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"Stunde

Pbtlofbobiſchen Wiſenſchaften der nöchigen Geschichte i 5 Gebr) feiner Zuhörer N erausgegeben

Johann Georg Heinrich feder |

Profeſſor Ord. auf der Untserftät Göttingen.

Zweite Auflage. |

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Coburg, | verlegts Johann Carl Findeiſen, 1769.

nc Reichs Freyherren, E RR N

Carl Chr iſtian Friedr. ich von Wellwarth,

Erbherrn auf Polſingen, Fachſenfeld ꝛc. HE RR N

Franz Bernhard Wilhelm von Wellwarth,

Erbherrn auf Polſingen, Fachſenfeld ꝛc. HE R R N

Louis von Wellwarth,

Herrn von Waiblingen, Erbherrn auf Lau— bach, Lainroden ꝛc.

Meinen hochgeſchaͤtzten Goͤnnern und Freunden.

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Hochwohlgebohrne Reichs⸗ Freyherren,

Hochgeſchaͤtzte Goͤnner und Freunde!

9 uͤbergebe Ihnen diefen mei- I nen erſten Verſuch in kei⸗ ner andern Abſicht, als um Ih⸗ nen einmal oͤffentlich zu ſagen, wie hoch ich Sie ſchaͤtze und wie ſehr ich x A 3 Sie

Sie liebe; und um mich öffentlich durch das Andenken angenehm ver⸗ floſſener Jahre mit Ihnen zu ergoͤ⸗ tzen. Sie, meine hochgeſchaͤtzten Freunde ich weiß noch keinen theuerern Namen, als dieſen, und Sie verdienen ihn Sie leben je⸗ 60 in den Zerſtreuungen, die groͤſſe⸗ re Verbindungen mit ſich bringen. Lieben Sie dieſe ſo ſehr, daß Sie nicht mehr an die unſrige zuruͤck denken? Ich wenigſtens habe ſie bey meiner jetzigen Lebensart noch

nicht

nicht vergeſſen koͤnnen, ſo ſehr ich ſonſt mit meinem Zuſtand zufrie⸗ den bin. So wohl die Gefilde um Polſingen, die angenehmſten, die ich jemals geſehen babe, wuͤrdig von dem beſten Dichter geſehen zu wer⸗ den, dieſe Hayne, die ich mit Ih⸗ nen, meinen erſten Lieblingen, ſo oft durchwandelt bin; als auch die fröhlichen Abende, welche Ihnen, Liebling meiner letzten Hofmeiſter⸗ Jahre, und mir das v. M. Haus zu Erlang verſchaffet hat, erwecken

A 4 meine

| meine Sehnfucht nicht ſelten aus dem Schlummer der ſoſtematiſhen

Zufriedenheit! in den wann .

Welten, | Woy keine Blue blüht und Glück N der Traͤume taͤuſcht. | iR In. dieſen Erinnerungsſtunden f habe ich oft die Wahrheit empfun⸗ 35 den, daß der Genuß des groͤſten finnlichen Vergnuͤgens | nicht halb

ſo viel Werth habe, als eine einzige rechtſchaffene Handlung, die man in der Stille ausuͤbt. Jener Ge⸗ | nuß

| muß if 10 leicht ganz ohne Un. W > ruhe; und die Erinnerung erweckt wenigſtens Schmachten, wenn ſie | auch nicht Scham und Reue erwe⸗ cket. Aber eine gute That beſeeli⸗ get, wenn ſie vollbracht wird, und erfreut bey der Ruͤckſicht in verfloſ⸗ ſene Jahre. Dieſes Vergnuͤgen müͤſſe Ihnen Ihre ſpaͤteſten Jahre zu den angenehmſten Ihres Lebens machen! Und auch dann muͤſſen Sie, mich oder meinen Namen, noch eines freundſchaftlichen Andenkens . wuͤr⸗

1 1 würdigen! Ich werde nie aufhoͤ⸗ ren mit vollkommener Hochach⸗ tung und Ergebenheit zu ſeyn

Ew. Hochwohlgebohrnen, Meiner Hochgeſchaͤtzten Goͤnner

und Freunde Coburg, den 24. Februar 1787. gehorfamfter Diener

Joh. Georg Heinrich Feder. Vor⸗

REICH EHE SEHE TE TASTE Vorrede.

den ich dieſen Grundriß der 6 philoſophiſchen Wiſſenſchaften, nebſt der noͤthigen Geſchichte,

dem Publico uͤbergebe: fo bitte ich nur dies einzige, daß man ihn nach ſeinem Endzweck beurtheilen wolle. Ich habe weder die Abſicht gehabt eine neue philo⸗ ſophiſche Hiſtorie zu entwerfen, noch die philoſophiſchen Wiſſenſchaften ausfuͤhr⸗ lich abzuhandeln; ich getraue mir auch nicht einmal zu behaupten, daß ich die⸗ ſe oder jene durch irgend eine neue und wichtige Anmerkung bereichert habe. Aber ich wollte von beyden den Anfaͤn⸗ gern in der Weltweisheit einen Vor⸗ ſchmack beybringen, damit ſie im Stand geſetzt wuͤrden, einen jeden Theil derſel⸗ ben mit groͤſſerem Nutzen zu erlernen, wenn ſie ſchon einen vorlaͤufigen Begrif davon haͤtten; oder wenn manchem ſei⸗ ne

Vorrede.

ne Umſtaͤnde nicht erlaubten, uͤber alle Theile der philoſophiſchen Gelehrſam⸗ keit Vorleſungen zu hoͤren, er doch in keinem derſelben ganz unwiſſend waͤre. Solche Einleitungen gab ich als Hof— meiſter meinen Eleven: und ſobald ich durch den Rath meiner Freunde und durch die Schickung der Vorſehung be; ſtimmt, mich den akademiſchen Leben widmete: faßte ich den Vorſatz, ſolche iſagogiſche Vorleſungen oͤffentlich fort⸗ zuſetzen. Es fehlte mir dazu an einem Buch, und darum uͤbergebe ich dieſen Entwurf dem Druck. Er wird geta⸗ delt werden, und vielleicht mit Recht. Unterdeſſen wird er mir zu meiner Ab⸗ ſicht nuͤtzlich ſeyn; vielleicht dient er auch andern, und dann kan er mit der Zeit vollſtaͤndiger und gebeſſerter erſcheinen.

BESSERE

Erſte

Erſte Abtheilung. Einleitung zur philoſophiſchen Hiſtorie.

8

$ iefer Grundriß ſoll dem Liebha⸗ mr

ber der Weltweisheit einen

Begrif von dem Umfang und Zuſammenhang aller philoſophiſchen Wiſſenſchaf⸗ ten, von ihrer Geſchichte und den Huͤlfsmitteln zu deren Erlernung beybringen. Es muß alſo dar⸗ innen von der Geſchichte der Philoſophie und der Philoſophen überhaupt, dann von dem Inhalt eis ner jeden philoſophiſchen Wiſſenſchaft und ihrer Geſchichte insbeſondere, zuletzt von der philoſophi⸗ ſchen Buͤcherkenntnis gehandelt werden. Daß alles dieſes in moͤglichſter Kuͤrze geſchehe, erfordert die

Hauptabſicht.

9.2.

14 Erſte Abtheilung.

. a . Die philoſophiſche Hiſtorie kan fuͤg⸗ loſophiſchen lich in 3 Perioden abgetheilet werden; als e fo daß man erſtlich bis auf die Zeit der Geburt Chriſti oder den Anfang des R. Kayfer: thums geht, in der zweyten Periode die Geſchichte der Philoſophie in den erſten 14. Jahrhunderten nach Chriſti Geburt, und in der letzten die Ver⸗ beſſerung und den Zuſtand derſelben in den neuern

Zeiten beſchreibt.

8 2

l ore In den Zeiten, da die Menſchen

noch nicht in verſchiedene Voͤlkerſchaf⸗ ten eingetheilt waren, oder da wir dieſe Eintheilun⸗ gen wenigſtens noch nicht wiſſen, ſucht die philoſo⸗ phiſche Hiſtorie die Spuren auf, wie die Menſchen angefangen haben aus der ſinnlichen Erkenntniß allgemeine Wahrheiten zu abſtrahiren, und die Wiſ—⸗ ſenſchaften daraus entſtanden ſind. Ihr kommt es weder zu, zu beweiſen, daß die Menſchen nicht Jahrtauſende ohne allem Gebrauch der Vernunft gelebt; noch ſich mit derjenigen Erkenntniß zu be⸗ ſchaͤftigen, die von einer goͤttlichen Offenbarung her⸗ ruͤhrte, oder die ſonſt den Namen der philoſophiſchen Erkenntniß nicht verdient.

§. 4.

Einleitung zur philoſoph. Siſtorie. 15

. Da nach der Suͤndfluth verſchiede. Jet ne Reiche beruͤhmt geworden: ſo muß re Kia man von dem Zuſtand der Philoſophie barbariſchen N

in einem jeden derſelben befonders han⸗ Völker.

deln. Aber es fehlt bey den meiſten an hinlaͤng⸗

lichen Zeugniſſen, worauf wir unſere Erzählung

mit Zuverſicht gründen koͤnnten; und kaum ſetzen uns

muͤhſame Muthmaſſungen im Stand von der Phi⸗ loſophie der ſogenannten barbariſchen Volker et⸗ was wahrſcheinliches vorzubringen. Unterdeſſen

kan man dasjenige was von den Hebraͤern, Chal⸗ daͤern, Perſern, Indianern, Arabern, Phöniciern,

Egyptiern, Aethiopiern, Celten, Seyten und den als ten Einwohnern Italiens in dieſem Zeitalter ent— weder fabelhaft erzaͤhlt, oder wahrſcheinlich behaup⸗

tet wird, nicht gaͤnzlich uͤbergehen.

§. 5.

Die Hebraͤer übertraffen wohl durch dnn göttliche Offenbarung andere Völker an braͤer. Erkenntniß, aber eigentliche Philoſophen hatten ſie deſtoweniger aufzuweiſen; wenn man wenigſtens dies Wort in der ſtrengern Bedeutung nehmen will. Denn ſonſten koͤnnten wir, wo nicht den Abra⸗ ham, Joſeph, Moſes ꝛc. doch wenigſtens den Salomo, ſelbſt um desjenigen Zeugniſſes willen,

das

*

ee Erſte Abtheilung. das ihm * die heilige Schrift giebt, 0 erkennen; auch den Jeſus Sirach hieher rech ) 1 B. der Könige IV. 33. N | . F. 6. 9 * ER Chaldaͤer. Bey den Chaldaͤern, wie bey denn meiſten barbariſchen Voͤlkern, waͤren die Dpitofo- phen zugleich die Priefter ihres Lands, und die PNhi⸗ loſophie wurde durch die Religion und durch die ae ee ſung mehr beſtimmt, als dieſe durch je⸗ ne. Sie glaubten auſſer der Gottheit noch viele Claſſen der Geiſter, die theils gute, theils boͤſe waͤ⸗ ren, und waren daher der Zauberey und Wahrſa⸗ gerkunſt beſonders ergeben. Zoroaſter, Belus und Beroſus werden als ihre vornehmſten Philo- 1 ſophen genennt. 5 | e f } Perſer. Die Magi der Perſer philoſophirten. faſt eben fo, wie die Chaldaͤer. Ihr groſſer Lehrer hieß gleichfalls Zoroaſter. Sie verehrten drey hoͤchſte Weſen, nemlich Mithra, Oromasdes und Arthmann. Doch laͤßt ſich wahrſcheinlich muthmaſſen, daß ſie das erſte wenigſtens eine Zeit⸗ lang fuͤr das vornehmſte darunter gehalten; wie⸗ wohl andere dieſem widerſprechen. | | Fd. 8. f Araber. Von den Perſern empfiengen die Ara⸗ ber vermuthlich ihren Unterricht in der Weltweis⸗ heit;

Einleitung zur philoſoph. Siſtorie. 17

heit; da ſie ſelbſten nach den Zeugniſſen der Alten den Ruhm groſſer Genies eben nicht haben. Doch rechnen einige die Koͤnigin aus Saba, und die Weiſen, die Chriſtum anzubeten gekommen ſind, zu den Arabern, und wollen daraus ihre groſſe Ein. ſichten beweiſen. Auch iſt Lokmann, der um die Zeiten Davids unter ihnen ſoll gelebt haben, wegen ſeiner Fabeln beruͤhmt.

§. 9.

Nach den Chaldaͤern hatten die alten Egyrtier. Egyptier den größten Ruhm in der Weisheit, und wurden deßwegen auch von auswärtigen bes ſucht. Doch iſt ihre Erkenntniß ſo groß gewiß nicht geweſen, als ſie einige machen wollen. Ueber⸗ haupt aber macht ihre hieroglyphiſche und geheim⸗ nisvolle Lehrart, daß man nicht viel gewiſſes davon ſagen kann. Die Seelenwanderung wird als eine der vornehmſten ihrer befondern Meynungen, Her: mes oder Mercurius aber als ihr Lehrer anges geben.

$. 10. Bey den Phöniciern find Moſchus, Aae Kadmus und Sanchuntaton be- vier. ruͤhmt; bey den Aethiopiern, Atlas.

B $. u.

18 Erſte Abtheilung.

n. | Indianer. Der Indianer vornehmſte Weltwei⸗ ſen hieſen Brachmanen, andere Germanen, Samanaͤer; uͤberhaupt wurden ſie wegen ihrer Tracht Gymnoſophiſten genennt. Sie glaub⸗ ten, daß man durch eine ſtrenge und einſame Lebens⸗

art zur Erkenntniß GOttes und zur wahren Weiss

heit gelangen müffe; fie verachteten daher die Be⸗ quemlichkeiten des Lebens, ja das Leben felbft. Bud⸗ das, der muthmaßlich 600 Jahr vor Chriſti Ges burt gelebt hat, warf ſich zum Lehrer der Weltweis⸗ heit und der Religion auf, und wird daher noch heut zu Tag im Orient verehrt. Vermuthlich iſt der Sineſer Foe einerley Perſon mit ihn. Bey dieſen letztern wird Confucius, deſſen Zeitalter un gewiß iſt, noch jetzo als der größte Philoſoph und göttlich verehrt. §. 12 c Die Weiſen ſche Volker. waren die Druiden und Barden. Die nordiſchen Scythen waren rechtſchaffene Leu⸗ le, aber ſchwehrlich eigentliche Weltweiſen. Doch werden Abairs, Anacharſis, Toxaris und Zamolxis aus dieſer Nation geruͤhmt. §. 13. Etrurier. In Italien waren die Etrurier in der Weisheit am beruͤhmteſten. Die Roͤmer haben ſch

der Celtiſcheu Völker

Einleitung zur philoſoph. Siſtorie. 19

ſich unter den Koͤnigen, und bis nach den Puniſchen Kriegen, nicht viel um die Philoſophie bekuͤmmert. Nachher lernten ſie ſolche von den Griechen.

9 Bey der Dunkelhel, welche die Ge⸗ „girmerung ſchichte der barbarifchen Philoſophie um. bariſche Phi⸗ gibt, iſt doch dies gewiß, daß alle dieſe N Voͤlker ein hoͤchſtes Weſen und die Unſterblichkeit der Seele geglaubt haben. Auch verdient dieſes angemerkt zu werden, daß je weniger die Philoſo⸗ Phen damaliger Zeiten wußten, deſto geheimnisvol— ler thaten ſie. Es iſt immer verdaͤchtig, wenn man ſeine Weisheit nicht ſagen will, oder nich ſagen kann.

§. 3.

Ehe in Griechenland die verſchiede— 110 ne Secten der Philoſophen entſtunden, bey den waren auſſer den Prometheus, Li— F nus, Orpheus, Muſaͤus und andern, deren Ge— ſchichte noch voll Ungewisheit und Fabeln iſt, He: ſiodus und Homer auch der Weltweisheit we⸗ gen im Anſehen. Die Namen der fogenannten 7 Weiſen, des Thales, Solon, Chilon, Bit: takus, Bias, Kleobulus, Periander (Ana⸗ charſis) ſind noch beruͤhmt; aber ihre Weisheit beſtund hauptſaͤchlich in der Staatsklugheit, und den

B 2 Tha⸗

20 Erſte Abtheilung.

Thales ausgenommen, wollen ihnen viele den Na⸗ men der Philoſophen nicht zugeſtehen. Aeſop wird auch in dieſe Zeiten geſetzt. |

§. 16.

Sate de Thales ſtiftete um die nemliche Zeit,

da Pythagoras in dem untern Theil Ita⸗ liens lehrte, das it, zwiſchen der 35ften und 58ſten Olympiade die Joniſche Secte, die eine Mutter vieler andern ward. Seine beruͤhmteſten Nach⸗ folger waren Anaximander, Anaximens, Ana⸗ ragoras, Diogenes Apolloniates und Arche⸗ laus, welche zum Theil ihre beſondere Meynun⸗ gen hegten. Diejenigen des Anaxagoras vers rathen in der That ein groſſes Genie, und es iſt zu bedauern, daß uns nicht mehr von ihm iſt aufge⸗ zeichnet worden.

§. 17.

Sokrates. Sokrates ein Schuͤler des Arche⸗ laus lehrte die Wiſſenſchaft, die die Menſchen tu⸗ gendhaft machen ſoll. Er ward ein Maͤrtyrer ſei⸗ ner Lehren, und durch den Nachruhm gerochen. Er hinterlies in dem Kenophon, Aeſchines, Krito und Cebes groſſe Schüler. Ja er kann gewiſſer maſſen fuͤr den Vater aller nachfolgenden Secten angeſehen werden.

§. 18.

*

Einleitung zur philoſoph. Siſtorie. 21 % 18.

Ariſtippus von Cyrene war ein 8 Phil oſoph für den Hof, und ſtiftete die eten. Cyrenaiſche Secte. Sie hat keinen guten Nas men, und die meiſten ihrer Anhaͤnger werden des Atheismus beſchuldiget. Euklides von Megara gleichfalls ein Auditor des Sokrates, errichtete um dieſe Zeit die Megariſche oder Eriſtiſche Secte. Ein anderer Schüler von ihm, Phaͤdo von Elis die Eliſche, die durch den Menedemus von Exes tria den Namen Eretriaca bekommen.

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Eine der berühmteften Secten war 3 die akademiſche. Der erſte Stifter ete. derſelben war Plato ein Schuͤler des Sokrates. Aber dieſe Secte litte verſchiedene Abaͤnderungen. Daher ſie in die alte, in die mittlere und in die neue Akademie eingetheilt wird. Aus der erſten find Speuſippus, Kenocrates, Polemo, Kra⸗ tes und Krantor beruͤhmt. In der mittlern Archeſilaus, Lacydes, Cvander und Egeſinus. In der neuern Karneades, Klitomachus, Phi⸗ lo und Antiochus.

C. 20.

Peripatetiker wurden die Philofos 5 5 64

phen von der Secte des Ariſtoteles ge. Secte. | B 3 nennt.

22 Erfte Abtheilung.

nennt. Keine Secte hat ſich länger im Flor er⸗ halten, und mehr Anhaͤnger gehabt, als dieſe. Auſ— ſer ihren Urheber, dem man ſeinen Ruhm nicht neh⸗ men kann, fo lange man philoſophiſche Syſteme hochachtet, haben ſich Theophraſt, Strato von Lampſakus, Dicaͤarchus und Demetrius Phalereus beſonders hervorgethan.

W Eon? Die Cyniſche Secte, welche Anti⸗

ſthenes errichtet, war anfangs wenig⸗ ſtens nicht ſo abſcheulich, als man ſie insgemein vorſtellt. Die Freyheit zu denken war bey derſel— ben ſehr groß, welches zu dem nachmaligen Ver⸗ fall mag Gelegenheit gegeben haben. Dioge—

nes, Krates von Theben, und Menippus ſind

bekannt genug.

8

Stoiker. Zeno hat ſchon die Kunſt verſtan⸗ den, von verſchiedenen Philoſophen verſchiedenes zu entlehnen, eine neue Sprache dabey zu fuͤhren, und ſich dadurch das Anſehen eines Erfinders zu geben. Die Weisheit der Stoiſchen Lehrſaͤtze blendet beym erſten Anblick, bey genauerer Unterſuchung werden ſie oft widerſprechend und gefaͤhrlich befunden; ob⸗ gleich nicht zu leugnen, daß viele rechtſchaffene Maͤn⸗ ner unter ihnen gewesen, Ariſto, Herillus, Kle⸗ anthes,

Einleitung zur philoſoph. Siſtorie. 23 anthes, Chryſippus und Mau dre ſich

darinnen hervorgethan. * Cic. fin. IV. 21. 25. V. 28.

§. 23. Die ꝛte Mutter vieler andern Secten, Die Potha⸗ goraer. die Italieniſche Secte, errichtete Py⸗ thagoras, der aus den Meynungen verſchiedener Nationen, mit mehr Wiz als Beurtheilungskraft, ein Sehrgebäude verfertigte. Die Sitten der Py⸗ thagoraͤer verdienen mehr Achtung, als ein guter Theil ihrer Lehrſaͤtze, die entweder raͤthſelhaft oder abgeſchmackt ſind; Unter ſeinen Nachfolgern ſind die Namen eines Empedokles, Epicharmus, Ocel⸗ lus, Timaͤus, Archytas, Philolaus und Eu: doxus 1

§. 24.

Aus der Pythagoriſchen Schule, ent⸗ en ee ſtunde die Eleatiſche, in welcher der Stifter Kenophanes, dann Parmenides, He: raklitus, der Eleatiſche Zeno, Leucippus, De⸗ mokritus, Protagoras, Diagoras und Ana⸗ yarchus zu merken; und einige darunter werden noch als Haͤupter beſonderer Secten angeſehen. In dem Lehrgebaͤude dieſer Weltweiſen machen die Ato⸗ men das wichtigſte Stuͤck aus.

B 4 §. 25.

24 Erſte Abtheilung.

F. 25. Die Ent Epikur, den man fo viele Jahrhun⸗

| derte aus Vorurtheil gelaͤſtert, und ſeit dem Gaſſendi ſich ſeiner angenommen, vielleicht aus Vorurtheil lobt, hatte, wie die andern, grobe Irrthuͤmer, und manches Gute. Man muß eins

geſtehen, daß feine Moral, wenn fie recht verſtan⸗

den wird, der menſchlichen Natur gemaͤs iſt. Er lehrte in Gaͤrten. Seine Nachfolger ſtrebten mehr nach Gluͤckſeligkeit als nach Ruhm, und vielleicht gaben fie, durch ihre Auffuͤhrung, zu den beſtaͤndi⸗ gen Vorwuͤrfen, die man dieſer Secte machte, mehr gerechten Anlaß, als ihr Stifter.

§. 26. bi

Skeptiker. Um eben dieſe Zeit entſtund eine neue Art der Philoſophen, die Skeptiker oder Pyrr⸗ honier, von Pyrrho alſo genannt. Die 2te Aka⸗ demie nahm ihre Grundſaͤtze guten Theils an, da= her fie öfters mit einander verwechſelt werden. Uns ter dieſen Philoſophen ſind der Phliaſiſche Timon und Sextus Empirikus, der aber ſpater gelebt, beſonders bekannt.

§. 27. r den Man merkt bey den griechiſchen Se⸗ Dechaen cten an, daß eine jede ihre beſondere Fa⸗ en. dporit⸗ Idee gehabt, welche durch das

gan⸗

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E

Einleitung zur philoſoph. Siſtorie. 25

ganze Lehrgebaͤude, und auf alle Gegenſtaͤnde ange⸗ wendet worden; und daß, wenn ſie auch noch ſo weit von einander, und von der geſunden Vernunft abgegangen, fie dennoch insgeſammt von den Hand⸗ lungen des menſchlichen Lebens meiſt richtig geur⸗ theilt. So gewiß iſt es, daß dem Menſchen Die: jenige Erkenntniß, die er zu feiner Gluͤckſeligkeit noͤthig hat, nicht verborgen iſt.

§. 28.

Die Römer waren unter den Bur- Yhleferhie gemeiſtern fo wenig Freunde der Philo. unter den Burgemei⸗

ſophie, daß zu Cato des aͤltern Zeiten 5 noch keine Lehrer der Weltweisheit zu Rom gedul⸗ tet werden ſollten. Endlich aber nahm die Liebe zu dieſen Wiſſenſchaften uͤberhand, und zu des Ci⸗ cero Zeiten hatten faſt alle Secten der Griechiſchen Philoſophie ihre Anhaͤnger in Rom. Auſeſer Dies

2 ſem groſſen Staatsmann, machte ſich der juͤngere

Scipio Africanus, Laͤlius, Tubero, Scaͤvo⸗ la und beſonders Lucullus um die Philoſophie ver» dient. Der Pythagoriſchen Secte war Nigi⸗ dius zugethan, der akademiſchen Brutus und Varro, der Stoiſchen Lucilius Balbus und Cato Uticenſis. Ariſtoteles wurde durch die Bemuͤhungen des Andronikus von Rhodus wie⸗ der bekannter, und die Epikuriſche Philoſophie hatte

B 5 an

26 Erſte Abtheilung.

an dem Atticus damals einen beſondern Freund, und an dem Lucrez einen ſcharfſinnigen Be | diger.

§. 29.

nr Auguſt war den Philoſophen fo ger

wogen, daß bey den Gelehrten und bey den Hofleuten die Neigung zur Philoſophie allge⸗ mein ward. Die Geſchichtſchreiber und der Dich⸗ ter brachten ſie in ihre Schriften; und noch lange wird man ſie beym Tacitus und beym Horaz lernen, wenn fo manches Syſtem wird in Vergeſ⸗ ſenheit gekommen ſeyn. Obgleich einige der nach⸗ folgenden Kayſer nicht ſo gut fuͤr ſie geſinnt wa⸗ ren: ſo hinderte doch dieſes den Fortgang derſel⸗ ben nicht, da bald wieder Freunde der Weisheit den n 9

§. 30. Fortſetzung. In der Pythagoriſchen Secte 9 ten ſich dazumal Anaxillus, Sextius, Nikoma⸗ chus und am meiſten Apollonius Tyanaus bes ruͤhmt, welcher letztere wegen ſeiner Wunder ſo gar Chriſto an die Seite gesetzt, und faſt als ein Gott verehret wurde.

8. 3 Fortſekung. Die Platoniſche Philoſophie batte an Tra ſyllus, Alcinous / Favorinus, T | pu⸗

ER

Einleitung zur philoſoph. Siſtorie. 27

Apuleius, Maximus Tyrius, Galen und Plutarchus theils Liebhaber, theils Ausleger; ob man gleich ſchon anfieng, ſich an keine Secte mehr ſo genau zu halten.

22.

Denn es nahm eine neue Art zu philo, Eklektiker. ſophiren uͤberhand, welche die Eklektiſche, Neu⸗ Platoniſche oder Alexandriniſche genennt wur⸗ de. Dieſe ſuchte nicht nur alle Philoſophen unter einander, ſondern auch die chriſtliche Religion mit ihnen zu vereinigen, wodurch nur neue Verwirrun⸗ gen und Irrthuͤmer entſtunden. Die Haͤupter dies fer Schule waren Potamo, Ammonius, Plotis nus, Porphyrius und Jamblichus; und noch viele andere von den Heyden und Chriſten waren

ihr zugethan. | 233. Ariſtoteles fand noch an dem Ale— 9 gander Aphrodifaͤus einen getreuen Zeit. Anhaͤnger und beruͤhmten Ausleger, auch unter den Eklektikern einige, die gegen feine Schriften beſon⸗ dere Achtung bezeigten, dergleichen Themiſtius im aten, und Olympiodorus und Simplicius im sten Saͤc. waren.

§. 34.

Der Cyniſchen Secte waren in die - Cyniker. N Zeiten Muſonius, Demetrius und Demos

nax

28 Erſte Abtheilung.

nax zugethan. Crescens und, wenn Lucian Glauben verdienet, auch Peregrinus, gehoͤren nur ihrer viehiſchen Lebensart wegen hieher.

$. 35. | und Efentt Die Epikuriſche Secte kann ſich des ker. Celſus, des Plinius, und des Luci— ans, und die Skeptiſche des einzigen Sextus Empiricus ruͤhmen. 738

Stoiker. Die ſtoiſche Philoſophie hatte unter den Kayſern der zwey erſten Jahrhunderte ihre ſchoͤn⸗ ſten Tage. Athenodorus, Cornutus, Muſo⸗ nius Rufus, Seneca, Dio Pruſaͤenſis, Eu: phrates, Epiktet, Sextus und der groſſe Kayſer Marcus Aurelius va bekannten ſich oͤffentlich zu derſelben.

§. 37.

er Die Juden haben es in der Philos ſophie niemals ſonderlich weit gebracht,

obgleich die Erempel des Joſephus und des Phi⸗ lo beweiſen, daß die Griechiſchen Philoſophen bey dieſem Volk nicht ganz unbekannt geweſen find. Ihre Philoſophie war immer mit den Lehren des Geſetzes und der Tradition vermengt: daher auch die Secten unter ihnen mehr Religions- als Philo⸗ ſophiſche Secten zu nennen find. Im raten Jahr⸗ hun⸗

Einleitung zur philoſoph. Siſtorie. 29

hundert kam Ariſtoteles unter ihnen in groſſes An⸗

ſehen, und einige ihrer Rabbinen fiengen an, aus

Platoniſch-Pythagoriſch - Ariſtoteliſchen Grundſaͤtzen zu beweiſen.

§. 38.

Der Innbegrif der juͤdiſchen Weisheit Kabale ſoll die Kabbale ſeyn; ein verwirrtes Gewebe von den unverftändiichften Raͤtzeln. Sie wird in die reine und unreine, ferner in die practiſche und theoretiſche eingetheilt. Die letztere gehört eis gentlich hieher. Sie enthält auſſer gewiſſen Grund: ſaͤtzen, nach welchen die heilige Schrift auszulegen, wunderliches Zeuch von dem Urſprung und Zuſam⸗ menhang aller Dinge in der Welt; Das wenige Gute, ſo darunter verborgen iſt, verliehrt durch das andere ſeinen Werth.

9 5 Die Saracenen haben ſich weit Saracenen. verdienter um die Weltweisheit gemacht. Bey ihnen fand ſie Verehrer, da ſie bey allen andern Voͤlkern verachtet und vernachlaͤßiget wurde. Zu des Mahomeds Zeiten waren fie noch ſehr unwiſ⸗ ſend; und auch unter den Califen des ten und gten Jahrhunderts brachten ſie es nicht weit. Aber im gten Saͤc. gieng durch die ruͤhmlichen Bemuͤhun⸗ gen des Califen Al⸗Mamon ein Licht unter den Sara⸗

30 Kıfte Abtheilung.

Saracenen auf. Von der Zeit an trieben fo wohl die morgenlaͤndiſchen als abendländifchen Sa⸗ racenen die Philoſophie lange mit gutem Erfolg, und Alkandi, Alfarabi, Al⸗-Aſchari, Al⸗Raſi, Avicenna, Algazel, Thophail, Averroes wer— den in der Geſchichte der Weltweisheit jederzeit merkwuͤrdige Namen ſeyn. Sie folgten insge⸗ ſammt dem Ariſtoteles, doch nicht ganz getreu, indem theils die Religion, theils der Character der Nation ſie auf Abwege fuͤhrten.

8. 40.

. Der Stifter der chriſtlichen Reli⸗ Ehriſten. gion und die erſten Lehrer derſelben koͤnnen keine Philoſophen genennt werden, wenn man die gewoͤhnliche Bedeutung dieſes Worts bey⸗ behalten will. Daß die Vaͤter des aten und zten Jahrhunderts nicht alle unerfahren in der Philoſo⸗

phie geweſen, beweiſen auſſer mehrern Juſtinus Martyr, Tatianus und Clemens Alexandri⸗ nus. Sie gebrauchten auch die heydniſche Philo⸗ ſophie wider die Heyden ſelbſt. Aber theils gien⸗ gen ſie in ihrem Tadel gegen die Griechiſchen Welt⸗ weiſen zu weit, theils folgten ſie der damaligen eklektiſchen Philoſophie, zum Nachtheil der chriſtlichen Religion. Hierinnen fehlte hauptſaͤch⸗ lich Origenes. Auguſtinus bewies ſich auch in der

Einleitung zur philoſoph. Siſtorie. 31

der Philoſophie als ein groſſes Genie. Nachdem er alle Secten derſelben durchwandert, fand er end» lich, mit Verachtung aller, ſeine Zufriedenheit bey der ehriſtlichen Religion. Aus dem sten und 6fen Jahrhundert find wenige ehriſtliche Philoſophen be⸗ kannt. Spyneſius, der angebliche Dionyſius Areopagita und Boethius gehoͤren hieher.

§. 41.

Vom ten Saͤc. an kam die Phi- Ppiiſohte loſophie, wie die Gelehrſamkeit uͤber⸗ haupt, immer mehr in Verfall. Schon diejenigen, welche nur die alten Philoſophen leſen mochten, waren ſehr rahr. Damascenus, Photius und Iſidorus ſind die beruͤhmteſten darunter. Im Sten Sac. fanden wohl die Wiſſenſchaften an Karl den G. einen Beſchuͤtzer und an Alcuin einen geſchickten Befoͤrderer: aber die Beſchaffen⸗ heit der damaligen Zeiten machte ihre Bemuͤhun⸗ gen meiſt fruchtlos. Im gten, 10ten und ııten Saͤc. wurden zwar Akademien errichtet, und es fehlt auch nicht an einer guten Anzahl ſolcher Leu⸗ te, die damals fuͤr groſſe Gelehrte und Weltweiſen gehalten wurden: Aber wenn man findet, daß die⸗ jenige ſchon Gelehrte hieſen, die gut leſen und fine gen konnten; wenn man ihre Streitigkeiten übers legt, und ihre Schriften anſieht: ſo bekommt man

ü einen

32 Erſte Abtheilung. a

einen ſchlechten Begrif von der Weisheit dieſer Jahrhunderte. Doch wuͤrden Rabanus Mau⸗ rus, Johann Scotus Erigena, Gerbertus, Fulbertus, Lanfrancus, Anſelmus vielleicht groſſe Philoſophen geworden ſeyn, wenn ſie in ur: lichern Zeiten gelebt hätten,

Wird nicht noch einmal ein Rouſſeau oder ein aufſtehen, und beweiſen, daß die Gelebrſamkeit der da⸗ mailigen Zeiten die wahre und nuͤtzlichſte ſey?

§. 42. |

Scholaſtiker. Von der Mitte des rıten Jahr⸗ hunderts bis in das ı6te herrſchte die ſcholaſtiſche Philoſophie; ein Miſchmaſch von barbariſchen Kunſtwoͤrtern, von theologiſchen und philoſophiſchen ſubtilen meiſtens unnuͤtzen Streitigkeiten. Die heili— ge Schrift, der Pabſt, Ariſtoteles und die Aus: ſpruͤche einiger beruͤhmten Lehrer hatten gleiches Anſehen bey Entſcheidung derſelben; und ſie wa— ren nicht einmal im Stand, weder die heil. Schrift, noch den Ariſtoteles zu verſtehen. Man pflegt die Scholaſtiker in 3 Zeitalter abzutheilen. In das erfte gehören Abaelard, Lambardus, Ro⸗ bert Pull, Gilbert Porretanus, Petrus Com⸗ meſtor, Johannes Parvus, Hales, Vincen⸗ tius Bellovacenſis. In das zweyte Albertus Magnus, Thomas Aquinas, Bonaventura, Petrus Hiſpanus, Aegidius de Columna,

Roge⸗

Einleitung zur philoſoph. Siſtorie. 33

Rogerus, Baco, Duns Scotus, Wilhelm Durandus, Petrus de Apono, Joh. Baſ—⸗ ſolins, Arnoldus Villanovanus. Zur dritten Claſſe gehoͤren Wilhelm Occam, Wilhelm Durandus a Sancto Portiano, Richard Suiſſetus, Buridanus, Gualter Burlaͤus, Petrus de Alliaco, Joh. Hermann Weſſe⸗ lus, Gabriel Biel, Mauritius Hibernicus, Martinus Magiſter, und eine Menge anderer, deren Namen ich nicht der Mühe werth achte hie⸗ her zu ſetzen.

Sollten dieſe Doctores venerabiles, reſolutiſſimi, or. natiſſimi und flores mundi wiſſen, daß ich ihre gelehr⸗ te Namen durch die gothiſchen Charaktere ſchaͤndete, und zum Theil gar ihrer lateiniſchen Endigungen be⸗

raubte: gewiß fie würden ſchimpſen, und gewaltig auf mich los diſtinguiren.

§. 43. Die Scholaſtiker theilten ſich in ver- Secten der

ſchiedene Secten, die von gewiſſen Leh⸗ 2 1575 rern den Namen fuͤhrten. Aber keine 1 Secte machte mehr Aufſehens, als die 2 Partheyen der Nominaliſten und Realiſten. Nie haben ſich Guelfen und Gibellinen mehr gehaſſet und ver⸗

folgt, als dieſe Gattungen der Philoſophen gethan

haben. x 9. 44.

34 Erſte Abtheilung.

§. 44.

e Man fieng endlich an, die Maͤngel fung der der ſcholaſtiſchen Philoſophie einzuſehen, Pbiloſoobie. und ſchon im 13. Jahrhundert wollte Raymundus Lullus der Philoſophie eine neue Geſtalt geben; aber er kann kein Verbeſſerer ges nennt werden. Die ſchoͤnen Wiſſenſchaften muß« ten erſt wieder empor kommen, man mußte erſt mit der griechiſchen und lateiniſchen Gelehrſamkeit wie der bekannt werden, um eine beſſere Weltweisheit einführen zu koͤnnen. Aber da jenes geſchah: fo fehlte es auch ſogleich nicht an Maͤnnern, die ſich bemuͤhten, die ſcholaſtiſche Philoſophie laͤcherlich und veraͤchtlich zu machen; und Laurentius Val⸗ la, Rudolphus Argricofa, Erasmus, Ludov. Vives, Faber und Nizolius haben durch ihre Satyren die Verbeſſerung der Philoſophie, wo nicht geſchafft, doch erleichtert und befoͤrdert.

§. 45.

Die unden Die Reformation, die die Freyheit IE biefer Ab⸗ zu denken wieder einfuͤhrte, hat auch hier theülbaft ihre groſſe Verdienſte. Ariſtoteles wurde jetzo als der Freund des Pabſts angeſehen, und beyder Anſehen fiel zugleich. Aber der Geiſt der wahren Philoſophie fehlte noch. Das Genie dieſer Zeit war zu fehr an die Sklaverey gewoͤhnt;

man

Einleitung zur philoſoph. Siſtorie. 35

man hatte noch Fuͤhrer noͤthig; und man waͤhlte | ſich dieſe faft aus einer jeden der alten Secten.

§. 46.

Bey dem Plato und Pythagoras Freunde des ſuchten die Weisheit Gemiſtus Ple- Pythagoras. tho, Beſſario, Marfil ius Ficinus, Joh. Pi⸗ cus von Mirandula, Franciſeus Cantanaͤus Jaccetius, Joh. Reuchlinus, Franciſcus Georgius Venetus, Cornelius Agrippa, Franciſcus Patricius, Theophilus Gale, Cudworth, Heinricus Morus.

Es ſind unter dieſen einige vortrefliche Maͤnner, die um die Gelehrſamkeit überhaupt, und beſonders um die Phi⸗ loſophiſche ihre wahre Verdienſte haben.

§. 47 Fuͤr die Stoiſche Philoſophie wa⸗ 1 Zeno 2 f g ikurs. ren Juſtus Lipſius, ingleichen Tho— mas Gatacker beſonders eingenommen. Die Demokritiſch⸗Epikuriſche Philoſophie zogen Daniel Sennert, Joh. Chryſoſtomus Ma⸗ gnenus, hauptſächlich aber Gaſſendi, ein liebens⸗ wuͤrdiger Philoſoph, wieder hervor. |

§. 48. |

In dem Bernhardinus Teleſius „Lielefius und Claudius Berigardus war mehr ser

ſchoͤpferiſches Genie, als in den meiften der vorigen,

C 2 und

36 Erſte Abtheilung.

und ich koͤnnte, wenn ich meinen bisherigen Fuͤhrer verlaſſen wollte, vielleicht nicht ohne Grund erſtern unter die Eklektiker, und letztern unter die Skepti⸗ ker ſetzen.

§. 49. |

ne Ariſtoteles ſelbſt kam dabey noch nicht um alles Anſehen. Er bekam beſ⸗

ſere Ausleger und Vertheidiger, als vorher; man war allzuſehr an ihn gewoͤhnt; das theologiſche Lehrgebaͤude der katholiſchen Kirche zu ſehr nach ſei⸗ ner Philoſophie eingerichtet; und. ſo mancher alte Profeſſor fochte für ſelbige, als für den ganzen Um⸗ fang ſeiner Einſichten und ſeines Ruhms, und be⸗ wirkte einen Bannſtrahl gegen die ketzeriſchen Neu⸗ linge, die nicht mehr an den alten Philoſophen glau⸗ ben wollten. Es findet ſich daher noch eine groſ⸗ ſe Menge ſeiner Anhaͤnger aus den neuern Zeiten, die dabey mehr oder weniger ſcholaſtiſch waren, mehr oder weniger Genie aͤuſſerten. Von den Katho⸗ liken gehoͤren hieher Dominicus Scotus, Lob: kowiz, Theodorus Gaza, Georgius Trape⸗ zuntius, Gennadius, Leonicus Thomacus, Pomponatius, Niphus, Majoragius, Bar⸗ barus, Sepulveda, Victorius Zabarella, Alex. und Franciscus Piccolomini, Cyr. und Peter Strozza, Mazonius, Gifanjus, Pa⸗ cius,

1

Einleitung zur philoſoph. Siſtorie. 37

cius, Caeſalpinus, Cremoninus, Peter Jo. Nunneſius. Von den Proteſtanten, Philips pus Melanchthon, Simon Simonius, Jac. Schegk, Scherbe, Nic. Taurellus, Ernſt Sonerus, Piccartus, Corn. Martini, Hor⸗ neius, Herm. Conring, Dreier, Zeidler, Jac. Thomaſius.

| §. 50. Um dieſe Zeit kamen einige auf den 1 7

Einfall, man müßte die Philoſophie pben-

aus Eingebungen erlernen. Der Vater dieſer angeblichen Weiſen iſt der Arzt und Chymicus Theo⸗ phraſtus Paracelſus. Unter feinen Nachfol⸗ gern ſind Heinrich Kunrath, Robert Fludd, Jac. Böhm, Helmontius und Poiret fonder- lich beruͤhmt, worunter doch einige die geſunde Ver⸗ nunft weniger, als die andern verlaſſen haben.

§. 81. Aͤndere glaubten fie in der heiligen —. 5 Schrift, ſonderlich in der Schoͤpfungs⸗ vben. Geſchichte, zu finden. Dieſer Meynung waren Edmund Dickinſon, Thomas Burnet, Eos menius und Jo. Bayer, nebſt andern, zugethan.

Unter welche von dieſen beyden Claſſen kann man wohl am fuͤglichſten den Superint. Oetinger ſetzen? Siehe die Erl. Bel. Anm. aufs Jahr 1765. und aufs Jahr 1766. und unter welche den Geiſterſeher Schwe⸗

C 3 den⸗

38 Erſte Abtheilung.

denberg? von welchem Erneſti Theol. Bibliothek im 1 B. S. sts. und eine leſenswuͤrdige kleine Schrift Träume eines Geiſterſehers ꝛc. 1766. nachzuſehen. . fenen: Wenn einige fo gutherzig waren, und Skeptiker. alle Philoſophen mit einander vereinigen wollten: ſo waren andere dagegen ſo hartnaͤckig, daß fie behaupteten, es koͤnnten wohl alle Philoſo— phen irren, auch da irren, wo fie mit ſcharfſinni⸗ gen Beweiſen ſich und andere uͤberzeugten; und ſie unterſtunden ſich dieſes manchmal bey ſolchen Saͤ⸗ tzen zu zeigen, welche neben der Vernunft, zugleich von dem theologiſchen Syſtem ihrer Kirche unter— ſtuͤtzt wurden. Es gehören in dieſe Claſſe Fran⸗ ciſcus Sanchez, Michel Montagne, Hier. Hirnhayn, Franc. de la Mothe Vayer, Hue⸗ tius und beſonders Bayle. Der Herr Marquis d' Argens wird es ſich nicht verdrieſſen laſſen, wenn wir ihn auch hierunter zaͤhlen. Und wie groß iſt heut zu Tag die Menge derjenigen, die Baylen nachzweiflen! Aber ſie haben nicht Baylens Genie. Es iſt ſchwehr zu ſagen, ob dieſe Maͤnner der Philoſophie mehr genutzt oder geſchadet haben. Ihre Religion beurtheilen wir hier nicht. 9383 ‚a der Dell Endlich müffen wir diejenigen noch die. anführen, welche neue Lehrgebaͤude in

Einleitung zur philoſoph. Siſtorie. 39

in allen oder in den meiſten Theilen der Weltweis⸗ heit errichtet; und in den Geſchichten derſelben zum Theil Epochen gemacht haben.

1) Jordanus Brunus, ein Neapolitaner, aus dem 16ten Jahrhundert, hatte Genie und Ger lehrſamkeit, auch ein gutes Herz, aber etwas Schwaͤr⸗ meriſches. Er wurde von der Ingquiſition vers brannt.

2) Hieron. Cardanus, ein Maylaͤnder, geb. 1501. ft. 1576. Ein Mann, der am allerliebſten von ſich ſelbſt redete, und lieber Boͤſes von ſich ſag⸗ te, als gar ſchwieg; der die Geſtirne uͤber alles um Rath fragte, und deſſen Leben und Lehren beweiſen, daß ein ſtarker Strich von Thorheit in feinem Cha» racter geweſen. Aber dem ohngeachtet, ſelbſt nach Leibnizens Urtheil, ein groſſer Mann, und wahr⸗ haftig geöffer als fein Gegner Scaliger, der ſich pedantiſch gegen ihn auffuͤhrte.

3) Franciſcus Baco Baron von Veru— lam und Vicomte von St. Alban, geb. 1560. ſt. 1628. Man laͤßt ihm Gerechtigkeit wiederfah⸗ ren, wenn man behauptet; daß ſeine Verdienſte um die Verbeſſerung der Philoſophie, ſonderlich der Phyſik, noch von keinem uͤbertroffen worden.

4) Thomas Companella, aus Calabrien, geb. 1568. Seine ungluͤckliche Schickſale machen

1 * C 4 ihn

40 Erſte Abtheilung.

ihn faſt merkwuͤrdiger, als ſeine Philoſophie. Er hatte ſich vorgenommen ein neues Lehrgebaͤude uͤber den ganzen Umfang derſelben zu verfertigen. Er war aber in der That der Mann nicht, von dem man was vortrefliches erwarten konnte. Er hatte nicht Beurtheilungskraft genug für feine ausſchwei⸗ fende Einbildung. |

5) Thomas Hoobes, ein Engelaͤnder, geb. 1588. Er brachte feine meifte Lebenszeit als Hofe meiſter auf Reiſen zu, und er nutzte dieſe Reiſen gut. Er hat in allen Theilen der Philoſophie ge⸗ arbeitet, beſonders aber in dem Naturrecht ſich beruͤhmt gemacht. Ich glaube, daß ſeine politiſchen Irrthuͤmer mehr aus guten Abſichten, aus Liebe für ſeinen Koͤnig und ſein Vaterland, als aus ſchaͤdlichen Geſinnungen gegen die Religion herruͤhren. Doch will ich ſeine Vertheidigung nicht ganz auf mich nehmen. Daß er ein groſſes Genie geweſen, iſt ausgemacht.

6) Descartes, ein Franzos, geb. 1596. Als Kind ſchon hies er der Philoſoph ſeines Vaters; als Knabe war er ein geſchickter Schuͤler der Je⸗ ſuiten, als Juͤngling ein Zweifler und Soldat, dann ein wenig Schwaͤrmer, endlich der Vater einer neuen philoſophiſchen Secte. Nach dieſer Ehre ſtrebte er, aber es koſtete ihm Verdruß genug ſie zu

| erhal⸗

Einleitung zur philoſoph. Siſtorie. 4

erhalten. Er wird allemal ein groſſer Philoſoph bleiben. Am groͤßten erſcheint er, wenn man ihn als Gegner des Voetius und der Ariſtoteliker, am kleinſten, wenn man ihn als den Gegner des Gaſſendi betrachtet. Er ſtarb bey der K. Chri⸗ ſtina in Schweden, im Februar 1650.

Von ſeinen Nachfolgern begnuͤgen wir uns hier den Joh. Clauberg, Adrian Heerebord, Ro⸗ hault, Petr. Sylv. Regis, Ruard Andala, Ant. le Grand und Mallebranche zu nennen.

7) Gottfried Wilhelm Baron von Leibs niz, ein Profeſſors Sohn aus Leipzig, geb. 1646. ſtarb 1716. Der Stolz der Deutſchen, und ihre Ehre bey den Auslaͤndern. Er hat durch ein vor⸗ trefliches Genie, verbunden mit einer ausgebreiteten Gelehrſamkeit, und in dem Umgang mit der groſ⸗ ſen Welt gebildet, alle ſeine Vorgaͤnger uͤbertroffen; er wird vielleicht von keinem Nachfolgenden uͤber⸗ troffen, vielleicht von keinem erreicht werden. War es Mangel der Zeit, Beſcheidenheit oder Klugheit, daß er kein Syſtem von ſeiner Philoſophie verfer⸗ tigte? i

8) Chriſtian Thomaſius, geb. 1654. ft. 1728. Beruͤhmter, aber in gewiſſer Betrachtung kaum ſo groß, als ſein Vater Jacob Thomaſius; doch hat er um den Zuſtand der Wiſſenſchaften bey den

C 5 Deuts

42 Erſte Abtheilung.

Deutſchen ſich verdient gemacht. Er verſahe es darinnen, daß er oft in Sachen entſchied, uͤber die er noch nicht genug nachgedacht hatte. Sein leb⸗ haftes Feuer, das ihn zur Beſtreitung vieler Vor⸗ urtheile kuͤhn genug gemacht, hat ihn auch zu Aus⸗ ſchweifungen verfuͤhrt. So urtheilen Maͤnner, de⸗ ren Einſichten ich verehre, jetzo uͤber den in ſeinem Leben zu ſehr gelaͤſterten und ſehr gelobten Tho⸗ maſius, und ihr Urtheil ſcheinet mir gegruͤndet.

§. 54. irak. Es find noch einige Philoſophen dieſer Zeit, die zwar nicht alle ſehr bemuͤht waren, der Philoſophie eine neue Geſtalt zu geben, die auch nicht ſo viel Aufſehens gemacht, dem ohnge⸗ achtet aber mit gluͤcklicher Freyheit philoſophirt ha⸗ ben, und hier nicht koͤnnen uͤbergangen werden. Dies ſind Nic. Hieron. Gundling, Joh. Franc. Buddeus, Andr. Nuͤdiger, Jo. Cle⸗ ricus, Franc. Alb. Aepinus, Aug. Friedr. Muͤller. Ein jeder kann nach Einſicht und Belieben mehrere hinzuſetzen, wenn er es fuͤr gut haͤlt. §. 35. Re 4 Der Ruf, den ſich der Freyherr von von Wolf. Wolf, welcher 1754. ſtarb, durch ſeine Philoſophie in. und auſſerhalb Deutſchlands erwor⸗ ben,

Einleitung zur philoſoph. Siſtorie. 43

ben, ſeine Schickſale und Verdienſte werden ihn in der Geſchichte unvergeßlich machen, und von dem gemeinen Haufen der Philoſophen unterſcheiden. Wer kann die Menge ſeiner Anhaͤnger zaͤhlen? ich meyne nur diejenigen, die etwas geſchrieben haben. Ich fuͤrchte ſo ſehr einige, die beruͤhmter ſind, als ich es weiß, zu vergeſſen, wenn ich die beruͤhmteſten davon anfuͤhren wollte: daß ich lieber gar keinen nennen will. Ich ſage nur ſo viel, daß Wolf An⸗ haͤnger gefunden, die Nebenbuhler hätten ſeyn koͤn⸗ nen, und ohne welche vielleicht ſeine Philoſophie ſo beruͤhmt nicht wuͤrde geworden ſeyn.

§. 56. Der Triumph der Wolfifhen Phi: „cd Teben

loſophie war eine Zeit lang fo groß, daß ker. von vielen diejenigen kaum mehr fuͤr aͤchte Philos ſophen gehalten wurden, die ſich nicht dazu beken⸗ nen wollten. Doch faͤngt dieſes Vorurtheil ſchon an abzunehmen. Es hindert wenigſtens diejeni⸗ gen, die wahre Freunde der Weisheit ſind, nicht, die Schriften eines Hollmanns, eines Cruſius, eines Darjes und anderer Eklektiker unſerer Zeit, mit eben der Aufmerkſamkeit zu leſen, als die Wolfiſchen; und die Nachwelt wird ihre Ver⸗ dienſte nicht verkennen. Mein Ausſpruch kann ſo wenig für ein entſcheidendes Urtheil angeſehen wer⸗ den,

44 Erſte Abtheilung.

den, daß es der Welt und dieſen drey groſſen Maͤn⸗ nern ganz gleichgültig ſeyn muß, wenn ich zu mei. nem eigenen Vergnuͤgen meine Gedanken von ih⸗ nen hieherſetze. Hollmann iſt das Muſter eines vernuͤnftigen Zweiflers, ſo gelehrt als ſcharfſinnig. Er entdecket die Quellen der verſchiedenen Meynun. gen und vieler Irrthuͤmer, in der Zweydeutigkeit der unbeſtimmten Ausdruͤcke; iſt beſcheiden und vor⸗ ſichtig, deutlich und angenehm im Vortrag. Wenn es in der Philoſophie noͤthig waͤre, ſich von jeman⸗ den zu nennen; ſo wuͤrde ich mich zu dem Namen dieſes Philoſophens bekennen. Aber ich wuͤrde mir eben dadurch das Recht behaupten in einigen Mey⸗ nungen von ihm abzugehen. Cruſius iſt vortrefs lich, um die Saͤtze gewiſſer Philoſophen beurtheilen zu lernen, die alles nach mathematiſcher Methode beweiſen, aber deren willkuͤhrliche Definitionen ſchon die Embryons von den nachfolgenden Saͤtzen enthalten. Er fuͤhret bis auf den Urſprung der menſchlichen Erkenntniß zurück, und er hat auf dies ſe Art meiſt ſichere Wege gewaͤhlt, um auf die wich⸗ tigen Lehrſaͤtze der Weltweisheit zu kommen. Aber er ſcheint mir doch noch manchmal einen gewaͤhlt zu haben, der es nicht iſt; vielleicht weil kein anderer zu finden war, das zu beweiſen, was man bewie⸗ ſen haben mill: vielleicht auch, weil ich die Staͤr⸗ ke ſeiner Gruͤnde noch nicht einſehe. Darjes

iſt

Einleitung zur philoſoph. Siſtorie. 45

iſt ohnſtrittig der ſubtilſte Philoſoph unſerer Zeit, und erfordert ſubtile deſer. Man kann das Nach denken durch Leſung feiner Schriften üben, und man wird dadurch mit Hochachtung für ihn eingenom« men. Aber ich wollte nicht rathen, ihn allein zum Fuͤhrer zu nehmen, nicht darum, als ob mir ſeine Lehrſaͤtze misfielen: ſondern weil man ſich zu ſehr an eine gehaͤufte Terminologie gewohnt, dabey man andern unverſtaͤndlich wird, und dabey mancher Ge⸗ fahr laufen möchte, das Brauchbare der Wahrhei⸗ ten zu verlieren. |

§. 57.

Die Philoſophie iſt zwar in allen nr Theilen Europens heut zu Tag in eis in Europa. nigen Flor. Doch wenn man Frankreich, und, wegen der Phyſik, Italien ausnimmt, in den ka⸗ tholiſchen Staaten weniger, ais in den proteſtanti⸗ ſchen. Die gelehrten Geſellſchaften ſind ihr ſehr vortheilhaft. Die Naturlehre wird am ſtaͤrk⸗ ſten getrieben. Auch verdient es zur Ehre der Phi⸗ loſophie angefuͤhrt zu werden, daß in unſern Tagen 2 groſſe Könige den Namen Philoſophen gefuhrt haben. Wollte man Europa mit Griechenland, und unſere Zeiten mit den alten vergleichen: ſo wuͤrden wir uns wohl am beſten in den Zeitraum von der LX bis zur LXXX Olympiade ſchicken.

9.58.

46 Erſte Abtheil. Einleit. zur philoſoph. ꝛc.

H. 58.

Auſſer u⸗ Von den neuſten Zuſtand der Philo⸗ ropa. ** 6 E

ſophie bey einigen Nationen auſſer Eu⸗ ropa, kann man, bey dem Mangel glaubwuͤrdiger Nachrichten, nicht viel zuverſichtlich ſagen. Die ganz deſpotiſche Regierungsform, oder der einge: wurzelte Aberglaube, oder die Unwiſſenheit in der⸗ jenigen Gelehrſamkeit, welche der Philoſophie die noͤthigſten Huͤlfsmittel giebt, ſind dem Aufnehmen derſelben bey den meiſten dieſer Nationen ſehr hin⸗ derlich. Die Sineſer werden unterdeſſen auch hier vorzuͤglich geruͤhmt.

§. 59.

Feinde der i i j £ Pölleſepbie. Die Fehler einzeler Philoſophen, Un wiſſenheit und Bosheit erweckten der Philoſophie zu allen Zeiten Widerſacher. Noch in neuern Zeiten haben Daniel Hoffmann, Jo. Daniel Werdenhagen und Wilh. Schilling ſich oͤffentlich zu behaupten getraut, daß fie mit der chriſtlichen Religion nicht beſtehen koͤnn⸗ te; daß etwas philoſophiſch wahr, und doch ein ge⸗

fährlicher Irrthum ſeyn koͤnnte. Praetiſche Warum nennt man nicht noch andere Fein⸗ Schlußan⸗ de der Philoſophie, die eben dieſe Sprache fuͤh⸗ merkung. ren? Weil man ihnen anſieht, daß ſie ſo viel ſagen wollen: Die ſchriſtliche Religion verträgt ſich nicht mit der geſunden Vernunft. Was nennen wohl

dieſe Leute geſunde Vernunft? Die Vernunft des gemei⸗ nen

Zwepte Abtheil. Der vornehmſten ꝛc. 47.

nen Mannes, der bey geſunden Sinnen und ruhigem Ge⸗ muͤth, ſich nicht weit von der Quelle der menſchlichen Er⸗ keuntniß entfernet? Aber der nimmt eine Offenbarung am liebften an. Die Vernunft der Philoſophen? Und wel⸗ cher? Derjenigen, die da leugnen koͤnnen, daß es eine Be⸗ wegung gebe? Oder derjenigen, die in der Welt nichts als Zufall ſehen? Oder derjenigen, denen die koͤrperliche Wol⸗ luft das größte Glück iſt, welches allein ihnen die Laſt des Lebens ertraͤglich machen, und ſie wegen dem Unglück, daß fie vorhanden ſind, tuoͤſten kann? welches unan⸗ ſtaͤndige und aͤrgerliche Bekenntniß ſelbſt elvetius thut de P’Efprit, Tome II. p. 177. Oder desjenigen, wel⸗ cher dem Menſchen den Gebrauch ſeiner Vernunft zum Verbrechen macht? Mich duͤnkt, die Geſchichte der Phi⸗ loſophen gebe einen uͤberzeugenden Beweis fuͤr die Noth⸗ wendigkeit einer Offenbarung, als einer Richtſchnur, ſo wohl die Begierden auf die kraͤftigſte Art zu beſſern, als auch den Ausſchweifungen der empoͤrten Vernunft Ziel zu ſetzen. Doch faſf ſchweife ich ſelbſt aus.

eee dee Zweyte Abtheilung.

Grundriß der vornehmſten Theile der Weltweisheit.

Erſtes Kapitel. Von dem Begrif des Worts Philoſophie, dem Unterſchied und Zuſammenhang der philo: ſophiſchen Wiſſenſchaften ꝛc.

§. I. * * * B d as Wort Philoſophie iſt durch den ae Misbrauch und die verſchiedenen Pbiloſopbie. | Bedeu⸗

48 Iweyte Abtheilung.

Bedeutungen, in welchen man es bisweilen genom⸗ men, doch nicht ſo unbeſtimmt geworden, daß man es nicht fuͤr ſeine wahre Bedeutung erkennen ſollte, wenn man darunter die Wiſſenſchaft von allgemei⸗ nen und nuͤtzlichen Vernunftwahrheiten verſtehet. Und in dieſer Bedeutung nehmen wir es auch hier; nur mit der Einſchrenkung, daß wenn wir eine kur⸗ ze Einleitung in die Theile derſelben verſprechen, wir doch diejenigen Wiſſenſchaften ausnehmen, die ſich mit Meſſung der Groͤſſen beſchaͤftigen, ob ſie wol von der Weltweisheit nach ihrem ganzen Um⸗ fang unzertrennlich ſind.

1. Muͤndlich iſt hier von demlrfprung des Worts Philoſo⸗ phie, den verſchiedenen Bedeutungen, Erklärungen ze. einiges hinzuzufuͤgen. Ferner iſt zu unterſuchen, ob es einem Philoſophen anſtaͤndiger ſey, ſeine Unwiſſenheit zu bekennen, als ſchlecht zu beweiſen; und wie das 855 akademiſcher Philoſoph ſeine Bedeutung ge⸗

ndert.

3. Die Grenzen der Philoſophie im engſten Verſtand und der Mathematik, ſind an manchen Orten ſehr ſchwehr zu beſtimmen: ſo wie die Grenzen des Redners und Dichters.

3 1 Da der Gegenſtand der Philoſophie von einem ſo weiten Umfang iſt: ſo entſtehen daraus natuͤrlicher Weiſe mehrere Haupt⸗ theile in derſelben. Die Logik, Metaphyſik, Phyſik werden theoretiſche, und das Recht 3 (3

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 49

Natur, die Ethik und Politik praktiſche Theile derſelben genennt. Die Philoſophen ſind noch nicht einig in der Beſtimmung eines jeden von die⸗ ſen Theilen, und keiner kann auch dem andern hier⸗ innen Geſetze vorſchreiben. Aber dieſes Geſetz werden fie alle erkennen, daß die Gluͤckſeligkeit der Menſchen die Bemuͤhungen des Philoſophen, wie ein jedes Unternehmen, gruͤnden muͤſſe, und daß alſo nicht alles, was ſich demonſtriren läßt, in die Philoſophie gehoͤre.

Andere alte und neue Abtheilungen der Philoſorhie find hier muͤndlich mit anzufuͤhren.

g. 3.

Man kann auch wegen der Ordnung, Drdnung, in welcher man dieſe Theile erlernen ſie einander ſoll, kaum allgemeine Regeln geben. Im ir Privat Unterricht würde ich mit einem Anfänger einen ganz andern Weg wählen, als man auf Unis verſitaͤten insgemein vorſchreibt. Ich verwerfe

aber dieſen darum nicht.

§. 4. Welches Genie iſt zur Philoſophie e am geſchickteſten? Dieſe Frage bringe Genie. ich hier an, weil ſie von andern iſt aufgeworfen und abgehandelt worden. Aber wenn ich ſie jemanden gruͤndlich beantworten ſollte: ſo wuͤrde ich ſelbſt Be D vor⸗

58 Zweyte Abtheilung. e sw

vorher noch einige Fragen an ihn thun. Das Geſchaͤfte des Philoſophen erfordert eindringenden Verſtand, und Einbildungskraft, aber keine unbaͤn⸗ dige; beſonders Liebe zur Wahrheit, und unermuͤ. dete Gedult bey Erforſchung derſelben. Wenn er ein gutes Herz hat: ſo wird er ſeine Einſichten zu ſeinem und anderer Verderben misbrauchen.

§. 5.

PR man Wenn Baple *) felbft ſagt, die Phi⸗

hiloſophie N 1 ſernen? loſophie ſey wie ein verzehrendes Pulver, welches das faule Fleiſch ausrottet, ſo lange eines da iſt, hernach aber das geſunde Fleiſch, Mark und Knochen anfrißt: fo ſollte man Bedenken tragen, fie zu ſtudiren. Aber was hat Bayle nicht pro« blematiſch gemacht? Wenn man die Philoſophie uͤberhaupt verdammet: ſo verdammt man die menſchliche Vernunft. Aber doch gilt es auch hier: |

Eft modus in rebus, funt certi denique fines,

Quos vltra citraque neque conſiſtere rectum.

* Article Acofla reinarq. G.

§. 6.

Verbindun un Nichts ungerechters, als wenn man

ie mit d alt, die Phi i 11 Be dafür hält, die Philoſophie vertrage ſich

ſenſchaften. nicht mit den ſchoͤnen Wiſſenſchaften; Bu thoͤrigters, als wenn man fi ch einbildet, der

Pr, Phi⸗

| Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 31

Philoſoph koͤnne fie entbehren. Dieſe muͤſſen ſei⸗ nem Geſchmack eine tägliche Arzeney ſeyn, fie müfe fen ihn bewahren, daß er, indem er metaphyſiſch Welten ſchafft, nicht diejenige daruͤber vergißt, in welcher er lebt. Doch ſind auch hier Grenzen zu beobachten, damit der Lehrer der Weltweisheit in ſeinem aͤſthetiſchem Puz nicht zum Pöilfophifgen Petitmaitre werde,

Ich kann nicht umhin, hierbey die Worte eines Mannes anzufuͤhren, deſſen Beyſpiel fuͤr diejenigen, die ihn kennen, zugleich ein Beweis iſt. Er ſagt von den ſchoͤnen Wiſſenſchaften:

Ihr ſchoͤner Einfluß reicht bis in die Wiſſenſchaft, Beſeelt des Ausdrucks Wahl, und giebt den Bildern Kraft. Daß man gedankenvoll und dennoch ungeruͤhret Bey tauſend Schritten gaͤhnt, bey tauſend andern frieret⸗ Weil eh' der Worte Schall bis an den Punkt geruͤckt, Der duͤrftige Begrif in Worten ſchon erſtickt. Und Saͤtze voller Nichts, dabey wir denken ſollen, Brtruͤgriſch für den Geiſt, nur durch die Ohren rollen, Das wuͤrkt und raͤcht zugleich der ſchoͤnen Kuͤnſte Schmach; Denn wer oft alles weiß, weiß nicht wie ſchlecht er ſprach.⸗⸗ O edle Barbarey, du biſt zu fruͤh erſchienen, Noch jetzt ſehnt mancher ſich nach Dunſen und Aquinen. S. die Wiſſenſchaften ein Lehrgedicht des um das hieſige Caſimirianum ſehr verdienten ſeligen M. Chr. Joſ. Suero.

D 2 Zwey⸗

72 Iweyte Abtheilung.

Zweytes Kapitel. Von der Logik.

| . . | 7 791 der Wir haben ein Vermoͤgen, Dinge zu

gik.

erkennen, und dem Erkannten nachzuden⸗

ken; wir thun dieſes nicht allezeit mit gleich gutem Erfolg; eine jede Kraft wirkt nach gewiſſen Re⸗ geln; wovon man eine deutliche Erkenntniß hat, dabey fehlt man weniger, und kann auch andern ih⸗ re Fehler leichter zeigen. Dieſe Anmerkungen gruͤn⸗ den die Logik, oder eine Wiſſenſchaft von den Re⸗ geln beym Denken, zur Vermeidung der Irrthuͤ⸗ mer und Erforſchung der Wahrheit.

9

Abtheilung. Die Lehre von den Regeln recht zu den⸗ ken bringt die Abhandlung vom Denken, oder von den verſchiedenen Wirkungen unſeres Erkenntniß⸗ Vermoͤgens, und die Unterſuchung des Begrifs von der Wahrheit mit ſich. Denn wenn dieſe beyden Stuͤcke vorausgeſetzt ſind, koͤnnen erſt die Regeln, wie man richtig denken ſoll, gegeben werden.

\y 9 bee cht. Obgleich in der Anwendung unferes fenen 1 une Erkenntniß-Vermoͤgens die verſchiede⸗ ah aft nen Wirkungen defielben nicht fo von ein⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 53

einander abgeſondert find, wie fie in der wiſſen⸗ ſchaftlichen Ordnung unterſchrieben werden: ſo for⸗ dert doch dieſe Ordnung ſolchen Unterſchied. Die Abſicht der Unterſuchung will es, daß man eines nach dem andern, und das einfachere vor dem zu⸗ ſammengeſetzten durchgehe. Ich halte dafuͤr, daß hier der bequemſte Ort iſt, von dieſen verſchiedenen Wirkungen unſerer Denk⸗Kraft, und den Faͤhig⸗ keiten, die wir unſerer Seele deßwegen zuſchreiben, etwas zu ſagen. Es wird auch zu beſſerem Ver⸗ ſtaͤndniß des folgenden noͤthig ſeyn. Wir haben ein Vermoͤgen, deſſen, was auſſer uns und in uns auf eine gewiſſe Art vorgeht, uns beruft zu wer⸗ den; dies iſt das Empfindungs⸗Vermoͤgen, der Sinn; wobey noch genauer die aͤuſſere und in⸗ nere Sinnen, und das Selbſtgefuͤhl koͤnnen uns terſchieden werden. Das was wir empfunden ha⸗ ben, koͤnnen wir uns dann und wann wieder vor⸗ ſtellen, wenn auch die verlaſſende Gegenſtaͤnde jetzt nicht auf uns wirken, die Einbildungskraft. Zu dieſer gehört, das thieriſche Gedaͤchtniß oder das Vermoͤgen bey einer wieder hervorgebrachten Em» pfindung der ehemaligen begleitenden Umſtaͤnde ſich auch wieder bewuſt zu werden; das Abſonde⸗ rungs⸗Vermoͤgen, im niederen Grad, oder das Vermoͤgen weniger, als man zugleich empfunden hat, auf einmal ſich vorzuſtellen; die Dichtungs⸗

D 3 faͤhig⸗

94 Zweyte Abtheilung.

fahigkeit, oder das Vermögen ſich zuſammen vor⸗ zuſtellen, was man nicht alſo beyſammen empfun⸗ den hat. 5

Ferner beſitzen wir ein Vermoͤgen, das manch⸗ faltige, ſo in einer oder in mehrern Vorſtellungen liegt, zu uͤberdenken, das iſt, zu unterſcheiden und ein⸗ zeln neben und nach einander uns vorzuſtellen. Dies wird das Vrrmoͤgen zu reflectiren oder die Ue⸗ berlegungskraft genennt. Und daraus entſpringt das Vermoͤgen, deutliche Begriffe, die die weſent⸗ lichen Merkmale eines Dings enthalten, abzuſon⸗ dern, Verſtand; Dinge mit einander zu vergleis chen und ihre Verhaͤltniſſe einzuſehen, Beurthei- lungskraft; ihre Aehnlichkeiten zu finden, Witz; uns die Verſchiedenheiten, Unterſcheidungskraft, (iudicium diſcretiuum): uns bey Wiederher⸗ vorbringung ehemals gehabter Vorſtellungen deuts lich bewuſt zu werden, daß es die nemlichen ſeyn, das hoͤhere Gedaͤchtniß oder das Erinnerungs⸗ Vermögen (reminifcentia). Das Vermoͤgen zu reflectiren, nach dieſem ſeinen ganzen Umfang, macht die Vernunft aus. Das Vermoͤgen Aehnlichkei⸗ ten zu entdecken, die verborgen lagen, und nach die⸗ ſer Entdeckung, die davon abhangende Begriffe richtig umzuändern, erfordert eine vorzuͤgliche Staͤr⸗ ke der ganzen Denkkraft. Dieſes nennt man, wo

ich nicht irre, das Genie. Meine

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 55

Meine Erklaͤrungen werden den gemeinen Begriffen, wie ich hoffe, meiſt gemäß ſeyn.

84

Dasjenige, womit ſich unſere Er. nenne kenntniß anfängt, find Vorſtellungen kenntniß aus von den Dingan, die auf unſere Sinne e wirken. Wannn ſich dieſe Vorſtellun. ic, der gen vermehren, fo koͤnnen fie mit ein. Begrife. ander verglichen, getheilt und zuſammengeſetzt wer⸗ den (F. 3.) Auf dieſe Art bekommen wir Vorſtellun⸗ gen, die nicht unmittelbar, ſo wie wir ſie denken, von den Sinnen herruͤhren, Begriffe von dem Ver⸗ haͤltniß der Dinge auf einander, allgemeine Begriffe, Begriffe, von denen wohl oft keine Gegenſtaͤnde auſſer der Einbildung vorhanden. Man ſieht, daß bey Bildung dieſer Gattung von Begriffen Urtheile vorfallen, und es iſt ſehr noͤthig, die unmittelbar von den Sinnen herruͤhrende, und die von dieſen abgeſonderte Begriffe jedesmal wohl zu unter» ſcheiden.

Der metaphyſiſch⸗ logikaliſchen Streitfrage von den an⸗ gebornen Begriffen iſt hier kuͤrflich zu erwaͤhnen, ingleichen einer hypothetiſchen Erklärung vom Urſprung des Selbſtgefuͤhls und der Unterſcheidung ſeines Ichs von aͤuſſerlichen Dingen.

8 5 Unfee Bont ab ihr na geg U nerley Vollkommenheit. Durch eini⸗ Begriffe. r D 4 ge;

56 Spweyte Abtheilung.

ge erkennen wir die Dinge alſo, daß wir ſie von andern hinlaͤnglich unterſcheiden koͤnnen, andere laſ⸗ ſen uns dabey noch in Ungewißheit. Bey einigen koͤnnen wir auch Merkmale angeben, wodurch wir die Dinge unterſcheiden, bey einigen dieſe Merk⸗ male ſelbſt durch neue aufklaͤren und entwickeln, manchmal ſind dieſer Merkmale mehr, manchmal weniger. Daher entſtehen in der Logik die Be⸗ nennungen von klaren und dunkeln, deutlichen und undeutlichen, entwickelten und unentwi⸗ ckelten, vollſtaͤndigen und unvollſtaͤndigen Be⸗ griffen.

Sollte nicht das, was man dle Lebhaftigkeit der Begrif⸗ fe nennet, auch in der Logik eine genauere Abhand⸗ lung verdienen?

§. 6.

1 en Es ſcheinet ſchwehr, genau zu benim. Erkenntnis. men, von welcher Beſchaffenheit un⸗ ſere Vorſtellungen ſeyn wuͤrden, und zu welchem Grad der Vollkommenheit ſie wuͤrden gebracht wer⸗ den koͤnnen, wenn wir ohne Sprache denken foll» ten. Aber davon kann man ſich wohl bald uͤber⸗ zeugen, daß wir uns, bey der Abſonderung und Ent⸗ wickelung unſerer Begriffe, der Worte, als Zeichen der Gedanken, bedienen; daß uns dieſes Abſondern auſſerdem ſehr ſchwehr, wo nicht ohnmoͤglich fallen wuͤrbe; und daß die Zechen und Ausdruͤcke der Ge⸗

dan⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 57

danken auf die Begriffe ſelbſt einem groſſen Ein⸗ fluß haben. $. T

Wenn wir von einem Ding etwas em Lrtbeit bejahen oder verneinen: ſo heißt die. Saͤtzen. fes urtheilen; und ein ausgedrucktes Urtheil heißt ein logiſcher Satz, das wovon wir urtheilen, das Subject, das, was wir von jenem bejahen oder verneinen, das Praͤdicat, und beyde haͤngen durch das Verbindungs⸗Wort zuſammen. Je nach⸗ dem die Natur der Begriffe, je nachdem die Art, wie man beyde mit einander verbindet, oder dieſe Verbindung ausdruͤckt, je nachdem das Urtheil un⸗ mittelbar aus Betrachtung dieſer beyden Begriffe oder vermittelſt anderer entſtanden; je nachdem ſind die Urtheile und Saͤtze auf vielerley Art unters ſchieden. Dies kann am beſten durch eine Tabelle erläutert werden.

313 Wenn wir bey unſerem Lrtheil ei» Aunftſchiuß⸗

nen Grund, welcher daſſelbe beſtimmt, hinzudenken: ſo laͤßt ſich alsdenn dasjenige, was in unſerer Seele vorgeht, fuͤglich in 3 Saͤtzen vortra⸗ gen, welche einen Vernunftſchluß ausmachen. Und wer ſieht nicht hieraus, daß der Vernunftſchluß ein bequemes Mittel fen, Urtheile zu prüfen ? Und D 5 daß

58 Swepte Abtheilung.

daß durch dieſe Folgerungen nuͤtzliche Entdeckungen koͤnnen gemacht werden, laͤßt ſich auch beweiſen. Der Begrif, welcher den Grund von einem alſo gefolgerten Urtheil abgiebt, kann der Grund- oder Verbindungs⸗-Begrif heiſſen, das Subject des gefolgerten Urtheils, wenn man die lateiniſche Kunſt⸗ ſprache nachahmen will, der kleinere oder enge⸗ re Begrif, das Praͤdicat deſſelben der groͤſſere. Der Satz, welcher den groͤſſern Begrif mit dem Grundbegrif verbindet, der Oberſatz, der wel— cher den kleinern Begrif mit dem Grundbegrif ver⸗ bindet, der Unterſatz, beyde die Foͤrderſaͤtze; und der dritte wird der gefolgerte Satz beſſe koͤn⸗ nen.

Wolf ſagt Foͤrder⸗Glied, Hinter⸗Glied. Ich werde mich muͤndlich der lateiniſchen Kunſtwoͤrter bedienen: und Exempel muͤſſen die Sache deutlich machen.

F. 9. Unterſchied b NN der ee. Die unterſchiedliche Gattungen der

gewoͤhnlichen Schluͤſſe entſtehen: 1) Aus der verſchiedenen Ordnung der Be⸗ griffe in den Foͤrderſaͤtzen. 2) Aus der Beſchaffenheit der Ferderſige, ſonderlich des Oberſatzes. 3) Aus dem, daß die Saͤtze entweder alle ausdrücklich vorhanden find, oder zum Theil ver⸗

ſchwie⸗ |

en ee ee ee.

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 59

ſchwiegen werden; da ſie ferner entweder ohne Tavptologie koͤnnten ausgedruckt werden, oder nicht. Denn daraus entſtehen die Benennungen von Fi⸗ guren, von hypothetiſchen, dis junctiviſchen, verſteckten Schluͤſſen und unmittelbaren Fol⸗

gerungen. F. 10.

Keine von dieſen Schluß⸗Arten kann u, er ſchlechterdings verworfen werden. Bey dar en SI der Verbindung unſerer Gedanken fol. © gen wir bald dieſer, bald jener. Aber die gewoͤhn⸗ lichſte und in den meiſten Faͤllen vorzuͤglichſte iſt aller⸗ dings die, wo im Oberſatz der Grundbegrif das Subject und im Unterſatz das Praͤdicat iſt: Dies heißt ein Vernunftſchluß aus der erſten Fi⸗ gur.

Wie kann ein jeder Vernunftſchluß am n in dieſe Figur gebracht werden?

Se II. ö

Es laſſen ſich aus der Natur eines dean on

Schluſſes folgende noͤthige Regeln bes der Schlüſſe.

weiſen:

) Es dürfen nur 3 Hauptbegriffe i in einem Vernunftſchluß ſeyn.

2) Es muß in einem Schluß weniaftens ein

allgemeiner Grundſatz ſeyn, wenn ſeine Form

ſtcher ſeyn ſoll.

. 3) Man

6 Zweyte Abtheilung.

3) Man ſchlieſſet nicht ſicher aus lauter wirk⸗ lich verneinenden Saͤtzen.

4) Die Begriffe muͤſſen die nemlichen in den Forderſaͤtzen und in dem gefolgerten Satz ſeyn.

5) In der erſten Figur muß der Oberſatz ein allgemeiner und der Unterſatz ein bejahender Satz ſeyn, wenn die Schlußform ſicher ſeyn foll.

E

ee Dies find alſo die 3 verſchiedenen

Hauptwirkungen bey unſerer Erkenntniß. Man ſpricht dabey von Wahrheit und Irrthum; die Logik ſoll den Weg lehren jene zu finden, und die Mittel dieſen zu vermeiden. Was iſt denn Wahrheit? Giebt es eine Wahrheit? Iſt auch Wahrheit in unſerer Erkenntniß? Und wie unterſcheiden wir ſie von dem, was nicht Wahrheit iſt? Dies ſind Fragen, auf welche man in denjenigen Zeiten am aufmerkſamſten ſeyn muß, in welchen Thorheit und Laſter am meiſten bemuͤht ſind, aus Wahrheit und Tugend leere Na⸗ men zu machen. Das iſt doch wohl wahr, daß einerley einerley iſt und daß das nemliche nicht zugleich ſeyn und nicht ſeyn kann? Und hieraus entſteht der Begrif von Wahrheit, und die Wirklichkeit der ſelben beruhet darauf. Wo einer⸗

ley

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 81

ley iſt, da iſt Wahrheit. Wenn Dinge vor⸗ handen ſind, und folglich das, was ſie ſind, nicht zugleich nicht ſeyn koͤnnen, wenn in der Vor⸗ ſtellung und dem Gegenſtand derſelben, in dem Na⸗ men und dem Weſen des Dings, in der Rede und in dem Gedanken einerley iſt: ſo iſt in allen die⸗ fen Faͤllen Wahrheit. In erſten heißt fie die metaphyſiſche, im zweyten die logiſche, im drit⸗ ten koͤnnte man ſie die phyſiſche nennen, und im vierten nennt man ſie die moraliſche Wahrheit. Wer im Ernſte zweifelt, ob irgendwo Wahrheit vorhanden: dem iſt nur noch ein Grad der Thor⸗

heit uͤbrig, zu zweifeln, ob er zweifle.

.

Fragt man: ob in unſerer Erkennt⸗ It auch ahrheit in niß Wahrheit fen: fo kann man es vnſerer Er⸗

zwar fo verſtehn, ob wir wirklich Be» e griffe haben, und ob dieſelben, ohne Anwendung auf Dinge auſſer uns, oder auf ſich unter einander, mes taphyſiſch wahr ſind? Allein die Frage iſt als⸗ dann weit nicht fo wichtig, als wenn fie dieſe Be: deutung hat: Sind auch wirklich Dinge auſſer uns vorhanden, und ruͤhren unſere Vorſtellungen von ihnen her, ſind die Beſchaffenheiten der Dinge in denſelbigen wirklich einerley mit den Beſchaffenhei⸗ ten in den Dingen ſelbſt, und bleibt noch Wahr⸗ heit

62 Sweyte Abtheilung.

heit übrig, wenn die Seele die Begriffe abaͤndert, und durch Verbindung oder Trennung neue ſchafft? Dieſe Frage entſcheiden zu koͤnnen, beruffe ich mich auf einen andern allgemeinen, vielleicht oft unrecht angewendeten, oft ſchlecht bewieſenen, und daher beſtrittenen, und doch der menſchlichen Erkenntniß jederzeit unentbehrlichen Grundſatz: Durch nichts wird nichts, das iſt, ohne wirkende Urſache kann

nichts geſchehen, und wenn ſich etwas eraͤugnet: ſo

iſt ein Grund vorhanden, warum es ſich eraͤugnet und ſo und nicht anders eraͤugnet. Denn wahr⸗ haftig, wenn unſere Empfindungen nicht von Din⸗ gen auſſer uns herruͤhren: ſo iſt nicht zu begreifen, wie ſolche Empfindungen in uns auf einander erfol⸗ gen koͤnnen, die ſo gar keine innerliche Verbindung unter einander haben, und wie ſich unſere Seele die Empfindungen des Schmerzens, Schreckens ic. des nen fie widerſteht, ſelbſt ſchaffen ſollte, iſt noch we⸗ niger einzuſehen. Andere pfnchologifche und theo⸗ logiſche Gruͤnde uͤbergehe ich hier. Ich ſage nur, daß die gegenſeitige Meynung keinen Schein der Wahrheit fuͤr ſich habe.

Es kann hier von der Harmonia praeſtabilita und dem

idealiſmo etwas geſagt werden.

§. 14.

Fortſetzung. Es ſind alſo wirklich Dinge auffer uns, 8

und wir empfinden fie, weil fie auf uns wirken und wie

ſie

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 63

ſie auf uns wirken. Es gruͤndet ſich alſo die menſch⸗ lich Erkenntniß auf Wahrheit, und nicht alles kann in derſelben Irrthum ſeyn. Aber freylich iſt un⸗ ſere Erkenntniß die Erkenntniß einer freyen Kraft, welche in ihren Veraͤnderungen ſich nicht gaͤnzlich leidend verhaͤlt, ſondern mitwirket, und mitbeſtimmt. Indem unſere Seele ihre Begriffe abſondert, tren⸗ net und verbindet, und ſich neue Begriffe ſchafft: ſo kann Widerſpruch und Irrthum in unſere Er⸗ kenntniß kommen.

§. 15.

Aber es muß dies nicht nothwendig Vortſetzung. geſchehen, ja es kann kein Irrthum in uns entſte⸗ hen, als durch den Schein der Wahrheit. Wenn alſo die Seele ſich Begriffe ſchaft durch Abſonde⸗ rung des mannichfaltigen, welches in den Empfin⸗ dungen liegt; und durch neue Verbindungen: ſo iſt es nicht nur nicht nothwendig, daß ſie anders da⸗ bey handele, als es die Wahrheit in den Dingen ſelbſt erlaubet; ſondern da ſie immer dem Schein der Wahrheit folget, alſo der Aehnlichkeit der Din⸗ ge: ſo iſt auch in unſern irrigen Begriffen ſelbſt immer einige Wahrheit.

Vielleicht bin ich hier manchem Leſer unverſtaͤndlich. Ich will alfe nur noch ſagen, wozu ich die angebrachte Bes trachtung nutze. Wenn mir der ſpitzfindigſte Zweifler a priori heweiſen will, daß in allen unſern von den ſinnlichen Empfindungen abgeſonderten Begriffen 1

; wahr⸗

64 Sweyte Abtheilung.

wahrheit liege, Omnibus veris falſa quaedam adjun-

&ta efle; Cic. N. D. 1.5. fo muß er mir doch bald ein⸗

geſtehen, daß in der Anwendung derſelben Hi immer

geirrt werde.

§. 16. nn Wern denn aber doch Irrthum une des ee ter den Wahrheiten, die wir erkennen, und falſchen, . N ua g des gewiſſen eingemiſcht iſt: wie koͤnnen wir beyde ſchenllichen. von einander unterſcheiden lernen ? Durch eben dasjenige, worauf ſich unſer Begrif von Wahrheit gruͤndet, durch die offenbare Identi⸗ taͤt; durch den offenbaren Widerſpruch, wenn wir das Gegentheil annehmen wollten. Wo wir alſo bey dem Urtheil uͤber unſere Empfindungen ſo wohl, als bey der Abſonderung des manchfaltigen in den⸗ ſelben, oder bey der Bemerkung der Verhaͤltniſſe, den offenbaren Widerſpruch einſehen, welcher mit den entgegengeſetzten Urtheilen oder Begriffen ver⸗ bunden iſt: ſo erkennen wir die Wahrheit derſel⸗ ben, und wir erkennen ſie in dieſem Fall gewiß. Aber wenn wir es nicht ſo weit bringen koͤnnen, wenn auf beyden Seiten Aehnlichkeit und Wider⸗ ſpruch iſt: fo iſt unſere Erkenntniß ungewiß und wir ſind im Zweifel; doch iſt dasjenige wahr⸗ ſcheinlicher, welches der Wahrheit am aͤhnlichſten iſt, das iſt, wo mehr Ulebereinſtimmung, weniger Widerſpruch mit demjenigen iſt, deſſen Wahrheit ſchon offenbar iſt. Ich

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 65

Ich bleibe hier im allgemeinen ſtehen. In einer ausfuͤhr⸗ lichen Logik verdient die Lehre von der Wahrſcheinlich⸗ keit eine ſorgfaͤltige Abhandlung. Man hat fie auf verſchiedene Art angeſtellt. Man hat fcalas dazu Pros jectirt, und mit vieler mathematiſchen Gelehrſamkeit Buchſtaben dabey multiplieirt und divitirt. Ich will den Werth dieſer Bemuͤhungen nicht entſcheiden. Aber das weis ich wohl, daß fo lange unſere Erkenntniß ſeyn wird, was ſie iſt; ein jeder immer das, was er ge⸗ wiß weis, oder zu wiſſen glaubt, zur Erklaͤrnng des un⸗ bekanntern und zum Maaßſtab der Wahrſcheinlichkeit gebrauchen wird, und daß alſo die Menſchen nie eins ſtimmig denken oder reden, und nie auf einerley Art die Wahrſcheinlichkeit calculiren werden. Moͤchten ſie doch nur beſcheiden in ihren Meynungen ſeyn!

5 7

Wir irren nicht immer, und nicht nase. nothwendig, und es giebt Merkmale, Irrthuͤmer. wodurch das wahre kann unterſchieden werden. Es koͤnnen alſo Regeln gegeben werden, wie man den Irrthum vermeiden, und die Wahrheit aufſuchen ſoll. Wir wollen aber vorher die allgemeinſten Quellen der Irrthuͤmer entdecken. Denn wenn man ſeinen Feind kennt: ſo kann man ſich eher fuͤr ihn verwahren. Es haben aber unſere Irrthuͤmer und unſere Erkenntniß überhaupt an einerley Orten ih⸗ ren Urſprung, nemlich entweder unmittelbar in den

Dingen ſelbſt, oder in uns, oder in andern.

E H. 18.

66 Zweyte Abtheilung.

G 18.

Dinge die auf unſere Sinne

wirken, ſind vorhanden, und wenn unſere ſinnliche Werkzeuge im gehoͤrigen Zuſtand und Verhaͤltniß auf dieſe Dinge ſind: ſo empfinden wir ſie, nicht nur wie ſie wirken, ſondern auch wie ſie in Abſicht auf dieſe Wirkungen beſchaffen find (§. 13.) In den Empfindungen ſelbſt, ſo lange wir noch nicht urtheilen, iſt alſo nicht nur kein Irrthum, ſondern, wenn wir recht empfunden haben, auch keine Quel⸗ le des Irrthums.

Ob unſere Sinne in gehoͤriger Beſchaffenheit ſeyn, erhellet allemal aus der Vergleichung. Denn daß wir niemals, oder in den wenigſten Faͤllen recht empfaͤnden, laͤßt ſich ohne Ungereimtheit nicht ſagen. Ich nenne aber recht empfinden, ſo empfinden, wie es unſere Natur mit ſich

bringt. Ein beſtändiger Schein iſt daher für uns Wahrheit.

Ob in den : Sinnen? Die

§. 109. 1 Der Urſprung der Irrthuͤmer iſt da, thum. wo wir anfangen zu urtheilen. Denn

da kann es geſchehen, daß wir in unſerer Vorſtel⸗ lung verbinden, was in den Dingen nicht verbun⸗ den iſt, oder trennen, was unzertrennlich iſt. Ich will hier die allgemeinſten Arten der Irrthuͤmer bes merken, die ſich in unzählige andere abtheilen laſſen: 1) Man glaubt eine Sache ganz zu erken⸗

nen, von der man nur einen Theil erkennet.

2) Da

Grundriß der vornehmſten Theile % 67

2) Daher haͤlt man Dinge fuͤr einerley, die nur etwas aͤhnliches haben, aber auch oft Dinge von einerley Art fuͤr Dinge verſchiedener Art, weil man ſich nur bey dem Linterfchied derſelben aufhält, der in zufälligen und ganz entbehrli⸗ chen Eigenſchaften beſteht.

3) Man gruͤndet fein Urtheil auf Grunds füge, die man für richtig haͤlt, und die es nicht ſind.

4) Man druͤckt ſeine Gedanken durch ſolche Zeichen aus, bey denen man die Gegenſtaͤnde leicht verwechſeln kann.

$. 20.

Aber in gar vielen Fällen gründet ſich Im Ber

unſer Urtheil auf das Urtheil anderer, welches wir angenommen, und nicht gepruͤft haben. Wir uͤberkommen in der Kindheit Begriffe und Mey nungen anderer, ehe wir ſie zu prüfen im Stan⸗ de ſind, ja ehe wir es gewahr werden; und oftmals eben alſo im geſellſchaftlichen Umgang. Oft neh⸗ men wir ſie freywillig an, um eines Grundes willen, der kein ſicheres Merkmal der Wahrheit iſt, nemlich um gewiſſer Eigenſchaften willen, die der andere hat, worauf ſein Anſehen bey uns, und unſer Zutrauen gegen ihn, ſich gruͤnden. Oder wir unterſuchen auch wohl, aber wir unterſuchen nachlaͤßig, weil wir E92, durch

68 zweyte Abtheilung.

durch das Anſehen des andern ſchon zu viel für dies ſelbe Meynung eingenommen find. Solche Mey« nungen, die man angenommen hat, mehr weil ſie andere hatten, als aus Einſicht in den Zuſammen⸗ hang der Wahrheiten, heiſſen Vorurtheile. Oef, ters fuͤhren auch ihre Abkoͤmmlinge nach dieſen Na⸗ men. Im allerweitlaͤuftigſten Verſtand werden alle irrige Urtheile, die man wieder auf andere an⸗ wendet, ſo genennt. 8

$. .

ee Wer ſieht nicht aus allen dieſem, daß zu vermeiden. die allgemeinſte Urſache des Irrthums die Uebereilung im Urtheilen ſey; und was kann an. ders das Mittel dagegen, und alſo das Mittel zur Erkenntniß der Wahrheit ſeyn, als jene Anſtren⸗ gung unſerer Seelenkraͤfte, welche man das Nach⸗ denken nennt? Und den Gebrauch dieſes Mittels will ich durch einige beſondere Regeln beſtimmen, welche, nebſt andern, in der Logik muͤſſen ausgefuͤh⸗ ret werden.

1) Laß dich keine vorgefaßte Meynung in dem Urtheil, das du faͤllen willſt, beſtimmen, wenn du nicht ihre richtige Folge aus einer Empfin⸗ dung, oder aus den unleugbaren allgemeinen Grundwahrheiten ſchon gehoͤrig gepruͤfet und er⸗ kannt haſt. Alſo mußt du den Grund aller

deiner

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 69

deiner Meynungen einmal wohl unterſucht ha⸗ ben, und wenn man dies zweifeln nennen will, an Ale einmal zweifeln.

2) Gieb einem jeden deiner Gedanken, befon« ders deinem Hauptgedanken in einer jeden Betrachtung ein Zeichen, bey dem du ihn leicht erkenneſt und nicht verwechſelſt. Wenn das gewoͤhnliche Zeichen deſſelben ein unbeſtimmtes und vieldeutiges Wort iſt: ſo unterſcheide die vielerley Bedeutungen und Beziehungen, in wel⸗ chen es genommen wird.

3) Iſt der Gegenſtand deiner Betrachtung ein einzelnes Ding, deſſen Begrif unmittelbar ſinnlich iſt: fo unterſuche, ob du es richtig em- pfunden. Verſuche es auf ſo mancherley Art zu empfinden, als du kannſt; vergleiche, wenn du es mehrmalen empfunden, deine Empfindungen miteinander, oder mit den Empfindungen an⸗ derer. |

4) Wenn du das manchfaltige in einer Em⸗ pfindung von einander abſonderſt, und dir meh» rere einzelne Urtheile uͤber das Ding machſt: ſo huͤte dich, daß du dem abgeſonderten nicht einen ſolchen Namen giebſt, welcher mehr bedeutet, als was wirklich da iſt.

Nichts iſt gewohnlicher, als daß wir bey unſern Empfindun⸗

gen das zu bemerken glauben, was wir lieben, oder ö E z deſſen

70

Zweyte Abtheilung.

deſſen Vorſtellung uns ſonſt ſehr familiär iſt, wenn gleich die Aehnlichkeit zwiſchen den beyden Dingen, die wir fuͤr einerley halten, ſehr gering iſt. So werden die Leidenſchaften Quellen der Irrthümer.

5) Verwechsle diejenigen Dinge, die nur zu» fällig bey der Entſtehung deiner Empfindung vorhanden ſind, nicht mit demjenigen, was noth⸗ wendig dabey iſt; und wenn dieſes mehrere ſind; fo unterſuche, was ein jedes derſelben dazu bey⸗ traͤgt; damit du dich nachmals nicht in dem Ur⸗ theil von den Urſachen der N betruͤgeſt.

§. 22.

Jortſetzung. 6) Wenn du aus der Vergleichung

mehrerer Empfindungen allgemeine Begriffe von der Aehnlichkeit der Dinge, von ihren Ver⸗ haͤltniſſen auf einander ꝛc. macheſt: o fo wiſſe, daß jeder Schritt dich in Irrthum verfuͤhren koͤnne. Siehe dich alſo bey jedem Schritt auf allen

Seiten wohl um. | 7) Einen abgefonderten Begrif kannſt du richtiger, deutlicher und brauchbarer machen, theils indem du ihn entwickelſt, das weſentliche in demſelben durch beſtimmte Kennzeichen von den angrenzenden Begriffen unterſcheideſt, und ſeinen Abſtand von den allgemeinern Begriffen der menſchlichen Erkenntniß bemerkeſt; theils in dem

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 71

dem du die Dinge, die er zuſammen in ſich faßt, nach ihren unter ſchiedenen Geſchlechtern und Gattungen abtheileft. | Hier kann de analyfi idearum, de definitione und diuiſio- ne gehandelt werden.

N

8) Einen zuſammengeſetzten Satz Fortſetzung. zertheile in die mehrere Saͤtze, die er enthaͤlt: bey den einfachen entwickle die Begriffe.

9) Pruͤfe den Zuſammenhang deiner Gedan⸗ ken durch die Form der Vernunftſchluͤſſe.

10) Meſſe, wo Gewißheit fehlt, die Grade der Wahrſcheinlichkeit, und beſtimme das Zu⸗ trauen zu deiner Meynung darnach.

11) Wenn du die Unrichtigkeit eines Satzes einſehen lernſt, um welches willen du auch an« dere fuͤr wahr gehalten haſt: ſo denke darum nicht gleich, daß auch dieſe falſch ſeyn muͤſſen.

12) Denke auch nicht, daß dasjenige, wovon du keine Gewißheit haſt, gar niemand mit Ge⸗ wißheit einſehe. Vielleicht offenbart dir der fol: gende Tag, was dir heute verborgen iſt.

13) Wille, daß wenn es eine Unvollkommen⸗ heit unſerer Natur iſt, die Wahrheit nicht in ib: rem völligen Licht zu ſehen: es Thorheit fey, dem ſtaͤrkern und dauerhafteren Schein nicht nach⸗ geben zu wollen, um eines ſchwachen und veraͤn⸗

| E 4 der⸗

1

72 Sweyte Abtheilung.

derlichen Irrlichtes willen, und daß zweifeln, aus Liebe zum Zweifel, Unſinn und Bosheit verra⸗ the. Durch Nachzweifeln wirſt du dir auch kein Anſehen erwerben. Die Welt hat Stolz und Unwiſſenheit ſchon zu oft unter dieſer Mas⸗ ke entdeckt.

§. 24.

em Wenn wir uns denn auch, wie es ſeyn bon andern muß, die Erkenntniß anderer zu Nutz lernen will. 8 h

machen wollen: fo müflen uns nicht Vorurtheile, ſondern Nachdenken dabey begleiten. Ich will auch hievon noch einige beſondere Regeln der Logik anfuͤhren.

1) Man bemuͤhe ſich fuͤrs erſte, den andern wohl zu verſtehen und zu faſſen.

2) Man beurtheile ihn nicht aus einem ein zigen Ausdruck oder Satz, ſondern aus der Ver⸗ bindung derſelben unter einander.

3) Wenn er erzaͤhlt: ſo unterſuche man, ob er die Wahrheit habe ſagen koͤnnen, und ob er ſie auch habe ſagen wollen.

4) Wenn er beweiſet: ſo zergliedere man ſeine Beweiſe, und bringe ſie in die Schlußform.

5) Man laſſe ſich nicht durch die Schoͤnheit des Vortrags, und durch das Vergnuͤgen, wel⸗ ches die Gegenſtaͤnde mit ſich führen, verblenden.

6) Man

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 73

6) Man gebe einer Meynung, wenn ſie auch ſcheinet unuͤberwindliche Gruͤnde fuͤr ſich zu ha⸗ ben, ſo leicht keinen ganz zuverſichtlichen Bey⸗ fall, wenn man nicht die Gruͤnde, womit das Gegentheil von ſeinen geſchickteſten Vertheidi⸗ gern unterſtuͤtzt wird, gleichfalls erwogen hat.

7) Man denke uͤber die Materie, uͤber wel⸗ che man ſich die Gedanken eines andern bekannt machen will, vorher ſelbſt nach. Vielleicht ent. deckt man an dem Gegenſtand eine gewiſſe Sei⸗ te, die der andere nicht geſehen; und die man, durch ihn verführt, nachmals auch nicht würde bemerkt haben.

8) Wenige gute Schriften oft leſen, nutzt mehr zur Bildung des Genies, als immer viele mittelmaͤßige leſen. Denn von jenen lernt man denken; bey dieſen verlernt man es oftmals.

9) Man leſe oder hoͤre diejenigen, deren Mey⸗ nungen und Vortrag eine ſcharfſinnige Beur⸗ theilung erfordern, nicht ohne Fuͤhrer, ehe man ſich im Denken gemug geübt, und in dem Felde der Wahrheiten gehoͤrig umgeſehen hat. Bay⸗ le, d'Argens ꝛc. ſind gefaͤhrlich für Anfänger in der Philoſophie, aber für Lehrer hoͤchſtnöthig zur Dämpfung des dogmatiſchen Stolzes.

E 3 9. 25.

74 Sweyte Abtheilung.

§. 25. 4 In der Diſciplin der alten Philoſo— dung. phen, ſonderlich der Pythagoraͤer, waren die Unterredungen ein wichtiges Stüd. Und gewiß der Nutzen derſelben kann ſehr groß ſeyn. Denn hier beobachtet einer den andern bey jedem Schritt; und einer betrachtet die Sache aus einem Geſichtspunkt, aus welchem ſie der andere nicht betrachtet. Beyde vereinigen ihre Erkennt⸗ niß, und ſie wird vollſtaͤndiger. Aber auſſer der aufrichtigen Begierde zur Wahrheit und auſſer den allgemeinen Regeln vom Nachdenken, muß man hier beſonders darauf ſehen, daß man den Gegen⸗ ſtand der Unterredung richtig beſtimme, daß man einander immer wohl verſtehe, und daß keine Ge⸗

muͤthsbewegungen entſtehen, welche dem Verſtand

Licht und Freyheit rauben.

8. 26.

ee Will man endlich einen gehrer ande⸗ andere lehe rer abgeben: ſo muß man erſtlich das⸗ er jenige, was man lehren will, ſich ſelb⸗ ſten deutlich gemacht, und in ſeinem ganzen Zuſam⸗ menhang wohl durchgedacht haben. Man bemer⸗ ke dabey, wie die Ideen nach und nach in uns ent⸗ ſtanden und verbunden worden ſind; man ſetze ſich an die Stelle desjenigen, welchen man lehren will, das

n

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 75

das heißt, man mache fid) mit feinen Begriffen und mit feiner Denkungsart bekannt. Daraus wird ſich wohl der Weg beſtimmen laſſen, den man zu wählen hat, um andern erkannte Wahrheiten mit⸗ zutheilen, und ſie davon zu uͤberzeugen. Eine be⸗ ſondere Abhandlung von der Methode, und von dem Ausdruck ſeiner Gedanken beym muͤndlichen und ſchriftlichen Vortrag, zu welcher wir jetzo fort« ſchreiten koͤnnten, würde uns über die Grenzen un- ſeres Entwurfs, und eine Erwaͤhnung der Regeln, welche die Sittenlehre oder die Politik hierbey vorſchreibt, uͤber die Grenzen der Logik fuͤhren. Muͤndlich kann von der analytiſchen, ſynthetiſchen, mas

thematiſchen, aphoriſtiſchen, dialogiſchen Lehr⸗ art ꝛc. das noͤthigſte beygebracht werden.

Anhang von der Geſchichte der Logik.

§. I.

Die Menſchen haben nach Regeln der gedacht, ſo bald ſie gedacht haben: aber ſie ſind dieſen Regeln lange gefolgt, ohne ſie zu bemerken, und wenn ſie, durch die Erfahrung gelehrt, einige derſelben bemerkt haben, ſo war dies noch nicht genug ein Syſtem von denſelbigen zu verfers tigen, und eine Wiſſenſchaft daraus zu machen. §. 2.

76 Zweyte Abtheilung.

$. 2.

faltet, Pie. Der Eleatiſche Zeno wird von dem te. Ariſtoteles, der Erfinder der Dia- lektik genennt, und fo hieß die Logik in den aͤlte⸗ ſten Zeiten. Aber die Proben, die man uns von dieſer Dialektik aufbewahrt hat, ſind mehr Regeln fuͤr fpisfindige Sophiſtereyen, als für die Erforſchung der Wahrheit. Sokrates und Plato haben hier mehr wahres Verdienſt; nicht zwar als Erfinder der kuͤnſtlichſten Logik, wiewohl fie auch darinnen einiges geleiſtet haben, ſondern hauptſaͤchlich als Bes ſchuͤtzer der geſunden Vernunft und der natuͤrlichen Art zu denken.

G 3.

Kriftel Epikur und Ariſtoteles alleine ha⸗

ben was ausfuͤhrliches, doch keiner was vollſtaͤndiges, geliefert. Epikur hat in feiner Ka⸗ nonik nichts vom Syllogismo. Hingegen hat er das Verdienſt die Gewißheit der Erkenntniß durch die Sinnen gegen die Sophiſten ſeiner Zeit behaup⸗ tet zu haben. Von den logikaliſchen Schriften des Ariſtoteles iſt der größte Theil verlohren gegan⸗ gen. Was noch davon uͤbrig iſt, wird mit einem Namen Organon genennt. Es handelt haupt⸗ ſaͤchlich von den verſchiedenen Arten der Beweiſe.

9.4.

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 77

§. 4. 1 Römer u Unter den Römern hat niemand, Pen unter den Kirchen vaͤtern aber Auguſti⸗ ter.

nus dieſe Wiſſenſchaft abgehandelt. §. 5.

In den mittlern Zeiten that man Scholafiker nichts, als den Ariſtoteles erklaͤren, oder vielmehr verwirren. Viele machten aus der Logik eine Zank⸗ kunſt, eine Kunſt uͤber eine jede Materie lang zu ſtreiten, ohne jemals die Wahrheit zu finden. Man miſchte auch zu viel Metaphyſik und Rheto⸗ rik darein. | §. 6.

Zu der Zeit, als man anfieng den mates Re uͤblen Zuſtand der ſcholaſtiſchen Philo⸗ ſophie einzuſehen, bemuͤhte ſich Petrus Ramus eine beſſere Dialektik zu ſchaffen, der ſich aber das durch viele Verfolgung, ja den Tod ſelbſt zuzog.

g. 7. Um eben dieſe Zeit war Melanch⸗ PN thon als ein groſſer Dialektiker bes ruͤhmt. Er hielt ſich zwar an den Ariſtoteles, aber er reinigte dieſe Wiſſenſchaft in vielem von dem ſcholaſtiſchen Aberwiz, und gab ihr eine angeneh⸗ mere Geſtalt. 9. 9

78 Zweyte Abtheilung.

9. 9.

Garten Descartes und Gaſſendi Baben Thomaſius. der Ariſtoteliſchen Dialektik den letzten Stoß gegeben. Letzterer insbeſondere durch ſeine Exercitationes paradoxicas aduerfus Ariſtote- leos, Descartes hat zwar keine vollſtaͤndige Logik geſchrieben, aber er hat durch ſein Beyſpiel eine freye Art zu denken gelehrt. Thomaſius hat eben dies gethan, und auch Logiken geſchrieben.

§. 10. Einige Car⸗ Einige Carteſianer haben ſich in tefiamer und der Geſchichte diefer Wiſſenſchaft durch ihre Schriften eine vorzuͤgliche Stelle verdient. Der Verfaſſer der art de penſer hat von den

Begriffen und von den Vorurtheilen vortreflich ge.

handelt, und uͤberhaupt ſehr viel Beyfall gefunden. Mallebranche, der ꝛte Vater der Carteſianiſchen Philoſophie, war bey ſeinen Fehlern noch groß und nuͤtzlich. Er hat den Betrug der Einbildungs⸗ kraft bey Erforſchung der Wahrheit, in feiner Ze- cherche de la verité, fo ſchoͤn gezeigt, und doch iſt dies die Quelle ſeiner Irrthuͤmer. Locke, ein Original⸗Genie, hat die Natur und Geſchichte der menſchlichen Erkenntniß metaphyſiſch unterſucht, und die Wiſſenſchaft vom Denken durch wichtige Anmerkungen bereichert. Er hat das Gluͤck den | Dog⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 79

Dogmatikern zu gefallen, und er iſt der Liebling der Skeptiker. Aber es iſt zu vermuthen, daß viele von jenen ihn nachloben, ohne zu wiſſen, was man

aus Lockens Saͤtzen folgern kann; ſo wie es gewiß

iſt, daß dieſe mehr daraus folgern, als er ſelbſt bil. ligen wuͤrde.

§. 11.

Der Freyherr von Wolf hat um die Fr. v. Wolf. Logik vorzuͤgliche Verdienſte. Was man ſchon vor ihm zu unternehmen angefangen hatte, nemlich die Kunſt zu denken aus der Natur des geometriſchen Nachdenkens abzunehmen, das hat er ausgeführt. Ordentlich und deutlich zu denken hat er theoretiſch und praktiſch gelehrt. Man hat ſich auch um die⸗ ſe Zeit ſehr viele Muͤhe gegeben, die Lehre von der Wahrſcheinlichkeit zu bearbeiten und auf richtige Grundſaͤtze zu bringen. |

G .

Die allgemeine deutſche Biblio- eue Er

thek urtheilt, daß des Hrn, Lamberts Neues Organon in der Geſchichte der Logik eine Epoche mache. Dieſes Urtheil bewegt mich für den zukunftigen Fortſetzer der Walchiſchen Hiſtor. Log. einige Data zur Geſchichte dieſes Zeit— raums herzuſetzen: Streit der ſtrengen und ges fälligen Methodiſten; allmaͤlige Abnahme der ſtren⸗ gen

80 Zweyte Abtheilung.

gen Lehrart; Groſſer Abfall; Einfuͤhrung der ma⸗ thematiſchen Kunſtſprache und der Spieſſe in die Philoſophie; Calculus in Logicis; Neue Theile mit griechiſchen Namen: Raſcher Webers gang von der waͤſſerichten Deutlichkeit und dem langweiligen Geſchleppe, zum aͤſthetiſchen Schwulſt und den poetiſchen Spruͤngen; Anſchlag von gaͤnz⸗ licher Abſchaffung der Paragraphen, Zahlen und Citationen; Praktiſche Schlußanmerkung uͤber die Modeſucht, und über das Horaziſche Fultz dunn vitant Te.

Drittes Kapitel. Von der Methaphyſik.

. 1

S Da Die Methaphyſik nicht einem Methaphyſik. Philoſophen das iſt, was fie dem an⸗ dern iſt: fo iſt es ſchwehr eine Erklaͤrung von iht zu geben, die mit dem Begrif eines jeden Metaphy⸗ ſikers uͤbereintreffe. Unterdeſſen glaube ich das Ge⸗ meinſchaftliche dieſer unterſchiedenen Begriffe am beſten auszudrucken, wenn ich ſage, daß fie die Wiſ⸗ ſenſchaft von den allgemeinſten philoſophi⸗ ſchen Wahrheiten fey, welche in den andern Thei⸗ len der Weltweisheit als Grundwahrheiten ge« braucht, und weiter auf das beſondere beſtimmt

werden.

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 81 werden. Je nachdem einige in der Metaphyſik mehr beym allgemeinſten bleiben, oder ſich dem be—

ſondern mehr naͤhern, bekommt dieſe Wiſſenſchaft engere oder weitere Grenzen.

1

1. Je leichter es iſt bey abgezogenen und allgemeinen Be⸗ griffen ſich in Labyrinthe von Wortipielen, halb rich: tigen und halb unrichtigen Beſtimmungen, die in der Anwendung laͤcherliche oder gefaͤhrliche Irrthuͤmer erzeu⸗ gen koͤnnen, und in tauſenderley Abweigungen von dem geraden Weg der Wahrheit zu verliehren: deſto mehr iſt dieſes bey der metaphyſik zu beſuͤrchten. Daher iſt es kein Wunder, daß fie unter verſchiedenen bear⸗ beitenden Händen fo gar verſchiedene Geſtalten bes kommt; daß fie oft ein Wörterbuch, eine Anweiſung zur Sectenſprache und fat allemal der gefunden Vernunft raͤtzelhaft geworden; ſo wie dieſe bey man⸗ chem Metaphyſtker ein Staͤchelwort iſt.

2. Es kann aber die Metaphyſik eine nuͤtliche Wiſſenſchaft werden, wenn darinnen a) die Zuſammengrenzung der Gewißheit, der Vermuthungen und der dunkeln Un⸗ wiſſenheit in dem Felde unferer Erkenntniß; wenn bj die Gründe unſerer Meynungen in An ſehung der wich⸗ tigen Gegenſtände, und c) der Urſprung der all; gemeinen Begriffe, die unſerer Erkenntnitz Saltung und Zuſammenhang geben, richtig und deutlich ge⸗ lehr t werden. So wuͤrde die ruhige Beſcheiden heit im menen eine unmittelbare Folge dieſer Wiſſenſchaft ſeyn; ein Vortheil, welchen die Metaphyffk font ihren Verehrern insgemein erſt nach vielen Jahren, und manchmal fo ſpaͤte gewaͤhret, daß man ihn nicht mehr gebrauchen kann, oder ihn zu gebrauchen ſich ſchamet.

3. Sie kann auch eine bypotetifche Abhandlung von will⸗

Ra angenommenen oder aus der gemeinen Erz 7 kennt⸗

82 Sweyte Abtheilung.

kenntniß entlehnten Begriffen, und Folgerungen aus denſelben ſeyn; die dann auf dieſe Welt nur in tan- tum koͤnnen angewendet werden. So wie die Meß⸗ kuͤnſtler ſich viele willkuͤhrliche Begriffe bilden von voll⸗ kommen geraden Linien, Winkeln, Zirkeln, vom un⸗ endlich kleinen und unendlich groſſen, u. ſ. f. Begrif⸗ fe, die mit dem, was in der Welt wirklich iſt, nicht voͤl⸗ lig eintreffen, und doch mit Nutzen angewendet wer⸗ den. Aber freylich iſt die Anwendung der mathema⸗ tiſch⸗ metaphyſiſchen Wahrheiten, wenn ich fo reden darf, leichter, als der philoſophiſch⸗metaphyſiſchen. Der Grund davon iſt bekannt.

4. Ich habe zur Reformation weder Neigung noch Geſchick⸗ lichkeit genug. Man erlaube mir alſo, daß ich mich im Text an die Obſervanz halte; und manchmal ei⸗ nen beſondern Gedanken in der Wote wage, der aber nicht immer der meinige ſeyn wird.

„. Grundwahr⸗ Wir haben in der Logik (§. 12.) ſchon

men angemerkt, daß das Weſen der Wahr⸗ ni). heit in der Idenditaͤt beſtehe, und der Grund der ganzen Wahrheitslehre in dem Satz: Es iſt niemals wahr, widerſprechend, ohn⸗ möglich, daß das nemliche zugleich ſey und nicht ſey. Dieſer Satz hat ſeinen Grund in der Uebereinſtimmung aller unſerer Empfindungen und des daraus entſprungenen menſchlichen Denkens. Das Gegentheil laͤßt ſich alſo nicht denken. Auch haben wir in der Logik ($. 13.) uns noch auf einen andern Saß, als auf einen allgemeinen und der

menſch,

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 83 menſchlichen Vernunft unentbehrlichen Grundſatz beruffen, auf den Satz: Durch nichts wird nichts, oder: ohne eine wirkende Urſache kann nichts geſchehen; und wenn etwas ge⸗ ſchieht, geſchehen iſt, oder geſchehen ſoll: fo muß ein Grund vorhanden ſeyn, warum es ſo geſchieht, geſchehen fen, oder geſchehen konne. Dieſer Satz iſt ebenfalls eine Folge der Empfin⸗ dungen, worauf ſich unſer Denken gruͤndet. Es haben aber dieſe Grundſaͤtze einen doppelten Ein: fluß in unſere Erkenntniß, einmal bey der Unter⸗ ſuchung deſſen, was geſchieht, ſodann bey der Unterſuchung deſſen, was gedacht wird. Nem— lich gleichwie in der Idenditaͤt und Nothwendig— keit zugleich die Wahrheit erhellet, und die Unter: ſuchung wie oder warum aufhoͤret: alſo wenn in dem was auf eine gewiſſe Art iſt, oder auf eine gewiſſe Art gedacht wird, unſer Verſtand die Noth⸗ wendigkeit, daß es ſo ſey, oder ſo gedacht wer⸗ den muͤſſe, nicht findet; ſo ſucht er noch weiter nach der Wahrheit, nach demjenigen bey deſſen Hinzuſe⸗ tzung er die Idenditaͤt erblicket, und die Nothwen⸗ digkeit, daß es ſo ſeyn, oder ſo gedacht werden muͤſſe. Dies iſt im erſten Fall der Grund des Seyns oder Werdens (ratio eſſendi, fiendi) im andern heißt es der Erkenntniß⸗ Grund, (ra- tio cognofcendi.) So bald wir alfo erkennen,

F daß

84

Zweyte Abtheilung.

daß etwas einmal nicht geweſen, oder anders ges weſen, nicht ſeyn oder anders ſeyn koͤnne: ſo fragen wir, warum es iſt, und warum es alſo iſt.

22

Dies waren meine Gedanken von den groſſen Grundſaͤ⸗

gen der menſchlichen Erkenntniß, noch ehe ich wußte, daß es auch die Gedanken anderer Philoſophen waͤren. In dem Verhaͤltniß, in welchem ich mich aus der boden⸗ loſen Wortphiloſophie heraus dachte, in welche ich mich nie recht hineindenken konnte, naͤherte ich mich dieſer Philoſophie, der ich noch keinen Namen zu ge⸗ ben wußte. Faſt hielte ich ſie fuͤr Ketzerey, und ich naͤh⸗ erte mich ihr mit verzagten Schritten. Endlich er⸗ blickte ich Fuͤhrer, mein Gang wurde beherzter und ſicherer, und ich nahm mir einen feſten Standpunet, aus welchem ich die Beweiſe fuͤr den Satz des zurei⸗ chenden Grundes und des Widerſpruchs, ſo wie viele andere metaphyſiſche Beweiſe und Gegenbeweiſe, wie ich glaube, in ihrer wahren Geſtalt betrachte.

Es hat aber das Wort Grund eine ſchwankende Bedeu⸗

tung, weil es ſo wohl auf die wirkenden Urſachen, als auf die Umſtände, unter denen die Wirkung geſchieht, und durch die fie beſtimmt wird, angewendet zu wer⸗ den pflegt. Denn da uns unſere Empfindungen leh⸗ ren, daß alles nur unter gewiſſen Umſtaͤnden und auf gewiſſe Veranlaſſungen erfolgt: ſo wollen wir zwar die⸗ fe veranlaſſende Umſtaͤnde alle mit einander wiſſen, wenn wir nach Grund und Urſache fragen; aber wir pfle⸗ gen doch einen Unterſchied unter ihnen zu machen; und begleitende Umſtände, Bedingniſſe, Anlaſſe und die eigentlichen wirkenden Urſachen, deſſen was ge⸗ ſchieht, ſind wenigſtens nach den allgemeinen Begriffen nicht einerley. Aber in der Anwendung werden ſie

frey⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 88

freylich oft mit einander perwechſelt, und daraus ent⸗ ſteht eben die Verwirrung.

3. Der Grund von demjenigen, was wir untersuchen, kann alſo entweder in dem Ding, an welchem es ſich befin- det, ſelbſt liegen, vielleicht ganz in ihm allein, vielleicht nur zum Theil, und zum Theil auſſer ihm, und zwar ent⸗ weder in einem Ding auffer ihm, oder in mehrern ꝛe. und ferner koͤnnen dieſe aͤnſſerlichen Dinge, die bey ei⸗ nen Wirkung allemal gegenwaͤrtig ſind, entweder nur Hinderniſſe weggeſchafft haben, vielleicht nur Bedin⸗ gungen, vielleicht mehr Gegenſtaͤnde der Wirkung, als Urſachen geweſen ſeyn; oder ſie koͤnnen durch wirken und thun Veraͤnderung hervorgebracht haben.

4. Zu dieſem ſetze ich nur noch eine Anmerkung hinzu: Die Urſache iſt da, wo ſie wirket, folglich, da wo die Wirkung iſt. Darauf gruͤnden ſich die Mutz maſf us gen in der Naturlehre.

9. 3. Die zwey angezogenen Saͤtze ſind 1e

die allgemeinen Grundwahrheiten unſe— re ver Erkenntuiß, und beſtimmen ihre Art chen Erfeit- und Beſchaffenheit, das formale der⸗ 2 ſelben. Wir wollen nun auch auf die allgemeinen Gegenſtaͤnde unſeres Denkens, auf das allgemeinſte in dem Stoff, in dem materiali unſerer Erkennt⸗ niß, ſehen. Dies ſind ohne Zweifel das Moͤg⸗ liche, das Wirkliche, ein Etwas, ein Ding, und die entgegengeſetzten Begriffe. Je allgemei⸗ ner dieſe Begriffe ſind, deſto ſchwehrer iſt es das 8 3 ge’

86 Zweyte Abtheilung.

gemeinſchaftliche und das unterſcheidende derſelben (genus et differentiam ſpecificam) anzuge- ben. Sollte ich mich irren, wenn ich behaupte, daß aus dieſem Grunde der Begrif von der Wirk— lichkeit oder der Exiſtenz am allerſchwehrſten zu erklaͤren? Denn ob wir uns gleich was beſtimmtes dabey gedenken, ſo iſt es doch ſchwehr, wo nicht ohnmoͤglich, dieſen Gedanken abzuſondern und zu ers klaͤren, ohne daß wir bey der Erklaͤrung wieder auf dasjenige zuruͤck kommen, was wir erklaͤren woll— ten. Wenn man es nicht daraus einſehen kann, wie dieſer Begrif in uns entſtanden, wie er ſich in alle andere einmiſcht, wie ſich alle andere auch die allgemeinſten, an ihn halten, und ohne ihn nicht be⸗ ſtehen koͤnnen; fo wird man es doch aus den ver« ſchiedenen Erklaͤrungen, die die Philoſophen von der Exiſtenz geben, und aus den eigenen Der» ſuchen, die man deßwegen anſtellen kann, einſehen lernen. Mit Vorausſetzung des Begrifs vom Seyn, laſſen ſich die Begriffe von dem Moͤgli⸗ chen, vom Etwas, vom Ding erklaͤren. Wie⸗ wohl unter den Philoſophen ſowohl, als im gemei⸗ nen Leben, dieſe Ausdruͤcke nicht immer in gleicher Bedeutung gebraucht, uͤberhaupt aber aus dem Zu⸗ ſammenhang der Rede, mit Huͤlfe der eigenen Em⸗ pfindung, beſſer als aus Deſfnickeuen verſtanden werden.

Ju

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 87

In der Metaphyſik unterſcheidet man die Arten des Mög⸗ lichen und Unmöglichen, und giebt Lehrſaͤtze davon. Ferner werden die Begriffe vom Wothwendigen und Zufälligen daraus erklaͤrt. Ich muß, um nicht zu weitlaͤuftig zu werden, dieſes aus der gemeinen Erkennt⸗

\ niß voraus ſetzen.

§. 4. 3 rt Allgemeiner Alles dasjenige, was ein Ding, als Unterschied

dieſes Ding, nicht entbehren kann, ohne ber Gegen» welches es niemals ift, und gar nicht als M. €. dieſes Ding, moͤglich waͤre, heißt zuſammen genom⸗ men ſein Weſen (Eſſentia latius dicta, com- plectens eſſentialia ſtricte ſic dicta et attri- buta). Wenn alle innerliche Beſchaffenheiten eines Dings nothwendig bey ſeinem Begrif ſind; wenn es unmöglich wäre, wo irgend eine Beſchaffenheit, die es jemals haben kann, ihm jemals fehlte: fo iſt al» les an ihm Weſenz ſo iſt es in Anſehung feiner inner: lichen Beſchaffenheiten unveraͤnderlich. Und wenn die Exiſtenz zu den Beſtimmungen ſeines Begrifs gehört, fo iſt es ſelbſt ein nothwendiges Ding; und iſt entweder unmoͤglich, oder muß immer exi⸗ ſtirt haben, und immerfort exiſtiren. Hingegen wenn irgend etwas an einem Ding veraͤnderlich iſt, wenn es entweder wirklich veraͤndert wird, oder wenn doch ohne Widerſpruch kann behauptet wer⸗ den, daß ihm einige Beſchaffenheiten fehlen koͤnnen; fo laſſen ſich bey einem ſolchen Ding Weſen und zus 54 fällige

88 Z weyte Abtheilung. N

fällige Beſchaffenheiten (modi, accidentia praedicabilia) unterſcheiden, und wenn insbefon: dere feine Exiſtenz nicht zu dem Begrif feines We⸗ ſens gehört: fo iſt es ein für ſich zufaͤlliges Ding. Durch nichts wird nichts. Ein zufaͤlliges Ding hat alſo ſeine Exiſtenz von einem andern Ding erhalten. Aber daß ein exiſtirendes zufaͤlliges Ding ſich nicht ſelbſt veraͤndern koͤnne, folgt hieraus nicht. So wenig, als daß alle ſeine Veraͤnderungen von ihm herruͤhren.

Ich habe hier vieles zuſammengefaſſet. Ich muß mich der

Kuͤrze befleiſigen: und vielleicht ſieht man alſo den Zu⸗ ſammenhang der Wahrheiten am beſten ein.

$. 5.

lu deer Mehrere Dinge haben entweder Bes dar Dung ſchaffenheiten, in Anſehung derer ſie mit | einander koͤnnen verwechſelt werden; oder nicht. In ſo fern Dinge mit einander koͤnnen verwech⸗ ſelt werden, haben ſie einerley Beſchaffenheiten; und in ſo ferne ſie einerley Beſchaffenheiten haben, find fie einerley Dinge. Wo nicht: ſo ſind fie ver⸗ ſchieden. Es iſt aus dem Begrif des Dings uͤber⸗ haupt noch nicht einzuſehen, daß 2 Dinge nicht in⸗ nerlich vollkommen einerley ſeyen koͤnnten. Aber daß 2 Dinge gaͤnzlich unterſchieden waͤren, iſt wi⸗ derſprechend. Sie haben ja beyde die gemeinſchaft · liche

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 89

liche Praͤdicate, daß ſie Dinge, daß ſie etwas, daß ſie moͤglich ſind.

a §. 6.

Aus dieſer Vergleichung der Dinge ent: Be ſteht in unſerer Erkenntniß die Verbin- daraus ent⸗ dung der gemeinſchaftlichen Beſchaffen— Rn heiten, mit Abſonderung der unterfcheidenden ; und daher entſpringen die Begriffe von Gattungen (Arten) und Geſchlechtern (ſpecies et gene- ra). In dem Reich der Begriffe, iſt ein ſolcher Begrif ein abgeſondertes Ding (ens rationis) und er heißt ein allgemeines Ding, weil er nur ſolche Beſchaffenheiten beyſammen hat, die einer gan⸗ zen Gattung oder einem ganzen Geſchlecht gemein find, nicht eine einzige, die nicht ein jedes aus die— ſer Gattung oder aus dieſem Geſchlechte auch haͤt— te. Man kann aber leicht uͤberzeugt werden, daß auſſer unſern Vorſtellungen unter den wirklich vor- handenen Dingen, kein ſolches allgemeines Ding fey, ſondern daß lauter einzelne Dinge (indiuidua) exiſtiren.

§. 2.

Wir haben den Begrif eines Dings 7 zwar bisher uneingeſchrenkt genommen, rer fo wie er auch in unſerer Sprache oft genommen wird. Aber man wird doch finden,

85 daß

90 Zweyte Abtheilung.

daß man in einem vorzuͤglichen Verſtand ein Ding nennt, was auch auſſer der Vorſtellung etwas fuͤr ſich iſt, und von andern Dingen kann abgeſondert werden; z. B. Caius, dies Buch, ein Theil von einem Koͤrper. Ein ſolches Ding nennt man in der philoſophiſchen Sprache zum Unterſchied eine Subſtanz. Das Gegentheil ein Accidenz (praedicamentale) z. E. die Eigen. ſchaften und Beſchaffenheiten.

N 8.

5 Wir werden von der Exiſtenz keiner fan Ae Subſtanz uͤberzeugt, ohne durch ihre 1 5 Weſen mittelbare oder unmittelbare Wirkun⸗ Kraft gen auf uns; und das Vermoͤgen zu wir⸗ ken, oder etwas hervorzubringen, wenn es auch nur eine Veranderung iſt, nennen wir Kraft. Wir kennen alſo keine Subſtanzen ohne Kraͤfte. Noch mehr: da ein Ding, wenn es wirklich vorhanden iſt, auch irgendwo vorhanden ſeyn muß, indem wenn es nirgend vorhanden waͤre, es gar nicht ware; fo folgt daraus feine Undurchdringlich⸗ keit, das iſt, das Vermoͤgen feinen Platz zu be⸗ haupten, und zu widerſtehen, wenn es von allen Seiten her ſollte gedraͤngt werden: alſo ein Ver⸗ moͤgen die Wirkungen anderer zu hindern, alſo zu veraͤndern, alſo zu wirken, alſo eine Kraft.

9.9.

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 91

9. 9.

Aber aus dieſem Vermoͤgen zu wir⸗ ons. ken, welches wir hier für eine jede Sub: der Kräfte. ſtanz behaupten, folgt noch nicht, daß eine jede Subſtanz immer wirke, auch nicht, wie mich duͤn⸗ ket, daß ſie ſich immer bemuͤhe zu wirken, denn die Bemuͤhung iſt ſelbſt eine Wirkung, noch weniger, daß ſich eine jede Subſtanz fuͤr ſich zur Wirkung beſtimmen koͤnne, am allerwenigſten, daß eine Subſtanz zu einer jeden Wirkung geſchickt ſey, zu der eine andere geſchickt iſt. Hier laͤßt ſich alſo noch gar mancherley Unterſchied der Kraͤfte und Subſtanzen gedenken. Und es wird wohl in be⸗ ſtimmten Faͤllen zur Vermeidung der Irrthuͤmer noͤthig ſeyn, wenigſtens dieſe allgemeine Moͤglich⸗ keit des Unterſchieds vor Augen zu haben.

§. 10.

Man bemeiſet in der Metaphyſik, 1 N daß Ordnung, Vollkommenheit Damm und Wahrheit, bey einem jeden Din- und Voll, ge ſeyen, und man erklart dieſe Qua- emmenbett. litäten fo, daß es ſich beweiſen läßt, Alles was da iſt, das iſt; und iſt alſo wahr. Alles was exiſtirt, hat eine gewiſſe Kraft, und iſt alſo zu etwas tauglich; es hat alles beyſammen, was zuſammen ſeyn muß, damit es dies Ding ſeyn kann: und hat

alſo

9

92 Sweyte Abtheilung.

alfo in dieſen beyderley Bedeutungen Vollkom⸗ menheit. Das manchfaltige in einem Ding iſt alles nach den unabaͤnderlichen Grundwahrheiten, als nach Regeln, eingerichtet und mit einander ver- bunden. Alſo iſt auch in einem jedem Ding eine gewiſſe Ordnung. Ich habe noch nicht geſehen, daß dieſes Kapitel der Metaphyſik irgendwo von erheblichen Nutzen ſey; aber wohl, daß die Philoſo⸗ phen darinnen in Erklaͤrungen und Saͤtzen nicht einig werden koͤnnen, und ſich bisweilen gerade zuwider find,

Man vergleiche des Herrn G. R. Darjes Metaphyſik

9. 192. Ph. pr. und des Herrn Prof. Böhms Metaph- $. 181. und 182.

e

menen Wir haben bisher ſchon einige allge: um einfa- meine Eintheilungen der Dinge ge⸗ gruͤndet. Wenn die Begriffe vom Einfachen und Zuſammengeſetzten, vom End- lichen und Unendlichen mit dem Begrif des Dings verbunden werden: ſo werden wir dadurch, auf diejenigen Abtheilungen und Arten der Dinge, und auf diejenigen Betrachtungen gefuͤhrt, die die allerwichtigſten in der Metaphyſik ſind. Die Woͤr⸗ ter einfach und zuſammengeſetzt bringen es für ſich ſo mit, daß wir zuſammengeſetzte Din⸗ ge nennen, die aus mehrern Dingen beſtehen, und die

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 93

die nicht zuſammengeſetzten einfache. Das Was ſen eines zuſammengeſetzten Dings dependirt alſo von der Beſchaffenheit derjenigen Dinge, woraus es zuſammengeſetzt iſt, oder wie die mehreren Dinge mit einander verbunden find. Ferner er» hellet, daß wenn ein Zuſammengeſetztes eine Sub⸗ ſtanz iſt, es aus Subſtanzen muͤſſe zuſammen geſetzt feyn, Denn es iſt nicht zu behaupten, daß aus mehrern Dingen, deren keines abgeſon. dert vom andern fuͤr ſich etwas ſeyn kann, ein Ganzes entſtehe, das fuͤr ſich etwas Ai kann.

G. 12.

a Begriffe die Die Vorſtellung eines Zuſammenge⸗ e e e

festen führer die Begriffe der Ausdeh⸗ ſellung des Zuſammen⸗ nung, der aͤuſſerlichen Groͤſſe, der gefesten Figur, des Zuſammenhangs, des "eben. Abſtands, der Entfernung, des Raums und der Zeit mit ſich. Bey einigen dieſer Begriffe kann man ſich gar leicht im Nachdenken verliehren, wenn man dasjenige, was man in dem Reich der Vorſtellungen zwar durch Zeichen abgeſondert hat, auch in dem Reich der Subſtanzen, als was abge⸗ ſondertes und fuͤr ſich beſtehendes, ſucht.

H. 13.

9% Zweyte Abtheilung. §. 13.

Von einigen Auf das Einfache koͤnnen dieſe Be: Eigenſchaf⸗ ten und Ver griffe gar nicht oder nur gewiſſermaſ⸗ en ee fen angewendet werden. Es hat keine Er Subs Theile, keine Ausdehnung, keine äuffer- liche oder ausgedehnte Groͤſſe, keine Figur; es hat keinen Raum in ſich, und keine Zeit in der Dauer ſeines Entſtehens oder ſeines Untergangs. Es kann nicht anders, als auf einmal und aus nichts entſtehen, und nicht anders untergehen, als indem es vernichtet wird. Daß die Kraft einer einfachen Subſtanz niemals und durch gar keine Urſache koͤn⸗ ne vermindert oder vermehret werden, ſehe ich noch nicht ein. Noch weniger, daß keine einfache Sub⸗ ſtanz durch eine andere einfache Subſtanz innerlich koͤnne verändert werden. Mich duͤnket, bey den Bes’ weiſen fuͤr dieſe Saͤtze, bringt man zu viel von dem ſinnlichen Schein aus der Empfindung in die ab⸗ geſonderten Begriffe. Freylich iſt es ſchwehr, das Einfache und Unzuſammengeſetzte richtig zu denken, da unſere meiſte Erkenntniß von der Empfindung zuſammengeſetzter Wirkungen herriehrt, und unſere Sprache ſich auf ſinn⸗ liche Bilder bezieht. Deſto billiger iſt es, daß Philoſophen, die hierbey verſchiedene Vorſtellungs⸗ und Redens⸗Arten gebrauchen, eins

Grundriß der oornehmſten Theile ꝛc. 95

einander deßwegen nicht anfeinden oder ver⸗ ketzern. f Was . 9. von dem möglichen Unterſchied der Kraͤſte gefagd worden iſt, wende man auf die Kraͤfte der einfachen

Subſtanzen an.

| §. 14.

Der Gedanke vom Unendlichen hat om En noch mehr Schwierigkeit für uns, und Unendli⸗ daher iſt ſo viel Widerſpruchs unter dem . Gelehrten uͤber dieſe Materie. Durch Abſonde⸗ rung kann der Verſtand dieſen Gedanken bilden: aber die Einbildungskraft kann ihn nicht faſſen, und verwirrt ihn. Es kommt bey dem Praͤdicat un⸗ endlich hauptſaͤchlich auf das Subject an, welchem man es giebt; und wer der Sache jemals nachge⸗ dacht hat, wird mir eingeſtehen, daß bey dieſer Bea trachtung ſorgfaͤltig zu unterſcheiden ſey: 5

1) Ob dasjenige, worauf man den Begrif, unendlich, anwenden will, ein Ding iſt, daß man ſich als noch nicht fertig, als noch im werden, als noch nicht völlig beſtimmt, gedenkt: oder ob es ein Ding, das ſchon ganz vorhanden, und keinen Zuwachs mehr bekommen ſoll?

2) Ob es ein Ganzes, das aus mehre⸗ rern, wirklichen und zu unterſcheidenden Din⸗ gen beſteht, oder ein Einfaches, bey dem keine Vielheit der Dinge ſtatt findet?

3) Ob

96 Sweyte Abtheilung.

3) Ob der Gegenſtand nur in dem Reich der Begriffe, oder in dem Reich der Subſtanzen al- ſo vorhanden?

Denn das Wort unendlich bedeutet ganz was an⸗ ders, wenn es zu einem oder zu dem andern dieſer Begriffe geſetzt wird. |

1) Ein Ding, das noch im werden, noch nicht fertig iſt, kann unendlich genennt werden, wenn man annimmt, daß es immer fortgeſetzt und nie werde geendiget werden. Allein es laſ— ſen ſich bey einem ſolchem Dinge, welches noch nicht nach feinen ganzen Weſen exiſtirt, diejeni⸗ gen Praͤdicate nicht anbringen, die nur völlig exiſtirenden und ſchon nach ihrem ganzen Weſen beſtimmten Dingen zukommen. Was koͤnnen wir von demjenigen, das noch im werden iſt, anders ſagen, als daß, ſo weit es vorhanden iſt, es auch endlich; in ſo fern es aber unendlich ſeyn ſoll, niemals ſeyn wird.

2) Wenn man bey einem Ding, das vollig exiſtirt und gaͤnzlich beftimmt iſt, wie ein jedes einzelnes Ding ſeyn muß, eine unendliche Aus⸗ dehnung, oder welches aus dieſer auch folgt, eine unendliche Menge der Theile annimmt: ſo kann

das Wort unendlich nichts anders anzeigen,

als daß wir die Ausdehnung oder die Menge . in

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 97 in unſerer Vorſtellung nicht faſſen, begraͤnzen und beſtimmen koͤnnen. Wollte man anneh⸗ men, daß bey einem ſolchen Ding wirklich Menge

und Ausdehnung ohne Grenzen waͤren: ſo würs de man ſich auf mancherley Weiſe widerſprechen muͤſſen.

3) Wenn man uͤber die unendliche Aus⸗ dehnung oder Theilbarkeit desjenigen ſtrei— tet, welches nur in unſerer Vorſtellung durch Hälfe der Bezeichnung abgeſondert, unter den Dingen auſſer uns aber nichts für ſich Be? ſtehendes iſt; fo wendet man wohl ohne Zweis fel ſeine Mühe uͤbel an, und verdienet vielleicht, daß man ſich in der Verwirrung der Gedanken verliehre. Ann

* Er

Aber der Begriff wird wichtig, und non Hy ift gar keinem Widerſpruch unterworfen, fer 1115 der wenn man den Gedanken der Unend— uam, lichkeit auf die Subſtanz anwendet. Der Bez grif der Subſtanz erfordert ein für ſich beſtehendes Weſen, Realität und Kraft. Eine Subſtanz kann alſo im eigentlichen Verſtand unendlich genennk werden, wenn Realität und Kraft bey ihr ohne En⸗ de, ohne Grenzen find, fo daß mehr Realitaͤt, mehr Kraft, beyſammen gar nicht moͤglich wäre Und

hieraus folgt a G 50 Daß

8 Zweyte Abtheilung.

1) Daß die unendliche Subſtanz fo viel Voll» kommenheiten in ihrem Weſen beyſammen ha⸗ ben muͤſſe, als beyſammen moͤglich ſind; und folglich

2) Da alle vollkommene Vollkommenheiten, das ift, ſolche Vollkommenheiten, die kein Man⸗ gel, keine Unvollkommenheit begleitet, einander nicht wider ſprechen koͤnnen, und alſo beyſammen moͤglich ſind; daß es alle Vollkommenheiten, die ohne Mangel und Einſchrenkung moͤglich ſind, beſitze. |

3) Daß ihr alfo nie eine ſolche Vollkommen⸗ heit fehlen, und nie ſich eine Unvollkommenheit an ihr befinden koͤnne, folglich, daß fie in Anfe hung der Kraft und Vollkommenheit unveraͤn⸗ derlich ſey.

4) Die unendliche Subſtanz iſt alſo ganz Weſen, daher man auch vom unendlichen Weſen ſpricht.

5) Sie iſt daher nothwendig, und kann ent. weder nie exiſtiren oder exiſtirt immer. Auf dieſen Satz gruͤndet ſich der Beweis von der Exiſtenz eines hoͤchſten Weſens, der von den ſcharfſinnigen Maͤnnern iſt angenommen wor⸗ den: Er iſt aber nicht für einen jeden uͤber⸗ zeugend. ü

§. 16.

| Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 99

156.

0 Daß das Ar e ſen eine einfache Subſtanz ſey, möglich. ſchlieſſe ich daraus, weil eine zuſammengeſetzte Subſtanz aus mehrern Subſtanzen beſteht. ($. 11.) Es koͤnnen aber weder der Dinge in eis nem zuſammengeſetzten Ding eine unendliche Menge ſeyn (F. 14.) noch aus mehrern endlichen Kräften, wenn ihre Menge endlich iſt, eine un⸗ endliche Kraft gedacht werden; noch koͤnnen mehrere unendliche Kraͤfte neben einander vor⸗ handen ſeyn. Denn erſtlich iſt offenbar, daß die Exiſtenz der einen die andere gewiſſermaſſen einſchrenkte, und dann kann ich wenigſtens mir nicht vorſtellen, daß das Reſultat aus ihren Kraͤf⸗ ten, oder ihre Kräfte beyſammen, nicht mehr Kraft ſeyn ſollten, als eine jede derſelben. Und daraus ſchlieſſe ich erſtlich, daß nur eine hoͤchſt vollkommene Subſtanz moͤglich, und ferner, daß es nur eine einfache Subſtanz ſeyn koͤnne.

Sollte jemand in der ganzen Materie von dem Begrif des Unendlichen mehr Wortſpiele nnd Wortſtreitigkei⸗ ten, als Wahrheiten, zu finden glauben: der mag ſehen, wie er dieſes Urtheil bey den Phlloſophen verantworte.

PR Wir koͤnnen gar leicht von den bis⸗ enden herigen Betrachtungen auf die Betrach⸗. re. 2 tung

100 zweyte Abtheilung.

2 tung von den Körpern übergehen. einfachen Denn unter einem Koͤrper ſtellen wir Subſtanzen. ins ein zuſammengeſetztes und endliches Ding vor. Ich ſage ein endliches. Denn kann man ſich wohl einen Koͤrper vorſtellen, ohne irgend. wo bey ihm Grenzen der Ausdehnung zu ſetzen? Wenn ich nicht Erfahrungen, die wir von den Koͤr— pern in dieſer Welt haben, vorausſetzen, und in die Grenzen der Phyſik uͤbergehen will: ſo werden es nur hauptſaͤchlich zwey Stuͤcke ſeyn, die ich hier von den Körpern abzuhandeln habe; daß fie Kraft ha⸗ ben, und daß ſie aus einfachen Subſtanzen beſte— hen. Ich will mit dem letzteren anfangen. Das⸗ jenige, woraus die Koͤrper beſtehen, nennt man uͤberhaupt die Materie. Der Koͤrper iſt alſo von der Materie nur dadurch unterſchieden, daß er eine gewiſſe Form hat. Hier iſt nun zu unterſuchen, was die kleinſten Beſtandtheile der Materie ſeyn? Denn daß in der Materie mehrere Theile auſſer und neben einander vorhanden ſind, iſt offen⸗ bar. Aber iſt dieſer Theile in einem jeden Koͤrper eine wahrhaftig unendliche Menge, oder ſind die al⸗ lerkleinſten Beſtundtheile, in die es an und für ſich moͤglich iſt, daß die Materie zertheilt werde, einfa⸗ che Subſtanzen? Man wird eine von dieſen beya den Meynungen endlich fuͤr wahr erkennen muͤſſen; und mir ſcheint die letztere wahr zu ſeyn. (§. 14.)

H. 18.

*

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 101

18.

‚Die Körper muͤſſen eine Kraft Fat für haben, weil fie Subftanzen find. Die. nen oder jenige Kraft muͤſſen fie wenigſtens ha- 1 1 ben, die wir fuͤr eine jede Subſtanz bewieſen ha— ben, die Kraft zu widerſtehen und vermoͤge dieſes Widerſtandes zu wirken. Aber der Gedanke von der Kraft iſt auf dieſe Art der Wirkung nicht al⸗ lein eingeſchraͤnkt. (§. 9.) Was für Kräfte find denn bey einem Koͤrper moͤglich? Ich geſtehe es, daß mir dieſes durch metaphyſiſche Betrachtungen zu beſtimmen ſehr ſchwer vorkomme. Aber doch ſchließt der Begrif, den wir mit dem Wort Kör: per zu verbinden gewohnt ſind, gewiſſe Wirkungen und Kraͤfte aus; und der Begrif muß wenigſtens ſo lange gelten, ſo lange uns kein Irrthum darin— nen gezeigt wird. So nennen wir ja z. E. eine zuſammengeſetzte Subſtanz, an der wir Veraͤn⸗ derungen bemerken, die eine Kraft in ihr zu ver»

krathen ſcheinen, die innerlich zu verſchiedenen Wir⸗

kungen nach einander beſtimmt wird, eben deßwe⸗ gen keinen bloſſen Koͤrper; ſondern entweder eine Maſchine, wenn wir annehmen, daß vermoͤge der Zuſammenſetzung gewiſſer Theile, oder vermoͤge der Structur, eine Bewegung immer die folgende Be— wegung hervorbringe; oder ein Thier, wenn wir glauben, daß die Bewegungen und Wirkungen der⸗

G 3 ſelben

102 zrweyte Abtheilung.

ſelben Subſtanz eine willkuͤhrliche Kraft in ihr erforderten, das iſt, eine Kraft, die nicht zu allen ih⸗ ren Wirkungen nothwendig beſtimmt würde, ſon⸗ dern die ſelbſt, nach ihren Empfindungen und Be⸗ gierden, ſich aͤuſſerte, und zu wirken anfieng.

§. 19.

Fortſetzung . In fo fern wir aber bey dem allgemei⸗ nen Begrif vom Koͤrper ſtehen bleiben, da wir fuͤr ihn hier noch keine Kraft bewieſen haben, als die Kraft zu widerſtehen, die wir zur Nachahmung des lateiniſchen Kunſtworts die traͤge Kraft nennen koͤnnen: ſo fragts ſich; ob dieſe nemliche Kraft den Koͤrper nicht noch zu andern Wirkungen geſchickt ma⸗ chen koͤnne, wenn ſie in andere Umſtaͤnde geſetzt wird? Es fragt ſich, was fuͤr eine Kraft, was fuͤr eine Beſchaffenheit des Koͤrpers dazu erfordert wer⸗ de, wenn er bewegt werden ſoll? Wenn er ſich in der Bewegung fern von der erſten wirkenden Urſa⸗ che derſelben erhalten ſoll? Wenn er ſich von freyen Stuͤcken ſelbſt bewegen ſoll, ſo bald nur durch ei⸗ ne andere Kraft auſſer den Koͤrper gewiſſe Hinder⸗ niſſe weggeraͤumet werden? Man wird mir doch eingeſtehen, daß dies Wirkungen von verſchiedener Art ſind, von denen man nicht ſchlechterdings auf einerley Kraft ſchlieſſen kann, wofern man nicht durch andere Gruͤnde dazu berechtiget wird? Und

weiter

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 103

weiter will ich hier nicht gehen. Dieſe metaphyſi⸗ ſchen Betrachtungen koͤnnen unterdeſſen dazu die⸗ nen, den dogmatiſchen Naturkuͤndiger behutſam zu machen.

§. 20.

Der Koͤrper iſt eine zuſammengeſetz Die Kraft te Subſtanz, feine Kraft beſteht alſo it in den aus mehreren Kräften mehrerer Sub: Beſtand⸗ ſtanzen. Nehmen wir dieſe auch noch wird durch als zuſammengeſetzt an: ſo gilt eben 3 7 das wieder. Und daher muͤſſen wir ſa. beſtimmt. gen, die Kraft des Koͤrpers iſt urſpruͤnglich in den einfachen Subſtanzen. Aber es iſt moͤglich, ja vermoͤge der Begriffe nothwendig, und wenn ich mich auf die Erfahrung hier beruffen duͤrfte, koͤnnte ich ſagen, es iſt offenbar, daß bey der Ber: bindung mehrerer Subſtanzen, durch die Art der Verbindung, die Art der gemeinſchaftlichen Wir⸗ kung beſtimmt wird. Ob demnach gleich die Kraͤf. te des Koͤrpers die Kraͤfte der einfachen Subſtan⸗ zen ſind: ſo werden doch dieſe Kraͤfte durch die Form und Structur des ganzen Koͤrpers beſtimmt. Und da ſo mancherley Arten der Zuſammenſetzung vorfallen koͤnnen, bis aus einfachen Subſtanzen groſſe Koͤrper werden: ſo iſt leicht zu erachten, wie viel die einfachen Kraͤfte in der Beſtimmung zu

G 4 wir⸗

104 zweyte Abtheilung.

wirken dadurch koͤnnen geändert werden, und wie viel Schwierigkeit es habe, aus den Erſcheinun⸗ gen, die uns die Wirkungen der Körper geben, die Kraͤfte der einfachen Subſtanzen, der Ele— mente, Atomen, Monaden, denn dieſe Namen fuͤhren ſie, zu beurtheilen; zumal da wir auch bey unſeren Empfindungen ſelbſt das Einfache nicht un⸗ terſcheiden. Aber eben daher wird es auch nicht erlaubt ſeyn, die Begriffe von den Wirkungen der Koͤrper, die wir aus dieſen Erſcheinungen haben, auf die Natur der Elemente anzuwenden, und wenn ſich jene nicht zu dieſer zu ſchicken ſcheinen, ihre Exi⸗ ſtenz deßwegen für unmoglich zu erklaͤren.

§. 21. d Wie? wenn eine Sübſtanz Vor⸗ Subanien ſtellungen und Bewuſtſeyn haͤtte;

und einigen

Arten dez (man wuͤrde dieſe Ausdruͤcke nicht beſſer moͤglich en

Unterſchieds verſtehen, wenn ich ſie definirte) was laben. den⸗ müßte dies für eine Subſtanz ſeyn, und wie vielerley Unterſchied waͤre hierbey

moͤglich? Vorſtellungen haben und ſich deren be wuſt ſeyn heißt denken. Was denkt, muß den⸗ ken koͤnnen: eine denkende Subſtanz muß alſo die Faͤhigkeit zu denken haben. Aber was geſche⸗ hen kann, geſchieht deßwegen nicht immer. Alſo Fönnte wohl eine Subſtanz die Faͤhigkeit zum Den ken

f

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 105

ken haben, ohne nothwendig immer zu denken. Ser: ner, Vorſtellungen und Bewuſtſeyn haben heißt noch nicht fie hervorbringen. Alſo Fönnte es denkende Subſtanzen geben, die keine eigentliche Kraft zu Denken hätten, wenn ihre Gedanken nem» lich ganzlich Wirkungen einer Kraft auſſer ihnen wären. Hätten fie aber ein Vermoͤgen in ſich felb: ſten Gedanken hervorzubringen, die entweder in gar keinem Stuͤck, oder doch nicht gänzlich alſo, von eis ner fremden Kraft herruͤhrten; ſo waͤre ein ſelbſt— thaͤtiges Vermoͤgen zu denken, eine denkende Kraft in ihnen, doch nach dem erſten oder nach dem zweyten Fall in verſchiedenem Maaße. Die Menge und Deutlichkeit der Vorſtellungen, die Staͤrke des Bewuſtſeyns, die Unabhaͤngigkeit bey dieſem allen, machen ohne Zweifel die Vollkom— menheit der denkenden Kraft aus. Und alſo wuͤrde die vollkommenſte denkende Subſtanz alle moͤgliche Vorſtellungen in groͤßter Deutlichkeit, und dem ſtaͤrkſten Bewuſtſeyn, unabaͤnderlich und uns abhängig haben. Die Vollkommenheit der den: kenden Kraft, überhaupt und an und für ſich bes trachtet, nimmt hingegen ab, wie die Menge, die Deutlichkeit der Vorſtellungen, das Bewuſtſeyn, die Unabhängigkeit abnimmt.

G 5 8.

19] 1 5

106 Sweyte Abtheilung.

. Fortſetzung. Wir wollen aus dieſen EUR einige Folgen ziehen:

1) Es ſind Subſtanzen moͤglich, in denen die Faͤhigkeit zum Denken liegt, ohne daß ſie wirklich denken.

2) Es ſind Subſtanzen moͤglich, die ſich bey dem Entſtehen ihrer Gedanken ganz leidend ver⸗ halten, obgleich der Gedanke in ihnen wirkſam werden kann, das heißt, ob gleich dieſe Veraͤn. derung in ihnen andere Veraͤnderungen nach ſich ziehen kann.

3) Subſtanzen, die zwar ein thaͤtiges Ver moͤgen zu denken haben, aber welches von an⸗ dern Kraͤften alſo abhaͤngig iſt, daß es ſelbſt nicht wirken kann, bevor jene durch ihre Wir⸗ kungen ſelbiges beſtimmen, ſolche Subſtanzen koͤnnen einmal ohne Gedanken geweſen ſeyn.

4) Ob ſie, wenn ihr thaͤtiges Vermoͤgen ein⸗ mal iſt wirkſam gemacht worden, nicht wieder aufhören koͤnnen zu denken: will ich anjetzo lie⸗ ber fragen als entſcheiden.

5) Siubſtanzen, deren Kraft zu denken nur immer, wenn ich fo reden darf, halb -ſelbſt⸗ thaͤtig iſt: koͤnnen wegen der andern Kräfte, von deren Wirkungen ſie abhaͤngen, mehr oder weniger vollkommen denken.

| 6) Es

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 107

6) Es find Subſtanzen moglich, deren den⸗ kende Kraft zwar nicht hoͤchſt vollkommen, und uneingeſchrenkt, aber doch, ſo lange die Subſtanz exiſtirt, niemals unthaͤtig geweſen.

Den Werth dieſer metaphyſiſchen Saͤtze uͤberlaſſe ich dem Urtheil der Verſtaͤndigen. & 23

Iſt es nicht eine ſelbſtthaͤtig denken. Born ereilt de und uns unſichtbare Subſtanz, was Seele. wir einen Geiſt nennen? und eine Subſtanz, deren Denken immer durch die Veraͤnderungen eines ſichtbaren organiſchen Körpers, mit welchem fie vers bunden iſt, beſtimmt wird, was wir eine denkende Seele nennen? Ich vermuthe, daß dieſe Erklaͤ⸗ rungen nicht allen gefallen werden. Aber ich fra⸗ ge ja nur. Doch wird man mir wohl zugeſtehen, daß nach meiner Erklaͤrung eine Seele ein Geiſt ſeyn konne, aber daß nicht eine jede ein Geiſt ſeyn muͤſſe.

§. 24.

Jetzo komme ich auf eine wichtige a der 2 5 ? yheit bet

metaphyſiſche Betrachtung, die die Klip⸗ 5 Bene

pe der Syſteme, und der forfchenden f Vernunft ein Labyrinth iſt. Wenn in einer den⸗ kenden Subſtanz Gedanken entſtehen: wodurch werden ſie denn beſtimmt? Durch nichts wird

nichts.

108 Zwepte Abtheilung.

nichts. Bey jeder Veränderung, bey jeder Wire kung, muß ein Grund vorhanden ſeyn, warum ſie iſt, warum ſie ſo und nicht anders iſt. Alſo muß auch ein Grund vorhanden ſeyn, nicht nur warum ein Gedanke entſteht, ſondern auch warum er fo beſchaffen iſt. Liegt der Grund von dieſem allen gaͤnzlich auſſer der denkenden Subſtanz, konnte ſie auch den Gedanken nicht hindern, nicht veraͤndern: ſo iſt ſie gezwungen, den Gedanken alſo zu haben. Und verhaͤlt es ſich immer ſo mit ihr: ſo hat ſie keine Freyheit bey ihrem Denken, ſie kann nichts dabey thun. Aber wenn der naͤchſte Grund von der Gegenwart eines Gedankens, oder von ſeiner Beſchaffenheit, in der Subſtanz ſelbſt liegt; wenn fie ihn wenigſtens hätte hindern, vertreiben oder abändern konnen? Soft fie vom aͤuſſerlichen Zwange frey; ihre Freyheit iſt noch nicht ganz ausgemacht. Denn ihr Verhalten war vielleicht durch die vorhergehende innerliche Beſtimmung ih⸗ rer Kraft nothwendig, ſie mußte ſo handeln, wie ſie handelte, und anders zu handeln waͤre ihr ohnmoͤg⸗ lich geweſen. Wenn dieſes waͤre: ſo wirkte ſie zwar ſelbſtthaͤtig bey ihrem Denken; aber nicht frey. Freyheit im Denken alſo erfordert, daß die denkende Kraft weder durch aͤuſſerliche noch in⸗ nerliche Urſachen zu den Gedanken, die in ihr wirk⸗ lich werden, nothwendig beſtimmt war.

§. 25.

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 109

§. 25. Aber wenn ſie ſich ſo und anderſt be⸗ 2 1 7 7 ſtimmen konnte, warum beſtimmte fie lich daber

ſich den juſt ſo? Soll ich ſagen: Weil ite . fie ſich ſo beſtimmt? Das beantwortet die Fra— ge nicht. Oder: Sie beſtimmt ſich ſo, weil ſie ſo wollte? Das moͤchte ſich noch eher hoͤren laſſen. Denn ich begreife, daß das frey ſeyn heiß» ſe, wenn man thun kann, was man will. Aber wollen? Iſt das nicht ſelbſt eine Sache, die ei— nen Grund erfordert, warum ſie ſo iſt? Ich ſehe, daß ich noch einen unvollſtaͤndig entwickelten Be— grif von der denkenden Subſtanz habe, wofern ich nicht die Natur des Wollens beſſer unterſuche. Was iſt denn der Wille, der die ſelbſtthaͤtig den⸗ kende Subſtanz beſtimmen, und ihre Freyheit gruͤn⸗ den ſoll? Iſt er etwas, das nur bey einer denken⸗ den Subſtanz anzutreffen iſt? Dies glaube ich be⸗ jahen zu muͤſſen. Der Wille erfordert Vorſtellun⸗ gen: Denn man ſtellt ſich ja was vor, das man will, oder nicht will. Iſt denn aber der Wille eine beſondere Kraft und die Vorſtellungs Kraft eine beſondere? Ich mache wohl zween Begriffe und zwey Worte davon. Aber ich finde bey genauer Unterſuchung, daß ein jedes Wollen, es ſey eine Des gierde oder eine Verabſcheuung, in ſich ſelbſt von der Vorſtellung unzertrennlich, und daß beyde zu⸗

fams

110 Zweyte Abtheilung.

ſammen eine Beſtimmung der denkenden Subſtanz ausmachen, beyde alſo eine Veraͤnderung der nem⸗ lichen Grund⸗Kraft; mit einem Wort, daß wol⸗ len, begehren, verabſcheuen, Gedanken ſeyen, aber doch Gedanken von beſonderer Art, etwas mehr als bloſe Gedanken. Und wo iſt das Un⸗ terſchiedene davon zu ſuchen? In dem Bewuſt⸗ ſeyn, in der Art der Empfindung ſelbſt. Wenn bey der Vorſtellung eine Bemuͤhung iſt, die Em⸗ pfindung dieſer Vorſtellung zu ſchwaͤchen oder ſtaͤrker zu machen: ſo aͤuſſert ſich in dem denken⸗ den Weſen jetzo der Wille, nemlich im erſten Fall zur Verabſcheuung, in dem andern zur Be⸗ gierde.

Aber wahrhaftig, dieſes if faſt zu ſubtil. Iſt es nicht na⸗ tuͤrlicher, den Willen und die Vorſtellungskraft als zwo befondere Grundkräfte anzuſeben; da die Ver: aͤnderungen, die ſich auf den Willen, und diejenigen, die ſich auf die Vorſtellungskraft beziehen, doch fo was verſchledenes haben? Wie ein jeder will. Es wird ein kleiner Unterſchied in dem Syſtem daraus entſte⸗ hen, die praktiſchen Wahrheiten werden die nemlichen, und die Begriffe denkende Subſtanz Grundkraft ꝛc. immer ſchwache refleetirte Bilder von Empfindungen

bleiben. So viel zum Frieden, und aus guter Mey⸗ nung, gleich werde ich im Text fortfahren.

§. 26.

Die tut Ich glaube nun auf die ollgerneinfe

ird wel Bi 1 Beſchaffenheit derjenigen ie

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 111

in den denkenden Subſtanzen gekommen zu ſeyn,

die man das Wollen nennt, und weßwegen man

ihnen ein beſonderes Vermoͤgen zuſchreibt, welches man den Willen nennt. Um dieſes genauer zu be⸗ ſtimmen: wollen wir noch einige Saͤtze abſondern.

1) Der Wille erfordert uͤberhaupt nur Vorſtellungen, alſo entweder eine ſelbſtthaͤ⸗ tig denkende Kraft, oder nur Faͤhigkeit zum Denken. ;

2) Das unterſcheidende des Willens, das Beſtreben die Empfindung einer Vorſtellung entweder ſtaͤrker oder ſchwaͤcher zu machen, zu erhalten oder zu vernichten, iſt zwar eine Aeuſ⸗ ſerung der eigenen Kraft der Subſtanz; aber wenn ſich dieſe Kraft, um einer fremden Urſache willen, fo äußern mußte, und nicht anders aͤuſ⸗ ſern konnte: ſo waͤre der Wille ſelbſt noth⸗ wendig und leidend.

3) Wenn alſo bey der Vorſtellung in der Subſtanz nothwendig dies Beſtreben ſeyn muͤß⸗ te; und die Vorſtellung ruͤhrte gaͤnzlich und un⸗ abaͤnderlich von einer aͤuſſerlichen Urſache her: fo wäre das Wollen dieſer Subſtanz ſelbſt noth⸗ wendig, und ſie haͤtte die Freyheit nicht, die wir (§. 25.) erklaͤrt haben.

J) Wenn aber die Kraft der denkenden Sub⸗ ſtanz ſich bey der nemlichen Vorſtellung, ſo und an⸗

112 Zweyte Abtheilung.

anders beſtimmen koͤnnte, wenn ihr Beſtreben, das ſich bey der Empfindung einer Vorſtellung aͤuſſert, von keiner fremden Urſach nothwendig herruͤhrte: ſo wuͤrde die Subſtanz Freyheit in ihrem Wollen haben; wenn man gleich ſagen muͤßte, daß ihr Verhalten jederzeit ihrem gegenwartigen Zuſtand gemäß wäre.

5) Diejenigen Vorſtellungen, deren Empfin⸗ dung eine Subſtanz zu ſchwaͤchen ſich beſtrebt, find ihr unangenehm, zuwider ꝛc. die, fo fie zu verſtaͤrken oder zu erhalten ſucht, ſind ihr angenehm.

6) Der Zuſtand angenehmer Vorſtellungen oder Empfindungen macht alſo wohl die Gluͤck⸗ ſeligkeit einer denkenden Subſtanz aus. Denn die Gluͤckſeligkeit iſt ein angenehmer Zus ſtand, und Vorſtellungen machen den Zuſtand des denkenden Weſens aus.

7) Was den Zuſtand eines Dings vollkom⸗ men macht oder ſo erhaͤlt, das iſt in Anſehung dieſes Dings gut. Alſo was den gluͤckſeligen Zuſtand einer denkenden Subſtanz, was ihre angenehme Empfindungen hervorbringt, erhaͤlt, oder vollkommener macht: iſt ihr gut.

8) Es muß aber, wie leicht einzuſehen, auf den ganzen Zuſtand, nach ſeinem ganzen Um⸗ fang und nach ſeiner ganzen Dauer, geſehen

werden,

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 113

werden „wenn die Guͤte gewiſſer Dinge in An⸗

ſehung einer denkenden Subſtanz ſoll beurtheilt

N werden.

9) Eine Subſtanz, die bey ihren Vorſtel⸗ lungen Freyheit hat, kann ihre Gluͤckſeligkeit bes ſtimmen.

10) Die Begierden einer Subſtanz ſind entweder von der urſpruͤnglichen Beſtimmung ihres Weſens unzertrennlich oder ſie ſind durch zufällige Veranlaſſungen aus jenen abgeleitet worden. Jenes ſind weſentliche Begierden, Grundbegierden, und die Beſtimmungen eis ner Subſtanz zu dieſen Begierden find Grund: triebe. Die andern find abgeleitete Be— gierden, und die Triebe dazu abgeleitete Triebe.

11) Die Grundtriebe geben alſo den letzten Bewegungsgrund zu einem jeden Wollen her.

Aber ein freyer Wille kann dadurch nicht noth⸗ wendig zu einem jeden Wollen beſtimmt wer⸗ den.

12) Ein folder freyer Wille bleibt dann frey⸗ lich uns, die wir an die mechaniſchen Wir: kungen durch unſere nach den aͤuſſern Sin⸗ nen gebildete Erkenntniß gewohnt find, etwas ſonderbares. Aber man wird doch nie was unmoͤgliches oder widerſprechendes darin⸗

b nen

114 Zweyte Abtheilung.

nen zeigen koͤnnen. Ja ſelbſt deßwegen muß man einen annehmen, weil man ſonſt nie auf den letzten Grund kommen wuͤrde. Und mir wird Baylens Einwurf wenigſtens kein Mis- trauen gegen das innere Gefühl meiner Frey» heit im Wollen erwecken, wenn ich gleich nicht alles dabey verſtehe. Verſtehe ich doch meh⸗ rere Eigenſchaften meiner Seele nicht, deren Wirklichkeit ich dennoch gewiß weis.

Man kann wohl durch Abaͤnderung des Begrifs von der Freyheit, wenn man darunter nur die innerliche Urſache der DeränderlichFeit unſers Wollens durch moraliſche mittel verſteht, den Schwierigkeiten eine Zeitlang ausweichen, aber ob man nachdenken⸗ de Leſer auf dieſe Art beruhige, zweifle ich ſehr. Ich finde wenigſtens bey den entſcheidenden Bewegungs⸗ gründen des Herrn Prof. Baſedow, deſſen Den⸗ kungsart ich ſonſt in vielen Stuͤcken aͤhnlich mit der meinigen gefunden habe, das Licht und die Beru⸗ higung, die er ſeinen Leſern verſpricht, weit weniger, als ich wuͤnſchte. Ich kann bey dieſem Syſtem die Tu⸗ gend fuͤr nichts anders als fuͤr Gluͤck, und das Laſter mit ſeinen Strafen fuͤr Ungluͤck anſehen. Und wenn ſich gleich die Gerechtigkeit GOttes im Ganzen dabey recht⸗ fertigen lieſſe: ſo bliebe doch fuͤr den unglücklichen Laſterhaften zu viel Entſchuldigung und Recht zu kla⸗ gen. Herr Baſedow fahe diefes ohne Zweiſel ſelbſt ein. Denn er ſuchte durch Annehmung anderer Satze dieſen Einwurf zu begegnen. Aber welche Saͤtze, und wohin fuͤhren ſie? Es ſey ferne von mir, dem Haufen derjenigen mich beyzugeſellen, die durch Folgerungen einen Mann verhaßt zu machen bemüht find, deſſen

Heri

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. zı5

Herz und Einſichten Hochachtung, und deſſen Philoſo⸗

phie wenigſtens beſcheidene Pruͤfung verdienet. Mei⸗ ne Abſicht iſt nur zu zeigen, daß das Syſtem dieſes Lehr rers, meines Erachtens, die Spitzfindigkeiten in der Leh⸗ re von der Freyheit nicht aufoͤſet, vielmehr zu neuen Zweifeln Anlaß geben kann. Der Menſch ſoll hier fei- nem Gefühl trauen, wie er es in mehrern Stuͤcken thun muß, ohne ſich zu verſtehen. Dabey allein finde ich Beruhigung, und von den Sophiſten fordere ich Beweiſe. Noch haben ſie mir damit nicht bange gemacht.

% 27. | i N je Das Sub⸗ Nach dieſen Betrachtungen über die dd denkende Subſtanz, koͤnnen wir nun fra⸗ kenden Kraft

gen: ob es eine einfache Subſtanz ſeyn eg muͤſſe; oder ob eine zuſammengeſetzte Ram. Subſtanz, ein materielles Weſen, das Subject eis ner denkenden Kraft ſeyn koͤnne? Und ich leugne das letztere und bejahe das erſtere zuverſichtlich, fo vieles auch ſonſt in Anſehung dieſer Subſtanzen dun⸗ kel und ungewiß iſt. Denn eine zuſammengeſetz⸗ te Subſtanz, eine Materie, beſteht aus mehreren Subſtanzen. Wenn alſo eine zuſammengeſetzte Subſtanz daͤchte: ſo daͤchten mehrere Subſtanzen. Wenn gedacht wird: ſo muß der Gedanke da vor— handen ſeyn, wo gedacht wird. Wenn alſo meh⸗ rere Subſtanzen einen Gedanken denken: ſo muß der Gedanke in den mehrern vorhanden ſeyn. Als ſo entweder in allen ganz, oder in keiner ganz, oder H 2 nur

116 Zweyte Abtheilung.

nur in einer ganz. Im erſten Fall iſt der Gedan⸗ ke mehrmalen vorhanden, und dies wird in der Streitfrage ſelbſt nicht angenommen. Im andern Fall waͤre er nirgends. Denn wo waͤre er, wenn keine Subſtanz ihn hat? Es iſt alſo nur das letz⸗ tere moͤglich. Man bedenke nur ſelbſt, weun man nach dem Gefuͤhl irgend einen Begrif vom Gedan⸗ ken hat, ob er was ausgebreitetes ſey, und nicht vielmehr in einem Punct, und ob nicht ein jedes materielles, ein jedes ausgedehntes Ding aus Theis len neben und auſſer einander, folglich aus mehre⸗ ren Dingen beſtehe?

1. Einfach ja einfach, untheilbar; aber iſt dieſes ein⸗ fache und untheilbare, was mathematiſch ausge⸗ dehntes oder eine Leibnitziſche RNonade? Ich habe ſchon geſagt, daß ich mir kein ausgedehntes Ding, oh⸗ ne zuſammenſetzende reelle Theile, denken kann. Ein anderer kann ſich kein Etwas, keine Subſtanz ohne Groͤſſe, Ausdehnung, Seiten, Figur, Raum se. denken. Alſo ſind wir wenigſtens darinnen einig, daß wir nicht fortkommen koͤnnen, wenn wir uns den Begrif vom Weſen einer einfachen Subſtanz bilden wollen; und was liegt denn nun daran, anf welche Art wir unſere Unwiſſenheit ausdrucken?

Will man ſich die Einfachheit der Seele zu erweiſen, auf das Selbſtaefuͤhl, auf die Empfindung feines einzigen Ichs 1 ſo verwerfe ich dieſe Beweisart auch nicht. Sie hat fuͤr manche vielleicht die meiſte Ueber⸗ a zumal ſo wie ſie von einigen ausgefuͤhrt wor⸗ en.

1

5, Ueberhaupt aber aͤuſſert ſich hier die größte Schwierig⸗ keit, weil as Sprache zu fehr nach den Bildern und dem

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 117

dem Schein der aͤuſſerlichen Empfindungen eingerichtet iſt, als daß man durch Huͤlfe derſelben das innere Ge⸗ fuͤhl ſo beſtimmt ausdruͤcken koͤnnte, daß ſich nicht in die Vorſtellungen leicht Nebenbeſtimmungen einſchli⸗ chen. So bald man ſich aber auch nur uͤber dieſe Un⸗ wiſſenheit vereinigt hat, und kein Theil mehr zuviel wiſſen will: ſo wird man dadurch bey den praktiſchen

Wahrheiten nicht aufgehalten werden.

§. 28.

Nur noch einen Schritt: ſo ſind le

wir da, wo wir vielleicht unfere Betrach⸗ tung über a den Mens

tung haͤtten anfangen follen, bey uns ſchen. ſelbſt. Denn was iſt ein Menſch anders, als eine denkende Subſtanz in einem oͤrganiſchen Koͤrper? Iſt das eine Erklaͤrung? Nein; es ſoll keine ſeyn; eine Erklaͤrung iſt ſo geſchwind nicht gemacht; und zumal, wenn ſich der Menſch ſelbſt erklaͤren ſoll. Von mir darf man dieſe Erklaͤrung nicht erwarten. Wo ein jeder gleiches Recht zum Ausſpruch hat, da iſt nicht gut entſcheiden. Und ich begreife allzu wohl, daß metaphyſiſche Betrachtungen hier nicht zureichen, und daß man den Menſchen in der Ge: ſchichte ſtudieren müffe, und da wo ihn Demokrit, Hippokrates, Galen und Cartes ꝛc. ſtudiert haben. Die andern Pſychologiſchen Beobachtun⸗ gen und Lehrſaͤtze find zwar nuͤtzlich, aber theils be, kannt genug, theils zu vielen Schwierigkeiten un. terworfen, als daß man mir nicht verzeihen ſollte, N H 3 wenn

118 Fweyte Abtheilung.

wenn ich mich hier nicht darauf einlaſſe; zumal da ich einiges davon in der Logik angebracht, und eini— ges in der praktiſchen Philoſophie anbringen wer— de. Und was ich von der denkenden Subſtanz überhaupt geſagt, kann leicht auf die pfychologi⸗ ſchen Streitfragen angewendet werden.

Die Lehre von dem Menſchen Anthropologie machet bey einigen einen beſondern Theil der Weltweisheit aus.

§. 209.

ne Es entſteht ein neues Hauptftüc in Ae der der Metaphyſik, wenn man alle Dinge mit einander als ein Ganzes betrachtet,

auf ihre Verbindungen unter einander ſieht, und was ſich ſonſt von dieſem Ganzen ſagen laſſe, unterſucht. Dies Ganze nennt man die Welt. Man redet aber nicht nur von einer Welt, ſondern von meh⸗ rern. Es iſt alſo dieſes ein allgemeiner und abge» zogener Begrif. Wir wollen ſehen, was man in dieſem Begrif annimmt, was man daraus folgert, und alsdenn mag man urtheilen: wie ſich dieſes anwenden laſſe. Man nimmt an Y daß eine Welt ein Ganzes ſey; 2) Daß alle ſeine Theile in einer ge. wiſſen Verbindung miteinander ſtehen; denn ſonſt wären ſie nicht Theile eines Ganzen. 3) Daß es ſelbſt zu keinem andern Ganzen gehoͤre; denn ſonſt machten die zwey miteinander eine Welt aus, 4) daß

Grundriß der vornehmſten Theile 2c. 119

4) daß keine unendliche Subſtanz darunter. Denn es ſchickte ſich nicht dieſe als einen az eines Gan⸗ zen anzuſehen.

§. 30.

In dieſem Begrif iſt nichts unge: er reimtes. Aber es ift nicht alles genug Dinge im

; 2 Zuſammen⸗ beſtimmt. Dinge koͤnnen gar auf man- Hang ſeyn cherley Weiſe miteinander verbunden 8 ſeyn. Denn man ſagt uͤberhaupt, daß Dinge ver⸗ bunden ſind, daß ſie zuſammenhangen, wenn man von dem einem auf das andere kommen kann. Alſo 1) wenn Dinge zufällig neben einander exi⸗ ſtirten, daß alſo eines den aͤuſſerlichen Zuſtand, des andern beſtimmte, ohne daß noch ausgemacht wäre, daß eben dadurch der innerliche Zuſtand deſ— ſelben beſtimmt wuͤrde. 2) Wenn mehrere Dinge von einem gemeinſchaftlichen Urſprung abſtammen, ohne ſich untereinander zu beſtimmen. 3) Wenn ihre Wirkungen zuſammenlaufen, in einem dritten Ding auſſer ihnen. 4) Wenn eines eine Abſicht oder ein Mittel, oder nur irgend ein noͤthiger Um⸗ ſtand bey der Exiſtenz und den innerlichen Beſtim⸗ mungen des andern. 5) Wenn eines eine wirken⸗ de Urſach bey der Exiſtenz des andern iſt. End. lich 6) koͤnnen Dinge unmitttlbar oder mittelbar,

nah oder entfernt, im Zuſammenhang feyn,

8 4 9.35.

120 öweyte Abtheilung.

$. 31. Was muß Sor 1 1 | für ein Zu⸗ So viele, und vielleicht noch mehrere,

ammenhang Arten des Zuſammenhangs kann es ge er den > 9 3 8

Dingen ei⸗ ben. Es entſteht alſo die Frage, was re für ein Zuſammenhang unter den Din- gen erfordert werde, wenn fie eine Welt miteinan« der ausmachen ſollen? Denn es hieſſe nicht recht philoſophirt, wenn man im allgemeinen Begrif eine Art des Zuſammenhangs erforderte, daraus Folgen zoͤge; und in der Anwendung auf einen be— ſondern Fall eine andere Art bewieſe: es muͤßte denn ausgemacht ſeyn, daß dieſe Art der Verbindung jeder⸗ zeit, oder doch wenigſtens hier, die andere mit ſich braͤchte. Es erhellet aber nicht nur aus dem Des grif eines einzigen Dings, ſonderen insbeſondere aus einigen Lehrſaͤtzen der Kosmologie, daß man bey einer Welt alles miteinander in einer ſolchen Ver⸗

bindung ſich gedenke, vermöge deren nichts wegſeyn

koͤnnte, ohne daß das übrige Ganze gewiſſermaſſen innerlich veraͤndert wuͤrde. Und ſolch ein Zuſam⸗ menhang iſt vorhanden: 1) Wenn in dem Ganzen immer eines durch das andere innerliche, wie wohl nicht weſentliche, Beſtimmungen erhaͤlt. 2) Wenn ohne das eine die Abſicht wegfiel, warum das an⸗ dere iſt. 3) Wenn, ehe das eine, das andere ſeine Exiſtenz gar nicht haben koͤnnte. Durch eine oder die andere Art eines ſolchen Zuſammenhangs muͤſ⸗

ſen

Grundriß der vornehmſten Theile ac. 121

ſen alle Dinge miteinander verbunden ſeyn, wenn fie zuſammen eine Welt ausmachen ſollen.

5.

Dies gilt alſo auch von allen wirk— Wel eit lich zugleich, miteinander oder auf ein- ken konne. ander, exiſtirenden Dingen, wenn ſie zuſammen ei⸗ ne einzige Welt ausmachen ſollen. Aber wie laͤßt ſich dieſer Zuſammenhang unter ihnen erweiſen?

1) In Anſehung unzähliger Dinge iſt ver möge der Erfahrung die größte Wahrſchein⸗ lichkeit einer ſolchen Verbindung offenbar. Der

Menſch hat den Gedanken von dem ganzen Fir⸗

mament. Die Sonne wirkt in die Erde u. ſ. f. 2) In Anſehung der andern laͤßt ſich ein fol: cher Zuſammenhang vermuthen, oder die Moͤg⸗ lichkeit deſſelben doch begreifen; zumal wenn man bedenkt, daß ein ſehr entfernter und gerin⸗ ger Zuſammenhang doch ein Zuſammenhang ſey.

3) Durch nichts geſchieht nichts. Da in der Welt nichts als Veraͤnderung iſt: ſo muͤſſen ent⸗ weder alle Veraͤnderungen der Dinge bloß aus innerlichen oder aus verborgenen Urſachen her⸗ rüßren, welches höͤchſt unwahrſcheinlich iſt, oder die Dinge haͤngen miteinander durch Wirkungen zuſammen. | ©

H 5 4) Eben

122 Sweyte Abtheilung.

4) Eben das folgt auch aus der Kraft der Subſtanzen, die wenigſtens in gewiſſen Fällen thaͤtig ſeyn muͤſſen, in vielen andern es ſeyn koͤn⸗ nen. |

5) Ohne noch einen Schöpfer, Erhalter und HErrn der Welt voraus zu ſetzen: treffen wir doch bey unzaͤhligen Dingen ſolche Eigenſchaften an, die hoͤchſtwahrſcheinlich machen, daß ein Ding um des andern willen da iſt.

6) Je weiter man nachforſcht, deſto mehr entdeckt ſich dieſer Zuſammenhang.

Mehr weiß ich hier nicht aufzubringen, um den kos⸗ mologiſchen Zuſammenhang der Dinge, uͤber die ſich unſere Erkenntniß erſtreckt, zu beweiſen. Aber ich ſehe ſelbſt, daß daraus noch nicht folgt, daß nur ei— ne Welt exiſtiren koͤnne. Denn einmal koͤnnten leicht zwo Welten möglich ſeyn, wenn zwey We— fen die Welten ſchaffen koͤnnen, neben einander eri« ſtirten; welches ich hier noch nicht zu leugnen bes rechtiget bin. Ja wenn auch nur ein ſolches We⸗ ſen moͤglich iſt: ſo ſcheint es doch noch nicht wider⸗ ſprechend, daß von dieſem Weſen zwo Welten ber. ruͤhrten, die weiter untereinander in keiner Verbin⸗ dung ſtuͤnden. | §. 33. fm Durch die bisher erklaͤrte nörhige Ver⸗ Zufall, bindung in einer Welt wird die Freyheit der

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 123

der denkenden Subſtanzen, wenn ſie ſonſt in ihnen vorhanden, nicht aufgehoben. Wenn eine ſolche Verbindung der Dinge in einer Welt will behaup« tet werden, dergleichen beym Schickſal angenom⸗ men wird, dadurch alle und jede Veraͤnderungen der Subſtanzen nothwendig und unabaͤnderlich vorher beſtimmt waͤren: ſo muß man dieſe beweiſen. Und in Anſehung unſerer Welt iſt dieſes noch nicht alſo bewieſen worden, daß wir die innerliche Empfin⸗ dung unſerer Freyheit deßwegen fuͤr einen Betrug halten ſollten. Aber daß nichts von ohngefaͤhr, nichts umſonſt, nichts ohne wirkende Urſache, durch einen bloſſen Zufall geſchehe, folgt aus denjenigen Saͤtzen, die den Zuſammenhang in einer Welt gruͤnden, und die zum Theil offenbar ſind, und gel⸗ ten muͤſſen.

§. 34.

Nichts geſchieht ohne wirkende Ur⸗ Tem un

ſache. Dies iſt einmal ausgemacht.

Und daher wundern wir uns eben, und unſere Era

kenntniß ſteht ſtille, wenn etwas in der Welt ges

ſchieht, davon wir keine wirkende Urſache finden

koͤnnen, gar nicht vermuthen koͤnnen; ja welches

ganz anders hätte erfolgen follen, nach den Anſtal⸗

ten, nach den wirkenden Urſachen, die vorhanden

waren. Es kann ſeyn, daß in den Kraͤften dieſer Welt,

124 Sweyte Abtheilung. Welt, und in ihrer Verbindung die uns unbekann⸗

te Urſache dieſer auſſerordentlichen und wunder⸗

baren Erſcheinung enthalten iſt. Aber es iſt auch moͤglich, daß eine Subſtanz, die nicht unter denje⸗ nigen mit iſt, die zu dieſer Welt gehören, die Urſa— che davon iſt. Eine ſolche Begebenheit nennte man alsdann ein Wunder, in der philoſophiſchen Bedeutung dieſes Worts. Es iſt deſto wahrfchein« licher, daß etwas ein Wunder; je mehr die ent⸗ gegengeſetzte Wirkung in allem dem, was bey der Entſtehug derſelben vorhanden war, nach dem ordentlichen Lauf der Dinge in der Welt, gegruͤndet zu ſeyn ſchiene. Aber es iſt auch moͤglich, daß et⸗ was ein Wunder waͤre, ohne es zu ſcheinen. Dies nennen aber einige Philoſophen kein Wunder mehr.

N . Von der 8 Vollkommen Von der Vollkommenheit einer Welt We. kann auf zweyerley Art geurtheilt wer⸗

den. Einmal indem man auf die Rea⸗ litaͤten, Kräfte, und was ſonſt gut und vollkommen

genennt wird, an und fuͤr ſich ſieht; und dann auch,

wenn man darauf ſieht, wie alles uͤbereinſtimmt, um die Abſicht, weßwegen die Welt exiſtirt, zu bes fördern. Im erſten Fall müßte man alle Reali⸗ täten und Kräfte und ihre Beziehung auf einander kennen; im zweyten Fall muͤßte man die Abſicht

ſelbſt

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 1 25

ſelbſt wiſſen, und denn wie alles mittelbar oder un— mittelbar die Abſicht befoͤrderte, oder nicht; man müßte wiſſen, wie alles zuſammenhienge, um dar⸗ aus zu begreifen, warum manches nicht weg iſt, das der Abſicht, das der Vollkommenheit des Gan⸗ zen, nachtheilig ſcheint. Wollte man eine Welt mit einer andern vergleichen: fo müßte man von bey: den eine ſo vollſtaͤndige Erkenntniß haben. Wenn eine Welt die beſte ſeyn ſollte: ſo muͤßte unter allen moͤglichen Verbindungen der Dinge, unter allen moͤglichen Welten, keine entweder an und fuͤr ſich, oder in Anſehung der Abſicht ſo vollkommen, we⸗ nigſtens nicht vollkommener ſeyn, als dieſe.

§. 36. ;

1 1 i Von Gott Endlich kommen wir auf die erha. Allgemeiner benften Betrachtungen in der Metaphy. Begrff die⸗ ſer Benen⸗

ſik, auf den edelſten Gedanken der nung.

menſchlichen Seele, auf die Lehre, welche vereh⸗ rungswuͤrdig ſeyn wuͤrde, wenn ſie auch zweifelhaft wäre; denn von ihr hänge unſere Gluͤckſeligkeit ab. Es iſt die Lehre von GOtt. Fuͤhlen heißt hier er⸗ kennen, Bewunderung iſt Weisheit. Doch wir wollen ſehen, was beym ruhigen Nachdenken der Vernunft als Wahrheit erſcheinet. Ich will nicht unterſuchen, wie in der menſchlichen Erkenntniß der Begrif von Gott entſtanden, ob er eine Frucht der

2 | hoͤhern

126 Zweyte Abtheilung.

hoͤhern Offenbarung, oder des Nachdenkens; ich will unentſchieden laſſen, ob es Menſchen giebt, die ſo wenig Menſchen ſind, daß ſie in ihrer Erkenntniß nicht bis zu dieſem edlen Begrif aufſteigen. Ich will nur unterſuchen, was dieſer Begrif bey einem jeden, der ihn hat, ausdrucke; und was, ohne vieles Nachdenken, und ohne ſtreitige Saͤtze zu Huͤlfe zu ruffen, daraus folge. Ein vollkommeneres Weſen, als wir und alle andere Subſtanzen, die wir fens nen, ein Weſen, von welchem dieſe Welt wenigſtens in ihrer Einrichtung und in ihren Veranderungen dependirt, dies iſt es, wie ich glaube, was der Nas me Gottes bey allen, die ohne Offenbarung den» ken, unmittelbar ausdruͤckt; und ohne welche Stuͤ⸗ cke zuſammen er ſogleich ſeine Bedeutung verliehrt.

§. 37. Was für Ei- Wir wollen ſehen, was aus dieſem

genſchaften air, 1 55 allgemeinen Begrif von Gdtt weiter

gleich en folgt;

1) Vermoͤge dieſes Begrifs muß Gott eine von den uͤbrigen Subſtanzen, die von ihm depen⸗ diren, unterſchiedene Subſtanz ſeyn. Die dieſen Unterſchied aufgehoben haben, find jeder zeit, und mit Recht, für Gottesleugner gehalten

worden. 2) Er

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 127

2) Er muß vollkommener ſeyn, als eine jede andere Subſtanz in der Welt, mehr Kraft haben als ſie olle, weil ſie alle von ihm depen⸗ diren. |

3) Er muß felbft von keiner andern Sub⸗ ſtanz dependiren. Dieſe waͤre ſonſt erſt Gott.

4) Er hat alſo auch ſeine Exiſtenz und alle ſeine Eigenſchaften von keinem andern, und hat nie angefangen zu exiſtiren, iſt ewig und eine nothwendige Subſtanz.

5) Gott iſt in Anſehung unſerer, und alles deſſen, was mit uns in Verbindung ſtehet, das Hoͤchſte.

6) Er iſt weit vollkommener, als wir begreifs fen koͤnnen, und alſo für unſern Verſtand un: endlich.

§. 38.

Dies liegt alles offenbar in dem ee Grundbegrif von GOtt, da er das Osttes. Weſen, von welchem die Welt dependirt; und iſt alſo erwieſen, ſo bald man beweiſet, daß die Welt wirklich von einem Weſen auſſer ihr abhange. Dies wollen wir jetzo auch ſogleich darthun, ehe wir uns noch auf diejenigen Eigenſchaften Gottes einlaſſen, die nur einigermaſſen ſchwehr zu beweiſen find. Iſt dieſe

128 Sweyte Abtheilung. 1

dieſe Einrichtung der Dinge, die unſere Sinne em: pfinden, und bey denen unſere Vernunft voll Berz wunderung erſtaunet, ihre Verbindung und Folge, von ohngefaͤhr? Es iſt wider alle Vernunft, wider alle Analogie unſerer Erkenntniß, dieſes zu behaup— ten. Ein gauckelnd Ohngefaͤhr laͤßt keine Ordnung zu. Haben die Dinge untereinander ſich alſo eingerichtet? Dies iſt eben ſo unmoͤglich, und giebt gar keinen Gedanken. Iſt alles ſo, weil es immer ſo war, und iſt von allen dieſen Dingen von allen dieſen Veränderungen, von aller der Ord⸗ nung eine innerliche Nothwendigkeit der Grund? Dieſe innerliche Nothwendigkeit iſt hier, wenn man es unterſucht, ein Wort ohne Bedeutung, und der ganze Gedanke eine Ausflucht der Verzweiflung. Der Menfch findet bey ſich, und bey allen Dingen, mit denen er in Verbindung ſteht, Veranderungen, gewaltige Veraͤnderungen. Zwar findet er auch öfters die wirkenden Urſachen bey dieſen Veraͤnde⸗ rungen; aber theils liegt nicht immer in ihnen der ganze Grund der Wirkung, theils ſind ſie ſelbſten abhaͤngige Dinge, die wirkende Urſachen erfordern. Der Grundſatz, der zu dem Denken des Menſchen nothwendig gehoͤrt, und fuͤr welchen die ganze menſch⸗ liche Erkenntniß Zeugniſſe ablegt, der Satz, durch nichts wird nichts, noͤthigt alſo die menſchliche Vernunft nach einer Urſache zu fragen, von welcher alle

*

Grundriß der vornehmſten Theile 2c. 129 alle Einrichtungen und Veraͤnderungen in der Welt ruͤnglich herruͤhren; und fie wird nicht eher bee 55 bis fie bekennet: Es iſt ein GOtt. Die. ſes leugnen heißt der Vernunft Abſchied geben. Die Thoren leugnen es nur in ihren Herzen, wenn die Laſter die Verzweiflung erzeugt haben. Ein Blick auf die ſchoͤne Natur widerlegt fie,

§. 39. Ich habe mit Fleiß die Abhandlung G e von GOtt mit demjenigen Begrif an⸗ gefangen, welcher mir das gemeinſchaftliche der be ſondern Begriffe, welche ſich die Menſchen von Gott machen, zu enthalten ſchien. Ich habe die Erxiſtenz GSttes nach dieſem Begrif leicht beweiſen koͤnnen; und ohne Zweifel beſtimmt dieſer Begrif das Verhalten des Menſchen ſchon genug, wenn er im Nachdenken nicht weiter geht. Aber es iſt fren; lich in demfelben noch vieles unbeſtimmt. Und da⸗ her entſtunden die vielen Meynungen und Irrthuͤ⸗ mer, denen die heilige Schrift widerſpricht. Wie haben nur die Nothwendigkeit der göttlichen Exi⸗ ſtenz zur Einrichtung dieſer Welt dargethan. Hat er die Materie dazu vor ſich gefunden, und hat 5 gleich ewig mit ihm exiſtirt, gleich nothwendig? Oder hat dieſe ſelbſt ihr Daſeyn von ihm? Dis iſt unter den Philoſophen des Alterthums flreitig ges 5 wertet;

130 | zweyte Abtheilung.

weſen. Aber ich weis nicht, welchen Widerſtand ich gegen dieſe Meynung empfinde, wenn ich auch meiner ganz freygelaſſenen Vernunft die Entſchei⸗ dung auftrage? Die bloſſe Materie iſt viel zu un⸗ vollkommen, um das Vorrecht einer nothwendigen Exiſtenz zu haben; und der Begrif eines Weſens, von dem die Materie in der wunderbaren Einrich⸗ tung abhaͤngt, ſchon viel zu erhaben, um ihn nicht fuͤr ihren Schoͤpfer zu halten. Meine denkende Kraft ſelbſt, die ihren Vorzug vor den koͤrperlichen Dingen empfindet, widerſetzt ſich doch dieſem Stolz, als einer Thorheit. Der Grundſatz, worauf einige die Ewigkeit der Materie gebaut, der Satz, daß aus nichts nicht etwas werden koͤnne, iſt unrichtig. Ich muß alſo ſagen, daß die gegenſeitige Meynung, daß Gott die Welt aus nichts erſchaffen, annehmens⸗ wuͤrdiger. Aber noch immer konnte der heilige Ver⸗ faſſer des Briefs an die Hebraͤer ſagen: Durch den Glauben merken wir, daß die Welt durch GOttes Wort fertig iſt, daß alles, was man ſiehet, aus nichts worden iſt.

§. 40.

Sd Allerdings wird der Begrif von GOtt

zemmen in weit gröſſer, und fein Weſen weit unbe⸗ giſchen Ver: greiflicher, wenn er als die wirkende Urs band ſache nicht nur von der Einrichtung, ſon⸗

dern

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 131

dern auch von dem Seyn aller Dinge gedacht wird. Jenes erfordert ſchon mehr Kraft, als wir begreifen koͤnnen, aber dieſes erfordert doch noch mehr. Aber noch immer bleibt die Frage uͤbrig, ob GdOtt das unendliche Weſen, deſſen Begrif wir in der Ontologie durch willkuͤhrliche Beſtimmungen herausgebracht, und eroͤrtert haben? Zwar haben wir ſchon bewieſen, daß GOtt eine nothwendige Subſtanz, und die unendliche Subſtanz iſt auch nothwendig. Aber woferne nicht gezeigt wird, daß die unendliche Subſtanz nur allein nothwendig iſt: fo kann man nicht ſicher aus dem Praͤdicat unend⸗ lich ſchlieſſen; fo wenig man aus dem Praͤdicat ein: fach auf das Praͤdicat denkende Subſtanz ſchlieſ⸗ ſen kann, wenn gleich vorausgeſetzt waͤre, daß dieſe einfach ſeyn muͤſſe. Aber gleichwie in dieſem Fall einige Philoſophen alſo ſcheinen gefchloffen zu has ben: fo lieſſe fich leicht zeigen, daß es den Beweis fen von der Unendlichkeit GOttes in vielen Lehrbuͤ— chern eben hieran fehle. Unterdeſſen wird ein jes der eingeſtehen, daß wenn die Exiſtens eines unend» lichen Weſens, wie man ſpricht, a priori, das iſt aus ſeinem Begrif, richtig erwieſen werden koͤnnte, nichts natuͤrlichers waͤre, als dieſes unendliche We⸗ ſen fuͤr unſern GOtt zu erkennen. So iſt auch dies richtig, daß bey einem endlich» und eingeſchrenkt⸗ vollkommenen Weſen unſere Vernunft noch nicht

J 2 ſtehen

13% Zwepte Abtheilung.

ſtehen bleiben will. Sie kann nicht begreifen, war⸗ um es eingeſchrenket und in irgend einer Betrach⸗ tung unvollkommen ſeyn ſolle, da nichts über daffel- be iſt. Sie kann nicht begreifen, warum es neth⸗ wendig waͤre; welches ſie hingegen bey dem unend⸗ lichen begreifen kann. Ob ich alſo gleich den phi⸗ loſophiſchen Beweiſen fuͤr die ontologiſche Unendlichkeit GOttes keinesweges die Kraft der Ueber zeugung abſpreche; ob fie gleich ſolche bey mir ſelbſten nicht gänzlich verlohren haben; fo will ich dem ohngeachtet mich hier nicht auf ſelbige gruͤn⸗ den, ſondern fortfahren aus der Betrachtung der Welt auf die goͤttlichen Eigenſchaften zu ſchlieſſen⸗

§. 41. \

Die Welt $ Daß in der Welt mehr Gutes und Vellkom⸗ Vollkommenheit, als wir nur begreifen a koͤnnen; dies kann man mit Gewiß⸗ heit ſagen. Alſo kann man mit Gewißheit ſagen, daß GOtt ſehr gut, und ſehr vollkommen, vollkom⸗ mener als wir begreifen können. Undes folgt dar⸗ aus, daß wir auf die moͤgliche vollkommenſte Art von ihm denken muͤſſen. Ein Blick in den Himmel, oder auf die Erde, lehrt ſeine Macht. Ein aufmerkſamer Blick in ſich ſelbſt, oder in den Zuſammenhang der Dinge, ſeine Guͤte, Fuͤrſorge, Regierung und Weisheit; Die Tiefen, die wir da⸗ bey

Grundriß der vornehmſten Theile ac. 132

bey erblicken, erlauben keine Zweifel, ſondern nur e und Hofnung.

$. 42.

Der Menſch, der alles wiſſen wil, a

fragt auch: Warum hat Gott die Welt Belt er-

erſchaffen? Ben ſolchen Vollkommen⸗ e heiten, als wir bey dem Urheber dieſer Welt anneh⸗ men muͤſſen, waͤre es ſehr unbeſonnen, eine andere, als feiner Vollkommenheit wuͤrdige Abſicht an zuneh⸗ men. Welche dieſe aber auch ſey; ſo iſt doch wohl nicht zu zweiflen, daß es ſeinem Willen gemaͤß ſey, daß ſie vollkommen bleibe, daß alſo alle Subſtan⸗ zen ſo vollkommen erhalten werden, als es feyn kann, folglich daß darnach eine jede freye Subſtanz ihre Handlungen einrichte. Daß er beſonders denken⸗ de Subſtanzen gluͤcklich wolle, iſt aus der Natur, die er ihnen gegeben, aus ſeinen Vollkommenheiten, und aus den Mitteln, die dazu reichlich vorhanden, abzunehmen.

K. 43.

Aber es iſt ſo viel Böfes in der Welt? Jaca Berechtiget uns dieſes nicht Unvollkom. der Weit. menheiten bey GOtt anzunehmen, gleichwie wir we⸗ gen des Guten, das wir in der Welt bemerken, ihm Vollkommenheiten beylegen ? Oder ſind vielleicht zwey Weſen miteinander die Urſachen dieſer Welt,

J3 ein

134 Zweyte Abtheilung.

ein gutes und ein boͤſes? Gedanke, den die geſun⸗ de Vernunft verabſcheuen muß! Zwar der kurze Blick des Menſchen iſt oft in einem Horizont un⸗ angenehmer Empfindungen eingeſchloſſen, und dann urtheilt der Verwegene, daß die Welt voll Unvoll⸗ kommenheiten, weil er voll Unmuths iſt; und er ſpricht ihr die Vollkommenheiten ab, weil er ſie nicht ſieht, und er vergißt alles das Gute, das er ſelbſt genoſſen. Aber Millionen beſſerer Geiſter ruͤhmen vielleicht in dieſem Augenblick die Guͤte und Weis⸗ heit des Schoͤpfers. Wie will der Menſch von der Vollkommenheit der Welt urtheilen, deſſen Er⸗ kenntniß nicht zureichet, ſich ſelbſt zu ergruͤnden, der nicht weis, wie das zugehe, was er alle Augenblicke thut, wie ſeine Seele denkt, und ſein Koͤrper ſich be⸗ wegt; Der Menfch, der nicht weis, ob der uner⸗ meßliche Raum der Dinge, in welchem fein herum; irrendes Aug mehr geblendet iſt, als unterſcheidet, ob dies alles der zehntauſenſte Theil von der gan⸗ zen Schoͤpfung; der will den Werth des Ganzen bes urtheilen, und dem HErren, der ihn und alles ges macht hat, Fehler und Unvollkommenheiten zeyhen ? Verbannt ſey dieſer Gedanke aus meiner Vernunft, verflucht ſey hier ſelbſt aller Zweifel!

Aber dieſe aͤſthetiſche Sprache hebt die Zweifel nicht, moͤch⸗ te mancher ſagen: Warum, und woher das Böſe:? Ich antworte dann: man unterſcheide erſtlich die Maͤn⸗

gel

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 135

gel an den Vollkommenheiten der Kraͤfte und Reali⸗ "täten, die lebertretung der moraliſchen Geſetze, und die unangenehmen Empfindungen; das metaphyſiſche, mo⸗ raliſche und phyſiſche Uebel. In Anſehung des er⸗ ſtern iſt die Frage unbeſonnen; in Anſehung des zweyten iſt die Antwort leicht, und der Schöpfer auſſer Schuld, und das dritte iſt nothwendig wegen des erſtern und zweyten, in der Verbindung gut. Und dies iſt es doch nur, wenn man genau acht giebt, worüber der Menſch eis gentlich ſich beklagt.

F. 44. Der Menſch iſt fuͤr ſich nicht immer Per m k fo vollkommen, als er es zu ſeyn wuͤnſcht. vor GOtt : 2 Liebe und Er hängt von andern Dingen ab, die Ehrfurcht fein Gluͤck befördern oder verringern koͤn⸗ 221 nen. Er ſucht die Quellen ſeines Gluͤcks. Sagt uns nicht die Vernunft, daß wir es vor allen Din» gen da ſuchen ſollen, wo alles herruͤhret? Der das Ohr gemacht hat, ſollte der uns nicht hoͤren? Der uns das Daſeyn gegeben hat, und unſer Herz ſo oft mit Wolluſt erfuͤllet, wie mit einem Strohm, ſollte der unſere Erhaltung und unſere Wohlfarth nicht wollen? Sollte der unſer Zutrauen nicht ver⸗ dienen? Sollte der von uns nicht geehrt und hoͤher geachtet werden, als alles in der Welt? Der uns erſchaffen hat, fehlte es dem an Macht, mit uns zu machen, was er will? Oder haben wir ein Recht ge⸗ gen ihn, da wir von ihm und durch ihn alles ohn⸗

bedingt haben? J 4 8.45.

136 Sweyte Abtheilung.

§. 45.

1 ellen Was ift das für ein Gefühl, welches Gerechng, den Menſchen zitternd macht, wann der en Be Himmel donnert, und die Blitze ihn um⸗ leuchten? Was iſt das fuͤr eine Furcht, welche das mächtige Laſter auf den Thron nicht zufrieden ſeyn laͤßt; welches in dem Traum des Tyrannen Furien aufruffet, und die Menſchen bald von der Einſam⸗ keit in das Oetuͤmmel, bald von dem Getuͤmmel in die Einſamkeit jaget, wenn ſie ſich vor ſich ſelbſt fürchten ? Iſt das Vorurtheil? O! les wäre lang verbannt, wenn es nur Vorurtheil waͤre. Das Ge⸗ wiſſen, dieſer innerliche Richter unſerer Handlun⸗ gen, faſt ſage ich dieſer GOtt in uns, iſt unuͤber⸗ windlich. Es läßt ſich einige Zeit unterdrucken, aber deflo gröffer iſt feine Gewalt alsdenn. Es ſey was es will, Naturtrieb, Inſtruction, ober. Folgerung, oder alles dieſes zugleich: ſo ſagt mir meine Vernunft: ſuche ein ruhiges Gewiſſen zu ha⸗ ben, ſuche den GOtt zu verſoͤhnen, vor dem du zit⸗ tern mußt. Es kann ihm nicht gleichguͤltig ſeyn, du magſt leben, wie du willſt. Die Handlun⸗ gen, die die Vernunft verabſcheut, ſo oft dieſelbe frey urtheilet, die Handlungen, die das Gluͤck der Menschheit und die Vollkommenheiten der Welt hindern, können ihm nicht gefallen. Er muß fe hindern, jo wie die Handlungen feeyer. Sub⸗

- tanzen

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 137

ſtanzen koͤnnen gehindert werden, durch Bewegungs⸗ gruͤnde, durch Strafen. Er kann dem Suͤnder nicht die Seligkeiten ertheilen, die er den Rechtſchaffenen genieſſen laͤßt. Er muß ihn verabſcheuen, ſo lang er Sünder iſt. Wird er ihu ewig bleiben laſſen, und ewig ſtrafen? Er kann es, vielleicht will es fei- ne Weisheit. Wird er es thun? Meine Vernunft weis es nicht.

$. 46. Es iſt alſo die Vorſchrift der Ver⸗ Sehnfucht nunft, daß der Menſch den Willen GOt— nunf ng

zes zu erfüllen ſuche, fo. weit er ihn er= fenbarten, kennt; und daß er ſich bemuͤhe, ihn ſo i vollkommen zu erkennen, als es ihm moͤglich iſt. Beydes wird der Vernunſt aber ſehr ſchwehr. Was kann die Vernunft daher mehr wuͤnſchen, als daß ſich ihe GOtt näher offenbaren mochte? Sollte ein Licht vorhanden ſeyn, das den Nebel unſerer Eins ſichten zerſtreute, ſollte ein Mittel vorhanden ſeyn, wodurch der Menſch zu den Zuſtand gelangen koͤnn te, wo er nichts zu fürchten und alles zu hoffen hätz te: o wie froh muͤßten wir ihm zueilen, wie müßten, wir den HErren preiſen!

K 47. | Wenn der Menſch glücklich iſt: fo 25 nah der wünfche er es zu bleiben, iſt er es nicht: eingeben der

3 ſo

138 Zweyte Abtheilung.

Seal, fo hofft er es zu werden, und feine Hofe Korpers zu nung begrenzet keine Zeit. Er ſieht 1 1 ſeine Bruͤder in Staub zerfallen, und er hofft eine Unſterblichkeit. Iſt dieſe Hofnung vers nuͤnftig? Ja dies iſt ſie. Zwar ſehen wir Men⸗ ſchen in Staub zerfallen. Aber der Untergang ei— nes Koͤrpers iſt nur Verwandlung. Und laſſet den Koͤrper untergehen. Die denkende Subſtanz in uns iſt von einer beſſern Natur. Ihre eigene Em: pfindung unterſcheidet ſie von ihrem Koͤrper, mit dem ſie vereinigt iſt. Sie iſt ein Funke der Gott⸗ heit, ſagten die alten Weiſen. Sie iſt einfach, ſa⸗ gen die Neuern; ſie kann nicht durch Trennung und Auflöfung der Theile umkonmen. Sie denkt nun einmal, und ſie kann fortdenken, wenn ſie auch gleich nicht mehr durch Empfindungen neue Gedanken be⸗ kommt. Zwar koͤnnte fie ihr Schöpfer vernichten. Aber aus was fuͤr einem Grund ſollten wir dieſes vermuthen? Ja da Gott fo vollkommen und fo guͤtig: ſollte er den Menſchen, deſſen Wuͤnſche und Hofnungen die Gluͤckſeligkeit, deren er hier theilhaf⸗ tig wird, ſo ſehr uͤberſteigt, ſo viel Gutes gleichſam nur von weiten gezeigt haben, damit er vergebens darnach ſchmachtete? Beruffet euch nicht auf ſei⸗ ne verborgene Abſichten, wenn ihr meiner Seele Furcht vor einer Vernichtung beybringen wollt. So lang er mir dieſe verborgene Abſichten nicht of⸗

fenbart,

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 139

fenbart, ſo lange ihr mir ſie nicht beweiſet: ſo lan⸗ ge iſt meine Seele berechtiget nein ſie iſt ver⸗ pflichtet, Unſterblichkeit zu hoffen. Und was iſt die Stuͤtze der Tugend, der Tugend, die zu den Vollkommenheiten der Welt gehoͤrt, und alſo den Schoͤpfer angenehm iſt, als die Hofnung eines an⸗ dern Lebens, wo ſie triumphiren ſoll? Wenn die Tugend hier ſchon gluͤcklich iſt: fo iſt fie es eben durch dieſe Hofnung. Nehmt die Unſterblichkeit der Seele weg: fo werden viele Laſter im Verbor⸗ genen Pflicht werden, und der ganze Menſch iſt ſich ſelbſt ein Raͤtzel.

Einige dieſer Gründe bemeifen für ſich nur ein Leben nach den Tod, nicht die Unſterblichkeit; ſie werden aber von den andern unterſtuͤtzet.

§. 48.

Die ganze Welt braucht nur einen SAW ein

Gbdtt, und alle Gründe, die feine Exi— ſtenz beweiſen, erweiſen nur die Exiſtenz eines eini⸗ gen GOttes. Es iſt alſo ganz unvernünftig meh» rere Goͤtter, das iſt mehrere hoͤchſte und unabhaͤn⸗ gige Weſen, von denen wir und alle Dinge abhien⸗ gen, anzunehmen. Der blöde Sinn des Menſchen hat zwar oft nahe Quellen feines Gluͤcks feine Goͤt⸗ ter genennt. Aber die Vernunft der Weiſeſten un⸗ ter den Heyden hat ſich uͤber dieſe bis zu dem eini⸗ gen hoͤchſten Weſen geſchwungen, und die Unge⸗ reimt.

140 zweyte Abtheilung.

reimtheiten, die die Vielheit der Goͤtter mit ſich bringet, verlachet. Und wie gefaͤhrlich dieſe un« vernünftige ehre fen, erhellet für ſich.

§. 409.

a einfaches Es iſt zwar aus den bisherigen Be⸗ Weſen. trachtungen leicht einzuſehen: daß, ob wir gleich von GOtt genug mit Gewißheit erken⸗ nen, um unſere Pflichten darauf zu gruͤnden; wir demohngeachtet dadurch nicht in dem Stand ge⸗ ſetzt ſind, einen zuverſichtlichen Ausſpruch von ſei⸗ nem Weſen zu thun. Wie ſehr muß der Schoͤpfer von ſeinen Geſchoͤfen unterſchieden ſenn, und wie wenig muͤſſen die Begriffe von Vollkommenheiten, die unſer Verſtand faßt, und die Sprache, die ſie ausdrückt, zureichend ſeyn, die Majeſtaͤt des HEr⸗ ren zu ſchildern? Aber wenn wir ſeinem Weſen demohngeachtet einen Namen geben wollen: ſo iſt es vernuͤnftig, daß wir ihm den wuͤrdigſten geben, den wir wiſſen, daß wir ihn einen Geiſt nennen. Ja wie ſollten wir ihn dieſen Namen wenigſtens nicht zu den uͤbrigen, womit ſein Weſen zu benen⸗ nen waͤre, hinzugeben; da denkende Subſtanzen von ihm ihr Daſeyn haben; da die Welt von ihm ihre Einrichtung hat, und ſeine unendliche Weisheit of⸗ fenbaret? Wenn aber eine denkende Subſtanz ei⸗ ne einfache iſt; wenn eine Zuſammenſetzung immer

eine

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 141

eine Mehrheit der Dinge, und eine gewiſſe Unvoll⸗ kommenheit mit ſich bringt: fo muͤſſen wir auch far

gen? Gott iſt ein einfaches Weſen.

$. 50. K Dies ſey der Entwurf vernünftiger Schu 2 Gedanken von GOtt. Ich habe dabey N alle Syſteme zu vergeffen geſucht. Ich habe mich in Gedanken in jene Zeiten verſetzt, wo die menſch— liche Erkenntniß noch nicht durch das hellere Licht der Offenbarung erleuchtet war; Ich habe nichts als offenbare und faßliche Saͤtze anbringen wollen. Dies iſt die Urſache, warum ich manches wegge⸗ laſſen, was in den Lehrbuͤchern der Philoſophen bes wieſen wird. Nicht jeder Beweis ſchickt ſich in ei⸗ nen Entwurf. Die Ueberzeugung entſteht oft erſt aus der Einſicht in den Zuſammenhang des ganzen Syſtems. 7 Sollten übrigens dieſe kurzen philoſophiſchen Betrachtungen uͤber die wichtigſten Lehren der Ver⸗ nunft bey andern das wirken, was ſie bey mir je⸗ derzeit gewirkt haben; 0 die Ueberzeugung, daß eine göttliche Offenbarung der Vernunft unent⸗ behrlich; und daß die Lehren unſerer heiligen Schrift hoͤchſt annehmungswuͤrdig, ſo wie deren Einklei⸗ dung bey den Schwachheiten und Borſtellungsar⸗ ten der Welt, für die ſte beſtimmt find, die allerwei⸗ feite:

142 Zweyte Abtheilung.

ſeſte! fo waͤre mir mein liebſter Wunſch dabey er» fuͤllt worden; und ich wuͤrde es dann deſto ruhiger ertragen, wenn vielleicht meine Philoſophie beyden herrſchenden Partheyen, deren eine jede Furchtſamkeit im Urtheil Zweifelſucht, die andere den Eifer fuͤr die Offenbarung Verſtellung oder Bloͤdſinn nennt, uͤble Begriffe von mir beybringen ſollte.

Anhang von der Geſchichte der Metaphyſik.

8 1.

n Nach dieſem Grundriß der Metaphy⸗ 1 ſik, in welchem ich das Allgemeine dies von der Na⸗ ſer Wiſſenſchaft auszudrucken bemuͤht ge⸗ dur um DEE weſen bin, wird man vielleicht begreifen ran, konnen, warum man ſie die Grundwiſ⸗ theilen. ſenſchaft nennt; warum man ihre Grenzen nach Belieben bald weiter bald enger ſetzt; warum man ihr insgemein vier Haupttheile giebt. Man wird ihren Werth beurtheilen, und ihre Ges ſchichte aus der allgemeinen Geſchichte des menſchli⸗ chen Verſtands entwerfen koͤnnen.

§. 2.

en Die meuſchliche Erkenntniß hat ihren

Gaumen Urſprung in den ſinnlichen Empfindun⸗ gen

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 143

gen; die Uebereinſtimmung derſelben gab zu allges meinen Bemerkungen Anlaß. Die Menſchen fiengen an die Dinge in gewiſſe Claſſen einzuthei⸗ len; ſich Begriffe von allgemeinen Eigenſchaften zu machen; von Urſachen und Wirkungen zu reden, weil gewiſſe Veraͤnderungen nur immer unter ges wiſſen Umſtaͤnden, nach gewiſſen Zubereitungen, bey der Gegenwart gewiſſer Dinge, ſich eraͤugneten. Die einmal feſtgeſetzten Grundwahrheiten, der es mehr oder weniger waren, je nachdem eine mehr oder we⸗ niger allgemeinrichtige Bemerkung ſie unterſtuͤtzte, gaben zu Urtheilen Anlaß, die ſich auf keine unmit⸗ telbare Empfindung gruͤndeten; ihre Verbindun⸗ gen untereinander zu metaphyſiſchen Begriffen, Meynungen, Wiſſenſchaften.

9. 3. Theils innerliche Empfindung, theils A Betrachtungen, die aus der weitern An- von unſicht⸗ aren Sub⸗ wendung der angenommenen Örundfä- fanzen. tze entſtunden, konnten die Menſchen auf die Vor⸗ ſtellung unſichtbarer Subſtanzen fuͤhren, auf den Begrif eines Geiſtes, auf den Begrif der Gottheit, als der unſichtbaren Urſache der Welt. Aber dies ſe Begriffe trugen ſehr lange die Merkmale ihres Urſprungs an ſich; fie waren ſinnlich und Förpers lich. Man wird Muͤhe haben denjenigen gereinig⸗ ten

22 Be 2 144 Zweyte Abtheilung. ten Begrif von dem Weſen eines Geiſtes, und der

Gottheil den wir jetzo fuͤr den richtigen halten, bey einem der alten Philoſophen zu finden.

| 5. 4. Urſprung Unterdeſſen befchäftigeen ie ſich doch

des Namens

Metaphyſik. mit den Begriffen vom Nothwendigen und Zufälligen, vom Weſen, vom Urſprung der Din⸗ ge, von der Seele und von GOtt. Sie ſannen all: gemeine Namen aus von Grundkroͤften und Grund⸗ eigenſchaften, nannten es Formen oder Zahlen; oder Ideen, oder wie es die Haupt-Beſtimmung ihrer Erkenntniß mit ſich brachte. Kein Philoſoph konnte dem Trieb, die Urſachen von dem, was da iſt und geſchieht, zu erforſchen, lange folgen; ohne auf diejenige Wiſſenſchaft gefuhrt zu werden, die Ariſto⸗ teles ſchlechthin die Phlloſophie, die Wiſſenſchaft von den Urſachen, die Wiſſenſchaft der Wiſſenſchaften nennt; die der Grund aller Wilf enſchaften iſt, und von 2 er in denjenigen Büchern handelt, die den Namen der Metaphyſt ſchen führen.

9. 5. e Man kann die Metaphyſiker über: kern in Anſe⸗ haupt in Dogmatiſche und Skepti⸗ n fche eintheilen; in ſolche, die da glaus 2 Er⸗ ben, unſere allgemeine Erkenntniß lieſſe ſſich in ein Syſtem bringen, und auf

Grund⸗

x

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 145

Grundſaͤtze bauen, die allen Theilen derſelben Ge⸗ wißheit gaͤben; und in ſolche, die entweder unſerer ganzen Erkenntniß alle Gewißheit abſprechen, oder wenigſtens keine Gewißheit fuͤr allgemeine Saͤtze er⸗ kennen. Jede Periode der philoſsphiſchen Geſchich⸗ te hat Philoſophen von dieſen beyden unterſchiedenen Arten, obgleich nicht alle mit einer ey Beſcheiden⸗ heit, oder Zutrauen, ſich zu einer Parthey ſchlugen.

§. 6.

Unter denjenigen, die nicht alles für „St Nele Schein, und der Muͤhe unwerth hielten, ten Urſache. dem Zuſammenhang der Dinge nachzuſpuͤren, ſon⸗ dern die vielmehr Lehrgebaͤude entwarfen, findet ſich hauptſaͤchlich ein Unterſchied in Anſehung der erſten Urſache. Denn ſie achteten entweder für überflüß fig eine erſte Urſache anzunehmen, weil fie die Ma: terie für ewig hielten, und dieſe ſichtbare Welt aus der ohngefaͤhren Verbindung der Atomen entſprun— gen glaubten, wie die Epicuriſche Schule. Oder ſie nahmen zur ſichtbaren Materie noch eine wirkende Urſache an, betrachten aber dieſelbe als eis ne unſichtbare und weſentliche Kraft der Materie, von der die beſondern Kräfte nur Theile oder Be. ſtimmungen waͤren; welches bey genauer Unterſu⸗ chung der Irrthum der allermeiſten alten Weltwei⸗

ſen zu ſeyn ſcheinet. Oder ſie unterſcheiden die erſte K Ur⸗

146 Zweyte Abtheilung.

Urſache von der Materie, als ein beſonderes Weſen / die entweder die ewige Materie zu einer Welt ein⸗ gerichtet; oder aus welcher alle Dinge ausgeflof- ſen, die daher mehr oder weniger Vollkommenheit haͤtten, je nachdem ſie mehr oder weniger von dem erſten Urſprung entfernt waͤren. Einige nahmen zwey hoͤchſte Weſen an, ein gutes und ein böfes, um einen Grund von dem was ſich in der Welt eraͤugnet, an⸗ geben zu konnen, Alle aber, oder doch die meiften, redeten in Anſehung dieſer erſten Urſache fo unbe» ſtimmt, ſo unuͤbereinſtimmend, ſo unverſtaͤndlich, daß man Urſache zu zweiflen hat, ob ſie ſich ſelbſten verſtanden haben. So ſchwehr iſt es oft, ein Ge⸗ fuͤhl in eine abſtracte Vorſtellung zu verwandeln, und ſo leicht iſt es hierbey ſich zu irren.

. 7 7 In Anſehun n der 12 5 i Bey der metaphyſiſchen Betrachtung

chen. . der unterſchiedenen Dinge in der Welt, machte den alten Weltweiſen ſonderlich

die Unterſuchung viele Muͤhe, ob man, bey den be⸗ ftändigen Veraͤnderungen der ſichtbaren Dinge, in denſelbigen gewiſſe beſtaͤndige und unveraͤnderliche Weſen annehmen duͤrfte, wodurch die Veraͤnderun⸗ gen an ihnen entweder gewirkt oder beſtimmt wuͤr⸗ den. Einige riefen eine Seele der Welt zu Huͤlfe, andere eine Menge unſichtbarer Weſen, die fie Daͤ⸗ monen

\

| Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 147

monen und Geiſter nannten; einige ſetzten den Un⸗ terſchied der Dinge bloß in der unterſchiedenen Ver⸗ bindung der Atomen, andere ſcheinen einen Unter⸗ ſchied in dem Urſtoff der Dinge ſelbſt anzuneh⸗ men. Wenn alles nicht hinlaͤnglich ſeyn wollte: ſo berief man ſich auf die Nothwendigkeit, auf das Schickſal.

§. 8. Man muß geſteben, daß Ariſtote⸗ Leitoteles groͤßte les in dieſer Wiſſenſchaft alle alte Phi. Metaphyſi⸗ loſophen übertroffen. Seine Metaphy⸗ ii ver fie iſt zuſammenhangender, als der übri, Mer. gen ihre, und die Scharſſinnigkeit, die er bey die⸗ fen Betrachtungen beweiſet, verdient allerdings Be— wunderung. Er war der Anfuͤhrer der Schulwei⸗ fen in denjenigen Zeiten, wo man nicht ohne Anfuͤh⸗ rer philoſophiren wollte. Und da man weder die Ab⸗ ſicht, noch den Sinn des Ariſtoteles einzuſehen im Stand war: ſo machte man ſich doch eine Wiſſen⸗ ſchaft, die von denjenigen Gegenſtaͤnden handelte, die man hauptſaͤchlich in den Betrachtungen des Ariſtoteles fand. Es entſtund die ſcholaſtiſche Metaphyſik, die die Grundlehre, die Geifter- oder Seelen⸗Lehre, und die Lehre von Gott, als befons dere Theile, in ſich faßte; die man für die Königin der Wiſſenſchaften hielt, ſo lange die Weisheit in | K 2 un.

148 Swepte Abtheilung.

unverſtaͤndlichen Kunſtwoͤrtern, und in einem Miſch⸗ maſch von ſubtilen Streitfragen beſtund; die man aber ein Ungeheuer nannte, fo bald der gute Ges ſchmack uͤber die Barbarey geſiegt hatte.

§. 9. | Veraͤnde⸗ 8 mag berge Da man dasjenige was man an der

tanbnfie bey ſcholaſtiſchen Philoſophie verabſcheute, 5 Be We hauptſaͤchlich bey der Metaphyſik fand: (iſſenſchaf⸗ fo war man oft Willens, dieſe Wiſſen. ten. ſchaft gaͤnzlich zu verbannen; und ſelbſt unter den Verbeſſerern der Weltweisheit waren ei⸗ nige ſehr uͤbel gegen ſie geſinnt. Wer jemals ein Feind der Philoſophie uͤberhaupt war, der war es beſonders von der Metaphyſik. Aber man wird leicht durch die Erfahrung uͤberfuͤhrt, daß man den Grund einer jeden wiſſenſchaftlichen Erkenntniß an⸗ greife, wenn man den metaphyſiſchen Unterſuchun⸗ gen keinen Werth zugeſtehen will. Daher konn⸗ ten alle diejenigen ſie nicht entbehren, die neue Lehr⸗ gebaͤude errichteten; und die Verbeſſerung der Weltweisheit uͤberhaupt wurde zugleich die Verbeſ⸗ ſerung der Metaphyſik.

§. 8 1 j 1 je di 0 ſche debrark Die Männer, die dieſe Verbeſſerung N u Meta⸗ hauptſaͤchlich unternahmen, erkannten I 1. den Vorzug, den die reine Mathematik

in

—_

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 149

in Anſehung der Gewißheit vor allen andern Wiſ⸗ ſenſchaften hat; ſie waren ſelbſt groſſe Meßkuͤnſt⸗ ler; und ſie glaubten daher der Philoſophie nicht beffer aufhelſen zu Eönnen, als wenn fie die geome— triſche Lehrart dabey einführten. Jetzo be. kam die Metaphyſik eine neue Geſtalt. Alles wur- de auf das deutlichſte und zuſammenhangendeſte demonſtrirt, und die Hoͤrſaͤle ertoͤnten vom Jubel der Ueberzeugung. Aber zum Ungluͤck fand ſichs, daß ſich dieſe Methode auch auf Irrlehren anwen⸗ den ließ. Spinoza erbaute alſo fein abſcheuli⸗ ches Syſtem. Man entdeckte leicht, daß er es auf unbeſtimmte Säge und auf willführliche Erklaͤrun⸗ gen gebaut; aber man entdeckte eben dieſes bey an⸗ dern Lehrgebaͤuden, die faſt alles, was in der heiligen Schrift geoffenbaret iſt, geometriſch erwieſen. Die Streitigkeiten wurden dadurch nicht abgethan, und dieſe offenbarten die Schwäche der Syſteme.

$. u.

Wenn mittelmäßige Köpfe vor Freu · Falten, De den auſſer ſich waren, daß ihnen die rung. Metaphyſik die Augen geöffnet, und fie alles demon⸗ ſtiren gelehrt: fo waren durchdringende Genies deſto

unzufriedner, wann fie hier und da den ſeichten Grund derjenigen Wiſſenſchaft entdeckten, die der ganzen menſchlichen Erkenntniß Gewißheit verſchaffen ſoll. K 3 er

150 Zweyte Abtheilung.

Verachtung der Weltweisheit, oder ein gaͤnzlicher Skepticismus, waren bey einigen die Folgen dieſer Entdeckung. Andere, die mehr Beſcheidenheit oder weniger Feuer hatten, ſchwiegen ſtill; oder richteten ihre Aufmerkſamkeit auf etwas anders. Vielleicht dachte mancher: Mundus vult decipi, ergo deci- piatur. Aber es bleiben auch noch ſolche uͤbrig, die das Gute von dem Boͤſen, das Wahre von dem Falſchen zu unterſcheiden wußten; die Natur der menſchlichen Erkenntniß ergruͤndeten, und daraus die wahre Abſicht, den Umfang, und den Grad der Gewißheit der metaphyſiſchen Saͤtze beſtimmten. Berſtaͤndige kennen dieſe Männer, wenn ich fie auch nicht nenne; und diejenigen, welche der Geiſt der Secte verfuͤhrt, wuͤrden mir doch nicht glauben, wenn ich ſie gleich nennen wollte. Ein jeder von dieſen mag feinen Liebling dabey denken.

§. 12. Neuſter Zu⸗ . - r fand der In dieſen neuern Zeiten bekam die

Metachyſk. Metaphyſik einen Zuwachs durch die transcendente Kosmologie; und die Ontologie wurde von einigen in mehrere Wiſſenſchaften abge⸗ theilt, in die erſte Philoſophie, die eigentliche On⸗ tologie, die Monadologie, Somatologie und Mechanologie. Andere rechnen einen guten Theil dieſer Abhandlungen zur Naturlehre, und handeln

in

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 151

in der Metaphyſik nur von den allgemeinſten Wahr - heiten und Begriffen. Bis dieſe Stunde hat man ſich uͤber den Werth derſelben, und die Gewißheit ihrer Beweiſe ſo wenig, als uͤber ihren Umfang, noch weniger aber über die Hauptlehren derſelben, ver⸗ einigt.

Viertes Kapitel.

Von der Phyſik oder Naturlehre. .

Die Abſicht der Naturlehre ift, die Miet ne Urſachen der Veraͤnderungen, die wir in

der Köͤrperwelt bemerken, zu entdecken. Man kann hieraus ihren weiten Umfang, und, wenn man be⸗ denkt, daß unſere ſinnliche Erkenntniß das manch⸗ faltige einfache in einer zuſammengeſetzten Erſchei⸗ nung nicht unterſcheidet, die Schwierigkeiten, wenn man aber erwägt, daß wir einen Körper haben und mit Körpern umgeben find, den Nutzen der Na⸗ turlehre erkennen. ;

§. 2. Man handelt in der Metaphyſik von Unterfäie den Körpern, Man unterſucht nem- phyſiſchen lich daſelbſt, was der Begrif vom Koͤr. ſchen Koͤr⸗ en n ; 3, perlehre.

per, in ſo fern er die allgemeine Empfin⸗ dung der Menſchen ausdrückt, mit ſich bringt; und

EEE K 4 was

152 | Zweyte Abtheilung.

was daraus nothwendig folgt, muß auch in der Phy⸗ ſik gelten, ſo lange ſie den Begrif ſelbſt nicht um⸗ ſtoſſen kann. Aber die blos möglichen Beſtimmun⸗ gen, die der Metaphyſiker hinzugeſetzt, und die Fol; gerungen, die er daraus zieht, erhalten erſt ihre Rich- tigkeit in der Phyſik, wenn ſie durch Erfahrungen beſtaͤtiget werden. Dieſe ſind der Grund, worauf der Phyſiker feine Koͤrperlehre baut; und wir wol⸗ len auch damit anfangen. Wir wollen zuerſt aus den Erfahrungen allgemeine Saͤtze ziehen, die Um⸗ ſtaͤnde unter welchen ſich die hauptſaͤchlichſten Ver⸗ aͤnderungen in der Koͤrperwelt zu eraͤugnen pflegen, bemerken, und aus dieſen die naͤchſten Urſachen der— ſelben, fo viel ſichs thun läßt, zu beſtinunen ſuchen. Dies ſoll der erſte Abſchnitt ſeyn. Dann wollen wir die berühmten Hypotheſen von den wirkenden Kräften in der Natur wenigſtens hiſtoriſch anfuͤh⸗ ren. Dies in dem zweyten Abſchnitt.

1. Die Ordnung, welche ich bey dieſem Grundriß der Na⸗ turlehre erwaͤhle, fol kein Muſter ſeyn. Sie ſchien mir die bequemſte zu meiner Abſicht, das hauptſaͤchliſte die⸗ ſer weitlaͤuftigen Wiſſenſchaft kurz und deutlich vorzu⸗ tragen, und das gewiſſere von dem weniger gewiſſen abzuſondern.

2. Ich haße in der Metaphyſik in den Anmerkungen zum zweyten g. über den Urſprung und die Natur unſerer Ber griffe von Urſachen und Wirkungen einige Gedan⸗ ken angebracht, welche vielleicht zu nuͤtzlicher Betrach⸗ tung in der dogmatiſchen Phyſik Anlaß geben könnten,

wenn

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 153

wenn man ſie verfolgen wollte. Wenn ich nicht ſchon entſchloſſen waͤre, mich hier nicht siel ins doamatiſi⸗ ren einzulaſſen: ſo wuͤrde ich durch weitere Anwendung jener Gedanken Grundſaͤtze folgern, den Werth der phy⸗ ſikaliſchen Erklaͤtungen zu beurthellen. Aber wozu wuͤr⸗ de es auch dienen? Ich wuͤrde leicht einem Theil zu viel, und dem andern zu wenig ſagen. Ich verweiſe alſo diejenigen, die dieſe Luͤcke meines Grundriſſes nicht ſelbſt erſetzen koͤnnen, auf die Naturlehre des hoch- berühmten Zerrn D. Crufius, welcher in den erſten Kapiteln dieſe Materie ausfuͤhrlich abgehandelt hat.

Erſter Abſchnitt.

Erfahrungen und nahe Folgerungen.

§. 3. Keine Veraͤnderung in der Körper. Be ? welt geſchieht ohne Bewegung: und Be⸗ wegungen bringen uns die Empfindung. Es iſt alſo wohl noͤthig, daß wir dieſe allgemeine Erſchei⸗ nung zuerſt betrachten. Ich ſetze die Begriffe der Redensarten, ſich bewegen, bewegt werden, ef» was in Bewegung bringen, aufhören ſich zu bewegen, in Ruhe ſeyn, und mehrere derglei⸗ chen, einſtweilen als ſinnlich klare Begriffe voraus, und fuͤhre ſogleich folgende durch die Erfahrung leicht zu beſtaͤtigende Saͤtze an: 1) Ein Koͤrper kann nach verſchiedenen Verhaͤltniſſen zugleich in Ruhe und in Bewegung ſeyn. Eine Laſt auf einem Wa⸗ . gen,

4

154 Swepte Abtheilung.

gen, der gezogen wird, eine Uhr in der Taſche eines Menſchen, der in einem bewegten Schif auf: und ab geht, koͤnnen Beyſpiele hievon ſeyn.

2) Wenn wir uns gegen einen Koͤrper be⸗ wegen; ſo giebt es oft die nemliche Erſcheinung, als wenn er ſich gegen uns bewegte, z. E. wenn man in einer Kutſche, oder in einem Schif ſchnell faͤhrt.

3) Bey einer jeden Bewegung bemerkt man eine gewiſſe Richtung, einen gewiſſen Raum, und eine gewiſſe Zeit; ohne welche Stuͤcke ſich auch keine Bewegung denken laͤßt. Aus dem Verhaͤltniß der Zeit, in welcher ſich der Koͤrper bewegt, zu dem Raum, durch welchen er ſich bes wegt, beurtheilt man die Geſchwindigkeit. Nemlich um wie viel groͤſſer der Raum iſt, den ein Koͤrper durchlauft, als derjenige, den der an⸗ dere Koͤrper durchlauft, in der nemlichen Zeit; oder je kleiner die Zeit, in der ſich ein Koͤrper durch einen gewiſſen Raum bewegt, in Anſehung der Zeit, in welcher ſich ein anderer Koͤrper durch den nemlichen Raum bewegt: deſto groͤſſer iſt die Geſchwindigkeit des erſteen gegen die Ge⸗ ſchwindigkeit des andern (celeritates ſunt in ratione compoſita ex directa ſpatiorum et inuerſa temporum). Man findet alfo

die

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 153

die Geſchwindigkeit, wenn man den Raum durch die Zeit dividirt.

4) Es entſteht hieraus der Unterſchied der

gleichfoͤrmigen und ungleichfoͤrmigen Bene gung. Aus dem Unterſchied der Richtungen entſtehen die Benennungen einer geradlinigten, krumlinigten, ſenkrechten und ſchiefen De: wegung. 5) Wenn ein Korper von mehrern, ſich nicht völlig entgegengeſetzten, Kräften zur Bewegung beſtimmt wird: fo heißt dies eine zuſammenge⸗ ſetzte Bewegung; und er nimmt dabey einen mitt⸗ lern Weg zwiſchen den verſchiedenen Richtungen der bewegenden Kraͤfte. Z. E. wenn ein Schif durch Wind und Ruder nach verſchiedenen Ge⸗ genden gerichtet wird.

Mathematiſch beſtimmt man bey der zuſammengeſetzten Bewegung den Weg, den der Koͤrper nimmt, durch die Diagonal desjenigen Parallelograms, deſſen Seiten die treibende Kraͤfte ausdruͤcken. Der Satz iſt bey hypo⸗ thetiſchen Erklaͤrungen gut zu gebrauchen.

6) Die Bewegung einer Kugel an einer be⸗ feſtigten Schnur, des Steins in der Schleuder, und viele andere Beyſpiele, geben zu erkennen, daß eine krumme Linie entſtehe, wenn ein Koͤr⸗ per von zwoen Kraͤften alſo getrieben wird, daß ihn eine nach einer geraden Linie treibt, die an⸗

dere

8

156 Sweyte Abtheilung.

dere aber immer davon ab, gegen einen gewiſſen Punkt, zieht. Daher erfordert man zu einer krumlinigten Bewegung zwo Kraͤfte, eine Cen— trifugal-Kraft, und eine Centripetal-Kraft.

7) Daß bloſſe Körper ſich weder aus der Ru— he bewegen, noch, bey der Bewegung, Geſchwin⸗ digkeit oder Richtung aͤndern, als in ſo fern ſie äufferliche Urſachen dazu beſtimmen: hat fo viele Erfahrungen fuͤr ſich, daß man dieſes als ein Stuͤck des weſentlichen Begrifs vom Koͤrper, und als das Grundgeſetz der Bewegung anſieht; und daher diejenigen Erſcheinungen, wo Koͤrper ohne ſichtbare aͤuſſerliche Urſachen ſich bewegen, entweder unſichtbaren aͤuſſerlichen, oder innerli⸗ chen, mechaniſch oder geiſtiſch wirkenden, Urſachen zuſchreibt.

Bey dieſen, ja bey den meiſten Hauptſluͤcken der Kor: perlehre, befchäftiget ſich der Mathematiker mit Rech⸗

nungen; der Phyſiker kann ſie ſehr wohl nutzen; in gegenwaͤrtigen Grundriß finden ſie keinen Platz.

9. 4.

Don debe Wenn ein bewegter Körper einem an⸗ ter Korper. dern nahe genug kommt: ſo entſtehen vielmals in dieſen Veraͤnderungen, die man, unſerer Erkenntniß und Sprache gemaͤß, nicht anders als Wirkungen des bewegten Koͤrpers nennen kann. Ueberhaupt heißt die Wirkung eines bewegten Körs

pers,

*

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 157

pers, indem er ben andern berührt, der Stoß. Wir wollen jetzt zur Beſtimmung der Gewalt eines be⸗ wegten Koͤrpers einige allgemeine Saͤtze anfuͤhren, die leicht durch die Erfahrung beſtaͤtigt, und auf man⸗ cherley Fälle angewendet werden koͤnnen.

1) Je groͤſſer die Maſſe, (die Menge der Materie) und Geſchwindigkeit des anſtoſſen⸗ den Koͤrpers iſt, deſto gewaltiger iſt der Stoß, und deſto merklichere Veraͤnderungen koͤnnen ſich an dem andern Koͤrper aͤuſſern.

2) Bey mehrerer Geſchwindigkeit und we⸗ niger Maſſe kann daher das nemliche erfolgen, was bey mehr Maſſe und weniger Geſchwindig⸗ keit erfolgt; und die Gewalt bewegter Koͤrper iſt alſo allemal gleich, wenn ihre Maſſen in einem verkehrten Verhaͤltniß ihrer Geſchwindigkeiten ſtehen.

3) Wenn es bey der Gewalt auf Maſſe und Geſchwindigkeit ankommt: ſo ſieht man leicht, daß, wo nicht alle Maſſe des bewegten Koͤrpers, und nicht die ganze Kraft, die feine Geſchwin⸗ digkeit beſtimmt, gegen einen gewiſſen andern Koͤrper gerichtet iſt, er nicht mit ſeiner ganzen Gewalt gegen ihn wirke. Und dies iſt wohl der Grund von dem Satz: Daß ein ſchief be⸗ wegter Koͤrper nicht ſo viel Gewalt ha⸗ be, als ein ſenkrecht auf den andern auf⸗

fallen⸗

158 öweyte Abtheilung.

fallender. Aber die Wahrheit zu ſagen, Dies fer Grund ſcheint mir nicht für alle Fälle zu be: weiſen, auf welche der Satz angewendet wird, wo er, nach meiner Einſicht, nur den Werth ei⸗ ner Hypotheſe hat, die ſich auf eine andere Hy⸗ potheſe gruͤndet (§. 3. n. 5.)

§. 5. 288 Wer nicht aus der Metaphyſik als be: rungen der wieſen annehmen will, daß alle Körper Bewegung , 1 durch den eine Kraft zu widerſtehen haben; der SCH. fann leicht durch Erfahrungen davon uͤberfuͤhrt werden, in Anſehung ſo vieler davon uͤberfuͤhrt werden, daß er, in Anſehung der andern, das Gegentheil zu vermuthen, keine Urſache hat. Alſo wiſſen wir, 1) daß die Geſchwindigkeit eines bewegten Koͤrpers dadurch vermindert werde. 2) Daß ſeine Richtung dadurch koͤnne geaͤn⸗ dert werden. 3) Daß eine Ruhe daraus erfolgen koͤnne. 4) Daß vielmals einerley Erſcheinungen ent⸗ ſtehen, wenn ein leidender Koͤrper widerſteht, und wenn er gegen einen widerſtehenden ſich bewegt. Die Erfahrungen, die hieher gehören, find zu bes kannt, als daß ich ſie anfuͤhren ſollte. Man erin⸗ nere ſich nur in Anſehung des letztern Satzes, daß eine

Grundriß der vornehmſten Theile ac. 159

eine weiche Kugel platt wird, daß ein Glas zer⸗ bricht, man mag harte Körper gegen dieſe, oder die⸗ ſe gegen jene bewegen; und daß ein Keil ins Holz getrieben wird, fo wohl wenn man auf ihn ſchlaͤgt, als wenn man aufs umgekehrte Theil des Holzes

ſchlaͤgt. g. 6.

Aber bey den Veränderungen, die auf Tune den Stoß erfolgen, machen gewiſſe Be. lung der Bes ſchaffenheiten der Körper einen betraͤcht⸗ De lichen Unterſchied. Denn erſtlich macht 075 0 die Figur des Koͤrpers und die Mate⸗ fhaftenbel: rie, die den Raum erfülle, durch den er Ber Dh bierbev ſich bewegt, gar vieles aus: dann aber r. Elaficiät. unterſcheiden ſich weiche, harte und elaftiiche Koͤrper hierbey ſehr von einander; und auf dieſen Unterſchied wollen wir ſehen. Ich muß von den letztern anfangen, weil man einige von ihren Eigen⸗ ſchaften auf die harten Koͤrper uͤberhaupt anwendet. Es werden diejenigen Koͤrper elaſtiſch genannt, welche, wenn ihre Figur durch eine aͤuſſerliche Ura ſach veraͤndert worden, ſich wieder in den vorigen Zuſtand verſetzen, ſo bald die aͤuſſere Urſach ſie nicht mehr daran hindert. Nicht alle Koͤrper beſitzen dieſe Eigenſchaft, wenigſtens nicht merklich, und nicht in gleichem Maaß. Einige aͤuſſern ſie nur

bey

160 Zweyte Abtheilung.

bey einer gewiſſen Figur, wie das Glas und Me⸗ tall, wenn es in zarte Faͤden gezogen wird, Hel— fenbein, wenn duͤnne Spaͤne daraus verfertiget wer⸗ den; bey einigen anders als vorher, wenn ihre Theile eine Zeitlang in einer gewiſſen Lage geweſen, z. E. beym zuſammengerollten Papier; bey einigen, wenn gewiſſe fluͤßige Materien von ihnen weggegan. gen, z. E. bey Daͤrmern, gewiſſen erkaͤlteten Bruͤ— hen. Bey einigen iſt fie gar nicht merklich, als beym weichen Ton, Wachs und fertigten Materien. Ferner ift die Elaſticitaͤt entweder eine zuſammen⸗ ziehende, fo zieht ſich eine Saite nach der Aus. dehnung wieder zuſammen; oder eine ausdehnen⸗ de, ſo dehnt ſich der zuſammengedruckte Schwamm wiederum aus; oſt iſt beydes beyſammen, wie, wenn eine Degenklinge oder ein Stab gebogen worden, wo die Theile der innern Flaͤche einen kleinern, die aͤuſſern aber einen groͤſſern Raum bekommen. Die Grade der Elaſticitaͤt koͤnnen theils nach dem Raum geſchaͤtzet werden, in welchen der Koͤrper zuſammen⸗ gedruckt worden, theils nach dem Widerſtand, den er dabey aͤuſſert, theils nach der Geſchwindigkeit, mit welcher er ſich wieder in ſeine vorige Lage und Figur herſtellt. Ein Körper iſt vollkommen ela⸗ ſtiſch, wenn alle ſeine Theile die vorige Lage wieder bekommen; und er iſt unvollkommen elaſtiſch, wo dieſes nicht geſchiehet. Endlich iſt das Zittern eine

Eigen⸗

7

#

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 11

Eigenſchaften der elaſtiſchen Koͤrper, welche wohl bemerkt zu werden verdienet.

Nunmehr wollen wir uns weder in die Unterfu- chung der innern Urſachen dieſer beſondern Be⸗ ſchaffenheit der Körper einlaſſen, noch mit der Be. merkung mehrerer Erfahrungen und Grundſaͤtze aufhalten, die dieſelbe betreffen. Nur dieſe einige Anmerkung erfordert unſere Abſicht: Es erhellet aus der Beſchaffenheit der Elaſticitaͤt, und aus den Erfahrungen, daß ſich bey dem Zuſammen⸗ drucken eines elaſtiſchen Koͤrpers ein Wi⸗ derſtand aͤuffere, welcher im eigentlichſten Verſtand eine Entgegenwirkung heiſſen kann, und daß dieſe Entgegenwirkung des Elaters oder der Schnellkraft dem zuſam⸗ mendruckenden Korper eine der Richtung ſeines Drucks entgegen geſetzte Richtung und Bewegung geben koͤnne.

g. 7. N Bey weichen und harten Koͤrpern 1 beweiſen die bemerkten Veraͤnderungen barten und folgende Geſetze der Bewegung. Folgen I) Harte und weiche Körper kom- Ferm Stoß. men darinnen uͤberein, daß der bewegte Koͤrper, der auf einen ruhenden ſtoͤßt, ſeine Geſchwin⸗ L digkeit

162 Zweyte Abtheilung.

digkeit mit ihm theilet, nach dem Verhaͤltniß der Maſſen. |

2) Wenn ein nicht genugſam harter Körper auf einen andern ſtoͤßt, der ſich ſchon vor ihm her bewegte: ſo bewegen ſich ferner beyde in der nemlichen Richtung, mit einer gemeinſchaftlichen Geſchwindigkeit, die kleiner iſt, als die Geſchwin⸗ digkeit des anſtoſſenden vor dem Stoß, aber gröffer, als des geſtoſſenen feine war.

3) Wenn zween ſolche Koͤrper in entgegenge⸗ festen Richtungen auf einander ſtoſſen: fo ru⸗ hen ſie entweder beyde, oder einer treibt den an⸗ dern nach ſeiner Richtung mit ſich fort. Aber genugſam harte Körper verhalten ſich hierbey noch anders. Nemlich

4) Wenn ein harter Körper auf einen an dern harten ruhenden Koͤrper von gleicher Maſ⸗ fe ſtoͤßt: fo bewegt ſich dieſer, wofern ihn kein aͤuſſerlicher Widerſtand aufhaͤlt, ſo viel man merken kann, mit der Geſchwindigkeit des erſten; und der erſtere ruht.

5) Iſt der ruhende von groͤſſerer Maſſe: fo ſpringt der anſtoſſende zuruͤck, und der andere wird entweder gar nicht merklich bewegt, oder doch langſamer, als jener ſich bewegte. Iſt er von kleiner Maſſe: ſo findet man, daß der ge⸗

55 troffe⸗

| Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 163

ttoffene Körper ſich geſchwinder bewege, als der anſtoſſende vor dem Stoß ſich bewegt hatte, dies fer aber nach dem Stoß mit einer verminderten Geſchwindigkeit ihm folge, wo er nicht gar ruht.

6) Wenn ein ſolcher Koͤrper auf einen an⸗ dern von gleicher Maſſe ſtoͤßt, der ſich in der nemlichen Richtung vor ihm bewegte: fo ſetzen beyde ihre Bewegungen nach dem Stoß fort, aber der anſtoſſende bewegt ſich langſamer, und der geſtoſſene geſchwinder.

7) Wenn ſie von ungleicher Maſſe ſind: ſo kann der nachlaufende Koͤrper nach dem Stoß entweder zuruͤck ſpringen, oder ruhen, oder lang⸗ . ſam nachfolgen, je nachdem das Verhaͤltniß ih⸗

reer beyderſeitigen Maſſen und Geſchwindigkeiten vor dem Stoß gegen einander war.

8) Wenn ſich zween harte Koͤrper in entge— gengeſetzten Richtungen auf einander bewegen: fo fpringen fie nach dern Stoß mit einerley, oder

mit verwechſelter Geſchwindigkeit, zuruck, wenn ihre Maſſen gleich ſind. Wenn die Maſſen ungleich ſind: ſo wird entweder der eine den an⸗ dern zuruͤcktreiben, und, wiewohl mit verminder⸗ ter Geſchwindigkeit, in ſeiner erſten Richtung fort⸗ gehen; oder beyde werden zuruͤckſpringen; oder 12 der

164 zweyte Abtheilung. *

der eine wird ruhen, und der andere zuruͤck ſprin⸗ gen; je nachdem das Verhaͤltniß ihrer wech⸗

ſelsweiſen Maſſen und Geſchwindigkeiten vor

dem Stoſſe war.

9) Wenn bey allen dieſen Fällen die Rich⸗ tungslinie der bewegten Koͤrper nicht von dem Mittelpunct des einem zu dem Mittelpunct des andern geht: ſo bemerkt man allerhand Abaͤn⸗ derungen in der Richtung bey derjenigen Bewe⸗ gung, die auf den Stoß erfolgt.

10) Wenn ein harter Koͤrper gegen einen an.

dern dieſer Art ſchief anfaͤhrt, und zuruͤck prallt: fo iſt der Einfalls⸗Winkel dem Apprellungs⸗ Winkel gleich, auſſer was beſondere We hierinnen aͤndern.

11) Bey geringerer oder 10 ungleicher Haͤr⸗ tigkeit der Koͤrper, werden die Erſcheinungen von den bemerkten Geſetzen abweichen: ſo wie bey der beſondern Beſchaffenheit des Raums, durch den ſie ſich bewegen, gleichfalls geſchehen muß.

Es hat alſo freplich viele Schwierigkeiten dieſe Geſetze durch

die Erfahrung zu erproben; unterdeſſen werden ſie im⸗ mer in tantum eintreffen. Meine Abſicht erlaubte es nicht, ſolche aus der Hypotheſe der elaſtiſchen Kraft, die man bey harten Koͤrvern annimmt, herzuleiten. Was wir aber aus dieſen Erfahrungen ſicher ſchlieſſen kon. nen, iſt dieſes. Wenn keine Bewegung ohne bewegen⸗ de Kraft erfolgt, die ihre Richtung und Geſchwindig⸗ keit beſtimmt; fo muß bey dem Stoß der harten Kor⸗

per

Grundriß der vornehmſten Theile ac. 165

per eine Kraft vorhanden ſeyn, welche den Abgang der bewegenden Kraft, die aus dem Widerſtand entſteht, dergeſtalt erſetzt, daß nicht nur gleich viel Geſchwindig⸗ keit bleiben, ſondern auch bisweilen eine entgegenge⸗ ſetzte Bewegung entſtehen kann. Und dazu nimmt man, die Federkraft an, und nennt ſolche Körper Federhar⸗ te. Wenn bey dieſer Hypotheſe der Zweifel uͤbrig bleibt, wie nach der Plattdruckung die elaſtiſche Reſtitution erfolgen koͤnne, da beyde bewegende Kräfte in entge⸗ gengeſetzten Richtungen wirken: der denke dem nach, was der Herr Hofrath Käſtner davon ſagt, in den Anfangs gründen der höhern Mechanik S. 309. und folgenden, ſonderl. S. 312. Aufl. 1.

b. 8.

So weit ſich unfere Erfahrung von St ber, den Körpern auf unſern Erdboden er⸗ 15 * ſtreckt: muͤſſen wir ihnen allen die Ei: zum Fall und genſchaft zugeſtehen, die wir ihre Wu. Schwehre nennen; vermoͤge deren ſie ſich, wofern ſie nur nicht durch einen Widerſtand aufgehalten werden, von ſelbſten ſenkrecht gegen die Erde bewe⸗ gen, in einer gleichfoͤrmig wachſenden Bewegung. Daher ein Körper mit deſto ſtaͤrkerer Gewalt aufs faͤllt, je höher der Raum, aus welchem er herabge⸗ fallen; ingleichen je groͤſſer die Geſchwindigkeit, mit

der er geſtiegen. |

Wenn man dabey nicht auf die Ausdehnung der Koͤrper ſieht: ſo betrachtet man ihre abſolute

Schwehre. Thut man jenes: ſo ſieht man auf a ihre

166 Zweyte Abtheilung.

ihre ſpecifiſche Schwehre. Die Erfahrung leh⸗ ret, daß nicht alle Körper, weder abſolut noch ſpeci⸗ fifch gleich ſchwehr find,

Hieher gehoͤrte nun auch die Lehre von der Weweaung auf ſchiefen Flächen; inaleichen von dem Schwung der Penduln. Denn wer wollte leugnen, daß bey bey⸗ den die Schwehre wirkt? Aber man muß davon in der

hoͤhern Mathematik oder in aus fuͤhrlichen Naturlehren Unterricht ſuchen.

§. 9.

Re Wir finden, daß ein ſchwehrer Kör⸗ 800 b des per nicht fallen koͤnne, wofern er nur in demjenigen Punkt befeſtiget iſt, durch

welchen alle Flaͤchen gehen muͤſſen, die denſelben in zween gleichwichtige Theile ſchneiden koͤnnen. Denn durch dieſen Punkt geht die Directiong : £inie ſeines Falls. Dieſen nennt man daher den Mit⸗ telpunct der Schwehre. Wird ein Koͤrper in mehr als einem Punct unterſtuͤtzt: ſo wird er fuͤr den Fall bewahrt, wenn nur die Directions s Linie aus dem Mittelpunkt ſeiner Schwehre auf derjeni⸗ gen, die zwiſchen den Ruhepunkten iſt, ſenkrecht ſteht; und er wird deſto weniger fallen koͤnnen, je weniger es geſchehen kann, daß dieſe Directions Li⸗ nie auſſer den Linien der Ruhepunkte kommt, folg⸗ lich in je mehr Punkten er unterſtuͤtzt wird, oder je entfernter dieſe insgeſammt von dem Mittelpunkt ! der

Grundriß der vornehmſten Theile c. 167

der Schwehre ſind. Die natuͤrlichen und kuͤnſt⸗ lichen Bewegungen der thieriſchen und Mchlichen Koͤrper beweiſen dieſes.

§. 10.

Aus der Schwehre erfolgt ein Fall, e e |

wenn kein Widerſtand denſelben hin- der Körper

vermoͤge ih⸗ dert. Daher erfolgt er nicht, wenn ei- 10 : Säue ne Richtung zu einer gegenſeitigen Be⸗

wegung da iſt. Und wenn Koͤrper dergeſtalten

miteinander verbunden ſind, daß vermoͤge ihrer

Neigung zum Fall entgegengeſetzte Richtungen unter ihnen entſtehen: ſo halten ſie ſich entweder im Gleichgewichte, das iſt, fie bleiben in Ruhe, oder die Bewegungen erfolgen auf eine beſtimmtere Art. Es verdienen hierbey beſondere Faͤlle bemerkt zu werden.

1) Wenn zween Koͤrper an einer geraden Stange, die ſich um ihren Ruhepunkt bewe⸗ gen kann, befeſtiget ſind: fo kann fich keiner von dieſen bewegen, ohne daß ſich der andere mit be⸗ wege.

2) Wenn ſie daher gleich weit von dem Ru⸗ hepunkt abſtehen, und gleiche abſolute Schweh⸗ re beſitzen: fo erhalten fie ſich im Gleichge⸗ wicht. Ye 94 3) Wann

168 3weyte Abtheilung.

3) Wann fie nicht gleich weit von dem Rus hepunkt abſtehen: ſo findet man, daß ein Koͤr⸗ per von geringerer Maſſe einen groͤſſern im Gleichgewicht erhalte, oder bisweilen auch den Widerſtand ſeiner Schwehre uͤberwaͤltige und ihn nach ſich ziehe; wenn er von dem gemeins ſchaftlichen Ruhepunkt weiter als der andere ent⸗ fernt ift-» Es zeigt ſich aber auch, welches man ohnedem begreift, daß, bey entſtehender Bewe⸗ gung, der Koͤrper, welcher von dem Ruhepunkt weiter entfernt iſt, ſich durch einen groͤſſern Raum bewege, als derjenige, ſo dem Ruhepunkt naͤher iſt, zu der nemlichen Zeit durchlauft, und daß er folglich eine groͤſſere Geſchwindigkeit aͤuſ⸗ ſern muͤſſe.

Der Sebel und die Wage gruͤnden ſich auf dieſe Geſetze; und wie viele Bewegungen bringt die Kunſt und die Natur nach ſelbigen hervor?

§. U. 2

Den Münigen Auch fluͤßige Materien befigen eine Schwehre, vermoͤge deren fie herabfal⸗

len, wenn ſie nicht aufgehalten werden, im letzten Fall aber, perpendikulaͤr drucken. Zugleich aber drucken ſie auch gegen alle Seiten; denn auf jeder Seite laufen fie bey gemachter Defnung heraus; gegen jede Seite breiten fie ſich aus u. ſ. f. Auch hier halten entgegengeſetzte Krafte ſich in Ruhe, und gleich

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 169

gleich ſtark druckende Schwehren einander das Gleichgewicht. Dies erhellet aus den Beobachtun⸗ gen des Standes fluͤßiger Materien in communici⸗ renden Roͤhren; indem einerley fluͤßige Materie in beyden gleich hoch ſteht, ſie moͤgen in der Weite und Figur noch ſo ſehr unterſchieden ſeyn, ſo wie Waſſer in einem Gefaͤß eine horizontale Oberflaͤche hat. Hierbey ſcheinet es zwar allerdings ſonder⸗ bar, daß die fluͤßige Materie in der engern Roͤhre nicht hoͤher ſtehen ſollte, als in der weiten, da der Druck der Maſſe proportionirt zu ſeyn pfleget. Al⸗ leine wenn man bedenkt, daß je weiter die eine Roͤh⸗ re, deſto groͤſſer der Raum ſeyn muͤßte, welchen bey zu erfolgender Bewegung das Fluͤßige in der engern Roͤhre zu durchlaufen hätte, in der Zeit, da das in der weiten Roͤhre durch einen viel geringern ſich bes wegte: ſo ſieht man, daß, ſo zu ſagen, die Geſchwin⸗ digkeit der Maſſe das Gleichgewicht haͤlt; und daß die allgemeinen Geſetze der Bewegung auch hier⸗

bey beobachtet werden. f Dies iſt wenigſtens die gemeine Erklärung. Es laſſen ſich abe vielleicht noch ande e die liche Beobachtungen das bey auſtellen Auf die ſchmaͤhlere Columne kann nicht die gaaze weitere drucken, ſondern nur eine eorreſpon⸗ dirende alzich ſchmahle, die fie berührt. Aber warum bleiben wir int bey der Erfahrung ſtehen, wie ſelbſt ein Käftner? Siehe Anfangsgründe der Sydro⸗

ſtatik. S. 75.

25 $. 12.

170 Sweyte Abtheilung.

H. 12. Das Pr: Dieſe Beobachtung kann man als das geſetz von ö f Srus der Grundgeſetz anſehen, nach welchen ſich fluͤßtgen Ma⸗ =, l terie wird fluͤßige Materien in ihrem Druck ge⸗ 3 gen einander richten; mit welchem die

beſondern Fälle gar wohl uͤbereinſtimmen.

1) Wenn die fluͤßige Materie in communici⸗ renden Roͤhren nicht einerley Höhe erhalten kann: ſo bewegt ſie ſich entweder da hinaus, wo ſie ei⸗ ne Oefnung findet, mit einer Gewalt, die dem Druck, der andern Seite, das iſt, ihrer Hoͤhe und Maſſe zuſammengenommen, nach Abzug der Hoͤhe, welche die fluͤßige Materie in der nie⸗ dern Roͤhre ſelbſt haben kann, gemaͤß iſt; oder ſie druckt, wenn ſie nirgends ausflieſſen kann, mit dieſer Gewalt gegen alle Seiten, und dieſe Wir⸗ kung wird ſich da am ſtaͤrkſten aͤuſſern, wo der Widerſtand am geringſten iſt.

Die Springbrunnen erlaͤutern den erſten, und der ſogenannte anatomiſche Heber den andern Fall.

2) Da die fluͤßige Materien nicht alle ei⸗ nerley ſpecifiſche Schwehre haben: ſo findet es ſich auch, daß das leichtere Fluͤßige höher in eom⸗ municirenden Roͤhren ſtehen bleibt, als das ſchwehrere. So ſteht Waſſer vierzenmal hoher,

als das Queckſilber.

H. .

£ Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 171

§. 13.

Wenn wir auf die Faͤlle ſehen, wo Bug füt fluͤßige und feſte Koͤrper gegen einander 15 1 a drucken: fo werden fich folgende Geſetze gegen eins dabey veroffenbaren. e

1) Ein feſter Koͤrper, der gleiche ſpecifiſche Schwehre mit dem fluͤßigen hat, wird ruhen, nachdem er ſich gaͤnzlich eingetaucht.

2) Wenn er aber ſpecifiſch ſchwehrer iſt, wird er ſich nach der Richtung ſeiner Schwehre fortbewegen, und zwar deſto geſchwinder, je ſchwehrer er iſt.

3) Iſt er aber fpecififch leichter: fo wird er ſchwimmen, und ſich mehr oder weniger eintau⸗ chen, je nachdem er viel oder weniger leichter iſt.

4) Wenn daher die ſpecifiſche Schwehre, es

ſeye des feſten Körpers oder des fluͤßigen, geaͤn⸗ dert wird: ſo erfolgt eine Bewegung.

5) Wenn ein leichterer Koͤrper mit Gewalt in die fluͤßige Materie eingetaucht wied: ſo ſteigt er wieder auf, wenn die Gewalt nachlaͤßt, mit einer Geſchwindigkeit, die deſto groͤſſer iſt, je geringer ſeine Schwehre.

Es wird nicht ſchwehr ſeyn, durch Beyſpiele dieſes weiter zu erklaͤren.

§. 14.

172 Zweyte Abtheilung.

3. Ai Kelle Aber dieſes iſt noch was befonbere, erte in dem daß ein feſter Koͤrper in der fluͤßigen Ec Materie ſein Gewicht zu verliehren * ſcheint. Ein Krug voll Waſſer laͤßt ſich in demſelben leichter hin und her bewegen, als auſſer demſelben. Man ſieht dieſes noch beſſer, wenn man einen feſten Koͤrper, der an einer Wage mit einem andern im Gleichgewicht haͤngt, in ein Fluͤßiges, das man gegen ihn bewegt, eintaucht. Je mehr er ſich eintaucht, deſto mehr bekommt das Gegengewicht den Ausſchlag, (die Ueberwucht) und dies fo lange, bis es völlig eingetaucht iſt. Und zwar kann man hierbey durch Verſuche erweiſen, daß der eingetauchte Koͤrper ſo viel von ſeiner Schwehre verliehre, als die Schwehre des Fluͤßigen beträgt, das an feiner Stelle ſeyn koͤnnte. Auf dieſe Art findet man die ſpecifiſche Schwehre, ſowohl flüßiger als feſter Körper, durch die Waſſerprobe. F. Befontere um bey beſondern Fällen nicht irre ge⸗ nmerkun⸗ 2 gen. macht zu werden, merken wir noch an, I) daß, wenn eine fluͤßige Materie in Bes wegung iſt, und vermoͤge dieſer Bewegung der Senkung des feſten Koͤrpers zuwider wirkt, als⸗ denn nicht erfolgen koͤnne, was erfolgen wuͤrde,

wenn das Fluͤßige ruhete. 2) Da

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 173

2) Da die Theile des Fluͤßigen einen gewiſ. ſen Zuſammenhang miteinander haben, welcher nur durch eine zureichende Kraft kann getrennt werden: ſo koͤnnen ſehr kleine Theilchen eines feſten Körpers, oder ein ſehr duͤnner und breiter Koͤrper auf dem Fluͤßigen ſchwimmen, ohnerach⸗ tet dieſes ſpecifiſch leichter.

3) Da der Körper, wenn er im Fluͤßigen uns tergehen ſoll, ſo viel von demſelben vertreiben muß, als ſein Raum betraͤgt: ſo kann er, ver⸗ moͤge ſeiner Figur, im Ganzen leichter ſeyn, als die Maſſe des Fluͤßigen, daß er verdrengt, ob⸗ gleich feine Theilchen ſpeeifiſch ſchwehrer.

4) Wenn ein fpecififch ſchwehrerer Körper, als das Fluͤßige, mit einem ſpecifiſch leichteren verbunden wird: ſo muß man beyder Gewicht zuſammen mit dem Gewicht des Fluͤßigen vers gleichen, das ſie wegtreiben. &

5) Wenn ein Körper alsdenn erſt untergeht, wenn er von der fluͤßigen Materie durchdrungen worden: ſo iſt ſeine eigenthuͤmliche Materie ſpe⸗ cifiſch ſchwehrer, als die fluͤßige? Denn wars um wuͤrde er ſonſt untergehen?

za

Die Bewegungen der Fiſche koͤnnen unter andern hieraus erklärt werden. 0 N 16.

174 zweyte Abtheilung. $. 16,

m. Bey den bisher betrachteten Bewe⸗ Ems der gungen, fanden wir die naͤchſten beſtim⸗ Feen el menden Urſachen, entweder in dem Uümtundbey Stoß, Druck oder Ziehen anderer e ſichtbaren Körper, oder in der Schweh⸗ gen. re, einer allgemeinen Eigenſchaft der Koͤrper unſers Erdkreiſes. Aber es eraͤugnen ſich Bewegungen, welche wider die vorigen Geſetze der Schwehre, und doch ohne eine fremde, ſichtbarlich durch Stoffen, Drucken oder Ziehen wirkende, Urs ſache erfolgen. Man ſieht, daß ich von dem An⸗ ziehen und Zuſammenhang der Koͤrper rede, einer Erſcheinung, uͤber welche man in den neuern Zeiten ſo oft geſtritten, und durch welche die phyſiſchen Lehr⸗ gebäude fo verſchiedentlich beſtimmt worden find. Wir wollen die Bemerkungen von den Umſtaͤnden, unter welchen Körper einander anziehen, oder zu⸗ . auf allgemeine Saͤtze bringen. Wenn man daraus auch die phyſiſchen Grund Ur⸗ ſachen nicht wird errathen koͤnnen: ſo werden ſie

doch zur Erklaͤrung beſonderer Faͤlle dienlich ſeyn.

e .

Umſtaͤnde, o K 1 4 ier wei, Die Erfahrung lehret, daß nicht ein chen Korper jeder Koͤrzer mit einem jeden andern als zuſammen⸗ f 1 5

bangen. lemal ſinnlich zuſammenhaͤnge; ſondern

daß

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 175

daß hauptſaͤchlich ein gewiſſes Verhaͤltniß der bey derſeitigen ſpecifiſchen Schwehre, und eine gewiſſe Menge der Beruͤhrungspuncte, dazu erfordert wer⸗ de. Denn 1) das Queckſilber haͤngt ſich nicht an rei⸗ nes Papier, Holz, Glas, Stein, und alle unme⸗ talliſche Körper, hingegen das Waſſer und ans dere leichte fluͤßige Materien thun dieſes.

2) Wenn man QDueckſilber mit Materie, wodurch die Maſſe fpecififch leichter wird, z. E. mit Waſſer vermengt: ſo haͤngt es auch mit un⸗ metalliſchen Koͤrpern zuſammen.

3) Wenn man eine Wachskugel an ein Holz andruckt: oder zween harte Koͤrper glatt polirt, oder auch, wenn man ſie mit einer fluͤßigen Mas terie uͤberſtreicht, und dadurch die noch übrigen Zwiſchenraͤumchen ihrer Oberfläche ausfuͤllt: fo haͤngen ſie ſtaͤrker zuſammen, als auſſerdem. Fer⸗ ner kann man vermittelſt einer Wage leicht fine den, daß, je gröffer die Flaͤche des zuſammen⸗ hangenden Koͤrpers, deſto mehr Gewalt erfor⸗ dert werde, dieſen Zuſammenhang zu trennen.

4) Hingegen wenn man die Körper, an die ſich ſonſt fluͤßige Materien anhaͤngen, mit Hexen. meel beſtreut, von deſſen Theilchen man durch Vergroͤſſerungs⸗Glaͤſer bemerkt, daß fie gi

vie

176 Zweyte Abtheilung.

viel Beruͤhrungspunkte geſtatten: ſo findet man daß der Zuſammenhang fin nicht mehr auſſere.

5) Noch merke man, daß zuſammenhangende Körper, z. E. zwo Marmortafeln ſich leichter tren⸗ nen laſſen, weun man fie verſchiebt, als wenn

man ſie gerade zu von einander reiſſen will.

Daß die Figur der Theilchen, daß ein aͤuſſerer Druck ei⸗ nen Zuſammenhang verurſacheu koͤnne, lehrt die Erfah: rung. Es kommt nun darauf an, ob dieſe Urſachen hinreichend find, alle Arten des Zuſammenh angs in der Natur zu erklärten.

§H. 18. eh Und auf dieſe und dergleichen Verſu. Zufammen⸗ che gruͤndet ſich das alggemeine Ges er 11 ſetz des Zuſammenhangs: daß fluͤßige ſter Korper. Materien, deren Theile nicht ſpecifiſch ſchwehrer, als die Theile eines beruͤhrenden Koͤr— pers, wenn die Menge der beruͤhrenden Theile groß genug iſt, um den Widerſtand der Schwehre und des Zuſammenhangs der Theile untereinander zu uͤberwaͤltigen, den beruͤhrenden Koͤrper ſinnlich an⸗ hängen. Wenn aber die Theile der fluͤß gen Mas terie ſpecifiſch ſchwehrer find, oder nicht genug Theis le ſich beruͤhren, fo hängen fie nicht zuſammen.

§. 19. N

Dom Antie⸗ Nun wollen wir einige Bewegungen, die beym Zufammenbang der Körper

Er Ri in

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 177

zu erfolgen pflegen, und welche einer anziehenden

Kraft zugeſchrieben werden, näher. betrachten.

)) Ein Tropfen flüßiger Materie zerflißt auf einen nicht leichtern Koͤrper, deſſen Oberflaͤche Beruͤhrungspunkte genug hat.

2) Die fluͤßige Materie erhebt ſich gegen den

beruͤhrenden Koͤrper; z. E. das Waſſer am Rand eines Gefaͤßes, wenn es nicht ganz voll iſt; oder wenn es voll iſt, in der Mitte, oder wo es mit einem Staͤbchen beruͤhrt wird.

2) In Haarroͤhrchen, deren Weite hoͤchſtens 2s eines Zolls betraͤgt, ſteigt die anhaͤngende fluͤßige Materie aufwaͤrts.

4) Je ſpecifiſch leichter die fluͤßige Materie,

und je enger die Roͤhre, deſto hoͤher ſteigt fie insgemein, wenn ihre kleinſten Theilchen nur eins dringen koͤnnen. Doch koͤnnen auch der Grad der Fluͤßigkeit ſelbſt, und andere Umſtaͤnde, einen Unterſchied machen.

Dieſer Bemerkung bedient man ſich eine Menge Be⸗ gebenheiten in dem Stein⸗Thier⸗ und Pflanzen⸗Reich zu

erklaͤren.

5) Ein feſter Körper kann in einer fluͤßigen Materie, die ihm anhaͤngt, in eine Bewegung gerathen, die feiner Schwehre zuwider ſcheint, nemlich aufwärts, gegen die größte Menge der beruͤhrenden Materie. So bewegt ſich z. E.

M ein

178 . Swepte Abtheilung.

ein holes Glasfügeichen, von! Zoll im Durch meſſer gegen den erhabenen Theil eines im Ge⸗ faͤß ruhenden Waſſers.

§. 20. 8 auf die Hr Wenn die Geſetze vom Zusammenhang 958 Mate⸗ ihre Richtigkeit haben: ſo folgt daraus, vr daß, wenn die Beruͤhrungspuncte der Theile eines Körpers verändert werden, der Zus ſammenhang derſelben untereinander ſelbſt, und das durch die Erſcheinung des ganzen Körpers, konne geändert werden. Fluͤßige und feſte Körper find eben darinnen unterſchieden, daß die Theile der er- ſtern ſo wenig zuſammenhaͤngen, daß das Gewicht eines Tropfens bey denenſelben den Zuſammenhang auf heben kann. Kann es alſo nicht geſchehen, daß flüßige Materien feſte Körper, oder dieſe fluͤßig werden, wenn die Beruͤhrungspunkte vermehrt oder vermindert werden? Die Erfahrung weiſet haͤufi⸗ ge Beyſpiele von ſolchen Veraͤnderungen, wo man nichts bemerken konnte, als daß die Beruͤhrungs⸗ punkte entweder durch Einmiſchung einer fremden Materie, oder durch Vertreibung derſelben, veraͤndert worden.

Gar ; ne Weil wir einmal durch die Betrach⸗ Korper. tung des Zuſammenhangs auf eine Eins

| their

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 179

theilung der Koͤrper gekommen ſind: ſo will ich gleich noch einige Arten von Körpern anführen, des ren Eigenſchaften eine beſondere Art des Zuſammen⸗ hangs ihrer Theile verrathen; was auch immer die Urſach dieſes Zuſammenhangs iſt. Denn gewiß find die weichen, harten, ziehbaren, ſproͤden und elaſtiſchen Koͤrper hauptſaͤchlich in der Art des Zuſammenhangs ihrer Theile unterſchieden. Die Veraͤnderungen, die ſich mit den Koͤrpern, vermoͤge dieſer Eigenſchaften, eraͤugnen Förnen, find zum Theil ſo ſonderbar, daß wir ſie nicht ganz unbemerkt laſſen konnen. Muß man nicht uͤber die Ausdeh⸗ nung einiger ziehbarer Koͤrper erſtaunen, wenn man z. E. hoͤrt, daß aus 22 Pfund Silber ein Drat von 60 deutſchen Meilen gezogen werde, und mit einertllnze Goldes 146 Pariſer Quadratſchuhe be⸗ decke werden konnen? Sproͤde Körper zerſprin— gen, und trennen ſich öfters in unzaͤhlig vielen Thei⸗ len, da fie nur an ſehr wenigen unmittelbar berührt worden; wie man ſolches an den Glastropfen und an den Bologneſer Flaſchen mit Verwunderung ſieht. Die zitternde Bewegung der elaſtiſchen Körs per, und die Gewalt, mit welch er fie ſich nach dem Druck wider in ihren vorigen Zuſtand verſetzen, iſt nicht weniger merkwuͤrdig. Aber da die Eigen⸗ ſchaften dieſer Körper geändert werden, unter Um⸗ ſtaͤnden, wo man keine Veraͤnderung, als in An⸗

N ſehung

180 „BZwepte Abtheilung.

ſehung der Beruͤhrungs Punkte ihrer Theile bemers ken kann: fo muß man ja in der Vermuthung bes

ſtaͤrkt werden, daß die ſonderbaren Veraͤnderlichkei⸗ ten derſelben hauptſächlich von der Art des Zuſam⸗ menhangs ihrer Theile herkaͤmen.

§. 22.

N Das Anhaͤngen und Eindringen flu Körper. ſiger Materien in den feſten Körper ver. urſacht oͤfters eine Aufloͤſung. Wenn ſeine Thei⸗ le insgeſammt getrennt werden, und ſich mit der flüßigen Materie vermengen: fo iſt dies eine Auf: loſung im eigentlichen Verſtand. Werden ſie alle getrennt, bleiben aber ſinnlich in Geſtalt eines fluͤßigen Weſens beyſammen; fo iſt es eine Schmel⸗ zung. Bisweilen ſondern ſich nur gewiſſe Theile ab, die in die fluͤßige Materie uͤbergehen, und da⸗ ſelbſt aufbewahrt werden; dies heißt alsdann eine Extraction. Bisweilen verfliegen fie aus der fluͤſ⸗ ſigen Materie, wie bey den Sublimationen, Ros ſtungen, Calcinationen. Es iſt freylich nicht jes de fluͤgige Materie zur Auflöfung eines jeden feſten Koͤrpers gleich geſchickt, wie die Verſuche beweiſen; und es iſt nicht nur das Anhaͤngen, ſondern auch die Bewegung in Betrachtung zu ziehen; weil durch die Ruhe ſowohl, als durch den veränderten Zus ſammenhang, eine Praͤcipitation kann befoͤrdert werden,

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 181

werden, wodurch die getrennten Theile ſich wieder zuſammenſetzen.

8. . |

Es find noch gewiſſe Bewegungen . zu betrachten, die von allen bisher be. Bewegun⸗ merkten unterſchieden zu ſeyn ſcheinen; Be indem fie nicht nur der Schwehre der Körper ent⸗ gegen, und ohne ſichtbar bewegende Kraft, ſondern auch vor der Beruͤhrung, erfolgen. Es ſind dies die elektriſchen und magnetiſchen Bewegungen, dieſe ſonderbaren Erſcheinungen, welche durch Ver— ſuche der neuern Zeiten ſo ſehr vervielfaͤltiget wor— den. Wir verftehen aber unter elektriſchen Be- wegungen diejenigen, welche erſolgen, wenn gewiſſe Koͤrper gerieben, oder dieſen geriebenen nahe ge⸗ bracht werden. Diejenigen Koͤrper, welche durchs Reiben zur Elektricitaͤt geſchickt werden, nennt man eigenthuͤmlich oder urfprünglich = elektriſche Körper; diejenigen, welche durch Annäherung an ge— riebene vorzuͤglich dazu bereitet werden, fortpflan— zende elektriſche Koͤrper. Von der erſten Art find auſſer dem Waſſer und Metall, faſt alle Koͤr— per; beſonders aber das Glas, die Edelgeſteine, der Bernſtein, und alle pechigte, haarigte, wollene und ſeidene Materien, wenn ſie wohl getrocknet ſind.

M 3 $. 24

182 Sweyte Abtheilung.

| §. 24. a Verſuche. Von den unzähligen elektriſchen Ver. ſuchen will ich hier nur folgende anfuͤhren: ö

) Wenn man die bemerkten urſpruͤnglich elektriſchen Körper ſchnell durch die Finger zieht, oder ſonſt reibet; oder zu ſtarken und beque⸗ mern Verſuchen die Glasroͤhre der elektriſchen

Maſchine gerieben hat; und dieſe oder jene leich⸗

ten Sachen naͤhert: ſo fahren letztere gegen ſie

an, oftmals auch wieder zuruͤck. Rothe und

gelbe Faͤden werden ſtaͤrker als gruͤne und blaue, metallene Blaͤtter am heftigſten bewegt.

2) Eine auf dem Waſſer ſchwimmende klei⸗

ne Kugel bewegt ſich gegen den Finger ſo wohl,

wenn dieſe elektriſch gemacht worden, das Waſ—

ſer-Geſaͤß aber nicht; als auch wenn das Gegen⸗ theil geſchieht. |

3) Wenn man leichte Kuͤgelchen, z. E. von

Kork, zwey an Seiden und zwey an Zwirn-⸗Faͤ⸗

den, dergeſtalt aufhangt, daß fie ſich beruͤhren:

ſo werden ſie, wenn man ſie uͤber die elektriſirte

Roͤhre Hält, ſich ſogleich entfernen, und wenn man

fie von der Röhre entfernt, ſich wiederum naͤhern,

die an Seide hangende aber ſchneller als die

am Zwirn Faden.

4) Die Faͤden, Faͤſerchen, Goldblaͤttchen fah⸗

ren meiſtens nach der Schaͤrfe gegen die elek⸗

triſir⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 183

teiſirten Körper an, oder richten ſich auch wohl auf, wenn ſie nach der Breite hingebracht wor⸗

den; ein Waſſertropfen erhebt ſich gegen den

elektriſirten Koͤrper ſpitzig zu. 5

5) Ein Waſſerſtrahl, der aus einer erhabe⸗ nen Fontaine ſpringt, naͤhert ſich der elektriſchen Roͤhre; und wenn die Fontaine ſelbſt näher an

der elektriſchen Gegend iſt: ſo wird der Waſ—

ſerſtrahl in viel mehr kleinere Tropfen zerſtreut, als ſonſt geſchieht. 6) Wenn ein vom elektriſirten Körper ab»

fliegendes Metallblaͤttchen in ſeinem Weg einen

elektriſchen Koͤrper antrifft: ſo fliegt es gegen

denſelbigen an, und bleibt einige Zeit an ihm hangen.

7) Wenn man an die elektriſche Röhre zwo metallene Glocken, die eine an Seide, die ande⸗ re an Drat, und zwiſchen ihnen einen Kleppel, gleichfalls an Seide, aufhaͤngt: ſo wird durch das wechſelsweiſe Hin. und Herfahren des Klep: pels ein Gelaͤute entſtehen. Hingegen beyde Glo⸗ cken, und der Kleppel, an fortfuͤhrenden Koͤr⸗ pern: ſo wird die Bewegung des Kleppels nur alsdann erfolgen, wann man den Finger, oder ſonſt einen unelektriſirten Körper, gegen eine die⸗ ſer Glocken naͤhert. | | M4 8) Wenn

184 zweyte Abtheilung.

8) Wenn man das Geſicht oder den Fin. ger gegen den elektriſirten Koͤrper bringt: ſo entſteht eine Empfindung des Windes, An⸗ ſtoſſes oder Stechens.

9) Wenn man Papier zwiſchen die elektri. ſirte Röhre, und die Körper, die ſonſt dagegen anfliegen, haͤlt: ſo fliegen ſie nicht dagegen an.

§. 25. | a Von dem Magnet merken wir fol. Khendener gende Beobachtungen an:

he 1) Der Magnet bewegt ſich gegen Eiſen und alle diejenigen Körper, die Eiſentheile in ei- ner genugſamen Menge enthalten; und dieſe Koͤrper bewegen ſich gegen den Magnet.

2) Man ſindet zween Punkte an dem Magnet, um welche ſich das Eiſen am ſtaͤrkſten anhaͤngt, und wovon der eine immer gegen Norden, und der andere gegen Suͤden zugekehrt iſt, wenn ſich der Magnet frey bewegen kann; daher ſie auch der noͤrdlich und ſuͤdliche Pol heißen.

3) Die Pole, die einerley Namen fuͤhren, entfernen ſich von einander, und heißen daher feindliche; die verſchiedene Namen fuͤhren,

nähern ſich einander, und heißen freundſchaft⸗ liche. 4) Die

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 185

4) Dieſe wechſelsweiſe Annäherung des Magnets und des Eiſens erfolgt nicht immer in einerley Entfernung. Aber man hat ſie bey einem Zwiſchenraum von 12— 13 Schuhen ge⸗ funden.

5) Sie aͤuſſert ſich auch durch darzwiſchen ge⸗ legte feſte Körper, das Eiſen ausgenommen.

6) Feilſtaub oder feine Stuͤckchen Drat rich- ten ſich auf, wenn man unter dem Teller oder Papier, worauf ſie liegen, mit dem Magnet wegfaͤhrt. |

7) Der Magnet kann auf eine gewiſſe Art zubereitet werden, daß ſich dieſe Verſuche ſtaͤrker aͤuſſern. Dies nennt man den Magnet bewaffnen.

8) Das Eiſen kann durch die Beſtreichung des Magnets, und durch andere Veraͤnderungen, magnetiſch werden. | 99) Es kann aber das magnetiſche Eiſen, fo wohl als der Magnet ſelbſt, dieſe bemerkte Eis genſchaft verliehren, z. E. wenn fie gluͤend ges macht werden.

15) Endlich hat ſich gefunden, daß bie Ma⸗ gnetnadel zweherley veraͤnderliche Bewegun⸗ gen aͤuſſere; nemlich eine Abweichung von der wahren Mittagslinie, und eine Neigung oder Senkung ihrer Spitzen; welche nach den ver—

M 5 ſchiede⸗

186 aweyte Abtheilung.

ſchiedenen Himmelsgegenden, Zeiten und andern

Umſtaͤnden, verſchiedentlich erfolgen.

§. 26.

Abtheilun ; , Rh 3 Br are Wir haben bisher die allgemeinfte Er-

ech DDR ſcheinung bey den Veränderungen der theilen. Koͤrper, uͤberhaupt und unter beſondern

Umſtaͤnden, betrachtet. Schon dabey haben wir

mancherley Unterſchied unter den Körpern bemerkt.

Und die Veraͤnderungen, die Koͤrper leiden oder ver— urſachen koͤnnen, geben noch zu mehr Eintheilungen Anlaß. Denn nicht alle Koͤrper werden unter ei⸗ nerley Umſtaͤnden auf einerley Art veraͤndert; daß alſo in ihnen ſelbſt entweder unterſchiedene Beſtand⸗ theile, oder eine verſchiedene Verbindung derſelben ſeyn muß.

8

Sbellede. So berechtiget wir aber find, vermö« Materie. ge der Erfahrung einen Unterſchied un⸗ ter den Koͤrpern zu ſetzen: ſo wenig ſind wir im Stand die Natur der kleinſten Beſtandtheile, der metaphyſiſchen Elemente, zu entdecken. Zwar uͤber⸗ zeugt uns die Empfindung, daß die Natur in Thei⸗ lung der Koͤrper nicht ſelten uͤber die Grenzen un⸗ ſerer Gedanken gehe. Aber ſo wenig daraus abzu⸗ nehmen, daß die Koͤrper wirklich ins unendliche

theil⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 187

theilbar: eben fo wenig dörfen wir glauben, daß ihre kleinſten Theile uns empfindbar wuͤrden.

Wie weit die Zertheilung der Materie gehe, beweiſen die Theilchen der riechenden, leuchtenden, faͤrbenden Din⸗ ge. Und was ſoll man zu den Löwenbödifchen Thierchens ſagen, deren viele Millionen in einem Sand⸗ koͤrnchen Platz haben ſollen?

§. 28. a Da wir uns aber von der Erfah: A rung wollen leiten laſſen: ſo wollen wir lemente. unſere Betrachtungen auf diejenigen weniger zuſam⸗ mengeſetzten Koͤrper richten, welche ſeit langen Zei— ten den Namen der Elemente führen. Man ver: ſteht aber darunter das Waſſer, die Erde, das

Feuer und die Luft; als diejenigen Materien,

die den Stof der aus mancherley Zuſammenſetzun—

gen entſtandenen Koͤrper ausmachen, und ſich bey

ihrer Aufloͤſung abſondern.

8 Wenn man nur die Bedeutung des a 15 5 Worts Feuer erklären ſoll: fo wird sand und wohl der gemeine Sprachgebrauch er:

fordern, daß man diejenige Materie dadurch verſte⸗ he, bey deren Gegenwart, wir Licht oder Waͤr—⸗ me, oder beydes zugleich, empfinden. Wir wollen zuerſt die Erfahrungen von der Waͤrme, und hernach von dem Licht, bemerken.

*

9.30.

188 zweyte Abtheilung.

§. 30. f Binn ene Die Waͤrme aͤuſſert ſich bey ei⸗ ofuden? ner Bewegung. Sie erfolgt, wenn man feſte Koͤrper reibet, ſchlaͤgt; und ſie kann auf dieſe Art bis zur Hitze, ja bis zur Glut vermehrt werden. Sie erfolgt, wenn man gewiſſe fluͤßige Materien miteinander vermiſcht, wodurch ihre Theis le in Bewegung kommen. Wo ſie unſern Sinnen

nicht immer merklich wird; doͤrfen wir doch ihr Da⸗ A

ſeyn deſto weniger leugnen, je leichter wir durch die Erfahrung ſelbſt koͤnnen belehrt werden, daß oft nur eine Veraͤnderung der ſinnlichen Werkzeuge, oder der Nebenumſtaͤnde noͤthig ſey, um dasjenige zu empfinden, was wir vormals nicht empfunden

hatten. Wenn unſere Haͤnde ſehr erkaltet ſind, ſo

duͤnkt uns das Waſſerr warm, welches uns auſſer⸗ dem kalt wuͤrde vorgekommen ſeyn; und bey der Nacht wird man vielmals ein Licht bemerken da, wo man es beym Tag nicht gewahr wird. Die Glut wird durch Anblaſen, das iſt, durch die Bewe⸗ gung der Feuertheilchen vermehrt, durch den Druck, durch welche die Bewegung derſelben gehindert wird, verloͤſcht ſie; und Dampf, Rauch, Flamme zeigen die Bewegung, die ſich bey der Feuer⸗Materie aͤuſ⸗ ſern, genugſam an.

Es giebt alſo eine Materie, welche, wenn ſie in Bewegung

geſetzt wird, Wärme verurſacht.

8. 310

N R r ae Fe >

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 189

Fenn Aber gleich wie überhaupt bekannt Zander die

ift, daß nicht alle Körper unter einerley durch Ver⸗

umſtaͤnden, zu den nemlichen Feuer-Er⸗ fler Ma⸗ ſcheinungen gleich geſchickt ſind: ſo iſt n

insbeſondere anzumerken, daß bey der Bewegung, die durch die Vermiſchung gewiſſer flüßigen Mate. rien entſteht, nicht nur keine Waͤrme oder Hitze, ſondern wohl das Gegentheil erfolgt. Kochſaltz, Sal⸗ miack und verſchiedene andere fluͤchtige alkaliſche Salze im Waſſer, Vitriol⸗Oel im Schnee, vermeh⸗ ren die vorige Kälte ganz merklich. Eine ganz bes ſondere Erſcheinung ift es, wenn man bey der Ver— miſchung Salmiacks und Vitriol⸗Oels, vermittelſt des Waͤrmemeſſers, in der fluͤßigen Materie die gewoͤhnliche Wirkung der Kaͤlte, und auſſer derſel⸗

ben Waͤrme beobachtet.

Die Materie der Waͤrme befindet ſich alſo entweder nicht bey allen Arten der Koͤrper in gleicher Menge, oder kann nur nicht wirkſam werden.

5. 32.

Die Erfahrung lehret daß die Waͤr⸗ Sen der ? me eines heiffen Körpers bey der Be⸗ der Wärme. ruͤhrung eines kalten ſo lange abnehme, bis dieſer fie in einem gleichen Grad aͤuſſert. Eben dieſe Er. fahrung giebt auch zu erkennen, daß bey einem dich⸗

tern

190 dweyte Abtheilung.

tern kalten Koͤrper der heiſſe ſeine Waͤrme geſchwin⸗ der verliehre, als bey einem lockern.

Die Materie der Waͤrme wird alſo hier nur in ihrer Be⸗ wegung gehemmt, oder ſie geht in den andern Koͤrper über, oder beydes zugleich.

. 3 ee Ban Ferner beobachtet man, daß bey der Korper aus. Waͤrme die Körper ausgedehnt, bey ihrer Abweſenheit zuſammen gezogen werden. Die Erfahrungen, die dieſes beftätigen, find vielfach und zum Theil ſehr bekannt. Und hierauf gründet ſich das Waͤrmemaaß oder der Thermometer. Die Veraͤnderungen, die beſondere Arten der Koͤr— per bey der Kälte leiden, z. E. die flüßigen Mate: rien, die dadurch hart werden koͤnnen, ſind nicht un⸗ bekannt; und aus dem Uebergang der waͤrmenden Materie begreiflich, in ſofern dadurch die Theilchen der fluͤßigen Materie näher konnten vereinigt wer⸗ den. 8

§. 34.

Dom Licht. Jetzo kommen wir auf das Licht, dieſe wunderbare und heilſame Sache, uͤber welche in den neuern Zeiten ſo gluͤckliche Verſuche ſind angeſtellt worden. Wir wollen einige derſelben

anfuͤhren. | | Y) Wenn ein Lichtſtrahl durch ein gläfernes Prisma, oder andere dazu geſchickte Koͤrper ge⸗ ſpal⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ac. 191

ſpalten wird: ſo entſtehen daraus die bekannten

Regenbogen⸗Farben, und wenn dieſe Farben⸗ ſtrahlen wiederum geſammlet werden: erſcheint

nur die Farbe des Lichts wieder. i

2) Es iſt bekannt, daß einige Koͤrper un⸗ durchſichtig genennt werden, weil ſie das Licht abhalten, und einen Schatten verurſachen, ande⸗ re hingegen durchſichtig. Aber die Eigen⸗ ſchaften dieſer Körper ändern ſich, wenn die La⸗ ge ihrer Theile veraͤndert, und die Zwiſchen⸗ raͤumchen derſelben bedeckt, geoͤfnet oder mit fremder Materie erfuͤllt werden.

3) Eben ſo veraͤnderlich ſind die Farben der Körper, die ebenfalls von der Lage der Theilchen abhängen, nach n. ı.

§. 35.

1 2 3 Fernere Has Dieſe Beobachtungen koͤnnen dazu ae

dienen, das weſentliche und zufaͤllige vom Licht. beym Licht und den Farben einigermaſſen einzuſe⸗

benz; wir wollen jetzt noch einige Erfahrungen be⸗

merken, die die Art betreffen, wie uns Dinge dadurch

ſichtbar werden.

N

1) Das Licht pflanzt ſich in geraden Linien

fert, und breitet ſich nach allen Gegenden aus, wwird aber in der Nähe ſtaͤrker empfunden.

2) Die

192 Swepte Abtheilung.

2) Die Subtilitaͤt der Lichtſtrahlen iſt un. begreiflich: man kann durch die kleinſte Oef⸗ nung einen ſehr groſſen Raum ſehen.

3) Das Licht pflanzt ſich mit einer bewun⸗ dernswuͤrdigen Geſchwindiskeit fort. Denn nach den Berechnungen der Meßkuͤnſtler bewegt es ſich in 8 Minuten von der Sonne zu unſerer Erde, d. i. faſt durch 19 Millionen deutſcher Meilen.

4) Es wird gebrochen, wenn es aus einer dichtern Materie in eine duͤnnere, oder aus einer duͤnnern in eine dichtere kommt; und zwar in jenem Fall von dem Perpendikel ab, in dieſem aber gegen den Perpendikel.

5) Das Licht wird reflectirt, oder prallt zu⸗ ruͤck, und zwar fo, daß der Reflexions⸗Win⸗ kel dem Einfalls⸗Winkel bey nahe gleich iſt. Darauf gruͤndet ſich der Gebrauch der Spiegel, und die Sichtbarwerdung der dunkeln Koͤrper überhaupt.

6) Der Ort, die ſcheinbare Groſſ und Ge⸗ ſtalt eines Objects, das uns ſichtbar wird, haͤngt von dem Abſtand und der Beſchaffenheit des Zwiſchenraums mit ab, wie ſchon aus n. . zu ſchlieſſen; und die Erfahrung beſtaͤtigt es. Das

Ende einer Allee erſcheinet enger, der Stab im Waſſer gebrochen, ein Stuͤck Gold auf dem Boden

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 193

Boden eines Gefaͤßes wird ſichtbar, wenn Wafr ſer hineingegoſſen wird; die Bewegung eines ſehr weit entfernten Objects wird unmerklich; der Veraͤnderung der Gegenſtaͤnde, wenn ſie durch gewiſſe Spiegel oder Vergroͤſſerungsglaͤſer gefes hen werden, nicht zu gedenken.

§. 36. |

Oefters ift das Licht mit der Wärme Licht ohne

2 und mit

verbunden, bisweilen aber iſt beym Licht Wärme. keine Waͤrme unſern Sinnen merklich. Die Waͤr⸗ me des Lichts kann durch kuͤnſtliche Mittel ſehr vers ſtaͤrkt und zu einem ſolchen Grad der Hitze gebracht werden, dergleichen das natuͤrliche Feuer kaum er— regt. Dazu dienen die Brennſpiegel und Brenn⸗

glaͤſer.

Die Oytiſchen Theile der Mathematlk beſtimmen die Erſchei⸗ nungen des Lichts genauer, von welchen eine halbe Ausführung, weder verſtaͤndlich, noch gruͤndlich werden kann.

§. 37.

Hier muͤſſen wir den elektriſchen Ver- Vom elek⸗ ſuchen, die wir oben wegen der beſon⸗ . dern Art der Bewegungen angefuͤhrt haben, wegen des ſich dabey aͤuſſernden Lichtes und Feuers abermal

eine Stelle einraͤumen. 1) Die elektriſchen Körper geben im Dunkeln einen Schein von ſich, und zum Theil Funken. N 2) Das

194 Zweyte Abtheilung.

2) Das Licht erfolgt im Dunkeln bey der elektriſirten Röhre fpäter, als das Anziehen.

3) Es faͤhrt hauptſaͤchlich an den Spitzen der Koͤrper heraus.

4) Naͤhert man ſich der elektriſchen Röhre oder Kette ze, mit dem Finger, oder einem Me⸗ tall: fo entſteht ein blitzaͤhnlicher Funke, mit ei: nem Geraͤuſch.

5) Wenn man eine kleine Metallkugel, ver⸗ mittelſt eines ableitenden Körpers, an die elektri⸗ ſche Roͤhre hängt, und unter dieſelbe, in der Ent» fernung eines halben oder Viertelzolles, eine Sil- bermuͤnze legt: fo werden, nachdem die Kugel genugſam elektriſch worden, Funken gegen die Minze ſchlagen, und dieſes öfters nach einan⸗ der, wenn man zu elektriſiren fortfaͤhrt.

6) Rothe oder blaue Blumen, gegen welche dieſer Funke gefahren, werden ihre natürliche Farbe veraͤndern.

7) Der Weingeiſt, das Terpentin ⸗Oel ꝛc. Fürs nen, wenn ſie vorher erwaͤrmt worden, durch den elektriſchen Funken angezuͤndet werden.

8) Ben der durch ein Waſſergefaͤß verſtaͤrk⸗ ten Elektriſir⸗Maſchine entſtehen der Funke und der Schlag weit ſtaͤrker; die Elektrinitaͤt wird durch ſehr viele Perſonen fortgepflanzet, und er⸗

haͤlt

1 —.AV! wvvV½̃̃̃ ²—A7—˙ UU. P r

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 195

haͤlt ſich einige Stunden lang nach der Erre⸗ gung.

9) Ben den urſpruͤnglich elektrischen Koͤr⸗ pern mindert ſowohl Naͤſſe, als die allzu groſſe Hitze die Elektricitaͤt.

§. 38. Die elementariſche Erde beſchreibt Dor der

man als eine Materie, die ein beſonde⸗

res Beſtreben zur Zuſammenziehung aͤuſſere, die ſich leicht zerreiben, nicht unter dem Hammer freie ben, nicht brennen, noch ſchmelzen, und nicht im Waſ⸗ ſer eigtntlich aufloͤſen, wohl aber zu einem Teich vermiſchen laſſe. Allein man trifft eine ſolche Er— de nicht leicht rein an, ſondern es find immer Theis le von verſchiedenen Eigenſchaften mit ihr vermengt. Daher auch ſo mancherley Erdarten durch beſondere Namen unterſchieden werden. Denn brennbare Materien, Salze, Steine, Metalle und andere Mi⸗ neralien werden nebſt der eigentlichen Erde unter ein Geſchlecht geſetzt. Die Erde vermiſcht ſich mit allen Arten der Körper, Thiere und Pflanzen be⸗ ſtehen zum Theil aus Erde, die Luft iſt ſelten davon rein, und auch im reinen Waſſer ſcheint ſie noch zu ſeyn, weil nach der Deſtillation ein Sue Satz in der Retorte zurück bleibt.

N 2 $. 39.

196 Zweyte Abtheilung.

§. 39.

5 Waſ⸗ Unter dem reinen Waſſer verſteht man

eine fluͤßige, durchſichtige, unſchmack⸗ hafte Materie, die auf dem ganzen Erdboden aus: getheilt, ſpecifiſch leichter iſt, als die Theile irdiſcher Körper, und deren Theile jo leicht zuſammenhaͤn— gen, daß fie ſich in der Luft von felbften in Tropfen verwandeln, in weiten Gefaͤſſen aber eine horizon⸗ tale Oberfläche annehmen. Wir bemerken vom Waſſer,

1) daß es allen irdiſchen Koͤrpern anhaͤnge, und ſie theils durchdringen und aufloͤſen, theils ihren Zuſammenhang vermehren koͤnne.

2) Daß es häufig irdiſche und brennbare Materie bey ſich führe, wie der Geruch, der Ge⸗ ſchmack, die Farbe, die Waͤrme, die Evapora⸗ tion, Praͤcipitation, die Erzeugung der Steine aus Waſſer, und die Incruſtirung genugfam be:

weiſen.

3) Daß es durch die Waͤrme ausgedehnt und ſpecifiſch leichter werde, wie die Waſſerpro⸗ be zeiget; bey einem beſtimmten Grad der His tze, ausduͤnſte oder ſiede; durch die Kälte zu Eis verhaͤrtet werde, welches einen groͤſſern Raum einnimmt, als das Waſſer, aus welchem es ent⸗ ſtanden, auf welchem es daher auch ſchwimmt.

Die⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 197

Dieſer Ausdehnung des Eiſes iſt es zuzuſchrei⸗ ben, daß volle Gefäße mit einer fo groſſen Ges walt zerfpringen, wenn das Waſſer in ihnen ges friert. Das Eis duͤnſtet auch aus,

4) Das Waſſer zuſammenzudruͤcken, iſt man

vergebens bemuͤht geweſen. Es iſt bey ſolchen Ver⸗ ſuchen in den zarteſten Tropfen durch metallene Kugelm gedrungen.

5) Daß es gar nicht elaſtiſch ſey, laͤßt ſich daraus um deſto weniger ſchlieſſen, weil einige Erſcheinungen allerdings die Schnell⸗Kraft bey dem Waſſer zu verrathen ſcheinen.

$. 46. Der Einfluß der Luft auf uns und ut der andere Dinge, und ihre mancherley Ver⸗ änderungen verdienen, daß man ſich damit genauer bekannt mache. Man verſteht aber unter der Luft dasjenige durchſichtige Weſen, welches uns allent⸗ halben umgiebt, welches wir einathmen, und fuͤhlen, wenn wir die Hand ſchnell gegen das Geſicht be» wegen. Erfahrungen und Verſuche beweiſen, 1) Daß die Luft ein fluͤßiger Koͤrper ſey. 2) Daß fie ſich gegen alle Seiten ausbrei⸗ te, wenn ihr nicht widerſtanden wird. Man bringe z. E. Luft in eine Blaſe, fie wird überall aufſchwellen. N 3 = Daß

198 Sweyte Abtheilung.

3) Daß die Luft elaſtiſch, und zwar die un⸗ tere Luft mehr, als die auf hohen Bergen.

4) Daß fie bey der Wärme in einen weis tern Raum ſich ausdehne, als fie bey der Kälte einnimmt.

5) Daß ſie oͤfters waͤſſerigte irdiſche und brenn⸗ bare Theilchen, a Samen von Pflanzen und Inſecten enthalte.

§. 41. 1 ar Aber man hat die Eigenſchaften der

Luft durch kuͤnſtliche Verſuche weit ge⸗ nauer kennen lernen, feit dem die Luftpumpe erfun⸗ den worden iſt, dieſe kuͤnſtliche Maſchine, durch wel⸗ che man die Luft in einem Gefaͤß zuſammen dru⸗ cken, und verduͤnnen, wo nicht gaͤnzlich wegnehmen kann. Denn dadurch ſind nicht nur die bekannten Eigenſchaften der Luft beſtaͤtiget worden, ſondern man hat auch zuverlaͤßiger entdeckt, ob die Luft bey gewiſſen Erſcheinungen wirklich den Einfluß habe, den man vermuthet.

§. 42. 1 Wir wollen einige dieſer merwuͤrdi⸗

sine die£uff- gen Erſcheinungen anführen :

1) In einer engen und nur an dem einen Ende offenen Röhre enthaͤlt ſich eine fluͤßige Materie weit Höher, als in dem weiten und of

fenen

Grundriß der vornehmſten Theile ac, 199

fenen Gefäß, in welchem die Defnung dergefülls

en engen Roͤhre eingetaucht wird: welches dem obenbemerkten Gleichgewicht zuwider iſt, und alſo von einer Urſache herruͤhren muß, die oben nicht da war.

2 Nicht alle fluͤßige Materien erhalten ſich in einer ſolchen Roͤhre gleich hoch. Das Waſ⸗ fer kann ſich in einer Roͤhre von 3 das Due: ſilber aber nur von 272” erhalten.

3) Das Queckſilber in einer dergleichen Roh. re verändert feine Höhe bey gewiſſen Veraͤnde⸗ rungen der duft. Darum braucht man ſolche Roͤhren zur Anzeigung der Wetterveraͤnde⸗ rungen.

4) Das Waſſer kann in einer oben verſchloſ⸗ ſenen, und unten eng geoͤfneten, nicht allzu hohen, Roͤhre nicht herabfallen; es faͤllt aber, wenn oben die Roͤhre geoͤffnet wird.

5) Wenn man die Luft aus einer an beyden Seiten offenen und im Waſſer eingetauchten Roͤhre mit dem Odem an ſich zieht: ſo dringt das Waſſer in dieſelbe. Bey einer gekruͤmmten Roͤhre, dergleichen den Heber, erfolgt dies nem⸗ liche, und hier lauft das Waſſer ſo lange aus dem einen Schenkel, ſo lange er uͤber die Hoͤhe des Waſſers, in welchem der andere Schenkel ſteht, herab geht.

| N 4 6) Wenn

200 Sweyte Abtheilung.

6) Wenn man hohle Hoͤrper mit einer zar⸗ ten Eroͤfnung erhitzet, und alsdann die Spitze in eine fluͤßige Materie taucht: ſo dringt ſolche hinein.

Mit den Erſcheinungen des Hebers haben verſchie⸗ dene andere Erſcheinungen eine ſo groſſe Aehnlichkeit, daß man einerley Urſache wahrſcheinlich dabey vermu⸗ then muß. Die Vexierbecher, gewiſſe Springbrunnen,

die veraͤnderlichen Teiche und Fluͤſſe, werden n ge⸗ rechnet.

§. 43. ;

ne Die Luftpumpe überführt uns, daß 1 ; ia diefe Erſcheinungen nur bey der Gegen⸗ Beobach⸗ wart der Luft erfolgen. Bey jedem Zug an bes Stempfels ſinkt das Queckſilber und Waſſer in der Roͤhre, und in dem Heber hoͤrt es auf zu laufen. Es faͤngt wieder an zu laufen, es ſteigt wieder zur vorigen Hoͤhe, wenn man 8 Luft unter die Glocke laͤßt.

L. 44. 1 7 Wenn die Luft zuſammengepreßt wird:

ba ſo aͤuſſern ſich ſonderbare Wirkungen, die | Luft. man ihrer Gewalt zuzuſchreiben hat.

2 Der Erfolg vom Zuſammenpreſſen der $ufe in einer Blaſe, in einem Blasbalch, ift be: kannt.

2) Man blaſe, ſo ſtark man kann in eine mit Waſſer erfüllte Kugel, die ſich in eine eng zuge«

ſpitzte

| Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 201

ſpitzte und etwas gebogene Roͤhre endiget: ſo wird, wenn man aufhoͤrt zu blaſen, das Waſſer aus der Oefnung heraus ſpringen. | 2) Preffet man durch die Luftpumpe, die Luft in eine mit Waſſer halb erfuͤllte Kugel, oder in einen Cylinder: ſo wird bey gemachter Oefnung das Waſſer mit weit ſtaͤrkerer Gewalt ſpringen. 4) Was vermag nicht die zuſammengedruck⸗ te Luft in der Windbuͤchſe? 5) Körper die im Waſſer eingetaucht ſchwam. men, gehen unter, wenn die Luft, die ſie umgiebt, zuſammengepreßt wird.

§. 45.

Wenn eine zuſammengedruckte Luft Vom Schall. ſich auf einmal wieder ausbreitet: ſo entſtehen nach der Beſchaffenheit der Dinge, in welche die Luft ein⸗ gedruckt war, und der Oefnung, aus welcher ſie aus⸗ geht, Schall und Toͤne, wobey die Ausbreitung nach allen Gegenden, die zitternde Bewegung, und das Zuruͤckprallen der bewegten Luft, oder der Wi⸗ derhall, zu erwaͤgen ſind.

§. 46. Die Veränderungen, die bey der Ber- e duͤnnung der Luft erfolgen, ſind nicht 28

weniger merkwuͤrdig. Nemlich N 5 ) Die

202 Sweyte Abtheilung.

1) Die äffere Luft dringt in den Cylinder, uns ter welchem die Luft verduͤnnt worden, ſo bald man den Hahn oͤfnet.

2) Eine ſehr wenig aufgeblaſene Blaſe ſchwillt bey Verduͤnnung der Luft unter der Glo⸗ cke auf wo ſie nicht gar zerplatzet. Bey Zu⸗ laſſung friſcher Luft faͤllt ſie wieder zuſammen.

3) Gewiſſe Springbrunnen fangen an zu ſpringen.

4) Die Glocke wird ſehr ſtark an den Teller der Luftpumpe angepreßt.

5) Wenn zwo Halbkugeln von Luft moͤglichſt leer gemacht werden, hangen ſie ſo ſtark zuſam⸗ men, daß ſie mit der groͤßten Gewalt oft nicht getrennt werden koͤnnen. Solches geſchieht hin⸗ gegen ſehr leicht, wenn durch die Defnung des Hahns Luft in fie gelaſſen wird.

6) Eine Flamme verliehrt ihre ſpitzige Ges ſtalt und verloͤſcht endlich gar; der Funke wird auch nicht ſichtbar, und warme Koͤrper erkalten in der verduͤnnten Luft langſamer.

7) Der Schall wird unvernehmlicher.

8) Aus dem Waſſer, oder andern Koͤrpern, in denen Luft eingeſchloſſen war, ſteigen bey Weg⸗ nehmung der Luft kleine Kuͤgelchen auf, die an der Oberflache zerplatzen. Wenn dieſes geſchieht: ſo ſteigt das Queckſilber in dem Barometer

unter x

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 203

unter der Glocke, wie wenn friſche Luft zugelaſ⸗ ſen wird.

9) Beꝛ heiſſem Waſſer fteigen dieſe Blaͤschen haͤufiger auf, als bey kaltem, uͤberhaupt aber de⸗ ſto mehr, je fluͤßiger die Materie iſt. Iſt ſie zaͤhe: ſo entſtehet dabey ein Schaum.

10) Ein gleiches erfolgt bey vielen feſten Koͤrpern, als Eyern, Obſt; an denen Oberflaͤchen ſich die Kuͤgelchen erſt anſetzen, dann aufſteigen, und manchmal leichte feſte Koͤrper mit ſich neh⸗ men.

11) Ein Sauerteig ſchwillt bey Wegnehmung der Luft auf, und ſinkt wieder, wenn Luft einge⸗ laſſen wird.

12) Thiere ſchwellen auf, bekommen Convul⸗ ſionen und ſterben.

§. 47.

Vermittelſt der Luftpumpe hat man . 5 auch in Anſehung der Schwehre der Schwehre. Koͤrper folgende Entdeckungen gemacht.

1) Eine Kugel wiegt ſchwehrer, wenn die Luft in ihr zuſammengepreßt worden; leichter, wenn ſie ausgepumpt worden.

2) Leichte und ſchwehre Körper, z. E. ein Ducate, eine Pflaumfeder, fallen im luftleeren Raum mit gleicher Geſchwindigkeit zu Boden.

3) Die

20% FZyoeyte Abtheilung.

3) Die fpecififch leichtern Körper, wenn fie mit ſpecifiſch ſchwehrern in der natuͤrlichen duft im Gleichgewicht waren, erhalten in der verduͤnn⸗

ten das Uebergewicht.

§. 48. e Nachdem wir von dem allgemeinen in Naturlehre. den Veraͤnderungen der Koͤrper, nem⸗ lich von der Bewegung ſowohl uͤberhaupt, als bey beſondern Umſtaͤnden; und dann auch von denje⸗ nigen koͤrperlichen Subſtanzen gehandelt haben, die man fuͤr einfache phyſiſche Elemente haͤlt: ſo folgte nun in der Ordnung die Abhandlung von den haupt⸗ ſaͤchlichſten Arten der Körper, und ihren beſondern Veränderungen. Aber ein Blick in das weite Feld, das fich hier öffnet, überführt mich, daß ich mich in eine umſtaͤndliche Beſchreibung deſſelben nicht mas gen darf. Doch will ich um den Zuſammenhang der phyſikaliſchen Wiſſenſchaften kennbar zu machen, die hauptſaͤchlichſten Claſſen der Gegenſtaͤnde an⸗ zeigen. §. 49. abe che, Die uns bekannten Körper konnen auf mann, der gar verſchiedene Art eigetheilt werden. Sie ſind entweder groſſe Weltkoͤrper in dem unermeßlichen Raum, oder kleinere auf jenen befindliche. Wenn wir mit unſerer Erde anfan⸗ gen

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 205

gen wollen: ſo koͤnnen wir die auf und in ihr be⸗ findliche Körper entweder in Anſehung ihres Ver haͤltniſſes auf unſere Empfindungen, oder in Anfe» hung der an ihren beobachteten Bewegungen, ein⸗ theilen. In Anſehung der erſtern Betrachtung nennen wir fie entweder gut, nuͤtzlich, angenehm ıc. oder boͤs, ſchaͤdlich, unangenehm. Ins beſondere giebt es in Anſehung des Sinnes, der im engern Verſtand das Gefuͤhl heißt, ſchwehre, leichte, war⸗ me, kalte, feſte, flüßige, weiche, harte Körper u. ſ. f. In Anſehung des Geſichts, find fie von unterſchie⸗ dener Groͤſſe, Figur, Farbe, Schoͤnheit ic. In An⸗ ſehung des Gehoͤrs, zum Laut, Schall, und gewiſſen Toͤnen geſchickt oder nicht; in Anſehung des Ge— ſchmacks, ſind einige ſauer, andere ſuͤß, einige bitter, herbe ꝛc. und in Anſehung des Geruchs findet ſich

eben auch mancher Unterſchied. Das vorhergehende aber kann uns theils den Grund die⸗ fer Eigenſchaften einzuſehen behuͤlflich ſeyn, theils, wie

veraͤnderlich ſie ſeyn, und wodurch ſie koͤnnen veraͤndert werden, kennen lernen.

§. 50. Auf die Bewegungen, die bey den ae

Körpern bemerkt werden, ſieht man Unterfhied hauptſaͤchlich, wenn man ſie in die drey gung. Reiche, das Thier⸗ Pflanzen- und Stein⸗ Reich eintheilet. An einigen bemerkt man, bey einer

206 Zweyte Abtheilung.

einer innerlichen Bewegung der Theile, auch aͤuſſer⸗ liche veranderliche und uns unbeſtimmliche Bewegun⸗ gen der Glieder, oder des ganzen Koͤrpers. Derglei⸗ chen natuͤrlicher Weiſe entſtehende Koͤrper nennt man Thiere. Bey andern aͤuſſern ſich keine fo veraͤnderliche und uns unbeſtimmliche Bewegungen des ganzen Körpers, oder feiner aͤuſſern Theile, je. doch eine aus der innerlichen Bewegung erfolgende Vergroͤſſerung und Bildung zu einer gemeinſchaft⸗ lichen Geſtalt. Dies ſind Pflanzen. Endlich giebt es Koͤrper, bey welchen weder unbeſtimmliche aͤuſſerliche, noch innerliche zu gemeinſchaftlichen Ge⸗ ſtalten bildende Bewegungen bemerkt werden, und dieſe nennt man uͤberhaupt Mineralien, oder auch das Steinreich. Man giebt noch viele andere Merkmale hierbey an. Aber keine Beſchreibung hebt die Zweifel gaͤnzlich, die bisweilen in Anſehung einiger Koͤrper entſtehen, wenn ſie zu irgend einer Hauptclaſſe ſollen gezählt werden.

K . Be Stein⸗ Zn dem Mineralreich gehören nach Linnaͤi Eintheilung die Felſenſteine, die Mineralien und die Foßilien. Die Fel⸗ ſenſteine, die da ſpringen und Funken geben, find entweder glasartige, welche leicht zerſpringen und Funken geben, als die Sandſteine, Quarze, Feuer⸗

ſteine,

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 207

ſteine, oder kalkartige, die, wenn fie gebrennt wor⸗ den, durchs Waſſer zermilbet werden, als Marmor, Spat, Schiefer, oder unverbrennliche, als die Blende, der Amiant, der Asbeſt und mehrere.

Zu den Mineralien gehören die Salze, die eis nen Geſchmack haben, und ſich im Waſſer aufloͤſen; worunter, auſſer dem eigentlichen Salz, Salpeter, Alaun, Vitriol und die Cryſtalle gerechnet werden; die ſchweflichten Koͤrper, die ſich leicht entzuͤn⸗ den und einen Geruch von ſich geben, wohin auſſer dem eigentlichen Schwefel, die pichigten Materien, Arſenik und einige Erze gezogen worden; die me⸗ talliſchen, die bey einem gewiſſen Grad des Feuers flüßig werden. Sie werden in Halbmetalle und eigentliche Metalle eingetheilt.

Zu den Foßilien gehoͤren die Erden, die ſich zerreiben laſſen, und nach der Farbe, Figur und dem Zuſammenhang der Theile mancherley find, Skei⸗ ne, deren Theile erdartig find, und die Verſteine⸗ rungen aus dem Thier⸗ und Pflanzen⸗Reich.

§. 52. Bey den Pflanzen, uͤber deren ver⸗ Von dem ſchiedentliche Eintheilungen ſich die Na. ih, turkuͤndiger noch am wenigſten verglichen haben,

begnuͤgen wir uns folgendes anzumerken: 1) Daß

208 Zweyte Abtheilung.

1) Daß bey ihnen ſehr enge Saftröhren, Luſt⸗ roͤhren und Saftblaͤschen angetroffen werden.

2) Daß fie ſich von den ſalzigten, ölichten und ſchweflichten Theilen naͤhren, welche ihnen ver- mittelſt des Waſſers durch ihre Haarroͤhrchen zu⸗ gefuͤhrt werden.

3) Daß man bey den meiſten einen ſolchen Unterſchied in der Befruchtungsart bemerkt, ver⸗ möge deſſen fie in männliche, weibliche und Zwid⸗ derpflanzen koͤnnen eingetheilt werden.

4) Daß dieſelben ordentlich durch Samen, in welchem die Pflanze ſchon eingewickelt oftmals gefunden wird, bisweilen durch eingeſetzte Zwei⸗ ge, bisweilen durch Blaͤtter oder umgekehrte Staͤmme vervielfaͤltiget werden.

5) Daß man bey den Staͤmmen der Baͤu⸗ me, wenn man ſie durchſchneidet, excentriſche Zirkel findet, deren Mittelpunkt gegen Norden verruͤckt iſt.

5 7 Thler⸗ Das Thierreich enthält die edelſten der ſichtbaren Creaturen in unzählbarer Menge. Linnaͤus theilt fie in ſechs Hauptclaſſen ein; in die vierfuͤßigen Thiere, Voͤgel, Am⸗ phibien, Fifche, Inſecten und Gewuͤrme. Ih re Structur, ihre Erzeugung, ihre Wan und

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 209 b und ihr manchfaltiger Unterſchied find der aufmerk⸗ ſamſten Betrachtung wuͤrdig. Die Kenntniß des menſchlichen Koͤrpers allein iſt weitlaͤuftig genug, um die Hauptbeſchaͤftigung eines beſondern Theils der Gelehrten auszumachen, und dieſe begreift in ih⸗ rem Umfang viele beſondere Wiſſenſchaften; deren Grundriß ſchon mehr erfordern wuͤrde, als meine Kraͤfte und Abſichten verſtatten. S. 4. Von den beſondern Koͤrpern in und Ae 5 auf der Erde ſollten wir uns nunmehr nungen. zu den Lufterſcheinungen wenden. Dahin ge⸗ hören die Winde, die Duͤnſte, Nebel, Wolken, Regen, T Thau, Reif, Schnee, Hagel, Regen⸗ bogen, die leuchtenden Erſcheinungen uff. Jedoch weil hieher nur gemeine Erfahrungen gehoren, die ein jeder oft genug anſtellen kann, die Erklarung aber durch Anwendung der bisher angebrachten alls gemeinen Bemerkungen und Saͤtze zu geſchehen pflegt, und vornemlich weil ich der Kuͤrze mich be⸗ fleißigen muß: fo will ich mich in keine umſtaͤndli⸗ chere Ausführung davon einlaſſen. Es iſt auch freylich fo leicht nicht, von allen dieſem ſolche Grüne de anzugeben, die mehr als willkuͤhrliche Hypothe⸗ fen und Möglichkeiten wäre, Man verſuche es nur mit dem Aufſteigen der Duͤnſte, dem Hagel D und

210 Zweyte Abtheilung.

und den Gewittern, dieſen gemeinen Erſcheinungen; mehr als eine Schwierigkeit, mehr als ein Zweifel werden den ſchoͤn ausgeſonnenen Erklaͤrungen im Wege ſtehen, wenn man fie nicht nur auf das All. gemeine, ſondern auch auf das Beſondere dabey an⸗ wenden will. Aber kein Vernuͤnftiger wird deß⸗ wegen leugnen, daß doch das wenige, was der Mas turforſcher davon weis, nicht ſchon fo viel Nutzen und Vergnuͤgen ſchaffe, daß die Muͤhe, die man auf die⸗ ſe Wiſſenſchaft verwendet, genugſam belohnet wird.

9 55.

Sonunferer Bey unſerem Erdkoͤrper ſelbſt im Gan⸗ haupt. zen betrachtet, bieten ſo wohl ſeine innere und aͤuſſere Beſchaffenheit, als ſeine ordentlichen und auſſerordentlichen Veranderungen der Neugierde des Naturforſchers genug wuͤrdige Gegenſtaͤnde an. Die verſchiedenen Erdlagen, die innern Behaͤltniſſe des Feuers, des Waſſers und der Luft, die feuerſpeu⸗ enden Berge, die Erdbeben, die Ebbe und Fluth, die Quellen und Fluͤſſe, die Abwechslungen der Jahres- und Tages Zeiten reizen unſere Aufmerk⸗ ſamkeit, ſowohl wegen des Sonderbaren, als wegen der Folgen, die uns davon treffen.

Muͤndlich werde ich aus dieſem und dem vorigen S. das noͤ⸗ thigſte erlaͤutern.

H. 56,

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 211

§. 55. | Endlich wagt ſich unſer Blick in das Ah den eſtirnen.

Heer der himmliſchen Koͤrper. Iſt die Betrachtung derſelben bey uns gleich mehr Er⸗ ſtaunen, als Wiſſenſchaft: ſo haben doch die Natur⸗ forſcher ſolche Entdeckungen gemacht, die denjenigen unglaublich ſeyn wuͤrden, denen ihre Richtigkeit aus den hoͤchſten mathematiſchen Wiſſenſchaften nicht kann begreiflich gemacht werden, woferne nicht die Erfahrung ſelbſt vieles davon beſtaͤtigte.

Vermoͤge dieſer aſtronomiſchen Beobachkungen und Rechnungen wiſſen wir:

1) Daß die Sterne Körper find, die unfern Erdball an Groͤſſe weit übertreffen, aber auch ſehr weit von uns entfernt ſind. Denn die Son⸗ ne iſt z. E. millionmal gröffer als die Erde; und ihre Entfernung von uns wird bey nahe auf 19 Millionen deutſcher Meilen geſetzt.

2) Daß wenn das ganze Sternenheer ſich innerhalb 24 Stunden vom Morgen gegen Abend um unſere Erde wirklich bewegte, wie es ſcheinet, die Sonne in einer Minute 82512 deutſche Mei⸗ len, die entfernten Sterne aber einen weit guöfa fern Raum zugleich durchlaufen müßten,

3) Daß einige Sterne ſich nicht von einan⸗

der entfernen, andere aber durch einen groſſen O 2 Raum

*

212 weyte Abtheilung.

Raum des Himmels in verſchiedenen Laufbah⸗ nen ſich bewegen. Die erſtern heißen daher Firfterne, die andern Planeten, oder Kome⸗ ten; Planeten, wenn ihre Laufbahn um einen gewiſſen Fixſtern herum bekannt iſt, Kometen, wenn ihre Laufbahn ſo leicht nicht beſtimmt wer⸗ den kann. Sie unterſcheiden ſich auch noch durch den ſcheinenden Schweif.

4) Daß die nemlichen ſcheinbaren Bewegun⸗ gen vorhanden ſeyn koͤnnen, wenn ſich die Sons ne auch nicht um unſere Erde, ſondern vielmehr dieſe ſich um jene bewegte; ja daß einige Beob⸗ achtungen ſich in dieſem Fall leichter erklaͤren laſſen, als in dem entgegengeſetzten.

5) Daß nach der ſcheinbaren Bewegung aber die Sonne ſich in einer Jahresfriſt um die Er⸗ de, von Morgen gegen Abend, in einer ſolchen Bahn bewege, daß ſie ſich von dem Aequator, zweymal jaͤhrlich, bis zu einer beſtimmten Wei⸗ te entfernet, und darauf demſelben ſich wiederum nähert. Und zwar iſt fie am weiteſten entfernt, wenn der Sommer und wenn der Winter bey uns anfaͤngt. Sie durchſchneidet aber den Ae⸗ quator einmal, wenn im Fruͤhjahr, und das an⸗ deremal, wenn im Herbſt Tag und Nacht gleich ſind. N

6) Um

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 213

6) Um die Sonne bewegen ſich in verſchie⸗ denen Zeiten der Merkur, die Venus, der Mars, der Jupiter und der Saturn. Merkurlus und Venus find der Sonne naͤ⸗ her als unſere Erde, die andern ſind weiter da— von entfernt; Merkur und Mars ſind kleiner, als die Erde, Jupiter und Saturn aber viel groͤſſer.

7) Ben dieſen Weltkoͤrpern, die mit unſerer Erde ein Syſtem ausmachen, bemerkt man ver⸗ ſchiedene Abaͤnderungen in Anſehung ihres Lichtes. Denn einige zeigen beſtaͤndige und unbewegliche Flecken, wie unſer Mond; andere veraͤnderliche, wie ſelbſt die Sonne. Bey einigen nimmt das Licht auf eine beſtimmte Art ab und zu, wie bey unſerem Mond. Manchmal wird ein ſolcher ſcheinender Korper, entweder ganz oder zum Theil, durch einen Schatten, der ſich uͤber ſeine Flaͤche wegzieht, doch nur auf eine kurze Zeit, verfin⸗ ſtert.

8) Es giebt gewiſſe Weltförper, die ſich nicht nur mit den andern Planeten fort, fondern auch zugleich um ſie herum bewegen. Sie werden Neben⸗Planeten, Trapanten oder Monden genennt; und kennt man dergleichen einen, der ſich um unſere Erde, viere, die ſich um den Jupi⸗ ter, und fünfe, die ſich um den Saturn bewegen.

O 3 9) Un⸗

214 Zweyte Abtheilung.

9) Unſer Erdkoͤrper iſt, wenn man die Ber. ge fuͤr nichts rechnet, rund; doch nicht kugel⸗ förmig, ſondern bey den Polen eingedruckt.

Zweyter Abſchnitt. der Naturlehre.

Hypothetiſche Unterſuchung von den Grund. Urſachen der natuͤrlichen Begebenheiten.

§. 57. 15 4 5 Wir haben bisher aus den Beobach⸗ fee tungen der natuͤrlichen Begebenheiten haupt. allgemeine Saͤtze zu ziehen geſucht, die uns, nach der Beſchaffenheit unſerer Erkenntniß, die naͤchſten Urſachen derſelben unterſcheiden lehren. Wir haben wenigſtens ſolche Uebereinſtimmungen in den Umſtaͤnden der Veranderungen und den Eigen⸗ ſchaften der Koͤrper gefunden, daß wir in vielen Faͤl⸗ len dadurch koͤnnen im Stand geſetzt werden, den Er⸗ folg vorauszuſehen; welches der eigentliche Nutzen der Phyſik iſt. Wir glauben endlich beſondere Er⸗ ſcheinungen auf aͤhnliche allgemeinere zu ziehen gelernt, welches der Neugierde ſelbſt einige Beruhi⸗ gung giebt. Aber dieſe hoͤrt nicht auf zu fragen und zu forſchen, fo lange fie noch eine Moͤglichkeit einer weitern Ergruͤndung vor ſich ſieht, oder viel⸗ mehr, fo lange fie die Unmoͤglichkeit derſelben nicht ein⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 215

einſieht. Daher die Fragen, von dem Urſprung der Bewegung, von ihrer Moͤglichkeit im vollen Raum, von ihrer Mittheilung, von der Figur und den Grundkraͤften der einfachen Dinge, und ande⸗ re dergleichen, die den einen Theil der Phyſiker be⸗ ſchaͤftigen; deren Unterſuchung aber mir fo ſchwehr als unnoͤthig vorkommt; und die ich daher gerne gänz« lich uͤbergehen wuͤrde, wenn es nicht noͤthig waͤre, denenjenigen, fuͤr welche dieſer Grund beſtimmt iſt, eine hiſtoriſche Kenntniß von den beruͤhmten Hypotheſen beyzubringen.

§. 88.

Bey den bloſſen Körpern laſſen uns Fragen, en

unfere Erfahrungen, die Grundſtuͤtzen ang unſerer vernuͤnftigen Erkenntniß, keine Kraft ver⸗ muthen ſich ſelbſt zu bewegen, oder ihre Bewegun⸗ gen ſelbſtthaͤtig zu ändern. Daher iſt der Satz vernuͤnftig, daß ein jeder Koͤrper in der Reihe oder in der Bewegung, in der er ſich einmal befindet, einfoͤrmig bleibe, wofern ſein Zu— ſtand nicht durch aͤuſſerliche Urſachen veraͤn— dert wird. Dies geſchieht, wenn andere Koͤrper auf ihn drucken, ſtoſſen ꝛe. Aber begreifen wir dar⸗ um, wie es zugehe, daß ein Koͤrper den andern in Bewegung ſetze? Gehen etwan die Kräfte aus eis nem Körper in den andern über? oder find die O 4 Theil⸗

216 Zpweyte Abtheilung.

Theilchen eines Körpers in beftändiger Beſtrebung zur Bewegung gegen alle Seiten, und kommt der Koͤrper deßwegen bey dem Stoß oder Druck in Be⸗ wegung, weil, durch das Zuruͤckwirken gegen den be⸗ ruͤhrenden Koͤrper, die Beſtrebung nach der entge⸗ gengeſetzten Seite die Uebermacht erhaͤlt? Oder be— wegt ſich der Körper, wenn er feine Elemente geiſtiſch wollen, und iſt der Stoß ꝛc. nur ein Exiſtenzial⸗ Grund? Oder ſind die bewegenden Urſachen gar nicht in den ſichtbaren Koͤrpern zu ſuchen? Oder giebt es gar keine Bewegung? Ohne Zweifel wert den wir das zweyte bejahen, wenn die Frage, wie die Bewegung mitgetheilt werde, beantwortet wer⸗ den muß; aber muͤſſen wir ſie denn beantworten? oder fallen nicht, bey jener Antwort, immer wieder neue unbeantwortliche Fragen ein?

g. 59 Aber wie kann ſich etwas bewegen,

wenn alles voll iſt? Dieſe Frage kann um ſo viel weniger zuverſichtlich beantwortet wer⸗ den, um ſo viel ungewiſſer man noch bey der vori⸗ gen geblieben iſt. Aber das iſt gewiß, daß unſe⸗ rer Erkenntniß eine Bewegung im ganz vollen Raum unbegreiflich bleibt; wenn wir hingegen hier und da leere Raumchen annehmen, iſt dieſe Erſchei⸗ nung, wenigſtens in dieſem Stuͤcke, begreiflicher. $, 60,

Vom leeren Kaum.

f

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 217

§. 60. 2 Was ſtoͤßt oder zieht den Koͤrper bey zn. der Schwehre, und was bey dem Ans Kraft un und

hängen, Aufiteigen und allen denjenigen Heider.

Bewegungen, um welcher willen man eine abzie⸗ hende Kraft angenommen hat? Iſt das wirklich

eine Eigenſchaft der Körper, vermöge deren fie auſ⸗ ſerhalb ihrer Subſtanz in entfernte Koͤrper wirken, eine Eigenſchaft in unſerer uͤbrigen Erkenntniß nicht analogiſch iſt; oder muͤſſen wir eine ſubtile fluͤßige, uͤberall ausgebreitete, elaſtiſche, und mit allen

den Eigenſchaften, die man zur Ekklaͤrung noͤthig

hat, verſehene Materie, einen Aether, annehmen, der durch ſeinen Druck das bewirke, was man den anziehenden Kraͤften zuſchreiben will? So viel mir bekannt iſt, hat man zur Zeit nur unter dieſen zwo Meynungen die Wahl, wenn man erklaͤren will. Und in dieſem Fall wuͤrde ich ſelbſten den Aether waͤhlen. Nicht nur, weil er gewiſſermaſſen wahr⸗ ſcheinlicher iſt; ſondern weil man ihn bey mehrern Erſcheinungen brauchen kann; indem er bey Erflä« rung der Schwehre, des Anhangens und Aufſtei⸗ gens der fluͤßigen Materie, der Elaſticitaͤt, den magnetiſchen und elektriſchen Erſcheinungen, und auch bey den Bewegungen der Himmelskoͤrper, gu⸗ te Dienſte thut.

9 3 | $, 61,

218 Zweyte Abtheilung.

N. 61.

Zangen Be Ein neues Feld von Fragen: Iſt al⸗ ſtandtheilen le Materie in ihren kleinſten Theilen und ihren e

Kräften. von einerley Art, und ruͤhrt der Unter: ſchied, den wir bey den Erſcheinungen der Koͤrper bemerken, nur ganz allein aus der verſchiedenen Art der Zuſammenfuͤgung her; oder ſind einige mate⸗ rielle Elemente in Grundkraͤften unterſchieden? Und wie viel urſpruͤnglich unterſchiedene Arten der Ele⸗ mente muͤſſen wir annehmen, zwey oder viere, oder noch mehrere? Und die Kräfte der phyſiſchen Ele⸗ mente, ſind es auſſer der Wirkung lauter niſus oder zum Theil todte Kräfte, die nur unter gewiſſen Um. fländen erweckt werden? Kann das Element auch fortdauern und Kraͤfte verliehren; oder bleibet die Summe der Kraͤfte, woferne keine Subſtanz ver⸗ nichtet wird, immer gleich? auch die Summe der lebendigen Kräfte? Und wie muß man fie meſſen?

§. 82.

Singen von Giebt das nemliche Element die Er⸗ Elementen. ſcheinungen der Waͤrme und des Lichts? Iſt dies der Aether, der in dem ganzen Raum aus⸗ gebreitet iſt, und mit dem irdiſchen mehr oder we⸗ niger vermiſcht, das brennbare und andere Erdarten macht? Giebt es vielleicht ſelbſt verſchiedene Arten vom Aether? Sind Waſſer und Luſt keine reine

Ele⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 219

Elemente, ſondern aus Erde und Aether er⸗ zeugt? 63.

Iſt bey den Koͤrpern, denen man ein 9 Leben zuſchreibt, alles Mechanismus, oder muß man plaſtiſche Kräfte (naturas in- ter materiam et ſpiritum medias) und pnevmatiſche Principien annehmen? ft als les nur Entwickelung und Verwandlung; oder giebt es eine wahre Zeugung, und einen wahren Tod? Iſt in den Reihen der lebendigen Geſchoͤpfe ei⸗ ne ununterbrochene Staͤtigkeit, kein vacuum for- marum? Und folgt aus dieſem Grundſatz der Scaͤtigkeit, daß alle mögliche lebendige Geſchoͤpfe geſchaffen ſind?

§. 64.

Werden die Himmelskoͤrper durch a Entelechien, durch Wirbel, durch melskoͤrper. anziehende Kraͤfte, oder durch den Druck der gepreßten Materie, nach der Beſtimmung ihrer Figur, bewegt? Sind fie bewohnt? Von menſch⸗ ähnlichen Creaturen, von abgeſchiedenen Seelen, oder von eigenen Geſchoͤpfen? Iſt die Welt bis ins Unendliche ausgedehnt? Schoͤne Frage, um alle die andern unbeantwortet zu laſſen!

Man wuͤrde mir Unrecht thun, wenn man von mir glau⸗ ben wollte, daß ich den Lehrſaͤtzen, auf die ſich meine bis⸗

220 Iweyte Abtheilung.

bisherige Fragen beziehen, einerlen Werth und einer⸗ ley Grad der Wahrſcheinlichkeit zuſchriebe. Doch wird man mir zugeſtehen, daß ſie alle in das Kapitel von Hypotheſen gehoͤren. 9. 65. 5 Schlufan⸗ Da alle dieſe Fragen unbeantwortet merkung. f 7 bleiben koͤnnen, und der Menſch dem⸗ ohngeachtet, aus der Betrachtung der Natur, Got tes Macht, Guͤte und Weisheit erkennen, und Vortheile zur Bequemlichkeit ſeines Lebens erhal⸗ ten kann: ſo iſt es wohl nicht der Muͤhe werth, ſeine Zeit damit zuzubringen; man hat aber auch nicht Urſache, uͤber die Grenzen der menſchlichen Erkenntniß in dieſem Stuͤck ſich zu beſchwehren.

o S S S SS D Geſchichte der Naturlehre.

. de ans So bald man Menſchen ſetzet, die lehre. uͤber ihre Empfindungen nachzudenken im Stand waren: ſo bald ſetzet man auch den Urſprung der Naturlehre. Denn ſo wohl ihre Neugierde, als ihre Beduͤrfniſſe mußten ſie auf die Veraͤnderungen in der Koͤrperwelt aufmerk⸗ ſam machen. Sie bemerkten die Umſtaͤnde, unter welchen gewiſſe Veraͤnderungen ſich zutrugen, und dies veranlaßte die Lehre von den Urſachen und Wirkungen; eine Lehre, welche bald in Fabeln

und

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 221

und in die Bilderſprache eingekleidet, bald mit den Vermuthungen von unſichtbaren Kräften verbuns den ward, nachdem es das Genie eines Volks oder der Geiſt eines Zeitalters mit ſich brachte.

. 2.

Man ſieht hieraus ſchon, und die Haut Geſchichte bezeugt es auch, daß die teſten Na⸗ Naturlehre die erſte theoretiſche Wiſ⸗— . ſenſchaft der aͤlteſten Welt geweſen ſey, aus wel⸗ cher nach und nach die andern entſprungen. Denn ſie konnten nicht lange uͤber die Natur nachdenken, ohne Fragen aufzuwerfen, die das Ganze und die allgemeinen Eigenſchaften betrafen. Sie brauch⸗ ten es in der Unterſuchung nicht ſehr weit gebracht zu haben, um auf die Vermuthung unſichtbarer Weſen zu kommen, welche dieſes und jenes regel» maͤßige oder ganz auſſerordentliche in der Welt hervorbraͤchten; ſo wie ſie fuͤhlten, daß etwas in ihnen gewiſſe Veraͤnderungen des Körpers verans laßte. Das Wunderbare an den himmliſchen Köra pern, und ihr Einfluß auf unſere Erde, machten, daß die Menſchen ſich die Geſtirne nicht nur zu den vornehmſten Gegenſtaͤnden ihrer Betrachtung, ſondern auch ihrer Ehrfurcht waͤhlten. Aber konn⸗ te hierbey der menſchlichen Vernunft der Gedanke verborgen bleiben, daß ein hoͤchſtes Weſen das Ganze regiere? 8 |

§. 3.

222 Sweyte Abtheilung.

0 3. . MN 1 15 Als die Philoſophie von den Chal⸗ ſchen Sekte. daͤern und Egyptiern zu den Griechen kam: ſo beſchaͤftigten ſich die Aelteſten unter den Griechiſchen Weltweiſen, die von der Joniſchen Schule, faſt ganz allein mit der Phyſik; und die Denkmale die von ihren ‘Bemühungen übrig ges blieben, beweiſen, daß ſie nicht bey dem Schein ſte⸗

hen geblieben, ſondern mit Scharfſinn und Kühn:

heit den Grundbeſchaffenheiten nachgegangen ſind. Die Hypotheſen eines Anaxagoras und anderer von dieſen Philoſophen, geben hierinnen den neuern nichts nach, und find oft von ihnen ſehr wenig uns terſchieden.

§. 4.7 mud dei Phytagoras, der zu eben der Zeit teles. gelebt, und eben den Lehrmeiſter gehabt hat, als Thales, deſſen geheimnisvolle Lehrart aber ſeine Meynungen ſchwer zu errathen macht,

muß in der Naturlehre gute Einſichten gehabt ha⸗

ben, wenn einige Saͤtze und Erklaͤrungen, die man

ihm zuſchreibt, wirklich von ihm herruͤhren. Von ſeinen Nachfolgern koͤnnen Ocellus und Timaͤus hieher gerechnet werden, die wir noch leſen koͤnnen. Ihre Art zu ſchlieſſen muß uns noch unertraͤg⸗ licher ſcheinen, als ſie in der That iſt, weil wir ihre

Grund⸗

|

4 *

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 223

Grundſaͤtze nicht genug verſtehen. Sokrates war mehr bemuͤht, den phyſiſchen Unterſuchungen Einhalt zu thun, als ſie zu befoͤrdern. Plato und die Stoiker haben ſich auch wenig darum verdient gemacht. Aber Ariſtoteles hat deſto mehr gelei⸗ ſtet. Denn er hat nicht nur ſyſtematiſch nachge⸗ dacht, ſondern er hat auch die natuͤrliche Hiſtorie, die den Grund der Naturlehre abgeben muß, faſt zuerſt getrieben. Und ob er gleich dort oft zu me⸗ taphyſiſch, und hier zu leichtglaͤubig iſt: ſo bleibt ihm doch auch in dieſem Theil der Weltweisheit ein vorzuͤglicher Ruhm unbenommen.

9. 5

Wenn wir aber nur den mechani. n

ſchen Erklaͤrungen in der Naturlehre einen Platz einraͤumen wollen: ſo wird keine von den alten Sekten unſern Beyfall mehr ver⸗ dienen, als die Eleatiſche. Und wer wollte auch leugnen, daß die Philoſophen dieſer Schule die Na⸗ tur der Koͤrper am genaueſten unterſucht, und den⸗ jenigen Weg des phyſikaliſchen Nachdenkens ge⸗ waͤhlt haben, welcher der ſicherſte iſt? Aber wenn ſie die geiſtiſchen Kraͤfte, und die zweckmaͤßige Ein⸗ richtung in der Welt, bey ihrer mechaniſchen Phi⸗ loſophie, gaͤnzlich verkannt haben: ſo haben ſie ge⸗ wiß eben ſo unvernuͤnftig als gottlos philoſophirt, und

224 Zweyte Abtheilung.

und geben ſchreckliche Beyſpiele von an, | groſſer Genies. g. 6.

Romer. Die Römer haben in dem Zeitraum, da fie Philoſophie trieben, auch die Naturlehre nicht ganz unbearbeitet gelaſſen. Lucretius, Se⸗ neca und der ältere Plimus haben ſich hierinnen bekannt gemacht.

§. 7.

in W. 5 In den mittlern Zeiten ward 9900

Wiſſenſchaft weniger bearbeitet, als die Naturlehre. Aber keine haͤtte auch dem Aber. glauben mehr Abbruch thun koͤnnen, als eben die⸗ ſelbe. Die Araber und die Scholaſtiker folg— ten auch hierinnen dem Ariſtoteles ohne Einſicht. Wer mehr that, war ein Jauer und in Gefahr verbrannt zu werden.

; $ 5 Von den e der Welt⸗ Naturlehre. weisheit ſieß keiner die Naturlehre un. beruͤhrt. Aber es konnten nicht alle die metaphy⸗ ſiſchen Wortſpiele und Erdichtungen dabey vergeſ⸗ ſen. Dieſem Gebrauch widerſetzte ſich beſonders Baco Verulamius, der daher mit Recht ſuͤr den Vater der neuern Naturlehre gehalten wird. Als man ſeinem Rath zufolge die Natur mit Feuer und

Schwerdt

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 225

Schwerdt angrif, und, durch angeſtellte Experimen⸗ te, die Natur auf der That zu erwiſchen ſuchte; als die Teleſkopia, Mikroſkopia, die Luftpumpe, und an: dere nuͤtzliche Inſtrumente erfunden wurden; als, beſonders durch den Fleiß der Deutſchen, die Chy— mie bearbeitet wurde; als die Philoſophen und Ma⸗ thematiker ihre Bemuͤhungen hierbey vereinigten, und ganze Geſellſchaften der groͤßten Maͤnner deß⸗ wegen aufgerichtet wurden: fo entſtund endlich die⸗ jenige Wiſſenſchaft, welche vielleicht alleine uns be⸗ rechtiget, der neuern Philoſophie einen Vorzug vor der alten zuzuſchreiben. Von welcher gluͤcklichen Veraͤnderung man niemals reden wird, ohne den Namen des groſſen Erfinders Neuton mit Bes wunderung zu nennen; wiewohl auch ein Galli⸗ laͤus a Gallilaͤis, ein Kepler, Copernicus, Tycho Brahe und andere fuͤr der Vergeſſenheit ſicher find.

§. 9. Doch ſind hierdurch die Naturlehrer 1 7 0 zu nicht zu einem Lehrgebaͤude vereiniget Neaturlebte⸗ worden. Weder die eigentlich fo genannten Philos ſophen unter einander, noch dieſe und die Mathe⸗ matiker ſind es, wenn ſie bis auf die erſten Grund⸗ kraͤfte der Körper fortgehen; ja auch nicht immer in Beſtimmung der naͤchſten 1 ob ſie gleich von

226 Zweyte Abtheilung.

von einerley Erſcheinungen und von einerley Weſt reden. Letztere werfen den erſtern ihre metaphyſi⸗ ſchen Hypotheſen vor, und dieſe beſchuldigen fie hin⸗ gegen, daß ſie den Schein von den wirklichen Ver⸗ änderungen nicht unterſchieden, und aus der ſchein⸗ baren Beſchaffenheit der Wirkung Kraͤfte erdichteten, die den Koͤrpern nicht zukaͤmen. Und je gewoͤhn⸗ licher es auch hier iſt, durch den Namen eines groß ſen Mannes ſich ein Anſehen zu geben; deſtomehr giebt es partheyiſche Vertheidiger beruͤhmter Lehr⸗ ſaͤtze, denen man oft mehr Bedeutung giebt, als der Sinn ihrer Urheber erforderte. Aber da man ſich dieſe Uneinigkeit in den Erklaͤrungen nicht hindern laͤßt, in der Erforſchung der natuͤrlichen Geſchichte ſowohl, als in kuͤnſtlichen Verſuchen fortzufahren: ſo iſt die Naturlehre noch immer in ihrem groͤßten Flor. Die aufgeklaͤrten Nationen beeifern ſich um die Wette darinnen. Und iſt denn ein Stand, der nicht wenigſtens Stein- oder Schmetterlings⸗ Sammler aufzuweiſen hat? Vielleicht vergißt man uͤber dieſen Beluſtigungen die unaufloͤslichen Fragen und die metaphyſiſchen Sublimationen; vielleicht richtet man noch die ganze Abſicht der Na⸗ turlehre auf die Erkenntniß GOttes, und auf die Bequemlichkeiten des Lebens. Und wenn dann bey dieſer ruhigen Bewunderung, und beym freundſchaft⸗ lichen Genuß, gluͤckliche Jahrhunderte beydes die

über.

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 227

uͤbernatuͤrlichen Zweifel und Entſcheidungen ver⸗ bannt haben: ſo ſteht nach dieſen vielleicht wieder

ein ſchoͤpferiſches Genie auf, welches ſich über den

langen Schlummer, und die Barbarey verfloſſener Jahrhunderte wundert, und die Welt zu neuen 1. ſtemen aufweckt.

Fuͤnftes Kapitel. Grundriß der praktiſchen Philoſophie.

Erſtes Stüd. Einleitung in das Allgemeine derſelben.

H. 1. So unterſchieden die Meynungen et | | iniger Philoſophi der Philoſophen in Anſehung einiger Phi 12 5 1

Grundſaͤtze der praktiſchen Philoſophie, der be ſon⸗ und inſonderheit in Beſtimmung der dern Theile. beſondern Theile derſelben auch immer ſeyn mögen : ſo erkennen ſie doch alle, daß hier eine Anweiſung vernünftig zu leben muͤſſe gegeben werden; ein Un⸗ terricht von der Einrichtung unſerer freyen Hand« lungen zur Gluͤckſeligkeit. Wenn der Menſch durch ſeinen Trieb zur Gluͤckſeligkeit auf einerley Art zu handeln beſtimmt märe, und feine Neigungen nicht von ſeinen Vorſtellungen abhiengen; oder wenn er gluͤcklich werden koͤnnte, indem er einer jeden Be⸗ P 2 gierde

1

|

228 zweyte Abtheilung.

gierde gehorchte; wenn nicht, dieſen Begierden zu⸗ wider, gewiſſe Vorſchriften von dem, was in Be⸗ ziehung aufs Ganze gut iſt, ſelbſt von der Ver⸗ nunft erkannt würden; wenn er in jedem Fall was gut und was recht iſt, ohntruͤglich fühlte oder erkaͤnnt⸗ te; wenn er endlich nicht fo oft den nach der Erfennts niß der Rechtmaͤßigkeit gefaßten Entſchluß den Lei⸗ denſchaften und ſinnlichen Reizungen aufopferte: ſo wuͤrde dieſe Wiſſenſchaft überflüßig ſcheinen koͤnnen. Aber gleichwie fie bey ſolchen Umſtaͤnden für nuͤtz— lich und noͤthig erkannt werden muß: alſo werden fi) aus der Abſicht auch die beſondern Theile der- ſelben ableiten laſſen. Es muß in der praktiſchen Philoſophie, die moraliſche Güte oder die Recht⸗ maͤßigkeit der Handlungen aus richtigen Grund⸗ fäßen der Vernunft beſtimmt werden. Es muß in derſelben ein Unterricht gegeben werden, wie die Menſchen zur Tugend, oder zur thaͤtigen Neigung ihres Willens nach der erkannten moraliſchen Guͤte der Handlungen koͤnnen gebracht werden. Jener erſte Haupttheil der prakiſchen Philoſophie heißt das Recht der Natur im weitlaͤuftigen Verſtand, und der zweyte iſt die Ethik, oder Moral im engſten Verſtand. Aber weil der Menſch, um gluͤcklich zu ſeyn, nicht nur ſeine Neigungen auf tugendhafte Ab⸗ ſichten lenken muß; und weil auch zu deren Aus» führung die allgemeine Kenntniß der Mittel nicht

hin⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 229

hinreichend iſt, woferne nicht die kluge Befoͤrderung derſelben durch die Vortheile, welche die befondern Um; ftände anbieten, hinzukommt: fo muß ein Theil der praktiſchen Philoſophie auch dazu Anleitung geben; und dies thut die Politik. Wenn man eine vor. bereitende Abhandlung von den Grundbegriffen und Grundſaͤtzen, welche allen Theilen der praktiſchen Philoſophie gemein ſind, als einen beſondern Theil anſehen will: ſo kann man ihn allgemeine prak⸗ tiſche Philoſophie, oder Telematologie nennen. Und von einer ſolchen Abhandlung muß ich auch hier den Grundriß zuerſt entwerfen.

Die Lehre vom Wohlſtand (decorum) kann keinen beſon⸗ dern Haupttheil der praktiſchen Philoſophie ausmachen. Denn daß man ſowohl den natürlichen, als auch den zufälligen Wohlſtand, den die Landesg ebraͤuche, und diejenigen, die den herrſchenden Ton geben, durch ihr Beyſpiel beſtimmen, wenn er nur nicht wider hoͤhere Pflichten lauft, beobachten muͤſſe; dies folgt aus der Pflicht, fein Beſtes durch andere, und alſo auch durch die gute Meynung, die fie von uns haben, zu befoͤr⸗ dern. Die Regeln des Wohlſtands aber muß man nicht bey den Philoſophen, ſondern in dem Umgang vernuͤnf⸗ tiger Perſonen aus der feinern Welt, und, zum Theil, beym Tanzmeiſter lernen. Doch iſt gewiß, daß Philo⸗ ſophie ihren aͤchten Schuͤlern auch hier gute Dienſte thun wird.

& 2. Da die praktiſche Philoſophie den ee menſchlichen Handlungen Vorſchriften 5 | P 3 geben

230 Zweyte Abtheilung. der Hand. geben ſoll: fo muß es ihm möglich ſeyn,

lungen als \ g dem Gegen⸗ ſeine Handlungen, wenigſtens zum

brachen Theil, nach Wahl und Ueberlegung, Phüoſophie. nach Einſicht und Gutduͤnken zu beſtim⸗ men. Und daß er dieſes koͤnne, geſtehen alle ein; die Erfahrung beweiſt es. Hierinnen aͤuſſert ſich ſeine Freyheit. Ob es gleich in Anſehung der metaphyſiſchen Forſchungen, in Anſehung der Be⸗ griffe von GOtt und der Welt, nicht einerley iſt, wie man das Innere dieſer Freyheit erkläre: fo ger ſtehe ich doch gerne ein, daß es bey dem Prakti⸗ ſchen, und in Anſehung der Auffuͤhrung der Men⸗ ſchen unter einander, ſehr entbehrlich ſey, dieſe meta⸗ phyſiſchen Geheimniſſe zu verſtehen. Genug, vieles bey den Handlungen der Menſchen haͤngt dergeſtal⸗ ten von ſeiner Freyheit ab, daß es auf ſeine durch Ueberlegung beſtimmte Wahl ankommen kann, wie er ſich dabey verhalten wolle. Nur darauf ſehen wir hier; und wir nennen das, was bey den Handlungen alſo beſchaffen iſt, moraliſch. Dies kann als rechtmaͤßig oder unrechtmaͤßig in Be⸗ ziehung auf die Regeln, die die Guͤte der Dinge nach dem Ganzen beſtimmen, beurtheilt werden. Ich weis wohl, daß moraliſch und unmoraliſch eine an⸗ dere Bedeutung hat, wenn es dem zwangsmäßig rechten oder unrechten (externe iuftum) entgegen geſetzt

wird. Aber deraleichen Zweydeutigkeiten glebt es hier mehr. Man erklaͤre ſich im noͤthigen Fall. $. ER

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 231

Bir 9. 3* i i in me, Einige all⸗ Ohne uns alſo hier wieder in me. gemeine Be⸗

taphyſiſche Spitzfindigkeiten einzulaſſen: .

uͤber den Ur⸗ wollen wir doch den Urſprung der e der menſchlichen Handlungen etwas genauer on, betrachten, und einen daraus abneh. lungen. menden Unterſchied derſelben bemerken.

1) Die Erfahrung lehrt uns, daß einiges bey unſern Handlungen von Freyheit, von Wahl, Ueberlegung, Gutduͤnken u. ſ. f. gar nicht ab» haͤnge. Gewiſſe Geſetze der Bewegung bey unſerem Koͤrper, und des Denkens bey unſerem Geiſt, ſind von unſerem Belieben unabhaͤngig, ſind unabaͤnderlich, unmoraliſch.

2) Doch ob wir uns bewegen wollen, ob wir denken wollen, dies ſteht vielmals bey uns ferer Willkuͤhr, oder dem Vermoͤgen, nach Gutbefinden uns zum Gebrauch unſerer Kraͤfte zu beſtimmen.

3) Auch ob wir juft dieſes oder jenes; auf dieſe oder jene Art vornehmen wollen, iſt uns ſerer Willkuͤhr und unſerer Wahl oft genug überlaffen ; und in fo fern iſt eine ſolche Handlung moraliſch.

4) Jedoch unſere Wahl wird überhaupt

durch Vorſtellungen gelenkt, und Vorſtellungen P 4 n find

232 Sweyte Abtheilung.

find, wie wir wiſſen, theils Empfindungen, nach den aͤuſſerlichen Sinnen, nach der Einbildungs⸗ kraft, nach dem innern Gefuͤhl; theils allge⸗ meine Begriffe und Grundfäge, die ſich unſer Verſtand geſammlet hat. | 5) Beyde Arten der Vorſtellungen haben einen Einfluß auf den Willen; und jene ſinnliche meiſtentheils einen noch ſtaͤrkern, als die ab»

gezogenen Begriffe. Sie find nicht ſelten im Widerſpruch mit einander. Die Vernunft

beweiſet ihr Recht ſie zu beherrſchen, ſelbſt aus dem Grund, worauf ſich jene ſtuͤtzen, aus dem Trieb zur Gluͤckſeligkeit. Aber die Sinne nen⸗ nen es Wahn, Eigenſinn, Tyranney, klagen uͤber Unterdruͤckung, und beruffen ſich auf die gemeinſchaftliche Mutter, die Natur, ja auf ein Recht der Erſtgeburt.

6) Dieſen Streit muß der Sittenlehrer noth⸗ wendig unterſuchen, und, wo moͤglich, die ſtrei— tenden Partheyen zu vergleichen ſuchen. Und dazu wird es noͤthig ſeyn auf die allgemeinſten Bewegungsgruͤnde der Willkuͤhr, auf den Grund des Verhaltens unſeres Willens gegen die Vorſtellungen ſowohl der einen als der andern Art, und auf den Urſprung unſerer Triebe, Nei⸗ gungen und Begierden zu ſehen. Ehe wir dieſes thun, bemerken wir nur noch den Unter⸗

ſchied

cr

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 233

ſchied eines Grundtriebs, oder einer ſolchen Beſtimmung zum Wollen, die unmittelbar in der Einrichtung unſerer Natur gegruͤndet iſt, und eines abgeleiteten oder abſtammenden Triebs, deſſen Beſchaffenheit nicht ganz allein von der Natur, ſondern von zufälligen aͤuſſerli⸗ chen Urſachen mit herruͤhret. Mehr Ekrklaͤ— rungen werden hier nicht noͤthig ſeyn. Aber was ſoll ich von der Menge der Sinne, Empfin⸗ dungen und Empfindniſſe ſagen, die einige neuere Weltweiſen annehmen, und bey denen man nicht

weis, wie man ſich hinein oder heraus philoſophiren ſoll?

8. 4. Wenn wir nun dem Urſprung der .

menſchlichen Triebe und Neigungen ſpruͤnel. und allgemeiner

nachgehen wollen: fo zeigt ſich nicht Grundtrieb

wenig Schwierigkeit, und auch nicht Ei 32 0

wenig Widerſpruch unter den Philoſophen. So viel ift gewiß, daß der menſchliche Wille urfprüngs lich durch den Trieb der Gluͤckſeligkeit, oder zu ei⸗ nem dauerhaften Zuſtand angenehmer Empfin⸗ dungen, bewegt werde. Dieſer Trieb offenbart ſich durchgehends bey den Menſchen, und iſt unleugbar. Der Trieb zum phyſiſchen Guten iſt alſo der ge» wiſſeſte urſpruͤngliche Grundtrieb der zn; und wohl auch der einzige.

N 5 Das

234 Swepte Abtheilung. .

Das Syſtem eines Zutcheſons macht dem Herzen feines Erfinders Ehre Die abgeleiteten, durch Nachdenken oder Inſtruetion eingepraͤgten, guten Neigungen wer: den dem Herzen eines Rechtſchaffenen ſo natuͤrlich als die urſpruͤnglichen. Aber die Beweiſe fuͤr daſſelbe halten die genaue Pruͤfung nicht aus. Ich bin mir zwar die Neigung vollkommen bewußt, daß ich einen jeden Menſchen der mir ſonſt ganz gleichgültig iſt, lleber gluͤcklich als unaluͤcklich ſehe, und daß mich das Elend eines jeden ſolchen Menſchens zum Mitleiden zwingt. Aber ich getraue mich doch nicht dieſe Nei? gungen von der Selbſtliebe abzuſondern. Es moͤch⸗ |

te wohl angenehme oder unangenehme Empfindung dieſe Neigung reizen, die alſo zwar urſpruͤnglich na⸗ tuͤrlich, aber nicht ein beſonderer Grundtrieb waͤre; oder es moͤchte wohl gar Inſtruction, Verbindung der Begriffe, Verwechslung des Selbſtgefuͤhls und des Gefuͤhls eines analogiſchen Bildes ſie erzeugt haben. Dieſer Selbſtliebe hingegen bin ich vollkommen gewiß. Ich beareife, wie das Wohlwollen, Mitleiden und die andern gemeinnützigen Neigungen daraus haben entſpringen können. Ich kann fie der nachdenken⸗ den Selbſtliebe zu heiligen Pflichten machen. Alſo halte ich dieſe Art, ihre Sittlichkeit zu beweiſen, we⸗ nigſtens fuͤr gewiſſer und ſicherer.

§. 5

8 a de Dieſen Trieb recht zu verſtehen,

1 merken wir,

Triebe. 1) daß er Begierden erwecke zu demjenigen, was mit einer angenehmen Empfin⸗ dung unmittelbar begleitet iſt. Dann iſt er eigentlich Inſtinct oder eine Beſtimmung auf

eine

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 235

eine gewiſſe Art zu handeln, bey gewiſſen Ver⸗ änderungen, die in unſern ſinnlichen Werkzeugen veranlaßt werden.

2) Gegen dasjenige uns antreibe, was an⸗ genehme Empfindungen hervorbringt, wenn es auf eine gewiſſe Art mit uns verknuͤpft wird, und welches wir daher ſelbſt überhaupt das An⸗ genehme (dulce, incundum) nennen; wie auch gegen dasjenige, was uns zu dem Ange⸗ nehmen verhilft, oder gegen das Nuͤzliche. Hier iſt ſchon einige Verbindung der Ideen, einige Erinnerung noͤthig, um den Grundtrieb auf dieſe Art wirkſam zu machen.

3) Wenn mit dieſem Trieb der Vernunft, als eine Erkenntniß der Dinge nach ihren ent⸗ fernten Folgen und ihrem Zuſammenhang, ver⸗ knuͤpft iſt: ſo iſt offenbar, daß auch dadurch die Begierden anders beſtimmt werden.

4) Daß dieſer Trieb zur Gluͤckſeligkeit, zum Angenehmen n. 1. 2. und Nuͤzlichen n. 2. Ab⸗ ſcheu und Abneigung vor dem Unangenehmen und Schaͤdlichen erzeugen muͤſſe, it nich we⸗ niger auſſer Zweifel.

5) Aber dies hindert nicht, daß er nicht, einem groͤſſern Uebel auszuweichen, uns zum kleinern beſtimme, und ein kleineres Gut fahren laſſe, um ein gröfferes zu erhalten.

| $. 6.

236 Zweyte Abtheilung.

§. 6.

unterſchled Da dieſer Trieb demnach ſowohl

der abſtam⸗ NN menden Nei⸗ durch die ſinnliche als durch die ver.

Fuße nuͤnftige Erkenntniß erregt wird: ſo iſt zu begreifen, wie unterſchieden die Neigungen und Begierden der Menſchen bey dem nemlichen

Grundtrieb ſeyn koͤnnen. Denn iſt etwa ein 1

Unterſchied in den Empfindungswerkzeugen, oder

in den Begriffen jener hoͤhern Erkenntniß, die die g

Vernunft ausmacht: ſo iſt Urſache genug vorhan⸗ den zum Unterſchied in den Neigungen und Be— gierden, die doch zulezt alle auf dem Trieb zur Gluͤckſeligkeit gegründet find. Und wenn auch die natuͤrliche Beſchaffenheit der ſinnlichen Werkzeu⸗ ge, und die Anlage zum vernuͤnftigen Denken, bey allen Menſchen die nemliche waͤren: ſo koͤnnte doch die unterſchiedene Lage und Beſchaffenheit der aͤuſ⸗ ſerlichen Dinge, deren Eindruͤcke unſere Sinnen gleichſam erſt ausbilden, und die auch unſere hoͤhe⸗ ren Kenntniſſe beſtimmen, noch Unterſchieds genug machen. Der Unterſchied iſt alſo offenbar, den die Beſchaffenheit des Körpers, der natürlichen Faͤ. higkeiten, das Klima, die Landesverfaſſung, die Nahrung, die Erziehung, der Umgang und alle an⸗ dere Urſachen, die unſere Meynungen beſtimmen, in Anſehung der Begriffe vom Guten und Boͤ⸗

ſen,

ur ner Zee

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 237

ſen, und alſo in Anſehung der Begierden und Nei. gungen, hervorbringen muͤſen.

Und in dieſen bemerkten Urſachen, zumal wenn man das, was ich in den folgenden s gleich anführen werde hinzunimmt, liegt ſo viel Grund zum Unterſchied, daß man deßwegen nicht noͤthig hat, noch in andern Urſa⸗ chen ihn zu ſuchen, wofern man nicht ſonſt noch Be⸗ weiſe dafür hat. Ich halte alſo z. E. die Hypotheſe von dem urſprünglich ungleichen Verhaͤltniß der Menſchen in Anſehung der Wirkung des Verſtands auf den Willen, die der Herr Abbt in ſeinem ſchaͤz⸗ baren Buche vom Verdienſt S. 108. geaͤuſſert hat, zur Erklärung der pſychologiſchen Erſcheinungen nicht für noͤthig. Doch ſteht zu erwarten, was die Beant⸗ wortungen der von der Berliner Geſellſchaft der Wiſſenſchaften auf das Jahr 1767 aufgegebenen Preis⸗ frage: Peut-on detruire les penchans &c. (ſ. Mercure de France 1765. Aost,) uns dies falls lehren werden.

Gleichwie nun auf die Weiſe eine Sb Menge unterſchiedener abſtammender beit. oder abgeleiteter Triebe, Neigungen und Begier⸗ den, entſtehen, die ſich oft aͤndern, oft einander zus wider ſind: alſo iſt aus der Erfahrung bekannt, und aus allgemeinen Gruͤnden leicht einzuſehen, daß eine Neigung, der man lange gefolgt, eben dadurch eine ſolche Staͤrke erhalte, daß ſie Natur zu ſeyn ſcheinet, daß ſie wie ein Grundtrieb ſich verhält, Handlungen veranlaſſet, bey denen ſich kei⸗ ne jenem wahren Grundtriebe gemaͤße Abſicht an⸗

geben

&

238 Zweyte Abtheilung.

geben laͤſſet, ja die den Entſchlieſſungen und prakti⸗ ſchen Grundſaͤtzen des nemlichen Menſchen ſelbſt vielmals entgegen ſind.

N §. 8.

8 Aber wenn die Menſchen auch nach Abſichten handeln: ſo vergeſſen ſie doch

oft die wahre Stelle einer Abſicht, und ihren dar⸗ aus zu beſtimmenden Werth. So fahren ſie noch fort, auf eine gewiſſe Weiſe zu handeln, nach gewiſ⸗ ſen Dingen zu ſtreben, auch wenn der Grund dazu nicht mehr vorhanden iſt; weil ſie ſolche Begriffe von dem Werth dieſer Dinge haben, wobey ſie das Zufaͤllige und Veraͤnderliche von dem Weſentli⸗ chen nicht gehoͤrig unterſcheiden. So opfern ſie oft die Abſichten den Mitteln auf, indem ſie uͤber der Begierde nach dieſen jene vergeſſen. Nicht weniger entſpringen aus der Verwirrung der aͤhn⸗ lichen Dinge, der begleitenden Umſtaͤnde, der Zei⸗ chen mit den eigentlichen Gegenſtaͤnden der Be⸗ gierde, ſor viele, und oft fo raͤthſelhafte, Neigungen bey den Menſchen, daß der Moraliſt Muͤhe genug hat, die Urſachen davon in den bekannten Trieben der menſchlichen Natur zu finden. Und wie oft betruͤgt nicht auf dieſe Weiſe einen Menſchen fein eigenes Herz? Aber da man dieſe Quelle ein« mal kennet: ſo wird man ſowohl in Beſtimmung der

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 239

der Abſichten, als der Grundtriebe, behutſam ſeyn muͤſſen.

9.9. | Man wuͤrde die Natur des Men: Saen des ſchen gar nicht kennen, wenn man das auf den

I i Trieb zur was gut fuͤr ihn heißen kann, nur auf Sluͤckſelig⸗ die unmittelbaren Empfindungen des ei Koͤrpers einſchrenken wollte. Dieſe ſind es nicht allein, die feine Gluͤckſeligkeit ausmachen, und feis nen Trieb dazu beſtimmen. Geiſtiſche Ver— gnuͤgungen, und jenes Hinſehen des Menſchen auf eine unſichtbare Macht, welche, nach der Be⸗ ſchaffenheit ſeiner Handlungen, ihm Gutes oder Boͤ— ſes wiederfahren laͤſſet, das Gewiſſen, hat den wichtigſten Einfluß auf die Gluͤckſeligkeit des Men⸗ ſchen. Man betrachte es als eine angebohrne Beſtimmung der menſchlichen Natur, oder als eine Frucht des Nachdenkens, oder als eine Folge der Erziehung und der Inſtruction, oder, welches wohl das richtigſte, als eine Wirkung von allem dieſen zugleich: fo bleibt doch dieſes eine unumftößliche Wahrheit, daß der Menſch den Gebrauch der Ver. nunft nicht haben koͤnne, ohne einen gewiſſen Un⸗ terſchied der Handlungen, eben fo wohl in Anfe hung anderer, als in Anſehung ſeiner, zu erkennen; und daher den richterlichen Ausſpruch uͤber die Recht.

240 Zweyte Abtheilung.

Rechtmaͤßigkeit oder Unrechtmäßigkeit feines Vers haltens in ſich zu empfinden. Und wenn denn keine Gluͤckſeligkeit ohne Zufriedenheit mit ſeinem Zuſtand kann gedacht werden, derjenige aber am allerwenigſten zufrieden heißen kann, der es mit ſich ſelbſt nicht iſt, und der den innerlichen Streit eines böfen Gewiſſens fühlen muß: fo folgt, daß der vernuͤnftige Menſch in Beurtheilung deſſen, was ihm gut ſey, die Erkenntniß ſeines Gewiſſens zu Rathe ziehen muͤſſe.

8 2 Geiſtiſche Man nennt geiſtiſche oder auch idea: Vergnuͤgun⸗ e gen. liſche Vergnuͤgungen ſolche anges nehme Empfindungen, die entweder gar nicht durch die koͤrperlichen Werkzeuge empfunden werden, oder bey denen wenigſtens in den koͤrperlichen Werkzeu⸗ gen alleine kein Grund zu finden, warum ſie uns angenehm, und die entgegengeſetzten unangenehm find. Ein ſolches Vergnuͤgen begleitet die Em⸗ pfindung unſerer Vollkommenheiten, insbeſondere die Einſicht in nuͤtzliche Wahrheiten, unſeres Recht⸗ verhaltens und unſerer Ehre, die Vorſtellung des geſellſchaftlichen und freundſchaftlichen Verhaͤltniſſes anderer auf uns, die Empfindung der Ordnung, Har⸗ monie und Schoͤnheit; und dies Vergnuͤgen erwecket daher in uns Neigungen zu dieſen Gegenſtaͤnden. Aber

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 241

Aber es iſt meines Erachtens noch zweifelhaft, ob nicht das Vergnuͤgen, welches alle dergleichen Em- pfindungen und Vorſtellungen begleitet, ſich auf den Koͤrper beziehe; theils unmittelbar, ob gleich die Wirkung ſich nicht deutlich erklaͤren laͤſſet; theils nach den manchfaltigen Verbindungen der Begrif— fe, durch zufälliges Zuſammendenken, eigenes Nachdenken und Inſtruction. So viel iſt aber gewiß, daß wir keinen beſondern Grundtrieb deß⸗ wegen anzunehmen Urſache haben. Denn das Ber: gnuͤgen bey dieſen geiſtiſchen Empfindungen mag gegruͤndet ſeyn, wo es will, da einmal das Ver— gnuͤgen unſere Neigungen darnach erwecket: fo has ben wir keine Urſache ſie von dem Trieb der Selbſt— liebe abzufondern, wenn wir nicht demſelben will: kuͤhrlich enge Grenzen ſetzen wollen.

Zur Erlaͤuterung meiner Gedanken, will ich nur in Anſe⸗ hung des Schönen eine Anmerkung beyfuͤgen. Der Grund von der Beſchaffenheit unſeter Empfindungen, um welcher willen wir den aͤuſſerlichen Urſachen der⸗ ſelben Schoͤnheit zuſchreiben, kann wirklich, wentaſtens zum Theil, in dem Bau unſerer Empfindungswerkzeu⸗ ge liegen, eb wir gleich nicht genug anatomiſche Erkennt⸗ niß beſitzen, um ihn anzugeben. Und dies zwar wiedet auf eine deppelte Art; einmal in ihrer natürlichen Beſchaffenheit, fo dann in ihrer Ausbildung, die Al nen der Eindruck der aͤuſſerlichen Dinge, die fie em⸗ pfunden haben, gegeben hat. Darum urtheilt der Bauer anders von Schoͤnheit als der Hofmann; und wenn man

die gelehrte Muſik ſchon finden fol; fs muß man 2 fein

242

zweyte Abtheilung.

fein Ohr erſt nach und nach dazu gewoͤhnen. Aber der gar manchfaltige Unterfchled in den Meynungen hier⸗ von führt mich noch auf eine andere Urſche. Ich fin⸗ de auch hier die ſonderbare Wirkung der Verfnüs pfung der Ideen. Aus dieſer Vorausſetzung laͤßt ſich wenigſtens vieles erklaͤren. Gewiſſe Minen und Geſichtszüge ſind unangenehm, weil ſie demjenigen gleichen, die ſich bey verabſcheuten Gemuͤthsbewegungen aͤuſſern; gewiſſe Töne deßwegen, weil aͤhnliche Toͤne einen verhaßten Zuſtand, z. E. Schmerzen, Ungeſtuͤm ꝛc. zu begleiten pflegen. Eben alſo wurden die Gegenſtaͤnde, die uns angenehme Empfindungen machten, geehrt und bewundert, und Muſter der Schönheit. Dieſer Ge⸗ danke bekommt ſeine voͤllige Staͤrke, wenn man die Begriffe verſchiedener Voͤlker von der Schoͤnheit un⸗ terſucht. Die Selbſtliebe, geleitet durch die Verknuͤ⸗ pfung gegenwaͤrtiger und ehemaliger Empfindungen, oder ſinnlicher und abfiracter Ideen, offenbart ſich hier aufs deutlichſte. Ich ſage nichts von denjenigen Faͤl⸗ len, wo man etwas ſchoͤn nennt, das man vielmehr koſtbar, ſonderbar, kuͤnſtlich ꝛc. nennen ſollte. Und fo bin ich auch geneigt dafuͤr zu halten, daß bey den uͤbri⸗ gen Arten der idealiſchen Vergnuͤgungen, in der ſon⸗ derbaren Verknuͤpfung der Ideen, die theils von koͤr⸗ perlihen Empfindungen, theils vom Nachdenken, theils von der Inſtruction abſtammten, der Grund von un⸗ ſern Begriffen, Meynungen, ja ſelbſt Empfindungen, in Anſehung dieſer idealiſchen Gegenſtaͤnde zu ſuchen ſey.

F u.

n Nun komme ich auf das andere Stuͤck

arten der allgemeinen Betrachtungen aus der Rechtsge⸗ praktiſchen Philoſophie. Gewiſſen oder

Ver⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 243

Vernunft beſtimmt die Menſchen bey Darm dem Trieb nach ihrer Gluͤckſeligkeit, und

den daraus entſpringenden Begierden, auf die Rechtmaͤßigkeit mit zu ſehen. ($. 9.) und (H. 5.) Wir muͤſſen denn alſo auch das Allgemeine in der Lehre von der Rechtmaͤßigkeit, hier anbringen. Die Richtſchnur der Rechtmaͤßigkeit ſind die Geſetze. Einige erfordern zu dem Geſetz, daß es von einem Obern, von einem ſolchen, der den andern in ſei— ner Gewalt hat, gegeben oder wenigſtens beſtaͤtiget werde; andere halten dieſe Bedingung nicht fuͤr noͤ⸗ thig. Man muß ſich hierüber gleich anfangs er⸗

klaͤren: denn ſonſt entſtehen hundert Worrftreitige

keiten daraus. Wenn man einen Gdtt glaubt; ſo offenbart ſich bald, daß die natuͤrlichen Geſe— tze in der ſtrengſten Bedeutung Geſetze ſeyn. In⸗ dem die Geſetze die Rechtmaͤßigkeit der Handlun⸗ gen beſtimmen: ſo verurſachen ſie Verbindlich— keiten, Pflichten und Rechte. Dasjenige Ver⸗ haͤltniß zwiſchen uns und einer Handlung, vermoͤge deſſen wir unrecht handeln wuͤrden, wenn wir ſie nicht unternehmen wollten, macht die Verbind⸗ lichkeit aus; und eine Handlung, dazu wir ver- bunden ſind, heißt eine Pflicht. Man merke, daß Unterlaſſungen hier unter dem allgemeinen Na— men der Handlungen mit begriffen werden. Das Wort Recht wird in vielerley Bedeutungen ge⸗

Q 2 braucht.

244 Zweyte Abtheilung.

braucht. Es bedeutet bald die Lehre von den Ge— ſetzen oder von der Rechtmaͤßigkeit überhaupt; bald die Uebereinſtimmung des Gebrauchs ſeiner Kraͤfte mit den Geſetzen; und zwar entweder eine ſolche Uebereinſtimmung, daß die Geſetze dasjenige, was einer thut oder thun kann, befehlen, oder nur eine ſolche, daß ſie es nicht verbieten. Ferner, da es un⸗ terſchiedene Arten von Geſetzen giebt, natuͤrliche und poſitive, göttliche und menſchliche, inners liche und aͤuſſerliche, vollkommene (zwangs⸗ mäßige) und unvollkommene (nicht zwangsmaͤßi⸗ ge) fo bekommt, nach dieſen verſchiedenen Bezie⸗ hungen, das Wort Recht unterſchiedene Bedeu⸗ tungen, deren Verwirrung zu groſſen Irrthuͤmern und Wortſtreitigkeiten Anlaß geben kann. Dero— wegen muß man ſich dieſe Bedeutungen bey Zeiten bekannt machen, und an jedem Orte wohl von ein⸗ ander unterſcheiden.

Aber es iſt mehr als Unbehutſamkeit, mit dem Wort Recht vermoge feiner ſchwankenden Bedeutung fo zu ſpielen, wie der Verfaſſer des nenen Syſtems des N. X. gethan hat, das vor einigen Jahren ſo viel Wider⸗ ſpruch erregt hat. |

§. 12. gie Bel Wo muß denn die Abhandlung von den Rechten, Pflichten und Geſetzen anfangen? Was iſt das erſte Geſetze der Na⸗ tur?

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 245

tur? Darüber iſt genug geſtritten worden. Ich halte nicht für nöthig, dieſen Streit nur zu erzaͤh— len. Wenn der Menſch, ſeiner Natur nach, durch nichts zu bewegen iſt, als durch den Trieb zu ſeiner Gluͤckſeligkeit; wenn dieſer Trieb, eben deßwegen, weil er ein allgemeiner Grundtrieb iſt, von den Ur» heber der Natur herkommen muß; wenn dieſen Trieb die nachforſchende Vernunft dem göttlichen Willen gemäß erkennet: ſo iſt offenbar, daß er nicht nur bey den Geſetzen zum Grund geleget werden muͤſſe, ſondern daß auch der Satz, in welchen er vorgetragen wird: Suche deine Gluͤckſeligkeit, dein wahres Beſte ꝛc. mit Recht fuͤr das erſte Geſetz der Natur angeſehen werde.

Und alle andere laſſen ſich daraus herleiten, wenn man die gehörigen Verbindungsſätze dazu nimmt.

§. 13.

Wenn wir nun dasjenige, was wir dunwendung von der Natur des menſchlichen Wil- gen auf die lens, und von den Geſetzen uͤberhaupt RR ſchon bemerket haben, zufammen nehmen: ſo wird folgen,

1) Daß die Geſetze dem Menſchen gewiſſe feinem Grundtrieb gemäße Bewegungsgruͤnde erwecken muͤſſen, ſeine Handlungen nach ihrer Vorſchrift einzurichten. (§. 4.)

3 2) Daß

246 Zweyte Abtheilung.

2) Daß die Erkenntniß der Rechtmaͤßigkeit allein Bewegungsgrund genug ſeyn koͤnne. ($.9.)

3) Daß ſolches die mit der Uebertrettung oder Beobachtung der Geſetze verknuͤpfte Fol⸗ gen ſeyn koͤnnen. (§. 5.)

4) Daß er fie für rechtmaͤßig erkennen, und doch uͤberſchreiten, ihre Rechtmaͤßigkeit in Zweifel ziehen, oder gar nicht unterſuchen, und doch beobachten koͤnne; wenn im erſten Fall mit ihrer Beobachtung ein Uebel, und im zweyten ein Gut verknuͤpft iſt, welches feiner Denfungss art nach wichtiger ſcheint, als was im entgegen geſetzten Fall erfolgen wuͤrde.

5) Daß die Vorſtellung des groͤſſern Gutes oder Uebels der Vorſtellung des geringern wei⸗ chen koͤnne; wenn das geringere als gewiſſer, als näher, wenn es ſinnlicher und lebhafter ge⸗ dacht wird, als das groͤſſere. (§.3.)

§. 14.

88 Und dies muß uns dienen, den Be⸗ Tugend. grif der Tugend feſtzuſetzen. Nicht derjenige verdient tugendhaft genennt zu werden, der den Geſetzen gemäß handelt um des beſondern Vortheils willen, oder um der beſondern Strafe willen, die mit der einzelnen Handlung verknuͤpft iſt; ſondern derjenige, welchen die Rechtmaͤßig⸗

keit

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 247

keit ein allgemeiner Bewegungsgrund iſt, nach welchem er eine jede einzelne Handlung unternimmt, oder unterläßt, ohne den beſondern Vortheil oder Schaden, der von ihr zu erwarten, allemal zu er: waͤgen. Es handelt alſo zwar auch der Tugend: hafte ſeinem Nutzen gemaͤß; und die Tugend hat auch ihren Urſprung aus der Liebe gegen ſich ſelbſt; aber nachdem ſich der Tugendhafte einmal uͤber zeugt hat, daß die Tugend der Weg zur wahren Gluͤck— ſeligkeit ſeyÿ: fo wird die Neigung zur Rechtmaͤſ⸗ ſigkeit, ſo wird die Tugend und Rechtſchaffenheit der erſte ſeiner abgeleiteten Triebe. Das Intereſſe der Tugend iſt das Intereſſe ſeiner Selbſtliebe; und wenn er erkennet, daß es rechtmaͤßig ſey, ſo zu handeln: ſo fragt er nicht mehr, wozu es ihm nu⸗ tze. Dieſe Rechtmaͤßigkeit zu erkennen, iſt nicht allemal eine beurtheilende Einſicht in das Geſetz und feine Gründe noͤthig. Es kann die Ueberzeu— gung von der Obliegenheit der Geſetzgeber einen unumſchrenkten Gehorſam zu beweiſen, deren Stel⸗ le vertreten.

Ich hoffe, daß man bey der Lehre dieſes 8. und einiger vor⸗ hergehenden, die Saͤtze der Alten leicht verſtehen wer⸗ de; daß rechtmäßig und nützlich einerley fey, daß der menſch den Abſcheu der übrigen verdiente, der zuerſt dieſe beyden Begriffe getrennt hätte; ich hoffe, daß die Zweifel, die von alten und neuen Aucrezen gegen die erſten Grundſaͤtze der Rechtsge⸗

Q 4 lehr⸗

248 dweyte Abtheilung.

lehrſamkeit und der Tugend, vorgebracht werden, und den Anfaͤngern zu ſchaffen machen konnen, bey alſo entwickelten Begriffen richtig beurtheilt und aufgelöfet werden konnen.

§. 15.

E Bey den Uebertretungen der 7 der Ge: Geſetze iſt gleichfalls manches zu unters

ſuchen, ehe ihre Moralitaͤt kann be— ſtimmt werden. Wenn man nemlich nicht nur auf den Werth der Handlung an und ſuͤr ſich, ſehen; ſondern zugleich das Verhalten des Urhebers derſelben gegen die Geſetze und Vor⸗ ſchriften der Rechtmaͤßigkeit beurtheilen will: ſo ſind allerdings folgende Anmerkungen in Betrach⸗ tung zu ziehen.

1) Es kommt darauf an, ob es unter ſol⸗ chen Umſtaͤnden einen Menſchen moͤglich gewe⸗ ſen, anders zu handeln.

2) Ob er das Geſetz gewußt habe, oder doch habe wiſſen koͤnnen.

2) Ob er auch die Unrechtmaͤßigkeit ſeiner Handlungen eingeſehen habe, oder doch ein- ſehen habe koͤnnen.

4) Ob er dabey an das Geſet gedacht, und den Vorſatz gehabt habe, es zu brechen, oder ob er, ohne eben daran zu denken, um ſonſt eines Antriebs willen, wider das Geſetz gehandelt.

5 Es

1

i

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 249

5) Es kommt darauf an, was dies fuͤr ein Antrieb geweſen, ob es ein abgeleiteter oder ein Grundtrieb, ein an und fuͤr ſich rechtmaͤßiger oder ein an und fuͤr ſich ſchon ſtraͤflicher Trieb.

6) Es kommt darauf an, wie dieſer Trieb in ihm erweckt worden; ob es vielleicht auf eine Art geſchehen, der er nicht widerſtehen konnte, ohne eine gewiſſermaſſen unmoͤgliche Gewalt anzuwenden.

7) Wenn es ein rechtmaͤßiger Trieb gewe⸗ ſen; ſo kommt es darauf an, ob er befriediget habe werden muͤſſen, und ob er ohne Uebertret⸗ tung des Geſetzes nicht habe befriediget werden koͤnnen.

8) Hingegen iſt auch darauf zu ſehen, wie viel Bewegungsgruͤnde ein Menſch vor ſich

gehabt hatte, das Geſetz nicht zu uͤbertreten, eben damals, als er es gethan. Denn dieſe Um⸗ ſtaͤnde verändern ein Verhalten gar ſehr in Anſehung der Moralitaͤt oder der Abhaͤngig— keit von der durch Ueberlegung beſtimmten oder doch beſtimmlichen Wahl ($. 2.) Und gleich⸗ wie einige derſelben die Unrechtmaͤßigkeit und Schuld vermehren oder vermindern; ſo koͤn⸗ nen einige derſelben ſolche gar aufheben.

Dieſe Grundfäge von der Imputation werden die Freun⸗

de der Baſedowiſchen Philoſophie fehr trivial fin⸗ Q 5 den;

250 äweyte Abtheilung.

den, und es mir vielleicht verargen, daß ich die Ger danken des Herrn Baſedow nicht beſſer genutzet ha⸗ be. Ich will mich nicht damit entſchuldigen, daß die⸗ ſer Grundriß ſchon entworfen war, ehe ich die Schrif⸗ ten dieſes Lehrers zu ſehen bekommen. Denn obgleich diefes wahr ik: ſo iſt es doch einem Philoſophen ſehr unanſtaͤndig, bey einem jungen Gelehrten aber hoͤchſt laͤcherlich, Gewohnheit mehr als Gründe gelten zu laſſen. Allein die Lehren des Herrn B. von der Jim: putation find Folgen feiner Begriffe von der Freyheit, welche ich nicht annehmen kann. Auſſerdem ſcheinen mir feine Grundſaͤtze von der Imputation nicht für die Rechtsgelehrſamkeit unter menſchen brauchbar genug. Und endlich erfordert es nicht viel Nachden⸗ ken, um einzuſehen, wie die gewoͤhnlichen Regeln von der Imputation eben auch auf die Verhütung des Uebels abzielen. Eben dieſe Bemerkung gilt wohl auch in Anſehung des beruͤhmten Buches Dei delitti e delle pene, deſſen Verfaſſer allerdings mit dem Geiſt eines Monresguien philoſophirt: aber, wie mich duͤnkt, bey den neuen Abſichten, bey den neuen Seiten, die er an ſeinen Gegenſtaͤnden entdeckte, die alten zu ſehr vergeſſen hat. Man ſehe den $. VII. in der sten Ausgabe p. 24. Und in der Philalethie 5. 5560.

§. 16.

er Es kann geſchehen, daß ein Geſetz Geſetze. dem andern zuwider iſt, ſo daß beyde zugleich nicht koͤnnen beobachtet werden. Denn obwol eine Wahrheit der andern nicht widerſpre⸗ chen, und die nemliche Handlung nicht zugleich recht und unrecht ſeyn kann: ſo werden doch theils die Geſetze nicht immer beſtimmt genug ausge⸗

druckt;

Grundriß der vornehmſten Theile 2c. 251

druckt; theils koͤnnen fie an ſich von der Beſchaf⸗ fenheit ſeyn, daß fie, überhaupt oder unter gewiſſen Umſtaͤnden, einander entgegen ſtehen. Wenn dann die Geſetze im Widerſpruch ſind, daß man eines nicht beobachten kann, ohne dem andern zuwider zu handeln: ſo muß bey dem einen eine Ausnah⸗ me Statt finden. Dieſe Ausnahme zu beſtimmen, koͤnnen wir im Allgemeinen fo viel fagen: man muß das thun, was in aller Betrachtung das beſte iſt. Kennt man die Geſetze nach ih⸗ ren Gruͤnden, und nach ihrer Entſtehung aus ein⸗ ander (Subordinatio legum): fo wird man das Verhaͤltniß der Handlung daraus ermeſſen konnen.

$. 17. Wenn wir auch nicht wahrſcheinlich A einſehen ſollten, ob und auf welche Art Rechtmaͤßig⸗ wir recht handeln wuͤrden; ſo befiehlt haft Bla Tugend und Vernunft, fo lange unentſchloſſen zu bleiben, als wir im Zweifel ſtehen, dabey aber ſo wohl unfer eigenes Nachdenken, als den Rath recht⸗ ſchaffener und verſtändiger Leute, dazu zu gebrau⸗ chen, daß wir das Beſſere bald erkennen leruen. Aber eine uͤberwiegende und gepruͤfte Wahrſchein⸗ lichkeit darf durch den ſchwaͤchern Zweifel nicht auf gehalten werden, weil wir ſonſt gar ſelten, oder nie⸗ mals zu handeln geſchickt ſeyn wuͤrden.

Virtus

272 Zweyte Abtheilung.

Virtus eſt mediocritas inter vitiorum extrema, ſagt Aviſto⸗ teles. Die Entſchloſſenheit iſt eben ſo ſehr von der unbeſonnenen Verwegenheit, als von der determinl⸗ renden oder caleulirenden Unthaͤtigkeit entfernt.

§. 18.

Wi g ſich ee Ohne ſelbſten der unmittelbare Urs

Suͤuden heber einer Handlung zu ſeyn, kann un? man demohngeachtet einen ſolchen An⸗ theil an derſelben haben; welcher moraliſch beur- theilt werden kann. So kann man ſich Ehre durch anderer ihre ruͤhmliche Handlungen erwerben; aber ſich auch fremder Verbrechen theilhaftig ma⸗ chen. In dieſem Fall iſt derjenige, der auf irgend eine Art Mit Urſache iſt, daß der andere ſo ge- handelt hat. Alſo iſt es derjenige,

1) Welcher dem andern Bewegungsgruͤnde dazu gegeben hat.

2) Gelegenheit dazu gemacht, da er ſchon des andern Abſicht wußte, oder doch wiſſen konnte.

3) Durch poſitive Huͤlfe oder durch Weg. raͤumung der Hinderniſſe dem andern beyge⸗ ſtanden.

4) Folglich auch, wenn er durch fein Stille ſchweigen dem dritten ein Mittel benommen, des andern Handlungen zu hindern.

5) Ja

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 25 3

5) Ja auch, wenn er ſelbſt die Handlung des andern hätte hindern koͤnnen, und es unter⸗ laſſen hat.

Jedoch faͤllt nach dieſen verſchiedenen Um⸗ ftänden nicht einerley Schuld auf den Mitſchul⸗ digen. Und auch dasjenige iſt hier wieder an⸗ zuwenden, was $. 15. angeführt worden iſt.

§. 9.

Nichts aber hat mehr Einfluß auf 1 0 die Neigung des Menſchen ſo wohl, Beeler d. als auf die Beſtimmung der Morali— prokt Phu tät der Handlungen ſelbſt, als der Zu, ſorbie. ſtand, in welchem ſich der Menſch befindet. Zu dem Zuſtande eines Menſchen gehoͤren aber nicht nur feine Eigenſchaften und zufälligen Beſchaffen⸗ heiten, ſondern auch ſeine Verhaͤltniſſe, in denen er gegen andere ſteht. Dieſe aͤndern öfters die nas tuͤrlichen Geſetze, Rechte und Pflichten. Dieſe era zeugen und erſticken Neigungen. Wir muͤſſen als fo den Menſchen in dieſen verſchiedenen Verhaͤlt⸗

niffen betrachten, wenn wir feinen Hand—

lungen genauere Vorſchriften geben wollen.

W *

Zwey⸗

>

254 Zweyte Abtheilung. Z3weytes Stuͤck. Vom Recht der Natur.

§. 18.

8 Unter dem Recht der Natur ver⸗ hung. d48 ftehen einige nur die Wiſſenſchaft von den natuͤrlichen Zwangspflichten und

den damit correſpondirenden Rechten der Menſchen gegen einander. Andere ſchrenken ſich einmal nicht auf die bloſſen Zwangspflichten ein; ſodann han⸗ deln ſie auch von den Pflichten gegen ſich ſelbſt, bisweilen auch von den Pflichten gegen Gote in dem Recht der Natur. Der ganze Streit be⸗ trifft hauptſaͤchlich die Methode ſ. Hollmanmi Ju- risprud. nat. part. I. cab. ii. H. o. Not. Und in dieſer Beziehung halte ich es fuͤr vortheilhafter, der leztern Meynung zu folgen; doch ſo, daß ich die un⸗ terſchiedenen Arten der Rechte und Pflichten, die bis⸗ weilen beſondere Wiſſenſchaften ausmachen, auch hier durch beſondere Abſchnitte unterſcheide. Ich will alſo zuerſt denjenigen Theil des Rechts der Natur, den man die Moraltheologie, die Jurzs- prudentiam diuinam , oder die Rechtsgelehr⸗ ſamkeit vom Staate Gottes nennen kann: fo- dann aber die Wiſſenſchaft von dem zwangsmaͤßi⸗ gen Rechten und Pflichten der Menſchen gegen einan⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 255

einander, welche das Necht der Natur im en« gern Verſtand ausmachen, nach ihren erſten Zuͤ⸗ gen entwerfen.

Von denen Rechten und Pflichten der Menſchen, die aus der Erkenntniß von Gott und der Welt abgeleitet werden.

§. 19.

Wer einen Gott glaubet, der dieſe ar Ber

Welt gemacht hat, regieret und erhält, Weit u die Menſchen

der muß ihn ſogleich für den unum⸗ find feine ſchraͤnkten Herren aller Dinge, und al 5 4 fo die Menſchen für feine Knechte erkennen; für Knechte, deren ganze Gluͤckſeligkeit von dem Wils len ihres Herren völlig abhängt, für Knechte, die ſeinen Willen gaͤnzlich unterworfen ſind, die gar keine Rechte gegen ihn haben. Zwar kann man fagen, daß Gott ſich ſelbſten und feinen Eigen⸗ ſchaften ein gewiſſes Verhalten in Anſehung ſeiner Welt ſchuldig ſey; allein daraus folgt Feine Ver⸗ bindlichkeit Gottes gegen die Menſchen, kein Recht für dieſe, etwas von ihm zu fordern, oder ſich ſei⸗ nem Willen auf irgend eine Art zu widerſetzen. Vielmehr folgt dies daraus, daß, wenn der Menſch gluͤckſelig ſeyn will, er ſich dem göttlichen Wil⸗ len gemaͤß bezeigen muͤſſe, weil es Gott nicht

gleich.

256 JZweyte Abtheilung.

gleichgültig ſeyn kann, wie es in der Welt zugehe.

(Metaphyſ. H. 45.9 §. 20.

Urheber der Gottes Wille iſt alſo dem Men natürl. Ge⸗ ſchen das hoͤchſte Geſetz. Aber kann 87 er ihn auch erkennen? Er muß ihn er⸗ kennen koͤnnen; weil es ſich den Eigenſchaften eines weiſen Schoͤpfers, dergleichen unſer Gott iſt, nicht reimen laͤſſet, daß er einem freyen Weſen kei⸗ ne Vorſchriften ſeiner Handlungen ſollte gegeben haben. Er erkennt ihn wirklich, theils aus den vers nuͤnftigen Betrachtungen über Gott und die Welt. Und alſo giebt es natuͤrlich erkannte göttliche Geſetze.

F. 21. en Folgende Gäße find es, die dieſe natürlichen zween Wege die goͤttlichen Geſetze aus: Geſetze.

der Vernunft zu erkennen, genauer bes

ſtimmen; | 1) Alle Handlungen, die mit ihren Folgen im Ganzen betrachtet der Grundtrieb der menſchli— chen Natnr ($. 4.) verabſcheuen muß, find dem göttlichen Willen, und den natürlichen Geſetzen zus wider. Denn der Grundtrieb der menſchlichen Natur iſt von dem Urheber derſelben, von Gott. 2) Alle

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 257

2) Alle Handlungen, die der Menſch, wenn

er ſie nach allen ihren Folgen betrachtet, ver.

moͤge ſeines natuͤrlichen Grundtriebes, vernuͤnf⸗ tiger Weiſe begehren muß, find dem görtlichen Willen und den natuͤrlichen Geſetzen gemaͤß.

3) Alle Handlungen, die Vollkommenheiten und Gluͤckſeligkeit in dieſer Welt zu befoͤrdern oder zu erhalten wahrhaftig geſchickt ſind, ſind auch dem goͤttlichen Willen und den naluͤrlichen Geſetzen gemäß (Met. §. 42. und 45.) Und die, ſe alſo auch muß der Menſch um ſeines Grund⸗ triebes willen, wenn er ihm vernünftig folger, begehren (H. 19.)

4) Alle Handlungen, die die Vollkommenheit der Welt und die Gluͤckſeligkeit der Subſtanzen, die einer Gluͤckſeligkeit faͤhig ſind, mehr hindern als befördern, find Gott und den natürlichen Geſetzen zuwider; und der Menſch muß fie als fo verabſcheuen, wenn er vernünftig iſt.

Wie richtig und leicht flieffen hier. Arien aus die natürlichen Pflichten der Men: entſpringen. ſchen, ſowol gegen ſich, als gegen andere?

1) Gott will überhaupt, daß Vollkommen⸗ heit und Gluͤckſeligkeit in der Welt erhalten und befoͤrdert werde. Alſo will er auch, daß ein je-

R 7 der

1

258 Zweyte Abtheilung.

der insbeſondere auf ſeine Erhaltung, Vollkom⸗ menheit und Gluͤckſeligkeit bedacht ſey; daß er ſich ſo vollkommen und gluͤcklich zu ma⸗ chen ſuche, als es moͤglich iſt.

2) Aber da dieſes Gott von einem jeden Menſchen will: ſo will er alſo nicht, daß einer den andern ungluͤcklich mache, um ſich Vorthei⸗ le zu verſchaffen: ſondern er will, daß ein jeder Menſch ſeine Gluͤckſeligkeit auf eine ſolche Art ſuche, die den uͤbrigen am wenigſten nach⸗ theilig iſt.

3) Alſo iſt es dem goͤttlichen Willen gemaͤß, daß alle miteinander ſie auf diejenige Art ſuchen, welche allen miteinander die vortheilhaf⸗ teſte iſt. Denn der Weiſe, der den Endzweck will, will auch die beſten Mittel.

4) Wenn Friede, Eintracht und geſellſchaft⸗ liche Verbindungen demnach hierzu geſchickt ſind: ſo ſind dieſe auch dem goͤttlichen Willen gemaͤß.

Der Menſch iſt von der Naturkzur Geſellſchaft beſtimmt: dies beweiſet den goͤttlichen Willen a polteriori. |

$. 23. 5 Mud Hieraus folgt ferner einander 75 1) Daß Menſchen, als Menſchen gleich. betrachtet, gleiche Rechte und Pflich⸗

ten

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 253

ten gegen einander haben, folglich von Natur einander gleich ſind. 2) Was du alſo von dem andern natuͤrlicher Weiſe fordern kannſt, das kann er auch von die fordern; und was du ihm nicht zugeſtehen willſt, das iſt er auch dir nicht ſchuldig. 3) Alſo was du willſt, daß dir die Leute nicht thun ſollen, das thue du ihnen auch nicht.

24.

Fragt man alſo, ob ſie von Natur N ruͤngli [ nas. Zwangs⸗ urſpruͤnglich vollkommene oder Zwangs .

Rechte und Pflichten gegeneinander ha. geneinan⸗ ben: fo wird man ſolches wohl nur von der haben. negativen Pflichten und Rechten behaupten

koͤnnen. Denn keiner wird wohl dem andern dies natuͤrlicher Weiſe zugeſtehen, daß er von ihm ſollte koͤnnen gezwungen werden, etwas zu thun. Ges ſteht er ihm aber dieſes Recht nicht zu: ſo kenn er es auch nicht für ſich behaupten. (H. 23.) Was jolls ten es aber auch fuͤr Handlungen ſeyn, die Men⸗ ſchen, als Menſchen betrachtet, von einander erzwin⸗ gen koͤnnten, deren Setzung nicht der natuͤrlichen Gleichheit zuwider, oder uͤberhaupt mehr nachthei⸗ lig, als ſchaͤdlich feyn würde?

Dies einzige koͤnnte man dagegen einwenden, daß einer

den andern mit Recht zwingen koͤnnte, die dieſem ent⸗ R 2 behr⸗

480 Zweyte Abtheilung.

behrliche ihm aber einzig: moͤgliche Mittel feiner Erhal⸗ tung zu uͤberlaſſen. Allein man pflegt dieſen auſſer⸗ ordentlichen Zuſtand zur Ausnahme, nicht zur Regel anzuſetzen.

8. 2 | prichten der Jedoch folgt daraus nicht, daß die ſchuldigen ; DER Lebe. Menſchen in gar keiner Betrachtung einander von Natur gewiſſe poſitive Handlungen ſchuldig waͤren. Wir wollen noch nicht darauf ſe⸗ hen, wie dieſes ihr eigenes Beſtes an und fuͤr ſich ſchon erfordern koͤnne, welches theils aus dem Na⸗ turrecht in der engern Bedeutung, theils aus der Klugheitslehre erhellen wird: ſondern wir behaup⸗ ten, daß die Menſchen um GOttes willen ver⸗

bunden ſind, einander zur Befoͤrderung ihrer Gluͤck⸗ ſeligkeit behuͤlflich zu ſeyn, inſofern dadurch die Gluͤckſeligkeit aller, und die Vollkommenheit der Welt befördert wird ($. 22. 3.)

§. 26. 2 Fecht den Da GH die Erhaltung der Men⸗

Menſchen a i

auf die Sub⸗ ſchen, ihre Gluͤckſeligkeit, und die Befoͤr⸗ ſtanzen in , R a der Welt. derung ihrer Vollkommenheiten will: ſo will er auch, daß ſie ſich der hierzu erforderlichen Mittel bedienen ſollen. Und hieraus erwaͤchſet das Recht der Menſchen auf die Dinge in der Welt. Dieſes Recht iſt alſo in Anſehung Gottes nur eine Erlaubniß, die er einſchrenken kann, wie er will,

ohne

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 261

ohne daß ſich der Menſch daruͤber beſchwehren darf. Denn die Dinge in der Welt gehoͤren Gdtt zu, und ihr Genuß iſt alſo für den Men⸗ ſchen eine freye Wohlthat. In Anſehung an⸗ derer Menſchen aber iſt es ein eigentliches Recht, welches einer dein andern zuzugeſtehen vollkom⸗ men verbunden iſt.

§. 27.

Aber folgt aus dieſem Recht, die Fan Subſtanzen zu ſeiner Erhaltung und zur Befoͤrderung ſeiner Gluͤckſeligkeit zu gebrauchen, auch ein Recht ſich deren Beſitz zuzueignen, und andere alsdann von ihrem Gebrauch auszu⸗ ſchlieſſen? Allerdings: einmal, weil die Beduͤrf⸗ niſſe der Menſchen eine gewiſſe Vorſorge auf die Zukunft noͤthig machen; und ſodann weil der Gebrauch gewiſſer Dinge vorher eine Bearbei⸗ tung erfordert, keiner aber für den andern zu arbei⸗ ten natürlicher Weiſe kann gezwungen werden. yes doch iſt offenbar, daß der Menſch gegen Gott ſuͤn⸗ diget, wenn er hierbey diejenigen Grenzen über: ſchreitet, die theils die Abſicht, feine eigene Gluͤck⸗ ſeligkeit, theils die gleichen Rechte anderer beſtim⸗ men. |

.

R 3 §. 28.

262 dweyte Abtheilung.

§. 28. * he Ein jeder Menſch hat alfo das Recht behaupten. von dem andern zu verlangen, daß er ihm ſein Eigenthum laſſe, folglich hat keiner, im or⸗ dentlichen Zuſtand, ein Recht daſſelbige ſich entweder zur Beſitznehmung oder zum Gebrauch zuzueignen. Ein jeder kann ſich alſo nur das mit Recht zueig⸗ nen, was noch niemanden gehoͤrt; hingegen das Seinige kann man gegen einen jeden bewahren, be⸗ ſchuͤtzen und gewaltſam vertheidigen, wenn es noͤ⸗ thig iſt. Aber kann wohl hieraus mit Recht ge⸗ folgert werden, daß einer dem andern ſein Leben oder ſeine Freyheit rauben duͤrfe, damit er irgend ein geringes Gut fuͤr ihn ſicher ſtelle? Oder wird man vielmehr den Werth der Beleidigung und der Gegenbeleidigung genau gegen einander hal⸗ ten muͤſſen, wenn man dem goͤttlichen Willen ge⸗ maͤß handeln will? Die goͤttlichen Geſetze erlauben keine unendliche, oder unbeſtimmte Rechte ge⸗ gen Feinde, das iſt, ſolche, die uns im Beſitz des unſrigen, unſerer Guͤter, Rechte und Vollkommen⸗ heiten ſtoͤhren.

§. 209. Recht das igen Wenn etwas des einen ſein recht⸗

i maͤßiges Eigenthum iſt: ſo kann ihm veräuſſern. der andere weder in Anſehung des Ge⸗ brauchs,

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 263

brauchs, noch in Anſehung der Verlaſſung und Veraͤuſſerung deſſelben Geſetze vorſchreiben; er kann daßwegen nichts mit Gewalt von ihm for⸗ dern. Ein jeder hat alſo in ſo fern die Pflicht, den andern mit dem Seinigen machen zu laſſen, was er will. Aber gleichwie derjenige gegen Gott fündigen würde, der die Subſtanzen lieber verder⸗ ben, als andern zum Gebrauch uͤberlaſſen wollte; oder der fie veraͤuſſern wollte, ohne Ruͤckſicht auf die Pflicht in allen Faͤllen das zu thun, was der Vollkommenheit der Welt und der allgemeinen Gluͤckſeligkeit am zutraͤglichſten iſt: fo koͤnnen auch dieſe nemliche Pflichten gegen Gott und gegen die Welt ein rechtmaͤßiger Antrieb ſeyn, den Misbrauch der Dinge zu hindern. Doch muß es ſo geſche⸗ hen, daß die Abſicht, das allgemeine Beſte zu bes fördern, dadurch koͤnne erreicht werden⸗ Aus Dies ſem Grund wird es Menſchen, als Menſchen be⸗ trachtet, wohl nicht erlaubt ſeyn, einander an irgend einem Gebrauch ihrer eigenthuͤmlichen Güter gewaltſam zu hindern. Aber einen Menſchen zu retten, entweder von ſeiner eigenen Raſerey, oder von der unrechtmäßigen Gewalt eines andern, iſt eis ne Pflicht die aus dem Grundgeſetz (F. 25.) zu uns mittelbar folget, als daß ſie hierdurch koͤnnte ver⸗ nichtet werden.

264 Zweyte Abtheilung.

Man kann alſo fein Eigenthum dem andern auf mancher⸗ ley Art uͤberlaſſen, ohne daß man dem dritten dadurch Unrecht thut. Der dritte iſt verbunden, dieſes geſche⸗ hen zu laſſen, weil er kein Recht auf eines andern El⸗ genthum hat, weil ihm eben das gilt, weil, wie hier vorausgeſetzt wird, das gemeine Beſte dadurch mehr befoͤrdert als gehindert wird. Sollten dieſe Gruͤnde nicht auch für die Teſtamente beweiſen, wenn man mehr auf das weſentliche ſehen will, als was zufaͤlli⸗ ger Weiſe dabey beſtimmt worden iſt? sed non eſt no- ſtrum tantas componere lites. Genug die Teſtamen⸗ te ꝛc. gelten izt. Eben dazu find die poſitiven Geſe⸗ tze, daß die natuͤrlichen, dem allgemeinen Beſten ge⸗ mäß, weiter beſtimmt würden.

§. 30.

Naͤhere Be x Ä ſtimmung Wenn man die ($. 22.) erwieſene

1 0 Pflicht, ſich und andere gluͤcklich zu ſelbſt. machen, in die beſondern Pflichten zer⸗ gliedern will, die daraus entſpringen; ſo kann man ſo viel Pflichten herausbringen, als Arten der Handlungen es giebt. Dies gehört aber nur für diejes nigen, die gerne weitlaͤuftige Werke ſchreiben. Fuͤr die Abſicht dieſes Grundriſſes wird es genug ſeyn, nur einige noch ſehr allgemeine Folgen aus jenen Gruͤn⸗ den herzuleiten. Suche deine Vollkommenheiten

zu erhalten und zu befördern. (H. 22. 1.) Alſo 1) Erhalte dein Weſen, die Kräfte deines Leibes und deines Geiſtes. Gebrauche ſie der Ab⸗ ſicht gemaͤß, dazu ſie dir gegeben ſind, aber ver⸗

ſchwende ſie nicht.

2) Beſſe⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 265

4 2) Beſſere, ftärfe und vermehre die Voll. kommenheiten deines Koͤrpers ſo ee: als die Kräfte deines Geiſtes.

3) Gebrauche die Zeit deines Daſeyns.

4) Suche dir durch dein Daſeyn den größ- ten Vortheil zu verſchaffe, der dir moͤglich il.

5) Dieſer ſey die lezte Abſicht aller deiner Handlungen, gegen welche du dem Werth einer jeden abwaͤgen mußt. Ihn zu erreichen, iſt das Geſchaͤfte der Weisheit. Sie iſt der Weg zur Gluͤckſeligkeit, zum größten Vortheil, zum hoͤch⸗ ſten Gut, welches durch fein Weſen zu er⸗ halten iſt. Sey weiſe.

6) Schrenkſt du deine Exiſtenz auf die Dauer dieſes irdiſchen Lebens ein: fo ſchrenkt ſich auch alle deine Pflicht gegen dich ſelbſt (und dieſe iſt ja der Grund der uͤbrigen) ſo ſchrenkt ſich alle deine Weisheit auf die Kunſt ein, dir dieſes Leben ſo angenehm zu machen, als es moͤglich iſt. Dann wirſt du mit den geſellſchaſt⸗ lichen Pflichten einen niedertraͤchtigen Wucher treiben; dann wirſt du die Tugenden des Hel⸗ vetius, und ſo vieler anderer, ausuͤben, die, wie er, ungluͤcklich genug ſind, keine wahre Tugend zu kennen. Dann wirſt du fo viel böfes thun,

R 5 als

265 Sweyte Abtheilung.

als die Gewohnheit, Temperament, und Furcht vor dem Publico und dem Scharfrichter erlau⸗ ben. Und jenes Recht der Natur, das, nach dem Urtheil eines groſſen Mannes, fuͤr das weſtphaͤliſche Vieh, und vielleicht aus Erkenntlichkeit gegen daſſelbe, geſchrieben iſt, wird, nach deiner Denkungsart, alles ent⸗ halten, was man von einem ehrlichen und recht⸗ ſchaffenen Mann fordern kann. (S. Erneſt. Theol. Biblioth. 1 Th. S. 181.)

7) Glaubſt du aber einen Gott, der die Welt regiert, das Gute belohnt und das Boͤſe be⸗ ſtraft, und nur dieſes heißt einen Gott glauben; glaubſt du dieſem zufolge auch eine laͤngere Dauer deines Weſens, als die Zeit dieſes irdi⸗ ſchen Lebens: ſo wirſt du dir auch ganz andere Begriffe von der wahren Gluͤckſeligkeit, von dem groͤßten Vortheil deines Lebens, und von der Weisheit machen. Dem goͤttlichen Willen gemaͤß, zum Beſten der Welt zu leben, wird die unmittelbare und allernaͤchſte Folge deines Grundtriebs zur Selbſtliebe ſeyn. Denn von Gott erwarteſt du dein Gluͤck, ein Gluͤck, das dieſe Welt nicht gewaͤhret, ſondern den Tugend⸗ haften nur hoffen läßt. Izt wirſt du es für recht erkennen, zeitliche Vortheile den geſell⸗ ſchaftlichen Pflichten aufzuopfern, bey der Tu⸗

gend

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 267

gend zu verarmen, und durch Rechtſchaffenheit das Gefaͤngniß zu verdienen.

9. 37. | Der Menſch iſt verbunden, bey der Nähere Ber Befoͤrderung feiner Gluͤckſeligkeit auch der Pflichten auf andere zu ſehen, und auch dieſer ih⸗ 5 5 re Gluͤckſeligkeit zu befoͤrdern. Er muß alſo um Gotteswillen und aus Liebe

1) Auf ihre Erhaltung bedacht ſeyn.

2) Sie vollkommener, beſſer, gluͤcklicher zu machen, behuͤlflich ſeyn.

3) Ihr Ungluͤck hindern, wenn er kann, und ſelbſt Unbequemlichkeiten uͤbernehmen, und ſich Vortheilen entziehen, um anderer willen; fo weit es die groͤſſere Pflicht, das höhere Gut, das dadurch in der Welt bewirkt wird, erfor⸗ dert.

4) Gegen die Wohlthaͤter erkenntlich ſeyn. Denn dadurch wird die Wohlthaͤtigkeit unter den Menſchen erhalten, und das Band der ge⸗ ſellſchaftlichen Verbindung feſter geknuͤpft.

5) Die Quellen der allgemeinen Gluͤckſelig⸗ keit zu eröffnen und zu erhalten, überhaupt be⸗ fliſſen ſeyn.

6) Die Quellen eines allgemeinen Verder⸗ bens zu zerſtoͤren ſuchen.

| 7) Men:

.

268 Zweyte Abtheilung. * 7) Menſchenliebe und Gottesfurcht unter den Menſchen zu befoͤrdern trachten.

8) Beſonders durch fein Beyſpiel dieſe Tu— genden lehren und liebenswuͤrdig machen.

9) Sich Geſchicklichkeiten erwerben, wodurch er andern bey ihren Beduͤrfniſſen nützüch wer⸗ den kann.

Auf Nr. 4. gruͤnden ſich diejenigen Pflichten gegen Eltern und das Vaterland, welche nicht koͤnnen erzwungen wer⸗ den; Pflichten, welche deſto heiliger und maͤchtiger ſeyn ſollen, je groͤſſer die Wohlthaten ſind, die man Eltern und dem Vaterland zu danken hat Der Koss mopolit iſt eine Modemasque, worunter ins gemein die ſtraͤflichſte Gleichguͤltigkeit des moraliſchen Egoiſten verborgen ſteckt.

§. 32. 5 Will einer, auſſer der allgemeinen 8 Geſellſchaft, in welcher alle Menſchen bindungen. als Buͤrger des Staates Gottes mit⸗ einander ſtehen, noch beſondere geſellſchaftliche Ver⸗ bindungen eingehen: ſo muß er darauf ſehen,

1) daß dieſe Verbindung den Pflichten, die er gegen Gott und gegen die allgemeine Geſell— ſchaft ſchon auf ſich hat, nicht zuwider ſey,

2) Vielmehr muß dieſe ihn zur Erfuͤllung ſeiner urſpruͤnglichen Pflichten geſchickter ma⸗ chen. Denn auſſerdem thut er Unrecht, daß

er

| Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 269

er ſich neue een und Pflichten aufbuͤrdet.

3) Wenn er ſich nun in einer Geſellſchaft befindet: ſo muß er denjenigen Pflichten, die daraus entſpringen, eine Genuͤge zu leiſten bes muͤht ſeyn. Denn ſonſt handelte er wider das gemeine Beſte, und wuͤrde ſich ſelbſt Ungemach zuziehen.

4) Hingegen muͤßte er eine Geſellſchaft, bey der er feine urſpruͤngliche und unabaͤnderliche, oder ſonſt höhere Pflichten nicht beobachten koͤnn. te, wieder verlaſſen, wenn er unbedachtſamer Weiſe in dieſelbe eingetreten waͤre.

Man ſieht hieraus, daß man nach dem Gewiſſen verbunden ſeyn koͤnne, zum Beſten der Geſellſchaft mehr zu thun, als der geſellſchaftliche Vertrag forder⸗ te. Die beſondern Rechte und Pflichten, die aus der Natur jeder beſondern Geſellſchaft und des derowegen

errichteten Vertrags herzuleiten ſind, gehoͤren in das Zwangs⸗Recht.

§. 33.

Schreiben denn die natürlihen Ge: 0 1 5 be⸗ ſetze auch unmittelbare Pflichten gegen mech ge⸗ Gott vor; muß man gewiſſe Handlun⸗ N gen gegen ihn beobachten, wenn man den natuͤrlichen Rechten gemaͤß leben will? Allerdings. Zwar iſt ein groſſer Unterſchied zwiſchen den Pflichten gegen Gott, und zwiſchen den Pflichten gegen ſich ſelbſt, und

270 öweyte Abtheilung. *

und gegen andere. Letztere entſtehen aus unfern und anderer Beduͤrfniſſen. Um unſere eigene und ande⸗ rer Gluͤckſeligkeit zu befoͤrdern ſind ſie nothwendig. Aber das pflichtmaͤßige Verhalten gegen Gott hat fuͤr ihn keinen Nutzen, macht ihm nicht vollkomme⸗ ner, nicht ſeliger. Was koͤnnen wir ihm Gutes oder Boͤſes thun? Er iſt von uns unabhaͤngig. Was nutzt ihm das Opfer, das wir ihm anzuͤnden? Er bedarf deſſen nicht. Was hilft ihm unſer Lob? Er bleibt, wer er war.

Aber demohngeachtet find gewiſſe Pflichten ges gen Gott nothwendig; nothwendig wegen der Be⸗ griffe, die wir von ihm haben muͤſſen, nothwendig wegen unſerer Abhaͤngigkeit von ihm, nothwendig zur Befoͤrderung unſerer Gluͤckſeligkeit, nothwen⸗ dig zur Erhoͤhung des Werths der Guͤter, und zum beſſern Genuß derſelben, nothwendig zum Leben der Tugend, und zur Ausbreitung derſelben. Sieht nicht ein jeder Vernuͤnftiger, wie aus dieſen Quellen die Ehrfurcht, das Vertrauen, die Liebe, die Dankbarkeit, die geheime und oͤffentliche Anbe⸗ tung, und das Ver angen, ihm nach einer geoffen⸗ barten Vorſchrift zu dienen, bey allen Menſchen, die ein hoͤchſtes Weſen erkennen, nothwendig ents ſpringen muͤſſen?

Ich glaube, daß die Verwirrung der Begriffe von Pfllch⸗

ten gegen Menſchen und von Pflichten gegen Gott, die Zweifel wegen letzteren veranlaſſet habe · 0 N

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 271

Von den vollkommenen Rechten und Zwangspflichten der Menſchen gegen einander.

§. 34.

Bisher haben wir die Rechte und untrſchitd Pflichten abgehandelt, die alle Menſchen Ken und als Buͤrger des Staates Gottes, zu be⸗ Hllechlg⸗ obachten haben. Wer dagegen hans ig delt, iſt ungerecht vor Gott. Aber da ſelbſt das Beſte des Staates Gottes erfordert, daß die Menſchen zur Erfuͤllung aller dieſer Pflichten ein⸗ ander nicht gewaltſam zwingen dürfen (H. 24); da fie alle von Natur einander gleich find, (§. 23.) ſo muß es ſich ein jeder gefallen laſſen, wie der ande⸗ re dieſe Pflichten beobachtet, wofern er nicht ein beſonderes Recht hat, etwas von ihm zu fordern; dergleichen es aber natürlicher Weiſe nur in Anſe—

hung der Unterlaſſung giebt (§. 24.) Wer gegen irgend ein ſolches Recht, wer gegen Zwangspflich⸗ ten handelt, heiſt eigentlich nur ungerecht vor den Menſchen. Also kann einer aͤuſſerlich, vor den Menſchen, gerecht ſeyn, der es innerlich, vor Gott, nicht iſt. 9. 33.

Die Geſetze dieſer aͤnſſerlichen Ge⸗ Grund der

negativen

rechtigkeit machen das Naturrecht im Swangs⸗ engern

272 Zweyte Abtheilung.

sichten MD engern Verſtand aus. Hier Fome entſpringen⸗ men Pflichten vor, worzu einer den ans ee gewaltſam zu zwingen das Recht hat. Hingegen was man nicht gewaltſam von dem andern fordern kann, heißt hier kein Recht. In dem natürlichen Zuſtand find es nur Unterlaf ſungen, die man alſo fordern kann. So kann ich fordern, daß der andere meine Gluͤckſeligkeit, meine Kraͤfte, die Mittel meiner Erhaltung, meine Ehre, als welche zu den vorigen gehoͤrt, kurz alle meine natuͤrlichen Rechte und Befugniſſe ungeſtoͤrt laſſe. Wenn er dagegen handelt: ſo habe ich das Recht, ſo viel Gewalt gegen ihn zu gebrauchen, als die Erhaltung meiner Vollkommenheiten erfordert. Die Pflicht, meine Vollkommenheiten zu erhalten, giebt mir dieſes Recht; und der andere hat ſich nicht daruͤber zu beſchwehren, er iſt ſelbſt Schuld daran, ich thue nichts, als was er gegen mich auch thun wuͤrde, und thun duͤrfte; ja das gemeine Be⸗ ſte erfordert es, daß man den Uebertretern der na⸗ tuͤrlichen Geſetze widerſtehe.

§. 36.

Urf un 4 r \ der bote Und auf dieſe Weiſe entſtehen aus

a 1255 ir 1 der Uebertretung der negativen Zwangs⸗ duc de, 15 pflichten Rechte zu poͤſitiven For⸗ benretung * derungen. Denn um das meinige

zu

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 273

zu erhalten und zu befchügen, darf . negativen

ich wangspflich⸗ 1) von dem andern, der mir einen Schaden zugefügt, die Erſetzung deſſelben, die Schadlos⸗ haltung fordern; 2) In der Abſicht darf ich mich des Seini⸗ gen bemeiſtern; 3) Im benoͤthigten Fall ſeine Perſon ſabſt angreifen;

4) Ihm feine Ehre, feine Freyheit, ſelbſt fein Leben rauben; wenn ich mein Leben, meine Ru⸗ he, und andere wichtige Vortheile ſonſt nicht vor

ihm ſicher ſtellen kann.

Und wenn ich auch hierinnen weiter gehe, als es nach den goͤttlichen Geſetzen erlaubt iſt, nicht ſo langſam, und ſtufenweis, als es die Menſchenliebe erfordert: ſo handele ich doch deßwegen nicht ſogleich gegen die aͤuſ⸗ ſerliche Gerechtigkeit. Die Vertheidigungs⸗Rechte ſind unter allen gleich; der Uebertreter der natuͤrlichen Pflichten weis ſie, und wuͤrde ſie auch gegen mich ge⸗ brauchen, wenn ich ihm fo begegnete. Er will es alſo nicht beſſer haben; ihm geſchieht kein Unrecht; er kann kein anderes Verfahren von mir fordern.

4 §. 37. ae Ber Die zweyte Duelle poſitiver geche⸗ gen. und Pflichten, die erzwungen werden S Fön

274 Iwepte Abtheilung.

Eönnen, find die Contracte oder Verträge, Ein Vertrag aber ift eine wechſelsweiſe freywillige Ber: bindung, wodurch einer dem andern gewiſſe Sachen, Rechte, Vortheile uͤberlaͤſſet, entweder umſonſt, oder gegen andere Vortheile. Im leztern Fall iſt es wohl auſſer Zweifel, daß man einen Vertrag zu erfuͤllen vollkommen verbunden ſey; weil einen Vortheil von dem andern übernehinen, ohne den bedingten Ge⸗ genvortheil ihm zu gewähren, eben fo viel iſt, als dem andern das Seinige entwenden. Aber wenn wir auch den bedungenen Gegenvortheil von dem andern noch nicht erhalten haͤtten, oder gar keinen bedungen, ſondern ihm umſonſt ein Gut uͤberlaſſen haͤtten: fo koͤnnte der andere boch mit Recht die Erfül« lung des Vertrags mit Gewalt von uns fordern:

1) Weil das Beſte der allgemeinen Geſell⸗ ſchaft erfordert, daß die Vertraͤge gehalten werden.

2) Weil die Nichtgewaͤhrung eines, obwol umſonſt verſprochenen, Vortheils dem andern auf mancherley Weiſe nachtheilig ſeyn kann.

3) Weil ich phyſiſch gezwungen, folglich berech⸗ tiger bin, nach der hinlaͤnglichen Erflärung eines andern meine Vermuthungen in Anſehung feis ner Geſinnungen, und nach dieſen meine Hand⸗ lungen einzurichten.

H. 38.

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 275

§. 38.

Wenn aber ein Contract oder Ver Eioenfehaf frag gültig ſeyn ſoll: fo muß er recht: rechtmäli⸗ maͤßig ſeyn, das iſt, keinen urſpruͤngli⸗ Ban: chen und andern vorhergehenden von der Willkuͤhr der Contrahenten unabhaͤngigen Pflichten entgegen ſtehen. Alſo gehoͤrt zu den Eigenſchaften eines rechtmaͤßigen Contracts,

) Daß er nicht wider die göttlichen Geſetze,

2) Nicht wider das Beſte der allgemeinen Geſellſchaft,

3) Nicht wider vorhergehende Vertraͤge, die nicht von der Willkuͤhr der jetzigen Contra⸗ henten abhangen,

4) Nicht wider die Gründe durch welche ein jeder Vertrag feine Guͤltigkeit erhält, (§. 37.)

5) Folglich muß er nicht auf eine ſolche Art geſchloſſen worden ſeyn, für die dieſe Gründe nichts beweiſen.

6) Folglich muß der eine Contrahende dem andern durch die Art, mit welcher der Contract

geſchloſſen worden, kein Unrecht zugefügt haben.

7) Folglich ihm auf keine unrechtmaͤßige Weiſe gehindert haben, feinen urfprünglichen Pflichten gemäß, fein Beſtes zu ſchaffen.

Ein Vertrag kann rechtmaͤß ig ſeyn, und doch dem einen nachtheilig; er kann rechtmaͤßig ſeyn, und doch un⸗

moglich zu erfüllen. Dann bleibt dem einen ſein S 2 Recht

276 Zweyte Abtheilung.

Recht und der andere bleibt Schuldner, und nur die

innerlichen Pflichten der Menſchen koͤnnen jenen ver⸗

binden ſeine Rechte gegen dieſen nicht zu verfolgen. | $ 39. = Ich will hier nicht bis auf die man⸗ Geſellſchaſt⸗ cherley Verträge, auf den Kauf. Mieth⸗ 2 5 ua Seihe- Borg: Bewahrungs⸗Contraet u. ſ. w. fortgehen: ſondern nur den Unterſchied bemer⸗ ken, der mir den Uebergang zu einem neuen Haupt⸗ ſtuͤck der Rechte und Pflichten bereitet. Die Er⸗ füllung eines Vertrags erfordert entweder nur mes nige, oder ſie erfordert viele aufeinander folgende Handlungen. Von der leztern Beſchaffenheit iſt der geſellſchaftliche Vertrag; denn Menſchen, die ſich um einer gemeinſchaftlichen fortdaurenden Abſicht willen zu gewiſſen Handlungen verbunden haben, machen eine Geſellſchaft aus.

| K 40. Die geſellſchaftlichen Rechte und ag 5 Pflichten im Allgemeinen kennen zu ler. Pflic ten der r Geſellſchaft. nen, kann man dasjenige hier wiederum anwenden, was von den Vertraͤgen uͤberhaupt iſt gefagt worden. (F. 37.) Insbeſondere erhellet 1) daß ein jedes Mitglied der Geſellſchaft ei⸗ nen gewiſſen Vortheil dadurch erhalten muͤſſe. Denn wofür follte es ſonſt feine natürliche Frey⸗ heit aufopfern? \ | 2) Daß

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 277

2) Daß es von feinen vorher gehabten Rech⸗ ten nur ſo viel verliehre, als die Abſicht der Ge⸗ ſellſchaft, oder die ausdruͤcklichen Beſtimmungen

des Vertrags erfordern.

3) Aus der Abſicht und aus dem Contract der Geſellſchaft muß alſo beurtheilt werden, ob ein Mitglied die Geſellſchaft nach eigenem Be⸗

lieben verlaſſen koͤnne, oder nicht.

4) Eine Geſellſchaft macht zuſammen eine moraliſche Perſon aus, die gegen andere ein zelne Perſonen oder Geſellſchaften, mit denen ſie in keiner Verbindung ſtehet, nur die natuͤrlichen

Rechte zu beobachten hat. §. 41.

Die Abſicht der Geſellſchaft kann es erfordern, da einem oder einigen Mit: gliedern das Recht zugeſtanden werde den andern Geſetze vorzuſchreiben.

Einthellung der Geſell⸗ ſchaften in gleiche und ungleiche.

Dann

ſind die Glieder der Geſellſchaft einander nicht gleich, ſondern es giebt Untergebene, Unterthanen, und Vorgeſetzte, Obere, unter ihnen. Die Obern einer Geſellſchaft haben alſo niemals unumſchrenk⸗ te Rechte. Denn wofern ſie nicht die ausdruͤck⸗ lichen Beſtimmungen des geſellſchaftlichen Vers trags einſchrenkt: ſo ſind ſie doch ſchon ſowohl durch die Abſicht der Geſellſchaft, als durch die ur⸗ ſpruͤnglichen Rechte der Menſchheit eingeſchrenkt. S 3 Ein

278 zweyte Abtheilung.

Ein ganz deſpotiſches Regiment, die uneingeſchrenkte Ge⸗ walt eines Herrn über feinen Sklaven, kann alſo wenigſtens nicht fuͤglich aus den geſellſchaftlichen Rech⸗ ten hergeleitet werden. Und wofern ſich eine ſolche Herrſchaft nicht auf einen Verkauf, oder ſonſt guͤlti⸗ gen, wenigſtens aͤuſſerlich rechtmaͤßigen Vertrag gruͤn⸗ det: fo hat der Sklav das Recht ſich in Freyheit zu ſe⸗ tzen, ſo bald er will und kann; ja, nach der Beſchaf⸗ fenheit der Umſtaͤnde, ſeinem unrechtmaͤßigen Deſpo⸗ ten als ſeinem Feind zu begegnen. Laſſet uns dieſe Rechte der Menſch heit gegen die denten de, ſaͤtze der Barbarn behaupten. Wir nehmen dadurch keinen Antheil an den rebelliſchen Saͤtzen einiger ver⸗ wegenen Schwaͤrmer und Zweifler. Unſere Regenten begehren keine ſolche unumſchrenkte Deſpoten zu ſeyn; und vielleicht werden die Chriſten auch auſſer Europa niemahls mehr fuͤr Recht halten, Menſchen, die keine Chriſten ſind, wie wilden Thier en zu begegnen.

§. 42.

Die zwo vornehmſten Arten der Ge. Von 2 ſellſchaften find die Familie und der Geſellſchaft. Staat. Eine Familie beſteht aus Eheleuten, Kindern und Bedienten (Geſinde); wenigſtens ſchlieſſet ſie keine von den benannten Perſonen aus, und erfordert etliche derſelben nothwendig.

1) Eheleute find Perſonen zweyer. Eheleute. ley Geſchlechts, die ſich zur Zeugung und Erzie⸗ hung der Kinder und andern wechſelsweiſen Dien⸗ ſten durch einen rechtmaͤßigen Contract miteinander verbunden haben. Doch find fie es eigentlich erſt nach der Hochzeit, vorher nur Verlobte. Hochzeit aber wird hier diejenige Handlung ge⸗

nennt

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 279

nennt, wodurch die Erfüllung der Eheverbindung angefangen wird. Die Rechte und Pflichten der Eheleute gegeneinander ſind theils aus der Abſicht ihrer Verbindung, theils aus den Bedingniſſen des Ehecontracts zu beurtheilen.

Die Ehe zwiſchen zwo Perſonen iſt allerdings der Abſicht gemaͤßer, die Vielmaͤnnerey aber derſelben noch mehr als die Vielweiberey entgegen, beyde Arten alſo in Chriſtlichen Staaten weislich verbothen. Doch getraue ich mir nicht, mit andern Philoſophen, zu behaupten, daß eine oder die andere Art wider die Natur ſey,

und von der Natur verabſcheuet wuͤrde. Denn ſonſt muͤßte ja auch die Natur den noch ſchaͤndlichern Ehe⸗ bruch verabſcheuen? Es iſt uͤberhaupt nicht ſicher, ſich auf den Abſcheu der Natur zu beruffen, well ſich ſonſt die exempla in contrarium nicht recht erklaͤren laſſen. a Vernunft, die pofitiven Geſetze find beſſere Bes weiſe.

§. 43.

ze. Unter Bedienten verſtehen wir bier

keine Leibeigene, die voͤllig unter eines andern Bothmaͤßigkeit ſtuͤnden, und gar keine Rech⸗ te gegen ihn hätten, dergleichen Verhaͤltniß ſich oh⸗ nedem nicht als rechtmaͤßig gedenken laͤßt: ſondern ſolche Perſonen, die durch einen rechtmaͤßigen Ver⸗ trag gegen gewiſſe Vortheile ſich dem andern zu gewiſſen Dienſten verbunden haben. Die wech⸗ ſelsweiſen Rechte und Pflichten der Herren und Dienſtbothen muͤſſen alſo aus ihrem Contracte beur⸗ theilt werden, den ſie mit einander eingegangen.

S 4 $. 44.

280 Sweyte Abtheilung. *

§. 44. * Linder und Da die Eltern, vermöge der chelchen 8 Pflichten, zu der Erziehung der Kinder verbunden ſind: ſo muͤſſen ihnen auch nothwendig diejenigen Rechte gegen die Kinder zugeſtanden werden, ohne welche ſie dieſe Abſicht nicht wuͤrden ausfuͤhren koͤnnen. Davon ſind die Rechte oder Anſpruͤche auf die Kinder, die Eltern in Anſehung anderer haben, unterſchieden. Dieſe gruͤnden ſich auf dem Antheil, den ſie an dem Daſeyn und an der Erhaltung ihrer Kinder haben; und in dieſer Beziehung koͤnnen Eltern ihre Kinder als ihr Ei— genthum anſehen. Aber gegen die Kinder ſelbſten koͤnnen ſie hieraus nicht diejenigen Rechte folgern, die man ſonſt gegen ſein Eigenthum hat. Die Kinder find Menſchen, gebohrne Unterthanen Got⸗ tes; von dieſem haben ſie ihr Seyn, und huge auch die Rechte der Menſchheit.

§. 48.

Mehrere ſonſt freye Familien, die ih⸗ Stat ees re aͤuſſerliche Gluͤckſeligkeit, ihre Ruhe und Sicherheit zu befoͤrdern, miteinander vereinigt ſind, machen ein Volk aus; und einen Staat, wenn alle aus ihnen eine und die nemliche hoͤchſte Ge⸗ walt erkennen, von welcher fie die zum gemeinfchaft- lichen Beſten abzielende Befehle annehmen 15 en.

L

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 281

ſen. Dieſe Gewalt, welche vermoͤge der Staats⸗ Verbindung urſpruͤnglich alle miteinander über eis nen jeden insbeſondere haben, iſt insgemein, we⸗ nigſtens in gewiſſen Stuͤcken, einzelnen Perſonen übertragen, welche daher Obrigkeiten in dieſem Staate heiſſen. Wenn dieſe unmittelbar unter dem ganzen Staate ſtehen: fo find fie die hoͤchſte Obrigkeit eines Staats. Hingegen wenn ſie unter einem oder einigen andern Mitgliedern dieſes Staats ſtehen: ſo ſind ſie untergeordnete Obrigkeiten.

§. 46.

de güte Es ift nicht nothwendig, daß die Resierunge- hoͤchſte Obrigkeit eines Staats die Ges en walt und das Recht habe, für ſich dem ganzen Staat Geſetze zu geben; ſondern dieſe Gewalt kann entweder dem ganzen Volk vorbehal⸗ ten, oder mehreren Mitgliedern zuſammen von dems ſelben verſtattet worden ſeyn. Iſt das letztere, ſo iſt die Regierungsform eines Staats ariſtokra— tiſch; im zweyten Fall iſt ſie demokratiſch; wenn aber eine Perſon dieſe Gewalt hat, iſt fie monar⸗ chiſch. Sie kann aber auch getheilt ſeyn, entweder zwi⸗ ſchen den Monarchen und dem Volk, oder zwiſchen den Monarchen und den vornehmſten aus dem Volk, oder zwiſchen dieſen beyden letztern. Dann iſt es eine zu—⸗

ſammengeſetzte oder vermiſchte Regierungsform. | S 5 Wer

282 zweyte Abtheilung.

Wer nun die geſetzgebende Gewalt im Staate hat, es ſey auf eine eingeſchrenkte oder uneinge⸗ ſchrenkte Art, der iſt Regent. Dieſer iſt dann nicht mehr bloße Obrigkeit, ſteht nicht unter dem Staat, und iſt auch von dem Urtheil des ganzen Volkes fo unabhängig, als es die beym pacto ſubiectionis ausdruͤcklich angehaͤngten oder doch zuverſtehenden Bedingungen mit ſich bringen. Ei⸗ nige Rechte bleiben dem Volk noch immer.

8. 47. m Es kommt alſo bey dieſem umſtard, aus dem alle wie bey vielen andern Stuͤcken der

Staatsrecht Staatsverfaſſung, auf diejenigen Geſe⸗ tze an, welche bey der Errichtung des Staats zum Grund gelegt, oder nachmals als Fundamentalge⸗ ſetze ſind anerkannt worden. Doch laſſen ſich aus dem Begrif einer Staatsverbindung noch einige allgemeine Saͤtze herleiten. Z. E.

1) Nicht nur die einzelnen Perſonen, ſondern auch die Geſellſchaften eines Staats, ſtehen in Anſehung aller ihrer Rechte und beſondern Pflichten unter dem ganzen Staat und der hoͤch⸗ ſten Obrigkeit, in fo weit es die aͤuſſerliche Gluͤckſeligkeit aller miteinander, welches hier das Beſte des Staats oder das gemeine Beſte heißet, erfordert.

| 2) Was

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 283

2) Was das Beſte des Staats erfordere, kann nicht von jedem einzelnen Mitglied ent⸗ ſchieden werden; ſondern muß von allen insge⸗ ſammt beurtheilt werden, oder von denen, wel⸗ chen dieſes von dem ganzen Staat iſt uͤbertra⸗ gen worden.

3) Gleichwie uͤberhaupt die Rechte und Pflich⸗ ten einzelner Perſonen, oder kleinerer Geſell⸗ ſchaſten in einem Staat, nur in ſo weit durch die Staats⸗Verbindung eingeſchrenkt werden, als es das allgemeine Beſte erfordert: alſo ſteht es auſſerdem einem jeden, noch wie im natuͤr⸗ lichen Zuſtand, frey, ſich ſo vollkommen zu ma⸗ chen, als er kann.

4) Diejenigen Pflichten, die durch keine ge. ſellſchaftliche Verbindung koͤnnen aufgehoben werden, muͤſſen jedoch auf diejenige moͤgliche Art in einem Staate ausgeuͤbt werden, welche dem allgemeinen Beſten die zutraͤglichſte iſt.

5) Unter welchen Umftänden ein Mitglied aus dem Staate koͤnne geſtoſſen werden; und unter welchen Umſtaͤnden es die Freyheit habe, ſich ſelbſt von dieſer Verbindung los zu machen, laͤßt ſich im allgemeinen nicht ſicher genug beſtimmen.

6) Wenn der Regent eines Staats ſeinen Unterthanen mehr Gutes thut, als er durch den Grund ſeiner Rechte zu thun verbunden iſt;

wenn

284 Zweyte Abtheilung.

wenn er nicht nur fuͤr ihre aͤuſſerliche Ruhe und Sicherheit, ſondern auch fuͤr ihre innerliche Gluͤckſeligkeit und Zufriedenheit ſorget: dann iſt er ein Vater des Volks. |

7) Wenn er wider die Verträge und Funda⸗ mental-Geſetze handelt: fo kann er von dem gan⸗ zen Volk zur Verantwortung gezogen werden. Aber das eigene Beſte der Unterthanen erfordert, daß es auf die beſcheidenſte und ehrerbietigſte Art geſchehe, die nur moͤglich iſt. Denn allzuviel Bey⸗ ſpiele beweiſen, daß die ſchlimmſten Folgen zu be⸗ fuͤrchten ſind, wenn ein Volk ſich von ſeinem Regenten trennt; und daß hingegen eis nem Staate nichts vortheilhafter ſey, als wenn das obrigkeitliche Anſehen verehrt wird. Das Recht zur Verantwortung zu ziehen, oder zur Rede zu ſtellen giebt aber noch kein rich⸗ terliches Anſehen, noch das Recht zu beſtrafen. Jenes muß man einem paciſcirenden Theil ge⸗ gen den andern zugeſtehen. Aber dies leztere kommt ihm nicht zu. Wenn ſich aber das Volk ohne alle Bedingiſſe einem Regenten un⸗ terworfen hat, wie in Daͤnemark: ſo bleibt ihm nichts als Bitten oder Gehorſam uͤbrig.

So mu die geſunde Philoſophie lehren. Die Chriſt⸗ liche Religion leget den Unterthanen noch mehr Ge⸗ borſam gegen ihre Obrigkeit auf, oder giebt wenigſtens

ſtaͤr⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 285

ſtaͤrkere Bewegungsgruͤnde dazu her. Die Feinde der⸗ ſelben muͤſſen es ſelbſt eingeſtehen, ob ſie es gleich aus keiner guten Abſicht thun. Und Abbt, der zu fruͤh verſtorbene deutſche Original⸗Philoſoph, beſtimmt hier⸗ aus ſehr richtig das Verdienſt des Pfarrers.

§. 48. Die Rechte freyer Staaten gegen: ne

einander machen das Wölferrecht aus.

Wenn man nicht auf Gewohnheiten oder Vertraͤge ſehen will: ſo iſt offenbar, daß dieſe Rechte bloß durch die Anwendung derjenigen Rechte, die einzel⸗ ne Perſonen im Stand der Natur gegeneinander haben, auf den Begrif ganzer Voͤlker muͤſſen bes ſtimmt werden. Und da ich, um meine Hauptab⸗ ſicht zu erreichen, allemal dasjenige uͤbergehe, was aus dem Allgemeinen am leichteſten kann verſtan⸗ den werden: ſo wird es auch hier nicht noͤthig ſeyn, weiter in das Beſondere zu gehen.

Drittes Stuͤck von der Tugendlehre.

$. 49. ir! i ande Endiweck Wir haben die allgemeinen Gründe ee 816 der natuͤrlichen Rechtsgelehrſamkeit ent⸗ ſenſchaft. worfen. Die Tugend haben wir für eine thaͤtige 6 Nei⸗

286 Zweyte Abtheilung.

Neigung erklaͤrt, die Geſetze um ihrer Rechtmaͤßigkeit willen zu beobachten. Es iſt wenigſtens ſo viel auſſer allen Zweifel, daß dieſe Tugend ſich nicht bey allen Menſchen befinde, daß die Erkenntniß der Rechtmaͤſ⸗ ſigkeit nicht immer mit der Neigung zu rechtmaͤßigen Handlungen vergeſellſchaftet ſey. Es iſt alſo noch ein Hauptſtuͤck der praktiſchen Philoſophie übrig, die Wiſſenſchaft von den Regeln, wie man ſich und ande⸗ re tugendhaft machen koͤnne, die Tugendlehre, die Sittenlehre, die philoſophiſche Moral im en⸗ gern Verſtand.

§. 50.

1 Die Erklaͤrung, die wir von der Tu⸗ wird weiter gend gegeben haben, moͤchte vielleicht, 9 wegen der Erwaͤhnung der Geſetze, auf ſer der Verbindung zu eingeſchrenkt ſcheinen, Wir koͤnnen daher, ohne unſern Begrif abzuaͤndern, ganz kurz fagen, daß die Tugend eine thaͤtige Nei— gung zum Rechtmaͤßigen ſey. Der Begrif der Rechtmaͤßigkeit wuͤrde dem ohngeachtet bey ſei⸗ ner Entwickelung wieder auf die Geſetze fuͤhren. Das Rechtmaͤßige iſt einerley mit dem Guten, in Anſehung des Ganzen betrachtet; alſo iſt auch die Tugend eine thatıge Neigung zum Guten.

Um aber dieſer Erklaͤrung noch mehr Licht zu ge⸗ ben, wollen wir einige Saͤtze anmerken:

1) Es

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛe. 287

) Es iſt nach dieſem Begrif, in welchem von

der innern Beſchaffenheit des Gemuͤths die Rede ift, offenbar, daß nur eine Tugend. Denn die thaͤtige Neigung zum Rechtmaͤßigen macht nur eine Beſtimmung des menſchlichen Willens aus. Der Tugendhafte will, was recht iſt. Dieſe Wil⸗ lensneigung lenket alle ſeine beſondern Begier⸗ den, und macht den Grund davon aus.

2) Aber wenn man auf die beſondern Ger ſetze und Arten der Handlungen ſieht: ſo iſt es dem Begrif, den wir erklaͤrt haben, ſo wohl, als dem Sprachgebrauch gemaͤß, mehrere Tu⸗ genden zu unterſcheiden.

So iſts auch mit dem Wort: Wiſſenſchaft, inglei⸗ chen Wahrheit.

3) Es find aber Scheintugenden, hoͤchſtens politiſche (wo das Gute nach eingeſchrenkten Beziehungen beurtheilt wird) aber keine mo⸗ raliſche Tugenden, wenn ſie nicht die uneinge⸗ ſchrenkte Neigung zur Rechtmaͤßigkeit zum Grund haben.

Der Philoſoph wuͤrde keine ſolche bloß politiſche Tu⸗ gend zugeben, wenn er nur ſyntbetiſch Begriffe und Namen bilden, und nicht diejenigen, die er vor ſich fins det, oft analytiſch erklaͤren müßte,

4 Doch

288 Zweyte Abtheilung.

4) Doch iſt es unleugbar, daß die menſch⸗ liche Tugend Grade geſtatte. |

5) Auch deßwegen dürfen wir einen Men: ſchen die Tugend nicht abſprechen, weil ſeine thätige Neigung zur Rechtmaͤßigkeit bey dieſen oder jener Art der Handlungen ohnmaͤchtiger iſt, wenn ſie nur keine Art der rechtſchaffenen Handlungen ganz ausſchlieſſet.

6) Das Laſter, fuͤr eine Gemuͤthseigen⸗ ſchaft genommen, iſt alſo eine thaͤtige Neigung zu unrechtmaͤßigen Handlungen. Wer nur in einem Stuͤck der erkannten Rechtmäßigkeit zuwi⸗ der zu handeln, eine thaͤtige Neigung bey ſich heget, in dem iſt das Laſter.

Es giebt nicht mehr, als eine Tugend,

Und als ein Laſter neben ihr.

Denn Darfſt du ein Gebot verletzen: i So ſchwaͤchſt du ja den Grund, auf dem ft alle ſtehn; Was kann ſich dir denn widerſetzen; Dich nicht an allen zu vergehn?

Will man dieſer Moral den Sprachgebrauch, zumal den Sprachgebrauch einer gewiſſen Welt, ent⸗ gegen ſetzen: fo habe ich ſchon geantwortet. (u. 3.) Doch finden allerdings auch beym Laſter Grade

ſtatt,

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 289 ftart, wie bey der Tugend. Auch beweiſet eine uns rechtmäßige Handlung noch keine Neigung, und Regungen, die aber durch entgegengeſetzte ftärfes re Triebe gehindert werden, daß ſie keine Handlun⸗ gen bewirken, Empfindlichkeit bey gewiſſen Reis tzungen des Unerlaubten, Unentſchloſſenheit und Traͤgheit bey gewiſſen Forderungen der Recht⸗ ſchaffenheit, koͤnnen nicht ſowohl fuͤr Neigungen ans gerechnet werden, als vielmehr fuͤr Maͤngel und Gebrechen; es ſind Schwachheiten.

Doch, da ich weis, wie ſchwer es if, bey Erklaͤrungen allen Einwuͤrfen zu begegnen, zumal bey Gegenſtaͤnden, die aus ſo verſchledenen Geſichtspunkten betrachtet wer⸗ den: ſo will ich es mir gerne gefallen laſſen, daß man dieſe Saͤtze nicht für zulaͤnglich zur vollſtaͤndig beſtimm⸗ ten Erklaͤrung gelten laſſe, wenn ſie bey genauer Pruͤ⸗ fung es nicht ſcheinen ſollten. Hielte ich es nicht fuͤr beſſer, bey philoſophiſchen Unterſuchungen, fo lang es ſeyn kann, ſeinen eigenen Gedanken zu folgen; als gleich eine Gründidee von andern zur Anleitung anzu⸗ nehmen; fo hätte ich einem Crufiis oder einem Dar⸗ jes die hieher gehoͤrigen Erklaͤrungen abborgen koͤnnen, die nach meiner Einſicht, richt nur ihrem Lehrgebaͤu⸗ de angemeſſen, ſondern überhaupt annehmungswuͤr⸗ dig ſind.

Ich babe in Vergleichung der unterſchiedenen Be⸗ deutungen, Beziehungen und Verbindungen, in wel⸗ chen die Worte Tugend, Laſter ꝛc. gebraucht wer⸗ den, Erkloͤrungen zu geben geſucht, aus welchen ſich alles am leichteſten aufloͤſen lieſſe.

& Eine

290 Zweyte Abtheilung. 5

Eine Anmerkung des fcharffinnigen Abbts S. 222. u. f. vom Verdienſt, giebt hierbey gleichfalls dienliche Erläuterung.

8. sul

BE Nach dem Begrif, den ich von der Ae hen menſchlichen Natur habe, und den mir gründet? noch keine Gegengruͤnde haben beneh⸗ men koͤnnen, muß ich ſagen, daß die Selbſtliebe der Grund der menſchlichen Tugend ſey. Aus dieſer Grundneigung des Menſchen entſpringt die Neigung zum Rechtmaͤßigen, hauptſaͤchlich vermit⸗ telſt des Gedankens, daß die ganze Welt von einem hoͤchſten Weſen abhange, welcher Vollkommenheit und Gluͤckſeligkeit in derſelben erhalten und beför dert wiſſen wolle. Man wird nicht leugnen koͤn⸗ nen, daß die Beſtimmung zu dieſem Gedanken in der Natur eines jeden Menſchen ſey, wenn gleich die Umſtaͤnde verurſachen koͤnnen, daß dieſer Ge⸗ danke bey einigen nicht entwickelt, daß er bey au⸗ dern unterdruͤckt wird. Die Tugend iſt alſo keine fremde, zufaͤllige, Beſtimmung an dem Menſchen. Sie iſt eine Folge der vernuͤnftigen Selbſtliebe.

§. 52. Beſondere iſt ni i n Dem iſt nicht zuwider, anzunehmen, Tugend. daß entweder zu allen, oder zu einigen Arten der rechtſchaffenen Handlungen, beſondere An⸗ triebe,

Srundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 291

triebe, die durch Bewegungsgruͤnde gereitzet wuͤr⸗ den, in der Natur des Menſchen befindlich, wenn man nur zugeſtehet, daß ſie alle ihre Wirkſamkeit durch den Trieb der Selbſtliebe erhielten. So koͤnn⸗ te man einen guten Theil des Hutcheſoniſchen Syſtems annehmen, ohne in Widerſpruͤche zu vers fallen. Aber die Schwierigkeit bleibt immer, wie das urfprünglich natürliche von demjenigen zu une terſcheiden, was die Erziehung, und das Nachden⸗ ken erzeugt haben. Unterdeſſen ſcheinet doch jene plötzliche Empfindung, die uns, ohne Ueberlegung und vernunftmaͤßigem Nachdenken, gegen die klaͤg— liche Stimme des Schmerzens, oder gegen den ſchmelzenden Blick der ſtillen Wehmuth rege macht; wie auch die Selbſtzufriedenheit, und jenes in= nere Wohlgefallen an dem Rechtſchaffenen, ſelbſt da, wo keine Folgen fuͤr uns die Selbſtliebe mehr reitzen koͤnnen; dieſe wohlthaͤtigen Regungen in unſerer Natur, fage ich, ſcheinen allerdings zu viel Inſtinctmaͤßiges an ſich zu haben, als daß alle Zwei— fel wegfielen, wenn man ſie ganz und gar in ein analogiſches Denken aufloͤſen wollte. Weit natuͤrlicher iſt es, zu ſagen, daß die Selbſtliebe eben fo wohl durch die unmittelbare Empfindung des An genehmen und Unangenehmen, als durch die ber nunftmaͤßige Betrachtung des Nuͤtzlichen bewegt

T 3 wuͤr⸗

292 öweyte Abtheilung.

würde. Und warum ſollte das erſtere nicht auch hier ſtatt finden koͤnnen?

Hier iſt der Ort den Begrif vom guten Herzen zu ent⸗ wickeln. >

$. ö 53. Frag Hieraus ergeben ſich allgemeine Re. 1 geln der Tugendlehre: 1) Regiere deine Selbſtliebe nach vemnüoſt. gen Bewegungsgruͤnden; ſuche dein Beſtes mit Vernunſt.

2) Mache den Gedanken von einem hoͤch⸗ ſten Weſen und ſeinen Eigenſchaften ſo ſtark in dir, daß er ſich zu allen deinen Neigungen, Ent⸗ ſchlieſſungen und Handlungen geſelle.

3) Suche alle beſondere Antriebe zu Hand⸗ lungen, deren Rechtmaͤßigkeit deine Vernunft dich lehret, zu erwecken, zu erhalten, zu ſtaͤrken; erwirb dir unter der Prüfung der Vernunft ein richtiges Gefuͤhl des moraliſchen Schoͤnen und Guten.

$. ma Dieſe 5 laſſen fich weiter al ſten Regel. entwickeln: 1) Die vernuͤnftige Selbſtliebe erfordert, daß du eine Handlung nach dem ganzen Umfang ih⸗

rer

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 293

rer Folgen betrachteſt, ſo weit es dir moͤglich iſt, ehe du ſie fuͤr gut oder boͤſe haͤltſt.

2) Handlungen, die dir zwar einigen Nu⸗ gen bringen, zugleich aber auch den Verluſt eis nes wichtigern, oder eben ſo wichtigen Gutes zuziehen; ſolche Handlungen ſind dir nicht gut. Hingegen koͤnnen Handlungen dir wirklich gut ſeyn, die in gewiſſer Betrachtung nachtheilig, die bey der Ausuͤbung unangenehm ſind.

3) Alſo das Vergnuͤgen, die angenehmen Empfindungen, die dir eine Handlung jetzo er⸗ weckt, ſind alleine noch kein vernuͤnftiger Be⸗ wegungsgrund.

4) Gewoͤhne dich demnach bey W was du thuſt, auf die Zukunft zu ſehen; und ſiehe nicht bloß auf das, was jetzo deine Sinne ruͤhrt, und deine Begierden reitzet: ſo wird deine Selbſtliebe vernuͤnftig, fo kann fie Tugend wer⸗ den.

§. 35.

Der Gedanke von Gott, die wahre ä Quelle der Tugend, giebt folgende Be- der ee trachtungen:

) Es iſt ein vollkommenes Weſen, von wel, chem ich und alle Dinge abhangen; welchem es nicht gleichgültig ſeyn kann, wie es in der Welt

T 3 | zu:

294 Bweyte Abtheilung.

zugeht. Ihm zu Gefallen ſey mein ſtaͤrkſter Eifer, der Mittelpunkt aller meiner Bemuͤhun⸗ gen.

2) Seinen Willen will ich erforſchen, und ſeine Geſetze will ich ſtets vor Augen haben, ſie zu der Richtſchnur aller meiner eee und Handlungen machen.

3) Gutes iſt im reichen Maaße in der Welt verbreitet. Der Beherrſcher der Welten will alfo, daß es feinen Geſchoͤpfen wohlgehe. Auch ich muß alſo, nach meinen Kraͤften, Gluͤckſe⸗ ligkeit in der Welt befoͤrdern. Eine jede Wohl⸗ that, die ich von ihm empfange, ein jedes Ver⸗ gnuͤgen, das ich genieſſe, muͤſſe meine e gen Neigungen ſtaͤrken!

4) Der Erhabene, der alles dieſes mit wun⸗ derbarer Weisheit gemacht hat, er, der Welten erhaͤlt, iſt allwiſſend, allmaͤchtig, allgegenwaͤrtig. Er ſieht mich, wenn ich in einſamer Finſterniß Anſchlaͤge mache; er durchſchaut mich, wo ich bin. Nie muͤſſe ich Urſach haben, vor ihm zu zittern oder zu erroͤthen.

5) Nichts muͤſſe mich von einer Handlung abhalten, die GOtt verlangt, und nichts mich bewegen, daß ich ſeinem Willen zuwider han⸗ dele.

Stund der wahren Seldentugend.

6) Eine

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 295

6) Eine jede That hat Folgen ins Unend» liche. Dies lehret mich Vernunft und Erfah⸗ rung. Gbdtt ſieht dieſe Folgen, und darnach richtet er die Handlung. Dies muͤſſe mir eine jede Handlung wichtig machen, mich fuͤr Leicht⸗ ſinn und Leichtfertigkeit bewahren, keine Sin. de für gering anſehen laſſen.

7) Wenn ich mein Gluͤck auf meine Tugend bauen will, weil ich es von dem HErren erwar— te, in deſſen Gewalt alles ſtehet: ſo muß ich es in der Tugend ſo weit zu bringen ſuchen, als es mir immer moͤglich iſt; wenn meine Hofnung ſicher und gegründet ſeyn ſoll.

$. 56.

Durch die dritte Regel verſtehe ich die 1

rechte Lenkung derjenigen Triebe, mel: Regel. che neben der Selbſtliebe, oder durch ſie, maͤchtig in uns wirken (H. 52.); zum Theil durch das Nuͤtz⸗ liche, zum Theil durch das Angenehme erregt wer⸗ den. Die Selbſtzufriedenheit, die Ehrliebe, das Wohlgefallen am Schoͤnen, und wenn noch andere ähnliche Beſtimmuugen in uns find, koͤnnen zur Beförderung der Tugend mitwirken. Ich fer he wohl die Schwierigkeiten, die ſich hier aͤuſſern. Ich verlange aber auch nicht meine Tugendlehre T 4 hier⸗

296 Zweyte Abtheilung. Ei

hierauf zu gründen. Doch halte ich dafür, daß folgende Regeln ſich mit Nutzen anwenden laſſen:

1) Thue nichts, was dich unzufrieden mit dir ſelbſt macht, Lerne Ehrfurcht und Schaam vor dir ſelbſt haben. Bemuͤhe dich ſolche Hand⸗ lungen zu vollbringen, deren Ausuͤbung und deren Andenken mit einem innern Wohlgefallen bes gleitet iſt. Sich in ſeine Tugend einwickeln koͤnnen, iſt mehr als Reichthum, Macht und An⸗ ſehen. Darnach ſtrebe.

2) Du ſollſt auch nicht gleichgültig ſeyn ges gen das Urtheil anderer; ſondern Beyfall und Ehre zu verdienen ſuchen. Aber wenn du ver⸗ nuͤnftig biſt: ſo mußt du uͤberzeugt ſeyn, daß die Tugend das eee Mittel zur Ehre ſey.

Man ehret andere, weil man ſich liebt. Dies ſcheint mir, bey Unterſuchung der einzelnen Faͤlle, offenbar zu ſeyn. Alsdann nemlich erzeugt die Selbſtliebe Soch⸗ achtung, Ehrerbietigkeit, Bewunderung; wenn man bey einer Perſon Quellen der gemeinſchaftlichen Glückſeligkeit weis oder vermuthet. Wenn die Selbſt⸗ liebe das Gute und die Gluͤckſeligkeit nach nahen Be⸗ ziehungen beurtheilt: ſo geſchieht es, daß dieſer oder jener Menſch, dieſer oder jener Stand bier mehr und dort weniger Ehre hat. Quellen der allgemeinen Gluͤckſeligkeit find alſo der Grund der wahren Ehre. Aus dieſen Grundſaͤtzen begreife ich leicht, warum man eine Perſon gewiſſermaſſen lieb haben und verachten, hingegen feinen Feind hochachten koͤnne; warum der

große

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 297

gröffere Theil des Publiei dem Reichthum, der vorneh⸗ men Geburt, der Schönheit Ehre widerfahren läßt, wenn auch kein Verdienſt dabey iſt. Und noch vieles, das raͤthſelhaft ſcheint in dieſem Theil der Sitten, Elärt ſich hierdurch auf; wenn man nur die Macht der Vor⸗ urtheile und die Folgen der Verknuͤpfung der Ideen ken⸗ net. Eben hieraus aber folgt auch, daß die Welt die

Tugend hochſchaͤtzen müſſe. Denn ſie zielt auf das

allgemeine Beſte ab. Ein Reich, ein Zeitalter iſt aber nicht die Welt, nicht das ganze menſchliche Geſchlecht. Noch vielweniger eine Stadt, oder ein Stand. Da aͤndern ſich freylich die Begriffe von Tugend und Eh⸗ re miteinander, wie ſich die Beduͤrfniſſe und Verhaͤlt⸗ niſſe aͤndern. Aber darum ſind Wahrheit und Tu⸗ gend und Ehre an und fuͤr ſich keine von ſo eingeſchrenk⸗ ten Verhaͤltniſſen abhangende Begriffe. Wenn dieſe Anmerkung hier zu lang iſt: fo bitte ich um Verzei⸗ hung.

3) Du liebſt von Natur Vollkommenheit, Harmonie und Schönheit. Wo iſt mehr Har⸗ monie, als in der Welt? Von den Himmels. koͤrpern bis auf die kleinſte Fliege offenbaret fie ſich immer ſchoͤner, je fchärfer der Blick des Na⸗ turforſchers wird. Und die Tugend zielt zur Erhaltung dieſer Harmonie ab. Nichts iſt we⸗ niger harmoniſch, als das Verhalten des Laſter⸗

haften.

Wer dies mehr für einen redneriſchen Floskel hält, als für einen Gedanken, der bey philoſophiſcher Entwicklung viel ſagte: mit dem werde ich auch leicht zu vereini⸗

gen ſeyn. T 5 9.57.

f 298 Sweyte Abtheilung.

8. et Dies ſey hier genug von den philo⸗ der Tugend. ſophiſchen Gruͤnden, aus welchen die Tugend entſtehet, und auf welche ſie ſich ſtuͤtzet. Wir wollen jetzo auf das Wachsthum der Tugend, und dann auf die Hinderniſſe derſelben ſehen. Die menſchliche Tugend leidet Grade. Sie iſt eine thaͤtige Neigung; oder, wenn man dieſes Wort auf den Willen anwenden will, fie ift eine Fertigkeit, welche durch Uebung zu einer groͤſſern Vollkom. menheit kann gebracht werden. Die Vernunft giebt deßwegen folgende Vorſchriften:

1) Suche die allgemeinen Gruͤnde und An⸗ triebe zur Tugend in dir rege zu erhalten, und zu verſtaͤrken. Betrachte oft die Werke Got⸗ tes, die dir ſeine Majeſtaͤt und Guͤte, und die Zeugniſſe, die dir ſeinen Willen lehren. Gieb fleißig bey dir ſelbſt und bey andern auf die Folgen der Handlungen acht. Betrachte das Safter oft in feiner innern Abſcheulichkeit, die Tu⸗ gend in ihrer innern Schoͤnheit, wenn beyde vor dem Richterſtuhl der ruhigen Vernunft erſchei⸗ nen; und ſtaͤrke dich oft durch jeden beſondern Bewegungsgrund, dieſem Richter zu gehorchen. Die guten Gedanken in dir rege zu erhalten, unterlaß nicht den Umgang mit Rechtſchaffenen zu ſuchen, und ſolche Schriften zu leſen, die zur

wahren

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 299

wahren Tugend aufmuntern, und gegen das Laſter Abſcheu erwecken.

2) Aber Speculation iſt nur Vorbereitung zur Tugend; iſt nicht die Tugend ſelbſt. Sey willig im Guten dich zu uͤben. Bedenke, daß eine jede rechtſchaffene That deine tugendhafte Neigung ſtaͤrke; und daß alſo eine jede verſaͤum⸗ te Gelegenheit Gutes zu thun ein Verluſt fuͤr deine Tugend, und fuͤr deine wahre Gluͤckſelig⸗ keit ſey.

3) Laß dich die Schwierigkeit, das Unange⸗ nehme einer rechtſchaffenen Handlung nicht aba ſchrecken. Je ſchwehrer die Ausuͤbung iſt, je mehr Ueberwindung ſie dich koſtet, deſto mehr haſt du gewonnen, wenn du ſie vollbringſt.

4) Haft du das innre Wohlgefallen, die felie ge Selbſtzufriedenheit, die die Tugend gewaͤh⸗ ret, einmal empfunden: ſo erwecke dich durch das oͤftere Andenken dieſes heiligen Vergnuͤgens zum neuen Eifer.

. 8. * Aber es iſt noͤthig, daß die Tugend Na e bey Zeiten ihre Feinde kennen lerne, die der Tugend. » . - 2 6 I. altsaears

ihr Hinderniſſe im Weg legen; vor de. tete Triebe. nen ſie ſich zu huͤten, wider die ſie zu ſtreiten hat. Dies find gewiſſe ihr entgegengeſetzte Triebe, dies ſind

300 Zweyte Abtheilung.

ſind die Leidenſchaften, dies ſind Vorurtheile, dies find Benfpiele. Ich will mich in dieſer philoſo⸗ phiſchen Abhandlung in keinen Streit uͤber die Na⸗ tur des Menſchen, und uͤber die Urſache ſeines Ver⸗ derbniſſes einlaſſen. Genug, ein jeder fuͤhlt dieſes Verderben. Und wer wird leugnen, daß bey den Menſchen, wie wir ſie kennen, die Triebe zum La⸗ ſter aus dem Grundtrieb der Selbſtliebe leicht ent» ſtehen koͤnnen? Man kann drey Haupttriebe dieſer Art anſetzen; dieſe ſind nemlich,

1) der unbaͤndige Trieb zu den angenehmen koͤrperlichen Empfindungen. Wollen wir ihn Wolluſt nennen; ſo iſt es nicht die engſte Be⸗ deutung dieſes Wortes. Denn die Traͤgheit gehört auch hieher. Die Wolluſt aber aͤuſſert ſich bey einem Menſchen auf dieſe, bey einem andern auf eine andere Art. | 2) Der unvernünftige Trieb zu den aͤuſſer⸗ lichen Gütern, der Geitz mit feinen Verwand⸗ ten; eine Wurzel alles Boͤſen.

3) Der Ehrgeitz oder der ungeordnete Trieb zur Ehre und zum Anſehen; ein Trieb, der fruchtbar an Thorheiten iſt; bey dem der Menſch das wahre Gluͤck gegen den Schein ver⸗ tauſcht; durch welchen auch oft derjenige eine Geiſſel der Welt wird, der ihr Wohlthaͤter haͤt⸗ te ſeyn ſollen, und ſeyn koͤnnen.

Alle

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 301

Alle dieſe Triebe ſind freylich Folgen der Selbſtliebe, und alſo Kinder der Natur; aber aucsgeartete, durch die Macht der Sinnlichkeit verführte Kinder, und Feinde der Tugend, fo lange ſie ſich den Geſetzen der Te nicht unterwerfen.

§. 59.

Wenn eine Neigung fo ſtark wird, ſehaften. daß ſie Begierden erzeugt, die Affecten ſind: ſo wird ſie eine Leidenſchaft genannt. Da die Affecten ſelbſt nicht anders ſind, als heftige Begierden (die Verabſcheuungen find unter dieſem Ausdruck mit begriffen) welche von einer Empfin⸗ dung der Unruhe in der Seele, und von merklichen Veraͤnderungen in dem Koͤrper begleitet werden; und da zur Erweckung einer Begierde uͤberhaupt weiter nichts erfordert wird, als daß entweder durch eine Veraͤnderung in den Förperlichen Sinnen, oder durch Vorſtellungen der regen Einbildungskraft ira gend einer unſerer Triebe erwecket werde: fo erhel⸗ let, daß Affecten und Leidenſchaften nicht nur bey las ſterhaften, ſondern auch bey tugendhaften Neigun⸗

gen der Menſchen Statt finden. Aber weil ben

den Affecten das höhere Geſchaͤfte unſeres Erkennt⸗ niß. Vermoͤgens, die Ueberlegung und verſtaͤndige Beurtheilung, geſtoͤhrt wird: fo find uͤberhaupt die

Affe cten

302 Fweyte Abtheilung.

Affecten für die Tugend gefährlich; die Lafterhafs ten Leidenſchaften aber ihr um fo viel mehr zuwi⸗ der, da fie nicht nur die Vernunft ſtoͤhren, ſondern auch der guten Neigung ihre Kraft nehmen.

§. 60. e, ee den Vorurtheilen, dis die Tugend hindern, begreife ich überhaupt alle die Meynungen, die den Bewegungsgruͤnden zur Tugend entgegen geſetzt ſind. Alſo entweder den Grundſaͤtzen von der Rechtmaͤßigkeit oder Un⸗ rechtmaͤßigkeit der Handlungen; oder denjenigen, welche uns unſere Verbindlichkeit lehren, nach den Geſetzen der Rechtmaͤßigkeit uns einzuſchrenken, und welche die thaͤtige Neigung zum Guten erwecken und unterſtuͤtzen. Dahin gehoͤren die irrigen Lehr⸗ ſaͤtze, welche die Moralitaͤt der Handlungen übers haupt, oder nur einiger, oder nur unter gewiſſen Umſtaͤnden aufheben: die Lehren, welche Laſter ver⸗ theidigen und beſchoͤnigen, oder gar zur Pflicht ma⸗ chen wollen; die Meynungen, welche die maͤchtig⸗ ſten Bewegungsgruͤnde zur Tugend, die Begriffe von der goͤttlichen Allwiſſenheit, Allmacht und Ge⸗ rechtigkeit, die Hofnung eines andern Lebens u. ſ. w. gaͤnzlich vertilgen oder entkraͤften; kurz alle dieje⸗ nigen Scheingruͤnde, womit die ſklaviſche Vernunft dem

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 303

dem maͤchtigern Trieb ſchmeichelt, der ihr Feſſeln angelegt hat. §. 61

Die Neigung das zu thun, was wir glauben, das andere mit Vortheil thun, die Neigung denen ähnlich zu werden, die wir für volls kommener halten, und denenjenigen uns gefällig zu beweiſen, deren Gunſt wir verlangen, Neigungen, die aus unſerem Grundtrieb entſpringen, und an und für ſich nicht zu tadeln find, in einzelnen Faͤl⸗ len aber vielmals auf falſchen Schluͤſſen beruhen; dieſe Neigungen geben dem Beyſpiel die groſſe Gewalt über uns. Und das Laſter erhält dadurch nicht ſelten wichtige Vortheile uͤber die Tugend. Der Trieb zu einer böfen Begierde erwacht, indem wir den andern in der Ausuͤbung derſelben erblicken; der Eindruck, den die Sinne leiden, erregt den Af⸗ feet; und das Vorurtheil gewinnt eine neue Stuͤ⸗ tze. So ſchaͤdlich koͤnnen böfe Beyſpiele für die Tugend ſeyn, und ſie ſind es deſto mehr, je mehr eine von den bemerkten Urſachen hierbey wirken kann.

§. 62. Laßt uns fehen, was die Vernunft die thinder für Verwahrungs⸗Mittel gegen dieſe ne der Tu⸗ Feinde der Tugend vorſchreibt. Inn

An⸗

304 Sweyte Abtheilung.

Anſehung der ausgearteten Triebe, Affecten und Leidenſchaften, find folgende Regeln zu beobach— ten: TR 1) Unterſuche den wahren Werth deffen, was du begehreſt, oder verabſcheueſt, in den Stun⸗ den der Gemuͤthsruhe, wo kein ſinnlicher Ein⸗ druck das Gebluͤt erhitzt und die Vernunft ums nebelt hat. Betrachte den Gegenſtand deiner Neigung auf allen Seiten, nad) feinen Boll: kommenheiten und Unvollkommenheiten, nach dem Vergnuͤgen und Misvergnuͤgen, das ihn bes gleitet, oder auf ihn folget.

2) Erwaͤge wohl, was dich die Befriedi⸗ gung dieſer Begierde koſte; vielleicht die Mit⸗ tel zu vielen andern Vergnuͤgungen, vielleicht deine Ehre, vielleicht eine gute Eigenſchaft, den Grund deiner Selbſtzufriedenheit.

3) Erinnere dich an jenes reine Vergnuͤgen, das die Tugend gewaͤhret, an jene ſelige, ganz ruhige, ganz erfuͤllende Empfindungen, die auf den Sieg uͤber das Laſter folgen, an den frohen und ſtarken Muth, den ein gutes Gewiſſen giebt, an die Zufriedenheit, die es im Gluͤck und Un⸗ gluͤck verſchaffet; und betrachte dagegen das ieere, das Hinfaͤllige, das Un vollkommene, das Niedrige an dem Vergnuͤgen, nach der die Be⸗

gierde

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 305 gierde ſtrebt, von welcher dein Blut jetzo braußet.

4) Pruͤfe dich, ob du dieſe Empfindung, der du dich uͤberlaͤſſeſt, dieſe Begierde, die dich ſpor⸗ net, gerne jedermann wollteſt wiſſen laſſen? Fra⸗ ge dich doch, ob du eben ſo handeln wuͤrdeſt, wenn jener rechtſchaffene Mann, für den du Ehr⸗ furcht haben mußt, es ſehen, es erfahren ſollte? Denke den Tod. Denke den Richter deiner Handlungen. Deinen Schoͤpfer. Siehe, ob du dieſen Gedanken 8 kanſt, oder, ob er dich unruhig macht? Faͤllt dir der Muth dabey, ſtoͤhrt er dein Vergnuͤgen? ſo verja⸗ ge ihn, dieſen ſchreckenden Gedanken. O nein,

Ungluͤcklicher, laß von deinem Unternehmen ab!

5) Bedenke, was es fuͤr Schaden bringe, der Tugend einmal untreu zu werden, dem La⸗ ſter einmal zu gehorchen. Vernunft und Bey ſpiele anderer koͤnnen dieſes lehren; wenn deine eigene Erfahrung dir es noch nicht ſollte gelehrt haben?

6) Bedenke den ſchrecklichen Satz: Was geſchehen iſt, kann nicht mehr zum Unge⸗ ſchehenen gemacht werden. Das Anden ken bleibt, die Folgen bleiben.

U 7) Flie⸗

306 Zweyte Abtheilung.

7) Fliehe die Gelegenheiten, die deine boͤſe Begierden erregen. Man muß ſich nicht ohne Noth der Macht ſeiner Feinde ausſetzen, ſo lan⸗ ge man noch kann uͤberwunden werden. Die Tugend kann oft den Sieg nicht anders erhal. ten, als indem ſie flieht.

§. 63. Fortſetung. Um den ſchaͤdlichen Vorurtheilen und Beyſpielen ihre Kraft zu benehmen, gewoͤhne dich an folgende Grundſaͤtze:

1) Was du einmal fuͤr wahr erkannt haſt, und fuͤr wahr erkennen mußt, ſo oft die Ver⸗ nunft ruhig und frey genug iſt, die Wahrheit einzuſehen, dies, dies allein, muß deine Hand⸗ lungen beſtimmen. Wunſch oder Furcht in der Stunde der Leidenſchaft find keine unpars theyiſchen Richter der Wahrheit und Sittlich⸗ keit.

2) Prüfe deine praktiſchen Grundſaͤtze öf- ters, prüfe fie nach ihrem ganzen Umfang; vers gleiche ſie untereinander und mit andern Wahr⸗ heiten; prüfe fie in der Unterredung mit recht. ſchaffenen Leuten; pruͤfe ſie als vor den Augen Gottes, pruͤfe ſie als vor den Pforten der Ewig⸗ keit. Und wenn ſie dieſe Probe ausgehalten haben: ſo druͤcke ſie dir tief ins Gemuͤth; und

be⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 307

bediene dich aller geſchickten Mittel, dich oft, und beſonders in der Stunde der Verſuchung, daran zu erinnern.

3) Nicht Anſehen der Perſon, ſondern Grün de entſcheiden, was recht oder unrecht iſt.

4) Schlieſſe nicht von dem Aeuſſerlichen eis nes Menſchen auf ſeinen inuerlichen Zustand. Er kann klug und weiſe ſcheinen, und ein Thor ſeyn; glückfelig ſcheinen, und Mitleiden verdie⸗ nen. Oder wenn ſein aͤuſſerlicher Zuſtand wirk⸗ lich vortheilhaft iſt: fo kann ſolches eine Folge feiner guten Eigenſchaften, feiner bürgerlichen Klugheit und Verdienſte; es kann ein von der Vorſehung aus beſondern Abſichten ihm ertheil- tes Loos ſeyn. Wirſt du nun durch die Nach⸗ ahmung feiner Fehler zu feinem Gluͤck gelan⸗ gen?

5) Halte denjenigen nicht gleich für ein Mu⸗ ſter zur völligen Nachahmung, der auf einer Seite gefallen kann. Kein Menſch iſt ohne Fehler; keinem kann man alſo ſicher in allen Stuͤcken nachahmen. Darum hat der Menſch Vernunft, daß er beurtheilen ſoll. Ja auch deßwegen, weil wir leichtlich unſere Schwachhel⸗ ten an andern lieben, ſollen wir diejenigen am ſherſſen pruͤfen, die uns am meiſten gefallen.

Ma 6) Was

308 Zweyte Abtheilung.

6) Was zur guten Lebensart und zum Wohl⸗ ſtand gehoͤret, magſt du wohl von denjenigen ler⸗ nen, welche im Beſitz dieſer Eigenſchaften zu ſeyn, das allgemeine Lob ſich erworben haben. Denn die Tugend hat nicht Urſach dem Laſter hier einen Vortheil uͤber ſie zu geſtatten. Ge. faͤlligkeit iſt ihre Pflicht. Aber was wider die Vernunft und wider die Geſetze der Tugendleh⸗ re iſt, verdient Verachtung; wenn gleich junge oder alte Thoren, Lieblinge des ſchoͤnen Geſchlech⸗ tes, oder Lieblinge des Hofs, es mit dem Beyfall

der Lacher thun ſollten.

7) Meide die Geſellſchaft der Böse, ſo viel du kannſt. Wenn du aber unter ihnen ſeyn mußt: fo betrachte fie als Kranke, deren An⸗ blick dir deine Geſundheit nur noch ſchaͤtzbarer machen muß. Deſto ſchlimmer, wenn fie ſich fuͤr geſund halten!

$. 64. Phang, wie Die goldene Lehre des Pythagoras,

weit man in daß man am Ende eines jeden Ta⸗ der Tugen

1 ges ſeine Handlungen unterſuchen, und feine Gemuͤthsbeſchaffenheit prüfen ſolle, iſt ei- ne der vornehmſten Regeln der Tugendlehre. Wenn der Rauſch der Begierden vorbey, wenn der Traum des eingebildeten Gluͤckes verſchwunden; wenn je⸗

des

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 309

des Wort, jede Begierde, jede Beſchaͤftigung, jeder Bewegungsgrund, nach der That, bey ruhiger Selbſtpruͤfung beurtheilet wird: o wie ganz anders erſcheinen ſie dann! Und welche Schande, wenn der Tag ungebraucht verfloſſen: Wenn keine ein⸗ zige rechtſchaffene That in der Ewigkeit fuͤr ihn zeu⸗ gen kann!

Auſſer dieſer täglichen Prüfung muͤſſen wir öfs ters einſame Stunden der Unterſuchung unſeres Le— bens, unſerer Neigungen, unſerer Abſichten ſchen⸗ ken; unterſuchen, ob keine ſchaͤdliche Grundſaͤtze ſich eingeſchlichen, ob kein guter Vorſatz entkraͤftet worden, ob keine boͤſe Neigung keime? Der Rus tzen einer ſolchen Unterſuchung iſt groß. Aber es iſt ein ſchlimmes Zeichen, wenn der Menſch auch nicht eine Stunde einſam, mit ſich ſelbſt vergnuͤgt, zubringen kann.

§. 65.

Was iſt zu thun, wenn ſich ein ſloserbi⸗ Menſch auf den Wegen des Laſters ſchen Buſſe. erblickt? Welchen Rath giebt uns die Vernunft, wenn uns das Gewiſſen ſagt, daß wir Uebels ges than haben? Ich moͤchte hier gerne von denenje⸗ nigen die Antwort hoͤren, deren Vernunft ſich ganz uͤberlaſſen, und durch keine Offenbarung erleuchtet iſt. Ich ſehe die Heyden ihre Götter durch Opfer

U 3 ver⸗

210 Sbweyte Abtheilung.

verſoͤhnen. Aber was iſt das vor meiner Ver⸗ nunft? Schaam, Reue, Abſcheu folgen auf die Erkenntniß der Suͤnde unmittelbar, dann der Wunſch, daß es nicht moͤchte geſchehen ſeyn, und dann der Vorſatz es nicht mehr zu thun. Aber es iſt geſchehen. Was aͤndert mein Wunſch? Ich habe eine Reihe von Wirkungen, die auseinander entſtehen, angefangen. Wenn ich nicht eine neue anfange; bin ich darum an jener weniger ſchuldig, weniger ſtrafbar? Ich habe ungluͤckliche gemacht, ich habe das Laſter befoͤrdert, ich habe die junge Tu⸗ gend verfuͤhrt, ich habe der maͤnnlichen Tugend durch Gewalt mich widerſetzt. Was hilft meine Reue, wenn ſie das Geſchehene nicht aufheben kann? Aber ich will hinfuͤhro deſto eifriger Tu⸗ gend und Gluͤckſeligkeit in der Welt zu befoͤrdern ſuchen. Ja dies wird mich von neuen Schul⸗ den bewahren, aber dies nimmt jene nicht weg. So will ich mich martern, geiſſeln, alles Vergnuͤ⸗ gens berauben. Dies moͤchte vielleicht dazu die⸗ nen deinen Abſcheu vor dem Laſter zu bezeugen, aber vielleicht verſaͤumſt du auch darüber wichtigere Pflichten. Und immer, immer, bleibt das Boͤſe, das du angeſtiftet haſt; und wann wird ſeine Fort⸗ wirkung aufhoͤren?

. 66.

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 311 $. 66.

Dies find die allgemeinſten ehren Tiaſghent

einer philoſophiſchen Anweiſung zur Tu⸗

gend. Wenn die Weisheit in der Verknuͤpfung geſchickter Mittel mit rechtmäßigen Abſichten ber ſteht; alle unſere Abſichten aber ſich in unſerer Gluͤckſeligkeit vereinigen; und die Tugend der ſicher⸗ fe, ja der einzige Weg zur Gluͤckſeligkeit iſt: fo iſt die Anweiſung zur Tugend zugleich die Anwei⸗ ſung zur Weisheit. Bey der Tugend ſieht man zwar hauptfächlich auf die Beſchaffenheit des Wil⸗ lens, und bey der Weisheit auf die Erkenntniß: aber beyde ſind doch an ſich unzertrennlich. Die Weisheit vertraͤgt ſich nicht mit dem Laſter, und die Tugend nicht mit der Thorheit. Aber freylich koͤnnen beyde Eigenſchaften bey einem Menſchen ſich in ſolcher Unvollkommenheit befinden, daß der Tu⸗ gendhafte nicht immer weislich oder klug genug han⸗ delt, und der weiſe Sterbliche nicht immer tugend⸗ haft genug iſt. Unterdeſſen bleibt doch dies der Charakter des Weiſen, wie des Tugendhaften, daß die letzte Abſicht ſeiner Bemuͤhungen darinnen be⸗ ſteht, durch ſein Daſeyn ſo viel Gutes zu ſchaffen, als ihm moͤglich iſt; weil dies der Wil. le des Schoͤpfers iſt, und der ſicherſte Weg ſeine ei⸗ gene Gluͤckſeligkeit aufs Beſte zu befoͤrdern.

1 4 $. 67.

31 2 Sweyte Abtheilung. §. 67.

Sidel Aber es iſt noͤthig, dieſe Gluͤckſelig⸗ keit. keit einmal näher zu betrachten, die wir ſo oft als die letzte Abſicht der menſchlichen Triebe, und als die Belohnung der Tugend genennt haben. Man mag fie betrachten, auf welcher Sei⸗ te man will; und dieſe oder jene Ausdruͤcke zu ih⸗ rer Erklaͤrung waͤhlen: ein dauerhafter Zuſtand an⸗ genehmer Empfindungen iſt ſie immer. Dieſe Em⸗ pfindungen werden entweder durch De En

oder äufferliche Empfindungen genennt HR ; oder durch Verknuͤpfung der Vorſtellungen in der Seele, wie bey der Furcht, Hofnung u. ſ. f. Dergleichen innerliche Empfindungen konnen ſich auf die koͤr⸗ perlichen beziehen; aber es iſt noch nicht ausgemacht, daß ſie ſich alle darauf beziehen. (§. 10.) Ja es iſt ein Irrthum ſolches zu behaupten; fo bald man das Selbſtgefuͤhl der Seele, und die damit ver⸗ knuͤpften Empfindungen nicht einmal in fo weit da⸗ von ausnehmen will, in ſo weit das Weſentliche da⸗ von der Seele eigenthuͤmlich iſt; ob gleich die Mo⸗ dification von dem Koͤrper und ſeinen Veraͤnderun⸗ gen abhangen kann. Unſere Gluͤckſeligkeit wird al⸗ ſo mit Unrecht eingeſchrenkt, wenn man ſie bloß aufs körperlich phyſiſche bauet. Aber 75

ur

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 313

fuͤr entbehrlich dabey zu achten, hieße die menſchli⸗ che Natur eben ſo ſehr verlaͤugnen. Beyde Arten von Empfindungen gehören fir unſern gegenwaͤrti⸗ gen Zuſtand, und koͤnnen unſere Gluͤckſeligkeit ſtoͤh⸗ ren, oder befoͤrdern. Aber der wichtige Unterſchied ift hierbey, daß das Vergnügen der Mißvergnuͤ. gen, das von aͤuſſerlichen Dingen abhangend iſt, ins⸗ gemein nicht fo dauerhaft iſt, als jene innerlichen Em» pfindungen, von welchen die Quelle in uns ſelbſt ſich befindet.

Es folgt hieraus, daß das ‘Bemühen des Weis fen hauptſaͤchlich dahin gehe, Urſachen zum inner— lichen Vergnuͤgen in ſich zu gruͤnden, und keine Quellen des innerlichen Verdruſſes in ſich enrftes hen zu laſſen. Er ſucht daher zwar auch das aͤuſ— ſerliche Vergnuͤgen; aber er ſuchte es nicht mit Ver⸗ luſt des innern. Er ſucht es durch die leichteſten Mittel zu erhalten; und zum Gluͤck find die vorzuͤg⸗ lichſten Ergoͤtzungen die wohlfeilſten. Iſt nicht die ſchoͤne Natur fuͤr unſere Sinne da? Iſt nicht der freundſchaftliche Umgang ein ſicheres und fruchtba⸗ res Mittel zu den ſeligſten Empfindungen? Und wie angenehm beſchaͤftigen nicht die Wiſſenſchaften unſere Wißbegierde, einen Trieb, der bald maͤchtig genug wird, alle andere mit ſich zu vereinigen, oder ſie zu unterdrücken? Jedoch da das Vergnuͤgen nicht im⸗

1 5 mer

314 Zwepte Abtheilung.

mer in unſerer Gewalt ſteht, das von aͤuſſerlichen Urſachen abhaͤngt: ſo ſucht der Weiſe ſeinen inner⸗ lichen Zuſtand ſo einzurichten, ſeinen Verſtand und ſein Herz ſo zu bilden, daß er, bey dem Wechſel der aͤuſſerlichen Umſtaͤnde, in und mit ſich ſelbſt ver: gnuͤgt ſeyn kann. Ein ſolcher Zuſtand heißt die Ge⸗ muͤthsruhe, die innerliche Zufriedenheit; und darinnen beſteht alſo die vorzuͤglichſte Gluͤckſeligkeit der Sterblichen. Dieſe Gemuͤthsruhe erfordert a) Selbſtzufriedenheit, oder das Wohlgefallen an ſich ſelbſt und ſeinen Handlungen, die Ueberzeu⸗ gung, daß man alles gethan habe, um ſich gluͤcklich zu machen, was Weisheit und Tugend befehlen. Sie erfordert b) Maͤßigung der Begierden, die von Aeuſſerlichen abhangend ſind, durch die Vorſtellung, wie entbehrlich dergleichen Dinge zur wahren Gluͤck⸗ ſeligkeit ſeyen. Weil aber demohngeachtet Trie⸗ be in uns bleiben, die uns nicht erlauben, gegen die⸗ jenigen unſerer Empfindungen, die von aͤuſſerlichen Dingen herruͤhren, ganz gleichguͤltig zu ſeyn: ſo iſt zur Gemuͤthsruhe auch noch noͤthig, daß wir c) auß Troſt bedacht ſeyn, der uns bey Widerwaͤrtigkeiten beruhigen koͤnne. Dieſen Troſt gewaͤhret der Ge⸗ danke einer unabaͤnderlichen Nothwendigkeit noch ſehr unvollkommen. Aber das Vertrauen auf die goͤttliche Fuͤrſorge und Weisheit, und die Hofnung eines zukuͤnftigen Lebens geben nicht nur dieſen

Troſt,

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 315

Troſt, ſondern eröfnen auch im Bra Quellen des innern Vergnuͤgens.

§. 68.

Dieſer Gedanke von einen andern DE, ER Leben, der Vertraute der Weisheit, und der Gefaͤhrte der Tugend in dieſen irdiſchen Woh⸗ nungen, unterſtuͤtzt durch feinen freundſchaftlichen Zuſpruch den Weiſen in der Stunde des Todes; wenn der Gedanke des Nichtſeyns ihm Schrecken erwecken will. Er glaubt mit Grund, daß ihn ſein Schoͤpfer zu keinem ſo unvollendeten Auftritt werde beſtimmt haben. Er erwartet eine beſſere Zukunft, in welcher ſeine durch Hofnung erhaltene Tugend zum Genuß gelangen, und feine Kräfte zu vollfom« menern Thaͤtigkeiten entwickelt werden wuͤrden; in welcher er ſich felbft näher kennen, und die Herr— lichkeit des Schoͤpfers in neuen Ausſichten bewun⸗ dern lernen wuͤrde.

Aber der laſterhafte Thor erwacht hier von dem kurzen Traum ermuͤdender Luͤſte. Sein Blick irrt von den Scenen des Vergangenen in die nahen Grenzen der dunkeln Zukunft. Dort findet er Ver⸗ zweiflung, und hier Schrecken der ungewiſſen Er: wartung. Nur ein Gluͤck kann ſich der Laſterhaf⸗ te auf dieſe Stunde wuͤnſchen, aber ein fuͤrchterli⸗ ches Gluͤck zu ſterben, ohne vorher zu erwachen.

Nur

316 öweyre Abtheilung.

Nur eine Hofnung, mehr Wunſch, als Hofnung, erſcheint ihm noch zum Troſt; aber die Natur ent⸗ ſetzt ſich davor, und nicht ohne beaͤngſtigende Zwei⸗ fel erſcheint ſie, die Hofnung vernichtet zu werden.

Doch wenn kein Menſch tugendhaft und weiſe genug iſt, um in feiner letzten Stunde fagen zu koͤn⸗ nen: ich habe ſo viel Gutes gethan, als mir moͤglich geweſen iſt; wie betruͤbt ift der Ausgang dieſes Le⸗ bens auch fuͤr den weiſeſten Sterblichen!

F. 69. alete, Wir müffen nicht nur ung, ſondern fe und tu⸗ auch andere tugendhaft zu machen, be:

na muͤht ſeyn. Die Hauptregeln bleiben

für beyde Abſichten einerley. Aber noch find, wenn

wir andere zur Weisheit und Tugend anfuͤhren wollen, folgende Beobachtungen noͤthig:

1) Sey vor allen Dingen ſelbſt weiſe und tugendhaft. Beyſpiele machen mehr Eindruck, als Lehren, die vielleicht ohne jene eigennuͤtzig ſcheinen, oder wenigſtens durch entgegengeſetzte Handlungen des Sittenlehrers entkraͤftet wer— den.

2) Ueberzeuge diejenigen, die du lehren und bilden willſt, daß du ihr Beſtes ſucheſt. Dies wirſt du durch bloſſe Verſicherungen nicht erhal⸗ ten, wenn du ſie auch taͤglich und ſtuͤndlich wie⸗

der⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 317

derhohleſt. Du mußt es durch Thaten erwei⸗ ſen. Sie muͤſſen ſehen, daß du nicht deinen Vortheil dabey ſucheſt, daß du dir es Muͤhe und Verdruß koſten laͤſſeſt, ihnen Gutes zu erweiſen. Du mußt durch alle unſchuldige Gefaͤlligkeiten ihr Vergnuͤgen befoͤrdern, und nicht, durch den muͤrriſchen Eigenſinn des Sittenlehrers, den Namen der Tugend verhaßt machen. !

3) Erwaͤhle die rechte Art und Weiſe zu ers mahnen und zu ſtrafen. Nimm die Zeit in Acht, da das Gemuͤth des andern am geſchickteſten iſt den Eindruck anzunehmen, den deine Lehren in ihm machen ſollen. Gebrauche die Vorſtellun⸗ gen, die bey der Denkungsart des andern die wirkſamſten ſeyn koͤnnen.

4) Aber ſiehe wohl darauf, daß du feine Tu⸗ gend nicht auf den veraͤnderlichen Eindruck blofs ſer Ueberredungen baueſt; ſondern lege ſichere

und unuͤberwindliche Gruͤnde der Ue⸗ berzeugung in ihn.

u **

Vier⸗

318 Zweyte Abtheilung. Viertes Stuͤck. Von der Politik

oder

Klugheitslehre.

§. 70. Von der Wenn der Menfch durch vernünftige Klugheit g überhaupt. Betrachtung feiner Natur und feiner Verhaͤltniſſe auf den feſten Entſchluß gebracht wor⸗ den iſt, in der Welt ſo viel Gutes zu ſchaffen, als ihm moͤglich iſt; wenn er dieſes zur Hauptabſicht aller ſeiner Bemuͤhungen gemacht hat, und alle an⸗ dere Abſichten darnach abmiſſet und einrichtet; wenn er ſich ſelbſt in Anſehung feiner Kräfte ſowohl, als in Anſehung der aͤuſſerlichen Umſtaͤnde zu dieſer Ab⸗ ſicht geſchickt gemacht hat: ſo iſt ihm dann noch eine beſondere Eigenſchaft nöthig, um in beſtimmten Faͤllen ſeine Abſicht gluͤcklich zu erreichen; um ſich bey unvermutheten Hinderniſſen geſchwinde helfen zu koͤnnen; um ſich die Vortheile zu Nutze zu ma⸗ chen, die die Umſtaͤnde anbieten. Dies leiſtet die Klugheit, gleich wie erſteres das Geſchaͤfte der Weisheit if. Die Weisheit ſchlieſſet alſo eigent- lich die Klugheit noch nicht mit in ſich; ſo wie die Klugheit in einzelnen Faͤllen noch kein ſicheres Merkmal der Weisheit iſt. Denn es kann einer ein⸗

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 319

einzelne gute Abſichten geſchickt ausführen, ohne in Anſehung der Einrichtung ſeines ganzen Lebens und aller ſeinem Handlungen richtig zu denken. Aber wie man Bedenken tragen wird, einem ſolchen die wahre Klugheit uͤberhaupt zuzugeſtehen: alſo rech⸗ net man auch zur Weisheit nach dem vollkommen⸗ ſten Begrif die Klugheit mit hinzu.

Die Weisheit iſt dasjenige im Ganzen, was die Klugheit im Kleinen, im Detail, iſt. Darum wird auch die Thor⸗ heit ſowohl der Weisheit, als der Klugheit entgegen geſetzt ·

. Folgende Anmerkungen gründen ſich Selserung

allgemeiner

auf den gegebenen Begrif, und beſtim⸗ ua 155 egebe⸗ men ihn noch mehr. nen Begrif.

1) Die wahre Klugheit gruͤndet ſich auf die Weisheit; und beyde erfordern eine bearbeitete Vernunft.

2) Die Klugheit hat es mit den individuel⸗ len Umſtaͤnden zu thun. Sie braucht alſo Erfahrungs⸗Begriffe.

3) Die Klugheit erfordert eine gründliche Einſicht in die Abſichten und Mittel bey einem Anſchlag, einem wohl uͤberlegten Plan bey den Unternehmungen, und die zur Ausführung noͤ⸗ thigen Kenntniſſe und Geſchicklichkeiten.

4) Die

320 Sweyte Abtheilung.

4) Die Klugheit erfordert Gegenwart des Geiſtes, Geſchicklichkeit ſich geſchwind zu faſſen, oder allen ſeinen Kraͤften die Richtung zu geben, die den Umftänden gemäß iſt. Sie erfordert alſo Biegſamkeit; und doch auch Standhaftig⸗ keit. Sie erfordert Vorſicht und Behutſam⸗ keit; aber auch Entſchloſſenheit und Unerſchro⸗ ckenheit. Und dies ſind die Eigenſchaſten noch nicht alle, die zuſammen die Klugheit ausmachen. Doch werden ſie mit von den hauptſaͤchlichſten ſeyn. Eine jede derſelben aber druckt ſchon im Allgemeinen ſo viel aus, daß ſich Stof genug zu einer allgemeinen Kung heitslehre findet.

5. . ee in Wenn wir zuerſt auf die menſchliche Lebe Ge⸗ Geſellſchaft uͤberhaupt ſehen; ſo werden Überhaupt. ſich folgende Regeln der Klugheit bey wenigem Nachdenken darſtellen:

1) Mache, daß andere deine Abſichten be⸗ foͤrdern, oder wenigſtens nicht hindern.

2) Gieb ihnen alſo ein gemeinnuͤtziges An⸗ ſehen.

3) Erwirb dir bey ſo vielen Gunſt, Gewo⸗ genheit und Freundſchaft, als dir moͤglich iſt.

Det

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 321

Der bekannte Grundſatz: Wer dir als Freund nicht nutzen kann, kann dir als Feind doch ſcha⸗ den, enthält eine fo wichtige Lehre, daß ich ihn hier anzufuͤhren mich nicht enthalten kann.

4) Vollkommenheiten und Verdienſte find die Mittel dazu. Aber damit ſie ihre Wirkung deſto beſſer thun: fo muß ihnen die Gefaͤllig⸗ keit den einnehmenden ſanften Anſtrich geben; und Beſcheidenheit und Demuth das Licht, das manchem beſchwerlich in die Augen fallen möch« te, durch einen vortheilhaften Schatten mildern.

5) Wenn es gleich betruͤbt iſt, wenn es gleich nicht ohne Ausnahme wahr iſt, was Helvetius ſagt: aimer C eſt avoir beſoin, und was er daraus folgert: fo trifft es doch fo häufig ein, daß die Klugheit befiehlt, ſeine Rechnung darnach zu machen.

6) Es giebt eine Menge kleiner Eigenſchaf⸗ ten und Beobachtungen, wodurch man ſich ſehr leicht beliebt oder verhaßt, oder wenigſtens vers aͤchtlich und lächerlich machen kann. Man faßt fie unter dem Namen der guten Lebensart zus ſammen. Die Klugheit nimmt davon fo viel an, als die Tugend erlaubt.

7) Wenn ſich die Tugend zur wohlanſtaͤndi⸗ gen Lebensart geſellet: ſo ſind Ehrerbietigkeit gegen Höhere, Höflichkeit gegen Gleiche, Freund—

4 lich.

322 wopte Abtheilung.

lichkeit gegen Geringere, Sanftmuth und Groß⸗ muth, nebſt der Standhaftigkeit und Gelaſſen⸗ heit, in Anſehung der Feinde, Erkenntlichkeit, Verbindlichkeit und eine geſetzte hochachtungs⸗ volle Zaͤrtlichkeit gegen Freunde; gegen alle ei⸗ ne wohl uͤberlegte Dienſtfertigkeit, in Anſehung al⸗ ler forgfältigen Behutſamkeit im Reden, die doch kein Mißtrauen verraͤth. Dies, ſage ich, ſind dann die vornehmſten Stuͤcke einer guten Le. bensart, und zugleich auch die weſentlichſten der Klugheit im Umgang. Die Menſchenliebe macht den Grund davon aus. Dieſe ſowohl, als die Klugheit für ſich betrachtet, verbannen die Eigenliebe, Feindſeligkeit, den Eigenſinn, Trotz, Grobheit, Hochmuth, Stolz, Verachtung, Tadelſucht, Verlaͤumdung, Rachgierde, Hitze, Heftigkeit, und aͤhnliche Gemuͤthseigenſchaften.

8) Merke dies wohl, daß man wirklich gut ſeyn muͤſſe, um lange gut zu ſcheinen.

Der ſcharfſinnige und witzige Greſſet . das ſchoͤne Luſtſpiel le mechant, mit den Worten

Malgré tont le fucces de eſprit des mechans, Je fens qu on en revient toujours aux bonnes gent.

8. Von der 5 Kun, die Aus dem bemerkten erhellet genug⸗

6 8 b e ſam, daß zur Klugheit die Kenntniß der

Welt

4

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 323

Welt und der Menſchen hoͤchſt nothwen⸗ e dig ſey. Folglich |

1) Studiere den Menſchen überhaupt nach ſeiner Natur, ſeinen Kraͤften, Trieben, Fehlern

und Schwachheiten. Wenn eine philoſophiſche Kenntniß zu der Erfahrung hinzu kommt: ſo kann ſie gewiß von groſſen Nutzen ſeyn.

2) Lerne die Geſchichte des menſchlichen Her⸗ zens aus pragmatiſchen Geſchichtſchreibern, und aus wohlabgefaßten moraliſchen Schilderungen.

3) Beobachte ſelbſt die Handlungen der Menſchen mit einem philoſophiſchen Auge; das heißt, alles in der Verbindung der Haupturſa⸗ chen, beſtimmenden Umſtände, und Folgen.

4) Man lerne auch an ſich ſelbſten die ge⸗ heimen Triebfedern, Schlupfwinkel und Schwach⸗ heiten des menſchlichen Herzens. Kann man gleich nicht ſchlechthin von ſich auf andere ſchlieſ⸗ ſen: ſo iſt doch bey dem andern moͤglich, was bey dem einen aus der gemeinſchaſtlichen Na: tur wirklich geworden iſt.

5) Um dieſen oder jenen Menfchen ſrsbeſon⸗ dere kennen zu lernen, beobachte ihn unter aller⸗ ley Umſtaͤnden, im Ufer, ſonderlich des Zorns und der Freude; beobachte feine Harptbemuͤ⸗ hungen, und ſeine Art ſich zu ergoͤtzen, beobachte

2 ſeine

324 Zweyte Abtheilung.

feine Geſellſchaften. Merke auf, wenn er über den Werth der Dinge, oder über andere ur⸗ theilt; gieb Acht, bey welchen Dingen er gleich guͤltig bleibt, und bey welchen er geruͤhrt und aufmerkſam wird. Siehe, wie er ſich verhaͤlt, wenn du dich unter veraͤnderten Geſtalten, mit andern Eigenſchaften, mit andern Grundſaͤtzen zeigeſt. Durch dieſe und andere aͤhnliche Ver⸗ ſuche, wirſt du die Meynung, die er von ſich ſelbſten hat, ſeine Abſichten, Neigungen und Grundſaͤtze wahrſcheinlicher Weiſe entdecken.

Kann man aus der Phyſtiognomie oder den Trau⸗ men die Gemuͤther der Menſchen erkennen?

6) Aber laß dir dieſe Abſicht nicht merken. Ueberhaupt beſteht die groͤßte Klugheit darin⸗ nen, daß man dem andern durch ſeine Klugheit nicht fuͤrchterlich wird. Dazu gehoͤrt die Fein⸗ heit, welche macht, daß die Klugheit nicht zu

merklich wird.

7) Dich ſelbſten und deine Abſichten mußt du alſo ſoweit ſehen laſſen, als es ihnen ohnbe⸗ ſchadet ſeyn kann. Huͤte dich wohl vor ei⸗ nem geheimnißvollen und mistrauiſchen Anſe⸗ hen. Die größte Offenherzigkeit ift nicht fo thoͤ⸗ rigt, als ein ſolches Betragen. Siehe nur wie offenherzig, vertraulich, leichtſinnig, widerſpre⸗

chend

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 325

chend, und wenn ich es kurz ſagen ſoll, unklug die feinſten koͤpfe in der Welt ſich anzuſtellen wiſſen, um andere ſicher zu machen.

8) Du wirſt zeitig einſehen lernen, das man dem Schein der Eigenſchaften, daß man den Worten der Menſchen nicht immer trauen darf. Aber gleichwie es ein innerlich abſcheulicher Grundſatz iſt, jedermann, den man noch nicht genug kennt, fuͤr einen Schelm zu halten: alſo muß ein ſolches argwoͤhniſches Weſen nothwen⸗ dig verhaßt machen, wenn es bemerkt wird.

§. 24. Unter den kleinen Geſellſchaften der Llugheit im Hausſtand. Menſchen verdient der Hausſtand von den Lehrern der Klugheit beſonders bedacht zu wer⸗ den. Diejenigen Lehren der Haushaltungskunſt, die beſondere Kenntniſſe voraus ſetzen, gehoͤren nicht hieher. Von denjenigen, die aus dem Begrif des Hausſtandes uͤberhaupt koͤnnen gefolgert werden, wollen wir einige anzeigen.

1) Das ganze Hausweſen muß nach einem gewiſſen wohl uͤberlegten Plan gefuͤhrt werden.

2) Das Oberhaupt der Familie muß die ganze Einrichtung des Haushaltens uͤberſehen, und in Haͤnden haben.

1 3 3) Wenn

5

26 Zweyte Abtheilung.

I 1

3) Wenn die Oberherrſchaft in der Familie getheilt iſt: fo muͤſſen diejenigen, fo Theil dar⸗ an haben, befliſſen ſeyn, einander bey den Unter⸗ gebenen in Anſehen zu erhalten.

4) Dieſes Anſehen muß ſich auf reelle Ver⸗ dienſte gruͤnden, folglich entweder auf vorzuͤg⸗ liche Einſichten, oder auf gute rn des Gemuͤths.

5) Die Haͤupter der Familie muͤſſen die Un⸗ tergebenen uͤberzeugen, daß ſie ihre Gluͤckſelg⸗ keit befoͤrdern wollen und koͤnnen.

6) Die Grenzen der Subordination und Des pendenz muͤſſen weder durch Vertraulichkeit aufgehoben werden; noch die Grenzen der Men⸗ ſchenliebe und Gerechtigkeit ſelbſt aufheben.

7) Ruhe und Eintracht ſind die wichtigſten

Stucke der geſellſchaftlichen Gluͤckſeligkeit. Dies

ſe muͤſſen alſo vorzuͤglich erhalten werden, ſollte es auch mit Verluſt anderer aber geringerer Guͤ⸗ ter ſeyn.

8) Das Wohl einer Familie erfordert, daß andere, die nicht dazu gehoͤren, ihr guͤnſtig ſeyn. Die Klugheits-Regeln aus den vorigen $$ find deßwegen auch hier mit gehoͤrigen Beſtimmun⸗ gen anzuwenden. | 8.75.

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 327

Gr,

Die Staatsklugheit iſt jederzeit Br, fuͤr den vornehmſten Theil der Politik heit. gehalten worden. Der Regent iſt vollkommen vers bunden, den Staat vor allen feindlichen Anfaͤllen, und vor innerlichen Zerruͤttungen zu bewahren. Wenn es nicht dieſe Abſichten ſchon erfordern: ſo iſt er doch als Vater des Volks verpflichtet, alle Buͤr⸗ ger ſeines Staats ſo gluͤcklich zu machen, als es ihm nur möglich iſt. In dieſen beyden Abſichten verei⸗ nigen ſich die Bemuͤhungen des weiſen Regenten, und in beyder Bewerkſtelligung beweiſet er ſeine Klugheit. Wenn ich es auch hier wagen darf, ei⸗ nige Grundzuͤge frey zu entwerfen: ſo ſcheinen mir folgende Saͤtze weder unrichtig noch ungewiß.

1) Der Regent muß vor allen Dingen feine Unterthanen uͤberzeugen, daß er das wirklich iſt, was er ſeyn ſoll; Herr und Vater. Denn auf dieſe Ueberzeugung gruͤnden ſich Ehrfurcht und Liebe bey dem Volk, die groſſen Triebfes federn der Regierungskunſt. Sich Ehrfurcht zu erwerben, muß der Regent ehrwuͤrdige Eigen⸗ ſchaften zeigen, ſonderlich Einſichten in die Ver— dienſte und ein ernſtliches Bemuͤhen dahin zu ſehen, daß es einem jeden in dem Staat nach feinen Verdienſten ergebe. Sich beliebt zu mas | 4 chen,

328 dweyte Abtheilung.

chen, muß er ſein Volk uͤberzeugen, daß er einen jeden Unterthan, als Unterthan betrachtet, liebe, und mehr liebe, als einen Fremden, der nur glei⸗ che Verdienſte hat.

2) Die Stimme des Volkes muß ihm hei⸗ lig ſeyn, und vor ſeine Ohren kommen koͤnnen.

3) Er verſaͤume die Gelegenheit nicht, einen nothleidenden Rechtſchaffenen zu helfen. Dies

wird ein eifriger Herold ſeiner Tugenden wer⸗ den.

4) Gleiche Neigung gegen alle Staͤnde; kei⸗

ne Verachtung gegen niedrige oder vom Hof ent⸗ fernte Verdienſte.

5) Huld und Freundlichkeit ſind einem Fuͤr⸗ ſten ſo gut, als eine Goldgrube.

Es wird freylich auch hier falſch gemuͤnzet; nnd ſtatt baarer Bezahlung manchmal eine gnaͤdige und allergnaͤdiaſte Verſicherung gegeben. Dergleichen Gna⸗ denbezeiaungen, ſagt ein neuerer Schriftſteller, find als⸗

dann wie die Billets; ſie verliehren ihren Werth, wenn ſie nicht bald ausgeloͤſet werden.

6) Auch der geringſte ſoll glauben, daß der Regent für ihn Vater ſey, und der größte ſoll nicht vergeſſen koͤnnen, daß er auch fuͤr ihn Heer ſey.

7) Dem Hof reelle Beſchaͤftigung, und dem Bauer gehoͤrige Ergoͤtzlichkeiten.

Wie,

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 329

Wie wenn ein jeder Hofmann fo ein Schutzherr über einem Diſtriet des Landes wäre, wie die Nom. Raths⸗ herren; die es meiſt von denjenigen Provinzen waren, in denen fie einmal Statthalter oder Landpfleger gewe⸗ ſen waren? Es waͤre immer eine ſchoͤne Rolle, das zu ſeyn, was die Heiligen der katholiſchen Kirche vorſtel⸗ len Der Misbrauch, der ſich hierbey einſchleichen koͤnn⸗ te, wuͤrde, meines Erachtens, dem Nutzen nicht gleich kommen, der fuͤr das ganze Land daraus erwachſen muͤßte, wenn ein jeder Unterthan feinen Mann bey Hof haͤtte, und jeder Unterbeamte ſeinen Aufſeher an der Seite des Fuͤrſten. In Ermangeluna der Tugend, würde der Trieb der Ehre ſich geſchaͤftig ermeifen, vielleicht deſto geſchaͤftiger erweiſen, je uneigennuͤtziger dieſer Schus ſeyn muͤßte. Denn nur die Hofnung durch die dabey erwieſene Redlichkeit das Zutrauen des Fuͤrſten und des Landes ſich zu verdienen, dürfte die Belohnung davon ſeyn.

§. 76.

8) Ein weiſer Regent hat die Fortſetzung. Tugend und Religion der Buͤrger zum haupt⸗ ſaͤchtichſten Augenmerk. Eine alte Regel, die oft genug, und auf allerhand Art geſagt wor⸗ den iſt, und noch immer geſagt zu werden ver⸗ dient.

Point de Dieu, point de Roi: ſoll einer der witzig⸗ ken und unverſchaͤmteſten Religions⸗Spoͤtter unſerer Zeiten einmal geſagt haben. Wenn ſie es nicht alle ſagen: fo beweiſet doch ihre Aufführung, daß fie fo den⸗ ken. Die Sache bringt es auch nicht anders mit ſich.

9) Iſt dann alſo der Luxus einem Staate gut? Wenn es nach dem, was Montesquieu, 5 Brown,

330 - Zweyte Abtheilung.

Brown, Helvetius und Moſer auf dieſe Frage geantwortet haben, einen jungen Philo. ſophen noch erlaubt iſt, ſein Wort auch dazu zu geben: ſo duͤnkt mich, daß ein Staat, in wel⸗ chem Schwelcherey und Ueppigkeiten herrſchen, einem Menſchen gleiche, welchem, wegen des verdorbenen Zuſtandes ſeiner Eingeweide, zur Zeit der Verdauung eine auſſerordentliche Roͤ⸗ the ins Geſicht ſteiget. Die Aerzte halten eis nen ſolchen Zuſtand fuͤr ſehr gefaͤhrlich.

10) Daß ein Regent die Kunſt die Menſchen zu kennen vorzüglich verſtehen muͤſſe, iſt offen— bar. Er muß die Ausführung feiner Abſich⸗ ten groſſen Theils andern überlaffen, Und vor ihm ſucht man ſich am meiſten zu verſtellen. Wie viel hat er nicht gewonnen, wenn er zween rechtſchaffene Männer ſich zu Vertrauten ges macht hat! Ehe er dieſes hoffen kann, muß er ſchon genugſam bewieſen haben, daß er der Wahrheit ins Geſicht ſehen koͤnne, wenn ſie auch nicht mit der gefaͤlligſten Mine erſcheinet; und daß er ihre Stimme gerne hoͤre, wenn ſie auch nicht harmoniſch zu dem Ton der Schmeicheley geſtimmt iſt. Er muß durch harte Strafen zei⸗ gen, daß man dem Fuͤrſten am allerwenigſten ſchmeicheln ſoll. Hat er das Gluͤck erlangt,

zween rechtſchaffene und verſtaͤndige Maͤnner, oder

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 331

oder auch nur einen, zu ſeinen Vertrauten zu machen: ſo ſollen ſie zwar aller der Erkennt— lichkeit theilhaftig werden, die ſie verdienen; aber er ſoll nicht aufhoͤren Regent zu ſeyn. Er fol durch fie das Land regieren; aber er foll fie regieren: folglich weder uͤber den Ergoͤtzlichkeiten, die ſie ihm verſchaffen, ſeine Hauptabſicht ver⸗ geſſen, noch ihnen alleine ſo ſehr trauen, daß kein anderer ohne Gefahr wider ſie zeugen kann.

. IR as |

Ich habe in den vorhergehenden $$ S ohne Zweifel zu viel und zu wenig ge: 3 ſagt; wenn man fie als einen Grundriß der Staats: kunſt anſehen will. Aber dies ſollen ſie nicht ſeyn. Sondern nachdem ich einmal den Ort bezeichnet, an welchem fie in dem Feld der Wiſſenſchaften ſte⸗ het: ſo habe ich nur verſucht, diejenigen, welche ich anfuͤhre, einige Blicke in das Innere derſelben thun zu laſſen; und zwar auf der Seite, wo der Philo⸗ ſoph am leichteſten hinzukommen kann. Aber es giebt auch für den Bürger im Staat beſondere Regeln der Klugheit.

1) Er muß fein Beſtes zu befördern bedacht ſeyn, auf diejenige Art, welche bey der Verfaſ⸗ ſung des Staates, in dem er ſich befindet, die ſicherſte und leichteſte iſt.

| 2) Er

332 dweyte Abtheilung.

2) Er muß alſo den Werth der Verdienſte

in dieſer Beziehung kennen; immerwaͤhrende und jetzt geltende Verdienſte zu unterſcheiden, und, indem er ſich um jene hauptfächlich bewirbt, ihnen, im benoͤthigten Fall, den Modeanſtrich zu geben wiſſen.

3) Er muß die Verhaͤltniſſe der Staͤnde in ſeinem Lande beobachten; und jedem ſich auf der gehoͤrigen Seite, und auf die gehoͤrige Art, zeigen.

4) Er muß wiſſen, wenn es gut iſt, ſich ſe⸗ hen zu laſſen, und wenn es rathſamer iſt, verbor⸗ gen zu bleiben.

5) Ueberhaupt aber dahin trachten, daß man ihn nicht fuͤr ein unnuͤtzes Mitglied des Staa⸗ tes halte.

§. 78.

Kluaheit in Jedr Geſellſchaft, jedes Alter, jede beſonderen . Verbindun⸗ Lebensart hat ihre beſondere Klugheit er noͤthig. Man muß den Geiſt der Ge⸗ ſellſchaft, zu der man insbeſondere gehoͤrt, und dann die Glieder, die das ganze hauptſaͤchlich in Bewegung ſetzen, erforſchen: fo werden ſich die alle gemeinen Klugheits Regeln leicht darnach beftims men laſſen. Soll ich es noch einmal kurz zuſam⸗ men faſſen; ſo ſage ich: Man muß ſich, ſo viel

als

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 333

als möglich, unabhangig zu machen wiſſen, ohne dieſes merken zu laſſen; und ſich der Geſellſchaft wichtig machen, ohne ihr beſchwehrlich zu ſeyn; Verdienſte und Gefaͤlligkeit vereinigen. Dann muß man die Verhaͤltniſſe auf beſondere Glieder aus dem Standpunkt, in welchem man ſich befins det, abmeſſen, um die gehörige Aufführung ges gen fie annehmen zu koͤnnen.

Mehr iſt zu meiner gegenwaͤrtigen Abſicht nicht noͤthig. Und ich beſchlieſſe hiermit den Grundriß der philoſophiſchen Wiſſenſchaften; welchem ich nur dies Urtheil der Kenner wuͤnſche, daß er einen Vor⸗ ſchmack beyzubringen geſchickt ſey.

Man kann alſo von der Klugheit eines Hofmanns⸗ eines Soldaten, eines Gelehrten, eigene Buͤcher ſchrei⸗ ben. Aber eine geſunde Vernunft findet ſich leicht in die beſondern Faͤlle, wenn ſie durch allgemeine Regeln gebildet worden iſt. Und ein bloͤdſinniger Kopf wird durch alle Klugheitslehren vor der Uebermacht der Fei⸗ nern nicht geſichert werden. Von der Politik der Ge⸗ lehrten haͤtte ich vielleicht ein paar Worte ſagen ſol⸗ len. Aber wie leicht haͤtte es heiſſen koͤnnen, daß ich

aus der Schule ſchwatzte? Es waͤre alſo

wider die Klugheit geweſen, es zu thun.

* * Geſchich⸗

334 Sweyte Abtheilung.

Geſchichte der praktiſchen Weltweisheit.

8 * 3 Korn . Wenn ich mir die Menſchen ohne ſchen Be⸗ göttlichen Unterricht, und mit unent⸗ e wickelter Vernunft, gedenke: ſo getraue ich mir diejenigen Grundſaͤtze, auf welchen die Lehr⸗ gebaͤude der moraliſchen Wiſſenſchaften beruhen, gleichfalls nicht anders, als ſehr unentwickelt, unbe⸗ ſtimmt und unvollſtaͤndig, bey ihnen zu vermuthen, Der Gedanke von den goͤttlichen Eigenſchaften und Abſichten ſo wohl, als die Erkenntniß des eigenen wahren Beſtens in der Verbindung mit dem Gan⸗ zen, ſetzet weit mehr voraus, als ich bey ſolchen Mens ſchen, derglelchen ich mir gedenke, und wovon die Wilden Beyſpiele ſind, annehmen duͤrfte. Aber der maͤchtige Trieb der Selbſtliebe muſte ſich doch bald in verſchiedenen Regeln aufloͤſen, zu denen er die Verbindlichkeit enthaͤlt. Er floͤſte den Men⸗ ſchen Furcht vor dem Maͤchtigern und Liebe ge⸗ gen die Wohlthaͤter ein. Er konnte den Haupt⸗ grundſatz der Gerechtigkeit: Was du nicht willſt, daß dir die Leute thun ſollen, das thue ihnen auch nicht, nicht lange verborgen laſſen. Und viel⸗ leicht be ordert er ſelbſt den heiſamen Gedanken eines allwiſſenden, guͤtigen und gerechten Beherr⸗

ſchers

get dieſe Vermuthungen; ob ſie gleich

en wird es wohl richtig ſeyn, daß die Politik,

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 335

ſchers der Welten; welchen die Vernunft zwar zu denken weſentlich beſtimmt iſt, den fie aber doch nach dem Maaß ihrer erworbenen Kenntniſſe, und nach

Veranlaſſung der Umſtaͤnde denkt. |

SEN Die Geſchichte der Völker rechtferti⸗ FE ie die Kindheit der menſchlichen Vernunft in der dun⸗ keln Ferne der erſten Jahrhunderte verbirgt. Da, wo die ſichern Nachrichten von den Denkarten der Völker anfangen, finden wir auch, daß, neben dem eigenen Vortheil, die Furcht vor den Goͤttern, und die Ehre, bald die maͤchtigen Triebfedern bey den menſchlichen Handlungen waren, die ſie noch ſind; Triebfedern, die nahe genug bey der Selbſtliebe ſind, um ſie in Bewegung zu ſetzen; und deren ſich diejenigen geſchickt zu bedienen wußten, die in dem Wachsthum der Menſchheit ſo weit voraus waren, daß ſie Erfinder, Geſetzgeber, Eroberer, oder alles dieſes zugleich werden konnten. Waren einige Vor⸗

zuͤge genug, um als Gott angebetet zu werden;

wie leicht muß es in dieſen Zeiten geweſen ſeyn, den Menſchen ſeine eigene ſittliche Begriffe mitzuthei⸗ len; wenn einer die Lage der Dinge und die Na⸗ turtriebe nur einigermaſſen gekannt hat? Und in

die

336 Sweyte Abtheilung.

die Mutter der moraliſchen Wiſſenſchaften iſt. Die Staatsverfaffungen geben den Menſchen eine Menge Begriffe und Ausſichten, wodurch die bie» herige Denkungsarten geändert, erweitert, beſtimmt wurden. Und die Gluͤckſeligkeit des Staats erfor⸗ derte gleichfalls, daß den Buͤrgern nicht nur Geſe⸗ tze gegeben, ſondern daß ihnen auch noch andere moraliſche Grundſaͤtze eingepraͤgt wurden, welche die Geſetze theils unterſtuͤtzen, theils ergaͤnzen muͤſſen. Die Art des Unterrichts war nach der Beſchaffen⸗ heit der Umſtaͤnde eingerichtet. Bald war es eine Fabel, bald ein Gedicht, bald eine Geſchichte, bald ein Orakel, bald eine Rede bey einer feyerlichen Ges legenheit, welche das Volk mit einem neuen Denk ſpruch, mit einem neuen Stuͤck der Sittenlehre bes kannt machte.

3. Als bey den Griechen die philoſophi⸗ me. fche Erkenntniß ausgebreitet und beſtimmt genug wurde, fieng man auch hier an, die Wahr⸗ heiten in ihrer Verbindung zu denken, und erſt eini⸗ ge Stuͤcke der Moralphiloſophie, dann den ganzen Umfang derſelben im Zuſammenhang vorzutragen. Pythagoras gab von der Tugend ordentlichen Un. terricht; und die pythagoriſchen Denkſpruͤche vers dienen goldene genennt zu werden. Die Verdienſte des

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 337

des Sokrates um die Sittenlehre beweiſen die vortreflichen Schriften feiner Schüler, eines Keno— phon, Aeſchines, Cebes und Plato. Und jes tzo trat keine Secte mehr auf, die” dieſen Theil der menſchlichen Kenntniſſe nicht beſonders bearbeitete. Das Eigene der Cyniker, Stoiker und Epiku⸗ raͤer iſt aus der Geſchichte dieſer Secten bekannt. Ariſtoteles wurde auch hier der Vater des Sy⸗ ſtems. Er ſieng an abzutheilen, und ſchrieb eine Ethik, eine Politik und eine Oekonomie. Aber er zeigt deutlich genug an, daß er alles auf das buͤrger⸗ liche Leben beziehe, und die Ethik als einen Theil der Politik betrachte. S. Hollmann in den Proleg. Phil. pract. gen. p. 24. Bey den Roͤmern fand die Moral des Epikurs, noch mehr aber die Stoi⸗ ſche Beyfall. Von dieſer haben Cicero, Anto— nius und Epiktet trefliche Denkmale hinterlaſ⸗ fen. Die Kirchenvaͤter und die Scholaſtiker haben Schrift, Weltweisheit und Schwaͤrmerey meiſt wunderlich durch einander gemengt. Die uͤbrigen wenigen erleuchteten Nationen haben doch oft diejenigen, die ſich geſittete nennen, durch Recht⸗ ſchaffenheit übertroffen, wenigſtens mit vielen La⸗ ſtern keine Bekanntſchaft gemacht, die bey dieſen zur Mode wurden. '

9 9.4

338 öweyte Abtheilung.

§. 4. 5 Beſchaffen? In dem Syſtem der praktiſchen Phi⸗ heit des Sy⸗ ar 4 8 ſtems bis auf loſophie in den alten und mittlern Zei⸗ ee ten iſt der Unterſchied der Pflichten, nach welchen anitzo die Abtheilung der moraliſchen Wiſſenſchaften gemacht zu werden pflegt, nicht ſorg⸗ faͤltig genug bemerkt worden. Hingegen findet ſich die Unterſcheidung des juſti, honeſti und decori in demſelben. Und im Grund wuͤrde es auf eines hinauslaufen, wenn man nur dieſe Begriffe beſtimm⸗ ter gemacht, und gewiſſere Grenzſcheidungen ange⸗ geben haͤtte. Aber dieſe Schwierigkeit bleibet bey jeder Abtheilung hier und da noch immer uͤbrig.

9. 5. upunsder Es haben zwar die alten Philoſo⸗ Wiſſenſchaft phen ſich oft auf das Recht der Natur der Not. und auf die natürlichen Geſetze beruf⸗ fen; und wie haͤtten ſie auch ſonſt die Grundſaͤtze der Vernunft von der Sittlichkeit der Handlungen nennen ſollen? Aber es war in dem Lehrbegrief der⸗ ſelben Verwirrung und Grundloſigkeit. Bald nach der Kirchenreformation erſchien der Zeitpunkt, in welchem dieſer Theil der praktiſchen Philoſophie be⸗ ſonders bearbeitet wurde. Hollmann ſetzt den Jo. Oldendorp an die Spitze derjenigen Maͤn⸗ ner, die ſich um die erſte Ausbildung der natüuͤrli⸗

chen

Grundriß der vornehmſten Theile 2c. 339

chen Rechtsgelehrſamkeit verdient gemacht haben, einen deutſchen Juriſten, den man in der Geſchichte dieſer Wiſſenſchaft bisher vergeſſen hatte. Nic. Hemmingius, Alb. Gentilis und Benedict. Winkler wagten auch Verſuche. Aber ein Hugo Grotius mußte nothwendiger Weiſe mehr Auf: ſehen machen; obgleich heut zu Tag die meiſten dafuͤr halten, daß in ſeinem Buch mehr Gelehrſam⸗ keit, als phüloſophiſche Prüfung und Methode herr⸗ ſche. Unterdeſſen wurde es der Grundtext, über welchen der Haufe der Gelehrten mit mehr oder mea niger Verdienſt commentirte. Nur Jo. Selden und Thomas Hobbes ſchuffen noch eigene Lehr⸗ gebaͤude. Letzterer mit mehr Genie; die Welt war aufmerkſam auf ihn; aber mehr zum Tadel als zum Beyfall. Auch Wilhelm, der Bruder des Hugo Grotius, verdient unter der Menge der Commentatoren unterſchieden zu werden, indem er dem Grundriß der natuͤrlichen Rechtsgelehrſamkeit mehr ſyſtematiſche Form gegeben, wiewohl er ſonſt weit unter ſeinen Bruder bleibt.

§. 6.

Samuel v. Pufendorf macht eine Alena, Epoche in der Geſchichte des Rechts der Natur. Durch ihn wurde es philoſophiſcher und vollſtaͤndiger, und er wurde ſelbſt der erſte oͤffentliche

Y 2 Lehrer

f

349 Zweyte Abtheilung.

Lehrer deſſelben in Deutſchland. Faſt iſt er ein Märtyrer feiner Einſichten geworden. Die Ges ſchichte wird einen Val. Alberti und einen Bec⸗ mann nennen, wie ſie einen Gilb. Voetius, und einen Joach. Lange nennt, und die Verdienſte raͤchen. Fuͤr Pufendorfen bliebe der Beyfall nicht lange unentſchieden. Er wurde jetzt der claſ⸗ ſiſche Schriftſteller, wie es bisher Grotius war, und man that ſeinen Schriften eben die Ehre an, die man dem Buch von dem Recht des Kriegs und des Friedens erwieſen hatte.

Unter der Parthey des Pufendorfs war Chri— ſtian Thomaſius nicht blos Nachfolger, ſondern auch Erfinder. Nur konnte er mit ſich ſelbſten nicht recht einig werden. Unterdeſſen hat er hier und da Licht verbreitet.

83 7 Aeſon ee. Die Eklektiker der neuen Zeiten gen. haben es für ihre Pflicht erkannt, den moraliſchen Wiſſenſchaften ihre beſondern Grenzen zu geben; und Natur- und Voͤlkerrecht, Politik und Tugendlehre nicht mehr untereinander zu mengen; wiewol fie die Grenzen nicht auf einerley Weiſe an⸗ geſetzt haben. Recht der Natur, Sittenlehre, Mo⸗ ral bleiben noch immer vieldeutige Namen. Un⸗ terdeſſen ſind alle Mh Wiſſenſchaften mit größtem

Fleiß

\

Grundriß der vornehmſten Theile ꝛc. 341

Fleiß bearbeitet worden; auf ſo vielerley Art und in ſo mancherley Formen vorgetragen worden, daß man lange davon zu reden haͤtte, wenn man alles an⸗ fuͤhren wollte, was einigermaſſen davon merkwuͤr⸗ dig waͤre. Wolf hat ſich durch die Weitlaͤuftig⸗ keit, durch den ſcientiſchen Vortrag, und durch die Abſonderung eines beſondern Theils, den er allge» meine praktiſche Philoſophie nennt, in dieſen Wiſ—⸗ ſenſchaften unterſchieden, und iſt hier, wie in ſeiner uͤbrigen Philoſophie, von einigen beſtritten, von andern zum Anfuͤhrer erwaͤhlt worden. In der beſondern Geſchichte des Staatsrechtes koͤnnen die Machia⸗ velliſten und Monarchomachi nicht unberuͤhrt bleiben. Im Naturrecht hat Schmaus Auſſe⸗ hen erregt: und das Syſtem der Gefuͤhle, welches Hutcheſon bekannt gemacht hat, herrſcht jetzo faſt durchgehends in den Schriften der Sittenlehrer: doch hat auch die Epikuriſch⸗Lockiſche Philoſo⸗ phie, oder wie man ſie nennen will, noch Anhaͤnger von Anſehen und von Verdienſten. Und der Nachtrab, den Horaz definirt, iſt leys der groß genug.

4. 0 4.

Y 3 Drit⸗

94 Dritte Abtheilung. Dritte Abtheilung.

Beytrag zur philoſophiſchen Buͤcherkenntniß.

§. I. | a Es folgt nunmehr das letzte Stuͤck lung. dieſer philoſophiſchen Encyklopaͤdie, die

Einleitung zur philoſophiſchen Buͤcherkenntniß. Oef⸗ ter als einmal bin ich Willens geweſen, dieſes Stuͤck gar weg zu laſſen: ſo viele Schwierigkeiten habe ich dabey gefunden. Aber es iſt zu weſentlich für meine Abſicht. Soll ich denn alſo überhaupt einen Entwurf zu einer philoſophiſchen Bibliothek machen? Wohin wuͤrde mich dieſes fuͤhren? Und warum ſollte ich auch den Fabricius, Stolle, Strub, Stockhauſen, oder wohl gar einen Rei⸗ mann und ELipen ausſchreiben; wovon doch einer oder der andere auch in den Haͤnden der Anfaͤnger ſeyn muß?

Ich ſchrenke mich auf den Zeitraum von 1740. in welchem Jahr Struvens Bibliothek von Kahle wieder herausgegeben worden iſt, bis 1767 da ich dieſes ſchreibe, ein. Doch auch unter dieſer Einſchrenkung verſpreche ich noch nichts vollſtaͤndi⸗ ges. Manches laſſe ich mit Fleiß weg; manches kann n mir unbekannt ſeyn, oder aus Vergeſſenheit

ent⸗

Beytrag zur philoſ. Buͤcherkenntniß. 343

entwiſchen. Und wo ſollte ich bey der Nalurlehre und Moral die Grenzen ſetzen?

Ich werde Schriften nennen, die mir entweder wegen ihrer Guͤte, oder wegen ihres Verfaſſers oder eines andern beſondern Umſtandes merkwuͤrdig ſcheinen; Buͤcher, die in dieſem Zeitraum entwe⸗ der zuerſt erſchienen, oder wieder aufgelegt worden ſind. Ich hoffe meine Abſicht, Anfaͤngern in der Philoſophie nuͤtzlich zu ſeyn, auch hier nicht ganz zu verfehlen. Verbeſſerungen und Zufäge werden ſich in den Vorleſungen leicht machen laſſen.

ö. 2.

Ich mache den Anfang mit der phi— 7 loſophiſchen Hiſtorie; und ich freue ſcache. mich, daß ich an die Spitze dieſes Buͤcherverzeichniſſes ein Werk ſetzen kann, das unſerem Vaterland und Jahrhundert ſo viel Ehre macht.

Iac. Brucker. Hiſt. crit. philoſophiae V. tom. 4. ed. pr. Lipf. 242. 44 wird jetzt aufs neue aufgelegt.

Eiusd. Inſtitutt. hift. philoſ. Lipſ. 756. sm,

- - Mifcellanea hift. philoſ. Ien. 748,

Hiftoire des philoſophes modernes, par M. Sa. verien. Paris. Der ste Band iſt im Mercure de France bereits angekuͤndigt.

Hiſtoire de l' Eſprit humain, par M. le M. d' Ar- gens. Der 2te, zte und 4te Theil beſchaͤftiget ſich mit den Philoſophen.

9 4 Ex-

344 Dritte Abtheilung.

Extrait du dictionaire de Bayle Berl. 265. 2 voll. Sm. I. E. Schubert Hift. philoſoph. Ien. 748. i

* * * * * K * *

Die Sitten der Wilden von J. Kraft. Kop. 766.8. Hiſtorie des Himmels, darinnen vom Urſprung der Abgoͤtterey ꝛc. gehandelt wird. 764. 2 Th. in 8. (aus den Franz. des Abts Pluͤche.) Hiſtorie de la philoſophie eee à Paris 742. 3 voll. 12. Hiſtoire critique de IEelectiſme ou des nou- veaux Platoniciens. à Paris 766 in 12. Eloge de Rene Deſcartes par M. Thomas, di- ſcours, qui a remporté le prix de l'acadẽmie Franqcoiſe 1764. 128. S. in 8. Es ſind uͤber die: ſen Gegenſtand damals verſchiedene, und ſelbſt von Frauenzimmern Abhandlungen herausge⸗

kommen.

Pi * 24 *# * %

Ch. E. von Windheim, ene der Welt⸗ weiſen von 1700.50. 6 ‘Bände 8.

- - Philoſophiſche Bibliothek 9 B. Hanov. 75057.

Jenaiſche philoſophiſche Bibliothek unter der Auf⸗ ſicht des Hrn. H. Darjes. Jen. 759. f.

Kritiſche Nachrichten von den neueſten Schriften fuͤr die Liebhaber der Philoſophie. Jen. 762.

«„ ** *

Diogenes Laertius de Vitis &c, graecorum philo- opho-

Beytrag zur philoſ. Buͤcherkenntniß. 345

fophorum. edit. Meibom. Amſterd. 1692. 4. Longol. Lipſ. 758.2 tom. 8. |

5.

Schriften, die unter einem Tittel u mehrere Theile der Weltweisheit abhan- deln; oder ſich wenigſtens auf mehrere beziehen, und nicht fuͤglich zu einem insbeſondere koͤnnen ges rechnet werden, ſollen hier beyſammen ſtehen. Verulamii Opera. Lond. 240. 4 voll, fol. Eine neue

Ausgabe curis Klotziz iſt verſprochen. Oeuvres philoſophiques de M. de Leibnitz avec

une preface de M. Kaeſtner Lipf. 765. 4. Ebend. Kleine philoſoph. Schriften. Jen. 740.

a * * A * * X * *

J. B. Baſedow Phialethie. Alt. 764. 8. - - Spftem der gefunden Vernunft. 765. La philofophie du bon fens par M. le Marquis d' Argens. Dresd. 754. deutſch Breßl. 756. 8. Philoſophia ad guſtum moderni ſeculi elaborata. I. I. Hentſchii philoſophia mathematica. 756-57. 2 vol. 8. Zieglerin Grundriß einer W. W. für das Frauen zimmer. 767. Erneſti Initia doctrinae folidioris Lipſ. 734. 748. Gottſcheds Erſte Gruͤnde der geſammten W. W. Leipz. 734. 756. Thumigii Inſtitt. philoſ. Wolf. 725. 740. 8. N 5 Winck-

346 Dritte Abtheilung.

Winckler. Inſtitt. philoſoph. Wolf. 735. 742. 8.

I. F. Stiebritz. Philofophia Wolf. contrada, Hal. 744. 45.2 vol. 4. f

Formey Elementa philoſ. Wolf. Berl. 746.

Melanges philofophiques. 754. 8.

- - PhilolepheChretien, a Leide 755. 4 voll, 8. deuſch 759. | | .

- - Philofophe Payen, ou penfees de Pline avec un Commentaire litteraire et moral. ä Leide 759. 3 voll. 8.

La belle Wolfienne à la Haye 741. 2 voll.

Maſſuet Elemens de la philoſ. moderne. 752. 12.

Baumeiſter Elementa philoſ. recent. Lipſ. 255.

- philoſophia definit.

philof. recens controuerſa.

S. Ch. Boͤhms Erſte Anfangsgründe der philoſ. Wiſſenſchaften. Ulm 757.

Ahlwards Einleitung in die Philoſ. 752.

I. Th, Hiller, Curriculum philoſoph. 260.

* * * * * * *

2 * I. Th. Canzii. Uſus philoſ. Leibniz. et Wolf. in Theolog. 737. 749. 2 tom. 8. |

Darjes philoſophiſche Nebenſtunden.

Helvetius de EEſprit à Paris 258. 3. tom, 8.

Thomas Abbt vom Verdienſt.

Uues philofophiques par M. Premontval à Berl. 76. 2 tom. 8.

Melanges de M. d' Alembert. à Paris 752. 2 voll. In I2,

Theorie des fentimens agréables Lond. 750; 12.

Theo⸗

Beytrag zur philoſ. Buͤcherkenntniß. 347

Theorie der angenehmen und unangenehmen Em⸗ pfindungen von J. G. Sulzer. 762. 8.

Diſſertation qui a remporte le prix propofe par I Academie de Pruſſe fur Pinfluence reci- proque du langage fur les opinions et des opinions fur le langage. a Berlin 760. 4

Traité de la formation mechanique des ki

et des principes phyſiques de J etymologie. Par. 765. 2 voll. 12.

Iac. Carpouii Meditatt. de lingua ejusque perfe- Ctione. Ien. 742. Vindiciae 744. f Pruͤfung der Secte, die an allem zweifelt. Goͤt. 751. Le pyrrhonifine raiſonnable. à Berl. 755.

Le philofophe dithyrambique, par le R. P. Fide- le de Pau. à Paris 766. 12.

Le philoſophe ignorant. 766.

J. F. Meiers Abbildung eines wahren Weltwei⸗ ſen 762.

- = Deyträge zu der Lehre von den Vorurthei⸗ len des menſchlichen Geſchlechts. 766. Philoſophiſche und patriotiſche Traͤume eines Men⸗ ſchenfreundes. Zuͤrch 758. 8

Krüugers Träume. 758.

Iſelins philoſophiſche und polit. Verſuche. Si 760. 8

Philoſophiſche Schriften. Berl. 751. 2 Th. 8.

Huart Pruͤfung der Koͤpfe zu den Wiſſenſchaften, aus dem Spaniſchen von Leßing uͤberſetzt. Wit. 732. Franz. Amſt, 1672. 12.

5 Ch. Kbr⸗

348 Dritte Abtheilung.

Ch. Koͤrbers Verſuch von Ausmeſſung menſchli⸗

cher Seelen. Hall. 745. 3 Th. Lettres philoſophiques ſur les phyfiognomies. a la Haye 746. 8.

H. Home Grundſaͤtze der Critik in 3 Th. aus dem Engl. uͤberſetzt. Leipz. 763.

Vermiſchte Beytraͤge zur Philoſophie und den ſchoͤ⸗

nen Wiſſenſchaften. Bresl. 762. f.

Geſchichte des menſchl. Verſtandes. 764.

Walchs philoſoph. Lexicon. Leipz. 740.

Neues philoſ. Wörterbuch. ıfler B. 766.

* * * E x * * * *

Oeuvres du philofophe de Sans - Souci à Potsd, 769. E.

Oeuvres du philofophe bienfaiſant. §. 4.

Zur Logik. Wenn dieſer Zeitraum auch keine neue

gute Logik geliefert hätte, als des Hrn. Lamberts

Neues Organon: fo wäre er ſchon merkwuͤrdig ge⸗

nug. Sonſt find folgende wieder aufgelegt, oder

zum erſtenmal gedruckt worden.

Lock de intellectu humano. ıfte engl. Ausg. 690. lat. 691. franz. 700. verbeſſert. 729. wieder lat. Lipſ. 741. deutſch. 757. 4.

Ch. v. Wolf vernünftige Gedanken ꝛc. find 770. zu⸗ erſt herausgekommen, ins Lat. Ital. Franz. uͤber⸗

fest,

Beytrag zur philoſ. Buͤcherkenntniß. 349

ſetzt, und oft aufgelegt worden; die groſſe lat. Logik, meines Wiſſens, ſeit 732 nicht mehr.

Lamberts Neues Organon. Leipz. 764. 8.

Hollmanni Logica. Goet. 746.

Crufius Weg zur Gewißheit und Wahrſchenichket.

Darjes Introd. in artem inueniendi.

- Via ad veritatem, 76.

G. F. Meyers Vernunſtlehre. Halle 762. Auszug daraus 752.

Reuſchii Syſtema Logicum. Ien. 734. 250; emen- dat. a Polzio 700. ie

Coruini Inſtitutt. philoſ. rat.

Alex. G. Baumgarten. Acroaſes Logicae.

Reimarus Vernunftlehre. dritte Aufl. 766.

D. J. Watts Vernunftlehre, aus dem Engl. uͤber⸗ fest von J. Callenbuſch, Clev. 766. 8. Engl. Lond. 731. 3

Conr. Eberth Elementa logicae eclfticde 763 4.

I. A. Segner Specimen Logicae vniuerſaliter de- monſtratae. Ien. 741.

Waldini Nou. Log. Syftema methodo Euclidea

compoſitum. len. 766. 8.

Ahlwardts Gedanken von den Kraͤften des menſch⸗

lichen Verſtandes.

M. Knuzen,. Elementa philof. rat. Reg. 748.

And. Boehmii Logica, Francof. 762.

8. Ch. Boehmii mr: doctrinae de intell. hun. . Logica theoret. Stet. 766. 8.

I, N Free i Logica Wolfii in compendium re-

dacta,

350 Dritte Abtheilung.

1 cum lexico log. et bibliographia log.

746. 4. Baumeiſter. Inſtitutt. phil. rat.

J. A. Fabricius Vernunftlehre. Nordh. 758.

P. E. Layrizens erſte ne der Ver⸗ nunftlehre. Zuͤll. 755.

H. F. Kahrels Denkkunſt. Herb. 755.

Ch. F. Eſchenbachs Logik oder Denkungs⸗Wiſſen⸗ ſchaft. 756. 8”.

I. E. Gunner. Ars Heuriſtica intell. Lipſ. 756. 8.

J. Ch. Dommerichs Mnemonik und Hevriſtik. 765. * * * * * * * * *

I. E. Pfeiffer. Elementa hermeneut. vniu. Ien,

743. 8. I. F. Schneider. Methodus difputandi et conferi-

bendi diſputatt. Hal. 757. I. Caſp. Sulzer Facies noua doctrinae Mpeg, Tig. 755. 8

§. 5. fan en“ Die Begierde für die Metaphyſik zu ſchreiben ſcheint ſeit einiger Zeit abge⸗

N

nommen zu haben. Man muͤßte denn, wie man es

auch wohl thun kann, gewiſſe witzige Schriften hie⸗ her rechnen, deren Verfaſſer, in dem Modeton der Franzoſen, oder, wenn man lieber will, der Griechen philoſophiren, bald alles, bald gar nichts wiſſen, das bey immer gutes Muths ſind, und ihre metaphyſi

*

ſchen

Beytrag zur philoſ. Buͤcherkenntniß. 351

ſchen Betrachtungen hauptſaͤchlich auf diejenigen Gegenſtaͤnde richten, die fuͤr ihre Lebensart die wich⸗ tigſten ſind. Das heißt nicht ſo viel, als ob ich ſolchen Schriften meinen Beyfall verſagte, oder ih⸗ nen einen jeden ſcholaſtiſchen Philoſophen vorzöge, Aber es ſcheint anftößig zu ſeyn, wenn man fie una ter die Metaphyſiker ſetzen wollte. Oben habe ich einige davon genennt. Jetzt folgen diejenigen, die beſonders hieher gehören.

Chriſt. v. Wolf lat. und deutſche metaphyſiſche Werke.

G. B. Bilfinger. Dilucidationes philoſoph. Tub. 725. 746. 4.

- - Dilucidatt, contractae. 743. 8.

de Origine et permiflione mali. ib. 743. 8.

- - de Harmonia praeltabilita. 741. 8

I. G. Canzii Meditatt. philofoph. Tub. 756. 4.

Crufius Entwurf der nothwendigen Bernunfts wahrheiten.

Darjes Elementa metaphyſ-

Hollmanni Philoſoph. prima. Goet. 247.

- I nſtitutt. pneumatolog. 741.

Reufchii Syſtema metaphyf. 253.

G. F. Meiers Metaphyſik. Halle 750.59. 4 Th. gm.

Verſuch eines neuen Lehrgebaͤudes von den Seelen der Thiere.

Gedanken von dem Zuftand der Seele nach den Tod. G. F.

352 Dritte Abtheilung.

G. F. Meiers Beweis, daß die Menſchliche Seele ewig lebe. Vertheidigung. Philos. Gedanken von den Wirkungen des Teufels auf der Erde.

Beweis, daß keine Materie denken koͤnne. Beweis, der vorherbeſtimmten Ueberein⸗ ſtimmung.

Gedanken von dem Einfluß der goͤttl. Vor⸗ ſehung in die freyen Handlungen der Menſchen.

Gedanken von der Religion.

Al. Gottl. Baumgarten Metaphyfica, 1763.

God. Ploucquet. Fundamenta philof, Speculatiuae, Tub. 758. 8.

Principia de fubflantiis et phaenomenis, vna cum noua methede calculandi in Logicis, Tub. 754 8.

Andr. Boehmii Metaphyſica.

I. E. Schubert Inſtitt. Metaphyſ. 262.

J. Ch. Eſchenbachs Metaphyſik oder Hauptwiſ⸗ ſenſchaft. Roſt. 757. .

I. E. Gunner. Inſtitt. metaphyſ. Hafn. 757.

C. G. Mukeri Syſteina metaphyſ. Ien. 750.

J. A. Schlettweins Metaphyſik. Jena 759.

* * * * * * * * *

Reimarus von den vornehmſten Wahrheiten der natuͤrl. Religion, dritte Ausg. Hamb. 756. Ch. W.

Beytrag zur philoſ. Buͤcherkenntniß. 353

Ch. W. F. Walchens Grundſaͤtze der natürlichen Gottesgelahrheit. Goͤt. 760. | Iac. Carpouii Elementa theolog. dogm. nat. me-

thodo ſcientiſ. Ien. 742. 4.

Iſ. Forſters Betrachtungen über die vornehmſten Stuͤcke der nat. Religion und der geſellſch. Tus gend. Jena 751 53. 2 Th.

P. Ahlwards vernuͤnftige Gedanken von GOtt und dem wahrhaften Gottesdienſte. Greifsw. 742. 8.

F. A. Walthers Grundriß der nat. Theologie.

J. A. F. Bielke Hiſtorie der natuͤrl. Gottesgelahr⸗ heit. Zelle 742. Fortſetz. 749. 4.

Kipping Verſuch einer philoſ. Geſchichte der natuͤrl. Gottesgelahrheit. 1 Th. Braunſchw. 761. Sm.

* * * + * * *k * * |

La Theodice&e de Leibniz. Amft, 734. 2 tom. Izin. 747. 2 tom. 8. dies vortrefliche Buch iſt auch ins Deutſche und Lat. uͤberſetzt.

S. Clarks Abhandlungen von dem Daſeyn und den Eigenſchaften GOttes, von der Verbindlich⸗ keit der natuͤrl. Religion, und der Gewißheit der Chriſtl. Offenbarung. Braunſchw. 756. 8.

Fenelon far Vexiftence de Dieu. deutſch. J na 760.

J. A. Schumachers Stärfe und Schwäche des atheiſtiſchen Unglaubens. Helmſt. 749. 4.

- =. Des deiftifchen Unglaubens. ebend.

Sollte Gott auch wohl verdienen, daß der Menſch | 3 Ehr⸗

|

354 Dritte Abtheilung.

Ehrfurcht vor ihm haͤtte, und ſolche oͤffentlich an den Tag legte N auch ins Franz. uͤberſetzt. Er 2

Eſſai dun Syſteme nouveau des étros fpirituels, par M. Cuenz. Neuſch. 742. 4 voll. 8.

J. N. F. Plahn Geiſterlehre. Hamb. 733. 8.

Ch. Bonnet Eſſai analytique fur les facultes ie ame. 761.4

La (piritualite m Pimmortalit€ de lame par Hayer. a Paris 757. 3 tom. 8.

Les prejuges des anciens et nouveaux philofo- phes fur la nature de lame humaine, ou Exa- men du Materialiſme par M. de Werde a Paris 765. IN-I2.

M. Knuzen von der immateriellen Natur der Seele. Koͤnigsb. 745.

de commercio mentis et corporis per in- flux. phyſ. Läpſ. 745.

J. E. Schubert Gedanken von der Freyheit der menſchlichen Seele. 763. 4.

-Von der Unſterblichkeit der Seele. 8.

Eb. Ch. Canz Beweis aus der Vernunft von der Unſterblichkeit der Seele. Tuͤb. 746. 8.

J. D. Muͤllers vertheidigte Gewißheit der Unſterb⸗ lichkeit der Seele aus der Vernunft. Frf. 747.

Neue Beſtaͤtigung. Marp. 752.

A. W. Franzens Geſchichte von der Lehre der 850 ſterblichkeit. Luͤb. 747.

- Widerlegung der Schrift Lhomme ma- chine. Leipz. 749. 1.

Beytrag zur philoſ Buͤcherkenntniß. 3535

B. L. Trales de machina et anima humana pror- ſus a fe inuicem diſtinctis. Vrat. 249.

J. F. Bertram Pruͤfung der 1 von der Praͤexiſtenz der menſchl. Seele. 741.

J. N. Seip Theorie von Ahndungen N menſch⸗ lichen Seele. Marp. 755. -

Fu 2 ar

Recueil de differtations anciennes et nouvelles fur les Apparitions, les Viſions et les Songes, par l' Engler à Paris 751. 2 voll. 8.

Gedanken von Geſpenſtern. Hall. 748. 8. nebſt der Widerlegung und e

a 5 * 1 * *

Reimarus von den Trieben der Thiere. J. H. Winklers Philoſophiſ. Unterredungen von dem Weſen der Thiere. Leipz. 745. de la Chambre Betracht uͤber die Thiere. Leipz. 757.8. Entretiens fur la natura des ames des betes. à Colm. 756. 8. J. E. Scholzens Beweis, daß es eine Seelenwan⸗ derung bey den Thieren gebe, Helmſt. 753. * x * * * * * * * Effais de Coſmolog. par M. de Maupertauit. 250. iz. Entretiens ſur la pluralitè des mondes par M. de Fontenelle. ala Haye 750. 8 Diſſertation fur l' optimiſme. 753 Sammlung der Streitſchriften über die Lehre von der beſten Welt. Roſt. 759. 8. 3 2 Diſſef⸗

356 Dritte Abtheilung.

Diſſertation ſur le prix du Syſteme des Monades.

a Berl. 748. I. Ch. Eſchenbach. Realitas monadum corp. Wiſm.

759. 8. J. F. Müllers ungegruͤndete und TR Mona- dologie. Erf. 745. 4. A. E. Reinhard von der Unendlichkeit der Welt in Anſehung der Zeit und des Raums. Leipz. 743. 8. * * * * E Ch. Fr. Polxii Commentatt;metaphyl len. 757.4. Cruſius Abhandlung von dem zureichenden Grund. 744. 766. 8 L. B. a Creua confiderationes metaphyſ. 260. 80. . ee, Von der Evidenz in der Metaphyſik. Berl. 765. 4. 8. 6. * 5 Die Naturlehre hat angrenzende Wiſſenſchaften, die ihr entweder Huͤlfe leiſten, oder den beſten Mutzen von ihr ziehen. Je- nes thun die Mathematik, die Chymie und die nat. Hiſtorie; dieſes die Defonomie und die Phyſiko⸗Theo⸗ logie. Ohne einige Kenntniß von den mathemati⸗ ſchen Wiſſenſchaften und von der nat. Hiſtorie zu haben, iſt es ohnmoͤglich in der Naturlehre fortzu⸗ kommen. Und die Anwendung ihrer Entdeckungen auf die Beförderung der Erkenntniß GOttes unter den Menſchen und die Verbeſſerung des Hausweſens giebt den Werth der Naturlehre erſt recht zu erken⸗ nen.

Beytrag zur philoſ. Buͤcherkenntniß. 357

nen. Einige Schriften von dieſen angrenzenden Wiſſenſchaſten werde ich alſo nothwendig hier nen⸗ nen muͤſſen. Aber alle, oder nur die beſten Wer⸗ ke der Mathematiker? Dies hieſſe allerdings aus. ſchweifen. Doch wenn ich nur eines nennen will: ſe muß ich gewiß die Anfangsgruͤnde des groſ⸗ ſen Mathematikers nennen, dem es gelungen iſt, die Grazien und die lachenden Muſen in das inner⸗ ſte Gebiet der Meßkuͤnſtler zu locken. Und wer foll- te nicht hierbey fuͤr ſich ſchon an den Hrn. Hofrath Kaͤſtner denken? des Hrn, Prof. Clemms mas thematiſches Lehrbuch hat einen Anhang von der Na⸗ turlehre und der nat. Geſchichte, und verdient uͤber⸗ haupt Anfaͤngern empfohlen zu werden. Die zur nat. Geſchichte gehoͤrigen koſtbaren Werke eines Jonſton, Blakwall, Ray, Tournefort, Re⸗ aumur, Gesner, Ludewig, Weinmann, Klein, Huth, Schmiedels nenne ich hier nur wie im Vorbeygehn. Hauptſaͤchlich gehören hieher Newton philof. natur. principia mathematica. Genev. 740. 4. s Gravefande Inſtitutt. philoſ. Newton. Vind. 760.8, Elemens de la philofophie de Newton par M. de Voltaire, ed. 1. Amſt. 738. 8 m. Le Newtonianifme pour les Dames traduit de Italien de M. Algarotti. à Amſt. 741. 2 tom. 8. Neutons Weltwiſſenſchaft für das Frauenzimmer.

Braunſchw. 745. 33 Pet.

358 Dritte Abtheilung.

Pet. van Muf]chenbroeck Inſtitutt. phyſicae. ed. nov. Lugd. 750. 8. deutſch vonGottſcheden Leipz. 747. 8.

Ch. von Wolf. Verſuche zur Naturlehre. it. von den Abſichten der nat. Dinge. it. Phyſica dogmati- ca, continuata atque edita auctore Hanovio. Hal. 762. 4.

G. E. Bilfinger. Elementa phyfices. Hal. 741.8.

- - Caufe veritable du flux et reflux &c. Hal. 749.

G. G. Hamberger Elementa Phyſ. ed. 1. Ien. 727.750.

J. A. Segners Einleit. in die Naturlehre. Goͤt. 754.

Nollet Legons de phyſique exper. à Amſt. 745 56. 5 voll. 8. deutſch. Frf. 749⸗5 6.

Cruſius Anleitung uͤber die natuͤrl. Begebenheiten ordentl. und vorſichtig nachzudenken. Leipz. 749.8.

Hollmanni Introd. in vniuerſ. philoſ. tom. II. Goet. 737. Primae lineae philoſoph. nat. 765. 8.

L. J. D. Suckows Entwurf einer Naturl. Jen. 761

G. W. Kraft. Praelectiones in Phyſicam theoret. Tub. 761.

J. G. Kruͤgers Naturlehre. 4te Aufl. 763. 8.

J. H. Winklers Anfangsgruͤnde der Phyſik. 754.

J. B. Eberhards Erſte Anfangsgruͤnde der Na⸗ turlehre. Hall. 759.

- - Betrachtungen über einige Materien in der Naturlehre. 757. 8.

- - Sammlung der ausgemachten Wahrheiten in der Naturlehre. 755. 8.

G. Rothens kurzer Begriff der Naturlehre zum Gebrauch der Anfänger, dritte Aufl. Leipz. 763.

+ *

Beytrag zur philoſ. Buͤcherkenntnis. 359

J. J. Scheuchzers Naturwiſſenſch. Zuͤrch 711. 748.

Pa Riblioch. ſerip. hiſt. nat. ib. 257.

And. Gordon Elementa phyſ. exper. Erf. 757. 53. 2 tom. 8m,

Pet. HorrebowElementa philof. nat. Haffn. 749. 4.

J. Ch. Zieglerin Grundriß einer Naturlehre fuͤr das Frauenzimmer. Hall. 751,

8 * ee

Neue Anmerkungen uͤber alle Theile der Naturleh⸗

re aus den engliſchen Tranſactionen ꝛc. Kopenh. 754. f. 8.

Abhandlungen der Koͤnigl. Schwediſchen Akade⸗ mie. Hamb. 8.

Phyſik. Abhandl. der Pariſ. Akademie. Berl. 762.8.

Ver ſuche und Abhandlungen der ene Geſellſch. in Danzig. 753. f. 4.

Hamburgiſches Magazin. 748. f. 8.

Selecta phylico-oeconomica, Stutg. 249.

Phyſikaliſche Beluſtigungen. Berl. 755. f.

M. Ch. Hanoys Seltenheiten der Natur und Oe⸗ konomie. Leipz. 753. f. 3 Th.

J. H. G. Juſti Neue Wahrheiten zur Naturkun⸗

de. Leipz. 755.

* * 1 * * *

L. Euler. Theoria motus corporum e f. rigidorum ex primis noſtrae cognitionis principiis ſtabilita. Roft, 765. 4.

Hales Statik der Gewächfe. Hall. 747. 4.

3 4 —-Sta⸗

360 Dritte Abtheilung.

Statik des Gebluͤts. 748. 4.

H. Kuͤhns vernuͤnftige Gedanken vom Urſprung der Quellen und des Grundwaſſers. Berl. 746.

E. Bertrand. Eſſai ſur les Uſages des Montagnes avec une lettre fur le Nil A Zur. 254. 8”.

Hauſen, Kraͤtzenſtein, Doppelmaler, Kris ger, Watz, Muͤller, Fraͤnklin, Nollet, Winkler, Boſe, Gordon, Schaͤffer, u. a. über die Elektricitaͤt.

Des Marcheſe Scipio Maffei Gedanken von den Blitzen, aus dem Ital. Frf. und Leipz. 758. 8”.

G. G. Kratzenſtein vom Aufſteigen der Dünfte und Daͤmpfe. Hall. 744. 8.

Betrachtungen uͤber die verſchiedenen Regenarten. Berl. 744. 8.

Beſchreibung und Abbildung des 740 in Sct. Pe⸗ tersburg aufgerichteten merkwuͤrdigen Hauſes von Eiß ꝛc. von G. W. Krafft. 741. 4.

Ledermuͤllers Beobachtungen der Saamenthier⸗ chen. Nuͤrnb. 756. Vertheidigung 758. 4.

Sammlung aller Streitſchriften zwiſchen Mau⸗ pertius und Koͤnig über das vorgebliche Ges ſetz der Natur von der kleinſten Kraft in den Wirkungen der Koͤrper. Leipz. 753. 8.

* * * * * % * * *

Hiſtoire naturelle generale et particuliere avec la deſeription du Cabinet du Roi, par. M. d' Aubenton et Buffon. Der Iꝗte tome iſt 766.

erſchie⸗

Seytrag zur philoſ. Buͤcherkenntniß. 361

erſchienen. deutſch. Hamb. und Lepz. 750,

u. f. 4. Spectacle de la Nature. à Paris 752. 3 tomes in

12. deutſch 748. f. 8.

Carol. Linnei Syſtema naturae Hal, 760, 3 tom. gm.

- Verſuch einer Natur- Kunft« und Oekono⸗ mie ⸗Hiſtorie. Leipz. 756.

J. Bekmanns Anfangsgruͤnde der Naturgeſchich⸗ te. Goͤt. und Leipz. 767. 8.

Hallens Naturgeſchichte der Thiere in ſyſtem. Ordnung. Berl. 757. 60. 2 Th. 8.

Briſſonii Regnum animale in claſſes IX. diſtribu- tum. Lugd. B. 762. 8m.

J. G. Lehmanns Einleitung in einige Theile der Bergwerkswiſſenſchaft. Berl. 751. 8.

- Abhandlung von den Metallmuͤttern und der Erzeugung der Metalle. 757.

Verſuch einer Geſchichte vom Floͤtzgebuͤrg. 756.

- Entwurf einer Mineralogie. 760. 8.

J. H. G. Juſti Grundriß des geſammten Mine⸗ ralreiches.

J. G. Kruͤgers Geſchichte der Erden i in den aller⸗ älteften Zeiten. 125

B. Nieuwetyts Rechter . der Weltbe⸗ trachtung ꝛc. überf. von Gegner. Jen. 747. 4. Derhams Phyſiko⸗ theologie. Hamb. 750. 8. VAſtrotheologi 3. Paris 729. 3 5 Leſſers

362 Dritte Abtheilung.

Leſſers Teſtaceothelogie. 7⁴4.

- IJIgnſertotheologie.

Atthotheologie Hamb» 757.

Verſuüch einer Heliotheologie. Nordh. 753.

P. Ahlwards Brontotheologie. 745. 8.

Theologie de l' eau trad. de! Allemand de J. A. Fabricius. Haye 741.

J. G. Walpurgers Kosmotheologiſch. Betrach⸗ tungen, Chemnitz. 74859. 4 Th. 4.

von Rhor Phytotheologie. Frf. 749. 8.

Schwammerdams Bibel der u Leipz. 752. Hollaͤndiſch 738.

J. J. Schmidts Bibliſcher Phyſikus. PR 748.8.

Sulzers Unterredungen über die Werke der Na: tur. Berl. 756. 8.

n

Ant. Ruͤdigers ſyſtemat. Anleitung zur allgemei⸗ nen Chymie. Leipz. 756. 5

G. Kothens gründliche Anleitung zur Chymie.

I. F. Cartheuſer. Elementa chymiae dogmatico- experimentalis. Frf. ad Viadr. 753.

* 4 Pag Er

J. B. von Rohr compendieuſe phyſik. Bibliothek vermehrt von Kaͤſtner. Leipz. 754.

—Haushaltungsbibliothek. 755.

Naturlexicon. Leipz. 746. 8. Re-

Beytrag zur philoſ Buͤcherkenntniß. 363

* * * x * * * * * Regnaulti phyficae recentioris origo antiqua &c.

Gr. 755. 4. franz. 734. 3 voll.

8 . Die Sokratiſche Wiſſenſchaft, Air pole die vernuͤnftige Anweiſung zum gluͤckſeli⸗ ſophie. gen Leben, hat allerdings die meiſten Schriften auf⸗ zuweiſen, wenn man auch diejenigen herziehen will, die ohne ſyſtematiſche Ordnung und Vollſtäaͤndigkeit die Lehren der praftifchen Weltweisheit vortragen. Und warum ſollte man ſie nicht hieher rechnen, die Schriften des Witzes, in welchen die Tugend in der reizenden Geſtalt erſcheint, die ihrer wuͤrdig iſt? Un⸗ ſere Vaͤter haͤtten ſich dies wohl freylich nicht ein⸗ bilden ſollen, daß wir in philoſophiſchen Lehrbuͤchern Romane anpreiſen wuͤrden. Aber waͤre es mir moͤglich, meinen Zuhoͤrern einen Richardſon, Fielding, Prevot, le Sage nicht anzupreiſen? Und dich nicht zu nennen, Mahler der Empfindungen angenehmer Marmontel? Weiter aber auch kei⸗ nen; ob ich gleich noch mehr gute kenne. Denn hier ſoll der Philoſoph doch nicht wohnen, ſondern nur ſpazierengehn. Auch die Deutſchen verſtehen jetzo die Kunſt, ohne Paragraphen und Mariginalien gruͤndlich zu ſeyn, und in Romanen zu philoſophiren. Man urtheilet, daß fie ihre Muſter hierinnen noch nicht erreicht haben. Nie muͤſſen fie ihnen fo aͤhn⸗ 8 lich

364 Dritte Abtheilung.

lich werden, daß ſie aufhoͤren Deutſch zu ſeyn. Ich nenne jetzo zuerſt Schriften, die die ganze prakt. W. W. oder mehrere Theile derſelben angehen.

Canzii diſciplinae morales. Tub. 752. 8. N Anweiſung vernuͤnftig zu leben. B. Baſedow Praktiſche Philoſophie für alle Stände.

A. C. n Initia philof. pract. primae acroa- mat. Hal. 760. 8

- - Ethica philof. 763. 8.

—lus Naturae 763. 8.

Sr 1 7 Sittenlehre der Vernunft aus dem Eng⸗ lſchen 756

Unterſuchung e von Schoͤnheit und Tugend. Frf. 762.

- 50 Von den geldenſchalten und Neigungen. Leipz.

0. 8.

80 1 moraliſche und politiſche Verſuche. Hamb. 755. 4 Th. 8. engl. Edinb. 753.

G. Altmanni Principia ethiea ex Leg. N. Tig 4. tom. 8.

J. J. Reinbeck neuer Lehrbegrif der pragmat. Weltw. "na Pyth. Grundſaͤtzen. Dreßd. 756.

* * ** * X >

Hugo Grotius de Iure B. ac P. cum notis Gronouii ex recenf. Barbeyrac Lipf. 758.

Henr. et Sam. de Cocceii Grotius illuftratus cum notis Gronou, et Barbeyr. Lauf. 757. 4 tom. 4.

Sam. Pufendorf. Ius 575 cum notis Hertii, Barbeyr. . 759. 2 tom.

de Off. Hom. et di Lipf. 748.

L. I. Burlemaque Principes du Droit naturel à Geneve, 747-51. 4 lat. von M le Lage 754.

—Principes du Droit politique. ib. 757. 4.

Pattel Voͤlkerrecht. Frk. und Leipz. 760. 3 Th. franz.

Genf 758. 2 voll. 4.

= F. Olafey Recht der Vernunft. dritte Aufl. Frf. 7464-

N. H. Bundling Diſcours über das Nat. und Voͤlker⸗

Recht. Frf. 747. 4. L. von

Beytrag zur philoſ. Buͤcherkenntniß. 365

L. von Solberg Einleitung in das Natur- und Voͤlker⸗ recht. Kopenh. 748. 8.

Darjes Inſtitt. I. N. 764. 8.

Discours darüber, 762. 3 Th. 4.

J. E. Gunners Exlaͤuterungen und Anmerkungen über das N. und V. R. Leipz. 749 5. 8 Th. 8.

Achenwall. Ius Nat. edit. 6ta.

- -. Prolegomena l. N.

J. Ch. Claproth Grundriß des Rechts der Natur. Goͤt. 75g.

Hollmanni lurisprud. nat. primae lineae. Goet. 751.

J. J. Schmauſſens Neues Syſtema des Rechts der Natur. Goͤt. 754. 8.

I. G. Heineccii Elementa I. N. & G. Arg. 742.

Praelectiones in Grot. Berol. 743.

- Prael. in Pufend, de O. H. & C. 742.

D. Nertelbladt Syft. element. Iurispr. nat. Hal. 240. 757.

I. I. Schierſehmid. Elementa I. N. ſoc. et Gent. Ien. 748.

H. F. Kahrels Recht der Natur. Frf. 746.

- - allgemeines Voͤlkerrecht. Herb. 752.

- - Jus publicum uniu. Gieſ. 765.

* * * * * * * * *

Leſiſtenza della legge naturale impugnata e ſoſte- nuta da Carlantonio Pilati in Venet. 764. 8.

“= - RagionamentifopralaLegge natur. e civile. 766.

I. I. Naſſeau, origine et les fondemens de 'inega- lit€ parmi les Hommes Oeuv. tom. II. Amſt. 762. deutſch. Berl. 756.

Contract Social ou principes du droit politique. deutſch mit Hrn. Hofr. Geigers Anmerk. Marp. 763.

- - Emile ou de IEducation. 4 voll. 8. deutſch. Berl. 763-

La nouvelle Heloyfe.

L'Anti Hegeſias, Dialogue en vers fur le Suicide avee des notes critiques et hift. Hamb. 763. 8.

I. Robeck Exercitatt. de morte voluntaria. Ima Rint. 736. Ilda Marp. 753.

Dei delitti e delle pene, Ediz. quinta, Harlem 766. franz. deutſch Ueberſetz.

Regn. Engelhards Verſuch eines allgem. peinl. a

9

366 Dritte Abtheilung.

tes aus den Grundſaͤtzen der W. W. und des R. der N. Leipz. 756. 8.

E. Ch. Kraus Nat Lehnrecht. Stuttg. 756.

G. Langemacks allgemeines Lehnrecht aus philof. Grün: den erwieſen. Potsd. 747.

* * * * + *

Br | Anf. Defingi Iur. N. larua detracta compluribus libris ſub tit. I. N. prodeuntibus, vt Pufendorf. Heinec. etc. Monac. 753. fol. ek ne zwey der heutigen größten philof. Geiſter. 8. 9 *E X * * * * * Ch. F. Meifter Biblioth. I. N. et G. Goet. 749 - 57.

3 part. 8. * “ko *

* * * * *

J. H. G. Juſti von der Natur und dem Weſen der Staa:

ten. 765. 8.

- Staats wirthſchaft. Leipz. 755. 2 Th 8.

- Policeywiſſenſchaft, Koͤnigsb. 760. 4. |

Montesquieu Eſprit des Loix. à Genev. 749. Amſt. 758. 3 tom. 1. ib. 759. 4. deutſch. 753. 3 Th.

La ſcience du Gouvernement par M. de Real Aix la Ch. 760. 4. deutſch 763. 5

L'Antimachiavel. Amſt. 741. gm.

Inſtitutions politiques par M. le Baron de Bielefeld. ä la Haye 760. 3. voll. in 4. deutſch. Berl. 761. 2 Th. 8.

Darjes Einleitung in des Hrn. von Bielefeld Lehrbegrif von der Staatsklugheit 764. 8. i

Achenwall Staatsklusheit nach ihren erſten Grundſaͤtzen.

Loens Entwurf einer Staatskunſt. Frf. 757. 8.

J. Ch. Foͤrſters Einleitung in die Staatslehre nach den Grundsätzen des Hrn. von Montesquieu. Hall. 755. 8.

N. H. Gundling Einleitung zur wahren Staatsklugheit.

750. 8. | Ch. Thomaſius kurzer Entwurf der polit. Klugheit. Leipz.

744. 8. Grundlegung der Staatslehre. Zelle 746. 8. ndlegung hre. Zelle 74 e bun

Beytrag zur philoſ. Buͤcherkenntniß. 367

* * 4 * * * *

* ** * C. von Moſer Herr und Diener. Idée d'un bon Gou- vernement. Politicopolis. 1760-62, 8, - - Beherzidungen. PAmi des Hommes, ou traité de la population que. edit. Hamb. 758. - Gedanken vom Nationalſtolz. Zürich 758. f * * * x

x * * * * Darjes Anfangsgruͤnde der philoſ. Sittenlehre. S8. I. Baumgarten Ethica philoſ. 740. f G. F. Meiers Philoſ. Sittenlehre. Hall. 762. s Th. 8. Gedanken von der Ehre. | - Unterſuchung, warum die Zugendhaften in dieſem Leben ungluͤcklicher find ꝛc. - - theoretifche Lehre von den Gemuͤthsbewegungen uͤberhaupt. f Betrachtung uber die menſchl. Gluͤckſeligkeit. - - allgemeine praktiſche Weltweisheit. 764. Gedanken von dem unſchuld. Gebrauch der Welt. Formey Grundfäße der Sittenlehre. 762. 8. Nic. Wonne Einleitung in die moral. Weltweisheit. 765. J. F. Mayens Weisheit der Menſchen nach der Der: nunft. Leipz. 754: 8. - - Kunft der vernünftigen Kinderzucht. Helmſt. 75 T-

54. Sm.

Sulzers Verſuch von der Erziehung und Unterweiſung der Jugend.

C. D. Sagedorns Sittenlehre fuͤr Kriegsleute. Bresl 743.

J. F. Scholzens vernuͤnftige Sittenlehre in Briefen an ein Frauenzimmer.

* l 5 *

J. A. Hofmann von der Zufriedenheit. ste Auflage Hamb. 731. neuſte 754.

A. A. de Sara ſa Ars ſemper gaudendi edit. pr. Col. 676. it. Ten. 740. 2 tom. 4. deutſcher Auszug von Hrn. von Windherm. Helmſt. 754.

Betrachtung über die Beſtimmung des Menfchen. Bresl. 752. franz. Le Syſteme du vrai bonheur.

Gedan⸗

368 Dritte Abth. Beytrag zur philoſ. ꝛc.

Gedanken über die Gluͤckſeliakeit. Berl. 758. 2

Die Weisheit an die Menſchen. Aus demEEngl. Hamb. 759.

Th. Abbt vom Tod fürs Vaterland. Berl. 761, Ü

Les Hommes. 2 part. ſehr oft aufgelegt. 8.

Les moeurs par M. Touffaine à Amſt., 748. 755. 760. 3 part. 8. deutſch. 757.

Eſſais de Litterature et de Morale par M. Trublet à Pa- ris 754-59. 8. find zum Theil deutſch heraus.

Le Citoyen du monde, ou lettres d'un philoſophe Chinois a ſes amis. Ouvrage traduit de l’Anglois. Amft. 763. 3 tom. 12.

Entretiens de Phocion fur le Rapport de la morale avec la politique Zur. 7/3. 8.

Dialogues Socratiques par Vernet, deutſch 757. 8.

Les Characteres de bruyere à Amſt. 743. 4 Dresd. 755. 2 voll deutſch. Nuͤrub. 7754. 85

Maximes de Roche focault, Lauf, 757. 8.

J. P. Millers Hiſt. moral. Schilderungen. 75659. 3 Th. 8.

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* * * xx il Von den moral. Wochen- und Monath⸗Schriften will ich keine nennen. Schon vor 20 Jahren konnte man eine Einleitung in die Monathſchriften der Deutſchen ſchreiben. Und die Nachahmer haben dieſe Art Schrif⸗ ten bey nahe lächerlich gemacht. Undique clamor, un- dique concurſus! Doch wenn fie nur zur Beförderung der Tugend und zur Beſſerung der Sitten in einer Stadt, in einer Gegend, etwas beytragen: fo hat man nicht Urſach fie unter fo viel anderes gelehrtes oder gelehrt ſcheinen⸗

des Zeug herab zu ſetzen; ob dieſes gleich oft unter einem groͤſſern N ausgepraͤgt wird.

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Grundriss der philosophi- F4 schen Wissenschaften nebst 1769 der nothigen Geschichte zum Gebrauch seiner Zuhorer. 2

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