MEERESKUNDE J7 1.8 Bft 9 . 1 ZUM VERSTÄNDNIS DER NATIONALEN OBA lAMMLUNG VOLKSTÜMLICHER MEER UND SEE L WEHR UND DER MEERESTIERE VON Dr. LEOPOLD GLAESNER S.Jahrgang 9. Heft BERLIN 1914 ERNST SIEGFRIED MITTLER UND SOHN KÖNIGLICHE HOFBUCHHANDLUNG KOCHSTRASSE 68-71 ^ MEERESKUNDE ^ SAMMLUNG VOLKSTÜMLICHER VORTRÄGE Bisher erschienen folgende Hefte: Zur Einführung. Das Museum für Meereskunde. Von Prof. Dr. A. Penck. Die Meeresräume, ihre Wasserfüllung und ihre Küsten. Flaschenposten, treibende Wracks und andere Triftkörper in ihrer Bedeutung für die Enthüllung der Meeresströmungen. Von Prof. Dr. O. Kr ümmel. Das Eis des Meeres. Von Dr. L. Mecking. Die deutschen Seeküsten in ihrem Werden und Vergehen. Von Dr. Fr. Solger. Die Küste der englischen Riviera. Von H. Spethmann. Unsere Kalisalzlager, ein Geschenk des Meeres an den deutschen Boden. Von W. Stahlberg. Der Deichschutz an Deutschlands Küsten. Von Dr. Walter Behrmann, Der Golfstrom in seiner historischen, nautischen und klimatischen Bedeutung. Von Dr. Ludw^ig Mecking. Meer und Küste von Rügen bis Alsen. Von H. Spethmann. Tier- und Pflanzenwelt des Meeres. über marine Sedimente und ihre Benutzung zur Zeitbestimmung. Von Dr. G. Braun. Die Meeressäugetiere. Ihre Stammesgeschichte. Von Prof. O. Abel. Die westindischen Korallenriffe und ihr Tierleben. Von Dr. R. Hartmeyer. Das Reich des Todes im Meer. Von Walter Stahlberg. Tierische Wanderungen im Meere. Von Prof. R. Woltereck. Die Scholle, ein Nutzfisch der deutschen Meere. Von Dr. V. Franz. Gefiederte Bewohner des Meeres. Vögel des Atlantischen Ozeans. Von Dr. K. Wenke. Das schwimmende Leben der Hochsee. Von Dr. G. H. Fowler. Tierisches Licht in der Tiefsee. Von Prof. Dr. E. Mangold. Neue Forschungen über die Biologie der Tiefsee. Von Professor Dr. F. Doflein. Die zoologische Station inNeapel. Von Prof. Dr. A r m i n v. Ts c h e r m a k. Geschichte, Entdeckungsgeschichte, Seekriegsgeschichte. Die deutsche Handelsmarine im 19. Jahrhundert. Von Dr. W. Vogel. Die Anfänge der Nordpolarforschung und die Eismeerfahrten Henry Hudsons. Von Dr. P. Dinse. Zeitalter der Entdeckungen und die Beteiligung der Deutschen daran. Von S. Günther. Der Seeraub. Eine geographisch-historische Skizze. Von Dr. P. Dinse. Die Kontinentalsperre in ihrer geschichtlichen Bedeutung. Von Rob. Hoeniger. Nordische Seefahrten im früheren Mittelalter. Von Dr. W. Vogel. Die Abschaffung des britischen Sklavenhandels im Jahre 1806/07. Ein Kapitel aus der britischen Schiffahrtspolitik. Von Dr. Franz Hochstetter. MEERESKUNDE SAMMLUNG VOLKSTÜMLICHER VORTRÄGE ZUM VERSTÄNDNIS DER NATIONALEN BEDEUTUNG VON MEER UND SEEWESEN ACHTER JAHRGANG NEUNTES HEFT Wehr und Schutz der Meerestierc. Von Dr. Leopold Glaesner. ^Pll n einer seiner mythischen Erzählungen, die ^pln den Titel „Extramundana" tragen, berichtet ^^=11 der Schweizer Dichter Carl Spitteler in der ihm eigenen modernisierenden Art von der Erschaffung unserer Erde und ihrer Lebewesen, Er erzählt, wie auf das Gebot des Weltenherrschers die Himmelsarchitek- ten Entwürfe angefertigt und zum Wettbewerbe einge- reicht hätten. Der nun, so heißt es weiter, dessen Ent- wurf später preisgekrönt und ausgeführt wurde, hatte seinen ganzen Bauplan fertig; nur eines machte ihm schwere Sorgen: Wie sollte die vielgestaltige Organis- menwelt, die er auf seine Erde gestellt hatte, sich er- nähren? Da kam er eines Tages auf einen Gedanken, der das Problem lösen konnte. Und als er ihn gefaßt hatte, ging er in sein Zimmer, schloß sich ein und schämte sich, schämte sich sieben Tage lang. Dann ging er leichten Herzens an die Ausführung. Der Ge- danke war aber der, daß die Lebewesen auf der Erde sich gegenseitig fressen sollten. Was hier in der pessimistisch gestimmten Welt- betrachtung Spittelers seinen dichterischen Ausdruck fand, ist uns nichts Neues, und wir brauchen es vom bio- logischen Standpunkt nicht so tragisch zu nehmen wie der Dichter, Biologisch gewertet, erscheint uns die Tat- Meereskunde, Vorträge. VIII. Heft 9. 1 2 Meereskunde. Sache des Krieges aller gegen alle, die sich nicht leugnen läßt, durchaus nicht als ein Fehler im Schöpfungsplan. Wir kommen zu dieser irrigen Meinung nur, weil wir in unerlaubter Weise Anschauungen, die unserer mensch- lichen Gesellschaftsordnung entstammen, auf die freie Natur übertragen, die sich automatisch auf einen be- stimmten Gang reguliert, in der es nur eine Logik gibt, die der Tatsachen, aber keine ethischen Erwägungen wie in unserer mehr oder minder künstlichen Gesell- schaftsordnung, und auch kein — Strafgesetzbuch, Wir wissen, daß der Kampf ums Dasein noch weit heftiger und vielgestaltiger tobt, als der Dichter meint. Nicht nur hat jedes Tier Feinde und ist selbst anderen Tieren oder Pflanzen feind, auch gegen schädigende Einflüsse physikalischer und chemischer Natur, die seiner Um- gebung anhaften, muß es sich wehren, ferner herrscht auch zwischen den Artgenossen selbst der friedfertigsten Tierarten ein erbitterter Konkurrenzkampf; ja selbst im Körper des tierischen Individuums herrscht zwischen den einzelnen Organen eine Korrelation, die den Charakter eines Konkurrenzkampfes trägt. Aber die Natur hat die Lebewesen nicht hilflos in diesen Kampf gestellt. Mannigfach sind die Schutzein- richtungen, die sie ihnen ins Leben mitgibt; mannigfach sind allerdings auch die Waffen, mit denen andere aus- gestattet sind. Und das muß ja auch so sein. Würden die Tiere und Pflanzen, die gefressen werden, so gut ge- schützt, daß die Fresser sie nicht mehr finden oder überwältigen könnten, so wären diese dem Untergange geweiht. Aber die Natur ist nicht gegen eines ihrer Kinder ungerecht zugunsten der anderen. So wie bei der Kriegsmarine Dicke der Panzerplatten und Ge- schoßwirkung gegenseitig sich beeinflussen, so herrscht auch in der Natur ein Streben nach Gleichgewicht Wehr und Schutz der Meerestiere. 3 zwischen Angriff auf der einen und Schutz auf der an- deren Seite, Um dieses Verhältnis aber recht zu ver- stehen, muß man einmal alle unserem menschlichen Leben entnommenen Begriffe, vor allem die Sentimenta- lität beiseite lassen; muß zunächst erkennen, daß jene Schutz- und Trutzeinrichtungen, von deren Entwick- lung bei den Meerestieren hier einiges berichtet werden soll, gar keine Geschenke der Mutter Natur an das ein- zelne Individuum sind, sondern in einziger und erster Linie der Erhaltung der Art, des Stammes dienen. Die Art ist kostbar, das Individuum wertlos. Um der Art willen werden Hekatomben von Individuen geopfert, damit ein paar erhalten bleiben und die Art fortpflanzen können. So sehen wir, daß Tiere, die in ihrer Jugend stark gefährdet sind, wie Fische, oder solche, die nur sehr schwer die ihnen zusagenden Lebensbedingungen finden, wie Schmarotzer, meist eine enorme Zahl von Nachkömmlingen produzieren, von denen nur ein ganz kleiner Teil seinen Zweck erreicht, der ist: Fort- pflanzung und auf diese Weise Erhaltung der Art, Wir sehen hier ein Beispiel von Schutzeinrichtung gegen un- günstige Lebensbedingungen, die sehr typisch ist. Ich habe es vorangestellt, um zu zeigen: einmal, daß ein „Schutz" nicht etwa nur der Kalkpanzer eines See- igels und die Unsichtbarkeit eines durchsichtigen Krebschens ist, dann aber auch, daß das Individuum im großen Haushalte der Natur gar nichts gilt. Die Massen- produktion von Nachkommenschaft ist für das einzelne Individuum gar nicht einmal günstig, ihm geht es um so schlechter auf Grund des Satzes: Viele Brüder, schmale Güter, Aber das hat nichts zu sagen. Jene Tausende von Fischchen oder Wurmlarven, die gefressen werden oder sonstwie zugrunde gehen, sind einfach ,, Kanonen- futter", sind die ,,Vielzuvielen", die aufs Spiel gesetzt Meereskunde, Vorträge. VIII. Heft 9. 2 4 Meereskunde. werden müssen, um die Chancen für einige wenige zu erhöhen. Diese Überproduktion von Nachkommen und deren Dezimierung, die hier so sinnfällig hervortritt, ist eine im Prinzip durchaus allgemeine Erscheinung, Ein amerikanischer Forscher hat folgende Überlegung und Rechnung angestellt: Der Löwe bringt nur wenige Junge hervor, die unter sehr günstigen Bedingungen aufwachsen, und wegen ihrer geringen Zahl auch nicht auf Dezimierung berechnet scheinen. Nehmen wir nun an, daß vor 4000 Jahren, im Beginn unserer geschicht- lich bekannten Zeit, wo es doch sicher bereits Löwen gab, ein einziges Löwenpärchen von seinem 10, bis 20, Lebensjahre jährlich nur 2 Junge gehabt hätte, also im ganzen 20 Junge, und diese sich nach demselben Verhältnis vermehrt hätten- Dann ergäbe sich für die Jetztzeit eine solche ungeheure Menge von Löwen, daß nicht nur die Ozeane ausgefüllt und das Festland be- deckt wäre, sondern die Körper der Tiere den Erdball in solcher Dicke umhüllten, daß der Mond mit einge- schlossen wäre. Da von einer Vermehrung der Löwen in historischer Zeit nichts bekannt ist, können wir er- messen, wie ungeheuere Ernte der vorzeitige Tod unter der Nachkommenschaft selbst dieser Tiere gehalten hat und halten muß. Die nun, welche übrig bleiben und die Art erhalten, welche nicht einem natürlichen Tode oder einem Feinde, den Menschen ausgenommen, vor der Zeit verfallen, sind das beliebige Exemplare? Die Frage scheint unserem Thema fern und fremd, und doch hängt sie, wie sich zeigen wird, aufs engste damit zu- sammen. Es ist nicht meine Absicht, hier über alle Schutz- und Wehrmittel der Meerestiere im einzelnen zu be- richten; . es ist dies ein enormes Gebiet, dessen Er- Wehr und Schutz der Meerestiere. 5 Schöpfung in diesem Rahmen unmöglich ist. Vielmehr soll die Darstellung, unter biologischem Gesichtswinkel orientiert, zeigen, wie die Erscheinungen des Lebens sich nach dem Standpunkte des Beschauers in besonde- rer Weise gruppieren; dann wollen wir versuchen, auch zu zeigen, wie jene besonderen Einrichtungen und An- passungen entstanden zu denken sind. Diese letztere Untersuchung, die uns wieder an jene soeben aufge- worfene Frage heranführen wird, wollen wir aber an das Ende unserer Betrachtung stellen, indem wir uns vorher etwas mit dem konkreten Material bekannt machen. Wir werden dann auch des Mannes zu ge- denken haben, der uns für das Verständnis dieser Fra- gen die Wege gewiesen hat: Charles Darwin, Er hat uns die eminente Bedeutung des Kampfes ums Dasein kennen gelehrt. Wir wissen durch Darwin, daß der ,,struggle for life" das wichtigste regulatorische Prinzip der Organismenwelt darstellt, daß nicht Vernichtung, sondern gerade Erhaltung, ja Neuschöpfung sein Ziel ist. Dreierlei wird durch die Schutz- und Wehreinrich- tungen im Interesse der Arterhaltung angestrebt: Vor- teile im Nahrungserwerb, Widerstandsfähigkeit gegen umgebende schädliche Einflüsse, Schutz gegen Feinde, So einfach nun auf Grund dieser Definition eine Ein- teilung der diesen Zwecken dienenden Organe und Fähigkeiten und damit eine Disposition des Stoffes er- scheint, so schwierig gestaltet sich diese im einzelnen. Denn einmal droht eine derartig orientierte Betrachtung ins Grenzenlose auseinanderzufließen, da, streng genommen, jede lebensfördernde Eigenschaft, von der Fähigkeit zu schneller Flucht bis zur erworbenen Im- munität gegen Infektionen, dahin gehört. Anderseits werden gewisse Vorrichtungen und Tätigkeiten, die einem der angeführten Zwecke dienen, auch zur Er- 2* 6 Meereskunde. reichung eines der beiden anderen förderlich sein. Ein Tier, das durch seine Gestalt oder Färbung den Blicken seiner Feinde verborgen bleibt, kann sich, falls es selbst ein Raubtier ist, dieses Schutzes auch zur leichteren Gewinnung von Beute mit Vorteil bedienen, Waffen, die in erster Linie der Überwältigung eines Beutetieres dienen, werden naturgemäß auch zur Verteidigung ge- braucht werden, — Ich habe aus diesem Grunde für solche Organe den Ausdruck ,,Wehr" gewählt, der beides in sich faßt, indem er mehr bedeutet als passiven Schutz einerseits und Angriffswaffe anderseits, — Aus diesen Gründen wird eine nicht morphologische, sondern biologische Ordnung des Stoffes stets zur teilweisen gegenseitigen Überschneidung der einzelnen Gebiete führen müssen. Wir können aber dieses notwendige Übel hier um so leichter in Kauf nehmen, als es uns ja nur darauf ankommt, einzelne typische Erscheinungen herauszugreifen. Leider können wir uns nun der Er- kenntnis nicht verschließen, daß wir in der biologischen Deutung der Organisation so mancher Meerestiere auf reine Mutmaßungen angewiesen sind. Denn das erste, oft auch das einzige, was wir von einem Tier kennen lernen, ist seine Gestalt im Tode, Ganz besonders trifft das für Meerestiere zu, von denen wir nur wenige in ihrem natürlichen Elemente beobachten können oder in Aquarien, welche die Lebensbedingungen der Freiheit nach Möglichkeit nachahmen. Infolgedessen sind viele körperliche Besonderheiten der Meerestiere hinsicht- lich ihrer Bedeutung für uns ungelöste Rätsel, andere nur mit Hilfe von Hypothesen erklärlich, und gar manches, was früher für richtig galt, hat einer auf Be- obachtung gestützten Kritik nicht standhalten können. Und doch sind diese Irrtümer auf Grund einer sehr richtigen Erkenntnis entstanden, nämlich der, daß Wehr und Schutz der Meerestiere. Organisation und Lebensweise in einer sehr engen Wechselbeziehung stehen. Nur, daß man letztere nicht genügend kannte und folglich erstere falsch deutete. Ein Beispiel bietet der Ober- kieferfortsatz des Sägefischs (Ab- bild. 1), der auf den ersten Anblick den Eindruck einer furchtbaren Waffe macht. Doch schon eine ein- fache Überlegung schwächt diesen Eindruck ab; Zum Stechen ist das stumpfe Instrument völlig unbrauch- bar; um aber damit wirklich zu „sägen", müßte der Fisch mit seinem ganzen Körper hin- und hergehende Bewegungen ausführen, die ihm un- möglich sind. Es hat sich auch herausgestellt, daß die „Säge" dem Tiere wahrscheinlich nur zum Auf- wühlen des schlammigen Grundes dient, um ihm das Auffinden der im Schlamme lebenden und ihm zur Nahrung dienenden kleineren Tiere zu erleichtern. Wenn aber hier der Oberkiefer und sein Zahnbesatz trotz waffenähnlicher Gestalt nicht eigentlich dem Kampfe, wohl aber dem Nahrungserwerb dient, so wird dieses Verhältnis ein wesentlich an- deres bei denjenigen zahnbewehrten Wirbeltieren des Meeres, die ein Raubtierleben führen, d, h, die nicht nur Fleischfresser schlechthin sind, wie es auch der Sägefisch ist, sondern die ihre Opfer auch unter Tieren suchen, die ihnen an Körpergröße gleich, ja überlegen sind, so daß sie sich Abbild. 1. Obcr- kieferlortsatz des Sägefischs. Einige Zähne abgebrochen oder ausgefallen. 8 Meereskunde. unter Umständen auf einen Kampf gefaßt machen müssen. Zur Gewinnung der Beute und zu deren Verteidi- gung sowie zur Abwehr von Angriffen anderer Räuber dienen die „Waffen", Kein Tier greift aus purer Bos- heit an, sondern nur aus Hunger, oder weil es sich be- droht glaubt. Einen besonderen Fall stellen die Kämpfe der Männchen um den Besitz der Weibchen dar, Natur- Abbild. 2. Gebiß eines Haiiischs. gemäß sind die Raubtiere auch die streitlustigsten, nicht, weil das so ihr Charakter ist, sondern weil ihre Organisation sie dazu treibt. Wie schon angedeutet, sind die Angriffswaffen der meerbewohnenden Wirbeltiere in erster Linie die Zähne, da die bei vielen Landraubtieren als zweite Waffe ausgebildeten Extremitäten bei den Wassertieren ausschließlich im Dienste der Lokomotion stehen, oder fehlen. Unter den Räubern des Meeres stehen obenan die Haie mit ihrem furchtbaren Gebiß, das aus mehreren parallelen Reihen spitzer oder schneidenförmiger Zähne besteht (Abbild, 2), Aber auch andere Fische ver- fügen über recht kräftige Gebisse, wie z, B, der Seewolf Wehr und Schutz der Meerestiere, 9 (Abbild, 3), dessen Biß selbst Eisen angreifen soll, eine Behauptung, die ich mit allem Vorbehalt wieder- geben möchte. Unter den Kriechtieren des Meeres ent- behren die Schildkröten der Zähne, dafür ist ihr Kiefer mit einem scharfen Hornrand wie beim Vogelschnabel versehen, mit dem sie empfindlich beißen können (Ab- bild, 4), Bei den Schlangen des Meeres (Abbild. 5) hin- gegen treten die Zähne in Verbindung mit einer ande- ren Waffe auf, dem tierischen Gift, das durch den aus- gehöhlten oder gefurchten Giftzahn beim Biß in die Abbild, 3. Seewolf (Anarrhichas lupus). Wunde fließt, genau wie bei den Landschlangen, Unter den Seesäugetieren endlich mag der Delphin Erwähnung finden mit seinen zahlreichen, spitz-kegelförmigen Zähnen, Eine besondere Ausbildung zeigt der Stoßzahn des Narwals (Abbild, 6), Es ist dies der linke Eckzahn, der beim Männchen sehr lang auswächst, während der rechte fast immer verkümmert. Die Weibchen ent- behren dieser Waffe, Die Hauer des Walrosses (Ab- bild, 7) dienen wohl nicht in erster Linie als Waffe, sondern sie erleichtern einmal dem Tiere das Heraus- klettern aus dem Wasser auf das Eis, hauptsächlich aber harkt damit das Walroß den Grund auf, wenn es seine Hauptnahrung, Muscheln, sucht. Der Zweck der Zähne, dem Gegner oder Beute- 10 Meereskunde. Abbild. 4. Kopi einer Seeschildkröte (Che- lone imbricata) mit behornten Kieferrändern. tiere durch Stech-, Quetsch- oder Schneide- wirkungenWun- den beizubrin- gen, wird noch durch eine ganze Reihe anderer Einrichtungen bewirkt. Ich er- wähne hier nur den spitzen, zweischneidigen Oberkieferfort- satz des Schwertfisches, eine sehr wirk- same Waffe, mit der er weit größeren Tieren gefähr- lich werden kann. Ferner gehören hierher die kiefer- Abbild. 5. Seeschlange (Pelamis bicolor) nach Keller. und zahnartigen Bildungen wirbelloser Tiere, Im Munde der Tintenfische befinden sich zwei gegen- einander wirkende, gekrümmte Horngebilde, die in Bau und Funktion an einen Papageischnabel erinnern. Wehr und Schutz der Meerestiere, 11 Die Mundöffnung der Seeigel ist umgeben von einem komplizierten Kalkgerüst, das den Namen „Laterne des Aristoteles" führt (Abbild. 8, 9). In diesem sind, in einem Kreise geordnet und durch Muskeln beweg- lich, fünf Zähne befestigt, die in ihrer Form den Schneide- oder Eckzähnen von Säugetieren ähnlich Abbild. 6. Narwale (Monodon Monoceros). (Nach Brehms Tierleben.) sind. Wenn diese „Zähne" auch nicht direkt als „Waffe" gelten können, so sind sie doch von Bedeutung für das Überwältigen und Verzehren hartschaliger Beutetiere, Den Beiß- und Schneidewerkzeugen zuzurechnen ist auch eine Waffe, die einer ganzen Tierordnung in mehr oder minder hoher Ausbildung zukommt: die „Schere" der Krebse, deren Wirkungsweise ich an einer Hummerschere erläutern möchte (Abbild, 10), Die Schere ist entstanden durch Umwandlung eines Beines, Meereskunde, Vorträge. VIII. Heft 9. 3 12 Meereskunde. Als solches weist sie eine Gliederung in mehrere Ab- schnitte auf, die dem Tierstamm, welchem die Krebse zugehören, den Namen ,, Gliederfüßer" verschafft hat. Das vorletzte Glied des Scherenbeines ist verbreitert und trägt einen Fortsatz, den äußeren Ast der Schere, während das letzte Glied den inneren beweglichen Ast darstellt. Dieser bewegliche Teil entsendet nach innen zwei Fortsätze, die einer sehr starken Muskulatur zum Ansatz dienen. Diese bewirkt das Öffnen und Schließen der Schere, Die Wirksamkeit dieser Waffe ist jedem, der einmal auch nur von einem Flußkrebs oder einer Strandkrabbe gekniffen wurde, sattsam bekannt. Die Krebsschere gibt ein hübsches Beispiel, wie eng auch in genetischer Beziehung die Waffen und Schutzeinrich- tungen zusammenhängen. Wirksam ist die Schere nur durch ihre harte, feste Hülle, ohne welche die Musku- latur nichts bedeutete, ja mangels eines Stützpunktes sich gar nicht ent- wickeln könnte. Die harte Hülle ist aber nichts anderes als die allgemeine Körperbe- deckung, der Krebs- panzer, also eine Schutzeinrichtung pas- sivster Art. Es er- scheint mir wichtig, auf ein derartiges Zusammenfließen der Begriffe hinzuweisen, um zu zeigen, wie künstlich jede Eintei- Abbild. 7. Schädel des Walrosses lung und Systematik mit den riesigen Hauern. den Erscheinungen des Wehr und Schutz der Meerestiere, 13 ^^^^^jr^\ B i ü HHU^^^^H 1 K ^r'^^H ^^^B^ 1 i 1 ^^B } i ■ Ü jH^h^h I Lebens aufgedrängt ist. Das hin- dert nicht, daß sie zur Verstän- digung und aus mancherlei denk- ökonomischen Rücksichten unbe- dingt notwendig ist. Als isolierte Erscheinung dürfte sich hier noch am besten eine auch auf physikalischer Grundlage beruhende Art des Dar Angriffs, aber auch der Ver- teidigung angliedern lassen: Einige Fische haben die Fähig- keit, elektrische Schläge auszu- teilen, und zwar scheint diese Fähigkeit bis zu einem gewissen Grade von ihrem Willen ab- hängig. Als Beispiel nenne ich den im Meere lebenden Zitter- rochen. Auf eine Beschreibung des komplizierten Apparates, der die Elektrizität erzeugt, muß ich hier leider verzichten. Die auf chemischen Wirkungen beruhende Gift- waffe erwähnte ich vorhin schon bei den Seeschlangen, Sie ist in verschiedenen Formen unter den Tieren weit verbreitet. Eine besondere Ausbildung zeigen die so- genannten ,, Nesselkapseln", die dem Stamm der Nessel- tiere den Namen gegeben haben, sich aber auch bei Würmern und Weichtieren finden. Zu den Nesseltieren gehören die zierlichen Kolonien festgewachsener Tiere, die wir Polypenstöckchen nennen, und deren Einzel- heiten uns nur das Mikroskop verrät; zu ihnen gehören auch die weit größeren, zarten und oft schön gefärbten Medusen oder Quallen, Wie die Nesselwaffe wirkt, weiß jeder, der einmal im Nordseebade mit einer so 3* Kauapparat. Abbild. 8. Seeigel, geöffnet. Der Panzer ist im Umkreis der Mundöffnung aufgeschnitten und umgeklappt. Man erkennt den Darm, der am Munde von dem Kieferapparat umfaßt wird. 14 Meereskunde. schönen blauen Qualle in Berührung gekommen ist. Das durch die Berührung erzeugte Brennen erinnert tat- sächlich sehr an die Wirkung der Brennesseln, Der sich dabei abspielende Vorgang ist auch ein ähnlicher. Auch der Giftapparat selbst ist im Prinzip der gleiche wie bei der Brennessel, Ich will ihn kurz an nebenstehendem Bilde (Abbild, 11) erläutern. Die Figur stammt zwar von dem einzigen Süßwassernesseltier, der Hydra; die Nesselkapseln selbst sind aber ebenso gebaut wie bei anderen Nesseltieren. Die äußere Körperschicht besteht bei diesen Tieren aus einer einzigen Lage von Lebens- elementen, sogenannten Zel- len, Zwischen ihnen sehen wir bei starker mikroskopi- scher Vergrößerung da und dort, bald spärlicher, bald reichlicher ovale glänzende Körperchen eingebettet. Be- sonders zahlreich, in ganzen Nestern, finden sie sich an fadenförmigen Fortsätzen, den Tentakeln, Bei genauerer Betrachtung erkennen wir daran folgendes: sie bestehen aus einer aus- gehöhlten, becherförmigen Zelle, die nach außen zu einen Fortsatz trägt, das Cnidocil, Der Hohlraum birgt die eigentliche Nesselkapsel, an der wir eine Einsenkung erkennen, die in ihrer Tiefe mehrere Stacheln enthält. Außerdem befindet sich in der Kapsel ein spiralig auf- gerollter Faden, Wird nun das Cnidocil von irgendeinem festen Körper, sei es Beute oder Feind, berührt, so zieht sich die Becherzelle heftig zusammen. Dadurch stülpt Abbild. 9. Kauapparat eines Seeigels von der Seite ge- sehen. a Zähne, b äußere, c innere Enden derselben. Nach Leunis. Wehr und Schutz der Meerestiere, 15 sich zunächst die erwähnte Einsenkung mit den Stacheln nach außen um, und der aufgewickelte Faden, der hohl ist, folgt nach, indem er sich seiner ganzen Länge nach umkrempelt. Die Kapsel selbst ist mit einer giftigen Flüssigkeit erfüllt, die sich beim Auftreffen des Fadens auf oder in den Körper des Feindes ergießt, denselben je nach seiner Größe nesselnd, läh- mend oder tötend. Angeblich soll dabei das Ende des Fadens 0 Abbild. 10. Hummer- Schere, geöffnet nach Ent- fernung der Muskulatur. Man sieht die beiden Sehnen 0 und S, an denen die Muskeln ansetzen, die den beweglichen Scherenast öffnen und schließen. Abbild. 1 1 . Nesselkapseln eines Hydropolypen (schematisiert). n Nesselzelle des Ektoderms. c Cni- docil. k Nesselkapsel mit ausgestoßenem Faden f und Widerhaken w. ki ruhende Kapsel, kl freie Kapsel. in den Körper des Feindes eindringen. Der Vorgang des Ausstoßens ist ein reflektorischer und nicht in den Willen des Tieres gestellt. Das geht aus der Tatsache hervor, daß die Nesselzellen auch auf chemische Reize reagieren, denen gegenüber die Nesselkapseln nicht den geringsten Schutz bedeuten. Bringt man eine Hydra mit wenig Wasser unters Mikroskop und setzt dem Wasser einen Tropfen Essigsäure zu, so werden sofort sämtliche 16 Meereskunde. Nesselbatterien abgefeuert. Wir haben es bei den Nesselkapseln mit Organen zu tun, die in gleicher Weise dem Angriff und der Verteidigung dienen. Ersterer Zweck, ein zufällig in den Bereich der Nesselorgane ge- ratenes Beutetier zu überwältigen, wird wohl haupt- sächlich bei den kleineren Formen angestrebt, da deren Feinde, meist größere Krebse, durch ihren Hautpanzer geschützt, sich nicht im geringsten dadurch stören lassen und die Polypenkolonien förmlich abweiden. In anderer Weise bedienen sich manche Fische eines Giftstoffes als Waffe, die jedoch nur der Verteidi- gung dient. Ein Beispiel ist das bekannte Peter- männchen (Abbild. 12), Der Fisch hat vor der Rücken- flosse und an den Kiemendeckeln mehrere Stacheln, deren Stich außerordentlich schmerzhaft ist und schwer heilende Entzündungen hervorruft. Die Ursache liegt in einem Giftstoff, der von Hautdrüsen ausgesondert wird und in die Wunde gelangt. Derartige Organe nehmen insofern für unsere Betrachtungen eine Sonder- stellung ein, als sie zwar nur zur Abwehr eines Angriffs dienen, aber doch bestimmt sind, dem Angreifer den Spaß gründlich zu versalzen, ihn nach Möglichkeit zu schädigen. Denselben Zweck erfüllen auch bei nicht giftigen Tieren scharfe Spitzen und Stacheln allein. Die Stacheln des Igelfisches haben ausschließlich diesen Zweck, die der Seeigel erfüllen ihn neben anderen. Bei letzteren müssen hauptsächlich die zarten Saugfüßchen, die sich zwischen den Stacheln hervorstrecken, ge- schützt werden. Es kommt dabei wohl nicht so sehr darauf an, den Feind zu schädigen, als ihm ein nahes Herankommen an den Körper des Seeigels unmöglich zumachen. Eine im Prinzip ähnliche Einrichtung findet sich auch an den Kolonien eines kleinen Meerespolypen, Podocoryne, Die Tiere sitzen auf Stielen, zwischen Wehr und Schutz der Meerestiere. 17 denen sich hier und da stachelförmige Gebilde befinden. Bei Gefahr ziehen sich die Tiere zwischen diese Stacheln zurück, die kleineren Feinden das Herankommen ver- wehren. Wir sehen, wie wir so unvermerkt vom Begriff einer reinen Angriffswaffe zu dem einer völlig passiven Schutzeinrichtung hinübergeglitten sind. Auch bei Schnecken finden wir nicht selten Stachelbesätze. Als Beispiel nenne ich die zahlreichen Arten der Purpur- schnecken. Freilich dürften hier die Stacheln jedenfalls nicht in erster Linie der Abwehr von Feinden dienen, Abbild. 12. Petermännchen (Trachinus draco). Man beachte die Stacheln vor der langen Rückenflosse, sondern ganz anderen Zwecken. Ich möchte gerade deshalb hier einen solchen Fall besprechen, um zu zeigen, wie leicht man in der Deutung biologischer Ver- hältnisse Irrtümern anheimfallen kann. In einem Aquarium wurde beobachtet, wie ein kleiner Seestern sich vergebens bemühte, mit seinem vorgestülpten Schlund an eine solche Schnecke heranzukommen. Die hervorragenden Stacheln der Schale hinderten ihn daran. Was lag näher als die Deutung: die Schnecken haben die Stacheln zum Schutz gegen die Seesterne? Demgegenüber wurde jedoch, wie mir scheint, mit Recht der sehr einfache Einwand erhoben, daß der Seestern ja nur ein bißchen größer zu sein brauchte, um seinen Zweck zu erreichen. Dem darf ich wohl noch folgendes 18 Meereskunde. hinzufügen: Es muß angenommen werden, daß See- sterne und diese Schnecken nebeneinander vorkommen, daß also der Seestern die Schnecke, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, kennt, und nicht wie ein Haushund, der zum ersten Male einen Igel sieht, blind- lings darauf los fährt und sich die Nase blutig stößt- Kennt er ihn aber, so wird er einen aussichtslosen Versuch instinktiv gar nicht unternehmen. Kommen die beiden Tiere aber nicht in der Regel zusammen vor, ist das Zusammentreffen ein zufälliges, so ist, wie ich später noch theoretisch zeigen werde, nicht einzu- sehen, warum die Schnecken gegen einen seltenen und ausnahmsweisen Feind so vorzüglich geschützt sein sollten. Trotzdem bedeuten die Stachelreihen einen Schutz, aber nicht gegen Seesterne, sondern gegen das Gerolltwerden durch die Wasserbewegung, wenn die Schnecke sich ins Haus zurückgezogen hat. Wir haben damit ein neues Kapitel gestreift, mit dem wir uns gleich noch beschäftigen müssen; Schutz der Meerestiere gegen schädigende physikalische Ein- flüsse, Ein solcher wird auch angestrebt durch die weit verbreitete Ausrüstung der Tiere mit mehr oder weniger festen Umhüllungen des Körpers, obwohl auch hier ver- mutlich der Schutz gegen feindliche Angriffe das wesent- liche ist, und außerdem in vielen Fällen die Umhüllung mit Hartgebilden eine noch ganz andere Bedeutung hat, bei den Krebsen zum Beispiel, Sie ist bestimmt, dem Körper Festigung zu geben und den Muskeln zum An- satz zu dienen, weshalb man wohl auch in Erinnerung an die gleichen Funktionen des Wirbeltierskeletts von einem Außenskelett redet. Mit einer Panzerung des Körpers ist das Extrem des passiven Widerstandes gegen feindliche Gewalten irgendwelcher Art erreicht. Das gilt ganz besonders für festsitzende Tiere, während frei- Wehr und Schutz der Meerestiere. 19 lebende trotz ihrer Panzerung nebenbei noch recht aktiv und auch aggressiv sein können. Die Bedingung dafür ist jedoch, daß trotz eines hinreichenden Schutzes der Körper seiner Beweglichkeit nicht beraubt wird. Dieses Kompromiß kommt auf verschiedene Weise zustande. Alle einhüllenden und schützenden Gebilde sind Pro- dukte der äußeren Haut, ja diese selbst stellt schon einen Schutz dar, der nun durch Absonderungen ver- schiedener Art vermehrt werden kann. Bei den Krebsen sondert die Haut eine hornige Masse, das sogenannte Chitin, ab, das bei den größeren Arten noch Einlage- rungen von Kalk erhält. Diese Chitinschicht darf aber nun aus den dargelegten Gründen den Körper nicht kontinuierlich bedecken, sondern läßt an Rumpf und Gliedmaßen ringförmige Stellen frei, die weich bleiben und so dem Körper seine Beweglichkeit erhalten. Da- durch erhält der ganze Körper sowie die Gliedmaßen eine Segmentierung oder Gliederung, die dem Stamme der Gliederfüßer, dem die Krebse sowie die ähnlich ge- bauten Insekten angehören, seinen Namen verschafft hat, — Auf andere Weise hat eine andere Gruppe von gepanzerten Tieren die Behinderung der Bewegung ver- mieden, indem die Bewegungsorgane aus der Schutz- hülle hervorgestreckt werden. Die Gehäuseschnecken und die Muscheln, soweit sie überhaupt sich bewegen, strecken ihren Fuß aus der Schale hervor. Diese Schalen bestehen aus einer äußeren Schicht aus Hörn und zwei inneren aus Kalk-Karbonat, und haben bisweilen eine außerordentliche Festigkeit. Weniger stark sind sie im allgemeinen bei Muscheln, die im Schlamm oder Sand eingewühlt leben und daher eines starken Schutzes weder gegen Feinde noch Wellenschlag bedürfen, am stärksten bei Tieren, die in der Brandung leben, — Auch den Rücken- und Bauchpanzer der Schildkröten muß 20 Meereskunde. ich hier erwähnen, unter den die weniger geschützten, dafür aber um so beweglicheren Teile; Kopf und Beine, mehr oder weniger vollständig zurückgezogen werden können. Nach dem gleichen biologischen Prinzip sind auch gewisse Stachelhäuter — Seesterne und Schlangen- sterne — gebaut, Ihr Panzer besteht aus Kalkplättchen, die in der Haut entstehen, aber nicht mit einander ver- schmelzen und so dem Körper eine gewisse Beweglich- keit erhalten, die bei den Schlangensternen sogar be- trächtlich ist. Die eigentlichen Bewegungsorgane der Seesterne, die zahlreichen Saugfüßchen, werden durch Löcher in oder zwischen den Plättchen hervorgestreckt. Bei den Seesternen sind diese zarten Gebilde durch ihre Lage auf der Unterseite, bei den Seeigeln, wo sie den ganzen Körper bedecken, durch die Stacheln ge- schützt. Im kleinen werden diese Einrichtungen nach- geahmt von einzelligen. Schalen tragenden Tieren, den Foraminiferen und Radiolarien. Während also bei den freilebenden Tieren der Grad des äußeren Schutzes durch das notwendige Mindest- maß an Beweglichkeit bestimmt erscheint, liegt der Fall bei festsitzenden Tieren anders. Hier ist eine viel weitergehende schützende Umhüllung nicht nur mög- lich, sondern sogar notwendig eben wegen der Sessilität, die eine Herabsetzung der Wehrfähigkeit und die Un- fähigkeit zur Flucht bedeutet. Eine Lücke freilich muß auch hier die Schutzhülle aufweisen, um die Nahrungs- aufnahme und die Atmung zu ermöglichen. So leben zahlreiche Würmer in lederartigen oder kalkigen Röhren, die mit ihrem unteren Ende befestigt sind, während das obere offen bleibt, um den federbusch- artigen Kiemen und dem Munde die Kommunikation mit der Außenwelt zu gestatten (Abbild, 13). Droht Gefahr, so ziehen sich die Tiere schleunigst in ihre I Wehr und Schutz der Meerestiere, 21 Röhre wie eine Schnecke in ihr Haus zurück. Ein zweites Beispiel bieten die festsitzenden Manteltiere, die ihren Namen ihrer lederartigen oder gallertigen Hülle verdanken. Diese ist dadurch bemerkenswert, daß sie aus Zellulose besteht, einem im Tierreiche seltenen. Abbild. 13. Röhrenwurm (Protula). Die kalkige Wohnröhre, aus der oben die Kiemen hervorragen, ist auf dem Untergrunde befestigt. Nach Leunis. Abbild, 14, Ringelwurm (Arenicola piscatorum) im Sande eingewühlt. Nach einem Präparat im Museum für Meereskunde. bei den Pflanzen dagegen sehr verbreiteten Stoff, Der ,, Mantel" ist von zwei Öffnungen durchbrochen, deren eine Atemwasser und mit ihm die Nahrung aufnimmt, während die andere die verbrauchten Stoffe entläßt. Das Tier selbst ist also völlig eingekapselt und steht nur mit der Außenwelt durch die erwähnten beiden Öffnungen in Verbindung, Als Ersatz oder zur Verstär- 22 Meereskunde. Abbild. 15. Bohrmuschel in einem Kalkstein. kung der Schutz- hülle dient man- chen Tieren der mehr oder minder feste Untergrund, auf dem sie le- ben. Ich nenne die im Sande oder Schlamm lebenden Ringelwürmer( Ab- bild, 14) und die in selbstgeschaffenen Steinlöchern sich bergenden Bohr- muscheln (Abbild. 15). An dritter Stelle seien hier die festsitzenden Krebse erwähnt mit ihren kalkigen Gehäusen, die Entenmuscheln und Seepocken. Bei letzteren (Abbild. 16) dient das Kalk- gehäuse häufig noch einem anderen Zweck, Diese Tiere leben nicht selten im Gebiet zwischen Ebbe und Flut. Ihr Haus schützt sie bei Flut gegen die Wirkung der Brandung, bei Ebbe gegen das Austrocknen, Wir sehen also auch hier ein und dasselbe Organ in vielfältiger Ver- wendung, und diese Erkenntnis setzt uns auch instand, auf einen nahe- liegenden Einwand Antwort zu geben: Warum leben diese Tiere, die doch in dem großen Meere Platz genug hätten, gerade in der ge- fährlichen Brandungs- und Ge- zeitenzone? Das Leben nutzt jeden Abbild. 16. See- pocken auf einem Felsstück. Wehr und Schutz der Meerestiere. 23 ihm gebotenen Raum aus, soweit es möglich ist, und die Tiere, die sich in scheinbar ungünstigen Ver- hältnissen häuslich niederlassen, bringen schon die An- lagen einer Organisation mit, die sie instand setzen, sich diesen Verhältnissen in geeigneter Weise ,, anzupassen", wie der Ausdruck lautet. Wir werden auf diese Fähig- keit der Anpassung noch zu reden kommen. Im Gegensatz zu allen diesen Tiertypen, die im wahrsten Sinne des Wortes ,, dickfellig" sind und die J\ . />^_ r2^ ^^^ i'^ ■'•M!\m^ Abbild. 17. Segelqualle (Velella), (Nach A. Agassiz.) Dinge an sich herankommen lassen, steht die große Zahl derjenigen, die sich möglichst bei Gefahr zu ,, drücken" suchen, sei es durch die Flucht, sei es, daß sie sich sonst- wie ,, unsichtbar machen". Die ,, Flucht" als einfache Bewegungserscheinung interessiert uns hier kaum, wohl aber die zahlreichen und vielfältigen Einrichtungen, die darauf abzielen, ein Tier den Blicken seiner Feinde und natürlich auch des Beutetieres zu entziehen. Frei im Wasser schwebende Tiere sind nicht selten blau ge- färbt oder völlig durchsichtig und infolgedessen schwer wahrnehmbar. Besonders Medusen und Salpen zeigen diese Schutzfärbung, Als Beispiel sei Velella, die Segel- 24 Meereskunde. qualle, genannt, die an der Meeresoberfläche treibt, (Abbild, 17,) Allerdings ist es bekannt, daß die Segelquallen sich zu Hunderten in den Mägen von Seeschildkröten und Seevögeln finden. Gegen diese hat also offenbar die Schutzfärbung wenig genützt. Ja, es ist sehr fraglich, ob die Durchsichtigkeit überhaupt in erster Linie ein Schutz gegen Feinde ist und nicht vielmehr den Zweck hat, die Licht- strahlen nicht zu absorbieren und so die manchen Tieren schädliche Wärmewirkung derselben nach Mög- lichkeit aufzuheben. Überhaupt muß man in der An- nahme und Deutung von Schutzfarben recht vorsichtig sein, zumal wir häufig die Feinde, gegen die eine Fär- bung schützen soll, gar nicht kennen. Zweifellos ge- schützt sind zahlreiche Fische, die am Rücken bläulich oder grünlich, an der Bauchseite silberfarbig sind. Von unten gesehen, erscheint bekanntlich die Wasserober- fläche infolge totaler Reflexion wie ein Spiegel silber- glänzend. Interessant ist nun, daß eine auf dem Rücken schwimmende Nachtschnecke gerade umgekehrt ge- färbt ist. Es ist natürlich naheliegend, diesen Unter- schied einfach aus der größeren Lichtwirkung auf die nach oben gewandte Bauchseite zu erklären, die ja die Pigment(Farben)bildung begünstigt. Immerhin ist doch die Nützlichkeit der Einrichtung nicht abzuleugnen. Den umgekehrten Weg schlagen die Tintenfische ein, um sich unsichtbar zu machen, indem sie bei Gefahr den Inhalt ihres Tintenbeutels, die Sepia, ins Wasser ent- leeren und in der braunen Wolke verschwinden, — Auch grundbewohnende Tiere, besonders Fische, sind ihrer Umgebung oft in hervorragender Weise angepaßt. Die Seeskorpione sind auf algenbewachsenem Steingrunde kaum zu erkennen, wozu auch ihre Gestalt nicht un- wesentlich beiträgt. Solche Schutzformen haben wir be- Wehr und Schutz der Meerestiere. 25 sonders ausgebildet bei den Fischen, die in Tangwäldern und in der Sargassosee leben und deren wie zerfetzt aussehender Körper in ausgezeichneter Weise die Um- gebung nachahmt, — In tieferen Wasserschichten, wo nur noch ein schwaches grünliches Licht herrscht, treffen wir besonders häufig rötliche, kräftige Farbentöne bei Tieren an, und man sollte annehmen, daß gerade diese in der grünlich schimmernden Umgebung besonders auffallen müßten. Das ist aber nicht der Fall, da das Rot als komplementär zu Grün in dem grünen Lichte gar nicht rot, sondern einfach dunkel wie ein Schlag- schatten wirkt- — Gewissermaßen eine Vervollkomm- nung der Schutzfärbung stellt der Farbenwechsel dar, der unter den Meerestieren, besonders bei Fischen, weit verbreitet ist. Eine bekannte Erscheinung ist, daß Platt- fische (Schollen, Butten, Seezungen) je nach dem Unter- grunde, auf dem sie leben, ganz verschiedene Abstufun- gen von grau und braun zeigen, und zwar ändert sich die Farbe an demselben Tier je nach der Farbe des Wohnortes in kurzer Zeit, Eines beinahe momentanen Farbenwechsels sind die Tintenfische fähig, der sich übrigens auch auf Berührungs- und andere Nervenreize hin zeigt. Der Vorgang des Farbenwechsels selbst be- ruht darauf, daß in der Körperhaut sich sternförmige mit Farbstoff beladene Zellen befinden, die bei ver- schiedener Beleuchtung sich verschieden stark zu- sammenziehen und dadurch in der Gesamtwirkung ver- schiedene Farben hervorbringen. Nach neueren Unter- suchungen ist auch der Farbstoff selbst unter gewissen Bedingungen veränderlich je nach der Farbe des ihn treffenden Lichtes, und wir hätten es dann, roh aus- gedrückt, mit einer Art Photographie in natürlichen Farben zu tun. Leider kann ich mich hier auf die inter- essanten Einzelheiten dieser Vorgänge nicht einlassen. 26 Meereskunde. Abbild. 18. Einsiedlerkrebs (Pagurus bernhardi) in einer Wellhornschnecke. (Nach Keller.) Nicht alle Geschöpfe sind von der Natur mit den Schutzmitteln ausgestattet, die ihrer Lebensweise ent- sprechen, Sie müssen sich anderswo nach solchen um- sehen. Der einfachste Aus- weg ist der von vielen Grundfischen gewählte, sich im Schlamm einzugraben oder sich mit einer Schicht Sand zu bedecken. So ver- deckt eine Art des Zitter- rochens seine sehr auffällige Rückenzeichnung. — Der Einsiedlerkrebs birgt seinen weichen Hinter- leib in einem leeren Schneckenhaus (Abbild. 18). Nicht selten schützt ihn noch eine Seerose, die auf dem Hause sitzt, mit ihren Nesselorganen, Den gleichen Schutz genießen auch manche Jungfische, die sich unter der Glocke großer Quallen aufhalten. Ein kleiner zarter Krebs frißt die Gallerttonnen der sogenannten Feuer- walzen, einer koloniebildenden Salpe, erst außen ab, um sich dann innen häuslich einzurichten (Abbild, 19), Das große Ka- pitel der Brut- pflege spielt hier mit hinein, soll aber an dieser Stelle nicht be- handelt wer- den. — Gerade- .,...1 .^ ™ . • T^ 1 j j- zu raffiniert ge- Abbild. 19. Phromina, ein Krebs, der die • i_ J- Gallerttonnen der Feuerwalzen bewohnt. staltet sich die (Nach Woltereck.) AuSUUtzUng aU- Wehr und Schutz der Meerestiere. 27 Abbild. 20. Krabbe mit Algen, Moos- tierchen, Manteltieren völlig bewachsen. derer Lebewesen zuSchutz undWehr bei manchen Kreb- sen, die ihren Kör- per mit Hydropo- lypenstöckchen oder Algenpflan- zungen derart be- decken, daß er völlig unkenntlich wird. Sie suchen sich dadurch wohl hauptsächlich vor ihren Beutetieren ein harmloses Aus- sehen zu geben; es handelt sich also um Jagdmasken (Abbild. 20). Der Vergleich mit dem wandernden Wald in Shakespeares „Macbeth" liegt zu nahe, als daß er nicht schon gemacht worden wäre. Im Verlaufe unserer bisherigen Betrachtungen hatten wir wiederholt Gelegenheit zu beobachten, daß die Organisation der Meeres- tiere nicht nur in einem bestimmten Verhältnis steht zu der ihrer Feinde und ihrer Nahrung, son- dern auch zu den viel- fältigen physikalischen und chemischen Bedin- gungen ihrer Umgebung, daß insbesondere Ein- richtungen bei manchen Tieren vorhanden sind, Abbild. 21. Fischei mit öltropf en. um schädigende äußere (Nach Holt.) 28 Meereskunde. Einflüsse zu kompensieren oder ihnen zu entgehen. Je beschränkter nun ein Lebensbezirk ist, nicht räumlich, sondern hinsichtlich der darin herrschenden physika- lischen Bedingungen, um so eher wird das Auftreten aus- geprägter Anpassungserscheinungen zu erwarten sein. Um von diesen Verhältnissen ein Bild zu geben, wähle ich ein paar Vertreter einer sehr wichtigen und umfang- reichen Lebensgemeinschaft aus, des Planktons. Unter Plankton oder Schwebefauna versteht man die Gesamt- heit aller Wassertiere und Pflanzen, die freischwebend im Wasser leben, und deren Eigenbewegung entweder im Verhältnis zur Bewegung ihres Mediums unbedeutend ist oder ganz fehlt. Der letzte Teil der Definition läßt darauf schließen, daß wir es hier mit kleinen und klein- sten Organismen zu tun haben. Das freie Schweben im Wasser ist für diese Organismen Lebensbedingung; sinken sie auf festen Grund, so sind sie dem Tode ver- fallen. Wie nun werden die Planktonten gegen das Ab- sinken geschützt? Ein Körper schwimmt, wie man weiß, nur dann im Wasser, wenn sein Eigengewicht ebensogroß oder kleiner ist wie das der durch ihn ver- drängten Wassermasse. Tatsächlich haben manche Plankton-Tiere und -Pflanzen ein geringeres spezifi- sches Gewicht als das Meerwasser. Die spezifische Ge- wichtsverminderung wird z. B. bei den Radiolarien und bei planktonischen Fischeiern erreicht durch Öltröpfchen, die sich im Innern des Körpers befinden. (Abbild. 21.) Andere Planktonten, wie die Staatsquallen, enthalten Luftblasen. Manche von diesen Organismen würden allerdings im Süßwasser untergehen. Das Meer- wasser jedoch hat infolge seines Salzgehaltes größere Tragfähigkeit, wissenschaftlich ausgedrückt: sein eigenes spezifisches Gewicht ist je nach dem Grade des Salz- gehaltes größer. — Alle Tiere und Pflanzen nun, deren Wehr und Schutz der Meerestiere. 29 spezifisches Gewicht größer ist als das des Meerwassers an ihrem Aufenthaltsort, müssen nach dieser Theorie — wenn wir ihre Eigenbewegung einmal außer acht lassen — schneller oder langsamer zu Boden sinken. Tatsächlich ist das aber nicht der Fall, weil für einen sinkenden, also bewegten Körper andere Gesetze gelten als für einen ruhenden. Ein sinkender Körper findet nämlich im Wasser einen Widerstand, der einmal ab- hängig ist von seiner Gestalt und seinem Volum, dann aber auch von der physikalischen Eigenschaft des Wassers, die man innere Reibung nennt. Mathematisch ausgedrückt, würden wir zu setzen haben; Sink- . Übergewicht geschwindigkeit =^ ™ Formwiderstand X innere Reibung. Das heißt in Worten: Ein Körper sinkt schneller, wenn sein Übergewicht größer ist, eine Tatsache, die sich von selbst versteht. Er schwimmt, wenn sein Übergewicht null oder negativ ist. Diesen Fall haben wir auch schon besprochen. Er sinkt um so langsamer, je größer die innere Reibung des Wassers wird. Diese steigt aber mit dem Salzgehalt und mit sinkender Temperatur, Folglich sinkt ein Körper unter sonst gleichen Bedingungen langsamer im kalten und salzreichen, als im warmen, salzarmen Wasser, Der Formwiderstand wird, wie der Name sagt, bestimmt durch die Gestalt des Körpers, besser durch seinen Querschnitt oder seine Projektions- größe im Verhältnis zum Volumen. Es geht daraus her- vor, daß ein größerer Formwiderstand, also ein großer Querschnitt und ein kleines Volumen günstig ist. Die Sinkgeschwindigkeit wird praktisch null, d, h. ein Körper schwimmt, wenn der Nenner des obigen Bruches im Verhältnis zum Zähler sehr groß wird. Letzterer ist bei den stark wasserhaltigen Organismen meist klein. Wie nun kann der Nenner vergrößert werden? Die , .innere 30 Meereskunde. Reibung" hat mit dem Tierkörper nichts zu tun, dessen Volum ist auch im einzelnen Falle bestimmt, nur der Querschnitt, die Fläche, die dem Wasser Widerstand bietet, kann beträchtlich vergrößert werden. Und so sehen wir auch, daß die Planktonten auf jede nur mög- Abbild, 22. Radiolar mit langen Schwebestacheln. (Nach Hertwig.) liehe Weise ihre Oberfläche unter tunlichster Vermei- dung einer Volumvermehrung vergrößern. So haben die zierlichen Radiolarien als Schwebeapparate ihre Stacheln, die also nicht Schutzwaffen sind (Abbild, 22), so haben die planktonisch lebenden Larven von Krebsen und Stachelhäutern ihre wunderbar gestalteten Körper- anhänge (Abbild. 23), die später, wenn das planktonische Wehr und Schutz der Meerestiere. 31 Leben aufgegeben wird, vergehen. Aber noch viel mehr kann uns obige Formel erklären; Wir sehen die Arten mancher Gattungen im kalten oder salzreichen Wasser mit geringer entwickelten Schwebeapparaten aus- gerüstet als im warmen oder salzarmen. Wir werden uns darüber nicht wundern, da wir wissen, daß die ge- Abbild. 23. Seeigel-Larve mit Schwebefortsätzen, (Nach Joh. Müller.) ringere innere Reibung warmen und salzarmen Wassers zur Erhaltung der Schwebefähigkeit eine entsprechende Erhöhung des Formwiderstandes bedingt (Abbild, 24.) Wir haben an einer Reihe von Beispielen gesehen, auf wie verschiedene Weise die Tiere des Meeres für den Daseinskampf ausgerüstet sind, im besonderen konnten wir erkennen, wie verschieden die Arten sind, auf welche die Natur ein und dasselbe Problem an ver- schiedenen Tieren gelöst hat, welche wunderbaren An- 32 Meereskunde. passungen an besondere Lebensweisen sie hervor- gebracht hat. Aber was heißt wunderbar und was heißt Natur? Wunderbar erscheinen uns alle diese Ein- richtungen nur aus der Perspektive menschlicher, zwecksetzender Tätigkeit, An sich ist es gar nichts so Wunderbares, daß ein Tier für das Leben, das es führt, in dienlicher Weise ausgerüstet ist. Wäre das nicht der Fall, so wäre die betreffende Art im Daseinskampfe längst aufgerieben wor- den. Daß sie vorhan- den ist, beweist, daß sie im Kampfe ums Da- sein ihren Mann stellt. Seit wir aber durch Darwin wissen, daß die gegenwärtig lebenden Tierarten nicht immer da waren, daß sie aus früher lebenden durch Deszendenz unter gleichzeitiger Verän- derung entstanden sind, ja, daß solche Verän- derungen sich vor unse- ren Augen vollziehen können, ist eine andere Frage berechtigt, die wir jetzt stellen wollen: Wie sind jene besonderen An- passungen entstanden, wie kommt es, daß von zwei sonst ähnlichen Tierarten die eine in dieser, die andere in jener Weise sich an eine besondere Lebensführung angepaßt und eine solche Stufe der Vollkommenheit in dieser Hinsicht erreicht hat? Auf diese Frage hat Darwin eine Antwort gegeben, und, wenn ich auch in diesem Rahmen keine Kritik des Abbild. 24. Ceratientypen mit Fort- sätzen von sehr verschiedener Länge {Aus: Steuer, „Handbuch der Planktonkunde".) Wehr und Schutz der Meeresticre, 33 Darwinismus geben kann, so möchte ich doch mit ein paar Worten auf die hier in Betracht kommende Seite des Darwinismus eingehen. Darwin sagt etwa folgen- des: Die Nachkömmlinge eines Tieres sind niemals unter sich gleich, sondern jeder zeigt individuelle Besonder- heiten, die ihn von seinen Geschwistern unterscheiden. Diejenigen nun, die Besonderheiten lebens- oder wider- standsfördernder Art haben, werden im Kampfe ums Dasein günstiger dastehen als die andern. Dadurch werden sie sich besser ernähren und mehr Nachkommen- schaft hervorbringen können als ihre nicht so günstig gestellten Geschwister, Gehen nun diese vorteilhaften Eigenschaften wieder auf ihre Jungen über, d, h. sind sie erblich, so sind diese wieder im Vorteil, So wird die Schar der besser ausgerüsteten einmal allmählich die anderen verdrängen, indem diese in erster Linie den durch den Geburtenüberschuß notwendigen Abgang darstellen; ferner wird die nützliche Abänderung sich im Laufe der Zeit noch verstärken. Dieses unter dem Namen „Natürliche Auslese oder Zuchtwahl" bekannte Prinzip wird besonders dann in Wirkung treten, wenn in einem Lebensbezirke die Lebensbedingungen sich verändern. Für die Frage nach der Herkunft der An- passungen hat diese Erklärung etwas sehr Bestechendes. Und doch bleibt, wenn man auf den einzelnen Fall exemplifiziert, noch manches Fragezeichen, — Die ersten individuellen Variationen sind immer sehr ge- ringe. Infolgedessen werden auch die Vorteile, die sie im Daseinskampfe bringen, wenig oder gar nicht spür- bar sein. Mit anderen Worten, ob unter einer Gene- ration diejenigen Individuen, die eine kleine nützliche Abänderung zeigen, in erster Linie zur Fortpflanzung gelangen oder nicht, wird in vielen Fällen von einem Zufall abhängen. Hinzu kommt, daß bei Tieren, die sich 34 Meereskunde. geschlechtlich fortpflanzen, die Möglichkeit der Paarung mit einem nicht nützlich abgeänderten vorliegt, und so die nützliche Abänderung bei den Nachkommen vor- aussichtlich wieder geringer in Erscheinung tritt. Anderseits sind Fälle denkbar, in denen die natür- liche Auslese fast als Schulbeispiel verwirklicht gelten kann. Nehmen wir an, daß eine Ceratium-Art mit mäßig entwickelten Schwebefortsätzen (Hörnern) durch eine Meeresströmung in ein Gebiet wärmeren oder salz- armem Wassers getragen wird. Dann werden diejenigen Individuen, bei denen die Länge der Hörner eben noch ein Schweben ermöglicht, unter erträglichen Lebens- bedingungen bleiben, während diejenigen, deren Hörner unter einem Minimum an Länge sind, allmählich ab- sinken und zugrunde gehen. Mit den Nachkommen wird es ebenso gehen, und es kann also auf diese Weise all- mählich eine Warmwasserart mit langen Hörnern ent- stehen. Dieser Fall ist aber nur dadurch ein Muster- beispiel für die Natur-Auslese, daß hier die nicht nütz- lich ausgerüsteten Individuen wie mit einem Schlage ausgeschieden wurden, und so eine Isolation der nützlich abgeänderten eintrat. Diese Scheidung von abgeänder- ten und nicht abgeänderten Individuen braucht aber nicht immer eine räumliche zu sein oder darin zu be- stehen, daß die nicht abgeänderten zugrunde gehen. Es ist denkbar, daß eine Anzahl Tiere einer Art eine Ab- änderung zeigen, die sie instand setzen, ein etwas an- deres Leben zu führen als die nicht veränderten. Diese Abänderung ist dann insofern für beide Gruppen nütz- lich, als sie den Konkurrenzkampf mildert, indem sie die Zahl der in gleicher Weise ums Dasein kämpfenden In- dividuen herabsetzt. So können aus einer Art sehr wohl zwei verschiedene, an verschiedene Lebensweisen an- gepaßte Arten entstehen. Ich möchte diese Art der Wehr und Schutz der Meerestiere. 35 Isolierung im Gegensatz zu der bei Ceratium erwähnten räumlichen als „biologische" bezeichnen. Sie wird in vielen Fällen mit einer räumlichen Hand in Hand gehen oder eine solche im Gefolge haben. Wenn wir also auf Grund unserer Erfahrung von der Allmacht der Naturzüchtung nicht unbedingt über- zeugt zu sein brauchen, so bleibt dadurch das Verdienst Darwins ungeschmälert. Dieses Verdienst besteht auf dem von uns betrachteten Gebiete darin, daß Darwin zur Lösung dieser Frage lediglich das kausale Denken zu Worte kommen läßt als den einzig möglichen Weg zum inneren Erfassen biologischer Zusammenhänge. Wir sind dadurch ein- für allemal von der Notwendig- keit befreit, hinter den Naturerscheinungen noch ein metaphysisches Etwas, eine ,, Naturkraft" zu suchen, die treibt und schiebt, eine Natura naturans, die ihre Er- zeugnisse wie Marionetten bewegt und dabei irgendeinen ,, Zweck" verfolgt. Der Zweckgedanke mag für andere Disziplinen wertvoll, ja unentbehrlich sein, in der Natur- wissenschaft hat er kein Hausrecht, So ist für uns die „Natur" die Gesamtheit aller Lebenserscheinungen und die Fülle aller Beziehungen der Lebewesen unterein- ander und zu ihrem Lebensraum. Jede dieser Be- ziehungen ergibt sich nach dem Kausalgesetz aus vor- aufgegangenen Zuständen, aber nicht mit Rücksicht auf irgendeinen Zweck, einen erst angestrebten Zu- stand. — ■ Und wenn ich meine Ausführungen mit einem Aphorisma schließen darf, das, wie alle Aphorismen, ein wenig übers Ziel hinausschießt, und ein wenig hinter der Wahrheit zurückbleibt, so ist es dieses: Der Stier hat nicht Hörner, um damit zu stoßen, sondern er stößt, weil er Hörner hat. Gedruckt in der Königlichen Hofbuchdruckerei von E. S. Mittler & Sohn, BerHn SW., Kochstraße 68—71, '^ MEERESKUNDE '^ SAMMLUNG VOLKSTÜMLICHER VORTRÄGE Die Fahrten eines deutschen Seemanns um die Mitte des 19. Jahr- hunderts. Aufzeichnungen des Segelschiff-Kapitäns G.W. Kroß. Die Schiffahrt auf den Karolinen und Marshallinseln. Von Dr. P. Hambruch. Die Namen der Schiffe im Spiegel von Volks- und Zeitcharakter. Von Dr. W. Vogel. Ein Ausflug nach Sansego in der Adria. Von Dr. L. Glaesner. Deutschlands Lage zum Meere im Wandel der Zeiten. Von Dr. W.Vogel. Handelswege im Ostseegebiet in alter u. neuer Zeit. Von Chr. Reuter. Ostseehandel und Landwirtschaft im 16. und 17. Jahrhundert. Von Chr. Reuter. Die Nautik im Altertum. Von Dr. Aug. Koste r. Kriegsmarine. Kiel und Wilhelmshaven. Von Kontreadmiral Ed. Holzhauer. Kohlenversorgung und Flottenstützpunkte. Von Kontreadmiral Ed. Holzhauer. Vierzig Jahre Schwarz-Weiß-Rot. Von Geh. Admiralitätsrat P. Koch. Große und Kleine Kreuzer. Von Kapitän zur See a. D, R. Wittmer. Die Torpedowaffe. Von Kapitän zur See a. D. R. Wittmer. Kriegsschiffsbesatzungen in Vergangenheit und Gegenwart. Von Kapitän zur See a. D. R. Wittmer. Unterseebootsunfälle unter besonderer Berücksichtigung des Unfalles auf ,,U3''. Von Fregattenkapitän Michelsen, Die Zusammensetzung und Taktik der Schlachtflotten. Von Kapitän zur See a. D. R. Wittmer. Die Deutsche Eisenindustrie und die Kriegsmarine. Von P. Koch. Volks- und Seewirtschaft. Die Seehäfen von Marokko. Von Theobald Fischer. Marokko. Wirtschaftliche Möglichkeiten und Aussichten. Von Dr. Joachim Graf v. Pfeil. Die deutsche Hochsee-Segelfischerei. Von H. Lübbert. Der Hafen von New York. Von Professor Dr. Alb recht Penck. Lübeck, sein Hafen, seine Wasserstraßen. Von Dr. Franz Schulze- Lübeck. Eine Wanderung durch altniederländische Seestädte. Von Dr. W. Vogel. Die Freie Hansestadt Bremen, ihre Hafenanlagen und Verbindungen mit der See und dem Hinterlande. Von Baurat Prof. G. d. Thierry. Die Häfen der Adria. Von Dr. N. Krebs. Tsingtau. Von Professor Dr. Albrecht Penck. Auf den Färöern. Von Prof. D. Dr. Edward Lehmann, Der Suezkanal. Von Dr. P. Neubaur. Valparaiso und die Salpeterküste. Von Dr. Rud. Lütgens. Die festländischen Nordsee -Welthäfen. Von Dr. H. Michaelsen. Die deutsche Seekabelpolitik. Von Dr. R. Hennig. ar MEERESKUNDE SAMMLUNG VOLKSTÜMLICHER VORTRÄGE ^ Das Meer als Nahrungsquelle. Von Prof. Dr. H. Henk in g. Kriegsrüstung und Wirtschaftsleben. Von P. Koch. Die großbritannische Hochseefischerei. Von H. Lübbert. -Triest und die Tauernbahn. Von Prof. Dr. F. Hei der ich. Von Singapur bis Yokohama. Von L. Mecking. San Franziske. Von A. Rühl. Wohlfahrtseinrichtungen in der Seefischerei. Von F. Duge. Durch die Magellanstraße. Von Gustav Goedel. Überland und Übersee im Wettbewerb. Von Dr. Richard Hennig. Seeklima und Seebäder. Die Heilkräfte des Meeres. Von Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Albert Eulenburg. Land- und Seeklima. Von Dr. A. Merz. Seewesen und Schiffahrt, Der Kompaß in seiner Bedeutung für die Seeschiffahrt wie für unser Wissen von der Erde, Von Dr. Fr. Bidlingmaier. Die Post auf dem Weltmeer. Von O. Klaus. Die Segelschiffahrt der Neuzeit. Von Prof. W. Laas. Schiffsordnungen und Schiffsbräuche einst und jetzt. Von Dr. Fr. Schulze. Der Dienst des Proviantmeisters. Von Dr. G. W. v. Zahn. Innerer Dienst an Bord. Von Dr. G.W. v. Zahn. Auf einem Segler um Kap Hom. Von Dr. R. Lütgens. Nautische Vermessungen. Von Dr. E. Kohlschütter. Sicherheitsdienst an Bord. Von Dr. G. W. v. Zahn. Der Kreisel als Kompaßersatz auf eisernen Schiffen. Von Prof. Dr. H. Maurer. Der Fährverkehr zur See im europäischen Norden. Von Prof. Dr. G. Braun. Auf S, M. S. „Möve". Von Kapitänleutnant Schlenzka. Riesenschiffe. Von Dr. H. Michaelsen. Das Zeppelinschiff zur See. Von Dr. Frhr. v. Gemmingen. Technik des Seewesens, Die Entwicklung der Schiffsmaschine. Von Prof. P. Krainer. Auf einem deutschen Kabeldampfer bei einer Kabelreparatur in der Tiefsee. Von W. Stahlberg. Femgespräche über See. Von Dr. A. Ebeling. Ansführliche Verzeichnisse mit Abbildungen stehen kostenlos zur Verfägung. Für die nächsten Hefte sind in Aussicht genommen: Politische Probleme des Mittelmeerbeckens. Von Dr. P. Mohr. Der Chilesalpeter und seine Bedeutung in der Weltwirtschaft. Von Dr. A. Hartwig. Die Farbe des Meerwassers. Von Dr. E. Öt tinger. Landengen und Meerengen und der Verkehr. Von Prof. Dr. K. H a s s e r t. D Jedes Heft 50 Pf. Ein Jahrgang von 12 Heften M 5, D Gedruckt in der Königlichen Hofbuchdruckerei von E. S. Mittler & Sohn, Berlin SW68, Kochstr. 68—71.