin. Gleichzeitig hat der verbindende Draht besondere Eigenschaften angenommen: hält man ihn einer Magnetnadel paraUel, so wird diese aus ihrer Lage abgelenkt; trennt man ihn an einer Stelle und setzt die Enden auf ein mit einer Salzlösung befeuchtetes Lackmus- papier, so entsteht an der Zinkseite ein blauer, an der Platinseite ein roter Fleck; endlich erwärmt sich der Draht. Alle diese Erscheinungen h(Mren auf, sowie man eines der Metalle aus der Flüssigkeit entfernt.

Diese Erscheinungen zeigen, dass bei der beschriebenen Anordnung der chemische Vorgang zwischen Zink und Schwefelsäure Wirkungen an Orten (nämlich im Draht) hervorbringt, wo er nicht stattfindet. Es muss daher die chemische Energie, welche an der Stelle, wo die Schwefelsäure das Zink angreift, hervorgebracht wird, in eine andere Energieform über- gegangen sein, welche fähig ist, sich durch Metalle oder Flüssigkeiten fortzubewegen, und welche mechanische, chemische und thermische Wirkungen an beliebigen Orten ihrer Bahn leisten kann.

Die einzige Veränderung, welche man hierbei in den Eigenschaften der beteiligten Stoffe wahrnehmen kann, ist die, dass die Metalle elek- trisch geworden sind, und zwar zeigt das Zink sich negativ, das Platin positiv elektrisch geladen. Verbindet man beide Metalle durch einen Leiter, so verschwinden diese Unterschiede nicht, denn nach Entfer- nung des Leiters findet man die Metalle wieder geladen. Anderereeits wissen wir, dass elektrische Ladungen in metallischen Leitern sich aus- gleichen. Es bleibt also nur der Schluss übrig, dass zwar die Aus- gleichung der Elektrizität durch den verbindenden Leiter beständig be- wirkt wird, dass aber ebenso beständig sich die elektrischen Ladungen in den Metallen wieder herstellen. Durch diesen Vorgang entsteht in dem Gebilde das, was man einen elektrischen Strom nennt.

Dieser elektrische Strom ist zeitlich wie ursächlich mit dem che- mischen Vorgang am Zink verbunden. Zeitlich insofern, als er aufhört, wenn der chemische Vorgang am Zink auf irgend ein Weise verhindert wird; ursächlich insofern, als er Arbeit leisten kann und somit einen Energieinhalt besitzt. Die einzige verfiigbare Energiequelle aber ist hier

376 IX. Elektrochemie.

der chemische Vorgang. Man kann also sagen, dass bei der beschrie- benen Anordnung die chemische Energie sich in elektrische Energie verwandelt.

Diese Verwandlung muss zunächst dem Äquivalenzgesetz unter- worfen sein. Während bei der Auflösung des Zinks in Schwefelsäure, wie sie gewöhnlich vorgenommen wird, alle chemische Energie sich in Warme verwandelt, muss hier um so weniger Wärme an der Angrifis- stelle erscheinen, je mehr elektrische Energie in den Verbindungsdraht tibergeht. Lässt man letztere sich gleichfells in Wärme verwandeln, so muss die Summe aller erzeugten Wärmemengen konstant und gleich der Auflösungswärme des Zinks sein.

Diese Folgerungen des Energieprinzipes sind von Joule und na- mentlich von Favre (1854) eingehend geprüft und bestätigt worden. Man kann einer aus Zink, Schwefelsäure und Platin bestehenden An- ordnung, die man eine Voltasche Kette zu nennen pflegt, mdir als die Hälfte der Lösungswärme des Zinkes in Form von elektrisdier Energie entziehen; verwandelt man aber diese (indem man den Strom durch lange dünne Drähte leitet) in Wärme, so erscheint genau die ent- zogene Wärmemenge wieder.

Man kann die elektrische Energie, die man aus der chemischen erhält, ihrerseits in mechanische Arbeit umwandeln, indem man sich d^r elektromagnetischen Kräfte bedient. Dann wird die gesamte Wärmeent- wickelung kleiner sein, und zwar um so viel, als der Wärmewert der mechanischen Arbeit beträgt. Diese Folgerung des Energiesatzes ist gleichfalls durch Favre bestätigt worden.

Endlich kann man die erhaltene elektrische Energie zu chemischen Arbeiten verwenden. Leitet man den Strom mehrerer solcher galvani- scher Elemente in zwei Platinplatten, welche in verdünnter Schwefel- säure stehen, so wird an ihnen Sauerstoff und Wasserstoff frei. Die gesamte Wärmeentwickelung ist wieder geringer als vorher, und zwar um genau so viel, als die Verbindungswärme des frei gewordenen Knall- gases beträgt. Auch hier ist das Energiegesetz wie immer streng erfüllt

Wie die anderen Energieformen erscheint auch die elektrische Energie als Produkt zweier Faktoren, von denen man den einen Elektrizitätsmenge, den anderen Potential, Spannung oder elek- tromotorische Kraft nennt. Der erste Faktor ist eine Kapazität, der zweite eine Intensität; es wird somit die elektrische Energie in einem Gebilde, in welchem sie sich frei bewegen kann, einen dauernden Zustand nur behaupten können, wenn überall die zweite Grösse glach ist Ist letzteres nicht der Fall, so erfolgt eine Zustandsänderung, ans welcher man Arbeit gewinnen kann, ähnlich wie man aus entsprechen- den Zustandsänderungen der Wärme oder anderer Energieformen Arbdt gewinnen kann. v

Den anderen Faktor, die Elektrizitätsmenge, pflegt man meist als das eigentlich Reale, was den elektrischen Erscheinungen zu Grunde liegt, anzu-

Allgemeines. 377

sehen y und die ganze Nomenklatur der Elektrizitätslehre ist dieser Vor- stellung entsprechend gebildet. So zweckmässig für manche Dinge sich diese Anschauungsweise gezeigt hat, so muss doch beachtet werden, dass das eigent- lich Reale der elektrischen Erscheinungen die elektrische Energie ist, und dass der erwähnten Anschauungs- und Bezeichnungsweise nur der Wert eines für manche Fälle anschaulichen und zweckmässigen Bildes zukommt.

Eine elektrische Energie ist das Produkt einer Elektrizitätsmenge und einer Spannung*). Nennt man die Elektrizitätsmenge, welche in einem galvanischen Strome während einer Sekunde durch den Quer- schnitt des Leiters geht, die Stärke i des Stromes , und die Spannung zwischen zwei Stellen des Leiters E, so ist die dieser elektrischen Be- wegung entsprechende Energie nach der Definition gleich Ei. Wenn der Strom in dem betrachteten Leiterstück keinerlei äussere Arbeit leistet^ so geht seine Energie völlig in Wärme über; bezeichnen wir diese mit W, so haben wir

W = Ei.

Die Art und Weise, wie sich die elektrische Energie in Wärme um- setzt, pflegt man sich ebenso vorzustellen, wie sidi die mechanische Arbeit einer strömenden Flüssigkeit in Wärme umsetzt: durch eine Art Reibung, welche sich der Elektrizitätsbewegung entgegenstellt, und deren Überwindung die Umwandlung von anderer Energie in Wärme bedingt. Die Spannung der Elektrizität entspricht dann dem Drucke, unter welchem die Flüssigkeit sich bewegt. Diesen Vorstellungen entsprechend definiert man den Widerstand R eines Leiters als das Verhältnis zwischen der Spannung E und der vermöge derselben in der Zeiteinheit durch den Leiter gedrückten Elektrizitätsmenge, oder der Stromstärke i. Wir haben somit

E E

R = -7- oder i = ^=:' 1 R

Dies ist das berühmte Gesetz von Ohm, dass die Intensität oder Stromstärke gleich dem Verhältnis zwischen Spannung und Widerstand ist Die Erfahrung hat es in weitestem Umfange bestätigt, und es ist als ein allgemeingültiges Naturgesetz anzusehen, welches unabhängig von der erwähnten Vorstellung über die Natur des elektrischen Widerstandes seine Geltung hat.

Ersetzt man in der oben gefundenen Gleichung W = E i die Spannung E durch den gleichbedeutenden Wert E = iR, so folgt

W = i«R.

Die Wärmemenge, welche beim Durchgang der Elektrizität durch einen Leiter entwickelt wird, ist bei gleichem Widerstände proportional

*) Dieser kurze Ausdruck soll fortlaufend für die längeren „Potential - differenz" oder „elektromotorische Kraft" gebraucht werden.

378 I^- Elektrochemie.

dem Quadrat der Stromstärke (der in einer Sekunde durchgehenden Elektrizitätsmenge); und bei gleicher Stromstärke proportional dem Wider- stände. Der Satz ist von Joule (1841) experimentell aufgefunden und vielfach bestätigt worden.

Für die oben definierten Grössen hat man Einheiten emgeführt, welche in hier nicht darzulegender Weise aus den elektrostatisdhen, i resp. elektromagnetischen Vorgängen abgeleitet sind. Als Einheit des i Widerstandes dient der Widerstand eines Quecksilberfadens von 106-23 cm i Länge und 1 qmm Querschnitt bei 0®; dieser Widerstand wird ein Ohm genannt. Die Einheit der Spannung ist so bestimmt, dass die , Spannung einer Voltaschen Kette aus Gadmium und Queckalber mit den gesättigten Lösungen ihrer Sulfate 1*0186 beträgt; sie wird Volt ,

E genannt Durch diese beiden Einheiten ist gemäss der Formel I = -

R I

die Einheit der Elektrizitätsmenge bestimmt: es ist diejenige Elektri- {

zitätsmenge, welche in einer Sekunde durch den Querschnitt eines Leiters

fliesst; zwischen dessen Enden die Spannung von einem Volt herrscht, i

und dessen Widerstand gleich einem Ohm ist. Man nennt sie em |

Coulomb und die entsprechende Stromstärke ein Ampere. ,

Diese Grössen sind so gewählt, dass die elektrische Energie

Volt X Coulomb gleich 10'' absoluten Einlieiten ist Sie ist bereits ^

früher (S. 88) als allgemeine praktische Einheit der Energie unter dem |

Namen Joule eingeführt worden. Auf Grund der dort mitgeteilten .

Zahlen ergiebt sich daher als anschaulicher Wert des Joule, dass ein

Strom, welcher mit einer Spannung von 1 Volt während einer Sekunde

durch einen Widerstand von 1 Ohm geht, wobei 1 Coulomb in Be- ^

wegung gesetzt ist, so viel Wärme entwickelt, um 1 g Wasser von 0^ '

auf 0-239® zu erwärmen. '

Zweites Kapitel. Das Gesetz von Faraday. i

Die Elektrizitätsbewegung erfolgt in den Körpern, welche eine solche i überhaupt gestatten, nach zwei verschiedenen Weisen. Die Leiter i erster Klasse erfahi-en, wenn eine Ausgleichung elektrischer Energie durch sie hindurch erfolgt, nur eine Erwärmung nach dem Gesetz von Joule (S. 377) und sonst keinerlei materielle Veränderung. Zu dieser Klasse gehören die Metalle und ihre Legierungen, die Kohle und einige andere Stoffe. ,

Die Leiter zweiter Klasse vermögen eine Elektrizitätsbewegung , nur auf die Weise zu vermitteln, dass gleichzeitig eine chemische Ver- j änderung in ihnen vorgeht Zu ihnen gehören vor allen Dingen die , Salze hl gelöstem und geschmolzenem Zustande, femer die wässerigen j Lösungen von Säuren und Basen, lauter zusammengesetzte Stoffe. .

Das Gesetz von Faraday. 379

In solchen Leitern zweiter Erlasse oder Elektrolyten erfolgt die Bewegung der Elektrizität so, dass von der positiven Seite des Strom- kreises nach der negativen die Metalle und metallähnlichen Radikale der Salze und Basen, sowie der Wasserstoff der Säuren wandert; in ent- gegengesetzter Richtung wandern die Säureradikale oder die entsprechen- den Elemente, wie Chlor, Brom, Jod, sowie das Hydroxyl der basischen Körper. Wo die Elektrolyte an andere Leiter grenzen, werden diese Be- standteile oder Ionen entladen, und die Stoffe abgeschieden.

Von Faraday (1833) ist das allgemeine Gesetz entdeckt worden, dass gleiche Elektrizitätsmengen, wenn sie durch verschiedene Elektrolyte gehen, äquivalente Mengen ihrer Bestandteile für den Transport in An- spruch nehmen. Schaltet man in einen und denselben Stromkreis (in welchem sich nach den Gesetzen der Elektrizitätslehre in gleichen Zeiten gleiche Elektrizitätsmengen durch jeden Querschnitt bewegen) verschiedene Elektrolyte ein, so stehen sowohl die Mengen der ausgeschiedenen Metalle und des Wasserstoffs, wie auch die Mengen der ausgeschiedenen Säure- radikale in äquivalenten Verhältnissen.

Das Äquivalent eines Elements ist, wie bekannt, ein Verbindungsgewicht, dividiert durch seine Valenz. Hat man in demselben Stromkreise hinter- einander beispielsweise Lösungen von Silbemitrat, Kupfersulfat und Anti- monchlorid, so stehen die gleichzeitig ausgeschiedenen Metallmengen in dem Verhältnis 108 Silber zu 7*63-3 Kupfer zu Vs^^O Antimon. Von den Säure- radikalen wird gleichzeitig NO*, Va^O* und VsCl* abgeschieden.

Die elektrolytischen Teilmolekeln oder Ionen verhalten sich so, als hätte jedes von ihnen einen gleich grossen Behälter oder Fassungsraum für die Elektiizität, so dass durch eine gleiche Zahl derselben, unabhängig von ihrer Natur, gleich Ndel Elektrizität befördert wird.

Es giebt bekanntlich einzelne Stoffe, namentlich Metalle, welche mit verschiedener Valenz wirken können, so Quecksilber oder Kupfer ein- and zweiwertig, Zinn zwei- und vierwertig. Eisen zwei- und dreiwertig. Je nachdem die einen oder die anderen Verbindungen dieser Metalle zur ßtromleitung verwendet werden, befördert jedes Atom so vielmal die einem euiwertigen Atom entsprechende Elektrizitätsmenge, als das Metall in der vorliegenden Verbindung Valenzen bethätigt.

Nimmt man die mit 1 g Wasserstoff wandernde Elektrizitätsmenge als Einheit an, so führen 63-3 g Kupfer in den "Cuproverbindungen eine Einheit, in den Cupriverbindungen deren zwei mit sich. Ebenso fuhren 56 g Eisen in den Ferroverbindungen zwei, in den Ferriverbindungen drei Einheiten. Die Atomgruppe Fe(CN)ß transportiert als Bestandteil des gelben Blutiaugensalzes vier, als Bestandteil des roten nur drei Ein- heiten (negativer) Elektrizität u. s. w. Entsprechend dieser Beschaffenheit werden wir fortiaufend ein-, zwei-, dreiwertige Ionen u. s. w. unter- scheiden. Wasserstoff und Metalle, mit welchen die positive Elektinzität wandert, nennt man positive Ionen oder Kationen; Hydroxyl, Halogene

330 IX. Elektrochemie.

und andere Säureradikale, mit welchen die negative Elektrizität sich be- wegt^ heissen negative Ionen oder Anionen.

Man muss sich, wenn man das Faradaysche Gesetz verstehen will, vor dem Irrtum hüten, als sei die Ausscheidung der Teilmolekeln an den Elektroden, d. h. den Stellen, wo die Elektrizität die elektrolytische Flüssigkeit verlässt, um in metallische Leiter überzugehen, der einzige Inhalt des Gesetzes. Das ist nicht der Fall ; das Gesetz bezieht sich vielmehr auf jede Elektrizitätsbewegung irgend welcher Art im Leiter zweiter Klasse. Wohl aber sind die Ausscheidungen der Ionen an den Elektroden das einzige Mittel, um die Genauigkeit des Faradayschen Gesetzes zu prüfen. Soweit diese Prüfung bis jetzt geführt worden ist, hat sich das Gesetz als streng erwiesen: es ist stets die Elektrizitätsmenge genau proportional der Menge der ausgeschiedenen Ionen, und letztere stehen für gleiche Elektrizi- tätsmengen genau im Äquivalentverhältnis. Insbesondere ist für die von ver- schiedenen Forschern als möglich angesehene „metallische^^ d. h. von der lonenbewegung unabhängige Elektrizitätsleitung nicht das kleinste Anzeichen gefunden worden.

Da das Faradaysche Gesetz für alle Elektrizitätsbew^egungen in Elektrolyten gilt, so mnss auch die Elektrizitätsentwickelung in de^ Voltaschen Kette (S. 375) dadurch bestimmt sein. Wenn in der ZuJ sammenstellung Zink, verdünnte Schwefelsäure, Platin die Ionen der Schwefelsäure so wandern, dass die Atomgruppe SO* zum Zink gehl^ und mit demselben Zinksulfat bildet, wälu*end H^ zum Platin geht und dort in Wasserstoff übergeht, so müssen bei der Auflösung von 654g Zink, oder dem Zeiiall von 98 g Schwefelsäure genau zwei der oben definierten Einheiten der Elektrizitätsmenge in Bewegung gesetzt werden. Man kann allgemein sagen: jedes galvanische Element bethätigt beim Verbrauch von einem Äquivalentgewicht des Metalls unabhängig von der Natur desselben und von der Beschaffenheit des chemischen Vorganges dieselbe Elektrizitätsmenge.

Es ist ffSLT viele Aufgaben von Interesse, die mehrfach erwähnte Elektrizitätsmenge zu kennen, welche an 1 g Wasserstoff oder der äqui- valenten Menge eines anderen Ions haftet. Nach den Versuchen von F. Kohlrausch und Lord Rayleigh beträgt diese Elektrizitätsmenge 96540 Coulombs. Umgekehrt bedarf ein Coulomb zu seiner Wande- rung in einem Elektrolyten 0-000001036 Gramm-Äquivalent eines be- liebigen Ions.

Die eben erwähnte Folgerung aus dem Gesetze von Faraday, dass jedes galvanische Element beim Verbrauch eines Gramm-Äquivalents seiner wirksamen Stoffe die konstante Elektrizitätsmenge von 96540 Coul. in Bewegung setzt, ist von Benault (1867) in weitem Umfange bestätigt worden. Insbesondere haben sich dabei zahlreiche Beispiele dafür ergeben, dass je nach der Natui der Verbindungen ein Metall verschiedene, in rationalen Verhältnissen stehende elektrochemische Äquivalente haben kann. So werden 96540 Coul. bewegt durch 200 g Quecksilber, wenn sich dasselbe in verdünnter Salpetersäure zu

Die elektrolytische Leitung. 331

Merkuronitrat löst, dagegen schon dnrdi 100g desselben Metalls, wenn es von Cyankaliumlösong zu Cyanid, Hg(CN)*, gelöst wird. In verdünnter Salz- säure ist das elektrochemische Äquivalent des Kupfers 63*3, indem dasselbe in Chlorür übergeht, in verdünnter Salpetersäure ist es 31*7, wobei sich Cuprinitrat bildet. Zinn wirkt meist mit dem Äquivalent Vi^l^; ^^ Kalium - pentasulfid aber, wo es sich als SnS' löst, ist sein Äquivalent nur V4ll^- Tellur hat in Salzsäure das Äquivalent ^^126, in Kalilauge */^12b u. s. w. Man hat früher das Faradaysche Gesetz in dieser und der irüher erwähnten, auf Elektrolyse bezüglichen Form dahin missverstanden, als bedmge die gleiche Elektrizitätsmenge bei den verschiedenen äquivalenten Stoffen den gleichen Aufwand, resp. Gewinn an Arbeit; insbesondere hat Berzelius von diesem Missverständnis aus das Gesetz heftig bekämpft. Aus der eingehaltenen Darstellung geht hervor, dass es sich hier gar nicht um Arbeits- oder Energieverhältnisse handelt. Das Faradaysche Gesetz bezieht sich nur auf den einen Faktor der elektrischen Energie, die Elektrizitätsmenge; der andere Faktor derselben, die Spannung, bleibt völlig ausser Betracht.

Drittes Kapitel. Die elektrolytische Leitung.

Es ist schon früher hervorgehoben worden, dass bei weitem nicht alle zusammengesetzten Stoffe die Fähigkeit haben, die Elektrizität elektrolytisch, d. h. vermittelst wägbarer Massenteilchen zu leiten. Die- selbe kommt hauptäächUch den wässerigen Lösungen von Salzen, Säuren und Basen, sowie denselben Stoffen im geschmolzenen Zustande zu; sie zeigt sich nur an solchen Stoffen, welche fähig sind, ihre Bestandteile augenblicklich auszutauschen.

Überlegt man, dass nach dem Faradayschen Gesetz bei der elektro- lytischen Leitung wägbare Stoffe mit positiver Elektrizität in einer, solche mit negativer Elektrizität in der anderen Richtung sich bewegen müssen, 80 sieht man, dass die Fähigkeit der Leitung eines Stoffes von seiner Fähigkeit, derartige Vehikel der Elektrizität zu bilden, abhängig ist. Nun ist die elektrische Energie eine Energieform von binärer, und zwar polarer Beschaffenheit, d. h. es können nie positive oder negative Elektrizitätsmengen allein entstehen, sondern immer nur beide gleichzeitig nnd in solchen Mengen, dass ihre algebraische Summe gleich Null ist. Wenn also ein Stoff fähig sein soll, eine elektrolytische Leitung zu be- wirken, so muss er sich in äquivalente Anteile spalten, welche gleich grosse Summen positiver Elektrizitätsmengen einerseits, negativer anderer- seits überführen können. Diese Anteile nennt man die Ionen des ur- Bprünglichen, unelektrisehen und nichtleitenden Stoffes, und zwar Kationen

382 I^* Elektrochemie.

die, welche im Sinne der positiven, und Anionen die, welche im Sinne des negativen Stromes wandern.

Man hat daher früher der Elektrizität die Fähigkeit zugeschriehen^ beim Eintritt in den Elektrolyten diese Spaltung zu bewerkstelligen und sich dann der Bruchstücke zu ihrer Wanderung zu bedienen. Gegen diese Vorstellung sprechen indessen verschiedene Thatsachen. Zu einer derartigen Spaltung müsste offenbar eine bestimmte Arbeit erforderlich sein. Nun bewegt sich aber die Elektrizität erfahrungsgemäss in elektro- lytischen Leitern mit derselben Freiheit, wie hi metallischen, Ar eine solche Arbeit bleibt also kein Raum. Glausius hat deshalb (1857) in unbewusster Übereinstimmung mit einer von Williamson (1851) zu ganz anderen Zwecken entwickelten Anschauung angenommen, dass die elektro- lytischen Stoffe zu einem kleinen Teil von vornherein in ihre Bestand- teile zerfallen sind; dieser von selbst zerfallenen Anteile bediene sich die Elektrizität zur Bewegung, die somit die Zerlegung nicht erst zu bewerk- stelligen hat.

Es fragt sich nun alsbald, vrie gross der Anteil des zerfallenen Stoffes in einem bestimmten Elektrolyt, z. B. einer normalen Lösung von Chlorkalium (74*5 g im Liter) sei. Clausius hatte die Frage unbe- antwortet gelassen und nur im allgemeinen gemeint, der Anteil brauche nicht gross zu sein. Auf Grund einer Untersuchung über den Einfluss der Verdünnung auf die elektrolytische Leitlähigkeit gelangte Arrhenius (1887) zu der gegenteiligen Ansicht, dass in den gewöhnlichen verdünnten Lösungen dieser Anteil recht erheblich ist. Da dieser Schluss auf der Kenntnis des allgemeinen Verhaltens der elektrolytischen Leitfahigkdt beruht, soll dieses zunächst in seinen Grundzügen geschildert werden.

Schaltet man einen Leiter irgend welcher Art in einen Stromkreis, so kommt ihm nach dem Ohmschen Gesetz ein von der Stromstärke unabhängiger Widerstand zu, welcher von seiner chemischen Beschaffen- heit, seiner Temperatur und seiner Form abhängt. Der letztere Einfluss folgt dem Gesetz, dass der Widerstand proportional der Länge und umge- kehrt proportional dem Querschnitt des Leiters ist. Man macht sich von ihm unabhängig, wenn man den Widerstand auf einen cylindrischen oder prismatischen Körper von 1 qcm Querschnitt und 1 cm Länge (z. B. einen Würfel von 1 cm Kantenlänge) bezieht, und nennt den so er- haltenen Widerstand in Ohm den spezifischen Widerstand des fraglichen Stoffes bei der vorhandenen Temperatur.

Bei elektrolytischen Leitern, z. B. Salzlösungen, zeigt sich der Widerstand annähernd im umgekehrten Verhältnis zum Salzgehalt ver- änderlich; dass eine solche Lösung leitet, ist also wesentlich vom vor- handenen Salz abhängig. Es ist deshalb angemessener, an Stelle des Widerstandes W seinen reziproken Wert, die Leitfähigkeit L=l/W einzuführen, welche mit dem Salzgehalt gleichzeitig ab- und zunimmt

Diese Leitfähigkeit ist nun noch mit dem Salzgehalt veränderlich«

i

Die elektrolytische Leitung. 333;

Da nun nach dem Faradayschen Gesetz gleiche Elektrizitätsmengen durch chemisch äquivalente Mengen übergeführt werden, so wird es zweckmässig Bein 7 die Leiti^igkeit auf elektrisch oder chemisch äquivalente Mengen der in der Lösung vorhandenen Salze zu beziehen. Man gelangt zu einer entsprechenden Definition auf folgende Weise.

Wir denken uns ein Gefäss aus zwei pai*allelen Elektrodenflächen von 1 cm Abstand und beliebiger Ausdehnung nebst den erforderlichen nichtleitenden Wänden gebildet. In ein solches Gef^iss denken wir uns ßo viel von der elektrolytischen Flüssigkeit gebracht, dass ein Gramm- Äquivalent des Elektrolyts darin entlialten ist. Dieses Gebilde wbd einen bestimmten Widerstand in Ohm und eine entsprechende Leittähigkeit be- sitzen; wir nennen diese die äquivalente Leitfähigkeit.

Femer können wir uns statt eines Gramm-Äquivalents ein Mol des Elektrolyts in dem Gefäss enthalten denken; dann wird seine Leitfähig- keit die molekulare Leitfähigkeit sein. Letztere ist bei einwertigen Elektrolyten der äquivalenten gleich; bei mehrwertigen ist sie ein ganzes Vielfaches der ersteren.

Die äquivalente und molekulare Leitfähigkeit eines gegebenen Elektrolyt» hängt zunächst von der Temperatm* ab, bei welcher die Bestimmung ge- macht wird, und zwar steigt sie fast ausnahmelos mit steigender Tempera- tur, meist für jeden Grad um etwa zwei Prozent ihres Wertes. Femer hängt sie von der Verdünnung ab, und wächst gleichfalls fast ausnahme- los mit steigender Verdünnung. Diese Zunahme ist sehr bedeutend bei schlechten Leitern, gering bei guten Leitern, und nähert sich mit steigender Verdünnung überall einem Grenzwert, der bei guten Leitern praktisch erreicht werden kann, während bei schlechten Leitern, wie Essigsäure oder Ammoniak, auch bei den äussersten Verdünnungen, die der Messung noch zugänglich sind, die molekulare Leitfähigkeit vom Grenzwert noch, weit entfernt ist.

Die Messung der elektrischen Leitfähigkeit der Elektrolyte ist lange Zeit hindurch eine schwierige Operation gewesen; ein gleichzeitig bequemes- und genaues Verfahren ist erst von F. Kohlrausch (1880) angegeben worden. Weil nämlich solche Messungen an Elektrolyten praktisch fast unausweichlich an die Benutzung von Elektroden gebunden sind, letztere aber, sowie man den Strom aus ihnen in die elektrolytische Flüssigkeit treten lässt, durch die „Polarisation" der Sitz unbekannter elektromotorischer Kräfte werden (s. w. u.),. so lassen sich die gewöhnlich bei Leitern erster Klasse benutzten Methoden hier nicht anwenden. Erst dadurch, dass er die gewöhnlichen Ströme durch Wechselströme, d. h. solche, die unaufhörlich ihre Richtung wechseln, ersetzte,, gelangte F. Kohlrausch dazu, den Einfluss der Polarisation unschädlich zu machen, und eine sichere Messung zu ermöglichen.

Der Apparat von Kohlrausch ist nach dem System der Wheatstoneschen; Brücke zusammengestellt und nachstehend schematisch vorgeführt. Die Wechselströme eines kleinen Induktionsapparates J werden an die Enden a

334 I^' Elektrochemie.

und b eines Drahtes^) von 1 Meter Länge, welcher über eine in Millimeter geteilte Skala ausgespannt ist, geleitet. Dort durchlaufen sie einerseits den Draht adb, andererseits einen Widerstandskasten K und den zu messenden Flüssigkeitswiderstand W auf dem Wege aRcWb. Von c aus geht ein Ver- bindungsdraht nach ad hinüber, welcher vermittelst einer Schlittenyorrichtnng unter metallischer Berührung den Platindraht ab entlang gefuhrt werden kann; in diese Leitung ist ein Telephon T eingeschaltet.

Bekanntlich geht bei einer derartigen Anordnung durch die „Brücke" cd kein Strom, wenn sich die Widerstände R:W verhalten wie'adidb. Dass dieses der Fall ist, erkennt man an dem Schweigen des Telephons T. Man findet demnach die gesuchte Stellung, indem man den Kontakt d

so lange an dem Drahte ab hin- oder herführt, bis man die Stelle, wo das Telephon schweigt, gefunden hat Da R:W«»ad:db, so ist der gesuchte Widerstand W^ = B

j, oder die gesuchte Leit- fähigkeit 4r =* ^ == ^^

W R.db

Um aus der so gefun- denen Leitfähigkeit der in W eingeschalteten Flüssig- keitsmenge die äquivalente, bez. molekulare Leitfähigkeit zu berechnen, muss man sie noch mit der „Kapazität" des Gefässes, sowie mit der Ver- dünnung, der Zahl der Liter, in welcher ein Gramm -Äquivalent, bez. ein Mol des Elektrolyts enthalten ist, multiplizieren. Erstere findet man, wenn man eine elektrolytische Flüssigkeit von bekannter Leitfähigkeit und Zusammen- setzung in das Gefäss giebt und eine Messung macht. Ist M die molekulare Leitfähigkeit der betreffenden Flüssigkeit und V ihre Verdünnung, so ergiebt sich der Faktor K, welcher die in dem Gefäss gemessene Leitfähigkeit in die molekulare verwandelt, aus der Gleichung

__ ^ V.ad , ,. M.R.db M = K.^=;-^rr- oder K

R.db V.ad

Misst man nunmehr eine andere Flüssigkeit von der Verdünnung y, so ist

ihre molekulare Leitfähigkeit ^

■^y. V a u

Die Gefässe, in welchen die Leitfähigkeiten gemessen werden, haben je nach dessen Grösse verschiedene Formen, die durch den Umstand bestimmt werden, dass Widerstände unter 10 und über 10000 Ohm mittelst des Apparates nicht gut zu messen sind. Bei Flüssigkeiten, w^elche gut leiten, hat man daher

') Der Draht kann aus Platin, aber auch aus Konstantan oder einem ähnlichen Widerstandsmetall bestehen und muss einen möglichst grossen Widerstand haben.

Die elektrolytbahe Leitung. 385

GefSaae zu wählen, in welcben die Elektroden ziemlich entfernt, und die Plüssigkeitaschicht zwischen denselben von geringem Querschnitt ist; bei schlechtleitenden Flüssigkeiten niuss das umgekehrte der Fall sein. Die unten- stehenden Zeichnungen Fig. 48 u. 49 geben zwei Formen, mit denen man fast immer ausreicht. Die Elektroden sind aus Platin, und müssen mit Platin- schwarz überzogen werden, indem man zwischen denselben eine sehr ver- dünnte, etwas bleihaltige Platinchloridlösung unter zeitweiligem Stromwechsel elektrolysiert, bis die Oberfläche sammetschwarz geworden ist').

Die auf äquivalente (nicht molekulare) Mengen bezogene L^t- fähigkeit der neutralen Salze ist von einigermasaen gleicher Orösaen- ordnung und ediwankt in dem oben (S. b82) definierten Mass etwa zwischen 50 und 130. Sie nimmt mit stdgender Verdünnung langsam za und erreicht meist einen Maximalwert, der nicht weiter überschritten wird, bei Verdünnung von etwa 2000 I. Die nachstehende Tabelle,

Fig. 48. Fig. ^9.

deren Werte von Rohlransdi beobachtet worden sind, lässt dies erkennen; sie gut fllr 18».

Verdünnung KCl KaCl LiCl

11 98-2 74-4 63-2

101 111-9 92-5 82-9

1001 122-5 102-8 93-G

10001 127-6 107-8 98-5

20001 128-3 108-5 99-3

50001 129-1 109-2 100-2

10000 1 129-5 109-7 100-7

Die Tabelle lässt gleichfalls eine andere Regelmäsaigkeit erkennen.

Die Zunahme, welche die Leitßlhigkeit bei steigender Verdünnung erföhrt,

^) Die Zusammensetzung einer geeigneten Lösung ist 30 Wasser, 1 Platin- chlorid, 0-008 Bleiacetat (Lummer und Eurlbaum); sie ergiebt eine so wirk- same Platinierung, dass man mit Elektroden von 1 cm' Querschnitt ausreicht.

V.BaCI.

'/,K,S0,

V,MgS0.

70-3

71-8

28-9

92-2

95-9

50-1

107-7

117-4

76-6

116-9

129-0

100-2

118-3

130-8

104-8

119-8

132-7

108-7

120-5

133-5

110-4

386 IX- Elektrochemie.

ist verschieden, je nach der Natur der Salze. Am wenigsten ändert sich die Leitfahigheit der Salze mit zwei einwertigen Ionen, stärker die mit einem zweiwertigen Ion und zwei einwertigen, und am stärksten die des Magnesiumsulfats, welches zwei zweiwertige Ionen besitzt. Diese Regel hat sich als sehr allgemein erwiesen.

Die allgemeinste Gesetzmässigkeit aber, welcher die Leitfahigkät der neutralen Salze unterworfen ist, lässt sich an der vorstehenden kleinen Tabelle nicht erkennen. Sie ist von F. Kohlrausch (1876) entdeckt worden und lässt sich am kürzesten in folgender Weise ausdrüdten: die Leitfähigkeiten der verdünnten Lösung neutraler Salze setzen sich additiv aus zwei Werten zusammen, von denen einer nur von dem Metall oder Kation, der andere nnr von der Säure oder dem Anion abhängt.

Die Form dieses Gesetzes stimmt vollkommen mit der überein, welche man dem Gesetze der Thermoneutralität, sowie dem fiir die Volumverhältnisse und die meisten anderen Eigenschaften der Salz- lösungen geben kann, und fuhrt auf denselben Grund zurück: die Un- abhängigkeit der Leitfähigkeit der beiden Ionen des Salzes voneinander, welche in dem Gesetz ausgesprochen ist, beweist die entsprechende Un- abhängigkeit der Ionen selbst voneinander.

Verauchen wir, uns hieraus ein Bild von den Verhältnissen der elektrolytischen Leitung zu machen, so gelangen wir zu folgender An- schauung. Durch die elektrische Triebkraft, welche infolge des im Strome herrschenden Spannungsgefälles auf die positiven Ionen in der Richtung des positiven Stromes, auf die negativen in entgegengesetztar Richtung wirkt, werden beide in Bewegung gesetzt und transportieren die Elektrizitätsmengen in den entsprechenden Richtungen. Die Leitfähig- keit, oder die infolge der Einheit der Spannung in der Zeiteinheit trans- portierte Elektrizitätsmenge hängt nun offenbar von der Menge der transportierenden Ionen, sowie von deren Geschwindigkeit ab. Dabei ist zu beachten, dass zufolge des Faradayschen Gesetzes jedes lonenäquivalent^ unabhängig von seiner Zusammensetzung, die gleiche Elektrizitätsmenge befördert; bezieht man die Rechnung auf den Fall äquivalenter Mengen der verschiedenen Elektrolyte, welche somit gleiche Elektrizitätsmengen transportieren, so erweist sich die äquivalente Leitfähigkeit unmittelbar als ein Mass für die Wanderungsgeschwindigkeit der Ionen.

Allerdings ist dabei die Voraussetzung gemacht, dass der gesamte in der Lösung enthaltene Elektrolyt sich an der elektrischen Leitung be- teihgt. Diese Voraussetzung ist im allgemeinen nicht erfüllt; sehr verdünnte Salzlösungen weichen aber so wenig davon ab, dass wir einstweilen hier- von absehen können.

Aus der Verschiedenheit der elektrischen Leitfähigkeit der ver- dünnten Salzlösungen geht zunächst hervor, dass die Wanderungsge- schwindigkeit der Ionen verschieden sein muss. Daraus, dass die Ldt-

Die elektrolytische Leitung.

387

äüiigkeit des Chlorkalioins die des Ghlomatriuins (und ebenso die jeder Bmderen Kaliumverbindung die jeder entsprechenden Natriumverbindung) am 18 bis 19 Einheiten übertrifft, folgt weiter, dass Kalium um 18 bis 19 Einheiten schneller wandern muss, als Natrium. Ebenso kann man die Unterschiede zwischen den Geschwindigkeiten anderer Ionen bestimmen; die. Geschwindigkeiten selbst aber lassen sich aus den Leit- fähigkeiten nicht ableiten.

Hier tritt nun eine zuerst von Hittorf (1853) richtig verstandene Erscheinung hillft^ich ein. Wenn nämlich bei der Elektrolyse beide [onen (wie man frtlher stillschweigend angenommen hatte) gleich schnell «rändern, so muss der Verlust, welchen die Lösung durch die Elektrolyse An bdden Elektroden erfahrt, beiderseits gleich gross sein, und die Kon- zentration beiderseits um gleich viel geringer wwden. Dies findet nun im allgemeinen nicht statt; die Konzentrationen ändern sich an beiden

X

o o o o o

V

I . , , iQ

o o o

o o o o o

o o o

o o o o o

o o o

o o o o o o o

u

y

Fig. 50.

Elektroden in ungleichem Masse, und dai*aus hat Hittorf geschlossen, dass beide Ionen ungleich schnell wandern müssen.

Um sich die Wirkung der ungleichen Wanderungsgeschwindigkeit klar zu machen, betrachte man das obenstehende Schema Fig. 50. Die schwarzen und weissen Punkte stellen die Ionen dar. Bei der Elektrolyse wandern die schwarzen nach links, die weissen nach rechts, und zwar sollen die ersten doppelt so schnell wandern, wie die zweiten. Die obere Reihe a stellt den Zustand vor der Elektrolyse dar, die untere b nach der Ein- wirkung des Stromes. Der senkrechte Strich xy teilt die ursprünghche Anordnung in zwei gleiche Anteile.

Am Anfange der Elektrolyse sind beiderseits je acht schwarze und weisse Ionen. Am Schluss derselben, nachdem sechs Äquivalente zerlegt sind^ befinden sich links vier unzersetzte Äquivalente, rechts dagegen sechs; die Konzentration ist also beiderseits nicht mehi* die gleiche. Von dem Salz sind links vier Äquivalente verschwunden, rechts zwei. Diese beiden Verluste verhalten sich wie die Wanderungsge- schwindigkeiten der fortgewanderten Ionen.

Bestimmt man also nach der Elektrolyse die Abnahme des Salz-

25*

B88 IX. Elektrochemie.

gehalteB an den entsprechenden Elektroden, so giebt das Yeriiältnis der Verluste das Verhältnis der Wanderongsgesdbwindigkeiten.

Auf Grund dieses Ergebnisses ist es nun leicht, die Antdle zu be- rechnen, welche die einzelnen Ionen an der Leitfähigkeit haben. So bleibt z B. bei der Elektrolyse einer Lösung von Ohlorkalium die Kon- zentration an beiden Elektroden fast völlig gleich; folgüch wandern die beiden Ionen R und Gl gleich schnell, und zwar jedes in den Einheiten der Tabelle auf S. 385, wenn wir Lösungen von 10001 in Betradit ziehen, jedes 63-8. Daraus folgt alsbald, dass die Wanderungsgesdiwin- digkeit des Natriums 44*0, die des Lithiums nur 34-7 ist n. s. w.

Durch die Bestimmung eines einzigen Überführungsverhältnisses, z. B. des GhlorkaJiums, kann man sämtliche lonengeschwindigk^ten be- rechnen, wenn die Leitfähigkeiten bekannt sind. Kennt man aber diese, so kann man alsbald wieder die Überfiihrungsverhältnisse sämtlicher aus diesen Ionen gebildeter Salze berechnen. Kohlrausch hat gezeigt, dass die Ergebnisse einer derartigen Rechnung auf das beste mit den von Hittorf unmittelbar gemessenen Überfährungszahlen übereinstimmen.

Ganz ähnlich den Neutralsalzen, welche bisher besprochen wurden, verhalten sich die' starken Säuren vom Typus des Ghlorwasserstoffs und der Salpetersäure. Ihre Leitfähigkeiten sind viel grösser als die der Neutralsalze. Da die Geschwindigkeiten der negativen Ionen bekannt sind, so kann dies nur daher rühren, dass dem Wasserstofif eine sdir grosse Geschwindigkeit zukommt. Es sollen zunächst wieder die äqui- valenten Leitfähigkeiten nach Kohlrausch für eine Temperatur von 18* mitgeteilt werden.

VaHaSO^ VaHsPO^ C,H^O, 198 22 132

225 460

308 85 14-3

361 106 41

Bei einer Verdünnung von 10001, wo das Chlor eine Geschwindigkdt von 63*8 hat, ergiebt sich für den Wasserstoff der Chlorwasserstoflsäure, und somit für den Wasserstoff überhaupt 313-2; derselbe wandert also fast flinfmal schneller, als das Chlor.

Es müssen deshalb bei der Elektrolyse der Säuren sehr starke Konzentrationsänderungen an den Elektroden auflreten. Dieselben sind gleichfalls von Hittorf gemessen worden, und Kohlrausch hat gezeigt^ dass sie vollkommen der Theorie der unabhängigen Wanderung der Ionen entsprechen.

Basische Stoffe ergaben endlich nach Kohlrauschs Messungen bei 18*:

Verdünnung

HCl

HNO3

11

301

310

101

351

350

1001

370

368

10001

377

375

Verdünnung

KOH

NaOH

NH^OH

11

184

160

0-89

101

213

183

3.3

1001

228

200

9.6

10001

234

208

28-0

Die elektrolytische Leitung. 339

Aus der Wanderungsgeschwindigkeit des Kaliums, weiche 64*7 beträgt, folgt die des Hydroxyls OH gleich 169»3; dasselbe wandert also gleich- £5Üls bedentend schneller, als die anderen negativen Ionen, z. B. etwa 2-5 mal so schnell, als das Chlor, welches sonst zu den schnellsten gehört«

Während nun aber die starken Säuren und Basen sich dem Ge- setz voll Eohlrausch unterordnen, weichen die schwachen ausserordent- lich stark davon ab. Weder die Phosphorsäure und Essigsäure, noch das Ammoniak zeigen Zahlen, welche sich mit dem Gesetz in Einklang bringen lassen, denn ihre Leitfähigkeit ist kleiner, als die Wanderungs- geschwindigkeit des Wasserstoffs, bez. des Hydroxyls, so dass selbst die Annahme, dass das andere Ion sich überhaupt nidit bewegt, noch viel grössere Zahlen giebt, als beobachtet worden sind.

Die Erklärung fQr diese Abweichungen ergiebt sich daraus, dass bei den letzten Betrachtungen ein Faktor der Leitfähigkeit nicht berück- sichtigt worden ist, welcher schon früher Erwähnung gefrmden hat. Die äquivalente Leitfähigkeit lässt sich nur dann als Summe der Wanderungs- geschwindigkeiten der Ionen darstellen, wenn die Menge" der die Elektri- zität befördernden Ionen gleich, bez. äquivalent ist. Nun sind zwar Lösungen miteinander verglichen, welche äquivalente Mengen der ver- schiedenen Elektrolyte enthalten; es ist aber erst zu untersuchen, ob in äquivalenten Mengen verschiedener Elektrolyte auch äquivalente Mengen freier Ionen enthalten sind, denn nur diese beteiligen sich an der Leitung.

Nun zeigen Bestimmungen der Gefrieipunkte der entsprechenden Losungen, dass Chlorwasserstoff und Kali eine Wirkung ausüben, die fast doppelt so gross ist, als ihrem Molekulargewicht entspricht, sie sind also fast völlig in ihre Ionen zerfallen. Essigsäure und Ammoniak er- niedrigen aber den Gefrierpunkt nahezu wie indifferente Stoffe, ent- sprechend ihrem Molekulargewicht; sie haben also nur sehr wenige freie Ionen abgespalten. Phosphorsäure liegt zwischen beiden, aber näher zur Essigsäure, als zur Salzsäure; sie ist also teilweise, aber bei weitem nicht vollständig in Ionen zerfallen.

Somit ist das Gesetz von Kohlrausch nicht in der Form zu schrei- ben ^ = u + V, wo [i die molekulare Leitfähigkeit und u und v die Wanderungsgeschwindigkeit bedeuten, sondern es ist zu schreiben

^ = x(u-t-v),

wo X den Bruchteil des Elektrolyts darstellt, welcher in seine Ionen zerfallen ist. Erat bei unbegrenzt grosser Verdünnung wird der Zerfall vollständig, und bei der entsprechenden Leitfähigkeit ^i^ wird, da als- dann X = 1 wird.

Das Gesetz von Kohlrausch gUt also streng nur för unendlich grosse Verdünnungen.

Nun ist aber bereits erwähnt worden, dass die Salze, insbeson^

1

390 I^* Elektrochemie.

dere die einwertigen, bereits bei praktisch erreichbaren YerdünnimgB- zoständen (von etwa 10001) so gut wie völlig zerfallen sind; eine weitere Verdünnung ändert an ihrem Zustande nichts mehr. Das Gleiche gilt fär die starken Säuren und Basen. An ihnen kann man also die Werte (i^ mit genügender Annäherung feststeilen. Die Salze schwacher Säuren mit starken Basen, und ebenso die Salze schwadier Basen mit starken Säuren schliessen sich vöUig denen aus starken Be- standteilen an ; durch die Untersuchung solcher Salze kann man somit auch die Wanderungsgeschwindigkeiten der Ionen schwacher Säuren und Basen bestimmen, so dass diese Eigenschaft für sämtliche Ionen der Messung zugänglich wird.

Haben wir nun diese Kenntnis der Werte u und v für jedes Ion, so können wir gemäss den Gleichungen

^=x(u + v)

leicht den Bruchteil x des in Ionen zerfallenen Anteils des Elektrolyts oder den Grad der elektrolytischen Dissociation bestimmen; durch Division folgt nämlich

x = -^.

Der Dissociationsgrad eines gelösten Elektrolyts bei irgend einer Verdünnung ist gleich dem Verhältnis der mo- lekularen Leitfähigkeit bei dieser Verdünnung zu der bei un- begrenzt grosser Verdünnung.

An dieser SteUe entsteht eine neue Frage. Die bisherigen Be- trachtungen sind ausschliesslich auf elektrischem Boden durchgeführt worden: die Erscheinungen der elektrolytischen Leitung ergaben in ihrer Zusammenfassung die Folgerung, dass in den Elektrolyten sich die Stoffe, welche die Leitung bewirken, in einem besonderen Zustande der Spaltung befinden müssten, welcher von der Verdünnung und der Temperatur, sowie namentiich von der Natm- des Stoffes abhängig ist; der Betrag dieser Spaltung bestimmte unter sonst gleichen Verhältnissen den Betrag der Leitfähigkeit. Umgekehrt ergab die Messung der letzteren den Be- trag der vorauszusetzenden Spaltung.

Nun sind wir bereits auf einem anderen Wege, nämlich durch die Abweichung des Verhaltens gewisser gelöster Stoffe von den einfachen Lösungsgesetzen, zu einer ähnlichen Auffassung gefuhrt worden. Wenn beide Betrachtungen richtig sind so muss die Eigenschaft der elektro- lytischen Leitung und die der Abweichungen von den Lösungsgesetzen Hand in Hand gehen; beide müssen nicht nur ausschliesslich bei den- selben Stoffen vorkommen, sondern auch beiderseits gleiche verhältniss- mässige Beträge aufweisen. Dieser Schluss- ist nun von der Erfahrung vollständig bestätigt worden. Jedesmal, wenn ein gelöster Stoff von den Lösungsgesetzen in solchem Sinne abweicht, dass

Die Eigenschaften der Ionen. 391

sein osmotiseher Druck (oder die diesem proportionale Ge- frierpunkts- oder Siedepnnktsänderang) grösser ist, als seinem Molekulargewicht entspricht^ so zeigt er auch elektrolytis.che Leitfähigkeit, und umgekehrt. Dieser Zusammenhang besteht ausser- dem nicht nur qualitativ, sondern quantitativ; der Grad der Spaltung in Ionen, welcher durch die osmotischen Methoden angegeben wird, er- giebt sich auch aus der elektrischen Leitfähigkeit.

Sowohl die osmotischen Methoden, wie die stöchiometrischen und die ran chemischen Erscheinungen einerseits, und die elektrolytischen andererseits führen somit zu derselben Auffassung des Zustandes der ge- lösten salzartigen Stoffe, und alle diese Gebiete sind dadurch in einen engen Zusammenhang gebracht Dieser Zusammenhang bewirkt, dass man in vielen Fällen aus der Kenntnis des Verhaltens eines bestimmten Stoffes in einem dieser Gebiete sein noch unbekanntes Verhalten in den anderen Gebieten ableiten kann. Solche Schlusstblgerungen sind sehr zahlreich gezogen worden, und die Erfahrung hat sie im weitesten Um- fange bestätigt.

Viertes Kapitel. Die Eigenschaften der Ionen.

Nachdem die verachiedensten Erscheinungen an Salzlösungen in gleicher Weise zu der Annahme geführt haben, dass in ihnen ein Teil des Salzes in zwei zwar stets nebeneinander vorkommende, in ihren Eigenschaften aber unabhängige Bestandteile gespalten ist, welche wir die Ionen genannt haben, entsteht das Bedürfnis, sich über die Natur dieser Stoffe Rechenschaft zu geben, da die von ihnen vorauszusetzenden Eigenschaften in manchen Stücken von den Eigenschaften der anderen Stoffe abweichen.

Was zunächst die Frage anlangt: welche Stoffe können Ionen bilden? so kann die Antwort darauf kurz lauten: die Salze (Hittorf 1853). Unter diesem Namen verstehen wir eine Gruppe von binär zusammengesetzten' Stoffen, die durch eine besondere Bereitwilligkeit zu chemischen Reaktionen und eine besondere Schnelligkeit, mit der diese an ihnen verlaufen, ausgezeichnet sind. Diese chemischen Reaktionen erfolgen nicht zwischen beliebigen Elementen der Salze, sondern zwischen besonderen Bestandteilen oder Spaltungsstücken, den Ionen.

Während die grosse Klasse der anorganischen Salze fast gar keine Schwierigkeit der Charakteristik macht, kann man bei gewissen organischen Verbindungen zweifelhaft werden, ob sie den Salzen zuzurechnen sind oder nicht. Insbesondere sind die Verbindungen, die aus Säuren und Alkoholen unter Wasseraustritt, also ganz wie die Salze aus Säuren und

392 IX. Elektrochemie.

Basen^ entstehen^ die Ester, welche man den Salzen zuzurechnen ge- neigt sein würde. Fragt man indessen nach dem anderen Kriterium, dem der sehr schnell verlaufenden chemischen Reaktion, so findet man, dass es nicht zutrifft; die Ester tauschen ihre Bestandteile nicht augenbli<^Jich aus, sondern mehr oder weniger langsam, zuweilen gar nicht in mess- barer Weise. Die Ester werden also trotz der formalen Analogie da Bildung nicht zu den Salzen zu rechnen sein.

Hiermit steht ein anderes Kriterium des Salzzustandes in Überein- stimmung. Wenn die elektrolytische Leitung von dem YorhandenseiiL freier Ionen abhängt, und deren Bildung die charakteristische Eigensdiaft der Salze ist, so müssen sich die Ester als Nichtleiter erweisen, falls sie keine Salze sind. Dies entspricht der Erfahrung: die Ester leiten weder für sich, noch in Lösung den Strom in irgend erheblichem Masse.

Aber ein kleiner Betrag von Leitung ist doch vorhanden, ebenso wie ein langsamer Austausch. Wir werden also schliessen müssen, dass die wesentliche Eigenschaft der Salze, die Spaltung in Ionen auch bei den Estern vorhanden ist, wenn auch nur in sehr geringem Masse. In der That wird dies der angemessenste Ausdruck der Erfahrung sein. Die Klasse der Salze erscheint dadurch nicht fest abgeschlossen, sondern ihre Grenze ist einiger- massen von unseren Hilfsmitteln der Beobachtung und Messung abhängig. Dies ist eine Eigentümlichkeit, die bei allen Versuchen, die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen zu klassifizieren, auftritt. Während der Haupttypus, in welchem die wesentliche Eigenschaft am stärksten entwickelt ist, sich leicht erkennen und feststellen lässt, finden sich andere Fälle mit zunehmend weniger ausgesprochenem Gattungsmerkmal, und eine scharfe Grenze ist nicht vorhanden. So werden wir auch alle Stoffe Salze im weiteren Sinne nennen können, bei denen wir Ionen nachweisen, d. h. wechselseitigen Austausch entsprechender Spaltungsstücke und elektrolytische Leitung beobachten können.

Der Zusammenhang zwischen lonenbildung und elektrischer Leitfahigkat zeigt, dass die elektrischen Erscheinungen bei ersterer wesentlich sind. Die Salze zerfallen in Bestandteile, welche den Transport positiver und nega- tiver Elektrizitätsmengen bewirken. Man hat sich daher diese Bestand- teUe mit diesen Elektrizitätsmengen auf irgend eine Weise verbunden vorzustellen. Ob man diese Vorstellung molekular fasst, und sich die Ionen als kleine elektrisch geladene Körperchen denkt, oder irgend eine andere Veranschaulichung entwickelt, ist für die hier zu behandelnden Fragen belanglos; uns genügt die Thatsache, dass die Bildung von Ionen und die Bildung proportionaler positiver und negativer Elektrizitätsmengen untrennbar aneinander geknüpft sind.

Hieraus folgt zunächst, dass sich nur äquivalente Mengen positiver und negativer Ionen gleichzeitig bilden können, denn es ist ein Grund- gesetz der Elektrik, dass aus einem ursprünglich elektrisch neutralen Körper nur gleiche Mengen der beiden entgegengesetzten Elektrizitäten entstehen können. Diese Äquivalenz der ungleichnamigen Ionen mußs

Die EigenEchaften der Ionen. 393

sieh anch bei allen mögliehen Reaktionen erhalten, da alle reagierenden Lösungen von vornherein die gleiche Bedingung erfüllen.

Wenn in elektrisch neutralen Lösungen die entgegengesetzten Ionen in gleichen Mengen vorl^finden sind, so müssen umgekehrt in elektrisch geladenen Elektrolyten die entsprechenden Ionen im Überschuss vorhanden sein. Auch dieser Schluss hat sich bestätigen lassen (Ostwald und Nemst 1890). Nur sind die Elektrizitätsmengen, welche sich durch elektrostatische Ladung in einem gegebenen elektrolytischen Leiter anhäufen lassen, überaus gering im Verhältnis zu den vermöge des Faraday sehen Gesetzes mit den Ionen ver- bundenen Elektrizitätsmengen (S. 379), so dass bedeutende Ladungen nur äusserst kleinen Stoffmengen entsprechen, und es besonderer Hilfsmittel bedarf, um diese sichtbar zu machen.

Die Zusammensetzung der Ionen geht aus der der einfachsten Salze unzweideutig hervor. Die Ionen des Chlorkaliums können nur Chlor und Kalium (oder deren Hydrate) sein. Demgemäss sind alle Salzbe- standteile^ welche das Kalium vertreten können, Kationen, und alle, welche das Chlor vertreten können, Anionen. Während die Kationen meist elementarer Natur sind und von Metallen gebildet werden, ist die Zahl der elementaren Anionen verhältnissmässig klein: es sind die Halogene und die Elemente der Schwefelgruppe.

Zusammengesetzte Kationen sind Ammonium NH^ und dessen Ab- kömmlinge, und die analogen Verbindungen der übrigen Elemente der Stickstoffgruppe. Femer vermögen auch andere mehrwertige Elemente ähnliche organische Kationen zu bildeil, wie z. B. der Schwefel in den Sulfiden und viele Metalle in ihren Alkylderivaten.

Zusammengesetzte Anionen sind sehr zahlreich; die meisten von ihnen sind sauerstoffhaltig. Ihre Zusammensetzung ist die der ent- sprechenden Säuren, vermindert um Wasserstoff.

Während das Faradaysche Gesetz keinen unmittelbaren Anlass giebt, ein- und mehrwertige Ionen zu unterscheiden, so ergiebt sich ein solcher zuweilen aus der Foimel und in eindeutiger Weise aus den osmotischen Gesetzen.

So giebt Chlorkalium, KCl, in seinen verdünnten Lösungen als Grenzwert eine Verdoppelung der Gefrierpunktsemiedrigung gegen den normalen Wert; demnach ist anzunehmen, dass ein Mol nichtdissoziiertes Chiorkalium sich in zwei Mole der Ionen gespalten hat. Bei Chlor- barjnim ist entsprechend der Formel BaCl* das Verhältnis 1:3, und man muss daher das Baryum als zweiwertiges Ion ansehen, von dem ein Mol zwei Molen Chlorionen äquivalent ist. Wollte man das Verbindungs- gewicht des Baryums auf die Hälfte heruntersetzen, um einwertige Ba- ryumionen schreiben zu können, so mtisste ein derartiges Salz baCl (wo ba Baryum mit dem Verbindungsgewicht 68-7 darstellt) eine doppelte, die mit BaCl* bezeichnete Menge also eine vierfache Gefrierpunktser- niedrigung zeigen. Da die Erfahrung nur die dreifache Erniedrigung beobachten lässt, so ergiebt sich, dass als Ion Ba = 137-4 anzunehmen

394 IX. Elektrochemie.

ist. Dieselben Gesetzmässigkeiten^ welche für die Molekulargewidite der gewöhnlichen Verbindungen massgebend sind, gelten daher anch für die Bildung der lonen^ und es giebt neben den einwertigen auch zwei- und mehrwertige Ionen.

Einwertige Kationen bilden zunächst die Alkalimetalle^ von den Schwermetallen Silber und Thallium, wohl auch das Kupfer in den Cuproverbindungen. Das Quecksilber in den Me'kuroverbindungen schdnt nicht sowohl einwertige Ionen zu bilden, sondern zweiwertige Doppel- ionen von der Formel Hg^, die sich in manchen Beziehungen anders verhalten, als einwertige einfache Ionen es thun würden. Einwertige Ionen werden femer vom Ammonium und seinen, zahllosen Abkömmlingen gebildet.

Zweiwertige Kationen ergeben sich aus den Erdalkalimetallen und den Metallen der Eisen- und Kupfergruppe; auch in den Stannosalzen sind zweiwertige Zinnionen vorhanden. Von zusammengesetzten zwei- wertigen Kationen ist das bemerkenswerteste das üranyl, ÜO*.

Dreiwertige Kationen werden von den Erdmetallen und deren Ver- wandten, wie Chrom und Eisen (in den Fernverbindungen) gebildet; vierwertige von den entsprechenden Metallen der Zinngruppe. Doch ist bereits bei diesen die Neigung zur Kationenbildung sehr gering geworden, was in den schwachen basischen Eigenschaften der enteprechenden Oxyde zum Ausdruck kommt. Kationen von noch höherer Wertigkeit sind nicht bekannt.

Diese mehrwertigen Ionen sind dadurch gekennzeichnet, dass mit jedem Mol derselben nicht die einfache durch das Faradaysche Gesetz gegebene Elektrizitätsmenge von 96540 Coul (S. 379) sich bewegt, sondern die zwei-, drei-, bez. vierfache Menge.

Ebenso giebt es neben einwertigen auch mehrwertige Anionen. Einwertige sind zunächst die Ionen der Halogene Fluor, Chlor, Brom, Jod, sowie der ähnlichen (zusammengesetzten) Stoffe Cyan, Rhodan; femer alle Anionen der anderen einbasischen Säuren.

Zweiwertige elementare Anionen sind Schwefel, Selen und Tellur in den entsprechenden Metallverbindungen, doch besteht bereits bei diesen geringe Neigung zum lonenzustande. Zusammengesetzte zweiwertige Anionen sind aus den zweibasischen Säuren sehr bekannt.

Dreiwertige elementare Anionen kennt man nicht Der Analogie nach sollte man in den Nitriden der Metalle Salze des dreiwertigen Stick- stoffions sehen; doch zersetzen sich diese in Bertihnmg mit Wasser als- bald in Hydroxyd und Ammoniak, so dass es nicht möglich ist, ent- sprechende Lösungen herzustellen. Zusammengesetzte dreiwertige Anionen sind in den dreibasischen Säuren und ihren Salzen dagegen zahlreich bekannt.

Elementare Anionen von höherer Wertigkeit sind gleichfalls nidit bekannt; zusammengesetzte Anionen dagegen bis zur Sechswertigkeit (Mellithsäure). Doch besteht die allgemeine Regel, dass sich Ionen

Die Eigenschaften der Ionen. 395

von höherer Wertigkeit zunehmend schwieriger bilden, je höher die Wertigkeit wird.

Eine besondere Rolle spielen die Ionen Wasserstoff und Hydr- oxy 1. Beide einwertige Ionen sind die Spaltungsstücke des Wassers, welches, wie aus einer sehr geringen Leitfähigkeit hervorgeht, nur sehr wenig ge- spalten ist (rund ein Mol in iC Litern). Die Verbindungen, welche Wasserstoffionen abspalten können, nennt man Säuren; solche, welche Hydroxylionen bilden, Basen. Während die gewöhnlichen Salze, oder die welche weder Wasserstoff noch Hydroxylionen enthalten, in wässeriger Lösung ziemlich gleich stark gespalten sind, machen sich bei den Säuren und Basen die allergrössten Unterschiede geltend. Es finden sich alle Stufen, von der fast vollständigen Spaltung in massig verdünnten Lösungen bis zu geringen Spuren, ja bis zur Grenze der Nachweisbarkeit. Säuren und Basen, welche in weiterem Masse dissociiert sind, nennt man stark, die andern schwach; denn die charakteristischen Eigenschaften der Säuren und Basen rühren von ihrem Gehalt an den Ionen Wasserstoff, bez. Hydi-oxyl her, und nehmen proportional der Konzentration an diesen zu und ab.

Die bekannten Reaktionen organischer Farbstoffe, wie Lackmus, auf Säuren und Basen beziehen sich auf diese Ionen; saure Reaktion bedeutet die Anwesenheit von Wasserstoff ionen, alkalische die von Hydroxylionen.

Wenn eine zweibasisehe Säure sich zu spalten beginnt, so entsteht nicht in erster Linie das zweiwertige Anion neben Wasserstoff, sondern die Spaltung beginnt zuerst nach dem Schema RH2=RH'+H-; und das hierbei entstandene einwertige Anion RH' erleidet eine weitere Spaltung in R" und H-, wobei erst das zweiwertige Anion entsteht. In entsprechender Weise bildet eine dreibasische Säure RH3 die Zwischen- stufen RH'g und RH", bevor das dreiwertige Ion R'" entsteht. Was hier der Anschaulichkeit wegen fiir die mehrwertigen Säuren gesagt worden ist, ^It ganz allgemein für alle Verbindungen mehrwertiger Ionen ; es bilden sich zuerst immer die Ionen, welche durch den geringsten Betrag an Spaltung, oder die Bildung der geringsten Mengen getrennter Elektrizitäten entstehen können, und die weitere Spaltung erfolgt stufen- weise. Dadurch ist in Verbindungen aus mehrwertigen Ionen eine grosse Mannigfaltigkeit von verschiedenen Spaltungsprodukten vorhanden.

Die Bildung der Ionen aus den ungespaltenen festen Verbindungen erfolgt durch Verflüssigung, und zwar sowohl beim Schmelzen, wie beim Lösen. Über den ersten Vorgang ist trotz seiner prinzipiellen Einfach- heit nur wenig allgemeines bekannt; ausser der Thatsache, dass die elektroyltische Leitfähigkeit mit steigender Temperatur schnell ansteigt, und dass geringe Beträge derselben auch schon im festen Zustande nach- weisbar sind, ist kaum etwas anzuführen.

In Bezug auf die Bildung leitender Lösungen beschränkt sich unsere Kenntnis wesentlich auf wässerige Lösungen, die allerdings unge- mein eingehend studiert worden sind; das Verhalten anderer Lösungen ' ißt erst in jüngster Zeit in etwas weiterem Umfange untersucht worden.

396 I^* Elektrochemie.

Die salzarttgen Stoffe im weiteren Sinne, also unter £inschliiss öa Säuren und Basen, werden durch Auflösen in Wasser elektrolytisdie Leiter, zerfsdlen also unter diesen Umständen in Ionen. Der Zeiiall ist nie vollständig und nimmt stets mit steigender Verdfinnung zu; er is^ wie schon erwähnt^ bei den meisten Neutralsalzen ziemlich beträchtlich, gewöhnlieh 50 Prozent überschreitend, während bei freifin Säuren und Basen alle möglichen Grade des Zerfalls vorkommen. Die Temperatur hat keinen sehr grossen Einfluss auf den Grad des Zerfalls; sie wirkt in beiderlei Sinn, indem es Stoffe giebt, die bei steigender Temperatur mehr, und andere, die weniger zerfallen. Da es sich hier um Fragen des chemischen Gleichgewichts handelt, kann die genauere Erörterung erst später vorgenommen werden.

In anderen Lösungsmitteln zeigen die Salze gleichfalls oft Leit- Miigkeit und somit Spaltung, doch meist in viel geringerem Grade, ak in Wasser. Am ähnlichsten diesem wirken die Alkohole, namentlich die kohlenstoffärmeren: femer Aceton, Ammoniak und einige andere Flüsäg- keiten. Sehr geringe spaltende Wirkung zeigen die Kohlenwasserstoffe und ihre Halogenabkömmlinge; femer die neutralen Äther und Ester. Auch die flüssigen organischen Säuren wie Essigsäure (die in reinem Zustande praktisch Nichtleiter sind) haben nur in geringem Grade die Fähigkeit, gelöste Stoffe in Ionen zu spalten.

Die Eigenschaften der Ionen sind in der Hauptsache die ihr^ Ijösungen, nach Abzug von denen des Lösungsmittels. So ergiebt sidi, dass die Ionen der meisten Leichtmetalle und der Halogene farblos sind, da die Lösungen aller aus ihnen gebildeten Salze es sind. Erst die Schwermetalle bilden farbige Ionen; so sind die des Nickels grün, dea Kobalts rot, des Kupfers grünblau, des Mangans schwach rötlieh, des zweiwertigen Eisens grünüch.

Die Eigenschaften, welche den einzelnen Ionen zukommen, lassen sich nur in wenigen Fällen ermitteln. Ein solcher Fall liegt vor, wenn der Wert flir das eine Ion Null ist, wie im eben erwähnten Falle der farbigen Ionen neben farblosen. In den Fällen dagegen, wo jedes Ige einen endUchen Beitrag zu der Gesamteigenschaft liefert, ist es im all- gemeinen nicht mehr mögUch, die Einzelwerte zu bestimmen. Denn da die Ionen nur in äquivalenten Mengen entgegengesetzten Zeichens auf- treten, so erlangt man durch die Untersuchung einer Eigenschaft an einer gegebenen Lösung nur die Summe der Werte, die beiden Ionen zukommen. Versucht man durch die Untersuchung anderer Losung mit einem gemeinsamen Ion die nötige Zahl von Daten zur Einzelberechnung zu erhalten, so findet man, dass dies nicht geht; stets hat man eine Unbekannte zu viel oder eine Gleichung zu wenig. Nur in dem Falle, dass man auf irgend einem anderen Wege ein weiteres Datum gewinnt, kann man die Gleichungen autlösen, und die den einzelnen Ionen zu- kommenden Werte der Eigenschaft bestimmen. Ein praktisches Bei- spiel hierflir hat bereits bei der Frage nach den Anteilen vorgelegen,

Die Eigenschaften der Ionen. 397

w^lBlche gemäss dem Gesetz von Rohh*ausch den Ionen an der Leitföhig- keit zukommt, wo die ÜberfUhningserscheinimgen das erforderliche Datum lieferten.

An dieser Stelle sollen die allgemeinen Beziehungen Erwähnung finden, welche sich bezüglich der Wanderungsgeschwindigkeiten der verschiedenen Ionen ergeben haben (vgl. S. 388).

Von den einwertigen Metallen wandern Kalium, Cäsium und Ru- bidium am schnellsten, und zwar alle drei ziemlich gleich; Natrium wandert bedeutend langsamer, noch langsamer Lithium. Ammonium hat dieselbe Geschwindigkeit wie Kalium, dem sich auch Thallium nahe an- Bchliesst; dem Natrium kommt das Silber nahe.

Von den zweiwertigen Erdalkalimetallen wandern Calcium, Strontium und Baryum ziemlich übereinstimmend, langsamer Magnesium, am lang- samsten Beryllium. Dem Magnesium schliessen sich Zink, Kupfer und die übrigen „Vitriolmetalle" an.

Über die Wanderungsgeschwindigkeit drei- und mehrwertiger Me- talle ist nur wenig bekannt.

Von den einwertigen Anionen gehören Chlor, Brom und Jod zu den schnellsten; sie sind unter sich fast völlig gleich. Etwas schneller noch als sie wandert das Ion der Überchlorsäure CIO*, zunehmend langsamer das der Chlor-, Brom- und Jodsäure. Das Ion der Salpeter- säure schliesst sich dem Chlor an. Fluor wandert erheblich langsamer, ein Verhalten, das den Gliedern der natürlidien Familien der Elemente mit kleinem Atomgewicht allgemein zuzukommen scheint.

Die Ionen der zusammengesetzten organischen Säuren wandern um so langsamer, je mehr Atome sie enthalten. Bei einfacher zusammenge- setzten Ionen übt die Natur der Elemente einen deutlichen Einfluss; so bedingen die Halogene ein langsameres Wandern. Sowie aber die Zahl der Atome im Ion auf zwölf oder mehr gestiegen ist, verschwindet dieser Einfluss fast völlig. Die Wanderungsgeschwindigkeit hängt fast nur noch von der Zahl der Atome ab, und nimmt beim Zutritt weiterer Atome um so langsamer ab, je mehr Atome schon vorhanden sind.

Sie scheint einem Grenzwert zuzustreben, der fiir sehr zusammen- gesetzte Anionen und Kationen gleich zu sein scheint, und bei 10 bis 12 Einheiten liegt.

Ein Einfluss der Konstitution hatte sich bei den isomeren organi- schen Anionen nicht nachweisen lassen, indem diese sehr nahe gleich schnell wandern. Dagegen ist ein derartiger Einfluss bei den Kationen vom Ammoniumtypus vorhanden (Bredig 1892). Bei diesen ist die Ge- schwindigkeit isomerer Ionen um so grösser, je mehr Wasserstofle des Ammoniums substituiert smd, also bei sekundären Aminen grösser, als bei primären, und bei den quaternären Ammoniumbasen am grössten. Im allgemeinen ist die Wanderungsgeschwindigkeit um so grösser, je „symmetrischer" das Ion konstituiert ist.

398 I^' Elektrochemie.

Die zwei- und mehrwertigen Sftureradikale sind wenig untersucht Selen- und Schwefelsäure wandern sehr nahe gleich schnell, ebenso Phosphor- und Arsensäure.

Der Einfluss der Temperatur endlich ist nicht sehr verschieden. Er beträgt meist für jeden Temperaturgrad etwa Vso des Wertes; und ist um so grösser, je kleiner die Wanderungsgeschwindigkeit ist, und umgekehrt.

Die Erscheinung der Isomerie^ der Verschiedenheit der Eigen- schaften bei gleicher Zusammensetzung findet sich auch bei den Ionen. Doch muss man hier zwei wesentlich verschiedene Arten der Isomerie unterscheiden. Einerseits finden sich die bei den gewöhntichen Y^bin- düngen bekannten Verhältnisse wieder, indem isomere Sänren oder Basen auch isomere Ionen zu bilden vermögen. In solchem Sinne sind isomer die Ionen der Buttersäure und der Isobuttersäure, des Tiimethylam- moniums, und des Propylammoniums.

Daneben giebl es aber eine spezifische lonenisomerie, die in der Verschiedenheit des elektrischen Zustandes ihren Grund hat. Den ersten Fall dieser Isomerie bilden die Elemente und Verbindungen, welche so- wohl im neutralen, wie im lonenzustande vorkommen; den anderen die Ionen, die bei gleicher Zusammensetzung mit verschiedenen Elektrizitäts- mengen verbunden sind, und dem gemäss verschiedene Eigenschaften haben. Der letztere Fall liegt den älteren Anschauungen näher, und mag deshalb zuerst betrachtet werden. ^

lonenisomerie wegen Verachiedenheit der Ladungen kommt bei Kationen wie Anionen vor, doch bei ersteren häufiger.* Beispiele sind alle Metalle, welche mehrere Reihen von Salzen bilden, wie Eisen, Chrom, Zinn, Kupfer, Thallium, Quecksilber. Schon die Thatsache, daas die analytischen Kennzeichen dieser verschiedenen Reihen von Salzen ver- schieden sind, zeigt, dass es sich um Verschiedenheiten der loneneigen- schaften handelt; in der That sind die Unterschiede zwischen Ferro- und Ferrisalzen, oder den Ionen Fe** und Fe*** grösser, als die zwischen Fe*' und Mn** oder Fe*" und Cr***. Die einzige nähere Beziehung zwischen beiden ist ihre gegenseitige Umwandelbarkeit. Um eine solche zu bewerkstelligen, ist die Zu- oder Abfuhr der elektrischen Ladung er- forderlich; da nun Elektrizitätsmengen nie entstehen oder verschwinden können, ohne dass eine gleiche Menge der entgegengesetzten Elektrizität mit entsteht oder verschwindet, so erfordert der Übergang eine gleidi- zeitige anderweitige Änderung. So kann man z. B. Ferroionen in Ferri- ionen durch Einleiten von Chlor in die Lösung des FeiTosalzes über- führen. Hierbei geht gleichzeitig Fe** in Fe*** und Cl in Gl' über, d. h. das neutrale Chlor muss in das negative Ion übergehen, wenn das positiv zweiwertige Eisen sich in dreiwertiges verwandeln soll.

Demnach besteht der Oxydationsvorgang im weiteren Sinne (womit man in der Chemie längst nicht nur die Aufnahme von Sauerstoff allein bezeichnet hat) bei Ionen und ihren Abkömmlingen in der Aufnahme positiver Ladungen durch den zu oxydierenden Stoff; oder in dem gleichwertigen Verlust nega-

Die Eigenschaften der Ionen. 399

iver Ladungen. Redaktion bedeutet umgekehrt Verlust positiver oder Auf- nahme negativer Ladung. Die Anwendung dieser Sätze auf einzelne Vorgänge nrird später in der Lehre von den Voltaschen Ketten durchgeführt werden.

Elementare Anionen von verschiedener Wertigkeit sind nicht bekannt, wohl aber zusammengesetzte. Ein besonders lehrreiches Beispiel bieten lie Ionen der Manganate und der Permanganate. Beide haben die Zu- sammensetzung MnO*, nur sind die ersteren zwei-, die letzteren ein- wertig. Mit dieser Verschiedenheit der Ladung ist eine grosse Ver- schiedenheit der Farbe und der anderen Eigenschaften verbunden; während das erste nur in alkalischer Lösung beständig ist, ist es das zweite wesentlich in saurer; während die Salze des ersteren denen der Schwefel- säure isomorph sind, sind es die des zweiten mit denen der Überchlor- Bäure; auch wird das um eine negative Ladung ärmere Ion der Über- mangansaure mit Recht als das Oxydationsprodukt des um eine negative Ladung reicheren Manganations angesehen. Ein ähnliches Verhältnis besteht zwischen den Ionen Fe(CN)^ der Ferro- und Ferricyanide; sie haben gleiche Zusammensetzung, aber verschiedene Eigenschaften, weil die ersten vier-, die zweiten dreiwertig sind.

Sind nun je nach dem Betrage ihrer Ladungen die elektrisch isomeren Ionen verschieden, so kann es nicht Wunder nehmen, dass noch grössere Verschiedenheiten durch den Umstand bewirkt werden, dass in der einen Form Lij^ngen vorhanden sind, in der anderen keine. Dieses Verhältnis besteht zip^ischen neutralen Stoffen und gleich zusammen- gesetzten looenL'^ Eine solche Isomerie oder AUotropie tritt sowohl bei Elementen, wie bei Verbindungen auf. Für den ersteren Fall bieten die Metalle und die Halogene Beispiele, ^ den zweiten Fall haben wir Wasijwrstoflfhyperoxyd und Cyan. Bei diesen und den Halogenen ist allerdings gleichzeitig Polymorphie vorhanden, da die neutralen StoflPe die doppCTte Moiekularformel gegenüber den Ionen haben. Bei den Metallen ist dies aber nicht der Fall, denn bei diesen ist auch im freien Zustande das Molekulargewicht gleich dem Verbindungsgewicht und nicht ein mehrfaches.

In der That sind die Eigenschaften der Ionen von denen der isomeren neutralen Stoffe ganz wesentlich versdiieden. Man braucht sich nur einerseits eine Lösung von Jodkaiium, andererseits elementares Jod und Kalium zu vergegenwärtigen, um die ganze Grösse dieser Unterschiede zu erfassen. Doch entsprechen diesen grossen Unterschieden 'der Eigenschaften auch grosse Unterschiede des Energieinhaltes (S. 281); alle die Energie, welche bei der Bildung einer Lösung von Jodkalium aus Jod, Kalium und Wasser frei wird, stellt die Energieverluste dar, welche diese Elemente erleiden, wenn sie aus dem gewöhnlichen Zu- stande in den der entsprechenden Ionen übergehen. Dies ergiebt sich daraus, dass in einer hinreichend verdünnten Jodkaliumlösung wieder nur Jod und Kalium vorhanden ist, nur beide im lonenzustande.

Hält man sich diese durch die Verhältnisse gebotenen Anschauungen

400 I^- Elektrochemie.

gegenwärtig, bo madit es keioe Schwierigkeit, zu verstehen, dass zwisdien den Elementen im gewöhnlichen Zustande und als Ionen nicht nur keine Gleichheit vorhanden ist, sondern keine erwartet werden darf. Die Nichtbeachtung der Isomeriebeziehung hat den grössten Teil der Schwierig- keiten veranlasst, welche viele mit den neueren Anschauungen Unv^- traute diesen gegenüber empfunden haben.

Eine wichtige Eigenschaft aller Ionen soll nicht unerwähnt bleiboL Da sich aus den festen Salzen die Ionen erst in der Auflösung bilden, so ist deren Existenz an die Lösung gebunden; verlässt ein Stoff die Lösung, so verlässt er gleichzeitig den lonenzustand. Hieraus ergiebt sich, dass kein Ion in messbarem Betrage flüchtig sein kann; diese Eigenschaft kann« nur bei neutralen Stoffen auftreten. Ebensowenig kann ein Ion in ein Lösungsmittel übergehen, in welchem die lonenbildun^ Null ist. Aus diesen Eigenschaften, die in der Natur des lonenzustandes begründet sind, und daher allen Ionen zukommen, ergeben sieh zahl- reiche chemische Eigentümlichkeiten der Ionen als notwendige Folgen; es wird sich später Gelegenheit finden, auf einige von ihnen hinzuweisen.

Fünftes Kapitel. Elektrolytische Gleichgewichte.

Von den gewöhnlichen Gleichgewichten unterscheiden sich die elek- trolytischen, oder die zwischen Ionen bestehenden durch den besonderen Umstand, dass in jeder Phase die gesamte Konzentration der Kationen der der Anionen gleich sein muss. Die Notwendigkeit dieser Thatsadie ergiebt sich aus dem Faradayschen Gesetze, dass mit chemisch äquiva- lenten Mengen der verschiedenen Ionen gleiche Elektrizitätsmengen verbunden sind, im Verein mit dem anderen Gesetze, dass im Inneren eines Leiters nie fi'eie Elektrizität vorhanden sein kann, und dass somit die Summe aller vorhandenen positiven und negativen lonenladungen gleich Null sem muss.

Dadurch tritt in allen Fällen, wo Ionen sich am Gleichgewicht be- teiligen, eine weitere Bedingungsgleichung auf, durch welche die Zahl der Freiheiten um eine vermindert wird. Für die Anwendung der Phasenregel ist in solchen Fällen jede Art Ionen als ein unabhängiger Bestandteil zu rechnen, doch ist die so erhaltene Gesamtzahl und da- her auch die Zahl der Freiheiten um eine Einheit zu vermindern. Nach dieser Regel lassen sich auch verwickeitere lonengleichgewichte sachge- mäss behandeln.

Für den Fall, dass nur ein Elektrolyt anwesend ist, ergiebt sich, dass die Phasenregel überhaupt keine Änderung erleidet Denn man hat allerdings die beiden Ionen als zwei BestandteUe zu zählen; da aber

Elektrolytische Gleichgewichte. 401

Eins abzuziehen ist, so kann der Elektrolyt wie ein anderer Stoff oder Bestandteil behandelt werden.

Anders werden die Verhältnisse, wenn zwei Eiektrolyte auftreten. Diese können entweder ein gemeinsames Ion enthalten, und dann sind drei Bestandteile vorhanden, die bezüglich der Phasenregel als zweie zu rechnen sind. Oder die beiden Eiektrolyte enthalten lauter verschie- dene Ionen; dann liegen vier Bestandteile vor, die als dreie zu rechnen sind. Ähnhch sind die weiteren Fälle zu behandeln.

Elektrolytische Gleichgewichte erster Ordnung liegen vor, wenn der Elektrolyt für sich teilweise in Ionen zerfällt. Dies tritt bei geschmolzenen Salzen ein; bei Zimmertemperatur kennt man keinen einigermassen ge- spaltenen Elektrolyt. Bezeichnet man ein Kation mit K, ein Anion mit A', so ist die Reaktionsformel iiir den einfachsten Fall des binären Elektro- lyts K* + A' = K-A und die Gleichgewichtsgleichung daher a, -ag = k-b. Wegen der Notwendigkeit, dass Kationen und Anionen in gleicher Kon- zentration vorhanden sind, muss a^ =^3 gesetzt werden; wird die gleiche Konzentration der beiden Ionen mit a bezeichnet, so folgt a* = k«b, wo k noch eine Funktion der Temperatur und des Druckes ist, da die eine Phase zwei Freiheiten bedingt.

Das heisst: ein jeder Stoff, der ftu* sich in Ionen zerföllt, nimmt bei gegebener Temperatur und gegebenem Drucke einen bestimmten Gleichgewichtszustand an, der nur von seiner Natur abhängt. Der Ein- fluss des Druckes ist wieder sehr gering, da keine erheblichen Volum- änderungen bei der Ionisierung eintreten. Der Einfluss der Temperatur ist durch die Regel bestimmt, dass bei steigender Temperatur die mit Wärme- bindung stattfindende Reaktion erfolgt. Da soviel bekannt alle Stoffe, die für sich (d. h. ohne Lösungsmittel) Ionen bUden, bei steigender Temperatur mehr zerfallen, so ist zu schliessen, dass die Bildung der Ionen aus ihnen unter Wärmeverbrauch erfolgt. Doch ist unsere Kenntnis dieser Verhältnisse noch so wenig entwickelt, dass man eine solche Be- hauptung allgemein nicht aufstellen darf.

Am genauesten ist in dieser Beziehung das Wasser bekannt. Da man die Geschwindigkeit seiner Ionen aus den Messungen an Säuren (Wasserstoff) und Basen (Hydroxyl) kennt, so braucht man nur seine Leitfähigkeit durch die Summe der beiden Geschwindigkeiten zu dividieren, um den Dissoziationsgrad zu haben.

Die Ausführung dieses Gedankens stösst indessen auf die Schwierig- keit, dass die Leitfähigkeit auch des mit grosser Sorgfalt hergestellten Wassers ganz vorwiegend von Verunreinigungen herrührt, die durch das Reinigungsverfahren nicht vollständig entfernt worden sind. Unter be- sonderen Vorsichtsmassregeln (Destillation in einem zugeschmolzenen luft- leeren Gefässe, in welchem etwa 10 Jahre lang reines Wasser enthalten gewesen war) wurde es möglich, Wasser zu gewinnen, dessen Leitfähig- keit nur etwa zu einem Zehntel von Verunreinigungen herrührte (Kohl-

Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 26

402 I^> Elektrochemie.

rausch und Heydweiller 1894)^ und an dem die Leitfähigkeit des ganz reinen Wassers auf Grund berechtigter Annahmen berechnet werden konnte.

Bei 18^ ist die spezifische Leitfähigkeit des reinen Wassers gleich 385-10""^^ gefunden worden, d. h. ein Würfel von 1 cm Seite hat die angegebene Leitfähigkeit in reziproken Ohm. Nun ist die Wanderungs- geschwindigkeit des Wasserstoffs bei dieser Temperatur 318, die des Hydroxyls 174, die Summe also 492. Dividiert man diese Zahl in die angegebene, so folgt die Konzentration der Ionen des Wassers in Mol^ pro Kubikcentimeter; um sie wie gewöhnlich in Molen pro Liter zn haben, ist der Wert mit 1000 zu multiplizieren. Es folgt 0-078 XIO-^ Das heisst, in einer Million Liter Wasser ist 0*078 g Wasserstoff und 1-326 g Hydroxyl im lonenzustande vorhanden.

Diese Menge ändert sich schnell mit der Temperatur, da die Dis- sociationswärme des Wassers in seine Ionen, die aus den Erscheinungen bei der Neutralisation zu berechnen war (S. 276), einen bedeutenden Wert besitzt. In der Formel d In k/dT=L/RT2 ist L= 57-5 J,R= 8-31X10' und T = 291 zu setzen. Dies ergiebt für dT=l d In k = 0-082, oder da dlnk = dk/k ist, so ergiebt sich, dass die Spaltung des Wassers in seine Ionen um rund 8 Prozent für jeden Grad zunimmt.

Die nachstehende Tabelle giebt die Konzentration der H* oder OH'- Ionen des Wassere bei verschiedenen Temperaturen in Molen anf eine Million Liter an Temp. 0^ 20 10« 18<> 26« 34« 42« 50®

Diss. 0-034 0-038 0-055 0078 0-106 0-143 0-188 0-242

Ausser durch die Leitföhigkeit ist die Dissociation des Wassers noch auf verschiedene andere Weisen bestimmt worden. Diese voneinander un- abhängigen Methoden haben tibereinstimmende Zahlen gegeben und so eine ausgezeichnete Bestätigung für die Angemessenheit der Dissociations- theorie der Elektrolyte geüefert.

Während unsere Kenntnis über die lonengleichgewichte erster Ordnung nicht viel weiter gehen, sind die zweiter Ordnung in einem ausserordentlich weiten Umfange studiert worden. Die Messung der elektrischen Leittähigkeit gewährt ein so bequemes und empfindliches Hilfsmittel zur Feststellung von lonenkonzentrationen und somit vonDisso- ciationsgraden, dass es auf sehr viele Stoffe angewendet worden ist, und eine grosse Fülle von einzelnen Ergebnissen gebracht hat.

Lösen wir einen Elektrolyt in Wasser auf (es sollen zunächst aus- schliesslich wässerige Lösungen betrachtet werden), so zerföllt er teilweise in seine Ionen, und es tritt ein Gleichgewicht ein, das wieder durch die chemische Formel K -j- A' = K-A dargestellt ist, wo K* das Kation und A' das Anion bezeichnet. Sind a^ und a.^ die Konzentrationen der beiden Ionen, b die des unzersetzten Teils, so ist wieder a^ = a^ = a zu setzen; während aber beim Gleichgewicht erster Ordnung diese Konzentrationen nur von der Temperatur und dem Drucke abhängen, ist hier eine Frei- heit mehr vorhanden, und man kann noch über eine der Konzentrationen

Elektrolytische Gleichgewichte. 403

beliebig verfligen. Aus experimentellen Gründen ist dies die Gesamt- konzentration des Elektrolyts a + b, denn man kann die Ionen nicht einzeln handhaben. Die Gleichung lautet demnach a*/b = k und wird sehr viel angewendet.

Um die Konzentration a der Ionen zu bestimmen ^ bedient man sich des gleichen Mittels wie beim Wasser: man vergleicht die molekulare Leitfähigkeit des Elektrolyts mit dem Grenzwert ftlr unendliche Ver- dünnung. Ist [ly die Leitfähigkeit bei der Verdünnung (Mol im Liter) V und [i^ die bei unendlicher Verdünnung oder der Grenzwert der Leit- fähigkeit, so ist fiylfi^ = ai (S. 390) der dissociierte Bruchteil und a/v die Konzentration der Ionen, während (1 a)/v die Konzentration des nichtdissociierten Anteils ist Werden diese Werte in die Gleichung ge- setzt, so folgt

2

a^ ^1, .:^.^ f^

2

V

= k oder —^ - = k

(1 a)v fioo(li(x>— fiv)v

als Ausdruck für den Einfiuss der Verdünnung v auf die molekulare Leitfähigkeit (Ostwald 1888).

Diese Gleichung gestattet folgende Schlüsse. Ist a sehr klein, so ist 1 a von 1 nicht erheblich verechieden, und die Gleichung geht über in a*==:vk, d. h. der Dissociationsgrad und somit die molekulare Leitfähigkeit wächst wie die Quadratwurzel aus der Verdünnung. Dies Gesetz ist für wenig leitende Elektrolyte lange vor Aufstellung der Dissociationstheorie erfahrungsmässig gefunden worden (Kohlrausch 1878).

Im übrigen wächst a beständig mit v, aber nicht unbegrenzt. Für sehr grosse v muss der Ausdnick a^/(l a) gleichfalls sehr gross werden, da k eine Konstante ist. Dies geschieht, indem sich a der Ein- heit nähert. Das heisst, dass alle Elektrolyte mit steigender Verdünnung immer grössere Werte der molekularen Leitfähigkeit annehmen müssen; diese nähert sich einem Maximalwerte, der nicht überschritten werden kann und dem vollständig dissociiei*ten Elektrolyt zukommt. Auch diese Verhältnisse sind erkannt worden, bevor die entsprechende Theorie auf- gestellt worden war (S. 385).

Aus der Form der Gleichung ergiebt sich weiter folgendes. Da in ihr nur die Konstante k noch von der Natur des Stoffes abhängt, so kann man für zwei beliebige Stoffe die Verdünnung Vj und V2 so wählen, dass die Produkte Vj kj und Vg kg bei beiden gleich sind. Als-

a^

dann muss auch :; und somit auch a bei beiden gleich sein, d. h.

1 a

die auf den Grenzwert bezogene Leitfähigkeit, oder, was dasselbe ist, der Bruchteil dissociierter Molekeln ist bei beiden derselbe. Ändert man beide Verdünnungen in demselben Verhältnis, verdoppelt man sie bei- spielsweise, so bleiben die Produkte v^ k^ und Vg kg wiederum gleich, und ebenso die Werte von a. Daraus folgt, dass die Verdünnungen, bei welchen zwei Stoffe in gleichem Grade dissociiert sind,

26*

404 ^^' Elektrochemie.

stets in demselben Verhältnis stehen^ unabhängig von den Wert« der Verdünnung selbst. Auch dieses Gesetz war (Ostwald 1885) empirisch gefiinden worden, bevor die Dissociationstheorie auf Elektrolyte ange- wandt worden war. 2

Schliesslich muss der Ausdruck —— för alle Verdünnungen

eines gegebenen Elektrolyten eine Konstante sein. Dieser Schluss ist an einer sehr grossen Anzahl von Elektrolyten, Säuren wie Basen als göltig nachgewiesen worden. Als Beispiel diene die nachstehende Tabelle für Essigsäure bei 25®.

V fX

8 434

16 640

32 8-65

64 12.09

128 16-99

256 2382

512 3220

1024 46-00

oo 364

Die Dissociations- oder Gleichgewichtskonstante k ist für eine grosse Anzahl verschiedener Stoffe bestimmt worden, und hat sehr enge Be- ziehungen zu deren Zusammensetzung und Konstitution ergeben. Eine Übersicht der beobachteten Verhältnisse wird an späterer Stelle mit- geteilt werden.

Mit der Kenntnis der Konstante k ist die Möglichkeit gegeben, für jede Verdünnung die Leitfähigkeit einer Säure zu berechnen. Man braucht dazu nur die Gleichung nach a aufzulösen, wobei man erhält

fiy _ _ vk + V v»k« -h 4 vk

a

k

001193

00000 180

001673

0-0000179

0-02380

0-0000182

0-0333

0-0000179

00468

0-0000179

0-0656

0-0000180

00914

0-0000180

0-1266

0-0000178

Ausser von der Natur der Stoffe ist die Konstante k noch von der Temperatur abhängig^ und zwar gemäss der vielgebrauchten Formel dlnk/dT = L/RT*. Ob also k mit steigender Temperatur zu- oder abnimmt; hängt vom Zeichen der Dissociationswärme L ab. Bei positivem L, d. h. wenn fiir die Dissociation Wärme aufgenommen wird, wächst k mit steigender Temperatur; anderenfalls nimmt k ab. Nun giebt es fhr Säuren oder Basen eine Metiiode, das Zeichen und den Wert von L zu er- mitteln; sie besteht in der Messung der Neutralisationswärme des zu untersuchenden Stoffes mit einer möglichst vollständig dissodierten Base, bez. Säure (S. 277). Der Unterschied, den man dabei gegen die Bildungswärme des Wassers aus seinen Ionen, 57 J, findet; ist L (1 a), das Produkt der Dissociationswärme in den nichtdissociierten Bruchteil des Stoffes. Ist daher die Neutralisationswärme kleiner als 57 J, so ist die Dissociationswärme positiv und die Dissociation nimmt mit steigen-

Elektrolytische Gleichgewichte. 405

der Temperatur zu; ist sie dagegen grösser, so erfolgt die Dissociation unter Wärmeentwickeiung und die Dissociation sinkt mit steigender Temperatur.

Vergleicht man unter diesem Gesichtspunkt die Neutralisationswärmen der verschiedenen Säuren, so ergiebt sich, dass beide Fälle vorkommen: es giebt sowohl positive, wie negative Dissociationswärmen. Der letztere Fall, dass der Zerfall einer Säure in ihre Ionen Wärme entwickelt, hat anfanglich Aufsehen und Unglauben erregt, da man vom molekularen Standpunkte es tiir unmöglich hielt, dass die Trennung einer Molekel in ihre Bestandteile noch Wärme entwickeln könne. Indessen entwickelt auch der Zerfall des Acetylens und Cyans in seine Bestandteile Wärme, und der Widerspruch, der hier gegen die Molekularhypothese erscheint, ist eine Schwierigkeit lür diese Hypothese, aber keine für die Dissociationstheorie.

Eine Bestätigung dieser Schlüsse wurde dadurch erbracht, dass durch Messungen der elektrischen Leittähigkeit bei verschiedenen Tempe- raturen die Grösse a direkt bestimmt wurde. Es ergab sich der Vor- ausberechnung gemäss, dass wirklich die Säuren mit zu grosser Neutrali- sationswärme ihre Dissociation mit steigender Temperatur vermindern. Bei Phosphorsäure und Dichloressigsäure ist dieser Einfluss so stark, dass er unter bestimmten Bedingungen selbst die Zunahme übertrifft, welche die Leitföhigkeit aller Elektrolyte durch die grössere Wanderungsge- schwindigkeit ihrer Ionen bei steigender Temperatur erfahren. Diese Elektrolyte zeigen ein Maximum der molekularen Leitfähigkeit, d. h. bei steigender Temperatur nimmt diese erst zu, wie gewöhnhch, und dann wieder ab ^) (Arrhenius 1888).

Die vorstehenden Formeln und Beziehungen sind vorwiegend an einbasischen organischen Säuren geprüft worden, und haben sich hier in einem ungewöhnlich weiten Umfange bestätigt. Ebenso haben zahkeiche Basen vom Typus des Ammoniaks eine vollständige Übereinstimmung zwischen Theorie und Erfahrung erkennen lassen. Diese Elektrolyte sind meist nicht sehr weitgehend dissociiert, doch hat sich auch bei solchen, deren Dissociation bis über 70 Prozent angestiegen ist, die Über- einstimmung nachweisen lassen.

Das Verhalten der bisher besprochenen Elektrolyten die alle durch einen massigen Betrag des Zerfalls in Ionen gekennzeichnet sind, ist vollständig durch das Massenwirkungsgesetz geregelt und sie bilden aus- gezeichnete Beispiele für dessen R'üfiing und Bestätigung. Neben ihnen giebt es indessen eine grosse und wichtige Klasse von Elektrolyten, bei denen die Geltung des Massenwirkungsgesetzes vermisst wird. Sie haben

*) Man findet noch oft in den Lehrbüchern die Angabe, dass sich die Elektrolyte dadurch von den Leitern erster Klasse unterscheiden, dass sie ihre Leitfähigkeit mit steigender Temperatur vermehren, während diese sie ver- mindern. Aus dem im Text Gesagten ergiebt sich, dass ein solcher Satz keineswegs für die Elektrolyte allgemein gültig ist. Er ist es auch nicht für die Leiter erster Klasse.

406 IX. Elektrochemie.

alle die Eigentümlichkeit^ dass sie schon in verhältnismässig starken Losungen weitgehend dissoziiert sind, und sie verhalten sich bei steigen- der Verdünnung so, dass ihre Leitfähigkeit langsamer zunimmt, als nach dem Massenwirkungsgesetze zu erwarten wäre. Beredinet man daher die Konstante k in gewöhnlicher Weise^ so erscheint sie nicht konstant, sondern mit steigender Verdünnung abnehmend. Zu dieser Gruppe ge- hören die Neutralsalze und die stark dissociierten Säuren, wie Salpeter- säure, die Halogenwasserstofisäuren, die meisten Sauerstofi^uren d^ Halogene, die Sulfonsäuren der Kohlenwasserstoffe u. s. w.; endlich die stark dissociierten Basen, wie die Hydroxyde der Alkali- und Erdalkali- metalle, die quaternären Ammoniumverbindungen und ähnliche Stoffe.

Die Abweichungen in der Leit^igkeit dieser Stoffe vom Ver- dünnungsgesetze sind zwai* nicht gross (einige Prozente), wenn man die beobachteten und die berechneten Werte vergleicht, sie sind aber so konstant, dass man sie nicht irgend welchen ZufäUigkeiten zuschreiben darf. Wo- her sie rühren, ist nicht ermittelt; einige plausibel erscheinende Ver- mutungen sind bisher noch nicht genügend geprüft worden.

Die Abweichungen sind im übrigen so gesetzmässig, dass man einige empirische Formeln für sie hat au&tellen können,^ die die Berechnung der anderen Werte aus einer gemessenen Leitfähigkeit bei Verdünnungen über 51 hinaus gestatten. An Stelle des theoretischen Ausdruckes

a2/(l a)v = k giebt die Formel a V(l a)l/V=k(Rudolplii 1895)oder a'*/(l a)*v = k (van't Hoff 1895) das Verhalten der stark dissociierten Elektrolyte mit guter Annäherung wieder. Eine theoretische Begründung ist i^r keine dieser Formeln gefunden worden. Die Frage, ob die Ab- weichung daher rührt; dass die Leitfähigkeit kein richtiges Mass der Dissociation in diesem Falle ist, scheint verneinend entschieden zu sein; die Abweichung liegt also vermutlich daran, dass in diesem Falle eine andere, bisher nicht beachtete Energie sich am Zustandekommen des Gleichgewichts beteiligt.

Dagegen sind einige erfahrungsmässige Beziehungen aufgefunden worden, welche für die Chemie eine praktische Bedeutung gewonnen haben. Vergleicht man den Einfluss der Verdünnung auf die äquiva- lente (nicht die molekulare) Leitfähigkeit von Salzen, deren Ionen ver- schiedene Wertigkeit haben, so findet man, dass för den gleichen Ver- dünnungsbetrag diese Änderung gleichzeitig mit der Wertigkeit wächst, und zwar im normalen Falle proportional mit dem Produkte aus den Wertigkeiten beider Ionen. Die Versuche sind hauptsächlich in der Ge- stalt ausgeführt worden, dass die äquivalenten Leitfähigkeiten bei den Verdünnungen 32 und 1024 1 und bei 25^^ gemessen wurden; dann beträgt der Unterschied ftlr ein Salz aus zwei einwertigen Ionen rund 10 Ein- heiten, und fär eines, dessen Ionen die Wertigkeiten n, und n^ haben, n^Uj, X 10.

Es ist sofort zu betonen, dass diese Regel nicht allgemein ist, sondern namentlich für die Salze aus mehrbasischen Säuren und mehr-

Elektrolytische Gleichgewichte. 407

saurlgen Basen Ausnahmen erleidet, wenn diese Säuren oder Basen im freien Zustande wenig dissoziiert sind. Salze schwacher Säuren oder Basen folgen dagegen der Regel, wenn der andere Bestandteil einwertig und im freien Zustande stark dissociiert ist. Die hauptsächlichste An- wendung findet diese Beziehung zur Ermittelung der Basizität einer un- bekannten Säure, bez. der Acidität einer unbekannten Base; in solchen FUllen kann man es leicht so einrichten, dass die genannten günstigen Bedingungen erfüllt sind;

Das praktische Verfahren gestaltet sich am einfachsten so, dass man die fragliche Säure in Substanz in Vsi - i^ormaler Natronlauge (bez. die Base in Vsa- normaler Salzsäure) auflöst, ihre Leitföhigkeit und die der 32 mal ver- dünnteren Lösung misst. Der Unterschied der beiden auf ein Äquivalent be- zogenen Leitfähigkeiten, dividiert durch 10, ergiebt die Wertigkeit der Säure, bez. Base (Ostwald 1887).

Schliesslich sei noch erwähnt, dass die Messung der elektrolytischen Leitfähigkeit zu den bequemsten und empfindlichsten Hilfsmitteln gehört, um das Vorhandensein eines Salzes m einer Lösung festzustellen, und wenn seine Natur bekannt ist, auch seine Menge zu ermitteln. Da Wasser, wie man es unter der Anwendung einiger Sorgfalt im Laboratorium rein herzustellen vermag, etwa die spezifische Leitföhigkeit von 10~^ hat, so kann man Lösungen, die etwa ihrerseits den gleichen Betrag an Leit- fähigkeit bewürken, noch mit guter Sicherheit untersuchen. In so ver- dünnten Lösungen addieren sich die Leitfähigkeiten neutraler Salze*), so dass man die des Zusatzes durch Abziehen des vom Gebrauchswasser herrührenden Betrages berechnen kann. Die angegebene spezifische Leit- fähigkeit kommt etwa einer Lösung zu, die ein Neutralsalz in 10~ ^-nor- maler Verdünnung enthält; bis dahin lassen sich also Gehaltsbestimmungen leicht ausführen.

Auf diese Weise ist z. B. die Löslichkeit folgender „unlöslicher" Salze bestimmt worden; die Zahlen bedeuten Mole in einer MiUion litem (Kohlrausch und Rose 1893).

Chlorailber 11-7, Bromsilber 2, Quecksilberchlorür 13, Fluorcalcium 700, Baryumsulfat 50, Strontiumsulfat 2320, Bleisulfat 600, Baryumoxalat 1320, Sti'ontiumoxalat 1020, Calciumoxalat 184, Baryumkarbonat 480, Strontium- karbonat 300, Calciumkarbonat 560.

Die Messungen gelten für 18®. Die Berechnung beruht auf der Kenntnis der Wanderungsgeschwindigkeiten der Ionen dieser Salze; be- zieht man die beobachtete spezifische Leitfähigkeit durch MultipUkation

*) Säuren und Basen zeigen grosse Abweichungen, die von eintretender Neutralisation durch die Verunreinigungen herrühren; durch das Verschwinden der Ionen H* und OH', welche die schnellsten sind, nimmt die Leitfähig- keit stark ab, und man darf die wahre Leitfähigkeit solcher Stoffe nicht durch Abzug des dem Wasser zukommenden Anteiles berechnen wollen.

408 I^* Elektrochemie.

mit 1000 auf 1 1, und dividiert diesen Wert durch die Summe der Ldt- fähigkeiten der Ionen, so erhält man den Glehait in Molen auf ein Dter. Etwas verwickelter, als die bisher geschilderten Verhältnisse gestaltet sich der Zerfall mehrwertiger Elektrolyte in Ionen. Ist z. B. dn zweiwertiges Anion A" mit zwei einwertigen Kationen K* verbunden, so könnte man zunächst annehmen, dass der zugehörige Vorgang nach der Gleichung A.K2=A"+2K' erfolge. Die Erfahrung zeigte dass dies nicht der Fall ist; vielmehr treten zwei Vorgänge ein, die durch die Gleichungen A .Kj = AK'-j- K* und AK'=A"-|-K* dargestellt werden. Demgemäss ist die zugehörige Gleichgewichtsgleiehung nicht a'/(l a)v = k, wie sie nach der ersten Annahme sein mtisste, sondern es bestehen zwei Gleichungen nebeneinander. Bezeichnet man den An- teil der Ionen K' mit a, der Ionen AK' mit b, der Ionen A" mit e und den unzerlegten Anteil mit e^ so bestehen zunächst die Beziehungen a = b 4" 2 c und e = 1 b c, die sich unmittelbar aus den Reaktions- gleichungen ergeben. Ferner bestehen die Gleichgewichtsgleichungen ab = kidv (1) und ac = k2bv (2). Durch Elimination kann man zwei von den Werten a, b, c, e herausschaffen, so dass die endliehe Gleich- gewichtsgleiehung zwei Veränderliche und die beiden Konstanten k, und kg enthält. Für einen gegebenen Wert des einen Anteils können daher, je nach den Werten beider Konstanten, die von Stoff zu Stoff verschie- den sind, ganz verschiedene Werte der anderen Anteile bestehen.

Um diese Überlegungen anschaulich zu machen, denken wir uns unter K* das Wasserstoff ion, d. h. wir betrachten eine zweibasiscfae Säure. Wir nehmen zunächst einen Grenzfall an: kj sei sehr klein gegenüber k^. Dann ist vermöge der zweiten Gleichung c sehr klan gegen b und man kann a = b und e = 1 a setzen. Führt man dies in die erste Gleichung ein, so erhält sie die Form der gewöhnlichen Dissociationsgleichung für einen binären Elektrolyt, a'^/(l a)=kv. Daraus folgt, dass bei Säuren der angenommenen Art die Dissociation erfolgen muss, als seien sie einbasisch. Erat wenn v sehr gross wird, nimmt der zweiten Gleichung gemäss auch c grössere Werte an, die man schliesslich nicht mehr veniachlässigen darf.

Mit diesen Schlüssen stimmt die Erfahrung vollkommen überein. Bei schwächeren zweibasischen Säuren ändert sich die Leitfähigkeit mit der Verdünnung nach ganz demselben Gesetz, wie bei einbasischen.

Als Beispiel seien Messungen an Bernsteinsäure gegeben; die Be- zeichnungen sind dieselben wie S. 404; die Leitföhigkeiten beziehen sich auf ein Mol, nicht ein Äquivalent. Als Grenzwert ist 356 angenommen.

y fji. a 10*k

16 11.40 0-0320 6-62

32 16-03 0-0450 6-62

64 22-47 00632 6-67

128 31-28 0-0880 6-64

256 43-50 0-1224 6-68

Elektrolytische Gleichgewichte. 409

V

i"

a

10* k

512

59-51

0-1675

6-59

1024

8164

0-2295

6-68

2048

109-5

0-3082

6-71

a

lO'^k

0-158

93

0217

94

0-293

95

0-390

97

0-503

99

0-639

110

0-785

140

Wie man sieht, ergiebt sich k völlig konstant innerhalb der Ver- suchsfehler, obwohl schliesslich die Verdünnung recht bedeutend ist.

Sind die zweibasischen Säuren stärker, so kommt die Dissoziation des einwertigen Anions in das zweiwertige und Wasserstoff viel früher zur Geltung. Berechnet man dann die Konstante k wie gewöhnlich, so beginnt sie dort zuzunehmen, wo die zweite Dissociation einen merk- lichen Wert erlangt. Die nachstehenden Messungen an Fumarsäure lassen dies Verhalten erkennen.

32 56-4

64 77-4

128 104-5

256 139-0

512 1795

1024 228-0

2048 280-2

oo 3570

Die Genauigkeit, mit der die Konstanten bestimmt worden sind, beläuft sich auf etwa 2 Prozent; die Zunahme ist also bereits bei v = 256 1 erkennbar, und bei den nächsten Verdünnungen wird sie bald sehr be- deutend.

Zwischen den beiden Konstanten kj und kg besteht kein notwen- diger Zusammenhang, ausser dass k^ immer kleiner sein muss, als k^; das Verhältnis zwischen beiden ist sehr wechselnd und hängt von kon- stitutiven Eigenschaften der Säuren ab, die hier nicht besprochen werden können.

Ganz dieselben Betrachtungen lassen sich auf zweisäurige Basen an- wenden, und auch hier hat die Erfahrung Übereinstimmung ergeben. Femer unterliegen die Salze gleichfalls denselben Gesetzen, wenn sie aus einem zweiwertigen Ion und zwei einwertigen bestehen. Da aber schon die ein- fachst beschaifenen Salze Abweichungen vom Massenwirkungsgesetz zeigen, ist dies auch bei den hier in Frage kommenden zu erwarten, und die rech- nerische Verwertung der Formel ist nicht versucht worden. Wesentlich ist nur, dass man in solchen Salzen die Anwesenheit der teilweise gespaltenen Ionen anzunehmen hat, so dass man nicht aus der Leitfähigkeit einen un- mittelbaren Schluss auf den Betrag der Dissociation und die Konzentrationen der einzelnen Ionen ziehen kann.

Noch verwickelter werden die Verhältnisse, wenn Ionen von grösserer

Wertigkeit zusammentreten. Man könnte annehmen, dass im Falle, dass zwei

i Ionen von gleicher Wertigkeit verbunden sind (wie z. B. zwei zweiwertige

410 I^- Elektrocheifiie.

im Ma^esiumsulfat); wieder die einfache Gleichung Anwendung findet. Dod muss man die Möglichkeit erwägen, dass sich zweiwertige Kationen von der Zusammensetzung A.K**, und zweiwertige Anionen K.A"2 bilden können. Im Falle des Magnesiumsulfats wären es die Ionen (SOJMgj** und Mg(SOJ,". Beobachtungen über das Verhältnis zwischen LeittUhigkeit und Gefrierpunkts- erniedrigung sprechen dafür, dass solche Ionen in messbarer Menge yorhan- den sind.

Drei- und mehrbasische Säuren folgen, wenn sie wenig dissociiert sind, noch bei nicht allzu grosser Verdünnung dem einfachen Gesetz der binären Elektrolyte, nur treten die Abweichungen unter sonst gleiche Verhältnissen früher ein, als bei zweibasischen.

Hiermit ist das wichtigste für den Fall zweier lonenbestandteile erledigt. Auch die Frage, wie sich das Gleichgewicht gestaltet, wenn eine festePhase dazutritt, ist bereits (S. 400) dahin beantwortet worden, dass ein fester Stoff, der beim Auflösen in Ionen zerfallt, genau dieselben allgemeinen Verhältnisse zeigt, als wenn er unverändert in Lösung ginge. Nur besteht natürlich das Gleichgewicht ausschliesslich mit dem niclit- dissociierten Anteil in der Lösung, und daher wird die schembare Lös- iichkeit eines Elektrolyts immer höher sein, als die wahre, d. h. das durch das Gleichgewicht zwischen dem festen Stoffe und dem unverändert in der Lösung vorhandenen Anteil bestimmte Verhältnis. Jede Änderung des Gleichgewichts zwischen diesem Anteil und den Ionen in der Losung muss sich auch in der Löslichkeit zum Ausdruck bringen. Dies giebt eine Erklärung für die merkwürdige Thatsache, dass die meisten Sol&te vom Typus des Magnesiumsulfats bei höheren Temperaturen (200 bis 300®) in Wasser fast völlig unlöslich werden, während sonst im allgemeinen die Löslichkeit bei so hohen Temperaturen stark zunimmt. Diese Salze haben eine positive Dissociationswärme; ihre Dissodation geht mit steigender Temperatur zurück, und daher auch ihre scheinbare Lös- lichkeit.

Der zunächst zu untersuchende Fall ist der dreier Ionen in der Lösung. Da die Summe der Anionen und der Kationen jedenfalls gleich sein muss, so erhält man experimentell diesen Fall, wenn man zwei Elektrolyte miteinander zusammenbringt, die ein gemeinsames Ion enthalten, z. B. zwei Säuren, oder zwei Chloride. Man kann dann die Frage nach der gegenseitigen Beeinflussung des Gleichgewichtszustandes beider Elektrolyte aufwerfen.

Einen Fall kann man allerdings sofort erledigen, den Fall nämlich, dass alle gleichzeitig in der Lösung vorhandenen Elektrolyte nahezu völlig dissociiert sind. Alsdann werden sie sich nicht weiter beeinflussen, und man kann die für die einzelnen Lösungen gültigen Gesetze auch auf Gemenge anwenden.

Befindet sich aber in der Lösung gleichzeitig ein stark und ein schwach dissociierter Stoff, so wird eine gegenseitige Beeinflussung statt- finden, wenn beide ein gleiches Ion enthalten. Es gelten dann die

Elektrolytische Gleichgewichte. 411

Formeln des chemischen Gleichgewichts flir nicht äquivalente Mengen und 3er Dissodationszustand wird ein anderer.

Fragen wir zunächst, wie zwei Lösungen beschaffen sein müssen, damit sich die gelösten, teilweise dissociierten Stoffe gegenseitig nicht beeinflussen, so wird zu beanspruchen sein, dass sich die wirk- Bame Menge der Bestandteile durch die Vermischung nicht ändern darf. Zwei Lösungen desselben Stoffes werden sich demgemäss, was schon von vornherein klar ist, nur dann unbeeinflusst lassen, wenn ihre Konzenti*ation gleich ist Etwas verwickelter wird die Frage für zwei verschiedene Stoffe, welche ein gemeinsames Ion enthalten, z. B. für zwei Säuren. Wir betrachten der Einfachheit wegen zwxi einbasische Säuren HAj und HAg. Für dieselben werden nach der allgemeinen Formel des chemischen Gleichgewichts die beiden Gleichungen gelten

^l

1

«i

«1

«1

Vi

Vi

Vi

K,

1

«j

«»

««

Vj

Vg

wo a der dissociierte Anteil und v das Volum bedeutet, in welchem ein Mol enthalten ist.

Vermischen wir beide Lösungen, so geht das Volum in Vj -|- Vg

1 «j

über. Die Konzentration der unzersetzten Anteile geht auf

Vi +v.

2

und ; zurück, die der gespaltenen Säureionen auf

Vi + Vg ^ *^ Vi + Vg

cc a I flf

und ^ , die des Wasserstoffs aber auf ~ ; -- Die Gleichere-

vi + Vg Vi -f V,

Wichtsgleichung lautet demgemäss für beide Säuren

K.

K,

Vi + Vj, Vi + Vg Vj+Vg

1 «g «2 ^1 "h ^8

Vi+Vg Vj + Vg Vi+Vg

Dividiert man die untere Gleichung in die obere, so folgt nach einer leichten Rechnung beiderseits

^1 V* j ^1 ^2

-1 = ^t oder ^ = ^^ .

«2 Vg Vi V2

Damit bei der Vermischung zweier Säuren der beiderseitige Disso- ciationszustand sich nicht ändert, muss die Konzentration des ab- gespaltenen Wasserstoffs in beiden Lösungen gleich sein.

Haben wir also z. B. Essigsäure, welche wenig dissoeiiert ist, und Salz- säure, welche es sehr stark ist, so werden wir, um Lösungen von gleicher Konzentration der Wasserstoffionen zu erhalten, sehr stark verdünnte Lösungen von Chlorwasserstoff zu massig starken Lösungen von Essigsäure nehmen

412 IX. Elektrochemie.

müssen. Aus der Tabelle auf S. 404 sieht man z. B., dass Essigsäure in eioa Verdünnung von 8 Litern rund 0-012 Mol Wasserstoffionen enthält, dass letzten

also eine Konzentration von ^ = 0-0015 haben. Salzsäure wird die« Lösung nicht beeinflussen, wenn die Konzentration ihres Wasserstoff de Gleichung = 0-0015 entspricht. Da sie bei den erforderlichen grossen Ver- dünnungen als völlig dissociiert angesehen werden darf, so ist « «= 1 und so* mit V =s 667. Die Salzsäure darf somit nicht konzentrierter sein, als ein Md in 667 Litern.

Arrhenius, dem wir die oben angestellten Betrachtungen verdanka (1888), nennt solche Lösungen, welche gegenseitig ihren Dissodations- zustand nicht ändern, isohydrische. Da es der eben entwickelte» Formel gemäss ftlr diese Beschaffenheit nur erforderlich ist, dass die Kon- zentrationen des gleichen Ions gleich sind, während die absoluten Mengen beider Lösungen oder ihr Verhältnis keine Rolle spielt, so müss«i isohydrische Lösungen sich in allen Verhältnissen ungestört lassen.

Daraus kann man folgern, was geschehen wird, wenn man zwei nicht isohydrische Lösungen miteinander vermischt: sie werden sidi gegenseitig in dem Sinne beeinflussen, dass sie isohydrisch werden, Denkt man beide Lösungen zunächst unvermischt übereinander ge- schichtet, so kann man der einen Lösung, in welcher die Konzentratio« des gemeinsamen Ions geringer ist, Wasser entziehen und es der anderen zufiihren, und zwar so lange, bis die Konzentration in beiden Lösungen gleich geworden ist. Alsdann sind die Lösungen isohydrisdi, und sie können dann vermengt werden, ohne verändernd aufeinander einzuwirken.

Zwei Lösungen, die mit einer dritten ißohydrisch sind, müssen es auch untereinander sein. Denn wenn zwei Lösungen mit einer dritten isohydrisch sind, so enthalten sie ein gleiches Ion in gleicher Konzentration wie die dritte, folglich haben sie auch unterein- ander gleiche Konzentration und sind isohydrisch. Auch dieser Satz war experimentell gefunden, bevor die Theorie ihn ableiten liess.

Diese Gleichgewichtsverhäjtnisse dreier Ionen führen nun zu der Erklärung gewisser Erscheinungen, die seit langem praktisch angewendet werden, ohne dass man ihr Wesen gekannt hätte. Es zeigt sich nämlicli, dass die Säurewirkung schwacher Säuren durch die Gegenwart ihrer Neutralsalze in ganz ausserordentlicher Weise vermindert wird. Während sich dies aus den älteren Vorstellungen nicht absehen liess, ergiebt es sich mit Notwendigkeit aus der Betrachtung der lonenverhältnisse.

Sei a die Konzentration der freien Anionen und Kationen einer wenig zerfallenen Säure und c der nicht zerfallene Anteil, so gilt fu? das Gleichgewicht die Formel a* = kc. Fügt man nun eine gewisse Menge eines Neutralsalzes derselben Säure hinzu, deren dissociierte Anteile die Konzentration b haben, so kann das frühere Gleichgewicht nicht be- stehen bleiben, sondern wegen der starken Vermehrung der Konzentration

Elektrolytische Gleichgewichte. 413

der Anionen muss die der Wasserstoffionen entsprechend abnehmen. Sei 2! die Konzentration der Wasserstoffionen, nachdem das neue Gleich- gewicht eingetreten ist, so ist die der Anionen a' -f- b und die des nicht- dissociierten Teils hat sich auf c + a 2! vermehrt. Die Gleichung lautet demnach a' (a' + b) = k (c -{- a a').

Nun haben wir angenommen, dass die Säure wenig dissociiert ist; es ist daher a und a' gegen c klein, und ebenso 2! gegen b, falls der Zusatz des Neutralsalzes nicht sehr gering war^ was ausgeschlossen sein soll. Vernachlässigen wir die kleinen Grössen gegen die grossen, so nimmt die Gleichung die einfache Gestalt an

a'b = kc.

Hieraus ergiebt sich, dass die Konzentration der Wasserstoffionen umgekehrt proportional der Konzentration des zugesetzten Neutf^salzes ist. Setzt man z. B. zu Essigsäure in der Verdünnung 8 1, wo der Zer- fall 0-012, die Konzentration der Wasserstoffionen also 0-0015 beträgt, eine äquivalente Menge Natriumacetat (das wir als völlig zerfallen an- sehen), so haben wir b=^'/8, c=V8 zu setzen; k ist 0-000018 (S. 404), und daraus ergiebt sich a' = kc/b = 0-000018, also rund 83 mal kleiner, als ohne den Zusatz^).

Da femer bei der Verdünnung der Gesamtflüssigkeit sich b, die Konzentration des Neutralsalzes, und c, die Konzentration des nichtzer- fallenen Teils der Säure, der von der Gesamtkonzentration der Säure nur sehr wenig verschieden ist, einander proportional ändern, so muss auch a', die Konzentration der Wasserstoffionen, unverändert bleiben. Während also bei stark dissoziierten Säuren diese Konzentration umgekehrt pro- portional dem Volum war, und bei schwach dissoziierten Säuren umge- kehrt proportional der Quadratwurzel aus dem Volum, so haben wir hier den Grenzfall, dass die Konzentration fast ganz unabhängig vom Volum wird. Auch dieser Satz ist von einer gewissen Bedeutung, da er zu- weilen gestattet, die Bedingungen chemischer Vorgänge, bei denen Wasserstoffionen beteiligt sind, zu vereinfachen.

Diese Gleichgewichte liegen der Anwendung des essigsauren Natriums in der analytischen Chemie zu Grunde. Man bedient sich dieses Reagens wenn es sich darum handelt, eine Flüssigkeit zwar sauer zu erhalten, die spezifische Säurewirkung aber möglichst klein zu machen. Ein solcher Fall tritt z. B. bei der Fällung des Schwefelzinks ein, die durch etwas erheb- lichere Konzentration vorhandener Wasserstoffionen verhindert wird. Setzt man Natriumacetat zu, so wird deren Konzentration so stark herabgediückt, dass die Fällung hinreichend vollständig erfolgt, um quantitativ verwertbar

*) Aus der Rechnung ergiebt sich gleichzeitig, dass unter diesen

Umständen, nämlich wenn man zu der Lösung einer schwachen Säure eine

äquivalente Menge ihres Neutralsalzes setzt, die Konzentration der Wasser-

I ßtoffionen gleich der Dissociationskonstante wird, unabhängig von der Gesamt-

tonzentration.

4l4 IX. Elektrochemie.

zu sein. Auf dem gleichen Umstände beruht die Fällung der FerrisalzlösungeB durch Natriumacetat in der Wärme. Die eingehende Behandlung dieser Er- scheinungen kann hier nicht vorgenommen werden, da auch die heterogenen Gleichgewichte für das Verständnis in Frage kommen.

Die gleiche Erscheinung wird auch vielfach in der chemischen Kinetik verwendet, wenn es sich darum handelt, die Wirkung vorhandener Wasser- stoffionen in einem gegebenen Augenblicke aufzuheben, ohne die Flüssigkeit alkalisch machen zu müssen.

Die gleichen Überlegungen treten ein, wenn eine schwache, d. h. wenig dissoziierte Base neben ihrem Neutralsalz vorhanden ist. Ferner wird durch die Gegenwart einer stark dissociierten Säure der Zerfafi einer gleichzeitig anwesenden schwachen Säure vermindert, so dass ihre Anionen fast aus der Flüssigkeit verschwinden. Gleiches gilt für eine schwache Base bei Gegenwart einer starken. Auch diese Verhältnisse kommen gelegentlich zur Geltung.

Tritt bei dem Gleichgewichte dreier Ionen eine feste Phase an^ so machen sich Erscheinungen geltend, die gleichfalls erst durch die Theorie der freien Ionen Erklärung und zahlenmässige Zusammenfassung gewonnen haben (van't Hoflf, Nernst). Sie ergeben sich fiir den einfachstei Fall der binären Dissociation aus der Gleichung ab = kc, wo a und b^ die Konzentrationen der beiden Ionen sind und c die des nicht disso- ciierten Teiles ist, vermöge der Forderung, dass zwischen der letzteren und der festen Phase Gleichgewicht besteht. Dadurch wird c nur nocli eine Funktion der Temperatur und bei gegebener Temperatur konstant. Dem- gemäss muss auch das Produkt ab konstant, bez. eine Funktion der Temperatur sein.

In der reinen Lösung eines Elektrolyts ist a=--b. Wird zu dieser Lösung ein anderer Elektrolyt mit einem gemeinsamen Ion gesetzt, so wird eine der Grössen a oder b vermehrt; es muss also die andere kleiner werden, damit das Gleichgewicht bestehen bleibt. Dies kann nur geschehen, indem sich der Elektrolyt zum Teil in fester Gestalt aus- scheidet. Die Lösung wird also in Bezug auf diesen übersättigt

Dies gilt in gleicher Weise für das eine wie fiir das andere Ion; daraus folgt, dass die Löslichkeit eines Elektrolyts in reinem Wasser am grössten ist, und durch Zusätze gleichioniger anderer Elektrolyi:e nur vermindert werden kann.

Diese Verhältnisse lassen sich an der Löslichkeit des Silberacetats an- schaulich machen. Eine gesättigte Lösung dieses Salzes scheidet Krystalle ab, wenn man sie mit einer konzentrierten Lösung von Nalriumacetat oder einer von Silbemitrat versetzt. Auf Zusatz von Essigsäure erfolgt dagegen keine Fällung, weil die Essigsäure nur wenig dissoziiert ist, also die Kon- zentration der Acetionen nur unmerklich vermehrt.

Für die analytische Praxis sind diese Gleichgewichte von grösster Be- deutung, da sie ein allgemeines Mittel gewähren, die Löslichkeit „unlöslicher** h. d. schwerlöslicher Salze fast beliebig herabzusetzen, indem man eines ihrer

Elektrolytische Gleichgewichte. 415

Ionen in erheblicher Konzentration anwesend erhält. Da die Fällungsmittel der salzartigen schwerlöslichen Niederschläge immer eines dieser Ionen ent- halten, so ergiebt sich die allgemeine Kegel, dass man von diesem Fällungs- mittel mehr zusetzen muss, als für die Umsetzung erforderlich wäre. Hat man z. B. Baryumsulfat mit Chlorbaryum aus der Lösung eines Sulfats ge- IMlt, um dessen Menge zu bestimmen, so setzt man einen Überschuss von Chlorbaryum zu, damit in der entstehenden Flüssigkeit Baryumionen reichlich vorhanden sind, und die Schwefelsäureionen auf ein Minimum heruntergehen. Beim Auswaschen wird die Lösung allmählich durch reines Wasser ver- drängt, und damit nimmt die Löslichkeit des Niederschlages wieder zu. Ist sie gering, so kann der Verlust vernachlässigt werden; ist sie aber einiger- massen merklich, so muss man zum Auswaschen eine Lösung benutzen, welche das zweite Ion enthält. Natürlich muss dies in flüchtiger Form an- gewendet werden können, da sonst der Überschuss nicht beim Trocknen oder Glühen aus dem Niederschlage fortgehen würde. Hiervon macht man z. B. beim Ammoniummagnesiumphosphat Gebrauch, indem man es statt mit reinem Wasser mit verdünntem Ammoniak auswäscht. Im Sinne der eben gemachten Darlegungen würde die Lösung eines leichtflüchtigen Ammoniaksalzes wegen dessen grösserer Dissociation ein zweckmässiger Zusatz zu der Waschflüssig- keit sein*).

Es treten in einzelnen Fällen an Stelle der erwarteten Verminderungen der Löslichkeit Vermehrungen auf, doch hat sich alsdann immer nachweisen lassen, dass ausser den angenommenen Reaktionen zwischen den Ionen noch andere stattfanden, die zur Bildung neuer Stoflc (Doppelsalze und dergl.) führten. Da jeder neue Stoff, der aus den vorhandenen entsteht^ dessen fnr das Lösungsgleichgewicht massgebenden Konzentration ver- mindert, so bringt er eine entsprechende Erhöhung der scheinbaren Lös- lichkeit hervor.

Sind zwei feste Phasen, d. h. zwei Salze mit einem gleichen Ion (z. B. Chlorammonium neben Chlornatrium) anwesend, so ist bei drei Ionen das Gleichgewicht in der Lösung eindeutig bestimmt, und ein solches Ge- bilde hat einen bestimmten Sättigungszustand in Bezug auf beide Phasen. Das heisst, es stellt sich immer eine bestimmte Lösung her, welche Mengen der festen Bestandteile auch zugegen seien, wenn nur beide in fester Gestalt anwesend bleiben. Dies ergiebt sich folgendermassen» Haben sich beide Salze zur Sättigung gelöst, so besteht fiir das eine ein Gleichgewicht entsprechend der Formel ab = K, wo die Konstante K = ke gesetzt ist. Für das zweite Salz, das mit dem ersten ein gemeinsames Kation haben möge, ist die Gleichung ab' = K'. Femer besteht die Gleichung, dass die Summe der Konzentrationen der beiden Anionen gleich der des gemeinsamen Kations sein muss, also a = b -f- b'. Das-

*) Genaueres über die Anwendung der Gleichgewichtslehre in der analy- I tischen Chemie findet sich in des Verfassers „Wissenschaftlichen Grundlagen der analytischen Chemie", 2. Aufl. Leipzig 1897.

416 IX. Elektrochemie.

giebt drei. Gleicliungea für die drei Yerändeiüchen a^ b und b'^ sie sind also alle drei eindeutig bestimmt

Da die Konstanten K und K' Funktionen der Temperatur (und in sehr geringem Grade des Druckes) sind, so hat ein derartiges Gebilde eine Löslichkeitslinie, wie ein einfacher Stoff, nur mit dem Unterschiede, dass die Zusammensetzung der Lösung durch zwei unabhängige ana- lytische Daten (zwei von den Grössen a, b, b') anzugeben ist.

Die experimentelle Untersuchung derartiger Fälle hat ergeben, da» die gemeinsame Löslichkeit von Salzen, „die sich nicht gegenseitig zer- setzen können^^, d. h. die ein gleiches Ion enthalten, im allgemeinen in der That unabhängig davon ist, wieviel von beiden Salzen daneben in fester Form vorhanden ist. Insbesondere findet keine „Verdrängung^ statt, und man kann in der gesättigten gemeinsamen Lösung beliebig viel von dem einen oder anderen Salz durch Erwärmen auflösen; böm Abkühlen auf die frühere Temperatur scheidet sich dieses wieder aas und man findet in der Lösung die frühere Zusammensetzung.

Dagegen giebt es gewisse Salzpaare, in denen früher eine solche Verdrängung angenommen wurde. Die genauere Untersuchung hat ge- zeigt, dass es sich hier um zwei verschiedene Fälle handelt, je nachden Doppelsalze oder isomorphe Gemenge gebildet werden. Im letzter» Falle handelt es sich um feste Phasen, die von Fall zu Fall verschiedöi sind; da in der vorstehenden Betrachtung gerade die Unveränderlichkeit der festen Phasen vorausgesetzt worden war, scheidet diese Erscheinung aus der Betrachtung aus.

Im Falle der Doppelsalze beruhte der Anschein einer unbestimmtett Verdrängung auf der Unvollständigkeit der Beobachtungen. Setzt maa beispielsweise zu einer gesättigten Lösung von Ammoniumsulfat Kupfer- sulfat, und lässt krystallisieren, so erhält man je nach der zugesetzten Menge verschieden zusammengesetzte Lösungen. Dies rührt aber nur daher, dass sich aus beiden Salzen ein Doppelsalz bildet, welches sich unter den genannten Umständen als einzige feste Phase ausscheidet, so- lange nicht ein genügender Überschuss an Kupfersulfat zugegen ist, dass auch dieser Stofl:* in fester Gestalt auftritt. Andererseits wird eine ge- sättigte Lösung von Kupfersulfat durch Ammoniumsulfat in ähnlicher Weise verändert, bis festes Ammoniumsulfat neben festem Doppelsak auftritt. Es giebt also hier zwei gesättigte Lösungen: eine in Bezug auf Doppelsalz neben Kupfersulfat, die andere in Bezug auf Doppel- salz neben Ammoniumsulfat.

Schliesslich lässt sich noch eine dritte gesättigte Lösung in Betracht ziehen: es ist die, in der sich das Doppelsalz wie ein einfacher Stolf verhält, wo also die Zusammensetzung des in Lösung befindlichen Teils mit der des Doppelsalzes übereinstimmt. Ob eine solche Lösung be- ständig oder unbeständig ist, hängt von der Löslichkeit der drei festen Stoffe ab; im allgemeinen verschieben sich diese Verhältnisse mit der Temperatur so, dass in gewissen Gebieten das Doppelsalz sich unzersetzt

Elektrolytische Gleichgewichte.

417

mit seiner Lösung ins Gleichgewicht setzt, ohne dass sich die Einzelsalze ausscheiden, während letzteres in anderen Gebieten eintritt.

Die Verhältnisse lassen sich in folgender Weise übersehen *). Trägt man für eine gegebene Temperatur den Gehalt in der gesättigten Lösung an dem einen Salze nach rechts, den am anderen nach oben ab (Fig. 51), so gehen von den Punkten A und B, die den Gehalt der gesättigten Lösung an den Einzelsalzen angeben, zwei linien AF und BF aus, Yon denen die erste die in Bezug auf A gesättigten Losungen darstellt, während BF sich auf die Gleichgewichte mit dem zweiten festen Sabse B bezieht. Wo sich beide Linien schneiden, in F, ist die Lösung mit beiden Salzen im Gleichgewicht.

Tritt nun ein Doppelsalz auf, so wird dessen Löslichkeit gleichfalls veränderlich sein, wenn in der Lösung eines der Einzelsalze enthalten ist, und zwar wird, je mehr von dem einen Salze in der Lösung vor- handen ist, um so weniger Doppelsalz in Lösung gehen können, da die

Fig. 51.

Fig. 52.

Konzentration des anderen Salzes entsprechend kleiner sein muss. In derselben Zeichnung wird also die Löslichkeit des Doppelsalzes bei Gegen- wart eines Überschusses eines der Bestandteile in der Lösung durch eine Linie von der Gestalt D dargestellt sein. Den Punkt, der der Sättigung mit reinem Doppelsalz entspricht, findet man, wenn man durch 0 eine Gerade unter 45** zieht; wo sie die Linie D trifft, haben die beiden Koordinaten, welche die beiden Salzanteile darstellen, gleichen Wert*). Liegt nun, wie in Fig. 51, die Linie D ganz oberhalb der Linien AFB, so ist die Löslichkeit des Doppelsalzes immer grösser, als die eines der Einzelsalze, sowohl für sich, wie bei Gegenwart des anderen Salzes in der Lösung, und deshalb ist die Doppelsalzlösung in Bezug auf die Bestandteile übersättigt. Falls Keime vorhanden sind, muss eine solche Lösung das eine oder andere der Einzelsalze ausscheiden, und wird dies freiwillig thun, wenn die metastabile Grenze überschritten ist.

*) Van't Hoff, Bildung und Spaltung von Doppelsalzen. Leipzig 1897. *) Es ist Yorausgesetzt, dass das Doppelsalz aus gleichen Molen det Bestandteile zusammengesetzt ist.

Ostwald, Grondriss. 3. Aufl.

27

418

IX. Elektrochemie.

ZMi

Bringt man also bei dieser Temperatur das Doppelsalz mit Wasser zu- sammen, so wird es zerfallen ^ und es wird sich das weniger loslidie Einzelsalz ausscheiden: das Doppelsalz wird durch Wasser zersetzt.

liegt aber die Linie D wie in flg. 52^ so ist zwisdien C und D die Löslichkeit des Doppelsalzes geringer, und dieses ist neben der Lösung beständig.

Durch Änderung der Temperatur kann man nun die gegenseitige Lage der beiden Linien verschieben; und kann es insbesondere dazu bringai. dass beide Linien den Punkt F gemeinsam haben. Dann kann in F das Doppelsalz neben den beiden Einzelsalzen bestehen, und wir hab^ in Bezug auf die festen Stoffe ein „kondensiertes Gleichgewicht'* (S. 356) oder einen Umwandlungspunkt.

Bringt man bei dieser Temperatur das Doppelsalz mit Wasser zu- sammen, so stellt sich keineswegs einfach eine gesättigte Lösung her. Dereo Zusammensetzung müsste ja durch den Punkt P' (Fig. 53) gegeben sdn,

da nur auf der Linie OP die Zusammen- setzung der Lösung mit der des Doppel- salzes übereinstimmt Es wird vielmehr ein Teil des Doppelsalzes zersetzt, indem sich das Salz absdieidet, das in der Lösung in geringerer Menge vorhanden ist. Erst wenn sich auf diese Weise die dem Punkte ent- sprechende Lösung hergestellt hat, kann wei- teres Doppelsalz neben der Lösung unver- ändert bestehen bleiben.

Erst bei einer anderen Temperatur, wo die Lösungslinie des Doppelsalzes dnrcJi den Punkt P^ geht, welcher Gleichheit der Zusammensetzung von Lösung und Doppelsalz darstellt, kann sich dieses in Wasser lösen, ohne einen Bestandteil in fester Form abzuscheiden. Auch sieht man, dass zwischen P^ und dem Durchschnitt der Doppelsalzlinie mit BF ein Gebiet der Gleichgewichte des unzersetzten Doppelsalzes besteht Die beiden Schnittpunkte stellen die beiden Gleichgewichte mit je zwei festen Stoffen: Doppelsalz und je einem Einzelsalz dar. Darüber hinaus zer- setzen Lösungen, die mehr von dem Einzelsalz enthalten, das Doppelsalz unter Abscheidung des betreffenden Salzes in festem Zustande.

Diese Betrachtungen lassen sich nach verschiedener Eichtung er- weitem, darüber ist das oben erwähnte Werk van^t Hoffs nachzusehen. Gehen wur nunmehr zu dem Falle über, dass vier verschiedene Ionen in der Lösung nebeneinander vorhanden sind, so werden wir den Grundsatz aufstellen, dass aUe möglichen Verbindungen zu unzer- legten Salzen sich zwischen ihnen bilden werden. Es werden, wie schon früh vermutet worden war, alle möglichen Salze entstehen; dies geschieht aber meist nur zu einem geringen Anteüe, und der grössere Anteil der Ionen pflegt unverbunden nebeneinander bestehen zu bleiben.

Fig. 53.

£ Z^2

Elektrolytische Gleichgewiclite. 419

Insbesondere ist keine Rede davon ^ dass sich vorwiegend die starken^ d. h. weitgehend zerfallenen Säuren mit den starken Basen verbinden werden, wie man ohne experimentellen Beweis seit jeher behauptet hat.

Man kann zwei Fälle unterscheiden: es sind entweder drei Ionen einer Art und ein Ion der anderen (also z. B. drei verschiedene Kationen und eine Anion) vorhanden, oder je zwei Kationen und zwei Anionen. Der erste Fall kann nach Analogie von S. 410 behandelt werden, er bietet kein besonderes Interesse. Der zweite stellt dagegen ein altes Problem dar; unter ihn fällt die Frage nach der Zersetzung eines Salzes durch eine andere Säure und nach der Wecbselzersetzung zweier Neutral- salze, mit der sich die allgemeine Chemie seit Jahrhunderten beschäftigt hat.

Bevor wir den Gegenstand quantitativ behandeln, wollen wir uns durch eine allgemeine Betrachtung über das Wesentliche dieser Erschei- nungen zu orientieren suchen, da die dm'ch die Dissociationstheorie ge- botenen Anschauungen in vielen Stücken von denen abweichen, die der auch heute noch meist üblichen Darstellung zu Grunde liegen.

Wie früher bemerkt worden ist, sind die Lösungen fast aller Salze ziemlich stark gespalten, ebenso die der starken Mineralsäuren. Mischen wir z. B. eine verdünnte Lösung von Salzsäure, welche fast nur freie Ionen H* und Gl' enthält, mit einer ebenfalls verdünnten Lösung eines Salzes, das wir allgemein mit MA bezeichnen wollen, wo M das Metall und A das Säureradikal ist, so wird zum Gleichgewicht erforderlich sein, dass alle positiven und negativen Ionen in Bezug auf die möglichen Ver- bindungen im Dissociationsgleichgewicht stehen. Ist nun die Säure des Salzes im freien Zustande ebenfalls stark dissociiert, so wird das Gleich- gewicht zwischen dem Wasserstoff der Salzsäure und dem Säureradikal A gleichfalls annähernd vorhanden sein. Ist aber die Säure HA nur in sehr geringem Masse dissociiert, wie z. B. Essigsäure, so werden der Wasserstoff der Salzsäure und das Säureradikal aufeinander wirken, um nichtdissociierte Molekeln HA zu bilden, bis die übrigbleibende Salzsäure mit der gebildeten Säure HA isohydrisch geworden ist. Das Ergebnis wffd also sein, dass sich auf Kosten des Salzes MA und der Säure eine gewisse Menge der Säure HA gebildet haben wird, welche um so grösser ist, je weniger die Säure dissociiert ist, je schwächer sie also ist.

Dies ist im Lichte der Dissociationstheorie der Vorgang, welchen man bisher die Verdrängung der schwächeren Säure aus ihrem Salz durch eine stärkere Säure genannt und einer besonderen chemischen Verwandtschaftskraft zwischen dem Metall und den verschiedenen Säure- radikalen zugeschrieben hat. Wir sehen, dass die Ursache nur in der Natur der Säure liegt; das Metall des Salzes kommt nicht wesentlich in Be- tracht, denn es hat nur dazu gedient, durch seine Gegenwart das Ion der Säure im dissociierten Zustande zu erhalten. Dadurch erklärt sich das empirisch gefundene Gesetz (Ostwald 1878), dass das Verhältnis, in welchem eine Säure durch eine andere aus dem Salze „verdrängt" wird, von der Natur des basischen Bestandteils nicht abhängt. Der wirksame

27*

1

420 I^ Elektrochemie.

Bestandteil^ d. h. der sich durch den Vorgang verändernde, ist aber nicht die starke Säure^ sondern gerade die schwache. Denn Aem Neigung, in den nicht dissocüerten Znstand überzugehen, ist die einäge Ursadie, dass eine Reaktion eintritt.

In gleicher Weise muss nun auch ein anderer Vorgang aufgefasst werden, die Neutralisation einer Säure durch eine Basis. Sind in dem Salze die beiden Ionen dissociiert, so erscheint es im ersten AugenbHek unbegreiflich, warum denn Säure und Basis überhaupt aufeinander wir- ken, da doch ihre wirksamen Bestandteile, das Metall und das Sänre- ion, gar nicht miteinander in Verbindung treten.

Letzteres ist richtig; die Salzbildung in wässeriger Lösung bestdit in der That nicht in einer Verbindung dieser beiden Bestandteile von Säure und Basis, sondern in der Verbindung der beiden anderen, des Wasserstoffs der Säure mit dem Hydroxyl der Basis. Denn das Wasser ist em Elektrolyt mit ausserordentlich kleiner DiiKO- ciation (S. 402). Somit können in derselben Flüssigkeit die Ionen des Wassers nicht unverbunden nebeneinander bestehen, sondern müssen sieh, so wie sie zusammenkommen, zu gewöhnlichem Wasser vereinigen. Der Neutralisationsvorgang in wässeriger Lösung ist also nichts als eine Wasserbildung (S. 276).

Wir müssen nun allgemein die Bedingungen feststellen, waUs welchen zwischen vier Ionen, zwei Anionen A^, Aj und zwei Kationen, B], Bg, sich ein chemisches Gleichgewicht herstellt. Diese Bedingung^ lassen sich in folgenden Satz fassen: Stellt man von den vier Salzen A^Bj AjBg, A^Bj und A^B^ lauter isohydrisdie Lösungen dar ^dem A|B, mit AjBg, dieses mit A^Bg und dieses wieder mit A^B^ isohydrisch ge- macht wird), und vermischt dieselben in solchen Volumen a, b, c und

d, dass die Gleichung

ad = bc

erfiillt wird, so sind und bleiben die Stoffe im Gleichgewicht (Arr- henius 1890).

Bezeichnet man die nichtdissocüerten Mengen der vier Salze mit ^9 ßf 7f ^7 ^^^ achtet darauf, dass sich die dissocüerten Anteile ver- halten wie die Volume (weü die Lösungen nach der Voraussetzung iso- hydrisch sind), also mit ha, hb, hc, hd bezeichnet werden können, wo h eine Konstante ist, so nehmen die Gleichgewichtsgleichungen folgende Gestalt an: i

ha\« , ß /hb\

kj ^- = ( ^- ) u. s. w.,

8 Q /l,K\8

a oder kja=h*a, k2JS = h*b u. s. w.

b V

Denken wir uns nun die vier- Volume a, b, c und d miteinander ver- mischt, so werden neue Gleichgewichtsbedingungen eintreten, indem die Gleichungen folgende Gestalt annehmen:

k,

Elektrolytische Gleichgewichte. 421

a h2(a + b)(a + c)

a + b + c + d (a-t-b + c + d)«'

t 1 h»(b + a)(b + d) ^^ ^ ^

•^a + b + c + d" (a+b + c + d)« ""' *• '^•

Denn in dem Gemenge ist von dem nichtdissociierten Stoflfe AjBj nach wie vor die Menge a, aber im Volum a + b + c + d vorhanden. Von den dissociierten Anteilen A^ und B^ stammt die Menge a von Aj ans der Lösung von A^B^ und dazu kommt die Menge b aus der Lösung A^B^; von B| ist die Menge a aus der ersten Lösung A^B^ und die Menge c aus der dritten Lösung A^Bj vorhanden; jede Menge muss wiederum durch das Gesamtvolum a + b + c + d dividiert wer- den^ um die Konzentration zu geben. Auf gleiche Weise ergeben sich auch die anderen Gleichungen.

Die letzten Gleichungen reduzieren sich auf

h«(a« + ab + ac + bc) , ^ h«(b« + ab + bd + ad)

^ a + b + e + d ' ^"^ a + b + e + d

Damit nun, wie verlangt wird, der Dissociationszustand der vier Stoffe unverändert bleibe, ist erforderlich, dass die Beziehungen zwischen a und «, b und ß u. s. w. dieselben bleiben, wie in den ursprüngh'chen Lö- sungen. Aus denselben und den obenstehenden Gleichungen geht durch Division hervor

a* + ab + ac + bc b* + ab + bd + ad

^— a + b + c + d ' ^— a + b + c + d '''^''^'

woraus ad = bc; ad = bc u.s. w.

' d. h. damit der Dissociationszustand unverändert bleibt, ist nötig, dass die Bedingung

ad = bc erfüllt werde.

Nun sind die Volume a, b, c und d proportional den wirksamen oder dissociierten Anteilen der verschiedenen Elektrolyte, und zwar ge- hören a und d den Stoffen AjB^ und A^Bg an, welche bei der Wechselwirkung AjBg und A^Bj geben. Die dissociierten Mengen sind wieder den gesamten Mengen, die P|, pg, qi und q^ heissen sollen, pro- portional, wenn jede mit dem Dissociationsfaktor m^, m,, m^ und m^ des betreffenden Stoffes multipliziert wird. Dadurch erhalten wir die

Gleichgewichtsformel

mjPj.mjP^ =m3qj.m4q,.

Wie man sieht, stellt diese Formel nicht nur das Guldberg- Waagesche Gesetz der Massenwirkung (S. 309 u. 360) dar, in dem mam^/m^m^ssssK zu setzen ist, sondern sie enthält auch die Erweiterung (Ostwald 1875), nach welcher die Koeffizienten in je zwei Faktoren zerfallen, von denen einer nur von der Säure, der andere nur von der Basis, d. h. der eine nur vom positiven und der andere nur vom negativen Ion abhängt

422 IX. Elektrochemie.

Die Gleichung enthält aber noch mehr, als jene empirisdie Be- ziehung. Denn sie zeigt, dass die Koeffizienten m^mg . . . ., welche früher als Konstanten behandelt wurden, dies in der That nidkt sind. Die Dissociation^ koeffizienten hängen ausser von der Natur der Stoffe selbst nodi von der Gegenwart anderer Stoffe, welche das gleiche Ion enthalten, ab, und können mehr oder weniger erhebliche Änderungen dadurch erleiden. Hierin liegt die Erklärung für die mancherlei Ausnahmen, welche sieh bei Elektrolyten von der Form des Massenwirkungsgesetzes gezeigt haben, in welcher die beiden Koeffizienten als konstant angesehen wnrden.

Wie diese Formel zur Berechnung verschiedenartiger Gleichgewichte zwischen vier „konjugierten" Elektrolyten angewendet wird, kann hier nicht ausführlich gezeigt werden. Man kann zunächst beweisen, dass die Disso- ciation einer schwachen Säure bei Gegenwart beliebiger stark dissociierter Elektrolyte so erfolgt, als wären diese alle das Neutralsalz dieser Säure; ihre Dissociation ist demnach (S. 413) der Konzentration dieser Fremdstoffe umgekehrt proportional. Weiter lässt sich zeigen, dass bei der „Konkur- renz zweier Säuren um eine Base", d. h. der gleichzeitigen Anwesenheit zweier Anionen, eines beliebigen Kations und von Wasserstoff ionen , alle in äquivalenten Mengen, sich die Base zwischen den Säuren im Verhält- nis ihrer Dissociationsgrade bei der angewandten Verdünnung teilen. Das heisst, stellt man Lösungen dar, welche je eine Säure und ihr Neutralsalz in dem angegebenen Verhältnis enthalten, so entsteht bei der Ver- mischung dieser beiden Lösungen keine Reaktion.

Diese Beziehungen haben ein Interesse in Bezug auf ältere Versuche zur Bestimmung der relativen „Stärke" der Säuren, und sind deshalb erwähnt worden; die Einzelheiten können an dieser Stelle nicht erörtert werden.

Em besonders wichtiger Fall des Gleichgewichts zwischen vier Ionen tritt in den Lösungen einfacher Salze ein, wenn die Ionen des Wassers sich in messbarer Weise am Gleichgewicht beteiligen. Dies kann nur geschehen, wenn wenigstens eines der Salzionen mit dem Wasserstoff, bez. dem Hydroxyl des Wassers eine so wenig dissociierte Verbindung bildet, dass deren Dissociationsgrad mit dem des Wassers (S. 402) ver- gleichbar ist, d.h. wenn es sich um das Salz einer sehr schwachen Säure oder Base handelt.

Um zunächst in grossen Zügen den Erfolg eines derartigen Ver- hältnisses kennen zu lernen, denken wir uns das Natriumsalz einer sehr schwachen Säure, z. B. des Phenols. Das Phenolion bildet mit dem Wasserstoff die sehr wenig dissociierte Verbindung Phenol; es wird also, wenn durch das Salz eine grosse Menge dieser Ionen in die Losung gebracht wird, sich eine merkliche Menge der Verbindung bilden. Dies kann nicht anders geschehen, als indem die gleidie Menge von Hydroxylionen aus dem Wasser frei gemacht wird, und die Lösung wird daher neben einer messbaren Menge Phenol auch eine messbare Menge Hydroxylionen enthalten. Sie wurd wegen des ersteren Umstandes nach Phenol riechen (da Ionen nicht flüchtig sind, S. 400, so können

Elektrolytische Gleichgewichte. 423

sie auch nicht riechen^ und ein etwaiger Geruch muss von freiem Phenol herrühren), wegen der Hydroxylionen wird die Lösung alkalisch reagieren. Denn die alkalische Reaktion, die den Lösungen der Basen eigen ist, rührt nur von deren gemeinsamem BestandteO, den Hydroxylionen her^).

Die Lösung wu*d also zeigen, dass ein Teil des Natrons und des Phenols, aus denen man das Phenolnatrium zusammensetzen kann, unter diesen Umständen nicht in Verbindung treten, sondern nebeneinander bestehen bleiben. Da sie in festem Phenolnatrium jedenfalls in Verbin- dung waren, so sind sie durch die Wu-kung des Wassers in Säure und Base gespalten worden. Daher nennt man den Vorgang Hydrolyse.

Ganz ähnliche Erwägungen treten em, wenn es sich um die Ver- bmdung einer starken Säure mit einer schwachen Base handelt: die Lö- sung wird sauer reagieren, da eine gewisse Menge von Hydroxylionen zur Bildung undissocüerter Base aus dem Salze verbraudit und die ent- sprechende Menge von Wasserstoffionen gebildet worden ist. Die Lö- sung muss sauer reagieren, und ausserdem die Eigenschaflien der nichtzer- legten Base erkennen lassen.

Wenn schliesslich beide Bestandteile des Salzes schwach sind, oder wenig dissodierte Elektrolyte darstellen, so wh'd nur der Teil der vor- stehenden Erwägungen in Geltung bleiben, der sich auf die Bildung der nieht gespaltenen Verbindungen aus den Ionen des Salzes und des Wassers bezieht Die Ionen des Wassers werden aber beide verbraucht, und die Flüssigkeit wird daher keine saure oder alkalische Reaktion zeigen. Genau gilt dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Dissociationskonstanten der beiden Stoffe von gleicher Grösse sind; sind sie verschieden, so wird die Lösung sauer reagieren, wenn die Säure die grössere Konstante bat, und umgekehrt.

Die entsprechenden Rechnungen gestalten sich wie folgt. Es seien nach- stehende Konzentrationen gegeben: Anionenasa, Wasserstoffionen ^p» h, Kationen b, Hydroxylionen «= y, ungespaltene Säure = S, ungespaltene Base = B, so gelten zunächst die Gleichungen ah ==» k^ S; by = kj B; hy «= K. Die erste Gleichung giebt die Beziehungen zwischen den Anionen und den Wasserstoffionen der Säure, k^ ist also die Dissociationskonstante der Säure. Die zweite Gleichung giebt dieselbe Beziehung für die Base. Die dritte stellt das Gleichgewicht zwischen den Wasserstoff- und den Hydroxylionen im Wasser dar; K ist die Dissociationskonstante des Wassers, die sich nach der Angabe von S. 402, nach welcher die Konzentration der beiden Ionen bei 18« gleich 0-078 x 10-6 ist, zu K = 0-61 x lO-l^ ergiebt.

Hat man den Fall eines Salzes, das aus einer schwachen Säure und einer starken Base gebildet ist (z. B. Natriumphenolat), so ergiebt sich aus der Verbindung der ersten Gleichung mit der dritten yS/a^K/kj. Nun ist y die Konzentration des Hydroxyls; wenn man neutrales Salz gelöst hat, so muss S, die Konzentration der freigemachten Säure (die so gut wie gar

») Die Theorie der Indikatoren wird weiter unten dargelegt werden.

424 IX. Elektrochemie.

. nicht dissociiert ist), ebenfalls gleich y sein ; a, die Konzentration des Anion^ ist wieder wegen der fast vollständigen Dissociation des Salzes gleich der Konzentration dieses letzteren. K und kj sind Konstanten, Die Hydrolyse wird durch den Betrag von y gemessen, und es gilt eine Gleichung von der Form y* "— ka (wo k =* K/k^), welche der für die Dissociation einer wenig disso- ciierten Säure oder Base gleicht: bei geringer Hydrolyse schreitet sie un^- kehrt proportional der Quadratwurzel aus der Konzentration yor, bei grosserer langsamer, und das Verhältnis des Quadrats des hydrolysierten Teils zu dem nicht hydrolysierten ist konstant.

Man sieht femer, dass man in der ursprunglichen Gleichung y S /a «» K/k, durch Vermehrung von S den Wert von y beliebig klein machen kann, und zwar genügt schon eine bescheidene Vermehrung von S, d. h. ein kleiner Über- schuss der nicht dissociierten Säure, um y entsprechend zu verkleinem. So ist z. B. Natriumphenolat der Verdünnung von 101 zu 0-08 hydrolysiert; setzt man nur einen Überschuss von 0>08 Phenol dazu, so geht die Hydrolyse auf 0*05 herab. Da dieser Überschuss nur unmessbar wenig dissociiert ist, so be- einflusst er das Leitvermögen nicht, und man kann auf solche Weise den wahren Wert der Wanderungsgeschwindigkeit auch solcher Ionen bestimmen, deren Salze hydrolytische Spaltung erfahren (Bredig 1894).

Ganz dieselben Überlegungen und Formeln gelten für Salze aus starken Säuren und schwachen Basen.

Dagegen treten andere Verhältnisse ein, wenn Säure und Base schwach sind. In der Gleichung y S/a == K/k^ wird die Konzentration der Hydroxylionen nicht mehr gleich dem Betrage der Hydrolyse gesetzt werden können, sondern die freigemachte Base ist nur zu einem sehr kleinen Teil dissociiert, da sie sich in Gegenwart ihres Neutralsalzes befindet. Für diesen Fall gilt aber (S. 413) die Beziehung, dass die Konzentration der Hydroxylionen von der Verdünnung unabhängig ist; es wird also y konstant. Dadurch wird S/a kon- stant. Betrachten wir wieder eine Lösung, die äquivalente Mengen von Säure und Base enthält, so ist S die Konzentration der nicht dissociierten freien Säure, giebt also den Betrag der Hydrolyse^ während a als Konzentration des Anions den Betrag des Salzes giebt, der nicht hydrolytisch gespalten ist, da wir das Salz als vollständig elektrolytisch dissociiert voraussetzen. Pie Gleichung S/a »= konst besagt also, dass das Verhältnis des hydrolytisch gespaltenen Bruchteils des Salzes zu dem ungespaltenen unab- hängig von der Konzentration ist

Zwischen diesem Ergebnis bei der Anwesenheit zweier schwadier Elektrolyte und dem vorher entwickelten für den Fall eines schwachen Elektrolyts besteht dieselbe Beziehung, wie zwischen der Dissociation einer schwachen Säure mit oder ohne Gegenwart ihres Neutralsalzes: die hydro- lytische, bez. elektrolytische Spaltung ist in einem Falle unabhängig von der Verdünnung, im anderen proportional der Quadratwurzel aus derselben.

Es soll noch ausdrücklich bemerkt werden, dass den gemachten An- sätzen entsprechend die Formeln und Gesetze nur für die Verbindungen ein- wertiger Ionen gelten. Auch die mehrwertigen sind bereits in manchen Fällen

Elektroly tische Gleichgewichte. 425

bearbeitet worden; doch wird hier auf die Darstellung dieser verwickeiteren Verhältnisse yerzichtet. Ebenso sind die ausgesprochenen Regeln nur An- näherungen, die durch bestimmte Vernachlässigungen erhalten sind, welche übrigens jedesmal angegeben werden. Die wirklichen Verhältnisse werden also mehr oder weniger grosse Abweichungen zeigen; doch sind die meisten theoretischen Ergebnisse so weit mit den Thatsachen verglichen und in Über- einstimmung gefunden worden, dass man sie auch nach der experimentellen Seite als gesichert ansehen darf.

Auf Grund der vorstehend entwickelten Verhältnisse lässt sich nun eine Theorie der alkalimetrischen und acidimetrischen Indi- katoren (Ostwald 1894) entwickeln, welche in der analytischen Chemie die wohlbekannte Anwendung finden. Sie bestehen aus FarbstoflTen, die sich verfärben, wenn die Lösung aus dem sauren Zustand in den alka- lischen übergeht; auch weiss man, dass die verschiedenen Indikatoren sich verschieden verhalten, indem einige sich för die Titration gewisser Säuren oder Basen eignen, andere nicht.

Ein alkalimetrischer Indikator ist immer einer Säure oder Base, deren Ion eine andere f^bung zeigt, als die nichtdissociierte Verbindung» Die Indikatoren zerfallen demgemäss zunächst in die zwei Klassen der sauren und basischen. Wir betrachten zunächst die sauren.

Damit eme farbige Säure als Indikator dienen kann, darf sie keine ganz starke Säure sein. Eine solche ist in der verdünnten Lösung, die hier immer vorhanden ist, bereits in ihre Ionen zerfallen und kann daher gar keinen Farbwechsel zeigen, da die Ionen bei der Neutrali- sation, d. h. Salzbildung unverändert bleiben. Ein Beispiel hierfür bietet daß Ion MnO'4 ^^^ Permanganate. Ist die Säure dagegen schwach, so wird sie bei überschüssiger Base, also bei Gegenwart von viel Hydroxylionen und dementsprechend verschwindend wenig Wasser- stoffionen im lonenzustande in der Lösung sein. Wird mehr und mehr Säure zugesetzt, so kommt ein Zustand, wo durch die zugefügten Wasserstoffionen die Hydroxylionen fast verbraucht sind und ein kleiner Überschuss von Wasserstoffionen auftritt. Alsbald werden sich diese mit dem Anion der Farbsäure oder des Indikators verbinden, und dieser geht in die anders geförbte ungespaltene Verbindung über.

So ist das Anion des Phenolphtaleins rot, die ungespaltene Ver- bindung &rblos. Das Anion des Lackmusfarbstoffes ist blau, die nicht dissodierte Verbindung rot, u. s. w.

Nun kann man aber bekanntlich mit Phenolphtalein zwar schwache Säuren titrieren, man muss sich dazu aber einer starken Base, z. B. des Barytwaflsers bedienen. Bei Gegenwart einer schwachen Base, z. B. des Ammoniaks, ist Phenolphtalein unbrauchbar, denn man erhält kernen bestimmten Farbwechsel, sondern allmähliche Übergänge.

Die Ursache ist, dass dieser Farbstoff eine sehr schwache Säure ist; ihre Salze mit schwachen Basen sind daher hydrolytisch gespalten, und schon bevor Wasserstoffionen in grösserer Menge auftreten, wird

426 I^- Elektrochemie.

ein grösserer und grösserer Teil der Ionen in die farblose nichtdissoeiieris Verbindung übergeführt. Ist dagegen die Base stark, so ist die Hydrolyse «ehr gering; und der Farbübergang ist bestimmt

Will man schwache Basen mit einem sauren Indikator titrieren, so muss man als solchen eine etwas stärkere Säure wählen, die nicht er- hebliche Hydrolyse ergiebt. Eine solche ist das Methylorange, die Sulfo- fiäure des Dimethylamidoazobenzols. Ihr Ion ist gelb, wälirend die nn* gespaltene Verbindung rot ist; dem entsprechen die Farben in alkaüsdicr und saurer Lösung.

Mit Methylorange kann man zwar schwache Basen titrieren, man muss aber dazu starke Säuren, wie Salzsäure oder Schwefelsäure an- wenden. Mit schwachen Säuren, wie Essigsäure, erhält man keinen be- stimmten Farbumschlag, sondern langsame Übergänge. Dies rührt daher, dass die ersten Spuren Essigsäure, die in Gegenwart ihres Neutralsalzes in der Flüssigkeit au:ftreten, nur sehr wenig Wasserstoffionen abspalten^ so wenig, dass sich diese nicht genügend mit den Ionen des Farbstoffes vereinigen können. Es entsteht vielmehr ein chemisches Gleichgewidit das sich alhnählich mit steigender Menge Essigsäure zu gunsten der un- gespaltenen Färbsäure verschiebt, aber sich über ein so brdtes Konzah trationsgebiet erstreckt, dass die genaue Messung vereitelt wird.

Daraus ergeben sich die Regehi: schwache Säuren müssen mit einer starken Base und einer schwachen Farbsäure titriert werden, schwache Basen mit einer starken Säure und einem mittelsauren Farbstoff.

Ganz ähnliche Betrachtungen sind für die Farbstoff b äsen anzn- stellen, die man ebenso als Indikatoren brauchen kann, wenn ihre Ionen andere Farbe zeigen, als der ungespaltene Stoff. Nur sind die Eeg^ umzukehren: schwache Säuren verlangen einen stärker basischen Farb- stoff, schwache Basen einen möglichst schwachen.

Praktisch ist zu bemerken, dass unter den sauren Farbstoffen Phenolphtalein einer der schwächsten Säuren ist. Dann kommt Lackmus^ Kochenille, Rosolsäure, Nitrophenol, und zuletzt Methylorange als stärkste Säure, die als Indikator Anwendung findet. Basische Indikatoren sind kaum im Gebrauch.

An die bisher behandelten elektrolytischen Gleichgewichte in einer Flüssigkeit schliessen sich die, bei denen mehrere Phasen auftreten. Die wichtigsten sind die mit festen Phasen; die Frage, unter weldhen Umständen bei der Wechselwirkung zweier Salze ein Niederschlag und somit eine gegenseitige Zersetzung eintritt, hat seit den Tagen Stahls und Bergmanns die Forscher beschäftigt.

Im Anschluss an die Darlegimgen von S. 414 wird man allgemein sagen können, dass jedem festen Salze bei einer bestimmten Temperatur eine bestimmte Löslichkeit zukommt, welche durch die Konzentration c des nicht dissociierten Anteils in der Lösung bestimmt ist. Diese Menge ist wieder durch die Konzentration der Ionen a und b in der Lösung bestimmt. Zwischen den dreien besteht die Beziehung a™ b^ = kc, wo

Elektrolytische Gleichgewichte. 427

m und n die Zahlen der Ionen im Salze sind. Nennt man die Grösse ^™b° das Löslichkeitsprodukt, so wird also jedesmal in einer Lösung eine Fällung möglich sein^ wenn das Löslichkeitsprodukt überschritten ist ^).

Bringt man also in einer Lösung solche Ionen zusammen^ aus denen «ich ein Salz mit kleinerem Löslichkeitsprodukt bilden kann, so ist jedes- mal Übersättigung vorhanden, und es wird Fällung eintreten, wenn das metastabile Gebiet überschritten ist, oder Keime zugegen sind. Dieser «in^he Satz umfasst die ganze Theorie der Fällungsreaktionen an Elektrolyten.

Einfache Fälle, wie sie bei der Wechselwirkung der Ionen neutraler ^alze eintreten, erledigen sich hierdurch ohne weiteres; die Fällung von Calcinrnsalzen durch Ammoniumoxalat, von Sulfaten durch Baryum- oder Bleisalzen bedürfen keiner Erklärung.

Etwas verwickeitere Verhältnisse treten ein, wenn der eine oder andere der beteiligten Elektrolyten nicht wie die meisten Neutralsalze praktisch vollständig dissociiert ist. Hier sind zuerst die f^llungen durch Säuren zu erwähnen, deren theoretische Bewältigung früher Schwierig- keiten machte. Während alle Baryumsalze auch durch freie Schwefel- säure gefällt werden, ist zwar die Fällung des Caldumacetats durch freie Oxalsäure praktisch vollständig, nicht aber die des Calciumnitrats, und die Gegenwart freier Salpetersäure im letzteren Falle kann sogar ^ie FäUung völlig verhindern.

Die Ursache ist die, dass die Schwefelsäure eine starke, d. h. weit- gehend dissociierte Säure ist, während die Oxalsäure zu den schwächeren gehört. Sind in der Lösung Wasserstoflfionen neben denen der Schwefel- säure vorhanden, so verbinden sie sich nur zu einem geringen Teile miteinander zu nichtdissociierter Schwefelsäure^. Bei der Oxalsäure ist dagegen diese Verbindung reichlich, namentlich wenn überschüssige Wasserstoffionen zugegen sind; dadurch verschwinden Oxalsäureionen aus der Lösung, und man kommt bald zu einem Punkte, wo das Löslich- keitsprodukt nicht mehr erreicht ist

Daraus ergiebt sich das Gesetz, dass Säuren zwar die Fällung schwerlöslicher Salze wenig dissociierter Säuren verhindern können, nicht aber die von Salzen stark dissociierter Säuren.

Die Erfahrung bestätigt diesen Schluss allgemein; die Halogenver- bindiingen des Silbers sind in anderen Säuren praktisch unlöslich, weil

*) Ist die Überschreitung nicht gross, so braucht eine Fällung nicht not- "wendig einzutreten, wenn die vorhandene Übersättigung noch im metastabilen l^ebiete liegt. Hat aber die Fällung begonnen, so schreitet sie auch bis zum Gleichgewichte vor.

') Von der Betrachtung der durch teilweise Abspaltung des Wasserstoffs entstehenden einwertigen Ionen der beiden Säuren ist der Einfachheit wegen abgesehen worden. Die Verhältnisse werden dadurch quantitativ etwas ver- schoben, bleiben aber im Wesen die gleichen.

428 IX. Elektrochemie.

die Halogenwasserstoffsäuren zu den stärkst dissociierten gehören. An- dererseits sind die Salze der schwachen Phosphorsäure, und die der noch schwächeren Kohlensäure nicht nur in den starken Miaeralsänrei löslich^ sondern erstere zum Teil, letztere alle in Essigsäure.

Ganz dieselben Erwägungen bestimmen also auch die Frage^ weldie Niederschläge in Säuren löslich sind, und welche nicht.

Ähnlich liegen die Verhältnisse Air die Fällung schwerlösHcher saurer oder basischer Stoffe. Erstere kommen wenig vor, letztere dagegen sehr häufig, und sollen daher betrachtet werden.

Wh*d zu einer Lösung eines Kupfersalzes Kali gesetzt, so wird die Konzentration der Hydroxylionen in der Lösung vermehrt, und bald da» auf Kupferhydroxyd bezügliche Löslichkeitsprodukt Kupferionen X Hydr- oxylionen überschritten, so dass dieses als Niederschlag auställt. Dies ist die tjrpische Erscheinung. Abweichungen treten z. B. ein, wenn man Magnesiumsalze mit Ammoniak fällt Dann ist die Fällung unvollständigt und ist von vornherein ein Ammoniaksalz zugegen gewesen, so entstdit überhaupt kein Niederschlag.

Die Ursache ist, dass das Löslichkeitsprodukt des Magnesiumhy- droxyds ziemlich gross ist, wie man auch aus seiner deutlich, wenn andi schwach alkalischen Reaktion erkennen kann. Ammoniak Ist seinerseits eme ziemlich schwache Base, die Lösung enthält also nicht viel Hy- droxylionen. Indessen reichen diese aus, um beim Zusatz von wässeriger Ammoniaklösung zu der eines Magnesiumsalzes das Löslidikeitsprodnkt zu überschreiten. Gleichzeitig vermehren sich aber die Ammoniumionen der Lösung, indem sie mit dem Anion des Magnesiumsalzes ein stait dissocüertes Salz bilden; dadurch wird die Dissociation des Ammoniaks zurückgedrängt (S. 413) und die Konzentration der Hydroxylionen nimmt entsprechend ab. Gleichzeitig wird die Konzentration der Magnesium- ionen durch die Ausscheidung des Hydroxyds geringer, und beide Um- stände wirken dahin, dass das Löslichkeiteprodukt auch bei weiterem Zusatz von Ammoniak nicht mehr überschritten wird, also keine Fällung mehr stattfindet. Hat man aber von vornherein Ammoniaksalze zuge- setzt, so wird gleich die Konzentration des Hydroxyls aus dem Am- moniak so gering gemacht, dass das Löslichkeitsprodukt des Magnesium- hydroxyds nicht erreicht wird.

Allgemein wird jeder Vorgang, der eines der Ionen des Nieder- schlages aus der Lösung fortnimmt, dessen Löslichkeit befördern. So ist bekannt, dass Ghlorsilber merklich in Merkurinitrat löslich ist. Dies rührt daher, dass Merkurichlorid ein sehr wenig dissocüertes Salz ist; durch die Gegenwart von Merkuriionen aus dem Nitrat werden also vor- handene Chlorionen in nichtdissociiertes Quecksilberchlorid übergeführt^ und es muss weiteres Chlorsilber in Lösung gehen, bis die dadurch an- getretene Vermehrung der Silberionen den Verlust an Chlorionen wett- gemacht und das Löslichkeitsprodukt wieder hergestellt hat.

Ein sehr häufiger Weg, auf dem Ionen verschwinden, ist der Über

J

Elektrolytische Gleichgewichte. 429

gang in eine zusammengesetztere oder ^komplexe" Verbindung. Mit diesem Namen bezeichnet man Ionen, in denen Bestandteile vorkommen, die dort nicht Ionen sind, die aber für sich als Ionen existieren können. Solche Verbindungen sind (prinzipiell immer und) häufig nachweisbar teilweise in die einfachen Ionen gespalten, wenn auch deren Hauptmenge im Komplex enthalten ist.

So sind z. B. fast alle Silbersalze in Cyankalium löslich, weil die Silberionen sich mit den Cyanionen zu dem komplexen Anion der Silbercyanwasserstofisäure HAg(GN)* verbinden. Dadurch wird die Kon- zentration der Silberionen in der Lösung sehr klein gemacht, und es muss durch Auflösen grösserer Mengen des festen Salzes das betreffenden Anion in der Lösung vermehrt werden, wenn das Löslichkeitsprodukt er- reicht werden soll.

Ähnliche Falle sind überaus häufig*). Man bezeichnet sie in der analytischen Chemie als anomale Reaktionen, und man kann beinahe die Begriffe anomale Reaktion und Bildung einer komplexen Verbindung als gleichwertig ansehen. Jedenfalls ist fast immer die erhöhte Löslidhkeit eines schwerlöslichen Salzes (dies Wort in seinem weitesten Sinne ge- nommen) auf das Eingehen eines seiner Ionen in eine Verbindung, in der es nicht mehr Ion ist, zurückzuführen.

Diese Betrachtungen geben auch Auskunft auf die Frage, welches von den vier möglichen Salzen sich aus einer je zwei und zwei Ionen ent- haltenden Lösung zuerst ausscheiden wird. Es ist dasjenige, dessen Lös- lichkeitsprodukt zuerst erreicht ist, wenn man die Lösung konzentriert. Auch für die weiteren möglichen Salze gut das Gleiche, nur werden flir diese die Verhältnisse dadurch verwickelt, dass die Ausscheidung des ersten Salzes die Konzentrationen der entsprechenden Ionen vermindert, so dass im allgemeinen wegen der Anreicherung der Lösung an den beiden anderen Ionen das aus diesen gebildete Salz am ehesten das Löslichkeitsprodukt erreichen wird.

Ein eindeutiges Gleichgewicht ist dadurch noch nicht hergestellt, denn die vier Ionen bedingen drei feste Phasen neben der flüssigen und gas- förmigen, damit eine Sättigungslinie, d. h. eine eindeutige Beziehung zwischen Temperatur und der Zusammensetzung der Lösung gesichert ist*). Erst wenn also drei von den möglichen Salzen am Boden liegen, whrd die Lösung den Charakter einer gesättigten haben, und sich durch beliebige Änderungen der Mengen der festen Phasen nicht ändern. Dar- aus folgt, dass wenn man zwei Salze, deren Ionen alle verschieden sind.

*) Eingehenderes findet sich in des Verfassers Wissenschaftlichen Grund- lagen der analytischen Chemie, 2. Aufl., Leipzig 1897.

*) Vier Ionen und Wasser ergeben fünf Bestandteile, also sieben Frei- heiten gemäss dem Phasengesetz. Von diesen wird eine durch die lonengleich- nng (S. 400) beansprucht; damit eine Freiheit übrig bleibt, müssen fünf Phasen, nämlich drei feste, Lösung und Dampf vorhanden sein.

430 IX. Elektrochemie.

im Überschuss mit Wasser zusammenbringt^ ein Gleichgewicht sich duidi blosses Auflösen der beiden Salze nicht herstellen kann. Vielmehr mn» gleichzeitig eines der beiden anderen Salze, die sich aus den genommenea durch Wechselzersetzung hersteUen lassen, sich in fester Gestalt aus- scheiden^ und erst nachdem dies geschehen ist, tritt ein bestimmtes Gleichgewicht ein.

Welches von den beiden Salzen sich abscheidet, ist von den m- zelnen Löslichkeitsprodukten abhängig. Diese können sich mit der Tem- peratur gegeneinander verschieben, so dass es im allgemmen eine be- stimmte Temperatur geben wird, bei welcher alle vier möglichen Salze nebeneinander bestehen können. Unterhalb dieser Umwandlungstemperatnr besteht nur die eine Triade, oberhalb nur die andere.

Sechstes Kapitel.

Voltasche Ketten.

Nachdem Galvani das Zucken präparierter Froschschenkel entdeckt hatte, welches bei der Berührung von Muskel und Nerv mit Metalloi eintritt, und Volta die Notwendigkeit der Anwendung zweier vCTsdiie- dener Metalle gezeigt, und die Erscheinung als eine rein elektrische er- wiesen hatte, trat alsbald die Frage nach der Quelle dieser Elektrizi^ auf; Galvani suchte sie im lebenden Gewebe, Volta in der Berühnmg zweier verschiedener Metalle. Es gelang Volta zwar, durch meisterhafte Versuche die Unrichtigkeit von Galvanis Ansichten zu erweisen; über seine eigene Auffassung entspann sich aber ein Kampf, der länger £Üs ein halbes Jahrhundert gedauert hat, und von dem noch jetzt einige Spuren übrig geblieben sind. Die Entscheidung brachte das Energiegesetz, welches so viele andere Fragen entschieden hat; es lehrte zunächst die Frage richtig stellen. Durch den Aufbau seiner Säule hatte Volta gezeigt, dass man. durch die Schichtung abwechselnder Platten von zwei Metallen und dnem feuchten Leiter einen Apparat herstellen kann, der allerlei thermische, chemische und mechanische Arbeit zu leisten vermag. Diesem gegen- über war nicht in erster Linie die Frage zu stellen: woher kommt die Elektrizität? sondern: woher kommt die elektrische Energie? Die Arbeitsleistungen der Säule müssen in anderweitigen EnergiequeUen ihren Ausgang haben, und als solche waren nur die chemischen Vor- gänge in der Säule vorhanden.

Die Entscheidung der Sache wurde sehr durch das grosse Mi8sve^ hältnis zwischen den Stoff- und den Elektrizitätsmengen erschwert, die dem Faradayschen Gesetz gemäss sich gleichzeitig bewegen. Elektrizitäls- mengen, welche grosse Kondensatoren bis zu erheblichen Schlagwdtm laden können, sind mit kaum wägbaren Spuren ihrer Träger, der Ionen

Voltasche Ketten. 431

verbunden, und man kann daher erhebliche elektrische Erscheinungen in fmien beobachten, wo die zugehörigen chemischen Vorgänge sich aller Möglichkeit eines Nachweises entziehen. Nachdem aber das Faradaysche Gesetz sich als ein so genaues Naturgesetz erwiesen hat, dass bisher Abweichungen davon noch nicht entdeckt worden sind, darf man mit Sicherheit aussprechen, dass in Gebilden mit Elektrolyten kein elektrischer Vorgang ohne entsprechenden chemischen Vorgang verlaufen kann.

Eine Voltaßche Kette ist demgemäss eine Maschine, welche chemische Energie in elektrische verwandelt. Die theoretisch vollkommene Form wurd eine derartige Maschine haben, wenn der chemische und der elek- trische Vorgang so miteinander verknüpft sind, dass keiner ohne den anderen verlaufen kann. Eine solche Maschine erfüllt gleichzeitig das Postulat der Umkehrbarkeit und gestattet die Anwendung der entsprechen- den Gesetze.

Es hat die Entwickelung einer rationellen Theorie der Voltaschen Kette sehr lange verzögert, dass die früher angewendeten Ketten sich sehr weit von diesem Ideal entfernten, und insbesondere mit keinem scharf definierten chemischen Vorgange verknüpft waren. In der ursprünglichen Voltaschen Kette wurde Zink und Silber nebst Salzwasser verwendet. Ritter ersetzte das Silber durch Kupfer, und Fechner zeigte, dass letzteres am besten wirkt, wenn es an seiner Oberfläche oxydiert ist. Doch hatten alle diese Ketten die Eigenschaft einer veränderlichen Spannung, sie „polarisierten" sich durch den Gebrauch. Dies lag daran, dass anfangs der chemische Vorgang in der Re- duktion des vorhandenen Kupferoxyds bestand; war dieses verbraucht, so wurde statt des Kupfers Wasserstoff abgeschieden, und damit verminderte sich die nutzbare Spannung.

Die elektrische Energie wird (S. 377) durch das Produkt von Elektrizitätsmenge und Spannung gemessen. Über die erstere entscheidet das Faradaysche Gesetz: unabhängig von der Natur der Kette geht flir die einem Gramm Wasserstoff äquivalente Menge der umgesetzten Stoffe die Elektrizitätsmenge von 96540 Coul durch die Kette. Die Ver- schiedenheit der Energie der verschiedenen Ketten muss sich daher aus- schliesslich in der Spannung zum Ausdruck bringen, und deren Messung ist daher die Grundlage für ihre Beurteilung.

Um eine Spannung zu messen, verföhrt man am besten so, dass man eme bekannte Stufenreihe von Spannungen herstellt, und sie der zu messenden Spannung entgegenschaltet. Wo beide sich aufheben, ist die zu messende Spannung gleich der, welche zu ihrer Kompensierung benutzt wurde. (Poggendorf 1842.)

Jetzt, wo man in den Akkumulatoren Ketten von grosser Beständig- keit hat, ist die Herstellung eines solchen Apparates leicht. Man schliesst einen Akkumulator E Fig. 54 durch einen auf einer Meterskala ausge- spannten Draht ab (die Messbrücke für Widerstandsbestimmungen, S. 384, ist dazu geeignet) und schaltet die zu messende Spannung nebst einem ßtrom- oder Spannungsprüfer G in einen Kreis, der an dem beweglichen

432 IX. Elektrochemie.

Kontakt c endet. Durch Verscliieben des letzteren findet man die Stelle, wo G keinen Ausschlag giebt; die an c abgelesenen Millimeter geben dann die Spannung n in Tausendsteln der Spannung zwischen a und b.

Für G kann man entweder ein empfindUches Galvanometer oder ein Elektrometer anwenden; das letztere hat den Vorzug, keinen dauern- den Strom zu gestatten, und dadurch die zu prüfende Kette gegen Be- anspruchung zu schützen^). Da der Akkumulator keine ganz bestimmte Spannung hat, so aicht man den Spannungsmesser dadurch^ dass man ein Normalelement misst, und die Ablesungen auf dessen Spannung reduziert.

Als Normalelement dient das von Weston angegebene aus amal- gamiertem Kadmium, gesättigter Lösung von Kadmiumsulfat neben Kry stallen des festen Salzes, Merkurosulfat und QuecksUber. Seine Spannung ist 1-0186 V, fast ganz unabhängig von der Temperatur.

Der Typus eines elektrochemischen Apparates, der sich den theo-

Fig. 54.

retischen Voraussetzungen mögUchst nähert, ist die von Daniell (1836) angegebene Kette.

Sie besteht aus einem Leiter (einer Elektrode) aus Zink und einem aus Kupfer. Das Zink taucht in eine Lösung von Zinksulfat, das Kupfer in eine von Kupfersulfat; beide Flüssigkeiten stehen miteinander in Be- rührung; gegen Vermischung werden sie gewöhnlich durch eine Wand aus porösem Material geschützt, die indessen nicht wesentlich ist

So lange die beiden Elektroden nicht elektrisch leitend verbunden sind, geht in der Kette nichts vor sich; stellt man dagegen die Ver- bindung her, so erfolgt ein elektrischer Strom durch den Leiter und die Kette, wobei auf der Kupferelektrode metallisches Kupfer ausgeschieden wird, während sich an der Zinkelektrode die äquivalente Menge Zink löst.

^) Als Elektrometer dient am bequemsten eines nach dem Prinzip von Lippmann. Die erforderlichen Einzelheiten über die Technik dieser und anderer physikochemischer Messungen finden sich in des Verfassers Uand- und Hilfsbuch zur Ausführung physikochemischer Messungen, Leipzig 1893.

Voltasche Ketten. 433

Der chemische Vorgang besteht also in einer Substitution des Kupfers in der Lösung durch Zink. Vermöge des Gesetzes von Faraday ist die Elektrizitätsmenge, welche durch die Kette in Bewegung gesetzt wird, der aufgelösten Zink- und der abgeschiedenen Kupfermenge proportional, und zwar beträgt sie fiir jedes Mol Zink oder Kupfer 2 X 96540 Coul, da die beiden Metalle zweiwertig sind.

Die Wärmetönung bei der Substitution des Kupfers durch Zink in der Sulfatlösung lässt sich unmittelbar messen, wenn man eine Kupfer- sulfatlösung im Galorimeter durch Zinkpulver zersetzt. Aus den oben gegebenen Tabellen findet man sie, wenn man die Bildungswärme des gelösten Kupfersulfats von der des Zinksulfats abzieht^). Sie ergiebt sich zu 1039 830 gleich 209 J oder 209 000 j.

Nehmen wh" nun an, dass die gesamte Energiemenge, die bei diesem Vorgänge frei wird, sich in elektrische Energie verwandelt, so ist von dieser der eine Faktor, die Elektrizitätsmenge, gegeben; sie beträgt 2X96540 Coul. Dividiert man diese Zahl in die Energiemenge von 209 000 j, so erhält man die elektromotorische Kraft in Volt, und da- nach müsste die Daniellsche Kette 1-08 V Spannung haben. Der that- sächlich beobachtete Wert beträgt llOV, steht also in guter Überein- stimmung mit der Rechnung.

Dieses Zusammentreffen bei der bestbekannten Kette hatte die Vor- stellung hervorgerufen, dass es sich hier um ein allgemeines Gesetz handele. Bei dem Versuche, diesen Gedanken durchzuführen, entstanden indessen folgende experimentelle Schwierigkeiten.

Wenn man eine Kette durch einen Draht schliesst, so verwandelt sich die elektrische Energie in Wärme, welche dem Jouleschen Gesetz gemäss im ganzen Schliessungskreise proportional dem Widerstände an jeder Stelle erscheint. Insbesondere tritt in der Kette selbst eine Wärme- menge auf, die sich zur gesamtere Stromwärme verhält, wie der innere Widerstand der Kette zum gesamten Widerstände. Erhöht man also den äusseren Widerstand, so kann man einen immer grösseren Betrag der Wärmeentwickelung aus der Kette herausnehmen, imd gelangt praktisch leicht so weit, dass kaum ein Prozent des Widerstandes inner- halb der Kette verbleibt.

Die Erfahrung hat nun gezeigt (Favre 1854), dass es einen Wärme- anteil giebt, der sich nicht aus der Kette herausnehmen lässt, indem auch bei einem sehr grossen Verhältnis des äusseren Widerstandes die in der Kette verbleibende Wärmenaenge nicht gegen Null geht, sondern gegen einen endlichen Grenzwert, der meist positiv ist, aber auch negativ sein kann. Das letztere bedeutet, dass durch den Strom mehr Wärme

*) ThatBächlich ist die Bildungswärme der Kupferverbindungen ermittelt worden, indem man zuerst die der Zinkverbindungen durch Auflösen des Metalls in Säuren bestimmt und dann die Zersetzungswärme der Kupfer- salze durch metallisches Zink gemessen hat.

Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 28

434 IX. Elektrochemie.

aus der Kette entfernt wii^d, als durch den chemischen Vorgang geliefert wird; dieses Mehr wird der Umgebung entnommen. Hatte man auch die erste Erscheinung durch ,^ebenreaktionen" zu deuten gesucht, weldie zwar Wärme entwickehi, nicht aber elektromotorisch wirken können, so war dies im zweiten Falle schwieriger anzunehmen, da diese Neben- reaktionen unter Wärmeverbrauch erfolgen sollten.

Die anfangs allgemem angenommene Theorie von der vollständigen Umwandlung der chemischen Energie in elektrische in der Yoltasdien Kette ') musste daher fallen gelaasen werden. Die richtige Theorie wurde von W. Gibbs (1878) und Helmholtz (1882) aufgestellt.

Da man nicht von vornherein annehmen darf, dass in jeder Kette die chemische Energie sich ohne weiteres in elektrische verwandeln kann, so wird man die Rechnung so ansetzen, dass auch die Möglichkeit emer Wärmeentwickelung in der Kette angenommen ist.

Die Kette habe bei der Temperatur T die Spannung n und ihre Elektroden seien n-wertig. Die Faraday^che Konstante 96540 Coul heisse F. Wir denken uns bei T^ die Elektrizitätsmenge nF durch die Kette geleitet; dann wird die elektrische Arbeit nF;7r geleistet und zur Erhaltung der Temperatur T werden gleichzeitig W Joule aufgenommen (wo W positiv oder negativ sein kann). Dann werde die Temperatur auf T + dT erhöht; die Spannung ändert sich auf Ji + djr. ünt^ diesen Umständen werden die nF Coul wieder im entgegengesetztoa Sinne durch die Kette geleitet, wobei wir annehmen, dass der chemische Vorgang (wie beim Daniellschen Element) wieder genau im umgekehrten

^) Da8S dies nicht der Fall sein kann, geht auch aus folgender Über- legung hervor. Man habe eine Kette von der Art der Daniellschen, jedoch mit einem leicht schmelzbaren Metalle und zwar bei der Schmelztemperatur desselben. Die elektromotorische Kraft sei so, dass sich die chemische Energie ohne Rest in die elektrische verwandelt, wenn beide Metalle im festen Zustande vorliegen. Jetzt werde das eine Metall geschmolzen, woza nach der Voraussetzung keine Temperaturveränderung erforderlich ist Die elektromotorische Kraft ändere sich so, dass wieder die Wärmetönung in der Kette Null ist. Schaltet man dann beide Ketten gegeneinander, so erfolgt wegen des Unterschiedes der Spannung ein Strom, mit dem man Arbeit leisten kann. Da in beiden Ketten der chemische Vorgang derselbe ist, so ist das Resultat des Stromdurchganges, dass einerseits das flüssige Metall gelöst, und anderer- seits das feste abgeschieden wird. Nun kann man aber bei der Schmelz- temperatur das feste Metall wieder durch Wärmezufuhr schmelzen, und so die Kette beliebig lange unter Arbeitsleistung im Gange erhalten, d. h. man kann bei konstanter Temperatur beliebige Wärmemengen in Arbeit ver- wandeln. Dies wäre ein Perpetuum mobile zweiter Art und widerspricht dem zweiten Hauptsatz, ist also unmöglich. Vielmehr müssen notwendig beide Spannungen gleich sein, und wenn daher die eine Kette ohne Wärmetönung arbeitet, so thut es die andere sicher nicht.

Yoltasche Ketten. 435

Sinne verläuft. Wird schliesslich die Temperatur wieder auf ge- bracht, so ist der Kreisprozess geschlossen, und wir können die Formel anwenden, dass sich die Arbeit zur bewegten Wärme verhält, wie dT zu T. Die Arbeit ist der Unterschied der beiden elektrischen Energieen, nämlich nFdjr; die Wärme ist W. Die Gleichung lautet daher dT/T = nF.d;7r/W oder djr/dT = W/nFT. Nun ist die der Kette für den Umsatz von einem Mol zuzuführende Wärmemenge gleich der herausgenommenen elektrischen Energie nFjt vermindert um die durch den chemischen Vorgang gelieferte Wärmemenge, die Reaktionswärme R, also W = nFjr R. Wird dies in die obige Gleichung eingeflihrt, so folgt djr/dT = jr/T R/nFT oder jr = R/nF + Tdjr/dT.

In dieser Gleichung ist R/nF die chemische Energie, dividiert durch die Elektrizitätsmenge, d. h. die nach der früheren Ansicht be- rechnete Spannung. Wie die Formel lehrte sind beide nicht gleich, ausser wenn das letzte Glied djr/dT, der Temperaturkoeffizient der Spannung gleich Null ist. Dies trifft bei Daniellschen Elementen zu, und deshalb hat sich jr = R/nF ergeben.

Im übrigen kommen aber Fälle vor, wo die Spannung nicht von der Temperatur unabhängig ist, sondern sich erheblich mit dieser ändert. Dabei sind Änderungen in beiderlei Sinn beobachtet worden; sowohl Zu- nahme der Spannung mit steigender Temperatur, wie auch Abnahmen. Ist d:7r/dT negativ, findet also mit steigender Temperatur eine Abnahme der Spannung statt, so ist auch W = nFjr R negativ, d. h. es ist R>nF;7r, die chemische Energie ist grösser als die elektrische. Es muss der Kette Wärme entzogen werden, um ihre Temperatur konstant zu halten, oder sie erwärmt sich durch ihre Bethätigung über den Be- trag der „Jouleschen'^ d. h. durch den Widerstand bewirkten Wärme- entwickelung hinaus.

Der umgekehrte Fall, die Erhöhung der elekti'omotorischen Kraft mit der Temperatur, ist mit der Thatsache verbunden, dass die Kette unter Wärmeaufiiahme, bez. Abkühlung arbeitet.

Diese Zusammenhänge sind durch sorgfältige Untersuchungen, zu- letzt von H. Jahn, experimentell in weitem Umfange bewiesen worden.

Ketten, deren Spannung mit steigender Temperatur abnimmt, müssen schliesslich durch die Spannung Null gehen, und dann ihre Pole vertauschen. Dadurch geben sie in Ketten über, die Wärme aufnehmen und deren Span- nung mit steigender Temperatur wächst, so dass diese Art als die typische für höhere Temperaturen anzusehen ist. Gleichzeitig wird das Glied Td7r/dT immer grösser dem Gliede R/nF gegenüber. Das hat zur Folge, dass schliess- lich der chemische Vorgang in der Kette nur eine sekundäre Rolle spielt. Es muss schliesslich einen idealen Kettenzustand, ähnlich dem idealen Gaszustande geben, in welchem die ganze bei konstanter Temperatur zugeführte Wärme sich in elektrische Energie umsetzt, und die den chemischen Vorgang be- gleitende Wärmetönung nur als Abweichung vom idealen Zustande erscheint.

28*

436 IX. Elektrochemie.

Die eben entwickelte Theorie ergiebt keine unabhängige Voraos- berechnung der elektromotorischen Kraft aus den Konstanten des die- mischen Vorganges in der Kette ^ sondern nur einen Zusammenhang zwischen der chemischen^ der elektrischen Energie und einem dritten Gliede, das durch die Temperaturänderung der Spannung bestimmt ist Wenn zwei von diesen Gliedern gegeben sind, so lässt sich das dritte berechnen.

Es ist nun zu fragen, welcher Art die chemischen Vorgänge in der Kette sein müssen, damit die Theorie Anwendung finden kann. Die Bedingungen sind dahin auszusprechen, dass die Kette konstant und umkehrbar sein muss.

Konstant wird eine Kette sein, wenn während des Stromdurch- ganges immer derselbe chemische Vorgang unter denselben Bedingungen stattfindet. Da durch den Vorgang selbst die vorhandenen Stoffe ver- braucht werden, so müssen sie entweder von vornherein in genügender Menge und Konzentration anwesend sein, oder es muss Vorsorge ge- trofien sein, dass sie nach Massgabe des Verbrauches ersetzt werden. Dies sind indessen mehr praktische Fragen; da für theoretische Zwecke die Stromentnahme auf ein Minimum eingeschränkt werden kann, so kann in solchem Sinne schliesslich jede Kette als der theoretischen Be- dingung entsprechend angesehen werden.

In der That liegt die Schwierigkeit in der Beurteilung einer sogenann- ten inkonstanten Kette wesentlich in der Entscheidung der Frage, welcher von den unter den vorhandenen Umständen möglichen chemischen Prozessen wirklich stattfindet. So kann eine Kette aus Zink und Platin in Schwefelsäure in mehrerlei Weise wirken. Solange an der Kathode Luftsauerstoff vorhanden ist, wird sich auf seine Kosten Wasser mittels des zutretenden Wasserstoffs bilden. Ist jener verbraucht, so tritt der Wasserstoff als solcher auf, der zu- erst vom Platin aufgelöst wird und später in Blasen erscheint Diesen ver- schiedenen Vorgängen entsprechen ebenso verschiedene elektromotorische Kräfte, und erst wenn man die Bedingungen, unter denen die Kette arbeitet, genau definiert, kann man mit ihrer Spannung rechnen.

Umkehi'bar wird eine Kette sein, wenn der durch den Stromdurdi- gang in einem Sinne bewirkte Vorgang mittels eines entgegengesetzt ge- richteten Stromes wieder rückgängig gemacht werden kann. Beim Danieli- schen Element ist diese Bedingung offenbar sehr nahe erfüllt, und sie wird in allen Fällen erfüllt sein, wo diese entgegengesetzte Reaktion möglich ist. Auch dies stellt sich schliesslich als eine wesentlich praktische Auf- gabe heraus, denn allgemein gesprochen wird die entgegengesetzte Re- aktion immer möglich sein. Nur kann es in vielen Fallen geschehen, dass ausser dieser theoretischen Reaktion noch andere unter den gleidien Umständen eintreten können, die neben jener stattfinden, und sie quan- titativ übertreffen können. Femer geschieht es häufig, dass die unmittel- baren Ergebnisse des elektrochemischen Vorganges an der Elektrode weitere Umwandlungen erfahren, deren Umkehrung ähnlichen Sch^^ierig-

Die chemischen Vorgänge in der Kette und die lonenreaktionen. 437

keiten unterliegt. In allen solchen Fällen werden sich die Reaktionen nicht vollständig, zuweilen anscheinend gar nicht umkehren lassen.

Doch ist die Umkehrharkeit häufig nur eine Frage der Zeit, und für kurze Zeiträume wohl immer vorhanden. Dies ergieht sich aus dem Umstände, dass hei der Anwendung von Wechselströmen zur Messung der Leitfähigkeit der Elektrolyte (S. 383) sich auch hei sehr genauen auf diesen Punkt gerich- teten Untersuchungen keine Abweichungen von dem Ohmschen Gesetze gezeigt haben. Dies ist ein Beweis dafür, dass die in der Polarisation der Elektroden aufgetretene Energie des einen Stromes dem darauf folgenden entgegen ge- richteten Strome wieder völlig zu Gute kommt, d. h., dass die durch den ersten ausgeschiedenen Stoffe wieder für den entgegengesetzten Strom ver- braucht werden. Anderenfalls wäre an den Elektroden ein besonderer Energieverbrauch entstanden, als dessen Folge sich eine Abweichung vom Ohmschen Gesetze gezeigt hätte.

Siebentes Kapitel.

Die chemischen Vorgänge in der Kette und die lonenreaktionen.

Wenn eine Voltasche Kette einen Strom entstehen lässt, so geht dieser nicht nur durch den äusseren Leiter, sondern auch durch die Kette. Diese besteht aus einer Zusammenstellung von Leitern erster und zweiter Klasse. Während nun der Strom die ersteren ohne Än- derung durchtritt, so bedarf er zu seiner Bewegung im Elektrolyt nicht nur der Ionen als materieller Träger, sondern an den Stellen, wo der Elektrolyt an die metallischen Leiter^ die Elektroden^ grenzt, müssen aus elektrisdbi neutralen Stoffen Ionen entstehen, oder Ionen sich in neutrale Stoffe verwandeln, da auf keine andere Weise die Stromleitung durch die Kette aufrecht erhalten werden kann. Welche von diesen Vorgängen stattfinden, ergiebt sich aus folgenden Betrachtungen.

Nennen wir die Elektrode, durch welche die positive Elektrizität in den Elektrolyten tritt, die Anode, so kann die Stromleitung erstens so erfolgen, dass sich von der Anode positive Ionen oder Kationen los- lösen, welche die Beförderung des Stromes übernehmen. Dies ist z. B. mit dem Zink der Daniellschen Kette der Fall. Einem Strome positiver Elektrizität in einer Richtung ist aber ein Strom negativer in entgegen- gesetzter Richtung gleichwertig; daher kann derselbe Erfolg erzielt wer- den, wenn an die Stelle der Bildung von Kationen die Vernichtung von Anionen tritt. Ersetzen wir z.B. das Zink der DanieUschen Kette durch eine Lösung von Jodwasserstoff, so kann von einem eingetauchten me- tallischen Leiter, z.B. einer Platinplatte, gleichfalls ein positiver Strom in die Flüsfflgkeit treten; die gleichzeitige Erscheinung besteht hier darin, dasa die in dem Jodwasserstoff vorhandenen negativen Jodionen entiaden werden

438 IX. Elektrochemie.

und in gewöhnliches Jod übergehen, das sich in der überschüssigen Säure löst. Man kann sich die Erscheinung so deuten, dass die aus der Platte tretende positive Elektrizität die negative der Jodionen neu- tralisiert und diese dadurch in neutrales, d. h. gewöhnliches Jod ver- wandelt.

Ganz ähnliche Vorgänge finden an der Kathode statt, d. h. an der Elektrode, durch welche der positive Strom den Elektrolyten veriässt oder der negative in ihn eintritt. Dort müssen entweder Anionen in der Flüssigkeit entstehen, oder Kationen aus ihr verschwinden. Bei der Danielischen Kette ist das letztere der Fall, indem dort Kupferionen die Flüssigkeit verlassen, um sich als metaUisches, d. h. neutrales Kupfer an der Elektrode niederzuschlagen. Aber man kann das Kuptersulfat der Daniellschen Kette mit vollständigem Erfolge durch Brom (das der Lei- tung wegen in Bromwasserstoffsäure oder Bromkaliumlösung aufgelöst ist) ersetzen. Dann kann der negative Strom in die Lösung treten, in- dem das neutrale Brom durch Aufnahme der elektrischen Ladung in negative Bromionen übergeht.

Daraus ergiebt sich, dass die wesentliche Reaktion an der Anode Vermehrung der Kationen oder Verminderung der Anionen ist, während an der Kathode umgekehrt eine Verminderung der Stationen oder Ver- mehrung der Anionen erfolgt. Damit eine ZusammensteUung von Leitern erster und zweiter Klasse als Voltasche Kette wirkt, muss an jeder Elektrode eine von diesen Reaktionen mit den vorhandenen Stoffen mög- Hch sein. Daraus folgt, dass es insgesamt vier Typen solcher Ketten

giebt, nämlich:

Anode Kathode

Bildung von Kationen Bildung von Anionen

Büdung von Kationen Verbrauch von Kationen

Verbrauch von Anionen Bildung von Anionen

Verbrauch von Anionen Verbrauch von Kationen

Gleichwertig der Bildung, bez. dem Verbrauch von Ionen ist die Vermehrung, bez. Verminderung der Ladung vorhandener Ionen (S. 398). Beispiele dieser Typen sind

J. Zink in Zinksulfat, Brom in Bromwasserstoff.

2. Zink in Zinksulfaf^ Kupfer in Kupfersulfat.

3. Jod in Jodwasserstoff, Brom in Bromwasserstoff.

4. Jod in Jodwasserstoff, Kupfer in Kupfersulfat ^).

Betrachtet man diese Reaktionen vom chemischen Standpunkte, so er- scheinen die Vorgänge an der Anode als Oxydationserscheinungen im

") Da Elemente, welche Anionen bilden, in metallisch leitendem Zu- stande kaum bekannt sind, so müssen Brom und Jod mit Elektroden aus irgend einem leitenden, aber nicht chemisch angreifbaren Material bethätigt i^rerden, während dies bei den Metallen nicht nötig ist. Doch entsteht da- durch kein wesentlicher Unterschied.

Die chemischen Vorgänge in der Kette und die lonenreaktionen. 439

weiteren Sinne, denen die thätigen Stoffe unterworfen werden, während an der Kathode die vorhandenen Stoffe reduziert werden. Während aber bei gewöhnlichen chemischen Vorgängen Oxydation und Reduktion räumlich ungetrennt verlaufen, indem der oxydierende Stoff mit dem oxydierbaren oder reduzierenden in unmittelbare Berührung gebracht werden muss, so sind beide in der Voltaschen Kette räumlich getrennt.

Diese Trennung ist wesentlich, da sonst die Koppelung der che- mischen und elektrischen Energie nicht ausführbar wäre; durch das ge- trennte Entstehen, bez. Verschwinden der Ionen an den Elektroden wird die Elektrizität gezwungen, in Gestalt eines Stromes durch den Leiter- kreis zu gehen.

Man kann somit den chemischen Schluss ziehen, dass wenn ein Stoff die Tendenz zur Bildung positiver oder zum Verbrauch negativer Ionen hat, er ein Eeduktionsmittel im weiteren Sinne ist, während Oxydationsmittel umgekehrt an sich negative Ionen zu bilden oder posi- tive zu vernichten bestrebt sind. Ein Blick auf die oben gegebenen Beispiele giebt alsbald die anschauliche Überzeugung von der Richtig- keit dieser Definition. Gleichzeitig erkennt man, dass das, was man bisher etwas unbestimmt mit dem Ausdruck Oxydation und Reduktion im weiteren Sinne bezeichnet hat, vollständig und exakt durch die neue Definition dargestellt wird.

Während bei den oben gewählten einfachen Beispielen diese Ver- hältnisse sehr klar zu Tage treten, erscheinen sie etwas verwickelter bei zusammengesetzteren Oxydations- und Reduktionsmitteln. Doch ist es in jedem Falle ohne Zwang möglich, die gleiche Auffassung durchzuführen. Am einfachsten gestalten sich die Verhältnisse, wenn es sich um die Vermehrung oder Verminderung vorhandener lonenladungen handelt Ein Kation wu*kt als Reduktionsmittel, wenn es in ein mehrwertiges übergeht, als Oxydationsmittel, wenn es die Zahl seiner Einheitsladungen vermindert Umgekehrt verhält es sich mit einem Anion.

Beispiele fUr den ersten Fall bieten Eisen und Zinn, sowie die anderen Metalle, die Kationen von verschiedener Wertigkeit bilden. In- dem Ferroionen in Ferriionen übergehen, wirken sie reduzierend auf andere Stoffe und umgekehrt. Vermehrt dagegen das dreiwertige Anion Ferricyan seine negative Ladung, indem es in das vierwertige Ferrocyanion übergeht, so muss es einen anderen Stoff oxydieren.

Auf diese Form der Vermehrung oder Verminderung von lonen- ladungen lassen sich nun auch die verwickeiteren Oxydations- und Re- duktionsvorgänge zurückführen. Das Schema besteht darin, dass man Oxydationsmittel (nötigenfalls unter Mitrechnung der Elemente des Wassers) als Hydroxylverbindungen, Reduktionsmittel als Wasserstoffverbindungen formuliert, und an den dadurch entstehenden Ionen die entsprechenden Ladungsänderungen vornimmt. Einige Beispiele werden das Verfahren klar machen.

Salpetersäure ist ein starkes Oxydationsmittel, welches bei seiner

440 IX. Elektrochemie.

Betfaätigung in NO' oder NO übergeht Die Oxydation des Silben dureh Salpetersäure wird beispielsweise gewöhnlich geschrieben:

Ag + 2HN0s = AgNOs + H,0 + NOj.

Hierbei kommt der wesentliche Unterschied in der Wirkung der beiden Mole Salpetersäure, von denen nur das eine oxydierend wirkt, nidit zur Darstellung. Nach dem eben angegebenen Schema ist der Vorgang vielmehr zu schreiben:

Ag + N0-,/0H' + H-/N0'3 = Ag-/N0',+H,0 + NO,.

Hierbei sind die Kationen mit so viel Punkten, die Anionen mit so viel Strichen bezeichnet, als ihre Wertigkeit beträgt, und die dissociierten Bestandteile sind durch emen Strich getrennt. Der Sinn der Gleichung ist: wenn die Salpetersäure als Oxydationsmittel wurkt, so ist sie als Hydroxylverbindung des Kations NO* aufzufassen. Wenn auch sicher diese Spaltung nur in äusserst geringem Betrage erfolgt, so ist es dodi vollkommen statthaft, anzunehmen, dass MIb diese wenigen Ionen durch irgend einen Vorgang verbraucht werden, sie sich mit grosser Geschwindig- keit wieder bilden. Die Oxydation besteht dann darin, dass die Ionen NOg ihre positive Ladung verlieren, indem sie sie an das Silber ab- geben, und in neutrales NO, übergehen. Das Hydroxyl verbindet sich mit dem Wasserstoffion des anderen Salpetersäuremoles zu nichtdisso- ciiertem Wasser.

Ähnlich ist die Oxydation unter Bildung von NO aufzu&ssen. Unter Zutritt des Wassers kann man die Reaktion schreiben:

3 Ag + N0-/(0H)'3 + 3H-/N0'8 = SAg'/NO'j + 3H«0 + NO.

Hier ist die Bildung des dreiwertigen Kations NO"* neben dra Hydroxylen angenommen, und die Auflösung des Silbers erfolgt, indem die drei positiven Ladungen drei Atome metallischen Silbers in Ionen verwandeln. Die drei Hydroxyle bilden mit den Wasserstoffionen der drei anderen Mole Salpetersäure Wasser, während deren Anionen mit den Silberionen Silbemitrat darstellen.

Um auch für ein Eeduktionsmittel ein Beispiel zu geben, sei die Einwirkung der schwefligen Säure auf Jod im elektrochemischen Sinne formuliert Die schweflige Säure ist, da sie als Reduktionsmittel wirkt, als eine Wasserstoffverbindung des vierwertigen Anions SO4"" zu schreiben, indem die Elemente des Wassers, addiert werden und es folgt

S0/"7H-^ H- = SO/'/H-, + 2J'/H- Die Reduktion des Jods zu Jodwasserstoff erfolgt, indem das vierwertige S04""in das zweiwertige, SO^", das Anion der Schwefelsäure, übergeht; die Ladung wird zur Umwandlung zweier Jodatome in Jodionen verwendet Man kann nun diese Formulierung für eine zwar mögliche, aber doch entbehrliche ansehen. Indessen überzeugt man sich bald, dass sie in der That das wesentliche der Vorgänge besser zum Ausdruck bringt, als die alte Schreibweise. Man sieht dies besonders deutlich am Beispiel der Übermangan

Die chemischen Vorgänge in der Kette and die lonenreaktionen. 44 1

säure. Schreibt man diese, da sie ein Oxydationsmittel ist, als die Hydroxyl- Verbindung des sieben wertigen Mangans, HMnO^ + 3HjO=-Mn(OH)7, so übersieht man mit einem Blick folgende Beziehungen.

Geht die Übermangansaure in Mangansäure, die Hydroxylverbindung de» sechs wertigen Mangans über, so verliert sie eine positive Einheit, ergiebt also ein Oxydationsäquivalent.

Geht sie in Manganhjrperoxyd (Mangan vi er wertig) über, so ergiebt sie drei Oxydationsäquivalente.

Geht sie in zweiwertiges Manganosalz über, so ergiebt sie fünf Oxy- dationsäquivalente.

Diese Übersicht ist jedenfalls einfacher, als die gewöhnliche Darstellung der Oxydationswirkung der Permanganate. Sie ergiebt alsbald für die Oxy- dation der Ferrosalze zu Ferrisalzen, die so viel als analytische Methode be- nutzt wird, dass ein Mol Permanganat fünf Ferroionen zu oxydieren vermag, da für jedes zum Übergang aus dem zweiwertigen Zustande in den drei- wertigen nur je eine Oxydations- oder Ladungseinheit erforderlich ist.

Es kann noch die Berechtigung der Annahme jener vielwertigen Ionen in Frage gestellt werden, auf welcher diese Betrachtungen beruhen. Nun ist es möglich, sich hier ganz auf den formalen Standpunkt zu stellen, und diese Ionen nur als bequeme Rechenhilfsmittel zu betrachten. Ergiebt dies schon eine Rechtfertigung aus der Zweckmässigkeit, so kann man doch noch weiter gehen, und auch Gründe für die wirkliche Existenz dieser Ionen, wenn auch in äusserst geringen Mengen anführen'). Diese liegen in dem Satze, dass ebenso wie es prinzipiell unmöglich ist, aus einem gegebenen Räume ein vorhandenes Gas vollständig auszupumpen, auch unendliche Arbeit für die vollständige Entfernung eines in einer Lösung vorhandenen Stoffes aus dieser nötig wäre. Daraus folgt umgekehrt, dass die ersten Spuren jedes Stoffes, der unter gegebenen Umständen überhaupt möglich ist, mit un- widerstehlicher Gewalt sich bilden müssen. Alle unter gegebenen Umständen möglichen Stoffe sind demnach auch als wirklich vorhanden anzusehen. Da- mit ist natürlich noch nichts über die Menge ausgesagt, in der sie vorhanden sind, und bei der engen Begrenzung unserer analytischen Hilfsmittel müssen diese in den meisten Fällen versagen. Jede Erweiterung der Hilfsmittel bringt uns indessen eine neue Bestätigung des obigen Satzes; es ist in dieser Beziehung nur an die Bemühungen verschiedener Forscher um die Herstellung sauerstoffEreier Räume zu erinnern, welche zu dem Ergebnis geführt haben, dass jedes empfindlichere Reagens diesen Stoff noch dort nachweist, wo die früheren Reagentien keinen mehr erkennen Hessen, und eine Grenze sich nidit absehen lässt.

Sind auf diese Weise alle Wirkungen der Oxydations- und Re- duktionsmittel auf Änderungen von lonenladungen zurückgeführt, so muss umgekehrt geschlossen werden^ dass alle Oxydations- und Reduktions-

^) Bei der Nitrirung aromatischer Verbindungen wirkt die Salpetersäure im Sinne der Spaltung NO*j/OH'.

442 IX. Elektrochemie.

mittel, wenn sie von unmittelbarer Wechselwirkung geschützt mit Elek- troden versehen und zu einer Kette angeordnet werden, einen elektrisdien Strom geben müssen. Die Erfahrung bestätigt diesen Schluss durchaus; schon Davy hat in seinen frühesten elektrochemischen Versuchen (1801) solche Ketten hergestellt und wirksam befunden, und später sind zahl- reiche weitere Zusammenstellungen hergestellt und untersucht worden.

Daraus geht weiter hervor, dass man jeden chemischen Vorgang, bei welchem ein Stoflf auf Kosten eines anderen oxydiert wird, als Volta- sche Kette anordnen und auf seine elektromotorische Kraft prüfen kann. Entsprechend dem S. 434 Gesagten wird die elektromotorische Kraft einer solchen Kette nicht durch die Wärmetönung des zugehörigen che- mischen Vorganges bestimmt, sondern es tritt in ihr der Betrag von Arbeit zu Tage, den der Vorgang leisten kann; dieser kann kleiner oder auch grösser sein, als die freiwerdende Wärmeenergie. Man erlangt mit anderen Worten durch die Messung dieser elektromotorischen Kraft an Mass fllr die freie Energie des Vorganges, und darin Hegt die besondere Wichtigkeit solcher Messungen.

Es erhebt sich naturgemäss die Frage, ob nicht auch andere che- mische Vorgänge sich zu einer Voltaschen Kette anordnen lassen, da- mit man auf diesem Wege ihre freie Energie messen kann. Die Ant- wort ist, dass dies allgemein der Fall ist, soweit Elektrolyte.in der Re- aktion vorkommen. Es brauchen keineswegs alle beteiUgten Stoffe Elektro- lyte im gewöhnlichen Sinne zu sein; es genügt, wenn einige es »nd. Doch gehören zur Beurteilung solcher anderer FäUe noch andere That- sachen, zu deren Studium wir jetzt übergehen wollen.

Achtes Kapitel. Konzentrationsketten.

Wenn man zwei Ketten aus Zink, Zinkchloridlösung, Quecksilber- chlorür und Quecksilber aufbaut, und sie gegeneinander schaltet, so ist das Ganze symmetrisch, und es geht kein Strom hindurch. Ändert man nun nichts daran, als dass man die Zinkchloridlösung in der einen Kette mit Wasser verdünnt, so zeigt sich eine Spannung, die beweist, dass das Gebilde nicht mehr im Gleichgewichte ist. Lässt man den Strom zu Stande kommen, so wirkt er in solchem Sinne, dass in der Kette mit der verdünnteren Lösung Zink gelöst und QuecksUberchlorür zersetzt, also neues Zinkchlorid gebildet wird, während in der anderen Kette Zink abgeschieden und Kalomel gebildet wird, die Lösung also an Zink- chlorid verarmt. Gleichgewicht tritt erst ein, wenn die Konzentrationen der Zinkchloridlösungen in beiden Ketten gleich geworden sind.

Die Quelle der elektrischen Energie in dieser Kette ist also die Verschiedenheit der Konzentrationen der Zinksalzlösungen, und der

KonzentrationBketten. 443

Betrag der auf elektrischem Wege zu gewinnenden Energie muss dem gleich sein^ den man auf irgend einem anderen Wege durch den Aus- gleich der Konzentrationsverschiedenheiten erlangen kann.

Solcher Wege giebt es mehrere. Zunächst sind die Dampfdrucke der beiden Lösungen verschieden, und indem man Wasserdampf aus der verdünnteren Lösung in die konzentriertere überdestillieren lässt, kann man den vorhandenen Druckunterschied zu einer Arbeitsleistung benutzen. Berechnet man diese Arbeit för den Fall, dass der zu einem Mol Zink- chlorid gehörige Wassertiberschuss der verdünnteren Lösung in die kon- zentriertere tiberdestilliert wird (wobei man beide Fltissigkeitsmengen so gross annimmt, dass keine von ihnen eine wesentliche Änderung der Konzentration hierbei erleidet), und dividiert sie durch die Elektrizitäts- menge 2F, durch deren Übergang zwischen beiden Ketten das gleiche Ergebnis erhalten wird, so muss der Quotient die Spannung dieser Kon- zentrationskette ergeben. Es ist von Helmholtz (1872) gezeigt worden, dass die Rechnung mit der Messung vollkommen tibereinstimmt.

Man kann aber die Rechnung auch etwas einfacher ftihren, wenn man den Begriff des osmotischen Druckes benutzt (Nemst 1889). Durch den Übergang der Elektrizitätsmenge 2F in der Doppelkette wird ein Mol Zinkchlorid aus der konzentrierten Lösung fortgenommen, und eben- soviel in der verdtinnteren erzeugt. Die dazu erforderliche osmotische Arbeit ist identisch mit der, welche eine entsprechende Gasmenge leisten würde, wenn sie bei konstanter Temperatur (die hier immer vorausgesetzt wird) sich von dem höheren Drucke bis zum niederen ausdehnte. Nennt man die osmotischen Drucke der beiden Zinkchloridlösungen p^ und p^, und bezeichnet mit i die Gesamtzahl der Mole, die durch die elektro- lytische Dissociation aus emem Mol Zinkchlorid entstanden sind, so wird diese Arbeit durch iRTln(pJpj) dargestellt. Da femer die gleichzeitig in der Doppelkette tibergegangene Elektrizitätsmenge 2F ist, so ergiebt sich die elekti'omotorische Ej*aft :it der Konzentrationskette zu

iRT . p,

2F p,

Im Falle einer verdünnten Lösung ist i = 3, da ZnCP sich in drei Ionen spaltet.

Die Formel ist identisch mit der, welche man auf Grund der Betrach- tang der Dampfdrucke des Wassers aus den Lösungen erhalten kann. Dies ergiebt sich durch die Benutzung der S. 201 entwickelten Beziehungen zwi- ^ sehen dem Dampfdruck und dem osmotischen Druck. Die genauere Ent- I Wickelung soll dem Leser überlassen bleiben.

Man kann die gegebene Formel offenbar verallgemeinern, wenn man

statt der bestimmten Zahl 2 den allgemeinen Wert n einsetzt. Sie enthält

i nur die Konzentrationen der beiden Salzlösungen und gilt dann für alle ahn-

' liehen Fälle, wo zwei Ketten solcher Art gegeneinander geschaltet sind. Man

kann also das Zink durch jedes andere Metall ersetzen, welches die Herstel-

444 IX- Elektrochemie.

lung einer Elektrode und einer elektrolytischen Lösung gestattet, und eben« kann nicht nur das Quecksilberchlorür durch andere schwerlösliche Salze da Quecksilbers, sondern auch dies Metall und sein Salz selbst durch irgend eil anderes Metall und sein schwerlösliches Salz ersetzt werden, ohne dass die grundlegenden Betrachtungen eine Änderung zu erfahren brauchen. Da die Eonstanten R und F unabhängig von der Natur der Stoffe sind, so eigebei sich auch die elektromotorischen Kräfte als unabhängig von der Natur da beteiligten Stoffe, wenn die Faktoren n und i dieselben sind, und sie stehea in einfachen rationalen Verhältnissen, wenn sie verschieden sind.

Alle diese Schlüsse (Ostwald 1892) sind durch die Beobachtung als zu- treffend erwiesen worden (Goodwin 1893).

Für die zahlenmässige Berechnung ist folgendes zu beaditen. Die Konstante R beträgt in absolutem Masse 8*31 X 10*^; F ist 96540 CooL Dividiert man gleichzeitig mit 04343 ein^ um statt der natürlidien Lo- garithmen dekadische benutzen zu können, und berücksichtigt, öa» 1 VoltX 1 Coul= 10'' Erg ist, so wird der Faktor vor der Gleidimig

8*31 T

-— - = 00001982 T, wofür man mit einem Fehler voa

04343 X 96450 '

fast genau 1 Prozent 0*0002 T setzen kann. Für Zimmertemperatoi^

18®C = 291'>A ergiebt sich

jr = 0.0570-. log ?^ Volt, n Pj

In dem oben erwähnten Falle der Zinkcbloridkette ist ^ verdünntt Lösungen i = 3; n = 2 ; nimmt man also ein YerdünnungsverfaältDi» 1 : 10 aU; dessen Logarithmus = 1 ist; so wird eine derartige Doppd- kette eine Spannung von 0.075 V geben. Man sieht, dass auch sehr grosse Unterschiede der Konzentration keine besonders hoben Spannungen ergeben werden, da diese nur mit dem Logarithmus des VerhäJtnissei der osmotischen Drucke oder Konzentrationen wachsen, also viel lang* samer, als die Verbältnisse selbst

Man könnte denken, dass an Stelle der beschriebenen Anordnung aus zwei gegeneinander geschalteten Ketten eine einfachere Platz greifen könnte^ die man aus zwei Zinkelektroden zusammenstellt, deren jede in einer Zink- salzlösung von anderer Konzentration steht. Solche einfache Konzentrations- ketten ergeben allerdings auch eine Spannung in demselben Sinne, wie die frühere Anordnung; sie ist aber stets kleiner. Dies rührt daher, dass hier beim Durchgange des Stromes nicht die ganze dem Faradayschen Gesetze entsprechende Änderung der Konzentration eintritt, wie dies bei der £nt- wickelung der Formel angenommen worden war. Die KonzentrationsSn- derungen sind vielmehr geringer, da ausserdem die Überführung in Frage^ kommt (S. 388). Dadurch beträgt nach dem Durchgange von nF die Kon*^ zentrations&nderung nicht ein Mol, sondern nur den Bruch v/(u -f y) von einem Mol, wo u die Wanderungsgeschwindigkeit des Kations, v die des An- ions ist. Um denselben Bruchteil ist die Arbeit, und somit die elektromoto-

Eonzentrationgketten. 445

Tische Kraft kleiner, so dass für gewöhnliche Eonzentrationsketten die Formel gilt

n - -4— - •0.0002T log ii . u + V n V%

Beachten wir nun^ dass sich ähnliche Betrachtungen nicht nur auf den Ausgleich der Konzentration verschiedener Salzlösungen anwenden lassen, sondern auf die Vermehrung und Verminderung der Konzentra- tionen der an dem Zustandekommen des Stromes in der Kette überhaupt beteiligten Stoffe, so sehen wir, dass sich durch den gleichen Gedanken- gang, die Berechnung der osmotischen Arbeiten, die beim Stromdurehgange in der Kette zu stände kommen, eine Theorie der Voltaschen Ketten über- haupt gewinnen lässt Dies ist in der That in weitem Umfange möglich gewesen (van't Hoff 1885, Nemst 1889), und wir gelangen dazu, wenn wir die osmotischen Arbeiten bei der elektrolytischen Auflösung der Me- talle in Betracht ziehen. Ein fester Stoff verhält sich gegenüber einer Flüssigkeit, wie ein flüchtiger Stoff gegenüber einem Dampfraume. Je nach der Konzentration, die in der Lösung herrscht, wird er entweder in Lösung gehen, oder es wird aus der Jjösung Substanz sich auf ihm niederschlagen, beides, bis ein bestimmtes Gleichgewicht erreicht ist und eine bestimmte Konzentration, die Sättigungskonzentration, sich in der Lösung hergestellt hat.

Ist diese von vornherein nicht vorhanden gewesen, so kann durch die Herstellung der Sättigung Arbeit gewonnen werden. War die Lö- sung vorher ungesättigt, so ist der Arbeitsgewinn mit der Auflösung des festen Stoffes verbunden. War umgekehrt die Lösung übersättigt, so wird Arbeit gewonnen, indem die Konzentration in der Lösung geringer wird und sich fester Stoff niederschlägt.

Man kann diese Arbeiten berechnen, wenn man es mit einem flüchtigen Stoffe zu thun hat, dessen Dämpfe den Gasgesetzen unter- liegen. Ist p«, der Sättigungsdruck und p der ursprünglich vorhandene, 80 kann jedes Mol des Dampfes die Arbeit bei konstanter Temperatur T die Arbeit RTln(pQ/p) leisten, indem es von dem Drucke Po zu dem Drucke p übergeht.

Für Lösungen gilt ganz dieselbe Formel, wenn man unter p den osmotischen Druck versteht.

Nun ist zu beachten, dass för die Gültigkeit dieser Formel keines- wegs erforderlich ist, dass der Dampf dieselbe Zusammensetzung habe, wie die andere Phase. Ein fester Stoff, der gasförmige Zersetzungspro- dukte ausgiebt, folgt genau demselben Gesetze; aUes was zu verlangen ;ißt, ist die Umkehrbarkeit der Umwandlung. Dasselbe gilt für Lösungen; was ans dem festen Stoffe wird, wenn er in Lösung geht, ist gleich- I gültig, wenn er nur wieder aus der Lösung zurückerhalten werden kann.

Einen derartigen Fall haben wir in den Metallen vor uns, die Ionen bilden können. Die Zinkionen in der Lösung eines Zinksalzes sind von einer Lösung des Zinkmetalles sicher verschieden; sie können

446 IX* Elektrochemie.

aber ans Zinkmetall entstehen, und in dieses übergeführt werden, so das» man ihre BUdnng aus Metall in einer Lösung als mit denselben Arb^ts- beträgen verbunden ansehen muss, wie bei einer gewöhnlichen Lösung. Unterliegt doch auch die Auflösung eines Salzes den gleichen Gesetzen (wenn man auf die vermehrte Molenzahl die erforderliche Rücksicht nimmt), obwohl wir wissen, dass es gleichfalls zum grössten Teil in etwas anderes, nämlich in die Ionen übergeht.

Bei dem Übergange eines Metalls in Ionen kommt nun ein neu^ Umstand in Frage. Aus den Erscheinungen der elektrolytischen Ldtung wissen wir, dass mit den Ionen Mektrizitätsmengen wandern und über- haupt dauernd verbunden sind. Werden ihnen die elektrischen Ladungen entzogen, so verlieren sie ihre lonennatur und gehen in indifferente oder neutrale Stoffe über. Bei der Auflösung von Salzen, die ja auch mit einer lonenbildung verbunden ist, machen sich keine elektrischen Er- scheinungen geltend, da sich immer die entgegengesetzten Ionen in gleicher Menge bilden, also auch die entgegengesetzten Elektrizitätsmengen in gleichem Betrage gleichzeitig entstehen. Unter solchen Bedingungen sind elektrische Erscheinungen nach aussen nicht möglich. Wenn aber ein Metall in Ionen übergehen soll, so können sich nur Kationen od^ positiv geladene Ionen bilden: damit dies möglich ist, muss eine entsprechende Zufuhr von positiver oder Abfuhr von negativer Elektrizität stattfinden.

Durch diesen Umstand sind die Auflösungserscheinungen der Me- talle besonders zur Bildung elektrischer Bewegungen geeignet Da eine lonenbildung nicht ohne solche stattfinden kann, lassen sich elektrisdie und chemisdie Vorgänge aneinander knüpfen, und man erlangt Maschinen zur Überführung chemischer Energie in elektrische und umgekehrt.

Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkte die *Daniellsche Kette, so werden wir dem Zink einen bestimmten Lösungsdruck zuschreiben können, mit dem es Ionen zu bilden bestrebt ist. Ist dieser Druck grösser als der osmotische Druck der Zinkionen in der Lösung, so wird der Übergang aus dem Metall in die Lösung der Möglichkeit einer Arbeits abgäbe nach aussen entsprechen. Da dieser Übergang aber nur unter gleichzeitiger Elektrizitätsbewegung erfolgen kann, so kann diese Arbeit vollständig in Gestalt elektrischer Energie gewonnen werden.

Damit dies aber stattfinden kann, ist es nötig, beständig die Be- dingung zu erfüllen, dass im Inneren der Leiter sich nie ein Über- schuss von Elektrizität befinden kann. Ebensoviel positive Elektrizität als durch die Bildung der Zinkionen in die Flüssigkeit tritt, muss durdi irgend einen entsprechenden Vorgang daraus entfernt werden. Dies ge- schieht in der Danielischen Kette dadurch, dass gleichzeitig mit Lösung des Zinks ebensoviel Kupferionen die Lösung verlassen und dieser die gleiche Menge positiver Elektrizität entziehen. Da dies an zwei getrennten SteUen, der Zink- und der Kupferelektrode geschieht, so kann der Vorgang erst beginnen, wenn durch leitende Verbindung der beiden Pole die Elektrizitätsbewegung ermöglicht wird.

Eonzexitrationsketten. 447

Auch die Entfernung der Kupferionen aus der Lösung wird nicht ohne positive oder negative Arbeitsleistung möglich sein, die auf ganz dieselbe Weise zu berechnen ist, wie am Zink, nur dass sie mit umge- kehrtem Zeichen in Rechnung zu bringen ist, da beim Eintritt der Zink- ionen die Kupferionen austreten müssen. Die an der Kette zu beob- achtende elektromotorische Kraft wird sich daher als Unterschied der beiden Werte an den Elektroden erweisen.

Bezeichnet man die Lösungsdrucke des Zinks und des Kupfers mit P, und Pg, und die osmotischen Drucke der Zink- bezw. Kupferionen in den Lösungen, die die Metalle berühren, mit p^ und p^, so wird die Gesamtarbeit, die der Kette entnommen werden kann, wenn ein Mol Zink gelöst und ein Mol Kupfer niedergeschlagen wird, ausgedrückt sein durch die Differenz RT hi (P^ /pj RT hi (P^ /p^).

Nun lassen sich die osmotischen Drucke der Ionen in den beiden Lösungen zwar leicht berechnen, wenn man die Konzentrationen und die Dissodationszustände bestimmt. Für die Messung der Lösungsdi*ucke der Metalle haben wir aber noch keinen Anhaltspunkt gewonnen, und müssen daher die Grössen Pj und Pj zunächst als zwar bestimmt, aber mibekannt betrachten. Sie hängen in erster Linie von der Natur des Metalls ab, femer von der Temperatur und schliesslich vom Lösungs- mittel. Da wir uns aber ausschliesslich mit wässerigen Lösungen be- schäftigen werden, so können wir diese Veränderlichkeit als ausgeschlossen ansehen. Arbeiten wu* ausserdem bei konstanter Temperatur, so bleibt als einzige Veränderlichkeit die Natur des Metalls übrig.

Um femer die Arbeit bei dem elektrochemischen Vorgange in mes»- baren Grössen zu haben, erinnern wir uns der Betrachtung, dass die elektrische Energie durch das Produkt von Elektrizitätsmenge und Span- nung gegeben ist. Erstere ist durch das Faradaysche Gesetz bestimmt und beträgt n. 96540 Coul = nF, wo n die Valenz des Ions ist, das aus einem Mol des Metalis entsteht. Durch Division der Elektrizitäta- menge in die Arbeit erhalten wir somit die Spannung an der Elektrode.

Sie ergeben sich zu Jt = -^=r In .

nF p

Eine Kette setzt sich aus zwei Elektroden in ihren Lösungen zu- sammen, welche in entgegengesetzter Reihenfolge geschaltet sind, nämlich Metall /Elektrolyt und Elektrolyt /Metall. Die Spannung der Kette ist somit gleich dem Unterschiede der beiden Spannungen an den Elek- troden. Ausserdem ist noch die Spannung zwischen den beiden Elek- trolyten und die zwischen beiden Metallen zu berücksichtigen: wir werden später sehen, dass die erstere fast immer sehr klein, und die letztere wahrscheinUch Null oder nahezu Null ist. Es soll also vorläufig von diesen beiden letzten abgesehen werden.

In einer Kette wird demnach die Spannung durch einen Ausdruck

RT /l P 1 P \

von der Gestalt J€= jt. jr*. =-z:r ( ^^ ^ ~^ ) dargestellt

b \nj pi Ug p^/

448 IX* Elektrochemie.

sein 7 wo sich die mit 1 und 2 bezeichneten Grössen auf die bdden

zusammensetzenden Elektroden nebst Lösungen beziehen. Die Grosse B;F

ist bereits berechnet und gleich 0-000198 für den Fall gefunden worden,

dass gleichzeitig statt der natürlichen Logarithmen dekadische eingeföhrt

/ 1 P werden. Wir schreiben die Gleichung jr = 0-000198 T log— ^^

1 P \

log ^ . Ist n, ==-n«, so haben wir den einfacheren Ausdruck x =

0-000 1 98 T, Pi p. log ' *^'

n P, pi

Um in der Folge die durch Änderung der p- Grössen eintretenden Änderungen der Spannung zu bezeichnen, können wir uns kaum der Worte positiv und negativ bedienen. Aus den Tagen der Voltaschen Theorie, wo die an den Ketten beobachteten Spannungen irrtümlich an die Berührungsstellen der Metalle gelegt worden waren, ist die Bezeich- nung des Zinks als des positiven und des Kupfers als des negativen Metalls noch vielfach übrig geblieben. Nun zeigt sich aber in der Da-, niellschen Kette das Zink negativ, wenn man das Kupfer (durch Ableiten, zur Erde) auf die Spannung Null bringt, und das Kupfer ist positiv, wenn das Zink auf Null gebracht wird. Eine unzweideutigere Bezeich- nung gewinnt man, wenn man die von Faraday eingeföhrte Benennung der Elektroden benutzt. Kathode ist danach die Elektrode, an welcher sich aus dem Elektrolyt Kationen entladen, Anode die, an welche sich Anionen begeben. Man erweitert diese Definition dahin, dass, ebenso wie die Abscheidung von Kationen aus dem Elektrolyt auch die Bildung von Anionen in diesem den Kathodencharakter kennzeichnet; ebenso ist eine Elektrode auch Anode, wenn sie, statt Anionen aus der Flüssigkeit aof- zunehmen (was selten geschieht), Kationen in die Flüssigkeit entsendet

Eine Elektrode wird also anodischer, wenn die Tendenz der An- ionen, die Flüssigkeit zu verlassen, oder die Tendenz der Kationen, in sie einzutreten, zunimmt. Ebenso wbd eine Elektrode kathodiseher,wenn an ihr die Tendenz der Kationen, aus der Flüssigkeit auf die Eld^trode überzutreten grösser, bezw. die Tendenz der Anionen für den gleidien Übergang kleiner wird. Eine Kette hat eine um so grössere Spannung, je kathodischer die Kathode und je anodischer die Anode ist

Wird eine Elektrode kathodischer, so wächst die positive Spannung an der Elektrode, wenn man sie von dem Potential der Flüssigkeit ab^ rechnet; umgekehrt wird die negative Spannung der Flüssigkeit grösser oder die positive kleiner, wenn man die der Elektrode als Ausgangs- punkt wählt. Umgekehrt verhält sich eine Elektrode, wenn sie anodi- scher wird.

In der Daniellkette ist das Zink Anode, das Kupfer Kathode. Ver- mehrt man die Konzentration der Zinkionen, so vermindert man die| Tendenz des Zinks, Ionen zu bilden, durch die Erhöhung des osmoti-

Konzentrationsketten. .449

sehen Gegendruckes. Dadurch wird die Zinkanode weniger anodisch und die Gesamtspannung der Kette sinkt. Vermehrt man umgekehrt die Konzentration der Kupferlösung an der Kathode, so wird die Tendenz der Ionen, an die Elektrode überzutreten, gesteigert. Die Kathode wird kathodischer und dadurch wächst die Gesamtspannung der Kette. Dies ist natürlich allgemein und somit gUt die Regel: Konzentrationsvermeh- rung der Ionen des Metalls in dem Elektrolyt (der Kationen) macht das Metall darin kathodischer, bezw. weniger anodisch.

Vergleicht man diese Definitionen mit der Formel für die Spannung der Kette, so findet man sie in Übereinstimmung, wenn man, wie ge- schehen, die Spannungen von der Anode ab in die Kette hineinzählt.

Aus der Formel für die Einzelspannungen, sowie der tür die Ge- samtspannung lassen sich viele Schlüsse ziehen. Da die Werte der Lösungsdrucke zunächst unbekannt sind, so müssen die Schlüsse auf solche Fälle beschränkt werden, in denen diese Grössen entweder kon- stant sind, oder sich herausheben.

In der Gleichung für die Spannung an einer Elektrode jü=

n P log kommt das Anion nicht vor. Man muss daraus schUessen, dass die

P Spannung von diesem unabhängig sein muss, und bei allen Salzen des- selben Metalls bei äquivalenter Konzentration den gleichen Werth hat, wenn nur deren Dissociation die gleiche ist.

Der Versuch hat diesen Schluss in weitem Umfange bestätigt. Mit 21 verschiedenen Salzen (1/50 normal) des Thalliums werden in einer Kette, deren anderes Glied aus Quecksilber nebst Calomel unter Chlorkaliumlösung bestand, folgende Spannungen beobachtet (Neumann 1894):

Säure

Spannung

Säure

Spannung

Hydroxyd

0-7040

Bemsteinsäure

0-7040

l'luorwasserstoffsänre

0-7050

Weinsäure

07050

Kohlensäure

07050

Citronensäure

0-7055

Schwefelsäure

0-7050

Fumarsäure

0-7040

Salpetersäure

07055

Maleinsäure

0-7060

Ameisensäure

0-7045

Itakonsäure

07050

Essigsäure

07055

Citrakonsäure

07050

Buttersäure

0-7046

Benzoesäure

0-7050

Monochloressigsäure

0-7050

Salicylsäure

0-7055

Propionsäure

0-7045

Phtalsäure

0-7055

Malonsäure

0-7050

Ebenso hat sich gezeigt, dass die Daniellkette die gleiche Spannung hat, wenn man die Lösungen der Sulfate durch äquivalente Lösungen mit einem anderen Anion ersetzt.

An der Daniellkette ist gleichfalls der Schluss geprüft und bestätigt worden, dass eine Verdünnung des Salzes an der Anode die Spannung ver- mehrt, an der Kathode sie vermindert. Werden beide Lösungen in gleichem

Ostwald, Grundriss. 8. Aufl. 29

450 ^^* Elektrochemie.

Verhältnisse verdünnt oder konzentriert, so ändert sich die Spannung nicht Dies ist eine Folge davon, dass beide Metalle zweiwertig sind, so dass in der Formel n^ «» n, ist.

Durch Veränderung der Konzentration kann man die Spannung nicht sehr erheblich ändern. Denn nimmt man eine zehn£su2h normale Lösung als konzentrierteste, die sich darstellen lässt, so bedingt bei einem zweiwertigen Metall, wie Zink oder Kupfer, die Verdünnung auf eine 1/1000 normale Lösung die verdünnteste, die man mit Sicherheit handhaben kann nur eine Änderung der Spannung um 012 V. Dagegen giebt es einige sehr wirksame andere Mittel, die Konzentration der E^ationen auf geringe Beträge herabzusetzen. IMe beiden wichtigsten von ihnen sind die Anwendung schwerlöslicher Salze der Metalle, und die Anwendung solcher Elektrolyte, in denen die Metalle komplexe Verbindungen bilden.

Den ersten Fall haben wir bereits in praktischer Anwendung kennen gelernt: in der Quecksilber-Calomel-Elektrode. Wenn man QuecksSber mit Quecksilberchlorür überschüttet, und die Lösung irgend eines Chlorids als Elektrolyt zufögt, so erhält man eine Elektrode, die sich ähnlich wie ein Metall in der Lösung seines Salzes verhält, nämlich unpolarisierbar (fiir schwache Ströme) ist Leitet man den positiven Strom aus dem Quecksilber in die Flüssigkeit, so bildet sich mehr Calomel, leitet man ihn umgekehrt, so verschwindet Calomel und das Quecksilber ver- mehrt sich; in beiden Fällen, ohne dass sich die Spannung ändert Im ersten Falle verschwinden Chlorionen aus der Lösung, im zweiten treten sie hinein, und das Gebilde verhält sich, als wäre es eine Elektrode von metallischem Chlor, welche Chlorionen aufnehmen und abgeben kann. Ja auch ein entsprechender Einfluss der Konzentration der Chlorionen in der Lösung macht sich geltend: vermehrt man sie, so wird die Elektrode anodischer und umgekehrt

Dies Verhalten lässt sich voraussehen, wenn wir von der allgemdnen Anschauung Gebrauch machen, dass aUe Stoffe löslich sind. Das Calomei geht in Lösung, bis sein Löslichkeitsprodukt erreicht ist, und von der alsdann vorhandenen Konzentration der Quecksilberionen hängt die Spannung ab. Da eine Vermehrung der Chlorionen nach dem Massen- wirkungsgesetze die Quecksilberionen vermindern muss, so wird die Elektrode weniger kathodisch, d. h. anodischer.

Auch zahlenmässig ergiebt sich der Einfluss, als wenn die Elektrode einwertiges negatives Chlor aussendete. Die Gleichung für das gelöste Calomel lautet, wenn man das Quecksilber einwertig annimmt*), a-b == konst, wo a die Konzentration des Chlors, b die des Quecksilbers als Ion bedeutet. Folglich

*) Es sind in neuerer Zeit dafür Gründe geltend gemacht worden, dass die Merkuroionen als zweiwertige Doppelionen Hg, aufgefasst werden müssen. Für die gegenwärtige Betrachtung hat dies keinen Einfluss, da die Valenz des Kations aus der Schlussgleichung herausfällt.

]

Konzentrationsketten. 451

sind auch die osmotischen Drucke der beiden Ionen einander umgekehrt pro- portional und bezeichnet man sie mit p und p', so ist log p —= log p' + c, wo c eine Eonstante ist. Wird dies in die Gleichung für eine Elektrode gesetzt,

0»000198T so ergiebt sich ä = logPp' und der osmotische Druck des Chlors

beeinflusst ähnlich die Spannung wie der des Quecksilbers, nur im umge- kehrten Sinne.

Die Ketten mit schwerlöslichen Salzen gestatten^ f^Uungsreaktionen elektromotorisch zu verwerten, und somit die freie Energie dieser che- mischen Vorgänge elektrometrisch zu messen. Denken wir uns z. B. eine Kette aus Silber in Silbemitrat, und Silber nebst Chlorsilber in Chlor- kalinmlösong zusammengestellt; damit die beiden Lösungen sich nicht unmittelbar fällen, sei eine Lösung von Kaliamnitrat zwischengeschaltet. Eine solche Kette zeigt eine Spannung von 0*5 1 V in solchem Sinne, dass die Chlorsilberseite Anode ist. Lässt man den Strom fliessen, so geht an der Anode Silber in Chlorsilber über, während an der Kathode Silber sich metallisch ausscheidet. Gleichzeitig wandert das Kalium nach der Katiiode, und das Nitration entgegen; sie bilden Kaliumnitrat in der Mitte. Das Resultat ist, da die Menge des einerseits chlorierten Silbers gleich der des andererseits ausgeschiedenen ist, nur die Veiminderung des Silbemitrats und Chlorkaliums unter Bildung von Chlorsilber und Kaliumnitrat, d. h. dasselbe, als wenn Silbemitrat und Chlorkalium un- mittelbar miteinander in Berührung gebracht wären.

Auf diese Weise lässt sich jede F^ungsreaktion behandeln und die Möglichkeit, sie zu einer Kette anzuordnen, hängt nur davon ab, dass man das Metall des Niederschlages als Elektrode anwenden kann^).

Aus der beobachteten elektromotorischen Kraft von 0-51 V lässt sich ein weiterer Schluss ziehen. Da die fragliche Kette nichts als eine Konzentrations- kette mit gleichem Metall beiderseits ist, so werden in der Kettengleichung P,s=»P3,

und da femer n 1 ist, so geht die Gleichung über in 0'51 = 0-000198 T log—-

Pa In dieser Formel ist nur noch p^ unbekannt, da die benutzte Silbernitrat- lösung 1/10 normal war. Setzen wir deren Druck p^ gleich 0-1 (auf die Einheit des Druckes kommt es nicht an, da nur das Verhältnis zweier Drucke in der Formel erscheint), so folgt, da 0-000198 T = 0-0576, log Pa •= 9-85, also pa a= 1-4 X 10 10 , Dies ist die Löslichkeit des Chlorsilbers in der ange- wandten Normal -Chlorkaliumlösung; um hieraus die Löslichkeit 1 des Chlor- silbers in reinem Wasser zu finden, benutzen wir das Gesetz von der Konstanz des lonenprodukts, = 1 x 1-4 x 10 - 10 , also 1 = 1-2 x 10 - ö. Thatsächlich ist mittels elektrischer Leitfähigkeit (S. 407) die Löslichkeit des Chlorsilbers gleich 1-17 X 10 6 Mol im Liter gefunden worden.

Auf solche Weise lässt sich allgemein die Löslichkeit schwerlöslicher

*) Durch besondere Kunstgriffe ist es möglich, sich von dieser Beschränkung frei zu machen, indem man Elektroden „dritter Art" (Luther 1898) anwendet.

29*

1

452 IX. Elektrochemie.

Stoffe bestimmen. Das Yerfahren gestattet, kleinere Löslichkeiten zu messen als irgend ein anderes, da die elektromotorische Kraft nur mit dem Logarithmus der Verdünnung zunimmt, und es giebt thatsächlich keine Grenze für das Verfahren. Man findet in allen Fällen endliche elektromotorische Kräfte (Goodwin 1894), und darin liegt ein Beweis, dass es in der That kein unlös- liches Salz giebt. Denn ein solches müsste eine unendlich grosse elektro- motorische Kraft geben, wie man unmittelbar aus der Formel ersieht, wenn man Ps«»0 setzt.

Ein zweiter Weg, die Konzentration der Metallionen im Elektrolyt zu verkleinem, liegt in der Anwendung eines Reagens, durch welches die Metallionen in eine komplexe Verbindung übergefiihrt werden. Da der osmotische Gegendruck gegen die Auflösung des Metalls in der Kette nur von dessen Ionen ausgeübt wird, nicht aber von irgend wel- chen anderen Verbindungen, in denen es enthalten ist, so können Lö- sungen, die beträchtliche Mengen des Metalls enthalten, doch Spannungen geben, die einer äusserst geringen Konzentration entsprechen.

Am auf^gsten haben sich diese Erscheinungen bei Ketten gezeigt, in denen Cyankalium als Elektrolyt dient. Sehr viele Schwermetalle bilden mit Oyanalkalimetallen komplexe Verbindungen, in denen das Schwermetall ein Bestandteil des Anions ist Als Beispiele mögen nur Ferro- und Ferricyankalium , Silbercyankalium, GoldcyankaJium, die Pla- tindoppelcyanüre u. s. w. genannt werden. Durch die Beobachtung der ÜberMirungserscheinungen ist nachgewiesen worden, dass in allen diesen Verbindungen das Schwermetall bei der Elektrolyse nicht nach der Ka- thode, sondern nach der Anode wandert, also ein Bestandteil des Anions ist Ähnliches gilt von den komplexen Ammoniakverbindungen des Ko- balts, Platins, Kupfers, Silbers. Bei diesen wandert allerdings das Me- tall auch zur Kathode, weil es ein Bestandteil eines komplexen Kations ist; doch kann man seine komplexe Natur daran erkennen, dass es nicht die gewöhnlichen Reaktionen der betreflfenden Metallionen zeigt.

Ein ziemlich ausgiebiges Mittel zur Erkennung der Bildung kom- plexer Verbindungen liegt femer in der anomalen Löslichkeit schwer löslicher Salze in den betreffenden Reagentien. Wenn sich ChlorsUber in Ammoniak löst, so kann dies nur dadurch geschehen, dass in der entstandenen Lösung emes der Ionen des Chlorsilbers verschwindet Da dies Air das Chlor ausgeschlossen ist, muss es das Silber sein, und so führt auch die Gleichgewichtslehre zu dem Satze, dass in ammonia- kalischen Silberlösungen Silberionen nur in sehr geringer Menge vo^ banden sein können.

Durch solche Bildung komplexer Metallverbindungen wird die Kon- zentration der Metallionen in der Lösung immer nur in einem Sinne, in dem der Verminderung verschoben. Daher kann durch solche Stoffe ein Metall immer nur anodischer, nie kathodischer werden. Die Erfahrung hat den gleichen Schluss ergeben, bevor die Theorie ihn auf- geklärt hatte.

Eonzentrationsketten. 453

Diese Verschiebung ist häufig sehr gross; so hatte schon Jacobi (1845) beobachtet^ dass in einer Kette aus Silber in konzentrierter Cyan< kaliuinlösung und Zink in Zinksulfat die Pole sich umkehren gegen das gewöhnliche Verhältnis: Zink wird Kathode und Silber Anode. Schliesst man eine solche Kette^ so wird metaliisches Zink durch das sich lösende Silber ausgeschieden.

Aus dem Werte der Spannung ^ den eine solche Elektrode gegen eine aus dem gleichen Metall in der Lösung eines gewöhnlichen Salzes zeigt^ kann man die Konzentrationen der Ionen des Metalls in der kom- plexen Lösung berechnen; die Kechnung wird genau so gefähii:^ wie die der Löslichkeit eines schwer löslichen Salzes (S. 451). Man gelangt hierbei zu dem Ergebnis^ dass zwar die Konzentration der Metallionen ausserordentlich klein werden kann^ aber doch niemals gleich Null wird^ denn es entstehen zwar unter Umständen ziemlich grosse elektromoto- rische Kräfte, niemals aber unendlich grosse, wie es der Fall sein müsste^ wenn wirklich die Konzentration der Metallionen Null würde.

So ergiebt beispielsweise eine zehntelnormale Gyankaliumlösung, die 0,01 Mol Silber enthält, gegen eine gleich starke Silbemitratlösung eine Spannung von 1«14 Y, woraus sich die Konzentration der Silberionen zu 2 x 10—18 im Liter ergiebt Auf Grund der S. 81 mitgeteilten Darlegungen aus der Molekularhypothese ergiebt sich, dass die Zahl der Molekeln in einem Mol rund 10^ beträgt Daraus würde folgen, dass in einem Kubikzentimeter der genannten Lösung von Silber in Cyankalium nicht mehr als zwei Atome enthalten sind, und dass, wenn man diese Lösung in drei Teile teilt, in einem dieser Teile kein Silberion mehr enthalten sein könnte. Trotzdem zeigt aucli eine noch kleinere Menge der Lösung ihre endliche Spannung.

Man hat aus diesem Ergebnis Schlüsse gegen die Zulässigkeit der Theorie der Spannung in solchen Ketten gezogen, indessen mit Unrecht, denn die Erscheinungen in diesem Falle sind nicht verschieden von denen, in denen grössere Konzentrationen der Ionen vorkommen, und beide folgen denselben quantitativen Gesetzen. Vielmehr müsste man, wenn man den eben gemach- ten Schluss in Bezug auf die Zahl der Atome anerkennt, in dem experimen- tellen Ergebnis einen Beweis gegen die Zulässigkeit der Atom- und Mole- kularhypothese sehen. Doch ist es auch nicht nötig, diesen Schluss zu ziehen. Das Gleichgewicht zwischen den Ionen des Silbers und dem Komplex Ag(CN)j', nämlich Ag(CN)3'^Ag'+ 2 CN', welches zur Bildung von Silberionen aus dem Komplex fuhrt, ist nicht als ein ruhendes, sondern als ein bewegtes auf- zufassen ; das Konzentrationsverhältnis stellt nicht das Verhältnis der dauernd bestehenden Stoffe dar, sondern das Verhältnis, welches bei der unaufhör- lichen gegenseitigen ümwaudlung beider Formen im Durchschnitte besteht. Somit ist auch eine kleine Flüssigkeitsmenge nicht frei von Silberionen, son- dern die vorhandenen bestehen nur eine 10—16 mal*) kürzere Zeit, als die komp^xen Ionen.

*) Die benutzte Lösung enthielt insgesamt 0-01 Mol Silber im Liter.

454 IX. Elektrochemie.

Hält man diese Ergebnisse mit den auf 8. 451 mitgeteilten zu- sammen^ so wird man zu folgendem Schluss gefiihrt Die Bildung eines schwerlöslichen Salzes verschiebt die Spannung nach der anodisdien Sdte entsprechend seiner Löslichkeit. Ein solches Salz löst sieh aber unter Umständen in einem Reagens ^ in dem das Metallion in eine komplexe Verbindung übergeht. Damit letzteres möglich ist^ muss die Konzen- tration des Metallions einer solchen Lösung kleiner sein^ als in der ge- sättigten Lösung des schwerlöslidien Salzes. 'Dann muss aber auch die Spannung des Metalls in dem betreffenden Reagens anodischer sein, als in Gegenwart des schwerlöslichen Salzes, und so müssen die Spannungen mit den Löslichkeitsverhältnissen in einer ganz bestimmten Beziehung stehen.

Es lösen sich z. B. alle Silbersalze mit Ausnahme des Sulfids in Cyankaliumlösung; ihre Lösungen müssen somit alle mehr Silberionen enthalten, als die silberhaltige Cyankaliumlösung, und die entsprechenden Zusammenstellungen müssen weniger anodisch sein.

Femer lösen sich Chlor- und Bromsilber in Natrium thiosulfat, Jod- silber kaum mehr; Chlorsilber löst sich in Ammoniak, Brom- und Jod- silber kaum. Daher muss die Konzentration der Silberionen in der nachstehenden Reihenfolge von der kleinsten aufwärts zunehmen: Sulfid, Cyanid, Jodid, Thiosulfat, Bromid, Ammoniakverbindung, Chlorid. In gleicher Reihenfolge müssen die Spannungen gegen eine Sflberelektrode in Silbemitrat abnehmen, wie es auch die nachstehenden Messungen zeigen.

Silbemitrat (1/10) gegen Chlorsilber in Chlorkalium 0-51 V

in Ammoniak 0*54 ^

Bromsilber in Bromkalium 0-64 ^

in Natn'umthiosulfat 0*84 ^

Jodsilber in Jodkalium 0*91

in Cyankalium 1'31 7,

Natriumsulfid ^'^^ 77

Die Lösungen waren normal und enthielten etwas Silber.

Diese Messungen lassen gleichfalls erkennen, wie man den chemi- schen Vorgang der Bildung komplexer Ionen ^ur Erzeugung elektrischer Energie verwerten, und andererseits das chemische Potential dieser Re- aktion elektrometrisch messen kann. Nachdem in solchem Sinne beräts die Konzentrationsänderungen durch blosse Verdünnung und die Fällungen von schwerlöslichen Salzen behandelt worden waren, bleiben von den zwischen Ionen möglichen Reaktionen nur die Oxydations- und Reduktions- erscheinungen übrig, mit deren Einbeziehung die Aufgabe, jede beliebige lonenreaktion für die Erzeugung einer elektrischen Spannung zu ver- werten, vollständig gelöst wäre. Zu der Behandlung dieser Aufgabe gehen wir nun über.

Gasketten. Oxydations- und Reduktionsketten. 455

Neuntes Kapitel. Gasketten. Ozydations- und Beduktionsketten.

Auch die Ketten, die in diesem Kapitel behandelt werden sollen, fallen unter den Begriff der Konzentrationsketten. Doch kommen bei ihnen einige Eigentümlichkeiten vor, die eine gesonderte Behandlung rechtfertigen.

An früherer Stelle ist gezeigt worden, dass man den Begriff der Oxydation und Reduktion erweitem muss, indem Vorgänge vorkommen, die man traditionell unter diese Bezeichnung bringt, ohne dass doch Sauerstoff oder Wasserstoff unmittelbar mit ihnen zu thun haben. Es ergab sich, dass die Vermehrung positiver oder Verminderung negativer Ladungen als wesentliches Kennzeichen eines Stoffes, der sich oxydiert, und Vermehrung negativer oder Verminderung positiver Ladungen als Kennzeichen eines, der sich reduziert, angenommen werden muss. Da eine solche Ladungsänderung wegen der Unmöglichkeit des Auftretens freier Elektrizität im Inneren einer Flüssigkeit mit einer entgegengesetzten Änderung an einem anderen Stoffe verbunden sein muss, so kann es keine Oxydation ohne gleichzeitige Reduktion geben und umgekehrt. Femer wird ein derartiger Vorgang immer in entgegengesetztem Sinne denkbar sein. Ein Stoff, der als Reduktionsmittel gedient hat, indem er sich unter Au&ahme positiver Ladungen oxydiert hat, kann nun als Oxydationsmittel dienen, indem er seine positiven Ladungen an einen anderen Stoff abgiebt. Es wird daher im allgemeinen zwischen den Stoffen, die ihre Ladungen wechseln, und dabei eventuell auch andere chemische Veränderungen erleiden, schliesslich immer ein Gleichgewichts- zustand sich herstellen, nachdem die ursprünglich vorhandenen Stoffe ihre Konzentration soweit vermindert, und die entstandenen die ihre soweit vermehrt haben, dass die entgegengesetzten Reaktionen sich aufheben.

Damit ein derartiger Vorgang elektromotorisch wirksam gemacht wird, müssen die reagierenden Stoffe voneinander getrennt sein, und es muss die Möglichkeit vorliegen, dass sich die elektrischen Ladungen, welche den Zustand bestimmen, ausgleichen können. Bei den bisher be- sprochenen Ketten mit Elektroden, deren Metalle chemisch an dem Vor- gange beteiligt waren, wnirden die beiden Funktionen von diesen Me- tallen erfüllt. Das Zink der Danielischen Kette dient nicht nur zur Umwandlung in Zinkionen, also chemisch, sondern auch zur Zuleitung der erforderlichen positiven Ladungen, also physikalisch. Erfolgen die chemischen Vorgänge, die Ladung oder Umladung der Ionen an Stoffen, die nur in der Lösung vorhanden sind, so muss eine besondere Elektrode zugeschaltet werden, deren Funktion allein in der Leitung der Elektrizi- tät besteht. Als solche dient ein Metall, das selbst womöglich keine (d. h. unmerklich geringe) chemische Rieaktionen mit dem Elektrolyt zeigt Man nimmt dazu meist Platin, doch können je nach der Natur

456 I^* Elektrochemie.

der Reaktion^ die an der Elektrode stattfindet oder möglich ist, aneh andere Metalle, oder sonstige Leiter erster Klasse dienen.

Einen sehr einfachen Fall haben wir in einer derartigen Kette, welche aus irgend einer Säure als Elektrolyt, und zwei mit Wasser- stoff beladenen Platinplatten besteht. Sind beide Platten gleich stark mit Wasserstoff beladen, so ist die Anordnung symmetrisch, und die Kette zeigt keine Spannung: wird jedoch der Druck des Wasserstoffs an ba- den Seiten verschieden genommen, so entsteht eine Spannung. Der Sinn derselben ergiebt sich daraus, dass der Strom die vorhandenen Unterschiede ausgleichen muss: er muss also an der SteUe stärkeren Druckes das Gas zum Verschwinden bringen und an der Stelle sdiwädieren Druckes entstehen lassen. Es muss mit anderen Worten der stärker gedrückte Wasserstoff Anode sein.

Man kann eine solche Kette auch als eine Konzentrationskette auf- fassen, welche Elektroden aus metallischem Wasserstoff hat. Dann wird der Lösungsdruck dieses Wasserstoffs in gleichem Verhältnis zu- und ab- nehmen, wie der Gasdruck, während der osmotische Gegendruck der in dem Elektrolyt enthaltenen Wasserstoffionen beiderseits der gleiche ist An der Elektrode, die den konzentrierteren Wasserstoff enthält, muss also die Tendenz dieses Stoffes, in Ionen tiberzugehen, die grossere sein, d.h. der stärker gedrückte Wasserstoff ist anodisch dem sdiwächer gedrückten gegenüber.

Diese Kette ist umgekehrt angeordnet, wie die früher (S. 443) be- sprochenen Konzentrationsketten. Bei jenen war der Lösungsdrack des ElektrodenmetaUs immer konstant, und der osmotische Gegendmck ver- schieden. Hier ist umgekehrt der letztere konstant, und der Lösungs- druck verschieden. Doch kann man auch gewöhnliche Ketten mit dar gleichen Eigenschaft herstellen, wenn man an Stelle der reinen Metalle Amalgame verschiedenen Gehaltes verwendet. Schaltet man zwei derartige Elektroden gegeneinander in demselben Elektrolyt, so zeigen sie ^eich- falls eine Spannung in solchem Sinne, dass das reichere Amalgam Metall verliert^ das ärmere welches aufiiimmt. Ersteres ist also Anode, letzteres Kathode, ganz wie in der Wasserstoffkette.

Der Betrag der Spannung solcher Ketten lässt sich berechnen, wenn man die Arbeiten in Betracht zieht, und zwar kann man die Rechnung ebensogut auf den gasförmigen, wie den gelösten Wasserstoff beziehen, indem man die Voraussetzung macht, dass sich an den Elektroden beiderseits ein Vorrat von Gas unter dem entsprechenden Drucke be- findet

Lassen wir einerseits ein Mol Wasserstoff unter dem Drucke q^ verschwinden, so entsteht die gleiche Menge an der anderen Seite unter dem kleineren Drucke q^, und die Arbeit, welche durch die Überfuhrung isotherm geleistet werden kann, ist durch RTln(qi/q2) gegeben. Die zugehörige Elektrizitätsmenge ist, da der gasförmige Wasserstoff die

Gasketten. Oxydations- und Reduktionsketten. 457

Fonnel H^ hat (d. h. da die Ai-beit RT sich auf 2-02 g Wasserstoff

bezieht), gleich 2 F, und die Spannung daher jt = In -—

2F Qji

Wollen wir die osmotische Theorie auf diese Erscheinungen an- wenden, so müssen wir einen Punkt in Betracht ziehen, der bisher nicht erörtert zu werden brauchte. Wenn eine metallische Elektrode in Ionen übergeht, so ist die osmotische Arbeit, welche dabei geleistet wird, ganz auf Rechnung der Ionen zu setzen, da die Yolumänderung des Metalls nur einen verschwindenden Beitrag dazu liefert. Dies wird anders, wenn die Umwandlung Stoffe betrifft, welche in dem Elektrolyt gelöst sind. Wenn diese in Ionen übergehen, so ist die osmotische Arbeit bei ihrem Ver- schwinden in derselben Weise zu berücksichtigen, wie die bei dem Ent- stehen der Ionen. Beide sind im allgemeinen nicht gleich, da sich die Zahl der Mole bei dem Übergange ändert So giebt ein Mol Wasser- stoff H^ zwei Mole Wasserstoff ionen; ein Mol Sauerstoff giebt in Ver- bindung mit Wasser gar vier Mole Hydroxyl: 0*-|-2H*0 = 40H'.

Formuliert man daher den Vorgang in einer solchen Kette, so werden an der Anode m^ Mole des neutralen Stoffes verschwinden und % Mole Ionen entstehen; an der Kathode werden m, Mole verschwin- den und Ug Mole Ionen entstehen. Dabei wird die Elektrizitätsmenge sF durch die Kette gegangen sein, wo s sich aus dem Produkt der Zahlen n mit der Wertigkeit der betreffenden Ionen ergiebt. Alsdann wird die Gleichung für die Spannung einer solchen Kette gegeben durch den Ausdruck

RT jr = 0 -| (mjln Pj % In p^ m^ In P, + n, In pj)

^ . RT/, Pi°»i , P "»\ oder jr = 0 + ---{ hi ^^ bi— ^— ,

wo Pj und P, die osmotischen Drucke der neutralen Stoffe, P| und P| die der Kationen^) and; G ist eine Konstante, die von der chemischen Natur der beteiligten Stoffe und von der Temperatur abhängt, von den osmotisdien Drucken aber unabhängig ist

Der Beweis für diese Formel beruht auf denselben Grundlagen, wie sie S. 447 für die ein£Eu;here Formel dargelegt sind, gestaltet sich aber etwas umständlich, so dass von seiner Durehführung hier abgesehen werden soll. Für die Ermittelung der Konstanten C wird sich alsbald ein einfacher Gesichts- punkt ergeben.

Wenden wir die Fonnel auf den voriiegenden Fall an, so sind die osmotisdien Drucke der Wasserstoffionen badersdis ^eidb, also P| =Ps. Femer sind die osmotischen Drucke des gelösten neutralen WasserBtoffii gemäss dem Hoirysclien Gesetze proportional dem Dmeke des gasförmigen;

^) Ist pi oder p, auf Anionen za beziehen, so muss wegen des ninge- kehrten Sinnes der Spannung das ± Zeidien umgekehrt werden.

458

IX. Elektrochemie.

das Verhältnis Pj /P, der ersteren ist gldch dem Verhältnisse der letzteren Qi 1^ ^^^ 31^^ kann für das andere gesetzt werden. Die Konstante C ergiebt sich, wenn man die Drucke des WasserstoflPes beiderseits gleich setzt; dann wird die Kette symmetrisdi und die Spannung Null. Da gleidi* zeitig der Ausdruck unter dem Logarithmus gleich £inS; der Logarithmiu also Null wird, so ergiebt sich auch 0 = 0, und da 0 nicht von den Konzentrationen abhängt, so gilt dieser Wert auch für die Ketten mit verschiedenem Druck. Schliesslich ist s = 2, m^ ^m, = 1, n^ = n, =2,

und substituiert man dies alles in die Gleichung, so folgt jc=——\n-j

die frühere Gleichung.

Man kommt somit auf einem etwas weiteren Wege zu demselben Ergebnis, das sich oben fast ohne Rechnung auf Grund unmittelbarer

Überlegungen hinschreiben liess. Die vollständigere For- mel ist indessen keineswegs überflüssig, und wir werden /f^ bald zu IMen kommen, wo ' ^ die unmittelbaren Überlegun- gen nicht ausreidien, nnd die allgemeine Formel benutzt wer- den muss.

Experimentell liegt noch keine Prüfung der eben ent- wickelten Beziehungen in die- ser einfachen Gestalt vor. DoA hat bereits Grove, der Ent- decker der Gasketten (1839), ge- funden, dass eine Kette, die einerseits Stickstoff, anderer- seits Wasserstoff enthält, eine Spannung und einen Strom in solchem Sinne beobachten lässt, dass der Wasserstoff Anode ist. Da der Stick- stoff sich nachweislich nicht an der Strombildung beteiligt, liegt hier nichts als eine Wasserstoffkette mit verschiedenem Drucke vor, indem der Teildrack des Wasserstoffs auf der Stickstoffseite sehr klein war.

Die Anordnung solcher Ketten ist in Fig. 55 gezeigt. Die Platin- elektroden sind am besten mit Platinschwarz überzogen; sie nehmen dann viel mehr Gas auf, und die Ketten werden konstanter. Der wirksame Teil ist das auf der Elektrode befindliche Gas.

Man erhält eine Konzentrationskette gewöhnlicher Art, wenn man Wasserstoff von gleichem Druck mit zwei Elektrolyten zusammenbringt in denen der osmotische Druck der Wasserstoffionen verschieden ist Dann muss die Elektrode um so anodischer werden, je verdünnter die Lösung in Bezug auf Wasserstoffionen ist, und ihre Spannung muss die-

Fig. 55.

Gasketten. Oxydations- und Reduktionsketten. 459

selbe sein, wenn die Konzentration der Wafiserstoffionen gleich ist, un- abhängig von dem vorhandenen Anion. Alle diese Schlüsse smd von der ErMrung bestätigt worden (Smale 1894).

Ganz ähnliche Betrachtungen lassen sich in Bezug auf eine Sauer- Btoffelektrode anstellen. Man sieht eme mit Sauerstoffgas gesättigte Platin- elektrode am einfachsten als eine an, welche Hydroxylionen zu bilden vermag. Hydroxylhaltige Lösungen, d. h. alkalische Flüssigkeiten sind die entsprechenden Elektrolyte. Die vorhandenen Möglichkeiten brauchen nicht wieder aufgezählt zu werden, da sie vollkommen denen an Wasser- stoffelektroden entsprechen. Ein Unterschied ist nur insofern vorhanden, als ein Mol Sauerstoff 0^ vier Mole Hydroxyl unter Aufiiahme von Wasser und vier negativen Einheiten giebt, so dass der Faktor n in der Oleichnng gleich 4 und femer das Zeichen der Spannung umgekehrt wird.

Nun giebt es aber eine besondere Kette, mit der sich schon Becqnerel vor langer Zeit (1823) beschäftigt hat. Man erhält sie, wenn man zwei Wasserstoff- oder Sauerstoffelektroden gleichen Drucks herstellt, von denen die eine in Säure, die andere in Alkali steht Verbindet man den Elektrolyt durch eine indifferente Flüssigkeit, z. B. das entsprechende Nentralsalz, so ergiebt sich eine bedeutende Spannung, die bei normalen Lösungen auf 0-76 V steigt Und zwar erhält man die gleiche Spannung, ob man zwei Wasserstoff- oder zwei Sauerstoffelektroden anwendet; die Aikalielektrode ist immer die Anode.

Betrachten wir zunächst die Wasserstoffkette, so wird die Entstehung einer Spannung an der Säureelektrode keine Schwierigkeit machen, da sie durch das Vorangegangene vollkommen erklärt ist. Wasserstoff in Alkali sollte aber auf den ersten Blick eine unendlich grosse Spannung geben, denn da dort Hydroxylionen in grossem Überschusse sind, so sollte man glauben, dass keine Wasserstoffionen anwesend sein könnten, indem sie sich mit den Hydroxylionen zu Wasser verbinden müssten. Überlegt man aber, dass in der Lösung durch die Vermehrung der Hydroxylionen nur eine Verminderung der Wasserstoffionen, nicht aber ein vollständiges Verschwinden bewirkt werden kann, so wird das Ergebnis verständlich. In der That sind beide Konzentrationen durch die Gleichung ho == kc miteinander verbunden, wo h und 0 die Kon- zentrationen von Wasserstoff und Hydroxyl, c die des Wassers darsteUen. Die letztere ist konstant; folglich muss auch das Produkt ho in allen wässerigen Lösungen konstant sein').

Wir haben es also auch hier mit einer Konzentrationskette zu thun.

\

') Streng genommen ist c nicht in allen Lösungen das Gleiche, sondern nimmt in dem Masse ab, als man fremde Stoffe in Wasser auflöst. Denn das Mass für die wirksame Menge des Wassers ist sein Dampfdruck (S. 319); dieser aber wird durch die Auflösung anderer Stoffe vermindert. Indessen be- trägt selbst für normale Lösungen eines Elektrolyts die Verminderung nur einige Prozent, und kann daher hier ausser Betracht bleiben.

460 IX. Elektrochemie.

in welcher auf der Alkaliseite die Konzentration der Waaserstofl^onoi durch die Gegenwart des Hydroxyls einen selir kleinen Wert behaupte!^ und wo deshalb die entsprechende Spannung einen ziemlich bedeatendea

Wert annimmt.

Offenbar ist diese Spannung von der DissociationBkonstante des Wassers be- dingt, und man kann umgekehrt diese aus jener berechnen. Die Rechnung

wird wieder genau wie S. 451 geführt, denn die Formel tt*- = 1 n ^ *^ er-

nt FaPi

giebt, da P^ = Pj, und für die Wasserstoff ionen , deren Konzentration aUein

in Betracht kommt, n««l ist, 7r= -rrln =? 0«05771og— . Beachtet man

noch, dass für die Berührung der Säure und Basis eine Spannung von 0*065 V zuzufügen ist (Nemst 1894), so folgt für die Konzentration der Wasser- stoffionen in der normalen Alkalilösung 0-6 x 10 i^ . Bas Produkt ho be- trägt somit ebensoviel und nennt man a die Konzentration der Wasserstoff- und Hydroxylionen in reinem Wasser, die beide gleich sind, so ist a*«=ho~ 0-6x10-1^ und a«0.8xl0-7 d. h. es ist in 100000001 Wasser mnd ein Mol Wasserstoff- und Hydroxylionen vorhanden. Auf diese Weise wurde die Dissociation des Wassers zuerst ermittelt (Ostwald 1893), und das Er- gebnis stimmt sehr gut überein mit den Werten, die hernach auf andere Weise {z, B. durch Leitfähigkeit, S. 402) gefunden wurden.

Ftlr die entsprechende Kette mit Sauerstoffelektroden gelten gani dieselben Überlegungen. Da beiderseits Sauerstoff von gleichem Drucke angewendet wird, hebt sich dessen Lösungsdmck als gleich heraus, und es hat insbesondere der Umstand keinen Einfluss, dass ein Mol Sauer- stoff vier Mole Hydroxyl liefert

Verfolgt man den Vorgang in dieser Kette genauer, so erkennt man, dass er die elektromotorische Anwendung des Neutralisationsvor- ganges ist. Wir betrachten der Einfachheit halber wieder die Wasserstoffkette, und denken die Elektrizitätsmenge 2F durchgesendet. Dann wird an der Anode ein Mol Wasserstoff verschwunden sein, und an der Katiiode hat sich ebensoviel entwickelt; ein Verbrauch des Gases hat also nicht stattgefunden. Gleichzeitig hat sich aber an der Anode ein Mol Wasser gebildet, da die entstandenen Wasserstoffionen sich alsbald mit den vor- handenen Hydroxylionen vereinigt haben. An der Kathode ist die gleidie Menge Wasserstoff'ionen verschwunden, um in Gas überzugehen; da» Kation auf der Basisseite und das Anion auf der Säureseite sind dabd gegeneinander gewandert, und haben das Gemisch gebildet, weldies wir das Neutralsalz der beiden Bestandteile nennen. Folglich hat der Ge- halt an Basis und Säure beiderseits um zwei Äquivalente abgenommen, und es hat sich dafQr ebensoviel NeutralsaJz gebildet, während das Gas nur eine vermittehide Rolle gespielt und keine Arbeit geleistet oder auf- genommen hat. Es ist dies also in der That die Neutralisations- oder Salzbildungskette.

Die früheren Messungen der Säurealkalikette sind meist angestellt worden, ohne dass man der Notwendigkeit der Gase für die Erhaltung des Zustandes

Gasketten. Oxydations- und Reduktionsketten. 461

gewahr geworden wäre. Beim Arbeiten mit Platinelektroden in der Luft ist indessen freier Sauerstoff in genügender Menge vorhanden, um wenigstens für die ersten Augenblicke die richtigen Bedingungen herzustellen.

Am längsten bekannt von allen Gasketten ist die Sauerstoff- Wasserstoffkette, die aus diesen beiden Gasen besteht, welche in irgend einen Elektrolyten tauchen. Sie giebt eine konstante Spannung von 108 V bei 17® und Atmosphärendruck, ganz unabhängig von der Natur und Konzentration des (verdünnten) Elektrolyts. Die einzeben Span- nungen an den Elektroden erweisen sich dabei ziemlich verschieden, während doch die Summe dieselbe bleibt.

SchMesst man die Kette, so verschwinden die beiden Gase, und es treten an den Elektroden Wasserstoff- bezw. Hydroxyüonen auf. Ist als Elektrolyt eine Säure verwendet worden, so nimmt ihr Gehalt an der Anode zu, an der Kathode ab; eine basische Flüssigkeit verhält sich um- gekehrt. War der Elektrolyt anfänglich neutral, so wird er nach dem Stromdurchgange an der Anode sauer, an der Kathode basisch.

Diese Thatsachen zeigen, dass wir es hier mit dem einfachsten

Typus der Oxydations- und Reduktionskette zu thun haben (S. 455);

da das Reduktionsmittel, der Wasserstoff, vollkommen in Wasserstotfionen

übergeht und das Oxydationsmittel vollständig in Hydroxyüonen.

Das genauere Verhalten der Kette ergiebt sich, wenn man die allgemeine

RT ( P ™i

Gleichung von S. 457 auf diesen Fall anwendet. In 7t =* C H =r \ In

® ' sF V pjiii

In ^ j sind folgende Substitutionen zu machen: s = 4, mi=2, ni = 4,

m, = l, nj«=-4; P^ und Pj sind für gegebene Werte von Druck und Tem- peratur konstant; das Zeichen des zweiten Gliedes der Gleichung ist -f zu nehmen, da der Sauerstoff Anionen bildet. Zwischen den Drucken der beiden Ionen besteht durch die Dissociationsgleichung des Wassers die Beziehung P]P2 = const. Führt man dies ein, so ergiebt sich der ganze Ausdruck in der Klammer konstant, und somit ist es auch die Spannung der Kette, so lange man verdünnte wässerige Lösungen als Elektrolyte anwendet.

Ändert man den Druck über den beiden Gasen, so ändert sich auch die Spannung, und zwar vermehrt sie sich sowohl durch Druckzunahme beim Sauerstoff wie beim Wasserstoff. Der Einfluss ist indessen in beiden Fällen verschieden, und zwar beim Wasserstoff doppelt so gross wie beim Sauerstoff. Alle diese aus der Formel sich ergebenden Schlüsse stimmen mit der Er- fahrung überein (Smale 1894).

Diese Betrachtungen ergeben auch die allgemeine Theorie der Oxydations- und Reduktionsketten, die aus einem Oxydations- und emem Reduktionsmittel nebst zwei unangreifbaren Elektroden gebildet sind. Denn da sich die Reduktionsmittel allgemein als Stoffe auffassen lassen, welche Waaserstoffionen zu bilden bestrebt sind, und Oxydationsmittel als Stoffe mit der Tendenz zur Bildung von Hydroxyüonen, und anderer- seits diese Tendenzen bei den beiden Gasen mit dem Drucke zu- und

462 IX. Elektrochemie.

abnehmen, so kann man jedes Oxydationsmittel durch Sauerstoff ersetzt denken, dem man den erforderlichen Druck gegeben hat. Das gleidie gilt für Reduktionsmittel gegenüber dem Wasserstoff. Allerdings gehen diese Drucke bald in das Gebiet des technisdi Unmöglichen hinaus, da die elektrische Spannung nur mit dem Logarithmus des Druckes wädist, dieser also in geometrischer Reihe zunehmen muss, wenn die Spannung in arithmetischer zunehmen soll. Theoretisch sieht man aber, dass man in der That die oben gegebene Gleichung auf alle Ketten anwenden kann, deren Elektroden von Reduktions- und Oxydationsmitteln irgend weldier Art gebildet wird.

Die Gleichung lehrt femer, dass die elektromotorische Wirkung dieser Stoffe bestimmt wird durch den osmotischen Gegendruck, d. h. die Konzentration der Ionen, die durch die Wirkung entstanden sind. Es wird also z. B. die Spannung eines Ferrosalzes als Reduktionsmittel auch bestimmt sein durch die Konzentration der in der Losung anwesenden F^rriionen; deren Zimahme bewirkt ein Sinken der anodischen Span- nung und damit eine Schwächung der Kette. Deshalb wird jedes Mittel, welches die Konzentration der Ferriionen herabsetzt, die Spannung stei- gern. Ein solches Mittel liegt in den Fluorverbindungen vor. Die Fluoride der dreiwertigen MetaUe sind sehr wenig dissociiert; setzt man daher Fluorkalium zu einer Eisenlösung, so verschwindet der grösste Teil der Ferriionen und die anodische Spannung einer entsprechenden Elek- trode muss steigen. In der That lässt sich eine solche Wirkung auf das deutlichste erkennen; massige Zusätze dieses anscheinend ganz elektrisch indifferenten Stoffes steigern die Spannung einer solchen Elektrode bis um 0-7 V nach der anodischen Seite. (Peters 1898.)

Die Verallgemeinerung dieser Überlegungen liegt auf der Hand. Insbesondere wird jedes Reduktionsmittel in einer alkalischen Lösung, in der die Konzentration der entgegenwirkenden WasserstoflSonen be- sonders klein ist, eine viel stärkere reduzierende Wirkung zeigen, als in saurer Lösung. Umgekehrt befördert die saure Reaktion die Oxydations- wirkung eines Oxydationsmittels. Wäre der chemische Vorgang in beiden Fällen, bei saurer und bei alkalischer Reaktion für einen gegebenen Stoff ganz derselbe, so könnte man sogar den Unterschied vorausbestim- men: er müsste m X 0-76 sein (S. 457), wo m durch die aus der Reaktions- gleichung folgende Konzentrationsänderung der H-Ionen für ein F bestimmt wird (Luther 1899). Die wu*klich beobachteten Unterschiede sind kleiner, und man überzeugt sich, dass die Umwandlung von Wasserstoff und von Sauerstoff in die entsprechenden Ionen die einzigen Reaktionen zu sein scheinen, bei denen durch den Übergang von saurer zu alkalischer Reaktion keine wesentliche Änderung des chemischen Vorganges be- wirkt wird.

Den Ketten dieser Art kommt ein ^besonderes Interesse durch den Um- stand zu, dass sie eine bedeutend bessere Ausnutzung der chemischen £nei]gie für technische Zwecke versprechen, als sie durch die Dampfmaschine bisher

Einzelspannungen und Spannungsreihen. 463

erzielt worden ist. Die Verbrennungswärme des Knallgases beträgt 286 J; durch 2 F dividiert würde sie in der Gaskette eine Spannung von 148 V er- geben, wenn die chemische Energie sich vollständig in elektrische verwandeln Hesse. Die wirkliche Spannung beträgt 1-07 V; die Verbrennungswärme ist also zu 0*72 ausgenutzt, während die Dampfmaschine selten mehr als 0*12, also nur Va davon, giebt. Ähnlich würden die Verhältnisse liegen, wenn man statt des Wasserstoffs andere Brennmaterialien, wie Kohle oder das aus ihr leicht herzustellende Generatorgas verwenden könnte. Die technische Aus- führung dieses Gedankens ist bisher an dem Umstände gescheitert, dass die chemischen Vorgänge in solchen Ketten bei gewöhnlicher Temperatur zu langsam erfolgen, so dass man ungeheuer grösser Apparate zur Gewinnung massiger Energiemengen bedürfen würde. Um diesem Übelstande abzu- helfen, giebt es zwei Wege. Es wäre einerseits denkbar, dass man geeig- nete katalytische Beschleuniger ausfindig machen könnte, durch welche der Vorgang bei gewöhnlicher Temperatur die nötige Geschwindigkeit erhält. Andererseits könnte man die durch Temperaturerhöhung allgemein zu be- wirkende Beschleunigung benutzen und hätte also die Kette so einzurichten, dass sie bei höherer Temperatur arbeitet. Ist diese einmal erreicht, so würde sie sich durch die Joulesche Strom wärme in der Kette erhalten, und zwar um so leichter, je grösser die Anlage ist.

Die bisherigen Versuche, die Aufgabe zu lösen, sind nach beiden Rich- tungen gegangen, wenn auch nicht immer bewusst. Die zur Zeit erreichten Erfolge lassen noch nicht vermuten, dass eine entwickelungsfähige Form be- reits gefunden sei.

Zehntes Kapitel. Einzelspanntmgen und Spannungsreihen.

Bereits Voita hatte sich die Aufgabe gestellt ^ die in seiner Kette an den Enden aufh^tenden Spannungen in ihre Einzelwerte zu zerlegen^ und war durch Versuche^ die wir jetzt als fehlerha.ft bezeichnen müssen, zu folgender Anschauung gekommen. In der Kette Kupfer, Zink, feuchter Leiter, Kupfer, welche zwischen den beiden Endplatten eine Spannung derart zeigt, dass das erste Kupfer negativ, das letzte positiv ist, liegt der Hauptbetrag der Spannung zwischen den beiden Metallen, indem Kupfer in Berührung mit Zink negativ, das letztere Metall also positiv wird*). Zwisdien den Metallen und dem feuchten Leiter finden zwar Spannungen statt, sie sind aber gering und insbesondere bei der An- wendimg von Wasser oder neutralen Salzlösungen gleich Null zu setzen.

Dass man, wenn man die beiden Metalle einfach in Berührung l)i'ingt, am Elektrometer keinen Ausschlag erhält, föhrte Volta auf ein

^) Daher rührt die Bezeichnung des Kupfers als des negativen und des Zinks als des positiven Metalls.

464 I^- Elektrochemie.

eigentümliches Gesetz zniilck, das er das Gesetz der Spanniingsreibe nannte. Es lautet dahin, dass die Spannung zwischen zwei Metallen die gleiche bleibt, wenn man noch beliebige Metalle dazwischen schaltet Es ist mit anderen Worten die Summe der Spannungen an den Be- rührungsstellen einer Reihe beliebiger Metalle immer gldch der Spannung, die sich zwischen den Endmetallen der Reihe bei unmittelbarer BerOhnuig herausstellt. Da die ausschlaggebenden Teile eines Elektrometers am metallischen Teilen gleichen Materials bestehen, so muss, wenn man nur MetaUe in beliebiger Anordnung mit ihm in Verbindung bringt, die Spannung zwischen diesen Teilen (z. B. zwischen den beiden Goldblätt- chen) nach dem Gesetz gleich Null sein und das Elektrometer kaim keinen Ausschlag geben.

Schaltet man dagegen einen feuchten Leiter zwischen zwei rer- schiedene Metalle, so bestehen an den beiden Berührungspunkten keine Spannungsunterachiede, und das Elektrometer muss den Spannungsunter- schied der Metalle erkennen lassen.

Die Kette bestehe z. B. aus Gold und Zink und sei durch Goid- drähte mit den Goldblättchen des Elektrometers verbunden. Dann best^ nach Volta ein Spannungsunterschied an der Berührungsstelle zwischen Gold und Zink; da aber eme zweite Berührung im entgegengesetztoi Sinne vorhanden ist, so heben sich beide Wirkungen auf. Das gleiche ist der Fall, wenn man irgend ein anderes Metall einschaltet.

Wird dagegen zwischen Gold und Zink an einer der beiden Be- rührungsstellen ein feuchter Leiter gelegt, so wird dort eine Leitung hergestellt, ohne dass eine neue Spannung in den Kreis gebracht wiri Das Elektrometer zeigt an der Seite, wo das Goldblättchen mit dem Zink in metallischer Verbindung steht, einen positiven Ausschlag.

Während diese Anschauung von dem Zustandekommen der Span- nung eine formal befriedigende Rechenschaft giebt, kann sie die ein halbes Jahrhundert später aufgetretene Frage nach der Quelle der elek- trischen Energie nicht beantworten. Ais solche liess sich unzweifelhaft der chemische Vorgang nachweisen; dieser konnte zwar zwischen Metall und feuchtem Leiter, nicht aber zwischen beiden Metallen stattfinden.

In dunkler Weise hatten schon die Zeitgenossen Voltas diesen Widerspruch empfunden, und die Entdeckung W. Ritters (1798), da« die SpannungsreÜie der Metalle im Voltaschen Sinne mit ihrer Reihen- folge der Oxydierbarkeit oder der chemischen Verwandtschaft zum Sauer- stoff übereinstimmt, gab der ^chemischen Tlieorie^ der Kette auch eine bestimmte Grundlage.

In der That erhält man ganz dieselben Ergebnisse, wie nach der Voltaschen Theorie, wenn man die umgekehrte Annahme macht, daaij die Metalle aufeinander nicht elektromotorisch wirken, sondern nur anf feuchte Leiter. Eine beliebige Reihenfolge von Metallen giebt jdann überhaupt keine Spannung, und darum bleibt das Elektrometer in Rnbe, wenn man es in einen rein metallischen Kreis bringt Schaltet man da- 1

Einzelspannungen und Spannnngsreihen. 465

gegen einen fenditen Leiter dazwischen, 8o entstehen an den beiden Be- iUhrungsstellen desselben mit den beiden Metallen zwei Spannungen, deren Unterschied auf das Elektrometer wirkt. Gemäss dieser Ansicht wird das Zink negativ, gegen den feuchten Leiter, das Kupfer positiv. Für die entstehende Spannung kommen nur die Metalle in Betracht, die an den feuchten Leiter grenzen, da nur hier Spannungen entstehen; die sonst im Kreise befindlichen Metalle smd ohne Einfluss.

Mit beiden Theorieen kann man genau denselben Kreis von That- sachen erklären (insbesondere wenn man die Luft als einen feuchten Leiter, wenn auch von sehr geringer Leitfähigkeit betrachtet). Der Um- stand, dass jede einzelne Thatsache ebenso in dem einen, wie im anderen Sinne gedeutet werden konnte, war die Ursache des langen Streites zwischen der Kontakt- und der chemischen Theorie der Voltaschen Kette.

Gegenwärtig kennen wir die engen Beziehungen zwischen der che- mischen und der elektrischen Energie in der Kette, und sind vollkommen darüber im Klaren, dass die in der Spannung zum Ausdrucke kommende elektrische Energie nur von den chemischen Vorgängen herrührt Es spricht also die grösste Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch die Span- nungen an den Berührungsstellen der Metalle und der Elektrolyte sitzen. Doch ist es immerhin möglich, durch künstliche Annahmen ad hoc die Kontakttheorie formell zu retten, so dass ein unabhängiger Nachweis der Spannungen von grosser Bedeutung wäre.

Die Ursache dieser Ungewissheit hegt darin, dass auch die einfachste Kette mindestens drei verschiedene Berührungsstellen hat, also an drei Orten Spannungsunterschiede aufweisen kann. Nun kann man allerdings aus denselben Stoffen andere Ketten zusammenstellen, versucht man aber, durch Messungen an allen möglichen Zusammenstellungen zwischen einer begrenzten Zahl von Stoffen so viele Gleichungen zu gewinnen, dass man jede Spannung einzehi berechnen kann, so erweist es sich, dass man immer eine Gldchung zu wenig hat, und dass deshalb irgend eine Spannung beliebig angenommen werden darf, ohne dass man mit der Erfahrung in Widerspruch gerät. Der Streit zwischen den beiden Theorieen hat deshalb so lange gewährt, weil jede von ihnen eine An- nahme frei hatte, und es daher unmöglich war, die Unrichtigkeit dieser Annahme formeU nachzuweisen.

Die Aufgabe besteht somit darin, auf irgend eine unabhängige Weise ein Datum über eine der" vorkommenden Berührungsspannungen zu gewinnen. Es giebt gegenwärtig ein einziges unabhängiges Verfahren dazu, welches die Frage im Sinne der chemischen Theorie entscheidet. Es wäre sehr erwünscht, ein zweites solches Verfahren zu kennen, um damit mögliche Irrtümer in der BeurteUung der Ergebnisse der ersten auszuschliessen, doch ist es bisher nicht gelungen, ein solches zu finden.

Das Verfahren beruht auf folgender Thatsache. Ein Quecksilber- tropfen unter einem Elektrolyt zeigt eme bestimmte Oberflächenspannung, welche sich verändert, wenn man die elektrische Spannung zwischen der

Ostwald, Grundriss. 8. Aufl. 30

1

466 I^* Elektrochemie.

Flüssigkeit und dem Quecksilber ändert. Und zwar nimmt die Oto- flächenspannung des Quecksilbers unter Schwefelsäure bei anodiseher Polarisation ab; man kann aber nicht sehr weit gehen, weil bald Elek- trolyse eintritt, und das Quecksilber sich mit Merkurosul£ät bekleidet Erzeugt man dagegen eine kathodische Spannung auf dem QuecksUb», so nimmt bei ihrer aUmählichen Steigerung die Oberflächenspannnng eist zu, erreicht bei etwa 0*9 V ein Maximum, und nimmt dann wieder ab. Erst nachdem die Abnahme ziemlich bedeutend geworden ist, beginnen die ersten Wasserstoff blasen infolge der Zersetzung der Schwefelsaure auf- zutreten.

Die Aufgabe, die Spannung an der Grenze zwischen Quecksilber und Schwefelsäure in messbarer Weise zu ändern, löst man, indem man mit der Schwefelsäure eine sehr grosse und eine sehr kleine Quecksilberfläche in Be> rührung setzt. Bringt man dann zwischen beide Quecksilbermassen eine be- stimmte elektrische Spannung, so verteilt diese sich im umgekehrten Verhält- nis der Oberflächen, und die Änderung betrifft daher praktisch nur die kleine Fläche.

Da also im allgemeinen die Quecksilber-Schwefelsäurefläche der Sts eines elektrischen Spannungsunterschiedes ist, so besteht dort eine An- sammlung elektrischer Energie, wie an den beiden Belegungen aner Kleistschen Flasche, zwischen denen man einen Spannungsuntersefaied hergestellt hat* Diese Energie wirkt in der Art einer Oberflächenenergie^ indem sie die Oberfläche zu ändern sucht, und zwar lehrt die Elektro- statik, dass sie die Fläche zu vergrössem strebt, da hiermit eine Ab- nahme der Spannung verbunden ist. Dadurch wirkt die elektrische Ladung der Oberflächenspannung entgegen, welche die Flädie zu ver- kleinem besti'ebt ist, und die beobachtete Oberflächenspannung ist da: Unterschied beider Spannungen.

Daraus folgt unmittelbar folgendes Verhalten. Bestimmen wir für irgend einen Wert der elektrischen Spannung an der Grenzfläche den Wert der Oberflächenspannung, so wird die Änderung der ersteren, durch welche die Oberflächenspannung wächst, in einer Verkleinerung des el^- trischen Spannungsunterschieds in der Oberfläche bestehen müssen. Ändert man nun jene immer weiter in demselben Sinne, so muss schliesslich die elektrische Ladung Null werden. In diesem Augenblicke hat die Oberflächenspannung ihren höchsten Wert eireicht, denn ändert man den elektrisdien Zustand in gleichem Sinne weiter, so bildet sich wieder eine Ladung aus. Wenn sie auch nun das umgekehrte Zeichen der Mheren hat, so bleibt doch ihre Eigenschaft bestehen, die Oberflächenspannung zu vermindern, und diese muss wieder kleiner werden. Dies Verhalten hat auch der Ve^ such erkennen lassen, und daraus ergiebt sich der Schluss: wo die Ob»* flächenspannung der Schwefelsäure ihren grössten Weit hat, da ist der elektrische Spannungsunterschied an der Grenzfläche gleich Null.

Da dieser Zustand eintritt, wenn zwischen dem Quecksilber und der (mit Merkurosulfat gesättigten) Schwefelsäure ein Spannungsunter-

i

Einzelspanaungen und Spannungsreihen. 407

schied von 0-9 V angebracht wird (der Wert hängt etwas von der Kon- zentration der Schwefelsäure ab), so muss geschlossen werden ^ dass der Spannungsunterschied, der sich freiwillig zwischen Quecksilber und Schwefelsäure herstellt, gleich und entgegengesetzt jenem Werte ist Und da man jene Spannung in kathodischem Sinne anbringen muss, so folgt, dass man zur Ausgleichung des Unterschiedes die Flüssigkeit positiver machen muss, dass also im natürlichen Zustande das Quecksilber um 0-9 V positiver ist, als die Flüssigkeit.

Auf diese Weise lässt sich zunächst die Spannung zwischen Queck- silber und beliebigen Elekti'olyten bestimmen. Damit diese genau definiert ist, muss der Elektrolyt einen ganz bestimmten Gehalt an Quecksilber- ionen besitzen; da die meisten Merkurosalze schwer löslich sind, ist dies der Sättigungsgehalt an der betreffenden Verbindung.

Verbindet man mit einer solchen Quecksilberelektrode ein anderes Metall in seinem Elektrolyt, indem man beide Flüssigkeiten in Berührung setzt, so erhält man eine Kette, deren Spannung man messen kann. Zieht man von dieser den bekannten Wert am Quecksilber ab, so bleibt die Spannung zwischen dem Metall und dem Elektrolyt übrig. Dies giebt einen Weg, um auch alle anderen Spannungen einzeln zu bestimmen.

Hierbei sind allerdings zwei Voraussetzungen gemacht, nämlich, dass sowohl die Spannung zwischen den beiden Elektrolyten, wie auch die zwischen beiden Metallen Null, oder doch sehr klein sei. Die ersteren Werte kann man auf Grund von Betrachtungen, deren Prinzipien ange- deutet sind, in vielen Fällen berechnen (Nemst 1889 und Planck 1890), nnd man kann die Versuche immer so anordnen, dass die Rechnung möglich wird. Es ergiebt sich, dass in den meisten Fällen diese Spannungen 0-01 V kaum erreichen und leicht auf noch kleinere Beträge emgeschränkt werden können.

Was die Spannungen zwischen den Metallen anlangt, so sprechen gewichtige Gründe dafür, dass sie, wenn nicht Null, so doch jedenfalls sehr klein sind. Es ist daher statthaft, hier von beiden abzusehen, und die Spannungen der Ketten als die Summen der beiden Spannungen an den Elektroden zu beti*achten.

Um wohldefinierte Werte von Einzelspannungen beobachten zu können, bedient man sich einer „Normalelektrode", die sich leicht in übereinstimmen- der Weise herstellen lässt. Sie besteht aus Quecksilber mit Quecksilberchlorür unter zehntelnormaler Lösung von Chlorkalium. Auch abgesehen davon, dass an dieser der Spannungsunterschied zwischen Metall und Elektrolyt auf Grund der eben geschilderten Verhältnisse bekannt ist, gestattet die Anwendung einer solchen Normalelektrode Messungen von Spannungen in Bezug auf jede einzelne Elektrode vorzunehmen und führt dadurch zu bestimmteren und ein- dringenderen Ergebnissen, als die früher meist üblich gewesenen Messungen der Gesamtspannungen der Ketten.

Die Herstellung einer solchen Normalelektrode ist aus der umstehenden

30*

1

468

IX. Elektrochemie.

Figur 56 ersichtlich; der durch den Quetschhahn verschliessbare Giimmischlaudi ist mit der ChlorkaliumlOsung gef&llt und dient dazu, die Elektrode bequem mit der Flüssigkeit der zu messenden Kette in Verbindung zu setzen. Die Spannung zwischen dem Quecksilber und der Ghlorkaliumlösung beträgt 0>62 Y, das Quecksilber ist positiv gegen die Massigkeit, diese also negativ gegen das Metall.

Die Spannungen der Metalle gegen den Elektrolyt sind, wie ans der Formel S. 448 ersichtlidi, von der Konzentration d^ Ionen im Elektrolyt abhängig. Will man daher solche angeben so muss diese Konzentration definiert sein. In der untenstehenden Tabelle ist voraus- gesetzt, dass die Lösungen normal sind, wobei allerdings wegen der ün- vollständigkeit der Dissodation der Metallsalze die Konzentration der Ionen geringer, etwa 0«6 bis 0-8 normal ist. Die Zeichen geben die Ladung des Elektrolyts an, wenn die des Metalls gleich Null gesetzt ist.

^mr\

Fig. 56.

Magnesium

+ 1-24

Wasserstoff

0-25

Aluminium

1-03

Antimon*

038

Mangan

0-82

Wismuth*

0-50

Zink

051

Arsen*

055

Gadmium

0-16

Kupfer

059

Thallium

011

Quecksilber

-1-03

Eisen

0-09

Süber

1-06

Kobalt

0.02

Palladinm

107

Nickel

0.02

Platin*

114

Zinn*

0.09

Gold*

136

Blei

010

Die mit einem Stern versehenen Metalle sind nur angenähert ge- messen worden, da die Herstellung von Elektrolyten von bekannte lonenkonzentration nicht thunlich war.

Man erkennt in der Tabelle die alte Spannungsreihe von Volta, Ritter und Berzelius wieder, nur in besser definierter Gestalt. Die an- gegebenen Spannungen haben wirklich die Bedeutung, dass sie ein

Einzelspannimgen und Spaimiingsreihen. 409

Mass der chemischen Affinität der Metalle^ und zwar ihrer Tendenz zur lonenbüdung oder zu ihrem Übergange in salzartige Verbindungen dar- stellen. Jedes Metall mit grösserem positiven Werte verdrängt das mit kleinerer Spannung aus seinen Salzen, indem es selbst in den lonenzu- stand übergeht.

Gleichzeitig sieht man, dass diese Reihe nur unter der Bedingung übereinstimmender lonenkonzentration Geltung hat. In Elektrolyten, i^elche mit den Metallen komplexe Verbindungen geben, ändern sidb die Verbältnisse entsprechend den Spannungen, welche die Metalle unter diesen Umständen annehmen (S. 453). Kennt man die lonenkonzen- trationen aus anderen Versuchen, z. B. aus Lösliehkeitsbestimmungen (S. 407), so kann man auch das chemische Verhalten der Metalle in Bezug auf gegenseitige Verdrängungen voraussagen.

Ein gewisses Interesse gewährt schliesslich der Vergleich dieser Spannungsgrössen mit den S. 281 angegebenen Bildungs wärmen der Ionen. Wie man sieht, bewegen sich die beiden Reihen zwar im gleichen Sinne, sind aber einander keineswegs proportional. Daraus folgt, dass bei der lonenbüdung die chemische Energie keineswegs ohne Eest in die elektrische übergeht, es bestehen vielmehr Unterschiede in beiderlei Sinn. Wären sie nicht vorhanden, so müssten die Ketten mit Metallelektroden ihre Spannung unabhängig von der Temperatur behalten (S. 435), was erfahrungsmässig nicht der Fall ist^).

An die Spannungsreihe der Metalle sei die auf den gleichen Grundwert bezogene Spannungsreihe der gebräuchlichsten Oxydations- und Reduktions- mittel geschlossen. Sie bezieht sich auf die Reagentien, wie sie bei gewöhn- licher Bereitung erhalten werden. Da die vorhandenen Mengen der Umwand- lungsprodukte nicht bestimmt worden sind, so ist der Zustand nicht genau definiert; für die allgemeine Orientierung werden sie indessen ausreichen. Das Vorzeichen ist wie bei den der vorigen Tabelle: es bezeichnet die Span- nung der Flüssigkeit, wenn die der Elektrode gleich Null gesetzt ist.

Alkalisches Zinnchloriir

-1-0.30

Natriumbisulfit

0-66

Schwefelnatrium

+ 009

Schweflige Säure

0.72

Alk. Hydroxylamin

-h0.06

Ferrosulfat, sauer

0.78

Alk. Chromoacetat

4-0.03

Ealiumferrioxalat

0.85

Alk. Pyrogallol

008

Jodjodkalium

0.89

Alk. Hydrochinon

0.23

Ferricyankalium

0-98

Wasserstoff

0.25

Kai iumbichromat

1.06

Unterschwefl. Zink

0.28

Ealiumnitrit

1.14

*) In der That beruht die Ermittelung der Bildungswärmen der Ionen auf der Messung der an den Elektroden bei deren Entstehung oder Umwand- lung auftretenden Wärmeerscheinungen. Diese werden durch die gleichzeitigen Wärmetönungen infolge der elektrischen Spannungsverschiedehheiten beein- flusst, und die Kenntnis dieser letzteren führt zur Möglichkeit, die Ionen - bildungswärmen zu berechnen.

70

IX. Elektrochemie.

Ealiumferrooxalat

-029

Alk. GfalorlOsung

1.19

Alk. Kalinmferrocyanid

048

Eisen Chlorid

1.24

Alk. Jodlösung

049

Salpetersäure

126

Zinnchlorür, sauer

0.50

Alk. Bromlösung

1.32

Kaliumarsenit

-051

Ghromsäure

140

Kupferchlortir

-0.56

Chlors&ure

142

Katrinmthiosulfat

0.58

Brombromkalium

143

Katriumsulfit

0.58

Kaliumjodat

149

Kaliumferrocyanid

059

Manganhyperoxyd

1.63

FerroBulfat, neutral

-0-63

Saure Chlorlösung

1.67

Hydroxylamin, sauer

064

Kaliumpermanganat

1.76

Elftes Kapitel. Elektrolyse und Polarisation.

Wenn ein elektrischer Strom in einen Eiektolyten ein- oder aus- tritt, so erfolgt an der Stelle notwendig ein chemischer Vorgang, der primär in der Bildung von Ionen aus neutralen Stoffen, oder der Umwandlung von Ionen in solche, oder endlich in einer Vermehrung, bez. Verminderung vorhandener lonenladungen besteht An diesen pri- mären Vorgang können sich sekundär andere schliessen, die in mannig- faltigster Weise von der Beschaffenheit der beteiligten Stoffe, sowie von den begleitenden Umständen abhängen.

Die Notwendigkeit eines solchen Vorganges ergiebt sich daraus^ dass im Elektrolyt die Elektrizität nur gleichzeitig mit den Ionen sid) bewegen kann, während sie ausserhalb des Elektrolyts von diesen unab- hängig wird. An der Grenzfläche tritt daher notwendig ein Vorgang ein, der in der Aufiiahme oder Abgabe elektrischer Ladungen seitens vorhandener Stoffe besteht

Von der Natur des Leiters, der an den Elektrolyten grenzt, hängen diese Vorgänge nur sekundär ab. Insbesondere ist es nicht nötig, dass Metalle die Elektroden bilden; schon Davy hat gezeigt, dass auch, wenn ein Strom aus dem Elektrolyt in Luft (durch Büschelentladung) tritt, an der Grenzfläche der chemische Vorgang nicht ausbleibt

Man nennt einen solchen Vorgang eine Elektrolyse. Dabei kommen sowohl die stofflichen wie die energetischen Änderungen in Betracht.

Die einfachsten stofilichen Änderungen treten ein, wenn die Ionen, welche den Transport der Elektrizitätsmengen zu den Elektroden besorgt haben, ohne Änderung ihrer Zusammensetzung in den neutralen Zustand übergehen können. Ziemlich allgemein ist dies bei den Salzen der Schwermetalle der Fall, welche an der Katiiode die Metalle abscheiden.

Elektrolyse und Polarisation. 471

Dies gesdiieht meist in zusammenhängender Gestalt, so dass solche Ab- sehddnngen zur Abformnng von Gegenständen in Metall und zur Her- stellang metaUischer Überzüge eine ausgedehnte technische Anwendung finden.

Darauf beruht die Galvanoplastik und Galvanostegie. Für diese Künste ist es wichtig, dass die abgeschiedenen Metalle möglichst glatt imd zusammen- hängend auftreten. Man erreicht dies auf mechanischem Wege, indem man die Oberfläche, welche den Niederschlag aufnimmt, möglichst eben und glatt herstellt, wohl auch während der Fällung mechanisch bearbeitet, um die Bildung von Unebenheiten zu yerhindem. Ist eine solche einmal entstanden, so be- steht zwischen ihr und der Anode meist eine bessere Strombahn, und sie hat daher die Tendenz, infolge der Mehrabscheidung des Metalls sich zu yer- grOssem.

Chemische Einflüsse sind gleichfalls thätig, insofern kleine Änderungen im Zustande des Bades oft die Beschaffenheit des ISfiederschlages erheblich ändern. Die Ursachen hiervon sind nur teilweise bekannt. Meist ist es die gleichzeitige Abscheidung nichtmetaUischer Produkte der Elektrolyse (Gase, Oxyde), wodurch schlechte Niederschläge entstehen; Zusätze zum Bade, welche diese Ausscheidungen verhindern, werden also den Niederschlag verbessern. Ausserdem besteht noch die bisher unerklärte Thatsache, dass Metallabschei- dungen aus komplexen Salzen, in denen die Konzentration der Metall- ionen immer sehr klein ist, meist viel glatter erfolgen, als aus gewöhnlichen Neutralsalzen. Beispiele sind Gold und Silber.

Sind mehrere Metalle gleichzeitig in der Lösung^ so werden sie in der Ordnung der Tabelle S. 468 ausgeschieden, wie ihre Spannungen gegen den Elektrolyt aufeinander folgen. Solche, deren anodische Natur oder Tendenz Ionen zu bilden gering ist, treten zuerst auf, und die anderen folgen nach Massgabe ihrer Tendenz nach. Zwar ist die Span- nung eines Metalls gegen seine Lösung von der Konzentration der Ionen in dieser abhängig; da aber eine Verminderung der letzteren auf 1/1000, welches die Grenze der meisten analytischen Methoden bildet, bei einem zweiwertigen Metall nur einen Spannungsunterschied von 0-08 V ausmacht, so sieht man, dass bereits Metalle getrennt werden könnten, deren Spannungsunterschiede gegen gleich konzentrierte Lösungen nicht viel über O-lV hinausgehen.

Diese Ordnung wird geändert, wenn sich die Metalle in Lösungen komplexer Verbindungen befinden, indem das Metall um so anodischer wird, je geringer die Konzentration der MetaUionen im Komplex ist. Da die analogen komplexen Verbindungen verschiedener Metalle sich in dieser Beziehung verschieden verhalten, so werden unter Umständen be- deutende Verschiebungen der gegenseitigen Stellung bewirkt So bildet z. B. Zink mit Alkalicyaniden einen ziemlich unbeständigen, Kupfer da- gegen einen sehr beständigen Komplex; es werden daher beide Metalle na(^ der anodischen Seite verschoben, Kupfer aber so viel mehr als Zink, dass beide einander ganz nahe kommen und bei der Elektrolyse gleichzeitig (als Messing) ausgeschieden werden.

472 ^* Elektrochemie.

Vergleicht man die verschiedenen Metalle in der Reihe auf S. 468 miteinander^ so findet man den Wasserstoff zwisdien Blei und Antimon; man müsste also annehmen, dass man zwar noch dieses, nicht aber mehr Blei aus wässeriger Lösung ausscheiden könnte. Doch weiss man, dass nicht nur Blei, sondern auch Cadmium und Zink sich ausscheiden lassen, obwohl die Spannung dieses Metalls um 0*76 V anodischer ist, als die des Wasserstoffs.

Nun kann man allerdings anführen, dass die Spannung des Wasser- stoffs gegen eine normale Säurelösung gemessen ist, und dass in neutraler Lösung eine anodische Verschiebung von rund 0-4 V einüitt Dadurch käme man aber erst bis zum Cadmium, und Zink steht noch rund 0-3 V weiter. Die Ursache ist, dass der angegebene Wert des Wasserstofis nur für das Gleichgewicht gilt. Wird bei der Elektrolyse Wasserstoff ausgeschieden, so tritt vorher eine sehr bedeutende Übersättigung ein, und es bedarf einer entsprechenden Steigeiiing der Spannung, um die Entstehung von Gasblasen zu bewirken. Dadurdi wird die Möglichkeit gegeben, Zink elektrolytisch abzuscheiden. Gleichzeitig sidt man, dass die Lösung des Zinks neutral und möglichst konzentriert sein muss, damit die geföhrliche Nachbarschaft der Wassersto£&pannung ver- mieden wird; ebenso wird die Abscheidung um so besser gelingen, je glätter man den Niederschlag zu erzeugen vermag, damit das Anftreten der ersten Gasblasen hintangehalten wird.

Metalle, welche noch weiter an der anodischen Seite stehen, werden als solche nicht mehr ausgeschieden. Man erhält indessen sogar nodi die Alkalimetalle, wenn man als Elektrode Quecksilber oder ein anderes flüssiges Metall anwendet. Dies liegt einerseits daran, dass die Spannung des un Quecksilber gelösten Metalles weniger anodisch ist, als die des reinen Metalls, denn es befindet sich dort im Zustande der Lösung, aus dem es nur unter Arbeitsaufwand entfernt werden könnte. Femer aber gestattet die Obeffläche eines flüssigen Metalls, die das äusserste an Glätte und Ebenheit darbietet, was überhaupt herstellbar ist, eine be- sonders weitgehende Übersättigung an Wasserstoff, dass auch die für die Abscheidung der genannten Metalle erforderlichen Spannungen hergestellt werden können, bevor sich Wasserstoffgas entwickelt

Auch von diesen Vorgängen wird in der Technik für die Gewinnung der Alkalimetalle bez. von deren Hydroxyden durch Einwirkung von Wasser auf die Amalgame Anwendung gemacht.

Ähnlich den Metallionen verhalten sich die Ionen der Halogene, welche durch die Entladung in die freien Elemente übergehen. Audi hier tritt eine Mitwirkung der Ionen des Wassers ein; während Jod und Brom weiter keine Besonderheiten aufweisen, ist es bei Chlor eine Frage der Konzentration, ob Chlor oder Sauerstoff erscheint, und beim Fluor ist es keine Frage mehr, denn es erscheint nur Sauerstoff. Letzteres rührt daher, dass die Entladung des Hydroxyls aus dem Wasser, trotz seiner sehr geringen Konzentration in der Lösung von Fluorwasserstofisäure^

Elektrolyse und Polarisation. 473

bei geringerer Spannung vor sich geht, als die der Ftuorionen; und da- her nur Sauerstoff auftritt Bei der Chlorwasserstofl&äure wird die Ent- ladung des Chlors um so leichter erfolgen^ je konzentrierter die Lösung in Bezug auf Chlorionen und je verdünnter sie in Bezug auf Hydroxyl ist. Beides ist in konzentrierten Lösungen von Salzsäure vorhanden, da die Wassersto£^onen der letzteren das Hydroxyl entsprechend zurück- drängen. Je verdünnter sie wird, um so mehr sieht man bei der Elektro- lyse den Sauerstoff hervortreten.

Bei dieser Überlegung macht sich ein Punkt geltend, der noch wiederholt in den Vordergrund treten wird, nämlich die erhebliche Be- teiligung von Ionen an den Ergebnissen der Elektrolyse, welche nur in sehr geringer Konzentration vorhanden sind. Im allgemeinen beteiligen sieh die verschiedenen Ionen an dem Transport der Elektrizität nach Massgabe ihrer Konzentration und Wanderungsgeschwindigkeit; ihre Ent- ladung an der Elektrode ist aber von ihrer Spannung gegen die neutrale Form abhängig. Ist ein Ion nur in geringer Konzentration vorhanden, hat aber eine kleine Entladungsspannung, so werden zunächst die vorhandenen Mengen sich zu entladen beginnen. Die Konzentration sinkt, die Spannung steigt, und ist nicht viel von dem Stoff vorhanden, so muss sehr bald ein neues Ion entladen werden. Hieran ist nichts besonderes. Anders werden aber die Verhältnisse, wenn die Konzentration eines Ions zwar an sich gering ist, wenn aber bei stattfindendem Verbrauch die ver- schwundenen Mengen alsbald wieder nachgeliefei*t werden.

Dies kann auf zweierlei Weise geschehen. Es kann das Ion als Bestandteil eines schwerlöslichen Salzes vorhanden sein, das sich in dem Masse neu auflöst, als jenes Ion aus der Lösung verschwindet. Ferner, und dies ist der häufigere und wichtigere Fall, kann ausser dem Ion eine andere Verbindung vorhanden sein, mit der das Ion im chemischen Gleichgewichte steht, und welche gleichfalls neue Mengen des Ions liefert, wenn die vorhandenen auf h-gend eine Weise aus der Lösung verschwinden. Dies geschieht gewöhnlich dadurch, dass eine komplexe Verbindung vorhanden ist, die mit dem Ion derart im Gleichgewicht steht, dass einer grossen Konzentration der Verbindung eine kleine des Ions entspricht.

Ein Beispiel hierfür ist das Cyansilberanion des komplexen Cyansilber- kaliums E/Ag(CN)*, welches zu einem sehr kleinen Teile im Sinne der Gleichung. Ag(CN)'5 = Ag» + 2CN' zerfällt. Trotz der ungemein geringen Konzentration der Silberionen in dieser Lösung (S. 453) scheidet sie an der Kathode einen schönen Silberüberzug auch bei ziemlich starkem Strome aus, denn in dem Masse wie die wenigen Silberionen entladen werden, bilden sich neue infolge der angegebenen Reaktion und die Flüssigkeit verhält sich praktisch so, als wäre alles Silber in lonenform vorhanden. Basselbe gilt für Wasserstoff und Hydroxyl bez. Sauerstoff in wässerigen Lösungen.

Ein derartiges Verhalten ist also immer möglich, wenn die entsprechende Reaktion möglich ist. Ob es in einem gegebenen Falle stattfinden wird, hängt

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474 I^ Elektrochemie.

einigermassen von der Geschwindigkeit der beteiligten Reaktionen ab. Die lonenreaktionen sind zwar sehr geschwind, aber jedenfiedls nicht unendlidi ; geschwind, und einige hergehörige Erscheinungen deuten bereits darauf

I hin, dass messbare Verschiedenheiten solcher Geschwindigkeiten nachweis-

bar sind.

Statt der voUständigen Entladung der Ionen tritt in solchen FlU^ wo die entsprechenden Stoffe existenzfähig «nd; an den Elektroden aadi eine teilweise Ent- oder Aufladung^ allgemein ein Wechsel der Valenz ein. So gehen Ferroionen an der Anode in Ferriionen über^ und diese verwandeln sich nmgekehrt an der Kathode in Ferroionen. Ähnlidie Umladungen sind natürlich bei allen anderen Metallen möglich , weldie Ionen von verschiedener Wertigkeit bilden können. Aber auch zusammen- gesetzte Anionen sind solcher Umladung MAgy wenn sie verschieden- wertig auftreten können , so das drei- und vierwertige Ion Fe(GN)g und andere.

Einen auffallenderen Charakter nehmen diese Umladungen an^ wenn dabei gleichzeitig Änderungen der Molekulargrösse erfolgen. Die Ionen erster Stufe der Schwefelsäure SO4" verlieren an der Anode je eine Ladung und gehen unter gleichzeitiger Kondensation in die Ionen S^Og" der Überschwefelsäure über. Ebenso verhalten sich die Ionen der Kohlen- säure. Auch sollte man auf gleiche Weise das Ion der Thiosulfate S2 0^" durch Entziehung je einer negativen Ladung in das Tetrathionate 840«" verwandeln können.

Einen Grenzfall in gewissem Sinne bilden die Vorgänge^ bei denen die entiadenen Ionen keinen neutralen Stoff gleicher Zusammensetzung zu bilden vermögen. Es tritt dann meist ein Zerfall, häufig unter li£itwirknng des Lösungswassers ein. So zerfällt das entladene Kation der Ammonium- salze jNH^ an der Katiiode in Ammoniak und Wasserstoff, 2KR^ = Bf 4- 2NH3; das Anion der Essigsäure, CH3CO2, zerfällt in Äthan und Kohlendioxyd, 2 C H, 0 0, = C j Hg -|- 2 C 0 *. Die entiadenen Anionen der sauerstofireiehen anorganischen Säuren reagieren mit dem Lösungswasser unter Rückbildung der Säure und Entwickelung von Sauerstoff. Sind sie vermögend, eine sauerstofireichere Verbindung zu liefern, so gehen sie unmittelbar in diese über, wie entladene Chlorsäureionen in Über- chlorsäure, C10«-{-H«0 = H«C10*.

Schliesslich kann die Beteiligung der in der Lösung vorhandenen Stoffe die Hauptreaktion werden, und die Elektrolyse wird in diesen Fällen den mit Oxydations- und Reduktionsmitteln betriebenen Ketten analog. Allgemein werden die an der Anode befindlichen Stoffe oxydiert, die an der Katiiode reduziert, wie sich unmittelbar ergiebt, wenn man die S. 438 gegebenen Definitionen auf unseren Fall anwendet Dies ist das Gebiet, in welchem namentiich die elektrolytische Behandlmig organischer Verbindungen zu einer grossen Zahl von Darstellungs- metiioden geführt hat, welche den Vorzug besitzen, dass die Oxydation und Reduktion ausgeführt werden kann, ohne dass fremde Stoffe mit

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Elektrolyse und Polarisation. 475

dem Yersuchsmaterial in Berührung zu l^ommen brauchen. Ausserdem kann man das Ergebnis des Vorganges durch Veränderung der Spannung^ durch Anwendung saurer oder alkalischer Lösungen u. s. w. auf die mannigfaltigste Weise variieren. Insbesondere hat sich gezeigt^ dass die Besdiaffenheit der Elektroden oft einen sehr bedeutenden katalytischen Einftuflft auf das Ergebnis der Elektrolyse ausübt 1

Es ist häufig die Frage aufgeworfen worden, welche von den an den Ellektroden stattfindenden Reaktionen als primär, und welche als sekundär anzusehen sind. Soweit diese Frage nicht durch die Zusammensetzung der Ionen und der Produkte sich unmittelbar beantwortet, kommt sie meist auf eine Unsicherheit darüber hinaus, welche von den gleichzeitig möglichen Reaktionen wirklich stattfindet; Wenn man z.B. eine wässerige Lösung von Natriumsxdfat elektrolysiert, so erscheint an der Anode Sauerstoff, an der Kathode Wasserstoff, wälirend die Flüssigkeit sauer, bez. basisch wird, und man hat früher angenommen, dass gleichzeitig das Salz in Säure und Base, und das Wasser in seine Elemente gespalten wird. Eine solche Annahme widerspricht indessen dem Faraday- schen Gesetze, und Hittorf hat bewiesen, dass die Stromleitung durch die beiden Ionen Na* und SO4'' nach ihren Wanderungsgeschwindigkeiten bewirkt wird. Nur kann das entladene Anion nicht als neutraler Stoff fortbestehen, Bondem geht in Schwefelsäure und Sauerstoff über; in solchem Sinne ist der Sauerstoff sekundär. Den Wasserstoff an der Kathode kann man auch als sekundär auffassen, indem man annimmt, dass sich zuerst Natrium ausscheidet, welches auf das Wasser unter Entwickelung von Wasserstoff und Bildung von Natron einwirkt. Überlegt man sich aber, dass in Natron wieder nur Natrium - Ionen neben Hydroxyl vorhanden sind, so müsste man annehmen, dass die Natriumionen entladen werden, um wieder in Natriumionen überzugehen. Man wird also in diesem Falle besser annehmen, dass die Natriumionen gar nicht entladen werden, sondern an ihrer Stelle die Wasserstoffionen des Wassers. Obwohl diese in sehr geringer Konzentration vorhanden sind, wer- den sie doch aus dem Wasser immer wieder neugebildet, so dass stets welche für die Stromentladung vorhanden sind. Das übrigbleibende Hydroxyl be- -wirkt die alkalische Reaktion.

Bei der Anwendung einer Quecksilberelektrode wird indessen wirklich Natrium ausgeschieden, das sich im Quecksilber auflöst. Dies rührt einer- seits daher, dass sich die kathodische Spannung an einer Quecksilberelektrode viel mehr steigern lässt, als an irgend einer anderen (S. 472), und anderer- seits daher, dass die anodische Spannung des Natriums in der Quecksilber- lösung viel kleiner ist, als die des reinen Metalls. Durch sehr grosse Ver- dünnung kann sie beliebig klein gemacht werden (S. 457), und daher wird eine gewisse Menge Natrium vom Quecksilber aufgenommen sein müssen, ehe der Wert des Wasserstoffs an Quecksilber erreicht ist. Es wird also in diesem Falle primär Natrium ausgeschieden; nachdem dessen Konzentration im Queck- silber einen gewissen Wert erreicht hat, tritt als primäres Ausscheidungspro- dukt an die Stelle des Natriums der Wasserstoff.

In ähnlicher Weise lassen sich die verschiedenen Aufgaben behandeln.

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476 I^< Elektrochemie.

Nur kommt noch ein Gesichtspunkt wesentlich in Frage. Die Spannung an der Elektrode wird nicht von der mittleren Konzentration der Stoffe in der ganzen Flüssigkeit, sondern ausschliesslich von der Konzentration unmittel- bar an der Elektrode bestimmt. Wird diese durch die Elektrolyse geändert, so hängt es von mechanischen Bedingungen, wie Diffusion, Strömungen, Rühren u. s. w. ab, welche Konzentrationen in jedem Augenblicke an den Elektroden bestehen. Dazu kommen mit ähnlicher Wirkung die verschiedenen Geschwindigkeiten, mit denen die Reaktionen stattfinden. Wenn man alsa auch den Satz durchführen kann, dass in jedem Augenblicke an der Elektrode dasjenige Ion ausgeschieden wird, dessen Entladungsspannung die kleinste ist, so ist es doch wegen der genannten Umstände oft nicht leicht zu sagen, welchem der vorhandenen Ionen in einem gegebenen Augenblicke diese Eigenschaft zukommt

Die zweite Frage, welche betreffs der Erscheinungen der Elektrolyse zu stellen ist, bezieht sich auf die Arbeiten, welche zur Ans- seheidnng der verschiedenen Stoffe erforderlieh sind. Es ist vor allen Dingen darauf hinzuweisen^ dass diese Arbeiten immer die Summe zweier Glieder sind, die sich auf die beiden Elektroden beziehen, und die in ziemlich hohem Grade voneinander unabhängig gemacht werden können. Es hat die Entwickelung unserer Kenntnisse in diesem Gebiete sehr verzögert, dass die in den meisten Untersuchungen nur die Summe der Vorgänge an beiden Elektroden zusammen betrachtet wurden, ohne dass sie in die Summanden gesondert wären.

Die Arbeitsgrössen, welche bei elektrolytischen Umsetzungen aufge- wendet oder gewonnen werden, gelangen ebenso wie die Arbeiten der Voltaschen Ketten ausschliesslich in den Spannungsgrössen zmn Aus- druck^ da die Elektrizitätsmengen unabhängig von diesen dwch das Faradaysche Gesetz geregelt werden. Ist jr diese Spannung in Yoll^ n die Valenz der entladenen Ionen ^ so ist 96540 «jrn die Arbeit in Joule, welche ^ die Abscheidung von einem Mol des Ions erforderlich ist

Die Spannung bei der Abscheidung eines Stoffes aus sdnen Ionen ist nun gleich der Spannung, welche eben dieser Stoff (als Elektrode oder an der Elektrode) in einer Voltaschen Kette erzeugt (Le Blanc 1893). Dabei ist vorausgesetzt; dass die Konzentrationen der beteiligten Stoffe gleich sind; und dass die Reaktionen umkehrbar sind. Letzteres ist ba schnell verlaufenden Vorgängen zwar anscheinend immer der Fall, b^ langsam verlaufenden sekundären Reaktionen an der Elektrode kann in- dessen die Rückbildungsgeschwindigkeit der Ionen aus den weiteren Pro- dukten der Elektrolyse so gering werden, dass von einer praktisdi umkehrbaren Kette nicht mehr die Rede ist. Solche Falle sollen also ausgeschlossen werden.

In dem Falle, dass das Produkt der Elektrolyse ein fester Stot^ etwa ein Metall ist, läBst sich der Satz sehr leicht prüfen und beweisen. Grössere Schwierigkeiten entstehen erst in dem Falle gasförmiger I^ dukte, insbesondere des Wasserstoffe und Sauerstoffe.

Elektrolyse und Polarisation. 477

Während nämlich die Spannungen der enteren Stoffe nur noch ^on der Konzentration der Ionen im Elektrolyt abhängen^ ändern die der letzteren sich noch im weitesten Umfange durch Übersättigungs- erscheinungen. Das viel mannig&ltigere Bild, welches dadurch entsteht, liat die Auffassung der einfachen Verhältnisse auf diesem Gebiete 'verzögert, weil man jene verwickeiteren Verhältnisse vorwiegend unter- sucht und als typisch angesehen hat Indessen ist nachgewiesen worden, dass mit derselben, bez. einer nur wenig höheren Spannung, wie sie die Sauerstoff -Wasserstoffkette (S. 461) giebt, nämlich 1-08 V, auch ein dauernder Strom durch einen entsprechenden Elektrolyt, eine Säure oder ein Alkali geleitet werden kann, so dass die Wasserbildung und Zersetzung unter diesen Umstäuden ein umkehrbarer Vorgang ist (Le Blanc 1893).

Mit dem Namen der unpolarisierbaren Elektroden bezeichnet man gewisse Zusammenstellungen namentiich aus Metallen in ihren LiöBungen, welche die Eigenschaft haben, dass beim Stromdurchgange keine in entgegengesetzter Richtung wirkende Spannung oder Polarisation entsteht. Im strengen Sinne unpolarisierbare Elektroden giebt es nicht, denn durch den Strom wird stets (ausser in dem einzigen Falle, dass die beiden Ionen genau gleiche Wanderungsgeschwindigkeit haben) die Konzentration der Lösung an der Elektrode geändert, und eine vep- änderte Spannung ist die notwendige Folge hiervon. Wohl aber giebt es verschiedene Grade der Polarisierbarkeit, und man kann für den eben erwähnten Fall des Metalles in der Lösung eines seiner Salze den Satz aufstellen, dass das Gebilde um so leichter, d. h. ftir eine um so ge- ringere Stromstärke zu einem bestimmten Grade polarisierbar ist, je ver- dünnter die Lösung in Bezug auf das Metall ist. Denn die ausge- schiedene MetaUmenge ist der Stromstärke proportional, die Änderung der Spannung aber nicht, denn die Spannung ändert sich um gleiche Beträge, wenn die Konzentration sich um gleiche Verhältnisse ge- ändert hat. Hat also z. B. ein gegebener Strom zwei Drittel vor- handenen Metalls ausgeschieden, und dadurch eine gewisse Polarisation erzeugt, so wird hernach ein Drittel jenes Stromes genügen, um die gleiche Änderung hervorzubringen, und dann ist weiter nur ein Neuntel des anfänglichen Stromes fiir den gleichen Effekt erforderlich.

Für die Unpolarisierbarkeit ist der Gehalt an Metall in irgend einer Form wesentlich, und es ist nicht nötig, dass es als Ion yorhanden ist. Denn auch in solchen Fällen, wo die lonenkonzentration äusserst gering ist, wie z. B. bei den Silbercyanverbindungen, ergiebt sich eine Silberelektrode als sehr wenig polarisierbar, da die an der Elektrode verbrauchten Silberionen alsbald durch den Zerfall des Komplexes ersetzt werden. Wohl ist aber die Spannung an der Elektrode hiervon abhängig.

Schaltet man einen Elektrolyten zwischen zwei gleiche unpolarisier- bare Elektroden, so verhält sich das Gebilde gegen durchgehende Ströme wie ein metallischer Leiter, indem die Spannung an der einen Elektrode

478 I^* Elektrochemie.

durch die entgegengesetzte . an der anderen gerade aufgehoben wird. Dies war vor der Anwendung der Wechselströme fast der einzige Weg, um die Widerstände von Elektrolyten zu messen.

An den Grenzflächen zweier Elektrolyte entsteht nie eine erhebliche Polarisation, entsprechend dem Umstände, dass die Spannungen dar Flüssigkeitsketten immer sehr gering sind. Man kann daher beliebige Flüssigkeiten polarisationsfrei in einen Stromkreis bringen, wenn man »e zwischen die Flüssigkeiten zweier gleicher unpolarisierbarer Elektroden schaltet.

Die in polarisierbaren Elektroden für den chemischen Vorgang auf- zuspeichernde Energie wird wiedergewonnen, wenn man die Elektroden dui'ch einen Leiter verbindet, indem der chemische Vorgang rückgängig wird. Dadurch ist ein jedes derartige Gebilde ein elektrischer Samm- ler oder Akkumulator. Denn es ist schon bemerkt worden^ dass im Prinzip jeder elektrolytische Vorgang umkehrbar ist, wenigstens für den Fall, dass die Rückbildung sehr bald nach der Elektrolyse erfolgt, und dass die Elektroden nicht überladen, d. h. zur Abscheidnng von Produkten gebracht wurden, welche sich von den leitenden flächen ent- fernen, und sich dadurch der Rückverwandlung entziehen.

Für praktische Zwecke sind diese Eigenschaften allerdings nicht genügend, denn hier kommt es gerade darauf an, dass der Sammler seine Energie mög- lichst lange unverändert erhält, und dass möglichst grosse Mengen Energie in den Elektroden aufgespeichert werden können. Wenn also auch als Sammler jede Yoltasche Kette, deren chemischen Vorgang man durch einen entgegen- gesetzten Strom rückgängig machen kann (z. B. eine Daniellsche Kette), dienen kann, so wird doch die Auswahl durch die eben ganannten praktischen Bedingungen so beschränkt, dass bisher nur ein einziger Typus sich als lebensfähig erwiesen hat. Es ist dies der Blei Sammler.

Ein Bleisammler besteht aus zwei Elektroden aus möglichst porösem, aber doch hinreichend widerstandsfähigem Blei, welche in verdünnter Schwefel- säure stehen. Die eine Platte ist vorher als Anode in Schwefelsäure behandelt worden, und das Blei darin ist dadurch in Bleihyperoxyd übergegangen (s. w. u.). Bei dem Schluss dieser Kette wandern die SO4 -Ionen der Schwe- felsäure an die eine Platte aus metallischem Blei, die H-Ionen an die Hyper- oxydplatte. An der ersten entsteht nach der Gleichung Pb -f SO^«^ PbSO^ Bleisulfat, indem sich die entladenen Ionen SO4 mit dem Bleimetall verbin- den. An der anderen Elektrode wird das Hyperoxyd durch den entladenen Wasserstoff zu Oxyd reduziert, welches sich mit der anwesenden Schwefel- säure zu Bleisulfat verbindet. Das chemische Ergebnis des Stromdurchganges ist also beiderseits Bleisulfat. Hierbei wird eine beträchtliche Energie frei, da die Spannung rund 2 V beträgt.

Sendet man nun einen Strom in entgegengesetzter Richtung durch den Sammler, nachdem er entladen ist, d. h. nachdem sich an beiden Platten Blei- sulfat gebildet hat, so wird an der Kathode das Sulfat wieder in Bleimetall übergeführt, indem der Wasserstoff das Blei aus seinem Sulfate verdrängt

Elektrolyse und Polarisation. 479

und Schwefelsäure bildet. Gegen die Anode wird das Ion SO4" geführt, welches sich dort entladet, und mit dem Bleisulfat und Wasser im Sinn der Gleichung PbSO^ + SO^ + 2H«0 -= PbO* + 2H«S04 reagiert. Dort wird also Bleihyperoxyd wieder gebildet und der Sammler ist in seinem früheren Zustande.

Durch den glücklichen Umstand, dass dasselbe Metall an den beiden Elektroden wirken kann, und dass die Verbindungen, die in Frage kommen, mit Ausnahme der Schwefelsäure schwerlöslich sind, hat der Sammler beson- dere Vorzüge. Einmal können die reagierenden Stoffe nicht durch Diffusion sich von den Elektroden entfernen, an denen sie wirken sollen (wie das z. B. in der Daniellkette das Eupfersulfat thut); dann aber ist die Bildung von „Lokalströmen" ausgeschlossen, die dadurch entstehen, dass sich etwas von dem Kathodenmetall an der Anode absetzt, und dort eine kurz geschlossene Kette bildet, die zu einem nutzlosen Verbrauch des Anodenmetalls führt. Hierdurch sind zwei wichtige Umstände, die zu einer Verwüstung der auf- gespeicherten Energie führen, ausgeschlossen. Ein grosser Nachteil des Sammlers ist dagegen das grosse elektrochemische Äquivalent des Bleis, wo- durch die auf die Gewichtseinheit der Elektrode aufspeicherbare Energie eine erhebliche Einschränkung erfährt.

Die Anwendung dieses Sammlers im Grossen hat ergeben, dass man bestenfalls etwa 0*9 der aufgespeicherten Energie wiedergewinnt Der Verlust liegt wesentlich an dem Umstände, dass beim Stromdurchgange die Kon- zentration der Schwefelsäure erhebliche Änderungen erfährt. Beim Anblick der Gleichungen, welche die chemischen Vorgänge darstellen, sieht man, dass bei der Arbeit des Sammlers an beiden Elektroden Schwefelsäure verbraucht wird, d. h. aus der Lösung in die Elektroden übergeht; bei der Ladung werden diese Mengen wieder frei. Dadurch verdünnt sich bei der Arbeit die Schwefel- säure an den Elektroden, und dadurch sinkt, wie es die eingehendere Betrachtung der massgebenden Konzentrationsverhältnisse lehrt, die Spannung. Nur in dem Masse, wie sich durch Diffusion und Strömung die Schwefelsäure wieder ersetzt, kann die Spannung bei der Arbeit aufrecht erhalten werden.

Umgekehrt konzentriert sich die Schwefelsäure an beiden Elektroden durch die Vorgänge bei der Ladung, und dies führt zu einer Erhöhung der Spannung über das Mass des gewöhnlichen Wertes, so dass eine entsprechend höhere Energie für die Ladung aufzuwenden ist.

Gleichzeitig geht aus diesen Betrachtungen hervor, dass der Spannungs- verlust bei der Arbeit, und die erhöhte Gegenspannung bei der Ladung um so bedeutender werden muss, je stärker der Strom ist, weil die Ausgleichung^ der Konzentrationen um so unvollkommener erfolgt. Auch dies entspricht der Erfahrung, dass (innerhalb gewisser Grenzen) der Sammler um so sparsamer in Bezug auf die Energie arbeitet, je kleiner die auf die Einheit der Elektrodenfläche berechnete Stromstärke ist.

Ausser diesen Verlusten kommt noch der Widerstand der Kette und die entsprechende Umwandlung der elektrischen Energie in Wärme als Ver- lust in Betracht. Er wird dadurch möglichst klein gemacht, dass man die

480 ^< Photochemie.

Elektroden plattenfSrmig anordnet, ihnen eine möglichst grosse Ausdehnung giebt, und die Säureschicht zwischen ihnen möglichst dünn macht. Dadurch ist der innere Widerstand guter Sammler sehr klein, so dass er in den meisten Fällen nicht mehr in Frage kommt.

Zehntes Buc]^

Photochemie.

Erstes Kapitel. Die strahlende Energie.

In dem allgemdnsten und bestbegründeten Naturgesetz, dem ersten Hauptsatz der Energetik oder dem Gesetz von der Erhaltung der Energie besteht eine Lücke, deren Vorhandensein uns unaufhörlich entgegentritt, und bei der nur ihr häufiges Vorkommen uns über ihre sonderbare Be- schaffenheit beruhigt. Sie besteht darin, dass in zahllosen FäUen vorhandene Energiemengen vollständig verschwinden, und dann an anderen Stelle wieder auftreten, ohne dass man inzwischen ihre Existenz durch eine entsprechende Veränderung des Raumes, in dem sie sich befinden, nachweisen kann. Denn jede andere Energieart kann man durch besondere Eigentümlichkeiten an ihrem Orte erkennen, ohne dass man ihre Form zu ändern braucht, d. h. man kann sie als solche nachweisen. In den hier zu betrachten- den Fällen ist dies nicht möglich. Man kann nur aus dem Ranme, in welchen hinein die Energie verschwunden ist, den gleichen Energiebetrag in irgend einer anderen Form, am leichtesten wie immer als Wärme, zurückgewinnen; ausserdem hat sich aber in einem solchen Räume in- zwischen nichts in messbarer Weise geändert

So wissen wir, dass mit dem Auftreten der Sonne über dem Horizonte ein mächtiger Strom von Energie sich von dieser auf die Erde ergiesst. Der gröBste Teil davon erscheint an der Erdoberfläche als Wärme, ein Teil als mechanische, als chemische, als elektrische Energie. Während der Nacht hört dieser Strom auf, ja er kehrt an der Erdoberfläche meist sogar seine Richtung um. Der Raum, durch welchen er sich ergiesst, hat während seiner Dauer ganz dieselben Eigenschaften, als wenn er nicht durchginge.

Wir nehmen zum Zwecke der Durchführung des ersten Hauptsatzes an, dass trotz des Verschwindens der Energie sie in diesem Zwischen- räume dennodi besteht, wenn auch nur in einer Form, die uns unmittel- bar nicht zugänglich ist. Diese Annahme ist dadurch gestützt, dass das Verschwinden nur auf Zeit eifolgt; selbst in dem gi*ossen Räume zwisdien Sonne und Erde ist die von ersterer ausgehende Energie nur während rund 9 Minuten verschwunden, und tritt nach dieser Zeit auf der Erde durch Umwandlung in eine der genannten Formen wieder in den Be-

Die strablende Energie. 481

raöh der Nachweisbarkdt und Messbarkeit Ferner ist dies Yensdiwin- den und Wiederauftreten an ganz bestimmte Gesetze gebiinden^ welche eine so grosse Mannig&ltigkeit erkennen lassen, dass die Annahme einer besonderen, an aidi nicht, sondern nur durch ihre Umwandlungen er- kennbaren Energieform in der That die einfachste ist, die zur Zeit ge- macht werden kann. Man nennt diese Form die strahlende Energie.

Wir erkennen die strahlende Energie vorwiegend an zwei Umwand- lungen. Die eine bezieht sich auf die Wärme und findet sehr allgemein in einem wie im anderen »ßinne statt Die andere Umwandlung erfolgt in unserem Auge und ist sehr wahrscheinlich chemischer Natur. Die auf solche Wdse ei^ennbare strahlende Energie bezeichnen wir als Ldcht Mit Hilfe der auf diesen Umwandlungen beruhenden Apparate sind folgende Eigenschaften der strahlenden En^gie nachgewiesen worden.

Die Bewegung der strahlenden Energie durch den Raum erfolgt nidit augenblicklich, sondern sie besitzt eine endliche, wenn auch sehr grosse Geschwindigkeit Im leeren Räume beträgt diese 3 X 10^^ cm in der Sekunde. Durch andere Mittel als den leeren Raum geht die strahlende Energie nicht ohne teilweise Umwandlung, meist in Wärme, zu eiieiden. Doch ist in vielen Fällen die Umwandlung so unbeträcht- lich^ dass man die Strahlung über sehr lange Wege verfolgen kann. Es erweist sich, dass in solchen Mitteln ihre Geschwindigkeit immer geringer ist^ als im leeren Räume.

Infolge dieser Verschiedenheiten verbreitet sich die strahlende Energie geradlinig nur in Gebieten, wo sie gleiche Geschwindigkeit hat; in anderen wird die Verbreitung geändert. Die geometrischen Gesetze dieser Vorgänge behandelt die Optik; sie sollen hier nicht erörtert werden.

Eine zweite sehr wichtige Eigenschaft der strahlenden Energie ist ihr periodischer Charakter. Die Vorgänge an einem Punkte, der in einem Räume, durch welchen sich strahlende Energie bewegt, diese auf- nimmt und umwandelt, ändern sich in regelmässigen Zeiten, die ausser- ordentlich kurz sind; ebenso erfolgen an nebeneinanderiiegenden Punk- ten dnes solchen Raumes in einem bestimmten Augenblicke nicht die Reichen Vorgänge, sondern sie ändern sich auf sehr kurze Strecken in regelmässiger Wiederkehr. Man schreibt daher der strahlenden Energie die Eigenschaft einer Wellen- oder Schwingungsbewegung zu. Wenn man nur das Nötige ohne hypothetischen Zusatz angeben wiU, so wird man zunächst nur sagen, dass die Eigenschaften der strahlen- den Energie, d. h. ihre Umwandlungsfähigkeit in andere Formen sidi periodisch im Räume und in der Zeit ändern; die Raumperiode nennt man die Wellenlänge, die Zeitperiode die Schwingungsdauer der Strahlung. Erstwe bedeutet die Strecken, die zweite die Zeiten, nach denen bestimmte Eigenschaften der Strahlung wiederkehren.

Die Erfahrung ergiebt, dass diese Zeiten und Strecken sich von Fall zu Fall verschieden erweisen. Mit diesen Verschiedenheiten ändert sich auch in verschiedenen Mitteln die Fortpflanzungsgeschwindigkeit, und zwar ih

Ostwald , GrandrUs. 8. Aufl. 31

482 X* Photochexnie.

wechselnden Verhältnissen; im leeren Räume ist sie von der Wdlen- länge unabhängig. Zwischen den drei Grössen , der Wellenlänge I, der Schwingongsdauer X und der Geschwindigkeit v besteht die not- wendige Beziehung ys = l. Reziprok der Schwingangsdaner oder Pe- riode s ist die Schwingongszahl n = ; sie bedeutet die Zahl der Pe-

rioden in emer Sekunde.

Für die Wellenlängen der als Licht sichtbaren Strahlung sind die wichtigsten Zahlen bereits früher (S. 132) angegeben worden; sie be- wegen sich zwischen 40 und 70 X 10~^ cm. Die Grenzen der be- kannten Wellenlängen sind diese nicht; nach den kürzeren Wellen ist man bis etwa 10 X 10"* cm hinaufgekommen; fiir die langen WeDen lässt sich zur Zeit keine Grenze angeben.

Für mittleres (grünes) Licht von 5 X 10""^ cm Wellenlänge ergiebt sich die Schwingungsdauer 8 = 5 X lO-^/s x 10io= 1-67 X lO-^^Sek, und die Zahl von 0-6 X 10^^ Schwingungen in der Sekunde*

Die Bedeutung der strahlenden Energie fUr den Gregenstand dieses Werkes liegt in der wechselseitigen Umwandlung zwischen ihr und der chemischen Energie. Eine Betrachtung der von den leben- den Organismen verbrauchten wie der fiir technische Zwecke verwert- baren Energie zeigt^ dass die chemische Energie von allen in Betracht kommenden Arten die wichtigste ist. Die weitere Untersuchung der Herkunft dieser Energie ergiebt^ dass sie aus der Sonne stammt, von der sie in Gestalt von Strahlung auf die Erde gelangt Hier geht sie zum grössten Teile in Wärme, und mittelbar in mechanische Energie der meteorologischen Vorgänge über, die sich in bewegten Luft- und Wassermassen zur Geltung bringt. Ein zweiter Anteil der zugestrahlten Energie nimmt aber die Dauerform der chemischen Energie unter der Mitwirkung der Pflanzen an.

Durch die Einwu'kung der Sonnenstrahlen findet in den Pflanzen eine Keihe von chemischen Vorgängen statt, deren E^zdhdten uns grösstenteils noch unbekannt sind, deren Endergebnis aber die Spaltung des Kohlendioxyds der Luft in Sauerstoff, welcher entweicht, und in kohlenstoffhaltige Verbindungen, namentlich Stärke, welche zurückbleiben, ist. Da die Verbrennungswärme der Stärke zu Kohlensäure und Wasser 17«24 J für jedes Gramm beträgt, so ist dieselbe Energiemenge erforder- lich, um aus den der Pflanze zugänglichen Stoffen, Kohlendioxyd und Wasser, Stärke zu bilden. Diese Energie wird ausschliesslich als Strah- lungsenergie von der Sonne geliefert, denn die Pflanzen vermögen nur im Sonnenlicht die Reduktion der Kohlensäure auszufuhren.

Man übersieht alsbald, wie dieser Vorgang die Energie in weit brauch- barerer Form liefert, als die meteorologischen Vorgänge, und in der That ist der Anteil, welchen die letzteren im Betrieb von Wind- und Wassermühlen liefern, sehr klein im Verhältnis zu dem, welcher durch die Lebensthätigkeit der Pflanzen aufgespeichert wird. Alles Brennmaterial der Technik hat diesen

Die strahlende Energie. 4g 3

Ursprung. Und der menschliche und tierische Organismus kann seinen Energiebedarf überhaupt nicht anders decken, als auf Kosten der von den Pflanzen gesammelten Energie.

Eine zweite, sehr wi^tige Eigentümlichkeit der strahlenden Energie ist die^ dass sie sich mit äusserster Feinheit räumlich verteilen lässt. In auf&Ilendem Gegensatze zu der an den Stoffen haftenden Wärme^ welche einem beständigen Vermischungs- oder Diffdsionsvorgang unter- worfen ist, bleiben die räumlichen Verschiedenheiten der strahlenden Energie auf das genaueste erhalten, auch nachdem sie sich Millionen von Meilen durch den Raum bewegt hat.

Yen dieser Eigenschaft hängt zunächst die Fähigkeit des Sehens ab, die Fähigkeit, welche uns nach Herschels Ausdruck mehr als jede andere die Eigenschaft der Allgegenwart verleiht. Die zahllosen feinen und feinsten Unterschiede, mit welchen die strahlende Energie die Objekte verlässt, erzeugen auf der Netzhaut des Auges entsprechend abgestufte chemische Vorgänge, die uns ein treueres und vollständigeres Bild der Aussenwelt vermitteln, als jeder andere Sinn. Auch eine technische Bedeutung hat diese Eigenschaft der strahlenden Energie gewonnen; in der Photographie werden Vorgänge von ganz vergleichbarer Beschaffenheit auf der lichtempfindlichen Platte hervor- gerufen, welche eine dauernde Aufbewahrung augenblicklicher Zustände und Erscheinungen ermöglichen.

So entwickelt sich denn audi die wissenschaftliche Photochemie wie die Thermochemie an den beiden Problemen, dem physiologischen und dem technischen, und zwar fallen beide Anfange in nicht sehr weit ent- legene Zeiten zurück. Von Priestley ist 1772 die Beobachtung gemacht worden, dass grüne Pflanzen im Sonnenlicht die durch Atmen verdorbene Luft verbessern: Senebier und Ingenhouss erkannten darauf, dass der Vorgang in einer Zersetzung der Kohlensäure und Abscheidung von Sauerstoff bestehe. Die wichtige Rolle, welche dieser Prozess im Natur- haushalt spielt, wurde indessen erst von Liebig (1840) und J. R. Mayer (1842) genügend erkannt.

Die ältesten Beobachtungen über Lichtbilder mit Hilfe von Chlor- siiber rühren von J. H. Schnitze (1727) her, indessen blieben sie ver- einzelt. Die Fähigkeit verschiedener Lichtstrahlen, verschiedene Wu'kung auf diesen lichtempfindlichen Stoff auszuüben, wurde von Scheele (1777) erkannt, welcher zuerst das Spektrum photographierte; Ritter entdeckte (1801), dass die chemische Wirkung sogar über das sichtbare Spektrum hinaus sich erstreckt. Wollaston hat dann die Schwärzung des Chlor- silbers zum Kopieren von Silhouetten benutzt. Die eigentliche Photo- graphie nimmt ihren Ausgang von Daguerre (1838), welcher die Ent- w.iekelung der Lichtbilder entdeckte, auf welcher die Möglichkeit, die Bilder der Camera obscura festzuhalten, und photographische Auihahmen in kürzester Zeit auszufiihren, beruht. Dieselbe besteht darin, dass äussei*st schwache chemische Lichtwirkungen, welche für sich keine sicht-

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484 ^* PhötOGhemie.

bare Veräaderang d^ Uehti^pfindHcheii Fläche herrorgenifen hatei, durch passende Behandlung sichtbar gemacht und so in ein Bild übo-- ge^rt werden können. Wiewohl die Mittel später wesentlich ando« geworden sind, ist das Prinzip dasselbe gebli^en.

Zweites Kapitel. Emission und Absorption.

Wiewohl die gegenseitigen Umwandlungen zwischen chemischer und strahlender Energie den wesentlichsten Teil der hier vorzunehmen- den Erörterungen zu bilden haben, sind einige von den anderen möglichen Umwandlungen^ wenigstens in ihren wesentlichsten Zügen zu schildern^ da sie für chemische Verhältnisse gleichfalls in Betracht kommen.

Am leichtesten erhält man strahlende Energie aus Wärme, und es ist eine allgememe Thatsache, dass ein warmer Körper beständig in einer von seiner Oberfläche, seiner Temperatur und der Beschaffenheit des um-j gebenden Raumes abhängigen Weise strahlende Energie verliert Diese! Beziehung ist so allgemein, dass man die strahlende Energie früher strahlende Wärme genannt hat Da indessen diese Energieform keine von den besonderen Eigenschaften der Wärme besitzt, und ihre Ent- stehung auch nicht ausschliesslich an die Wärme gebunden ist^ so ist dieser Name als einseitig und daher irreftlhrend zu verlassen.

Bringt man in einen Raum Körper verschiedener Temperatur, so brauchen sie nicht in unmittelbarer Berührung zu stehen, damit ihre Temperatur schliesslich gleich wird; dies wird auch durch ihren Energie- verkehr mittels Strahlung bewirkt. Daraus geht eine bestimmte, sehr wichtige Beziehung hervor, welche von Kirchhoff (1859) aufgestellt wor- den ist Denkt man sich der Einfachheit wegen zwei gleich grosse Flächen verschiedener Temperatur und verschiedener Beschaffenheit so gegeneinander gestellt, dass sie ihre Strahlung nur gegeneinander senden können, so wird zunächst ein Austausch der Energie eintreten, und sdiliesslich wird die Temperatur beider Körper gleich geworden sein. Dies folgt notwendig aus dem zweiten Hauptsatze, denn was auf eine Art, durch Strahlung, im Temperaturgleichgewicht ist, muss auf jede andere Art, also auch bei unmittelbarer Berührung im Temperatar- gleichgewicht sein.

In diesem Gleichgewichtszustande ist nun die gegenseitige Strahlung von der Beschaffenheit, dass jede Fläche durch die Au&ahme der Strahlen der anderen ebenso viel gewinnt, als sie selbst durch Strahlung vertiert. Nennen wir die in der Sekunde von* der ersten Fläche ausgestrahlte Energiemenge oder deren Emissionskoeffidenten A, so wird diese nor zum Teil von der zweiten Fläche aufgenommen werden; wir nennen diesen Bruchteil bA, wo b der Absorptionskoeffizient der zweiten

Emission und Absorption. 4g 5

Fläche ißt; der Teil (1 b)A gelangt an die erste Fläche zurück, und wird von dieser aufgenommen. Die erste Fläche verliert also die Menge b A. Femer strahlt die zweite Fläche der ersten die Menge B zu, von der der Teil aB aufgenommen wird, den die zweite Fläche thatsächlich verliert; der Best kehrt zu ihr zurück. Der gesamte Energieverlust der ersten Fläche ist also bA aB, der der zweiten aB bA. Nun müssen beim Gleichgewichte, d. h. bei gleicher Temperatur die beiden Verluste Null sein, und es folgt somit die Gleichung- bA= aB oder A/a=:B/b, d. h. das Verhältnis zwischen den Koe£6zienten der Ab- sorption und Emission ist bei allen Stoffen dasselbe, wenn ihre Tempe- ratur gleich ist.

Da die Gleichheit der durch Strahlung erreichten Temperaturen auch bestehen bleibt, wenn man an Stelle der betrachteten einfachen Verhältnisse beliebige andere setzt, so folgt, dass der eben ausgesprochene Satz für Flächen aller Art, und ebenso für Strahlen aller Art gelten mus& Insbesondere ist es ausgeschlossen, dass etwa nur die Gesamtabsorption und Emission proportional sein sollten; das Verhältnis muss vielmehr ftlr jede emzehie Strahlenart (die durch ihre Periode und eventuell auch ihre Schwhigungsebene gekennzeichnet ist) dasselbe sein.

Hat also ein Körper die Eigenschaft, irgend welche besonderen Strahlen reichlich auszusenden, so hat er auch notwendig die Eigenschaft, ebendiese Strahlen in demselben reichlichen Verhältnisse aus anderen auf- zunehmen. Umgekehrt würde eine Fläche, die alle auf sie fallenden Strahlen zurückwirft, ausser stände sein, ihrerseits Strahlen auszusenden. Wir können uns als Grenzfall einen Körper denken, der alle auf ihn fällenden Strahlen aufnimmt, ohne einen Anteil davon zurückzusenden. Für einen solchen würde der Absorptionskoeffizient den Wert Eins an- nehmen. Sei dies der erste Körper; dann würde a=l und S = B/b sein, wo S den Emissionskoeffizienten in diesem besonderen Falle be- zeichnet Wir nennen einen solchen Körper einen schwarzen; die Gleichung sagt, dass die Emission eines bestimmten Körpers B immer kleiner sein muss, als die eines schwarzen, und zwar im Verhältnis seines Absorptionskoeffizienten b. Man erhält loit anderen Worten die Strahlung eines bestimmten Körpers, wenn man die eines schwarzen mit dem Ab- sorptionskoeffizienten des Körpers multipliziert

Die Strahlung eines schwarzen Körpers ist somit eine äusserst wichtige Fundamentalgrösse. Sie ist von der Temperatur abhängig, und zwar wächst sie proportional der vierten Potenz der absoluten Temperatur (Stefan 1879, Boltzmann 1884). Die von einem Quadrat- zentimeter in der Sekunde ausgestrahlte Energiemenge wird in absoluten Einheiten durch den Ausdruck S = 5-32 X 10"* T* Erg dargestellt Da ein schwarzer Körper in dem hier definierten Sinne nur eine Ab- straktion ist, so entsteht die Frage, wie ein solcher experimentell herzu- stellen ist. Die Antwort ergiebt sich dahin, dass eine kleine öfinung in einem Baume, dessen Wände von beliebigem Material bei der be^

486 ^- Photochemie.

stiminteii Temperatur gebildet werden, wie eine sdiwarze Fläche von der Grösse der Ofihung wirkt. Der Beweis dafür beniht anf der Be- trachtung, dass eine in einen solchen Raum eindringende Strahlong in- folge der vielen Reflexionen an den teilweise absorbirenden Wänden schliesslich vollständig absorbirt werden wird, ehe ein Anteil dordi die öfihong wieder einen Ausweg findet. Ein solcher Raum hat also d^ Absorptionskoeffizienten Eins, folglich hat er die Emission einer schwarzoi Flädie (Kirchhofl' 1859).

Ausser dem Betrage der Gesamtstrahlung ist auch noch der der einzelnen Perioden eine allgememe Temperaturfunktion. Die Untersuchungen hier- über haben gleichfalls in letzter Zeit ein allgemeines Resultat ergeben^ doch muss von einem Eingehen darauf hier abgesehen werden.

Eine wichtige Beziehung zwischen der strahlenden Energie und den Eigenschaften materieller Stoffe liegt nun darin, dass ihre Entstehung und Umwandlung an diesen in Bezug auf die Periode gesetzmässig g^egelt ist In vielen FMen wird nur Strahlung von bestimmten Perioden ^t- wickelt, bez. umgewandelt, und diese Thatsache lässt auf periodisdie Eigentümlichkeiten der betreffenden Stoffe schliessen. Umgekehrt wird die Abwesenheit emer solchen spezifischen Emission oder Absorption dar- auf schliessen lassen, dass solche periodische Eigenschaften nicht vor- banden sind, oder, was hier dasselbe bedeutet, dass die in Frage kommenden Eigenschaftien alle möglichen Perioden innerhalb der vor- handenen Grenzen besitzt

Durch die unmittelbare Beziehung zwischen Emission und Absorption ist ein zweifaches Yerfiüiren ftlr die Bestimmung dieser Perioden gegeben: man untersucht entweder die Strahlung, die der betreffende Stoff aus- sendet, auf ihre Perioden, oder man sendet eine Strahlung, die alle möglichen Perioden enthält, durch den Stoff, und ermittelt, welche Perio- den absorbiert werden. Beide Verfahren sind in Gebrauch; in den Fallen, wo beide unter gleichen Bedingungen auf denselben Stoff haben angewendet werden können, haben sie übereinstimmende Ergebnisse geliefert

Am einfachsten haben sich die Verhaltnisse bei den Gasen gezdgt Gase, die durch hohe Temperatur oder auf andere Weise (z. B. durch elektrische Entiadungen) zum Leuchten gebracht werden, senden Strahlen von ganz bestimmter Periode aus, die von ihrer chemischen Natur ab- hängen, von der Temperatur aber in weitesten Grenzen unabhängig sind (Bunsen und Eirchhoff 1859). Die Perioden dieser Strahlnngen sind allerdings nicht auf eine einzige ftir jeden Stoff beschränkt; viel- mdu* ist die Zahl der zu einem Stoff gehörenden Perioden, wenn man die Untersuchung in einem hinreichend weiten Temperaturum&nge durdi- ftihrt, ausserordentlich gross; sie sind aber vereinzelt über weite Gebiete der vorkommenden Perioden gelagert, und alle dazwischen möglichen Perioden treten nicht auf.

Um diese nebeneinander sichtbar zu machen, bedient man sich der Dispersion durch ein Prisma von Glas oder einem anderen durchsichtigen

Emission und Absorption. 4g7

Stoffe, oder durch Beugung an einem Gitter. Bringt man die zu untersuchende Lichtquelle vor einen schmalen Spalt, der im Brennpunkt einer Sammellinse steht, so erhält man ein paralleles Lichtbündel, das man durch das Prisma treten lässt. In diesem wird das Licht je nach seiner Periode verschieden stark abgelenkt, und betrachtet man das Lichtbündel durch ein auf Unendlich eingestelltes Femrohr, so sieht man an Stelle des einfachen Bildes des Spaltes soviel verschiedene nebeneinander liegende Bilder, als verschiedene Licht- arten in der Lichtquelle vorhanden sind. Das Licht glühender fester und flüssiger Körper ist gewöhnlich homogen, d. h. es sind darin alle Perioden vorhanden» Das Bild erscheint dann als ein stetiges Lichtband, in welchem alle Farben von rot bis violett vorhanden sind und stetig ineinander übergehen. Sind dagegen nur einzelne Perioden vertreten, so erscheint an Stelle des ununterbrochenen Bandes eine Reihe von scharfbegrenzten Linien, von der optischen Breite des Spaltes. Derartige Lichtbilder, in denen die Lichtarten nach der Periode nebeneinander geordnet sind, nennt man Spektren, und die zu ihrer Erzeugung dienenden Apparate Spektralapparate.

Während bei einem durch Zerstreuung in einem Prisma erzeugten Spektrum kein einfacher Zusammenhang zwischen der Periode und der Ab- lenkung des Strahls vorhanden ist, besteht ein solcher bei den Spektren, die durch Beugung an Gittern entstehen. Indem wegen der Entstehung solcher Spektren auf die Lehrbücher der Physik verwiesen wird, sei hier nur das Ergebnis angeführt, dass in ihnen der Ablenkungswinkel der Wellenlänge des abgelenkten Lichtes proportional ist. Infolgedessen werden durch Beu- gung theoretisch einfachere Spektren erhalten. Gleichzeitig gewinnt man auf diesem Wege eine weit bedeutendere Dispersion der verschiedenen Strahlen, so dass die Beugungsgitter eine viel weitergehende Analyse des Lichtes ermöglichen, als Prismenapparate. Indem man die Bilderzeugung und die Dispersion durch Anwendung eines auf einem Hohlspiegel von grossem Kadius befindlichen Gitters in einen Apparat vereinigt, erhält man den voll- kommensten Spektralapparat, über den die Wissenschaft gegenwärtig verfügt. Um die Spektren leuchtender Gase und Dämpfe zu erhalten, erhitztman diese auf passende Weise, und untersucht ihr Licht mittels eines Spektralapparates. Die einfachste Art der Erhitzung ist die in der fast lichtlosen Flamme eines Bunsenbrenners, in die man die Stoffe bringt, welche durch Verdampfung oder Umsetzung die gewünschten Gase liefern. Indessen ist die Temperatur dieser Flamme nicht so hoch, dass darin alle Gase zum Leuchten kommen. Um höhere Temperaturen zu erzielen, bedient man sich der elektrischen Ent- ladung. Man lässt einen Lichtbogen zwischen zwei Eohlepolen zu stände kommen, und bringt an die positive Kohle, welche die heissere ist, die zu verdampfenden Stoffe. Dies geschieht am einfachsten, indem man diese Kohle in Gestalt einer Bohre anwendet, deren Höhlung mit dem Stoffe ausgefüllt ist; auch kann man, wenn es sich nur um kurze Dauer handelt, den Stoff in die kraterförmige Vertiefung bringen, die sich an der positiven Kohle ausbildet. Noch höhere Temperaturen entstehen, wenn man die elektrischen Funken zwischen Elektroden überspringen lässt, welche aus den betreffenden Stoffen

488 ^' Fhotocheiiiie.

bestehen, oder sie enthalten. Sind die Stoffe bei gewöhnlicher Tempermlar bereits gasförmig, so lungiebt man die Elektroden mit dem Gase.

In allen diesen F&llen erhält man neben dem Spektrum des zu unter- suchenden Stoffes das aller anderen anwesenden Stoffe. Man muss daher eine Untersuchung über letztere vorangehen lassen, um die Zugehörigkeit der Terschiedenen Linien zu kennen. Hierbei treten oft grosse Schwierig- keiten auf, indem Verunreinigungen, die in sehr geringen Meng^i vorhandea sind, zuweilen sehr starke Spektralerscheinnngen geben, ohne daas man ihrer Anwesenheit auf anderem Wege gewahr geworden ist

Die allgemeinen Gesetze, welche für die Spektra der versdueden^i Stoffe bisher geftinden worden sind^ lassen sieh folgendennassen zusammenfassen.

Ein bestimmtes Spektrum gehört immer einem bestimmten Stoffe an, nie haben verschiedenne Stoffe gleiche Spektren.

Das Umgekehrte lässt sieh anscheinend nicht aussprechen, denn es sind zahhreiche FSHe nachgewiesen worden, in denen derselbe Stoff ver- schiedene Spektren zeigt Früher hat man diese Untersdiiede so auf- zuessen versucht, dass die verschiedenen Spektren besonderen Molekular- zuständen der Stoffe angehörten. Indessen ist eine solche Auflassong nicht durchzuführen ; denn mehrere Stoffe, die man nur in einem Zu- stande kennt, geben verschiedene Spektren. Das auffälligste Bei^iel ist das Argon, das nach den gegenwärtigen Kenntnissen als ein dnatomiges Gas aufgefasst werden muss, überhaupt keine bekannten Verbindungen bildet, und das dennoch mindestens drei wesentlich verschiedene Spek- tren zeigt

Die Ursache der Ausbildung der verschiedenen Spektren scheint ganz wesentlich die Verschiedenheit der Temperatur zu sein. Doch gehören sehr grosse Unterschiede derselben dazu, um die Änd^img zu bewu'ken.

Verbindungen haben Spektren, die von denen ihrer Ele- mente verschieden sind.

Während die Spektren verschiedener Stoffe, welche gleichzeitig nebeneinander entstehen, voneinander ganz unabhängig, also voUkommen additiv smd (hierauf beruht der grosse analytische Wert der Spektral- erscheinungen, da keine vorgängige Trennung der Stoffe erforderlich ist), so sind Beziehungen zwischen den Spektren der Elemente und ihrer Verbindungen nicht sicher bekannt. Es mag dies zum Teil daher rühren, dass überhaupt die Zuschreibung von Verbindungssp^tren zu bestimmten Stoffen eine sdiwierige Sache ist, da über die Natur der bei hohen Temperaturen aus gegebenen Elementen entstehenden Verbindungen sich nur wenig mit einiger Sicherheit sagen lässt

Bei den Absorptionsspektren zusammengesetzterer St<^e sind Zusammenhänge zwisciien der Natur der Verbindung und dem Spektmm vorhanden, wie weiter unten gezeigt werden soll.

Die verschiedenen Linien desselben Spektrums stehen zu einander in einem gesetzmässigen Zusammenhange.

J

Einission und Absorption. 499

Die allgemdne Form dieses Zusammenhanges ist noch nicht mit Sieh^eit festgestellt In einzelnen fllien gilt die Beziehung n sxs A B/m'» ^wo n die Sdiwingungszahl der Linien ist; A und B Konstanten dar- stellen und für m die Reihe der ganzen Zahlen gesetzt wird. Beim Wasserstoff ist diese Beziehung mit ausgezeidmeter AnnSfaerung erföUt; bei d^i anderen Elementen muss meist noch ein Glied mit G/m^ hinzu- genommen werden. Auch zerfiülen hier die Linien eines und desselben Spektrums in verschiedene sdche Reihen^ in denen die Konstanten ver- schiedene Werte haben.

Ähnliche Elemente zeigen einen ähnlichen Bau des Spektrums.

Eine Ähnlichkeit in den Spektren der Alkalimetalle ist bereits den ersten Beobachtern aui'gefallen, da schon die wenigen Linien in der Bnnsenflamme einen analogen Bau zeigen, derart, dass die entsprechen- den Linien bei Kalium, Rubidium und Cäsium eine um so langsamere Schwingung zeigen, je grösser das Verbindungsgewicht des Elements ist. Auch die viel reicheren Spektren derselben Elemente im elektrischen Lichtbogen haben ähnliche Beziehungen für die Konstanten der oben erwähnten Reihen ergeben. Ebenso sind derartige Analogieen für die zweiwertigen Elemente der Magnesiumreihe gefunden worden.

Die Beziehung zwischen Emission und Absorption hat sich bei Gasen am genauesten kontrollieren lassen. Sie führt zu der Erscheinung der Umkehrung der Linien. Wird durch die vorhandenen Um- stände die Bildung eines ununterbrochenen Spektrums bei Gegenwart der betreffenden Gase befördert, so erscheint an Stelle der hellen Linie des leuchtenden Gases eine dunkle. Dies tritt ein, wenn das stetige Gesamtspektrum an Lichtstärke erheblich kräftiger wird als die betreffende Einzelstrahlung. Muss dann dies Licht durch eine Schicht des Gases gehen, so verliert es durch Absorption diese Strahlen, und die von dem Gase ausgehende Strahlung erscheint wegen ihrer geringen Stärke als Dunkel- heit auf dem hellen Grunde des stetigen Spektrums. Im allgemeinen kehren sich die hellsten Linien am leichtesten um^ da sie die Stellen stärkster Absorption darstellen.

Verbindungen können meist nicht unverändert durch Erhitzen zum Leuchten gebracht werden. Man ist daher bei ihnen meist auf die Absorptionserscheinungen angewiesen. Während hier für Gase nicht viel bekannt ist, sind flüssige und gelöste Verbindungen in ziemlich weitem Umfange untersucht worden.

Die Absorptionsspektra flüssiger oder gelöster Stoffe unterscheiden sich wesentlich von denen bei Gasen durch den Umstand^ dass niemals Sidiarf begrenzte Linien auftreten, die der Absorption eines ganz engen Gebietes entsprechen. Hier sind vielmehr die Absorptionen immer über ein mehr oder weniger weites Gebiet verbreitet, so dass man nicht mehir von Linien reden darf; es treten Absorptionsbanden auf.

490 ^* Photochemie.

Wegen des besonderen Interesses an den Absorptionen im sicht- baren Grebiete, welche zn der Erscheinung der farbigen Stoffe fuhren, sind diese besonders emgehend untersucht worden. Dadurch sind unsere Kenntnisse über diesen Gegenstand einigermassen einseitig geblieben, und dies macht sich in dem Mangel allgemeiner Gesetze fühlbar. Allgemein kann man nur sagen, dass es sich hier um eine vorwiegend konstitutlre Eigenschaft handelt Von den zahheichen organischen Yerbindungffl sind die einfachsten Abkömmlinge der gesättigten Kohlenwasserstoffe fdr die mdsten Strahlen durchlässig, und bestimmte Absorptionen treten erst ein, wenn besondere Konstitutionsvezhältnisse dazutreten. So ist ein Gehalt an Stickstoff und das Vorhandensein von Doppelbindungen gfinstig für das Auftreten von Absorption; noch mehr sind die verschiedenen Gruppen der sogenannten cyklischen Verbindungen die Bildui^s- stätte absorbierender Stoffe. Diese zeigen in den einfacher^i Faüen meist die Absorption im Ultravioletten, und es bedarf besonderer Ver- hältnisse, dass sie in das sichtbare Gebiet hinüberwandert

Innerhalb nahverwandter Gruppen lassen sich auch einige besondere Beziehungen erkennen, insofern gewisse Stoffe beim Eintritte in eme farbige Verbindung die Absorption in bestimmtem Sinne verschieben. So drängen Methyl oder Kohlenwasserstoffi^adikale, im aUgemeinen ebenso Halogene den Streifen nach der Seite der längeren Wellen, während Amid und auch oft die Nitrogruppe sie nach den kürzeren Wellen ver- schiebt Die Beträge dieser Änderungen sind gleichfalls mit der Kon- stitution veränderhch. Daraus haben sich für die Technik gewisse Regeln ergeben, nach denen aus gegebenen Farbstoffen andere von ge- wünschtem Tone erzeugt werden können.

Ein Beispiel für diese Verhältnisse bieten die Abkömmlinge des Fluores- celns. Dieses hat einen Absorptionsstreifen im Blau und sieht deshalb (in der ßurchsicht) gelb aus. Durch den Eintritt von Chlor, Brom oder Jod ver- schiebt sich der Streifen nach dem Grünen zu, und zwar in der angegebenen Reihenfolge stärker. Der Stoff erscheint dadurch rot, und zwar um so mehr purpurrot, je weiter der Streifen nach den langen Wellen vorrückt Dieser Einfluss der Halogene ist wieder verschieden, je nachdem die Substitution im Fhtalsäurerest oder im Resorcinrest erfolgt; im ersten Falle ist er kleiner.

Femer geht der im Grünen liegende Absorptionsstreifen des Rosanilins nach dem Orange und Gelb weiter, wenn man Methyl oder Phenyl einfuhrt, und die entsprechenden Abkömmlinge des Rosanilins sind violett und blau gefärbt.

Nur in einem Falle lässt sich trotz erheblicher Änderungen eines Bestandteils gar keine Änderung in der Farbe nachweisen: bei den ver- dünnten Lösungen der Salze. Eine dahin gerichtete Untersuchung (Ostwald 1892) hat gezeigt, dass z. B. die fünf recht scharfen Absorptions- streifen in den Lösungen der Permanganate ganz dieselbe Stelle be- halten, welches Salz der Übermangansaure man auch untersuchen mag. Die Erklärung hierfür liegt wieder in der unabhängigen Existenz der

Emission und Absorption. 491

Ionen, welche in der UnabhSngigkeit ihrer Eigenschaften von denen der aonderen Ionen zum Ausdrucke kommt Bei der grossen Empfindlich- keit der Lichtabsorption gegen konstitutive Einflüsse ist dieser Nachweis ein guter Beleg fQr die Lehre von der unabhängigen Existenz der Ionen.

Die nicht ionisierten Salze haben oft eine andere Farbe, als ihre Ionen. So ist Kupferchlorid im wasserfreien Zustande gelbbraun, Eupferbromid schwarzYiolett, während beide in yerdünnter Lösung die grünblaue Farbe der Eupferionen zeigen. Indessen muss beachtet werden, dass zwar im allgemeinen eine Ver- schiedenheit in beiden Fällen zu erwarten ist, dass sie aber nicht notwendig vorhanden zu sein braucht In den komplexen Salzen des dreiwertigen Chroms haben wir Verbindungen, welche trotz konstitutiver Verschiedenheiten der Zusammensetzung doch im grossen und ganzen die gleiche Absorption zeigen. Welches die konstitutiven Umstände sind, unter denen eine solche geringe Beeinflussung der Lichtabsorption eintritt, ist noch nicht ausgemacht.

Dbs Gebiet der Absorptionserscheinungen hat sich in neuerer Zeit sehr dadurch ausgedehnt, dass auch die elektromagnetische Strahlung einbezogen werden muss.

Wenn elektrische Schwingungen in einem Leiter erfolgen, so tritt aus diesem Energie in den umgebenden Eaum^ welche dieselben Eigenschaften^ insbesondere dieselbe Verbreitungsgeschwindigkeit besitzt, wie die gewöhnliche strahlende Energie. Triflt diese Strahlung auf elektrische Leiter^ so wird sie aufgenommen^ indem wieder elektrische Ströme entstehen^ welche gemäss dem Jouleschen Gesetz nach Massgabe der Leitfähigkeit des aufnehmenden Körpers ihre Energie in Wärme verwandehi. Die Untersuchung dieser Erscheinungen hat gezeigt, dass sich alle wesentlichen Eigenschaften der strahlenden Energie an ihnen nachweisen lassen. Daraus hat sich die Vorstellung entwickelt, dass auch die letztere ihrem Wesen nach eine elektromagnetische Schwingung sei, nnd die hierauf gebaute elektromagnetische Theorie des Lichtes hat sich im wesentlichen im stände gezeigt^ die Thatsachen mit genügender Annäherung darzustellen. Doch muss auch hier betont werden, dafls die aus elektromagnetischen Schwingungen erhaltene Energie, solange sie sich im strahlenden Zustande befindet, keine elektrischen oder magnetischen Eigenschaften besitzt Sie lässt sich nur wieder in elektromagnetische Energie zurückverwandeln, wenn man sie durch passende Leiter auf- fängt, in denen elektromagnetische Schwingungen von gleicher Periode «tattfinden können. Für das licht ist wegen der Kleinheit der Wellen diese Art der Umwandlung noch nicht nachzuweisen gewesen.

Durch den Anschluss der elektromagnetischen Strahlen wird das Gebiet der strahlenden Energie ausserordentlich vergrössert, da auf diese Weise Wellenlängen von jeder beliebigen Grösse erzeugt werden können. Für die Absorption dieser elektromagnetisch erzeugten strahlenden Energie durch verschiedene Verbindungen haben sich ähnliche konstitutive Be- ziehungen ergeben, wie sie im Gebiete des sichtbaren Lichtes beobachtet worden sind (Drude 1897). Von der Mitteilung der Einzelheiten muss

492 X. Photochemie.

bis auf die Unt^^nchung eines ansged^mteren Mat^ate abges^ea w^en; nur sei erwähnt, dass insbesondere Hydroxylverbindungen die Fähigkeit zur Absorption von Strahlen von 10 bis 20 cm Wellenlänge gezdgi haben.

Was die allgemeine Bedeutung der Emissions- und Absorptions- erschdnungen anlangt, so liegt sie darin^ dass durdi sie das Vorhanden* sein periodischer Vorgänge in den strahlend^ bez. absorbierenden Stoffen erkennbar gemacht wird; diese Perioden müssen mit denen dar betr^enden Strahlung entweder identisch sein^ oder doch za ihnen in einem multiplen Verhältnisse stehen. Wdcher Art diese Ersehdnungen sind^ ist noch unbekannt In früherer Zeit, wo man das Licht als die Schwingung eines hypothetischen elastischen Mittels; des sog^iannt^ Äthers ansah, fasste man sie als die Schwingung der Atome auf; ^b^ entstand die Schwierigkeit, dass einerseits diese Periode von der Tempe- ratur, also von der Amplitude der Schwingung, in weitestem Masse un- abhängig war, andererseits die, dass die verschiedenen Strahlen desselben Spektrums sich untereinander verhalten müssten, wie die Obertöne dnes sdiwingenden Körpers, was sich mit der Erfahrung nicht vereimgen liess. Gegenwärtig sieht man in dem Lichte meist eine elektromagnetische Schwingung, und hat in den absorbierenden Stoffen entsprech^ide elek- trische Vorige anzun^men. Die Versuche, dne solche Theorie zu entwickeln, haben noch nicht zu Ergebnissen allgemeiner Beschaffenheit geführt, und der hier eröffiaete Bfick in den „inneren Bau der Mol^eh^ hat keine entzifferbaren Formen gewahren lass^.

Durch die Absorption wird die strahlende Energie in andere Formea umgewandelt. Dabei tritt vorwiegend Wärme auf; doch giebt es auch Fälle, wo andere Formen, insbesondere chemische Energie entstehen* Diese letzteren sollen uns besonders beschäftigen.

Umgekehrt wandelt sich chemische Energie gleichfalls häufig in strahlende um. Man darf hier nicht daran denken, dass in den meisten liSmpen (mit Ausnahme der elektrischen) chemische Vorgänge die Quelle der Lichtenergie liefern; hier handelt es sidi vorwiegend um s^iundäre Erscheinungen, Indem sich die chemische Energie erst in Wärme ver- wandelt, von der ein kleiner Teil durch Temperaturstrahlung in Licht übergeht. Wohl aber gehören solche Erscheinungen, wie das Leuchten des Phosphors, mancher Pilze (auf moderndem Holze und zuweilen auch auf Fleisch), der Johanniskäfer u. a. m. hierher. In dies^i FSäen handelt es sich nicht um das gewöhnliche Temperaturleuchten, da die leuchtenden Stoffe alle unter 50^ sind, sondern um eine unmittelbare Umwandlung chemischer Energie in strahlende^).

') Die gelegentlich ausgesprochene „Erklärung^'^ es könnten einzelne Molekeln ganz wohl die Qlühtemperatur haben, während die mittlere Tempe- ratur der Gesamtmasse niedrig ist, hat keinen experimentell nachweisbaren Inhalt, und daher keine wissenschaftliche Bedeutung.

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Die chemische Wirkung des Lichtes. 493

Demgemäss h&tte die Photodtemie odw die Lehre von den gegen- seitigen Umwandlangen der strahlende und der diemiscfaen Energie in zwei Abteüungen zu zerfallen, von denen die eine die Büdnng chemischer Energie ans strahlender, und die andere den entgegengesetzten Vorgang zu. behandeki hätte. Indessen ist nur der eiBte Teil dnigermassen ent- widsdt Für den zweiten sind nur einige Beobachtungen der eben er- wähnten Art vorhanden, und zu einer wissenschaftlidien B^andlung des Gebietes sind kaum die ersten Ansätze vorhanden. Wir werden uns daher ausschliesslich mit dem ersten Teile zu beschäftigen haben.

Drittes Kapitel. Die chemische Wirkong des Lichtes.

Die photochemischen Erscheinungen bestehen darin, dass sich die chemischen Verhältnisse in einem gegebenen Gebiete verändern, wenn strahlende Energie in dieses eintritt. Damit die letztere irgend eiae Wirkung äussern kann, muss sie sich in eine andere Form verwandelt haben, die Absorption ist also eine notwendige Voraussetzung aller photo- chemischen Wirkung.

Die Art der Veränderungen kann sehr verschieden sein. Aligemein wird man sagen, dass verschiedene Stoffe unter dem Einflüsse der Strah- lung andere chemische Eigenschaften annehmen, als sie sie ohnedies be- sitzen. Dadurch werden vorhandene Gleichgewichte verschoben werden, und es können Vorgänge eintreten, die ohne die Mitwirkung der Strah- lung nicht in nachweisbarer Menge stattfinden. Femer können vorhan- dene Vorgänge beschleunigt oder verzögert werden. Ob letzteres nur durch die Änderung der chemischen Eigenschaften im Sinne einer Ver- schiebung des chemischen Potentials bewirkt werden, oder ob die Strah- lung ausserdem katalytisch, d. h. von der Potentialänderung unabhängig beschleunigen kann, ist noch nicht ausgemacht, wenn es auch sehr wahrscheinlich ist.

Man wird also Lichtempfindlichkeit bei allen Stoffen zu erwarten haben, die absorbieren können, und es wird sich nur um verschiedene Grade dieser Eigenschaft von Stoff zu Stoff handeln können. In der That ist das Verzeichnis der Stoffe, die sich durch den Einfluss des Lichtes ändern, sehr gross und nimmt unaufhörlich zu.

Um sich eine Vorstellung davon zu machen, wie durch Strahlung der chemische Zustand öines Gebildes geändert werden kann, denken wir uns ver- schiedene absorbierende Stoffe in einen Raum von konstanter Temperatur ge- bracht. Dann werden diese gleiche Temperatur annehmen. Wird nun eine Strahlung in den Kaum gesendet, die von den Stoffen verschieden absorbiert wird, wobei die absorbierten Strahlen sich in Wärme verwandeln mögen, so

494 X. Phötochemie.

nehmen die Stoffe verschiedene Temperaturen an, die sich aus dem Yerhält- nis der Absorption der empfangenen Strahlen zur Emission bei den ent* standenen Temperaturen^) ergeben. Demgemftss werden sie sich auch gegen- einander nicht mehr so verhalten können, wie vorher im Dunkeln, sondern nehmen neue gegenseitige Beziehungen an.

Von den sehr vielen photochemischen Vorgängen sind nur wenige quantitativ untersucht worden. Am eingehendsten ist dies mit &n^ von BerthoUet entdeckten Keaktion geschehen, die in der Verbindung des ChlorknallgaseS; d. h. eines Gemisches aus gleichen Volumen C9ilor und Wasserstoff im Lichte besteht. Beide vereinigen sich unter dem Ein- flüsse der Strahlung zu Chlorwasserstoff. Lässt man starkes Licht auf eine grössere Menge des Gases wirken, so geschieht die Vereinigung nach einigen Augenblicken unter Explosion; mässigt man aber das Lidit, so findet die Bildung des Chlorwasserstoffs in regehnässiger und lang- samer Weise statt. Die letzteren Umstände sind es, unter denen man die Erscheinung zu messenden Versuchen benutzen kann.

Chlor und Wasserstoff verbinden sich auch im Dunkeln, wenn man ihre Temperatur genügend steigert, und zwar genügt die Steigerung an einer kleinen Stelle, z. B. durch einen elektrischen Funken dazu, um eine beliebig grosse Menge des Gases zur Explosion zu bringen. Dies rührt daher, dass durch denVorgang selbst eine grosse Menge Wärme entwickelt wird. Durch diese wird die Temperatur in der Umgebung der Stelle, wo die erste Verbindung stattfand, soweit gesteigert, dass auch dort die Verbindung eintritt, und so setzt sich der Vorgang über die ganze Masse fort. Die gleiche Überlegung gilt für die Ver- bindung unter der Wirkung des Lichtes. Wird die erzeugte Wärme so lang- sam abgeführt, dass sich die Temperatur der schnellen Reaktion herstellt, so tritt die explosive Verbindung ein. Belichtet man dagegen unter Bedingungen, durch welche diese Temperatursteigerung vermieden wird (am besten unter solchen, dass eine merkliche Steigerung überhaupt nicht stattfindet), so geht die Verbindung in stetiger und messbarer Weise vor sich.

Die Messung der chemischen Wu'kung des Lichtes auf Chlorknall- gas beruht nun auf dem Umstände, dass der gebildete Chlorwasserstoff augenblicklich von Wasser aufgenommen wird, während die Absorption der Bestandteile gering ist Man belichtet daher Chlorknallgas in Be- rührung mit Wasser (das mit Chlor und Wasserstoff unter den Umstän- den des Versuches gesättigt ist) in einem Apparate, der die Messung der Volumverminderung gestattet, und hat in letzterer ein Mass fttr den Be- trag der verbundenen Gase.

. Ein derartiger Apparat wurde zuerst von Draper (1842), später in

*) Man darf nicht etwa hier das Kirchhoffsche Gesetz (S. 484) anwenden wollen; hier handelt es sich nicht um ein Gleichgewicht gegenseitiger Strahlung, für welche dieses Gesetz gilt, sondern um die Wirkung einer un- abhängigen äusseren Strahlungsquelle.

Die chemische Wirkung des Lichtes. 495

vollkommener (restait von Bunsen und Roscoe (1862) konstruiert Der Hauptteil des letzteren ist untenstehend (flg. 57) abgebildet

Das elektrolytiseh in genau riehtigen Verhältnissen dai^estellte 6e- menge^ das Chlorknallgas^ wird von h aus durch das ^Insolationsge^iss^ i geleitet, welches in flacher Dosenform aus dünnem Glase geblasen ist und in seiner unteren, geschwärzten Hälfte Walser enthält. Es steht durch einen Schliff mit dem Skalenrohr k in Verbindung, das in das gMchfalls mit Wasser geföUte Gefäss 1 ausläuft.

Fällt licht auf den oberen Teil von i, so bildet sich Chlorwasser- stoff, welcher augenblicklich von Wasser aufgenommen wird. Dadurch «entsteht eine Volumverminderung und der Wasserfaden Ik im Skalen- robre bewegt sich nach i hin; die durchmessene Strecke wird an der Teilung abgelesen und ist das Mass der chemischen Wirkung des Lichtes.

Durch diese Einrichtung ist bewirkt, dass das Produkt der Licbt- wirkung, das Ghlorwasserstoffgas, in demselben Masse fortgenommen wu^, als es entsteht, und dass somit der Apparat seine Beschaffenheit während des Versuches unverändert beibehält

Mittels derartiger Apparate hat nun zuerst Draper und später Bunsen und Roscoe das Grundgesetz der photochemischen Wurkung fest-

Fig. 57.

gestellt, demzufolge die Wirkung des Lichtes proportional seiner Stärke ist

Draper (1842) entwarf von einer gleichmässig beleuchteten weissen Fläche mittels dner grossen Linse ein Bild auf seinem Apparat; welcher ihm die Messung der durch die Lichtwirkung aus Chlorknallgas gebildeten Chlorwasserstoffmenge gestattete, und erhielt, wenn er die Linse durch Sektoren von bekanntem Winkel teilweise zudeckte, Reaktionsgeschwindig- keiten, welche der freien Linsenoberfläche proportional waren. Später ist derselbe Satz von Hankel (1862), sowie von Bunsen und Roscoe (1862) geprüft und bestätigt worden.

In der eben ausgesprochenen Form bezieht sich der Satz auf die in der Zeiteinheit ausgeübte Wirkung einer gleichförmigen Strahlung. Denkt man sich die Sti*ahlung veränderlich, so ist die in jedem Zeitteil erfolgte Wirkung proportional der in diesem Augenblicke herrschenden Strahlung. Multipliziert man daher jede Strahlungsintensität mit der Zeit, während der sie geherrscht hat, und summiert diese Produkte, so erhält man eine Grösse, welcher nach dem Grundgesetze die gesamte ehemisehe Wirkung proportional ist Jene Summengrösse ist aber nichts als die Gesamtenergie der Strahlung, welche während der ganzen Zeit eingewirkt hat, und man kann das Grundgesetz daher auch m der Gestalt aussprechen: für ein gegebenes Gebilde ist die zu che-

496 ^- Photodiemie.

mischen Zwecken umgesetzte Strahlungsenergie ein kon* stanter Bruchteil der Gesamtenergie der Strahlung.

Die Genauigkeit dieses Grandgesetzes ist nur theoretisch eine voll- kommene, da die Voraussetzung, dass das Gebilde seine Besdiaffenheit wahrraid der Strahlung beibehalte, in aller Strenge nicht zu erfOllen ist. Denn es erfolgt z. B. im Bunsenschen Apparate die Absorption des Chlorwasserstoffs nicht augenblicklich, sondern nur sehr schnell; es wird also immer währ^ad der Arbeit etwas Chlorwasserstoff im Apparate sein, und zwar, wie eine nahe- liegende Überlegung zeigt, nicht eine konstante Menge, sondern eine, die der Reaktionsgeschwindigkeit proportional ist. Ähnliche Einwendungen lassen sich in allen fthnlichen derartigen Fallen machen.

Femer hat sich gerade bei den Versuchen von Bunsen und Eoscoe gezeigt, dass der Verbindung des Chlorknallgases gewisse Vorgänge Yorausgeben, durch welche die Reaktionsgeschwindigkeit gesteigert wird, so dass erst nach längerer Einwirkung einer konstanten Lichtquelle eine konstante Reaktionsgeechwindig- keit erreicht wird. Derartige Erscheinungen der „photochemischen Induktion** finden auch in anderen Fällen statt; sie rühren alle daher, dass unter der Einwirkung der Strahlung das lichtempfindliche Gebilde selbst ein anderes werden muss, bevor es in einen stationären Zustand übergeht. Für diese erste Arbeit sind bestimmte endliche Beträge erforderlich, die einen anderen Koeffizienten haben, als die Arbeit im stationären Zustande, und die deshalb eine Abweichung vom einfachen Grundgesetz bewirken.

Es entsteht nun die Frage nach dem Bruchteil der Gesamtmenge der strahlenden Energie^ welcher im Chlorknallgas zu chemischer Wirkung verbraucht wird. Bunsen und Roscoe haben eine Antwort auf folgendem Wege erhalten.

Die Strahlen einer konstanten Leuchtgasflamme wurden znnädist durch einen Cylinder mit Chlor geschickt, und es wurde der Verlust an Strahlung (welcher zur Erwärmung des Chlors dient) gemessen. Alsdann wurde in den Weg derselben Strahlen ein doppelt so langer Cylinder mit Chlorknaiigas eingeschaltet. Da der Wasserstoff nicht in messbarer Weise die Strahlen absorbiert, so müsste das licht, wenn es ohne andere Arbeit zu leisten, als es im Chlor geleistet, durch das Chlorknallgas ginge, gerade dieselbe Schwächung erfahren, wie im Chlor allein. Die Schwächung war aber merklich grösser, so dass die Forscher zu folgendem Er- gebnis kamen:

„Von den Strahlen einer Leuchtgasflamme, welche im Chlorknall- gase absorbiert werden, dienen zwei Drittel zur Erwärmung des Gases, und ein Drittel zur Leistung der Arbeit, durch welche die beiden Gase . in den Stand gesetzt werden, sich chemisch zu verbinden."

Untersuchungen über den Anteil des Lichtes, welcher beim Auf- fallen auf lichtempfindliche Stoffe zur Wirkung gelangt, haben er- geben, dass derselbe meist sehr klein ist. Nach Pfeffer wird unter den günstigsten Verhältnissen von einem Quadratcentimeter Oberfläche eines Oleanderblattes in einer Sekunde 0-0000000537 g Stärke gebildet Die

Die chemische Wirkung des Lichtes. 497

Verbrennungswärme dieser Menge beträgt nnr 9200 Erg, und ebenso gross ist die Menge der zur Bildung der Stärke aus dem Lichte ver- brauchten Energie. Nun beträgt aber die strahlende Energie, welche ein Quadratcentimeter an heiteren Sommertagen empiängt, 1250000 Erg in der Sekunde; von dieser Menge kann also die Pflanze noch nicht den hundertsten Teil zu chemischen Zwecken verbrauchen.

Aus diesem Beispiel ergiebt sich, dass der Bruchteil der strahlen- den Energie, der zu chemischen Zwecken verbraucht wird, je nach Umständen ausserordentlich verschieden sein kann. Er kann selbstver- ständlich nie grösser sein, als der überhaupt absorbierte Teil; zwischen der Gesamtabsorption und der chemischen besteht aber auch offenbar kein konstantes Verhältnis, und man kann daher aus der Lichtabsorption keinen unmittelbaren Schluss auf die chemische Lichtempfindlichkeit ziehen.

Aus dem photochemischen Grundgesetze imd den allgemeinen Ge- setzen, denen die strahlende Energie unterworfen ist, ergeben sich die einzelnen Gesetze für die chemische Wirkung des Lichtes. So wird diese im umgekehrten Verhältnisse des Quadrats der Entfernung von einer all- seitig strahlenden Lichtquelle abnehmen, und bei der Absorption durch irgend welche Mittel wird die absorbierte Menge in geometrischer Beihe wachsen, wenn die Schichtdicke in arithmetischer zunimmt.

Dass endlieh alle geometrischen Gesetze der strahlenden Energie auch für die photochemische Wirkung Geltung haben, ergiebt sich daraus, dass man jede objektive optische Erscheinung photographieren kann.

Diese Gesetze sind durch verschiedene Methoden, insbesondere mit- tels lichtempfindlicher Papiere und Platten geprüft worden, und haben stets dasselbe Resultat, unabhängig von der Beschaffenheit der prüfen- den Stoffe, ergeben.

Diese Unabhängigkeit der allgemeinen Gesetze von dem besonderen photochemischen Vorgange führt zu einem wichtigen Schlüsse. Betraditet man nämlich die mannigfaltigen derartigen Prozesse, so glaubt man sie in zwei Klassen teilen zu müssen, die dadurch verschieden sind, dass in der einen die neuen Stoffe unter Energieverlust, in der anderen unter Energiegewinn entstehen. Ein Beispiel ftir die erste Klasse bildet die Verbindung des Chlorknallgases zu Chlorwasserstoff, eines für die zweite die Bildung der Stärke in den grünen Pflanzen. Man hat daher gesagt, dass im ersten Falle das Licht nur auslösend wirke, während es im zweiten wirklich Arbeit leiste.

Gegen eine derartige Trennung spricht vor allen Dmgen der Um- stand, dass beide Fälle voneinander sich nicht unterscheiden, was die Gesetze des photochemischen Verlaufes anlangt. Man wird daher gezwungen, in allen FäUen anzunehmen, dass es sich um eine wirkliche Arbeitsleistung des Lichtes handelt, d.h. um eine Umwandlung der strahlenden Energie in chemische. Der Unterschied der beiden FsAle besteht dann nur darin, dass die durdi die Arbeit des Lichtes bewirkten Vorgänge noch von anderen Vorgängen gefolgt sein können, bei denen ein Energie-

Ostwald, Grandriss. 3. Aufl. 32

498 ^* I^liotocheinie.

yerlust erfolgt, der grösser ist, als der Gewinn ans der Strahlung. IMes wäre der Fall des Chlorknallgases. Tritt ein solcher sekundärer Vorgang nicht ein, so ist das Gesamtergebnis ein Energiegewinn für das betrachtete Gebilde, dem Falle der photochemiscben Wu*knng in den grünen Pflanzen entsprechend.

Auf die Frage, welche Strahlen chemische Wu*knngen ansILben, ist zu antworten, dass dies durch die Schwingnngsdauer oder die Wellen- länge der Strahlen bestimmt wird, derart, dass für jedes Uchtempfindlidie Gebilde ein Maximum (oder einige) bei bestimmter Periode vorhanden ist. Durch den Umstand, dass die auffallendsten chemischen Wildungen des Lichtes an solchen Stoffen beobachtet worden sind, deren chemisdies Absorptionsgebiet im Blau, Violett und darüber hinaus liegt, hatte sidi früher die Vorstellung entwickelt, dass die kurzwelligen Strahlen die eigentlich ^ chemischen^ seien. Die späteren Foi*schungen haben gezeigt, dass chemische Wirkungen von allen Strahlen des sichtbaren und un- sichtbaren Spektrums ausgeübt werden können, und dass es nur von der Natur der Stoffe abhängt, welche Strahlen als diemisch wirksam zur Geltung kommen. Die Messungen der „chemischen Intensität des Lichtes" zuerst oder des „photochemischen Klimas", welche früher vielfach ausgeführt worden sind, haben daher keine allgemeine Bedeutung, sondern sie geben nur die zeitlichen Mannigfaltigkeiten in der Stärke der Strahlenarten wieder, welche auf das benutzte Aktinometer von besonders grosser Wirkung sind.

Über den Zusammenhang der photochemisdien Empfindlichkeit mit der chemischen Natur der Stoffe hat sich allgemeines noch nicht ermittdn lassen. Da das chemische Absorptionsgebiet notwendig innerhalb des optischen liegen muss, so wird man vorwiegend unter den geiUrbten Stoffen die für die sichtbaren Strahlen empfindlichen zu suchen haben. Doch genügen sehr geringe Grade der Färbung, um sehr bedeutende Lidit- empfindlichkeit zu ermöglichen, wie sieh an dem Beispiele der last weissen Halogenverbindungen des Silbers ersehen lässt.

Im übrigen scheinen namentlich Oxydations- und Reduktions^eieh- gewichte durch die strahlende Energie beeinflusst zu werden. Daher sind fast alle Salze der Metalle, die Ionen von mehrfadiw Wertigkeit bilden können, lichtempfindlich. Dies tritt besonders deutlich zn Tage^ wenn gleichzeitig Stoffe zugegen sind, die eine Oxydation, bez. Reduktion erfahren können.

Viertes Kapitel.

Die Photographie.

Die Methode, mittels deren Daguerre zuerst wirkliche Photogramme zuwege brachte, bestand darin, dass er eme Silberplatte (oder eine mit Silber überzogene Kupferplatte) den Dämpfen des Jods aussetzte,

Die Photographie. 499.

und alsdann das Bild der Camera obscora auf die Platte wirken Hess. Nach erfolgter Einwirkung (die nur wenige Sekunden erfordert) wird die Platte, auf welcher kein Bild sichtbar ist, den Dämpfen von schwach ervrärmtem Quecksilber ausgesetzt. Diese verdichten sich an der Platt«, und zwar um so reichhcher, je stärker das Licht an der betreffenden Stelle eingewurkt hat. Betrachtet man die Platte so, dass die blanken Stellen wenig Licht in das Auge reflektieren, so erscheinen die Stellen, an denen ein Niederschlag von Quecksilbertröpfchen erzeugt ist, heller als der Grund, und zwar um so heller, je reichlicher der Nieder- schlag ist.

Die Theorie dieses Vorganges beruht zunächst auf der Thatsache, dass sich Dämpfe an rauhen Stellen im allgemeinen leichter ansetzen, als an glatten. Wo das Licht auf das Jodsilber eingewirkt hat, ist letzteres teilweise zerlegt worden und dadurch hat sich an den entsprechenden Stellen ein besserer Boden für die Anlagerung von Quecksilbertröpfchen gebildet. Dazu kon;imt vielleicht noch der Umstand, dass das aus- geschiedene Silber mehr Verwandtschaft zum Quecksilber hat, und daher dasselbe reichhcher verdichtet, als das unzerlegte Jodsilber. Überhaupt ist durch die Forschungen, welche sich an das Bekanntwerden der Daguerreschen Methode knüpften, erwiesen worden, dass mit der geringsten örtlichen Änderung in der Oberflächenbeschaffenheit einer polierten Schicht sich die Art, wie Dämpfe an derselben sich verdichten, in auffalligster Weise ändert. Es ist dies eine Folge des Einflusses fremder Stoffe auf die metastabile Grenze (S. 114).

Die Methode von Daguerre ist jetzt allgemein verlassen. Sie wurde zunächst durch das KoUodionverfahren von Scott Archer verdrängt. Einer Auflösung von Schiessbaumwolle (Cellulosenitrat) in Äther und Alkohol, welche beim Verdunsten des letzteren eine glasartige Schicht zurücklässt, werden Jodverbindungen (Jodcadmium, Jodammonium u. s. w.), die in der Flüssigkeit löslich sind, zugesetzt. Mit derselben wird eine Glas- platte überzogen, und diese taucht man, nachdem die Hauptmenge des Äthers verdunstet, in eine Lösung von Silbemitrat. Dadurch bildet sich in der KoUodionschicht ein Niederschlag von Jodsilber, welcher licht- empfindlich ist.

Bringt man eine solche Platte in die Camera obscura und belichtet die erforderliche Zeit (einige Sekunden im freien Tageslicht), so kann man auf der gelblich- weissen Platte keine Spur eines Bildes bemerken. Ein solches kommt erst zum Vorschein, wenn man die Platte mit einem Gemenge von Silbemitrat und einer reduzierenden Flüssigkeit, einer Lösung von Pyrogallol oder von Eisenvitriol u. s. w., übergiesst. Das Silber, welches sich aus dem Gemenge ausscheidet, lagert sich vorzugs- weise an den Stellen an, wo das Licht gewirkt hat, und bringt ein Bild hervor, in welchem der Silberniedei*schlag proportional der Lichtstärke ist. Durch Behandeln dieses „entwickelten" Bildes mit einem Ijösungs- mittel des Jodsilbers, z. B. Cyankalium, wird das überschüssige Jodsilber

32*

500 ^* Photochemie.

entfernt und es bleibt ein Negativ, d. h. ein Büd mit nndurchsicbtigeD lichtstellen und durchsichtigen Schattenstellen zurück.

Die Theorie des Vorganges beruht auf den Eigenschaften über- sättigter Lösungen gegenüber vorhandenen Keimen. In der mit dem Entwickler übergossenen Schicht besteht das Bild aus metallischem Silber*), während das Gemenge von Silbemitrat und Reduktionsmittel, welches den Entwickler bildet, eine in Bezug auf Silber übergesättigte Losung darstellt. Aus dieser Lösung scheidet sieh das Silber dort aus, wo bereits Keime von Silber vorhanden sind, und so entsteht ein siebtbares Bild. Durch fortgesetzte Einwirkung des Entwicklers kann man diesen Niederschlag so dicht erhalten, als für den vorliegenden Zweck erforderlich ist. Dies gelingt ebenso mit dem frischen Bilde in der JodsUberschidit, wie mit dem „fixirten", d. h. durch Behandeln mit Cyankalinmlösnng vom Jodsilber befreiten Bilde.

Gegenwärtig wird auch der KoUodiumprozess nur noch für bestimmte Zwecke benutzt, und es dienen fär den allgemeinen Gebrauch Bromsilber- gelatineplatten. Diese haben ausser der viel grösseren Lichtempfindlich- keit den wesentlichen Vorzug, dass sie beliebig lange vor dem Gebrauch hergestellt werden können, ohne zu verderben, während die Kollodium- platten unmittelbar nach dem Baden in der Silberlösung verbraucht werden müssen.

Die Herstellung dieser Platten geschieht, indem zu einer warmen Lösung von reiner Gelatine und Bromkalium eine ammoniakalisdhe Süber- lösung gesetzt wird, wobei das Bromid in kleinem Überschusse bleiben muss. Das BromsUber scheidet sich dann in koUoidalem Zustande aus und ist zunächst unempfindlich. Durch längeres Digerieren bei etwas erhöhter Temperatur wird es empfindlicher, und nach bestimmter Zeit ist es genügend „gereift^^ Dann lässt man die Masse erstarren, wäscht das entstandene Kaliumnitrat aus, schmUzt, vergiesst die Emulsion auf Glasplatten und läfist trocknen.

Die Entwickelung dieser Platten erfolgt, indem man sie mit starken Eeduktionsmitteln, Kaliumferrooxalat, alkalischen Lösungen von Hydro- chinon oder anderen mehrfach hydroxylirten aromatischen Verbindungen behandelt. Dann wird das Bromsilber vorwiegend an den Stellen redudrt, wo die Lichtwirkung stattgefunden hatte. Durch Behandeln mit Natrinm-

^) Durch neuere Versuche von Eder ist sichergestellt worden, dass in der nicht entwickelten Kollodium -Jodsilberschicht das Bild nicht aus metalli- schem Silber, sondern aus Silberjodür oder einem ähnlichen Beduktionspro- dukt des Jodsilbers besteht, da es durch Salpetersäure nicht zerstört wird, wohl aber durch Jodlösung. Für die Theorie der Entwickelung ist dies an sich wichtige Ergebnis ohne Belang, da sich aus den Subhalogenverbindungen des Silbers unter dem Einflüsse des Entwicklers alsbald metallisches Silber bildet, welches dann die oben geschilderte Rolle übernimmt.

Die Photographie. 501

thiosulfat wird schliesslich das nicht reduzierte Brotnsilber entfernt und das Bild fi^rt.

Die Theorie dieser Entwickelung ist von der der Kollodiumplatten nicht wesentlich verschieden. Auch hier bildet sich durch die Einwirkung des reduzierenden Stoffes auf das Bromsilber eine tibersättigte Silberlösung, ivelche das Metali an vorhandenen Keimen absetzt.

Auch dieses Verfahren giebt negative Bilder, d. h. solche, in denen die lichten Stellen undurchsichtig und die dunklen durcbsichtig sind. Für die Herstellung positiver Bilder nach diesen giebt es sehr verschiedene Verfahren. Die gebräuchlichsten beruhen auf der Schwärzung der Silber- salze, die in Berührung mit organischen Stoffen sind, hn Lichte. Die Silbersalze werden unter diesen Umständen zu Silber reducirt, und zwar im umgekehrten Verhältnis zu der Dichtigkeit des aufgelegten Negativs, so dass nun ein richtiges Bild zu stände kommt. Durch Natriumthio- Bulfat wird das überschüssige Silbersalz entfernt, und ein aus Süber bestehendes Bild bleibt zurück. Da dies Silber eine unschöne braune Farbe hat, so behandelt man das Bild mit einer sehr verdünnten Gold- lösung, wodurch das Silber des Bildes durch Gold ersetzt wird, dessen blauviolette Farbe mit dem Braun des Silbers den bekannten „Photo- graphieton" giebt.

Die Platinotypie beruht auf der Eeduktionswirkung, welche die Ferrisalze im Lichte erfahren. Man benutzt gewöhnüch Kaliumferrioxalat, dem man eine Lösung von Kaliumplatinchlorür zufügt. Nach der Be- lichtung wird das Bild mit einer Lösung von Kaliumoxalat behandelt, wodurch an den reduzierten Stellen das entstandene Ferrosalz aus dem Platinsalze metallisches Platin abscheidet.

Eine grosse Anzahl weiterer Verfahren benutzen die Wechselwirkung zwischen Chromaten und organischen Klebstoffen, wie Leim und Gummi. In diesen Gemengen wird durch das Licht die Chromsäure reduziert, und das entstandene Chromoxyd bildet mit dem Klebstoff eine schwer- lösliche Verbindung. Hierdurch wird ein Farbstoff, der dem Gemenge einverleibt war, an den Stellen grösster Lichtwirkung gebunden, und man erhält nach dem Fortwaschen des unveränderten Überzuges nach einem Negative ein Positiv.

Auf der gleichen Reaktion beruhen mehrere photographische Druck- verfahren. Für letztere wird femer vielfach der Asphalt benutzt, welcher die Eigenschaft hat, im Lichte seine Löslichkeit in Terpentinöl zu ver- lieren. Die Einzelheiten dieser sehr mannigfaltigen Methoden entziehen sich der Berichterstattung an dieser Stelle.

Eine bemerkenswerte Beobachtung ist von H. W. Vogel (1874) gemacht worden. Die Silbersalze, insbesondere auch das Bromsilber der gewöhnlichen Negativplatten sind vorherrschend empfindlich für Strahlen zwischen blau und ultraviolett, während auf das Auge die grüngelben Strahlen am stärksten einwirken, für welche die Platten wenig empfind- lich sind. Die Folge davon ist, dass in photographischen Bildern die

502 XI. Die chemische Verwandtschaft.

Lichtverhältnisse geändert erseheinen; die dunkelaossehenden blauen und violetten Farben bilden sich hell ab, während helle rote und gdbe Töne dunkel wiedergegeben werden.

Dieser Übelstand lässt sich nun beseitigen, wenn man dem Brom- silber der Platten gewisse Farbstoffe, z. B. Eosin oder Cyanin in s^ir ge- ringer Menge zusetzt. Dadurch verschiebt sich das Maximum der photographischen Wirkung nach der Seite der längeren Wellen, bez. es treten in diesem Gebiete neue Maxima auf, und man erhlUt Bilder mit richtigerer Abstufung.

Die Theorie dieses Verfahrens ist noch nicht befriedigend entwi<^eli Es lässt sich nicht absehen, wieso die Absorption durch den beigemisdi- ten Farbstoff das aufgenommene Licht zu einer Wirkung auf das Brom- silber beföhigen soll. Zwar scheint der Farbstoff gleichfalls eine Ver- bindung mit Silber einzugehen, welche lichtempfindlich ist; doch für diese ist eme Lichtempfindlichkeit von der Ordnung der beim Bromsilber vor- handenen nicht nachgewiesen worden. Das optische Absorptionsmaximum der gefärbten Platte stimmt ausserdem nicht mit dem photographisdieii Wirkungsmaximum überein.

So wichtig sich diese Erfindung daher auch für die photogra- phische Technik erwiesen hat und so sicher sie zur Zeit bereits praktisdi gehandhabt wird, so muss doch eine ausreichende Theorie dieser merk- würdigen Erscheinung erst von der Zukunft erwartet werden.

Die Versuche endüch, Photogramme in natürlichen Farben herzu- stellen, beruhen, soweit sie nicht wesentlich mechanischer Natur sind^ auf physikalischen Vorgängen ohne besondere chemische Beziehung und müssen daher hier tibergangen werden.

Elftes Buch.

Die chemische Verwandtschaft

Erstes Kapitel. Methoden.

Wenn eine Anzahl Stoffe in bestimmten Mengen und unter be- stimmten Umständen gegeben sind, so kann gefragt werden, was zwischen ihnen geschieht. Denn sie werden sich im allgemeinen nicht im che- mischen Gleichgewicht befinden, und es werden daher Umsetzungen, Verbindungen und Trennungen eintreten, die schliesslich dazu fuhren werden, dass Gleichgewicht vorhanden ist.

Die formale Seite dieser Aufgabe ist, soweit die gegenwärtige Entwickelung der chemischen Wissenschaft reicht, in dem zweiten Teile dieses Werkes behandelt worden, und es sind als allgemeinste Formen der Ant- wort auf diese Frage die beiden Grundgesetze: das der chemischen

Methoden. 503

Massenwirkung und das der Reaktion gegen zwangsweise Ver- änderungen erörtert worden. Dabei haben sich diese Vorgänge in ihrem Verlaufe und in dem schliesslich erreichten Gleichgewichte innerhalb der genannten Gesetze noch durch Koeffizienten bestimmt gezeigt, die von der chemischen Natur der beteiligten Stoffe und den äusseren Umständen des Vorganges abhängig sind. Diese Koeffizienten waren als gegeben betrachtet worden und es wurde ihnen gegenüber nur die Frage gestellt, inwieweit sie als Konstanten behandelt werden können. Gegenwärtig soll die weitere Frage erörtert werden, wie diese Koeffizienten mit der chemischen Natur der beteihgten Stoffe und anderen Umständen zu- sammenhängen. Dadurch erhalten die etwas abstrakt gewordenen Be- trachtungen der chemischen Energetik wieder einen lebendigen Inhalt, und die stöchiometrischen Probleme, die den Gegenstand des ersten Teiles dieses Werkes bildeten, kehren als Zielpunkte der weitergeführten Entwickelung der allgemeinen Chemie wieder.

Denn indem diese Koeffizienten den Zustand des Gleichgewichts zwischen den Stoffen bestimmen, gestatten sie die Aufgabe zu lösen, wie weit ein gegebenes Gebilde noch vom Gleichgewichte entfernt ist, und welche Arbeiten es daher noch leisten kann, bis es diesen Zustand erreicht. Dies ist aber die Hauptfrage, welche bezüglich aller Anwen- dungen der chemischen Vorgänge, z. B. im technischen und physiolo- gischen Gebiet gestellt werden muss, und ihre Beantwortung ist grund- legend für die Beurteilung der Ergebnisse der Vorgänge.

Ausser der Frage nach dem Gesamtbetrage der Arbeiten, die mit einer bestimmten Zustandsänderung verbunden sind, ist noch die nach der Geschwindigkeit zu stellen, mit der der endliche Zustand erreicht wird. Auch diese Frage ist von höchster Bedeutung für alle Anwendungen der chemisdien Vorgänge, denn ebensowenig, wie es für den Techniker gleichgültig ist, ob er sein Produkt in einem Tage oder einer Woche herstellen kann, ist jede Bethätigung emes lebenden Organismus in ent- scheidender Weise dadurch beeinflusst, ob die entsprechende chemische Reaktion langsam oder schnell erfolgt.

Es wird also zwei Gruppen von Konstanten geben, deren Kenntnis zur Beantwoitung derartiger Fragen nötig ist: Gleichgewichts- und Ge- schwindigkeitskonstanten. Zwar stehen beide in dem Zusammenhange, dass eine Gleichgewichtskonstante sich immer als das Verhältnis zweier Geschwindigkeitskonstanten darstellen lässt, welche den entgegengesetzten Eeaktionen angehören. Durch diese Beziehung sind aber nur die Werte der ersteren ableitbar, wenn die letzteren gegeben smd. Umgekehrt sind aber sehr verschiedene Geschwindigkeitswerte möglich, welche dasselbe Gleichgewicht ergeben, wenn nur die beiden entgegengesetzten Ge- schwindigkeiten in gleichem Verhältnisse grösser oder kiemer werden. In der That kann man für die gleiche Reaktion durch den Einfluss dritter Stoffe, sogenannter Katalysatoren, die Geschwindigkeit beträchtlich ändern, ohne dass das Gleichgewicht geändert wird.

504 XI- ^i^ chemische Verwandtschaft.

Die Bestimmung solcher Konstanten kommt in beiden FMen daranf hinans, dass man in einem gegebenen Augenblicke die Mengen der verschiedenen Stoffe bestimmt, welche ixi dem untersuchten Gebilde vor- handen sind. Dies ist in den einfacheren fallen eine gewöhnliche Auf- gabe der analytischen Praxis, nämlich immer, wenn es sich nin die Messung eines einzigen Stoffes in einer Phase handelt Beispiele sind die Bestimmung des Dissociationsdruckes von Calciumkarbonat oder der Löshchkeit eines Salzes.

Schwieriger wü*d die Aufgabe, wenn in derselben Phase mehrere Stoffe vorhanden sind. Dann reichen die gewöhnlichen Hilfsmittel der Analyse oft nicht aus, um die gestellten Fragen zu beantworten. Denn bei der gewöhnlichen chemischen Analyse wird der Stoff, dessen Menge gemessen werden soll, im allgemeinen in eine andere Form umgewandelt^ welche die Trennung und gesonderte Messung gestattet. Das Verfahren führt also nur dann zum Ziel, wenn durch diese Operationen die Menge des Stoffes nicht verändert wh-d, der gemessen werden soll. Eine solche Änderung aber tritt immer ein, wenn sich dieser Stoff als Bestandteil eines Gleichgewichts vorfindet, welches durch dessen Concentration mitbestimmt ist, und dessen Reaktionsgeschwindigkeit einen Wert hat, der von gleicher Ordnung ist, wie die der zur Analyse erförderlichen Vorgänge. Nur wenn die Geschwindigkeit, mit welcher sich das Gleichgewicht einstellt, klein genug ist, kann man den daher rührenden Fehler in den zuläsagen Grenzen halten.

Wenn es sich z. B. darum handelt, die Menge der Silberionen in einer bestimmten Lösung von Silberacetat festzustellen, so kaim man sich hierzu nicht des analytischen Nachweises bedienen, der auf der Fällung der Silber- ionen durch Chlorionen beruht. Denn wenn man durch Zusatz von Chlor- ionen in Form von Salzsäure auch zunächst nur die Silberionen ausfällt, so entstehen aus dem nichtdissociierten Teile des Silfoeracetats doch alsbald neue Silberionen, die gleichfalls niedergeschlagen werden, und schliesslich finden sich im Niederschlage nicht nur die ursprünglich vorhanden gewesenen Silber- ionen, sondern alle, die sich unter den vorhandenen Umständen vermöge des Zusatzes des Fällungsreagens haben bilden können.

Dagegen kann man die Menge der Chlorionen, die sich durch die Hydro- lyse der Monochloressigsäure unter bestimmten Verhältnissen gebildet haben, ganz gut auf diese Weise bestimmen, denn der Versuch zeigt, dass aus reiner Monochloressigsäure durch Silberlösung bei Zimmertemperatur kein Chlorsilber in der Zeit gefallt wird, welche zu einer Analyse nötig ist Zwar bleibt auch diese Reaktion auf die Dauer nicht aus; ihre Geschwindigkeit ist aber klein genug, dass die Menge des daher rührenden Chlorsilbers verschwindend gemacht werden kann gegen die Menge des aus den vorhandenen Chlorionen stammenden.

Wenn die während der Analyse eintretende Verschiebung der Menge des zu bestimmenden Stoßes zu gross ist, als dass sie vernachlässigt werden kann, so lässt sich oft die Analyse dadurch ermöglichen, dass

Methoden. 505

man einen Zustand herstellt; in weldiem die Reaktionsgeschwindigkeit des Gebildes auf einen sehr kleinen Wert herabgeht, ohne dass sich die Menge des zu messenden Stoffes ändert. Da das allgemeinste Mittel zur Verminderung der Reaktionsgeschwindigkeit in der Erniedrigung der Temperatur liegt, so lässt sich diese in sehr vielen Fällen mit Erfolg anwenden. Die Erniedrigung der Temperatur muss allerdings mit so grosser Geschwindigkeit erfolgen, dass die Verschiebung des Zustandes in der Zeit der Abkühlung, wo das Gebilde noch in Zuständen end- licher Reaktionsgeschwindigkeit bleibt, verschwindend gering ist, und man hat gegebenenfalls besondere Anordnungen (Leiten durch abgekühlte Röhren u. dergl.) zu treffen, durch welche eine solche Forderung er- füUt wird.

Ein solches Verfahren ist beispielsweise angewendet worden, um die Reaktion zwischen Wasserstoff und Jod zu studieren (S. 341). Durch längeres oder kürzeres Erhitzen auf die Versuchstemperatur wurde der zu unter- suchende Zustand hergestellt, und dann wurde das Gefäss, welches die Gase enthielt, so schnell wie möglich abgekühlt, um den erreichten Zustand zu fixieren. Um zu wissen, ob der Zweck erreicht ist, stellt man den Versuch unter sonst gleichen Umständen so an, dass man die zur Abkühlung erforder- liche Zeit in einem bekannten Verhältnis vergrössert, und die entsprechende Verschiebung des Zustandes beobachtet. Auch geben die Beziehungen zwischen den Reaktionsgeschwindigkeiten bei verschiedenen Temperaturen (S. 30;^) Mittel an die Hand, rechnerisch die Beträge der hier möglichen Fehler zu schätzen.

Ausser dem Rxierverfahren durch Temperaturemiedrigung giebt es noch verschiedene andere auf chemischem Wege, die sich aus der Beschaffenheit des vorhandenen Falles ergeben. So kann man Reaktionen, die durch die Anwesenheit bestimmter Stoffe beschleunigt werden, da- durch zum Stillstande bringen, dass man diese Stoffe entfernt oder in andere umwandelt. Umgekehrt kann man durch Zufligung „negativer Katalysatoren", d. h. solcher Stoffe, welche die Geschwindigkeit der Reaktion vermindern, das Gleiche erreichen. Während das erste Ver- fahren vielfach angewendet ist, liegt noch kein Beispiel praktischen Gebrauches für das zweite vor.

Ein chemisches Fixierverfahren ist bei der Inversion des Rohrzuckers durch Säuren (S. 296) oft angewendet worden, indem man die vor- handene Säure in dem gegebenen Augenblicke durch den Zusatz einer Base abstumpft. Da die erforderliche Menge der letzteren nicht bequem zu bemessen ist, und ein Überschuss die Drehung beeinflusst, so ver- fährt man noch einfacher, indem man Natriumacetat zufügt. Hierdurch wird wegen des lonengleichgewichts (S. 413) die vorhandene Menge der Wasserstoffionen sehr stark vermindert, so dass die Geschwindigkeit durch den übrigbleibenden Rest verschwindend gering wird.

Auch bei der Anwendung dieser Mittel hat man sich durch blinde

506 XI. Die chemische Verwandtschaft.

Versuche zu überzeugen, dass sie keinen Einfluss auf die zu messende Grösse haben.

Versagen auch diese Mittel, so steht man vor der allgemeinen Auf- gabe, die Menge eines bestimmten Bestandteils in einem Gemenge zu bestimmen, ohne dieses durch einen Eingriff zu verändern.

Die einfachste Lösung der Aufgabe besteht darin^ dass man dnrefa passende Wahl der Versuchsbedingungen sich die Kenntnis der Mengen der vorhandenen Stoffe bis auf einen verschafft. Bestimmt man dann die Gesamtmenge, so ergiebt sich die gesuchte Grösse als Unterschied.

Dies Verfahren ist z. B. von Deville bei der Bestimmung des Gleich- gewichts zwischen Wasserdampf und Eisen angewendet worden. Dadurcb, dass er den Druck des Wasserdampfes durch Umgeben des Wassergefösses mit einem Bade von konstanter Temperatur auf einen bekannten Wert brachte, konnte er den Druck des gebildeten Wasserstoffgases ermitteln, in- dem er von dem gemessenen Gesamtdrucke den dem Wasserdampfe zu- kommenden abzog.

Sehr häufig ist diese Lösung der Aufgabe nicht möglich^ nämlich wenn mehrere Stoffe gleichzeitig unabhängig ihre Menge ändern. Hier treten die sogenannten physikalischen Methoden ein.

Streng genommen sind alle analytischen Methoden, welche in der Chemie Anwendung finden, physikalische, da sie auf der Messung von Gewicht, Volum oder anderen physikalischen Eigenschaften beruhen. Das Wesen der „che- mischen" Methoden besteht darin, dass wenn die gewöhnlich angewendeten physikalischen Methoden der Gewichts- und Volumbestimmung zur Aus- führung der Messung nicht ausreichen, chemische Vorgänge eingeleitet werden, welche die physische Trennung des zu messenden Stoffes (oder eines um- Wandlungsproduktes desselben) und die Anwendung jener Methoden auf den abgetrennten Stoff gestatten. Die physikalischen Methoden in dem oben gebrauchten Sinne sind solche, welche durch geeignete Wahl der zur Messung benutzten Eigenschaft die vorhergehende chemische Einwirkung entbehrlich machen.

Die physikalischen Methoden beruhen darauf, dass man irgend eine Eigenschaft an dem vorliegenden Gemenge misst^ welche sich gleich- zeitig mit der Menge des zu bestimmenden Stoffes ändert Kennt man den Zusammenhang zwischen dem Betrage dieser Eigenschaft und der Menge, so kann man von dem einen auf die andere schliessen.

Nun können die in Betracht kommenden Eigenschaften von zweierlei Art sein. Es sind entweder besondere, die unter den vorhandenen Stoffen allein dem zu messenden zukommen; dann gewährt die Messung der Eigenschaft unmittelbar die Möglichkeit eines Schlusses auf die Menge des fi-agüchen Stoffes. Oder es handelt sich um eine allgemeine Eigenschaft, welche mehreren der vorhandenen Stoffe, bez. allen zukommt. Da der letzte Fall der allgemeinere ist, soll er zuerst betrachtet werden.

Was die Wahl der für einen solchen Zweck zu benutzenden Eigen- schaft anlangt, so ist sie nur durch die Bedingung beschränkt, dass sie

Methoden. 507

I

fOr den zu untersuchenden Vorgang konstitutiv ist^ d. h. dass die durch den Vorgang bewirkte Gesamtänderung der Eigenschaft einen endlichen Wert hat. Additive Eigenschaften sind dadurch gekennzeichnet, dass die Summe ihrer Änderungen Null ist, wenn sie auch an den einzelnen Stoffen Änderungen erfahren; solche sind ftlr unseren Zweck nicht brauchbar.

Da streng genommen ausser der Masse und dem Gewicht genau additive Eigenschaften nicht vorhanden sind, so müsste schliesslich jede andere Eigenschaft sich benutzen lassen. Doch sind oft die Abweichungen von der additiven Beschaffenheit so klein, dass der Einfluss der Versuchs- fehler einen zu grossen Wert fllr die Anwendbarkeit erreicht.

Im übrigen ist die Wahl der Eigenschaft von der Bequemlichkeit und Genauigkeit abhängig, mit welcher sie bestimmt werden kann; einen weiteren sehr wichtigen Umstand bildet die Grösse der Änderung durch den zu untersuchenden Vorgang.

Eine ftir die Anwendung sehr wichtige Eigenthümlichkeit ist femer, dass die Änderung der Eigenschaft dem Betrage der chemischen Änderung proportional ist. Für sehr kleine Mengen trifft eine solche Beziehung wohl immer zu; allerdings ist die Grenze, wo die Abweichungen nicht mehr vernachlässigt werden können, von Fall zu Fall festzustellen.

Bei den nachstehenden Betrachtungen ist vorausgesetzt, dass die Proportionalität besteht.

Die Reaktion sei durch eine chemische Gleichung von der Gestalt

Ai -[- Ag + A3 + = Bi + ßg + B3 + gegeben. Der Wert der benutzten Eigenschaft sei ftir em Mol (bez. für so viel Mole, als in der Formel erscheinen) der Stoffe A^, A^, A3 . . . durch «, , «j, «3 . . . gegeben; der der Stoffe B,, Bj, B3 . . . durch ß^jß^, ß^ "> Dann ist «i + «2 + «3 -{-... = -2"« der Anteil an dem Gesamtwerte, der den links stehenden Stoffen zukommt und der Anteil der Stoffe B. Für den vollständigen Übergang der Stoffe A in B beträgt daher die Änderung der Eigen- schaft 2a •= Ro, und findet nur der Bruchteil x der voll- ständigen Umsetzung statt, so ist der Betrag der Änderung x(^« 2ß) oder xRq.

Nun seien beliebige Mengen ai,aj,a3... der Stoffe A und b,,b2, bg . . . der Stoffe B gegeben, wo die Mengen a und b durch die Em- heiten A und B gemessen werden, so wird ein Gemisch aus diesen Stoffen den Gesamtbetrag der Eigenschaft a^ «j + ag «g + 83 «3 + . . .

+ ^1 i^i + ^2 i^2 + ^3 ^3 + gleich J^aa -|- 2^ß haben. Nachdem die unbekannte Menge x sich umgesetzt hat, wird der Wert R der Eigenschaft gemessen, und es wird gefragt, wie aus ihm die Unbekannte X zu berechnen ist.

Nun ist R gegeben durch den Ausdruck R = (a^ + x) a^ + (a^ + x) «^ + (a3 + x)a3... + (bi x)^i + (b2— x)^2 +(b3 x)/?3. .., denn es sind zu den Mengen ai,a^,a3... die gleichen Beträge x hinzuge-

508 'l^I* ^^6 chemische Verwandtschaft

kommen, nnd die Mengen b haben sich um ebensoviel vermindert^). Man kann den Ausdruck umformen in R==^a« + x27a + 2^b/J x2ß oder R = 2a.a + 2h ß + x Rq, woraus folgt

_R (^S&a + 2hß)

Überlegt man noch, dass ü&a-j- Hhß der Wert der Eigenschaft in dem ursprünglichen Gemische ist, während R diesen Wert nach erfolgter Umwandlung des Betrages x darstellt,- so sieht man, dass im Zähler des Bruches die Änderung der Eigenschaft durch den chemischen Vorgang steht Wir bezeichnen sie mit JR. Der Nenner Rq ist die Änderung für den Fall, dass ein Formelgewicht der Stoffe sich vollständig umge- setzt hat Das Verhältnis der beobachteten Änderung der Eigenschaft zu der Gesamtänderung bei vollständiger Um- setzung giebt also das Mass für den eingetretenen Betrag der Umsetzung, und letzterer wird berechnet nach der Gleichang

JR

Der erste Autor, welcher physikalische Methoden auf Afünitätsprobleme in systematischer Weise angewendet hat, ist Gladstone. Aus dessen For- schungen ist bereits die grosse Mannigfaltigkeit erkennbar, welche die phy^ sikalischen Methoden je nach Umständen annehmen können. Neben der mit Vorliebe benutzten Änderung der Farbe sind noch die der Fluorescenz, der Zirkularpolarisation, sowie Diffusionserscheinungen von ihm für den gleichen Zweck in Anwendung gebracht worden. Doch ist die quantitative Ausbildung des Messverfahrens nur teilweise durchgeführt.

In ausgebildeter Form findet sich ein Beispiel der physikalischen Methode zuerst bei J. Thomsen (1869), welcher zeigte, dass mittels calorimetrischer Beobachtungen über den Zustand homogener Flüssig:keiten alle erforderlichen Auskünfte gewonnen werden können.

Die Koeffizienten a und ß bedeuten hier einfach Energiemengen. Handelt es sich z. B. um die Wechselwirkung zwischen Pluomatrium und Chlorwasserstoff unter Bildung von Chlomatrium und Fluorwasser- stoff, so ist

«1 die Energie von einem Mol Fluomatrium, «2 Chlorwasserstoff, ßi Chlornatrium, ^2 ;? fy )) )y ;? Fluorwasscrstoff.

In der Gleichung

AR

Rq

bedeutet nun JR die Änderung der Energie des Anfangszustandes beim Übergang in den Zustand, bei welchem Gleichgewicht stattfindet; /IR ist

^) Der Wert von x kann auch negativ sein.

Methoden. 509

somit die Wärmeentwickelung bei der Reaktion des Chlorwaaserstoffe auf Fluomatrium. Der Nenner ist die Energiedifferenz Fluomatrium plus Chlorwasserstoff und Chlomatrium plus Fluorwasserstoff, d. h. der Unter- schied der Neutralisationswärmen der beiden Säuren.

Nun ist die Neutralisationswärme des Fluorwasserstofls 68*05 J, die des Ghlorwasserstofis 57-48 J; der Unterschied beträgt 10»07J, und es ist Ro = 10-57 J zu setzen. Andererseits wurde bei der Reaktion von 1 Äq. Chlorwasserstoff auf 1 Äq. Fluomatrium eine Wärmeabsorption von 987 beobachtet. Führt man die Werte ein, so ergiebt sich

9-87

x = —-=0-933.

10-57

Bei dem fraglichen Vorgange sind somit 0-933 des Äquivalents, oder 93-3 Prozent der vorhandenen Menge Fluorwasserstoff durch die Salz- säure in Freiheit gesetzt worden.

Bei der Ableitung ist stillschweigend die Voraussetzung gemacht worden, dass ausser der Energieänderung durch die Umsetzung der Salze keine andere stattfindet. Nun trifft dies keineswegs immer zu; häufig wirken die vorhandenen Stoffe auch nach anderer Richtung, und man muss dann entsprechende Korrekturen anbringen. Man thut dies, mdem man den thermischen Betrag dieser Nebenreaktionen durch eigene Versuche bestimmt und ihn von der Differenz JR in Abzug bringt. Die Formel nimmt dann die Gestalt an

_ JR q

In vielen Fällen wird dies Verfahren freilich noch dadurch erschwert, dass q selbst eine Funktion des Wertes x ist, den man zu bestimmen beabsichtigt. In solchen Fällen ist es am einfachsten, fiir einige willkür- lich angenommene Werte von x die Grössen R und q zu berechnen; hat man jene so gewählt, dass der wirkliche Wert von x zwischen die angenommenen fällt, so lässt er sich leicht durch Interpolation mit ge- nügender Genauigkeit berechnen.

In vielen Fällen lassen sich die Einzelwerte Sa und Sß, aus denen sich die Grösse zusammensetzt, nicht bequem unmittelbar bestimmen. Für den hier betrachteten Fall der Salzbildung sind zwar die Neutralisations- wärmen löslicher Basen experimentell leicht zugänglich, nicht aber die der unlöslichen. Alsdann ist die Kenntnis eines allgemeinen Verfahrens wichtig, welches die Bestimmung jener Grösse auf einem anderen Wege gestattet.

Dieser Weg liegt darin, dass man von den beiden Zuständen aus, wie sie die beiden Seiten der chemischen Gleichung darstellen, zu einem gemein- samen Zwischenzustand übergeht; die Differenz der beiden Änderungen ist gleich dem gesuchten Unterschiede für den vollständigen Übergang des Ge- bildes von dem einen Grenzzustande in den anderen. Geht man dann von dem ersten Zustande durch die eintretende Reaktion zu dem Gleichgewich ts- zustande über, und für den die Eigenschaft den Wert S annehmen soll, so

510 XI. Die chemische Verwandtschaft.

beobachtet man die Änderung 2^a— S. Verf&hrt man ebenso von dem zweiten Grenzzustande aus, indem man entsprechende Mengen der Produkte zur Reaktion und zu demselben Gleichgewichte bringt, wie im ersten Falle, so erh&lt man den Unterschied 2ß—S. Die Differenz der beiden Änderungen ^a S {Hß S) « 2'a Z/9 ist der gesuchte Wert.

Die Voraussetzung desVerfehrens ist, dass die Stoffe in dem durch die Reaktionsgleichung gegebenen Verhältnis angewendet werden, indem jedes- mal die durch eine Seite der Gleichung gegebenen Mengen zur Reaktion ge- bracht werden. Eine weitere Voraussetzung ist, dass von beiden Seiten aus auch wirklich dasselbe Gleichgewicht erreicht wird, worüber bei langsam ver- laufenden Reaktionen besondere Untersuchungen anzustellen sind.

Im vorliegenden Falle der Neutralisationswärmen besteht das Verfahren darin, dass man einmal das Salz der ersten Säure mit der zweiten freien Säure zur Reaktion bringt, und das anderemal den gleichen Versuch mit dem Salze der zweiten Säure und der ersten Säure im freien Zustande anstellt In diesen Versuchen ist dann gleichzeitig das Material zur Berechnung des „Teilungsverhältnisses** enthalten, da 2a S=— JR ist.

Ein Verfahren von ähnlichem Umfang der Anwendbarkeit wie das therm ochemische, aber viel leichter und bequemer in der Ausführung^ ist die auf der Bestimmung des spezifischen Volums beruhende v o In m che- mische Methode. Die Anwendung des spezifischen Gewichts zur Quantitätsbestimmung gelöster Stoffe reicht in das Altertum zurück, und nimmt bis heute einen wichtigen Platz in der Technik und Wissenschaft ein. Deshalb ist es immerhin auffallig, dass die Benutzung dieser Eigen- schaft zur Ermittelung der Anordnung der Stoffe in homogenen Losungen so lange hat auf sich warten lassen. Die ersten Versuche hierüber sind von Tissier (1859) ausgeführt worden. Später sind von W. Ostwald (1878) zahlreiche Versuche nach dieser Methode ausgeführt worden, welche die Verteilung verschiedener Basen zwischen je zwei gleichzeitig einwirkende Säuren zum Gegenstande hatten.

Ist d das spezifische Gewicht einer Flüssigkeit, so ist 1/d ihr spezi- fisches Volum, d. h. das Volum, welches von der Gewichtseinheit einge- nommen wird. Multipliziert man dieses mit dem Gewicht der Losung, welches ein Mol des betrachteten Stoffes enthält, so erhält mau das Molekularvolum der Lösung. Bringt man verschiedene Lösungen, weldie chemisch aufeinander einwirken können, zusammen, und lässt den Vor- gang erfolgen, so zeigt sich das Molekularvolum der gemischten Losung verschieden von der Summe der Volume der Bestandteile.

Die Änderungen der Molekularvolume durch den Neutralisationsvor- gang sind ziemlich beträchtlich und viel mannigfaltiger, als die ent- sprechenden Neutralisationswärmen. Das Prinzip der Methode ist von dem der thermochemischen nicht verschieden und es gilt dieselbe Formel

_ AR

Rq

Methoden. 511,

wo nur die Grössen eine entsprechend geänderte Bedeutung gewinnen. zJR ist die Volumänderung, welche bei der Einwirkung der einen Säure auf äaa Neutralsalz der anderen stattfindet, und R^^ ist der Unterschied der Volumänderungen bei der Neutralisation jeder der beiden Säuren. Sind Nebenreaktionen vorhanden, so gilt die korrigierte Formel

_ JR--q

Rq

wo q die Volumänderung der Nebenreaktionen bedeutet.

Die technische Ausführung der Versuche ist unter Anwendung eines Pyknometers leicht bis zu einem hohen Grade der Genauigkeit zu bringen. Das Verfahren ist das der gewöhnlichen Dichtebestimmungen; man hat sorgfaltig die Temperatur konstant zu halten und ei'reicht dann leicht eine Genauigkeit von einigen Einheiten der fünften Dezimale, wenn man Pyknometer von 20 bis 30 g Inhalt verwendet.

So wurde z. B. das spezifische Volum einer Kalilösung, welche KOH = 56'1 g in einem Kilogramm enthielt, gleich 0-950668 gefunden, das einer entsprechenden Salpetersäurelösung gleich 0-966623; die Molekularvolume sind 950-668 und 966-623 ccm. Als gleiche Gewichte beider Lösungen ge- mischt wurden, ergab sich das spezifische Volum der erhaltenen Salpeterlö- sung zu Ü-968669; das Molekularvolum (dem ein Gewicht von 2000 g ent- spricht) beträgt daher 1937-338 ccm, während die Summe der Molekularvolume von Säure und Basis nur 1917*291 ccm ausmacht. Somit ist bei der Neu- tralisation eine Ausdehnung um 20047 ccm eingetreten.

Bei anderen Säuren sind die Änderungen meist kleiner; sie gehen auf 6 ccm bei den Fettsäuren herab.

Das volumchemische Verfahren lässt sich leicht auf höhere und niedere Temperatm'en ausdehnen, was bei dem thermochemischen mit erheblichen Schwierigkeiten verknüpft ist. Man braucht nur die Wärme- ausdehnung der Flüssigkeiten, deren Volume man zu vergleichen hat, mit Hilfe eines Dilatometers zu bestimmen, um flir jede andere Tem- peratur das Material zu gewinnen, welches den Zustand der Lösung zu berechnen gestattet.

Von weiteren allgemeinen Eigenschaften, welche ähnliche Anweu- dung^^'estatten und in solchem Sinne benutzt worden sind, ist die Licht- brechung zu nennen. Die Anwendung des Verfahrens bietet grundsätz- lich nichts neues, so dass Einzelheiten unterbleiben können.

Hiermit ist die Liste der anwendbaren allgemeinen Eigenschaften nicht abgeschlossen, doch haben die anderen noch keine eriiebliche An^ Wendung gefunden.

Was die Anwendung der besonderen Eigenschaften anlangt, so liegt der günstigste Fall vor, wenn es gelingt, eine Eigenschaft ausfindig zu machen, welche dem zu messenden Stoffe allein zukommt, und deren Betrag seiner Menge oder Konzentration proportional ist. Dann giebt die Messung der fraglichen Grösse unmittelbar die gesuchte Menge.

512 XL Die chemische Verwandtschaft.

Die Möglichkeit von Fehlem liegt hier insofern vor^ als entweder die vorausgesetzte Proportionalität nicht genau vorhanden ist^ oder ä& Proportionalitätsfaktor durch die Gegenwart anderer Stoffe^ die an sidi die tägliche Eigenschaft nicht besitzen ^ geändert wird. Hier ist es häufig schwierig, die erforderlichen Kontrollversuche anzustellen, da sidi von vornherein nicht entscheiden lässt, ob eine auf Zusatz eines anderen Stoffes beobachtete Änderung des Eigenschaftswertes von der Änderung der Menge des fraglichen Stoffes, oder von der Änderung des Faktors herrührt. Das einzige Mittel, das in solchen Fällen angewendet werden kann, ist die Messung mittels einer anderen, unabhängigen Eigenschaft; aus dem Vergleich der beiderseits erhaltenen Zahlen ergiebt sich dann, welche von den beiden Möglichkeiten die wahrscheinlichere ist.

Als Beispiel für diese Methode sei die Bestimmung der Zuckermenge in einer Lösung aus der Drehung der Polarisationsebene genannt. Durch Messungen an reinen Zuckeriösungen von bekanntem Gehalt hat sich ergeben, dass die Drehung dem Gehalte keineswegs völlig genau proportional ist; bei sehr genauen Versuchen wird also hierauf Rücksicht zu nehmen sein. Femer hat sich ergeben, dass die Anwesenheit anderer Stoffe, wie Salze, Alkohol u. dergl. die Drehung ein wenig ändert; auch dieser Einfluss ist gering.

Ähnlich verhält sich die Gehaltsbestimmung aus der Färbung, wenn nur der zu messende Stoff eine merkliche Lichtabsorption zeigt. Gewöhnlich wird die Geltung des Behrschen Gesetzes, nach welchem der Extinktionskoeffizient dem Gehalte an färbendem Stoffe proportional ist, ohne weiteres vorausgesetzt; doch werden auch hier in bestimmten Fällen sich Abweichungen nachweisen lassen, und eine Prüfung des Geltungsbereiches hat in jedem neuen Falle der Anwendung vorauszugehen.

Messungen dieser Art werden mittels eines Kolorimeters ausgeführt. Ein solches besteht aus zwei Röhren, die unten durch ebene Glasplatten ab- geschlossen sind; in die eine kommt die zu messende Flüssigkeit bis zu einer bestimmten Höhe, in der anderen vermehrt oder vermindert man die Höhe einer Vergleichsflüssigkeit von bekanntem Gehalte so lange, bis beide Röhren bei senkrechter Durchsicht dieselbe Farbe zeigen. Um diesen Vergleich bequem und genau ausführen zu können, sind verschiedene Mittel angegeben worden; eines der einfachsten und besten besteht in der Anbringung zweier paralleler, unter 45° gegen die Rohrachsen geneigter Spiegel. Man entfernt von dem einen einen Teil der Belegung; blickt man durch die Öffnung nach dem anderen Spiegel, so erscheint das durch das zweite Rohr gegangene Licht inmitten des aus dem ersten Rohr stammenden, das von dem ersten Spiegel reflektirt wird, und man kann die Färbung beider Flüssigkeitssäulen mit grosser Schärfe vergleichen. Die von der kleinen Unsymmetrie dieser Anordnung herrührende Einseitigkeit dieses Apparates kann man durch Vorversuche leicht bestimmen und rechnerisch eliminiren.

Zwischen den allgemeinen Eigenschaften, die sämtlichen Stoffen zukommen, und den besonderen, die individuell sind, giebt es noch Zwischenstufen, welche bei grösseren oder kleineren Gruppen von

Methoden« 513

Stoffen auftreten. Hier sind zunächst die an Oasen und verdünnten Lösungen auftretenden koliigativen Eigenschaften zu nennen, aus d^en Messung sich oft wichtige Schlüsse ziehen lassen. Ein Beispiel solcher Anwendung bieten die Ermittelungen über den Dissociationszustand ge- wisser Verbindungen, die sich aus der Gasdichte ergeben haben. Der för Phosphorpentachlorid gefiindene Wert von rund 140 (S. 74) ist ein Beweis dafür, das eine Verbindung PClj^ im Dampfe sicher nicht vor- handen ist; eine Auskunft, welche Stoffe thatsächlich vorhanden sind, lässt sich aus dieser Zahl allerdings nicht entnehmen. Ist aber ander- weit bekannt, was vorhanden ist, so dient die gefundene Gasdichte zur Ermittelung der Mengenverhältnisse, wie das im Falle des Stickstoff- hyperoxyds (S. 308) gezeigt worden ist.

Durch die Erweiterung der Gasgesetze auf verdünnte Lösungen ist dieser Schlussweise ein sehr ausgedehntes Anwendungsgebiet eröffiiet worden. Auch ist bereits geschildert worden, wie sie zu einem der wichtigsten Fortschritte der neueren Chemie, zur Theorie der freien Ionen geführt hat (S. 214).

Durch den Begriff der freien Ionen selbst ist eine neue Reihe von Aufgaben entstanden, die sich auf die Beschaffenheit und Menge derselben beziehen. Was die erste anlangt, so lassen sich die hier ent- stehenden Fragen nach der Zusammensetzung der Ionen in besonderen Fällen, namentiich bei der Bildung von komplexen Verbindungen, durch das Kriterium der Wechselzersetzung beantworten: Stoffgruppen, welche die Stelle notorischer Ionen in salzartigen Verbindungen einnehmen können, sind als Ionen anzusehen. Eine weitere Gewähr fiir die Er- gebnisse kann man auf dem Wege der Überfuhrungserscheinungen er- halten: Bestandteile, deren Konzentration sich bei der Elektrolyse an der Anode vermehrt, gehören dem Anion an und umgekehrt.

Für das Vorhandensein der Ionen selbst ist die Anwesenheit elek- trolytischer Leitfähigkeit ein sicherer Beweis. Ist man darüber nicht sicher, ob die Leitung metallisch oder elektrolytisch ist, so giebt die Erscheinung der Polarisation nach dem Durchgange eines einseitigen Stromes Auskunft. Einen noch sichereren Nachweis bietet das Entstehen einer Spannung, wenn der fragÜche Stoff zwischen verschiedenen MetaUen zu einer Kette zusammengestellt wird. Ist der Stoff ein metallischer Leiter, so zeigt ein eingeschaltetes Elektrometer keine Spannung an; im andern Falle tritt eine auf. Als einschliessende Metalle nimmt man am besten solche, die weit voneinander in der Spannungsreihe abstehen, wie Zink und Platin; um zu&llige Kompensationen zu erkennen, wieder- holt man den Versuch mit anderen Metallpaaren.

Aus der beobachteten elektrolytischen Leitfähigkeit lässt sich ein annähernder Schluss über die Konzentration vorhandener Ionen ziehen. Denn die Wanderungsgeschwindigkeit der verschiedenen Ionen (mit Aus- schluss von Wasserstoff und Hydroxyl, deren Anwesenheit leicht durch saure oder alkalische Reaktion zu erkennen ist) ist nicht so verschieden,

Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 33

514 XI. Die chemische Verwandtschaft

dass nicht eine annähernde Schätzung mit Hilfe der S. 385 nnd 397 gegebenen Zahlen und Regehi auszufahren wäre.

Im übrigen ist die Leitfähigkeit nur ein Gruppenreagens auf lon^ überhaupt; welches zwar deren Vorhandensein^ nidbt aber ihre Natur an- zugeben vermag. Kennt man diese aber, so ist die Leitfähigkeit ein ausgezeichnetes Mittel, um die Konzentration der Ionen zu ermittehi, und es ist an früherer Stelle (S. 390) diese Anwendung in einem besonderen Falle dargelegt worden.

In manchen Fällen ist die Mannigfaltigkeit vorhandener Ionen zn grosS; als dass man aus der Leitfähigkeit Schlüsse auf die Mengen einzelne Arten ziehen könnte. Dann treten die spezifischen Reaktionen auf einzelne Ionen ein. Diese finden sich in den chemischen Gleich- gewichten mit festen Phasen (S. 414); durch die Verminderung der Löslichkeit eines schwerlöslichen Stoffes ergiebt sich das Vorhandensein und die Konzentration eines seiner Ionen in der zu untersuchenden Flüssigkeit.

Ein anderes Mittel ^ das namentlich im Falle sehr kleiner Konzen- trationen von Ionen Anwendung finden kann, liegt in der Messung der elektrischen Spannung einer solchen Lösung gegen eine Elektrode, weldie mit diesem Ion im Gleichgewicht steht. Auch hierfür ist früher (S. 453) ein Beispiel gegeben worden.

Zweites Kapitel. Beaktionsgesohwindigkeit und Katalyse.

Das chemische Gleichgewicht ist durch die Bedingung gekennzeich- net, dass die möglichen Verschiebungen des Zustandes unendlich wenig Arbeit erfordern oder ausgeben. Hierdurch wird die Bestimmung des- selben eine Aufgabe der Energetik, und es ist eindeutig festgestellt, wenn diese Arbeiten in ihrer Abhängigkeit von der relativen Menge der mög- lichen Stoffe bekannt sind.

Dass eine chemische Reaktion, der eine Geschwindigkeit znkommt eintreten wird, wenn die allgemeine Gleichgewichtsbedingung nieht er- fQUt ist, lässt sich gleichfalls energetisch begründen; femer, dass unter sonst gleichen Umständen die Geschwindigkeit, mit welcher die Beaktion bei mangelndem Gleichgewicht stattfinden wird, der Entfernung vom Gleichgewicht proportional sein wird. Wie diese Entfernung vom Gleich- gewicht zu messen ist, ergiebt sich aus der Gestalt für die Gesetze der Reaktionsgeschwindigkeit (S. 295 u. ff.).

Hierdurch wird festgestellt, dass erstens ein Vorgang mit einer end- lichen Geschwindigkeit eintritt, und dass zweitens die nacheinander folgen- den Teile des Vorganges in Zeiten verlaufen, die in gesetzmässiger

Reaktionsgeschwindigkeit und Katalyse. 51 g

gegenseitiger Abhängigkeit stehen. Dagegen wird nicht festgestellt, welches der absolute Betrag der Zeit ist, in welcher sich ein bestimmter Bruch- teil der Reaktion vollziehen muss. Die genannten Gesetze können be- friedigt werden, ob die Umwandlung von einem Prozent des Gesamtbe- trages eine Sekunde oder ein Jahr beansprucht.

Auch durch die Beziehung der Geschwindigkeiten zweier entgegen- gesetzter Reaktionen, die zu einem Gleichgewicht führen, auf die Verhältnisse dieses Gleichgewichts wird keine absolute Bestimmung der Geschwindig- keit erzielt. Ist eine Geschwindigkeit und das Gleichgewicht gegeben, so ist auch die andere Geschwindigkeit bestimmt; aus dem Gleichgewicht allein kann man aber nur das Verhältnis beider Geschwindigkeiten ab- leiten, und ihr absoluter Wert kann jeden beliebigen Betrag annehmen.

Die Erfahrung entspricht diesen allgemeinen Überlegungen in sehr auffälliger Weise. Durch Umstände, die auf das Gleichgewicjit keinen oder nur einen geringen Einfluss ausüben, lässt sich die Geschwindigkeit ausserordentlich verschieben. Ein bekanntes Beispiel hierför ist die Bildung der Ester aus Säuren und Alkoholen; während die Reaktions- geschwindigkeit sich durch eine Temperaturerhöhung von etwa 100^ vertausendfacht, erleidet dadurch das Gleichgewicht infolge der geringen Reaktionswärme (S. 288) eine so unerhebliche Verschiebung, dass diese experimentell kaum nachweisbar ist. Femer besteht der Einfluss der Temperaturerhöhung immer in der Erhöhung der Geschwindigkeit, während sie das Gleichgewicht in einem wie im anderen Sinne ver- schieben kann').

Ausser der Temperatur zeigen noch andere Umstände einen solchen grossen Einfluss auf die Reaktionsgeschwindigkeit, vor allen Dingen die Gegenwart anderer Stoße. Es ist an früherer Stelle (S. 303) dargelegt worden, dass ein solcher Einfluss immer besteht; nur ist er in vielen Fällen nicht sehr gi^oss und hat deshalb keine besondere Aufmerksam- keit erregt. In einzelnen Fällen dagegen genügen sehr kleine Mengen fremder Stofle, um ausserordentlich beträchtliche Änderungen der Ge- schwindigkeit hervorzubringen. Diese Änderungen können positiv wie negativ sein, d. h. sowohl in Erhöhungen, wie Verminderungen der Ge- schwindigkeit bestehen.

Man neimt die Stoße, welche solche Änderungen der Geschwindig- keit bewirken, Katalysatoren, und zwar positive und negative, je nachdem sie Beschleunigungen oder Verzögerungen hervorbringen.

Der Begriff der Katalysatoren hat erst in neuerer Zeit diese bestimmte Definition erfahren (Ostwald 1894). Früher glaubte man, dass gewisse Stoffe durch ihre Gegenwart zwischen anderen Stoffen Reaktionen hervorbringen könnten, die ohnedies überhaupt nicht stattfänden, und „erklärte" sich diese Erscheinungen durch nichtssagende Annahmen von Atomschwingungen und

*) Dies geschieht insbesondere, wenn die Reaktionswärme durch Null geht (S. 344).

33*

516 XI. Die chemische Verwandtschaft.

derfi^leichen unkontrollierbaren Dingen. Gegenwärtig, wo man durch die Er- fahrung zu der allgemeinen Auffassung geführt wird, dass alle aus bestimmten Stoffen möglichen Produkte auch wirklich entstehen, wenn auch in sehr ver- schiedenen Verhältnissen und mit entsprechend verschiedener Geschwindigkeit, macht es keine Schwierigkeit, alle derartigen „Berührungswirkungen'^ als kata- lytische Beschleunigungen vorhandener, wenn auch quantitativ noch nicht messbarer Reaktionen aufzufassen. Der Begriff des Beschleunigers oder Ka- talysators hat dadurch einen bestimmten Inhalt gewonnen, der einer zahlen- mässigen Definition durch den Betrag der Beschleunigung für eine bestimmte Menge des Katalysators fähig ist.

Das Vorhandensein solcher katalytischer oder Berühnmgswirkungen ist zuerst an zwei technich sehr wichtigen Vorgängen bekannt geworden: der Schwefelsäurebildung und der Umwandlung der Starke und anderer Kohlehydrate in Zucker. Beide sind Entdeckungen des Zufalls.

Schwefelsäure wurde im vorigen Jahrhundert dadurch hergestellt dafis man das durch Verbrennen von Schwefel erhaltene Schwefeldioxyd mit Wasser und Luft in grossen Flaschen stehen liess; durch Oxydation der schwefligen Säure entstand dann langsam Schwefelsäure. Das Ver- fahren war wenig ausgiebig und konnte sich kaum neben der anderen Methode^ der Destillation von Eisenvitriol, halten. Um die Verbrennung des Schwefels und die Oxydation zu begünstigen, mischte man diesem Salpeter zu. Es ergab sich eine sehr bedeutende Beschleunigung des Vorganges, und zwar blieb diese bestehen, als die Menge des zugesetzten Salpeters weit unter den Betrag vermindert wurde, der für die Oxydation des Schwefels erforderlich gewesen wäre. Clement und Desormes haben dann (1806) in einer sehr einflussreich gewordenen Untersuchung ge- zeigt, dass die Wirkung von den entstandenen roten Dämpfen, d. h. dem Stickstoffhyperoxyd ausging. Denn man konnte die gleiche Be- schleunigung erzielen, wenn man keinen Salpeter für die Verbrennung des Schwefels benutzte, sondern dem Gemenge von Schwefeldioxyd, Luft und Wasserdampf gasförmiges Stickstoffhyperoxyd zusetzte. Auf dieser Bemerkung beruht wesentüch die gegenwärtige Form der Schwefel- säuregewinnung.

Zur „Erklärung^' der von ihnen beobachteten merkwürdigen Ver- hältnisse nahmen Clement und Desormes an, dass der SauerstoflT im Hyperoxyd in einer der schwefligen Säure „bequemeren" oder zugäng- licheren Form vorhanden sei, als in der Luft. Sie stellten daher die noch heute angenommene Theorie auf, dass erst die Luft ihren Sauerstoff an vorhandenes Stickoxyd abgebe, um Hyperoxyd zu bilden. Diesem ent- ziehe die schweflige Säure den Sauerstoff, um m Schwefelsäure überzu- gehen, und das neu gebildete Stickoxyd wiederhole den Vorgang.

Fragt man sich nach der Stichhaltigkeit dieser Theorie, so sieht man, dass sie die Hauptsache unberührt und unerklärt lässt. Die Frage ist nicht: warum geht die schweflige Säure bei Gegenwart von Stickstoffhyperoxyd in Schwefelsäure über? denn der Übergang erfolgt auch ohne die Gegenwart

Reaktionsgeschwindigkeit und Katalyse. 517

dieses Stoffes. Die Frage ist vielmehr: warum geht der Übergang bei Gegen- i^art des Hyperoxyds so viel schneller vor sich, als ohne diese ? und auf diese Frage giebt die Theorie der abwechselnden Reduktionen und Oxydationen der Stickstoflfverbindung keinen Aufschluss.

Da, wie oben dargelegt, zwischen der Geschwindigkeit der Reaktion und der Entfernung vom chemischen Gleichgewicht kein notwendiges Verhältnis besteht, so ist es allerdings ganz wohl möglich, dass jede der beiden ange- nommenen Zwischenreaktionen schneller erfolgt, als die unmittelbare Oxy- dation der schwefligen Säure, obwohl die beiden Stufen 0' + 2NO=»2NO* und H*SO^ -f- NO* = H*SO* + NO jede einzeln eine geringere Entfernung vom schliesslichen Gleichgewicht darstellen, als die Stufe 2H*SO*4-0*=* 2 H'SO*. Es ist also auch möglich, dass die Beschleunigung wirklich von dem Dazwischentreten dieser Reaktionen herrührt. Auch ist es mit den gegen- veärtigen Mitteln sogar möglich, dieser Frage experimentell näher zu treten. Dann wäre die Theorie der Beschleunigung damit gegeben, dass die in diesem Falle vorhandenen Zwischenreaktionen schneller verlaufen, als die unmittel- bare Reaktion.

Durch eine eigentümliche Verkennung der Fragestellung hat sich aber die Vorstellung entwickelt, als wäre eine beobachtete Beschleunigung bereits erklärt, wenn es gelingt, irgend eine Zwischenreaktion aufzustellen. Man hat mit anderen Worten stillschweigend angenommen, dass alle Zwischenreaktionen schneller verlaufen müssten, als die unmittelbare Reaktion. Eine solche An- nahme ist aber in keiner Weise bewiesen, ja auch nur wahrscheinlich, und somit lässt die Formulierung einer möglichen Zwischenreaktion die Frage thatsächlich dort, wo sie war.

Femer beruht aber der experimentelle Nachweis einer Zwischenreaktion, wo er versucht worden ist, auf dem Nachweis einer fassbaren Menge eines der angenommenen Zwischenstoffe im Reaktionsgemisch. Auch wenn ein solcher Nachweis gelungen ist, ist dadurch noch nicht bewiesen, dass der Stoff ein Zwischenprodukt ist. Er kann ebensogut ein Nebenprodukt sein, d.h. mit der Hauptreaktion überhaupt in keiner Beziehung stehen.

Endlich kann durch die Annahme von Zwischenprodukten die Existenz negativer Katalysatoren nicht erklärt werden. Denn wenn die Reaktion über die Zwischenprodukte langsamer geht, als die unmittelbare Reaktion, so ist kein Grund einzusehen, warum nicht eben die letztere erfolgt, und zwar mit ihrer normalen Geschwindigkeit.

Die bisher übliche Auffassung der katalytischen Erscheinungen muss also als ungenügend bezeichnet werden. Durch die neue Auffassung als einer Änderung der Reaktionsgeschwindigkeit ist etwaiger Mitthätigkeit von Zwischen- stoffen nicht vorgegriffen; es ist nur die Frage auf den Boden quantitativer Messungen anstatt qualitativer Hypothesen gestellt und dadurch der wissen- schaftlichen Behandlung zugänglich gemacht worden.

Der zweite Fall, in welchem eine katalytische Reaktion von technischer Bedeutung entdeckt wurde, war die Bildung von Gummi (Dextrin) und Zucker aus Stärke durch Kochen mit verdünnten Säuren (Kirchhoff 1811).

518 XI. Die chemische Verwandtschaft.

Hier trat die typische Eigentümlichkeit solcher Vorgänge, dass der Zn- satz nötig ist, um die Erscheinung in praktisch anwendbarer Zeit her- vorzurufen, dass aber in keinem Stadium der Reaktion eine nachweisbare Verbindung zwischen diesem notwendigen Stoffe und dem vorhanden ist, der die Veränderung erfährt, oder einem seiner Umwandlungsprodukte, sehr deutlich zu Tage. Auch wurde bereits damals die fundamentale Thatsaehe (allerdings ohne Erkenntnis ihrer Bedeutung) festgestellt, dass auch ohne die Anwendung von Säuren die Stärke beim Kochen mit Wasser in Gummi (d. h. Dextrin) und etwas Zucker übergeht Gegen- wärtig erkennen wir aus diesem Umstände, dass es sich wieder um die Beschleunigung eines ohnedies, nur mit sehr geringer Geschwindigkeit stattfindenden Vorganges handelt.

Diese und eine Anzahl anderer Thatsachen, insbesondere die Bildung des Äthyläthers aus Alkohol und Schwefelsäure, wobei die letztere gleichfalls keine Veränderung erleidet, wurden dann von Mitscherlich und Berzelius unter den Begriff der kataly tischen Erscheinungen oder Berührungswirkungen zusammengefasst. Der Wissenschaft wurde dadurch ein erheblicher Dienst erwiesen, da die Aufmerksamkeit auf eine Reihe zusammengehöriger That- sachen gelenkt wurde, welche der Erforschung bedurften. Der gegebene Name hatte wie immer in solchen Fällen den Zweck und Nutzen, dass er die Auf- gabe bestimmter hinstellte und dadurch ihre Lösung vorbereitete.

Indessen wurde durch eine von Liebig aufgestellte Hypothese dieser Gewinn fast völlig vernichtet. Liebig nahm an, dass ein in Zersetzung oder „chemischer Bewegung** befindlicher Stoff einen anderen, der zugegen ist und sich seiner- seits nicht zersetzt, seine „chemische Bewegung" mitteilen und ihn zur Zer- setzung bringen kann. Diese Ansicht beruht auf einer blossen Analogie; sie wurde aber von den Zeitgenossen als wissenschaftlicher angesehen, als der von Mitscherlich und Berzelius ausgeführte klassifikatorische Akt, und infolge einer hierbei entstandenen Polemik ist noch bis auf den heutigen Tag der Ausdruck Katalyse wissenschaftlich einigermassen anrüchig.

Der von Liebig erhobene Einwand war, dass durch die Einführung des Begriffes der Katalyse nichts „erklärt" sei. Vergebens hat Berzelius darauf hingewiesen, dass eine Erklärung dadurch überhaupt nicht beabsichtigt war, sondern nur eine Zusammenfassung. Die scheinbare Erklärung durch die Anstosshypothese hat ihrerseits keinen anderen Erfolg gehabt, als die Er- forschung des Problems um ein halbes Jahrhundert hinauszuschieben.

Was nun die Zusammenfassung der gegenwärtig bekannten That- sachen und Verhältnisse anlangt, so ist zunächst festzustellen, dass es eine grosse Anzahl von Stoffen giebt, welche, ohne an dem Endergebnis einer Reaktion in messbarer Weise beteiligt zu sein, ihren Verlauf in Bezug auf die Geschwindigkeit in sehr hohem Masse beeinflussen. Die Vorgänge, welche in solcherWeise beeinflusst werden, müssen immer solche Sein, die auch ohnedies freiwillig verlaufen könnten; denn wäre dies nicht der Fall, so wären Verletzungen des isweiten Hauptsatzes möglich. In dieser Beziehung werden noch jetzt

Reaktionsgeschwindigkeit und Katalyse. 519

häufig IrrtüEier begangen, indem man z. B. den Katalysatoren des Or- ganismus gelegentlich die Fähigkeit zuschreibt, chemische Vorgänge zu bewirken, welche mit Vermehrung der freien Energie oder der Ai-beits- f ähigkeit verbunden sind.

Femer muss man als eine Folgerung des zweiten Hauptsatzes den Schluss aussprechen, dass wenn eine zu einem Gleichgewichte führende Reaktion katalytisch beeinflusst wird, auch die ent- gegengesetzte Reaktion einen gleichen Einfluss erfahren muss. Streng genommen gilt dieser Satz nur för den Grenzfall, dass man theoretisch die Einführung des Katalysators vor, und seine En^ feraung nach der Reaktion so ausführen kann, dass die Summe der dazu erforderlichen, bez. dabei geleisteten Arbeiten gleich Null ist. Da sich aber übersehen lässt, dass in den meisten Fällen diese Bedingung mit grosser Annäherung erfallt ist, so kann man den Satz ohne Schwierig- keit anwenden.

Als Beispiel kann die Esterbildung aus Säuren und Alkoholen dienen, w^elche durch die Gegenwart starker Mineralsäuren, wie Schwefel- oder Salz- säure, sehr beschleunigt wird. Durch dieselben Katalysatoren wird aber auch die Verseifung der Ester mit Wasser in gleichem Masse beschleunigt.

Der Beweis für den Satz liegt in dem Umstände, dass durch die Gegen- wart einer kleinen Menge eines fremden Stoffes, der nicht in Verbindung tritt, das Gleichgewicht nicht oder nur unerheblich verschoben werden kann. Da aber das Gleichgewicht durch die Gleichheit der Geschwindigkeiten der entgegengesetzten Reaktionen gekenu zeichnet ist, so muss, wenn die eine Re- aktion durch den Katalysator beschleunigt wird, auch die entgegeugesetzte in gleichem Verhältnis beschleunigt werdeu.

Der Betrag der katalytischen Beeinflussung ist in erster Annäherung derEonzentration des Katalysators proportional. Für diesen Satz sind in vielen Fällen Belege erbracht worden, insbe- sondere im FaUe der Invereion des Rohrzuckers durch Säuren, die der Konzentration der vorhandenen Wasserstoffionen proportional ist. Doch wird man diesen Satz als ein Grenzgesetz zu betrachten haben, welches über ein gewisses Gebiet von den kleinsten Verdünnungen ab gilt, aber früher oder später Abweichungen erkennen lassen wird.

Damit ist erschöpft, was sich allgemeines in diesem von der Wissen- schaft lange vernachlässigten Gebiete sagen lässt. An einzelnen That- sachen verdienen noch die folgenden angeführt zu werden.

Katalytische Wirkungen können von Stoffen aller Art ausgeübt werden. Elemente, Verbindungen vom einfachsten bis zum verwickeltsten Typus, feste, flüssige und gasförmige Stoffe, neutrale Stoffe und Ionen, alle finden sich unter den Katalysatoren vertreten, so dass diese Eigenschaft thatsächhch bei aUen Arten chemischer Individuen vorzu- kommen scheint.

Von allen Stoffen zeigt sich am häufigsten katalytisch wirksam der Wasserstoff im lonenzustande. Die meisten Vorgänge, bei denen die

520 ^' ^i^ chemische Verwandtschaft.

Elemente des Wassers aufgenommen nnd abgeschieden werden^ veriaufen bei Gegenwart von Wasserstofiionen schneller, zum Teil sehr viel schnelle, als in neutraler Lösnng. Man hat diese Wirkung der Säuren häufig, z. B. bei der Esterbildung, in einer Bindung des entstehenden Wassers gesndit Da aber der entgegengesetzte Vorgang, der unter Aufnahme von Wasser erfolgt, durch dieselben Stoffe in gleicher Weise beschleunigt wird, so ist eine solche Erklärung hinfällig.

Ähnlich wie Wasserstoffionen wirken in manchen Fällen Hydroxyl- ionen, die in letzter Zeit namentlich in der organischen Chemie vielßiefa zu „Kondensationen^ angewendet worden fflnd. Insofern es sich in solchen F^len um Gleichgewichtszustände handelt, muss man erwarten, dass auch umgekehrt die Spaltungen der Produkte in gleicher Weise durch alkalische Katalysatoren beeinflusst werden müssen.

Für Oxydations- und Heduktionsvorgänge zeigt sich namentlich das metallische Platin wirksam; ebenso und zum TeU noch stärker wirken die anderen Metalle der Platingruppe. Viele derartige Vorgänge werden femer durch die Gegenwart der Ionen des Eisens, Mangans, Kupfos u. s. w,, femer der Ionen der Chromsäure, der Vanadinsäure, der Molybdän- säure u. a. m. beschleunigt.

Die Untersuchung dieser Vorgänge hat ergeben, dass zwei Kataly- satoren bei gleichzeitiger Anwesenheit ihre Wirkung nicht einfach addieren; in den bisher studierten Fällen hat sich die gemeinsame Wirkung be- deutend grösser gezeigt, als die Summe der Teilwirkungen. Fälle mit gegenseitiger Verminderung sind noch nicht beobachtet worden, doch sind unsere Kenntnisse in dieser Hinsicht noch sehr dürftig.

Reaktionen ähnlicher Art werden durch dieselben Stoffe oft in sehr verschiedenem Masse katalytisch beeinflusst. Während die Geschwindigkeit der Oxydation des Jodwasserstofls d. h. der Jodionen mit Chlorsäure oder Bromsäure durch Ferrosalze und Chromate ganz ungemein stark be- schleunigt wird, sind diese Stoffe ohne merkhchen Einfluss auf die ent- sprechende Wirkung der Jodsäure ^).

Die Erscheinungen der negativen Katalyse sind nur äusserst wenig studiert worden. Einen sehr ausgeprägten Fall bietet die Oxydation des Natriumsulfits durch gasförmigen Sauerstoff, deren G^chwindigkdt durch die Anwesenheit ausserordentlich kleiner Spuren organischer Ver- bindungen, wie Alkohol, Zucker, Aldehyde u. s w. enorm verkleinert wird.

Eine besondere Klasse von sehr wirksamen Katalysatoren bilden die in den Organismen vorkommenden Fermente oder Enzyme. Sie haben die allgemeinen Eigenschaften der Eiweissstoffe und verlieren ebenso wie diese ihre spezifischen Eigentümlichkeiten bei Temperaturen zwischen 60 und 100®. In ihrer Wirkungsweise schüessen sie sich den anderen Katalysatoren an; es giebt solche, die hydrolytisch und hydro-

^) Es hat den Anschein, dass Reaktionen, die an sich schnell verlaufer, gegen positive Katalysatoren wenig empfindlich sind.

Stöchiometrische Beziehungen. 521

synthetisch wirken, andere, welche spezielle Oxydationen befördern, u. s. w. Daneben zeigen sie noch eine Anzahl besonderer Wirkungen auf Vor- gange an organischen Stoffen, wie das Gerinnen von CaseYn, den Zer- fall von Zucker in Alkohol und Eohlendioxyd u. a. m., fiir welche an- organische Katalysatoren noch nicht bekannt sind.

Es erscheint keinem erheblichen Zweifel unterworfen, dass die Gesetze, nach denen diese Stoffe wirken, von denen der anorganischen Katalysatoren nicht wesentlich verschieden sind; insbesondere ist an einem Maltoseferment gezeigt worden, dass es ebenso diesen Zucker in Glukose spaltet, wie konzentrierte Lösungen der letzteren in Maltose verwandelt (HiU 1898).

Die katalytischen Erschemungen sind von sehr grosser Wichtigkeit nicht nur für die wissenschaftliche Chemie, sondern für die Physiologie und die Technik. Ihre Erwähnung an dieser Stelle hat bei dem gegen- wärtigen Stande unseres Wissens allerdings nicht die Bedeutung der Schilderung eines vorhandenen geordneten Wissensbestandes, sondern die eines Hinweises auf das Vorhandensein einer Lücke, deren Ausfüllung wichtige Ergebnisse nach allen Richtungen verspricht.

Drittes KapiteL Stöchiometrische Beziehungen.

Dass die Affinitätseigenschaften der Stoffe regelmässige und durch- greifende Beziehungen zu ihrer Zusammensetzung und Konstitution zeigen, ist ein Satz, dessen Geltung stets angenommen worden ist. Beruht doch ein ganz wesentlicher Teil der üblichen chemischen Systematik auf dem Vorhandensein grosser Unterschiede in den Affinitätseigenschaften, zu deren Erkenntnis quantitative Messungen nicht erforderlich waren; die spätere messende Forschung hat dann diese allgemeinen Grundztige mit der Mannigfaltigkeit exakter Zahlenbestimmungen auszufüllen.

Diese zweite Stufe der Entwickelung ist allerdings nur wenig vor- geschritten, und insbesondere harrt das vorhandene Material noch viel- fach der systematischen Bearbeitung und Zusammenstellung. Auch auf den nachstehenden Seiten ist eine solche Systematik noch nicht durch- zuftihren versucht worden, und dieses Schlusskapitel des Buches enthält mehr einen Hinweis auf das, was in dieser Richtung geschehen könnte und sollte, als die Ergebnisse abgerundeter Forschungen.

Gemäss der Thatsache, dass vor allen Stoffen die Ionen chemische Reaktionen am leichtesten und schnellsten beobachten lassen, haben sich in der geschichtlichen Entwickelung die Affinitätsprobleme zuerst an diese Erscheinungen geheftet. Die Verwandtschaftstafeln des vorigen Jahr- hunderts enthielten nur die Salzreaktionen, und als im letzten Viertel

522 XI- I^ic chemisdie YerwandtBciiaft.

dieses JahiiiiindertB die messende Affinitätsldire sidi za entwi^dn b^ann. war es wieder das P^bl^n d^ Salzbildnng , weldies zunächst be> arbeitet wurde.

Neben dem Gebiete der Elektrolvte hat sich aber das der Nidit- elektrolyte in der zweiten Hälfte dieses Jahihanderts der wissensdiaft- hdien Forschung dargeboten. Da die Versuche^ die an den erBto!eii gewonnenen Anschauungen, wie sie sidi im elektrochemisdien Syst^B Ton Berzelius verkörperten^ auf diese neue Klasse von Yerbindnngen zu fibertragen, scheitern mussten, so entstand zunächst der Irrtam, dass jene Ansdiauungen überhaupt falsch seien, und da man die Alkohole und Kohlenwasserstoffe nicht binär formulieren konnte, wie die Salze, so formulierte man die Salze unitär, wie die Kohlenwasserstoffe. Eist j in unserer Zeit ist die Erkenntnis entstanden, dass dies ebenso ^n F^er ist, wie die Übertragung des elektrochemischen Dualismus auf die or- ganischen Verbindungen einer war.

Für die Betrachtungen dieses Kapitels wird man also die Chemie der Ionen von der der Nichtionen zu scheiden haben; beide zeigen weit verschiedene Eigentümlichkeiten. Dieser Untersdiied fäUt einiger- massen mit dem traditionellen zwischen anorganischer und organischer Chemie zusammen, doch nur teilweise, und es wäre ein Irrtum^ wenn man die anorganische Chemie als die der Ionen auffassen wollte. Denn nicht nur sind in der anorganischen Chemie zahlreiche Vorgänge vor- handen, die nicht vom lonenstandpunkte aufgefasst werden können; auch die organische Chemie enthält zahllose Stoffe in lonenform, und einige sehr wichtige stödiiometi'ische Eigenschaften der Ionen sind an organischem Material entdeckt und entwickelt worden.

Die Geschichte dieser Probleme beginnt mit der An&tellnng von Verwandtschaftsreihen, d. h. mit der Bestimmung der Eeihenfolge, in der sich die Stoffe gegenseitig aus analogen Verbindungen verdrängen. Nadi- dem schon Stahl der Aufgabe diese Form gegeben hatte, wurde sie von Geoffroy aufgenommen und von T. Bergmann im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts zum Abschluss gebracht Diese Verwandtschafts- tafeln sollten die Grösse der Verwandtschaften der enthaltenen Stoffe zuerst nur der Reihe nach, später sogar quantitativ ausdrücken. Dass sie dann so schnell wieder aufgegeben wurden, als sie aufgenommen worden waren, wai* eine Folge ihrer ungenügenden Voraussetzungen.

Sie beruhten auf der Ansicht, dass die Verwandtschaft nach Art einer me- chanischen Kraft anzusehen sei. Wie eine grössere Kraft die kleinere ^über- windet", so dass sich der angegriffene Körper im Sinne der grösseren bewegt, so sollten auch die chemischen Reaktionen ausschliesslich im Sinne der grösseren Verwandtschaft stattfinden. Gerade diese Grundlage wurde zu Beginn dieses Jahrhunderts durch Berthoüet angegriffen, und wenn es ihm auch nicht gelang, die neu von ihm gegebenen Ansichten von dem Eintreten chemischer Gleichgewichtszustände alsbald in eine

Stöchiometrische Beziehungen. 523

entwickelungsfahige Gestalt zu bringen, so waren doch nach seinem Auf- treten auch die Verwandtschaftstafeln verschwunden.

Durch die Entdeckung der stöchiometrischen Gesetze zu Beginn dieses Jahrhunderts und die bald darauf eintretende Entwickelung der organischen Chemie geriet die Frage nach den Gesetzen der chemischen Verwandtschaft ganz in den Hmtergiund. Die Reaktionen der Kohlenstoff- verbindungen erschienen so wenig als das Ergebnis grösserer oder ge- ringerer Verwandtschaftskräfte und so sehr abhängig von der „Anordnung der Atome", dass Dumas bei seinen ersten Versuchen zur Entwickelung der Typentheorie nur der letzteren einen Einfluss auf die Vorgänge ein- räumen wollte. Trat der Irrtum einer solchen radikalen Ansicht auch bald zu Tage, so blieb doch der Umstand bestehen, dass Aflfinitäts- probleme im engeren Sinne in der organischen Chemie kaum auftauchten. Selbst als durch Berthelot und Pean de St. Gilles in der Bildung der Ester aus Säuren und Alkoholen (1862) ein der organischen Chemie ungehöriger Fall gefiinden und studiert worden war, in welchem der teilweise und bedingte Verlauf der Eeaktionen in der Zeit ungemein anschaulich experimentell verfolgt werden konnte, dauerte eg noch mehrere Jahre, bevor die Wiederbelebung der Entwickelung der Bertholletschen Theorie durch Guldberg und Waage (1867) die Grundlegung einer systematischen Afiinitätslehre ermöglichte.

Der erste, welcher dann in dieser Richtung vorging, war J. Thomsen (1868), dessen thermochemische Messungen die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Säuren und Basen zum Gegenstande hatten. Der wesentlichste Punkt dieser Arbeiten war ausser dem Nachweis der Gültigkeit des Massenwirkungsgesetzes die Entdeckung, dass die aus den Gleichgewichten sich ergebenden Affinitätsgrössen der Säuren sich ganz unabhängig von ihren Neutralisationswärmen zeigten. Dadurch wurde der Irrtum, dass beide Grössen einander proportional seien, endgültig beseitigt.

Die sich an Thomsens Forschungen anschhessenden Arbeiten von Ostwald (seit 1877) ergaben, dass sich die verschiedenartigsten Reaktionen der Säuren einander proportional zeigten, so dass sich ftir diese Stoffe, denen sich bald die Basen anschliessen Hessen, spezifische Affinitäts- koeffizienten aufstellen lassen, die sich zwar mit der Konzentration und der Temperatur ändern, von der Natur der Reaktion aber unab- hängig sind.

Die Theorie der freien Ionen von Arrhenius Hess diese spezifischen Koeffizienten als durch die Konzentration der vorhandenen freien Wasser- stoff-, bez. Hydroxylionen bestimmt erkennen, und die Gleichgewichts- erscheinungen der Elektrolyte wurden auf die Dissociationskoeffizienten der beteiligten Stoffe zurückgefiihrt (S. 403).

Somit ist das Affinitätsproblem ftir die homogenen Gleichgewichte der Elektrolyte im wesentiichen gelöst, wenn diese Koeffizienten bekannt sind. Die Forschung hat in dieser Beziehung hauptsächlich das Gebiet

524 XI. Die chemiBche Verwandtschaft.

der wäsBerigen Lösnngen bearbeitet; andere Lösnngsmittel haben nodi

nicht überwundene Schwierigkeiten ergeben.

Wie S. 403 angegeben^ ergiebt edch der Dissociationskoeffizient k

a* ans der Formel r = k, wo a der Bruchteil des dissodierten

(l_a)v

Stoffes und y das Volum ist.

Die Formel enthält eine einzige Konstante k^ welche von der Natur des Stoffes bestimmt wird; und diese Konstante ist das gesuchte Mass der chemischen Verwandtschaft.

Um die Bedeutung dieser Konstanten zu erfassen, denken wir unft den Stoff zur Hälfte dissociiert. Wird demgemäss a = 0-5 gesetzt^ so wu-d

=kv: 2k= . 2 ' V

Es ist somit 2 k gleich dem reziproken Wert des Volums oder gleicfa der Konzentration, bei welchem der Elektrolyt gerade zur Hälfte disso- ciiert ist.

Das einfachste und genaueste Hilfsmittel, die Konstante k zu be- stimmen, ist die Messung der elektrischen Leitfähigkeit Es ist bereit» gezeigt worden (S. 390), dass der Dissociationsgrad a sich als das Ver- hältnis zwischen der entsprechenden molekularen Leitf^Übigkeit [i und dem Grenzwert derselben (i^ bei unendlicher Verdünnung ergiebt.

Die stöchiometrischen Beziehungen der Konstanten k treten be- sonders deutlich an organischen Säuren hervor (Ostwald 1889) und soUen hier in einigen typischen f^en erörtert werden. Dabei wird statt

der aus der Formel - = k sich ergebenden Konstante, welche

(1 a)v

unbequem kleine Werte hat, die 100 mal grössere Zahl K=100k be- nutzt werden. Sämtliche Zahlen sind bei 25® mittels der Methode der elektrischen Leitfähigkeit bestimmt worden.

Die Konstanten der Fettsäuren wurden wie folgt gefunden:

K

Ameisensäure HCO^H 0*0214

Esssigsäure CH8C0*H 000180

Propionsäure C^H^CO^H 0-00134

Buttersäure C^H^CO^H 0-00149

Isobuttersäure C^H'CO^H 0-00144

Isovaleriansäure G^H^CO^H 0-00161

Capronsäure C^H^^CO-H 0-00145

Die Werte flir die drei ersten Glieder der Fettsäurereihe nehmen stetig ab; der Eintritt von GH^ für Wasserstoff erniedrigt also die Reaktionsfähig- keit der Säuren. Vom dritten GHede ab schwanken die folgenden Werte unregelmässig um kleine Beträge auf und ab. Die weit vom Carboxyl entfernt erfolgenden Substifutionen von Wasserstoff durch Methyl haben

Stöchiometrische Beziehungen« 525

keinen merklichen Einfluss mehr auf dasselbe, und es machen sich andere "Wirkungen geltend, die sich zunächst unserer Erkenntnis entziehen.

Bemerkenswert ist, dass die Isomeren Buttersäure und Isobutter- saure einander sehr nahe gleich sind. Der Fall ist nicht häufig, indem meist isomere Verbindungen sehr verschiedene Konstanten haben.

Führt man in die Essigsäure an Stelle des Wasserstofl^ Chlor ein, so wu*d die Konstante bedeutend erhöht.

Essigsäure 0-00180

Monochloressigsäure 0-155

Dichloressigsäure 5-14

Trichloressigsäure 121

Man kann zunächst fragen, in welcher Weise die Einflüsse von Ver- änderungen des Komplexes auf das Verhalten des Carboxyls und so- mit auf die Konstante erfolgen, ob letztere flir gleiche Änderungen um gleiche Werte oder in gleichem Verhältnis zunimmt Ein Blick auf die vorstehenden Zahlen lehrt, dass nur die letzte Möglichkeit vor- handen ist Denn die Diflerenzen der aufeinanderfolgenden Zahlen be- tragen 0-153, 4-99 und 116, die Verhältnisse dagegen 86, 33-2 und 23*5. Dass die letzteren Zahlen nicht gleich sind, ist wohl so zu deuten, dass die drei in Betracht gezogenen Änderungen nicht gleich sind, denn im ersten Fall tritt Chlor in eine Verbindung, in welcher noch kein Chlor vorhanden ist, während im zweiten Falle die Substitution in der Gruppe CH^Cl, im dritten in der Gruppe CHCl* erfolgt. Die drei Änderungen sind in der That nicht gleich, sondern nur ähnlich, und dementsprechend sind die drei Verhältniszahlen nicht gleich, sondern nur von gleicher Ordnung.

Der Einfluss des eintretenden Chlors auf die sauren Eigenschaften der Essigsäure ist ein sehr erheblicher; es müssen dem Chlor also be- deutende „sauermachende" Eigenschaften zugeschrieben werden. Auf welche Weise eine derartige Wirkung zu stände kommt, lässt sich gegen- wärtig kaum noch hypothetisch angeben. Berzelius nahm an, dass die Atome des Chlors mit einem ziemlich grossen Überschuss negativer Elektrizität beladen seien und daher eine starke Anziehung auf positiv geladene Stoffe, wie Metalle, ausüben. Mit unseren gegenwärtigen Kennt- nissen tlber das Verhalten der Elektrizität lässt sich diese Hypothese nicht in Einklang bringen, doch ist noch die Bezeichnung der Elemente als positive und negative, je nachdem sich vorwiegend basische oder saure Verbindungen bilden, herrschend geblieben. Sachgemässer sind die Be- zeichnungen positivierend und negativierend.

Benutzt man statt des Chlors andere negativierende Substituenten, so erhält man gleichfalls Verstärkungen in der Wirkung der Essigsäure.

Monobromessigsäure CH'BrCO^H 0-138

Cyanessigsäure CH«(CN)CO«H 0-370

Rhodanessigsäure CH>(SCN)CO«H 0-265

526 ^I* ^^® chemische Verwandtschaft.

Carbaminthioglykolsäure CH«(SCONH2)C02H 0-0246

Thioglykolsäure CH«(SH)CO«H 0-0225

Glykolsäure CH«(OH)GO«H 0-0152

Die Konstante der Monobromessigsäure, 0-1*^8; ist von der der Mono- chloressigsäure, 0-155; wenig verschieden, wie sich auch Chlorwasserstoff und Bromwasserstoff als übereinstimmend erweisen. Dagegen ist die Konstante der Cyanessigsäure bedeutend grösser; Oyan ist demgemäss ein viel „negativerer" Substituent, als Chlor und Brom. Trotzdem ist Cyanwasserstoff eine so schwache Säure, dass sie den Namen einer solchen kaum verdient. Dieser Umstand führt zu dem Schlüsse, dass die Cyanwasserstoflsäure nicht den Halogenwasserstoffsäuren vergleichbar ist, sondern wahrscheinlich als eine Imidverbindung aufgefasst werden muss.

Die Einführung von Rhodan bedingt gleichfalls eine viel stäi^ere Wirkung als die des Chlors, doch steht die Konstante hinter der der Cyanessigsäure zurück. Auch ist Rhodanwasserstoff eine echte Waaser- stoffsäure und an Stärke der Salzsäure völlig vergleichbar.

Sehr bemerkenswert ist die ungemeine Schwächung, welche diese Säure erleidet, wenn sie unter Aufnahme der Elemente des Wassers in die Carba- minthioglykolsäure, eine Essigsäure, in welcher ein Wasserstoffatom durch den Best der Thiocarbaminsäure ersetzt ist, übergeht. Die Konstante vermindert sich auf weniger als eiir Zehntel ihres Wertes. Die Ursache davon ist sehr wahrscheinlich in der Bethätigung der positivierenden Eigenschaften der ent- standenen Amidgruppe NH^ zu suchen.

Der Ersatz von Wasserstoff der Essigsäure durch Hydroxyl er- giebt gleichfalls eine Verstärkung der Säure; die Konstante der Glykol- säure ist etwa 8 mal grösser, als die der Essigsäure. Der Schwefel- wasserstoffrest, SH, an derselben Stelle bedingt eine grössere Wirkung, ebenso wie Schwefelwasserstoff eine stärkere Säure ist als Wasser.

Wird noch ein weiteres Hydroxyl in die Essigsäure eingeführt, so entsteht die Gly Oxalsäure:

Glyoxalsäure CH(0H)2C00H 0-0474.

Das Verhältnis zwischen Essigsäure und Glykolsäure ist 1:8, das zwi- schen dieser und der Glyoxalsäure 1:3. Die zweite Substitution des Hydroxyls hat also eine geringere Wirkung hervorgebracht, als die erste. Dies Ergebnis stellt sich ganz dem an den gechlorten Essigsäuren er- haltenen an die Seite; dort betrugen die beiden Verhältniszahlen 1 : 86 und 1 :33; sie stehen also in dereelben Beziehung zu einander, wie die an den Oxyessigsäuren beobachteten.

Mit der Thioglykolsäure kann die Thiacetsäure verglichen werden. Die Konstante ist:

Thiacetsäure CH^.COSH 0-0469.

Thioglykolsäure hat 0-0225, die Zahl der Thiacetsäure ist somit doppelt so hoch. Die Ursache liegt in der viel unmittelbareren Beziehung zwi- schen dem eingetretenen „negativen" Schwefelatom und dem Säure-

StÖchiometrische Beziehungen. 527.

Wasserstoff, welche in der Thiacetsäure voriianden ist, und welche die Wirkung des Schwefels demgemäfls viel kräftiger Zustandekommen lässt. Ähnliehe Verhältnisse, wie die hydroxylierten Essigsäuren, zeigen die hydroxylierten Propionsäuren. Es giebt deren zwei mit verschiedener Stellung des Hydroxyls; ihre Konstanten sind:

Propionsäure CHS.CH^CO^H 000134

Milchsäure CH2:CH(0H)C0«H 0-0138

jE^-Oxypropionsäure CH*OH.CH«.CO«H 0.00311

Während das in der «-Stellung eingetretene Hydroxyl die Konstante der Propionsäure auf den zehnfachen Wert erhoben hat, wirkt derselbe Sub- stituent von der ;9-Stelle aus nur mit dem Faktor 2-3. Es ist dies eine sehr anschauliche Bestätigung des allgemeinen Satzes, dass die Wirkung der einzelnen Elemente auf die Affinitätseigenschaften nicht nur von ihrer Natur, sondern in massgebender Weise von ihrer „Stellung'^ oder Kon- stitution abhängt.

Wird in die Milchsäure ein |9-Hydroxyl eingeführt, so entsteht die Glycerinsäure

Glycerinsäure CH«(OH).CH(OH)CO«H 00228.

Das Verhältnis der Konstanten zur Milchsäure ist 1-7, während das zwischen Propion- und ß-Oxypropionsäure 2-3 beträgt. Die Änderung ist in beiden Fällen von gleicher Grössenordnung, aber kleiner in dem Falle, wo bereits der Substituent einmal vorhanden war. Es ist dies dieselbe Beziehung, welche bei der gechlorten und hydroxylierten Essig- säure beobachtet wurde.

Ein ähnlicher Einfluss der Entfernung des Substituenten lässt sich bei der Lävulinsäure erkennen.

Lävulinsäure CH^.CO.CH^.CH^.COOH 000255.

Die Säure steht, abgesehen von der Stellung der CO-Gruppe, zu der Valeriansäure in demselben Verhältnis, wie die Glyoxalsäure zur Essig- säure. Doch ist sie nur um 1'5 mal stärker als diese, während die Essigsäure beim Übergang in Glyoxalsäure die Konstante im Verhältnis 1 : 26 erhöht. Der enorme Unterschied ist allein der entfernten Lage des Sauerstoffatoms (oder der äquivalenten beiden OH- Gruppen) in der Lävulinsäure zuzuschreiben.

Weitere Beispiele fiir diesen Einfluss der Lage bieten folgende Stoffe.

|!?-Jodpropionsäure CH^J.CH^CO«H 0-0090

TCchlormilchsäure CC1».CH0H.C0«H 0465

Trichlorbuttersäure CH^CHCLCCl^CO^H 10

Mononitrocapronsäure CH».CH(N02).C(CH»)*.C0«H 0-0123

Dinitrocapronsäure CH^C(N02)8.C(CH3)2.CO«H 00694

Die Konstante der «-Jodpropionsäure ist nicht bekannt, doch lässt sie sich

mit einiger Sicherheit annähernd gleich 0'12 schätzen. Die der /9-Jod-

propionsäure ist 13 mal kleiner. Der- grosse Einfluss der Stellung macht

sich um so deutlicher geltend, je stärker die Substituenten selbst wirken.

528 ^* ^i® chemische Verwandtschaft.

Noch erheblicher gestalten sich die Unterschiede bei der Trichlor- milchsäure. Milchsäure hat die Konstante 0*0138; die drei Chloratome haben dieselbe etwa auf den 34 fachen Wert gesteigert Die Elssigsaure dagegen zeigt beim Übergange in die Trichloressigsäure eine Steigerung von 0*0018 auf 121, also wie 1 : 67000; das Yeriiältnis ist somit nicht weniger als 2000 mal grösser.

Die Mononitrocapronsäure mit der Konstante 0*01 2 3 leitet 8-5 mal besser, als ihre Muttersubstanz; es kann somit keine a-Verbindimg sein. Denn die Nitrogruppe erweist sich weit stärker negativierend als Chlor, und Clüor in der ce- Stelle bedingt eine Erhöhung der Konstanten auf etwa den 80 fachen Wert. Hingegen entspricht die Zahl ganz gut der Annahme, dass die Nitrogruppe in der /3-Stellung steht, welche Annahme auf Grund der chemischen Verhältnisse für den Stoff gemacht worden ist. Die zweite Nitrogruppe bedingt eine Zunahme der Konstanten anf den 5-6 fachen Wert der Mono Verbindung. Der Faktor ist fiir die zweite Nitrogruppe kleiner, als für die erste, was den früheren Erfahrungen vollkommen entspricht.

In noch viel mannigfaltigerer Weise, als bei den Abkömmlingen der Fettsäuren, lässt sich der Einfluss wechselnder Stellung bei der Substita- tion an den Derivaten der Benzoesäure verfolgen. Es sind folgende Konstanten beobachtet worden:

Benzoesäure C^H^CO^H 0-0060

o-Oxybenzoesäure C**H*(0H)C02H 0-102

m-Oxybenzoesäure C^H*(OH)CO«H 0-0087

p-Oxybenzoesäure CßH*(OH)CO*H 0-00286

Benzoesäure selbst ist slärker als die höheren Fettsäuren, auch als EsA^- säure; auch ist Phenyl negativer als Methyl, denn Phenylalkokol oder Phenol hat den Charakter einer schwachen Säure, was bei Methylalkohol nicht der Fall ist Das eintretende Hydroxyl übt, je nachdem es in die Ortho-, Meta- oder Para-Stellung tritt, ungemein verschiedene Wirkungen aus. In der o-Stellung beträgt der Einfluss am meisten; die Konstante ersdieint auf den 1 7 fachen Wert gesteigert In der m-Stelle beträgt die Änderung nur das 1-4 fache, und in der p-Stelle bedingt der Eintritt des Hydroxyls sogar eine Schwächung der Säure, eine Verminderung der Konstante auf etwas weniger als die Hälfte.

Aus den Einflüssen, welche das Hydroxyl an jedem der drei Orte des Benzols ausübt, lassen sich nun mit ziemlich grosser Annäherung die Konstanten aller übrigen mehrfach hydroxyh'erten Benzoesäuren schätzen. Die Messungen haben folgende Zahlen ergeben, wobei be- merkt werden soll, dass die Stellung der Hydroxyle vom Carboxyl ab gezählt werden soll; dieses ist mit 1 bezeichnet.

OxysaUcylsäure C«H3(0H)2C0*H(2, 3) 0.114

Oxysaücylsäure C«H»(OH)2C02H(2, 5) 0-108

cc-Resorcylsäure C6H3(OH)2CO«H(2, 6) 50

Stdchiometrische Beziehungen. 529

/J-Resorcylsäure C«H»(OH)2C02H(2, 4) 0052

Ptotokatechusäure CßH3(OH)2CO«H(3, 4) 00033

symm. Dioxybenzoesäure C«H3(OH)2C02H(3, 5) 00091

Gallussäure CßH«(OH)'»C02H(3, 4, 5) 00040

PyrogaUolcarbonsäure C«H«(OH)3CO«H(2, 3, 4) 0-055

Phlorogludncarbonsäure CßH«(OH)3C02H(2, 4, 6) 2-2

Die gleichzeitige Wb-kung mehrerer Substituenten zeigte sich nach den bisherigen Erfahrungen meist in dem Sinne, dass jeder Substituent einen von seiner Natur und Stellung abhängigen Faktor zu der Säure- konstante beitrug. Der Faktor war einigermassen, aber nicht ganz unabhängig von dem, was bereits in der Molekel vorhanden war; bis- her zeigte sich stets eine Abweichung in dem Sinne, dass der zweite, übereinstimmend eintretende Substituent etwas geringer wirkte, als der erste.

Nach diesem Satz haben wu* zu erwarten, dass die Oxysalicylsäure 2y 3 etwas stärker sein muss, als die Salicylsäure, weil das hinzuge- tretene m-Hydroxyl die Konstante etwas vergrössert (S. 528). Salicyl- säure hat 0102, Oxysalicylsäure 0-114, die Erwartung findet sich so- mit bestätigt.

Auch in der anderen Oxysalicylsäure 2, 5 hat das hinzugetretene Hydroxyl die m-Stelle eingenommen; beide Stoffe enthalten somit beide Hydroxyle in gleicher Entfernung vom Carboxyl. Trotzdem sind sie etwas verschieden. Zwar ist die 2, 5 -Säure, der Erwartung gemäss, gleichfalls etwas stärker, als Salicylsäure, sie ist es aber in geringerem Masse, als die 2, 3-Säure. Dies ist ein Beweis, dass die Wirkungen der einzelnen Substituenten zwar in geringerem, aber doch immerhin merk- lichem Mass voneinander abhängig sind.

Schreibt man beide Säuren in dem üblichen sechseckigen Benzol- schema, so zeigt sich, der Erfahrung entsprechend, die Stellung 2, 3 günstiger zum Zusammenwirken, als die Stellung 2, 5.

Die j9-Resorcylsäure 2, 4 ist aus der Salicylsäure durch Eintritt eines Hydroxyls in der p- Stelle entstanden; sie muss daher nur etwa halb so stark sein, wie jene. Ihre Konstante 0-052 ist in der That gegen die der Salicylsäure 0-102 auf die Hälfte vermindert.

In der a-Resorcylsäure befinden sich zwei Hydroxyle in der Ortho- stellung. Das erste o- Hydroxyl bewirkt in der Benzoesäure eine Er- höhung der Konstanten auf den 17 fachen Wert; das zweite, wie aus den Zahlen hervorgeht, eine auf den 49 fachen Wert. Hier zeigt sich ein Gegensatz zu den früher (S. 525) beobachteten Verhältnissen, nach denen der zweite von zwei gleichen Substituenten schwächer wirkt, als der erste. Indessen steht die neue Erscheinung nicht vereinzelt da, wie aus dem folgenden Beispiel hervorgeht:

Gallussäure C«H2(OH)3CO«H 0.0040

Monobromgallussäui-e C « H Br (0 H) » C 0 « H 0-059 DibromgaJlussäure CßBr2(OH)8C02H 1-21

Ostwald, Grundriss. 3. Aufl. 34

530 XI. Die chemische Verwandtschaft.

Die Bromatome der gebromten Gallussäuren befinden sieh^ da die drei Hydroxyle die Stellen 3, 4, 5 einnehmen, beide in der Orthosteliung. Das erste Bromatom bewirkt eine Verstärkung um das 15 faehe^ das zweite um mehr als das 20 fache. Es wirkt also auch in diesem Falle der zu zweit eintretende Substituent stärker, als der zuerst eintretende. Hieraus geht zunächst hervor, dass die Orthostelle im Benzolkem ganz andere Wirkungen bedingt, als die «-Stellung in den geraden Ketten. Eine anschauliche räumUche Erklärung dieser besonderen Verhältnisse liegt ziemlich nahe, doch soll von ihrer Auseinandersetzung hier abge- sehen werden.

Die Ptotokatechusäure, welche ein Hydroxyl in der Meta- und eines in der Parastellung enthält, muss wegen des letzteren etwa halb so stark, als die m-Oxybenzoesäure sein. Auch diese Erwartung findet sich bestätigt.

Die symmetrische Dioxybenzoesäure besitzt zwei Meta -Hydroxyle und hat demgemäss die Konstante 00091, welche etwas die der m-Oxy- benzoesäure übertrifft. Es entsprechen somit sämtliche zweifach hydr- oxylierten Benzoesäuren dem Gesetz, dass die Affinitätskonstanten mehr- fach substituierter Säuren angenähert als Produkte der den einzelnen Substituenten zukommenden Faktoren erscheinen.

Auch fiir die bisher bekannten Trioxybenzoesäuren lassen sich die beobachteten Konstanten mit grosser Annäherung vorausberechnen. So ist die Gallussäure das p-Oxyderivat der symmetrischen Dioxybenzoe- säure; ihre Konstante muss etwa halb so gross sein, wie die der letzteren. Die beiden Zahlen sind 00091 und 0-0040. Die Pyrogallolcarbonsäure ist die p-Oxyverbindung der Oxysalicylsäure; die Konstanten sind 0-055 und 0-114, stehen also wieder in dem erwarteten Verhältnis 1:2. Phloroglucincarbonsäure endlich ist die p-Oxyverbindung der /3-Ilesorcyl- säure; beide Konstanten sind 2-2 und 5-0, der Erwartung gemäss. Sämtliche Beziehungen trefifen mit solcher Sicherheit zu, dass auch för die drei noch nicht bekannten Trioxybenzoesäuren die Konstanten vor- ausbestimmt werden können, so dass, wenn sie einmal hergestellt sein werden, eine Messung der elektrischen Leitfähigkeit genügt, um über ihre Konstitution zu entscheiden.

Ähnlich wie das Hydroxyl verhalten sich die anderen Substituenten der Benzoesäure.

o-Chlorbenzoesäure C^H^CICO^H 0-132

m-Chlorbenzoesäure C ^ H * Cl-C 0 ^H 0-0155

p-Chlorbenzoesäure C « H * Cl-C 0 ^H 0-009 3

o-Brombenzoesäure C^H*Br-CO*H 0-145

m-Brombenzoesäure C^H^Br-CO^H 0-0137

m-Fluorbenzoesäure C^H^Fl-CO^H 0-0136

m-Cyanbenzoesäure C®H*CN-CO*H 0-0199

o-Nitrobenzoesäure C ® H *.(N0 ^)G 0 «H 0-616

m-Nitrobenzoesäure C ^ H*(NO ^0 0 ^H 0-0345

Stöchiometrische Beziehungen. 531

p-Nitrobenzoesäure C«H*(NO*)CO*H 0-0396

o-Nitrosalicylsäure (1,2,3) C«H8(0H)(N0«)C0«H 1.57

p-Nitrosaücylsäure (1,2,5) C6H»(0H)(N0«)C0*H 0-89

Bromnitrobenzoesäure (1,2,6) C « H » Br(NO «)€ Ö ^H 14

Die Zahlen geben wieder zu einer Anzahl von Bemerkungen Anlass. Das Chlor wirkt, wie man sieht, als Substituent im Benzol ganz anders als das Hydroxyl, Während o-Cldorbenzoesäure nur wenig stärker ist als Salicylsäure, sind m- und p-Chlorbenzoesäure den entsprechenden Oxy- verbindungen bedeutend tiberlegen. Auch wirkt das Chlor von allen drei Stellen aus verstärkend. Brom verhält sich ziemlich ähnlich wie Chlor, nur ist die Orthoverbindung etwas stärker, die m- Verbindung deutlich schwächer als beim Chlor. Die m - Fluorbenzoesäure schliesst sich der ent- sprechenden Bromverbindung völlig an, ein Ergebnis, das unerwai-tet war, weil Fluorwasserstoff eine weit schwächere Säure ist, als Chlorwasserstoff. Cyan zeigt dagegen auch im Benzol seinen stark negativierenden Charakter, der den des Chlors übertrifft; ebenso wie die Cyan essigsaure erheblich stärker ist, als die Chloressigsäure, übertrifft die m-Cyanbenzoesäure die entsprechende Chlorverbindung.

Dem Cyan zeigt sich indessen die Nitrogruppe an säurebildender Fähigkeit noch überlegen. In der Orthoverbindung ist die Konstante der Benzoesäure auf mehr als den hundertfachen Wert gesteigert, die Metasäure weist den 5-7 fachen, die Parasäure den 6*6 fachen Wert auf. Hier macht sich zudem eine weitere Abweichung von der Analogie geltend, indem die p-Nitrobenzoesäure etwas stärker ei*scheint, als die Metaverbindung, während sonst stets das Gegenteil beobachtet wurde. Dieser Umstand zeigt, dass man den „Benzolkern" nicht als ein starres Gebilde auffassen darf.

Die beiden Nitrosalicylsäuren enthalten die Nitrogruppe in der Meta- stellung zum Carboxyl. Sie sind beide erheblich stärker, als ihre Mutter- substanz; der Faktor ist aber beide Male grösser, als das Verhältnis zwischen Benzoesäure und m-Nitrobenzoesäure. Ähnliche Erscheinungen haben schon früher (S. 530) Erwähnung gefunden.

Die Bromnitrobenzoesäure enthält endlich Nitryl in der Ortho- und Brom in der Metastellung. Letzteres bedingt, gemäss den Zahlen flii* Benzoe- und m-Brombenzoesäure, eine Vergrösserung der Konstanten um etwas mehr als das Doppelte. Da o-Nitrobenzoesäure 0-62 hat, so ist für die vorliegende Substanz 1-3 bis 1*4 zu erwarten, wie die Messung auch thatsächlich ergeben hat.

Bisher sind fast ausschliesslich solche Verbindungen behandelt worden, welche negativierende oder die sauren Eigenschaften steigernde Sub- stituenten enthalten. Im Methyl haben wir (S. 524) eine Atomgruppe kennen gelenit, welche unter Umständen (z. B. beim Übergang von Ameisen- zu Essigsäure) die Konstante heruntersetzt. Doch ist dies keineswegs immer der. Fall. Beim Einfuhren von Methyl für den

34*

532 XI. Die chemische Verwandtschaft.

Hydroxylwasserstoff der Glykolsäure wird im Gegensatz dazu die Kon- stante grösser. Schwächer als das Methyl wirkt Äthyl.

Glykolsäure CH^OHCO^H 00152

xMethylglykolsäure CH^OCH^CO^H 0-0335

Ätliylglykolsäure CH^OCäH^CO^H 0.0234.

Da schon früher das Phenyl als dem Methyl in Bezug auf seine säurebildende Khigkeit tiberlegen erkannt wurde, so kann es nidit Wunder nehmen, dass die Phenylglykolsäure, K== 0-076, der Glykol- säui'e stark überlegen ist.

Deutlich die sauren Eigenschaften abschwächende Eigenschaften hat die Amidgruppe, NH*. Führt man sie in die Benzoesäure ein, so hat man folgende Reihe:

Benzoesäure C^H^CO^H 0-0060

o-Amidobenzoesäure C^H^NH^-CO^H 0-0009 (ungef.)

p-Amidobenzoesäure CöH^NH^-CO^H 0.0010 (ungef.)

m-Amidobenzoesäure C^H^NH^-CO^H 0-0012.

Die Konstanten der Amidobenzoesäure lassen sich wegen experimenteller Schwierigkeiten nicht genau bestimmen; sie sind erhebhch kleiner, als die Konstante der Benzoesäure.

Wird in das Amid eine Acetylgruppe emgefühi-t, so werden die basischen Eigenschaften des Amids nicht nur kompensiert, sondern über- kompensiert; die Konstanten der o- und p-Acetamidobenzoesäure über- treffen die der Benzoesäure. Bei der p-Verbindung bewirkt das schwach negative Radikal eine Verminderung, ganz ähnlich wie beim Eintritt von Hydroxyl (S. 528).

0- A cetamidobenzoesäure C « H * (NHCOCH ») CO « H 00236 m-Acetamidobenzoesäure C«H*(NHCOCH») CO«H 0-0085 p-Acetamidobenzoesäure C«H*(NHCOCH») CO«H 00052. Benzoesäure hat 0-0060.

Die vorstehenden Beispiele werden genügen, um die Beschaffenheit der Ergebnisse zu zeigen, welche sich durch die Messung der elektro- lytischen Dissociationskonstanten K gewinnen lassen; für eine vollständige Aufzählung der nach dieser Richtung bereits erlangten Resultate ist hier nicht der Ort.

Wenden wir uns von diesem speziellen Gebiete zu aUgemeineren Fragen, so müssen wir den Boden quantitativer Kenntnisse verlassen. Man kann versuchen, auf die Elemente zurückzugehen, und deren Be- ziehungen zu den aus ihnen entstehenden Ionen zum Gegenstande der Untersuchung machen. Es ergiebt sich dabei die Fragestellung nach der Tendenz zur lonenbildung, oder, um ein Bild 'zu brauchen, naeh der Verwandtschaft der elementaren Stoffe zur Elektrizität. Wenn auch hier keine Zahlen beigebracht werden können, so sind doch so grosse Unter- schiede vorhanden, dass systematische Zusammenhänge leicht zu er- kennen sind.

Stöchiometrische Beziehungen. 533

In den natürlichen Familien^ wie sie durch das periodische System der Elemente gegeben sind, besteht eine deutliche Abstufung der Fähig- keit, Ionen zu bilden; gleichzeitig ist die Wertigkeit der entstehenden Ionen von der Reihe abhängig, in der sich das Element befindet. Be- trachten wir auf Seite 45 die Reihe I, so bilden die Elemente der Alkaligruppe sämtlich einwertige Kationen, welche sehr viel beständiger sind, als die neutralen EleÄiente; ihre wichtigsten Reaktionen bestehen daher in ihrem Übergange in den lonenzustand oder den nahestehenden des festen Salzes. Die Elemente der Nebenreihe Cu, Ag, Au zeigen ihre geringe Verwandtschaft mit denen der Hauptreihe durch ihre viel ge- ringere Tendenz, die der Reihe der wachsenden Verbindungsgewichte schnell abnimmt. Hiermit ist teilweise die Fähigkeit zur Bildung kom- plexer Ionen verbunden, die dort auftritt, wo die Tendenz zur Bildung elementarer Ionen kleiner wird.

In der Reihe II sind die Elemente enthalten, welche zweiwertige Kationen bilden. Auch hier ist die Tendenz in der Hauptreihe der Erd- alkalimetalle sehr gross, in der Nebenreihe der Schwermetalle geringer. Bei dem höchsten Gliede, dem Quecksilber, tritt wieder die Neigung zur Bildung komplexer Ionen auf.

Ähnliche Verhältnisse finden sich in der dritten Reihe wieder, nur dass die Tendenz zur lonenbildung geringer geworden ist. Sie wächst mit steigendem Verbindungsgewicht bei den Elementen der Hauptreihe, nimmt aber bei denen der Nebenreihe eher ab. Die höchsten Glieder zeigen wieder die Fähigkeit, Ionen von verschiedener Wertigkeit zu bilden.

Die gleiche Eigentümlichkeit, dass die Elemente mit kleinstem Ver- bindungsgewicht die geringste Tendenz zur BUdung elementarer Ionen haben, ist in der vierten Reihe sehr ausgeprägt, da die niederen Glieder überhaupt derartige Ionen nicht mehr bilden und nur das höchste Glied, das Thorium, beständige Salze giebt. Auch verschwindet hier der Gegen- satz zwischen Haupt- und Nebenreihe, in dem auch in letzterer die Bildung der Ionen durch die Steigerung des Verbindungsgewichtes be- günstigt wird.

Als völlig ausgebildete Eigenschaft zeigt sich dagegen bei diesen Elementen die schon in der vorigen Reihe an den ersten Gliedern aufge- tretene Fähigkeit, in Verbindung mit Sauerstofl^ zusammengesetzte Anionen zu büden. Gleichzeitig entwickelt sich die Verschiedenwertigkeit der Ionen noch mehr.

Bei den Elementen der fünften Reihe treten schon die ersten Spuren der Fähigkeit auf, elementare Anionen zu bilden, zunächst in der Bildung salzartiger Verbindungen, in denen diese Elemente den sauren Teil dar- stellen. Da diese Verbindungen entweder nicht im Wasser löslich sind, oder durch dieses zersetzt werden, so kommt es allerdings meist nicht zur Bildung von Ionen in wässeriger Lösung; wohl aber mögen solche in Schmelzgemischen vorhanden sein. Die sauerstoffhaltigen Anionen spielen eine grosse Rolle, dagegen ist die Bildung elementarer Kationen

534 XI. Die chemische Verwandtschaft.

auf die höchsten Glieder beschränkt; sie treten dort dreiwertig auf. Eine Besonderheit bildet femer das erste Eracheinen sauerstoffhaltiger EationeD vom Typus der Vanadyls, VdO.

In der sechsten Reihe sind bereits elementare zweiwertige Anionen unzweifelhaft. Die Bildung sauerstoffhaltiger Anionen ist typisch ent- wickelt; Kationen, und zwar elementai*e wie sauerstofiTialtige, treten in den höchsten Gliedern auf.

Die siebente Reihe enthält die typischen anionenbildenden Meinente, die Halogene. Sie bilden mit Ausnahme des ersten auch sauerstoffhaltige Anionen; von der Fähigkeit, sauerstoffhaltige Kationen zu bilden, sind beim höchsten Gliede, dem Jod, unzweifelhafte Anzeichen vorhanden.

Die Elemente der Aussengruppen des Eisens und Platins zeidmen sich endlich ausser durch die Fähigkeit, mit sehr verschiedenen Wertig- keiten aufzutreten, auch noch durch eine ausgeprägte Tendenz aus, komplexe Ionen zu bilden.

Diese Andeutungen einer lonensystematik der chemischen Elemente lassen sich sehr erweitem. Hierzu sind in jüngster Zeit hoffiiungsvolle Ansätze gemacht worden (Abegg und Bodländer 1899).

Wenden wir uns von den Ionen zu den Nichtelektrolyten der organischen Chemie, so ist schon bemerkt worden, dass ein grosser Teil der Systematik dieses Gebietes auf Schätzungen der Afßnitätseigen- schaften bemht. Konstitutive Unterschiede, wie die Bezeiclmung des Sauerstoffs als Hydroxyl-, Keton-, Aldehyd-, Äthersauerstoff sind auf Grand von Umsetzungs- und Gleichgewichtsbeobachtungen gemacht worden. Auch sind hier beachtenswerte Anfänge zum messenden Eindringen vor- handen. Über die Bildung der Ester aus organischen Säuren und Alko- holen hegen von Menschutkin (1879 u. ff.) zahlreiche und ausgedehnte Untersuchungen vor, welche wenigstens fiir begrenzte Gebiete homologer und analoger Verbindungen Regelmässigkeiten ergeben haben. So ver- estem sich die primären normalen Alkohole gleich schnell (mit Ausnahme des Methylalkohols), die nicht normalen primären, sowie die ungesättigten Alkohole langsamer, noch langsamer die sekundären Alkohole, weldie auch untereinander Verechiedenheiten aufweisen. Lässt man denselben Alkohol auf verschiedene Säuren wirken, so zeigen die primären Fett- säuren mit steigendem Molekulargewicht eine abnehmende Geschwindig- keit. Bedeutend langsamer wirken die sekundären und am langsamsten die tertiären Säuren.

Aus neuerer Zeit Hessen sieh noch manche anderen Untersuchungen ähnlicher Tendenz nennen, die bemerkenswerte Resultate ergeben haben, doch muss auf ein Eingehen verzichtet werden.

Denn es kann in einem Lehrbuche, das der allgemeinen Chemie gewidmet ist, nicht die eingehende Dai-stellung solcher Verhältnisse vor- genommen werden, da diese unzweifelhaft der speziellen anorganisdien und organischen Chemie angehören. Die Entwickelung unserer Wissen- schaft hat nach dieser Richtung so spät stattgefunden, dass die Angaben

Stöchiometrische Beziehungen. 535

über derartige Beziehungen nur erst begonnen haben, in derartige Lehrbücher einzudringen. Doch macht sich bereits überall das Bewnsstsein geltend, dass den Affinitätsbeziehungen flir Fragen der chemischen Systematik ein erhebliches Stimmrecht einzuräumen sei, und mit diesem Wachstum der Bedeutung, das den auf Grundlage der allgemeinen Chemie ent- ^ckelten erforschbaren Verhältnissen beigelegt wird, wächst auch die Pflege dieser Wissenschaft und erfahrt sie immer neue Befruchtung. Denn so erfreulich das Gebiet aUgemeiner Wahrheiten hier bereits sich ausgedehnt hat: die Mannigfaltigkeit der thatsächlichen Erscheinungen kann nie vollständig dargestellt werden, und jeder Versuch, den Aus- druck dieser allgemeinen Wahrheiten in einem bestimmten Falle wieder- zufinden, lässt hinter ihnen endlose weitere Mannigfaltigkeiten erkennen. Die Natur aber ist überall vollständig, und wo wir in die Tiefe graben, sind wir sicher, ihrem Mittelpunkte näher zu kommen.

Namen-Register.

Abbe 132. Abegg 534. Abrahall 23. Amagat 55. AmmermüUer 186. Ampere 72« Andrews 107, 253. Arago 55. Archer, Sc. 499. Arfvedson 30, 37. Arrhenius 382, 412, 420,

523. Aston 23. Auer 26.

Avogadro 65, 72, 188. Awdejew 23.

Babo 200.

Bahr 30, 39.

Bailey 32, 40.

Baker 74.

Baiard 24.

Baubigny 26, 39.

Baxter 29.

Beckmann 202, 204,208, 230.

Behrend 370.

Bergmann 290, 522.

Beringer 25.

Berlin 26.

Berthelot 135, 253, 257, 258, 261, 283, 365, 371, 523.

Berthollet 290, 494, 522.

Berzelius 13, 15, 16, 17, 19, 21, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 41, 219, 220, 233,234,235,468,518.

Blagden 207.

Blomstrand 32.

Bodländer 534.

Boltzmann 485.

Bongartz 22, 39. Borch 38. BouUay 186. Boussingault 36. Boyle 48.

Brauner 25, 26, 36. Bravais 165. Bredig 397. Brühl 136. Buflf 62, 129. Bührig 25.

Bunsen 28, 33, 39, 174, 315,316,486,495,496. Burton 31, 39. Bütschli 339.

Cagniard-Latour 107. Cailletet 55, 99. Cannizzaro 70, 221. Carnelley 224. Camot 119. Chikagishe 36. Christensen 27. Chydenius 37. Classen 38, 39. Claus 33. Clausius 80, 382. Clement 516. Cleve 26, 27, 30, 34, 37,

39. Commaille 29. Cooke 18, 22. de Coppet 207. Couper 238. Crookes 37. Cushmann 32.

Daguerre 483, 498.

Dalö 132.

Dalton 8, 9, 10, 16, 48,

58, 103, 258, 314. Daniell 432. Davy 258, 442. Debray 23, 350.

Delafontaine 37, 38, 39.

Demoly 37.

D^sormes 516.

Despretz 55, 252, 258.

Deville 63, 75, 506.

Dewar 31, 99.

Dexter 22.

Diehl 30.

Dittmar 18.

Döbereiner 42.

Draper 494, 495.

Drude 491.

Dühring 103, 117.

Dulong 17, 35, 55, 188, 220, 252, 258.

Dumas 15, 17, 22, 23, 24, 25, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 34, 35, 36, 38, 39, 41, 43, 63, 75, 186, 236, 237, 523.

Ebelmen 37. Ekmann 34. Eötvös 149. Erdmann 15, 17, 24, 27,

29, 33, 34, 39. Eykman 211.

Fahrenheit 176. Faraday 99, 107, 144,

235, 379. Favre 39, 253, 258, 376,

433. Fick 200. Fourier 200. Frankenheim 165. Frankland 144, 238, 259. Fresnel 169. Friedel 29. Frowein 352.

Galvani 430. Gauss 148.

Namen - Register.

537

Oaj-Lussac 20, 28, 30,

48, 58, 63, 65, 85,

87, 93. Geoffroy 522. Gerhardt 70, 221, 237,

238. Gibbs 29, 101, 307, 434. Gladstone 39, 43, 132,

136, 137, 138, 508. Gmelin 30, 220. Godeflfroy 24, 33. Gooch 36. Goodwin 444, 452. Graham 156, 197, 253. Groth 181. Grove 458.

Guldberg 209, 290, 523. Guye 231.

Ha^en 30.

Halberstadt 33.

Handl 156.

Hankel 495.

Hardin 24, 33.

V. Hauer 24.

Hauer 31, 36.

Hauy 159, 165, 179.

Hebberling 37.

Helm 248.

Helmholtz 434, 443.

Hempel 29.

Henderson 18.

Henry 315, 346.

Herapath 186.

Hermann 25, 26, 30, 36, 37, 188.

Herschel 172.

Hess 252, 255, 275, 278.

Hibbert 39.

Hisinger 25.

Hittorf 387, 388, 391.

van't Hoflf 141, 142, 190, 192, 193, 197, 209, 231, 242, 311, 336, 406, 414, 417, 445.

Hofmann 63, 237.

Höglund 39.

Horstmann 348, 363.

Howland 36.

Huntington 24.

Jacobi 453. Jacquelain 30, 32, 39. Jahn 435. Javal 27. Jegel 25.

Ingenhouss 483. Joly 28, 32, 34, 90. Jones 24, 26. Jörgensen 33. Joule 87, 188, 378. Isambert 347. Jungfleisch 371.

Kämpe 31. Karsten 186. Keiser 18, 32. Kekul^ 2a7, 238, 239. Keller 32. Kessler 26. Kestner 235. Kirchhoff 484, 486, 517. Klaproth 179. Klatzo 23. Kobbe 33. Kohlrausch 380, 383, 386,

388, 407. Kolbe 238. Konowalow 326. Kopp 104, 105, 117, 127,

128, 129, 135, 186,

188, 262. Kralowanszky 30. Kremers 43. Krüss 28, 37. Kundt 93, 95.

Laar 244. Lagerhjelm 38. Lamb 32. Lamy 37.

Landolt 4, 133, 135, 136. Laplace 252. Laurent 25, 236, 237. Laurie 28. Lavoisier 252. Le Bei 141, 142. Le Blanc 476, 477. Lecocq de Boisbaudran

27. Leduc 18. Lee 29. Lefort 26. Lehmann 184. Leidie 32. Lenssen 24. Lepierre 37. Le Roy er 186. Level 28. Liebig 15, 24, 29, 229,

234, 236, 483, 518. Liechti 31.

Linde 100.. Lippmann 432. Loren tz, H. 133. Lorenz, L. 133. Lorimer 24. Louyet 27. Löwe 38. de Luca 27. Luther 462.

Maas 31. Magnus 58. Mallet 22, 28, 30. Marchand 15, 17, 24, 27,

29, 30, 33, 34, 62. Marignac 19, 23, 24, 25,

26, 27, 28, 29, 30, 31,

36, 38, 39. Marum 55. Mathias 110. Maumenö 27. Maxwell 80. Mayer, J. R. 85, 86, 87, 483.

Meinecke 15, 26, 41. Mendelejew 15, 43, 46,

97, 149, 224. Menschutkin 534. Meyer, L. 15, 43, 44,

224, 225. Meyer, 0. E. 81. Meyer, V. 64, 75. Milien 28, 29, 33. Mitscherlich 180, 182,

350, 518. Möbius 165. Moberg 26. Morley 18. Morse 24, 39. Mulder 39.

Natterer 55, 107. Nernst 194, 198, 272,

353, 393, 414, 443,

445, 449. Neumann 169, 188, 262. Newlands 43. Newton 92, 132. Nilson 23, 26, 34, 37

38, 189. Nordenfeldt 30. Norlin 26. Noyes 18.

Ohm 200. Oersted 55.

538

Namen - Register.

Ostwald 368, 393, 404,

407, 419, 421, 425,

444, 460, 490, 610, 515, 523.

Parker 31.

Parrot 197.

Partridge 24.

Pasteur 140.

P^an de St. Gilles 365,

523. Pebal 74. Peligot 37. Pelouze 20, 23, 31, 32,

35, 36. Pennington 38. Penny 21, 25, 31, 35. Perkin 144. Peters 462. Petit 188, 220. Pettersson 23, 26, 34, 189. Pfeffer 192, 197, 496. Pfeifer 22. V. d. Pfordten 31. Piccard 33. Pictet 99. Pierre 37.

van der Plaats 29, 32, 39. Poggendorff 431. Pollard 31. Popper 22. Pribram 156. Priestley 483. Prout 15, 41. Pulfrich 132.

Rammeisberg 25. Ramsay 22, 23, 28, 29,

32, 38, 39, 104, 117,

149 231. Raoult 201, 207, 317. Ramson 26. Rayleigh 18, 22, 380. Redtenbacher 15, 29. Regnault 18, 36, 55, 188,

259. Reich 28. Rellstab 156. Remmler 29. Reynolds 39. Richards 16, 18, 23, 29,

30,31,32,36,39,357. Richter 28. Richter, J. B. 42. Rimbach 23. Ritter 464, 468.

Rivot 27. Robinson 25. Rodger 156. Rogers 39. Roozeboom 359. Roscoe 29, 38, 354, 495,

496. Rose 32, 36, 37, 407. Rothoff 29. Rowland 254. Rudberg 58. Rudolphi 406. Rüdorff 207. Rumford 97, 252, 258. Rüssel 29.

Saac 34.

Scheele 26, 483.

Scheerer 30.

Scheibler 38.

Schiel 35.

Schiff 149.

Schneider 22,29,31,38.

Schrauf 134.

Schröder 187, 188.

Schrötter 32, 33.

Schnitze, J. H. 483.

Schützenberger 25.

Scott 18, 31.

Sefström 33.

Senebier 483.

Seubert 28, 31, 32, 33.

Setschenow 317.

Shaw 29.

Shields 149.

Siewert 26.

Silbermann 253, 258.

Smale 459.

Smith 24, 31, 32, 38.

Sohncke 165.

Sommaruga 29.

Stahl 522.

Stas 15, 18, 19, 20, 23,

24, 25, 28, 29, 30, 31,

34, 35, 36, 41. Staudenmayer 36. Stefan 146, 485. Steno 158. Stohmann 253, 259, 283,

288, 289. Stromeyer 24, 26, 35, 36. Struve 31, 34. Svanberg 26, 30, 31, 33.

Thiele 29. Thilorier 99.

Thomsen 18, 253, 257,

258, 261, 508, 523. Thomson 41, 174. Thorpe 28, 35, 37, 156. Tisßier 22, 510. Travers 38. Troost 30, 63, 75. Trouton 231. Turner 15, 23, 33, 34,35.

Valson 215. Vauquelin 30. Vieille 258. Vlandeeren 39. Vogel, H. W. 501. Volta 430, 463, 468. Vorce 31.

van der Waals 83, 112,

115, 116, 117. Waage 290, 523. Wackenroder 26. Waddell 38 Wald 374. Warburg 95. Warder 299. Weber 189. Weeren 23, 31. Weibull 39. Weiss 159. V. Welsbach 26. Welter 93. Wenzel 291, 301. Werther 37. Wertheim 37. Weselski 29. Westen 432. Wheatstone 383. Wiedemann 350. Wildenstein 26. Wilhelmy 292, 295, 303. Williamson 229, 237,382. Wills 36.

Winkler 27, 28, 29. Wislicenus 242. Wöhler 234, 236. Wolf 25.

WoUaston 132, 483. Wüllner 200. Wundt 73. Würtz 237.

Young35, 104,117,147.

Zettnow 38. Zimmermann 29, 37. Zschiesche 26.

Sach - Register.

Thch. D. = Thermochemisclie Daten. V. G. = Verbindungsgewicht.

A.

Abscissen 51.

Absolute Temperatur 53.

Absolute Temperatur Skala 126.

Absorption 484.

Absorptionsbanden 489.

Absorptionskoeffizient 315, 484.

Absorptionsspektren 488.

Achsensysteme 159.

Additive Eigenschaften 47.

Adiabatische Vorgänge 92.

Adsorption 338.

Affinitätseigenschaften der Stoffe 521.

Affinitätskoeffizienten, spezifische 523.

Affinitätsmessung, thermochemische 508.

Affinitätsmessung, volumchemische 510.

Akkumulator 478.

Aktive Krystalle 172.

Aldehyd, Thch. D. 287.

Alkohol, Thch. D. 286.

AUotrope Form und Löslichkeit 328.

Allotropie 182.

Aluminium, Thch. D. 270.

Aluminium, V. G. 21.

Amalgame, Thch. D. 272.

Ammoniak, Thch. D. 266.

Ammonium, Thch. D. 269.

Ammoniumsulf hydrid , Gleichgewicht 347.

Amorphe Stoffe 157.

Analyse, physikal. Methoden dess. 506.

Analytische Chemie, Gleichgewichts- lehre in ders. 415.

Analytische Reaktionen 427.

Anion, Einfluss dess. auf die Span- nung 449.

Anionen 217, 382.

Anionen, einwertige und mehrwertige 394.

Anode 448.

Anode, wesentliche Reaktionen an ders. 438.

Antimon, Thch. D. 267.

Antimon, V. G. 22.

Antimonchlorid, Thch. D. 267.

Antimonchlorür, Thch. D. 267.

Antimonoxyd, Thch. D. 267.

Antimonpentoxyd, Thch. D. 267.

Apparate und Methoden, thermoche- mische 257.

Arbeit 5.

Arbeit und Wärme 85.

Arbeitswert einer Kalorie 87.

Argon, V. G. 22.

Aromatische Verbindungen, Thch. D. 288

Arsen, Thch. D. 267,

Arsen, V. G. 23.

Arsenbromür, Thch. D. 267.

Arsenchlorür, Thch. D. 267.

Arsenige Säure, Thch. B. 267.

Arsenjodür, Thch. D. 267.

Arsensäure, Thch. D. 267.

Arsenwasserstoff, Thch. D. 267.

Asymmetrische Klasse 161.

Asymmetrisches Kohlenstoffatom 141.

Äther, Thch. D. 287.

Ätherbildung 518.

Äthylenreihe, Thch. D. 286.

Atomgewicht 11.

Atomhypothese 10, 233.

Atomrefraktionen 135, 137.

Atomverbindungen 241.

Atomvolum 225.

Atomvolume der Elemente 128.

Atomwärme 188, 220.

Aufladung der Ionen 474.

Ausdehnung der Flüssigkeiten durcii die Wärme 96.

Ausdehnungskoeffizient der Gase 49.

Ausdehnungsmodulus 97.

Axen 51.

B.

Baryum, Thch. D. 269.

Baryum, V. G. 23.

Basen, Dissociations wärme ders. 278.

Basizität, Bestimmung ders. 407.

540

Sach- Register.

Begrenzte Löslichkeit 324.

Benzol, Thch. D. 288.

Benzoyl 236.

Berührungswirkungen 516.

Beryllium, V. G. 23.

Bestandteile 7, 306.

Bestandteile, gemeinsame 319.

Bewegungsenergie 3, 247.

Bildungswärme 256, 263.

Bildungswärme der Ionen 281.

Bildungswärme des Wassers aus den Ionen 276.

Binnendruck 146.

Bipyramidale Klasse 161, 162.

Bisphenoidische Klasse 161.

Bläschen, Bildung ders. in Flüssig- keiten 318.

Blei, Tchh. D. 273.

Blei, V. G. 23.

Bleisammler 478.

Bombe, kalorimetrische 258.

Bor, Thch. D. 267.

Bor, V. G. 23.

Borchlorid, Thch. D. 267.

Bortrioxyd, Thch. 1). 267.

Brechungskoeffizient 131.

Brechungskonstante 132.

Brom, Thch. D. 264.

Brom, V. G. 23.

Bromjod, Thch. D. 264.

Bromsäure, Thch. D. 264

Bromsilbergelatineplatten 500.

Bromwasserstoff, Thch. D. 264.

C.

Cadmium, Thch. D. 271.

Cadmium, V. G. 24.

Calcium, Thch. D. 270.

Calcium, V. G. 24.

CarbaminBauresAmmon,Gleichgew.348.

Carbonylchlorid, Thch. D. 267.

Carbonylsulfid, Thch. D. 267.

Camotscher Kreisprozess 122.

Cäsium, V. G. 24.

Cerium, V. G. 25.

Chemische Energie 247, 249.

Chemische Energie, Umwandlung aus strahlender Energie 482.

Chemische Mechanik 289.

Chemische Strahlen 498.

Chemische Typen 237.

Chemische Wirkung des Lichtes 493.

Chemisches Gleichgewicht des Jod- wasserstoffs 341.

Chemisches Individuum, Kennzeich- nung eines 374.

Chemisches Potential 250, 319. Chlor, Thch. D. 263. Chlor, V. G. 20, 25. Chlorammonium, Dampfdichte 74. Chloijod, Thch. D. 264. Chlorknallgas 494. Chlorsäure, Thch. D. 264. Chlorsilber, Löslichkeit dess. 451. Chlorwasserstoff, Thch. D. 263. Chrom, V. G. 25. Coulomb 378. Cyan, Thch. D. 267. Cyanwasserstoff, Thch. D. 267.

D.

Dampf 98.

Dampf dichte, Bestimmung 62.

Dampfdichten, abnorme 73.

Dampfdruck 99.

Dampfdruck und Oberflächenspannung 152.

Dampfdrucke von Gemengen 321.

Dampfdrucke von Lösungen 200.

Dampfdruckformel 102.

Dampf druckgleichung 125.

Dampfdruckverminderung, molekulare 201.

Dampfdruckverminderung, relative200.

Dämpfe, gesättigte 101.

Dämpfe und Gase, leuchtende, Spek- tren ders. 487.

Daniellkette, Einfluss der Verdünnung 449.

Daniellsche Kette 432.

Dialyse 197.

Dichte und Volum der Gase 59.

Didym, V. G. 26.

Diffusion 194.

Diffusion der Elektrolyte 198.

Diffusion der Gase 81.

Diffusionskonstante 195.

Dihexagonal- bipyramidale Klasse 162.

Dihexagonal-pyramidale Klasse 162.

Diosmose 197.

Dispersionsformel 134.

Dissociation, elektrolytische, Grad ders. 390.

Dissociation der Salze in Lösungen 214.

Dissociation des Wassers 401, 460.

Dissociationsdruck 348, 350.

Dissociationskonstante 404.

Dissociationskonstanten organischer Säuren 524.

Dissociationswärme der Basen 278.

Dissociationswärme der Säuren 278.

Distanzenergie 6, 247.

I

Sach-Register.

541

Di tetragonal- bipyramidale Klasse 161.

Ditetragonal -pyramidale Klasse 161.

Ditrigonal -bipyramidale Klasse 162.

Ditrigonal-pyramidale Klasse 162.

Ditrigonal -skalenoedrische Klasse 162.

Domatische Klasse 161.

Doppelbildung am Kohlenstoff, Re- firaktionswert ders. 136.

Doppelsalze 416.

Doppelsalze, Gleichgewicht 369.

Drehspiegelung 160.

Drehung 160.

Drehung der Polarisationsebene 138.

Drehvermögen, molekulares 139.

Dreh vermögen, spezifisches 138.

Dreiachsige Krystalle 163.

Dreifache Punkte 176, 179.

Druck 247.

Druck, Einflnss dess. auf die Löslich- keit 332.

Druck, Einfluss dess. auf die poly- morphe Umwandlung 183.

Druck, Einfluss dess. auf den Zer- setzungsgrad 308.

Druck, Einheit 54.

Dmck, Verhalten der Gase 55.

Druck, Verbrennungswftrmen bei kon- stantem 285.

Druck, kritischer 110.

Druckkoeffizient der Gase 49.

Dyakisdodekaedrische Klasse 162.

Dynamik, chemische 290.

E.

Eigenschaften 1.

Eigenschaften, besondere und allge- gemeine 506.

Einachsige Krystalle (optisch) 170.

Einachsige Krystalle 163.

Einzelspannungen 463.

Eis, Dampf drucklinie 178.

Eis, Einfluss des Druckes auf den Schmelzpunkt 175.

Eisen, V. G. 26.

Eisen, Thch. D. 271.

Elastizität 157.

Elektrische Energie, Entstehung in der Kette 433.

Elektrische Energie, Quelle ders. 430.

Elektrische u. magnetische Energie 247.

Elektrizitätsmenge 376.

Elektrochemie 250, 375.

Elektrochemische Theorie 234.

Elektroden 380.

Elektroden, absoluter Wert der Span- nung an dens. 467.

Elektroden, unpolarisierbare 477.

Elektroden, Vorgänge aus dens. 473.

Elektrolyse 470.

Elektrolyte 214, 379.

Elektrolyte, Diffusion ders. 198.

Elektrolyte, Zerfall mehrwertiger in Ionen 408.

Elektrolyte, Messung der Leitfähig- keit 383.

ElektrolytischeBehandlungorganischer Verbindungen 474.

Elektrolytische Dissociation, Grad ders. 390.

Elektrolytische Gleichgewichte 400.

Elektromagnetische Strahlung 491.

Elektrometer 432.

Elektromotorische Kraft 376.

Elemente 7, 12.

Elemente, periodisches System 43.

Elemente, typische 227.

Emission 484.

Emissionskoeffizient 484.

Enantiomorphe Krystalle 173.

Enantiotrope Stoffe 184.

Energetik, allgemeine 245.

Energie, Definition 246.

Energie, elektrische, Entstehung in der Kette 433.

Energie, Erhaltung ders. 6, 86.

Energie, strahlende 480.

Energie , Vernutzungserscheinungen ders. 199.

Energiearten 247.

Entladung der Ionen 474.

Entwickelung der Lichtbilder 483.

Entwickelung, photographische, Theo- rie ders. 500.

Enzyme 520.

Erbium, V. G. 27.

Erstarren 174.

Ester, Thch. D. 287.

Esterbildung, Gleichgewicht dabei 365.

Eutektischer Punkt 333, 357.

F.

Faraday, Gesetz 378.

Faradaysche Konstante 380.

Farbe der Salze 490.

Fermente 520.

Feste Körper, Molekularvolum 186.

Feste Körper, optische Eigenschaften 169.

Feste Lösungen 231, 336.

Feste Phasen beim chemischen Gleich- gewicht 312.

Feste Stoffe 156.

542

Sach-Register.

Feste Stoffe, zwei, Gleichgewicht ders. 332.

Feste Stoffe, Lösungen in Flüssig- keiten 327.

Feste Stoffe, Volume ders. 185.

Feste Stoffe, spez. Wärme ders. 188.

Fettsäuren, Thch. D. 287.

Fixierverfahren, chemisches 505.

Flächenenergie 247.

Fliessen fester Körper 157.

Fluor, Thch. D. 264.

Fluor, V. G. 27.

Fluorwasserstoff, Thch. D. 264.

Flüssige Phasen beim chemischen Gleichgewicht 312.

Flüssige Stoffe, Volumverhältnisse ders. 127.

Flüssigkeiten, allgemeine Eigenschaf- ten 96.

Flüssigkeiten, Ausdehnung durch die Wärme 96.

Flüssigkeiten, homogene, Molekular- gewicht ders. 150.

Flüssigkeiten, Lösungen ders. in Flüs- sigkeiten 320.

Formeln, chemische 14.

Formenergie 157.

Fortführung 199.

Freiheiten 307.

G.

Gadolinium, V. G. 27.

Gallium, V. G. 27.

Galvanoplastik 471.

Galvanostegie 471.

Gas, ideales 55.

Gase, allgemeine Eigenschaften ders. 47.

Gase, Isothermen ders. 109.

Gase, Kaumgesetz

Gase, kinetische Theorie ders. 76.

Gase, Verflüssigung ders. 99.

Gase, Wärmeerscheinungen ders. 83.

Gase und Dämpfe, leuchtende, Spek- tren ders. 487.

Gasgesetz 54.

Gasketten 455, 458.

Gasphase beim chemischen Gleichge- wicht 312.

Gefriermethode, Molekulargewichtsbe - Stimmung nach ders. 208.

Gefrierpunkte von Lösungen 207.

Gemenge, konstant siedende 323.

Germanium, V. G. 27.

Geschwindigkeit, chemische 291.

Geschwindigkeit der Reaktionen 503.

Geschwindigkeitskoeffizienten 302.

Gewicht, Erhaltung dess. 4.

Gitterspektrum 487.

Glaubersalz, Schmelzung dess. 356.

Gleichgewicht, chemisches 304.

Gleichgewicht zweier fester Stoffe 332.

Gleichgewichte, diemische, zweiter Ordnung 313.

Gleichgewichte, elektrolytische 400.

Gleichgewichte, indifferente 306.

Gleichgewichte der Ionen 400.

Gleichgewicht von vier Ionen 420.

Gleichgewichte, kondensierte 356.

Gleichgewichte, labile 306.

Gleichgewichte erster Ordnung 306, 307.

Gleichgewichte zweiter Ordnung 306.

Gleichgewicht zweiter Ordnung, all- gemeinster Fall dess. 340.

Gleichgewichte höherer Ordnung 360.

Gleichgewichte, stabile 306.

Gleichgewichte, wirkliche und schein- bare 305.

Gleichgewichtsisotherme 309.

Gleichgewichtskonstante, Änderung mit der Temperatur 344.

Gold, Thch. D. 273.

Gold, V. G. 27.

Grenzgesetze 54.

Grenzwinkel 148.

Grundgesetze, stöchiometrische 1.

Gruppen, isomorphe 181.

H.

Halbdurchlässige Wände 191. Hauptsatz, erster, der Wärmetheorie 83. Hauptsatz, zweiter 118, 121. Helium, V. G. 28. Heterogenes Gebilde, Reaktionen eines

301. Hexakisoktaedrische Klasse 162. Hexakistetraedrische Klasse 162. Homologe Reihen, Verbrennungswärme

283. Homöomorphie 180. Hydrolyse 423.

Hydroxylamin, Thch. D. 266. Hydroxylionen 395. Hyperbel 89. Hypothesen 10.

I.

Idealer Kettenzustand 435. Indifferente Gleichgewichte 306. Indikatoren 425. Individuen, chemische 1, 374. Indium, V. G. 28.

Sach-Register.

543

Induktion 2.

Induktion, photochemische 496.

Inkonstante Kette 436.

Intensitätsgrössen 248.

Inversion des Rohrzuckers 295.

Jod, Thch. D. 264.

Jod, V. G. 28.

Jod, Dampfdichte 75.

Jodsäure, Thch. D. 264.

Jodwasserstoff, Thch. D. 264.

Jodwasserstoff, chemisches Gleichge- wicht dess. 341.

Ionen 217, 381.

Ionen, Aufladung ders. 474.

Ionen, Bildungswärme ders. 281.

Ionen, Eigenschaften ders. 391.

Ionen, Entladung ders. 474.

Ionen, Leitfähigkeit ein Gruppen- reagens auf dies. 514.

Ionen, Nachweis ders. 513.

Ionen, Thermochemie ders. 274.

Ionen, Vorgänge zwischen dens. 303.

Ionen , Wanderungsgeschwindigkeit ders. 386, 397.

Ionen, Zusammensetzung ders. 393.

lonenhildung, Tendenz zu ders. 532.

lonenisomerie 398.

lonenreaktionen 437.

loule 88, 253.

Iridium, V. G. 28.

Isohydrische Lösungen 412.

Isomerie 234, 235.

Isomerie der Ionen 398.

Isomorphe Gemenge 416.

Isomorphe Gruppen 181.

Isomorphie 179, 220.

Isothermen der Gase 109.

Isotrope Krystalle 163, 170.

E.

Kalium, V. G. 20, 28.

Kalium, Thch. D. 268.

Kalorie 253.

Kalorie, Arbeitswert einer 87.

Kalorie, absolutes Mass 88.

Kalorimeter 257.

Kalorimetrische Bombe 258.

Kapazitätsgrössen 248.

Katalysatoren 303, 515.

Katalyse 514.

Katalyse, Gesetze ders. 518.

Kathode 448.

Kathode, wesentl. Reaktion an ders. 438.

Kationen 217, 38L

Kationen, einwertige 394.

Kationen, zweiwertige 394.

Kationen, dreiwertige 394.

Kette, Entstehung der elektrischen

Energie in ders. 433. Kette, konstante umkehrbare 436. Kette, chemische Vorgänge in ders.

437. Kette mit schwerlöslicheren Salzen 450. Ketten mit einer komplexen Verbin- dung 452. Kilojoule 253. Kinetik, chemische 291. Kinetische Theorie der Gase 76. Kobalt, Thch. D. 271. Kobalt, V. G. 29. Koexistenz, Prinzip ders. 301. Kohlehydrate, Thch. D. 286. Kohlendioxyd, Isothermen 108. Kohlenoxyd, Thch. D. 267. Kohlensäure, Thch. D. 267. Kohlenstoff, Thch. D. 267. Kohlenstoff, V. G. 29. Kohlenstoff, dreifache Bindung an

dems. 136. Kohlenstoff, Doppelbindung an dems.,

Refraktionswert ders. 136. Kohlenstoff, vierwertig 238. Kohlenstoffatom, asymmetrisches 141. Kohlenstofftetrachlorid, Thch. D. 267. Kohlenstoffkette, technische Bedeutung

463. Kohlenwasserstoff, Thch. D. 285. Kolligative Eigenschaften 73, 228, 230. Kolligative Eigenschaften bei reinen

Flüssigkeiten 231. KoUodionverfahren 499. KoUoidstoffe 196, 339. Komplexe Verbindung 429. Komplexe Verbindung, Ketten mit

einer 452. Kondensationen 520. Kondensierte Gleichgewichte 356. Kondensierte Typen 237. Konjugierte Elektrolyte 422. Konstitution 105, 229. Konstitutive Eigenschaften 106. Konvektion 199.

Konzentration, Einheit ders. 295. Konzentrationsketten 442. Konzentrationsketten mit Überführung

444. Koordinatensystem 51. Kraft 5.

Kreisprozess, Carnotscher 122. Kreisprozess, umkehrbarer 120. Kritische Erscheinungen 107. Kritische Grössen einiger Stoffe 112.

544

Sach-Register.

Kritische Konzentration 325. Kritischer Lösungspunkt 325. Kritischer Punkt 110, 116. Kryohydratischer Punkt 333. Krypton, V. G. 29. Krystallarten 160. Kry stalle 158.

Kry stalle, optisch aktive 172. Krystalle, einachsige 163. Krystalle, dreiachsige 163. Krystalle, enantiomorphe 173. Krystalle, isotrope 163. Krystallinische Stoffe 157. Krystalloidstoffe 196. Kry Stallstruktur, Theorien ders. 165. Kupfer, Thch. D. 272. Kupfer, V. G. 29.

Lahile Gleichgewichte 306.

Labile Zustände 114, 312.

Labiles Gebiet 177.

Lanthan, V. G. 30.

Leitfähigkeit 382.

Leitfähigkeit, äquivalente 383.

Leitfähigkeit der Elektrolyte, Messang ders. 383.

Leitfähigkeit ist ein Gruppenreagens auf Ionen 514.

Leitfähigkeit, molekulare 383.

Leitung, elektrolytische 381.

Licht, chemische Wirkung dess. 493.

Lichtbrechung in Flüssigkeiten 131.

Lichtempfindlichkeit 493.

Lithium, Thch. D. 269.

Lithium, V. G. 21, 80.

Löslichkeit, begrenzte 324.

Löslichkeit, Bestimmung ders. 327.

Löslichkeit des Chlorsilbers 451.

Löslichkeit, Einfluss des Druckes auf dies. 382.

Löslichkeit allotroper Formen 328.

Löslichkeit, Messung mittelst Leit- fähigkeit 407.

Löslichkeit schwerlöslicher Stoffe 451.

Löslichkeit, Zusammenhang mit der Lösungswärme 331.

Löslichkeitskoeffizienten 315.

Löslichkeitsprodukt 427.

Lösungen 313.

Lösungen, Dampfdrucke ders. 200.

Lösungen, Dissociation der Salze in dens. 214.

Lösungen, feste 231.

Lösungen von Flüssigkeiten in Flüs- sigkeiten 320.

Lösungen in Gasen 314.

Lösungen von Gasen in Flüssigkeiten

315. Lösungen, Gefrierpunkte ders. 207. Lösungen, isohydrische 412. Lösungen, konzentrierte, Bestimmung

der wirksamen Menge ders. 346. Lösungen fester Stoffe in Flüssigkeiten

327. Lösungen, übersättigte 328. Lösungen, verdünnte 189. Lösungsdruck 446. Lösungsgleichgewicht 370. Lösungslinien 330. Lösungswärme , Zusammenhang mit

der Löslichkeit 331. Luft, flüssige 100.

M.

Magnesium, Thch. D. 270.

Magnesium, V. G. 30.

Magnetische und elektrische Energie 247.

Magnetische Drehung der Polarisa- tionsebene 144

Mangan, Thch. D. 270.

Mangan, V. G. 31.

Manometer 247.

Masse 3.

Masse, Erhaltung ders. 249.

Massenwirkung, Gesetz ders. 292.

Materie 246.

Materie, Beständigkeit ders. 3.

Mechanik, chemische 289.

Mechanochemie 251.

Menge, wirksame 321.

Messinstrumente, Theorie ders. 248.

Metalle 13.

Metalle, Spannungen ders. 468.

Metalle, Spannungen zwischen dens. 467.

Metalle, Thermochemie ders. 268.

Metamerie 235.

Metastabile Zustände 114, 312.

Metastabiles Gebiet 177.

Metastabiles Gebiet bei Lösungen 329.

Methan, Thch. D. 267.

Methanreihe, Kohlenwasserstoffe ders. 285.

Methode, volumchemische, Aiflnitäts- messung 510.

Methoden, thermochemische 253.

Methoden und Apparate, thermoche- mische 257.

Mischkrystalle 180.

Moduln 215.

Sach- Register.

545

Mol 70. '

Molekeln, Dimensionen ders. 82.

Molekeln, Durchmesser ders. 151.

Molekeln, Gesamtraum ders. 81.

Molekeln, Querschnitte ders. 81.

Molekulare Dampfdruckverminderung 201.

Molekularre£raktion 135.

Molekulargewicht, Bestimmung dess. auf die Siedemethode 202.

Molekulargewicht homogener Flüssig- keiten 150.

Molekulargewichte 61, 229.

Molekulargewichtsbestimmung nach der Gefriermethode 208.

Molekulargewichtsbestimraung, Metho- den ders. 212.

Molekularhypothese 72, 228.

Molekularverbindungen 241.

Molekularvolum 127.

Molekularvolum fester Körper 186.

Molekularvolum, kritisches 110.

Molekularvolum ungesättigter Verbin- dungen 129.

Molekularwärmen von Gasen 90.

Molenbruch 321.

Molybdän, V. G. 31.

Monotrope StoflFe 184.

Morphotropie 181.

Natrium, Thch. D. 268.

Natrium, V. G. 21, 31.

„Natürliche" Familien 44.

Nebenprodukte 517.

Negativ 500.

Negativierende Substituenten 525.

Neodym, V. G. 26.

Neon, V. G. 32.

Neutralisationskette 460.

Neutralisationswärme 261.

Nichtmetalle, Thermochemie ders. 262.

Nickel, Thch. D. 271.

Nickel, V. G. 32.

Niobium, V. G. 32.

Normaldruck 51.

Normalelektrode 467.

Normalelement 432.

Normalgas 60.

Normalgewicht der Verbindungen 68.

Normalgewichte 61, 66.

Normal temperatur öl.

Normalzustand der Gase 59.

0.

Oberflächenenergie 98. Oberflächenenergie, molekulare 149.

Ostwald, Grundriss. 8. Aufl.

Oberflächenspannung 145, 147.

Oberflächenspannung und Dampfdruck 152.

Oberflächenspannung, negative 152.

Oberflächenspannung des Quecksilbers, Einfluss der Polarisation 466.

Ohm 378.

Oktaven, Gesetz der 43

Optisch symmetrische Formen 140.

Optische Achsen 170.

Optische Eigenschaften der festen Körper 169.

Ordinate 51.

Ordnung, Gleichgewichte erster 306, 307.

Ordnung, Gleichgewichte zweiter 306, 313.

Ordnung, Gleichgewichte höherer 360.

Ordnung, Reaktionen zweiter 298.

Ordnung, Reaktionen höherer 300.

Organische Verbindungen, elektroly- tische Behandlung ders. 474.

Organische Verbindungen, Thermo- chemie ders. 282.

Orthochromatische Photographie 50*2.

Osmium, V. G. 32.

Osmotischer Druck 190, 191.

Oxalsäurereihe, Thch. D. 287.

Oxydation und Reduktion, Begriff ders. 455.

Oxydationsketten 461.

Oxydationsmittel, Theorie ders. 439.

Oxydationsvorgänge 398.

Oxydations- u. Reduktionsketten 455.

Oxydations- und Reduktionsmittel, Spannungsreihe ders. 469.

Ozon, Thch. D. 263.

P.

Paarung 236.

Palladium, Thch. D. 274.

Palladium, W. G. 32.

Parallelosterismus 187.

Pen tagen -ikositetraÖdrischeKlasse 162.

Periode 482.

Periodisches Gesetz 224.

Periodisches System der Elemente 43.

Perpetuum mobile 121.

Perpetuum mobile zweiter Art 121.

Phasen 101.

Phasen, Vertretbarkeit ders. 319.

Phasengesetz 101, 304, 307, 324.

Phosphoniumjodür, Thch. D. 266.

Phosphor, Thch. D. 266.

Phosphor, V. G. 32.

Phosphorbromid, Thch. D. 266.

35

V

546

Sach- Register.

Phosphorbromür, Thch. D. 266.

Phosphorchlorid, Thch. D. 266.

Phosphorchlorür, Thch. D. 266.

Phosphorige Säure, Thch. D. 266.

Phosphorjodür, Thch. D. 266.

Phosphoroxybromid, Thch. D. 266.

Phosphoroxychlorid, Thch. D. 266.

Phosphorpentachlorid, Dampfdichte 74.

Phosphorpentachlorid , Gleichgewicht 342.

Phosphorsäure, Thch. D. 266.

Phosphorwasserstoff, Thch. D. 266.

Photographie 483, 498.

Photographie, orüiochromatische 502.

Photochemie 250, 480.

Photochemische Erscheinungen 493.

Photochemische Induktion 496.

Photochemische Vorgänge 494, 497.

Pinakoidale Klasse 161.

Platin, Thch. D. 274.

Platin, V. G. 33.

Platinierung von Elektroden 385.

Platinotypie 501.

Polare Eigenschaften 164.

Polarisation 383, 470.

Polarisation, Einfluss auf d. Ober- flächenspannung d. Quecksilbers 466.

Polarisation durch den Wasserstoff 472.

Polarisationsebene, Drehung ders. 138.

Polarisationsebene, magnetische Dreh- ung ders. 144.

Polymerie 235.

Polymorphe Umwandlung, Einfluss des Druckes 183.

Polymorphie 179, 182, 232.

Positivierende Substituenten 532.

Positiv verfahren, photographisches 501.

Potential 376.

Potential, chemisches 250.

Praseodym, V. G. 26.

Primäre und sekundäre Reaktionen 475.

Prismatische Klasse 161.

Proutsche Hypothese 41.

Pyramidale Klasse 161, 162.

Pyrosulfurylchlorid, Thch. D. 265.

Q.

Quecksilber, Thch. D. 272.

Quecksilber, V. G. 33.

Quecksilber, Einfluss der Polarisation

auf d. Oberflächenspannung 466. Quecksilber, Zusammendrückbarkeit

dess. 96. Quecksilberdampf spez. Wärme 95. Querschnitte der Molekeln 81.

R (Gaskonstante) absoluter Wert 71. Raceraische Verbindungen 140. Radikaltheorie 236. Reaktionen, analytische 427. Reaktionen zweiter Ordnung 298. Reaktionen höherer Ordnung 300. Reaktionen, primäre und sekundäre 475. Reaktionsgeschwindigkeit 5 1 4. Reaktionsgeschwindigkeit, Einfluss der

Temperatur 515. Reaktionsgeschwindigkeit, Gesetz ders.

296. Reduktion und Oxydation, Begriff

ders. 455. Reduktionsketten 461. Reduktionsmittel, Theorie ders. 439. Reduktions Vorgänge 399. Reduktions- und Oxydationsketten 455. Reduktions- und Oxydationsmittel,

Spannungsreihe ders. 469. Reflexion, totale 131. Refraktionskonstante gasförmiger

Stoffe 137. Refraktometer 132. Reibung der Gase 81. Reibung, innere 153. Reihen, stöchiometrische 42. Rhodium, V. G. 33. Rhomboedrische Klasse 162. Rohrzucker, Inversion dess. 295. Rotation, spezifische 144. Rubidium, V. G. 33. Ruthenium, V. G. 33.

S.

Salpetersäure, Thch. D. 266. Salpetrige Säure, Thch. D. 266. Salzbildung 277.

Salzbildung, Thermochemie ders. 274. Salzbildungskette 460. Salze 391.

Salze, Dissociation ders. i. Lösungen 214. Salze, Farbe ders. 490. Salze, neutrale, Leitfähigkeit ders. 385. Salze, wasserhaltige, Verwitterungser- scheinungen ders. 350. Salzlösungen 214. Samarium, V. G. 34. Sammler, elektrischer 478. Sättigung 327. Sauerstoff, Thch. D. 263. Sauerstoffelektrode 459. Sauerstoff- Wasserstoffkette 461. Säuren, Dissociationswänne ders. 278. Scandium, V. G. 34.

Sach -Register.

547

Schallgeschwindigkeit 92.

Schmelzen 174.

Schmelzen der festen StoflFe unter der

Lösung 335. Schmelzpunkt t^25. Schmelzpunkt, Einfluss des Druckes

auf dens. bei Eis 175. Schmelzwärme 174« Schwarzer Körper, Strahlung eines 485. Schwefel, Thch. D. 265. Schwefel, V. G. 20, 34. Schwefel, Dampfdichte 75. Schwefel, Polymorphie 182. Schwefelbromür, Thch. D. 265. Schwefelchlorür, Thch. D. 265. Schwefeldioxyd, Verbindungen dess.

mit Wasser 359. Schwefelige Säure, Thch. D. 265. Schwefelkohlenstoff, Thch. D. 267. Schwefelsäure, Thch. D. 265. Schwefelsäurebildung 516. Schwefelwasserstoff, Thch. D. 265. Schwerpunkt, Erhaltung dess. 249. Schwingungsdauer 481. Schwingungszahl 482.

Sekundäre und primäre Reaktionen 475.

Selen, Thch. D. 265.

Selen, V. G. 34.

Selenchlorür, Thch. D. 265.

Selenige Säure, Thch. D. 265.

Selensäure, Thch. D. 265.

Selenwasserstoff, Thch. D. 265.

Selentetrachlorid, Thch. D. 265.

Siedemethode, Bestimmung des Mole- kulargewichts auf dies. 202.

Siedepunktsgesetze 104.

Silber, Thch. D. 273.

Silber, V. G. 19, 34.

Silbersalze, Spannung ders. 454.

Silicium, Thch. D. 268.

Silicium, V. G. 35.

Skalenoedrische Klasse 161.

Spaltung racemischer Formen 141.

Spannung 376.

Spannung, Einheit ders. 378.

Spannung, elektr., Messung ders. 431.

Spannung, Temperaturkoeffizient ders. 435.

Spannung, absoluter Wert ' ders. an den Elektroden 467.

Spannungen zwischen den Metallen 467.

Spannungsreihe, Gesetz ders. 464.

Spannungsreihe der Oxydations- und Reduktionsmittel ders. 469.

Spektra, allgem. Gesetze für dieß. 482.

Sphenoidische Klasse 161. Spiegelung 160. Stabile Gleichgewichte 306. Stabile Zustände 114, 312. Stärke, Hydrolyse ders. 517. Statik, chemische 291. Stereochemie 242. Stickoxyd, Thch. D. 266, Stickoxydul, Thch. D. 266. Stickstoff, Thch. D. 266. Stickstoff, V. G. 21, 35. Stickstoffhyperoxyd, Thch. D. 266. Stickstoffhyperoxyd, Gleichgewicht308. Stickstoffverbindungen, organische,

Thch. D. 288. Stöchiometrische Grundgesetze 9. Stoff, Erhaltung dess. 3. Stoffe 1. Stoffmenge 249. Strahlen, chemische 498. Strahlende Energie 247, 480. Strahlende Energie, Umwandlung in

chemische Energie 482. Strahlung, elektroma^etische 491. Strahlung eines schwarzen Körpers 485. Strom, elektrischer 375. Strontium, Thch. D. 270. Strontium, V. G. 36. Strukturformel, 239. Substituenten, negativierende 525- Substituenten, positivierende 532. Substitution 236. Sulfurylchlorid, Thch. D. 265. Symmetrieachse 160. Symmetrieebene 160. Symmetriegesetz 159. System, hexagonales 162. System, kubisches 162. System, monoklines 161. System, rhombisches 161. System, tetragonales 161. System, trigonales 162. System, triklines 161. Systematik, chemische 218.

T.

Tantal, V. G. 36. Tautomerie 244. Teildruck 314. Teildrucklinien 322. Teilungskoeffizient 371. Tellur, Thch. D. 265. Tellur, V. G. 36. Tellurige Säure, Thch. D. 265. Tellursäure, Thch. D. 265.

35*

548

Sach-Register.

Tellurtetrachlorid, Thch. D. 265.

Temperatur, Einfluss auf das Gleich- gewicht 310, 343.

Temperatur, Einfluss bei thermoche- mischen Messungen 261.

Temperatur, Einfluss auf den Zer- setzungsdruck 351.

Temperatur, kritische 110.

Temperatur u. Reaktionsgeschwindig- keit 515.

Temperaturen, absolute 53.

Temperaturen, vergleichbare 310.

Temperaturkoeffizient d. Spannung435.

Temperaturmessung 259.

Temperaturskala, absolute 126.

TetraSdrisch - pentagondodekagdrische Klasse 162.

Tetrathionsäure, Thch. D. 265.

Thallium, Thch. D. 273.

Thallium, V. G. 37.

Thermochemie 250, 251.

Thermochemie der Metalle 268.

Thermochemie der Nichtmetalle 262.

Thermochemische Affini tätsmessung 508.

Thermochemische Apparate und Me- thoden 257.

Thermochemische Messungen, Einfluss der Temperatur bei dens. 261.

Thermoneutralität 275.

Thionylchlorid, Thch. D. 265.

Thorium, V. G. 37.

Thulium, V. G. 37.

Titan, V. G. 37.

Trapezoedrische Klasse 161, 162.

Triaden 43.

Typen, chemische 237.

Typen, kondensierte 237.

Typen, zusammengesetzte 237.

Typische Elemente 227.

U-

Überchlors&ure, Thch. D. 264.

Übereinstimmende Zustände, Gesetz ders. 117.

Überführung, Konzentrationsketten m. ders. 444.

Überführungsverhältnis 388.

Überkaltung 176.

Überjodsäure, Thch. D. 264.

Übersättigte Lösungen 328.

Überschreitungsersdieinungen 312.

Überschreitungserscheinungen bei Lö- sungen V.Gasen in Flüssigkeiten 31 7.

Überschwefelsäure, Thch. D. 265.

Umkehrbarer Kreisprozess 120.

Umkehrung der Linien 489.

Umwandlungstemperatur 182.

Unbeständige Formen monotroperStoffe 184.

Ungesättigte Verbindungen 241.

Ungesättigte Verbindungen, Molekular- volum ders. 129.

Unitäre Konstitution 237.

Unpolarisierbare Elektroden 477.

Unterbromige Säure, Thch D. 264.

Unterchlorige Säure, Thch. D. 264.

Unterphosphorige Säure, Thch. D. 266.

Unterschwefelsäure, Thch. D. 265.

Unterschweflige Säure, Thch. D. 265.

Uran, V. G. 37.

V-

Valenzlehre 239.

Vanadium, V. G. 38.

Verbindungen, chemische, Theorie ders. 232.

Verbindungsgewicht 9, 14.

Verbindungsgewichte , Beziehungen zwischen den Zahlenwerten ders. 41.

Verbindungsgewichte, Einheit 16.

Verbindungsgewichte, Wahl ders. 218.

Verbrennungswärme 283.

Verbrennungswärme, homologe Reihen 283.

Verbrennungswärmen bei konstantem Druck 285.

Verbrennungswärmen bei konstantem Volum 285.

Verdampfung 98.

Verdampfungswärme 118.

Verdampfungswärme, molekulare 118.

Verdrängung der Säuren aus ihren Salzen 419.

Verdünnungsgesetz 403.

Verflüssigung 98.

Vemutzungserscheinungen d. Energie 199.

Verseifung, Gesetz ders. 299.

Verteilungssatz 353.

Verwandtschaft, chemische 502.

Verwandtschaftstafeln 521.

Verwitterungserscheinungen wasser- haltiger Salze 350.

Vierfache»- Punkt 358.

Volt 378.

Voltasche Kette 376, 430.

Voltasche Kette, Elek'trizitätsentwicke- lung in ders. 380.

Volum, inkompressibles 57.

Volum, Verbrennungswärmen bei kon- stantem 285.

Sach- Register.

549

Volum, kritisches 110.

Yolum, spezifisches, der Gase 60.

Yolumchemische Methode der Affini-

tätsmessnng 510. Volume fester Stoffe 185. Volumenergie 53, 247. Volum Verhältnisse flüssiger Stoffe 127. Volum und Dichte der Gase 59. Vorgänge, chemische 2.

W.

Wabige Struktur 339. Wanderungsgeschwindigkeit der Ionen

386, 397. warme 247.

Wärme, spezifische, fester Stoffe 188. W^ärme, spezifische, bei konstantem

Volum 90. Wärme und Arbeit 85. Wärmeäquivalent, mechanische 87. Wärmeausdehnung des Wassers 97. Wärmeerscheinungen der Gase 83. Wärmekapazität 84. Wärmeleitung der Gase 81. Wärmemenge, Einheit ders. 84. Wärmen, spezifische 84. Wärmesummen, Gesetz der konstanten

252. Wärmetheorie, ersterHauptsatz der8.83. Wasser, Thch. D. 263. Wasser, Bildungswärme aus den Ionen

276. Wasser, Dissociation dess. 401. Wasser, Verbindungen mit Schwefel -

dioxyd 359. Wasser, Wärmeausdehnung dess. 97. Wasser, Zusammendrückbarkeit dess.

96. Wasserstoff, thch. D. 263. Wasserstoff, V. G. 17.

Wasserstoff, Polarisation durch dens.

472 Wasserstoffionen 395. Wasserstoffkette 456. Wasserstoffsuperoxyd, Thch. D. 263. Wasserstoff- Sauerstoff kette 461. Weglänge, mittlere 81. Weinsäure, verschiedene Formen 140. Wellenlänge 481. Wellenlängen bestimmter Lichtarten

132. Widerstand R. 377. Widerstand, Einheit dess. 378. Widerstand, spezifischer 382. Wirksame Menge 321. Wirksame Menge, Bestimmung ders.

in konzentrierten Lösungen 346. Wismut, Thch. D. 273. Wismut, V. G. 38. Wolfram, V. G. 38.

X.

Xenon, V. G. 38.

T.

Ytterbium, V. G. 38. Yttrium, V. G. 39.

Z.

Zink, Thch. D. 271.

Zinn, Thch. D. 273.

Zinn, V. G. 39.

Zirkonium, V. G. 39.

Zusammendrückbarkeit des Quecksil- bers 96.

Zusammendrückbarkeit des Wassers 96.

Zusammengesetzte Typen 237.

Zustandsgieichung nach van der Waals 115.

Zwischenprodukt 517.

Druck voa POschel & Trepte in Leipzig.

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