17 1. 12 ft 4 1 )BA A EERESKUNDE 1 HEFT 136 f HUGO GROTIUS UND DER URSPRUNG DES SCHL VON DER FREIHEI ^c^ AUG 1 0 2000 ^ VON VV>. .X? DR: WALTHER ^«^&I^ qf ^^ PROFESSOR AN DER UNIVERSIT^ HERAUSGEGEBEN VOM INSTITUT FÜR MEERESKUNDE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN BERLIN 1918 / ERNST SIEGFRIED MITTLER UND SOHN KÖNIGLICHE HOFBUCHHANDLUNG / KOCHSTR. 68—71 12.JAHRGANG, 4. HEFT PREIS 60 PFENNIG "^ MEERESKUNDE ^ SAMMLUNG VOLKSTÜMLICHER VORTRAGE Bisher erschienen folgende Hefte; ^Das Museum für Meereskunde. Von Prof. Dr. A. Penck. Die Meeresräume, ihre Wasserfüllung und ihre Küsten. ^'Flaschenposten und treibende Wracks. Von Prof. Dr. 0. Krümmel. *Das Eis des Meeres. Von Dr. L. Mecking. ^Die Küste der englischen Riviera. Von H. Spethmann. *Unsere Kalisalzlager ein Geschenk des Meeres. Von W. Stahlberg. ^Der Deichschutz an Deutschlands Küsten. Von Dr. W. Behrmann. *Der Golfstrom. Von Dr. Ludwig Mecking. ^'Meer und Küste von Rügen bis Alsen. Von H. Spethmann. Tier- und Pflanzenwelt des Meeres, ^Über marine Sedimente und ihre Benutzung zur Zeitbestimmung. Von Dr. G. Braun. "Die Meeressäugetiere. Ihre Stammesgeschichte. Von Prof. O. Abel. "Die westindischen Korallenriffe. Von Dr. R. Hartmeyer. "Das Reich des Todes im Meer. Von Walter Stahlberg. *Tierische Wanderungen im Meere. Von Prof. R. Woltereck. *Die Scholle, ein Nutzfisch der deutschen Meere. Von Dr. V. Franz. ^Gefiederte Bewohner des Meeres. Von Dr. K. Wenke. "Das schwimmende Leben der Hochsee. Von Dr. G. H. Fowler. 'Tierisches Licht in der Tiefsee. Von Prof. Dr. E. Mangold. *Neue Forschungen über die Biologie der Tieisee. Von Professor Dr. F. Doflein. Die zoologische Station in Neapel. Von Prof. Dr.Arminv.Tschermak. Wehr und Schutz der Meerestiere. Von Dr. L. Glaesner. Geschichte, Seekriegsgeschichte, Lebenserinnerungen. Die deutsche Handelsmarine im 19. Jahrhundert. Von Dr. W. Vogel. *Die Anfänge der Nordpolarforschung. Von Dr. P. Dinse. *Zeitalter der Entdeckungen. Von S. Günther. *Der Seeraub. Eine geographisch-historische Skizze. Von Dr. P. Dinse. *Die Kontinentalsperre. Von Rob. Hoeniger. *Nordische Seefahrten im früheren Mittelalter. Von Dr. W. Vogel. "Die Abschaffung des britischen Sklavenhandels im Jahre 1806/07. Von Dr. Franz Hochstetter. *Die Fahrten eines deutschen Seemanns um die Mitte des 19. Jahr- hunderts. Aufzeichnungen des Segelschiff-Kapitäns G.W. Kroß. '^Die Schiffahrt auf den Karolinen und Marshallinseln. Von Dr. P. Hambruch. *Die Namen der Schiffe. Von Dr. W. Vogel. 'Ein Ausflug nach Sansego in der Adria. Von Dr. L. Glaesner. 'Deutschlands Lage z. Meere im Wandel der Zeiten. Von Dr. W.Vogel. *Handelswege im Ostseegebiet in alter u. neuer Zeit. Von Chr. Reuter. '^Ostseehandel und Landwirtschaft. Von Chr. Reuter. Die Nautik im Altertum. Von Dr. Aug. Koste r. Das Seekriegsrecht im jetzigen Kriege. Von Johannes Neuberg. Die südeuropäischen Staaten und unser Krieg. Von Prof. Dr. Alfred Merz. Englands Willkür und bisherige Allmacht zur See. Von Vize- admiral z. D. Hermann Kirchhoff. * Preis 50 Pf., die übrigen Hefte kosten 60 Pf. MEERESKUNDE SAMMLUNG VOLKSTÜMLICHER VORTRÄGE ZUM VERSTÄNDNIS DER NATIONALEN BEDEUTUNG VON MEER UND SEEWESEN ZWÖLFTER JAHRGANG VIERTES HEFT Hugo Grotius und der Ursprung des Schlagworts von der Freiheit der Meere. Von Dr. Walther Vogel, Universitätsprofessor. ie Engländer können in diesem Jahr ein merk- würdiges Jubiläum feiern, das freilich ganz im Sinne der heutigen englischen Politik liegt und den Engländern äußerst zeitgemäß erscheinen müßte. Es sind nämlich in diesen Tagen 300 Jahre verflossen, seitdem der berühmte englische Jurist John Seiden ein schon einige Jahre früher verfaßtes gelehrtes Werk dem König Jakob I. vorlegen durfte, das den bezeich- nenden Titel „Mare clausum", ,,das verschlossene Meer", führt. In diesem Werk wurde der Anspruch der englischen Könige auf die Herrschaft in den die Küsten Großbritanniens bespülenden Meeren, ja auf das Eigen- tumsrecht der englischen Krone an diesen Meeren be- gründet. Es wird uns erzählt, daß König Jakob es ,,mit großem Interesse las", und nur der Umstand, daß man befürchtete, gewisse Stellen darin würden dem Schwager des Königs, König Christian IV. von Dänemark, anstößig sein, verhinderte, daß das Werk damals in Druck ge- geben und veröffentlicht wurde. Dies geschah vielmehr erst im Jahre 1635 auf ausdrücklichen Befehl König Karls I., und die Engländer betrachteten das Werk seit- dem als eine Art Staatsschrift, mit der sie bei diploma- tischen Verhandlungen ihre Ansprüche begründeten. Der Titel von Seldens Buch, mit vollem Bedacht ge- Meereskunde, Vorträge. XII. Heft 4. \ 2 Meereskunde. wählt, sprach es deutlich au§, daß es sich um eine Gegen- schrift gegen das berühmte Werk seines nieder- ländischen Zeitgenossen Hugo de Groot (oder, wie er gewöhnlich latinisierend genannt wird, Hugo Grotius), „Mare liberum", ,,das freie Meer", handelte. Auf dieses Werk des Hugo Grotius geht das Schlagwort von der „Freiheit der Meere" zurück, das jetzt in so vieler Munde ist und das bei den Friedensverhandlungen ver- mutlich eine wichtige Rolle spielen wird. Ich sage ab- sichtlich, „das Schlagwort von der Freiheit der Meere" geht darauf zurück; denn die Streitfrage selbst ist älter. Aber die Schrift des Grotius und die Auseinander- setzungen, die sich daran knüpften, bezeichnen den An- fang der juristisch-philosophischen Behandlung dieser Frage, die jetzt auf der Tagesordnung steht. Freilich wird eine nähere Betrachtung lehren, daß man unter „Freiheit der Meere" recht verschiedene Dinge ver- stehen kann, und daß man damals im Grunde etwas ganz anderes darunter verstand, als wir es heute tun. Es ist meine Aufgabe heute abend, Ihnen auseinanderzusetzen, aus welchen Zeitumständen heraus diese Frage zu Beginn des 17. Jahrhunderts brennend wurde, welche Bedeutung ihr in jenem Zeitalter zukam, und wie die Frage damals behandelt und gelöst wurdie. Mancher lehrreiche Ver- gleich mit der Gegenwart wird sich dabei aufdrängen und manche praktische Folgerung sich ziehen lassen. Versetzen wir uns zunächst in die Zeitumstände, die den Ruf des Grotius und seiner niederländischen Lands- leute nach der Freiheit der Meere hervorlockten. Seit länger als einem Menschenalter standen die sieben ,, Ver- einigten Provinzen" der nördlichen Niederlande in ihrem hartnäckigen Befreiungskampfe gegen Spanien. Es ge- hört zu den auffallendsten Eigentümlichkeiten dieses Krieges, daß der Seehandel zwischen beiden Krieg- Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere. führenden fast ungestört fortdauerte. Beiden Parteien war er eben unentbehrlich: Spanien wegen der Zufuhr an Getreide und Rohstoffen namentlich aus dem Ostsee- gebiet, den Niederlanden wegen des hohen Handels- und Frachtverdienstes, den sie aus diesem Seehandel zogen. Die Fahrten ihrer Handelsmarine waren eine Hauptgeld- quelle für die Staaten, und die Flotte nahm denn auch besonders in den 1580er und 1590er Jahren einen großen Aufschwung, Sie begnügte sich nicht mehr mit den alten Fahrten, mit dem Ostseehandel, der allerdings noch ein Jahrhundert und länger mit Recht als die Herz- ader des holländischen Handels galt, sondern begann nach weiteren Fahrten auszuschauen, die größeren Ge- winn verhießen, Ende der 80er Jahre drangen die ersten niederländischen „Straetsvaerder"^) in das Mittelmeer ein, und 1590 bis 1591 finden wir die Mittelmeerfahrt der Niederländer bereits im vollen Gange, Wenige Jahre später, 1595, aber rüstete die von einigen wagemutigen Amsterdamer Kaufleuten begründete „Compagnie van Verre" zu einem weit kühneren Unternehmen, nämlich zur Fahrt nach den Gewürzinseln Indiens, Am 22, Juni 1596 ging die erste niederländische Indienflotte unter Cornelis Houtmans von Gouda vor Bantam auf Java vor Anker, um im folgenden Jahr mit reicher Ladung zurück- zukehren. Bald folgten weitere Fahrten und Gesell- schaftsgründungen, und 1602 schlössen sich die verschie- denen, in Wettbewerb stehenden Kompagnien zu der Niederländisch - Ostindischen Kompagnie zusammen. Begreiflicherweise war dieser Handel den Portugiesen und Spaniern ein Dorn im Auge, Fast 100 Jahre hatten die Portugiesen, seit der Entdeckungsfahrt des Vasco da Gama, den gewinnbringenden Handel mit indischen Gewürzen und Waren allein, ohne jeglichen Wett- ') Straßenfahrer, nach der Straße von Gibraltar so genannt. 4 Meereskunde bewerb in Händen gehabt; Lissabon war durch diesen Handel, Venedig überflügelnd, zu einer der volk- reichsten und glänzendsten Städte Europas aufgestiegen. Und jetzt sollte man ruhig zusehen, wie die verhaßten Rebellen und Glaubensfeinde ebenfalls aus dieser Gold- quelle schöpften? Seit 1580 war Portugal Spanien unterworfen, Portugals Handel und Kolonien also auch Spaniens Sache, Übrigens ist die bisweilen geäußerte Ansicht unrichtig, als habe Philipp IL durch die unkluge Beschlagnahme der niederländischen Handelsschiffe in den spanischen Häfen die Niederländer erst zur Fahrt nach Indien gereizt, sie gewissermaßen gezwungen, sich die begehrten indischen Waren aus Verzweiflung im Ursprungslande selbst zu holen. Vielmehr haben der König und seine Ratgeber den Wagemut der Nieder- länder ganz richtig eingeschätzt und die Gefahr, daß diese die direkte Fahrt nach Indien aufnehmen würden, sehr wohl vorausgesehen. Die wiederholten Beschlag- nahmungen der holländischen Schiffe in jenen Jahren haben mit der Indienfahrt nichts zu tun, sind in durch- greifender Weise auch erst nach Beginn der nieder- ländischen Indienfahrt erfolgt. Die Holländer suchten zunächst einem Kampf mit den ehedem befreundeten Portugiesen, mit denen sie ja der gemeinsame Gegen- satz gegen Spanien verband, auszuweichen. Reibereien waren aber unausbleiblich, und als die Portugiesen gegen die unerwünschten Gäste und Störer ihres Handelsmonopols immer hinterlistiger und gewalttätiger auftraten, kam es zu blutigem Kampf, Im Jahre 1603 nahm der niederländische Admiral Jakob van Heems- kerk (der berühmte Eismeerfahrer) einen großen portu- giesischen Ostindienfahrer, die ,, Santa Catharina", weg. Als die Prise im folgenden Jahre in Holland eingebracht wurde, erregte sie doch eine recht zwiespältige Stim- mung. Bei der großen Masse der Bevölkerung gab es Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere. freilich einen patriotischen Freudensturm. Aber es fehlte auch nicht an Stimmen, die sich scharf ablehnend äußerten. Einige Aktionäre der Ostindischen Kom- pagnie erklärten, zu solchen Gewalttaten gegen die Portugiesen hätten sie ihr Geld nicht hergegeben, ja sie drohten, für den Fall, daß das Schiff für „gute Prise" erklärt würde, aus der Kompagnie auszutreten und unter dem Schutz König Heinrichs IV, von Frankreich eine neue Indiengesellschaft zu begründen, wobei freilich nicht die vorgeschützten humanitären, sondern eigen- süchtige Beweggründe im Spiele waren. Die Kompagnie fürchtete nicht mit Unrecht von einem solchen Schritt den Ruin des niederländischen Indienhandels, und es geschah vermutlich auf Betreiben der „Bewindhebbers"^) der Gesellschaft selbst, daß damals der junge, 21iährige Generalfiskal Hugo de Groot aus Delft, eine längere latei- nische Schrift ,,de jure praedae", ,,über das Beute- r e c h t", schrieb, worin er seine allzu ängstlich-ge- wissenhaften Landsleute von ihrem guten Recht, im fernen Osten Beute zu machen, zu überzeugen suchte. Die Schrift wurde jedoch nicht veröffentlicht. Wenige Jahre später trat die Frage der nieder- ländischen Indienfahrt wieder in ein kritisches Stadium, Spanien, des endlosen und wenig aussichtsreichen Kampfes gegen die aufständischen Provinzen müde, drängte ernstlich auf Friedens- oder doch wenigstens Waffenstillstandsverhandlungen, Es war bereit, Waffen- ruhe zu gewähren und die niederländische Republik auf Grund des augenblicklichen Besitzstandes formell anzu- erkennen, stellte jedoch zwei Bedingungen: volle Frei- heit der katholischen Religionsübung und Verzicht auf die Indienfahrt, Die Wahl war für die Niederländer >) Die Leiter der Kompagnie und Vorsteher der einzelnen „Kammern". Sie vereinigten in sich die heutigen Befugnisse der Generaldirektoren und Aufsichtsratsmitglieder. Meereskunde, Vorträge. XII. Heft 4. 2 6 Meereskunde, sehr schwer. Denn die Indienfahrt hatte sich in den 15 Jahren ihres Bestehens bereits zu einem der gewinn- bringendsten und aussichtsreichsten Handelszweige der Niederlande entwickelt, außerdem schien der Verzicht mit der erstrebten Souveränität der Republik im Wider- streit zu stehen. Anderseits war die Friedenssehnsucht außerordentlich groß und demgemäß die Gefahr, daß man sich zu einem ,, faulen Frieden" bequemen würde. Denn das war allen Einsichtigen klar, daß diese Be- dingungen Spaniens, besonders aber die letztere, mit den Lebensnotwendigkeiten der Niederlande unverein- bar, also unannehmbar seien. In dieser Lage faßte Grotius den Entschluß, den L Teil des 12. Hauptstücks seines unveröffentlichten Buches De jure praedae als eine besondere Schrift zu veröffentlichen, um seine Landsleute von ihrem guten Recht auf die Indienfahrt zu überzeugen und sie davon abzuhalten, auf dieses Recht leichtherzig zu verzichten. Das ist das Schriftchen, das unter dem Titel ,,Mare liberum" „das freie Meer" den Namen des Hugo Grotius berühmt gemacht hat für alle Zeiten^), Die lauten : ^) Die Verse der Unterschrift unter dem nebenstehenden Portrait von Hugo Grotius. De zon des lants wert dus van Miereveits penseel Geschildert, toenze gaf haer schynsel op't panneel; Doch niet, gelykze straelt op't herlykste in onze oogen, Maer met een dünne wölk van sterflykheit betogen. Om Duitsch te spreken, dit's de Fenix Huig de Groot, Wiens wyze majesteit beschynt den weereltkioot. Wie vraegt nu, wat Cefis of Deifos eertyts zeide? Een Delfsch Orakel melt meer wysheit dan die beide. L. v. Vondel. Des Landes Sonne seht, von Miereveit gemalt, Wie sie mit ihrem Schein hier von der Tafel strahlt. Doch nicht im vpllen Glanz sie unsre Augen füllt, Sie ist vom Wolkenflor sterblichen Leibs umhüllt. Auf Deutsch gesagt: Dies ist der Phönix Huig de Groot, Des Weisheit strahlt der Welt ein neues Morgenrot! Wer fragt nach Kefis' noch und Deifos' Rechtsbescheiden? Ein Delfsch Orakel spricht mehr Weisheit als die beiden. Das Wortspiel der Schlußzeile weist mit „ein Delfsch Orakel" zugleich auf das Orakel zu Delphi, wie auf Delft, die Geburtsstadt Hugo de Groots hin. Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere. J 8 Meereskunde. erste Ausgabe, 1609, erschien übrigens anonym. Erst in der zweiten, im Jahre 1618 gedruckten Auflage wurde der Name des Verfassers bekanntgegeben. Ich will nun versuchen, Ihnen in aller Kürze den Gedankengang des Grotius darzulegen, ,,M are liberum sive de jure quod Batavis com- petit ad Indicana commercia dissertatio" lautet der Titel des in der mir vorliegenden zweiten Ausgabe von 1618 nur 125 Seiten in Klein-Oktav zählenden Schriftchens: ,,Das freie Meer oder Abhandlung über das Recht am indischen Handel, das den Holländern zusteht," Der Standpunkt, von dem Grotius ausgeht, ist der des Naturrechts, Die Gerechtigkeit und die Gesetze, so führt der Gelehrte in seiner Vorrede „an die Fürsten und freien Völker der Christenwelt" aus, seien nicht menschliche Erfindungen, der Willkür einzelner ent- sprungen und auf ihren Nutzen abzielend, sondern sie seien von Gott in die Natur gesetzt. Wer gegen die Gesetze des Staates frevle, werde von den Obrigkeiten gestraft, wer aber gegen die Gesetze des Völker- oder Naturrechts (was bei ihm wesentlich dasselbe ist) ver- stoße, habe zwei Rächer zu fürchten; sein eigenes böses Gewissen und die Meinung der anderen, — die ,, öffent- liche Meinung" würden wir heute sagen. Vor dieses Forum soll jetzt die Frage nach der Freiheit der Meere gezogen werden, und eben deshalb, weil das Recht, wo- nach sie entschieden sein will, der Natur selbst ent- stammt, sei es keine verwickelte Streitfrage, wie etwa die Religionsstreitigkeiten, sondern eine Frage, die jeder nach seinen natürlichen Verstandskräften ohne weitere Kenntnisse beurteilen könne. Diese Aufgabe wird nun nicht etwa^ wie es bei der- gleichen ,, Kriegsbroschüren" häufig der Fall ist, in skizzenhafter, feuilletonistischer Dialektik abgehandelt, Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere. 9 sondern in streng juristisch-systematischer Ordnung, in logisch-klarer Gliederung durchgeführt. Die Schrift zerfällt in drei Gruppen von jeweils drei Kapiteln kritischen Inhalts, in denen nacheinander die drei An- sprüche der Portugiesen widerlegt werden: nämlich, daß sie 1. ein Oberherrschaftsrecht über die Länder und Völker Indiens, zu denen die Holländer Handel trieben, besäßen; 2, daß ihnen ein Herrschafts- und Ver- fügungsrecht über das Meer und die Schiffahrtswege nach Indien zustehe; und 3. daß sie ein Alleinrecht auf den indischen Handel beanspruchen könnten. Diesen ,, kritischen" Kapiteln sind zwei behauptende ,, positive" Kapitel vorangestellt, worin die wahren allein gültigen Gesetze des Naturrechts in bezug auf Meer und Handel verkündet werden. Das erste steht an der Spitze des ganzen Büchleins: ,,Jure gentium quibusvis ad quosvis liberam esse navigationem", „nach dem Völkerrecht stehe die Schiffahrt jedem beliebigen zu jedem be- liebigen frei"; das zweite Gesetz geht als 8, Kapitel der letzten Gruppe kritischer Kapitel über den Monopol- Handelsanspruch der Portugiesen voran: ,,Jure gentium inter quosvis liberam esse mercaturam", ,,nach dem Völkerrecht sei der Handel zwischen allen beliebigen. Menschen frei". Mit einem großen Aufgebot klassischer Gelehrsam- keit macht sich Grotius an den Beweis des ersten Satzes, daß die Schiffahrt allen Menschen überallhin freistehe. Ich will, sagt er, beweisen, daß die Batavi, die Hollän- der, d. h, die Untertanen der Generalstaaten, wie alle Menschen das Recht haben, nach Indien zu schiffen und mit den Indern Handel zu treiben. Eine der allerge- wissesten Ur- und Grundregeln des Völkerrechts, deren Sinn klar und unveränderlich ist, ist diese: ,,daß es jedem beliebigen Volke freistehe, jedes beliebige andere 10 Meereskunde. aufzusuchen, und mit ihm Handel zu treiben." Gott verkündet dies selbst durch die Natur, indem er nicht alle Lebensnotwendigkeiten an allen Orten von der Natur hervorbringen ließ. So beruht es auf göttlichem Recht, daß ein Volk des anderen Mangel ergänzt. Ferner zeigt Gott seine Absicht dadurch, daß der Ozean nach allen Richtungen hin schiffbar ist und die Winde nach allen Richtungen hin blasen. Das Recht freien Handels gehört daher allen Völkern, und Kriege, die aus der Verweigerung dieses Rechtes entstanden sind, sind gerecht. Das wird aus vielen Beispielen der Ge- schichte bewiesen. Deutlich tritt hier der Zweck des ganzen Werkes zutage, nämlich die Holländer nötigen- falls zur Fortsetzung des Krieges zu veranlassen. Aus allem folgt, daß die Portugiesen sogar, wenn sie die Herren der indischen Gebiete wären, die die Holländer des Handels wegen aufsuchen, großes Unrecht tun würden, wenn sie den Holländern den Zutritt verwehren wollten. Wieviel größeres Unrecht aber tun sie erst, wenn sie zwei vollständig freie Völker, die miteinander verkehren wollen, daran zu verhindern suchen, ob- wohl sie weder über jene Völker noch über den Ver- kehrsweg zwischen beiden zu verfügen haben? Sie handeln wie Seeräuber und Piraten, die wir doch haupt- sächlich deswegen verabscheuen, weil sie den Verkehr der Menschen untereinander behindern und bedrohen. Nach dieser Einleitung folgt die erste Gruppe kritischer Kapitel, worin der Anspruch der Portugiesen, ein Herrschaftsrecht über Indien und die Inder zu be- sitzen, zurückgewiesen wird. In diesen kritischen Ka- piteln verfährt Grotius überall nach einem strengen Schema, Er sagt: die Portugiesen könnten ihren un- gerechten Anspruch auf dreierlei Weise begründen: 1, auf Grund des Entdeckerrechts oder der ersten Be- Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere. H sitznahme, 2. auf Grund päpstlicher Schenkung, 3, auf Grund einer sonstigen Legitimation- Das wird nun der Reihe nach widerlegt. Daß die Portugiesen nicht Herren der Gebiete Indiens sind, die die Holländer aufsuchen — es handelt sich hauptsächlich um Java, Ceylon und den größten Teil der Molukken — , geht sehr einfach daraus hervor, daß niemand Herr einer Sache ist, die weder er selbst, noch ein anderer in seinem Namen jemals besessen hat. Diese Inseln und Gebiete hatten immer ihre eigenen Könige, Staaten, Gesetze und Rechte. Daß die Portu- giesen dort nur geduldet sind, geht schon daraus hervor, daß sie die dortigen Fürsten um das Recht des Handels bitten und ihnen dafür Tribut zahlen müssen. Aus dem Entdeckerrecht aber können sie auch kein Herrschafts- recht ableiten, denn ,, entdecken", wenn man davon ein Besitzrecht ableiten will, heißt nicht bloß mit den Augen wahrnehmen, sondern körperlich ergreifen (apprehen- dere, occupare). Das haben die Portugiesen keineswegs getan, ja sie haben die Länder Indiens nicht einmal als erste gefunden, denn diese waren vor ihnen den alten Griechen und Römern, den Persern, Arabern und Vene- tianern längst bekannt. Der Papst konnte Indien den Portugiesen auch nicht schenken — es ist da an die bekannte Teilung der Erde in eine portugiesische und eine spanische ,, Interessensphäre" durch Papst Alexan- der VI, im Jahre 1496 gedacht — , denn erstens verleiht nicht eine bloße Schenkung Herrschaft, sondern die erfolgte Übergabe, und außerdem wäre eine solche Schenkung ohne jede Bedeutung. Denn der Papst besitzt weder an sich noch als Nachfolger Christi der- gleichen weltliche Macht über die Länder der Erde, daß er darüber frei verfügen könnte, sondern nur geist- liche Macht, und die ungläubigen Völker, wie die Inder 12 Meereskunde, und Sarazenen, sind ihm daher in keiner Weise unter- worfen. Es wäre auch erst die Frage aufzuwerfen, ob nicht die Absichten des Papstes bei jener Teilung der Erde viel begrenzter waren, nämlich nur die, den vor- liegenden Streit zwischen Spaniern und Portugiesen zu schlichten, ohne die Ansprüche der übrigen Völker da- bei überhaupt zu berühren. So bliebe den Portugiesen als einziger Rechtstitel des Besitzes von Indien der des Krieges, d. h. das Recht der Beute oder Eroberung, Auch dieses kommt in keiner Weise in Betracht; die Portugiesen haben jene Länder nicht erobert, ja sie haben kaum Krieg mit ihnen geführt und hätten dazu auch gar keinen Anlaß, da ihr Handel von den Indern geduldet wird und eine kriegerisch-gewaltsame Bekeh- rung der Heiden von den spanischen Theologen aus- drücklich verworfen wird. Nachdem diese Frage erledigt ist, wendet sich Grotius dem zweiten Anspruch der Portugiesen zu, nämlich ihrem angeblichen alleinigen Anrecht auf die Schiffahrtswege nach Indien und die dabei be- fahrenen Meere, Hier ist seine Beweisführung für uns besonders interessant, denn hier handelt es sich wirk- lich um die FreiheitderMeereim engeren Sinne. Das Meer, sagt Grotius, wird gewöhnlich als , (keinem gehörig" oder ,, gemeinschaftlich" oder ,, öffent- lich" (aut nullius aut commune aut publicum) bezeichnet. Wir müssen uns jedoch die Bedeutung der Worte genau klar machen, ,, Dominium" (,, Herrschaft") bedeutet jetzt soviel wie ,, Eigentum", wenn nämlich jemandem etwas so gehört, daß es niemand anderem in gleicher Weise gehören kann, ,, Gemeinschaftlich" nennen wir jetzt eine Sache, die mehreren durch Verbindung oder Verständigung als Eigentum angehört, unter Ausschluß anderer. In der Urzeit dagegen bedeuteten dieselben Worte bei der Einfachheit aller Verhältnisse und der Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere. 13 Armut der Sprache etwas anderes: „gemeinschaftlich" bezeichnete nämlich einfach den Gegensatz zu „eigen- tümlich", „Eigentum"; „Herrschaft" (dominium) bedeu- tete eine nicht widerrechtlich ausgeübte Macht, eine gemeinschaftliche Sache zu benutzen. Ursprünglich nach dem ältesten Völkerrecht, d, h, dem Naturrecht, gab es überhaupt kein Eigentum, alles war gemeinschaft- lich, und wenn man von ,, Herrschaft" sprach, so meinte man das allgemeine und unbegrenzte Verfügungsrecht über alle Dinge, nicht „Herrschaft" im heutigen Sinne, denn diese schließt ,, Eigentum" in sich, das damals keiner hatte. Die Unterscheidung von verschiedenen ,, Herrschaften" im Sinne von ,,E i g e n t ü m e r n" ist nun dadurch entstanden, daß der G e brauch mancher Dinge in ihrem V e r brauch besteht, z, B, bei Speisen, So kam man zu dem Begriff der „Besitzergreifung" (occupatio), die immer die Voraussetzung des Eigen- tums ist. Zunächst verteilten die Menschen bewegliche Güter untereinander, bald aber auch unbewegliche; und zwar muß bei Dingen, die dem Besitz widerstreben (das sind viele bewegliche, z, B, wilde Tiere), die Okkupation eine dauernde sein, bei den anderen genügt es, wenn der körperlich ergriffene Besitz im Geiste aufrecht- erhalten wird: occupatio in mobilibus est apprehensio, in immobilibus i n s t r u c t i o« aut limitatio (,, Besitzergreifung besteht bei beweg- lichen Dingen in der körperlichen Ergreifung, bei un- beweglichen in der Einrichtung oder Begrenzung"), Da nun zugleich mit der Verteilung der Güter, d, h, mit der Entstehung des Eigentums die Staaten entstanden, so verwandelten sich die ehemals allen gemeinschaft- lichen Güter in zwei Arten von Eigentum: ,, privates", das dem einzelnen gehört, und ,, öffentliches", das Eigen- tum des ganzen Volkes ist. Meereskunde, Vorträge. XII. Heft 4. 3 * ^4 Meereskunde. Aus dieser etwas subtilen Auseinandersetzung folgt nun zweierlei: 1. Solche Dinge, von denen nicht Besitz ergriffen werden kann oder niemals Besitz ergriffen "worden ist, können niemandes Eigentum, niemandes Herrschaft unterworfen sein; denn alles Eigentum fängt mit der Besitzergreifung an, — 2, Alle Dinge, die von Natur so beschaffen sind, daß sie trotz Gebrauchs durch irgend jemand doch auch weiterhin allen anderen zum Gebrauche dienlich sind, die also durch den Gebrauch keine Minderung oder Veränderung in ihrer Beschaffen- heit erfahren, müssen von jeher und in alle Ewigkeit von derselben Beschaffenheit bleiben. Solche Dinge kann jedermann benutzen, ohne einen anderen zu schädigen, und sie sind ebenfalls ,,allen gemein- schaftlich, niemandes Eigentum", Solcher Art ist nun auch das Meer. Denn es ist 1, unbegrenzt, so nämlich, daß es von nie- mandem in Besitz genommen, begrenzt, verteilt oder eingezäunt werden kann, 2, dient es dem Gebrauche aller, sowohl in bezug auf die Schiffahrt wie auf die Fischerei, ohne dadurch in seiner Beschaffenheit ver- ändert zu werden. Und was vom Meere gilt, gilt auch vom Meeresboden, von den Sandbänken und Küsten, Das Meer also und der Meeresstrand kann überhaupt niemals jemandes Eigentum werden, weil die Natur nicht nur erlaubt, sondern sogar gebietet, daß es gemeinschaftlich sei. Es ist natürlich nur vom Meer im großen ganzen die Rede, nicht von kleinen Meeres- winkeln, Buchten und Häfen, von denen wohl jemand Besitz ergreifen kann, aber auch nur insoweit, als da- durch der gemeinschaftliche Gebrauch des Meeres und Meeresstrandes nicht beeinträchtigt wird. Wenn aber einige römische Juristen den Satz auf- stellen, das Recht des Römischen Reiches erstrecke sich Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere. 15 auch aufs Meer, und insofern gehöre das Meer zum Römischen Reiche, so meinen sie das nur in bezug auf Schutz und Rechtsprechung, Das Recht des See- schutzes aber folgt nicht etwa aus dem Besitzrecht des Römischen Volkes, sondern im Gegenteil aus der Ge- meinschaftlichkeit des Meeres für alle, oder m. a. W, das Recht des Seeschutzes findet statt, gerade um den gemeinsamen Gebrauch allen unbeeinträchtigt zu er- halten. Es ist zuzugeben, daß zur Erleichterung der Recht- sprechung durch Vereinbarung zwischen Privaten oder Völkern Grenzen auf dem Meere gezogen werden können. Aber solche Vereinbarungen binden nur die unmittelbar Beteiligten, nicht die anderen, Z, B, kann das Fischereirecht durch Übereinkunft zwischen Unter- tanen eines Staates beschränkt werden; Auswärtigen aber ist das Fischereirecht immer voll zuzugestehen. Diese ganze Auseinandersetzung zeigt nun klärlich, daß die Portugiesen das Meer, auf dem man nach Indien fährt, nicht unter ihr Recht gebracht, daß sie kein Herrschafts- oder Eigentums- recht darüber erworben haben. Ja, ihr Anspruch ist geradezu unerträglich, unmenschlich und barbarisch, denn es ist ja nicht einmal von engen be- grenzten Meeresteilen, sondern von großen, unbegrenz- ten, freien Ozeanen die Rede. Wollte man die An- sprüche der Portugiesen und der Spanier gelten lassen, so blieben für die anderen Völker nur wenige Meer- engen und Küstenmeere im Norden übrig. Und wenn schon der Anspruch auf alleinige Herrschaft über eine so ungeheure Fläche auf Grund ausgedehnten Ge- brauchs als maßlos gelten müßte, so erst recht, wenn nian bedenkt, daß es sich ja um eine Sache handelt, deren Gebrauch den Gebrauch durch andere in keiner 3* 16 ' Meereskunde, Weise schädigt. So wie man etwa einem anderen vom eigenen Feuer oder Licht abgeben kann, ohne sich selbst irgendwie zu beeinträchtigen. Außerdem stützt sich doch auch jede ungerechte Vorenthaltung einer Sache immerhin auf den sicheren Besitz, der wenig- stens den Anschein einer Herrschaft über die Sache gewährt. Wie aber sollten die Portugiesen vom Meere Besitz ergriffen haben? Haben sie es etwa wie ein Land mit Besitzzeichen umgeben oder stützen sie sich nur auf bloß vorgestellte, gedachte Linien? Wenn das mög- lich wäre, dann hätten ja längst schon die Geometer von der Erde und die Astronomen vom Himmel Besitz er- griffen! Wo bleibt da die Grundbedingung allen Be- sitzes: die körperliche Verbindung, corporis ad corpus adjunctio? Auch diejenigen, die die Besitzergreifung gewisser Meeresteile für rechtlich zulässig halten, sprechen sie doch nur solchen zu, die die nächsten Häfen und umliegenden Küsten unter ihrer Botmäßig- keit haben. Die Portugiesen aber haben auf dem ganzen langen Seeweg nach Indien höchstens ein paar verein- zelte Stützpunkte, Und ferner, wenn die Portugiesen etwa ihren Anspruch darauf stützen, daß sie das Meer zuerst befahren und einen Seeweg eröffnet haben, und wenn sie das ,, okkupieren, Besitz ergreifen" nennen, was wäre lächerlicher? Denn da schließlich jeder Teil des Meeres einmal von jemandem zuerst befahren wird, so würde daraus folgen, daß jede Schiffahrt von irgend jemandem als Besitz beansprucht werden könnte. Auch sind die Portugiesen nicht einmal die ersten gewesen, die den Ozean befahren haben, denn schon vor ihnen hat z, B, der Karthager Hanno das Kap der Guten Hoffnung umsegelt, haben Mauren, Äthiopier, Araber, Perser, Inder den Seeweg nach Indien befahren. Sie lügen also, wenn sie sich als die ersten Entdecker be- Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere. 17 zeichnen. Und wenn sie endlich auf ihr Verdienst pochen, den so lange unterbrochenen Seeweg mit großer Mühe und Gefahr wieder eröffnet zu haben, so wird ihnen gewiß niemand den Ruhm streitig machen wollen. Aber sie mögen sich dann auch mit dem Ruhm zufrieden geben und allenfalls mit dem Handelsgewinn, der ja doch für die ersten Ankömmlinge immer am größten ist. Kurz und gut, es bleibt dabei: wer, wie die Portu- giesen, einen anderen an der Schiffahrt hindern will, stützt sich auf kein Recht, sondern macht sich selbst des größten Unrechts schuldig. Es gibt eben zweierlei Dinge auf Erden; solche, die man nicht gut ohne Besitz verwerten kann (die die Menschen daher untereinander geteilt haben), und solche, die trotz Gebrauchs durch jemanden für alle gleich gut benutzbar bleiben, die man daher der Allgemeinheit vorbehalten läßt. Allenfalls könnte man noch die Fischerei verbieten, weil dabei wirklich etwas aus dem Meere genommen wird, aber doch nicht die Schiffahrt, die das Meer ja nicht be- schädigt; ebensowenig, wie man etwa auf der doch in lauter Eigentümergrundstücke aufgeteilten Erde das Gehen darüberhin, falls es ohne Waffen und böse Ab- sicht geschieht, untersagen kann. Daß auch durch jene bereits erwähnte Schenkung des Papstes den Portu- giesen kein Recht der Herrschaft über das Meer ver- liehen worden sein kann, braucht nach allem schon früher Gesagten nicht näher ausgeführt zu werden. Und nicht minder unhaltbar ist der letzte Rechtsgrund, auf den man sich beruft, der der praescriptio und der con- suetudo, d. h, eines Besitzrechts auf Grund besonderer Legitimation oder auf Grund der Gewohnheit, wie Grotius in eingehender juristischer Ausführung nach- weist. Denn erstens sind das Grundsätze des Zivil- 18 Meereskunde. rechts, die niemals Geltung haben können, wo das Natur- oder Völkerrecht ihnen entgegensteht, und zwei- tens kann auch nach dem Zivilrecht nicht etwas auf Grund der Gewohnheit oder besonderer Legitimation erlangt werden, wenn es zu den Dingen gehört, die über- haupt nicht in Besitz genommen werden können und dürfen. Das Meer ist nun einmal nach ewigen Naturgesetzen allen gemeinsam, und keine Macht der Welt kann durch ein Privileg ein alleiniges Vorrecht über das Meer einem einzelnen Menschen oder Volke zuerteilen, Grotius führt zahl- reiche Äußerungen spanischer Gesetze und Juristen selbst an, die mit ihm darin übereinstimmen. In ganz ähnlichen Gedankengängen bewegt sich die dritte Gruppe kritischer Kapitel nebst dem voran- gestellten positiven Kapitel 8, worin Grotius nachweist, daß die Portugiesen auch kein besonderes Vorrecht auf den Handel mit Indien geltend machen können. Denn auch die Möglichkeit freien Handels zwischen allen beliebigen Völkern ist eines der Grundgesetze des ursprünglichen Völkerrechts, das von niemandem ver- letzt oder aufgehoben werden kann, es sei denn durch gemeinsamen Beschluß aller Völker, Die Portugiesen können sich also auch hier weder auf den Rechtstitel der occupatio, der Besitzergreifung, stützen, denn das Recht des Handels ist nicht etwas Körperliches, wovon Besitz ergriffen werden kann, noch auch auf den Rechts- titel einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Ge- währung, d, h, also der praescriptio oder der consuetudo. Denn niemand hat die Machtbefugnis, ein solches Recht zu gewähren, weder der Papst, noch sonst jemand, weil eben das alleinige Recht des Handels niemals zwischen freien Völkern und Fürsten Geltung haben, niemals ein Eigentum werden kann. Wenn andere Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere. 19 Völker bisher keinen Handel nach Indien getrieben haben, so ist darin kein stillschweigendes Zugeständnis eines portugiesischen Vorrechts zu erblicken. Sie unterließen das nicht den Portugiesen zu Gefallen, sondern, weil sie bisher keine Gelegenheit oder Lust dazu hatten. Das schließt aber nicht aus, daß sie künftig etwas tun, was sie vorher unterlassen haben. Was wäre lächerlicher und absurder, als wenn daraus, daß der ein- zelne nicht immer mit jedem anderen einzelnen Handel treiben kann, folgen sollte, er dürfe auch in Zukunft niemals mit ihm kaufschlagen? Nachdem Grotius so in kühlen und scharfsinnigen Juristischen Ausführungen die Nichtigkeit der portugie- sischen Ansprüche dargetan hat, schmettert er zum Schluß mit wuchtigen Keulenschlägen die Gegner mora- lisch nieder. Die Portugiesen handeln unbillig, ja gierig und habsüchtig, wenn sie den Handel anderer Völker verhindern wollen. Was ist unbilliger als die Behaup- tung der Portugiesen, ihr Gewinn werde beeinträchtigt durch die Ausdehnung des unerlaubten Handels, wo es doch einer der sichersten Rechtsgrundsätze ist, daß niemand etwas Unerlaubtes tut, wenn er von seinem Rechte Gebrauch macht und sich am allgemeinen Handelswettbewerb beteiligt. Das ist kein unlauterer Wettbewerb, Mögen sich also die Portugiesen noch so sehr beklagen, daß ihr Gewinn geschmälert werde, die Niederländer werden antworten: ,, Trotzdem werden wir unseren Vorteil verfolgen! Wer hat euch ver- sprochen, daß jener Gewinn dauern wird? Mag euch das genügen, womit wir selbst zufrieden sind!" — Ja, mehr als das. Da Recht und Billigkeit fordern, daß den Niederländern wie jedem anderen Volke der Handel nach Indien freisteht, so müssen die Holländer, selbst wenn dies nur um den Preis der Fortsetzung des Krieges 20 Meereskunde. ZU erkaufen ist, die ihnen von der Natur gegebene Frei- heit wahren. Ein Friede nämlich, der nicht auf Aner- kennung einer gewissen Ebenbürtigkeit, sondern einer Unterlegenheit beruht, ist kein wahrer Friede, sondern ein Übereinkommen der Verknechtung, Wahrer Friede ist „in Ruhe genossene Freiheit", ist sachlich dasselbe wie Gerechtigkeit und daraus folgende festgegründete Eintracht, Wie im bürgerlichen Leben jedermann durch gerechten Richterspruch durchsetzen kann, daß er am freien Gebrauch dessen, was gemeinschaftlichen Rechtes ist, nicht behindert werden kann, so besteht im Leben der Nationen das Recht, ja die Pflicht, durch einen ge- rechten Krieg die Nutznießung der Dinge zu erfechten, die nach dem Recht der Natur allen gemeinsam sind. Von seiner sonst so nüchtern-klaren Auseinandersetzung erhebt sich Grotius hier zu hohem patriotischem Schwünge; ,,Wenn es so notwendig ist," ruft er seinen Landsleuten zu, ,, dringe, unbesiegtes Volk, aufs Meer und verfechte kühn nicht nur die Sache deiner Freiheit, sondern die des menschlichen Geschlechts!" Und mit Worten, die wie für unsere Lage und Zeit geschrieben sind, schließt er seine denkwürdige Schrift; ,, Unter diesen Umständen brauchen wir durchaus nicht zu fürchten, daß Gott die Anstrengungen derer begünstigt, die das von ihm selbst eingesetzte Naturrecht verletzen, oder daß die Menschen selbst diejenigen ungestraft lassen, die allein aus Rücksicht auf ihren Gewinn dem gemeinschaftlichen Nutzen des Menschengeschlechtes Eintrag tun." So weit Grotius. Beurteilen wir seine Äußerungen nach der Auffassung, die wir heute von der Freiheit der Meere haben, so fällt uns vor allem eines auf; Grotius vermengt zwei Fragen, die wir jetzt scharf auseinander zu halten gewohnt sind, nämlich 1, die Frage der „Frei- Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere, 21 heit der Meere" im engeren Sinne, d. h. des ungehin- derten Befahrens der Meere in Friedens- und Kriegs- zeiten, und 2. die Frage der , .offenen Tür", d. h, des unbehinderten Handels mit fremden Gebieten, Die letztere Frage, die der „offenen Tür", erscheint uns jetzt im ganzen als die wichtigere, weil sie für die im allgemeinen längeren Friedenszeiten von be- herrschender Bedeutung ist. Die Lösung der ersten Frage aber, die der Freiheit der Meere, ist gewisser- maßen die Voraussetzung für die Behandlung der zwei- ten Frage, Denn wenn ich ein Meer überhaupt nicht befahren darf, so ist es für mich praktisch gleichgültig, ob ich dann jenseits des Meeres eine ,, offene Tür" finde oder nicht. Die Frage nach der Freiheit der Meere ist heute im Frieden praktisch überhaupt keine Frage mehr. Daß man im Frieden auf dem Meere hinfahren kann, wohin man will, gilt heute als selbstverständlich. Die Frage hat sich also tatsächlich eingeengt auf die nach der Unverlctzlichkeit des Privateigentums auf See in Kriegszeiten, Nicht so jedoch zur Zeit des Grotius, Damals erhoben tatsächlich viele Staaten und Fürsten den Anspruch eines wirklichen Herrschafts- Tcchtes auf See, und sie handelten also gewisser- maßen vorbeugend, wenn sie das Befahren gewisser Meere von ihrer Erlaubnis abhängig machten. Denn war das Befahren des verbindenden Meeres verboten, so brauchte die Frage der „offenen" oder „geschlosse- nen" Tür gar nicht erst aufgerollt zu werden. Woher kam es nun, daß damals diese beiden Fragen so brennend, so heftig umstritten waren? Der Grund ist in der großen Umwälzung der Seehandelsverhältnisse im damaligen Europa zu suchen. Im Mittelalter kannte Europa keine außereuropäischen Kolonien. Kolonien, «d, h, Rohstoffgebiete, besaß es gleichwohl, nämlich in 22 Meereskunde, seinen östlichen Teilen, in der Levante und in den Ost- seeländern, Die Levante hatten die Italiener dem west- europäischen Handel erschlossen, und sie ,, beherrschten" den Levantehandel als die Erstankömmlinge und Bahn- brecher mehrere Jahrhunderte lang. Genau dieselbe Rolle, und aus denselben Gründen, spielten im Ostsee- gebiet die Hansestädte. Als nun gegen Ende des 15, Jahr- hunderts die übrigen west- und nordeuropäischen Staaten sich politisch und wirtschaftlich festigten, als hier eine Reihe kraftvoUerNationalstaaten unterFührung desKönig- tums und mit starken Ausbreitungsneigungen auftraten, da war ein Kampf um den Zugang zu jenen alten Kolo- nien unvermeidlich, da weder die Italiener noch die deutsche Hanse die neuen Wettbewerber gutwillig zu- lassen wollten. Jedoch beobachten wir einen bezeich- nenden Unterschied, Venedig z, B., der mächtige Handelsstaat mit seiner großen Kriegsflotte und seinen reichen Geldmitteln, hat ein wirkliches staatliches Herr- schaftsrecht wenigstens über das Adriatische Meer be- ansprucht. Kein fremder Seefahrer sollte sich hier ohne Erlaubnis der Venezianer und ohne Abgabenzahlung an sie blicken lassen. Darunter hatte besonders das aufblühende Triest zu leiden; es suchte schließlich gegen die Vergewaltigung durch Venedig Schutz bei den Habs- burgern und schloß sich 1382 freiwillig dem werdenden österreichischen Staate an. Aber auch Österreich hat die volle Freiheit seiner Schiffahrt auf der Adria erst 1717 durchgesetzt. Im Ostseegebiet hat die deutsche Hanse, die ja kein eigentlicher Städtebund war und weder insgesamt noch in ihren Einzelgliedern eine solche Seemacht besaß wie Venedig und Genua, so weitgehende Ansprüche nicht erhoben. Einen Anspruch auf wirkliche Allein- herrschaft in der Ostsee, wie es gelegentlich behauptet Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere. 23 wird, hat die deutsche Hanse nicht geltend gemacht. Was sie hat verhindern wollen, war die freie Fracht- schiffahrt und der Handel der Holländer und anderer Wettbewerber nach Livland und Rußland, d, h, also, sie wollte in diesem bisher von ihr allein beherrschten Handelsgebiet den Holländern keine ,, offene Tür" ge- währen- Sie hat zeitweise in diesem Zusammenhang sogar den Gedanken erwogen, die Zahl der jährlich durch den Sund in die Ostsee fahrenden holländischen Handelsschiffe zu beschränken, und hat um die Frage der ,, offenen Tür" im ostbaltischen Gebiet zu Beginn des 16, Jahrhunderts drei Seekriege mit den Holländern geführt, ist jedoch schließlich unterlegen. Hat aber die deutsche Hanse die , »Freiheit der Meere" im engeren Sinne in der Ostsee nicht angefochten, so geschah dies doch von anderen Ostseemächten, Im Jahre 1563 ist zuerst von Seiten des Königs von Polen gegen Schweden der Vorwurf erhoben worden, es trachte nach Erlangung des ,, Dominium maris Baltici", Unter diesem Schlag- wort ist die Frage berühmt geworden. Am hart- näckigsten hat Dänemark dieses Dominium für sich in Anspruch genommen, und hier ist es wieder König Christian IV, gewesen, der mit besonderem Eifer sich dieses vermeintliche Zubehör seines Souveränitätsrechts angemaßt hat. Nach dänischer Auffassung erstreckte sich das Herrschaftsrecht über die gesamten südlichen Teile der Ostsee bis mindestens zum Rigaischen Meer- busen, und kein schwedischer Ostseehafen hätte danach Verkehr mit dem Ausland pflegen können, ohne daß dieser dänische Gewässer passierte. Praktisch äußerte sich dieses angemaßte ,, Dominium" darin, daß Christian IV, nach Herzenslust die Schiffe der Lübecker und anderer Hansestädte beschlagnahmte und plünderte, sowie daß er die Sundzölle willkürlich erhöhte. Damit 24 Meereskunde. brachte er die Niederländer gegen sich auf, die mit den Hansestädten (1613) und mit Schweden (1614) ein Bünd- nis schlössen, um die Rechte der Neutralen auf freien Handel und freie Schiffahrt zu wahren. Die Friedens- schlüsse zu Brömsebro (1645) und Roeskilde (1658) kosteten Dänemark die Inseln Gotland und Ösel und die Sundprovinzen Schonen, Hailand und Blekinge und untergruben damit seine Machtstellung in der Ostsee. Christian IV, sah sich genötigt, die Sundzölle herab- zusetzen. Nachdem die Niederländer aber dies Ziel erreicht hatten, fürchteten sie ein zu starkes Anwachsen der schwedischen Macht und schlugen sich fortan auf die dänische Seite. Christians IV. Ansprüche auf „Dominium maris" erstreckten sich nicht allein auf die Ostsee, sondern auch auf die norwegischen Gewässer, Zu Norwegen rechneten auch die Färöer, Island und das alte, gegen Ende des 10, Jahrhunderts von Norwegen entdeckte und besiedelte Grönland. Grönland war jahrhunderte- lang gänzlich verschollen und außer Verkehr mit Skan- dinavien gewesen. Der Wunsch, es wieder zu ent- decken, spielte bei den Eismeerfahrten zur Auffindung einer direkten (nordöstlichen oder nordwestlichen) Durchfahrt nach dem sagenhaften Goldland Katai eine Rolle, Erst seit 1605 haben dänische Expeditionen die Verbindung mit Grönland wiederhergestellt. Inzwischen aber hatten die Niederländer 1596 unter Heemskerk, Berends und Rijp Spitzbergen entdeckt, Christian IV, trat alsbald mit der Behauptung hervor, die Insel sei ein Teil Grönlands, sie gehöre zu den „Grönländischen Utscheeren", unterstehe also der Hoheit der dänischen Krone, Er gab ihr den Namen ,, Christiansbergen" und versteifte sich darauf, in dem ganzen „Grönländischen" Eismeer — der Walfang in den Gewässern um Spitz- Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere. 25 bergen ging ja seit dieser Zeit jahrhundertelang unter der Bezeichnung „Grönlandfahrt" — habe niemand ohne seine Erlaubnis etwas zu suchen. Dabei stieß er jedoch aufs heftigste nicht nur mit den Niederländern, sondern vor allem mit den Engländern zusammen, die auf Grund der übrigens vollständig falschen Behauptung, die be- rühmte englische Rußland-Expedition unter Sir Hugh Willoughby und Richard Chancellor 1553 habe Spitz- bergen entdeckt, ein Hoheits- und Herrschaftsrecht über das nördliche Eismeer für England in Anspruch nahmen. Der eigentliche Grund, warum der Streit darum solche Heftigkeit annahm, war natürlich der, daß es sich hier, wie wir gleich sehen werden, um die Aus- beutung des gewinnbringenden Walfangs handelte. Damit kommen wir auf die englischen See- herrschaftsansprüche, deren Verfechtung und Bekämpfung dem Büchlein des Hugo Grotius erst seine wirkliche Bedeutung und Berühmtheit verschafft hat. Die Ansprüche Englands auf die Meere, die seine Inseln umspülen, sind sehr alt. Greifbarer treten sie doch erst seit Eduards I. Zeit (um 1300) hervor, und zwar lauten sie zunächst immer nur auf das ,, Dominion over the n a r r o w seas", die ,, engen Meere", worunter man den englischen Kanal verstand. Ursprünglich wurde auch hier nur der Anspruch auf ,,sovereignity over the sea" erhoben, d. h, eine gewisse staatliche Oberhoheit; erst später tritt daneben die Forderung des ,,dominion", d. h, des Eigentums der englischen Krone am Meer und seinen Erzeugnissen, insbesondere an der Fischerei, Abgesehen von dem Anspruch auf ,,sovereigiüty" oder , »Dominion" over the n a r r o w seas sprechen sich die englischen Könige (wie übrigens auch andere Fürsten) ein Recht der ,,jurisdictio" auf See zu, das mit Eigen- tum am Meere und Seemacht rechtlich nichts zu tun 26 Meereskunde. hatte, sondern nur die Rechtsprechung auf Schiffen betraf, aber sich auf einen viel weiteren Be- reich, auf einige hundert oder zum mindesten hundert Meilen von der Küste erstreckte. Es muß deswegen hier erwähnt werden, weil man später diese weitere Ausdehnung benutzte, um auch dem dominium maris einen ähnlich umfangreichen Geltungsbereich zuzu- schreiben. Die Frage nun, an der sich der denkwürdige Streit zwischen England und den Niederlanden über die Frei- heit der Meere entzündete, war die der Fischerei. Gegen Ende des 16, Jahrhunderts entfaltete sich die niederländische Heringsfischerei (die sogenannte ,, große" Fischerei) in der Nordsee zur höchsten Blüte, Die Holländer pflegten alljährlich im Juni den Fang an der Schottischen Küste — bis hinauf zu den Shetland- Inseln — zu beginnen und bis gegen Ende des Jahres, allmählich weiter nach Süden segelnd, fortzusetzen, um ihn im November auf der Höhe von Yarmouth zu be- enden. Mit Neid sahen die Engländer und Schotten die riesige, glänzend ausgerüstete und bemannte hollän- dische Fischerflotte, der sie nur eine weit geringere Zahl dürftiger Fischerboote an die Seite zu setzen hatten. Man empfand diesen Unterschied mit um so mehr Un- mut, als die Seefischerei als die beste Schule der See- mannschaft, also als die unentbehrliche Grundlage einer Seemacht und leistungsfähigen Kriegsflotte galt. So tauchte, zuerst um 1580, der Vorschlag auf, die eng- lische Fischerei zu heben, und zwar zunächst durch Gründung einer Gesellschaft, die mit großem Kapital die Fischer ausrüstete und unterstützte. Einige Jahr- zehnte später gesellte sich diesen Vorschlägen der weitere Plan zu, gestützt auf den englischen Anspruch auf das ,, dominium maris" den Niederländern eine Ab- Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere. 27 gäbe abzufordern, dadurch ihre Fischerei zu belasten und einzuschränken, und so den Klagen der Engländer abzuhelfen, zugleich aber auch die leeren Kassen der Krone zu füllen. Am 16, Mai 1609 erließ König Jakob I, eine „Pro- clamation touching Fishing", worin er den Holländern das Fischen auf seinen Meeren und an seinen Küsten verbot, außer gegen Zahlung einer Lizenz, Begründet wurde die Berechtigung hierzu einmal auf das Recht der Jurisdiktion und des Schutzes über die Seeleute, wie auch auf das Recht des ,, Dominium maris", welches definiert wurde als das Eigentumsrecht der englischen Könige auf die Narrow seas, das durch praescriptio, d. h, ein durch langdauernden Gebrauch legitimiertes Vorrecht, erworben sei. Die Veröffentlichung des Plakats erweckte in den Niederlanden die schwerste Besorgnis und erregte einen jahrzehntelangen Streit mit England, auf dessen ver- wickelte Einzelheiten ich hier nicht näher eingehen kann. Nur die Hauptwendungen will ich kurz er- wähnen. Die Niederländer schickten sogleich eine Gesandt- schaft nach England, um die Aufhebung des Plakats durchzusetzeri. Sie beriefen sich einmal auf das Natur- recht, kraft dessen ihnen freie Fischerei zustehe, aber auch auf die Handelsverträge mit England von 1496 und mit Schottland von 1550/94, von denen der erstere ihnen ausdrücklich das Recht der freien Fischerei zu- sprach, der zweite ein besonders zu gewährendes Fischereirecht überhaupt nicht erwähnte — was beide Parteien zu ihren Gunsten deuteten: die Holländer, weil man an dominium maris überhaupt nicht gedacht habe (sicher der richtige Standpunkt), die Engländer, weil das dominium maris selbstverständlich sei. Dem- 28 Meereskunde. gegenüber bestritten die Engländer, daß das angeblich von allen Fürsten in Anspruch genommene Recht auf ihre Küstenmeere oder die Fischerei darin durch einen Satz des Naturrechts oder durch Erwerbung mittels un- bestrittenen Gewohnheitsrechts außer Kraft gesetzt werden könne. Außerdem behaupteten sie, der Handels- vertrag von 1496 sei durch einen späteren Vertrag außer Kraft gesetzt worden (was jedoch keineswegs zu- traf). Im Laufe der Verhandlungen ließen sich die Niederländer zu dem gefährlichen Zugeständnis herbei, sich mit einer Sonderbefreiung von der Lizenz- erhebung zufrieden zu geben. Damit gaben sie ihren grundsätzlichen Standpunkt auf. Zu einer Eini- gung wäre man trotzdem nicht gekommen, wenn nicht politische Gründe damals König Jakob L veranlaßt hätten, auf eine Ausübung des beanspruchten Rechts und eine Erhebung der Lizenz vorläufig zu ver- zichten. Die Sache blieb also in der Schwebe, In den folgenden Jahren wurde sie besonders literarisch ver- fochten durch eine Reihe englischer Streitschriften, von W, Raleigh, Tobias Gentleman u. a,, die alle die Hebung der englischen Fischerei und des englischen Handels zum Gegenstand hatten. Damals erst wurde auch des Grotius ,,Mare liberum" in England bekannt. Man wußte nicht, welchem Ereignis es seinen Ursprung ver- dankte, und hielt es für einen versteckten Angriff gegen die englischen Ansprüche, zumal das Erscheinungsjahr 1609 auffällig mit dem des Fischereiplakats Jakobs I. zusammenfiel. Der persönlich sehr empfindliche König bezog denn auch die Angriffe auf sich und nahm sie Grotius — als dessen Verfasserschaft bekannt wurde — gewaltig übel. Der schottische Jurist William Welwood veröffentlichte zwei Gegenschriften, die Grotius' Argu- Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere. 29 mente direkt zu widerlegen versuchten, wenn auch mit wenig Geschick und Glück, Eine Erwiderung de Groots blieb aus politischen Rücksichten ungedruckt. Schließ- lich hielt Jakob es doch für angezeigt, dem Worte die Tat folgen zu lassen. Im Jahre 1616 ließ er plötzlich durch einen schottischen Beamten John Brown von den niederländischen Fischern an der schottischen Küste die Abgabe erheben. Als Brown im folgenden Jahr den Ver- such wiederholte, wurde er von einem niederländischen Konvoikapitän festgenommen und nach Holland ge- bracht. Das hatte einen Wutausbruch König Jakobs zur Folge, und beinahe wäre es darüber zu einem Bruch zwischen England und den Niederlanden gekommen. Die Generalstaaten mußten de- und wehmütig Abbitte leisten. An ihrem Standpunkt hielten sie freilich fest. Noch allerhand neuer Zündstoff war in diesen Jahren hinzugekommen. Einmal die schon erwähnte Frage des Fischereirechts in den Gewässern um Spitzbergen. Hier hatten im Jahre 1611 zuerst die Engländer den Walfang zu betreiben begonnen, ihnen folgten seit 1612 mit noch weit größerem Erfolge die Niederländer und wenige Jahre später auch ein paar Dänen. Zwei Mächte, Eng- land und Dänemark, erhoben hier Anspruch auf das Dominium maris, Dänemark auf Grund angeblichen alten norwegischen Besitzes, England auf Grund eines nicht minder anrüchigen Entdeckerrechts. Die Nieder- länder verlangten wenigstens das Recht ungestörten und womöglich alleinigen Walfangs. Während die Ver- suche Christians IV., durch Kriegsschiffe Tribut zu er- heben, von den beiden anderen Wettbewerbern ziem- lich leicht abgewiesen wurden, kam es zwischen Niederländern und Engländern wiederholt zu blutigen Gewalttaten. Und ganz ähnlich stand es in Indien. Hier waren die Niederländer, nachdem sie sich gegen 30 Meereskunde. die Spanier und Portugiesen durchgesetzt hatten, die beati possidentes und blickten scheel zu den Versuchen der englischen Ostindien-Kompagnie, auf Java und den Molukken ebenfalls Handelsbeziehungen anzuknüpfen. Der tatkräftige niederländische Generalgouverneur in Batavia, Jan Pieterszoon Coen aus Hoorn, machte den Engländern dort das Leben blutsauer. Übrigens sind diese ganzen Streitigkeiten so recht ein Beleg dafür, wie wenig ernst es den Streitenden mit ihren so anspruchsvoll vorgetragenen grundsätzlichen Argumenten war. Die politische Heuchelei blühte damals nicht weniger als jetzt und die englischen Diplo- maten jener Zeit, wie auch der große Grotius selbst waren ihren heutigen Kollegen von der ,, Entente" in der geschickten und skrupellosen Handhabung hoch- moralischer Phrasen ebenbürtig. Die Engländer forder- ten 1609 in dem Fischereiplakat Jakobs I. jurisdictio et dominium maris in den englisch-schottischen Gewässern, 1613 dagegen freie Fahrt nach Ostindien unter Berufung auf das ihnen kraft Naturrechts zustehende freie Meer. Im selben Jahre wieder beraubten sie niederländische Walfänger bei Spitzbergen, weil ihnen das dortige Meer durch occupatio und Entdeckerrecht allein zustehe, und 1615 bis 1618 endlich verteidigten sie gleichzeitig mare liberum in Ostindien und mare clausum im Eismeer und in den heimischen Gewässern, Die Niederländer gaben ihnen aber an diplo- matischer ,, Vielseitigkeit" nichts nach. In der Nord- see, in der Frage der ,, großen" Fischerei, waren sie die Hochmoralischen, kämpften um jus naturae und mare liberum nicht bloß für sich, nein, für die Menschheit. Einige Dutzend Breitengrade weiter nörd- lich, im Grönländischen Eismeer, verflüchtigte sich jus naturae. Hier gedieh auch nach niederländischer Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere. 31 Auffassung besser die Theorie des mare clausuni; die niederländischen Wallänger und die Generalstaaten als ihre Anwälte vertraten hier den Grundsatz des Fischereimonopols auf Grund des Entdeckerrechts, Und wie die Polarkälte, s© schien auch die Tropensonnc Ostindiens der Idee des Mare liberum nach nieder- ländischer Anschauung wenig förderlich. Der große Hugo Grotius selbst hat sich nicht entblödet, im Auf- trage der Generalstaaten 1613 die Argumente seines mare liberum — soweit sie von den Engländern für ihre Ostindienfahrt benutzt wurden — in eigener Person zu widerlegen. Er tat das mit viel Eleganz und Gewandt- heit, aber etwas niederdrückend wirkt dieses Übermaß diplomatischer Geschicklichkeit bei einem so großen Geiste doch. Natürlich hat diese Doppelzüngigkeit die Niederländer mehrmals in eine recht fatale Klemme gebracht, und auch die aalglatte Gewandtheit ihrer Unterhändler konnte ihnen einige gehörige diplo- matische Niederlagen nicht ersparen. Was es ihnen er- möglichte, mehrere Jahrzehnte die strittigen Fragen un- gelöst — zu ihrem Vorteil — zu verschleppen, das waren die wechselnden politischen Umstände der Zeit, besonders Jakobs I, und Karls I. schwankende Politik während der Wirren des Dreißigjährigen Krieges. In ein neues Stadium trat die Frage, als Karl I, seit 1635 etwa auf den Gedanken kam, durch Förderung der Seemacht in dem Ringen um die Volksgunst dem Parla- ment den Rang abzulaufen. Damals erschien auf aus- drücklichen königlichen Befehl JohnSeldens „Mare clau- suni". In diesem Buche, das schon Jakob I., wie erwähnt, mit vielem Eifer studiert, dessen Veröffentlichung er aber mit Rücksicht auf seinen Schwager Christian IV. von Dänemark verhindert hatte, wurden mit viel Geschick und Gelehrsamkeit zwei Sätze verfochten: nämlich 32 Meereskunde. 1, ,,Mare, ex jure naturae seu gentium, omnium hominum non esse commune, sed Dominii privati seu proprietatis capax, pariter ac tellurem, esse" (das Meer gehöre nach dem Natur- oder Völkerrecht nicht allen Menschen gemeinschaftlich, sondern könne, wie das Land, der privaten Herrschaft oder dem Eigentum unterworfen werden) und 2. „Serenissimum Magnae-Britanniae regem maris circumflui, ut individuae atque perpetuae Imperii Britannici appendicis, dominum esse" (Se, Majestät der König von Großbritannien sei der Herr des umgebenden Meeres als eines unlösbaren und ewigen Zubehörs des Britischen Reiches), Nach John Seiden erstreckte sich dieser englische Anspruch (der nicht etwa nur jurisdictio und Imperium, sondern ausdrücklich das dominium, d, h, das volle Eigentum umfaßte) auf vier Meere, den Oceanus Ger- manicus, d. h. die Nordsee bis zur niederländischen und dänischen Küste, den Oceanus Britannicus, einschließ- lich des Oceanus Gallicus, d, h. den Kanal und den Biskayischen Meerbusen bis zur französischen und spanischen Küste, den Oceanus Vergivius (von Vergyn, dem alten Namen Irlands), westlich von Irland in un- bestimmter, doch nicht allzu weiter Ausdehnung, und endlich den Oceanus Hyperboraeus, das Meer nördlich von Irland und Schottland bis zu den Shetland-Inseln. Wollten wir also eine politische Karte Großbritanniens entwerfen, so müßten wir nach der englischen Ansicht jener Zeit die Grenzen nicht an den britischen Küsten, sondern weit draußen an den benachbarten Küsten des Festlandes und durch den weiten Ozean ziehen. Seldens Grenzen fallen — eine seltsame Ironie der Ge- schichte — ziemlich genau mit unseren heutigen Sperr- gebietsgrenzen um England zusammen. Es ist übrigens bezeichnend, daß Grotius, der in- Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere. 33 zwischen seinem undankbaren Vaterlande den Rücken gekehrt hatte und in schwedische Dienste getreten war, die Aufforderung, eine Gegenschrift zu verfassen, ab- lehnte, mit der Begründung, er wolle seine neuen Brot- geber wegen ihrer Herrschaftsansprüche auf den Bott- nischen und Finnischen Meerbusen nicht vor den Kopf stoßen. Seldens Buch also war fortan die Autorität, auf die sich Karl I, und seine Ratgeber bei Verfechtung des Dominium maris stützten. Den König leiteten, wie ich schon andeutete, bei der Wiederaufnahme der Streit- frage folgende Beweggründe: er wollte die Wett- bewerber Englands durch Einschränkung ihrer Fischerei schwer schädigen, zweitens sich beim Volke durch kräf- tige Betonung des englischen Seeschutzes und der See- herrschaft populär machen, und drittens durch die von den Niederländern erpreßten Lizenzen eine Geldquelle gewinnen, die ihn mit anderen zusammen finanziell vom Parlament unabhängig machte. Überhaupt war Karl ein Meister in Versuchen, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Auch die Eifersucht gegen Frankreichs aufblühende Seemacht spielte mit. Zur großen Be- stürzung der Niederländer ließ der König tatsächlich im Sommer 1636 eine Flotte in See gehen, die den doppelten Auftrag hatte, von den niederländischen Schiffen eine ,, Ehrenbezeugung" und damit die An- erkennung der britischen Seeherrschaft zu erzwingen, und ihnen außerdem eine Abgabe für Ausübung des Fischereirechts abzufordern. Das gelang ihr auch tat- sächlich, wenn auch nicht in allzu großem Umfang; der schlimmste Schaden für die Niederländer war der, daß die Engländer den Eindruck gewonnen hatten, die Niederländer seien leicht zu vergewaltigen; die Fischer zahlten die Abgabe bereitwillig, und die Konvoischiffe 34 Meereskunde. wagten keinen Widerstand, Eine große Schutzflotte^ die die Generalstaaten in See sandten, verfehlte die Engländer und richtete nichts aus. Aber wie schon früher kamen die politischen Um- stände den Niederländern zu Hilfe, Karl L, für dessen Politik damals der Wunsch nach Wiedereinsetzung seiner pfälzischen Verwandten leitend war, sah sich in seiner Hoffnung, mit dem Deutschen Kaiser zu einem freundschaftlichen Einvernehmen zu gelangen, ge- täuscht. Der schon oft, besonders von niederländischer Seite, verfolgte Plan einer großen protestantischen Allianz gegen Spanien-Habsburg schien greifbare Ge- stalt zu gewinnen. Wollte aber Karl als Vorkämpfer des Protestantismus auftreten, dann durfte er es mit den Niederländern, die bei der Zurückführung seiner pfälzischen Verwandten wertvolle militärische Hilfe leisten konnten, nicht verderben. So haben die Eng- länder in den nächsten Jahren die niederländische Heringsfischerei stillschweigend in Ruhe gelassen. Die Frage der Eismeerfischerei hat sich schon seit etwa 1620 dadurch praktisch gelöst, daß der Fang infolge zu- nehmender Scheuheit der Wale von den Buchten Spitz- bergens ins offene Meer verlegt werden mußte, und ein ungeschriebenes Übereinkommen Engländern und Niederländern getrennte ,, Interessensphären" zuwies: den Holländern im Norden, den Engländern im Süden, Über die ostindische Frage war schon früher ein Ab- kommen getroffen worden, das freilich die Fortdauer der Streitigkeiten auch nicht hinderte. Auch über die Heringsfischerei und das britische , »dominium maris" wäre es bald wieder zu Auseinandersetzungen ge- kommen, da der wetterwendische König nach dem Scheitern des protestantischen Allianzplanes schon wieder eine Annäherung an Spanien plante — hätte Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere. 35 sich nicht inzwischen sein Streit mit dem Parlament so zugespitzt, daß Karl L in seiner äußeren Politik gelähmt war. Seit 1642 befand sich Karl in offenem Kampf mit dem Parlament, Die Niederländer hatten auf zehn Jahre völlig freie Hand und hatten im Gefühl ihrer Über- legenheit sich schon 1639 nicht gescheut, die gegen sie bestimmte spanische Flotte in einer der sogenannten ,-King's Chambers", d, h, in einem ausdrücklich der Hoheit der britischen Krone vorbehaltenen Meeresteil in den ,,Downs", zu überfallen und zu vernichten. Der Anspruch der beiden englischen Stuart-Könige auf das Dominium maris war damit jämmerlich gescheitert. Erst zehn Jahre später ist Cromwell als Rächer aufgetreten. Im ersten englisch-niederländischen See- kriege 1652 bis 1654 haben die Niederländer im ganzen doch ungünstig abgeschnitten, Sie mußten sich dazu bequemen, das britische Hoheitsrecht in den britischen Gewässern bei Begegnungen von Schiffen durch Streichen der Flagge und Marssegel förmlich anzuer- kennen. Über die Schiffahrtsfrage in Ostindien und im Eismeer sollten weitere Verhandlungen geführt werden. Am schlimmsten war es, daß sie sich mit der englischen Navigationsakte von 1651 abfinden mußten. Diese Navi- gationsakte, später noch mehrfach erweitert und schär- fer gefaßt, behielt allen Handel der englischen außer- europäischen Kolonien mit England britischen Schiffen vor, ebenso den Verkehr mit den meisten europäischen Ländern englischen Schiffen oder solchen des betreffen- den Landes, Die Niederländer, bis dahin (und immerhin noch auf lange Zeit) die größten Frachtfahrer von Europa, wurden durch diese Bestimmung aufs schwerste geschädigt. Der Grundsatz der „offenen Tür", der die Grundlage ihres Aufblühens gebildet hatte — außer wo sie selbst ein Monopol erlangen zu können glaubten — 36 Meereskunde, wurde dadurch im Machtbereich Englands außer Kraft gesetzt. Überhaupt ist diese Frage der „offenen Tür" (die freilich erst viel später so genannt worden ist) von da ab die bei weitem wichtigste im Kampf um die Freiheit der Meere gewesen, daneben die Frage des Schutzes des Privateigentums und der neutralen Flagge auf See, Dagegen ist die Frage nach dem förmlichen Hoheits- recht, dem ,, dominium maris" im engeren Sinne, sowie nach dem Eigentumsrecht an der Fischerei allmählich immer mehr zurückgetreten und hat in neuerer Zeit eigentlich nur noch in bezug auf die engsten Küsten- gewässer Bedeutung. Allerdings hat sich England bis in die Gegenwart immer noch eine Art Seepolizeirecht auf der ganzen Welt angemaßt. Daß der Anspruch eines Herrscherrechts auf See im eigentlichen Sinne vvieder Bedeutung gewinnen könnte, ist unwahrschein- lich. Man hat heute viel feinere und wirksamere Mittel, um unbequeme Wettbewerber mattzusetzen, vor allem eben in der Richtung des Handelsrechts, des Zoll- schutzes und der ,, offenen Tür", Die Beschlüsse der Pariser Wirtschaftskonferenz zur Erdrosselung des deutschen Außenhandels zeigen das. Insofern ist die Behandlung der Freiheit der Meere in Grotius' Mare liberum nur noch von rein historischem Belang, Doch v^^ird diese Schrift, eben weil sie diesem Schlagwort zur Volkstümlichkeit verholfen hat, und wegen ihrer klassi- schen Form immer denkwürdig bleiben. Lassen Sie mich zum Schluß nur eines noch her- vorheben. Die Geschichte, sagt man, diene dazu, uns durch ihre Erfahrungen für die Politik der Gegenwart und der Zukunft zu belehren. Wenn wir aus den ge- schilderten Vorgängen etwas lernen können, so ist es dies, daß damals wie heute die , moralischen Betrach- Hugo Grotius und das Schlagwort von der Freiheit der Meere. 37 tungen und die schwungvollen Redensarten dazu dienen, die Machtbelange und ihre Vertretung schamvoll zu verschleiern. Mögen sie auch im einzelnen Fall ehrlich gemeint sein, solange sie den eigenen Machtwünschen nicht geradezu widerstreiten — sie schwinden zu- sammen zu hohlen heuchlerischen Masken, sobald sie in Gegensatz zu den Bedürfnissen der eigenen Nation ge- raten. Wir sahen, wie sich Engländer und Nieder- länder nichts darin nachgaben. Beide bedienten sich einander widersprechender, völlig unvereinbarer Grund- sätze gleichzeitig, je nachdem es gerade ihren Belangen entsprach. Wenn die Niederländer dabei scheinbar durch Verkündigung der , »Freien Meere" den höheren ethischen Standpunkt einnahmen — um so ärger und schimpflicher war es, daß sie in Ostindien und im Eis- meer ihren Grundsätzen stracks zuwiderhandelten, weil sie ihnen hier unbequem und schädlich waren. Hat doch in solchem Widerstreit selbst ein so hoher Geist und zweifellos edler Charakter wie Hugo Grotius sich nicht gescheut, seine eigenen Grundsätze in sophistischer Weise zu widerlegen. Eine so auffallende Erscheinung läßt sich nicht mit ein paar billigen bedauernden Redensarten über die Schwachheit und Schlechtigkeit der menschlichen Dinge abtun, sie sollte uns vielmehr zum Nachdenken anregen über die Grenzen oder richtiger über den wahren Sinn der Ethik im politischen Leben, Es ist mit den Staaten und Völkern wie mit den Menschen, So wenig das Handeln des einzelnen Menschen sich in reine Ethik umsetzen kann — - er sei denn ein Heiliger und Asket, und selbst dann nicht vollständig — , so wenig kann die Politik der Staaten aus der bloßen Anwendung ethischer Grundsätze bestehen. Der Mensch ist und bleibt eben in erster Linie ein Naturwesen, das ißt und ^8 Meereskunde. trinkt und seine Kraft und Macht gebraucht, um zu leben und sein eigenes Dasein zu behaupten, und genau so ist ein Volk und sein Staat zu allererst und allertiefst ein lebendiges Naturwesen, ein Organismus, dessen tiefstes Wesen Selbstbehauptung, mit anderen Worten: Macht ist. Gewiß sollen die Staaten in der Ausübung der Macht weise Selbstbeschränkung üben, sie nicht in rohe Gewalt ausarten lassen. Aber zu ver- langen, daß sie in der äußeren Politik auf die Ausübung der Macht überhaupt verzichten, ist dasselbe, wie den Menschen das Atmen und Essen zu verbieten, d, h. also, ihnen Selbstmord zuzumuten. Hier enthüllt sich die U n - moraldesPazifismus. Die Sozialdemokratie z.B., die den Staaten die Ausübung der Macht nach außen am liebsten ganz absprechen möchte, baut im Inneren ihre ganze Politik auf dem Kampf um die Macht auf; die Erringung der Macht ist ihr vornehmstes Ziel im Klassenkampfe, — Wie könnte aber das, was im Kampfe der Individuen und Klassen als moralisch gilt, es im Kampfe der Nationen nicht sein? Kurzum, wie die Freiheit der Bürger und der Stände nicht nur eine Rechts-, sondern vor allem eine Macht frage ist, so wird auch die Freiheit der Nationen im Gebrauche der Meere im genauen Verhältnis zu ihrer Macht stehen. Gerade so wie das Proletariat nach Marx und Engels vor allem die politische Macht erringen muß, um auch wirtschaftlich frei zu werden, so wird auch den Staaten die Freiheit der Meere ohne Schwierigkeit zufallen, die eine genügende See macht besitzen, mag es sich um die Niederlande im 17, oder Deutschland im 20, Jahr- hundert handeln. Gedruckt in der Königlichen Hofbuchdruckerei von E. S, Mittler & Sohn, Berlin SW68. KochstraOe 68—71. Verlag von E. S. Mittler & Sohn, Königliche Hoibuchhandlung, ====== Berlin SW68 =i=^=^== Grai Rcvcntlow Brauchen wir die flandrische Küste? 13. bis 17. Tausend :: Preis M2, — yy/ohl niemals liat ein großes Volk gleichgültiger und weniger unterrichtet den über seine Zukunft entscheidenden Aufgaben gegenübergestanden als das deutsche. Dies gilt vor allem hinsichtlich der heiß umstrittenen sogenannten belgischen Frage, die in Wirklichkeit die deutsche Frage ist. Diese sachkundige Schrift enthält eine klare Darlegung vor allem des militärisch-maritimen Problems und erörtert, weshalb es für die Zukunft nur ein Belgien unter englischer oder ein Belgien unter deutscher Oberherrschaft geben kann. Sie besitzt größte vaterländische Bedeutung. Graf Reventlow Deutschlands auswärtige Politik 1888—1914 Neunte Auflage :: Geheftet M12,50 Pappband M 15,23, Leinen M 18, — pjn überaus wertvolles Buch, dessen Blätter wir uns seit Kriegsbeginn täglich durch die Finger gleiten lassen. -Dieser Reventlow stellt sich ganz in den Dienst des deutschen Flottengedankens, der Ausdehnung und Weltpolitik umfaßt. Reventlow schreibt geijen England. Konnte ein Mann zeitgemäßer sein! Alle welt- politischen Probleme Deittschlands reiht er auf diesen englischen Faden. Für einen denkenden Zeitungsleser, der sich nicht in den Rahmen seiner Partei zwängen läßt, wüßten wir kein gediegeneres Geschenkwerk. Neue Hamburger Zeltung. Verlag von E. S. Mittler & Sohn, Königliche Hofbuchhandlung, =^^=^= Berlin SW68 ====^===1==== Der Einfluß der Seemacht im Großen Kriege Von Graf Ernst Rcvcntlow = Dritte Auflage = Kriegspreis M 10,65, gebunden M 12,50 ps ist ein niciit hoch genug zu schätzendes Verdienst des als Autorität bekannten ^ Verfassers, das Erfahrun gsmaterial , das dieser Krieg geschaffen hat und das für den Marinefachniann von höchstem Belang ist, liier zusammengefaßt zu haben. Man muß daraus den Schluß ziehen, daß das Deutsche Reich eine Seemacht braucht, um sein Leben im Frieden zu sichern, im Kriege verteidigen zu können; ferner daß das Rückgrat und die Seele der deutschen Seemacht nach wie vor, ja in steigendem Grade, eine starke, strategisch bewegungsfreie Hoch- seeflotte bleibt, mit dem Hochseelinienschiff als Keimzelle. Hessische Landeszeitung. Homer Lea Des Britischen Reiches Schicksalsstunde Aus dem Englischen und mit einer Einleitung von Graf Ernst Reventlow Dritte Auflage :: Mit 4 Kartenskizzen im Text :; M 7,50, gebunden M 9,40 Die zynische Brutalität der angelsächsichen Rasse feiert in diesem vor dem Kriege zum ersten Male in deutscher Sprache erschienenen Werke eines modernen amerikanischen Machiavell wahre Triumphe. Der dringende Rat des Verfassers ist, daß England mit allen erlaubten oder unerlaubten Mitteln die Weltherrschaft be- haupten müsse und sich beizeiten auf jeden Gegner stürzen solle, der ihr gefährlich werden könnte. Der Lauf der Ereignisse hat gelehrt, daß Lea die Kriegsgefahr besser übersehen hat, als viele deutsche Gelehrte und Staatsmänner, die bis zuletzt nicht an einen schnöden Verrat Englands am Germanentum und an sein Verbrechen an der Menschheit glauben wollten. Das Buch ist heute zeitgemäßer denn je. (ff -Th Triest und Venedig. Von Dr. Leopold Glaesner. Politisch-geographische Lehren des Krieges. Von Prof. Dr. A. P e n c k. Eine ägyptische Expedition als Kampfmittel gegen England. Von Prof. G. Roloff. Die Engländer als Inselvolk. (Vom Standpunkt der Gegenwart aus betrachtet.) Von Prof. Dr. H. Spie s. Deutschlands Zurückdrängung von der See. Von Dr. W.Vogel. Angriffe und Angriffsversuche gegen die britischen Inseln. Von Dr. Walter Vogel. Zwei Kriegsjahre in London. Von Missionspastor J. L. 0. Krüger. Die Südsee im Weltkriege. Von Prof. Dr. Alfred Man es. Die nordischen Dardanellen. Von Samuli Sario. Bei Kriegsausbruch in Hawaii. Von Pastor Engelhard t. In französischen Lagern Afrikas. Von Else Ficke. Konterbande, Blockade und Seesperre. Von Geh. Justizrat Prof. Dr. Triepel. Kriegsmarine. 'Kiel und Wilhelmshaven. Von Kontreadmiral Ed. Holzhauer. ^ Kohlenversorgung und Flottenstützpunkte. Von Kontreadmiral Ed. Holzhauer. * Vierzig Jahre Schwarz-Weiß-Rot. Von Geh. Admiralitätsrat P. Koch. *Die Torpedowaffe. Von Kapitän zur See a. D. R. Wittmer. ^'Kriegsschiffsbesatzungen in Vergangenheit und Gegenwart. Von Kapitän zur See a. D. R. Wittmer. 'Unterseebootsunfälle. Von Fregattenkapitän Michelsen. "Die Zusammensetzung und Taktik der Schlachtflotten. Von Kapitän zur See a. D. R. Wittmer. *Die Deutsche Eisenindustrie und die Kriegsmarine. Von P. Koch. Die wichtigsten Kanalhäfen und ihre Bedeutung für den Krieg. Von Prof. F. W. 0. Schulze-Danzig. Englands Mannschaftsersatz in Flotte und Heer. Von Prof. Dr. S p i e s. Volks- und Seewirtschaft. 'Marokko. Von Dr. Joachim Graf v. Pfeil. *Die deutsche Hochsee-Segelfischerei. Von H. Lübbert. Der Hafen von NewYork. Von Professor Dr. Albrecht Penck. 'Lübeck, sein Hafen, seine Wasserstraßen. Von Dr. Franz Schulze. *Eine Wanderung durch altniederländischeSeestädte.Von Dr. W.Vo gel. •'Die Freie Hansestadt Bremen. Von Baurat Prof. G. d. Thierry. *Die Häfen der Adria. Von Dr. N. Krebs. *Tsingtau. Von Professor Dr. Albrecht Penck. "Auf den Färöem. Von Prof. D. Dr. Edward Lehmann. 'Valparaiso und die Salpeterküste. Von Dr. Rud. Lütgens. "Die festländischen Nordsee -Welthäfen. Von Dr. H. Michaelsen. ■"Die deutsche Seekabelpolitik. Von Dr. R. Hennig. *Das Meer als Nahrungsquelle. Von Prof. Dr. H. Henking. "Kriegsrüstung und Wirtschaftsleben. Von P. Koch. Die großbritannische Hochseefischerei. Von H. Lübbert. "Triest und die Tauernbahn. Von Prof. Dr. F. Hei der ich. ^Von Singapur bis Yokohama. Von L. Mecking. ■'San Franzisko. Von A, Rühl. Wohlfahrtseinrichtungen in der Seefischerei. Von F. Duge. Durch die Magellanstraße. Von Gustav Goedel. Übcrland und Übersee im Wettbewerb. Von Dr. Richard Hennig. Nach Deutsch-Neuguinea. Von Dr. Walter Behrmann. * Preis 50 Pf., die übrigen Hefte kosten 60 PI. Die Salpeterindustrie Chiles. Von Dr. jur, Alfred Hartwig. Die überseeische Getreideversorgung derWelt. Von Dr. Wa Her Vo gel. Antwerpen. Von Prof. Dr. Alfred Rühl. Politische Probleme im westlichen Mittelmeer. Von Dr. P, Mohr. Deutsche Kulturarbeit im nahen Orient. Von Dr. P. Mohr. Englands Kohle und sein Überseehandel. Von Dr. R. Engelhard t. Die versiegelte Nordsee. Von Graf E. Reventlow. Der Außenhandel der Vereinigten Staaten von Amerika. Von Dipl.-Ing. Dr. Th. Schuchart. Die drahtlose Telegraphie im überseeischen Nachrichtenverkehr während des Krieges. Von Dr. Richard Hennig. Edinburg, Glasgow und Liverpool. Von Prof. Dr. Schulze, Lübeck. Die Heimsuchungen der Handelsschiflahrt durch den Krieg. Von C. Schroedter, Hamburg. Gegenwart und Zukunft der deutschen Seeschiffahrt. Von Dr. P. Stubmann. Gegenwart und Zukunft der deutschen Kolonien. (Doppelheft.) Von Prof. Hans Meyer, Leipzig. Das deutsche Kolonialreich der Zukunft. Von Fr. Hupfeld. Die Zukunft des deutschen Aul^enhandels. Von Prof. Dr. H. Herkner. Die Grundlagen des Ostseehandels und seine Zukunft. Von Dr. Erich Wallroth. Die deutsch - chinesischen Handelsbeziehungen. Von Geh. Ad- miralitätsrat Dr. Schrameier. Britischer Imperialismus. Von Prof. Dr. Fr,iedr. Brie. St. Petersburg. Von Dr. Rieh. Pohle. Japan und seine Stellung in der Weltpolitik. Von Konsul A. Mosle. Wiederaufbau d. deutschen Handelsschiffahrt. Von Dr. K. Isermeyer. Die natürlichen Grenzen Rußlands. Von Prof. Dr. A. Penck. Der Reichstag und die Freiheit der Meere. Von Geh. Justizrat Prof. W. van Calker. Seeklima und Seebäder. ^Die Heilkräfte des Meeres. Von Prof. Dr. Albert Eulenburg. ^Land- und Seeklima. Von Dr. A. Merz. Seewesen und Schiffahrt. *Der Kompaß. Von Dr. Fr. Bidlingmaier. *Dic Post auf dem Weltmeer. Von O. Klaus. *Die Segelschiffahrt der Neuzeit. Von Prof. W. Laas. ^'Schiff sordnungen und Schiffsbräuche. Von Dr. Fr. Schulze. *Dcr Dienst des Proviantmeisters. Von Dr. G. W. v. Zahn. ^Innerer Dienst an Bord. Von Dr. G.W. v. Zahn. *Auf einem Segler um Kap Hom. Von Dr. R. Lütgens. ■"Nautische Vermessungen. Von Dr. E. Kohlschütter. ^Sicherheitsdienst an Bord. Von Dr. G.W. v. Zahn. *Der Kreisel als Kompaßersatz. Von Prof. Dr. H. Maurer. * Der Fährverkehr zur See. Von Prof. Dr. G. Braun. •'Auf S. M. S. „Möve". Von Kapitänleutnant Schlenzka. Das Zeppelinschiff zur See. Von Dr. Freiherr v. Gemmingen. Riesenschiffe. Von Dr. H. Michaelsen. Technik des Seewesens. *Die Entwicklung der Schiffsmaschine. Von Prof. P. Krainer, ^'Auf einem deutschen Kabeldampfer. Von W. Stahlberg. ^Ferngespräche über See. Von Dr. A. Ebeling. " Preis 50 Pf., die übrigen Hefte kosten 60 Pf. Gedruckt in der Königlichen Hofbuchdruckerei von E. S. Mittler & Sohn, Berlin SW68, Kochstr. 68—71