m MEERESKUNDE |'f t a SAMMLUNG VOLKSTÜMLICHER VORTRÄGE 1 ZUM VERSTÄNDNIS DER NATIONALEN BEDEUTUNG VON >BA MEER UND SEEWE! HEFT 92 UBERLAN ÜBERSEE IM WET NEBST EINEM AUSBLICK AUF DIE KOMMENDEN WETTBEWERBSMÖGLICHKEITEN DES LUFTVERKEHRS VON DR. RICHARD HENNIG 8. Jahrgang 8. Heft BERLIN 1914 ERNST SIEGFRIED MITTLER UND SOHN KÖNIGLICHE HOFBUCHHANDLUNG KOCHSTRASSE 68-71 ^ MEERESKUNDE ^ SAMMLUNG VOLKSTÜMLICHER VORTRÄGE Bisher erschienen folgende Hefte: Zur Einführung. Das Museum für Meereskunde. Von Prof. Dr. A. Penck. Die Meeresräume, ihre Wasserfüllung und ihre Küsten. Flaschenposten, treibende Wracks und andere Triftkörper in ihrer Bedeutung für die Enthüllung der Meeresströmungen. Von Prof. Dr. 0. Krümmel. Das Eis des Meeres. Von Dr. L. Mecking. Die deutschen Seeküsten in ihrem Werden und Vergehen. Von Dr. Fr. Solger. Die Küste der englischen Riviera. Von H. Spethmann. Unsere Kalisalzlager, ein Geschenk des Meeres an den deutschen Boden. Von W. Stahlberg. Der Deichschutz an Deutschlands Küsten. Von Dr. Walter Behrmann. Der Golfstrom in seiner historischen, nautischen und klimatischen Bedeutung. Von Dr. Ludwig Mecking. Meer und Küste von Rügen bis Alsen. Von H. Spethmann. Tier- und Pflanzenwelt des Meeres. Über marine Sedimente und ihre Benutzung zur Zeitbestimmung. Von Dr. G. Braun. Die Meeressäugetiere. Ihre Stammesgeschichte. Von Prof. 0. Abel. Die westindischen Korallenriffe und ihr Tierleben. Von Dr. R. Hartmeyer. Das Reich des Todes im Meer. Von Walter Stahlberg. Tierische Wanderungen im Meere. Von Prof. R. Woltereck. Die Scholle, ein Nutzfisch der deutschen Meere. Von Dr. V. Franz. Gefiederte Bewohner des Meeres. Vögei des Atlantischen Ozeans. Von Dr. K. Wenke. Das schwimmende Leben der Hochsee. Von Dr. G. H. Fowler. Tierisches Licht in der Tiefsee. Von Prof. Dr. E. Mangold. Neue Forschungen über die Biologie der Tiefsee. Von Professor Dr. F. Doflein. Die zoologische Station in Neapel. Von Prof. Dr. Armin v.Tschermak. Geschichte, Entdeckungsgeschichte, Seekriegsgeschichte. Die deutsche Handelsmarine im 19. Jahrhundert. Von Dr. W. Vogel. Die Anfänge der Nordpolarforschung und die Eismeerfahrten Henry Hudsons. Von Dr. P. Dinse. Zeitalter der Entdeckungen und die Beteiligung der Deutschen daran. Von S. Günther. Der Seeraub. Eine geographisch-historische Skizze. Von Dr. P. Dinse. Die Kontinentalsperre in ihrer geschichtlichen Bedeutung. Von Rob. Hoeniger. Nordische Seefahrten im früheren Mittelalter. Von Dr. W. Vogel. Die Abschaffung des britischen Sklavenhandels im Jahre 1806/07. Ein Kapitel aus der britischen Schiffahrtspolitik. Von Dr. Franz Hochstetter. MEERESKUNDE SAMMLUNG VOLKSTÜMLICHER VORTRÄGE ZUM VERSTÄNDNIS DER NATIONALEN BEDEUTUNG VON MEER UND SEEWESEN ACHTER JAHRGANG ACHTES HEFT Überland und Übersee im Wettbewerb nebst einem Ausblick au! die kommenden Wettbewerbsmöglichkeiten des Luftverkehrs. Von Dr. Richard Hennig. on einem „Wettbewerb" zwischen Land- und Seeverkehr kann erst seit kurzer Zeit die Rede sein, für den innereuropäischen Verkehr allenfalls seit einigen Jahrzehnten, für den außereuro- päischen auf einigen wenigen Hauptlinien des Weltver- kehrs erst seit einigen Jahren. In jedem Fall steht jener Wettbewerb noch in seinen ersten Anfängen, und erst die weitere Entwicklung des Verkehrslebens in künfti- ger Zeit wird ihn allmählich merklicher werden und sich verschärfen lassen. Dabei wird aller Voraussicht nach die Eröffnung des Panama-Kanals eine besonders be- deutsame Rolle spielen und einen Markstein in der Aus- prägung der besonderen Aufgaben des Land- und des Seeverkehrs bilden. Greifen wir zurück in ältere Zeit, so sehen wir zwar, daß zur Erreichung eines bestimmten Zieles in gewissen geeigneten Fällen von jeher zwischen dem Land- und dem Seeweg gewählt werden konnte, wobei stets der erstere der ältere war, wie übrigens bereits Thucydides wußte und betonte (I, 13,5). Den schon in ältester Zeit wichtigen Verkehr mit dem Wunderland Indien hielten die Völker Vorderasiens und Ägyptens Meereskunde, Vorträge. VIII. Heft 8. 1 2 Meereskunde. sowohl auf dem Land- wie auf dem Seewege aufrecht, und das ehedem so außerordentlich hochgeschätzte „Gold des Nordens", der Bernstein, gelangte von der Hauptfundstätte des Altertums, der germanischen und jütischen Nordseeküste sowohl über Land (Rhein — Rhone oder Elbe — Inn — Brenner — Po), wie zur See auf phönizischen Schiffen in die Mittelmeerländer, Dabei scheint das Gesetz gewaltet zu haben, daß der zufällige Tauschhandel von Hand zu Hand, der kein bestimmtes Ziel der Warenbeförderung im Auge hatte, sich auf dem Landwege abspielte, während der Händler, der das Ursprungsland der begehrten Schätze selber aufzu- suchen wünschte oder aufsuchen ließ, den Seeweg wählte, wo immer es nur angängig war, weil dereinst die Gefahren und Beschwerden einer Landreise offen- bar größer waren als die einer Meerfahrt, die sich über- dies lange Zeit hindurch stets an den Küsten entlang ihrem Ziele zuzutasten liebte. — Von einem „Wettbe- werb" zwischen Überland- und Überseeverbindungen konnte aber damals aus mancherlei Gründen nicht die Rede sein. Land- und Seewege bestanden nebenein- ander und wurden, so oft sich eine der allzu seltenen und ganz unregelmäßigen Gelegenheiten bot, ausgenutzt, so gut es ging. Als im Mittelalter, vor allem unter arabischem und chinesischem Einfluß, die Handelsbeziehungen über große Entfernungen immer reger wurden, konnte die Frage einer Wahl zwischen Land- und Seeweg schon etwas häufiger an den Weltreisenden herantreten. Ist es doch bezeichnend genug, daß Marco Polo mit seinem Vater und Ohm die Hinreise von Venedig nach China auf dem uralten, viel benutzten Überlandwege durch Mittelasien, die Rückreise größtenteils auf dem Seewege zurück- legte! Die Reisenden benutzten zwar beide Male die Überland und Übersee im Wettbewerb. 3 jeweilig sich bietende Beförderungsgelegenheit, wie es die meisten Handelsleute jener Tage tun mußten; daß aber dennoch schon damals leidlich regelmäßige Ver- bindungsmöglichkeiten gerade vom Mittelmeer zum fernen Osten zu Lande und zu Wasser bestanden, lehren uns die Angaben der mittelalterlichen arabischen Geo- graphen über die Reisewege nach China, deren in der Hauptsache vier bekannt waren, nämlich: 1. Landweg vom Nil zum Roten Meer und Seeweg Rotes Meer — China, 2. Landweg Syrien — Persischer Golf und See- weg Euphrat-Mündung — China, 3. reiner Überlandweg Syrien — Ferghana — Tarym-Becken — China, 4. Seeweg zur Don-Mündung, Wolga — Kaspisches Meer und Land- weg Kaspisches Meer — China. Zumal in den Jahr- hunderten der Blüte Bagdads und Balsoras scheinen alle diese kombinierten Land- und Seewege einen für die damalige Zeit immerhin nicht ganz geringen Verkehr gesehen zu haben, denn es werden für die einzelnen Etappen der Reisewege von den arabischen Geographen ziemlich genaue Zeitmaße mitgeteilt; wir erfahren z. BM daß die Landreise von der syrischen Küste oder vom Kaspischen Meer nach Ost-China etwa acht Monate zu dauern pflegte. Daß vielgereiste Handelsherren in der Tat schon vor rund 1000 Jahren auf Hauptstraßen des Verkehrslebens nach ihrem Gefallen zwischen Land- und Seeweg wählen konnten, beweist uns u. a. die Er- zählung Sindbads des Seefahrers in ,,1001 Nacht", worin von der siebenten und letzten Reise gemeldet wird: ,,Da unser Schiff aus einem Hafen des Festlandes von Indien gekommen war, landeten wir dort. Um die Ge- fahren einer Seereise bis Balsora zu vermeiden, ließ ich mein Elfenbein ausschiffen, um mich zu Lande dahin zu begeben .... und schloß mich einer zahlreichen Karawane von Kaufleuten an." — Auch in diesem und 1* 4 Meereskunde. in zahlreichen ähnlichen Fällen konnte jedoch von einem Wettbewerb zwischen Land- und Seeweg aus dem Grunde nicht die Rede sein, weil kein Verkehrs- mittel vorhanden war, das aus der Beförderung von Reisenden und Waren ein Geschäft machte und dem- gemäß ein Interesse daran hatte, sich eine möglichst umfassende Benutzung zu sichern. Ein wirklicher Wettbewerb zwischen Land- und Seeverbindungen ist ja naturgemäß nur dort möglich, wo das geldliche Interesse, das persönliche Wohl und Wehe einer den Verkehr vermittelnden und von dem Verkehr sich nährenden Organisation in Frage kommt, wo eine Gruppe oder Klasse von Menschen ihren Lebensunter- halt aus den vom Durchgangsverkehr gezahlten Ab- gaben bezieht. Insofern ist die erste Spur eines Wett- bewerbs zwischen Überland und Übersee im größeren Stil erst zu erkennen, als im Jahre 1498 die Auffindung des Seewegs nach Indien eine vollkommene Verlage- rung der uralten Handelswege nach dem Osten nach sich zog. Damals verödeten die vorher so verkehrs- reichen Landstraßen, und mit ihnen verblühten die Han- delsplätze, die an diesen Straßen lagen und aus ihnen Leben und Reichtum sogen. Damals sank Alexandria, das jahrhundertelang die erste Handelsstadt der Welt und die Hauptvermittlerin des Mittelmeer — Indien-Ver- kehrs gewesen war, zu fast 400jähriger Bedeutungslosig- keit, und die stolze Herrin der Meere und Königin des europäischen Handels, Venedig, sah sich mit einem Schlage von ihrer ragenden Höhe gestürzt und mußte ihre Stellung an das nunmehr günstiger gelegene Lissa- bon abtreten, Wohl wurden verzweifelte Anstrengun- gen gemacht, den alten Verkehrsstraßen ihre Bedeutung zu erhalten, den Sieg des im Wettbewerb vorerst triumphierenden Seewegs aufzuhalten; doch blieb alle Überland und Übersee im Wettbewerb. 5 Mühe vergeblich: der erste Kampf zwischen Land- und Seeverkehr endete mit einer völligen Niederlage des ersteren! Die Ausdehnung des Welthandels in der Zeit vom 16. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts schien dann immer klarer die bedingungslose Überlegenheit des See- wegs über den Landweg beweisen zu wollen, so daß von einem Wettbewerb zwischen beiden wiederum nicht die Rede sein konnte, weil ganz selbstverständlich keine Überlandverbindung gewählt wurde, wenn eine parallel laufende Wasserverbindung vorhanden war. War doch auch bezeichnenderweise der damals so lebhafte Ent- deckungseifer vieler Völker so gut wie ausnahmslos auf das Meer beschränkt, und nur dort, wo wertvolle Bodenschätze, wie Gold oder Pelze, gefunden oder er- hofft wurden, kam es auch auf dem Lande zu verwege- nen Entdeckungsfahrten. Selbst die schiffbaren Flüsse wurden nur erstaunlich selten zum Vordringen ins Innere der Kontinente benutzt: der Weltverkehr schien endgültig das blaue Meer und seine Küsten und Häfen allein zum Tummelplatz seines Wirkens erkoren zu haben. Da brachte das 19. Jahrhundert, nachdem im Land- verkehr seit Jahrtausenden gar keine oder nur ganz un- bedeutende Fortschritte zu verzeichnen gewesen waren, die Erfindung der Dampfeisenbahn, und mit einem Schlage war das Bild des Weltverkehrs vollkommen gewandelt. Lange Zeit glaubte man nun, das großartige, neueste Mittel des Schnellverkehrs werde allenthalben unbestritten den Sieg über jede Art des Wasserver- kehrs, auf den Flüssen wie auf dem Weltmeer, davon- tragen. Die Pflege der Binnenschiffahrt wurde jahr- zehntelang sträflichst vernachlässigt, da man sie dem Untergang geweiht wähnte, und der Seeschiffahrt ließ Meereskunde, Vorträge. VIII. Heft 8. 2 6 Meereskunde. man nur deshalb nach wie vor Förderung und Pflege angedeihen, weil das Zustandekommen großer Über- landbahnen aus technischen und finanziellen Gründen als eine Utopie erschien — andernfalls wäre die See- schiffahrt, abgesehen von den Fällen, wo sie allein eine Verbindung zweier Länder oder Erdteile bieten konnte, wohl derselben Geringschätzung und Vernachlässigung anheimgefallen wie die Binnenschiffahrt! Das neue Verkehrsmittel des Landes schien selbst unter erschwerenden Umständen die alten Seewege an die Wand drücken zu wollen. Die erste Überlandbahn der Welt, die in den fünfziger Jahren geschaffene Pa- namabahn zwischen Colon und Panama, vermittelte trotz unvernünftig hoher Tarife den größten Teil des Personen- und Güterverkehrs zwischen dem Atlanti- schen und dem Stillen Ozean, und die vom Nil-Delta nach Suez gebaute Suez-Eisenbahn genügte, um das vierthalbhundertjährige Monopol des Seewegs nach Ostindien zu durchbrechen und den größten Teil des Schnellverkehrs wieder dem alten, lange verödet ge- bliebenen Weg durchs Rote Meer zurückzugewinnen. Lange konnte freilich diese Bahn ihre Rolle nicht spielen, da ihre Benutzung mit erheblichen Umständen verknüpft war, so daß die 1869 erfolgende Eröffnung des Suez-Kanals den Schienenweg entbehrlich machte. Die Eröffnung des Suez - Kanals, das epoche- machendste Ereignis in der gesamten Geschichte des Weltverkehrs, schuf einen neuen und besseren Seeweg nach Indien, Australien und Ostasien, als es der alte gewesen war, und dieser neue Seeweg blieb bis zur Jahrhundertwende von der Konkurrenz der sonst immer siegreicher vordringenden Eisenbahn unberührt. Nur in den europäischen Gewässern verspürte die über Suez führende Seefahrt den Wettbewerb der Eisenbahn: der Überland und Übersee im Wettbewerb. 7 Personen- und Postverkehr nämlich bequemte sich nur in Ausnahmefällen dazu, die westeuropäischen Häfen als Umschlagsplätze der Reise zum und vom Indischen Ozean zu benutzen. Vielmehr wählte er, nachdem die Semmering-, die Brenner-, Gotthard- und Mont-Cenis- Bahn das Hindernis der Alpen für den Schnellverkehr ausgeschaltet hatte, mit unverkennbarer Vorliebe die Mittelmeerhäfen als Anfangs- und Endpunkt aller durch den Suez-Kanal führenden Reisen, insbesondere also die Häfen Marseille, Genua, Neapel, Brindisi und Triest. Zum eigentlichen Suez-Kanal aber gab es lange Zeit keine parallele Konkurrenzbahn; nach Indien und dem ganzen sonstigen Süd-Asien ist eine solche bis auf den heutigen Tag noch nicht geschaffen worden, wenn auch die Bagdad- und die Mekka-Bahn schüchterne Ansätze dazu darstellen, und nur für den ostasiatischen Schnell- verkehr hat sich unerwarteterweise seit 1901 die Große Sibirische Bahn zu einem ungemein erfolgreichen Kon- kurrenten des Suez-Kanals entwickelt. Das Verhältnis zwischen der Sibirischen Bahn und dem Suez-Kanal, die sich im Verkehr mit Ostasien beide reger Benutzung erfreuen, ist gewissermaßen ein Schul- beispiel für die Gestaltung des Wettbewerbs zwischen Land- und Seewegen in unsern Tagen. Die Vorbedin- gungen eines solchen Wettbewerbs sind allgemein erst vorhanden, seitdem es regelmäßige, nach festem Fahrplan verkehrende Bahn- und Schiffsverbindungen gibt, die dasselbe Ziel auf die eine oder die andere Weise zu erreichen gestatten, und deren Verwaltungen ein Interesse daran haben, einen möglichst großen Bruchteil des gesamten Passagier-, Güter- und Postver- kehrs auf ihre Linien zu lenken. Erst seitdem die Be- wältigung des Verkehrsbedürfnisses ein eigener, dauern- der, nicht nur gelegentlich betriebener Erwerbszweig 2* 8 Meereskunde. geworden ist, kann von einem Wettkampf um die Be- herrschung des Verkehrs die Rede sein, können die Überland- und die Überseewege im freien Spiel der Kräfte sich miteinander messen und Rückschlüsse dar- auf gestatten, unter welchen Bedingungen der eine und der andere Aussichten hat, den Sieg im wechselseitigen Ringen davonzutragen. Im kleinen Maßstab zeigt schon der Verkehr zwi- schen Nachbarländern, die sowohl auf dem Land- und dem Seewege miteinander verkehren können, etwa zwischen Deutschland und Rußland, alle die Eigentüm- lichkeiten, die im großen bestehen: der Postverkehr be- nutzt völlig die Landverbindungen, der Personenverkehr gleichfalls zum weit überwiegenden Teil, soweit näm- lich nicht Vergnügungs- und Erholungszwecke dem lang- sameren Seeweg den Vorzug verschaffen, der Güter- verkehr dagegen wählt, wo eine Wahl möglich ist, grund- sätzlich den Wasserweg, falls nicht besonders eilig ge- brauchte oder leicht verderbliche oder sehr hochwertige Güter von geringem Gewicht ausnahmsweise die Beför- derung mit der Bahn erfordern. Vergleichen wir mit diesen Gewohnheiten, die sich für die Beförderung über verhältnismäßig nur kleine Entfernungen eingebürgert haben, die Verhältnisse im großen, so finden wir genau die gleichen Gesetze des Verkehrslebens in noch ungleich schärferer Ausprägung vor. Wenn auch in den ersten Jahren nach der Eröff- nung der Sibirischen Bahn ein gewisses Mißtrauen vor den ,, russischen Zuständen" die Reisenden noch großen- teils der neuen Weltverkehrslinie fernhielt, wenn auch während des russisch-japanischen Krieges die Bahn für alle Nicht-Russen nochmals gesperrt wurde, so hat sich nach der endgültigen Betriebsübergabe 1905 das Publi- kum doch derartig an die Sibirische Bahn gewöhnt, daß Überland und Übersee im Wettbewerb. 9 heute, von verschwindenden Ausnahmen abgesehen, der gesamte Strom der Reisenden zwischen Europa und Ostasien den Schienenweg an Stelle des längeren See- wegs wählt. In noch größerer Vollständigkeit — ja, man darf wohl sagen, im vollen Umfang — sind die Briefsendungen der neuen und kürzeren Linie zu- geflossen, und nur die Drucksachen, die grundsätzlich von der Bahnbeförderung in Sibirien ausgeschlossen sind, müssen wohl oder übel nach wie vor über Suez transportiert werden. Gütersendungen im Durchgangs- verkehr über Sibirien kommen dagegen nur ganz ver- einzelt vor; die Warentransporte zwischen Europa einerseits, China und Japan anderseits ignorieren die sibirische Linie so gut wie vollständig, und im allge- meinen benutzen nur einige sehr kostbare Seidentrans- porte die Bahn, da für sie jeder ersparte Reisetag einen verringerten Zinsverlust bedeutet, so daß die beträcht- lichen Mehrkosten der Bahnfracht durch die Zinserspar- nis überkompensiert werden. Sonst aber sind die Frachtkosten der Eisenbahn viel zu hoch, als daß der Landweg dem Gütertransport zu Wasser irgendwie Ab- bruch zu tun vermag. Diese Verhältnisse auf der Sibirischen Bahn schließen auch die natürlichen Bedingungen in sich, die überall auf Erden ausschlaggebend für die Gestal- tung des Wettbewerbs zwischen Überland- und Über- seeweg und entscheidend für die verschiedenartige Ab- wicklung des Personen-, Güter- und Postverkehrs sind. Diese verschiedenen Formen des Verkehrslebens folgen keineswegs, wie man vielfach leicht anzunehmen ge- neigt sein wird, regellos und willkürlich bald diesem, bald jenem Impuls, sondern ihr Verhalten wird von festen Normen und Gesetzen geregelt, die ich in einem Buch über „Die Hauptwege des Welt- 10 Meereskunde. Verkehrs"1) folgendermaßen zu formulieren be- müht war: „Die Tendenz des Personenverkehrs, auf eiligen Reisen möglichst große Entfernungen mit der Bahn, möglichst kleine auf Schiffen zurückzulegen, ist dadurch zu erklären, daß auch die teurere Fahrt die wirtschaft- lich bessere sein kann, weil die Verpflegungskosten bei rascherer Beförderung vermindert werden, und weil Zeit bekanntlich Geld und oft sogar sehr viel Geld ist. Der Postverkehr folgt allgemein genau denselben Ge- setzen des Weltverkehrslebens wie der Personenver- kehr, und auch er sucht daher grundsätzlich die auf seinem Reiseweg am weitesten ins Weltmeer vor- geschobenen Häfen als Umschlagsplatz auf, sobald sie einen guten Bahnanschluß mit dem Hinterland besitzen. Diese letztere Bedingung ist selbstverständlich un- erläßlich. Die großen Häfen des Passagier-Umschlag- verkehrs sind daher allenthalben auch die Haupthäfen der Postbeförderung Der Warentransport sucht, im schroffen Gegensatz zum Personen-Schnellverkehr, keineswegs die rasche- sten, sondern die billigsten Verbindungen auf, und die Zeitersparnis ist für ihn ein Faktor, dem in der Mehr- zahl der Fälle eine nur sehr untergeordnete Bedeutung zukommt — es sei denn, daß sehr eilig gebrauchte oder leicht verderbliche oder sehr kostbare Waren, bei denen eine langsame Reise einen merklichen Zinsverlust dar- stellt, befördert werden müssen. Während also der Personen- und der Postverkehr das Bestreben haben, die Seefahrt möglichst kurz zu gestalten und die Bahnfahrt zu bevorzugen, wo immer es nur angeht, um dadurch Zeit zu sparen, wird die ') Jena, Gust. Fischer, 1913. Überland und Übersee im Wettbewerb. \\ Güterbeförderung gerade umgekehrt bemüht sein, die Bahnfahrt auf ein Minimum zu beschränken, um nicht zu sagen, sie als einen Notbehelf zu betrachten und statt dessen dem Wassertransport (auf dem Meer wie in der Binnenschiffahrt) einen möglichst breiten Raum zu ge- währen." Im Wettkampf zwischen Überland- und Übersee- wegen ist daher für keine von beiden Verkehrsmöglich- keiten eine unbedingte Überlegenheit zu konstatieren, sondern die Chancen stehen heute und wahrscheinlich auch in aller Zukunft gleich, weil der Personen- und Postschnellverkehr seit dem Aufkommen der Eisen- bahnen grundsätzlich zur Bevorzugung der Landwege, der Güterverkehr ebenso grundsätzlich zur Bevor- zugung der Seewege neigt; die ersteren gestatten eben die schnellere, die letzteren die billigere Beförderung, Überaus charakteristisch ist ja die Entwicklung etwa des Verkehrs zwischen Europa und Japan im letzten halben Jahrhundert. Vor der Eröffnung des Suez-Kanals mußten Personen, Postsendungen und Güter ausschließlich den weiten Seeweg ums Kap der Guten Hoffnung wählen; nach 1869 wandten sie sich sämtlich der neuen Suez-Straße zu und blieben ihr bis zum Ende des Jahrhunderts allein treu soweit nicht ge- legentliche Beförderungsmöglichkeiten über Nord- amerika, insbesondere Kanada hinweg ausgenutzt wur- den. Mit der endgültigen Indienststellung der Sibiri- schen Bahn und dem Schwinden des Mißtrauens gegen sie gingen Personen und Briefsendungen auf diesen Landweg über, während die Gütersendungen bis auf den heutigen Tag dem Seeweg durch den Suez- Kanal verblieben sind. Der Landverkehr benutzte dabei zunächst die Häfen Wladiwostok und Öalni (Tairen) als Umschlagsplätze; mit dem Moment aber, 12 Meereskunde. wo im Jahre 1911 eine gute Bahnverbindung durch Korea hindurch geschaffen worden war, so daß man von der Station Charbin der Sibirischen Bahn ver- hältnismäßig gut und schnell nach Fusan, dem Japan- nächsten Hafen des Festlandes, gelangen kann, ging der Schnellverkehr in überraschend großem Umfang so- gleich auf die neue transkoreanische Linie über, welche die langsame Seefahrt nach Japan auf ein Minimum ab- zukürzen gestattete, obwohl die Russen große und nicht erfolglose Anstrengungen machten, ihren Hafen Wladi- wostok für den japanischen Umschlagsverkehr mit dem japanischen Konkurrenzhafen wettbewerbsfähig zu er- halten. Das Gesetz, wonach der Personen- und Posten- Schnellverkehr die Landwege, der Güterverkehr die Seewege grundsätzlich bevorzugt, würde noch charakte- ristischer ausgeprägt sein, als es ohnehin schon der Fall ist, wenn nicht gewisse Umstände vorhanden wären, die die scharfe Ausprägung der unterscheidenden Merkmale verwischen würden. Hierzu gehören: 1. nationale Gegensätze und daraus hervorgehende nachbarliche Schikanen, 2. schlechte Verkehrsanschlüsse und zu häufiger Wechsel der Spurweiten oder andere Behinde- rungen eines glatten Durchgangsverkehrs, wie vor allem mehrmals wiederholte Zollschwierigkeiten oder ein mehrfacher Wechsel zwischen Bahnen und Binnen- wasserwegen, 3. ungünstige klimatische, kulturelle und hygienische Verhältnisse, 4. bedeutende Naturschön- heiten und andere Sehenswürdigkeiten. Für den ersten dieser Faktoren und seine Be- deutung boten ein gutes Beispiel die Verhältnisse im Fernen Osten nach Beendigung des russisch-japanischen Krieges. Der südliche Teil der südmandschurischen Bahnen hatte damals im Frieden von Portsmouth von Überland und Übersee im Wettbewerb. 13 Rußland an Japan abgetreten werden müssen, und die Nachwehen des kriegerischen Gegensatzes erschwerten damals Jahre hindurch in der Mandschurei den Über- gang von den russischen auf die japanischen Linien und die Benutzung der letzteren so erheblich, daß die tat- sächlich vorhandene Bahnverbindung zwischen Europa und Peking von den Reisenden zunächst nur selten und zögernd benutzt wurde. Erst neuerdings, nachdem die Übergangsverhältnisse sich gebessert haben, die natio- nalen Gegensätze besser abgeschliffen sind und die Ja- paner ein geschäftliches Interesse daran gewonnen haben, den Fremden die Benutzung ihrer Bahnen so an- genehm und bequem wie möglich zu machen, kann sich die Bahnverbindung unter völliger Ausschaltung des Seewegs steigender Wertschätzung erfreuen. Das verkehrshindernde Moment des zweiten oben genannten Faktors verspürt der eilige Reisende zu seinem Leidwesen im kleinen Maßstab schon etwa bei der Überschreitung der deutsch-russischen Grenze. Häufen sich auf einzelnen Verkehrsstrecken die Not- wendigkeiten des Umsteigens (vielleicht gar in der Nacht), die Zoll- und Paßscherereien und ähnliche Be- lästigungen allzusehr, so werden die Reisenden in steigendem Umfang die schnellsten Verbindungsmög- lichkeiten zugunsten langsamerer, aber bequemerer ver- lassen. Sollte z. B. dereinst die Kap — Kairo-Bahn als eine aus allerhand Schienen- und Wasserstrecken kom- binierte Verbindung zustande kommen, wie es neuer- dings den Anschein hat, so wird dies großartige Ver- kehrsunternehmen vom eigentlichen Durchgangsverkehr wohl nahezu völlig vernachlässigt bleiben, da für die Reise von Alexandrien nach Kapstadt oder umgekehrt selbst ein etwaiger (übrigens sehr problematischer) Zeit- gewinn schwerlich zu entschädigen vermag für ein Meereskunde, Vorträge. VIII. Heft 8. 3 14 Meereskunde. 13maliges Umsteigen und arge sonstige Unbequemlich- keiten, die eine solche Landreise gegenüber der be- quemen und angenehmen Seereise zu bieten vermag. Ebenso würde die so eifrig geförderte „panamerika- nische Bahn" (an sich geradezu eine Ungeheuerlichkeit des Verkehrslebens!), wenn sie überhaupt einmal im ganzen Umfang zustande kommen sollte, für den Durch- gangsverkehr zwischen Nord- und Südamerika schon allein wegen ihres häufigen Wechsels der Spurweite — von anderen Faktoren ganz zu schweigen! — wertlos bleiben müssen. Daß weiterhin klimatische, kulturelle und hygie- nische Verhältnisse den Passagierverkehr gelegentlich von der Benutzung der schnellsten Überlandverbindun- gen abzuschrecken vermögen, bedarf kaum erst des Be- weises. Die Franzosen planen gegenwärtig die Schaffung ihrer transsaharischen Bahn, die etwa im Kongo-Staat in die Kap — Kairo-Bahn einmünden soll. Sie hoffen durch dieses Bahnungeheuer die Reise von Europa nach Kapstadt um einige wenige Tage beschleunigen zu kön- nen. Aber ganz abgesehen davon, daß dieses Motiv den Bau einer Tausende von Kilometern langen Bahn un- möglich rechtfertigen kann, genügt zur Widerlegung derartiger verkehrspolitischer Utopien auch die ein- fache Frage: wer wird wohl, um bestenfalls vielleicht zwei oder drei Tage zu gewinnen, von Algier nach Kap- stadt die Fahrt im engen Eisenbahnwagen durch die sonnendurchglühte Sahara und einige der kulturfernsten Teile von Afrika der bequemen, angenehmen und ge- sunden Seefahrt vorziehen? Aus demselben Grunde ist auch der in Frankreich gelegentlich aufgetauchte Ge- danke einer transafrikanischen Bahn Algier — Mom- bassa, welche die Reise nach Indien um einige Tage kürzen soll, als ein arges Phantasma zu bezeichnen. Überland und Übersee im Wettbewerb. 15 Selbst der in Australien erörterte Gedanke, durch eine den Erdteil von Nord nach Süd durchschneidende Bahn die Erreichung von Adelaide, Sydney usw. für den Ver- kehr von Europa und Asien her um einige Tage zu be- schleunigen, dürfte als nicht einwandfrei zu bezeichnen sein, da die argen Unbequemlichkeiten und Beschwer- den einer tagelangen Bahnfahrt durch die trostlose australische Wüste schwerlich für einen Zeitgewinn von vielleicht zwei oder drei Tagen in Kauf genommen wer- den dürften. — Es bedarf doch schon eines sehr merk- lichen Zeitgewinnes, um die Ertragung von bedeutenden klimatischen und anderen Beschwerden im heutigen Weltreise-Verkehr zu rechtfertigen. Wenn etwa die viel erörterte Überlandbahn nach Indien Wirklichkeit werden sollte (was aus politischen Gründen wenig wahr- scheinlich ist), so könnte man es verstehen, wenn bei der bedeutenden Verkürzung einer Indien-Reise fast auf den dritten Teil der heutigen Dauer auch die lange Bahnreise durch die kulturlosesten Teile Persiens und Belutschistans ebensowenig abschreckend auf den Per- sonenverkehr wirken würde, wie die Fahrt durch das ehedem so verrufene Sibirien auf den heutigen Ost- asien-Verkehr. Wie sehr auch die hygienischen Verhältnisse Bedeutung für die Gestaltung des Verkehrs zu ge- winnen vermögen, das beweist etwa die Tatsache, daß das ungesunde Veracruz in den letzten Jahren von dem gesunden Puerto Mexico mehr und mehr im Verkehr mit Mexico überflügelt worden ist. Und wenn die schon oben genannte alte Panama - Bahn im Weltverkehr der letzten Jahrzehnte doch nicht ent- fernt diejenige Bedeutung erlangt hat, die man von der einzigen Verbindung zwischen Atlantischem und Stillem Ozean in mittleren amerikanischen Breiten von vorn- 3* 16 Meereskunde. herein eigentlich zu erwarten berechtigt war, so war neben der schon erwähnten törichten Tarifpolitik der besitzenden Gesellschaft das ehedem so fürchterliche Klima von Panama sicher in erster Reihe an der Er- scheinung schuld. Dem vierten und letzten unter den oben genannten Faktoren kommt an und für sich die geringste Be- deutung zu. Der echte Schnellverkehr wird durch Naturschönheiten und andere Sehenswürdigkeiten in der Wahl seiner Reisewege keinesfalls beeinflußt, son- dern nur der Strom der Touristen, Globetrotter, Ver- gnügungs- und Erholungsreisenden aller Art läßt sich in seinem Verhalten von derartigen Gesichtspunkten leiten. Für diese Art von Passagierverkehr gelten ohne- hin völlig andere Gesetze als für den eigentlichen Passa- gier-Schnellverkehr. An allgemeiner Verkehrsbedeutung ist aber der letztere doch erheblich überlegen, un- geachtet des rapide steigenden und noch immer weiter zunehmenden Prozentsatzes der Vergnügungsreisenden. Im ausgesprochenen Gegensatz zum Geschäfts- und Berufsreisenden ist der Vergnügungsreisende im allge- meinen bestrebt, der erholung- und gesundheitfördern- den Seereise den Vorzug vor der Eisenbahnfahrt zu geben. Der eilige Reisende fährt nach Ostasien mit der Sibirischen Bahn, der Vergnügungsreisende wird in den weitaus meisten Fällen der Seefahrt über Suez den Vor- zug geben, ja, die Reise vielleicht gar schon in Hamburg, Bremen oder Liverpool, statt in einem Mittelmeerhafen beginnen. Der eilige Reisende besteigt, um nach Ägyp- ten oder zum Indischen Ozean zu kommen, das Schiff, wenn irgend angängig, erst in Brindisi, der Vergnügungs- reisende hingegen in Marseille, Genua, Triest, Venedig oder Neapel. Gerade die letzteren beiden Hafenplätze sind typische Beispiele dafür, wie die Sehenswürdig- Überland und Übersee im Wettbewerb. 17 keiten und Naturschönheiten eines Ortes ihn zu einem wichtigen Umschlagshafen des Passagierverkehrs machen können, auch wenn sonst seine Lage ihn dazu zu stempeln durchaus nicht geeignet ist. - — Aus dem gleichen Grunde wird der Strom der Vergnügungs- und Erholungsreisenden zweifellos auch nach der Eröffnung des Panama-Kanals die an Naturschönheiten überreiche Magellan-Straße1) vor der kürzeren und reizloseren Panama-Straße bevorzugen, wenigstens sobald die erste Panama-Sensation verflogen ist. Die mannigfachen Kombinationen verschiedenartig- ster Gesichtspunkte können die den Weltverkehr regeln- den Grundtatsachen und Grundgesetze wohl trüben und verwischen, aber die allgemeine Richtigkeit der Grund- regeln wird dadurch nicht beeinträchtigt. Man kann geradezu ein Schema aufstellen, das die Parteigänger der beiden Arten von Verkehrswegen im Wettkampf zwischen Überland und Übersee übersehen läßt. Es bevorzugen grundsätzlich: den Überlandweg: 1. die Pflichtreisenden, 2. die Postsendungen; den Überseeweg: 1. die Vergnügungsreisenden, 2. die Gütertransporte. Die Scheidung der Interessensphären ist so deut- lich, daß selbst die Seehäfen sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt charakteristischer in Passagier- und in Güter- (Handels-)Häfen trennen. Auch hierbei kommen, durch nationale Grenzen und ähnliche Umstände bedingt, Ver- wischungen vor — - Triest als einziger österreichischer Hafen muß z. B. sowohl dem Personen- wie dem Güter- *) Siehe Goedel, Durch die Magellanstraße. Meereskunde, Heft 91 (VIII., 7.). 18 Meereskunde. verkehr dienen, und Hamburg, als Staat für sich, hat sich auch die Doppelstellung zu erhalten gewußt — aber im allgemeinen ist die Tendenz der reinlichen Scheidung doch unverkennbar. In meinem schon einmal zitierten Werk „Die Hauptwege des Weltverkehrs" habe ich ver- sucht, diese Tatsachen in folgende Formeln zu bringen: ,,Wir können unter den großen Seehäfen im all- gemeinen vier Typen unterscheiden, deren jede ihren besonderen verkehrsgeographischen Gesetzen folgt: die eigentlichen Handelshäfen, die Kriegshäfen, die Haupt- häfen des modernen Passagier-Schnellverkehrs und die Auswandererhäfen, die zumeist mit den großen Handels- häfen identisch sind, da für die Beförderung der Aus- wanderer Billigkeit, nicht Schnelligkeit das oberste Ge- setz ist. Der jüngste dieser Hafentypen, die eigentlichen Passagierhäfen, muß so gewählt sein, daß möglichste Schnelligkeit der Verkehrsabwicklung gesichert bleibt. Da nun die Eisenbahnen eine sehr viel raschere Be- zwingung der Entfernung als die größten Schiffe ge- statten, werden solche Häfen tunlichst weit ins Meer vorgeschoben, im Gegensatz zu den eigentlichen Han- delshäfen, die, wie wir noch sehen werden, die Tendenz haben, möglichst tief in die Landmassen hineinzuwan- dern. Daß die weite Vorschiebung ins Meer trotzdem in Einklang gebracht werden muß mit der Forderung nach möglichst geschützter Lage des Hafens, versteht sich von selbst; die großen Passagierhäfen werden daher natürlich nicht an die absolut äußerste Landspitze vor- zudringen bestrebt sein, sondern nur an den am weite- sten meerwärts gelegenen brauchbaren Hafen. Die typischen Beispiele hierfür sind Brindisi und Halifax. Auch in Westeuropa sehen wir diese Tendenz scharf genug ausgeprägt: während die wichtigen holländischen Überland und Übersee im Wettbewerb. 19 Seehandelsplätze Amsterdam, Rotterdam und Antwer- pen sind, hat der große intereuropäische Schnellverkehr seine Umschlagsplätze westwärts nach Hoek van Hol- land, Vlissingen und Ostende vorgeschoben; ebenso ist in England zwar der Haupthafen London, aber der Ver- kehr der Reisenden benutzt die Häfen Queensborough, Dover und Southampton und wählt für die Reise zwi- schen ihnen und London die schnellere Eisenbahn. In Abbild. 1. Passagier- und Handelshäfen Hollands. Schottland hat Leith entsprechend Edinburg ersetzt. Auch in Deutschland sehen wir Bremerhaven bis zu einem gewissen Grade Bremen im Passagierverkehr verdrängen (trotz der anziehenden Macht der großen Stadt); noch deutlicher wird im Schnellverkehr der Reisenden Rostock durch Warnemünde, Stettin durch Swinemünde, Königsberg durch Pillau ersetzt Dies alles zeigt in sehr klarer Weise, wie die Aus- nutzung der fernsten Vorsprünge des Landes heute das vornehmste Gesetz des überseeischen Schnellverkehrs geworden ist oder sich zu werden anschickt. 20 Meereskunde. .... Vollkommen anders, ja man kann sagen ent- gegengesetzt, regelt sich die Entscheidung, welche See- plätze zu führenden Punkten des Warenhandels, zu Handelshäfen bestimmt zu sein scheinen. Diese Orte liegen in der Regel derartig, daß sie den Seeschiffen ein möglichst tiefes Eindringen in die Landmasse ge- statten. Für frühere Zeiten, wo jeder Landtransport ohnehin äußerst schwierig und kostspielig und die Wichtigkeit der Wasserbeförderung noch ungleich größer als heute war, bedarf diese Tendenz kaum einer besonderen Begrün- dung. Aber auch in un- seren Tagen herrscht sie unverändert, ob- wohl die Eisenbahn bequeme und äußerst rasche Beförderungs- möglichkeiten zu Lande bietet Eine not- wendige Konsequenz diesesBedürfnisses ist aber die auch in unseren Tagen un- verändert anhaltende Tendenz, die Haupthandelsplätze des Seeverkehrs so tief wie möglich landeinwärts zu ver- legen, wobei jedoch darauf zu achten ist, daß die See- schiffe den Ort noch beqem zu erreichen vermögen. Das denkbar typischste Beispiel hierfür liefert uns der Amazonenstrom. Hier ist der wichtigste Umschlags- platz des Seehandels Manäos, das geradezu im Herzen des südamerikanischen Kontinents liegt und trotzdem noch von großen Ozeanschiffen erreicht werden kann. Kleinere Seeschiffe gehen sogar bis Iquitos in Bolivien hinauf, und in sehr zahlreichen Fällen ist dieser Platz daher der Hafen, an dem sich See- und Landverkehr die Hand reichen." Abbild. 2. Lage von Manäos und Iquitos. Überland und Übersee im Wettbewerb. 21 Mit dem immer weiter fortschreitenden Ausbau der Eisenbahnnetze und der intensiven Tätigkeit auf dem Gebiete der Flußregulierungen dürfte die Trennung in Passagier- und in Handelshäfen in Zukunft noch weitere Fortschritte machen. Ein so weit vorgeschobener Punkt wie Pernambuco dürfte sich dereinst, wenn nur erst ein ausreichendes Bahnnetz den Platz mit den übrigen Hauptgebieten des Erdteils verknüpft, leicht zum führenden Passagierhafen ganz Südamerikas entwickeln können, und sollte der Eisenbahnverkehr des europäi- schen Kontinents in Zukunft einmal, wie es neuerdings gelegentlich erörtert worden ist, die Möglichkeit haben, bequem und ohne ein Umsteigen erforderlich zu machen, durch Dampffähren oder einen Unterseetunnel zunächst nach England und weiterhin nach Irland zu gelangen, so kann es kaum einem Zweifel unterliegen, daß dann im transatlantischen Passagierverkehr die heute un- bedeutenden Häfen der irischen Westküste eine un- geahnte Bedeutung erlangen und vielleicht gar die führende Stellung an sich reißen würden. Umgekehrt sehen wir an China besonders deutlich, wie die Hauptumschlagsplätze des Güterverkehrs mit der fortschreitenden Gesittung und Kultivierung des Landes immer tiefer in das Land hineinwandern: Schanghai wird in steigendem Umfang in seinen Auf- gaben durch Hankou, neuerdings auch durch Pukou, ab- gelöst. Ähnliches zeigt sich gelegentlich selbst an Bin- nenschiffahrtsplätzen: ehedem war Mannheim ,,der" Rheinhafen Süddeutschlands; mit der fortschreitenden Regulierung der Ströme aber hat Mannheim seine Stellung im Güterhandel mehr und mehr mit Frankfurt, Karlsruhe, Straßburg und anderen meerferneren Häfen, neuerdings auch mit Basel, teilen müssen, und bald dürften auch Bamberg und Nürnberg einerseits, Schaff- 22 Meereskunde. hausen, Konstanz, Romanshorn, Rorschach, Bregenz, Lindau und Friedrichshafen anderseits Zeugnis ablegen von dem Bedürfnis des Warenhandels, die Wasser- straßen in tunlichst großem Umfang zu Transport- zwecken auszunutzen und die Güterumschlagsplätze so weit wie möglich gegen die Zentren der Kontinente vor- zuschieben. Am charakteristischsten aber äußert sich die dia- metral entgegengesetzte Tendenz des Personen- und des Güterverkehrs zweifellos in Kanada. Hier geht man gegenwärtig stark mit dem Plan um, einen seeschiff- tiefen Kanal von der schiffbaren Mündungsstrecke des St. Lorenzstroms zu den großen Seen hinauf zu schaffen, um der atlantischen Schiffahrt eine Güterentladung und Güterentnahme im Herzen des Kontinents, am West- rande der großen Seen, möglich zu machen, wo Port Arthur für Kanada und Duluth für die Vereinigten Staaten ein künftiger Haupt-Güterhafen werden soll. Hierauf arbeiten übrigens auch die Vereinigten Staaten hin, die mit ihrem neuen Erie-Kanal wenigstens kleine- ren Seeschiffen die Zufahrt zu den großen Seen ermög- lichen und diese somit gewissermaßen zu einer Meeres- bucht des Atlantischen Ozeans machen wollen. Da Port Arthur 3595 und Duluth rund 3800 km von der Mün- dung des St. Lorenzstroms entfernt ist, so wäre der Un- terschied der ununterbrochenen Frachtenbeförderung gegenüber dem heutigen Zustand, wo die Seeschiffe nur bis Montreal gelangen können, merklich genug. Für die reichen Getreidegebiete des mittleren und west- lichen Kanada freilich wäre auch der Transport mit der Bahn nach und von Port Arthur oft noch eine erheb- liche Frachtverteuerung, und es ist daher noch ein weiterer Plan seit einer Reihe von Jahren erörtert worden, der noch klarer als das Projekt des Großschiff- Überland und Übersee im Wettbewerb. 23 fahrtskanals zu den großen Seen erkennen läßt, welchen Wert der tief ins Land vorgeschobene Güter-Umschlags- hafen besitzt. Da haben sich nämlich die Blicke auf die riesige, weit ins Land einschneidende Hudson-Bai ge- lenkt, und man will nun versuchen, an der Westküste dieses halb arktischen, fürs Verkehrsleben bisher wert- losen Meeresbeckens einen neuen Seehafen ins Leben zu rufen, dessen Aufgabe lediglich in der billigen Be- wältigung des kanadischen Getreideexports bestehen soll. Man will einen möglichst kurzen und billigen Weg nach den europäischen und speziell den englischen Häfen für die kanadische Getreideausfuhr finden. Freilich ist die Schiffahrt auf der Hudson - Bai (s. Skizze S. 25) und in den angrenzenden Meeresteilen nur während eines kleinen Teiles des Jahres möglich; als Periode einer sicheren Schiffahrt bis zum Ozean ist nur etwa die Zeit vom 20. Juli bis zum 1. November zu betrachten. Diese kurze Frist von wenig mehr als drei Monaten kann mit einem gewissen Risiko auf vier Mo- nate, von Mitte Juli bis Mitte November, verlängert werden. Für die Getreideausfuhr kommt jedoch eine wesentlich kürzere Zeft in Betracht: spätestens Anfang November müssen die letzten nach Europa bestimmten Getreideschiffe den Seehafen der Hudson-Bai verlassen, wenn sie mit einiger Zuverlässigkeit den Eismassen noch entgehen wollen; vor Anfang September kann aber hinwiederum eine Abfuhr der Getreideernte nicht beginnen. Die Bahn zum Seehafen Hudson-Bai würde also nur etwa zwei Monate im Jahre voll beschäf- tigt sein, während in der übrigen Zeit des Jahres der Betrieb, aus Mangel an Frachtgütern, völlig oder größtenteils eingestellt werden müßte. Auch würde die Verbilligung des Getreidetransportes zum großen Teil wieder wettgemacht durch die verhältnismäßig teuren 24 Meereskunde. Versicherungen, die in jenen hohen und gefährlichen Breiten für Seetransporte zweifellos gezahlt werden müß- ten. — Vielleicht sind diese Befürchtungen übertrieben, denn im 17. und 18. Jahrhundert, als die heutigen kanadi- schen Ausfallspforten Montreal und Quebec noch den Franzosen gehörten, spielte die Hudson-Bai schon ein- mal die Rolle, die man ihr neuerdings wiederverschaffen möchte, und die Hudson Bai Companie betrieb zwischen Fort Churchill und Europa einen lebhaften Segelschiffs- verkehr, ohne daß ihr besondere Verluste dadurch er- wachsen wären. Und immerhin bleibt zu berücksichti- gen, daß der Weg vom kanadischen Westen über die Hudson-Bai nach Liverpool etwa 1600 km kürzer sein würde als der über Montreal, wobei die Ersparnis an Transportkosten vollkommen durch den kürzeren Eisen- bahnweg bedingt sein würde. Dieser Transportweg vermag unter Umständen selbst der Ausfuhr des Nord- westens der Vereinigten Staaten erstrebenswerte Vor- teile darzubieten. Trotz der wenig verlockenden Aussichten einer regelmäßigen Schiffahrt durch die Hudson-Bai und die Hudson-Straße macht die Verwirklichung des kühnen Planes rasche Fortschritte. Port Nelson, an der Mün- dung des Nelson-Flusses, wird gegenwärtig zum See- hafen ausgebaut, und auch der Bau der Hudson-Bai- Bahn, die in The Pas, einer Station der kanadischen Nordbahn, abzweigt und in nordöstlicher Richtung über Hudson Bay Junction nach Port Nelson verläuft, hat schon bedeutende Fortschritte gemacht. Umgekehrt drängt auch in Kanada der Personen- verkehr danach, die Umschlagsplätze des Schnellver- kehrs möglichst weit seewärts zu verlegen. Im Zusam- menhang damit wird in kanadisch-englischen Interessen- tenkreisen neuerdings in steigender Häufigkeit ein Ver- Überland und Übersee im Wettbewerb. 25 kehrsprojekt von internationaler Bedeutung erörtert, das für die Allgemeinheit der Weltreisenden von Be- deutung ist und auch unser deutsches Wirtschaftsleben besonders nahe angeht. Es handelt sich um einen Doppelplan, der sowohl in Europa wie in Amerika die Abfahrt- und Ankunfthäfen des Schnellverkehrs ganz erheblich weiter ozeanwärts verlagern und ein- ander so nähern will, daß die See- fahrt über den Atlantischen Ozean auf nur 2Vo Tage abge- kürzt werden kann. Nicht nur für den Personen- Schnellverkehr, sondern auch für die Postbeförde- rung über den Ozean würde die- ser Plan eine er- hebliche Beschleunigung möglich machen, und wer da weiß, was Zeitersparnis im heutigen Verkehr bedeutet, wird von vornherein geneigt sein, ein der- artiges Projekt für aussichtsvoll zu halten, dessen Ver- wirklichung zwar auch im günstigsten Fall noch viele Jahre auf sich warten lassen muß, das aber schon heute lebhafteste Beachtung verdient. Der eine Teil des Planes läuft darauf hinaus, auf amerikanischem Boden die Reisedauer gegenüber dem bisherigen Zustand erheblich abzukürzen. Hierfür bietet sich das bisher fast unbekannte und von der Abbild. 3. Plan einer Verkürzung der Seefahrt Nordamerika— Europa. 26 Meereskunde. Schiffahrt unbenutzte Kap Charles im südöstlichen La- brador als ein besonders europanaher und daher für eine abgekürzte Schiffahrt zweckmäßiger, überdies eis- freier Punkt für eine künftige Hafenanlage dar, von dem sich ohne allzu große Schwierigkeiten ein brauchbarer Schienenanschluß an das übrige Bahnnetz Nordamerikas schaffen ließe. Schon 1911 wurde von britischen Reedereien und Werften eine Gesellschaft zur Förde- rung des Planes gegründet, dem man selbstverständlich auch in Kanada hohes Interesse entgegenbrachte, und in jüngster Zeit hat diese Gesellschaft tatsächlich allen Ernstes mit einem kanadischen Syndikat über den An- kauf von 130 000 ha Land am Kap Charles verhandelt. Die Entfernung Liverpool — Kap Charles beträgt nur 1680 Seemeilen, nicht viel mehr als die Hälfte der Strecke Liverpool — New York! Tritt nun aber gar ein gut benutzbarer Passagierhafen in West-Irland an die Stelle von Liverpool, so würde die Fahrt über den Atlantischen Ozean in nur 60 Stun- den, also 21//2 Tagen zurückzulegen sein! Der zweite Grundgedanke des Planes läuft darauf hinaus, einen neuen großen Ozeanhafen an der äußersten Westküste Irlands ent- stehen zu lassen und diesen durch ausgezeichnete Zug- verbindungen an das übrige vorhandene Bahnnetz des Insel-Königreichs und damit des Kontinents anzu- schließen. Häfen, die sich vorzüglich zur Anlage eines großen Seehafens eignen, sind in West-Irland ver- schiedentlich vorhanden. Wenn trotzdem keiner von ihnen nennenswerte Bedeutung erlangt hat, so sind einerseits die Rivalität der englischen Häfen, anderseits die abgeschlossene Lage und die mangelhaften Verbin- dungen der „grünen Insel" mit dem übrigen Königreich daran schuld. Diesem letzteren Übelstand soll nun Überland und Übersee im Wettbewerb. 27 gründlichst abgeholfen werden, und damit gewinnt der Plan, einen westirischen Hafen für den großen Weltver- kehr benutzbar zu machen, erheblich an Lebensfähig- keit. Am geeignetsten erscheint die Blacksod- B a i im nördlichsten Teil der äußersten irischen West- küste für die Verwirklichung des Gedankens, ein gut geschützt liegender Hafen, dessen Ausbau zu einem vollwertigen Personenhafen mög- lich wäre. Vor einiger Zeit hat die englische Firma Petry & Co. in Bow einen Kon- trakt unterzeichnet, in dem sie sich verpflich- tet, den Hafen Black- sod - Bai auszubauen und einen Bahnan- schluß zunächst nach Collvoney Junction in der irischen Grafschaft Sligo zu schaffen. Am besten würde das endgültige Ziel erreicht durch die Schaffung einer festen Eisenbahnverbindung zwischen Irland und Großbritannien, sei es in Gestalt einer Brücke oder eines Tunnels. Beide Möglichkeiten sind in neuester Zeit mit bemerkenswertem Eifer dis- kutiert worden. Der Tunnel hat unbedingt die meisten Aussichten für sich, da die Brücke nicht nur ein Hinder- nis für die (allerdings nur geringe) Schiffahrt sein, sondern auch ungefähr viermal so teuer werden würde als der Tunnel. Der Tunnel zwischen Irland und Abbild. 4. Plan einer Verkürzung der Seefahrt Europa— Nordamerika. 28 Meereskunde. Großbritannien ist denn in der Tat neuerdings eine Art von technischer Aktualität in England ge- worden, die im Zusammenhang mit den an die Blacksod- Bai anknüpfenden Plänen die öffentliche Aufmerksam- keit lebhaft beschäftigt hat. Einwände gegen den Tunnelplan, und zwar solche triftigster Art, sind natürlich zahlreich zu finden; sie hindern jedoch nicht, daß der Gedanke, einen großen Umschlagshafen des europäisch-amerikanischen Schnell- verkehrs im westlichen Irland zu schaffen, trotzdem fruchtbar sein kann und vielleicht Gestalt gewinnt; der Tunnelplan ist kein unerläßlicher Bestandteil des Ge- samtprojekts, sondern nur ein Eventualvorschlag. Zur Not läßt sich der Plan auch durchführen, wenn ein schneller Fährdampferverkehr über den St. Georgs-Kanal an Stelle des Tunnels die Eisenbahnzüge von England nach Irland und umgekehrt hinüberträgt. Freilich, be- vor nicht der Kanaltunnel geschaffen oder mindestens ein Dampffähr-Trajekt über den Ärmel-Kanal eingerich- tet ist, solange nicht diese längst notwendige Verkehrs- verbesserung vorhanden ist, wird auch das ergänzende Projekt des Tunnels zwischen England und Irland schwerlich lebensfähig werden! Der Gedanke, den Passagierverkehr von New York, Montreal und Quebec nach Kap Charles hinüberzu- ziehen, hat an sich zwar mehr innere Wahrscheinlich- keit und Logik als die auf die Blacksod-Bai gesetzten Hoffnungen. Es würde nicht, wie in Europa, eine zweir malige Ausschaltung breiter Meeresarme, des Ärmel- Kanals und des St. Georg-Kanals, notwendig sein, son- dern lediglich die wesentlich einfachere Überbrückung oder Untertunnelung des St. Lorenz-Stroms. — Aber ein anderer Umstand würde wohl auch dem Kap Char- les wenig Freunde unter dem internationalen Reise- Überland und Übersee im Wettbewerb. 29 publikum verschaffen, und auch die größte Reise- beschleunigung wird daran nicht viel ändern können: die größere Geschwindigkeit müßte mit einer Minderung der Sicherheit der Seeschiffahrt erkauft werden! Die Reise von Kap Charles nach Europa müßte durch die berüchtigte Eisberg-Zone des Ozeans laufen, die seit der großen ,,Titanic"-Katastrophe noch mehr als früher ge- fürchtet ist. Mindestens einige Monate im Jahre wäre die neue transatlantische Route also überhaupt nicht zu benutzen. Dazu kommt, daß sie nicht nur der Eisberg-, sondern auch der Nebelgefahr in den ostkanadischen und neufundländischen Gewässern ausgesetzt wäre, und was für hohe und tragische Bedeutung diese zu erlangen vermag, das hat ja erst kürzlich die furchtbare Kata- strophe der ,,Empreß of Ireland" bewiesen, die wenige hundert Seemeilen westsüdwestlich vom Kap St. Char- les in der Nacht zum 29. Mai 1914 in den Fluten des St. Lorenz-Stromes versank. Für unsere jetzige Darlegung interessiert uns aber weit weniger die Frage nach der Durchführbarkeit und nach den Zukunftsaussichten des interessanten Planes, als die Tatsache, daß das Projekt überhaupt erörtert wird, und je größere Bedenken dagegen geltend gemacht werden können, um so zwingender nur tritt die Not- wendigkeit und das drängende Streben des Weltver- kehrs hervor, den Personen-Schnellverkehr nach Mög- lichkeit dem Schiff zu entziehen und der Eisenbahn zu- zuweisen. In der Binnenschiffahrt ist dieser Prozeß schon in allen Kulturländern beendet; die Seeschiffahrt wird natürlich nie in gleichem Maße ausgeschaltet wer- den können, aber soweit, wie es nur möglich ist, wird auch hier die Bahn im Wettbewerb siegen. Kurz und gut: im Kampf zwischen Eisenbahn und Wasserstraßen steht der Personen-Schnellverkehr auf 30 Meereskunde. der Seite der ersteren, der Güterverkehr auf der Seite der letzteren. Während somit die Personen-, die Güter- und die Brieftransporte ganz festen, klar erkennbaren Gesetzen folgen, ist für den Schnell-Nachrichtenver- kehr, d. h. den Telegraphenbetrieb,1) eine klare Regelung des Verhältnisses zwischen Überland- und Überseelinien nicht zu erkennen, und die wiederum ganz anderen Voraussetzungen der Funkentelegraphie, welche die freie Luft als übertragendes Mittel benutzt und zwischen Überland- und Überwasserverbindungen keinen wesentlichen Unterschied macht, haben die Frage noch mehr kompliziert. Selbstverständlich besteht für zahlreiche interkon- tinentale Telegraphenverbindungen die Möglichkeit, ein bestimmtes Ziel sowohl auf dem Land- wie auf dem Seewege zu erreichen, mit Hilfe von Überlandtele- graphen, wie von Seekabeln. Um z. B. mit Indien von Europa her telegraphische Verbindung zu erlangen, kann man sich sowohl der großen, überwiegend briti- schen Seekabel bedienen, die von der Pyrenäenhalb- insel her durch die Straße von Gibraltar, den Kanal von Suez und die Straße Bab el Mandeb nach Indien laufen, wie des großen am Ende der sechziger Jahre hergestell- ten Überlandtelegraphen, der sogenannten ,,Indo-Linie", die über Berlin, Warschau, Kiew, Teheran nach Indien führt. Ähnlich ist im Verkehr zwischen Europa und Ostasien sowohl ein ausschließlicher Seekabelweg wie eine ganz oder fast ganz ausnahmslose Benutzung von l) Im Fernsprechverkehr kann von einem Wettbewerb zwischen Überland- und Überseeverkehr vorläufig nicht wohl die Rede sein, da ein überseeischer Telephonverkehr nur über schmale Wasser- straßen hinweg möglich ist. Man vergleiche dazu A. Ebeling, Ferngespräche über See. Meereskunde, Heft 59 (V., 11.). Überland und Übersee im Wettbewerb. 31 Landtelegraphen möglich. Welche Verbindung jeweilig benutzt wird, hängt von sehr verschiedenartigen Um- ständen ab, und feste Gesetze lassen sich für diese Art des Verkehrs um so weniger aufstellen, als brauchbare Statistiken vollkommen fehlen, die einen Vergleich zwi- schen der Häufigkeit der Benutzung der einen und der anderen Verbindungsmöglichkeit gestatten. Die großen Telegraphenlinien zu Lande und zu Wasser sind ja, von verschwindend wenig Fällen abge- sehen, im Besitz privater Unternehmergesellschaften, und diese haben zumeist gar kein Interesse daran, der Öffent- lichkeit Kunde zu geben, wie häufig ihre Telegraphen- linien benutzt werden. Jede Tarifänderung bedingt über- dies eine nicht unwesentliche Verschiebung des Gesamt- resultats, denn selbstverständlich ist von Fall zu Fall die Frage, ob die Land- oder die Seekabellinie billiger arbeitet, oft genug von entscheidender Bedeutung für die Wahl der einen oder anderen Verbindung. Da jede der privaten Gesellschaften aber weiten Spielraum in der Festsetzung ihrer Gebühren hat, sind die Tele- graphentarife keineswegs von Willkürlichkeiten frei, wodurch von vornherein etwa vorhandene Gesetz- mäßigkeiten in dem Wettbewerb zwischen Überland- und Überseeverbindungen recht gründlich verwischt werden müssen. Neben der Höhe der Gebühren sind weiterhin aber für die Wahl des einen oder anderen Weges oft genug auch politische und nationale Momente, Zuver- lässigkeit der Übermittlung, Störungen in den Linien, Bündnisse und Verträge zwischen einzelnen Privat- gesellschaften und ähnliche Faktoren maßgebend. Be- zeichnend genug war es ja, daß seinerzeit das erste große, über 1000 km Länge hinausgehende deutsche Seekabel, das am 23. Dezember 1896 eröffnete, mit 32 Meereskunde. Unterstützung der Reichspost von einer privaten Unter- nehmergesellschaft verlegte Kabel Emden — Vigo (Spa- nien) ausschließlich geschaffen wurde, um einen von den französischen und spanischen Landlinien unabhängigen, zuverlässigen Anschluß an die großen britischen Über- seekabel zu erhalten, weil die Erfahrung lehrte, daß Telegramme in deutscher Sprache von den französischen und spanischen Telegraphisten bis zur völligen Un- kenntlichkeit verstümmelt zu werden pflegten. Aus ganz ähnlichem Grunde verlegte 1905 die eigens zu diesem Zweck gegründete deutsche „Osteuropäische Telegraphen-Gesellschaft" ein Seekabel zwischen Kon- stantinopel und Konstanza in Rumänien; man erreichte auf diese Weise eine telegraphische Unabhängigkeit von den völlig unzuverlässigen türkischen Landlinien. Es bedarf nicht erst der besonderen Hervorhebung, daß in solchen Fällen natürlich der Seeweg, wo immer es nur möglich war, vor dem Landweg bevorzugt wurde, wie ja auch sonst etwa in Deutschland ganz naturgemäß die Tendenz besteht, in jedem nur irgend angängigen Fall die deutschen Seekabel und die deutschen Linien über- haupt in möglichst ausgiebigem Maß zu benutzen. Ähn- lich halten es natürlich alle anderen Regierungen und privaten Unternehmungen, wodurch eine Ergründung etwaiger Gesetze über die Neigung des Telegraphenver- kehrs, Land- oder Seewege zu benutzen, abermals ge- waltig erschwert, wenn nicht völlig unmöglich gemacht wird. Eine reine Scheidung in Land- und Seewege des Telegraphenverkehrs findet sich übrigens nur in den ausländischen Beziehungen Europas zu Asien. Im Ver- kehr mit den übrigen Erdteilen handelt es sich stets nur um reine See- oder kombinierte Land- und Seewege. Auch bei diesen aus Land- und Seestrecken kombinier- Überland und Übersee im Wettbewerb. 33 baren Telegraphenverbindungen, etwa im Verkehr mit den Hauptstädten Australiens, für deren Erreichung u. a. sowohl die Indo-Linie wie der australische Nord- Süd - Überlandtelegraph in Betracht gezogen werden kann, ist eine grundsätzliche Begünstigung von See- oder Landstrecken keinesfalls zu entdecken, so daß in der Tat von einem Überland- und Übersee- Telegraph e n v e r k e h r im Wettbewerb miteinander nicht die Rede sein kann. Weit eher kann man von einem Wettbewerb zwi- schen Draht-Telegraphie und drahtloser Telegraphie sprechen, obwohl auch dieser sich eben erst anbahnt und vielleicht erst in Zukunft etwas lebhafteren Cha- rakter annehmen, wenn auch schwerlich jemals in er- bitterte Feindschaft ausarten wird. Doch hat dieser Wettkampf zwischen den verschiedenen Arten der Tele- graphie mit unserem Thema ebensowenig zu tun, wie der Wettstreit zwischen Telegraphie und Telephonie, und braucht uns daher hier nicht weiter zu beschäftigen. In die Beziehungen zwischen Überland- und Über- seewegen ist durch das Aufkommen des Automobil- wesens in jüngerer Zeit ein neuerer Gesichtspunkt nicht hineingetragen worden. Das Automobil ist für den Weltverkehr im wesentlichen nur Zubringer und Er- gänzer oder auch Vorläufer der Eisenbahn, in sehr be- scheidenem Umfang auch als Mittel der Personenbeför- derung ihr Konkurrent. Für einen Güterverkehr im großen kommt das Automobil hingegen nicht in Be- tracht, und da der Gütertransport die Hauptdomäne des Schiffsverkehrs ist, so scheidet von vornherein jeder Wettbewerb zwischen Automobil und Schiff aus. Wohl aber ist zu erwarten, daß unter den neuesten Verkehrsmitteln, die die Entwicklung uns beschert hat, das Luftschiff und das Flugzeug schließlich zu 34 Meereskunde. einer sehr bedeutsamen Rolle für die Abwicklung des Weltverkehrs gelangen werden. Vorläufig sind die Luft- schiffahrten noch zu teuer, die Flugzeuge zu unsicher, um schon jetzt wirksam in den Wettkampf der Verkehrs- mittel einzugreifen. Aber was die wenigen Jahre seit 1908, dem großen Epochejahr der Luftschiffahrt, uns an Entwicklung des Flugwesens gebracht haben, das ist so unerhört großartig und mit so schwindelerregender Schnelligkeit vor sich gegangen, daß der Luftverkehr sicher schon in naher Zukunft als ein gleichberechtigter Faktor neben den Land- und den Seeverkehr treten wird, wozu schon jetzt gar mannigfache Ansätze zu er- kennen sind.1) Dann wird in dem Thema „Überland und Übersee im Wettbewerb" eine ganz neue Note er- klingen, die die bisherigen scharf ausgeprägten Gegen- sätze im Land- und Seeverkehr ganz gewiß nicht auf- heben, aber doch teilweise verwischen wird, denn das Luftschiff wird sicher dereinst sowohl im Überland- wie im Überseeverkehr seine Bedeutung entfalten, und wenn auch zunächst wohl die bisherige Art des Per- sonenverkehrs und somit in erster Linie die Eisen- bahnen den kommenden Wettbewerb verspüren wer- den, so wird auf die Dauer doch auch der Schiffsverkehr von den neuen Möglichkeiten der Personen- und Güter- beförderung nicht unberührt bleiben. Charakteristisch berührt in dieser Hinsicht eine von dem genialen Er- bauer des Panama-Kanals, dem Oberst Goethals, gelegentlich im Privatgespräch geäußerte Ansicht, die zur Zeit noch utopistisch anmutet und doch vielleicht schon in wenigen Jahrzehnten Hand und Fuß hat: Goethals äußerte nämlich, er erwarte, daß die *) Siehe Frhr. v. Gemmingen, Das Zeppelinschiff zur See. Meereskunde, Heft 90 (VIII., 6.). Überland und Übersee im Wettbewerb. 35 Güterbeförderung über den mittelamerikanischen Isth- mus hinweg von einem Ozean zum anderen in Zukunft von Luftfahrzeugen bewältigt werden würde, und daß man dann hoch aus der Luft auf die verödeten Riesen- schleusen des überflüssig gemachten Panama-Kanals herabblicken werde. Doch auch wenn man solche noch etwas phan- tastisch anmutenden Zukunftsträume außer acht läßt, so muß man dennoch rundweg zugeben, daß im begin- nenden Weltverkehr durchs Luftmeer Möglichkeiten verborgen liegen, die unsere bisherigen verkehrsgeo- graphischen Gesetze teilweise auf den Kopf zu stellen geeignet sind. Der interkontinentale Personen-, Post- und Güterverkehr beruht ja in der Hauptsache auf einem geschickten und zweckmäßigen Ineinanderarbeiten des Bahn-, Fluß- und Seeverkehrs. In jedem Falle sind dabei die Seehäfen die pulsierenden Herzkammern dieses großartigen Verkehrsumlaufs, in denen mit Not- wendigkeit Überland und Übersee ineinander über- gehen, in denen fast jeder interkontinentale Verkehr beginnen und enden muß. Die Gestaltung der Haupt- linien des Weltverkehrs auf der Erdkugel muß sich da- her zu Lande wie zu Wasser der Lage der führenden Seehäfen anpassen, und insbesondere im Eisenbahnnetz der Welt erkennt man deutlich, wie die Führung der Schienenwege einmal auf die Eigenarten des jeweiligen Geländes und zweitens auf die großen Seehäfen als End- plätze zugeschnitten ist. Diese überragend, zum Teil geradezu monopolartige Stellung der Seeplätze im Weltverkehr unserer Zeit dürfte nun durch die weitere Entwicklung des Luftver- kehrs nach und nach nicht unerheblich bedroht, viel- leicht selbst zu einem nicht ganz geringen Teil aus- geschaltet werden. Mit Recht hat ein geistvoller Fran- 36 Meereskunde. zose, Alexandre Ular, einmal gesagt,1) die Flug- maschine „mache aus der Geographie Geometrie", denn: „Die Flugmaschine erlöst uns aus der absoluten Abhängigkeit von den Formen der Erdoberfläche, in der die Menschheit bisher gelebt hat, und auf die hin ihr Leben eingerichtet ist. . . . Ihre Straße ist über- all. Sie bewegt sich über Land und Wasser. Ihr Weg ist der beste Land- und der beste Wasserweg. Denn er ist die kürzeste Linie." Die Folge hiervon aber im Weltverkehr der Zu- kunft wird nach Ular sein: „Die Schiffbarkeit eines Stromes, die Tiefe eines Hafens, die Steigung einer Bahn verlieren ihren be- stimmenden Einfluß auf die Richtung des Güter- stromes und der menschlichen Ortsveränderung. Das Problem der Anlage von Transportwegen reduziert sich auf die rein geometrische Aufgabe, zwischen zwei Punkten der Erdoberfläche die kürzeste und daher schnellste und billigste Linie zu zeichnen. ... Vor allem würde die jahrhundertlange Suprematie der Häfen zusammenbrechen. Die Produktionszentren würden selbst die allein notwendigen Transport- zentren sein und unmittelbar mit den Konsumzentren verkehren. Zwischenstationen und Zwischenhandel werden überflüssig. Hamburg und Bremen, Antwer- pen und sogar London würden fallen, und die Indu- strien, die sich in Häfen lediglich wegen ihrer Zwi- schenlage zwischen Land- und Wasserstraßen ent- wickelt haben, würden zum Produktionsort der wich- tigsten Rohmaterialien zurückwandern. . . Alle Ent- wicklung, schreitet über Ruinen." ]) „Güldenkammer", Oktoberheft 1911, S. 5 bis 17: „Seehäfen und Luftschiffahrt". Überland und Übersee im Wettbewerb. 37 Wieviel an dieser Zukunftsprophezeiung richtig ist, läßt sich nicht erkennen; daß ein sehr beachtenswerter gedanklicher Kern darin steckt, ist unbestreitbar. Selbst aber wenn die gezeichneten Grundlinien sich als un- gefähr richtig erweisen sollten, ist zu erwarten und zu hoffen, daß die daraus gezogenen Schlüsse sich nur sehr bedingt als zutreffend und in jedem Fall als zu pessi- mistisch erweisen werden. Gewiß wird bei einer sehr umfassenden Weiterentwicklung der Luftschiffahrt die Stellung der Seehäfen einen Stoß erleiden; ob dieser aber wirklich sehr fühlbar oder gar, wie U 1 a r meint, katastrophal werden wird, ist doch noch sehr die Frage. Das Aufkommen neuer Verkehrsmöglichkeiten hat bis- her zwar oftmals einzelne Existenzen, Berufe, ja selbst Ortschaften in ihren Lebensbedingungen untergraben und zerstört, aber dennoch niemals wirklich verhängnis- volle Folgen im großen gezeitigt, denn selbst Venedig, Alexandrien, Bagdad, die den Wandel der Zeiten mit dem Aufkommen neuer Verkehrsmöglichkeiten wohl am härtesten verspürt haben, haben ihre alte hohe Be- deutung niemals völlig eingebüßt, und es in immerhin annehmbarer Weise verstanden, den erlittenen Stoß auszugleichen und sich neue Existenzbedingungen zu schaffen. Im Gegenteil, das Auftauchen neuer Mög- lichkeiten, neuer Erwerbsquellen, das mit der Verbesse- rung bestehender Verkehrsverhältnisse stets verbunden ist, hat bisher noch immer in ungleich höherem Maße segensreich und befruchtend als zerstörend gewirkt. Und in der Regel hat sich dabei die überraschende Wahrnehmung gezeigt, daß die alte Verkehrsmethode, die man durch die neue für überwunden und entbehr- lich gemacht hielt, dennoch sehr wohl ihre alte Be- deutung mit geringen Wandlungen zu behaupten und sogar noch weiter zu entwickeln wußte. Zwar die alte 38 Meereskunde. Postkutsche ist von der Eisenbahn völlig verdrängt, und die Segelschiffahrt liegt für die Zwecke des Großver- kehrs in den letzten Zügen und dürfte in wenigen Jahr- zehnten dem siegreichen Dampfer völlig das Feld räumen, aber hierbei handelt es sich um grundlegende Verbesserungen bestehender Verkehrsmittel, die natur- gemäß die Alleinherrschaft an sich reißen konnten, wie schließlich, nach mehreren Jahrzehnten, wohl auch der elektrische Betrieb der Eisenbahnen dem Dampfbetrieb den Garaus machen wird, und wie vor 70 Jahren der elektrische Telegraph den optischen Telegraphen aus dem Felde schlug. Aber ganz neuartige Verkehrsmög- lichkeiten haben niemals bewährte alte aus dem Sattel gehoben: die Binnenschiffahrt, die man jahrzehntelang für den Güterverkehr durch die Eisenbahn entbehrlich gemacht glaubte, blüht und gedeiht heute mehr denn je und scheint erst am Anfang einer noch viel glänzende- ren Entwicklung zu stehen, der beispiellose Siegeszug des Telephons hat der stolzen Ausgestaltung des Post- und Telegraphenwesens keinerlei Abbruch getan, und die alten Telegraphenanlagen im Lande wie auf dem Meeresgrund sind durch das Aufkommen der drahtlosen Telegraphie nicht entwertet worden, im Gegenteil, das Tempo des Weiterausbaues des bestehenden Tele- graphennetzes ist nie so rapide gewesen als in der Zeit, da gleichzeitig die Funkentelegraphie ihre organische Ausgestaltung erfuhr. So kann es auch keinem Zweifel unterliegen, daß der neu ins Gesichtsfeld tretende Luftverkehr, mag seine Entwicklung noch so märchenhaft sein und den unerhört großartigen Anfängen der ersten sechs Jahre entsprechen, den bestehenden und wohlbewährten Transportmitteln zu Lande und zu Wasser weder Ab- bruch tun kann noch will. Kleine Verschiebungen im Überland und Übersee im Wettbewerb. 39 einzelnen werden selbstverständlich nicht ausbleiben, aber die kulturelle Entwicklung dürfte auch den Luft- verkehr als neues, vollwertiges Verkehrsmittel ausge- stalten und zu Ehren bringen, ohne daß Eisenbahn- und Schiffsverkehr dadurch irgendwie merklich beeinträch- tigt werden. Dem Überland- und Überseeverkehr wird sich der Luftverkehr dereinst würdig als gleichwertiges Glied anschließen, und wie sich der Wettbewerb zwi- schen jenen älteren beiden Schwestern nach festen, un- abänderlichen Gesetzen geregelt hat und weiter regeln wird, so wird man dereinst auch neue Gesetze erken- nen, die die Beziehungen des Luftverkehrs zum Land- und Wasserverkehr regeln und eine friedliche An- passung und wechselseitige Befruchtung zwischen allen drei Formen des großen, stolzen Weltverkehrs ge- statten. Gedruckt in der Königlichen Hof buchdruckerei von E. S. Mittler & Sohn, Berlin SW., Kochstraße 68—71. *** MEERESKUNDE ^ SAMMLUNG VOLKSTÜMLICHER VORTRÄGE Die Fahrten eines deutschen Seemanns um die Mitte des 19. Jahr- hunderts. Aufzeichnungen des Segelschiff-Kapitäns G.W. Kroß. Die Schiffahrt auf den Karolinen und Marshallinseln. Von Dr. P. Hambruch. Die Namen der Schiffe im Spiegel von Volks- und Zeitcharakter. Von Dr. W. Vogel. Ein Ausflug nach Sansego in der Adria. Von Dr. L. Glaesner. Deutschlands Lage zum Meere im Wandel der Zeiten. Von Dr. W.Vogel. Handelswege im Ostseegebiet in alter u. neuer Zeit. Von Chr. Reuter. Ostseehandel und Landwirtschaft im 16. und 17. Jahrhundert. Von Chr. Reuter. Die Nautik im Altertum. Von Dr. Aug. Koste r. Kriegsmarine. Kiel und Wilhelmshaven. Von Kontreadmiral Ed. Holzhauer. Kohlenversorgung und Flottenstützpunkte. Von Kontreadmiral Ed. Holzhauer. Vierzig Jahre Schwarz- Weiß-Rot. Von Geh. Admiralitätsrat P. Koch. Große und Kleine Kreuzer. Von Kapitän zur See a. D. R. Wittmer. Die Torpedowaffe. Von Kapitän zur See a. D. R. Wittmer. Kriegsschiffsbesatzungen in Vergangenheit und Gegenwart. Von Kapitän zur See a. D. R. Wittmer. Unterseebootsunfälle unter besonderer Berücksichtigung des Unfalles auf ,,U3". Von Fregattenkapitän Mich eisen. Die Zusammensetzung und Taktik der Schlachtflotten. Von Kapitän zur See a. D. R. Wittmer. Die Deutsche Eisenindustrie und die Kriegsmarine. Von P. Koch. Volks- und Seewirtschaft. Die Seehäfen von Marokko. Von Theobald Fischer. Marokko. Wirtschaftliche Möglichkeiten und Aussichten. Von Dr. Joachim Graf v. Pfeil. Die deutsche Hochsee-Segelfischerei. Von H. Lübbert. Der Hafen von New York. Von Professor Dr. Albrecht Penck. Lübeck, sein Hafen, seine Wasserstraßen. Von Dr. Franz Schulze- Lübeck. Eine Wanderung durch altniederländische Seestädte. Von Dr. W. Vogel. Die Freie Hansestadt Bremen, ihre Hafenanlagen und Verbindungen mit der See und dem Hinterlande. Von Baurat Prof. G. d. Thierry. Die Häfen der Adria. Von Dr. N. Krebs. Tsingtau. Von Professor Dr. Albrecht Penck. Auf den Färöern. Von Prof. D. Dr. Edward Lehmann. Der Suezkanal. Von Dr. P. Neubaur. Valparaiso und die Salpeterküste. Von Dr. Rud. Lütge ns. Die festländischen Nordsee -Welthäfen. Von Dr. H. Michaelsen. Die deutsche Seekabelpolitik. Von Dr. R. Hennig. ^ MEERESKUNDE ^ SAMMLUNG VOLKSTÜMLICHER VORTRÄGE Das Meer als Nahrungsquelle. Von Prof. Dr. H. Henking. Kriegsrüstung und Wirtschaftsleben. Von P. Koch. Die großbritannische Hochseefischerei. Von H. Lübbert. Triest und die Tauernbahn. Von Prof. Dr. F. Heiderich. Von Singapur bis Yokohama. Von L. Mecking. San -Franzisko. Von A. Ruh 1. Wohlfahrtseinrichtungen in der Seefischerei. Von F. Duge. Durch die Magellanstraße. Von Gustav Goedel. Seeklima und Seebäder. Die Heilkräfte des Meeres. Von Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Albert Etile nburg. - Land- und Seeklima. Von Dr. A. Merz. Seewesen und Schiffahrt. Der Kompaß in seiner Bedeutung für die Seeschiffahrt wie für unser Wissen von der Erde. Von Dr. Fr. Bidlingmaier. Die Post auf dem Weltmeer. Von O. Klaus. Die Segelschiffahrt der Neuzeit. Von Prof. W. Laas. Schiffsordnungen und Schiffsbräuche einst und jetzt. Von Dr. Fr. Schulze. Der Dienst des Proviantmeisters. Von Dr. G. W. v. Zahn. Innerer Dienst an Bord. Von Dr. G.W. v. Zahn. Auf einem Segler um Kap Hörn. Von Dr. R. Lütge ns. Nautische Vermessungen. Von Dr. E. Kohlschütter. Sicherheitsdienst an Bord. Von Dr. G.W. v. Zahn. Der Kreisel als Kompaßersatz auf eisernen Schiffen. Von Prof. Dr. H. Maurer, Der Fährverkehr zur See im europäischen Norden. Von Prof. Dr. G. Braun. Auf S. M. S. „Möve". Von Kapitänleutnant Schlenzka. Riesenschiffe. Von Dr. H. Michaelsen. Das Zeppelinschiff zur See. Von Dr. Frhr. v. Gemmingen. Technik des Seewesens. Die Entwicklung der Schiffsmaschine. Von Prof. P. Krainer. Auf einem deutschen Kabeldampfer bei einer Kabelreparatur in der Tiefsee. Von W. Stahlberg. Ferngespräche über See. Von Dr. A. Ebeling. Ausführliche Verzeichnisse mit Abbildungen stehen kostenlos zur Verfügung. Für die nächsten Hefte sind in Aussicht genommen: Politische Probleme des Mittelmeerbeckens. Von Dr. P. Mohr. Der Chilesalpeter und seine Bedeutung in der Weltwirtschaft. Von Dr. A. Hartwig. Die Farbe des Meerwassers. Von Dr. E. Öttinger. Landengen und Meerengen und der Verkehr. Von Prof. Dr. K. H a s s e r t. Wehr und Schutz der Meerestiere. Von Dr. L. Glaesner. D Jedes Heft 50 Pf. Ein Jahrgang von 12 Heften M 5, D Gedruckt in der Königlichen Hofbuchdruckerei von E. S. Mittler & Sohn, Berlin SW68, Kochstr. 68 — 71.