Il) er Zur Ze & a 2 Je w m > y Zi u er, | HANDBUCH DER PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN IN VIER BÄNDEN BEARBEITET VON CHR. BOHR-KorenHasen, R. pu BOIS-REYMOND-Berım, H. BORUTTAU-BerıLm, O0. COHNHEIM-HeiıpeLsere, M. CREMER-Müncnen, M. v. FREY-Würzsure, F.B. HOFMANN-Inssgruck, J. v. KRIES- FREIBURG 1. BR., 0. LANGENDORFF-Rostrock R. METZNER-BaseL, W. NAGEL-Rostock, G. F. NICOLAI-BeruLm, K. OPPENHEIMER-BerLın, E. OVERTON-Lunp, L PAWLOW-Sr. PETERSBURG, K. L. SCHAEFER-BEerRLS, FR. SCHENCK- MARBURG, P. SCHULTZ-BerLıs, H. SELLHEIM-Tüsınsen, T. THUNBERG-Lunp, R. TIGERSTEDT-Hersıserors, A. TSCHERMAK-Wiıen, E. WEINLAND- München, O0. WEISS-Könıssgere, 0. ZOTH-Graz HERAUSGEGEBEN VON W. NAGEL IN ROSTOCK MIT ZAHLREICHEN EINGEDRUCKTEN ABBILDUNGEN ERSTER BAND PHYSIOLOGIE DER ATMUNG, DES KREISLAUFS. UND DES STOFFWECHSELS BRAUNSCHWEIG DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN 1909 HANDBUCH DER PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN HERAUSGEGEBEN VON W. NAGEL IN ROSTOCK ERSTER BAND PHYSIOLOGIE DER ATMUNG, DES KREISLAUFS UND DES STOFFWECHSELS BEARBEITET VON CHR. BOHR-KorrenHagen, H. BORUTTAU-BerLm, F. B. HOFMANN -Insseruück, G. F. NICOLAI-Berum, K. OPPENHEIMER -Beruın, R. TIGERSTEDT-Hersınorors =, S u. | Am a <\ MIT 86 IN DEN TEXT EINGEDRUCKTEN ABBILDUNGE % BRAUNSCHWEIG DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN 1909 Alle Rechte, namentlich das Recht der Übersetzung in fremde Sprachen, -vorbehalten. nr 3| | NORKWOR T. Dreißig Jahre sind gerade verflossen, seit L. Hermann sein großes Handbuch der Physiologie herausgab, das uns allen unent- behrlich geworden ist und es noch lange bleiben wird. Wenn ich es jetzt unternehme, ein neues Sammelwerk über Physiologie den Fach- genossen vorzulegen, so bin ich wenigstens darin der Zustimmung vieler sicher, daß es keine überflüssige Arbeit war, wieder einmal unter Zusammenfassung der Kräfte mehrerer Forscher das jetzige Wissen auf physiologischem Gebiet festzulegen. Viel Neues haben die Jahre, die seit dem Erscheinen des Hermannschen Buches dahin- gingen, uns gebracht; die Anschauungen über manche Dinge haben sich von Grund aus geändert, auf manchen Gebieten ist die erregte Erörterung zur Ruhe gekommen und hat einer verhältnismäßigen Klar- heit Platz gemacht. Neue Forschungsmethoden und neue Forschungs- gebiete sind uns erschlossen worden; ein modernes Lehrbuch muß an- sehnliche Kapitel über Gegenstände enthalten, die man noch vor 20 bis 30 Jahren kaum mit einem Worte berührte. Fast noch wichtiger als für den Fachphysiologen erschien mir die Schaffung eines neuen Handbuches der Physiologie für die Vertreter der Nachbargebiete. Der Zoologe, der Anatom, der Pathologe, Neu- rologe, Psychologe, Psychiater, der Ophthalmologe, sie alle kommen häufig genug in die Lage, sich über die Stellung der Physiologie zu, dieser oder jener Frage genauer unterrichten zu wollen, als es aus den für Studierende geschriebenen Lehrbüchern geschehen kann. Die physiologischen Zeitschriften und die monographische Fachliteratur sind nicht leicht genug zugänglich; ein größeres Handbuch ist in solchem Fall das erwünschte. Hilfsmittel. Diese Erwägungen veranlaßten mich, als die Verlagshandlung Friedr. Vieweg & Sohn an mich mit der Anregung zur Herausgabe eines Handbuches der Physiologie”herantrat, diesem Plane lebhaftes Interesse entgegenzubringen und den Versuch zu machen, ob ich unter VI Vorwort. den Fachgenossen die entsprechende Unterstützung fände. Ein Sammel- werk mit Beteiligung nicht zu weniger Autoren konnte von vornherein nur in Betracht kommen, wenn die einigermaßen gleichwertige Durch- arbeitung der verschiedenen Gebiete gewährleistet sein sollte. Ich hatte das Glück, in Deutschland und im Auslande hervor- ragende Forscher zur Mitarbeit bereit zu finden, und so unternahm ich die Herausgabe des Werkes, von dem nunmehr nur noch die Schlußlieferung des vierten Bandes und ein in Aussicht genommener Ergänzungsband ausstehen. Das Werk soll eine Zwischenstufe bilden zwischen unseren ver- schiedenen Lehrbüchern für Studierende und den umfangreichen Dar- stellungen der Physiologie, wie sie das französische Dietionnaire de physiologie gibt und wie sie sich aus dem verdienstvollen Werke von Asher und Spiro, den „Ergebnissen der Physiologie“, in gewissem Sinne entwickeln wird. Vollständigkeit der Literaturzitate muß Werken der letzteren Art vorbehalten bleiben, das Handbuch dagegen soll eine von zuständiger Seite getroffene Auswahl aus dem vorhandenen Material an veröffentlichten Untersuchungen bieten, die wichtigsten Werke zitieren und demjenigen, der tiefer in das Studium der Physio- logie eindringen will, die Wege ebnen. Inwieweit uns dies gelungen ist, werden die Fachgenossen zu entscheiden haben. So manches wird an einem derartigen Buche auszusetzen sein. In erster Linie wird die Anordnung des Stoffes nicht jedermanns Beifall finden. Doch ich getröste mich der Nachsicht der Fachgenossen, denen es allen bekannt sein wird, daß es eigentlich unmöglich ist, das (resamtgebiet der Physiologie in einer wirklich befriedigenden. Weise einzuteilen, und nun gar noch, wenn es sich um die Verteilung des Materials an eine größere Zahl von Mitarbeitern handelt. Mannigfache Gründe, deren Erörterung nicht hierher gehört, nötigten zuweilen, ein Gebiet der Physiologie zu teilen, den einen Teil diesem, den anderen ‚jenem Autor zur Bearbeitung zu übergeben, während es am wünschens- wertesten gewesen wäre, das ganze Gebiet ungeteilt in einer Hand zu lassen. Auch Hermann hat ja seinerzeit die gleiche Schwierigkeit gefunden, wie er in seinem Vorwort erwähnt. Immerhin habe ich mich bemüht, das einzelne Arbeitsgebiet, wo irgend möglich, so abzu- grenzen, daß es sich zu einem abgeschlossenen Ganzen rundete. Dies schien mir wichtiger und für Autor wie Leser befriedigender, als wenn das Hauptaugenmerk darauf gerichtet worden wäre, zu vermeiden, daß ein und derselbe Gegenstand in verschiedenen Kapiteln, von verschie- denen Autoren besprochen und verschieden beurteilt wird. Vorwort. VII Die Reihenfolge, in der die einzelnen Kapitel sich aneinander- schließen, war in vielen Fällen durch den sachlichen Zusammenhang ohne weiteres gegeben. In anderen Fällen, wo man über die zweck- mäßigste Art der Aneinanderreihung im Zweifel sein konnte, habe ich äußere Gründe entscheiden lassen, die Reihenfolge des Eingangs der Manuskripte, den Umfang der einzelnen Kapitel usw. Einer der Forscher, die sich zur Mitarbeit bereit erklärt hatten, J. Munk, schied durch frühzeitigen Tod schon aus unserem Kreise aus, ehe die erste Lieferung erschienen war; Paul Schultz starb, ehe er seine Bearbeitung der Physiologie der glatten Muskeln fertigstellen konnte. Diese und andere Umstände wirkten zusammen verzögernd auf den Fortschritt des Werkes und nur durch mehrfache Umstellung der Kapitelfolge und durch Ersatz einzelner Mitarbeiter durch andere, die hilfreich in die Lücken traten, wurde es möglich, das Handbuch seinem nunmehr bevorstehenden Abschluß entgegenzuführen. In manchen Punkten mußten wir dabei von dem ursprünglichen Plane ab- weichen, um die Herausgabe der einzelnen Teile des Buches sich nicht zu sehr verzögern zu lassen. Die Physiologie des Menschen soll das Handbuch behandeln; die Untersuchungen an Tieren sollten nach unserer Verabredung nur insoweit herangezogen werden, als das Tier bei den Versuchen gewisser- maßen für den Menschen substituiert gedacht ist. Das geschieht nun bekanntlich in sehr vielen Fällen, große Abschnitte stützen sich fast ausschließlich auf Tierversuche. Nur die eigentliche vergleichende Phy- siologie, so interessante Ergänzungen sie vielfach geboten hätte, mußten wir, von einigen speziellen Fällen abgesehen, beiseite lassen, um das Werk nicht allzu sehr anschwellen zu lassen. Das Prinzip, die Physio- logie des Menschen in den Vordergrund zu stellen, hat mich auch bei der Bemessung des relativen Umfanges der einzelnen Kapitel ge- leitet, die in einzelnen Punkten von der in vielen Lehrbüchern üblichen abweicht. Denjenigen Kapiteln wurde mehr Raum gegeben, die für die Kenntnis der Lebensvorgänge im menschlichen Organismus besondere Bedeutung haben und demnach den Arzt am nächsten be- rühren. Einzelne Kapitel freilich sind stark über meine Veran- schlagung hinaus angewachsen. Eine Eigentümlichkeit der durch Zusammenarbeit vieler ent- standenen Werke ist und bleibt ja immer die Ungleichartigkeit in der Darstellung der einzelnen Gebiete. Daß diese Ungleichartigkeit sich auch auf rein Äußerliches erstreckt, ist in gewissem Sinne bedauerlich, aber wohl kaum zu vermeiden. Das Maß der Literaturangaben und VIII Vorwort. der nötigen Abbildungen bemessen die einzelnen Autoren bekanntlich sehr verschieden. Der Herausgeber kann hier nur ungefähre Anhalts- punkte geben, nicht aber seine eigenen Grundsätze durchführen. Hin- sichtlich der Abbildungen habe ich im allgemeinen auf Sparsamkeit mit solchen Figuren hinzuwirken gesucht, die, ohne das Verständnis des Textes wesentlich zu fördern, mehr nur zur Dekoration gedient hätten. An wirklich instruktiven Abbildungen aber ist nicht gespart worden. Die Verlagshandlung hat in dieser wie in jeder anderen Hin- sicht ein weitgehendes Entgegenkommen bewiesen und dem Heraus- geber die nicht immer ganz leichte Aufgabe in verschiedener Richtung nach Möglichkeit erleichtert. Ich benutze gern diese Gelegenheit, der Verlagshandlung Friedr. Vieweg & Sohn auch an dieser Stelle meinen wärmsten Dank zu sagen. Zu herzlichem Dank bin ich den Herren Mitarbeitern verbunden, die sich bereit finden ließen, gemeinsam mit mir dieses neue Hand- buch der Physiologie zu verfassen. Möchte es uns gelungen sein, ein Werk zu schaffen, das vielen gute Dienste leistet. Rostock, im Februar 1909. Wilibald Nagel. Mitteilung ‚des Herausgebers. Um das seit geraumer Zeit fertiggestellte Manuskript des Herrn Professor Tigerstedt nicht allzulange ungedruckt liegen zu lassen, bis die noch ausstehenden Manuskripte zum zweiten Teil des ersten Bandes eintreffen, habe ich mich in Überein- stimmung mit der Verlagsbuchhandlung entschlossen, eine Um- stellung der Abschnitte vorzunehmen. Die aus anderen Gründen wünschenswerte unmittelbare Aufeinanderfolge der die Kreis- laufsorgane betreffenden Abschnitte wird dadurch allerdings un- möglich, doch erschienen mir die für eine Umstellung sprechenden Gründe schwererwiegend. W. Nagel. INHALTSVERZEICHNIS. Die Atembewegungen und ihre Innervation. Von H, Boruttau. . Die Bedeutung der Atembewegungen. Vergleichendes ..;.. . Die physikalischen und anatomischen Grundlagen der Lungen- stmung . . .., . DE N Eee esliene ı . Die Kine; fhre Begleit- und Folgeerscheinungen ee chin a a mr A a Ba EN SER EEE LAN IE FE A ee 2. Die Veränderungen der Körpergestalt durch die Atembewegungen, und deren Registrierung. Atemtypen :. .... 22200000. 3. Frequenz, Tiefe und zeitlicher Verlauf der Atemzüge. Schwankungen des Lungenvolumens und Spirometrie . ».. 2. 2 22 20222000. 4. Respiratorische Schwankungen des intrapleuralen und des intrapulmo- nalen Druckes. Pneumatometrie '. "2 ee ne 5. Die Luftwege. Begleitende Atembewegungen und besondere Atemformen . Die Innervation der Atembewegungen » . . »: 22... 0... 1. Die mötorischen Nerven der Atemmuskulatur. . » .» 2.2... EEE 2. Die zentrale Innervation der Atembewegungen; das Atemzentrum 3. Die Atemreflexe und die Regulierung der Atembewegungen . . ... . 4. Besondere Zustände der Ateminneryation: Apnoe, Dyspnoe und Asphyxie Blutgase und respiratorischer Gaswechsel. Von Christian Bohr. Einleitung «..... a he Se er ter re Re ie» Die Gase des Blutes, sowie der Lymphe und der Sekrete ...... I. Allgemeine Aussicht über die Absorption der Gasarten in Flüssigkeiten unter besonderer Berücksichtigung der Ver- Baltaisseim Biute ; VE 2 ee ne nen tee %, Düse von Gassen in WEBBer es... 3 5 einer en. 2. Lösung von Gasen in Wasser, das gelöste feste Stoffe enthält 3, Absorption von Gasen in einer Flüssigkeit, die wie das Blut disso- ziable gasbindende Stoffe enthält . » ». 2»: 2.20.00. $ 1. Hauptzüge der empirischen Resultate und deren allgemeine Be- deutung für die Respirationsphysiologie . » » : ...... $ 2. Theoretische Behandlung der Gasbindung der einzelnen im Blute enthaltenen: Stoffe an. nee inte en ne Dissoziation des Natriumbikarbonats . . . x... 0... Die Gasbindungen des Hämoglobins . . » . v0. Die Verbindung des Hämoglobins mit Kohlensäure . Die Verbindungen des Hämoglobins mit Sauerstoff . Die Verbindung des Hämoglobins mit Kohlenoxyd . Die Verbindung des Hämoglobins mit Sauerstoff und Monlenoyd.ie ensure nd vr vI Inhaltsverzeichnis. IL Die Gase ARZT 1. Die Gase im arteriellen und im venösen Blute. . . . 22.2... Gans in arteriellen Binte . . - - > + ia. ER wre GEBSEn Wehen Blute . . + <\. 0... 0.0 are ee u 2. Absorption und Bindungsweise der einzelnen Gase im Blute. .. . BIEMEE = 25 se ee a re RE Die Verteilung des Sauerstoffs unter Plasma und Blut- BIRDSEChBBL © 2 + 0 00 ae ee os Das Verhältnis der Spannung des Sauerstoffs zu dessen Te BE ee . Die spezifische Sauerstoffkapazität im Biute ... »...% A ar >») Du blue ee ee ee a RD Das Verhältnis der absorbierten N zur Spannung - +. “reis Sera kaine lee re Gleichzeitige Absorption der Kohlensäure and des Sauerstoffs Näheres über die Bindungsweise der Kohlensäure im Plasma und in den Blutkörperchen 2... es 0 Ei Die Bindung der Kohlensäure im Plasma . .... . Die Bindung der Kohlensäure in den Blutkörperchen Finfluß der Wechselwirkung zwischen den Blutkörperchen und dem Serum auf die PRENE der Kohlensäure im Blute 0) Btickstoll und. Argon: 4 sei -mmrd! wre sria ser Wear WI Stickstoff ; 3. 50 n2r. na ste ERENTO SBE N De eich ATgON: ai a, ul a ee da N @) Das Kohlenoxyä . + 2... het fa a ee ee Absorption von reinem oder mit indifferenten Gasen gemischtem Kohlenoxyd . + ,..,. = Vienna kiss anke . Sk le Das Verhältnis zwischen der Spannung und den auf- genommenen OO-Mengen . x»: vr rer re.“ Spezifische Kohlenoxydkapazität . . . Absorption einer Mischung von Kohlenoxyd. und Beuerstoit IH. Die Gase der Lymphe und der Sekrete. . 2... 2. cr. e 2... 1. Di Yu N UHREN TEE a 2. Normale und pathologische Sekrete . . . . . ai a ei Respiratorischer Gaswechsel . . . . . 2. 2 cher... er I. Der Gaswechsel durch die Lungen. . cv. 220. I 1. Größe des a er und Zusammensetzung der Exspira- tionsluft. . ...» R PR 23 SS ie 2. Untersuchungen über die pen ar Pro ynuhäire den Lungengas- wechsel vermitteln... 2... 2 2 en. IE , $ 1. Größe der Esapiratörisähen Oberfläche und Zassıhniensötzung der Gase in den Hohlräumen der Lunge . ...... Fk: Die respiratorische Oberfläche der Lungen . ... . Die Zusammensetzung der Luft in den Hohlräumen und die Sauerstoffspannung in der Oberfläche der Lunge $ 2. Nachweis und Beschreibung der Gassekretion in der Lunge. . Versuche betreffend die beim en er wirk- samen Kräfte . . AERUERUGS De 0 Ältere Versuche . :::) sm. en Neuere Versuche "5 1 ee Näheres über die spezifische Tätigkeit der Lunge beim Gaswechsel I WER EL ae TE PEPIER $ 3. Die Gassekretion in der Froschlunge und in der Schwimmblase der Fische . . . LEEREN FE 1 ee a Die Haut- nd: Lungdurgepäritioh: der Frösche . tee Die Sauerstoffsekretion der Schwimmblase. ..... . Inhaltsverzeichnis. $ 4. Die relative Unabhängigkeit der Gassekretion in jeder der beiden Bungn 2 ee 3. Einfluß von Änderungen der eingeatmeten Luftmenge auf den | Masmeahsal der Büngen.2: a... 0.00 ee na . $ 1. Accommodation der Atemgröße an die Größe des Stoffwechsels $ 2. Einfluß einer primären Änderung der Atemgröße auf den Gas- . RT a ET ee RR er ir Le BEE TR AT 4. Einfluß der die Lungen passierenden Blutmenge auf deren Gaswechsel 5. Einfluß des Nervensystems auf die Gassekretion . . 2» 2.2... I. Die innere Atmung ae Bde ee a er ce 1. Allgemeine Übersicht der Prozesse . » » » 2. 22.200000. 2. Über den Anteil der Lunge an der inneren Atmung . . .... . 3. Gaswechsel zwischen Blut und Gewebe . : 2... 2.22.2000. Die Sauexstoff- und die Kohlensäurespannungen i im Arterien- und im Venenblute . . 2... .. EN RE Dr re Regulation der Konzentration des Sauerstoffs im Plasma des Blutes Regulation der Konzentration der Kohlensäure im Plasma IH. Einfluß einer geänderten Zusammensetzung der Ein- atmungsluft auf den Respirationsprozeß ..... RE 1. Verteilung des respiratorischen Gaswechsels unter die beiden Lungen bei verschiedener Zusammensetzung der Einatmungsluft für jede einzelne -GOrselben. ur, Sin ae wre ee. ee oe Einfluß ‘des Partialdruckes des Sauerstoffs auf die Verteilung des Gaswechsels unter die beiden Lungen .. ...... Einfluß des Kohlensäurepartialdruckes auf die Verteilung des Gaswechsels unter die beiden Lungen . . .» 2... BE 2. Der respiratorische Prozeß bei verschiedenem Partialdruck des Sauer- ‚stoffs und der Kohlensäure in der umgebenden Atmosphäre Änderungen des Partialdruckes des Sauerstoffs. . .. . » - Vermehrung des Partialdruckes der Kohlensäure . . . .. » Iv. Haut- und Darmatmung. Fötale Atmung... ..v..... Anhang. Einige Bemerkungen über die Gewinnung der Blutgase mittels TEN ERLIGE AR RIESEN een ee oe ee Ten elle nie Allgemeine Physiologie des Herzens. Von F. B. Hofmann. Automatie des Herzens und seiner Teile .... 2.0.0. Die, HReizbärkeit des Herzens... sc: he en ernste lee ee Rhythmische Kontraktionen bei Dauerreizen . . ». ee... Rhythmische Aktion des Herzens nach starker Momentanreizung . » - Rhythmischer Wechsel der Reizbarkeit des Herzens. Refraktäre Phase Horsbasami. 0 ne ae re ehe ee N ER ÄEENET er ESTER ee RR Er Er er ar LE EEE Lokale Beiswirküngen . . 2... 0er eltern. Flimmern; Wühlen und Wogen . . cr... een. Über die Beschaffenheit der normalen „inneren“ Herzreize .... Der Blutdruck als Herzreiz . : - - » «ce se... 00m Die Leistungsfähigkeit (Kontraktilität) des Herzensundihre rhyth- mischen Schwankungen. . .. x: ser. Die Leitung der Erregung im Herzen ..... ee ren. Geschwindigkeit der Leitung - » » ver eeeeeennnne | DEE: > - - san ee ne N VE a, SEP Er er, BER or Br Ber BE Sr EL Br SL Dur Br Zr Zu Blockierung der Erregungsleitung . » » » rennen 172 175 177 181 181 187 194 195 196 204 205 206 206 209 209 210 216 217 220 vm Inhaltsverzeichnis. Die Innervation des Herzens und der Blutgefäße. Von F. B. Hofmann. Die Innervation des Herzens ....... 22... N en . Die einzelnen Wirkungen der Hemmungs- und Förderungs- DOEYER A UN ann ee & Die chronotsope Wirkung > 2.0.0 + .-0 ni. 8° Re Inotrope Nervenwirkung . . =: sv: 22000000 Te Je Bathmotrope Nervenwirkung . » » 2 222000000. . Wirkung der Herznerven auf den Tonus. . 222... Dromotrope Nervenwirkung . . 2». 22 2.020. ARE Theorie der Hemmungs- und Förderungswirkung.. . . . » ‘en Die Zentren der regulatorischen Herznerven und ihre Er- FegUnNg - » 00er ern en ae ER er N RR RR EEE REN Tonus der Zentren . ...... ER SER REG Direkte Reizung der Zentren . .. 2 ver eee.. RN Beeinflussung der Herznervenzentren von anderen Teilen des ZAnUrKIRrVORBYOE . . 0 6 ee Reflektorische Erregung der Herznervenzentren . . . -» in Die Acceleration des Herzschlages bei der Muskeltätigkeit . one Die Innervation der Blutgefäße . BIiBHTG ‚eco: vet am Feb ee 1..Go$Eßnervon: -.. “12.0.0 0% een ee re a Na BR Verhalten der Gefäßnerven bei künstlicher Reizung . sy Der ‚Verlauf der Gefäßuerven . . » u... u. e Weite es area 3. Gofäßzeutrn vn nr ee Die Zentren der Vasoconstrietoren . » » 2 22.2.0.“ ee Die Zentren der Vasodilatatoren . . . x»... ee Periphere Gefäßzentren . » » 4. ee een ot Direkte periphere Einwirkungen auf die Gefäße . . ».... Einfluß von Ernährungsstörungen auf die Gefäßnervenzentren . Die Beziehungen der Gefäßnerven zum Großhirn . . » » +». Die zentral bedingten Schwankungen des Gefäßtonus . . . . » 8. Gefäßreoflexd. an. se a ee ee Reflexe vom Herzen auf die Gefäße und von den Gefäßen auf- einander vi ya era ae a en nn: Eee eh Reflexe auf das Gefäßsystem von anderen Organen...» ..« Die Abhängigkeit der Gefäßweite von der Temperatur . ... . Die Gefäßerweiterung in tätigen Organen . vv er re. 3 u Ze EN a alerts ee eee Inhaltsverzeichnis. IX Die Physiologie des Stoffwechsels. Von R. Tigerstedt. Seite RE Re as MA ey Per ar EEE RD; 331 Erstes Kapitel. Allgemeine Übersicht der Einnahmen und Aus- TR az, a RE Eee Be ar er er a Er Er Sr: 334 a iur ir EA BE 334 N ar er a ar RE 336 I. Das Sammeln der Ausscheidungsprodukte . » 2 2222.20. 337 a) Das Sammeln der gasförmigen Ausscheidungsprodukte und die Bestimmung des verbrauchten Sauerstoffs . . . 2.2... 337 b) Das Sammeln von Harn und Kot... .: 2 2 22.220. 341 07 Ds mem FG Schweiß u. 0 3. 0 nenne 342 d) Sonstige Abgaben vom Körper...» 2 2.2.2000... 343 II. Die Verteilung der einzelnen Elemente auf die verschiedenen Aus- scheidungen "2. MEN? Ne N ee Bra 343 a) Die Abgaben durch die Respiration . » » » » 2... FW ' ©. b) Die Abgaben durch die Haut...» .: 2er... 345 e) Die Abgaben durch die Nieren . .» .: » 222220... 346 0). Die Abusben dureh den Darm = 32.0... wi we . . 846 e) Die Ausscheidungswege des Stickstoffs . » : » 2.2.0... 352 $ 3. Die Berechnung eines Stoffwechselversuches . » » » : 2.2... 354 Zweites Kapitel. Die Verbrennung im Körper ..... 2.2.0... 357 $ 1. Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe . ..... 357 $ 2. Die Berechnung des Energiewechsels aus dem respiratorischen Stoff- WOCHBER TS ed sa er net eine Mas a gene; Bee a ee, ae 374 Drittes Kapitel. Der Stoffwechsel beim Hunger . ......... 375 $ 1. Der allgemeine Zustand beim Hunger . ..». .»: 22 22220. 376 53. Der Biulkeshsel beim Hunger ’...:, =... 1. 0 ae a 379 $ 3. Die Zersetzung von Eiweiß und Fett beim Hunger... ...... 383 8 4. Der Verlust der verschiedenen Organe beim Hunger . »..»..... 388 Viertes Kapitel. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Nahrung. .. . 391 $ 1. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Eiweiß ... 22222000. 392 $ 2. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Fett...» 2.2.2... RR. $ 3. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Kohlehydraten . . .». . ...... 414 $ 4. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von anderen N-haltigen Verbindungen als DEN A ra ante elta ae ae © 2 ee 420 1. Die Verdauungsprodukte des Eiweißes . . 2x... 0.. 421 DE TE NER AEE Va pr BEER Bere er Br 423 3. Die N-haltigen Extraktivstoffe des Fleisches . . ». ». . 2.2.0... 427 We ae ea Er re BE ur Br 429 $ 5. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von einigen N-freien Verbindungen . . 432 BoreIe Poser ee, lee ne de nie ee en 432 ee ee nee 433 DE Er a ua Ve on ae u ae ee ee 434 ER Re ET Re EL RL Br Er Er er 435 5. Andere Kohlehydrate : - ! ce. 2 euren 437 a a ae ee nen 437 Fünftes Kapitel. Der Stoffwechsel bei körperlicher Arbeit . . . . 441 $ 1. Welche Nahrungsstoffe werden bei der Muskelarbeit verbrannt? . . 441 $ 2. Die Verwertung der Energie bei der Muskelarbeit . . + 451 Sechstes Kapitel. Der Stoffwechsel bei verschiedener Außen- ERBE a re a ee a aaa ee ae een ee 459 x Inhaltsverzeichnis. Siebentes Kapitel. Der Stoffwechsel bei verschiedener Körper- größe und verschiedenem Lebensalter . . .. .: .» 2:22... 0. Achtes Kapitel, Der Ansatz von Eiweiß im Körper. ........ Neuntes Kapitel. Der Ansatz von Kohlehydraten im Körper RE Zehntes Kapitel. Der Ansatz von Fett im Körper ...... ev... Elftes Kapitel. Die mineralischen Nahrungsstoffe. .... 2... Ga De N : Be wi DE DETRRE E enee ee en ee N er ae 0: > ce ee 8 5. Oaleium und Magnesium . . - » -.2 2 see seele“ as ») Oldum’. . . ». ee ee BR 2 a Be b) Magnesium . ». 2.000. EEE EEE GE =. ec) Bilanzversuche über Caleium und Magnesium . . » . cr... 8 0. Das Eisen .. .:.-. 0.0» BE EEE SFT Zwölftes Kapitel. Die Ernährung des Menschen . .... vv... $ 1. Anforderungen an die qualitative Beschaffenheit der Kost . ... . $ 2. Der Bedarf des Menschen an potentieller Energie . . » » +. $ 3. Die Verteilung der Zufuhr auf Eiweiß, Fett und Kohlehydrate ee Die Wärmeökonomie des Körpers. | Von R. Tigerstedt. Erstes Kapitel. Die Körpertemperatur des Menschen ..... IL Zweites Kapitel. Die Topographie der Wärmebildung. ..... 5. Drittes Kapitel. Der Wärmeverlust des Körpers ..... cv... R Viertes Kapitel. Der Schutz gegen Wärmeverlust ......... Fünftes Kapitel. Die Regulierung der Körpertemperatur...... $ 1. Die Regulierung des Wärmeverlustes . . 222er eeen. $ 2. Die Zentren der Wärmeregulierung . » : : . +» ne Re $ 3. Die Wärmeregulierung bei Neugeborenen . .» vr. re... . $ 4. Anhang. Die Wärmeökonomie der kaltblütigen Wirbeltiere 557 577 581 588 593 594 598 604 606 \ | SER - en ne re > En er er ee Inhaltsverzeichnis. Elemente der Immunitätslehre. Von Carl Oppenheimer. I. Die erworbene antitoxische Immunität Antitoxine und ihr Verhältnis zu den Toxinen . IH. Die Immunität gegen Zellen : Der Mechanismus der bakteriziden Trrmnmitkt Die natürliche Immunität . Die Mechanik des Kreislaufs. Von Georg Fr. Nicolai. L: Der’ Kreislaufals Ganzes... vo. Das Verteilungssystem in der Tierreihe E $ 1. Die Bedeutung eines Werkeitbnissyetens - $ 2. Das Verteilungssystem bei Wirbellosen Bei den Schwämmen HR: Bei den Cölenteraten Bei den Würmern . Bei den Echinodermen . Bei den Mollusken Bei den Arthropoden Bei den Tunicaten R $ 3. Das Verteilungssystem bei den Wirbaeren. Das Schema des Kreislaufs der Säugetiere . . - $ 4. Die methodische Entwickelung der ET: de chemss $ 5. Historisehe Entwiekelung der Kenntnis des Schemas . Vor Harvey ... $ 6. Seit Harvey . I. Allgemeine Mechanik des Blutdrucks $ 7. Übersicht und Erklärung Der hydrostatische Druck . $ 8. Verteilung’ von Binkdrnck und Biotinenzs infolge dei Sehwere $ 9. Die Kompensation des Einflusses der Schwere . $ 10. Der hydraulische Druck $ 11. Der dynamische Druck . . . $ 12. Die Bedingungen des Binidrucks. im Kör a IH. Methodisches über Kreislaufexperimente. $ 13. Arbeiten am Herzen ........ $ 14. Freilegung und Konservierung des ‚Abeelshenden Herzens : Apparate für das Froschherz . : Apparate für das Säugetierherz $ 15. Die Speisung des Herzens . . . Kymographik $ 16. Direkte Meinung ne Eröffnung ER Kräinlaufs h $ 17. Messung des mittleren Blutdrucks mit Flüssigkeite- (Quecksilber-)Manometern $ 18. Messung des maximalen und inimnlen Diokas ale Ventilmanometern . . $ 19. Messung der Blutdruckschwankungen ie enhsn Manometern ; Die elastischen Manometer . $& 20. Unblutige Druckmessung . . 5 $ 21. Methode des völligen Vorschlnsies # $ 22. Die Methode der entspannten kei and: $ 23. Die Methode des übertragenen Druckes Nagel, Physiologie des Menschen. I. XI Seite 611 624 640 645 659 661 661 661 662 663 663 664 664 665 665 666 666 669 669 673 673 676 679 679 680 680 683 686 688 688 690 690 690 692 693 694 696 696 697 698 699 700 702 704 708 709 XI Inhaltsverzeichnis. Seite $ 24. Maximal- und Minimaldruck (sog. systolischer ‚und MIBILONBDHER DUCK) : 5 =. »..0. 0 Sn eae 2 710 $ 25. Sphygmographik (Pulsschreibung) . -. » » :» 2» 2 2 220. 713 Die Sphygmographie (im engeren Sinne) . . 718 $ 26. Onychographen, Längenpulsschreibung ühd Cnrtiagiaahle : 716 u) Onyehographen. . . „. sr. 0 00.00 ve 716 b) Längenpulse : . : - RU WITTEN 716 6) Oardiographie . .: : 22er... Ba TERN $ 27. Die Registrierung der Herztöne . . »... 22220... 717 Die Plethysmögraphie.: . + u... 2. 0 n. 0 0 el ey; | & 38.. Allgemeine Methodik: . » =. Fu hie sie 2.10 ae 719 $ 29. Herzplethysmographie u. plethysmographische Geschwindig- keitamessüng ’..% \. 13 2 Re ee 722 $ 30. Das Plethysmogramm als Geschwindigkeitskurve . . 723 $ 31. Das Plethysmogramm als Integralkurve der Ge- schwindigkeit ",.72..:<.:.0 6 le Fa In Feen 724 Tachographie (Messung der Geschwindigkeit). -» - » 2...» ., $ 32. Geschwindigkeit und Ausflußmenge . .» » : 2 re... 726 $ 33. Direkte Bestimmung der Blutgeschwindigkeit. . . » . . » 727 $ 34. Bestimmung der Umlaufzeit des Blutes . .. 2.2... 728 IV. Die Bedingungen des Blutdrucks im Körper. .... 2 2.. 729 Hlantisität 1. I Nauen de an a a ae Re he N 729 $ 35. Zustand der Wandung . . .». ..» 2222 .2. 000 8 36. Gefäßtonus und Lumenweite . ».» 2»: 2200200. 733 $ 37. Lumenweite der kleinen Gefäße. . . .. 22... 733 $ 38. Lumenweite der großen Gefäße . . .. 2... .% 737 $ 39. Spezielle Physiologie des Kreislaufes einzelner Organe 739 8 40.. Blaimnenge «20 00 uds 2 N a ae ED 741 Plethörs und »Blütarmnt 5 2 2.08 a Se era 743 Das Schlagvolum des Herzens. - . + u 2.0 un. ie eu oe on eine 744 8 41. Bedeutung des Schlagvolums . ... 2. 222. 220. 744 8 42. Die Größe des Schlagvolums . . . . 2... 222200. 745 Direkte Messung: 05 050 re re 745 Indirakte' Bestimmung: 2 Sa Su en Ns 746 $ 43. Die Ermittelung aus der Aortengeschwindigkeit und der Umlaufsgeschwindigkeit . . .».. 2.2... 746 $ 44. Berechnung des Schlagvolums aus der Bestimmung des Sekundenvölums“ 7... 2.78 Per urn ee ee 748 Die Frequenz des Herzschlages . . ». ... 22 2.2.2.0. a ARE 751 $ 45. Herzfrequenz und Blutdruck .» .. 2. 22222220. 751 $ 46. Abhängigkeit der Pulsfrequenz von den wichtigsten physio- logischen Bedingungen . . : 2. 2 2 2 2 rennen 752 1, Von,der-Körpergrbbe SR ET EE Er 752 2. Vom Alter HH RER ET RE 753 3. Vom Geschlecht 2.5.4.1. va a u, Gries 754 4. Von der Temperatur und dem Barometerdruck . . . 755 5.. Von Körperbewegungen . . . . 2. 2 on... 756 6. Von der Körperlage. . .. . a ie ee en 757 Die Widerstände im System (die Capillaren) . . . : . 2 22220. 758 $ 47. Verzweigungsmodus der Gefäße und dadurch bedingter Widerstand HE RR IR RIO ee, 758 Die ‚Oapillaren . . "HT A 760 $ 48. Die Strömung in den Capillaren. ......... 760 $ 49. Das Poiseuillesche Gesetz. . . . . ! 222 2.. 764 $ 50. Gesehwindigkeit in den Blutcapillaren . . .... . 765 $ 51. Gesamtquerschnitt und Menge der Blutcapillaren.. . 766 Die Konsistenz des Blutes. , vv vv eo nr on onen nn nn 768 . er eh Dec ee ee De ee ee era este Ve Inhaltsverzeichnis. $ 52. Definition von „Blutkonsistenz“ . . $ 53. Bestimmung der Blutkonsistenz . $ 54. Anderungen der Blutkonsistenz V. Der Blutdruck . $ 55. $ 586. 8 57. $ 58. $ 59. Bedeutung von EEE TE : Der mittlere Blutdruck bei Tieren und Mischer: - Der mittlere Blutdruck des Menschen . Einfluß von Alter, Größe und Geschlecht . Der Blutdruck an den verschiedenen Stellen des Körpers a) Der Druck in den Arterien . rn b) Der Capillardruck . . .. 2. .2.... e) Der Venendruck . . . 2.2.2... Der Einfluß verschiedener See aklarin Aut den BIT uoR RL Ei; KOrDeRaBe REN I Ale. RL Arbeit, Massage und Nervenreizung re Die NIBRSRBEERISIDerAKUr TREE Herzfrequenz wer VI. Die Pulswelle $ 60. 8 81. 8 82. S 8 63. 64. Die Die Entstehting “der Pulswelle UL Men an Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle H Dekrement und Reflexion der Pulswellen.. Reflexion der Pulswellen . . . Der Dikrotismus des Pulses . Dikrotie, bedingt durch beriphärische. Erscheinungen (Reflexion) . $ 65. Die Dikvotie, REN dutch Drssabeni 1 im Hasen und in der Arterienwand . Ursachen in der Arterienwand $ 66. Dynamische Theorie $ 67. Der Dikrotismus als eine Folge des Somilunarklappen- mechanismus $ 68. Sonstige Wellen im Puls und ihre Beziehungen zum Blutdruck VI. Die morphologischen Grundlagen der TIERE: 8 69. $ 70. $ 1. $ 72. $& 73. Das Die Die Die Herz als Muskelsyneytiun Faserrichtungen des Herzens Vorhofmuskulatur gr drei Muskelsysteme der Ventiikel i $ 74. Die äußeren Spiralfasern ; $ 75. Das Treibwerk und das Papillarsystam Das Papillarsystem . Die muskulösen Verbindungen der einsainen Muskeisyrieme : $ 76. Verbindungen des Vorhofs mit den Venen und dem Ventrikel . a) Muskulöse Verbindungen. zwischen Venen und Vorhof b) Muskulöse Verbindungen zwischen Vorhof u. Ventrikel $ 77. Muskuläre Verbindungen der einzelnen See des Ventrikels . VII. Allgemeine Mechanik des Herzmuskels Der Ablauf der Erregungswelle . . . $ 78. Begriff und Dauer der Systole . Der Weg der Erregungswelle . $ 79. Die ursprüngliche Hersperistaltik. ei $ 80. Versuche, die Richtung der Erregungswelle zu bestimmen g 8ı. Systolen und Extrasystolen (abnorme Ventrikelschläge) XIH Seite 768 768 770 772 772 772 774 775 776 776 778 780 780 781 781 783 783 783 783 787 790 791 793 795 797 797 798 799 800 801 801 801 803 805 805 806. 808 809 809 810 810 810 812 814 814 814 818 818 819 822 xIV Inhaltsverzeichnis. $ 82. Ablauf der Erregungswelle auf Grund des Elektro- Karllogramms . : si win email SR msleyıtollen . . ı a ae $ 84. Einteilung der Herzperiode nach der Tätigkeit (Grad der MT) . '- 0 2.60 ee te $ 85. Einteilung nach der Funktion. .. . . De s IX. Formveränderung und Spitzenstoß . ».. 2 22.2220. ae Formveränderung des Herzens . ;.:. +» ars ur aaa ae $ 86. Bestimmungen aus Messungen am toten Herzen . . .. . $ 87. Die Formveränderung am lebenden Herzen (graphische Begistrierung‘) x x: wide wie ae ae 5 '88.: Dar Buitwenstöß "ya ee Sn” 1..Die Bückstoßtheorie +... 75 ml ae au 2. Die Dehnnngstheorie .: 2.2.0... WR ee 3. Die Streckungstheorie. . » 2... een. 4. Die diastolische Theorie. . » 2: 2: 2222200. X; Klappen and Heratöne:., Kr en ee DT $ 89. Die Ventile des Herzens ., ..... ee SR Ya 8.90. :Die Bemilunarklanpen. . » .. .. i...... «rlagiralst wis = $ 91. Die Selbststeuerung des Herzens. . .» : : v2... $ 92. Die Atrioventrikularklappen. . . » : x» 222.0. a 698. Die Herutime. 05 4.153.H ng ef ra hin pre, ARE A ER XIL:Acocessörischae Herzen . HE KaIEN SA Te $ 96. Der Donderssche Druck. . . . : 2 2 2 cn 2 0 0. 3 $ 97. Mechanischer Druck auf die Venen (RDEDOEROWEREAENE Massage, Attoftenpia): ! 3 ir 2 ce Fe $ 98. Aspirierende Kräfte der Herzwand selbst. (Die sog. aktive Dissbole) . 2.32 BR ER een Die Tatsachen . . ... . BE ER a ee Re 8 99. Theoretische Deutungen... iT. 2. 2 0 00m ne a) Dilatatorische Fasern (Expansions- und Antagonisten- N RE Er ET IRRE ER Le ee > b) Die Elastizität (Elastizitäts- u. mechanische Diastole) c) Die Injektionsentfaltung des Herzens (Erektions- NN ET EN er d) Die Lucianische „aktive“ Diastole te Be ZU. Die Arbeit des Hörsene..,4%. 31:2 DEE Bra a Er 8 100 2 20 Se ers a A ae De dr al his |. 4» a a e x by rin Die Atembewegungen und ihre Innervation von Heinrich Boruttau. Monographische Literatur: Vierordts Artikel „Respiration“ in Wagners Handwörterbuch der Physio- logie, Zweiter Band, Braunschweig 1844, auf $. 828ff., umfaßt noch Respirations-Chemie und Mechanik; gesondert ist die letztere und ihre Innervation behandelt durch Rosenthal in Hermanns Handbuch der Physiologie, Vierter Band, Zweite Abteilung, Leipzig 1882, auf $. 165 ff.; endlich neuestens durch Starling in Schäfers Textbook of Physiology, Zweiter Band, Edinburgh und London 1900, auf 8. 274 ff. Gesondert er- schienene Monographien über die Atmungsmechanik und Innervation, außer den im Text zitierten größeren Spezialarbeiten, sind mir nicht bekannt. I. Die Bedeutung der Atembewegungen. Vergleichendes. Bei den niederen Tieren genügt im allgemeinen zur Unterhaltung der Öxydationsvorgänge der diffusive Gasaustausch an der äußeren Oberfläche, deren dauernde oder zeitweise Vergrößerung (amöboide Bewegungen usw.) bereits hier unterstützend mitwirken dürfte: mit ansteigender Vollkommen- heit des Körperbaues in der Tierreihe sehen wir die Oberflächenvergrößerung sich auf spezielle, dem Gasaustausch mit dem umgebenden Medium dienende Organe beschränken und eine Unterstützung derselben durch passive oder aktive Bewegung dieser Organe auftreten: den Vermittler, das „Transport- mittel“ der Gase zwischen deren äußeren, der Diffusion dienenden Oberflächen und den übrigen Organen und Geweben, als den Orten der inneren Atmung, bilden die Körperflüssigkeiten — Lymphe, Hämolymphe, Blut. Wo für letztere noch kein geschlossenes Gefäßsystem ausgebildet ist, sehen wir ge- legentlich ein vielverzweigtes Luftröhrensystem, durch welches die Luft von der Körperaußenfläche der Flüssigkeit in den Gewebsspalten zugeführt wird: — Tracheen der Landarthropoden — , wobei bereits aktive (muskuläre) Be- wegung die Ventilation unterstützen kann (Atembewegungen der Cole- opteren); im übrigen ist bei höherstehenden Wassertieren das besondere Atmungsorgan meist als Epithelflächenausstülpung eingerichtet, die Ober- flächenvergrößerung durch vielfache Faltung oft schon eine sehr bedeutende: Die den Austausch zwischen den im Wasser gelösten und den im Blute oder der sonstigen Körperflüssigkeit im Innern dieser (als Kiemen bezeichneten) Organe vorhandenen Gasen begünstigende Bewegung ist meist einfach das Vor- beifließen des Wassers, eventuell die hierdurch gesetzte passive Bewegung der Nagel, Physiologie des Menschen. I. \ 1 9 j Physik und Anatomie der Lungenatmung. Kiemenanteile. Bei den außerhalb des Wassers wohnenden Wirbeltieren da- gegen sind die Organe der äußeren Atmung ausnahmslos als sackartige Ein- stülpungen der dem diffusiven Gasaustausch zwischen Blut und Außenluft dienenden Epithelflächen eingerichtet, welche man als Lungen bezeichnet. Die die Ventilation begünstigende Bewegung besteht hier in einer rhythmisch abwechselnden Erweiterung und Verengerung dieser Hohlräume, deren Mechanismus hier genauer behandelt werden soll, insoweit als er den Menschen und die übrigen Säugetiere betrifft; ein genaueres Eingehen auf die vergleichende Physiologie der Atemmechanik und Innervation liegt außer- halb des Rahmens dieses Handbuchs. II. Die physikalischen und anatomischen Grundlagen der _ Lungenatmung. Man hat die abwechselnde Erweiterung und Verengerung der Lungen mit der Arbeitsweise des Blasebalgs verglichen: sie wird durch rhythmische Kontraktionen quergestreifter Muskeln hervorgebracht, doch mit Unterstützung einer Hilfskraft in ganz ähnlicher Weise, wie sie auch bei größeren (Schmiede-, Orgel- usw.) Blasebälgen durch ein 'belastendes Gewicht dargestellt wird. Diese Hilfskraft ist in unserem Falle die Elastizität des Lungen- gewebes und des sie einschließenden knöchern-knorpeligen Brustkorbes: durch sie kann rhythmisch unterbrochene Muskelbewegung nur in der einen Richtung genügen zur Erzielung rhythmisch-abwechselnder Erweiterung und Verengerung des Binnenraums der Lungen, indem ein Teil der Muskelenergie, aufgespeichert als elastische Spannkraft, in den Ruhepausen zwischen den einzelnen Bewegungen zur Veränderung des Lungenvolumens in der anderen Richtung bis zur Ausgangsstellung nutzbar gemacht wird: es ist so aktive Erweiterung und damit Einströmen der Luft in die Lungen, also aktive Inspiration denkbar, kombiniert mit der Wiederverengerung lediglich durch die Elastizität, also mit „passiver Exspiration“, aber auch ebensogut „aktive Exspiration“, kombiniert mit „passiver Inspiration“; in der Tat kommen auch beide Kombinationen für sich allein, wie auch zu einem vierteiligen Ganzen verbunden, vor; bei der ruhigen, normalen mensch- lichen Atmung indessen haben wir es ausschließlich mit dem erst- . genannten Falle zu tun: aktive Inspiration alternierend mit passiver Exspiration. In der Tat ist die anatomische Einrichtung des knöchern- knorpeligen Thorax eine derartige, daß die Elastizität seiner Bestandteile sowohl bei seiner aktiven Erweiterung, als auch bei seiner Kompression ge- weckt wird; bei aufrechter Körperhaltung des Menschen ist es ferner noch die Schwerkraft, welche seiner Erweiterung entgegenwirkt und ihr passive Verengerung folgen läßt; denn es sind die 12 Paar Rippen mit den ent- sprechenden 12 Brustwirbeln gelenkig verbunden und vorn durch Vermitte- lung der Rippenknorpel und deren (nur bei dem obersten Rippenpaar durch starre Verbindung ersetzten) Amphiarthrosen an das Brustbein derartig an- gefügt, daß sie in der Ruhelage nach vorn abwärts gerichtet sind; hieraus folgt, daß Erweiterung des Thorax durch die Tätigkeit rippenhebender Mus- keln zustande kommen muß, und daß bei Nachlassen derselben die Schwer- ‚dagegen im transversalen Rippenmechanik. 3 kraft passive Wiederverengerung durch die Rippensenkung bedingen wird: freilich dürfte bei Vorhandensein aller Weichteile ihre Bedeutung gegenüber derjenigen der elastischen Kräfte ziemlich verschwinden. Die Hebung und Senkung der Rippen erfolgt unter Drehung derselben gewissermaßen als Speichen je um eine Achse, welche für jede Rippe den beiden Gelenken gemeinschaftlich ist, durch welche diese mit dem betreffenden Brustwirbel be- weglich verbunden ist: der Articulatio capituli costae am Wirbelkörper und der Articulatio tuberculi costae am Querfortsatz: entsprechend der verschiedenen Richtung der Querfortsätze an den oberen und unteren Brustwirbeln verlaufen diese Achsen oben mehr frontal, unten mehr in sagittaler Richtung. Dem- entsprechend ist es bei der „Rippenhebung“ oben mehr das vordere Ende, welches nach vorn und höher rückt, unten mehr die seitliche Krümmung der Rippe, welche mit der Hebung mehr lateralwärts gedreht wird; bei der „Rippenatmung“ (s. weiter unten) i Fig. 1. erfolgt die stärkste inspira- torische Erweiterung des Thorax in seinem oberen Teile im anteroposterioren, in seinem unteren Teile Durchmesser (s. Fig.1; a oben, b unten.) Alle Rippen sind nun ferner mit dem Brustbein, wie auch untereinander direkt oder indirekt verbunden (abgesehen von den letzten zwei sog. freien Rippen) durch ihre vorderen knorpeligen Verlängerungen; diese Rippenknorpel haben unmittelbar oder nahe vor ihrem Rippenansatz eine Umkniekungs- resp. Umbiegungsstelle, von welcher ab sie, im Gegensatz zu den knöchernen Rippen selbst (außer bei der ersten Rippe) nach vorn aufwärts gerichtet sind. Es bedingt diese, wie wir bald sehen werden, für das Ver- ständnis der Wirkungsweise der Musculi intercartilaginei wichtige Anordnung ein: Vorwärtsstoßen des Brustbeines zugleich mit Torsion der Rippenknorpel als notwendige Begleitung jeder Rippenhebung. Auch eine die angestrengte Rippenatmung angeblich begleitende Streckung der Wirbelsäule soll zur Erweiterung des Thoraxraumes beitragen: analog derselben ist neuestens von D. Rothschild!) auch eine inspiratorische Geradestreckung des Brust- beins, resp. Vergrößerung des sog. „Sternalwinkels“ angegeben worden: Die Bedeu- tung des letzteren (des „Louisschen Winkels“, Angulus Ludovici), speziell seiner Verkleinerung beim sog. phthisischen Habitus, ist ja bekannt; nach W.A. Freund’) ist hier auch die Beweglichkeit der Verbindung zwischen Rippenknorpeln und Brustbein beschränkt. Die Elastizität der Rippenknorpel ist es also vorwiegend, welche auf eine aktive Erweiterung des Thorax durch die Kontraktion rippenhebender Muskeln eine passive Wiederverengerung folgen läßt, und ebenso auf eine aktive Kompression) durch die Tätigkeit rippensenkender Muskeln eine passive Wiedererweiterung. Doch auch nach unten zu besitzt der Brust- !) Berl. Klin. Wochenschr. 1903, $. 190. — *) Therapie der Gegenwart 1902, S. 26. — °) Dieselbe ist nach Volkmann (Zeitschr. f. Anat. u. Entwicklungsgesch. 2, 159) nur in geringerem Grade möglich, als die Erweiterung. 1* 4 Pleuraspalte. raum einen gewissermaßen elastischen Abschluß: Denselben bildet be- kanntlich eine wesentlich muskuläre Zwischenwand, welche gleichzeitig durch ihr Herabtreten bei der Kontraktion den Hauptanteil der inspira- torischen Erweiterung besorgt, nämlich das Zwerchfell. Dasselbe wird . emporgedrängt durch den Inhalt der Bauchhöhle, welcher, zum Teil gas- förmig, außerdem nach vorn durch die variable elastische Spannung der Baucehmuskulatur komprimiert, ein höchst elastisches Widerlager darstellt. In dem dergestalt gewissermaßen allseitig von elastischen Wandungen begrenzten Brustraume liegen nun die beiden Lungen mit ihren Außenflächen seiner Innenfläche dicht an und erweitern sich passiv mit, seinem Zuge folgend, wenn er aktiv erweitert wird. Dazu sind sie in hohem Maße befähigt durch ihren reichlichen Gehalt an elastischem Gewebe, dessen Verteilung die gleichmäßige Erweiterung aller Alveolen bei der Inspiration erlaubt. Jeder Bronchiolus oder kleinste Endast des durch die mehr oder weniger dichotomische Verzweigung der Hauptbronchien entstandenen „Bronchialbaumes“ er- weitert sich zu einem als Infundibulum bezeichneten trichterartigen Hohlraum, ° dessen Wände durch ein Netz von Querleisten in die eigentlichen Lungenbläschen oder Alveolen abgeteilt sind. Die Alveolarwände bestehen aus den Gefäßendothelien der äußerst dicht- und engmaschigen Lungenkapillaren, den dazwischen ausgespannten Lungenepithelzellen und endlich typischen elastischen Fasern, während das Vor- kommen sonstiger Bindesubstanzen auf die Bronchialwände beschränkt ist (über die Bronchialmuskulatur s. weiter unten). Angeblich schon normal finden sich in den Scheidewänden zwischen den einzelnen Alveolen desselben Infundibulums Kommunikationsöffnungen, welche beim echtem rarefizierendem Emphysem sich bis zu völligem Schwunde der Scheidewände vergrößern können. Durch die mediane Doppelwand des Mediastinums und die zwischen seinen beiden Blättern gelegenen Organe (Herz und sog. große Gefäße im vorderen, Ösophagus, Aorta desc. und Vena cava inf. im hinteren Mediastinal- raum) ist der Hohlraum des Thorax in zwei Hälften geteilt, deren jede mit dem parietalen Serosablatt — Pleura costalis, diaphragmatica und media- stinalis — völlig ausgekleidet ist. Dieser Auskleidung liegt das die Lunge überziehende viscerale Serosablatt — Pleura pulmonalis —, wie schon an- gedeutet, dicht an, derart, daß zwischen beiden nur eine capilläre, wenig seröse Flüssigkeit enthaltende Spalte — die „Pleuraspalte* — liegt, wie dies übrigens im Normalzustande für alle mit Unrecht so genannten „serösen Höhlen“ !) gilt, welche sich von den gewöhnlichen Lymphräumen oder Gewebs- spalten nicht prinzipiell unterscheiden. Erst wenn die Pleuraspalte durch eine bis zu ihr reichende Kontinuitätstrennung der Thoraxwand — „pene- trierende Brustwunde* — mit ‚der Außenluft in Kommunikation gesetzt wird, wird aus der Pleuraspalte eine (nicht mehr von einem Organ erfüllte) Pleurahöhle, indem Luft von außen eindringt: „Pneumothorax“. Dabei fällt die Lunge zusammen („kollabiert“), indem die in ihr enthaltene Luft (wenn auch nicht gänzlich, s. weiter unten) durch die Atemwege entweicht, und folgt fortan nicht mehr dem ‚Zuge des durch die Inspirationsmuskeln erweiterten Thorax, auch wenn die hergestellte Öffnung verschlossen Y) Die’ „Höhle“ ist eben nicht hohl, sondern mit Organen (Brust-, Bauchein- geweide usw.) völlig angefüllt. Bl a N a = a mn . a u . eis u ee ee Dondersscher Versuch. 5 wird !). Dieses am Lebenden wie an der Leiche in gleicher Weise vorhandene Verhalten ist nur dadurch erklärlich, daß die Elastizität der Lunge bereits in der Ruhestellung des Thorax in Anspruch genommen, ihr Vo- lumen dauernd ein größeres ist, als sie es im herausgenommenen Zustande besitzen würde, ihre Wandung dauernd gedehnt, die elastischen Fasern in ihrem Gewebe dauernd gespannt sind. Da nun auf der Außenfläche des Thorax, wie auch, durch Vermittelung der offen- stehenden Atemwege, auf der Innenfläche sämtlicher Alveolen, zunächst Ruhestellung vorausgesetzt, der volle atmosphärische Luftdruck lastet, so muß in der capillären Pleuraspalte der Druck kleiner sein als der äußere Luftdruck, um einen Betrag, welcher, in Gewichtseinheiten auf die Flächeneinheit (g oder kg pro qem) ausgedrückt, ein genaues Maß der elastischen Spannung bildet, welcher die Lungenwandung unterliegt. Man hat diese Druckdifferenz weniger passend als „negativen Druck“ im Thorax bezeichnet (das „negative“ liegt unterhalb der Nullinie, aber nicht unterhalb eines positiven Wertes, wie ihn der Luftdruck darstellt); man kann sie an der Leiche messen, indem man in die Trachea luftdicht („endständig“) ein nicht zu weites Quecksilbermanometer einbindet und dann beide Brust- hälften eröffnet. Die freiwerdende elastische Spannkraft der kollabierenden Lungen komprimiert die in ihrem Innern enthaltene Luft, und es steigt das Manometer in dem abgekehrten, offenen Schenkel um einen der vorher be- stehenden elastischen Spannung entsprechenden Betrag, welcher somit auch der zuvor in der Pleuraspalte bestehenden Druckdifferenz gegen den atmo- sphärischen Luftdruck gleich ist: sog. Dondersscher Versuch 2), oft wieder- holt (Hutchinson, Harless u. a.); an der menschlichen Leiche erhielt Donders so den Mittelwert für die Normalstellung von 6mm Quecksilber- ‚säule, Hutchinson von 13,5 mm); natürlich verändert sich dieser Wert mit den Atembewegungen, wie unten ausführlicher erörtert wird. Auch am Lebenden der Messung zugänglich ist die in Rede stehende Druckdifferenz bei direktem Verfahren, d. h. Verbindung des Manometers mit der Pleura- spalte unter möglichster Vermeidung des Luftzutritts. Dieser Versuch ist mehrfach am (kranken und gesunden!) Menschen durch Aron) angestellt worden und ergab im Mittel 4!/;, mm Quecksilber; schon früher war durch Schreiber), Luciani®) und Rosenthal”), in der Voraussetzung, daß die Druckdifferenz im Mediastinalraum die gleiche sei, wie in der Pleuraspalte, eine unter Luftabschluß mit einem Manometer verbundene Schlundsonde in den Ösophagus eingeführt worden, wodurch man Werte bis zu 4/,mm beim Menschen und 3mm beim Kaninchen erhielt; auch Adamkiewicz und Jacobson®), welche durch eine mit Einstichtroicart und Hahn armierte Sonde das Manometer‘ mit dem Herzbeutelinnern verbanden, erhielten so 3 bis 5mm beim Kaninchen. ) Daher hat beiderseits penetrierende Verwundung (Brustschüsse u. a.) mit dem eintretenden doppelseitigen Pneumothorax sofortigen Erstickungstod zur Folge. — *) Zeitschr. f. ration. Med., N. F., 3, 287. — °) Zitiert nach Rosenthal in Hermanns Handbuch :4, Abteil. 2, 8. 225. — *) Arch. f. pathol. Anat. 126, 517, 1891; 160, 564, 1900. — °) Arch. f. experim. Pathol. 10, 19, 1878. — 6) Archivio per le scienze mediche 2, 177, 1878. — 7) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1880, Suppl.-Bd., S. 34. — ®) Centralbl. f. d..med. Wiss. 1873, S. 483. 6 Anektasie. — Fötallunge. Der Unterschied zwischen den nach beiden Methoden beim Menschen er- haltenen Werten ist unbefriedigend (Hermann) und unklar; er würde für einen dauernden Kompressionszustand in der ruhigen Exspirationsstellung sprechen, gegen- über dem beim Kaninchen meist angenommenen Tonus der Inspiratoren (s. unten); doch wahrscheinlich handelt es sich um Fehlerquellen, vor allem bei der direkten Methode um die Wirkung des „schädlichen Raumes“ ; bei möglichster Vermeidung desselben erhielten in der Tat Einthoven und van den Brugh!) 80 mm Wasser — etwa 6mm Quecksilber, wie im Dondersschen Versuch. Beim Fötus und beim Neugeborenen füllen die Lungen die Thoraxhöhlen auch nach Einstich in die Pleuraspalten vollständig aus und es ist keine Druckdifferenz bei Anstellung des Dondersschen Versuchs zu beobachten; dieselbe stellt sich erst mit zunehmendem Wachstum ein, wahrscheinlich indem der Thorax schneller wächst als die Lungen und so allmählich deren Elastizität auch in der Ruhestellung in Anspruch zu nehmen beginnt [Hermann] ?); die Lunge des Fötus oder Totgeborenen ist luft- leer [anektatisch oder „atelektatisch“]), wogegen vom ersten Tage an sie lufthaltig bleibt („Lungenprobe“ der Gerichtsärzte: Die -lufthaltige Lunge schwimmt auf Wasser, die anektatische sinkt unter), nachdem einmal der Widerstand überwunden ist, welchen die Adhäsion der Alveolar- und Bron- chiolenwände in der luftleeren Lunge bildet; der letztere zeigt sich darin, daß zur Aufblasung der anektatischen Lunge ein viel größerer Druck nötig ist, als bei der lufthaltigen [Hermann und Keller]2). Auch die kolla- bierte Lunge des Erwachsenen bleibt lufthaltig („Minimalluftgehalt“, siehe später) und läßt sich durch bloße Kompression nicht anektatisch machen, wahrscheinlich weil zuerst die Bronchioli an ihrer engsten Stelle (Übergang ins Infundibulum) völlig zusammengedrückt werden und so der Alveolarluft den Ausgang versperren. Um die Lunge „künstlich anektatisch“ zu machen, muß man ihren Inhalt durch Kohlensäure ersetzen, welche bald durch Wasser, in welches man die Lunge eintaucht, völlig resorbiert wird (Hermann und Keller). Dasselbe geschieht seitens der Gewebeflüssigkeit, wenn man bei einem Tiere Pneumothorax macht und die Brustwunde offen hält; auch hier wird die Lunge nach 8 bis 10 Stunden völlig anektatisch. Verschließt man hingegen die Brust- wunde (am günstigsten auf der Höhe einer Exspiration, Langendorff und Cohn‘), so wird umgekehrt mit der Zeit die Luft aus der Pleurahöhle resorbiert und es stellt sich allmählich der normale Zustand wieder her. Beschleunigen kann man diese Heilung des Pneumothorax durch Einsetzen eines nach außen schlagenden Ventils [beim Tier, Northrup]?’) oder Aussaugen vor dem Schließen der Wunde. Die Veranlassung zu den Versuchen von Hermann und Keller hatte eine Arbeit von Bernstein°) gebildet, welcher fand, daß nach künstlicher Aufblasung' der Fötallunge der Donderssche Versuch alsbald 6 bis 7mm Quecksilber Druck- differenz gab und, entgegen den Tatsachen, den ersten Atemzug für die Ursache einer sofort vorhandenen vollen Druckdifferenz wie beim Erwachsenen ansah. Dem Anfänger wird das Anhaften der Lunge an der Innenfläche des Thorax am klarsten durch den Vergleich mit den Haftplatten der Insektenfüße, den !) Onderzoekingen Physiol. Labor. Leiden, II/II, p. 1, 1898. — ?) Pflügers Arch. 20, 365, 1879. — °) Falsch gebildeter Ausdruck, der mindestens „telanekta- tisch“ heißen müßte, „mit nicht erweiterten Endigungen“; @reAng heißt steuerfrei, vgl. das richtig gebildete „Philatelie“-Briefmarkenliebhaberei. — *) Pflügers Arch. 37, 209, 1885. — °) Researches Loomis Labor., New York, 1890, 8. 53. — °) Pflügers Arch. 17, 617, 1878; siehe auch die darauffolgende Polemik zwischen ihm und Hermann: ebenda 28, 229, 1882; 30, 276, 1883; 34, 362, 1884; 35, 26, 1885. u 1 a Pr Ten, aa de a al > Lan’ A Ann Die. aa ann m. u Inspirationsmuskeln. 1’ bekannten, durch eine Gummischeibe an jeder Spiegelglasplatte haftenden Wand- leuchtern u. a.; man redet ja auch geradezu von der, durch die Inspiration ver- stärkten (s. u.) Ansaugung oder „Aspiration des Thorax“. : Um Tierversuche mit Eröffnung der Pleurahöhlen vornehmen zu können, ebenso zum Ersatz der durch Curare gelähmten natürlichen Atembewe- gungen verwendet die physiologische Methodik die „künstliche Atmung“ in Gestalt rhythmischer Einblasungen durch einen passenden Blasebalg, welcher meist durch eine Trachealkanüle mit den Atemwegen in Verbindung gebracht wird; auf die Geschichte und die technischen Einzelheiten der künstlichen Atmung kann hier nicht näher eingegangen werden. Neuestens ist nicht nur für Tierversuche, sondern besonders auch für chirur- gische Eingriffe am Menschen, welche die Eröffnung der Pleurahöhlen nötig machen („Thorakotomie“), vorgeschlagen, entweder den Körper mit der er- öffneten Brusthöhle sowie den operierenden Personen innerhalb einer abgeschlossenen Kammer unter geringeren Druck zu versetzen, während der Kopf außerhalb bleibt und die Außenluft unter Normaldruck in die Lunge dringt, — oder aber umgekehrt, nur den Kopf in einen Hohlraum einzuschließen, welcher unter Überdruck ventiliert wird, während der Körper und die Opera- teure unter Normaldruck stehen (Mikulicz und Sauerbruch'), Petersen und Brauer?): in der Tat setzt hierbei das Tier bzw. der Mensch seine Atem- bewegungen in normaler Weise fort, was natürlich dem Verfahren der künstlichen Einblasungen weit vorzuziehen ist. Geschichtliches. Die äußere Erscheinungsweise der Atembewegungen, sowie die muskuläre Kontraktilität des Zwerchfells ist zwar bereits Galen bekannt ge- wesen und Borelli®) beschreibt die passive Rolle der Lunge bei den Atembewe- gungen sehr deutlich, indessen behaupteten noch nach diesem viele Physiologen, so ‚Hampberger, steif und fest, daß im Pleuraraum Luft enthalten sei und daß die Lunge sich aktiv kontrahiere. Diese Irrtümer beseitigt Haller‘), indem er am lebenden Tier in den Intercostalräumen die Pleura costalis, ohne sie im geringsten zu verletzen, von den darüberliegenden Weichteilen so vollständig befreite, daß die Lunge- durchschimmerte, und bewies, daß sie, weil elastisch, sich bei der Einatmung passiv erweitere, indem sie dem Zuge des Thorax und des von ihm sehr genau be- schriebenen Zwerchfells?) folge. III. Die Atembewegungen, ihre Begleit- und Folgeerscheinungen. 1. Die Atemmuskeln. A. Einatmungs- oder Inspirationsmuskeln. Der normale Hauptfaktor der aktiven Inspiration ist das Zwerchfell. Dasselbe bildet eine, den Brustraum nach unten gegen die Bauchhöhle abschließende und von dieser trennende [daher der Name Zwerch- (gleich Quer-)fell oder Diaphragma] Wand, an deren sehnigem Mittelteil — Centrum ten- dineum — die Muskelfasern sich ansetzen, welche ringsherum von den unteren Teilen der knöchernen Thoraxwand derart entspringen, daß man einen Vertebral- oder Lumbalteil (von den obersten Lendenwirbeln), jederseits einen Costalteil, sowie vorn den Sternalteil unterscheidet. Durch die Druck- differenz in den Pleuraspalten, resp. die Lungenelastizität einerseits, sowie durch den Binnendruck der Unterleibsorgane und den Tonus der’ Bauch- !) Centralbl. £. Chirurgie 1904, Nr. 6; Deutsche medizin. Wochenschr: 1904, Nr. 15, 8. 530. — ?) Zeitschr. f. physiol. Chemie 41, Nr. 4, 1904. — °) De motu animalium. — *) De respiratione experimenta anatomica, P. I u. II, Göttingen, 1746 u. 1747. — °?) De Diaphragmate, Göttingen, 1741. 8 Zwerchfellatmung. muskulatur wird nun das schlaffe Zwerchfell in seiner (exspiratorischen) Ruhestellung dermaßen kuppelförmig in den Thorax hinaufgesogen bzw. gedrängt, daß seine Muskelfasern zu einem großen Teile vertikal aufsteigen und dann ziemlich plötzlich mit scharfer Krümmung horizontal umbiegen, um das sehnige Zentrum zu erreichen. Es liegt somit ringsherum an der Brustwand die mit der Pleura diaphragmatica überzogene Ober- resp. Außen- fläche des Zwerchfells der mit der Pleura costalis überzogenen Thoraxinnenfläche capillar an (Fig. 2, 2.). Bei jeder Inspiration nun ziehen sich die sämtlichen Muskelfasern des Zwerchfells zusammen (in Gestalt eines kurzen oder längeren Fig. 2. „Tetanus“ — siehe die allgemeine - Muskelphysiologie —, niemals in 5 Einzelzuckungen!), und indem zu- nächst das Centrum tendineum so gut wie die untere knöcherne Brust- wand fixiert bleibt (näheres siehe weiter unten), müssen sie aus der b gekrümmten resp. geknickten in eine mehr geradlinig gestreckte Lage und mit ihren unteren Teilen aus der vertikalen in eine Schrägstellung übergehen, so daß sich ihre pleura- bedeckte Außenfläcke von der Thoraxinnenfläche, von oben nach unten fortschreitend, abhebt. Aus dem capillaren Spaltraum wird so ein ringförmiger Raum von keilförmigem (dreieckigem) Querschnitt — der sogenannte komplementäre Pleura- raum, in welchen alsbald die Lunge mit ihrem unteren Rande hinabsteigend einrückt, um ihn völlig auszufüllen; das gesamte Zwerchfell geht aus der Kuppelform mehr in die Gestalt eines abgestumpften Kegels (das Centrum tendineum als obere Fläche angesehen) über (Fig. 2, b.). Die Lunge erweitert sich dabei in allen ihren Teilen gleichmäßig, was deutlich erkannt werden kann, wenn man in einem obersten und einem untersten Intercostalraum die Weichteile bis auf die Pleura abräumt und die durchschimmernde Lunge be- obachtet (Hallers Versuch, siehe oben das Historische). Man erkennt an ihren Pigmentflecken überall das Auf- und Abgehen der Lungenoberflächen- teile, natürlich unten am ausgiebigsten und oben am geringsten. Aus letzterem Grunde erklärte sich die Bevorzugung der Lungenspitze in bezug auf pleuritische Adhäsionen, ebenso, wie die leichte Primäraffektion der- selben bei Erkrankungen — Spitzenkatarrhe, tuberkulöse Spitzeninfiltration — außer durch die relative Anämie sicher auch durch die etwas mangelhaftere Ventilation erklärt wird; umgekehrt erweitern sich zuerst und am kräftigsten die Alveolen des unteren Lungenrandes, weswegen das FERESR STEHE bei mechanischer usw. Atem- behinderung stets hier beginnt. Jedenfalls befindet sich aber nicht etwa die Lunge dauernd, also im exspira- torischen Ruhezustande, im kollabierten Zustande innerhalb des „komplementären Pleuraraumes“, sondern steigt erst bei der Einatmung in ihn hinab. Mißverständnisse dieser einfachen Sache sind nämlich vorgekommen ! Dem inspiratorischen Tiefertreten des Zwerchfells und der stärkeren Dehnung der Lunge entspricht natürlich, wie unten quantitativ des näheren erörtert wird, eine Vermehrung der Druckdifferenz in der Pleura- ua Tee re nd le 0 nz Hilfsmuskeln der Inspiration. 9 spalte gegenüber dem äußeren Luftdruck, eine vergrößerte „Aspiration des Thorax“; da nun die Lunge Zeit braucht, um mit ihrem unteren Rande in den komplementären Pleuraraum einzurücken, wird sich insbesondere bei mageren Individuen die Aspiration, resp. der äußere Luftdruck an den Inter- costalräumen darin äußern, daß hier die Weichteile eingedrückt resp. -gezogen werden, dort, wo immer die Abhebungsstelle der Zwerchfellfasern ist. Dem entsprechend, daß diese bei ruhiger Atmung nur wenig hinauf- und hinab- rückt, findet sich bei mageren Individuen, atrophischen Kindern u. a., rings um den Thorax dauernd eine dem mittleren Zwerchfellstande entsprechende Furche, die Linea diaphragmatica der klinischen Diagnostik; bei tiefem Atemholen geht diese Furche, wie ein Wellental, gefolgt von einem Wellen- berg, über die Intercostalräume abwärts und aufwärts, was man in Gestalt ‘eines ab- und aufwärts wandernden Schattens sichtbar machen kann, wenn man die Versuchsperson passend lagert, so daß das Licht den Thorax (in Seitenlage) unter einem sehr spitzen Winkel trifft: Phänomen von Litten!). Vortrefflich beobachten läßt sich in neuester Zeit die Zwerch- fellbewegung bei der Körperdurchleuchtung vermittelst der Röntgen- strahlen. Diese Untersuchungsmethode lieferte auch einen neuen Beweis dafür, daß bei der normalen ruhigen Atmung das Centrum tendineum dia- phragmatis wesentlich fixiert bleibt (Fig. 2, a’); es senkt sich höchstens um lem, bei tiefem Atemholen dagegen um mehrere Üentimeter. An Tieren läßt sich das Gleiche durch eine von der Vena jugularis aus in die Vena cava bis zum Zwerchfell (foramen pro vena cava) vorgeschobene Sonde zeigen, welche nur bei Dyspnoe mitbewegt wird [Starling]?). Außer dem Zwerchfell sind als Inspirationsmuskeln noch eine ganze Reihe anderer Muskeln genannt worden, welche neuestens R. du Bois- Reymond in vier Gruppen teilen will?): Erstens solche, welche schon bei der ruhigen normalen Atmung mittätig sind, welche also zusammen mit dem Zwerchfell eine erste Hauptklasse bilden würden. R. du Bois-Reymond nennt hier die Intercostalmuskeln, von welchen weiter unten besonders die Rede sein soll, während die manchmal hier mitgenannten Mm. levatores costarum longi et breves nach neueren Untersuchungen überhaupt nicht die Rippen heben, sondern zum Muskelsystem der Wirbelsäule gehören, zusammen mit den auch oft bei der Atemmuskulatur genannten Teilen des M. ilio- costalis. Schon bei normaler ruhiger Atmung, sofern costaler Atemtypus vorwiegt, wie beim weiblichen Geschlecht, scheinen mir indessen die Mm. Scaleni als echte Rippenheber (der oberen Rippen) beteiligt; jedenfalls ge- hören sie mindestens zu der ersten Gruppe der zweiten Hauptklasse der Atemmuskeln, nämlich denjenigen, welche bei erschwerter Atmung in Tätig- keit treten; diese erste Gruppe (die zweite von du Bois-Reymond) bilden solche, welche den Thorax aktiv durch Rippenhebung erweitern, zu ihnen gehören noch der Serratus posticus superior und (bei fixiertem Kopf) der Sternocleidomastoideus. Die nächste Gruppe (zweite der inspiratorischen Hilfsmuskeln, dritte von R. du Bois-Reymond) entlastet den an der Atmung behinderten Thorax von dem Druck der oberen Extremität; es sind dies die !) Deutsche medizin. Wochenschr. 1892, Nr. 13. — ?) Schäfers Textbook of Physiol. 2, 276, London 1900. — *) Ergebnisse der Physiologie, herausgeg. von Asher und Spiro, 1. Jahrg., 2, 387 ff., 1902. 10 Aktive Exspiration. Mm. trapezius, rhomboides (maior et minor) und levator anguli scapulae. Die letzte Gruppe endlich vermag, wenn ihre Ursprungsstellen am Schulter- gürtel durch Muskeln der vorhergehenden Gruppe fixiert sind, resp. bei auf die Unterlage aufgestützten Armen — „Orthopnoe* als äußerster Zustand an- gestrengter Atmung — den Thorax zu erweitern; es sind dies die Mm. Ser- ratus anticus maior, Pectorales maior et minor. B. Die Schulphysiologie lehrt, daß die Ausatmung beim ruhigen Atmen des Menschen und der Säugetiere rein passiv durch die Elastizität des Thorax und der Lunge erfolge. Dem gegenüber haben schon Henke!) und Donders?) darauf hingewiesen, daß die elastischen Kräfte des Thorax in der Ruhestellung denjenigen der Lunge entgegengesetzt sind, indem sie Inspirationsstellung (Erweiterung der Lunge!) herbeizuführen trachten, wäh- rend die Lunge auf Exspirationsstellung (Verengerung!) tendiert. Dies er- leichtert die Inspiration in ihrem Anfange, erschwert dagegen die Exspiration gegen ihr Ende, so daß hier Muskeln aktiv einwirken müßten. Andererseits wird letzteres um so mehr überflüssig, je mehr die exspiratorische Ruhe- stellung des Thorax von seiner Gleichgewichtslage bei der Leiche — Kadaver- stellung — im Sinne der Inspiration abweicht, durch einen dauernden Tonus der Inspiratoren (wie er von Gad beim Kaninchen behauptet wird). Jeden- falls ist die Frage nicht mit einem Worte zu entscheiden, da, wie man sieht, Fragen der Innervation hineinspielen, welche erst später zu erörtern sind, und jedenfalls bei verschiedenen Tierarten die Beteiligung der „aktiven Exspiration“ an der ruhigen Atmung sehr verschie- den ist. Treves®) hat nachgewiesen, daß bei experimenteller Behinderung der Inspiration durch Ventile beim Menschen die mit jedem Atemzug geatmete Luftmenge die gleiche bleibt, was nur durch kompensierendes Eintreten aktiver Exspiration denkbar ist. Man hat als Träger dieser „normalen aktiven Exspiration“ die Inter- costales interni bezeichnet (s. unten); viel wichtiger ist die beim Blasen, Stimmgeben — Sprechen, Schreien, Singen —, bei den Reflexen des Hustens, Niesens usw. (s. unten) grundlegende kräftige aktiveExspi- ration, deren Faktoren die äußeren Bauchmuskeln sind, besonders die Mm. recti und obliqui abdominis (externus et internus), doch soll auch der Transversus abdominus indirekt dabei beteiligt sein: sie nähern den Rippen- ‘bogen der Symphyse, ziehen also die Rippen herab und verengern schon da- durch den Thoraxraum; indem sie aber ferner auf den Bauchinhalt drücken, drücken sie durch dessen Vermittelung das Zwerchfell nach oben, so daß es sich stärker wölbt und von unten her den Thoraxraum verkleinert. Gleich- zeitige Kontraktion des Zwerchfells und der Bauchmuskeln wird dagegen zur Kompression des Bauchinhaltes dienen: „Bauchpresse*“; „Pressen“, „Drängen“ bei der Defäkation, beim Geburtsakt usw. Auch der Quadratus lumborum kann mitwirken bei der Verengerung der Bauchhöhle; zur Verengerung der Brusthöhlen noch der M. serratus posticus inferior, M. latissimus dorsi und endlich triangularis sterni. ") Handbuch der Anat. und Mechanik der Gelenke, Leipzig 1863, 8. 86 (nach R. du Bois-Reymond). — ?°) Physiologie des Menschen, deutsch von Theike, 1, 391, Leipzig 1856 (nach du Bois-Reymond). — °) Arch. italiennes de biol. 31, 130. he: a a a a PER" a cc Dei LTE, Ba lu de, ala > Du, 0) [10 2 2 nur Wirkungsweise der Intercostalmuskeln. 11 C. Bis auf den heutigen Tag viel umstritten ist die Funktion der Intercostalmuskeln. Ausführlichere Literaturberichte hierüber geben Rud. Fick!) und R. du Bois-Reymond?°). Es sei als anatomische Grundlage hier vor allem betont, daß der Hauptanteil der Außenschicht zwischen den nach vorn abfallenden knöchernen Rippen in der Richtung von hinten oben nach vorn unten verläuft; diese „Intercostales externi“ sind zwischen den nach vorn aufsteigenden Rippenknorpeln durch das Ligamentum coruscans ersetzt; dagegen liegt hier unter diesem der Hauptanteil der Innenschicht, die von vorn oben nach hinten unten verlaufenden „Intercartilaginei“; die ebenso verlaufenden Intercostales interni zwischen den knöchernen Rippen reichen nicht sonderlich weit nach hinten. Man hat nun nach dem Vorgang von Bayle und Hamberger Wirbelsäule w und Brustbein st durch zwei Vertikalen, von denen w fixiert gedacht ist, und die Rippen cs und ei durch die beiden Schrägen des beweglich gedachten Parallelogramms (Fig. 3a) dar- gestellt. Es ist klar, daß Verkürzung der dem Verlauf der Intercostales externi entsprechenden geraden Linie e [welche an einem hölzernen Modell durch einen Gummifaden oder tetanisierbaren Froschmuskel (Fick und Gad) dargestellt werden kann] zur Hebung von st bei fixierter w führen muß, in- dem diese Verkürzung nur mit einer Geradestreckung des Parallelogramms möglich ist; umgekehrt muß Verkürzung einerdem Verlauf der Intercostales interni ent- sprechenden Geraden (resp. eines so.angeordneten Fadens oder Froschmuskels) zur Sen- kung von st führen. Nun gehen ja aber (Fig. 3b) die Rippen es und ci in die aufwärts gerichteten Rippenknorpel erts und erti über, die erst an ihrem vorderen Ende durch st beweglich verbunden sind. Es ist weiterhin klar, daß gleichzeitige Verkürzung von e und der dem Verlauf der Intercartilaginei entsprechenden Geraden int. zur Streckung des Winkels zwischen Rippen und Rippenknorpel und zum Vorwärtsstoßen des Sternum st führen müssen. Die Intercartilaginei wirken zusammen mit den Intercostales externi inspiratorisch [R. du Bois-Reymond und Masoin°); Bergendal und Bergmann]®), und nur die (nicht sehr weit nach hinten reichenden) Intercostales interni exspiratorisch; doch ist die tatsächliche Beteiligung dieser Muskeln an den Atembewegungen, trotz Anerkennung der Richtigkeit obiger Darstellung, auch auf Grund anatomischer Untersuchung — noch neuerdings ganz geleugnet worden [Henle, v. Ebner’), Weidenfeld#)], und nach meiner Ansicht für die ruhige Atmung des Menschen mit Recht; wenigstens habe ich bei mehreren Beobachtungen von vollständigen Pectoralisdefekten bei mageren Individuen respiratorische Kontraktionen der Intercostalmuskeln niemals konstatieren können. Daß sie nicht dennoch bei angestrengter Atmung und bei Tieren Fig. 3. ?) Arch. f. (Anat. u.) Physiol., Suppl.-Bd., 1897, S. 43. — ?) A. a. 0. — ') Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1896, S. 85. — *) Skand. Arch. f. Physiol. 7, 178, 1897. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1880, 8. 185. — °) Sitzungsber. d. Wien. Akad. 101, 421, 1892; 103, 24, 1894; Centralbl. f. Physiol. 10, 253, 1896. 12 Atemtypen. auch normal im oben auseinandergesetzten Sinne funktionieren, soll damit nicht geleugnet werden; für gewöhnlich spielen sie wohl mehr eine passive Rolle, indem sie durch ihre tonische Kontraktion die Intercostalräume ver- steifen und vor dem Eingedrücktwerden durch den äußeren Luftdruck be- wahren, und indem sie ferner die Rippen untereinander verbinden, so daß bei Hebung der oberen (durch die Mm. scaleni) die übrigen mitgehoben werden. Historisches. Gegen die Hambergersche Lehre wandten sich seiner Zeit vor allen Boerhave und Haller mit dem Einwand, daß sie am Bänderpräparat von menschlichen Leichen keine Wirkung im Sinne derselben erhalten konnten. Man liest gewöhnlich, daß in diesem Punkte seines schon früher erwähnten lange dauernden und heftigen Streites mit Hamberger Haller Unrecht behalten habe. Andererseits entspricht, wie schon oben angedeutet, das ursprüngliche einfache Hambergersche Modell (Fig. 3a) nicht der Wirklichkeit. Konstruiert man aber ein Modell aus „Wirbelsäule“ und vielen, untereinander durch Fäden verbundenen Rippen, so brauchen dieselben kein „Brustbein“ zur Parallelaufwärtsbewegung, und man kann sie auch mit beweglichen, den Knorpeln entsprechenden Vorderteilen mit den Intercartilaginei darstellenden Fäden kombinieren und so ein einwands- freies Modell erhalten (R. du Bois-Reymond u. a.). 2. Die Veränderungen der Körpergestalt durch die Atem- bewegungen, und deren Registrierung. Atemtypen. Da die Muskelfasern des Zwerchfells von den unteren Rippen und dem Sternum nach dem Centrum tendineum zu verlaufen, so sollte man meinen, daß bei seiner inspiratorischen Kontraktion die untere Thoraxapertur verengert werden müßte. Bei eröffneter Bauchhöhle am Versuchstier ist dies in der Tat der Fall; bei normalen Verhältnissen aber drückt das Zwerchfell dabei nach unten auf den Bauchinhalt, welcher außer durch Becken und Wirbel- säule von elastischer Muskulatur allseits umschlossen ist, und, im allgemeinen als flüssig anzusehen, wie jede unter Druck gesetzte Flüssigkeit das Bestreben haben wird, die Gestalt anzunehmen, welche die kleinste Oberfläche mit dem größten Inhalt verbindet, — nämlich Kugelform. Es werden also bei jedem inspiratorischen Absteigen des Zwerchfells die Bauchdecken sich vorwölben und durch Zug an der unteren Thoraxapertur diese erweitern: man bezeichnet das als den abdominalen Atemtypus, und derselbe soll beim Menschen in ruhiger normaler Atmung dem männlichen Geschlechte zukommen, wogegen beim weiblichen Geschlechte schon in der Norm Erweiterung des Brustkastens durch Tätigkeit der Rippenheber (besonders der Scaleni) stattfindet, wobei diese Erweiterung äußerlich stärker aus- gesprochen ist (Heben des Busens) als das inspiratorische Vortreten des Ab- domens, sog. costaler Atemtypus. Natürlich müssen mechanische Hinder- nisse für die’ Zwerchfellbewegungen (Schnürleib, Schwangerschaft, Tumoren im Abdomen) das Vorwiegen der Rippenatmung verstärken; Tumoren und Ascites werden sie auch beim männlichen Geschlecht erzeugen; andererseits ist viel gestritten worden, wie weit von Natur der Atmungstypus bei beiden Geschlechtern gleich oder verschieden ist. Bei Nichteuropäern soll in der Tat der Unterschied nicht oder kaum vorhanden sein [Sewall und Pol- lard!) u. a.]. !) Journ. of Physiol. 11, 159, 1890. ß m el Sl oa ZZ UD 2 u dl Zn oLLn > ul ED nn a un Zu sn u Pneumographie. 13 4 Hutchinson!) hat die Exkursionen der Brust- und Bauchwand bei den ver- schiedenen Atemtypen in Form von Schattenrissen dargestellt, welche, wenn auf verschieden tiefe In- und Exspirationsstellungen bezogen, auch die später zu be- sprechenden spirometrischen Werte graphisch erläutern können. Indessen muß speziell für die Unterscheidung der Atemtypen berücksichtigt werden, daß Indi- vidualität, Kleidung (s. oben) und Körperlage große Verschiedenheiten bedingen werden [Hultkrantz?)]. Im Schlafe soll nach Mosso°) auch beim männlichen Geschlecht Rippenatmung überwiegen. Durch Übung gelingt es ferner, Brust- und Bauchatmung willkürlich voneinander unabhängig zu machen — Sewall und Pollard, Mosso u. a.; besondere Virtuosität hat hierin Hultkranz?) in Selbstversuchen bewiesen. Die hiermit zusammenhängende Frage nach dem Grade der Unabhängigkeit resp. Koordination der Zwerchfell- und Rippenbewegung wird bei der Innervation unten noch zur Sprache kommen. . Messungen des Brustumfanges, resp. der verschiedenen Durch- messer des Thorax in den verschiedenen Atemphasen sind schon sehr früh- zeitig ausgeführt worden, da sie auf das Lungenvolumen und seine Ver- änderungen bei der Respiration gewisse Rückschlüsse gestatten. ‘ So ist bei der Prüfung zur Militärdiensttauglichkeit die Messung des Brust- umfanges in Mamillarhöhe bei Ruhestellung und bei höchster Inspirationsstellung üblich. Die dazu dienenden einfachen Vorrichtungen — Bandmaß, Tasterzirkel, Sibbsons Thorakometer — bedürfen kaum der Erwähnung. Auch können mit den einfachsten Mitteln — Fühlhebel od. ähnl. — die Exkursionen einzelner Punkte der Körperoberfläche bei den Atembewegungen graphisch registriert werden: Vierordt und G. Ludwig), Riegel’) (Doppelstethograph) u. v. a. Weitergehende Rückschlüsse nicht nur auf die Exkursionen einzelner Punkte und die Frequenz, sondern auch auf die Tiefe und den zeitlichen Verlauf der einzelnen Atemzüge hat man machen zu können geglaubt bei der Anwendung von Apparaten, welche die Durch- messer- oder Umfangsänderungen der unteren Thoraxapertur oder der Öberbauchgegend registrieren, meistens mit Hilfe hohler elastischer Organe. Als solche ist direkt eine Mareysche (Aufnahme-) Kapsel benutzt worden [etwa an einem Tasterzirkel befestigt [P. Bert®)], oder in einem beweglichen Rahmen [recording Stethometer von Burdon Sanderson?)]}, oder auch ein anderes Hohlorgan, am einfachsten eine flache Flasche aus Weichgummi, welche vermittelst Lederriemen um die Oberbauch- gegend geschnallt und durch Schlauch mit der Mareyschen Schreibkapsel verbunden wird (Knoll). Alle diese Vorrichtungen ergeben Kurven, deren aufsteigender Schenkel die Inspiration, deren absteigender Schenkel die Exspi- ration darstellt (vgl. Fig. 6, obere Kurve, auf S. 17). Dagegen gibt der durch Bert modifizierte Pneumograph von Marey°), dessen Hohlorgan aus einem Metalleylinder mit zwei Gummi-Endmembranen besteht, an welchen der Leibriemen angreift, dessen Volumen also bei der Inspiration durch die . Artikel Thorax in Todds Cyclopaedia, 8. 1080 ff. — °) Skandinav. Arch. 2. Physiol. 3, 70, 1891. — °) Atti r. Accad. Torino 1897; Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1878, 8. 463. — *) Arch. £. physiol. Heilkunde 14, 253, 1855. — °) Die Atembewegungen. Würzburg 1873. — °) Arch. de physiol. 2, 178, 1869. — ’) Hand- book for the physiol. Laboratory, 8. 291, Taf. 94. — °) Marey, Du Mouvement dans les fonctions de la vie, Paris 1868; La Methode graphique, ebenda 1873; Bert a.a. O0. 14 Frequenz, Tiefe und Verlauf der Atemzüge. \ Drehung der Membranen vergrößert wird, natürlich Kurven, bei denen der absteigende. Schenkel die Inspiration anzeigt. Sichere Kenntnis der Tiefe und des zeitlichen Verlaufs der „Atemzüge*, im Sinne der Volumänderungen der Lungen als Re- sultierenden der Atembewegungen, können solche Vorrichtungen in- dessen keineswegs vermitteln, indem einmal Vorwölbung des Abdomens gleichzeitig mit exspiratorischer Thoraxkompression denkbar ist, und um- gekehrt !), ferner aber allgemeine Körperbewegungen (asphyktische Krämpfe od. ähnl.) die Registrierung so stören, daß sie völlig. unbrauchbar wird. Sicherere Ergebnisse, insofern sie wenigstens die Kontraktionen des Haupt- inspirationsmuskels, nämlich des Zwerchfells, treu registrieren, geben die Phrenographen, wie sie besonders Rosenthal konstruiert hat?); sie sind aber, wegen der zu ihrer Applikation nötigen Bauchwunde, nur im Tier- versuch zu brauchen. 3. Frequenz, Tiefe und zeitlicher Verlauf der Atemzüge. Schwankungen des Lungenvolumens und Spirometrie, Einfache Beobachtung wie auch Registrierung der Atembewegungen mit den soeben aufgezählten einfachen Mitteln gibt Aufschluß: 1. über die Fre- quenz der „Atemzüge“ (wie man die Kombination einer einmaligen In- und Exspiration nennt); sie kann beim erwachsenen Menschen im Mittel zu 17 (15 bis 20) in der Minute angenommen werden; sie ist ab- hängig vom Wachen oder Schlafen — im Schlafe etwas verringert —, Körperlage — im Liegen geringer als im Sitzen und Stehen —, Muskelarbeit, Temperatur, ferner willkürlich veränderbar. Die Besprechung des Mechanis- mus dieser Dinge gehört in das Kapitel der Innervation; endlich ist sie ebenso wie die Pulsfrequenz abhängig von der Körperlänge; man rechnet durchschnittlich einen Atemzug auf vier bis fünf Pulse. Bei Kindern ist die Atmung frequenter als bei Erwachsenen und bei kleinen Tier- arten frequenter als bei großen (sehr häufige Atembewegungen kleiner Nagetiere). Außerdem zeigen die in Rede stehenden Methoden die Unterschiede an Ergiebigkeit der Atembewegungen, insofern bei jedem Atemzug die Kon- traktionsgröße der, dabei beteiligten Muskeln (Zwerchfell usw.), dementsprechend die Exkursion der Bauch- und Brustwand, und demzufolge die Größe der Volumänderung von Brustraum und Lunge eine verschiedene sein kann. Man faßt dies als „Tiefe* des Atemzuges zusammen. Endlich erkennt man unschwer als Merkmale des zeitlichen Verlaufs der normalen Atemzüge, daß die Inspirationsbewegung rasch erfolgt und von kurzer Dauer ist, — normal nicht in die Länge gezogen mit einem tetanischen „Plateau“ der Kurve oder sog. inspiratorischen Pause, vgl. dagegen die unten zu schildern- den Folgen der Vagusdurchschneidung —, daß sie vielmehr plötzlich unterbrochen wird durch die Exspirationsbewegung, welche an- !) Von Sewall und Pollard (a. a. O.) tatsächlich durchgeführt, speziell zur Erzeugung tiefer (Brust-) und hoher (Kopf-) Töne. — ?*) Die Atembewegungen und ihre Beziehungen zum N. Vagus, 8. 50; vereinfachte Form in Hermanns Handbuch 4, 2. Hälfte, 275, 1882. > a 8 | N RER ANERENE DREN kr “ A I Zu sie Zn EZ a ZU Bil un ar un un ı 7 ar rn er Spirometrie. 15 fangs ebenfalls rasch erfolgt, dann aber immer langsamer wird und schließlich mehr oder weniger unmerklich geworden ist, wenn die nächste Inspiration einsetzt: relative oder absolute exspiratorische Atempause (siehe Fig. 6). Indessen kann solche Beobachtung oder Registrierung einzelner Faktoren keinerlei sicheren Aufschluß erteilen hinsichtlich der quantitativen Werte, bzw. deren zeitlichen Ve ränderungen für die Gesamtresultierende der Atembewegungen — und als solche erscheint uns doch nach der am Anfang dieses Abschnittes gegebenen Definition die Volumveränderung der Lungen. Die Feststellung der jeweiligen Größe dieser Volumverände- rung ist nun am Lebenden ohne weiteres möglich durch luftdichte Verbindung der Luftwege mit einem. kalibrierten Gaso- Fig. 4. meter, welches in bezug auf diese Verwendung als Spirometer bezeichnet wird, und die Messung der Lungenvolumänderung als Spi- rometrie; diese Namen stammen von Hut- ehinson!), welcher zuerst für diesen Zweck ein einfaches Glockengasometer mit Rolle und Gegengewicht empfahl (eine im verkleinerten Maßstabe demjenigen der Gasbereitungs- anstalten entsprechende Konstruktion); solche Spirometer sind mit unwesentlicher Modifi- kation von Wintrich2), Panum?) und vielen anderen benutzt worden (siehe nebenstehende halbschematische Fig. 4). Der Hutchinson- sche Grundversuch besteht darin, daß man so tief als möglich einatmet und dann bei geschlossener Nase und luftdicht ange- paßtem Mundstück soweit wie irgend möglich in das Spirometer hinein aus- atmet. Das hiernach abgelesene Luftvolumen, entsprechend der Volumendifferenz zwischen äußerster In- und äußerster Exspirationsstellung wird als „Vitalkapazität“ bezeichnet. Ihr Mittelwert beträgt für erwachsene kräftige Männer nach Hutchinson!) und Arnold) 3770 cem. Er ist selbstverständlich starken Schwankungen unterworfen, beim weiblichen Geschlecht kleiner, bei Völkern von geringerer mittlerer Körper- größe desgleichen (obiger Wert paßt eher auf Engländer und Norddeutsche, als auf Franzosen, Italiener oder gar Japaner); bei Individuen mit außer- gewöhnlich kräftig gebauter Brust und durch Übung ausgiebigen Atem- bewegungen (Bläser von Militärmusikkapellen) kann er selbst 4 Liter weit übersteigen. Man machte sich in früheren Zeiten übertriebene Erwartungen von der Bedeutung der Beobachtung der Vitalkapazität für die Diagnose von Lungenkrank- heiten, speziell Phthisis. Es versteht sich, daß ausgedehnte Anektasen, Emphyseme ?) Medico-chirurg. Transact. 29, 137, 1846; übers. von Samosch, Braun- schweig 1849. — ?) Krankheiten der Atmungsorgane in Virchows Handbuch 4, 2; 1857. — ®) Pflügerg Arch. 1, 150, 1868. — *) Über die Atemgröße des Menschen, Heidelberg 1855. 16 Atemvolumschreiber. oder Infiltrationen die Vitalkapazität herabsetzen werden; indessen wird bei den großen individuellen Verschiedenheiten eine solche Veränderung nur bei spiro- metrischer Untersuchung desselben Menschen im gesunden und später im kranken Zustande erkennbar sein; da ferner die geringen Veränderungen im Beginn der Phthise den in Rede stehenden Wert noch gar nicht beeinflussen, kann von einer diagnostischen Bedeutung der Spirometrie heutzutage kaum mehr die Rede sein. Auch das Luftvolumen eines gewöhnlichen zuhigen Atemzuges läßt sich durch Ausatmen in das Spirometer messen; man bezeichnet seinen Wert als die „Respirationsluft“ (Atemluft) und rechnet ihn im Mittel beim erwachsenen Menschen zu einem halben Liter, 500 ccm; natürlich wird er auch in der Norm innerhalb gewisser Grenzen schwanken, und man wird deshalb den Mittelwert der während einer größeren Periode proZeit- einheit ein- und ausgeatmeten Luft, oder die „Atemgröße“* (Arnold), wie man ihn im Gegensatz zur „Tiefe“ jedes einzelnen Atemzuges nennt, lieber durch „Gasuhren“ oder ähnliche Vorrichtungen unter Einschaltung von T-Rohr und Ventilen zur Trennung der In- und Exspirationsluft messen, — Methoden, welche im vorhergehenden Abschnitt bei der Besprechung der quantitativen Untersuchung des Gaswechsels genügend behandelt worden sind. Endlich läßt sich die Differenz zwischen der gewöhnlichen Respirations- luft und der Vitalkapazität auch noch spirometrisch in zwei Teile sondern, indem man nämlich erstens von tiefster bis zu gewöhnlicher Inspirations- stellung in das Spirometer ausatmet (oder von letzterer zu ersterer aus dem- selben einatmet). Das so erhaltene Luftvolumen, welches außer dem gewöhn- lich geatmeten sich überhaupt noch bei äußerster Erweiterung in die Lunge aufnehmen läßt, heißt die Komplementär- oder Ergänzungsluft. Andererseits kann man auch nach gewöhnlicher Exspiration weiter in das Spirometer hinein ausatmen bis zur äußersten beim Lebenden möglichen Kompression der Lungen und erhält so das Volumen, welches man Reserve- oder Hilfsluft nennt. Jeder der beiden letztgenannten Werte kann im Mittel gleich 1600 ccm gesetzt werden, denn Komplementärluft + Respirations- luft + Reserveluft müssen natürlich gleich der gesamten Vitalkapazität sein: 1600 + 500 + 1600 = 3700 cem. Es läßt sich dies leicht graphisch darstellen und auch leicht direkt mit einem Zuge registrieren, wenn man das Spirometer gut äquilibriert und durch Anbringung eines Schreibstiftes auf einer horizontal bewegten Fläche schreiben läßt, wie das schon Panum eingerichtet hat; man ist be- strebt gewesen, durch möglichst geringes Gewicht, leichte Beweglichkeit und völlige Äquilibrierung des bewegten Spirometergefäßes zu erreichen, daß eine ‘derartige Vorrichtung auch den zeitlichen Verlauf der Schwankungen des Lungenvolumens möglichst treu wiedergebe, womit in der Tat die voll- kommenste Art der Registrierung der Gesamtresultierenden der Atembewegungen erreicht wäre: — so Gad!) mit der Konstruktion seines „Aöroplethysmographen“ oder „Atemvolumschreibers“, bei welchem die „Glocke“ durch einen parallelepipedischen „Deckel“ ersetzt ist, welcher sich um eine einer Kante parallele horizontale Achse im Kreisbogen auf- und ab- wärts bewegt und mit seinen Rändern in eine am Umfange des unteren Ge- fäßes angebrachte, behufs Abdichtung mit Wasser gefüllte Rinne eintaucht; !) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1879, 8. 181. u 0 u Atemkurven. 17 derselbe ist aus sehr leichtem Material (dünne Glimmerplatten, ev. Kupfer- 'bleche, nach meinen Erfahrungen zweckmäßig aus dünnem Aluminium- blech) gebildet und durch ein senkrecht zur Achse verschiebbares Laufgewicht genau äquilibriert (Fig. 5). Er kann je nach seiner Verwendung für den Men- schen oder Tiere verschie- denster Artin verschiedenen Größen ausgeführt und zu längerdauernder Registrierung der Atmung benutzt werden, wenn zwischen ihn und das Versuchstier eine große Flasche als „Vorlage* zwischengeschaltet wird, deren Luftinhalt öfter erneuert werden muß, um Dyspnoe zu vermeiden. Fig. 5. yı W m UT Eine gewisse Trägheit und zu große Reibung haftet diesem Apparat entschieden immer noch an, meistens sind an seiner Stelle neuerdings wieder registrierende kleine Glockengasometer verwendet worden, so von Lindhagen!), sowie in Gads Laboratorium selbst von R. F. Fuchs?) in Gestalt kleiner Glocken aus paraffi- niertem Papier. Sehr empfehlenswert scheint für kleinere Tiere auch die Verwen- dung der von Brodie®) konstruierten „Balgenschreiber“ (bellows recorder) zu sein, jedenfalls besser als die von Mareyschen Kapseln — Methode von Hering und P. Bert —, welche, wenn groß und mit nachgiebigen Membranen versehen, aller- dings Volumschwankungen anzeigen, durch ihre Elastizität aber von-Haus aus manometrische Vorrichtungen sind, weshalb diese Methode auch erst weiter unten bei der Besprechung der Druckregistrierung näher gewürdigt werden soll. Natürlich kann auch jedes solche schreibende Spirometer unter Einschaltung von Ventilen zur Trennung der In- und Exspirationsluft zum Zwecke der Messung der Atemgröße benutzt werden; man erhält dann eine treppenförmige Kurve, deren einzelne Stufen durch ihre Höhen die Tiefe der einzelnen Atemzüge angeben. Die luftdichte Verbindung mit den Atemwegen kann beim Menschen ‚und auch im Tierversuch durch eine luftdicht festgebundene Gesichtsmaske resp. Schnauzenkappe, im letztgenannten Falle besser durch eine Trachealkanüle erfolgen, welche in die Tracheotomiewunde luftdicht ein- gebunden wird. Die Trachealkanüle muß, wenn „endständig“, natürlich mit der Öffnung nach der Lunge zu eingebunden werden. Recht zweckmäßig sind auch die Gadschen Trachealkanülen mit Dreiweghahn, welche gestatten, abwechselnd durch Hahn- drehung aus der Vorlage und durch die Nase aus der freien Luft zu atmen, be- sonders für Versuche am Kaninchen, welche, wie seinerzeit Billroth fand, mit gewöhnlichen Trachealkanülen nur kurze Zeit am Leben bleiben. Fig. 6 gibt in der unteren Kurve einen Begriff der Registrierung der Lungenvolumschwankungen mit einem solchen „Atemvolumschreiber* — die in- spiratorischen Zacken sind nach unten gerichtet —, in der oberen Kurve die mit den oben erwähnten Knollschen pneumatischen Vorrichtungen regi- Y) Skand. Arch. f. Physiol. 4, 296, 1892. — °) Lotos 1898. — °) Journ. of Physiol. 27, 473, 1902. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 2 18 Residualluftbestimmung. strierten Umfangsschwankungen der Oberbauchgegend — die inspiratorischen Zacken sind nach oben gerichtet. Fig. 7 zeigt die vom Menschen (willkürlich , und daher beim Tier Pe unmögliche) am Atemvolumschreiber in einem Zuge ausgeführte Darstellung Fig. 7. der Respirationsluft, Komplementärluft, FR gesamten Vitalkapazität, Reserveluft 4500 und wieder Respirationsluft. 4000 Der direkten spirometrischen Bestimmung naturgemäß unzu- gänglich ist das Volumen der- jenigen Luft, welche auch nach stärkster Exspiration noch in den Lungen zurückbleibt, die „rück- ai ® [ ständige“ oder „Residualluft“. ; Man hat schon frühzeitig ver- 2 x ] Fr sucht, diesem Wert durch Messungen ya; V an der Leiche beizukommen: Good- x ne „wyn!) (1786), welcher die Thorax- * stellung bei der Leiche fälschlich für die äußerste Exspirationsstellung ansah, füllte die eröffneten Pleurahöhlen menschlicher Leichen mit Wasser und sah das dazu nötige Volumen für dasjenige der rückständigen Luft an; er erhielt so bei natürlichen Todes gestorbenen Personen im Mittel 109 Cubikzoll gleich 1788 cem. In neuerer Zeit hat auf Hermanns Veranlassung Jacobson?) bei menschlichen Leichen durch Kompression des Abdomens äußerste Exspirationsstellung herzustellen versucht, hierauf die Trachea fest zugeklemmt und von den so heraus- präparierten, offenbar innerhalb der Grenzen der dieser primitiven Methode anhaftenden Versuchsfehler gerade die Residualluft enthaltenden Lungen durch Eintauchen in ein vollgefülltes Gefäß das Volumen (gleich demjenigen des überfließenden Wassers) bestimmt. Hiervon war noch dasjenige der Lungensubstanz selbst abzuziehen, welches durch Wägung der Lungen und Division mit der wahrscheinlichen Dichte der Lungensubstanz erhalten - wurde: so ergab sich als Mittel aus neun Versuchen 981ccm, aus zwei Fällen mit ganz normalen Lungen 914,5 cem. Sehr zahlreich sind die mit Zuhilfenahme indirekter Methoden aus- geführten Untersuchungen. Hierher gehört zunächst die Methode der Mischung derin den Lungen enthaltenen Luft mit einem be- kannten Volumen eines fremden Gases und Untersuchung der Zu- sammensetzung des so erhaltenen Gemisches, woraus sich das Volumen der in den Lungen enthalten gewesenen Luft nach der Regeldetri ohne weiteres ergibt. Humphrey Davy?), welcher diese Methode 1803 erfand, ging von der tiefsten Exspirationsstellung aus und atmete siebenmal schnell in ein mit Wasserstoff gefülltes Gasometer aus und ein, um dann wieder äußerste .") The connexion of life with respiration ete., London 1788. Deutsch von Michaelis, Leipzig 1790; zit. nach Berenstein (s. u.). — ?) Pflügers Arch. 43, 236 u. 440, 1888; Diss., Königsberg 1889. — °?) Untersuchungen über das oxydierte Stickgas und Äns Atmen desselben. Deutsche Übers. 2, 70, Lemgo 1814; zit. nach Berenstein. Residualluftbestimmung. 19 Exspirationsstellung einzunehmen. Der aus seinem (mit den nötigen Korrek- turen versehenen) Analysenwerte des Mischgases direkt für die Residualluft sich ergebende Wert würde 602 ccm betragen. Ohne Davys Versuch zu kennen, erfand Gr&hant!) die gleiche Methode von neuem und stellte fest, daß fünf Atemzüge zur völligen Mischung genügen; er ging aber von der gewöhnlichen Exspirationsstellung beim ruhigen Atmen aus, erhielt also als Lungeninhalt Reserve- + Residualluft, und zwar Mittelwerte um 2800 herum 2); zieht man hiervon die wie oben zu 1600 ccm veranschlagte Reserve- luft ab; so blieben 1200 ccm als Mittelwert der Residualluft. Fehlerquelle war bei Davy. die durch das Beginnen mit äußerster Exspirationsstellung hervorgerufene Dyspnoe, bei Gr&ehant dagegen die Un- sicherheit der Ausgangsstellung; um beides zu vermeiden, benutzte Beren- stein?) unter Hermanns Leitung zwei Spirometer; aus dem einen mit Wasserstoff gefüllten A wurde mehrmals hin und her geatmet und mit äußerster Exspirationsstellung abgeschlossen; die so den gleichen Prozentgehalt Wasser- stoff wie A enthaltende Residualluft in der Lunge wurde dann (durch Hahn- umstellung) mit einem zweiten mit einem genau bekannten Luftvolumen V gefüllten Spirometer B verbunden und wieder mehrmals geatmet, zum Schluß die Prozentgehalte Wasserstoff in beiden Gasometern a und b bestimmt; es ergibt sich aus einfachster Betrachtung: Residualluft x — a, a—b Als Mittelwert aus seinen Bestimmungen nennt Berenstein 800 ccm. Ausgehend von Analysen, welche beweisen sollen, daß die Alveolarluft beim Menschen am Schlusse einer normalen Exspiration eine konstante Zu- sammensetzung mit 80 Proz. Stickstoff besitzt, hat endlich neuestens Durig®) ein Mischverfahren unter Benutzung eines sehr sauerstoffreichen Gasgemenges von bestimmter Zusammensetzung benutzt und als Mittelwert für die Größe der Residualluft bei normalen Personen 1000 bis 1250 cem gefunden; die Methode soll nur mit sehr geringen Fehlerquellen behaftet sein (s. das Ori- ginal. Indem wir angebliche Schätzungen des Residualluftwertes durch Hutchinson, sowie Ableitungen aus dessen Brustmessungen [Speck 5)], sowie die Methode von Allen und Pepys‘) als zweifellos fehlerhaft hier übergehen, haben wir als zweite Hauptmethode der indirekten Re- sidualluftbestimmung die sog. pneumatometrische (Pneumatometrie gleich Atmungsdruckmessung, siehe unten) zu erwähnen; ihre Erfindung stammt von Harleß”), der aber keine Ergebnisse veröffentlicht hat. Sie beruht auf der umgekehrten Proportionalität zwischen Volumen und Druck nach dem Gesetz von Boyle-Mariotte: wird aus einem Manometer resp. mit derartigem versehenen starren Luftgefäß eingeatmet, so verhält sich der ver- minderte Druck b— d, zu dem ursprünglich vorhandenen b wie das Thorax- volumen v am Beginn zu dem durch die Inspiration vergrößerten v + d,; Y) Journ. de l’anat. et de la physiol. 1864, 8. 523. — *) Grenzen 2190 bis 3220 ccm. — ®) Pflügers Arch. 50, 363 u. Diss., Dorpat 1891. — *) Zentralbl. f. Physiol. 17, 258, 1903. — °) Deutsch. Arch. f. klin. Med. 33, 72, 1883. — °) Philos. Transact. Roy. Soc. 1809; Schweiggers Journ. f. Chem. u. Phys. 1, 200, 1811. — 7) Münchener gelehrte Anzeigen, Sept. 1854, 8. 93. 9%* 4 20 Ventilation der Lungen. man erhält also v (als Residualluft + Reserveluft oder Residualluft allein je nach der Ausgangsstellung) einfach nach der Gleichung: ® b—dy v—+d, : b oder _ db—dı) ae re Indem er die Thoraxerweiterung gleich der Vitalkapazität zu machen suchte, fand nach diesem Prinzip Neupauer!) den ungeheuerlichen Wert von 19,8 Liter, Waldenburg?), indem er zwischen das Manometer und die Ver- suchsperson einen Luftraum einschaltete, in Gestalt eines spirometerähnlich Fig. 8. beweglichen „pneumatischen Apparates“, welcher gleich die Thoraxerweiterung messen sollte, immer 2 noch fast 12 Liter! Wesentlich verbessert wurde das Verfahren durch Gad’), welcher das Versuchs- : individuum in einen großen, dicht verschlossenen KL Zylinder c setzte und vermittelst eines durch dessen Wand hindurchgehenden Rohres r, aus dem draußen befindlichen Manometer m einatmen ließ, während ein mit dem Zylinderraum durch r, ver- .bundener Atemvolumschreiber pl seine Thorax- erweiterung ‚angibt (Fig. 8). In einer Reihe von an sich selbst angestellten Versuchen erhielt so Gad für die Residualluft Werte gleich einem Drittel bis zur Hälfte der Vitalkapazität, also 1200 bis 1800 cem. Etwas abweichend hat endlich Kochs*) vermittelst eines von Pflüger’) konstruierten „Pneumonometers“ ein bestimmtes Luftquantum passiv aus der Lunge heraussaugen lassen und die dabei stattfindende Druckverminde- rung beobachtet. Die Schwierigkeit liegt hier in der Forderung des völligen Stillhaltens in einer bestimmten Respirationsstellung seitens der Versuchs- person, weshalb die erhaltenen, auffällig niedrigen Mittelwerte (500 ccm) wohl kaum mitrechnen. Im übrigen bildet stets eine Fehlerquelle die Kom- pression resp. Dekompression der Darmgase und eine wichtige, oft übersehene Korrektur die Berücksichtigung der Wasserdampfspannung: siehe hierüber unter anderem die lange Polemik zwischen Schenck und Hermann) in Sachen der Residualluft, sowie auch neuerdings von Wengler’) gemachte Bemerkungen über die Fehlerquellen bei der Spirometrie. Bedenkt man ferner, daß auch bei der Residualluft bedeutende Unterschiede durch Alter, Geschlecht, Körpergröße und etwaige pathologische Veränderungen bedingt sein müssen, so wird man wohl als Grenzwerte 800 und 1600 und als allgemeinen Mittelwert etwa 1200cem hin- stellen dürfen. ® !) Deutsch. Arch. f. klin. Med. 23, 481, 1879. — *) Die pneumatische Be- handlung der Respirations- und Zirkulationskrankheiten 1880, 8. 131. — ®) Tage- blatt der 54. deutschen Naturforscherversammlung, Salzburg 1881. — *) Zeitschr. f. klin. Med. 7, 487, 1884. — °) Pflügers Arch. 29, 244, 1882. — °) Ebenda 55, 191, 1894; 57, 387, 1894; 58, 233, 1894; 59, 165 u. 554, 1895; 60, 249, 1895. — ”) Ebenda 95, 297, 1903. ; Atemschwankungen des intrapleuralen Druckes. 21 Als mittleren Luftgehalt der Lungen hätte man dann zu setzen die Summe Residualluft + Reserveluft + etwa die Hälfte der Respirations- luft (eigentlich weniger, da die exspiratorische Phase länger dauert als die in- spiratorische), also 1200 + 1600 + 250 oder weniger Öubikcentimeter,in Summa rund 3000, von denen bei jedem Atemzuge 500 erneuert wurden; also wäre der „Ventilationsquotient“* der normalen Atmung beim Er- wachsenen — einem Sechstel; größer ist er beim Neugeborenen, wo in Exspirationssteliung noch keine Thoraxaspiration vorhanden ist und die Re- sidualluft gleich demjenigen Anteil derselben beim Erwachsenen ist, welchen - Hermann!) als „Minimalluft“ bezeichnet hat; nämlich dasjenige Quantum, welches auch in der kollabierten Lunge zurückbleibt, während er dasjenige Volumen, welches bei dem Kollabieren entweicht, als „Kollapsluft“ be- zeichnete. 4. Respiratorische Schwankungen des intrapleuralen und des intrapulmonalen Druckes. Pneumatometrie. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß bei der aktiven inspiratorischen Er- weiterung des Thoraxraumes, deren Zuge die elastische, schon in ihrer Ruhe- lage gedehnte Lunge folgen muß, die Spannung der letzteren und damit ihr Ausdruck, die Druckdifferenz in der capillaren Pleuraspalte, größer werden muß, — wie auch, daß diese absinken muß bei aktiver Kompression des elastischen Thorax durch die Exspirationsmuskeln über dessen Gleichgewichts- lage hinaus, wobei ja die Lungendehnung vermindert wird. Nur die inspi- ratorische Vergrößerung der intrapleuralen Druckdifferenz (des „negativen Drucks“, vgl. oben), die inspiratorische Vergrößerung der „Aspi- ration des Thorax“ ist bisher Gegenstand der Messung gewesen. Donders?) erhielt bei Anstellung seines Versuches Vermehrung des Manometeranstiegs von 6 auf etwa 30mm, Hutchinson desgl. von 13,5 auf 37,6 mm Queck- silber, wenn zuvor die Lunge zur Nachahmung einer tiefen Inspiration künst- lich ausgedehnt resp. aufgeblasen war; davon, daß Bernstein bei Auf- blasung der Fötuslunge auch bereits einen Aspirationswert erhielt, war oben die Rede. Bei der Verbindung des Herzbeutels mit dem Manometer fanden Adamkiewiez und Jacobson) am Kaninchen Vermehrung des Manometer- absinkens bis auf 9mm bei dyspnoischer Atmung; Aron*) an der Pleura- spalte des lebenden Menschen Absinken bis um 7 mm bei der Inspiration. Man hat wohl die pleurale Druckdifferenz und die passive Erweiterung der Lungen bei der Inspiration durch ein „Atmungsmodell“ zu veranschaulichen gesucht, indem man in eine oben tubulierte, unten offene Glasglocke ein frisches, aus beiden Lungen (event. Herz) und Trachea bestehendes Präparat vom Kaninchen oder der Katze befestigt, derart, daß ein den die Glocke verschließenden Stopfen durchsetzendes Glasrohr in die Trachea luftdicht eingebunden ist; ein zweites den Stopfen durchsetzendes Rohr ist außen rechtwinklig umgebogen und mit Hahn ver- sehen; hierauf wird die Glocke unten durch eine feuchte tierische Blase oder eine Gummimembran verschlossen, an welcher unten ein Handgriff (in einen Zulp der Blase eingebundener Kork) befestigt ist. Durch Saugen an dem umgebogenen Rohr und sofortiges Verschließen des Hahnes läßt sich in dem Raum zwischen Glasglocke und Lungenpräparat eine Luftverdünnung herstellen, welche zur Aufblähung der ») A. a. 0. u. Lehrb.d. Physiol., 12. Aufl., 8. 130. — ?) A.a.0.— °)A.a.0.— 3... 9, 22 Pneumatometrie. Lunge und Einziehung der Blase, welche das Zwerchfell nachahmt, nach oben führt. Zieht man unten vermittelst des Handgriffs die Blase herab (= Zwerchfell- kontraktion); so wird die Lunge passiv in höherem Maße erweitert, entsprechend der Inspiration; läßt man mit dem Zuge nach, so wölbt sich die Blase wieder auf, und die Lunge verkleinert sich wieder. Auch kann man einen Seitenast des An- saugerohrs diesseits des Hahnes mit einem Manometer verbinden, welches die Ver- dünnungsgrößen in der Glocke anzeigt (entsprechend dem Troicartversuch), sowie auch das Trachealrohr außen endständig mit einem Manometer verbinden, welches steigt, wenn man den Ansaugehahn öffnet (entsprechend dem Dondersschen Ver- such). Mangelhaft ist das Modell freilich insofern, als ein wirklicher luftver- dünnter Zwischenraum zwischen der Glocke und den Lungen vorhanden ist, statt der capillaren Pleuraspalte, und insofern als erstere einen starrwandigen Körper bildet, im Gegensatz zu dem elastischen Thorax mit variablem Binnenraum. Die „Aspiration des Thorax“ und ihre Schwankungen durch die Atembewegungen beeinflussen natürlich auch die übrigen Brustorgane. Von den Messungen der Druckdifferenz vermittelst der Ösophagussonde ist schon oben die Rede gewesen; Rosenthal!) hat durch Verbindung derselben mit einer Mareyschen Schreibkapsel auch den zeit- lichen Verlauf der intrathorakalen Druckschwankungen graphisch regi- striert. } Selbstverständlich müssen diese Schwankungen von großem Einfluß auf die Blutbewegung sein, da ja das Herz und die Ursprünge der großen Körpergefäße innerhalb des Thorax liegen. Bei der Lungenhälfte des Kreislaufs (dem sog. kleinen Kreislauf) wird ja wesentlich nur die Strömung des Blutes in den Lungencapillaren eine rhythmische Alteration erfahren, wo- gegen bei der Körperhälfte (dem sog. großen Kreislauf) durch die Inspiration die systolische Entleerung des linken Ventrikels erschwert, die Rückkehr des venösen Blutes zum rechten Herzen durch die vermehrte Thoraxaspiration dagegen erleichtert wird, und umgekehrt durch die Exspiration die systolische Entleerung des linken Ventrikels erleichtert, die Rückkehr des venösen Blutes zum rechten Herzen dagegen, weil mehr der vis a tergo allein überlassen, erschwert wird. Hierauf beruht bekanntlich der sog. mechanische Faktor der „respiratorischen Blutdruckschwankungen“, welcher bei vielen Tierarten allein ausschlaggebend ist, während er bei anderen durch sog. nervöse Faktoren beeinflußt, ja derart überkompensiert wird, daß statt der durch ihn erzeugten inspiratorischen Senkung und exspiratorischen Steigerung des arteriellen Blutdruckes geradezu das Gegenteil auftritt; diese Dinge sind in dem Ab- schnitt über den Kreislauf und seine Innervation genügend erörtert. Wie gesagt, höchst wichtig ist die inspiratorische Ansaugung für den Blutstrom in den großen Körpervenen: rhythmische Druckschwankungen mit inspiratori- schem Absinken sind besonders an den Venen der unteren Extremitäten bei Tieren registriert worden durch Wertheimer?), und die venöse Stauung bei mechanischer Atembehinderung zählt zu den Grundtatsachen der Pathologie. Besonders befördert werden durch die Aspiration des Thorax muß endlich auch der Lymphstrom, dessen Einmündung in den Blutstrom ja ohnehin an einer Stelle stattfindet, wo die vis a tergo vom Herzen her so gut wie er- schöpft ist, so daß ein Eindringen von Blut in die Lymphbahn verhindert ist. ?) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1880, Suppl.-Bd., 8. 34. — ?) Arch. de physiol., Ser. 5, 7, 107, 1895. Atmungsdruckwerte. 93 Von der Messung der intrapleuralen Druckdifferenz und ihrer Verände- rungen ist zu unterscheiden diejenige der Druckverhältnisse innerhalb der Lungen und der Luftwege, welche man als „Pneumatometrie“ bezeichnet hat. Als Pneumatometer kann ein einfaches, aus einem U -för- migen Glasrohr bestehendes Manometer dienen, welches mit Quecksilber oder bei kleinen Druckdifferenzen zweckmäßiger mit (event. gefärbtem) Wasser beschickt ist. Es muß nun streng unterschieden werden, ob dasselbe „end- ständig“, d. h.: unter Abschluß der äußeren Luft mit Luftwegen und aha areTee verbunden wird, oder ob es, in unten näher zu erörternder Weise seitenständig angebracht, zur Untersuchung der respiratorischen Schwankungen des Seitendruckes in den Luftwegen dienen soll. Zu Versuchen der ersteren Art wird es beim Tierversuch, wo die intrapulmonalen Druck- schwankungen während längerer Atmungsdauer gemessen, event. re- gistriert werden sollen, unter Einschaltung einer „Vorlage“ mit größerem Luftraum (wie beim Atemvolumschreiber, s. oben) mit der Schnauzen- kappe oder Trachealkanüle zu verbinden sein; zur Untersuchung der, ins- besondere maximalen, intrapulmonalen Druckschwankungen bei insbesondere willkürlich möglichst vertiefter Inspiration und verstärkter Exspiration beim Menschen, wird man die Versuchsperson (vermittelst dichten Mundstückes bei zugehaltener Nase oder vermittelst Gesichtsmaske und Schlauch) direkt ins Manometer „blasen“ oder aus demselben „saugen“ lassen. Die so erhaltenen Werte sind recht verschieden. Valentin!) fand für gewöhnliche Atmung Druckschwankungen von 4 bis 1O mm Quecksilber, bei angestrengter Atmung bis zu 40 mm, die maximale inspiratorische Drucksenkung zu 144, die maxi- male exspiratorische Drucksteigerung bis zu 256 mm Quecksilber, Mendel- sohn?) letztere nur bis zu !/, Atm. gleich 108mm; Hutchinson gibt — 50 und + 76mm Quecksilber an, für welche Atemtiefe ist nicht gesagt. Die Schwankungen rühren wohl von dem größeren oder geringeren Grade der Vollkommenheit des luftdichten Abschlusses her; besonders wichtig ist dieses auch für die Angaben über Exspirationsdruck beim Spielen (der Blasinstru- mente [Stone?°)]; bei Angabe hoher Töne auf der Trompete, wo die Lippen fast ganz geschlossen sind, somit einen hohen Widerstand bieten, fand dieser Forscher 33 engl. Zoll Wassersäule = 60 mm Quecksilber. Zur fortlaufenden Registrierung hat man, wie schon oben bei Gelegen- heit der Atemvolumschreibung erwähnt, mit den Atemwegen eines Tieres unter Einschaltung eines größeren Luftraumes — Bertsche*) oder He- ringsche5) Flasche — eine Mareysche Schreibkapsel verbunden, welche, wenn geräumig und mit sehr weicher und dünner Membran versehen, ja allerdings von den Volumschwankungen beeinflußt wird, durch die Elastizität der Membran aber doch wesentlich als registrierendes Manometer wirkt und insbesondere dann, wenn man die „Vorlage“ nebenbei mit der freien Luft kommunizieren läßt [Ewald#), Hermann’)], den „Seitendruck“ in dieser ») Lehrb. d. Physiol., 2. Aufl., 1847, 8. 529. — ?) „Der Mechanismus der Respiration“ usw., Berlin 1845 (zit. naeh Rosenthal a. a. 0.). — *) Philosophical Magazine 48, 113, 1874 (zit. nach Rosenthal a. a. O.). — *) Physiol. comparee de la Respiration, Paris 1878, p. 204. — °) Siehe Knolls Beiträge zur Atem- innervation. — °) Pflügers Arch. 19, 461, 1879. — 7?) Leitfaden f. d. physiol. Praktikum, Leipzig 1898, S. 167. 24 Atemdruckkurven. — Seitendruck in der Trachea. aufzeichnet. In allen Fällen ist zu beachten, daß die Größe der Druckschwan- kungen „wesentlich abhängen wird von der Größe und Geschwindigkeit der inspiratorischen bzw. exspiratorischen Volumänderungen des Thorax und von den Widerständen, welche der inspiratorische resp. exspiratorische Luftstrom — in den natürlichen Atemwegen (Trachea, Kehlkopf, Nase) wie auch event. Verbindungsschläuchen usw. — erleidet, und zwar derart, daß mit dem Wachsen dieser Faktoren auch der absolute Wert der Druckschwankungen zunimmt“ [Gad!)]. Druckschwankung bei der Exspiration und bei der Inspiration werden deshalb untereinander an Größe (Ordinatenhöhe der Kurve von der drucklosen Ruhestellung als Abszissenachse gerechnet) verschieden sein können. In der Regel ist die Exspirationszacke die höhere, wegen größerer Maximalgeschwindigkeit bei der Exspiration; die Zeitintegrale der In- und Exspirationszacken müssen aber gleich groß sein (Gad). Besonders instruktiv werden derartige Kurven, wenn sie durch Registrierung des Seitendruckes in den Atemwegen selbst erhalten sind, was bei der Trachea z. B. sehr zweck- mäßig durch die Gadsche Kanüle mit Dreiweghahn ?) erreicht werden kann; wird derselbe so gestellt, daß er alle drei Wege miteinander verbindet, so kann man die Mareysche Kapsel mittels des Seitenrohrs mit der Trachea Fig. 9. verbinden, während das Tier normal durch die Nase atmet, welche man wieder unter Einschaltung einer Vor- lage mit dem Volumschreiber verbinden kann. Man erhält dann übereinander die Lungenvolum- und Druck- kurve, welche, wie auch aus Fig. 9 erkenntlich, sich zueinander ebenso verhalten wie eine Druckpulskurve-(Tono- oder Sphygmogramm) und die dazu gehörige Volumpulskurve (Plethysmogramm). Die Spitzen (Maxima und Minima) der ersteren entsprechen den steilsten Stellen der letzteren und die Durchgangsstellen durch die Ruhelage (Abszissenachse, Nullinie) der ersteren den Maxima und Minima der letzteren. Über die jeweilige Tätigkeit der verschiedenen Muskelgruppen kann in- dessen die Druckkurve niemals den mindesten Aufschluß geben, . während die Volumkurve wenigstens bei Tötung des Tieres den Füllungsgrad der Lungen bei absoluter Muskelruhe („Kadaver- stellung“) und damit eventuelles Überwiegen der In- oder Exspi- ratoren in irgend einerAtemphase kenntlich macht (s. weiter unten); es ist also völlig fehlerhaft, aus einer Druck- (oder überhaupt nicht reinen Volum-) Kurve einen Schluß auf Stattfinden oder Nichtstattfinden aktiver Exspiration zu ziehen, wie das leider auch von den besten Autoren oft genug getan worden ist. Als Größenwerte des Seitendruckes in der Trachea sind schon vor langer Zeit für Hund und Pferd von Kramer?) angegeben worden 1 mm Quecksilber Druckverminderung bei der Inspiration und 2 bis 3mm in maximo Drucksteigerung bei der Exspiration. !) Arch. f. (Anat.u.) Physiol. 1878, 8. 559. — ?) Ebenda, $. 563. — °) Häsers Arch. 9, 341, 1847. ; n- ww * Nasenätmung. 95 Die Mareysche Schreibkapsel ist zur Registrierung der Atembewegungen auch in der Weise verwendet worden, daß man das Tier in einen dicht abge- schlossenen Kasten brachte und durch ein dessen Wand durchsetzendes, mit der Trachealkanüle verbundenes Rohr Außenluft atmen ließ, während die Schreibkapsel mit dem Kasteninnern verbunden war (Hering); da sie aber, wie gesagt, weder reiner Druck- noch Volumsehreiber ist, so ist sie bei dieser Methode besser durch Brodies Balgenschreiber oder Gads Volumschreiber zu ersetzen, wie ja die Gadsche Methode der Residualluftbestimmung (s. oben) die gleiche Versuchs- anordnung, zu welcher nur das Saugen am Manometer kommt, auf den Menschen appliziert hat. Alle sehr empfindlicheh Registriermethoden lassen häufig an den Kurven außer den Atemschwankungen noch feinere kleinere Zacken erkennen, welche die Herz- tätigkeit anzeigen, resp. von deren Einfluß auf Lungenvolumen, intrapleuralen resp. intrapulmonalen Druck, event. Leibesumfang herrühren; während willkürlich an- gehaltenen Atems sind sie beim Menschen (von der Nase aus) für sich allein registriert und als „cardiopneumatische Bewegung“ (Landois) bezeichnet worden; sie bilden gewissermaßen ein Gegenstück zu den respiratorischen Blut- druckschwankungen — wenigstens denjenigen von rein mechanischem Typus. 5. Die Luftwege. Begleitende Atembewegungen und besondere Atemformen. Die Trachea erhält ihren Abschluß nach oben durch ein besonderes, der Stimmgebung oder „Phonation“ !) dienendes Organ, den Kehlkopf, innerhalb dessen durch die membranöse Zungen einer Zungenpfeife darstellenden Stimm- bänder („Stimmlippen“)einesehr verengte Stelle, die Stimmritze (Glottis) gebildet wird; daran schließt sich der Pharynx (Rachen), die Kreuzung der Respirationswege mit dem Digestionskanal (Mundhöhle, Isthmus Faucium, Oesophagus); ferner der Nasopharyngealraum (Nasenrachenraum, „Schlund- kopf“), daran durch den mittleren Engpaß der Choanen begrenzt die beiden bilateral symmetrischen Nasenhöhlen mit dem vordersten letzten oder vielmehr ersten (im Zuge der Inspirationsluft) Engpaß der Nasen- löcher. Von dieser Bahn abweichende Bewegung der Atemluft durch die Mundhöhle ist durchaus abnorm, beruht beim Menschen meist auf patho- logischen Veränderungen — Verengungen — der Nasenrachenbahn, oft unter- stützt durch üble Gewohnheit in den Kinderjahren, und ist für viele Tiere geradezu unmöglich (Pferde, Schweine u. a. gehen bei Verschluß der Nasen- löcher bald zugrunde); nur bei alleräußerster Atemanstrengung sieht man die Tiere das Maul öffnen. Umgekehrt kommt es beim Menschen nur bei äußerster Atemanstrengung zu einer inspiratorischen Erweiterung der Nasen- flügel (ebenso bei Hunden und Katzen), wogegen bei anderen Tieren, so den meisten Nagern und vor allem dem Kaninchen, die normalen Atem- .bewegungen durch regelmäßige Bewegungen der Nasenflügel ein- geleitet werden: jeder Zwerchfellkontraktion geht eine Hebung der Nasen- flügel, welche die Nasenlöcher erweitert, jeder Exspiration eine Senkung derselben voraus [Rosenthal2), Arnheim )]. Auf die Verteilung des Luft- stromes in der Nasenhöhle und insbesondere deren Beziehungen zum Geruchs- organ ist an dieser Stelle nicht näher einzugehen; der Zweck des Durchganges !) Schreckliche „vox hybrida“ ! — ?) Regulierung der Atembewegungen, 8. 217. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiologie 1894, 8. 1. 26 Kehlkopfatmung. der Inspirationsluft durch die Nase ist außerdem hauptsächlich die Vor- wärmung: Daß in der Tat schon bei einem einzigen Atemzuge der Durch- gang durch die Nase die Luft auf über + 30° erwärmt und mit Wasserdampf nahezu sättigt, ist nachgewiesen worden, indem man bei angehaltenem Atem (wichtig!) mittels eines Aspirators Luft durch das eine Nasenloch ein- und durch das andere austreten ließ und zwischen letzteres und den Aspirator ein Thermometer und eine hygrometrische Einrichtung einschaltete; der Einwand des doppelten Weges gegenüber dem normalen Atemzug ist unwesent- lich [Asehenbrandt!!); Kayser?)]. . Die Beteiligung eines Verschlußmechanismus der Öhoanen muß für die unten gleich zu erwähnende besondere Atemform des Niesens angenommen werden. Was den Kehlkopf betrifft, so wird der Verminderung des Wider- standes für den Atemluftstrom eine möglichst weite Öffnung der Stimmritze dienlich sein, welche durch den normal überwiegenden Tonus der Mm. crieoarytaenoidei postici, resp. der sie versorgenden Äste der N. laryngei inferiores zustande kommt: Lähmung nur dieser letz- teren, wie sie durch Tumoren mitunter vorkommt, insbesondere beiderseitige solche „Posticuslähmung“ wird infolge des durch das Überwiegen der laterales dann eintretenden Stimmritzenschlusses dann auch viel eher Erstickungsgefahr hervorrufen als totale Lähmung der Kehlkopf- muskulatur durch Kompression oder Durchsehneidung beider Nn. laryngei inferiores s. rami recurrentes nervi vagi: Bei den alten Autoren seit Galen und Rufus findet sich darum auch Stimmlosigkeit als einzige Folge beiderseitiger Recurrensdurchschneidung an- gegeben; Legallois°) hat zuerst erkannt, daß junge Tiere (insbesondere Meerschweinchen und Kaninchen) nach dieser Operation sofort ersticken, weil die die „Stimmlippen“ bildenden, schräg nach oben gerichteten Schleim- hautfalten hier noch sehr zart und nachgiebig sind und daher von dem in- spiratorischen Luftstrom abwärts mit ihren Rändern derart gegeneinander gedrückt werden, daß die Glottis sich völlig schließt und der Inspirationsluft den Eintritt verwehrt (wogegen die Exspirationsluft ungehindert entweichen kann), und daß dies auch die Ursache des schnellen Erstickungs- todes solcher jungen Tiere nach der beiderseitigen Vagusdurch- schneidung ist. Bei älteren Tieren tritt in diesem Falle als weitere Schädlichkeit noch die Schlucklähmung hinzu, welche meist durch Aspi- ration von Mundschleim und „verschluckten“* Speiseteilen zu der tödlichen „Yaguspneumonie“ führt. Beim Hunde und vielen anderen Tieren, auch manchen (nach F. Semon allerdings der Minderzahl der) Menschen erfolgt mit jeder Inspiration eine rhythmische Erweiterung der Stimmritze; reizlose Ausschaltung der Nn. recurrentes vermittelst Durchfrierens [Gad)] beseitigt dieselbe sofort und bringt die Stimmritze in die schlaffe, halbgeöffnete „Kadaverstellung“. Erwähnen wir endlich noch, daß, insbesondere bei angestrengter !) Dissertation, Würzburg 1886. — ?) Pflüger’s Arch. 41, 127, 1887; 47, 543, 1890; s. auch Zeitschr. f. Ohrenheilkunde, 20, 96, 1889. — °) Experiences sur le- principe de la vie, Paris 1812, p. 187 ff. — *) Vorlesungsversuch. N U REENENUNE 2 Sein gast Husten. — Niesen. — Atemgeräusche. 27 Atmung, bei jeder Inspiration der Kehlkopf als Ganzes durch Wirkung der Mm. sternothyreoidei etwas herabgezogen, auch die Trachea durch Kontraktion zwischen ihren Knorpeln gelegener Muskulatur (als deren oberer Repräsentant auch der Cricothyreoideus betrachtet werden kann) ver- kürzt, somit der Widerstand der Atemwege etwas verkleinert wird, so wäre alles dasjenige erledigt, was zu den „begleitenden“ oder „concomitieren- den“ Atembewegungen gerechnet zu werden pflegt; insofern die hier beteiligten motorischen Nerven Cerebralnerven sind (Facialis für die Nasen- und Vago-Accessorius für die Kehlkopfatmung), mag man sie wohl auch Kopfatmung nennen zum Unterschiede von der Brust- (Costal-) und Bauch- (Zwerchfell-) Atmung. In eigentümlicher Weise miteinander kombiniert sind diese Faktoren bei den „besonderen Atemformen“, welche sich sämtlich durch dabei er- zeugte, jeder Form für sich eigentümliche Geräusche auszeichnen und meist reflektorisch zustande kommen. Hierher gehört vor allem das Husten, eine mit einem „Explosionslaut“ verbundene plötzliche Spren- gung der zuvor geschlossenen Stimmritze durch die unter Druck (aktive Expiration, Bauchmuskulatur!) gesetzte Lungenluft, wobei von der Schleimhaut des Kehlkopfes Schleim und Fremdkörper weg- gefegt werden, welche hier als sensible Reize wirkten und so den Reflex auslösten; auch reizende Dämpfe wirken ebenso [Kohts!)]. Be- sonders empfindlich ist die Schleimhaut an den Gießbeckenknorpeln, doch lösen auch Reize in der Trachea, den Bronchien, an der Pleura, ja selbst der Cornea diesen Reflex aus. Ganz analog ist auch das Niesen, bei welchem es der Choanenverschluß durch die Constrietores pharyngis superioris ist, welchen der Exspirationsluftstrom sprengt; hier ist es die Nasenschleimhaut, welche rein gefegt wird, und auf welche der reflexauslösende, meist gasförmige Reiz wirkt; ausnahmsweise kann die Auslösung auch vom äußeren Gehörgang aus stattfinden. Dem Husten und Niesen ähnliche, doch willkürlich eingeleitete Ex- spirationsbewegungen sind das Räuspern und Schnäuzen. Eine psychisch oder reflektorisch ausgelöste Inspiration, bei welcher die Stimm- bänder in Schwingungen versetzt werden können, ist das Gähnen; stoßweise Exspirationen mit Stimmgebung bilden einen Teil des komplizierten als Lachen bezeichneten Bewegungskomplexes. Das Seufzen besteht aus einer tiefen Inspiration mit darauffolgender Exspiration, wovon besonders die erste, weil bei fast geschlossener Stimmritze erfolgend, von einem Reibegeräusch begleitet ist; exspiratorische Reibegeräusche charakterisieren die willkürlichen Akte des Hauchens und Blasens. Den Mechanismus der Stimme und Sprache behandelt ein besonderer Abschnitt. Hier wäre mit einigen Worten der in den Lungen und Luftwegen entstehenden normalen Atemgeräusche zu gedenken. Man unter- scheidet das inspiratorische, sog. vesikuläre Atemgeräusch, und das rauhere bronchiale, welches normal nur bei der Exspi- ration und zwar hauptsächlich über Trachea und Kehlkopf zu hören ist: das erstere hat seinen Namen daher, daß der Erfinder der Aus- !) Arch. f. patholog. Anatomie 60, 191, 1874. 238 Bronchialmuskeln. kultation Laönneec, Skoda und andere Kliniker meinten, es entstehe durch Reibung der Luftan der Wand der Alveolen bei deren inspiratorischer Erweiterung. Indessen könnte diese Reibung wohl nur an der Übergangs- stelle der Bronchioli in die „Infundibula* (vgl. oben) oder den „Scheide- wänden“ der einzelnen Aötsolen erfolgen: in diesem Sinne sgirechi sich Chauveau und Boudet!!), Wintrich’?), neuerdings Bullar®) und Dehio) aus; dem steht eine andere Theorie gegenüber, wonach alle Atmungs- Seren ausschließlich im Kehlkopf entstehen sollen, — Beau), Spittal), Eichhorst”), und welche sich besonders auf Versuche von Baas°) stützt, wonach in so kleinen Räumen wie den Alveolen die nötigen Wirbel nicht ent- stehen können. Die Entscheidung scheint außerordentlich schwierig zu sein, denn einerseits hört man auch bei Tracheotomierten, wo der Kehlkopf ausgeschaltet ist, noch die Atmungsgeräusche; vielleicht entsteht das Vesi- kulärgeräusch durch Schwingungen des angespannten Lungengewebes (C. Gerhardt, Penzoldt); anderseits soll ein abwechselnd aus Luft und fester Substanz gebildeter Körper, wie die Lunge, den Schall schlechter leiten, als ein starrer Körper (Castex’°) u. a.); was gegen die Entstehung auch nur des bronchialen exspiratorischen Geräusches in den Luftwegen sprechen müßte, welche sonst, auch von Anhängern der an erster Stelle ge- nannten Vorstellung allgemein zugegeben wird (Edlefsen !). Allerdings wird das bronchiale Geräusch bei pathologischen Lungenverdichtungen deut- licher und kann an die Stelle des vesikulären Inspirationsgeräusches treten; im übrigen vergleiche man hinsichtlich der pathologischen Verän- derungen, der Atemgeräusche, welche ja für die Klinik so wichtig sind, ihrer Theorie, derjenigen der Auskultation und der Stethoskope usw. die Lehrbücher der klinischen Diagnostik. Eine für das Lungenvolum sicher wesentlich in Betracht kommende Mitwirkung gebührt der Bronchialmuskulatur, deren motorische Inner- vation dem Vagus angehört; auf peripherische Vagusreizung sahen direkt die Kontraktion der Bronchiolen Longet!!!), Volkmann 2) u. a.; Schiff 13), Leo Gerlach !#), P. Bert 1°) und MeGillavry !%) wiesen sie durch die intra- pulmonale Drucksteigerung nach, letzterer sogar beim Hindurchstreichenlassen von Luft durch die Lunge, womit alle Fehlerquellen ausgeschaltet sind, zu denen nach Rugenberg!?) vor allem die Oesophaguskontraktion gehört. Auch an Hingerichteten sind derartige Versuche angestellt worden [Regırard und Loye!®)]l. NachRoy und Brown!) sollen die Vagi auchlungenerweiternde (die Bronchialmuskeln erschlaffende) Fasern führen [von Sand- \) Gazette hebdomadaire, Paris 1863. — ?) A. a. 0. — °) Proceedings Royal Soc. 37, 411, 1884. — *) Verhandlungen des Kongr. f. inn. Medizin, Wiesbaden 1889. — °) Archives generales de Medecine, 1834. — °) Edinburgh medical and surg. Journal, 1839. — ?) Lehrb. d. klin. Untersuchungsmeth., 4. Aufl., 1896, 8. 293. — ®) Zur Percussion u. Auskultation, Stuttgart 1877, 8. 161 ff. — °) Archives de phy- siologie 1895, 8. 225; 1896, 8. 357. — !%) Verhandlungen des Kongresses für innere Medizin, Wiesbaden 1891. — '') Arch. gener. de med. 15, 234, 1842. — !?) Wagners Handwörterbuch der Physiol. 2, 586. — '?) Pflügers Arch. 4, 225, 1871. — '*) Pflügers Arch. 13, 491, 1876. — '?) Lecons etc. p. 376. — !°) Neederlandsch Tijdschr. van Geneesk. 1876; Arch. neerlandaises 1877, p. 445. — '’) Studien des physiol. Inst. in Breslau, 2. Heft, S. 47, 1863. — '®) Compt. rend. 101, 269, 1885. — '°) Journ. of physiol. 6, 4; Proc. ET Soc. 6, 21, 1885. u . a Een Kraft der Atemmuskeln. — Motorische Atemnerven. 29 mann!) bestätigt, von anderen bestritten], und es soll centripetale Reizung auf beide Fasergattungen reflektorisch einwirken; die erstere Art soll tonisch innerviert sein, und Vagusdurchschneidung soll das Lungenvolumen (im _ kollabierten Zustande natürlich) vergrößern. Die physiologische Be- deutung der Bronchialmuskeln ist indessen noch unklar, ebenso wie die damit zusammenhängende Pathologie des Bronchialasthma; siehe hierüber besonders die große Arbeit von Einthoven 2), in welcher die Bronchial- muskelwirkung nach einer verbesserten Methode untersucht und die früheren Arbeiten ausführlich kritisiert sind. Die absolute Kraft der Atemmuskulatur berechnet Dondere 3) zu über 200kg, diejenige der Intercostales externi allein R. Fick?) zu 94 kg; auf ähnliche Weise berechnet ergaben sich der Arbeitsaufwand bei normaler Atmung zu etwa l5 mkg in der Minute, nach der Berechnung von Zuntz®) aus Specks5) Angaben zu 13,7 Proz. des gesamten respiratorischen Umsatzes in der Ruhe, entsprechend 26 kgm in der Minute — 37000 kgm in 24 Stunden. Nach Loewys Zahlen wäre er: indessen wesentlich kleiner; R. du Bois- Reymond?°) schätzt ihn zu höchstens 15000 kgm täglich in der Ruhe; natürlich wird er durch Muskelarbeit, Aufenthalt unter‘ abnormen Druck- verhältnissen und pathologische Zustände wesentlich gesteigert werden können. IV. Die Innervation der Atembewegungen. 1. Die motorischen Nerven der Atemmuskulatur. Schon die anatomische Betrachtung zeigt, daß die Muskulatur der Rippenatmung ihre motorische Innervation durch Vermittelung der Inter- costalnerven und dasZwerchfell durch Vermittelung der Nervi phrenici aus dem Rückenmark empfängt. Die der „Kopfatmung“ (s. oben) dienenden Kehlkopf- und Gesichtsmuskeln dagegen werden durch Hirn- nerven — Faeialis und Vago-Accessorius — versorgt. Reiz- und Durch- schneidungsversuche an diesen peripherischen Nervenbahnen bestätigen diese Tatsachen. Es sei hier nur kurz daran erinnert, daß die motorischen Fasern für den M. ericothyreoides im r. laryngeus superior, diejenigen für alle übrigen Kehlkopfmuskeln aber im r. laryngeus inferior s. recurrens vagi verlaufen; von den Beziehungen des N. vagus zur Bronchialmuskulatur war schon oben die Rede. 2. Die zentrale Innervation der Atembewegungen; das Atemzentrum. Es ist eine alte Erfahrung, daß Köpfung bei warmblütigen Tieren die Atem- bewegungen stets sofort aufhebt (nicht immer aber die Herztätigkeit); diese Erfahrung hatte bereits Galen dazu geführt, die Atembewegungen für lediglich vom Gehirn abhängig, für willkürlich, aber durch Übung und Unentbehrlich- Y) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1890, 8. 252. — ?) Pflügers Arch. 5l, 367, 1891. — °) Zit. nach du Bois-Reymond in Asher u. Spiros Ergebnissen der Physiologie 1, 2. Hälfte, 402, 1902. — *) Ebenda. — °) Ebenda. 30 Lokalisation des Atemzentrums. keit maschinenmäßig geworden anzusehen !). Er hatte bereits durch metho- dische Versuche die Wirkung von Durchtrennungen verschiedener Teile. des Rückenmarks zu bestimmen gesucht, Versuche, wie sie erst um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts in exakter Weise wieder aufgenommen wurden durch Lorry?2), LeGallois®) und Flourens®). Nach den Ergebnissen dieser Forscher wird bei Durchschneidung des Dorsalmarks die Rippen- atmung gelähmt, soweit sie durch die unterhalb der Durchschneidungsstelle gelegenen Intercostalnerven vermittelt wird, während die Zwerchfellatmung intakt bleibt; diese, und damit die natürliche Lungenventilation überhaupt, wird aufgehoben, wenn der Schnitt durch das Halsmark geht, und zwar etwa in der Höhe des vierten Halswirbels, indem der vierte bis siebente Cervicalnerv Fasern zum N. phrenicus beitragen. Insbesondere Le Gallois’ ureigenstes Verdienst ist die Beobachtung, daß nach hoher Halsmarkdurchschneidung die Kopfatmung (Gähnbewegungen, baillements) erhalten bleibt und erst durch Abtrennung des übrigen Gehirns von dem verlängerten Mark, und zwar in der Höhe des Ursprungs der Nn. vagi aufgehoben wird; es ist also die Medulla oblongata, an deren Integrität die Fortdauer der Atmung geknüpft ist), entsprechend der uralten Erfahrung der tödlichen Wirkung des „Genickbruches“. Im Lichte der modernen Nervenphysiologie kann dies nicht anders ge- deutet werden, als daß hier ein Apparat liegt, welcher diejenigen Teile des „zentralen Höhlengraus“, aus welchem die Atemmuskelnerven entspringen, und welche wir mit Gad®) als „Atemmuskelzentren“ bezeichnen wollen, bei der normalen Atmung zur koordinierten, rhythmischen und synchronischen Innervation der Atemmuskeln veranlaßt, und es wird weiterhin unsere Aufgabe sein, die verschiedenen der Tätigkeit dieses jetzt allgemein als „Atemzentrum“ angesprochenen Apparates zugrunde liegenden Faktoren näher zu erörtern. Was zunächst noch die anatomische Lokalisation des Atemzentrums betrifft, so beschränkte es bereits Le Gallois auf einen „umschriebenen Teil des verlängerten Marks“ 7); Flourens hat dann die Lokalisation möglichst weit zu treiben gesucht ®), bis.zu einer stecknadelkopfgroßen Stelle an der Spitze des Calamus seriptorius oder wenigstens noch mit dem Locheisen ausstanzbaren Partie in der Mitte der Alae cinereae, welche er als „point central et vital“, als „Lebensknoten* (noeud vital), welcher alle Teile des Nervensystems untereinander verknüpft, bezeichnet. Dieser allzu engen Begrenzung gegenüber stellten Volkmann), ‘) Vergl. Kronecker, Altes und Neues über das Atemzentrum, Deutsche med. Wochenschr. 1887, Heft 36 u. 37. — ?) M&moires etc. presentes ä& l’acad. des sciences, T. III, p. 366, 367. — °) Exp6riences sur le principe de la vie, Paris 1812, mit dem von Humboldt, Hall& u. Percy an das Institut de France erstatteten Rapport; sowie Oeuvres completes, Paris 1824. — *) Recherches experimentales sur les proprietes etc. du systeme nerveux, Paris 1824 und Nachtrag 1825; 2. Aufl. ebenda 1842. — °) Zitat siehe weiter unten. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol, 1886, 8. 388. — 7) „Ce n’est pas du cerveau tout entier que depend la respiration, mais bien d’un endroit assez circonscrit de la mo&lle allongee, lequel est situ& & une petite distance du trou oceipital et vers l’origine des nerfs de la huiti&me paire (ou pneumo-gastriques)“; Exp. sur le prince. de la vie, p. 37, 38. — ®) Compt. rend. 33, 437, 1851; 47, 803, 1858; 48, 1136, 1859; 54, 314, 1862. — °) Wagners Hand- wörterb. d. Physiol. 1, 591, 1847. Sog. spinale Atemzentren. 3l Longet!) und Schiff?) übereinstimmend fest, daß man die Oblongata durch einen Medianschnitt spalten kann, ohne die Atembewegungen aufzuheben; daß also das Atemzentrum eine paarige, symmetrische Anordnung besitzen muß; und daß der plötzliche Tod nach Verletzung so isolierter Stellen des Zentralorgans viel mehr eine Folge der hemmenden Wirkung überstarker Reizung — sog. Choce — denn eine echte Aus- fallserscheinung ist, das ist seit Brown-Sequards ersten dahingehen- den Äußerungen 3) (in denen er freilich viel zu weitgehend die ganze Existenz des Atmungszentrums überhaupt leugnete) immer mehr anerkannt worden, und es hat sich immer mehr die strenge Lokalisation des Atemzentrums im ursprünglich gedachten Sinne als unrichtig herausgestellt. Gierke*) bezog seinerzeit auf Grund mikroskopischer Untersuchungen unter Heidenhains Leitung die tödlich wirkenden Verletzungen der Medulla oblongata auf ein nach außen vom Vagus- und Accessoriuskern längs verlaufendes Nervenfaser- bündel, in welchem er später auch graue Substanz wollte nachweisen können, wogegen Mislawsky) einen nahe dem Hypoglossuskern gelegenen isolierten Ganglienzellenkomplex für das Atemzentrum ansah, und Holm) es wieder dort suchte, wo nur Bahnen und keine Ganglienzellen zu finden sind. Gad’) wies darauf hin, daß man am Boden der Rautengrube in der Gegend des Flourensschen Noeud vital durch vorsichtige Ätzung ziemlich weitgehende Substanzmengen vernichten kann, ohne daß die Atmung aufhört, und noch weiter ging in dieser Richtung unter seiner Leitung Marinescu mit Anwendung glühender kleiner Glasknöpfe als Cauterium ®). Die schichtweise Abtragung bis zum völligen Stillstande der Atmung ergab, daß als das wirkliche, doppelseitige koordinierende Atemzentrum die gesamte sog- For- matio reticularis angesehen werden muß, in welcher so zahlreiche spinale,und zentrale Nervenbahnen mit den in ihr verstreuten Ganglienzellen und unter sich verbunden sind und in funktionelle Beziehung treten, nach den Grundbegriffen, welche wir heutzutage jedem zentralen Koordinations- vorgange unterzulegen pflegen; weiterhin dürfte nach Gad und Marinescu das retikuläre Bündel des Seitenstranges, unmittelbar hinter dem Vorder- resp. Seitenhirn des Höhlengraus gelegen, als direkte Fortsetzung der For- matio reticularis im Rückenmark die efferente bulbospinale Bahn darstellen, welche von dem übergeordneten Atemzentrum zu den spinalen Atemmuskel- zentren weiterleitet. Diesen letzteren ist von vielen Forschern in doch wohl zu weitgehendem Maße eine selbständige Tätigkeit vindiziert worden, seitdem, wie schon oben erwähnt, zuerst Brown-Se&quard die Lebenswichtigkeit und Bedeutung des Flourensschen Punktes leugnete; auf Grund der Beobachtung, daß bei geköpften Vögeln und bei neugeborenen Säugetieren, denen das ver- längerte Mark abgetragen, die Atembewegungen noch einige Zeit fortdauern, verlegte bereits dieser Forscher die zentrale Innervation der Atem- bewegungen in das gesamte Rückenmark; Ähnliches beobachteten auch !) Arch. göner. de med. 13, 377, 1847. — ?) Lehrbuch d. Physiol., 1. Teil (einzig ersch.), 1858/59, 8. 322;-Arch. f. Anat. u. Physiol. 1871, 8. 624. — °) Journ. de la physiol. 1858, p. 217; Arch. de physiol. 1869, p. 299. — *) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1873, S. 583. — °) Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1885, S. 465. — °) Virchows Arch. 131, 78, 1893. — 7) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1893, S. 75. — °) Später von Arnheim durch Absaugen mit der Wasserluftpumpe ersetzt. 32 Sog. spinale Atemzentren. andere Forscher (Richardson, Dowler, Lautenbach), insbesondere Roki- tansky '), welcher zuerst die Erregbarkeit des Zentralnervensystems durch Strychnin künstlich steigerte; auch wendete er sowohl wie Schroff ?) künst- liche Atmung unmittelbar nach der hohen Rückenmarksdurchschneidung an; nach dem Aussetzen derselben traten dann einige rhythmische Bewegungen der Atemmuskulatur auf; noch ausgesprochener waren letztere in den zu- sammen mit Nitschmann angestellten Versuchen von Langendorff), welcher Forscher mit ganz besonderer Wärme für die „Existenz echter spinaler Atemzentren eintrat, welche reflektorisch und automatisch tätig werden können“; dem Apparate im verlängerten Mark, dessen Reizung nach seinen Erfahrungen die Atembewegungen hemmt *), schrieb er bloße „regulierende* Tätigkeit zu, ohne aber mit dieser Anschauung viel Anklang zu finden, auch bei wiederholtem ‚Eintreten für dieselbe 5), nachdem Wertheimer®) gefunden hatte, daß auch bei erwachsenen Säugetieren nach hoher Rückenmarksdurchschneidung rhythmische Thoraxbewegungen auftreten können, wenn die zuvor stundenlang unterhaltene künstliche Atmung unter- brochen wird. Es ist demgegenüber betont worden’), daß es sich hier um Bewegungen handle, welche denn doch die Koordination der normalen Atem- bewegungen sehr vermissen lassen, ferner daß durch die langdauernde künst- liche Atmung (Wertheimer) die Tiere „künstlich kaltblütig gemacht“ wurden, in welchem Zustande die Zentralapparate des Rückenmarks, ähnlich wie beim wirklichen Kaltblüter, eine größere Selbständigkeit besitzen, während sie um- gekehrt in den Versuchen mit gleichzeitiger Warmhaltung (Schroff) und Strychninvergiftung (Rokitansky) in einen abnormen Erregungszustand versetzt wurden, in welchem sie auf gewisse allgemeine Nervenreize bereits von so geringer Stärke reagierten, wie dies normalerweise nur dem Kopfmark zukomme. . Unzweifelhaft sichergestellt ist die bilateralsymmetrische Anord- nung des bulbären Atemzentrums, derart, daß jede symmetrische Hälfte die Atemmuskulatur der betreffenden Seite innerviert: Halbseitige Zerstörung derselben oder halbseitige Durchschneidung des Halsmarkes sistiert nur die Atembewegungen der betreffenden Seite, wie, gegenüber weitgehenden Be- hauptungen von Flourens, Schiff*®) schon vor 1858 feststellte. Bloße mediane Spaltung des verlängerten Markes hebt übrigens die bilaterale Koordination der Atembewegungen nicht auf (Longet, Langen- dorff°), so daß für diese also Commissurfasern nicht von Bedeutung zu sein scheinen, — anders jedoch für die sog. Regulation der Atembewegungen; darüber siehe weiter unten, Fragen wir uns nun, wie überhaupt die beständige Erregung des Zentralorgans zustande kommt, welche die das ganze Leben hin- !) Wien. med. Jahrbücher 1874, 8. 30. — ?) Ebenda 1875, 8. 319. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1880, 8. 518. — *) Ebenda 1881, 8. 519. — °) Ebenda 1887, S.. 237; 1888, S. 283; 1891, 8. 486; 1893, 8. 397. — °) Journ. de l’anat. et de la’ physiol. 26, 488, 1886. — 7) Siehe Kroönecker, Deutsche med. Wochenschr. 1887, Nr. 36 u. 37; Marckwald, Zeitschr. f. Biol. 33, 182, 1887; Starling in Schäfers Text-book of Physiol. 2, 287, 1900. — ®) Näheres siehe in dessen „Gesammelten Beiträgen zur Physiologie“ 1, 13 bis 16 und 101 bis 107, 1894. — °) Centralbl. f. d. medizin. Wiss. 1879, Nr. 51; Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1881, $. 78. E Automatie des Atemzentrums. 33 durch dauernden rhythmischen Atembewegungen hervorbringt, so lehrt die alltägliche Erfahrung an uns selbst, daß zwar Wille (willkürliches Anhalten des Atems, s. weiter unten) und psychische Affekte, sowie reflektorische Einwirkungen (fremde Gase, kalter- Guß auf die Haut) die Atembewegungen temporär zu modifizieren vermögen, daß aber ein gewisser „innerer Anreiz“ zur normalen rhythmi- schen Bewegung (abgesehen von lebensgefährlichen Einflüssen) stets wieder durchbricht. Um die Herkunft dieses „inneren Anreizes“ zu prüfen, hat schon Flourens bei einem und demselben Tier das Gehirn von der Oblongata abgetrennt und gleichzeitig die Nervi vagi, deren Einfluß auf die Atembewegungen, wie wir weiter unten sehen werden, schon früh beob- achtet worden war, durchschnitten, ohne daß die Atembewegungen völlig zum Stillstand kamen; Volkmann!) entfernte außerdem noch die Lungen mit Schonung der Phrenici, mit gleichem Erfolge; dagegen behauptete Rach?), daß die Durchschneidung der hinteren Nervenwurzeln des Halsmarkes mit oder ohne Vagotomie genüge, um die Atembewegungen sofort aufzuheben, eine Angabe, welche von Rosenthal?) widerlegt wurde, indem dieser Forscher das Rückenmark am siebenten Halswirbel, das Gehirn in der Gegend der Vierhügel, alle hinteren Wurzeln der Halsnerven und beide Vagi durch- schnitt und doch noch rhythmische Atembewegungen auftreten sah; dieselben weichen freilich nach Marekwald) stets von den normalen ab (s. unten); und vollständige Isolierung des Kopfmarkes von allen centripetalleitenden („afferenten“) Bahnen dürfte kaum ausführbar sein; indessen konnte Rosen- thal5) noch die Tatsache, daß Verschluß der zum Gehirn gehenden Gefäße auch bei andauernder künstlicher Einblasung (s. unten) Atembewegungen hervorruft, mit Recht zur Stütze seiner Anschauung heranziehen, wonach das Atemzentrum, „automatisch“ erregt, für sich allein rhythmische Atembewegungen zu innervieren imstande sei, wobei der an Ort und Stelle wirksame Reiz durch die Venosität desimZentralorgankreisen- den Blutes gegeben ist — eine Auffassung, welche, wie es scheint, zuerst Valentin.) ausgesprochen hat, nachdem frühere Untersucher entweder mehr oder weniger abenteuerliche Steuerungstheorien der Atembewegungen auf- gestellt hatten”) oder einfach die in der Lunge (nach La voisiers Vorstellung) resp. in den Organen gebildete Kohlensäure durch Vermittelung der Nn. vagi — MarshallHall®) — oder sämtlicher sensibler Körpernerven — Volkmann?) und Vierordt!P) — die Atembewegungen hatten reflektorisch hervorrufen lassen;schonRolando, Arnold und Joh. Müller hatten ähnliche Vorstellungen geäußert. Ein Hauptargument für die automatische, oder nach Gads Bezeichnung „autochthone“ Erregung des Atemzentrums durch den „Blutreiz“ bildet, wie Rosenthal!!) besonders betont hat, der Mangel der Atembewegungen beim Fötus (die echte — s. weiter unten — fötale !) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1841, 8. 337. — ?) Dissertation, Königsberg 1863. — ?) Arch. £. Anat. u. Physiol. 1865, 8. 191. — *) A. a.0O., 8. 203. — °) A. a. 0. — 6) Lehrb. d. Physiol. 2, 2. Abteil., Braunschw. 1848. — 7) Siehe hierüber 8. 209 ff. der großen Arbeit von Marckwald a. a. O., welche auch ein fast vollständiges Literaturverzeichnis bis 1887 enthält. — °) Memoirs on the nervous system. London 1837. — °) A. a. O., Seite 342. — !°) Wagners Handwörterb. d. Physiol. 2, 912. — ') Die Atembewegungen usw., 8. 8 ff. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 3 34 Blutreiz. „Apnoe“), solange sein Sauerstoffbedürfnis in genügender Weise durch den Placentarkreislauf befriedigt wird, wie dies zuerst von Joh. Müller genauer auseinandergesetzt worden ist!), und die durch die Beobachtungen von Schwartz?) über Atembewegungen in Utero bei vorzeitiger Placentarlösung bewiesene Tatsache, daß die durch die Unterbrechung des Placentarkreislaufs ‘bei der Geburt vermehrte Venosität des kindlichen Blutes die wahre primäre Ursache des ersten Atemzuges ist; ob die hierfür unzweifelhaft nötige Er- höhung der Erregbarkeit des kindlichen Atemzentrums lediglich durch eben diese vermehrte Venosität bedingt (s. unten) oder auch sekundär durch Haut- reize begünstigt wird, welche, wie früher die Abkühlung, hier immer wieder mit herangezogen werden [Preyer?°) u. a.], darauf näher einzugehen, ist hier nicht der Ort. Daß überhaupt die „Venosität des Blutes“ den „inneren An- reiz* zu den Atembewegungen bildet, dafür spricht ferner die Erfahrung, daß alle die Ventilation des Blutes hindernden Faktoren — ab- norme Zusammensetzung der Umgebungsluft, mechanische Atemhindernisse, starke Blutverluste — zu vertieften, angestrengten Atembewegungen führen — „Dyspnoe“, Näheres siehe weiter unten. In. der Unbestimmtheit des Begriffes der Venosität des Blutes liegt aber die weitere Frage, ob der Sauerstoffmangel oder der Überschuß an produzierter Kohlensäure ‘den „autochthonen Blutreiz* für das Atemzentrum darstellt. Im ersteren Sinne schien L. Traube, welcher übrigens damals auch noch den Reiz für peripherisch, in der Lunge auf den Vagus einwirkend ansah, die Tatsache zu sprechen, daß die bei Eröffnung der Brust auftretenden heftigen („dyspnoischen“) Atembewegungen beseitigt werden können, wenn man durch die durchlöcherte Lunge (nach Hook) einen Strom von Luft oder Sauerstoff, nicht aber von Wasserstoff oder Stickstoff hindurchtreibt *), im letzteren Sinne ein Versuch, in welchem ein sehr sauerstoff-, aber auch kohlensäurereiches Gasgemisch Dyspnoe erzeugte, reiner Wasserstoff dagegen nicht 5) [nach Krauses, Thirys und Rosenthals Nachprüfung auf Versuchsfehlern be- ruhend 6). Daß in der Tat das bloße Sinken des Sauerstoffpartiardruckes Dyspnoe macht, wurde übereinstimmend durch Rosenthal’), Dohmen ®) und Pflüger?) experimentell bewiesen, doch fanden die letzteren beiden Forscher, daß Kohlensäureüberschuß auch bei normalem oder selbst ge- steigertem Sauerstoffgehalt des Blutes die Atembewegungen verstärkte. Es wären demnach sowohl Sauerstoffmangel als auch Kohlensäure- überschuß an der autochthonen Erregung des Atemzentrums be- teiligt, und auch die Behauptung von Bernstein"), daß der Sauerstofi- mangel inspiratorische, der Kohlensäureüberschuß exspiratorische Bewegungen errege, ist durch die sorgfältigeren Untersuchungen von Gad!!) als wider- legt anzusehen, so verlockend ja der Gedanke auch gewesen wäre, indem die ‘) De respiratione foetus, Bonn 1823. — ?) Die vorzeitigen Atembewegungen, Leipzig 1858. — °) Sitzungsber. der jenaischen Gesellsch. f. Med. u. Nat., 6. Febr. 1880. — *) Dissertation von Marcuse, Berlin 1858; zit. nach Rosenthal. — °) Allg. med. Zentralzeitg. 1862, Nr. 38; 1863, Nr. 97. — °) Siehe Rosenthal in Hermanns Handbuch 4, 2. Hälfte, 8. 266. — 7) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1864, S. 456. — °) Unters. physiol. Labor. Bonn; Berlin 1865, $. 83. — °) Pflügers Arch. 1, 61, 1868. — '°) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1882, 8. 313. — "') Ebenda 1886, 8. 388; s. auch M. Rosenthal, ebenda, Suppl.-Bd., S. 248. , TEE ne 5 ED u a du Entstehung der Rhythmieität der Atembewegungen. 35 Inspiration vorwiegend der Aufnahme des Sauerstoffs, die Exspiration der Fortschaffung der Kohlensäure dient!); übrigens würde diese Vorstellung der Beantwortung der nächsten Frage, nämlich nach der Entstehung der Rhythmieität der Atembewegungen, durchaus nicht besser haben dienen können, als sie "auch bei Annahme nur des Sauerstoffmangels als einzigen wirksamen Blutreizes möglich ist, — und zwar nach Art, wie die moderne allgemeine Physiologie auch sonst die Entstehung der Rhythmik bei kon- stanten Reizen resp. Ernährungsbedingungen zu erklären geneigt ist („Selbst- steuerung des Stoffwechsels*, Hering, Verworn, Rhythmik des» Herzens, Bottazzi u. a.). Man könnte sich z. B. denken, daß das durch den lokalen Sauerstoffmangel erregte Atemzentrum eine Inspirationsbewegung innervierte, welche zu ausgiebiger Ventilation des Blutes und damit zum Fortfall des Sauerstoffmangels als lokalen Reizes führte; es würde dadurch die Innervation der Inspirationsmuskulatur aufhören, damit aber das Blut wieder sauerstoff- ärmer werden, der Reiz somit wieder eintreten und so fort; freilich kann hiergegengehalten werden, daß auch am blutleeren sbgönäinmitteuen Kopfe, sowie nach Unterbindung aller vier Kopfarterien rhythmische Bewegungen der Nasenflügel und des Kehlkopfes, Mundöffnungen („Kopfatmung“) fort- dauern können; es würde dann eben die Rhythmik mehr auf den allgemeinen inneren „Ernährungsreiz“, als auf den sog. „Blutreiz“, wie man diese Dinge mit nicht sehr klaren Ausdrücken genannt hat, zurückzuführen sein. Jeden- falls entspräche die obige Darstellung dem Alternieren der aktiven Inspiration und der passiven Exspiration, wie es beim Menschen und vielen Säugetieren die Norm bildet, und enthöbe uns jeder Versuchung, die Rhythmik durch eine Teilung des Atemzentrums in einen inspiratorisch und einen exspiratorisch wirk- samen Anteil zu erklären. Daß ein besonderes Koordinationszentrum für die aktiven Exspirationsbewegungen existiert und in den später noch zu erörternden Fällen, wo solche stattfinden, sowohl automatisch, als auch reflektorisch erregt sein kann, ist außer anderen Autoren neuerdings von Lewandowsky) behauptet worden, nachdem Arnheim) für seine rein reflektorische Natur eingetreten war; dieser letztere Forscher hatte auch die von Grossmann?) behauptete Unterscheidung je eines bulbären Zentrums für die Thorax-, Kehlkopf- und Nasenatmung nicht bestätigen können, viel- ‘mehr diese Teilbewegungen in strenger koordinatorischer Abhängigkeit von- einander gefunden. Immerhin handelte es sich hierbei nur um Bestrebungen ‘der Trennung resp. Lokalisation der Funktionen innerhalb der Medulla oblongata; außerdem ist aber von Christiani*) noch ein weiteres Atem- zentrum mit inspiratorischer und exspiratorischer Wirksamkeit am Boden des dritten Ventrikels in der Gegend der vorderen Vierhügel, sowie unter Wegleugnung dieses letzteren von Lewandowsky°) ein inspirations- hemmendes Zentrum in den hinteren Vierhügeln behauptet worden, wovon unten ausführlich die Rede sein wird. Es versteht sich von selbst, daß im Falle normaler Beteiligung dieser angeblichen Zentren die Atembewegungen im Tierversuch nach bloßer Abtrennung der Medulla !) Die neuere Literatur über die immer noch streitige Frage „Sauerstoffmangel oder Kohlensäure ?* siehe weiter unten bei der Dyspnoe. — ?) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1896, $. 489. — ?) Ebenda 1894, 8. 1. — *) Ebenda 1880, 8. 295; Sitzungsber. d. Berl. Akad. 1881 u. 1884. — °) A. a. O: 5*+ 36 Regulierung der Atembewegungen. oblongata von den höheren Hirnabschnitten sich wesentlich ändern müßten. Es ist nun zunächst bei den oben erwähnten Bemühungen, das verlängerte Mark vom übrigen Gehirn und allen afferenten Bahnen zu trennen, aber durch Vermittelung der Nn. phrenici seine motorische Tätigkeit intakt zu lassen, stets gefunden worden, daß die Atembewegungen zwar rhythmisch bleiben, aber von den normalen sich in ihrem Charakter wesentlich unter- scheiden; wenn sie auch nicht mit Marckwald!) als „Atemkrämpfe“ be- zeichnet zu werden brauchen, insofern sie entschieden noch Koordination zeigen, so ist ihr zeitlicher Verlauf immerhin ein so'-abnormer und für den Zweck der Atembewegungen, die Lufterneuerung in den Lungen, gänzlich ungeeigneter, daß man sie nicht besser charakterisieren kann als durch den Ausdruck, daß ihnen die Regulation?) fehlt, welche ihnen sonst auf dem Wege der nervösen Verbindungen des Atemzentrums zuteil wird. Das Zustandekommen dieser „Regulierung der normalen Atmung“ ist nun auch heute noch nichts weniger als völlig aufgeklärt, wenngleich wohl auf wenigen (rebieten ein solcher unheimlicher Reichtum an einschlägiger Literatur existiert wie hier, deren Angaben sich größtenteils widersprechen, indem auch bei guter Übereinstimmung der beobachteten Tatsachen die Streitig- keiten hinsichtlich der Deutung kein Ende nehmen wollen. Es erscheint mir übrigens sicher, daß zur Klärung der hier schwebenden Fragen noch viele experimentelle und besonders vergleichende Arbeit notwendig sein wird, weshalb die folgenden Ausführungen keinerlei Anspruch auf Endgültigkeit und Vollständigkeit erheben können. 3. Die Atemreflexe und die Regulierung der Atembewegungen. a) Über die Bedeutung aller übrigen normalen Einflüsse auf das Atem- zentrum außer den „autochthonen“ (Blut- oder Ernährungs-) Reizen müßten nach der allgemeinen Methodik der Untersuchung des Nervensystems Auf- schluß geben können die Beobachtung erstens von Reiz- und zweitens von Ausfallserscheinungen; letztere sind von besonderer Wichtigkeit, in- sofern sie erst die Notwendigkeit einer dauernden („tonischen*) Erregung des betreffenden Apparates („Zentrum“ oder „Bahn“) für das normale Funktio- nieren beweisen. Wie durch ihre Beobachtung bei schrittweisen Durch-, trennungen des Zentralnervensystems man zur Lokalisierung des Atemzentrums in der Medulla oblongata gelangt ist, hat oben eine ausführliche historische Darlegung erhalten; auch wurde bereits erwähnt, daß Langendorff bei direkter — mechanischer, chemischer, am chloralisierten Kaninchen auch elektrischer — Reizung der bloßgelegten Medulla oblongata nur Hemmung der Atembewegungen gesehen haben will. Andererseits will Marckwald?) durch chemische (Kochsalz-) und thermische (Kälteapplikation) Reizung des bloßgelegten Kopfmarkes starke Beschleunigung.der Inspirationen erhalten haben, ähnlich wie sie durch Erwärmung des Blutes erhalten wird und unten noch genauer zu besprechen ist. Solche Reizerfolge können nun \) A. a. 0. — ?) Die Wichtigkeit der Unterscheidung zwischen der „Koordi- nation“ und der „Regulation“ von Bewegungen ist neuerdings wieder betont worden durch A. Bickel, Untersuchungen über den Mechanismus der nervösen Bewegungs- regulation, Stuttgart 1903. — °?) A. a. O., S. 230 ff. Beteiligung der oberen Bahnen. 37 im besten Fall eben nur darauf schließen lassen, daß ähnliche Wirkungen — Hemmung und Beschleunigung der Atmung — auch durch von den verschiedenen afferenten Bahnen dem Atemzentrum zugeführte Reize erzeugt werden können, und zur Bestätigung der Richtigkeit dieses Schlusses werden nunmehr die an diesen Bahnen beobachteten Reiz- und Ausfallserscheinungen der Reihe nach zu besprechen sein. b) Was zunächst die Wirksamkeit der „oberen“, d.h. durch Vermittelung höher gelegener Hirnteile, zu der Medulla oblongata führenden Bahnen betrifft, so ist die Vermittelung erregender wie auch hemmender Impulse von der Großhirnrinde aus nach dem Atem- zentrum im verlängerten Mark eine notwendige Folgerung aus der Erfahrung, daß wir unsere Atembewegungen in weitgehendem Maße willkürlich zu modifizieren, ja selbst (bis zum schließlichen Durchbrechen ’des stärkeren autochthonen Reizes) auf längere Zeit zu unterbrechen vermögen, und daß psychische Affekte auch ihren unwillkürlichen Einfluß auf den Atem- rhythmus ausüben. In der Tat erhielt Spencer!) bei Reizung gewisser Punkte der motorischen Rindenfelder beim Affen verstärkte inspiratorische Bewegungen nach Art desSchnüffelns und bei Reizung der entsprechenden Stab- kranzfaserung resp. der Pyramidenbahnen verstärkten Tonus der Inspiratoren. Es war schon oben von der willkürlichen Unabhängigmachung der Rippen- und Zwerchfellatmung beim Menschen die Rede. Mosso°) benutzt neuestens die Tatsache, um die Bedeutung des bulbären Atemzentrums gegenüber den „cerebralen“ und „spinalen“ Atemzentren (vgl. oben) herabzusetzen; auch führt er hierfür die große individuelle Verschiedenheit in bezug auf die Fähigkeit, den Atem willkürlich anzuhalten, ins Feld. Die von ihm angeführte Beobachtung eines Individuums, welches 1'/, Minuten lang den Atem anhalten konnte, dürfte aber kaum eine so große Seltenheit, noch auch das mögliche Maximum darstellen. Auf die angebliche Fähigkeit orientalischer Asketen, durch willkürliches Atemanhalten sich in einen „künstlichen Scheintod“ zu versetzen, ist hier nicht der Ort, näher einzugehen. Spencer erhielt auch Atemhemmung bei Reizungen an der Basis des Tractus olfactorius, sowie Schnüffelbewegungen bei Reizung an der Grenze von Bulbus und Tractus olfactorius und am Gyrus uncinatus; schon vorher hatte Gourewitch?) bei Einwirkenlassen von Schwefelkohlenstoff auf die Riechschleimhaut wie auch elektrischer Reizung derselben je nach Stärke Beschleunigung oder Hemmung der Atembewegungen gesehen; genauer unter- sucht hat diese Atemreflexe, mit besonderer Unterscheidung der einzelnen adäquaten Reize (Geruchsarten), neuestens H. Beyer). Beschleunigung der Atmung wollte Christiani°) auch durch Reizung der Nn. optiei und acustici erhalten haben. Wichtiger als diese Atemreflexe von den höheren Sinnessphären aus, bei denen von einer dauernden („tonischen“) Mitwirkung bei der Regulation der normalen Atmung kaum die Rede sein dürfte, sind schon diejenigen vom N. trigeminus aus; ein solcher ist das Niesen, dessen Mechanismus, wie schon oben bemerkt wurde, noch einer genaueren Auf- klärung harrt; Reizung der sensiblen Trigeminusenden mit Chloroform o. ä. macht meist exspiratorischen Atemstillstand [Holmgren, Kratschmer’‘), !) Philosoph. Transact. 182 B, 201, 1894; 185 B, 609, 1896. — *) Arch. ital. de biol. 40, H. 1, 1903. — °®) Diss., Bern 1882. — *) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1901, 8. 261. — °) A. a. 0. — °) Sitzungsber.. d. Wien. Akad., math.-phys. Kl, 2. Abteil., 62, 147, 1870. 38 Folgen der Ausschaltung der oberen Bahnen. Knoll!)] — wichtig für die Technik der Narkose —, doch soll nach Lewandowsky schwache Reizung auch inspiratorische Wirkungen haben können; auch in früheren Reizversuchen am R. nasalis N. infraorbitalis hatte P. Bert wechselnde Erfolge erhalten; Eintauchen von Versuchstieren mit dem Maule in Wasser macht nach Frederieq, ebenso wie Eintauchen des ganzen Körpers (s. unten), exspiratorischen Stillstand. Was nun aber etwaige Ausfallserscheinungen betrifft, so habe ich nirgends eine Angabe ge- funden, noch aus eigener Anschauung beobachtet, daß die selbst vollständige intracranielle Trigeminusdurchschneidung etwa eine dauernde Veränderung des Atemrhythmus machte. Wenn somit anscheinend den bisher betrachteten centripetalen Hirnnervenbahnen kein dauernder Einfluß auf die Atemregulie- rung zukommt, so würde der bei Reizung gewisser Stellen an den Basalganglien — so in den schon zitierten Versuchen von Christiani und schon vorher von Martin und Booker?) — erhaltene Reizerfolg eben nur auf Reizung ihrer intracentralen Fortsetzungen, eventuell in sie Fig. 10. eingeschalteter Ganglien zu beziehen sein, ohne daß man NN N darum hier „höhere Atem- a zentren“ anzunehmenhätte: re er eng die sichere Entscheidung verspricht aber nach den a) normale Atm. (Insp. nach unten); b) nach Abtrennung der oberen Bahnen; c) nach dazukommender Vagotomie (nach Lewandowsky). oben betonten wohlbekannten Grundsätzen erst die Beobachtung etwaiger Ausfallserscheinungen bei gleichzeitiger Durchtrennung aller zum Atemzentrum in der Medulla oblongata führender „oberer Bahnen“; hier haben wir nun Übereinstimmung in den Er- fahrungen der Forscher dahingehend, daß die Abtrennung des Kopf- markes vom übrigen Gehirn gewaltige Veränderungen des Atem- rhythmus setzt, wenn gleichzeitig die Vagi durchschnitten sind, während die Angaben verschieden lauten für den Fall, daß sie intakt sind. Während nämlich nach Filehne°) schon die Exstirpation des Großhirns wenigstens temporär, nach Christiani*) und Arnheim 5) die Abtragung der Thalami optici dauernd eine Veränderung des Atemrhythmus bewirken sollte, hoben im Gegenteil Marckwald 6), Loewy’) und Langen- dorff) übereinstimmend hervor, daß die Abtrennung -der Medulla oblongata von höheren Gehirnteilen bei erhaltenen Vagis gänzlich wirkungslos sei; dem gegenüber hat Lewandowsky?°) beim Kaninchen festgestellt, daß, sowie der Schnitt die hinteren Vierhügel vom Kopfmark trennt, ‘) Sitzungsber. d. Wien. Akad., math.-phys. Kl., 3. Abteil., 68, 245, 1873. — ?) Studies biol. labor. John Hopkins University, Baltimore 1879; zit. nach Marck- wald. — °) Zeitschr. f. klin. Med. 2 (1880). — *) A. a. 0.—°) A. a. 0.— °) A.a. 0. und Zeitschr. f. Biol. 26 (N. F. 8), 260. — 7) Pflüger’s Arch. 42, 249. — ®) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1888, S. 283. — °) A. a. O., 8. 493. Bedeutung der Vagi für den Atemrhythmus. i 39 Erscheinungen auftreten, welche mit den gleich zu besprechenden Folgen der beiderseitigen Vagusdurchschneidung völlig überein- stimmen, indem jede Inspiration vertieft und tetanisch verlängert erscheint, was auf Fortfall von Hemmung zurückgeführt wird (siehe Figur 10a und b); die (hinteren) Vierhügel enthalten somit, wie schon oben vorläufig erwähnt, ein tonisch erregtes, an der normalen Atemregulierung beteiligtes Hemmungs- zentrum; Durchschneidung der Vagi (Fig. 10c) verstärkt eben die Wirkung seines Ausfalls durch gleichsinnige Ausfallserscheinung (auf den Grad dieser Verstärkung wird unten noch zurückzukommen sein), und es muß dieses Hemmungszentrum autochthon erregt sein oder seine Erregung auf anderen centripetalen Bahnen als den Vagi zugeführt erhalten; welches diese sind, ist eine nöch offene, weiter unten zu erörternde Frage. Für die Erscheinungen nach vorheriger Vagotomie hatte Marckwald angegeben, daß sie erst mit Ent- fernung des Trigeminuskernes volle Stärke erreichten, was Lewandowsky als ganz gleichgültig in Abrede stellt; Asher und Lüscher!), welche neuer- dings die Ausschaltung der oberen Hirnteile unblutig durch die Kroneckersche Methode der Paraffininjektion ausgeführt haben, bestätigen die Existenz eines Hemmungszentrums in den Vierhügeln, geben aber wieder an, daß es nach Ausfall durch den Trigeminuskern vertreten werde. c) Von den am Kopfmark selbst ein- und austretenden Nerven führen Glossopharyngeus und Vagoaccessorius centripetale Fasern, welche an der Atemregulierung beteiligt sein können. Elektrische Reizung des zentralen Stumpfes des N. glossopharyngeus soll nach Marckwald?) kurz (auf die Zeit von 2 bis 3 Atemzügen) dauernde Atemhemmung machen, während Schiff?) und Knoll) inspiratorische Wirkungen gesehen haben wollten. Seit sehr langer Zeit hat die Bedeutung der Nn. vagi für den Rhythmus der Atembewegungen das Interesse der Forscher erweckt, und die Literatur darüber hat einen derartigen Umfang erreicht, daß sie hier auch nicht zum kleinsten Teile vollständig berücksichtigt werden kann; ausführlichere Zusammenstellungen sind u. a. von Rosenthal’), Marck- wald 6) und von mir”) gegeben worden. Seitdem Krimer °) mit galvanischer und später Traube?) mit magnetelektrischer Reizung die [schon von Älteren Marshall Hall, Cruveilhier u. a.) bei mechanischer Reizung des Vagus gesehene] inspiratorische Wirkung erhalten haben, sind von zahlreichen Forschern, welche unter den allerverschiedensten Versuchsbedingungen teils den unversehrten Vagus, teils den zentralen Vagusstumpf nach den verschiedensten Methoden elektrisch, mechanisch oder chemisch gereizt haben, teils nur in- spiratorische, teils nur exspiratorische, teils je nach Umständen, oft anscheinend regellos beiderlei Reizerfolge erhalten worden, bei welchen offenbar zu viele Faktoren mitwirken, als daß sie ohne weiteres für die Bedeutung der Nn. vagi bei der Atemregulierung verwertet werden könnten. Bei elektrischer (tetanisierender, magnetelektrischer oder Induktions-) Reizung wollten nur inspiratorische Wirkungen — Stillstand des Zwerchfells in Inspirations- ») Zeitschr. f. Biol. 38 (N. F. 20), 499, 1899. — °) A. a. O0. 23, 239. — ®) Moleschotts Unters. 8, 225, 1862. — *) Sitzungsber. Wien. Akad. 3. Abteil., 92, 306, 1885. — °) Atembewegungen, Berlin 1862. — °) A. a. O0. — 7’) Pflügers Arch. 61, 189. — °) Untersuchungen üb. d. nächste Ursache des Hustens, Leipzig 1819. — °) Beitr. z. exp. Pathol., Heft 1 u. 2, 1846. 40 Effekte der zentralen Vagusreizung. stellung nach Traubes Vorgang — ferner gesehen haben: Kölliker und H. Müller'), Snellen‘), Lindner’), Löwinsohn®), Cl. Bernard’), Gil- christ‘), Funke, Schiff; dagegen nur exspiratorische Wirkungen — Atmungs- stillstand in Exspirationsstellung — Eckhard’), Budge®), Owsjannikow’). Rosenthal") behauptete dann, daß die letzteren nur durch Stromschleifen — eine Fehlerquelle, auf welche hingewiesen zu haben in der Tat sein großes Ver- “ dienst ist — und zwar auf den R. laryngeus superior bedingt seien, dessen spezifisch hemmende Wirksamkeit in der Folge allerdings auch im wesentlichen bestätigt worden ist. Aber Pflüger und Burkart'') sahen auch bei Vermeidung dieser Fehlerquelle wechselnde Erfolge der elektrischen Reizung des zentralen Vagus- stumpfes, ebenso zahlreiche folgende Untersucher (unter ihnen Rosenthal selbst), welche zum Teil die wunderlichsten Faktoren heranzogen zur Erklärung der Ver- schiedenheit: so z. B. Meltzer'*) das Geschlecht der Tiere (Kaninchen), Kauders') die „Stimmung (!) der Zentren“ usw. Erst sehr allmählich fing man an, die Punkte, auf welche es wirklich ankommen muß, besser auseinanderzuhalten, nämlich einer- seits: die Art und Stärke des Reizes. Nachdem schon früher v. Helmholtz '), Aubert und v. Tschischwitz'’), Rosenthal") u. a..je nach der Stärke der In- duktionsströme verschiedene Effekte gefunden hatten, legte neuerdings Lewan- dowsky') fest, daß ganz schwache tetanisierende Induktionsreize reine Hemmung der Atembewegungen (Stillstand in Ruhestellung), stärkere Beschleunigung der Atmung in Mittelstellung und schließlich inspiratorischen Tetanus, stärkste mit Stromschleifen, wie jede schmerzhafte Reizung sensibler Nerven, „Atemunruhe“ resp. aktive Exspirationsbewegungen hervorrufen. Für die mechanische Reizung, hatten Traube'®) (Scherenschnitt) und Czermak (Kompression des Vagus am Halse beim Menschen) inspiratorische, dagegen Grützner'”), Langendorff”) und Gad®') (auch für thermische und chemische Reizung) ausschließlich exspira- torische Effekte angegeben. Nachdem schon Grützner bei Durchleiten eines auf- steigenden konstanten Stromes Hemmung gesehen hatte, gaben Langendorff und Oldag”) an, daß konstante und unterbrochene Kettenströme, wenn absteigend durch den zentralen Vagusstumpf geleitet, stets inspiratorische, wenn aufsteigend, stets exspiratorische Wirkungen geben. Bei Nachprüfung dieser Angaben kam ich *) zu der Anschauung, daß in bezug auf die Art des zentralen Vagusreizes, und zwar in gleicher. Weise, ob derselbe elektrisch oder nichtelektrisch sei, ein wesentliches den Reizeffekt bestimmendes Moment darin bestehe, ob derselbe kurzdauernd. („Momentanreiz“, wie eine elektrische Stromesschwankung, ein kurzer Hammer- schlag) oder von längerer gleichmäßiger Konstanz (konstanter Strom, Ligatur) ist, insofern ersteres inspirationsanregende, letzteres inspirationshemmende Wirkung auf das Atemzentrum äußere; und ich muß hieran auch gegenüber mehreren darauf gemachten Einwendungen ”*) auch heute noch festhalten. Freilich darf anderseits die Bedeutung des Zustandes, in welchem sich das Atemzentrum zur Zeit der Vagusreizung befindet, ebensowenig wie derjenige irgend eines Zentralorgans bei ‘) Würzburger Verhdlgn. 1854, 8. 233. — ?) Nederlandsche Lancet 1854/55: Prager Vierteljahrsschr. 1855. — °) Diss., Berlin 1855. — *) Diss., Dorpat 1858. — °) Legons sur la physiol. etc. du systeme nerveux 2, 382 ff., Paris 1858. — °) British etc. review 1858, p. 495. — 7) Grundzüge der Physiol. d. Nervensystems, Gießen 1854. — °) Compt. rend. 39, 749, 1854; Promotionsrede, Bonn 1855; Virchows: Arch. 16, 433, 1859; Zeitschr. f. rat. Med., 3. Abteil., 21 (1864). — °) Virchows Arch. 18, 572, 1860. — !°) Die Atembewegungen und ihre Beziehungen zum Nervus vagus, Berlin 1862. — '') Pflügers Arch. 1, 107, 1868. — !?) Zentralbl. £. d. med. Wissensch. 1882, S. 497. — '*) Pflügers Arch. 57, 333, 1894. — \) Diss., Gießen 1856. — '°) Diss., Breslau 1857; Moleschotts Untersuchungen 3, 272, 1857. — \%) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1880, Suppl.; 1881, 8. 39, 62. — ) Ebenda 1896, 8. 195. — '?) A. a.0. — '”) Pflügers Arch. 17, 250; 57, 98, 1894. — °°) Ebenda 59, 201; vergl. Unters. Königsb. Lab. S. 50. — *!) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1880, 8. 11. — *°) Pflügers Arch. 59, 201: — °®) A.a. 0. — *) Siehe Lewandowsky, a. a. O. und Zentralbl. f. Physiol. 10, 601; 13, 775; Boruttau, Pflügers Arch. 65, 26, 1897; Zentralbl. f. Physiol. 10, 817, 1897. ) Selbststeuerungslehre von Hering und Breuer. 41 reflektorischer Erregung vernachlässigt werden. Nachdem schon früher Wedenski unter Heidenhains Leitung gefunden hatte, daß „flüchtige“ Reizung des zentralen Vagusstumpfes mit einzelnen Induktionsschlägen, wenn während der Inspiration er- folgend, exspiratorische, und wenn während der Exspiration erfolgend, inspiratorische Wirkung habe, zeigte Lewandowsky'), daß man bei der außerordentlich ver- langsamten Atmung, welche nach Abtrennung der oberen Bahnen und der Vagi statt hat (s. oben, $S. 38 und unten), das gleiche sehr deutlich auch mit tetanisieren- den Reizen erhalten kann. Auch die von Frederieq’) zuerst betonte Erfahrung, daß tiefe Narkose (Chloral) die hemmenden („exspiratorischen“) Effekte begünstigt, gehört hierher. Trotzdem aber dünkt es mich zu einseitig, ohne Rücksicht auf die Art des Reizes selbst den Effekt desselben lediglich als ein Produkt der (im einzelnen Falle unübersehbaren) Interferenz seiner Wirkung mit dem inneren jeweiligen Erregungszustande des Atemzentrums zu bezeichnen (Lewandowsky). Aus obigen Gründen unternahmen es bereits 1868 Hering und Breuer’), die Wirkungsweise der natürlichen Reize auf die sensiblen Vagus- enden in der Lunge zu untersuchen, um dem Mechanismus auf den Grund zu kommen, mit welchem diese Nerven an der Regulierung der normalen Atmung beteiligt sind. Sie fanden, daß beim normalen Säugetier mit intakten Nn. vagis jede künstliche Einblasung reflektorisch eine Exspiration, jedes Nachlassen mit dem Drücke des Blasebalges anscheinend reflektorisch eine Inspiration hervorruft, so daß bei künstlicher Atmung das Tier gewissermaßen seine natürlichen Atembewegungen dem Rhythmus der künstlichen anpaßt oder isochronisch macht. Diese Er- scheinungen fallen fort, sobald beide Nn. vagi durchschnitten sind. Hering und Breuer nahmen darum an, daß bei der normalen Atmung jede Inspiration reflektorisch dureh Vermittelung der Vagi unterbrochen wird, und daß während jeder so darauffolgenden Exspiration wieder durch Vermittelung der Vagireflektorisch eine Inspiration hervorgerufen wird, und bezeichneten diesen Vorgang als die „Selbststeuerung der Atembewegungen durch die Nn.vagi“. Dabei nahmen sie zwei gesonderte Arten von centripetalen Vagus- fasern an, deren eine durch die bei der Inspiration erfolgende Lungendehnung gereizt werde und deren Erregung die inspira- torische Tätigkeit des Atemzentrums hemme, während die andere umgekehrt durch die exspiratorische Lungenverengung gereizt werde und ihre Erregung das Atemzentrum zur Inspirations- innervation anrege. Für die Existenz zweier solcher Faserarten ist in der Folge dann auch 'Gad eingetreten, hinsichtlich ihrer normalen Beteiligung an der Regu- lierung der Atembewegungen gelangte er indessen zu einem abweichenden Ergebnis auf Grund sorgfältiger Beobachtung der bei beiderseitiger Ausschaltung der Vagi auftretenden Ausfallserscheinungen. Es ist eine sehr alte Beobachtung, daß nach beiderseitiger Vagusdurch- schneidung am Halse (und zwar auch dann, wenn zur Ausschaltung der Folgen des Recurrensausfalls eine Trachealkanüle angelegt wird, Legal- lois) die Atemzüge, tiefer, angestrengter — von „dyspnoischem“ !) A.a. O., 8. 501 ff. — ?) Bulletin de l’Acad. royale de Belgique 47 und Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1883, Supplementbd., S. 51. — °) Sitzungsber. der Wien. Akad., math.-naturwiss. Klasse, 2. Abteil., 58, 909, 1868. 42 Atmung nach Vagotomie. Charakter — („Vagusdyspnoe“) und dabei seltener werden, durch längere Pausen voneinander getrennt; viele Forscher, so noch Longet, suchten die hier nicht näher zu erörternde tödliche Lungenentzündung, welche beim Säugetier meistens die Folge dieser Operation ist, mit diesem ver- änderten Atemmodus in Zusammenhang zu bringen, bis Traube ihren wesent- lichen Charakter als Schluck- oder Aspirationspneumonie aufklärte; erst später hat man daran gedacht, zu prüfen, wieviel von diesem veränderten Atemtypus nach der bilateralen Vagotomie als reine Ausfallserscheinung an- zusehen, wieviel erst allmählich nach derselben sich herausbildet und wieviel durch den etwa mit der Durchtrennung gesetzten Reiz [Goltz, Kohts und Tiegel!)] verursacht ist; letzterer kann mechanisch sein und wird ins- besondere, wenn Durchschnürung oder -quetschung angewandt wird, meist zu exspiratorischen Erscheinungen führen (Langendorff, Gad); er kann aber auch elektrisch sein, indem (nach der an sich nur einen kurzen mecha- nischen Reiz setzenden Durchschneidung) der zentrale Stumpf in die Wunde fällt und so der Demarkationsstrom zwischen Oberfläche und Querschnitt durch das Wundsekret geschlossen wird [Knoll 2)]; aufsteigende konstante Durchströmung wirkt nach den oben genauer erörterten Erfahrungen gleich- falls atemhemmend („exspiratorisch*). Gad?®) hat darum an Stelle der Durchschneidung die „reizlose Ausschaltung“ durch Abkühlung bis zur Aufhebung der Erregungsleitung in den Vagi gesetzt [Durch- frierung °); indessen braucht nach späteren Erfahrungen — Marckwald, Boruttau u. a. — die Abkühlung nicht bis auf oder unter 0° zu gehen]; Fig. 11. dieselbe hat noch den Vor- teil, daß bei Wiedererwär- VVMN AN WVV men (resp. Wiederauftauen) + Restitution der Leitungs- a fähigkeit der Nerven und Wiedereintritt desnormalen ve Atemtypus stattfindet. Die so beobachteten „reinen u a Ausfallserscheinungen“ sind nach Ausschaltung nur des einen Vagus meist kaum nennenswert; nach Abkühlung des zweiten (* in Fig. 11a) indessen tritt sofortige Vertiefung und Verlängerung der nächsten Inspiration auf, während die exspiratorischen Phasen („Atempausen“) zunächst unverändert oder gar verkürzt sind; erst später und allmählich . nehmen sie an Dauer zu (Fig. 11b) und können schließlich so lange werden, daß z. B. beim Hunde nur 3 bis 4 Atemzüge in der Minute erfolgen. Bei dieser ausgebildeten „Vagusdyspnoe“ — Inspirationen tetanisch, Pausen ver- längert — wird meist auch die Exspiration aktiv, besonders beim Hund, doch kann beim Kaninchen auch nach länger dauernder Pause erst eine kurze aktive Exspiration, dann unmittelbar darauf die vertiefte Inspiration folgen („saccadierte* Atmung, Langendorff). Benutzt man eine die Schwankungen des Lungenvolums registrierende Vorrichtung (schreibendes Spirometer, Gads Volumschreiber, sehr nachgiebige ‘) Pflügers Arch. 13, 84, 1876. — ?) Sitzungsber. d. Wien. Akad., 3. Abteil., 85, 282, 1892. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1880, 8. 9f. Tonus des Lungenvagus. 43 Mareysche Kapsel), so ist deutlich zu erkennen, daß unmittelbar nach der reizlosen Vagusausschaltung die Mittellage des Thorax stark im exspiratori- schen Sinne verschoben, der dauernde Tonus der Inspirationsmuskeln, auf welchen sich die rhythmischen Kontraktionen aufsetzen, also sehr verstärkt ist; dies vereint mit der tetanischen Verlängerung dieser letzteren macht die Atemform nach beiderseitiger Vagusausschaltung zu einer äußerst unzweckmäßigen, indem die Anstrengung der Atemmuskulatur enorm vergrößert ist, bei der [nach Rosenthal!) gleichbleibenden, im späteren Stadium verminderten] jedenfalls nicht erhöhten Atemgröße und somit Ventilation der Lungen der Nutzeffekt der Atembewegungen außerordent- lich verschlechtert ist. Als reine Ausfallserscheinung kann nun diese unmittelbar nach der reizlosen Vagusausschaltung auftretende Atemform, wie Gad mit Recht betont hat, nur dadurch erklärt werden, daß lediglich hemmende Impulse, welche durch die centripetalen Vagusfasern dem Atemzentrum zugeleitet und, bei der normalen Atem- regulierung beteiligt, hier ausgefallen sind. Von einem Ausfall inspirationsanregender Impulse, welche nach Rosenthal die einzige und eigentliche Funktion des Lungenvagus bilden, nach Hering und Breuer mit den hemmenden alternieren sollten, kann nach den beschriebenen Ergebnissen nicht die Rede sein. Die allmählich auftretende Ver- längerung der Pausen zwischen den Atemzügen und Wiedererreichung einer der Cadaverstellung näheren Ruhelage des Thorax wäre nach Gad erst als „Spätfolge“ der Vagusausschaltung dadurch zu erklären, daß durch die infolge des Fortfalls der Hemmung so vermehrte inspira- torische Anstrengung das Atemzentrum gewissermaßen ermüdet und zwischen den Atemzügen immer längere Zeit braucht, damit der auto- chthone oder Blutreiz wieder zur Wirksamkeit gelangt. Diese sog. Spätfolgen können nun freilich, wie Kurven von Lindhagen°), von mir und anderen zeigen, auch sehr bald, schon wenige Atemzüge nach der reizlosen Ausschaltung auftreten; indessen dürfte die Ursache hiervon in nicht genügend vermiedener Dyspnoe liegen, welche natürlich schon von vornherein eine gewisse Ermüdung oder Erregbarkeitsherabsetzung des Atemzentrums mit sich bringt. Daß lediglich durch den jeweiligen Ausdehnungszustand der Lunge im Sinne von Hering und Breuer eine stetige Erregung der centripetalen Vagusfasern stattfindet — „Tonus des Lungenvagus* —, und daß diese Erregung eine Hemmung der inspirationsinnervierenden Tätigkeit des Atem- zentrums darstelle, hat ferner Loewy?°) wahrscheinlich gemacht, indem er fand, daß nach Durchschneidung des einen Vagus die Herstellung von Pneumo- thorax auf der anderen Seite einen sofortigen Inspirationstetanus erzeugt und weiterhin einen Atemtypus, genau als ob auf dieser Seite gleichfalls der Vagus ausgeschaltet sei, statt des Lungencollapses. Von den, wie unten näher berichtet, von Head) näher untersuchten beiden Hering-Breuer- schen Grundphänomenen wäre demnach nur der exspiratorische Stillstand bei Lungenaufblasung auf eine Vagusreizung zurückzuführen, die inspira- torische Wirkung der Lungenaussaugung oder des Lungencollapses dagegen eine reine Ausfallserscheinung, indem sie nicht auf Erregung von inspira- !) Atembewegungen usw. — ?) Skandinav. Arch. f. Physiol. 4, 296. — ®) Pflügers Arch. 42, 273, 1888. — *) Journ. of physiol. 10, 1. 44 Art der tonischen Erregung. torischen, sondern auf dem Fortfall der Erregung der inspirationshemmenden Vagusfasern beruhe. Während nun Gad die Existenz inspirationsanregender Vagusfasern neben den inspirationshemmenden (angesichts der Effekte künst- licher Vagusreizung) zugibt, glaubte Lewandowsky annehmen zu müssen, daß solche überhaupt nicht, vielmehr nur eine einzige Art von Vagusfasern, und zwar bei der normalen Atemregulierung hemmend funktionierende, vor- handen sei. Ich habe gleichfalls eine Faserart für genügend erachtet, zumal nachdem Trennungsversuche sowohl im Verlaufe des Halsvagus — Steiner!) — als auch im Wurzelgebiet an der Hirnbasis — Beer und Kreidl?) — sich als vergeblich erwiesen haben, muß jedoch dabei bestehen bleiben, daß je nach der Art des Reizes - die Wirkung dieser einen Faserart inspirationshemmend oder -anregend sein kann. Daß bei der normalen Regulierung bei den meisten Säugetieren — Kaninchen, Hund, wahrscheinlich auch Mensch — in der Tat nur die Hemmungswirkung be- teiligt ist, hat Lewandowsky°®) noch wahrscheinlicher gemacht durch den Nach- weis, daß am peripherischen Vagusstumpfe bei Lungenaufblasung eine tetanische negative Schwankung des Demarkationsstromes auftritt, bei dem Wiederzusammen- sinken aber keinerlei elektrisches Aktionsphänomen zu erkennen ist, Tatsachen, welche ich selbst habe bestätigen können '). Indessen sprechen manche Tatsachen dafür, daß unter gewissen aus- nahmsweisen Bedingungen eine inspirationsanregende Vaguswirkung hervor- treten kann: so hat Head) durch rhythmisch wiederholte Aussaugung („negative Ventilation“) beim Kaninchen tonisch verstärkte Inspiration er- halten, welche noch nach dem Aufhören derselben andauert (gleichsinnige - Nachwirkung) — siehe Fig. 12 —, welche genau analog der Atemhemmung Fig. 12. a Y/NNTNN Passive Bewegung der Brustwand — nn AAN Aussaugungen der Pumpe Zwerchfellbewegung Bo a a Fa ae DE En Nach Head. bei rhythmisch wiederholter Einblasung („positive Ventilation*) ist, die auch eine gleichsinnige Nachwirkung besitzt — siehe Fig. 13 —; die erstgenannte Erscheinung nur durch Hemmungsausfall zu erklären, dürfte in der Tat seine Schwierigkeiten bieten; ferner hat neuestens Schenck®) angegeben, daß reizlose Vagusausschaltung während dauernder kräftiger Aussaugung beider Lungen exspiratorische und nicht wie sonst inspiratorische Ausfallserschei- nungen mache. !) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1878, 8. 577. — ?) Pflügers Arch. 62, 156, 1896. — °) Ebenda 73, 288 und Diss., Halle 1898. — *) Ebenda 84, 388, 1901. — ®) A. a. ©. — °) Pflügers Arch. 100, 337, 1903. Weitere Atemreflexe. 45 Weniger gut verwertbar in dem erörterten Sinne dürften die entgegengesetzten oder ungleichsinnigen Nachwirkungen sein, welche von Lewandowsky, Head u.a. nach dem Aufhören sowohl „künstlicher“ wie natürlicher Reizung des Lungenvagus beobachtet worden sind: inspiratorische Nachwirkung hemmender elektrischer Reizung des zentralen Stumpfes (auch nach bilateraler' Durchschneidung. noch erhält- lich!); inspiratorische Nachwirkung der exspiratorisch wirkenden Lungenaufblasung und exspiratorische Nach- ö wirkung der inspiratorisch wirkenden Lungenaus- { saugung. Hier dürfte vielmehr das Durchbrechen der N während der Hemmung im Atemzentrum angesam- E melten Erregung, und umgekehrt die Ermüdung des- E selben nach längerer inspirationsanregender Tätigkeit alles Wesentliche erklären. Darum dürften auch Melt- zers!) Argumentationen für die Beteiligung beider Faserkategorien an der normalen Atemregulierung ebenso hinfällig sein wie die von Treves?) gelegentlich gemachte Annahme einer dritten „exspirationshemmen- den“ Vaguswirkung. = Daß bei anderen als den uns hier interessierenden Tierarten die Regulierung der normalen Atmung und die Beteiligung der Nn. vagi an ihr ganz anderer Art sein kann, halte ich für sehr wahrscheinlich, doch ist hier nicht der Ort, die wenigen bis jetzt darüber existierenden Arbeiten näher zu besprechen?). Auch auf die kürzlich‘) von Mosso gemachten Angaben, nach welchen für den Menschen die Breuer-Hering- schen Grundversuche nicht gültig sein sollten, kann 1 hier nicht näher eingegangen werden; doch scheinen mir dieselben schwerwiegenden Einwänden ausgesetzt Pr zu sein. be I | Passive Bewegung der Brustwand &n 5, © B © R- = & R=] © m © E N ı Sekunden N ------ Einblasungen der Pumpe Fig. 13. Nach Head. d) Die Rr. laryngei, besonders der La- Be ryngeus superior, doch auch die Lungenästte ( ..- des Vagus selbst führen sensible Fasern, _ deren spezifische Wirkung insbesondere bei \ =” Reizung durch Gase und Dämpfe — Gad und. m Zagari’); hierher auch der Bernssche) Atem- ns reflex durch Kohlensäure — in Inspirations- je .- hemmung (Rosenthal), öfter verbunden mit en aktiver Exspiration und Glottisschluß (Hustenreflex, en siehe oben) besteht. era e) Viel weniger konstant sind die durch Pr die sensibeln Spinalnervenbahnen aus- = gelösten Atemreflexe.. Als typisch wären hier wesentlich die ‘sog. Eintauchreflexe zu er- wähnen. Nachdem zuerst Rosenthal und Falk’) : Y) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1892, $. 340. — ?) Arch. ital. de biol. 27, 169, 1897.. — °) Die Atmung der Reptilien behandelte Siefert in Pflügers Archiv 64, 321, 1896; ‚diejenige sowie die Atmungsinnervation der Vögel M. Baer in Zeitschr. f. wissenschaftl. Zool., 61, 420, 1896, und Grober in Pflügers Arch. 76, 427, 1899. — *) Arch. ital. de biologie 50 (1903). — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1891, 8. 37. — °) Diss., Leiden 1869. — 7) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1884, 8. 455. 46 Beteiligung der Sensibilität an der Atemregulierung. auf dieselben aufmerksam gemacht hatten, setzten Holmgren!) und Fredericq?) auseinander, daß Eintauchen eines Kaninchens mit dem caudalen Körperende in kaltes Wasser Inspirationstetanus erzeugt, während Eintauchen mit dem Kopfe durch die Trigeminusreizung (siebe oben) atemhemmend wirkt; analog scheinen nach meinen Erfahrungen auch die Wirkungen kalter Güsse beim Menschen zu sein. Charakteristisch atem- hemmend wirkt nach Budge?°) und J. C. Graham) Splanchnicusreizung; alle übrigen sensiblen Spinalnerven sollen nach Lewandowsky°) bei schwächster Reizung inspiratorisch wirken, während starke Reizung zugleich mit Schmerzäußerungen „Atemunruhe und aktive Exspirationen“ hervorrufen soll, die aber wahrscheinlich eine echte Hemmung verdecken; diese letztere soll nach Schiff®) bei ganz tiefer Narkose rein hervortreten. Es ergibt sich nun schließlich die Frage, wie weit die unteren. sensibeln Nerven, sowie afferente Bahnen überhaupt ausschließ- lich der Vagi an der normalen Atemregulierung beteiligt sind. Während ältere Forscher geneigt waren, etwas derartiges zu bejahen — so Budge, welcher nach Abziehen der Haut analoge Veränderung der Atem- rhythmik beobachtet haben wollte wienach Vagusdurchschneidung, und Schiff, welcher nicht nur annahm, daß die anderen afferenten Bahnen für die Vagi vikariierend eintreten können, sondern noch 1894 überhaupt die Ursache der Atembewegungen für reflektorisch und nicht automatisch hielt —, so besteht bei neueren Forschern, insbesondere Marckwald und Lewandowsky, die sehr bestimmte Überzeugung, daß die Nerven der allgemeinen Sensibilität an der normalen Atemregulierung gar nicht beteiligt seien. Demgegenüber glaube ich darauf hinweisen zu müssen, daß für die Koordination und Regulation jeder Bewegung, sei sie nun willkürlich, reflektorisch oder automatisch, rhythmisch oder nicht, nach dem jetzigen Stande unserer Kennt- nisse die Mitwirkung der Muskelsensibilität, wie auch der durch die sensibeln Nerven der Sehnen, Gelenke, Knochen und Haut vermittelten Lage- und Bewegungsempfindung durchaus nicht entbehrt werden kann. Während zwar Lewandowsky direkte Reizung der Intercostalnerven schwach inspiratorisch wirken sah, gibt Spina’”) an, daß jede sensible Nervenreizung nach bilateraler Vagotomie stark exspira- torisch wirkt; derselbe Forscher und Mislawsky®°) haben gezeigt, daß Reizung der schon durch v. Anrep und Cybulski°’) nachgewiesenen centripetalen Phrenicusfasern im wesentlichen die Tätigkeit des Zwerch- fells hemmt; und Baglioni!P) sah neuestens direkte Reizung des Zwerchfells selbst (bei durchschnittenen Vagis) eine Exspirationsbewegung der Nasenflügel des Kaninchens auslösen. Es erscheint mir am wahrscheinlichsten, daß alle cerebralen (oberen) und spinalen (unteren) Bahnen der allge- meinen Sensibilität, insbesondere aber diejenigen der Atemwege und Atemmuskeln, in direkter Verbindung mit dem nach Lewan- ‘) Upsala Läkareförenings Förhandlingar, 18, 203, 1883. — ?) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1883, Suppl., S. 51. — °®) A. a. O0. — *) Pflügers Arch. 25, 379, 1881. — 5) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1896, 8. 241. — °) Gesammelte Beiträge z. Physiol. 1, 42, 75, 94 usw., 1894. — 7) Wiener medizin. Blätter 1896, Nr. 10 bis 13. — *) Zen- tralblatt f. Physiol. 15, 481, 1901. — °) Pflügers Arch. 33, 243, 1884. — !®) Zentral- blatt f. Physiol. 16, 649, 1903. Symmetrie der Atemregulierung. 47 dowsky und Asher und Lüscher (sieheoben) in der Vierhügelgegend anzunehmenden Atemhemmungszentrum stehen. Auf diese Weise können sie den Ausfall der direkt mit dem bulbären Atemzentrum verbundenen, von der Lungensensibilität aus hemmenden Vagi zum Teil ersetzen, ebenso wie diese, solange sie erhalten sind, bewirken, daß die Atmung nach Ab- trennung des Kopfmarkes vom übrigen Gehirn nicht stärker verändert erscheint als nach bloßer Vagotomie auch. Erst nach Ausschaltung beider, der Vagi undder Verbindung mit der Vierhügelgegend (nach Marckwald sowie Asher und Lüscher auch noch des Trigeminuskerns), nehmen die Atembewegungen die Gestalt an, wie sie dem von allen regulie- renden Einflüssen abgeschnittenen medullären Atemzentrum zukommt. Kroneceker und Marckwald haben diesen Typus als Atemkrämpfe bezeichnet, gingen aber wohl zu weit darin, ihm auch die Koordination gänzlich abzusprechen, für welche ja die Einrichtung des Zentrums auch ohne Regulier- vorrichtung zum Teil genügen kann; sicher zu Unrecht sprechen sie ihm die Rhythmizität ab und sehen die Rolle der Vagi darin, die kontinuierliche Erregung rhythmisch abfließen zu lassen; sie bezeichnen sie darum als Entlader, indem sie sie mit der Laneschen Maßflasche vergleichen, welche eine rhythmische Entladung der großen Leidener Flasche bewirkt. Daß die Veränderung des Rhythmus (tetanische Zn ationen und verlängerte Pausen) nach Durchtrennung der Vagi und der oberen Bahnen mehrfach so stark ist, wie nach jedem dieser Eingriffe allein, darf uns sicher nicht wundernehmen, nachdem ja jede Regulationsstörung nach zwei aufeinander folgenden Exstirpationen am Nervensystem, deren jeder einzelnen Folge durch den anderen Regulierapparat ausgeglichen werden konnte, dauernd und irreparabel sich zeigt [Bickel')]. Für die Regulierung der Atembewegungen scheinen, wie schon oben an- gedeutet, die Commissurfasern des Atemzentrums von Bedeutung zu sein: Langen- dorff?) fand, daß, wenn nach medianer Spaltung des Kopfmarkes, welche zunächst ohne Folgen bleibt, nunmehr auf der einen Seite der Vagus durchschvitten wird, alsbald Störung der bilateralsymmetrischen Koordination auftritt: Die Atmung wird nur auf der vagotomierten Seite verlangsamt und zentrale Reizung eines Vagus bringt nur diese Seite zum Stillstand; werden beide Vagi durchschnitten, so ist die unabhängige und oft alternierende Bewegung beider Brusthälften höchst auffallend. 4. Besondere Zustände der Ateminnervation: Apnoe, Dyspnoe und Asphyxie. Wenn man bei einem Tiere vermittelst Blasebalgs und Trachealkanüle ?) wiederholte Lufteinblasungen in die Lunge macht, so findet man, daß wäh- rend derselben das Tier zu atmen aufhört und nach Beendigung derselben eine noch längere Zeit der Ruhe vergeht, ehe das Tier wieder beginnt, eigene Atembewegungen zu machen. Diesen Zustand hat Rosenthal als „Apnoe“ bezeichnet und angenommen, daß die Atembewegungen ausblieben wegen mangelnden Atembedürfnisses, sobald durch die Ein- blasungen das zuvor nicht völlig mit Sauerstoff gesättigte Arterienblut in den Zustand völliger Sauerstoffsättigung ge- lange; demgegenüber zeigte Gad*), daß bei reizloser Vagusausschaltung 1) A. a. 0. — ?) Arch. £. (Anat. u.) Physiol. 1881, 8. 78. — °) Auf die Ge- schichte und Technik der künstlichen Atmung näher einzugehen, verbieten leider Zweckbestimmung und Umfang dieses Werkes. — *) Arch. f. (Anat. u.) Physiol, 1880, 8. 28. 48 Apnoe. während solcher Apnoe sofort tiefe Inspirationen wieder einsetzen; und nachdem auch Knoll!) gefunden hatte, daß bei durchschnittenen Vagis sich viel schwieriger durch künstliche Einblasungen Atemstillstand erzeugen läßt, auch auf die relativ dunklere Farbe und das immer Dunklerwerden des arteriellen Blutes noch während der Apnoe wiederholt aufmerksam gemacht worden war, stellte im Jahre 1885 Miescher-Rüsch?) die Unterscheidung auf zwischen echter Apnoe — Apnoea vera —, welche auf die von Rosenthal vorgestellte Art und Weise zustande komme, und falscher Apnoe — Apnoea spuria s. Apnoea vagi —, welche auf der durch die Einblasungen gesetzten zentralen Vagusreizung beruhe; wir haben schon gesehen, daß in der Tat Head’), je nachdem er bloße rhythmische Einblasungen oder bloße Aussaugungen anwendete, rein exspiratorischen oder rein inspiratorischen Atemstillstand hervorrufen konnte: Bei alternierenden Einblasungen und Aussaugungen erfolgt nach seinen, seitdem öfters bestätigten Erfahrungen der „apnoische* Stillstand in einer Mittelstellung mit erhaltenem Tonus der Inspiratoren. Offenbar eine echte Apnoe ist die schon oben besprochene fötale Apnoe, bei welcher übrigens bei der beständig erfolgenden, für das intra- uterine Leben genügenden Sauerstoffversorgung eine geringere Erregbar- keit des Atemzentrums besteht als später nach der Geburt: Das Dunklerwerden des arteriellen Blutes (resp. Geringerwerden des Farben- unterschiedes zwischen beiden Blutarten) bei der Apnoe nach Einblasung weist darauf hin, daß auch hier ein Sinken der Erregbarkeit statt- finden muß. Auch am Menschen sind Apnoeversuche angestellt, welche jedoch wegen der dabei angewandten willkürlichen tiefen Atemzüge nicht einwandfrei sind, so von Neander*) und neuestens von Mosso°); letzterer nimmt an, daß die oben angedeutete Erregbarkeitsherabsetzung durch Mangel an produzierter Kohlensäure zustande komme — sog. „Akapnie“ —; er sieht den eigentlichen Atemreiz nicht im Sauerstoff- mangel, sondern in der produzierten Kohlensäure, und führt auch die Erscheinungen am Atem- und Kreislaufsapparat beim Aufenthalt im Hochgebirge auf solchen Kohlensäuremangel oder „Akapnie“ zurück — Dinge, welche im vorigen Abschnitt behandelt sind. Hoppe-Seyler‘) wollte die Apnoe durch Ermüdung des Atemzentrums resp. der Atemmuskulatur erklären, eine Vorstellung, welche in dieser Form wenig An- klang gefunden hat, mir indessen nach seiner Darstellung mit der Annahme der Beteiligung einer Erregbarkeitsherabsetzung identisch zu sein scheint. Den Zustand bei gewöhnlicher Atmung mit normaler Tiefe und nor- malem Rhythmus hatRosenthal alsEupnoe bezeichnet, zum Gegensatz des seit altersher bei den Ärzten gebräuchlichen Wortes Dyspnoe für die augenscheinlich erschwerte, daher über die Norm angestrengte Atmung. ‚Ursache der Dyspnoe kann sein: 1. Verminderung des Sauerstoffpartiardruckes in der um- gebenden Luft, insbesondere durch Verdünnung derselben; jedoch muß diese eine recht beträchtliche sein, um nennenswerte Veränderungen der Atem- ') Sitzungsber. der Wiener Akad., 3. Abteil., 85, 101, 1882. — °) Ebenda 1885, S. 365. — °) A. a. 0. — *) Skand. Arch. £. Physiol. 12, 298. — °) Arch. ital. de biol. 40, Heft 1 (1903). — °) Zeitschr. f. physiol. Chemie 3, 105, 1879. Dyspnoe. 49 mechanik zu setzen, wofern nicht ihre Wirkung durch andere Faktoren (besondere Reize der Hochgebirgsluft usw., vermehrte Muskeltätigkeit) kom- pliziert. wird; alle diese Dinge werden in der Chemie der Atmung näher erörtert. 2. Verstärkung der inneren Atmung, insbesondere bei sehr ge- 'steigerter Muskelanstrengung: Dyspnoe beim Laufen, Berg- und Treppen- steigen, Radfahren usw. 3. Mechanische Atemhindernisse, wie Verlegung oder Verengerung der Luftwege (Larynx-, Tracheal- oder Bronchostenose), im Tierversuch Ver- bindung derselben mit dem Atemluftraum durch ein langes und enges Rohr („Rohrdyspnoe“, Gad), ferner Pneumothorax (s. oben), Atelektase von Lungenabschnitten, Anfüllungen derselben mit festen Exsudaten oder Infiltra- tionen (Hepatisation) oder mit seröser Flüssigkeit (Lungenödem). 4. Störung der respiratorischen Funktion des Blutes auf chemischem Wege, z. B. durch Fixation des Hämoglobins an BDIeNaEgl, oder durch größeren Blutverlust, siehe weiter unten. Welche dieser Ursachen nun auch vorliegen mag, eherlich ist jedenfalls die Erscheinungsweise, deren Wesen in Vertiefung der einzelnen Atemzüge besteht, indem die Kontraktion der Inspiratoren ver- stärkt und verlängert ist und die inspiratorischen Hilfsmuskeln (siehe oben) sich daran beteiligen; man hat ihr höchstes Stadium beim Menschen, bei welchem Aufstützen auf die Arme stattfindet, Pectorales, Serratus anticus und Sternocleidomastoidei wirksam werden, als „Orthopnoe“ bezeichnet. Dabei kann anfangs auch die Frequenz der Atemzüge gesteigert sein, dem später sekundäre Frequenzverminderung als Ermüdungssymptom entgegen- steht; der zunächst stets erreichte Zweck ist die Erhöhung der Atem- größe und dadurch Verbesserung der Ventilation der Lungen und des Blutes, bessere Sauerstoffzufuhr zu und Kohlensäureausfuhr von den Geweben. Nur zu Unrecht als Dyspnoe („Vagusdyspnoe*) bezeichnet ist darum auch die Atemform nach beiderseitiger Vagusdurchschneidung, von der ja oben auseinändergesetzt wurde, daß sie bei vermehrter Anstrengung einen wesentlich verschlechterten Nutzeffekt bedeutet. Ebenfalls keine echte Dyspnoe ist die gleichzeitige Beschleunigung und Verflachung der Atemzüge, welcher man vielfach an Warmblütern bei hoher Umgebungstemperatur begegnet, besonders solchen mit un- entwickelter Schweißsekretion (Hunde in der Sonne), und welche besser als „Wärmetachypnoe“ bezeichnet wird [von Richet!) weniger glücklich als Polypn&e thermique bezeichnet]. Sie kann künstlich durch direktes Er- wärmen des Körpers [Fick und Goldstein2)] oder des strömenden Blutes [Einlegen der Carotiden in Heizröhren, Gad und Mertschinsky°)] erzeugt werden und ist offenbar nur ein Hilfsmittel der physikalischen Wärme- regulierung, indem durch die Beschleunigung der Atemzüge die Wärme- abgabe durch Verdunstung von der Lungenoberfläche erhöht wird, bei der gleichzeitigen Abflachung der Atemzüge die Atemgröße aber unverändert %) Compt. rend. 99, 279, 1884. — ?) Pflügers Arch. 5, 38, 1872; Verhandl. d. math.-physik. Ges. Würzburg 2, 156. — ®) Ebenda, N. Folge, 16, 115. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 4 50 Zustandekommen der Dyspnoe. bleibt. Beim Hunde mit Tachypnoe wird ja gewöhnlich die Verdunstung noch durch die zum Maule heraushängende Zunge unterstützt. Auch bei durchschnittenen Vagis kann nach meiner Erfahrung am Hunde Tachypnoe auftreten; dieselbe kommt auch ohne Überwärmung nicht selten vor, anscheinend bei Furcht oder sonstigen psychischen Affekten, und weicht dann erst tieferer Narkose. Untersuchungen über die Dyspnoe lieferten, wie wir gesehen haben, die Grundlage zu der Vorstellung von der automatischen (autochthonen) Er- regung des bulbären Atemzentrums durch den Reiz des venösen Blutes, indem man ja eben sagen kann, daß die vermehrte Venosität des Blutes (oder beim MENT ru Blutverlust durch den Mangel an Sauerstoffzufuhr durch das Blut und die mangelnde Abfuhr, somit Anhäufung der Atmungsprodukte an Ort und Stelle) im Zentralnervensystem die Dyspnoe macht, und zwar wird diese, wie wir sahen, durch Sauerstoffmangel allein, wie bei genügendem Sauerstoff- partiardruck durch reichlich vorhandene Kohlensäure in gleicher Weise er- zeugt [Rosenthal, Pflüger und Dohmen!?)]; über das Verhältnis dieser beiden Reize zueinander und den Grad der Bedeutung eines jeden wird freilich noch sehr gestritten; den Sauerstoffmangel hat Benedicenti?) für den alleinigen Atemreiz erklärt, für die Kohlensäure sind neuerlich Zuntz und Loewy?°), Rulot und Cuvelier, vor allem aber Mosso (s. oben) eingetreten. Für die Bedeutung der Kohlensäure als hauptsächlichen allgemeinen Nerven- reiz ist vor allem Waller*) auf Grund elektrophysiologischer, jetzt freilich in weniger einfachem Lichte erscheinender Versuche eingetreten; anderseits lehrt die vergleichende Physiologie die Kohlensäure vor allem als ein lähmendes Gift kennen, und Winterstein°) konnte auf das Zentralnervensystem der Kaltblüter auch nur eine lähmende Wirkung erhalten; beim Warmblüter fand derselbe Forscher freilich auch eine erregende Wirkung‘). Man kann allerdings mit Kohlensäure, auch der selbstproduzierten, selbst beim Warmblüter eine regelrechte Narkose einleiten [P. Bert, Frederieg’)]; doch er- scheint dieselbe mir die sekundäre und die erregende Wirkung die primäre, nicht, wie Winterstein mutmaßt, umgekehrt. Man hat den Sauerstoffmangel auch als eine nur indirekte Ursache des nor- malen Atemreizes, wie auch der Dyspnoe angesprochen auf Grund der Vor- stellung, daß bei Sauerstoffmangel giftige, das Zentralnervensystem erregende Pro- dukte unvollkommener Oxydation in den Geweben entstehen [Alex. Schmidt), Pflüger’), Durdufi'®)]. Allerdings gibt es zahllose Gifte, ja es sind die meisten chemischen Ver- bindungen, welche auf die Nervensubstanz, speziell des Atemzentrums, direkt teils erregend, teils lähmend!'), sowie auch reflektorisch in der verschiedensten Weise einwirken; doch gehört die Besprechung aller dieser höchst interessanten Tatsachen nicht mehr in ein Handbuch der Physiologie; neuestens hat sich Magnus der Mühe unterzogen, die neuere Literatur über die „Pharmakologie der Atem- ') A. a. 0. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1896, $. 408; neuerdings läßt er (zusammen mit Treves) die Kohlensäure im unten erörterten allgemeinen Sinne als primär erregendes Gift zu (Arch. ital. de biol. 1900, p. 372). — ®) Ebenda 1897, 8. 379. — *) Lectures on physiology, Animal electrieity, London 1897. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1900, Suppl.-Bd., 8. 177. — °) Zeitschr. f. allg.: Physiol. 3, 359, 1903. — 7) Siehe dessen Manipulations de physiologie, Paris 1892, p. 123. — °) Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss, math.-physik. Kl., 9. Nov. 1867. — °) Pflügers Arch. 1, 61, 1868. — !°) Arch. f. exp. Pathol. 43, 115; dieser Autor hält das Nebennierenextrakt für diesen Stoff. — "') Vgl. Baglioni, Zeitschr. f. allg. Physiol. 3, 313, 1903. Asphyxie. 51 mechanik“, wie sie in physiologischen , toxiko-pharmakologischen und klinischen Arbeiten weit verstreut ist, zu sammeln; es soll auf diesen anerkennenswerten Bericht!) hier hingewiesen sein. Daß das Zustandekommen und die Art der Atemreflexe von afferenten Nerven her von dem Zustande des Atemzentrums — Apnoe, Eupnoe oder Dyspnoe — abhängig ist, ist schon oben bei Besprechung der zentralen Vaguswirkung und der Apnoe angedeutet worden; aus seinen neueren Versuchen glaubt Schenck?) schließen zu dürfen, daß die reflek- torische Atemhemmung, auch wohl Erzeugung aktiver Exspirationen deut- licher ausgesprochen ist in der Apnoe und Eupnoe, als in der Dyspnoe, daß dagegen bei letzterer inspiratorische Reflexe wirksamer seien. Doch gilt letzteres sicher nicht für die künstliche zentrale Vagusreizung und überhaupt nicht für dasjenige Stadium der Dyspnoe, in welchem überhaupt die Erregbar- keit des Atemzentrums herabgesetzt ist. Diese „Lähmung“ ist die notwendige Folge dauernder fruchtloser An- strengung und gehört zu den Grunderscheinungen der an die Dyspnoe sich anschließenden Erstickung oder Asphyxie. Nach Högyes?°) sollte der Übergang von der Dyspnoe zur Asphyxie durch aktive Exspirationen charakterisiert sein, welche mit dem Beginn der allgemeinen „asphyktischen*“ Muskelkrämpfe zusammenfallen und einer „präterminalen Atempause“ Platz machen, welche weiterhin durch die einzelnen, durch große Pausen getrennten, oft recht tiefen, schon von Sigm. Mayer als „terminal“ bezeichneten Atemzüge unterbrochen wird [agonal nennt sie Richet®)]; indessen scheint diese „exspiratorische Dyspnoe“ durchaus nicht die Regel zu sein; vielmehr ist das Wesentliche des Übergangs zur Asphyxie gerade die Erregbarkeitsverminderung des Atemzentrums, welche sich im Flacherwerden der Inspirationen äußert. Genauer dargelegt wurde dies in einer den besonderen Erstickungsfall in Gestalt der Verblutung behandelnden Untersuchung über „hämorrhagische Dyspnoe* von Gad und Holovtschiner’), in welcher Gad zur Unterscheidung gelangte erstens des „pneumatorektischen“ („Lufthunger“, von 00n&ı5) Stadiums mit vertieften, manchmal beschleunigten Inspirationen, zweitens des „hypokinetischen“, mit starker Abflachung der Atmung, eben als Zeichen der beginnenden Lähmung des Atemzentrums, welche nunmehr immer ausgesprochener wird in dem dritten oder „terminalen“ Stadium. Gelegentlich treten ganz zum Schluß noch einige Atemzüge völlig normaler Rhythmik auf, wie denn auch ein scheinbar schon ersticktes, ertrunkenes oder verblutetes Tier durch künstliche Atmung (und eventuell Transfusion) bekanntlich wieder zu normalen Atembewegungen ge- bracht werden kann, wenn das Herz noch in Tätigkeit geblieben war (ja selbst dieses letztere kann ja nach den letzten Erfahrungen „wiederbelebt“ werden). Die Bezeichnung „terminal“ ist darum eigentlich nicht ganz zutreffend. Hiermit hat nichts Näheres zu tun die von Gad und Holovtschiner an- geführte, von mir und Feis®) u. a. bestätigte Erfahrung, daß bei Hämor- !) Ergebnisse d. Physiologie von Asher u. Spiro, Bd. 2 des 1. Jahrg., Wies- baden 1902. — ?) Pflügers Arch. 79, 319, 1900. — °) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. 6, 86, 1875. — *) Archives de physiologie, Jahrg. 1894, 8. 653. — °) Arch. £. (Anat. u.) Physiol., Jahrg. 1886, S. 451; siehe auch Suppl.-Bd., 8. 232. — °) Arch. f. pathol. Anat. 138, 75, 1875. 52 Periodische Atmung. ’ rhagien bloße Kochsalzinfusionme ist keine dauernde lebensrettende Wirkung hat, wenn die Atmung schon ins hypokinetische Stadium übergetreten war. Auch auf die Wirkungen der Erstickung auf den Kreislauf — dyspnoische und asphyktische Blutdrucksteigerung und Vagusreizung usw. — kann hier nicht näher eingegangen werden, muß vielmehr auf den betreffenden Abschnitt dieses Handbuchs verwiesen werden; nur so viel sei betont, daß im allgemeinen Reizung und Lähmung einerseits des Atemzentrums, anderseits des Gefäßzentrums, welche ja beide schon anatomisch und darum sicher funktionell in nahen Beziehungen stehen, stets Hand in Hand gehen — sowohl bei der Asphyxie, wie bei Gift- wirkungen usw., während das Verhalten des Herzens ganz davon abgesondert er- scheint; selbst das bulbäre Herzvaguszentrum erscheint selbständiger. In einer neueren Arbeit hat noch Mares!) darauf hingewiesen, daß die Er- scheinungen des Todes durch Kohlensäure sehr von denjenigen der reinen Sauerstofl- mangelasphyxie abweichen, welche letztere nach seiner Beschreibung ganz der Gad-Holovtschinerschen Darstellung der Verblutungsasphyxie entspricht. Im „hypokinetischen“ (beginnenden Lähmungs-) Stadium der Verblutungs- dyspnoe nach Gad, und auch nach anderen Beobachtern im Verlaufe der Asphyxie, nach Marckwald beim Kaninchen nach Abtrennung der oberen Bahnen, erhaltenen Vagis zeigen sich öfter Andeutungen periodischen An- und Abschwellens der Atemtiefe. Es ist dies ein Erscheinungs- gebiet, welches sich anknüpft an das sog. Cheyne-Stokessche Phänomen ?), wie es von vielen Klinikern bei vielen Krankheitszuständen, insbesondere des Gehirns, beschrieben und Gegenstand einer bedeutenden Literatur geworden ist, auf welche hier nicht eingegangen werden kann. Es zeigt dasselbe zahl- reiche Übergangsformen zwischen kaum merklichem An- und Abschwellen bei normalem Rhythmus, bis zum Remittieren in der Frequenz und eigentlichen Intermittieren mit längeren oder kürzeren Pausen, wobei die einzelnen Gruppen von Atemzügen wieder gleich tief oder häufiger an- und abschwellend sein können. Das Zustandekommen solcher „periodischer Atmung“ ist Objekt lebhaften Streites gewesen und noch heute umstritten. Traube) erkannte bereits die Analogie zu den von ihm selbst beschriebenen Schwankungen des Blutdrucks und sah als Ursache herabgesetzte Erregbarkeit des Atemzentrums, gerade so wie des Gefäßzentrums (siehe oben) für jene. In der Tat ist periodische Atmung häufig schon beim normalen Schlafe des Menschen, besonders bei Greisen — Mosso#) —, ferner in der Chloral- und Morphinnarkose — Heidenhain, Filehne. — Indessen suchte Filehne’) zu beweisen, daß erst Gefäßkontraktion und Anämie des Kopf- marks dazu kommen müsse, um die Atmung anzuregen; die durch die ver- tiefte Atmung bedingte Depression vermindert die Anämie und erzeugt so die Atmungsremission, durch welche wieder Vasokonstriktion eintritt usw. Hier- gegen sind indessen lebhafte Einwendungen gemacht worden, und es hat ins- besondere Moss0°) auf Grund eigener Versuche und der Erfahrungen von Murri u. a. versichert, daß von einer solchen Gefäßwirkung nicht die Rede sein könne, vielmehr nachweisbar mit den Re- oder Intermissionen der !) Pflügers Arch. 91, 529, 1901. — *) Cheyne, Dublin Hosp. Reports 2, 21, 1816; Stokes, Diseases of the heart, London 1854, p. 324. — ?) Berl. klin. Wochenschr. 1869, Nr. 27. — *) Arch. f. (Anat. u.) Pysiol. 1878, 8. 441; 1886, Suppl, 8. 37. — °) Berl. klin. Wochenschr. 1874, Nr. 13; über das Cheyne-Stokessche Atmungs- phänomen, Erlangen 1874. — s) RE Ö. een Mechanismus der periodischen Atmung. 53 Atembewegungen Perioden tieferen Schlafs zusammenfielen, welche auf ein Schwanken des Erregbarkeitszustandes im ganzen Gehirn hinwiesen. Es schiene geradezu, als ob das Individuum zu atmen vergesse; die einfachste Erklärung bleibe die, „daß die Pausen des Atmens durch die Neigung des Zentrums zur Ruhe hervorgebracht seien“. Demgegenüber glaube ich darauf hinweisen zu dürfen, daß zum Zu- standekommen einer Periodik, d.h. zur Aufsetzung eines Rhythmus auf einen anderen schon vorhandenen, ein gewissermaßen steuernder Faktor unbedingt notwendig ist; vgl. die interessanten Ausführungen von Langendorff!), gelegentlich der Ursache der Gruppenbildung und normalen Rhythmik des Herzens. Mosso weist auch gerade bei der periodischen Atmung auf die stärkere Re- mission, ja das gänzliche Aufhören der Kopfatmung (und eventuell Rippenatmung) gegenüber der Zwerchfell- (Bauch)atmung und sieht hierin einen Beweis für die Un- abhängigkeit der zentralen Innervation dieser Abschnitte voneinander (siehe oben); im Sinne der Erhaltung des „segmentalen“ Charakters der Atmenzentren hat sich auf Grund vergleichender Betrachtungen neustens auch Loeb?) ausgesprochen; siehe hierüber das Original. 2) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1884, Suppl.-Bd., 8. 123. — ?) Pflügers Arch. 96, 536, 1903. Blutgase und respiratorischer Gaswechsel von Christian Bohr. Die Lehre von der Respiration, wie sie sich während der letzteren Hälfte des 18. Jahrhunderts entfaltete, bildet die Grundlage, aus welcher sich die gesamte Lehre von dem tierischen Stoffwechsel entwickelt hat, und durch das Verständnis des Respirationsprozesses gewann man das Verständnis der Grundzüge des Energieumsatzes im tierischen Organismus. Die weitere Entwickelung hat bekanntlich jedoch dargetan, daß der Respirationsprozeß nur eine einzelne Seite des Stoffwechsels bildet und mit denjenigen Stoff- wechselprozessen, deren Produkte nicht gasförmig sind, im Zusammenhang betrachtet werden muß. Die Größe des Sauerstoffverbrauchs und der Kohlen- säureproduktion und das Variieren dieser Werte unter verschiedenen Um- ständen werden deshalb wie auch die zu solchen Bestimmungen angewandten Methoden in anderen Abteilungen dieses Lehrbuches zur Besprechung kommen, wo der Stoffwechselprozeß in seiner Gesamtheit behandelt wird. Hier ist unsere Aufgabe wesentlich die Beschreibung derjenigen Mittel die dazu dienen, den Austausch der Gasarten unter dem Organismus und der umgebenden Atmosphäre zu bewerkstelligen, indem in der Hauptsache aus der Atmosphäre Sauerstoff aufgenommen und im Organismus gebildete. Kohlensäure abgegeben wird. Es sind mithin die den Atmungsorganen als solchen eigentümlichen Funktionen, die wir im folgenden zu be- handeln haben werden. Hiermit haben wir selbstverständlich aber nur die Hauptlinien unserer Aufgabe gezogen; wo Verhältnisse des Organismus zur Behandlung kommen, lassen sich keine scharfen Begrenzungen des Stoffes aufstellen, und an mehreren Punkten wird es notwendig sein, nicht nur den Gasaustausch, sondern zugleich auch den Stoffumsatz, speziell die Kohlensäurebildung, zu untersuchen, weil der Umsatz für den Austausch Bedeutung erhält, unter anderem wo er in größerem Umfang eben in den Atmungsorganen selbst stattfindet. Der direkte Gasaustausch geschieht durch die atmende Oberfläche, die mit der umgebenden Atmosphäre in Berührung steht; dies ist aber, was die höheren Tiere betrifft, nur ein erstes Stadium des ganzen Austauschprozesses; der Sauerstoff wird nach seiner Aufnahme durch die atmende Oberfläche hindurch im Blute aufgelöst und auf diese Weise den verschiedenen Geweben zugeführt, die ihn verbrauchen; ebenso wird die durch Energieumsätze in den Geweben gebildete Kohlensäure in gelöstem Zustande mit dem Blute den genannten Einleitung. 55 ‘ Oberflächen zugeführt. Den Gasaustausch unter dem Blute und dem Ge- webe nennt man gewöhnlich die innere Atmung im Gegensatz zur äußeren Atmung, mittels deren die Gasarten direkt aus der Atmosphäre aufgenommen oder an diese ausgeschieden werden. Diese Bezeichnungen sind auch im folgenden benutzt; die beiden genannten Prozesse sind jedoch nur einzelne Seiten einer gesamten Funktion, in welcher die Zellen des eigent- lichen Atmungsorganes (der Lunge) mit den (ewebszellen des ganzen Kapillarsystems im Verein wirken und das Blut den Vermittler zwischen diesen verschiedenen Zellen bildet. Ebenso wie es mit anderen Sekretionsvorgängen im weitesten Sinne dieses Wortes der Fall ist, haben wir auch in betreff des Gasaustausches den Vorgang so zu beschreiben, wie er normal verläuft, und seine Abänderung bei Abänderungen der äußeren Verhältnisse zu verfolgen, dabei aber, und nicht zum wenigsten, zu untersuchen, durch welche Mittel der Organismus bestrebt und innerhalb weiter Grenzen auch völlig vermögend ist, den ungestörten Gang der Funktion zu sichern trotz der ununterbrochenen Variation der Bedingungen, indem teils die äußeren Verhältnisse sich ändern, - teils die Größe der an den Stoffumsatz gestellten Forderungen zu verschiedenen Zeiten verschieden ist. Nach Kräften die Regulationsmittel zu unter- suchen, deren sich der Organismus in diesem Kampfe mit den Umgebungen bedient, ist deshalb einer unserer Zwecke, zugleich aber ein bedeutungsvolles Mittel, um womöglich tiefer in die Einzelheiten der Natur der Zellenarbeit einzudringen, von der wir uns hier ebenso wie hinsichtlich anderer Funktionen wohl kaum einer wirklichen Kenntnis rüähmen dürfen. Regulationsmittel analog den erwähnten sind zweifelsohne allen Lebens- prozessen verliehen, von der Funktion der Atmungsorgane läßt sich aber behaupten, daß sie sich zu deren Untersuchung in vorzüglichem Maße eignet, weil wir hier eine besonders scharfe und detaillierte Kenntnis der für die Absonderungsprodukte, in diesem Falle ja Gasarten, gültigen physischen Gesetze besitzen, wie denn auch die quantitativen Bestimmungen der Gase sich mit ungemein großer Genauigkeit ausführen lassen; man bedenke nur, ein wie wenig eingreifender Prozeß das Auspumpen von Grasarten ist im Vergleich mit denjenigen Reindarstellungsmethoden, die durchgehend er- forderlich sind, wenn es sich um andere als gasförmige Stoffwechselprodukte handelt, und wie leicht die Bestimmung von z. B. !/,ccm (0°, 760 mm) Sauerstoff in 100 cem Blut auszuführen ist im Vergleich mit den Schwierig- keiten, welche die Bestimmung eines ebenso großen Gewichtsteils (etwa 0,4 mg) fester Stoffe in demselben Quantum Blut darbieten würde. Aus den folgenden Abschnitten wird hervorgehen, wie es gerade des- wegen gelungen ist, bei dem Atmungsprozesse eine Reihe sehr wesentlicher Regulationsmittel nachzuweisen und verhältnismäßig genau zu analysieren, welche den Organismus befähigen, die Verhältnisse des Blutes in weitem Umfang so zu accommodieren, daß die Endothelzellen der Gefäße trotz bedeutender Änderungen, diese mögen nun die Intensität des Umsatzes oder die Zusammensetzung der den gesamten Organismus umgebenden Atmosphäre betreffen, in stand gesetzt werden, fortwährend unter annähernd denselben Bedingungen mit Bezug auf den Gaswechsel zu arbeiten; dies ist zum Teil die Folge einer Selbstregulierung, durch die eben der gesteigerte Umsatz N ig w wer BER 56 } Einleitung. mittels des gebildeten Produktes die Verhältnisse des Blutes abändert, so - daß eine Erleichterung der Austauscharbeit eintritt. Die völlige Aufklärung dieser Verhältnisse ist gewiß noch nicht gelungen, es ist aber wohl keine gar zu gewagte Behauptung, daß man rücksichtlich des detaillierten Verständnisses der Mittel, durch welche Regulationen wie die eben genannten in Tätigkeit gesetzt werden, einen Weg eingeschlagen hat, der uns dem Ziele nähert. Wegen der großen Rolle, welche die physischen und chemischen Verhält- nisse der im Blute aufgenommenen Gasarten spielen, wird es notwendig, die- selben vor der Darstellung des eigentlichen Atmungsprozesses in einem eigenen Abschnitte besonders eingehend zu behandeln. Es wird indes das Bestreben sein, von diesen Verhältnissen nur mitzunehmen, was zur Erklärung der eigentlichen respiratorischen Prozesse Anwendung findet. In der folgenden Darstellung werden dem ganzen Plan zufolge geschicht- liche Gesichtspunkte nur berücksichtigt werden, insofern sie für das Ver- ständnis des gegenwärtigen Standpunktes wirklich notwendig sind. Um so mehr ist es in dieser Einleitung am Platze, sowohl der Forscher, und zwar besonders Lavoisiers zu gedenken, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts den Grund der ganzen Respirationslehre legten, auf dem man seitdem weiter - gebaut hat, als auch diejenigen Forscher zu erwähnen, die später, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, den Fragen, mit denen wir uns im folgenden besonders beschäftigen werden, eine präzise Abfassung gaben durch die ersten eingehenden Untersuchungen über die Gasarten des Blutes und über deren Bedeutung für den eigentlichen Luftwechselprozeß: es seien nur H. Magnus, C. Ludwig, Cl. Bernard und E. Pflüger als die hervor- ragendsten Männer auf diesem Gebiete genannt. Ihre Methoden sind zum Teil durch schärfere und bessere ersetzt worden, die Fragen haben auf man- cherlei Weise Vertiefung und Erweiterung erfahren; durchgehend hat man aber auf der von ihnen gegebenen Grundlage weitergebaut. Dies ist hervor- zuheben, weil der Darsteller des gegenwärtigen Standpunktes unseres Wissens bei mancher Gelegenheit diejenigen Untersucher, welche die am meisten aus- gearbeitete Lösung der Fragen gegeben oder die schärfste Methode an- gewandt haben, häufiger wird zitieren müssen als diejenigen, welche der Untersuchung die breitere Basis schufen. a a en 2" Die Gase des Blutes sowie der Lymphe und der Sekrete. Erster Abschnitt. Allgemeine Aussicht über die Absorption der Gasarten in Flüssigkeiten unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse im Blute'). Das Plasma des Blutes ist eine wässerige, etwa 9 Proz. fester Bestand- teile enthaltende Lösung; die im Plasma suspendierten Blutkörperchen be- stehen zu etwa 60 Proz. aus Wasser. Davon abgesehen, daß das Blut Stoffe enthält, die Sauerstoff und Kohlensäure chemisch binden, lösen derartige wässerige Lösungen oder wasserhaltige Substanzen zugleich Gasarten den- selben Gesetzen gemäß wie destilliertes Wasser, jedoch in einem anderen quantitativen Verhältnisse. Wir wollen hier deshalb vorerst die Absorption von Gasen in Wasser untersuchen und darauf betrachten, wie die quanti- tativen Verhältnisse des einfach gelösten Gases sich ändern, wenn das Wasser andere Substanzen in Lösung enthält. Dann erst wollen wir die Theorie von der im Blute stattfindenden chemischen Bindung von Gasen behandeln. 1. Kapitel. Lösung von Gasen in Wasser. Befindet Wasser von einer gegebenen Temperatur und Oberfläche sich in Berührung mit einem Gase, dessen Druck konstant erhalten wird, so dringt während einer Zeiteinheit stets dieselbe Menge Gas in das Wasser ein; diese Menge ist von der Natur des Gases abhängig und dessen Drucke und der Berührungsfläche proportional, ist aber unabhängig von der schon vorher im Wasser enthaltenen Menge Gases?2). Diejenige Menge eines Gases, die bei gegebener Temperatur während einer Minute durch 1 qcm Oberfläche in die Flüssigkeit eindringt, wenn der Druck des Gases 760 mm beträgt, nennt man den Invasionskoeffizienten und bezeichnet sie durch y. Ist der Druck — »p und die Berührungsfläche —= s, so hat man also für die während einer Minute in die Flüssigkeit eindringende Anzahl Cubikcentimeter Gas se, 9 760 “Sobald die Flüssigkeit Gas in Lösung enthält, tritt gleichzeitig stets Gas’ aus derselben aus, und zwar speziell eine Menge, die bei gegebener Tem- !) Hier wie überall im folgenden, wo nichts anderes ausdrücklich bemerkt wird, ist das Gas in Cubikcentimetern bei 0° und 760mm Druck angegeben. — *) Mit Bezug auf Details und Entwickelung der Formeln siehe Bohr, Definition und Methode zur Bestimmung des In- und Evasionskoeffizienten. Ann. d. Physik (3), 68, 500, 1899. 58 Lösung von Gasen in Wasser. peratur und Oberfläche derjenigen Menge Gas proportional ist, die sich in der Flüssigkeit befindet, welche wir uns fortwährend als in allen ihren Teilen gleichmäßig gemischt denken; zugleich ist die austretende Menge natürlich der Berührungsfläche proportional. Diejenige Menge Gas, die während einer Minute durch 1 gem Oberfläche austritt, wenn lccm Flüssigkeit lcem Gas in Lösung enthält, heißt der Evasionskoeffizient und wird durch ß be- zeichnet. Ist die Oberfläche —= s und enthält 1 cem Flüssigkeit & com Gas, so ist die pro Minute aus der Flüssigkeit austretende Gasmenge (b) bestimmt durch b=s.ß.}. Hat nun die Berührung des Gases mit der Flüssigkeit hinlänglich lange gedauert, so tritt, praktisch genommen, ein Gleichgewichtszustand ein, indem während jeder Zeiteinheit ebensoviel Gas in die Flüssigkeit eindringt, als aus dieser austritt; g ist dann gleich b, und man hat 2... sy Tr wo £ nun diejenige Menge Gas bezeichnet, die lIccm Flüssigkeit nach dem Eintreten des Gleichgewichts enthält; man sagt dann, daß das Wasser bei dem betreffenden Drucke (p) mit Gas gesättigt ist, und die in demselben enthaltene Menge Gas (£) erweist sich aus der Formel als dem Drucke proportional. Ist letzterer speziell = 760 mm, so nennt man die in lccm gesättigten Wassers enthaltene Menge Gases den Absorptions- koeffizienten, den man durch & bezeichnet. Man hat also, wenn in obiger Gleichung p —= 760 und mithin & = % gesetzt werden, 5 4ß, als die für die drei Koeffizienten gültige Relation. Untersucht man die Verhältnisse bei verschiedenen Temperaturen, so erweist es sich, daß Y für das Intervall O0 bis 50°C mit Bezug auf die meisten Gasarten unverändert bleibt, während ß bei steigender Temperatur anwächst. Da mithin die während der Zeiteinheit in die Flüssigkeit ein- dringende Gasmenge sich unverändert erhält, die austretende dagegen anwächst, so muß folglich der Absorptionskoeffizient (&%) abnehmen, wenn die Temperatur steigt. Wie oben genannt ist es bei dem hier Entwickelten die’fortwährende Voraussetzung, daß die einzelnen Teile der Flüssigkeit stets gleichmäßig gemischt gehalten werden. Beim ruhigen Stehen der Flüssigkeit werden allerdings ganz dieselben Betrachtungen über die In- und Evasion geltend gemacht werden können, es sind dann aber nur die oberflächlichsten Schichten, die zuerst gesättigt werden. Aus diesen diffundiert das Gas langsam in die tieferen Schichten hinab, und die Sättigung der ganzen ö Flüssigkeit wird, wenn die Schicht einigermaßen tief ist, sehr lange Zeit be- anspruchen können !). Hat man die Bestimmung des Absorptionskoeffizienten zu unternehmen, wobei natürlich die schnelle Sättigung der ganzen Flüssigkeit mit Gas erstrebt wird, so muß man Sorge tragen, daß die Flüssigkeit fortwährend gemischt !) Exner, Ann. d. Phys. 1875; Hüfner, ebenda 1897. en Lösung von Gasen in Wasser. — Absorptionskoeffizient. 59 wird. Es läßt sich dann berechnen, welchen Einfluß die größere oder kleinere Berührungsfläche (s) des Gases mit der Flüssigkeit und das Volum (v) der letzteren auf die zur Sättigung der Flüssigkeit erforderliche Zeit haben. Je größer das Verhältnis = ist, um so schneller findet die Sätti-. . gung statt; wie dies aber näher zu berechnen ist, und welchen Einfluß die Temperatur wegen der Abänderung des Evasionskoeffizienten auf diese Ver- hältnisse erhält, darüber müssen wir auf die originalen Abhandlungen ver- weisen !). ! Überall, wo der Druck der Gase bei Betrachtungen dieser Art angewandt wird, ist unter demselben ihr Partialdruck zu verstehen; ist das Gas in reinem Zustande vorhanden, so trifft der Partialdruck mit dem vom Gase ausgeübten Totaldruck zusammen. Wird hingegen eine Mischung von Gasen mit dem Totaldruck P angewandt, so läßt der Partialdruck (p) sich bekanntlich aus dem prozentigen Volum berechnen, in welchem das betreffende Gas sich in der Mischung befindet; sind « Prozent eines Gases vorhanden, so ist der Partialdruck a Pi 100°+ Die Feststellung der prozentigen Menge (a) des Gases geschieht ohne Rücksicht auf den von gleichzeitig gegenwärtigen Wasserdämpfen ein- genommenen Raum; der Totaldruck (P) ist denn auch zu bestimmen als der Druck, den die Gasmischung nach Abzug der Tension der Wasserdämpfe ausübt. In den Fällen, die am häufigsten zur Behandlung kommen, ist der Raum bei der betreffenden Temperatur mit Wasserdämpfen völlig gesättigt; die Spannung läßt sich dann, wenn die Temperatur bekannt ist, aus Tabellen über die Tension der gesättigten Dämpfe berechnen. Ist der Raum nicht völlig. mit Dampf gesättigt, so muß man diese prozentige Sättigung hygro- metrisch feststellen. Hieraus läßt sich darauf die Spannung berechnen; ist z. B. der Druck einer Atmosphäre 758 mm, die Temperatur 20,6° C und der Feuchtigkeitsgrad 50 Proz., so ergibt sich die Wasserdampfspannung als 50 Proz. der Tension der gesättigten Wasserdämpfe, die den Tabellen zufolge gleich 18mm ist; die Wasserdampfspannung beträgt also 9mm und der zur Berechnung des partialen Druckes einzelner Gase zu benutzende Totaldruck 758 — 9 = 749. Näheres über die Werte der verschiedenen Koeffizienten bei der Lösung von Gasen in Wasser. Der Absorptionskoeffizient. Wie oben entwickelt, bezeichnet der Absorptionskoeffizient (%) diejenige Anzahl Cubikcentimeter Gas, die 1 cem Flüssigkeit in sich aufnimmt, wenn diese bei einem Drucke von 760 mm mit der betreffenden Gasart gesättigt wird. Da die in einer Flüssigkeit auf- genommene’Menge Gases (g) dem Partialdruck (p) und dem Volum (h) der Flüssigkeit proportional ist, hat man ' %.h.p 760 !) Bohr, ebenda (3), 68, 500, 1899; ebenda (4), 1, 244, 1900. 60 Absorptionskoeffizient. — In- und Evasionskoeffizient. Der Absorptionskoeffizient der verschiedenen Gase bei verschiedenen Temperaturen muß empirisch bestimmt werden. Unten stehende Tabelle gibt den Absorptionskoeffizienten einiger der in physiologischer Beziehung wich- tigeren Gase in Wasser zwischen 0° und 40° C an. Für den Sauerstoff und das Kohlenoxyd sind die Werte nach Winkler!), für den atmosphärischen Stickstoff (Stickstoff + Argon) nach Bohr und Bock!), für die Kohlensäure nach Bohr?) angeführt. Temperatur | Sauerstoff Kohlensäure | Kohlenoxyd Stickstoff . | ) ) 0 | 0,0489 | 1,713 0,0354 0,0239 10 | 0,0380 | 1,194 0,0282 0,0196 20 | 0,0310 | 0,878 0,0232 0,0164 30 0,0262 0,665 0,0200 0,0138 40 0,0231 | 0,530 0,0178 0,0118 I | | Folgendes Beispiel mag die Anwendung der Tabelle erläutern. 100cem Wasser werden bei 30° C bis zur Sättigung mit atmosphärischer Luft geschüttelt, die eine prozentige Zusammensetzung von 79 Vol. Stickstoff und Argon, 20,96 Vol. Sauer- stoff und 0,04 Vol. Kohlensäure hat. Der Totaldruck ist 760 mm, und man wünscht die gesamte Menge der vom Wasser aufgenommenen Luft zu berechnen. Da die Wasserdampftension bei 30° 31,5 mm beträgt, ist der Gesamtdruck der Gase 728,5 mm. Die Absorption muß für jedes Gas für sich ausgerechnet werden, indem man erst auf die oben angegebene, Weise die Partialdrucke (p) findet und darauf die ab- a@.,h.p 760 Tabelle für 30° entnommen wird. Man findet sorbierte Gasmenge als g = berechnet, wo A = 100 ist und « aus obiger, p g Bauerstoll SH an EISEN ER 152,7 0,526 Stickstoff 2) „es eirs re 1,045 Kohlensäure „un 0,3 0,025 Summa 1,596 Die In- und Evasionskoeffizienfen. Diese Koeffizienten, die über die Geschwindigkeit Auskunft geben, mit welcher die Gase in eine Flüssigkeit eindringen und aus derselben austreten, sind namentlich für die Behandlung des Gaswechsels des Organismus von Bedeutung, wie der Abschnitt von der Lungenrespiration näher nachweisen wird. Eine Aufgabe, die wir dort zu be- handeln haben werden, läßt sich in ihrer Allgemeinheit folgendermaßen auf- stellen: Über einer Wasseroberfläche von s gem Größe befindet sich ein Gas mit dem Partialdrucke p; die In- und Evasionskoeffizienten für die gegebene Temperatur sind 9 bzw. ß; die Beobachtung mag ergeben, daß fortwährend ein konstanter Strom des Gases von M ccm pro Minute den Luftraum verläßt, indem er durch die Wasseroberfläche eindringt. Die Frage ist nun nach der Konzentration (Cubikcentimeter Gas bei 0% und 760mm in lccm Flüssigkeit) des Gases, die sich unter solchen Umständen in der Öber- flächenschicht der Flüssigkeit finden muß. Nennt man diese Konzentration, so findet man dem früher Entwickelten zufolge M als die Differenz zwischen !) Landolt und Börnstein, Physik.-chem. Tabellen 1894, 8. 257. — ?) Anm: d. Phys. 68, 500, 1899. Ag, Absorption von Gasen in wässerigen Lösungen fester Stoffe. 61 den gleichzeitig ein--und austretenden Gasmengen, und zur Bestimmung von & hat man die Gleichung SR an RE TB Ener Bei biologischen Betrachtungen ist es der Übersicht wegen häufig von Nutzen, die Konzentration (x) dadurch auszudrücken, was man die Spannung des Gases in der Flüssigkeit genannt hat. Hierunter versteht man den- jenigen Partialdruck des Gases, welcher über der Flüssigkeit stattfinden müßte, wenn derselbe sich mit dem Gase in der Flüssigkeit im Gleichgewicht befinden sollte; heißt dieser Partialdruck p,, so hat man, wenn man den Absorptionskoeffizienten («) des Gases in der Flüssigkeit kennt, & 2452 60 %& pı ee woraus De —, % Pı — 760 indem die absorbierte Menge ja den Drucken proportional ist. Durch Ein- setzen dieses Wertes des x in obenstehende Gleichung erhält man, da &ß — y ist ($. 58) ash yYSs Diese Differenz, der Unterschied zwischen der Spannung des Gases oberhalb der Flüssigkeit und der Spannung. des Gases in der Oberflächenschicht der Flüssigkeit, wenn während einer Minute M ccm in die Flüssigkeit eindringen, wird im folgenden der Differenzdruck genannt und findet wichtige Anwendung in der Theorie der Lungenrespiration. Hierbei werden wir von den nume- rischen Werten der Invasionskoeffizienten des Sauerstoffs und des Kohlen- oxyds Gebrauch machen; diese Werte sind, später anderswo zu veröffent- lichenden Versuchen zufolge, bei 38° für Sauerstoff y —= 0,0124, für Kohlenoxyd y = 0,010. p —- 9 = 2. Kapitel. Lösung von Gasen in Wasser, das gelöste feste Stoffe enthält !). Wenn Wasser feste Stoffe in Lösung enthält, wird der Absorptions- koeffizient herabgesetzt, um so ınehr, je konzentrierter die Lösung ist, und zwar in verschiedenem Grade nach der Natur der gelösten Stoffe; es gilt hier die Regel, daß organische Stoffe mit hoher Molekularzahl in den untersuchten Fällen den Absorptionskoeffizienten weniger herabsetzen als Salze derselben Konzentration... So beträgt die prozentige Herabsetzung des Absorptions- koeffizienten des Wassers für Sauerstoff bei 19° und einer 10 proz. Lösung hinsichtlich des Chlornatriums 12,0 Proz., des Rohrzuckers 8,5 Proz. und der Albumosen 5,2 Proz. - Für unsere Untersuchungen ist es besonders von Bedeutung, um wieviel die Löslichkeit des Sauerstoffs, der Kohlensäure und des Stickstoffs im Blute und im Blutplasma oder Serum herabgesetzt wird. Was das Blutplasma betrifft, ist die Herabsetzung des & rücksichtlich des Sauerstoffs und !) Vgl. Bohr, Absorptionskoeffizienten des Blutes und des Blutplasmas für Gase. Skand. Arch. 1905, welcher Abhandlung die folgenden Bestimmungen ent- nommen sind. 62 Absorptionskoeffizienten für Blut und Plasma. des Stickstoffs direkt bestimmt und als 2,5 Proz. des Wertes befunden worden, welche Herabsetzung sehr wohl mit den oben für organische Stoffe angegebenen Herabsetzungen übereinstimmt, wenn man bedenkt, daß die Albuminstoffe des Plasmas eine höhere Molekularzahl haben als die Albumosen. Der Absorptionskoeffizient für Sauerstoff und Kohlensäure im ganzen Blute und für Kohlensäure im Plasma läßt sich nicht direkt bestimmen, da diese Flüssigkeiten Stoffe enthalten, welche die ge- nannten Gase in von dem Druck abhangenden Mengen chemisch binden, wie unten im Kapitel III näher auseinandergesetzt werden wird. Indes lassen sich diese wichtigen Konstanten mit völlig genügender Genauigkeit berechnen, wenn der Absorptionskoeffizient für irgend ein gegen die gas- bindenden Stoffe indifferentes Gas bekannt ist, was in betreff des Plasmas mit dem Sauerstoff und dem Stickstoff und in betreff des Blutes mit dem Wasserstoff der Fall ist. Innerhalb derjenigen Konzentrationen der Lösungen und innerhalb derjenigen Temperaturen, mit denen wir zu schaffen haben, läßt es sich nämlich nachweisen, daß die prozentige Herabsetzung des Ab- sorptionskoeffizienten für die verschiedenen Gase annähernd gleich groß ist!). Wenn z. B. die Herabsetzung des Absorptionskoeffizienten für die Lösung des Sauerstoffs und des Stickstoffs im Plasma, wie oben angegeben, als 2,5 Proz. befunden wurde, der Absorptionskoeffizient selbst sich mithin als 97,5 Proz. von dem des Wassers erwies, so gilt dies auch hinsichtlich der Kohlensäure. Versuche über die Lösung des Wasserstoffs im Blute ergeben, daß dessen Absorptionskoeffizient 92 Proz. von dem des Wassers beträgt. Man hat gemeint?), die Blutkörperchen als suspendierte feste Körper müßten mittels Adsorption Gas binden; findet dies statt, so muß es jedenfalls nur in sehr geringem Grade sein, da Milch, die ja fast ebenso zahlreiche kleine Körperchen in Suspension enthält wie das Blut, darum doch nicht merkbar mehr Gas absorbiert; in der Tat sind die Blutkörperchen auch viel weniger zahlreich und größer als die Pulverpartikelchen, bei denen die Ad- sorption in höherem Maße zur Geltung kommt. Von der Adsorption ab- gesehen, läßt der Absorptionskoeffizient für Blutkörperchen sich aus den gegebenen Data berechnen. Da der Absorptionskoeffizient, wie oben an- geführt, für das Plasma 97,5 Proz. und für das Blut 92 Proz. von dem des Wassers ist, und da das Plasma, was Hundeblut betrifft, auf etwa ?/, des ge- samten Blutes, die Blutkörperchen somit auf !/, angesetzt werden können, hat man nämlich, wenn man den Absorptionskoeffizienten der letzteren x nennt, 1x + 2/3.97,5 = 92 oder x —= 81 Proz. Daß die Blutkörperchen Gas lösen, ist sicher, da sie Wasser enthalten, und in Betracht ihres verhältnismäßig geringen Wasserinhalts (etwa 60 Proz.) ist der berechnete Wert des Absorptionskoeffizienten ein sehr wahrscheinlicher. Eine mit Hilfe der angeführten prozentigen Herabsetzungen der Ab- sorptionskoeffizienten berechnete Tabelle über diese Konstanten für Blut- plasma, Blut und Blutkörperchen bei 15° und 38° folgt hier. ) Bohr, l.c. — ?) Jolyet und Sigalas, Compt. rend. Acad. Paris 114, 3 686, 1892. u ee Gasabsorption in Lösungen dissoziabler Gasverbindungen. 63 | l Sauerstoff Stickstoff | Kohlensäure 15° 38° 15 | 3 | re | | | Blutplasma .... 0,033 0,023 | 0,017 0,012 | 0,99 | 0,541 re N 0,031 0,022 0,016 0,011 | 0,937 | 0,511 Blutkörperchen. . . 0,025 0,019 0,014 0,010 | 0,825 0,450 Auch für Lösungen des Hämoglobins, das eine vom Sauerstoffdrucke ab- hängige Bindung mit Sauerstoff bildet, muß der Absorptionskoeffizient für Sauerstoff auf analoge Weise ermittelt werden; aus Versuchen über die Ab- sorption des Wasserstoffs in Hämoglobinlösungen berechnet man den Koeffi- zienten einer etwa llproz. Lösung auf 94 Proz. vom Absorptionskoeffi- zienten des, Wassers. 3. Kapitel. Absorption von Gasen in einer Flüssigkeit,- die wie das Blut dissoziable gasbindende Stoffe enthält. $1. Hauptzüge der empirischen Resultate und deren allgemeine Bedeutung für die Respirationsphysiologie. Das Blut enthält mehrere Stoffe, die teils mit Sauerstoff, teils mit Kohlen- säure Verbindungen schließen, so daß die Gase mittels Auspumpens wieder aus den Verbindungen zu gewinnen sind. Dergleichen Verbindungen, die auf chemische Prozesse verschiedener Art zurückzuführen sind, werden gewöhnlich insgesamt als dissoziable bezeichnet. Auf welche Weise die ein- zelnen Prozesse sich von der chemischen Kinetik aus erklären lassen, werden wir am Schlusse dieses Abschnittes ($ 2) entwickeln. Hier ist es vorläufig unsere Aufgabe, im allgemeinen ein Bild der gemeinschaftlichen Züge zu geben, die man rein empirisch gefunden hat, wo die Absorption der Gase in Flüssigkeiten, welche dissoziable gasbindende Stoffe enthielten, untersucht wurde; indem wir einstweilen bei den Hauptzügen der empirisch ge- wonnenen Resultate stehen bleiben, wird es hoffentlich leichter gelingen, nachzuweisen, was bei diesen Untersuchungen für die biologische Forschung das Zentrale ist. j | Wenn Gase von einer Flüssigkeit absorbiert werden, in welcher sich gelöste Stoffe befinden, mit denen sie im Vakuum zersetzbare Verbindungen schließen, wird erstens bei einem gegebenen Partialdruck des oberhalb stehen- den Gases eine größere Menge Gas in die Flüssigkeit aufgenommen, als sich mittels des Absorptionskoeffizienten als einfach gelöst berechnen läßt; zugleich ist bei variierendem Drucke aber auch das Verhältnis des Druckes zur absorbierten Gasmenge ein anderes als das, wie wir oben sahen, für die einfache Lösung gültige. Dort war die aufgenommene Gasmenge dem Absorptionsdrucke proportional; enthält die Flüssigkeit da- gegen Stoffe, die wie die des Blutes dissoziable Verbindungen mit den Gasen schließen, so steigt die absorbierte Menge der Gase bei anwachsendem Drucke verhältnismäßig geschwinder an, solange die Drucke ziemlich kleinen abso- luten Wert haben. Der Übersicht wegen kann man das Verhalten des Druckes zum absorbierten Gasvolum graphisch darstellen, indem man die Spannungen 64 Lösungen dissoziabler Gasverbindungen. — Bedeutung der Spannungskurven. als Abszissen und die entsprechenden, in die Flüssigkeit aufgenommenen Gasmengen als Ordinaten absetzt. Solche Kurven, die in der Respirations- lehre ausgedehnte Anwendung finden, nennen wir im folgenden der Kürze wegen Spannungskurven. Diese sind verschieden für die Absorption der Fig. 14. verschiedenen Gase im Blute und Y bei verschiedenen Temperaturen; ge- meinsam ist ihnen jedoch, daß sie y hauptsächlich Kurven bilden, die ihre Konkavität der Abszissenachse | zukehren, und die allerdings bei wach- sender Spannung fortwährend an- steigen, bei niedrigerem Druck aber | | weit geschwinder als bei höherem. | Nebenstehende Figur kann deshalb als allgemeines Paradigma solcher Kurven dienen, ohne daß sie übrigens der genaue Ausdruck für die Spannungskurve irgend einer bestimmten Gasart sein soll. Die wirklichen Spannungskurven der Gase, deren Absorption für uns Interesse hat, nämlich die des Sauerstoffs und der Kohlensäure, werden wir später geben (8. 85 und S. 105); hier wollen wir vorläufig nur die allgemeine Bedeutung erörtern, welche die Kenntnis solcher Spannungskurven für respirations-physiologische Unter- suchungen hat, und welche aus folgenden Betrachtungen hervorgehen wird. Die bei gegebener Spannung im Blute absorbierte Gasmenge besteht, wie aus dem bereits Entwickelten ersichtlich, aus zwei Teilen; ein Teil derselben ist chemisch gebunden, der andere Teil in einer der Spannung proportionalen Menge in der Flüssigkeit einfach gelöst. Die Größe des letzteren Teiles zu kennen ist für uns von besonderer Wichtigkeit, denn die Konzentration dieses einfach gelösten Gases einzig und allein ist maßgebend sowohl für die Evasion des Gases aus der Flüssigkeit als über- haupt auch für die Intensität der in der Flüssigkeit verlaufenden chemischen Vorgänge, deren das betreffende Gas ein Glied ist. Deshalb ist es die Konzentration des einfach gelösten Gases, die, indem sie das Maß für die Dichte des Gases um die mit dem Blute in Berührung stehenden Zellen abgibt, für die Arbeitsbedingungen dieser Zellen maßgebend wird. In jedem gegebenen Augenblicke eine Teilung der totalen absorbierten Gasmenge in einfach gelöstes und chemisch gebundenes Gas unternehmen zu können, ist in physiologischer Beziehung denn auch die Hauptsache bei der Untersuchung der Gase des Blutes. Eben weil die Spannungskurve bei bekannter Total- menge des Gases zur Bestimmung der Konzentration des einfach gelösten Teils desselben als Mittel dient, hat sie eine wesentliche Bedeutung. Als ein Beispiel dieser Anwendung wollen wir sehen, wie die Berechnung des Einflusses anzustellen ist, den ein gewisser Verbrauch von Sauerstoff im Blute auf den den Zellen im Augenblicke wirklich nutzbaren Teil des ge- nannten Gases hat. Es sei z. B. gefunden worden, daß das Arterienblut y Vol.-Proz., das Venenblut y, Vol.-Proz. Sauerstoff enthält; der Verbrauch während des Kapillarkreislaufes war mithin y — y,. Unmittelbar vermögen wir hieraus keine Schlüsse über veränderte Arbeitsbedingungen der Zellen am Anfang und am Ende des Kapillarsystems zu ziehen; die mehr oder Xj x Wr Bedeutung der Spannungskurven. — Dissoziable Gasverbindungen im Blute. 65 weniger ausgiebige Versorgung der Zellen mit Sauerstoff richtet sich nämlich, wie oben entwickelt, nicht nach der totalen, in der Volumeinheit be- findlichen Menge Sauerstoff, sondern ausschließlich nach der Konzentration des freien, der Spannung proportional gelösten Sauerstoffs, zu dessen Bestimmung die Spannungskurve angewandt werden muß. Die oben stehende Kurvenfigur möge die Spannungskurve des Sauer- stoffs im Blute vorstellen, so daß die Ordinaten die Anzahl Cubikcentimeter Sauerstoff in 100 ccm Blut angeben; wir brauchen dann nur die dem % bzw. Y, entsprechenden Abszissen x und x, an der Kurve zu finden; die Konzen- tration des freien Sauerstoffs im Blute verhält sich also vor und nach dem Verbrauche wie — - Die totalen Sauerstoffmengen y und y, sind allerdings 1 wichtige Faktoren, weil sie uns über den Vorrat von Sauerstoff belehren, den das Blut besitzt; die aus der Spannungskurve hergeleiteten Konzen- trationen des einfach gelösten Sauerstoffs sind für unsere Betrachtung aber ebenso unentbehrlich, weil sie uns zeigen, wieviel dieses Sauerstoffs den Zellen im Augenblick zur Verfügung steht!), Ein Blick auf die Form der Kurve zeigt, daß die Wirkung, die der Verbrauch einer gewissen gegebenen Menge Sauerstoff auf die Konzentration des freien Sauerstoffs üben wird, je nach dem zu dieser Bestimmung in Anwendung gebrachten Teile der Kurve, mithin nach der Größe des y oder der ursprünglichen Totalmenge des Sauerstoffs, eine höchst verschiedene sein kann. Zugleich ist leicht zu ersehen, daß eine Änderung der Form der Kurve für die hier besprochenen Verhältnisse die größte Bedeutung erhalten kann. Der- gleichen Änderungen der Kurve können durch Modifikationen der gas- bindenden Stoffe entstehen, und im Abschnitte von der inneren Respiration werden wir sehen, daß Änderungen dieser Art in großer Ausdehnung als Regulationsmittel für die Konzentration des Sauerstoffs im Blute zur An- wendung kommen. Ganz analoge Betrachtungen lassen sich in betreff der Kohlensäure an- stellen, nur handelt es sich hier nicht um den Verbrauch eines Vorrats, sondern um ein Aufspeichern behufs späterer Ausscheidung. Die Bedeutung der Spannungskurve liegt also wesentlich darin, daß es nur mittels derselben möglich ist, das Verständnis einer der in respi- ratorischer Beziehung wichtigsten Regulationen zu gewinnen, nämlich der Regulation der Konzentration des freien Sauerstofis, die zum Teil von der Größe der totalen Sauerstoffmenge unabhängig ist. Eine allgemeine Dar- stellung dieses Verhaltens war deshalb schon hier am Orte, während die spe- zielleren Anwendungen später zur Behandlung kommen werden. Die Spannungskurven, die in den speziellen konkreten Verhältnissen Anwendung finden sollen, müssen natürlich solche sein, welche versuchsmäßig als Ausdrücke für die Verhältnisse im Blute unter den eben im Organismus herrschenden Bedingungen gefunden werden. Sie entsprechen nicht immer den Kurven, die man aus den einzelnen isolierten gasbindenden Stoffen ab- leitet, selbst wenn diese bei Körpertemperatur untersucht werden, denn teils können die Stoffe bei der Reindarstellung Änderungen erleiden, wie es !) Vgl. Bohr, Skand. Arch. 3, 136, 1891. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 5 66 Dissoziable Gasverbindungen im Blute. — Dissoziationsgrenze. mit dem sauerstoffbindenden Stoffe der Fall ist; teils wirken, wie bei der‘ Bindung der Kohlensäure im Blute, mehrere gasbindende Stoffe gleichzeitig, und das hieraus entstehende Resultat wird sich nicht immer aus den Bindungs- verhältnissen der einzelnen, isoliert untersuchten Stoffe unmittelbar ableiten lassen. Dies muß man stets vor Augen haben, wenn man sich nicht wesent- lichen Fehlschlüssen aussetzen will. Nichtsdestoweniger ist das Studium der Bindungsverhältnisse der einzelnen isolierten Stoffe aber von großer Wichtig- keit; die hierdurch gewinnbare Einsicht in die Natur der verschiedenen chemischen Vorgänge, um die es sich handelt, führt an mehreren Punkten zu einer mehr präzisen Formulierung der Fragen, alses durch alleinige Untersuchung der Spannungskurven für das gesamte Blut möglich wäre, $ 2. Theoretische Behandlung der Gasbindung der einzelnen im Blute enthaltenen Stoffe. Die chemischen Vorgänge, mittels deren die hier zu besprechenden Substanzen, von dem Partialdrucke der über denselben befindlichen Atmosphäre abhängig, Gase binden, gehören zu den sogenannten reversibeln Vorgängen; das Verdienst, auf diesen Umstand aufmerksam gemacht zu haben, gebührt Donders!). Bekanntlich haben spätere Untersuchungen die Richtigkeit dieses Gesichtspunktes bestätigt; das konkrete Beispiel, das Donders als Analogon der gasbindenden Vorgänge im Blute aufstellte, nämlich die Disso- ziation des festen kohlensauren Kalks beim Erhitzen, hat sich dagegen nur insofern als zutreffend erwiesen, als beide Vorgänge reversible sind; im einzelnen weichen sie aber erheblich voneinander ab. Wird der kohlen- saure Kalk erhitzt, so zerfällt er nach Erzeugung einer hinreichend hohen Temperatur in Kohlensäure und Kalk, und zwar in einem Maße, das außer von der Temperatur auch von dem momentanen Kohlensäuredrucke abhängig ist. Bei einer gegebenen Temperatur finden wir nur einen einzelnen be- stimmten Kohlensäuredruck, bei dem ein Zustand des Gleichgewichts besteht; dieser Druck heißt die Dissoziationsgrenze. Wird der Druck fort- während niedriger erhalten, wenn auch um noch so wenig, so wird ununter- brochen Kohlensäure frei, bis sämtlicher kohlensaure Kalk gespalten ist, und erhält man den Druck konstant höher als die Dissoziationsgrenze, so findet allmählich eine vollständige Vereinigung der Kohlensäure mit dem Kalk zu kohlensaurem Kalk statt 2). Ganz anders verhalten sich die dissoziabeln gasbindenden StoffedesBlutes. Erstens sind hier die Verbindungen, selbst bei den niedrig- sten untersuchten Temperaturen (0°), nicht stabil, wie der kohlensaure Kalk unterhalb einer gewissen Temperatur. Es sind freilich Ansichten aufgestellt worden, denen zufolge die Sauerstoffverbindung des Blutes sich bei niedriger Temperatur nicht sollte auspumpen lassen 3); dies ist aber irrig und beruht auf Anwendung einer mangelhaften Technik (siehe S, 222). Ebensowenig findet sich an den dissoziabeln Stoffen des Blutes etwas der oben beschriebe- nen Dissoziationsgrenze des kohlensauren Kalks Entsprechendes. Im Gegen- !) Pflügers Arch. 1872, 8. 20. — ?) Vgl. z. B. Nernst, Theoretische Chemie 1900, 8. 396 u. ££ — °) P. Bert, Pression barometrique. Paris 1878, p. 694. Dissoziable Gasverbindungen im Blute. 67 teil haben wir sowohl hinsichtlich des Blutes!) als der Hämoglobinlösungen ?) für jede Temperatur eine ganze kontinuierliche Reihe von Gleichgewichts- zuständen, so daß jeder Absorptionsdruck einer bestimmten gebundenen Gas- menge entspricht, was in den Spannungskurven zum Ausdruck kommt, von denen die vorstehende Kurvenfigur (S. 64) ein Paradigma gibt. Die bei Gasbindungen im Blute stattfindenden chemischen Vorgänge sind also anderer Art als diejenigen, von denen der kohlensaure Kalk ein Beispiel abgeben kann. Sie sind Umsätze, bei denen das Gleichgewicht durch die Konzentration der in der Flüssigkeit gelösten Stoffe bedingt wird, also durch die Konzentration teils des freien, einfach gelösten Sauerstoffs (bzw. Kohlensäure), teils der gasbindenden Substanz, welche letztere wieder zu anderen Stoffen Affinität haben kann, die dann ebenfalls eine Rolle bei dem Vor- gange spielen werden. Dieser ist übrigens verschiedener Art; so gibt es teils Dissoziationsvorgänge in engerem Sinne, wie die Dissoziation des doppelt- kohlensauren Natrons in Kohlensäure und kohlensaures Natron,-teils Teilung einer Base unter zwei Säuren, wie die Bindung der Kohlensäure an die Albuminalkalien; dieser Art ist auch die Aufnahme der Kohlensäure im . Hämoglobin; teils gibt es endlich, wie bei der Bindung des Sauerstoffs an Hämoglobin, kompliziertere Dissoziationen sowohl des Moleküls des Hämo- globins als des gasbindenden Stoffes. Die Theorie dieser Ums ätze wollen wir im folgenden rücksichtlich jedes einzelnen erörtern. Wie aus dem Vorstehenden hervorgeht, handelt es sich wesentlich um die Feststellung der Form der Spannungskurve oder mit anderen Worten um die Gleichgewichtszustände, die den ver- schiedenen Spannungswerten in dem über der Flüssigkeit befind- lichen Gase entsprechen. Die einzelnen Gasspannungen werden hierbei bis zum Eintreten des denselben entsprechenden Gleichgewichtszustandes konstant erhalten; hieraus folgt aber, daß auch das in der Flüssigkeit einfach gelöste Gas während des Umsatzes konstant verbleibt, was die Gleichgewichts- ‘ bedingungen etwas vereinfacht. Bevor wir zur Behandlung der Spannungskurven in den einzelnen Fällen schreiten, wird folgende Erwägung von Nutzen sein. Das Aufstellen von Gleichgewichtsformeln auf Basis der chemischen Kinetik erfordert Kenntnis nicht nur der Komponenten der Verbindungen, sondern auch der Anzahl der Moleküle, mit denen jede einzelne Komponente in die Verbindung eintritt. Wo solche völlige Einsicht in die Natur der Verbindung vorliegt, läßt die Formel sich mit Sicherheit aufstellen, wenngleich — aus Rücksicht auf mög- licherweise übersehene Nebenwirkungen — die experimentelle Prüfung in dem einzelnen Falle nicht unterbleiben darf. Unter den im folgenden be- handelten Stoffen kann das Natriumbikarbonat als Beispiel einer solchen völlig aufgeklärten Verbindung dienen. Anders verhält es sich aber, wo man die chemische Natur der Verbindung nur ungenügend kennt, wie es mit dem Hämoglobin und dessen Gasverbindungen der Fall ist; hier ist die Art der Komponenten nicht immer absolut sicher, und die relative Anzahl ihrer Mole- küle in der Verbindung ist unbekannt. Unter solchen Umständen muß die !) P. Bert, 1. c. p. 683. — °) Bohr, Sauerstoffaufnahme des Blutfarbstoffs. Kopenhagen 1885, 8. 40. 5* 68 Dissoziation des Natriumbikarbonats. Formel unter mehr oder weniger willkürlichen Annahmen aufgestellt werden; die Möglichkeit der Realität dieser Annahmen ist dann durch Untersuchung der Übereinstimmung zwischen experimentell gefundenen und theoretisch berechneten Werten zu prüfen; man muß aber stets eingedenk sein, daß eine Übereinstimmung dieser Werte nicht die absolute Richtigkeit der ange- nommenen Voraussetzungen, sondern nur deren Möglichkeit beweist. Werden andere Annahmen gemacht, z. B. mit Bezug auf die relative Anzahl von Molekülen der einzelnen Komponenten der Verbindung, so kann die Formel ein ganz anderes Aussehen erhalten, das sich vielleicht ebenfalls innerhalb der Grenzen, welche die Ausführung der Experimente zieht, mit letzteren in Einklang bringen läßt. Unter solchen Verhältnissen findet die Aufstellung einer Formel ihre Bedeutung darin, daß sie das beste Mittel ist, eine Ansicht von der Natur der betreffenden Verbindung scharf zu präzisieren, und zwar in einer Form, die für weitere Prüfung mittels fortgesetzter experimenteller Untersuchungen eben die beste Grundlage abgibt. Als heuristisches Mittel, als Anleitung zur scharfen Formulierung der Fragen be- hufs weiterer Untersuchung hat die Anwendung der kinetischen Theorie auf Verbindungen, die so wenig aufgeklärt sind wie das Hämoglobin, ihren großen Wert; bis man den chemischen Charakter des Hämoglobins bedeutend besser kennt, als dies jetzt der Fall ist, muß man aber darauf vorbereitet sein, daß die aufgestellten Formeln während der vor- wärtsschreitenden Untersuchung nicht unerhebliche Änderungen erleiden werden. Dissoziation des Natriumbikarbonats '). Die Dissoziaton des gelösten Natriumbikarbonats geschieht nach dem Schema 2NaHCO, ZZ N3,C0, + H,CO;. Setzt man den als Bikarbonat vorhandenen Teil des Natriums = z, so kann man, da die hydrolytische Dissoziation des Monokarbonats eine äußerst ge- ringe ist, den als Karbonat vorhandenen Teil des Natriums —= 1 — 2 setzen. Die Konzentration (Gewichtsmenge in der Raumeinheit) des gesamten Natriums sei ©, der Partialdruck der Kohlensäure in a über der Flüssigkeit stehen- den Gase x und der Absorptionskoeffizient &; _ - - ° ist dann der Konzentration der freien Kohlensäure proportional. Man hat dann, wenn man statt der Menge der reagierenden Stoffe hierzu proportionale Größen einsetzt, folgende Gleichgewichtsbedingungen für oben stehende Relation — die linke Seite der Gleichung wird quadriert, da das Bikarbonat mit 2 Molekülen am Prozesse teilnimmt — u A060. 2): —; ‚setzt man K,.760 — K, so bekommt man C 22 — RR K ee ent, !) Vgl. Bohr, Skand. Arch. 3, 66, 1891. MeCoy, Amer. chem. Journ. 29, 437, 1908. eh De Lin TEE RE NETROEUPASENTA Dissoziation des Natriumbikarbonats. 69 Setzt man die Anzahl Cubikcentimeter CO,, die für 1g kohlensaures Natron bei verschiedenen Drucken gebunden wird, — y und die Anzahl Cubik- centimeter CO,, die in maximo von 1g kohlensauren Natrons gebunden werden kann, — B, so hat man z — z; wird dies in die Gleichung ein- geführt, so bekommt man © .—— . 2 — PER K zB’ x(B--y) als die Relation, die zwischen der Spannung der Kohlensäure (x) und der an das kohlensaure Natron gebundenen Menge Kohlensäure (y) stattfindet. Die Übereinstimmung der Theorie mit der Erfahrung geht aus unten stehender Tabelle hervor, in welcher einige früher von mir beobachtete Werte mit denen verglichen werden, die sich aus der Formel berechnen lassen. Zum Versuche!) wurden 33,992 g einer 0,1552 proz. Na,C0,-Lösung angewandt; Temperatur 37°. Die angewandte Menge Na,C0, vermochte nach der Äquivalent- bereehnung in maximo 11,14ccm CO, zu binden; in guter Übereinstimmung hiermit erwies sich die Konstante B = 10,95; K = 0,022284. Für die letzte Versuchs- nummer wurde kein Wert berechnet, da in die Bestimmung augenscheinlich ein übrigens geringer Fehler eingelaufen war. CO,-Spannung CO, chemisch gebunden FIRE beobachtet berechnet 0,17 6,091 6,091 12,53 10,749 10,749 18,74 | 10,803 10,815 28,88 | 10,822 10,863 45,08 | 10,830 10,895 71,84 - | 10,784 E Mittels der Formel und der gefundenen Konstanten wurde die unten stehende Tabelle über die prozentige Sättigung (völlige Sättigung — 100) des kohlensauren Natrons in einer 0,15 proz. Lösung bei verschiedenen Spannungen berechnet. Temperatur 37°. CO,-Spannung | Proz. CO,-Sättigung | CO,-Spannung | Proz. CO,-Sättigung mm mm 0,1 46,7 1,0 83,1 0,17 55,6 5,0 95,5 0,3 65,6 12,53 98,1 0,5 73,6 Änderung der Temperatur ändert den Verlauf der Spannungskurve; Änderung der Konzentration gleichfalls, denn in der Formel wächst an, wenn (© abnimmt. !) Bohr, Skand. Arch. 3, 68, 1891. 70 Gasbindungen des Hämoglobins. Die Gasbindungen des Hämoglobins. Indem wir im übrigen hinsichtlich der Zusammensetzung und des chemi- schen Charakters des Hämoglobins auf einen anderen Abschnitt dieses Hand- buches verweisen, in welchem die ausführlichere Behandlung gegeben wird, wollen wir hier in Kürze einige Punkte berühren, die für die Entwickelung der Theorien von den Gasbindungen des Stoffes notwendig sind. Bekanntlich spaltet das Hämoglobin sich leicht in Globin und Hämo- chromogen, welcher letztere eisenhaltige Teil in Berührung mit atmo- sphärischer Luft genau dasselbe Volum Sauerstoff aufnimmt wie das Hämoglobin, von dem es herstammt; das Hämoglobin und das Hämo- chromogen binden also für jedes Gramm Eisen, das sie enthalten, dasselbe Volum Sauerstoff. Selbst wenn nun das abgespaltene Hämochromogen mit dem eisenhaltigen Teile des ungespaltenen Hämoglobins nicht völlig identisch ist, so ist doch aus oben Stehendem zu schließen, daß der Sauer- stoff ausschließlich an den eisenhaltigen Teil, nicht aber an das Globin gebunden wird. Indes ist die Menge des an das abge- spaltene Hämochromogen gebundenen Sauerstoffs nicht merkbar von der Sauerstoffspannung abhängig, wie dies mit dem an das Hämoglobin gebundenen Sauerstoffe der Fall ist, und ersterer läßt sich deshalb nicht auspumpen wie letzterer. Die Annahme liegt daher nahe, daß eben der Umstand, daß der eisenhaltige Teil sich mit dem Globin in Ver- bindung befindet, die Abhängigkeit der aufgenommenen Sauerstoffmenge von der Spannung bewirkt, welche Abhängigkeit ihren Ausdruck in der Spannungskurve erhält. Was das Kohlenoxyd betrifft, so bindet das Hämoglobin in einer reinen ÜO-Atmosphäre ein genau ebenso großes Volumen Gas, wie es in einer Sauerstoffatmosphäre Sauerstoff bindet; dasselbe ist nach Hoppe- Seylers!) Untersuchungen mit dem Hämochromogen der Fall. Nun teilt ferner ein Gemisch von Sauerstoff und Kohlenoxyd, wenn die Spannungen hinlänglich groß sind, um die Menge des reduzierten Hämoglobins ver- schwindend klein zu machen, das Hämoglobin auf die Weise, daß die Summe der gebundenen Mengen der beiden Gase durchaus dieselbe ist, die das Hämo- globin von jedem derselben in einer reinen Atmosphäre des einen bzw. des anderen dieser Gase bindet; es ist deshalb als sicher anzunehmen, daß die Bindung des Kohlenoxyds an denselben Teil des Moleküls geschieht, der den Sauerstoff bindet, und es müssen völlig analoge Gleichgewichtsbedin- gungen vorwalten, nur zeigt die Verschiedenheit der Spannungskurven für die beiden Gase (S. 89 u. S. 123), daß die Konstanten in den Gleichungen, die den Vorgang ausdrücken, verschieden sind. Die Kohlensäure wird unabhängig von der gleichzeitigen Bindung des Sauerstoffs an das Hämoglobin gebunden. Dies geht mit großer Deutlichkeit aus hierüber angestellten Versuchen hervor, welche zeigen, daß das Vorhandensein von Sauerstoff die bei gegebener Spannung aufgenommene Menge Kohlensäure nicht merkbar ändert 2). Ganz dasselbe ist rücksichtlich t) Zeitschr. f. physiol. Chemie 13, 477, 1889. — °) Bohr, Zentralbl. £. Physiol. 4, 253, 1890 u. Skand. Arch. 3, 64, 1891. u eu > u ie >) © 0 6 —. ‚. Verbindung des Hämoglobins mit Kohlensäure. 71 des Kohlenoxyds der Fall; auch dieses hat keinen Einfluß auf die Kohlen- säurebindung !). Nicht einmal die Umbildung des Hämoglobins in Met- hämoglobin ändert die Bindungsverhältnisse der Kohlensäure 2). Diese Indifferenz der Kohlensäurebindung gegen die gleichzeitige Sauerstoffbindung zeigt an, daß der Angriffsort der beiden Vorgänge an verschiedenen Stellen des Moleküls zu suchen ist. Es ist daher anzunehmen, daß die Kohlensäure im Gegensatz zum Sauerstoff nicht an den eisenhaltigen Teil, sondern an das Globin gebunden wird, in Analogie mit den Bindungen der Kohlensäure an Albuminstoffe, die Setschenow anführt?). Wie gesagt ändert die’gleichzeitige Aufnahme von Sauerstoff praktisch genommen nicht die Bindung der Kohlensäure an das Hämoglobin. Dagegen beeinflußt die Kohlensäureaufnahme die Sauerstoffbindung in der Weise, daß die Sauerstoffspannungskurve eine andere Form annimmt.. Aller Wahrscheinlichkeit nach beruht dies darauf, daß die Bindung zwischen Globin und Hämochromogen, die, wie oben erwähnt, für' die O,-Spannungskurve be- stimmend ist, sich durch die Verbindung des Globins mit Kohlensäure ändert (8. 91). Im folgenden wird die Theorie der einzelnen Verbindungen des Hämo- globins mit Gasen behandelt. Die Verbindung des Hämoglobins mit Kohlensäure. Es liegt am nächsten, die von der Spannung abhängige Bindung der Kohlensäure so zu erklären, daß sie durch Teilung einer Base unter die Kohlensäure und eine andere schwache Säure entstehe. Da die Kohlensäure an den Globinteil ‘des Hämoglobins gebunden wird, und da der Prozeß in völlig alkalifreien Lösungen vorgeht, kann man sich hierbei von folgender Betrachtung leiten lassen *). Das Albumin (A) zeigt bekanntlich sowohl saure als basische Affınitäten und läßt sich daher als aus einem sauren (As) und einem basischen Teil (A,) zusammengesetzt denken. Die Kohlensäure bildet dann zum Teil mit dem basischen Teile eine Verbindung ([C0,;Az]), wodurch ein entsprechender Teil von Az frei wird. Der Vorgang kann also ausgedrückt werden als 00, +A — [C0,Az] + As. Wir setzen denjenigen Teil von Az, der sich mit der Kohlensäure verbunden hat, gleich z, wodurch der hiermit proportionale frei gewordene Teil des As mit 2 proportional wird, und das ungeteilte Albumin proportional 1 — z; die hydrolytische Dissoziation des Albuminmoleküls ist als gar zu gering- fügig außer Betracht gelassen. Ferner nennen wir den Partialdruck der Kohlensäure oberhalb der Flüssigkeit x und den Absorptionskoeffizienten «; die in 1ccm absorbierte Menge CO, ist dann Ze die Konzentration (Ge- wicht in l1ccm) von A sei ©. Die Gleichgewichtsbedingung ist dann, wenn für die Mengen der reagierenden Substanzen damit proportionale Größen !) Bock, Die Kohlenoxydintoxikation. 8. 55. Kopenhagen 1895. — *) Bohr, “ Skand. Arch. 8, 363, 1898. — °) M&m. d. l’Acad. d. St. P6tersbourg 26 (1879). — *) Bohr, Zentralbl. f. Physiol. 17, 713, 1904. 72 Verbindung des Hämoglobins mit Kohlensäure. gesetzt werden, und unter der Annahme, daß die Kohlensäure und das Globin mit gleicher Anzahl der Moleküle am Prozesse partizipieren: C(1—?2)- = Kı.0.e0s=K, 0.2? oder 760.0 xl )=K: S gs, In den Versuchen, mit deren Resultaten diese Relation verglichen werden soll, ist bei verschiedenen Spannungen die von 1g Hämoglobin gebundene Anzahl Cubikcentimeter Kohlensäure bestimmt. Diese Größe (y) muß in obenstehenden Ausdruck eingeführt werden; wir nennen daher die von 1g Hämoglobin in maximo gebundene Kohlensäuremenge B und haben also 5 — z. Durch Einsetzung von en in die Gleichung finden wir, indem K = K,.760 gesetzt wird, C ıB+- ar un was also die Relation zwischen den Spannungen (x) und den aufgenommenen Mengen (y) ist. Die Konstante K variiert mit der Temperatur. Die Konzentration, in der sich das Hämoglobin befindet, hat Einfluß auf die Form der Spannungskurve, denn wenn C anwächst, nimmt y ab. Die Richtigkeit der aufgestellten Auffassung bestätigt ein Vergleich der nach der Formel berechneten mit den experimentell gefundenen Werten !). Es können hier ferner noch einige Reihen angeführt werden, die von früher veröffentlichten Versuchen herrühren. Der Versuch ?) wurde mit einer 1,76 proz. Lösung von Hämoglobin bei einer Temperatur von 18,5° angestellt; C war also = 0,0176, « = 0,915. Aus dem Ver- suche wurde K —= 1133,9, B = 4,00 berechnet. Unten findet sich eine Zusammen- stellung der beobachteten und berechneten Werte. — | C0,-Spannung CO,-Aufnahme ccm pro Gramm mm | beobachtet berechnet ' 1,75 | 1,33 0,98 15,16 | 2,27 2,22 20,60 | 2,44 2,43 28,44 | 2,63 2,65 39,92 | 2,82 2,87 56,98 | 3,01 3,08 82,32 | 3,29 3,28 121,94 | 3,51 3,46 Die Übereinstimmung der beobachteten mit den berechneten Werten ist eine besonders gute; nur die erste Bestimmung, wo die Genauigkeit wegen des niedrigen Druckes geringer sein muß, zeigt erhebliche Abweichung. !) Bohr, l.c. — ?) Beitr. z. Physiol, Ludwig gewidmet, 1887; Bohr, 8.170, Tabelle 3. N Verbindung des Hämoglobins mit Sauerstoff. 73 Die vom Hämoglobin gebundene Kohlensäuremenge erweist sich in ge- wissen Fällen (der ö-Verbindung!) bedeutend größer als gewöhnlich (in der „-Verbindung); auch die ö-Verbindung unterliegt, wie unten- stehende Berechnung zeigt, derselben Gleichgewichtsbedingung. In einer Reihe von Versuchen ?) war die Konzentration 0,01884, die Tempe- ratur 18°,6, « mithin = 0,912. Man findet K = 1226,9, B= 8,14. Ein Vergleich der beobachteten Werte mit den berechneten gibt folgendes Resultat. CO,-Spannung CO,-Aufnahme ccm pro Gramm mm beobachtet | berechnet 11,4 4,08 3,93 20,6 4,82 4,74 27,7 5,28 5,16 61,1 5,91 6,19 69,4 6,22 6,34 103,6 6,74 6,77 Vergleicht man die Konstanten in den beiden angeführten Fällen, so sieht man, daß B oder die in maximo gebundene Kohlensäure für die Ö-Verbindung fast genau doppelt so groß ist wie für die Y-Verbindung (8,1 bzw. 4,0), während K keinen bedeutenden Unterschied zeigt (1227 bzw. 1134). Die größere Bindung entsteht also dadurch, daß jede Gewichtseinheit Hämo- globin sich mit doppelt so viel Kohlensäure verbindet, während das Verhalten der Reaktionsgeschwindigkeiten sich nicht wesentlich ändert. Die Verbindungen des Hämoglobins mit Sauerstoff. Aus den oben angeführten Bemerkungen (siehe S. 70) geht hervor, daß es der eisenhaltige Teil des Hämoglobins ist, mit dem der Sauerstoff eine Verbindung schließt. Um den rationellen Ausdruck für den hier besprochenen Prozeß zu bilden, haben wir nun nur die wohl unzweifelhafte Annahme zu machen, daß eine hydrolytische Dissoziation des Hämoglobins in Globin und eisenhaltigen Teil stattfindet, und daß die Sauerstoffverbindung des letzteren Teiles ebenfalls dissoziabel ist. Wir haben dann teils eine Dissoziation des Hämoglobins (H) in eisen- haltigen Teil (F) und Globin (@) HE IP TIERE EN. (1) teils eine Dissoziation der Sauerstoffverbindung (F,) des eisenhaltigen Teiles in Sauerstoff und F'; die Frage ist nun, ob ein oder zwei Moleküle Sauerstoff für jedes Molekül F'in den Prozeß eintreten®). Um Übereinstimmung der Versuchsergebnisse mit der Formel zu erzielen, erwiesen sich zwei Moleküle als notwendig. Die Relation lautet dann KERN Iren. 2... @) Y) Bohr, Skand. Arch. 3, 55, 1891. — *) Bohr, 1. c. 8. 53. Versuche Nr. 5, 7, 8. — °) Zentralbl. f. Physiol. 17, 683, 1904. 74 Verbindung des Hämoglobins mit Sauerstoff. Wir setzen denjenigen Teil von F, der mit Sauerstoff in Verbindung ist, gleich z und denjenigen Teil, der nicht mit Sauerstoff verbunden ist, gleich u; das abgespaltene Globin ist dann proportional mit « + 2, das ungespaltene Hämoglobin proportional mit 1 —- (u + 2). Die Konzentration (Gewichts- menge in der Raumeinheit) sei C, der Sauerstoffdruck oberhalb der Flüssig-. keit x und der Absorptionskoeffizient & Man hat nun, wenn für die Mengen reagierender Substanzen damit proportionale Größen gesetzt werden, für die beiden obigen Relationen: a a a a oder a a nei 5 KK(1—-2-W=(.u.(w+t 2) ) und a\? B.0r= C.u(7%) 3: N ee (2) Letztere Gleichung läßt sich als k.z —= uz? schreiben, woraus u — -_ Nach Einsetzung dieser Größe in (1) hat man k k.C.e?2 (1 - =) =K [# (1 —.) —z.Kk] Nennt man die Anzahl Cubikcentimeter Sauerstoff, die in unseren Versuchen bei verschiedenen Spannungen (x) pro Gramm Hämoglobin gebunden wird, y, und bezeichnet man die Anzahl Cubikcentimeter Sauerstoff, die 1g Hämo- globin in maximo zu binden vermag, durch B, so hat man 5 = 2; wird diese Größe in die Formel eingeführt und zugleich die konstante Größe KB —= K gesetzt, so heißt die Gleichung K.C.y? (1 nn =) = x2(B-—y) — yk, welche somit die Relation zwischen Sauerstoffaufnahme (y) und Spannung (x) ausdrückt. Die absorbierten Mengen ändern sich, wenn die Temperatur und die Konzentration variieren; wächst (C an, so wird y abnehmen. Die Übereinstimmung der nach den Formeln berechneten Werte mit den experi- mentell gefundenen geht aus folgender Tabelle hervor. | O,-Spannung O,-Aufnahme ccm pro Gramm mm beobachtet | berechnet ns: 0,63 0,64 14,82 1,00 0,98 25,70 1,18 1.16 37,61 1,23 1,22 BER 1,25 1,26 87,80 1,27 1,28 ee Ze Verbindung des Hämoglobins mit Kohlenoxyd. 75 Beim Versuche!) war die Konzentration des Hämoglobins 6 Proz., die Tempe- ratur 21,7°. Die Konstanten wurden berechnet als K — 40,73, k = 26, B = 1,29. Werden die experimentellen Werte graphisch angegeben, so wird man bemerken, daß die Kurve bei niedrigen Drucken einen Wendepunkt hat, so daß sie ihre Konvexität hier der Abszissenachse zukehrt. Dieses bei höheren Temperaturen ent- schiedener ausgesprochene Verhalten (siehe die Abbildung 8. 90) ist in der oben an- geführten theoretischen Formel wiederzufinden. Bildet man nämlich den Differential- d F ? quotienten Ze so findet man diesen als 0 für x = 0. Im Anfangspunkte ist also die Tangente der Kurve horizontal, und bei niedrigen Drucken gibt es mithin einen Wendepunkt. Wo es sich kontrollieren ließ, erwiesen die theoretisch aufgestellten Gleichgewichtsbedingungen also Übereinstimmung mit den experimentellen Resultaten. Es ist daher einstweilen eine wohlbegründete Annahme, daß nieht nur die allgemein zugrunde gelegten Prinzipien den wirklichen Verhält- nissen entsprechen, was sich wohl kaum bezweifeln ließ, sondern daß auch die speziellen. Annahmen (die relative Anzahl der Moleküle) mit Bezug auf die wässerigen Hämoglobinlösungen richtig sind. Dies führt jedoch keines- wegs mit sich, daß dieselben Gleichgewichtsbedingungen sich in allen ihren Details auf die Sauerstoffbindung im Blute übertragen ließen. Der Farbstoff des Blutes erleidet nämlich Änderungen durch die Darstellung des Hämoglobins. Eine auf physikalisch-chemische Prinzipien gegründete Gleichung für die Gleichgewichtsbedingungen bei der Verbindung des Sauerstoffs mit dem Hämoglobin wurde zuerst von Hüfner?) aufgestellt, der den Vorgang als eine einfache Dissoziation auffaßt. Es gelingt indes nicht, auf diesem Wege die Übereinstimmung der Theorie mit den experimentellen Bestimmungen herbeizuführen 3). , Die Verbindung des Hämoglobins mit Kohlenoxyd. Dem früher Entwickelten zufolge sind die Gleichgewichtsbedingungen für die Verbindung des Kohlenoxyds mit dem Hämoglobin denen für die Sauerstoffverbindungen dieses Stoffes ganz analog, und die Form der Gleichung muß mithin dieselbe sein wie die oben für den Sauerstoff angegebene. Da die Spannungskurven der beiden Gase aber verschieden sind, müssen auch die Konstanten der Gleichung verschieden sein. Die experimentellen Data über die Bindung des Kohlenoxyds an das Hämoglobin finden sich im Ab- schnitte von den speziellen Absorptionsverhältnissen dieses Gases im Blute besprochen ($. 123). Es ist aus denselben zu ersehen, daß die Spannungs- kurve bei niedrigen Drucken sehr geschwind ansteigt. Geringe Fehler der für die Berechnung der Konstanten entscheidenden Spannungswerte werden deshalb so großen Einfluß erhalten, daß eine solche Berechnung auf Grund- lage der bisher vorliegenden Versuche keine Bedeutung erlangen wird. Die Verbindung des Hämoglobins mit Sauerstoff und Kohlenoxyd. Wie oben bei der Besprechung der Verbindung des Hämoglobins mit Sauerstoff entwickelt, haben wir folgende Relationen teils für die hydrolytische !) Zentralbl. £. Physiol. 17, 687, 1904. — ?) Arch. f. (Anat.) u. Physiol. 1890, 8. 1; 1901, 8. 188. — °) Bohr, Zentralbl. f. Physiol. 17, 682, 1904. 76 Verbindung des Hämoglobins mit Sauerstoff und Kohlenoxyd. Dissoziation des Hämoglobins (H) in eisenhaltigen Teil (F) und Globin (@), teils für die Dissoziation der Sauerstoffverbindung des eisenhaltigen Teils (F,): HI rFLE TE Te nz2ri3. 00.00 Hierzu kommt ferner, wenn zugleich Kohlenoxyd vorhanden ist, die Disso- ziation der Kohlenoxydverbindung des eisenhaltigen Teils (Fo) Fo Ze F E300 A Nennt man den mit Sauerstoff in Verbindung befindlichen Teil von F 2, den mit Kohlenoxyd verbundenen Teil 2. und den freien, weder mit Gasen noch mit Globin verbundenen Teil 4, so ist der als Hämoglobin vorhandene Tell —=1-+(% + 2. + u) Die Konzentration des Hämoglobins sei C, die Partialdrucke des Sauerstoffs und des Kohlenoxyds über der Flüssigkeit 9, bzw. p., die Absorptionskoeffizienten des Sauerstoffs und des Kohlenoxyds & bzw. &. Man hat dann, indem man statt der Mengen der reagierenden Substanzen damit proportionale Größen setzt, für die oben stehenden Rela- tionen die drei folgenden Gleichungen: K,cC.1ı1- + 2+ wW]= (C.u.C.&, + 2. + u) oder Kl1—- a.+2.+WwW=(ue. +2 +%W. . ...0 3.0... 0.% (2) ‘oder KH EU a ee Een a ae a ee a Pe %ı RB: U. OR 2) oder he EP re ee ae SR A Aus den Gleichungen (2) und (3) bekommt man mittels Division: a — (2). k, ke Pe welches das gegenseitige Verhältnis der gleichzeitigen Gasver- bindungen bei den gegebenen Partialdrucken angibt. Befände sich alles Hämoglobin in Verbindung mit Sauerstoff oder Kohlenoxyd, so daß kein Teil des Stoffes als reduziertes Hämoglobin vorhanden wäre, dann würde nicht allein das Verhältnis zwischen dem Sauerstoff- und dem Kohlen- oxydhämoglobin, sondern auch die Mengen dieser Verbindungen in der Raumeinheit gegeben sein. In der Tat ist aber ja stets außer den beiden Gasverbindungen zugleich auch reduziertes Hämoglobin in der Flüssigkeit zugegen, die Menge desselben wird aber, wenn die Sauerstoff- und die Kohlenoxydspannungen hinlänglich hoch sind, nur eine verschwindend kleine sein. Alsdann kann man sich der oben stehenden Relation bedienen, um nicht nur das Verhältnis der Gasverbindungen, sondern auch die Kon- zentration jeder einzelnen zu berechnen. Bei Drucken, die so niedrig sind, daß die Menge des reduzierten Hämoglobins von Belang wird, muß man die Berechnung der Konzentration der Gasverbindungen so ausführen, daß man aus sämtlichen drei Gleichungen einen Ausdruck bildet. Dies kann EVEN He 0. 5 Kohlensäureverbindung der Albuminalkalien. ii z. B. dadurch geschehen, daß man aus den Gleichungen (2) und (3) den Ausdruck & + 2 um ——— 2 pi bildet und diesen in Gleichung (1) einsetzt. Da wir im folgenden aber für “ den auf diesem Wege gewonnenen Ausdruck keine Anwendung haben, wird die Rechnung hier nicht ausgeführt. Aus Versuchen über gleichzeitige Absorption des Sauerstoffs und des Kohlenoxyds in wässerigen Lösungen rein dargestellten Hämoglobins liegen unseres Wissens keine Bestimmungen vor, aus denen sich das Ver- hältnis = experimentell feststellen ließe. Solche Untersuchungen würden [4 von Wichtigkeit sein, weil dadurch die Richtigkeit der speziellen Annahme von der relativen Anzahl der Sauerstofif- (und der Kohlenoxyd-)moleküle kontrolliert werden könnte. Daß das Verhältnis theoretisch gleich dem Quadrate des Verhältnisses der Drucke befunden wird, rührt nämlich von der Einführung von zwei Molekülen Sauerstoff für je ein Molekül Hämoglobin in die Gleichung her; wollte man annehmen, daß die Reaktion mit je einem Molekül der beiden Stoffe stattfände, so würde a sich einfach wie die Drucke c verhalten. Über die gleichzeitige Absorption von Sauerstoff und Kohlenoxyd in mit Wasser oder kohlensaurer Natronlösung verdünntem Blute liegen dagegen Versuche vor; diese werden unten näher besprochen werden. Im vorhergehenden entwickelten wir auf Basis der allgemeinen Grund- sätze der chemischen Statik die Gleichgewichtsbedingungen für die Gasdisso- ziation der einzelnen aus dem Blute dargestellten Substanzen. Nur die Kohlensäureverbindung der Albuminalkalien wurde nicht speziell behandelt; es handelt sich hier um die Teilung einer Base (des Alkalis) unter zwei Säuren (das Albumin und die Kohlensäure), und,der Vorgang ist daher der Bindung der Kohlensäure an das Hämoglobin analog, nur ist die Base in dem hier besprochenen Falle kein konstituierender Bestandteil des Albumin- moleküls selbst, wie es beim Kohlensäurehämoglobin der Fall ist. Spezielle Gleichgewichtsbedingungen für die Kohlensäureverbindung der Albuminalkalien lassen sich jedoch nicht aufstellen, da keine hierzu brauchbaren Versuche vorliegen (S. 112). Es erübrigt noch, zu untersuchen, in welchem Umfang die oben für die einzelnen Stoffe entwickelten Gleichungen sich einfach auf die gasbindenden Vorgänge im Blute selbst übertragen lassen. Wie bereits berührt, ist eine solche Anwendung der gefundenen Formeln speziell für die Sauerstoff- und die Kohlenoxydverbindungen nicht zulässig. Direkte Versuche zeigen nämlich, daß die Spannungskurven mit Bezug auf beide diese Gasarten wesentlich verschieden sind, je nachdem sie im Blute oder in Hämoglobinlösungen bestimmt werden (S. 90). Die Verschiedenheiten, die nicht die in maximo gebundene Menge Gas, sondern 78 Gasbindungen im Blute und in Hämoglobinlösungen. die Form der Kurven betreffen, sind dadurch zu erklären, daß der Blut- farbstoff bei seiner Überführung in Hämoglobin Änderungen erleidet ($. 88). An und für sich brauchte dies wohl nicht zu bewirken, daß die oben für das Hämoglobin gefundene spezielle Form der Gleichgewichtsbedingung nicht auch für den genuinen Blutfarbstoff passen sollte; es wäre denkbar, daß die Verschiedenheiten lediglich auf einer Änderung der Konstanten der Gleichung (des Verhältnisses der Reaktionsgeschwindigkeit) beruhen könnten. , Die über gleichzeitige Bindung des Sauerstoffs und des Kohlen- oxyds im Blute vorliegenden Versuche zeigen indes, daß auch die Form der Gleichungen für Blut und Hämoglobinlösungen verschieden sein muß. Im Blute verhielten, Haldanes und Smiths!) Versuchen zufolge, die aufge- nommene Kohlenoxyd- und Sauerstoffmenge sich ganz einfach wie die ent- sprechenden Partialdrucke zueinander, in Hämoglobinlösungen, über die, wie bereits erwähnt, keine Versuche vorliegen, wurden wir, um Übereinstimmung mit den theoretisch aufgestellten Gleichgewichtsbedingungen zu erzielen, jedenfalls vorläufig zu der Annahme ‘bewogen, daß die aufgenommenen Mengen der beiden Gase sich wie die Quadrate der Partialdrucke verhielten; es ist somit wahrscheinlich, daß die relative Anzahl der in den Vorgang ein- getretenen Sauerstoffmoleküle oder der durch die hydrolytische Dissoziation des Hämoglobins abgespaltenen Moleküle in den beiden Fällen verschieden ist. Eine Analyse der Kurve für die Sauerstoffspannung des Blutes mit der Aufklärung dieser Fragen vor Augen zu unternehmen, ist vorläufig nicht tunlich, dazu sind die Verhältnisse im Blute gar zu kompliziert. Unter anderem bereitet es einer solchen Untersuchung bedeutende Schwierigkeit, daß die Kohlensäure sich wohl schwerlich ohne Abänderung des Blutfarb- stoffes völlig aus dem Blute entfernen läßt, während ihre Gegenwart ander- seits die Absorptionsverhältnisse des Sauerstoffs beeinflußt ($. 91), Die hier besprochenen Verhältnisse geben uns ein gutes Beispiel, daß bei der Anwendung der speziellen Resultate der theoretischen Behandlung mit großer Reservation zu verfahren ist, solange die chemische Struktur und die molekularen Verhältnisse der betreffenden Stoffe nicht völlig bekannt sind, was mit Bezug auf das Hämoglobin ja noch in ferner Aus- sicht steht. Freilich hat man dann und wann diesem Umstande nicht das erforderliche Gewicht beigelegt und ist dadurch zu unrichtigen Resultaten gekommen; :darum darf man aber doch keineswegs die Bedeutung der Einsicht in die für die einzelnen Vorgänge gültigen allgemeinen Gleich- gewichtsbedingungen unterschätzen; im Gegenteil, derartige Untersuchungen sind durchaus unentbehrlich, wenn die vorliegenden, den Fortschritt auf diesem ganzen Gebiete wesentlich bedingenden, Aufgaben näher präzisiert werden sollen. Nur muß man eingedenk sein, daß Aufschlüsse über faktische Verhältnisse, die zur Erklärung der physiologischen Vorgänge dienen sollen, einstweilen durch direkte Bestimmungen im Blute selbst unter Be- dingungen, die den im Organismus herrschenden entsprechen, kontrolliert werden müssen. Die Resultate derartiger Bestimmungen liegen im Abschnitte über die näheren Verhältnisse bei der Absorption der einzelnen Gase im Blute vor. f ») Journ. of Physiol. 22, 251, 1897. Zr ee dee en, ne en ae ee Dit. Se eure ur ee. Mei ee LE Gase im arteriellen und venösen Blute. 79 Zweiter Abschnitt. Die Gase des Blutes. 1. Kapitel. Die Gase im arteriellen und im venösen Blute. Die Gasarten, die aus dem Blute entweichen, wenn ihr Partialdruck über demselben gleich Null wird, und die sich also mittels Auspumpens daraus gewinnen lassen, sind Sauerstoff, Kohlensäure, Stickstoff und Argon und wenigstens zuweilen Wasserstoff, Kohlenwasserstoff und Kohlen- oxyd. Die vier letztgenannten Gase finden sich nur in sehr geringer Menge. Von Argon), dessen Quelle die atmosphärische Luft ist, enthält das Blut etwa 0,04 Vol.-Proz. Wasserstoff und Kohlenwasserstoff 2), die haupt- sächlich aus dem Darmkanal stammen, finden sich in einer Menge von je etwa 0,05 Vol.-Proz.; die Menge des Kohlenoxyds beträgt etwa 0,08 Vol.- Proz. 3); letzteres Gas wird vielleicht aus der Atmosphäre aufgenommen, die in großen Städten eine geringe Menge Kohlenoxyd enthält. Die Mengenverhältnisse der übrigen Gase lassen sich am zweck- mäßigsten behandeln, wenn wir das arterielle und das venöse Blut getrennt betrachten. Gase im arteriellen Blute. Die Durchschnittszahlen für die Mengen des Sauerstoffs, der Kohlen- säure und des Stickstoffs sind trotz der keineswegs unbedeutenden indivi- duellen Schwankungen doch ziemlich dieselben für die verschiedenen unter- suchten Gattungen der Säugetiere. Wir können uns deshalb hier damit begnügen, die Volumprozente der Gase im Hundeblute anzugeben, welches Blut am häufigsten untersucht worden ist und dem Tiere angehört, an dem einige der wichtigsten respirations-physiologischen Versuche angestellt wurden. Die sehr zahlreichen, über den Gasgehalt des arteriellen Hundeblutes vor- liegenden Bestimmungen geben im wesentlichen, von einzelnen älteren, nach un- vollkommeneren Methoden angestellten Analysen abgesehen, übereinstimmende Resultate. - Daß auch die Durchschnittszahlen einige Schwankungen auf- zeigen, kann nicht überraschen, da die untersuchten Tiere, wenn sie auch alle für normal gehalten werden konnten, doch an Alter und Körperzustand höchst verschieden gewesen sein müssen. Für die Übersicht über die Durch- schnittszahlen und die Größe der individuellen Variation möchten die beiden folgenden Versuchsreihen völlig genügen. Die angeführten Zahlen sind Durchschnittszahlen; die maximalen und die minimalen Werte, welche die einzelnen Blutproben ergaben, sind in Klammer beigefügt. Die Sauerstoffmenge des arteriellen Blutes ist nicht um viel geringer als diejenige, die man nach Schütteln mit atmosphärischer Luft vom Blute aufgenommen findet. Nennt man das mit atmosphärischer Luft geschüttelte Blut „mit Sauerstoff gesättigt“, so ist das Arterienblut also in der Regel fast ‘) Reynard und Schloessing fils, Compt. rend. 124, 302, 1897. — ®) Grehaut, Arch. de Physiol. (5), 1894, p. 620; de Saint-Martin, Compt. rend. 119, 83, 1894. — °®) de Saint-Martin, Compt. rend. 126, 1036, 1898; Nicloux, Arch. de Physiol. 10, (5), 434, 1898. so Gase im arteriellen und venösen Blute. | Sauerstoff Kohlensäure Stickstoff | R 25,4 y 42,6 y3,8 1), at g I” ir Pflüger!). 12 Versuche | 2 18,74 34,3 123,9 1,8 112 . | S2HO\ 539,8 P. Bert’). 80 Versuche . . . | 19,4 114,4) 40,4 33,0 \ gesättigt; die Abweichungen von der völligen Sättigung sind in den ein- zelnen Fällen jedoch ziemlich variabel (vgl. S. 195). Mit Bezug auf die Zahlen für Stickstoff (Stickstoff + Argon) ist zu bemerken, daß die nicht. selten angetroffenen verhältnismäßig hohen Werte in der Regel auf Fehlern beruhen. Die Menge des Stickstoffs im Blute kann ausnahmsweise vielleicht etwa 2 Vol.-Proz. erreichen, höhere Werte rühren wohl aber stets von dem Eindringen äußerer atmosphärischer Luft während der Entleerung des Blutes her. Bei Anwendung einer vollkommen dichten Pumpe wird man, wenn Luftbläschen in der Blutprobe vermieden werden, gewöhnlich etwa 1,2 Vol.-Proz. finden. — So findet man in einer Versuchsreihe von Bohr und Henriques?®), wo die nötigen Vorsichts- maßregeln gegen Eindringen der atmosphärischen Luft getroffen waren, in allen mit natürlicher Atmung angestellten Versuchen den Stickstoff des arteriellen Blutes im Mittel von 16 Bestimmungen Er Mai == 1,50 — 1,20 Vol.-Proz. u — 0,9. Gase im venösen Blute. Das Venenblut enthält stets mehr Kohlensäure und weniger Sauerstoff als das entsprechende Arterienblut, übrigens läßt sich im Gegensatz zum arteriellen Blute für das Venenblut keine in numerischer Beziehung auch nur einigermaßen konstante Zusammensetzung der Gase angeben. Die Menge derselben ist nämlich höchst verschieden *) je nach dem Organ, aus welchem das Blut stammt, und wohl noch mehr nach der größeren oder geringeren Intensität des Stoffwechsels im Organe und der Geschwindigkeit des Blutstromes in letzterem. Die hierdurch entstehenden Verschiedenheiten der Zusammen- setzung des Blutes bieten bedeutendes Interesse dar und werden im Ab- schnitte von der inneren Atmung besprochen werden; sie machen natürlich aber die Aufstellung eines allgemeinen Typus des Venenblutes zur Unmög- lickeit. Ein wenig anders stellt sich die Sache, wenn wir uns darauf beschränken, das Blut aus dem rechten Herzen zu untersuchen, wo die Verschiedenheiten durch die Mischung des Venenblutes ausgeglichen werden. Hier können wir unter normalen Verhältnissen eine mehr gleichmäßige Zusammensetzung der Gase zu finden erwarten, obschon dieselbe natürlich zu verschiedenen Zeiten den eben im Augenblicke an den Organismus gestellten Forderungen gemäß variieren wird, und zwar in weit höherem Grade als es beim Arterienblut !) Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1867, S. 724.—?) La pression barometrique 1876, p. 1029 ff. — °) Arch. de Physiol. 1897, p. 822 ff. — *) Vgl. Hill und Nabaro, Journ. of Physiol. 18 (1895). Gase im arteriellen und venösen Blute. 81 der Fall ist, dessen Sättigung mit Sauerstoff, wie oben gesagt, in der Regel eine fast vollständige ist. | Die ersten Untersuchungen von Blut, das dem rechten Ventrikel und um des Vergleiches wegen zugleich einer Arterie entnommen wurde, stellte Schöffer!) in Ludwigs?) Laboratorium an. Aus fünf Versuchen findet er unten stehende Durchschnittszahlen für die Volumprozente. Die ein- geklammerten Zahlen sind die maximalen und die minimalen Werte. Sauerstoff Kohlensäure Stickstoff | f 23,3 \ 43,1 \ g5H01 Brlörie 0.0023. 15 19,2 \15,0J 38,8 ss J a 11,62) 16,6 \ JAT5\ PLN Buehtee Hr... ..00. 04080 11,9 { 5,5/ 44,3 138,8 J ara 482 Das Blut aus dem rechten Herzen enthielt in diesen Versuchen durch- schnittlich 7,3cem weniger Sauerstoff und 5,5ccm mehr Kohlensäure als das Arterienblut. Der respiratorische Quotient (T) ist dann 2 gleich 0,75. Die Stickstoffzahlen sind durchweg hoch, was auf ein Ein- dringen atmosphärischer Luft während des Auspumpens hindeutet; der hier- durch auch hinsichtlich des Sauerstoffs untergelaufene Fehler wird für die angegebenen Werte keine besondere Bedeutung haben, da die individuellen Variationen ohnehin sehr beträchtlich sind. Eine größere Versuchsreihe über die Zusammensetzung der Gase in Blut, das zu gleicher Zeit dem rechten Ventrikel und einer Arterie entnommen war, stellten Zuntz und Hagemann?) an Pferden an. Auch hier sind die Stickstoffzahlen zu hoch (durchschnittlich für Arterienblut 4,5 Proz., für Venenblut 2,9 Proz... Da dies zweifelsohne vom Eindringen atmosphä- rischer Luft herrührte, korrigierten die Verfasser die direkt gefundene Sauerstoffmenge unter der Annahme, das Blut nehme ebensoviel Stickstoff auf wie unter denselben Bedingungen das Wasser. In der Tat nimmt das Blut nun etwas mehr Stickstoff auf (S. 117), jedoch nicht so viel, daß dies auf die von Zuntz und Hagemann korrigierten Werte einen nennens- werten Einfluß ausüben könnte. Unten führen wir auf gewöhnliche Weise den durchschnittlichen, maxi- malen und minimalen Wert in den 10 Versuchen an, bei denen die benutzten Pferde in Ruhe gehalten wurden. Die verhältnismäßig niedrigen Zahlen für den Sauerstoffgehalt des Arterienblutes sind wohl individuellen Verschieden- heiten zuzuschreiben; wenigstens findet man bei Pferden nicht selten ebenso hohe Zahlen für den Sauerstoff wie bei Hunden. Bemerkung. Der Wert des respiratorischen Quotienten wird selbstverständlich ein verschiedener, je nachdem man erst, wie oben geschehen, die Durchschnitts- zahl für den Gehalt des Blutes an Kohlensäure und Sauerstoff berechnet und hier- !) Sitzungsber. d. Wiener Akad. 41, 613, 1860. — ?) C. Ludwig, Zusammen- stellung der Untersuchungen über Blutgase. Med. Jahrb. Wien 1865. — °) Stoff- wechsel des Pferdes. Berlin 1898. Ergänzungsband III z. d. Landwirtsch. Jahrb. 27 (1898). Nagel, Physiologie des Menschen. I 6 82 Gase im arteriellen und venösen Blute. aus den Quotienten bildet, oder man den Quotienten für jeden einzelnen Versuch berechnet und hieraus die Durchschnittszahl findet. Da wir hier speziell einen Wert für Blut von durchschnittlicher Zusammensetzung suchen, wurde ersteres Verfahren gewählt; als Durchschnitt der einzelnen Quotienten berechnet erwies. co, ® sich als 0,970). | Sauerstoff | Kohlensäure | | | Y j | 16,6 koye: 07 FE 14,0 49,4 = | { . los I00,_ 68 | 94 61,6 [0] er a RL 07 2.055 5 { ! } 5 r Rechtes Herz | eure 55,9 48,5 Endlich führen wir noch eine Versuchsreihe von Bohr und Hen- riques?) an, wo auch die Stickstoffmengen genau sind, indem während des Auspumpens keine atmosphärische Luft in die angewandten Pumpen ein- drang. Die Versuche (I bis III) wurden an Hunden unter möglichst normalen Verhältnissen angestellt, und die Probenahme des Blutes aus dem rechten Herzen und der Arterie geschah gleichzeitig und langsam, so daß die Ver- suche den Durchschnitt für eine Dauer von 6 bis 13 Minuten repräsentieren. Die Koagulation war mittels Blutegelinfuses aufgehoben. | Sauerstoff | Kohlensäure Stickstoff I | | Arterie | r. Herz Arterie r. Herz Arterie r. Herz RN | 256 | 178 44,0 51,5 1,23 1,31 ET RREN | 913 1 28 42,6 48,5 1,19 1,06 11 | 20,3 | 14,4 45,9 50,3 1,18 1,40 Il h A Mittel | 22,4 | 14,5 44,2 50,1 1,20 1,26 co 5,9 ——- 0", 76. 0: ER Der Stickstoff hat hier für Arterienblut und Venenblut denselben Wert. Dasselbe Resultat bekommt man, wenn man nicht allein die unter normalen Verhältnissen, sondern alle in der zitierten Abhandlung angeführten, bei natürlicher Atmung angestellten Versuche benutzt; als Durchschnitt von 16 Versuchen findet man dann Stickstoff im Arterienblute . ». » 2." co. ou sus 1,20 Stickstoff im Blute des rechten Herzens . .. . » ee 908 Einer Differenz von 0,06 Vol.-Proz. kann man keine Bedeutung beilegen. Ein konstanter Unterschied zwischen dem Stickstoffgehalt des Arterien- blutes und dem des Venenblutes, wie er von Jolyet, Bergoni& und Sigalas°) angegeben wird, kann somit nicht angenommen werden. Im folgenden werden wir an mehreren Orten Anlaß haben, einen un- gefähren Durchschnittswert der Menge der Gase im Arterien- und im Venen- ') Zuntz und Hagemann, |. c. 8. 403. — *) Arch. de Physiol. 1897, p. 23. — ®) Compt. rend. 105, 675, 1887. My band an Anl I tn ae 2 a We a 1 Absorption und Bindungsweise des Sauerstoffs im Blute. 83 blute zu benutzen; hierbei wird es zugleich um der Berechnung willen am zweckmäßigsten sein, daß die Zahlen, namentlich die der Sauerstoffmenge, leicht zu behandeln sind. Dem Angeführten zufolge werden folgende un- gefähre Zahlen brauchbar sein: | Sauerstoff Kohlensäure Stickstoff Arterie .... 20 43,6 1,2 Co, 6,4 Vane:: -119:.3 12 50,0 1,2 N 280. Kara Im folgenden Kapitel wird die Art und Weise, wie die Gase sich im Blute absorbiert finden, näher besprochen werden. 2. Kapitel. Absorption und Bindungsweise der einzelnen Gase im Blute. I. Der Sauerstoff. Diejenige Menge Sauerstoff, die sich aus dem normalen Blute auspumpen läßt, nachdem dieses bei gewöhnlicher Temperatur (15°) mit atmosphärischer Luft geschüttelt und mithin bei dieser Temperatur mit Sauerstoff von etwa 150mm Spannung gesättigt wurde, ist erheblich größer als diejenige, die von dem gleichen Volumen Wasser aufgenommen sein würde; 100 cem Wasser nehmen nämlich unter den angegebenen Bedingungen etwa 0,7 ccm Sauer- stoff auf (enthalten mithin 0,7 Vol.-Proz.), während es sich erwies!), daß normales Hundeblut in 22 Fällen durchschnittlich 24,1 Vol.-Proz. absorbierte (Max. — 28,7, Min. — 19,1). Für Menschenblut findet Haldane?) etwas kleinere Zahlen; so in 12 Fällen bei Männern durchschnittlich 18,5 Vol.-Proz. (Max. — 20,4, Min. — 17,0). Eine genauere Feststellung der Durchschnitts- zahl wird bei so großen individuellen Schwankungen natürlich ohne besondere Bedeutung sein. Die Verteilung des Sauerstoffs unter Plasma und Blutkörperchen. Scheidet man mittels der Zentrifuge das Blut in Plasma und einen Teil, der außer ein wenig Plasma wesentlich Blutkörperchen enthält, so findet man bei Bestimmung der während des Schüttelns mit atmosphärischer Luft in jedem dieser Teile aufgenommenen Sauerstoffmenge, daß das Plasma nur eine geringe Sauerstoffmenge, nämlich 0,65 Vol.-Proz., absorbiert, während der größte Teil des Sauerstoffs, den das gesamte Blut dem obigen Befunde zufolge enthält, durch die Blutkörperchen aufgenommen ist. Zugleich zeigen das Plasma und die Blutkörperchen einen wichtigen Unterschied in betreff des Einflusses der Sauerstoffspannung auf die aufgenommenen Sauerstoff- mengen. Das Plasma nimmt nämlich dem Sauerstoffdrucke des Gases, womit es gesättigt wird, proportional den Sauerstoff auf, unterliegt also ebenso wie Wasser dem Henryschen Gesetze. Anders verhält es sich dagegen mit den !) Bohr, Skand. Arch. f. Physiol. 3, 111 ff£., 1891. — *) Haldane, Journ. of Physiol. 26, 502, 1901. 6* 54 Verteilung des Sauerstoffs unter Plasma und Blutkörperchen. Blutkörperchen; untersucht man hier die bei verschiedenen Sauerstofi- _ spannungen aufgenommenen Sauerstoffmengen, so findet man, solange die Spannungen niedrig sind, einen verhältnismäßig großen Zuwachs der auf- genommenen Sauerstoffmenge beim Zunehmen der Spannung; bei höheren Spannungen wird der Zuwachs der Sauerstoffmenge für dieselbe Zunahme der Spannung hingegen geringer, und schon bevor die Sauerstoffspannung der atmosphärischen Luft (etwa 150 mm) erreicht wird, hat ein Zuwachs der Spannung nur sehr geringe Einwirkung auf die aufgenommene Sauerstoff- menge; bei Sättigung wit reinem Sauerstoff unter dem Druck von 760 mm nehmen die Blutkörperchen nur verhältnismäßig unbedeutend mehr Sauer- stoff auf als bei Sättigung mit atmosphärischer Luft. Es wird sich im folgenden erweisen, daß der Sauerstoff der Blutkörperchen, der mithin auf. eigentümliche Weise von der Sauerstoffspannung abhängt, von dem Blut- farbstoff aufgenommen ist, weshalb er der Kürze wegen „chemisch gebunden“ genannt wird. Das Verhältnis der Spannung des Sauerstoffs zu dessen Menge im Blute. Bedeutung einer näheren Untersuchung der Gesetze der Sauerstoff- absorption im Blute. Betrachten wir nun wieder das gesamte sowohl aus ‚Plasma als aus Blutkörperchen bestehende Blut, so finden wir hierin also teils eine geringe Menge Sauerstoff der Spannung des Blutes direkt propor- tional im Plasma aufgenommen, teils eine weit größere Sauerstofimenge an die Blutkörperchen gebunden, zwar ebenfalls in Abhängigkeit von der Span- nung, aber einem komplizierteren Gesetze gemäß. Wie gering die Menge des Sauerstoffs im Plasma nun verhältnismäßig auch sein mag, so ist die genauere Untersuchung ihres Variierens dennoch von allergrößter Wichtigkeit für das Verständnis einer Reihe respirations-physiologischer Fragen, und zwar aus folgendem Grunde. Während der Strömung des Blutes in den Gefäßen stehen die Zellen unablässig in direkter Berührung mit dem Plasma, nicht aber mit den Blutkörperchen, die durch eine Plasmaschicht von denselben getrennt sind. Die den Zellen in jedem Augenblicke verfügbare Menge Sauerstoff ist deswegen von der Konzentration des Sauerstoffs im Plasma ab- hängig; die Sauerstoffmenge der Blutkörperchen hat in dieser Beziehung nur indirekte Bedeutung, insofern diese den Behälter bilden, aus welchem der Sauerstoff sich während des allmählichen Verbrauches der im Plasma enthaltenen geringen Menge in letzterem verbreitet. Kennt man nur die Gesamtmenge des Sauerstoffs im Blute, so erbält man daher keinen Auf- schluß über den Gehalt in der die Zellen unmittelbar umgebenden Flüssig- keit; hierzu ist notwendigerweise die Bestimmung der Spannung im ge- gebenen Augenblicke erforderlich; diese, die der Sauerstoffmenge des Plasmas proportional ist, gibt uns ein Maß für die Konzentration des Sauerstoffs in dem Medium, in welchem die Zellen leben (vgl. S. 64). Im Abschnitt von der inneren Atmung werden diese Verhältnisse, deren Bearbeitung zur Aufklärung wesentlicher respiratorischer Regulationsvorgänge geführt hat, näher entwickelt und durch Beispiele erläutert werden; es wird aber schon aus dem hier in Kürze Geschilderten hervorgehen, weshalb bei der Unter- suchung des Sauerstoffs des Blutes gerade die Spannungskurve, die uns das Verhältnis der Menge zur Spannung gibt und die verschiedenen, dieselbe 3 k 7 Spannungskurve des Sauerstoffs im Blute. 85 beeinflussenden Umstände eine besonders genaue und umfassende Unter- suchung erheischen. Spannungskurve des Sauerstoffs im Blute. Bestimmungen des Ein- flusses der Spannung auf die Sauerstoffmenge des Blutes wurden in Ludwigs Laboratorium zuerst von Holmgren !) und später ebendaselbst von Worm- Müller ?2) ausgeführt, der eine Untersuchung darüber anstellte, bei welcher Spannung der Sauerstoff in größerem Maße vom Blute frei zu werden an- fängt. Worm-Müller untersuchte teils I. die Sauerstoffaufnahme des venösen Blutes bei Steigerung der Sauerstoffspannung, teils II. das Entweichen des Sauer- stoffs aus arteriellem Blute bei Herabsetzung der Sauerstoffspannung. Die beiden Verfahrungsarten führten zu verschiedenen Resultaten hinsichtlich des Verhaltens der Sauerstoffmenge zur Sauerstoffspannung, speziell wurde der Sauerstoffgehalt des Blutes bei einer gegebenen Sauerstoffspannung durch das Verfahren II größer be- funden als durch I. Dies hat unter anderen Donders°) durch die Annahme zu erklären versucht, es sei in Müllers Versuchen kein völliges Gleiehgewicht er- reicht worden. Die wirkliche Ursache der verschiedenen Resultate liegt aber in der Anwendung verschiedenartigen Blutes (venösen und arteriellen Blutes), denn wie wir später in diesem Abschnitte nachweisen werden, bewirkt eben der verschiedene Kohlensäuregehalt der beiden Blutarten ein Resultat wie das von Müller gefundene. Ausführlichere Aufschlüsse über die Menge Sauerstoff, die im Blute auf- genommen ist, wenn dieses bei verschiedenen Spannungen mit dem genannten Gase gesättigt wurde, gab P. Bert). Seine Versuche zeigen deutlich den großen Einfluß, den verschiedene Temperatur auf diese Verhältnisse übt. Bei höheren Sauerstoffspannungen ist freilich keine entschiedene Wirkung der Temperatur zu gewahren; bei niedrigeren Sauerstoffspannungen nimmt das Blut jedoch bei Zimmertemperatur weit mehr Sauerstoff auf als bei Körpertemperatur. P. Berts Werte stehen den Hauptzügen nach mit den von späteren Untersuchern gefundenen in Übereinstimmung; eine genaue Feststellung der Einzelheiten gestattet die angewandte Methode jedoch nicht. Loewys?) nach einer genaueren Methode (an Menschenblut) ausgeführten Versuche geben eine im ganzen richtige Vorstellung von dem Einfluß der Spannungen auf die absorbierten Sauerstoffmengen, indes zeigen auch bei ihm die einzelnen Versuche nicht geringe Abweichungen (zwischen 22 und 23mm Spannung finden sich Sättigungsgrade von 49 bis 65 Proz.). In einer späteren Abhandlung findet Loewy‘) ähnliche Durchschnittswerte, zugleich aber erhebliche Verschiedenheiten für das Blut verschiedener mensch- licher Individuen. Da die gleichzeitig vorhandene Kohlensäurespannung, wie wir unten sehen werden, bedeutenden Einfluß auf die Sauerstoffaufnahme haben kann, und da die Kohlensäurespannung in Loewys Versuchen nicht konstant erhalten wurde, lag es nahe zu vermuten, daß die gefundenen indi- viduellen Variationen sich auf diesen letzteren Umstand zurückführen ließen; dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein’), Die Existenz individueller Variationen in der Spannungskurve des Sauerstoffs kann übrigens nach den !) Wiener Sitzungsber. 48, 646, 1863. — ?) Ber. d. sächs. Gesellsch. d. Wissensch. 22 (1870). — ?) Pflügers Arch. 5 (1872). — *) Pression baromötrique. Paris 1878, p- 687 ff.—°) Zentralbl. f. Physiol. 13, 449, 1899.— °) Arch. f. Physiol. 1904, 8. 231. — 7) Loewy, Arch. f. Physiol. 1904. Verhandl. d. physiol. Gegellsch. z. Berlin. Sitzung 11. März 1904. AT | 86 Spannungskurve des Sauerstoffs im Blute. Aufschlüssen, welche wir über die Veränderlichkeit des Hämoglobins besitzen, nicht überraschen; beim Hund und Pferd habe ich sie indessen bis jetzt nicht nachweisen können. Vor kurzem hat Krogh!) eine Reihe mit seinem Tonometer aus- geführter Versuche mitgeteilt, bei denen die Kohlensäurespannung kon- stant gehalten wurde, und die besonders genaue Werte geben, indem die Übereinstimmung der mit verschiedenem Blute unternommenen Be- stimmungen eine fast vollständige ist. Die Versuche wurden bei einer Tem- peratur von 38° an Pferdeblut angestellt; die Resultate finden sich in untenstehender Tabelle zusammengestellt, deren 1. Kolonne die Sauerstoff- spannung in Millimetern angibt; in der 2. Kolonne ist die Menge Sauerstoff angeführt, die bei der betrefienden Spannung vom Blute absorbiert wurde, mit Abzug des dem Drucke proportionalen einfach gelösten Sauerstoffs, der mittels des früher (S. 63) angegebenen Absorptionskoeffizienten des Blutes berechnet wurde; die Kolonne bezeichnet also den Sauerstoff, den wir oben den chemisch gebundenen nannten; in der 3. Kolonne ist angegeben, wieviel Sauerstoff bei den betreffenden Spannungen in dem 100ccem Blut ent- sprechenden Plasma aufgenommen ist. Da das Plasma, wie oben. gesagt, Sauerstoff proportional zur Spannung aufnimmt, läßt diese Menge sich aus dem für Plasma bekannten Absorptionskoeffizienten berechnen unter der Voraussetzung, daß das Plasma ?/, des Gesamtvolumens des Blutes beträgt. Der Übersichtlichkeit wegen sind zwei Kolonnen hinzugefügt, deren eine (die 4.) den bei verschiedenen Spannungen chemisch gebundenen Sauer- stoff im Blute anzeigt, indem die Menge bei 150 mm Spannung —= 100 ge- setzt ist; sie ist also aus Kolonne 2 durch Multiplikation mit fünf berechnet; die andere (5.) Kolonne gibt die in 100 ccm Plasma gelöste Menge Sauerstoff Tabelle über die bei verschiedenen Spannungen aufgenommenen Sauerstoffmengen. | Pferdeblut 38°, | In 100 cem Blut | Sauerstoff aufgenommen Spannung ee ee Ian | | ehemisch | im Plasma Prozent . in 100 ccm | gebundener gelöster | chemisch Plasma mm Sauerstoff | Sauerstoff l gebunden gelöst } 10 ! 6,0 0,020 30,0 0,030 20 | 12,9 0,041 | 64,7 0,061 I: 16,3 0,061 | 81,6 0,091 40 18,1 | 0,081 | 90,4 0,121 ” 50 19,1 0,101 | 95,4 0,152 60 19,5 | 0,121 | 97,6 0,182 70 19,8 | 0,141 | 98,8 0,212 80 19,9 | 0,162 99,5 0,243 90 19,95 | 0,182 | 99,8 0,273 150 | 20,0 | 0,303 100 0,455 ” !) Skand. Arch. f. Physiol. 16, 340, 1904. EEE TERN N el an un Bee. dB ae De Spannungskurve des Sauerstoffs. — Hämochrom und Hämoglobin. 87 an, um auf diese Weise einen bequemen Ausdruck für die Konzentration des Sauerstoffs im Plasma zu erhalten. Die Fig. 15 gibt eine graphische Darstellung der Abhängigkeit der Sauerstoffmenge von den Spannungen nach den Werten der obigen Tabelle. Die Spannungen sind als Abszissen, die Mengen als Ordinaten aufgeführt; die völlig ausgezo- Fig. 15. gene Kurve ent- = spricht dem chemisch { | u gebundenen Sauer- !® IR an re stoff (Kol.2 der Tab.), 16—: / ; die punktierte , / Linie dem im Plas- a / “ ma gelösten Sauer- / stoff (Kol. 3 der Tab.). 1 ] Diese Kurve 8 über die Sauerstofi- , [ “ aufnahme des Pferde- blutes kann als Para- * / | digma derartiger ? an Kurven dienen, die 301030 50 70 8000 106 110 120 130 140 150 wir im folgenden der Kürze wegen Sauer- stoffspannungskurven nennen. Jedoch ist die Sauerstoffspannungs- kurve nicht völlig konstant, indem das Verhalten der Spannung zur Sauer- stoffmenge des Blutes außer von der Temperatur auch durch verschiedene andere äußere Umstände beeinflußt wird, die im folgenden zur Besprechung gelangen. Bevor wir hierzu schreiten, müssen wir aber vorerst näher untersuchen, an welehen Stoff in den Blutkörperchen der Sauerstoff ge- bunden ist. Der Farbstoff des Blutes und das kristallinische Hämoglobin. Der in den Blutkörperchen chemisch gebundene Sauerstoff ist, wie oben genannt, vom Farbstoff aufgenommen worden. Hierfür spricht nicht nur, daß das kristallinisch dargestellte Hämoglobin den Sauerstoff. abhängig von der Spannung bindet, ganz der Weise analog, wie die im Blute stattfindende Bindung geschieht — in beiden Fällen bildet die Spannungskurve eine nach der Abszissenachse hin konkave Linie, die bei höheren Spannungen fast hori- zontal verläuft — sondern auch die quantitativen Bindungsverhältnisse zeigen uns den Farbstoff als den sauerstoffbindenden Stoff des Blutes. 1g Hämoglobin nimmt nämlich in maximo eine Sauerstoffmenge auf, die freilich schwankend ist (siehe unten: Spezifische Sauerstoffkapazität), durchschnittlich indes auf etwa 1,3ccm anzusetzen ist. Das Blut vermag etwa 20 Vol.-Proz. Sauerstoff aufzunehmen; ist dies dem Hämoglobin zu verdanken, so muß das Blut ein wenig mehr als 15 Proz. Hämoglobin enthalten, was durch den Be- fund denn auch bestätigt wird. Eine solche Berechnung kann wegen der schwankenden Sauerstoffbindung des Hämoglobins indes nur annähernd richtig sein. Schärfer läßt das Verhalten sich folgendermaßen nachweisen: Das im Blute enthaltene Eisen findet sich innerhalb der Fehlergrenze der Bestimmungen normal nur im Farbstoffe. Bestimmt man nun an einer ge- Sauerstoffspannungskurve bei 38%. Pferdeblut. 88 Sauerstoffbindung des Hämochroms und des Hämoglobins. gebenen Blutprobe, wieviel Sauerstoff in maximo pro Gramm Eisen gebunden wird, und führt man darauf die analoge Bestimmung an dem aus der Blutprobe dargestellten Hämoglobin aus, so bekommt man identische Zahlen. Eine Reihe Beispiele hiervon — sowohl für Hunde- als Ochsenblut — finden sich im Ab- schnitt von der spezifischen Sauerstofikapazität, auf den wir verweisen (S. 95). Weil der in den Blutkörperchen enthaltene Farbstoff, den ich im folgenden das Hämochrom nenne, und das daraus dargestellte Hämo- globin in maximo dieselbe Menge Sauerstoff binden, brauchen sie doch keineswegs identisch zu sein !), und die nähere Untersuchung der Sauerstofi- spannungskurven für die beiden Stoffe zeigt in der Tat denn auch, wie aus dem folgenden hervorgehen wird, daß dies nicht der Fall ist, ein Umstand, auf den schon früher Hoppe-Seyler 2) und darauf Loewy °) die Aufmerksamkeit lenkten.. Nach dem, was wir über die Zusammensetzung des Hämoglobin- moleküls wissen, kann es nun auch kein Erstaunen erregen, daß die maxi- male Sauerstoffbindung und der Grad des Entweichens des Sauerstoffs bei abnehmendem Drucke (Form der Spannungskurve) nicht unzertrennlich an- einander geknüpft sind. Das Hämoglobin spaltet sich bekanntlich leicht in Globin und Hämochromogen, welch letzterer Stoff in Berührung mit atmosphärischer Luft Sauerstoff bindet und, wohl zu merken, in derselben Menge wie dieser vom Hämoglobin gebunden wird, aus dem das. Hämochro- mogen dargestellt ist (Hoppe-Seyler*). Die Sauerstoffverbindung des Hämochromogens, das Hämatin, unterscheidet sich aber von der Sauerstoff- verbindung des Hämoglobins, dem Oxyhämoglobin, unter anderem dadurch, daß sie im Vakuum ihren Sauerstoff nicht abgibt; dieser kann ihr nur durch reduzierende Stoffe entzogen werden. Es ist also die Verbindung des Hämo- chromogens mit Globin, die die Bedingung dafür enthält, daß der aufge- nommene Sauerstoff bei abnehmendem Sauerstoffdruck entweicht, ein Umstand, dessen wahrscheinliche Erklärung S. 73 gegeben wurde. Wenn die Bindung des Hämochromogens an das Globin variiert, entweder indem verschiedene Mengen Globin sich mit demselben Gewicht Hämochromogen verbinden oder auch nur wegen verschiedener Intensität der Bindung, so wird die Kurve der Sauerstoffspannung sich ändern können, ohne daß die in maximo gebundene Sauerstoffmenge, die durch das Gewicht des Hämochromogens bestimmt ist, sich änderte. Daß nun wirklich das Verhältnis der Globinmenge zur Hämochromogenmenge im Hämoglobin variiert, ist aus dem wechselnden prozentigen Eisengehalt (siehe S. 97) des Hämoglobins zu ersehen, der von dem Schwanken des prozentigen Gewichtes des Globins der Verbindung herrühren muß; denn der Eisengehalt des Hämochromogens ist im Gegensatz zu dem des Hämoglobins stets konstant (Nencki und Sieber’). Es ist deshalb verständlich, daß die Form der Sauerstoffspannungskurve eine ver- schiedene sein kann, selbst wenn die maximale Menge gebundenen Sauer- stoffs dieselbe ist. Indes kann natürlich nur das Experiment in dieser Sache entscheiden, und dieses zeigt nun unzweifelhaft, daß der Farbstoff des Blutes, das . 4) Bohr, Zentralbl. f. Physiol. 17, 688, 1904. — Vgl. Loewy und Zuntz, Arch. f. Physiol. 1904, 8. 166. — ?) Zeitschr. f. physiol. Chem. 13, 478, 1889, — ®) Zentralbl. f. Physiol. 13, 449, 1899. — *) Zeitschr. f. physiol. Chem. 13, 492, 1889. — ®) Arch. f. experim. Pathol. 18, 421, 1884. er tan an ie: Sauerstoffaufnahme im Blute und in Hämoglobinlösungen. 89 Hämochrom, von dem daraus dargestellten Hämoglobin ver- schieden ist!). Bevor wir die näheren diesbezüglichen Einzelheiten an- führen, müssen wir daran erinnern, daß die Konzentration des Blutfarbstoffes (Anzahl Gramm in 100 ccm) auf die Form der Kurve für die Sauerstoffspannung Einfluß übt, so daß eine größere Konzentration den flacheren Verlauf der Kurve bewirkt, daß mit anderen Worten verhältnismäßig weniger Sauerstoff pro Gramm des Farbstoffes aufgenommen wird, wenn die Konzentration eine große ist (S. 74). Im Blute ist nun die Konzentration des Farbstoffes eine beträcht- liche; die Menge des Hämoglobins in 100ccm Blut ist auf etwa l15g an- zusetzen; diese 15 g sind aber ausschließlich in den Blutkörperchen enthalten, die von !/, bis !/; des Volumens des Blutes betragen. Die Konzentration, in der sich der Farbstoff in den Blutkörperchen findet, und die selbstredend die Konzentration ist, mit welcher wir hier zu rechnen haben, beträgt somit 30 bis 45 Proz., je nachdem das Volumen der Blutkörperchen auf die Hälfte oder auf ein Drittel des Volumens des Blutes angesetzt wird; dies ist be- sonders hervorzuheben, weil die Aufmerksamkeit sich gewöhnlich nicht hierauf gerichtet zu haben scheint. Da so starke Konzentrationen kristalli- sierten Hämoglobins sich nicht darstellen lassen, werden wir den Farbstoff des Blutes immer mit weit schwächeren Lösungen kristallisierten Hämoglobins vergleichen müssen; sind das Hämochrom und des Hämoglobin identisch, so müssen wir daher erwarten, daß die Sauerstoffispannungskurve des Blutes einen flacheren Verlauf nimmt als die des Hämoglobins. Wie aus dem Unten- stehenden hervorgeht, ist dies jedoch so wenig der Fall, daß im Gegenteil eine Hämoglobinlösung von etwa 6 Proz. eine flachere Spannungskurve hat als das Blut. Dies ist aus beigefügter Tabelle zu ersehen, die die bei 38° und verschiedenen Sauerstoffspannungen teils von Blut, teils von etwa 6 Proz. Hämoglobinlösung aufgenommenen Sauerstoffimengen angibt; der bei 150 mm Spannung absorbierte Sauerstoff ist für beide Flüssigkeiten auf 100 angesetzt. Die Zahlen für das Blut sind die oben angeführten Bestimmungen für Pferde- blut; es wird sich indes im folgenden erweisen, daß Hundeblut fast ganz dieselbe Kurve hat. Das Hämoglobin ist absorptiometrisch bestimmtes Tabelle über die Sauerstoffabsorption in Blut und in Hämo- globinlösung (6 Proz.) bei 38°. Sauerstoff absorbiert Spannung mm Blut Hämoglobinlösung | 10 ° | 30 24,0 20 | 65 47,5 30 | 82 62,0 40 | 90 72,5 50 | 95 80,0 60 | 98 85,5 150 | 100 100 } ») Vgl. Bohr, Zentralbl. f. Physiol. 17, 688, 1904. 90 Sauerstoffbindung des Hämochroms und des Hämoglobins. Hundehämoglobin. Der Grund, weshalb die von Hüfner!) angegebenen Zahlen für die Sauerstoffbindung des Hämoglobins. bei verschiedenen Span- nungen hier nicht verwertet werden konnten, ist an anderem Orte ausführlich von mir entwickelt worden 2. Die Ergebnisse der Tabelle sind in Fig. 16 graphisch dargestellt, wo B die Spannungskurve des Blutes, H die des Hämoglobins ist. Fig. 16. 100 T En B n} — | | |H Sr Le un OB BEN U. EI. 5 60H — m war I DE 87 2 ce nn = PB BER BE 30 ——t i t | | | 10H a -7- T " a 2 N ka | URRE 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150 ' Sauerstoffspannungskurven von Blut (B) und Hämoglobinlösung (H). 380 C. Aus dem oben Angeführten geht hervor, daß das Hämochrom und das Hämoglobin hinsichtlich des Grades der Sauerstoffbindung bei niederen Spannungen nicht identisch sind. Die Verschiedenheit der beiden Stoffe wurde früher übrigens aus anderen Gründen (unter anderem wegen der Lös- lichkeitsverhältnisse) mit Entschiedenheit von Hoppe-Seyler ?) behauptet. Er faßt das Hämochrom als eine Leeithinverbindung des Hämoglobins auf. Diese Auffassung steht mit den oben angeführten Erwägungen insofern in guter Übereinstimmung, als wir in diesen zu der Annahme einer Verschiedenheit der Bindungsintensität des Globins zum eisenhaltigen Kern, im Hämochrom einerseits und im Hämoglobin andererseits, geführt werden; eine solche An- nahme würde an Berechtigung nur gewinnen, wenn dem Hämoglobin eine chemische Komponente (Lecithin) abginge, die im Hämochrom vorkäme. Wie dem nun aber auch sein möge, so zeigen die oben angeführten Experimente doch unzweifelhaft, daß man, um zur Kenntnis der sehr wich- tigen Beziehung zwischen der Sauerstoffmenge und der Sauerstoffspannung des Blutes zu gelangen, die durch Versuche mit Lösungen kristalli- siertenHämoglobinsgewonnenen Bestimmungennicht auf das Blut übertragen darf, als ob sie auch für dieses numerisch gültig wären. Das Studium des Verhaltens des Hämoglobins hat sehr wesentliche Bedeutung gehabt als Anleitung zum Verständnisse der Art der chemischen Vorgänge, um die es sich hier handelt; Resultate, die für das Blut gültig sein sollen, lassen sich aber nur durch direkte Versuche an dem Blute selbst erzielen. !) Hüfner, Arch. f. Physiol. 1890, S. 1 und 1901, Suppl., 8. 187. — ?) Bohr, Zentralbl. f. Physiol. 17, 682, 1904. — °) Zeitschr. f. physiol. Chem. 13, 479, 1889. Einfluß der Kohlensäurespannung auf die Sauerstoffaufnahme. 91 Der Einfluß der Kohlensäurespannung auf die Sauerstoffaufnahme des Blutes. Die schwankende Kohlensäurespannung des Blutes kann in sehr beträchtlichem Grade die Menge des Sauerstoffs ändern, der bei einem gegebenen Sauerstoffdruck absorbiert wird, oder, was dasselbe ist, die Kohlensäurespannüng vermag die Spannung zu ändern, die eine gegebene, im Blute absorbierte Sauerstoffmenge ausübt!). Daß diese an und für sich leicht nachweisbare Tatsache so lange übersehen worden ist, rührt wohl be- sonders von dem Umstande her, daß der Einfluß der Kohlensäurespannung erst dann deutlich hervortritt, wenn der Sauerstoffdruck kein gar zu hoher ist. Die Einwirkung der Kohlensäure auf die Sauerstoffaufnahme wird nicht durch eine andauernde Änderung des Blutfarbstoffes verursacht; dies ist schon daraus zu schließen, daß die Wirkung momentan eintritt, und zwar bei Kohlensäurespannungen, welche die in dem Blute normal’beobachteten nicht übersteigen; überdies läßt es sich dadurch direkt beweisen, daß das Blut, nachdem seine Sauerstoffabsorption für eine gegebene Sauerstoffspannung durch Kohlensäure herabgesetzt gewesen ist, sein voriges Absorptions- vermögen vollständig wiedererlangt, sobald die Kohlensäure entfernt wird. Das Verfahren, um die Einwirkung der Kohlensäure auf die Sauerstoff- aufnahme nachzuweisen, ist ein sehr einfaches und in den Hauptzügen folgendes. Man unternimmt eine Reihe Bestimmungen des im Blute auf- genommenen Sauerstoffs, indem die Sauerstoffspaunung bei sämtlichen Bestimmungen konstant erhalten wird, während man die Kohlensäure- spannung von Versuch zu Versuch variiert. Nach den gefundenen Zahlen bildet man eine für die untersuchte Sauerstoffspannung gültige Kurve, wo die Abszissen die Kohlensäurespannungen, die Ordinaten die aufgenommene Sauerstoffmenge bezeichnen. Für andere Sauerstoffspannungen bestimmt man durch neue Reihen von Versuchen analoge Kurven; nach Zusammen- stellung einer Anzahl solcher Kurven, deren jede einzelne den Einfluß der Kohlensäure bei gegebener Sauerstoffspannung auf die Sauerstoffaufnahme anzeigt, hat man die Data, die erforderlich sind, um Kurven zu konstruieren, welche für eine einzelne bestimmte Kohlensäurespannung auf ge- - wöhnliche Weise das Verhältnis des aufgenommenen Sauerstoffs (der Ordinaten) zu den Sauerstoffspannungen (den Abszissen) angeben. Eine solehe Gruppe von fünf Kurven ist in der Fig. 17 a. f. S. wieder- gegeben; gefunden wurden sie durch Versuche mit Hundeblut bei einer Temperatur von 38°, und sie entsprechen Kohlensäurespannungen von be- züglich 5, 10, 20, 40 und 80mm. Die numerischen Werte sind-in der Tabelle 2) a. S. 92 angeführt, deren erste Kolonne die Sauerstoffspannungen, die anderen Kolonnen die korrespondierenden, bei verschiedener Kohlen- säurespannung aufgenommenen Sauerstoffmengen angeben. Die Sauerstoffaufnahme bei 150 mm Sauerstoffspannung und 5mm CO, ist gleich 100 gesetzt. Daß die Kurven bei sehr niedrigen Spannungen der Abszissenachse ihre Kon- vexität zukehren, stimmt mit dem überein, was wir früher mit Bezug auf die Sauerstoffspannungskurve des Hämoglobins fanden (vgl. 8. 75). !) Bohr, Hasselbaleh und Krogh, Zentralbl. f. Physiol. 17, 661, 1904 u. Skand. Arch. 16, 602, 1904: — ?) Skand. Arch. 16, 411, 1904. 92 Einfluß der Kohlensäurespannung auf die Sauerstoffaufnahme. Die oben (8. 87) gegebene Sauerstoffspannungskurve für Pferdeblut, die bei etwa 6 mm Kohlensäuredruck galt, ist, wie man sieht, von der ent- sprechenden Kurve für Hundeblut nur wenig abweichend. a Fig. 17. 100 7 | 5 — in 80 DZ E ” Yıırır / / 1) / 9% ARE // | II 6 er m. INNN 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150 Sauerstofispannungskurve bei verschiedenen Kohlensä Hundeblut. 380, Tabelle über den Einfluß der Kohlensäurespannung auf die Sauerstoffaufnahme in Hundeblut bei 38°, Sauerstofl- | Aufgenommener Sauerstoff spannung |—— — inm 5mm CO, | 10mm CO, | 20mm CO, | 40mm 00, | 80mm 00, 5 11 7,5 5 3 1,5 10 28,5 20,5 14 9.0, 4 15 51 36 27 18,5 8 20 | 67,5 54 41 29,5 14 25 | 76 67 54 40 22 30 | 82 74,5 63,5 50 31 35 86 79,5 71 58 40 40 89 84 77 66,5 49 45 91 87,5 82 73 56 50 92,5 90 86 78,5 62,5 60 95 93,5 90,5 86 73 70 97 95,5 94 91 80,5 80 98 97 96 94,5 87 90 98,5 98 97 96 91,5 100 99 98,5 98 97 95 150 100 100 4 100 99,8 99,5 Da die Kohlensäure sich mit einem anderen Teile des Hämoglobinmoleküls verbindet als der Sauerstoff, und da die größere oder geringere Spannung des Sauerstoffs, wie wir im Abschnitt von der Kohlensäure (S. 106) sehen werden, keinen nennenswerten Einfluß auf die Bindung der Kohlensäure übt, kann die Erklärung der oben besprochenen Erscheinungen nicht darin gesucht werden, daß die beiden Gasarten, die Kohlensäure und der Sauerstoff, im- Spezifische Sauerstoffkapazität des Blutes. 93 stande sein sollten, sich gegenseitig aus der Verbindung mit dem Blutfarb- ‚stoff auszutreiben, eine Vermutung, die von Werigo!) aufgestellt wurde. Dagegen läßt sich das Verhalten gemäß dem, was früher über die Bindung des Sauerstoffs an den Farbstoff entwickelt wurde, auf folgende Weise auf- fassen. Die Kohlensäure geht mit dem eisenfreien Teile des Hämochroms eine Verbindung ein; hierdurch verändert sich die Affinität des letzteren zum eisenhaltigen Teile; es wird nun fortwährend dieselbe Menge Sauerstoff in maximo aufgenommen werden wie vorher, bei niederen Sauerstoff- spannungen wird aber. verhältnismäßig weniger Sauerstoff aufgenommen, ganz in Analogie mit dem oben Entwickelten, wo von einem Vergleich des Hämochroms mit dem Hämoglobin die Rede war (S. 88). Diese Annahme ‘gibt die zwanglose Erklärung sowohl des geänderten Bindungsverhaltens des Sauerstoffs bei Einwirkung der Kohlensäure als auch der relativen Unab- hängigkeit der Kohlensäureaufnahme von dem Sauerstoffdruck. Die oben beschriebenen Versuche wurden, wie erwähnt, an Blut unter- nommen; eine wässerige Lösung des Blutes zeigt analoges Verhalten, während Lösungen kristallinischen Hämoglobins, die früher ?2) in dieser Beziehung untersucht wurden, zwar zuweilen, jedoch nicht immer bei Einwirkung der Kohlensäure eine geringere Sauerstoffaufnahme zeigten. Vielleicht wird sich auch an diesem Punkte eine Verschiedenheit des Hämochroms vom Hämo- globin erweisen; jedenfalls müssen aber Versuche, die auf die Verhältnisse im Organismus zur Anwendung kommen sollen, notwendigerweise, wie die oben genannten, mit dem Blute selbst angestellt werden. Hoppe-Seyler°) meinte, es fänden sich im Arterien- und im Venen- blute verschiedene Blutfarbstoffe, Arterin, bzw. Phlebin, und das Phlebin gebe seinen Sauerstoff leichter ab als das Arterin. Seitdem die Wirkung der Kohlensäure auf die Sauerstoffspannung ihre Erklärung gefunden hat, liegt kein Grund mehr vor, die Existenz von zwei besonderen Farbstoffen an- zunehmen. Hoppe-Seylers Arterin und Phlebin sind derselbe Farbstoff, das Hämochrom, in Verbindung mit mehr, bzw. weniger Kohlensäure. Die biologische Bedeutung des hier über das gegenseitige Verhalten der Kohlensäure und des Sauerstoffs Bemerkten möchte einleuchtend sein; Pro- duktion von Kohlensäure wird die Sauerstoffspannung im Blute steigern, be- sonders wenn dies am meisten vonnöten ist, nämlich wenn die Menge des Sauerstoffs schon vorher eine geringe ist: Die nähere Behandlung dieser Frage, die mehrere Punkte von Interesse darbietet, kann aber erst im Ab- schnitt von der“iineren Atmung stattfinden. Die spezifische Sauerstoffkapazität des Blutes. Im vorhergehenden schilderten wir das Verhältnis der Sauerstoffmenge zur Sauerstoffspannung im Blute; wieviel Sauerstoff aber in maximo von einem Gewichtsteil Blutfarbstoff gebunden werden kann, wurde nur flüchtig berührt. Letztere Frage, die sich für gewisse Regulationen des respira- torischen Prozesses von Wichtigkeit erweisen wird, wollen wir im folgenden ‚behandeln, und zwar vor allen Dingen untersuchen, ob der Blutfarbstoff von !) Arch. de Physiol. (5), 10, 610, 1898. — ?) Bohr, Skand. Arch. f. Physiol. 3, 64, 1891. — °) Zeitschr. f. physiol. Chem. 13, 478, 1889. 94 Spezifische Sauerstoffkapazität im Blute und in Hämoglobinlösungen. verschiedenen Tierarten und von verschiedenen Individuen derselben Art bei derselben Temperatur und bei so hohen Sauerstoffdrucken, daß die maximale Sauerstoffbindung fast völlig erreicht wird, stets die gleiche Menge Sauerstoff pro Gewichtseinheit bindet; dies müßte natürlich der Fall sein, wenn der Blutfarbstoff stets dieselbe Zusammensetzung darböte; es müßte dann die maximale Menge des vom Blutfarbstoff gebundenen Sauerstoffs sowohl im Verhältnis zum Gewicht des Blutfarbstoffes als auch zum darin enthaltenen Eisen und zur Lichtabsorption konstant sein. Aus dem folgenden wird in- des hervorgehen, daß dies nicht der Fall ist. Der Farbstoff aus dem Blute verschiedener Individuen bindet nicht immer dieselbe Menge Sauerstoff pro Gramm, obschon die Abweichungen der aufgenommenen Sauerstoffmenge selbstverständlich immer um eine Durchschnittszahl herum schwanken müssen. Später werden wir gewahren, wie die Ursache der Schwankungen aller Wahr- scheinlichkeit nach darin zu suchen ist, daß der Blutfarbstoff kein einzelnes che- misches Individuum ist, sondern eine in verschiedenem Blute oft verschieden zusammengesetzte Mischung nahe verwandter Farbstoffe mit verschieden großer Sauerstoffbindung. Hervorzuheben ist indes, daß von anderen Seiten be- hauptet worden ist, die gefundenen Schwankungen rührten von Versuchs- fehlern her, und der Blutfarbstoff sei in der Tat konstanter Zusammensetzung. Es wird deshalb am richtigsten sein, als Einleitung eine Übersicht über das vorliegende experimentelle Material zu geben; darauf erst können wir mit Erfolg zur theoretischen Deutung der gefundenen Data schreiten. Definition der spezifischen Sauerstoffkapazitä. Der größte Teil der Untersuchungen, die über die schwankende Sauerstoffbindung des Blut- farbstoffes Aufschluß geben können, umfaßt die Bestimmungen der spezifischen Sauerstoffkapazität, im folgenden durch Sp. O bezeichnet, worunter wir das Verhältnis der maximalen Sauerstoffbindung zur Eisenmenge des Blutes oder der Hämoglobinlösung verstehen. Mit Bezug auf die näheren Einzelheiten der Bestimmung derselben verweisen wir auf die Spezialabhandlung !), in welcher dieser Begriff zuerst aufgestellt wurde; hier mag nur folgendes be- merkt werden. Die Sauerstoffaufnahme wird durch Auspumpen der be- treffenden Flüssigkeit bestimmt, nachdem diese bei Zimmertemperatur und dem Sauerstoffdruck der Atmosphäre (etwa 150 mm) gesättigt ist; bei solcher Sättigung ist die maximale Sauerstoffbindung nahezu erreicht, indem die ge- bundene Sauerstoffmenge dann höchstens etwa 3 Proz. niedriger ist als die maximale; die Sp. O wäre daher eigentlich um diese 3 Proz. zu erhöhen. Anderseits findet sich in der Flüssigkeit außer dem vom Blutfarbstoff auf- genommenen Sauerstoff zugleich etwas einfach gelöster; letzterer ist in den unten angeführten Beispielen, wo anderes nicht ausdrücklich angegeben wird, nicht in Abzug gebracht; er beträgt unter den speziellen Versuchs- bedingungen etwa 4 Proz. der Gesamtmenge ausgepumpten Sauerstoffs; um diese Größe sollte nun die Sp. O vermindert werden. Der Fehler bei der nicht maximalen Sättigung des Blutfarbstoffes (etwa —- 3 Proz.) und der Fehler beim Mitrechnen des einfach gelösten Sauerstoffs (etwa + 4 Proz.) heben sich also fast gegenseitig, indem sie nur bewirken, daß die Zahlen für !) Bohr, Skand. Arch. f. Physiol. 3, 101, 1891. Spezifische Sauerstoffkapazität im Blute und in Hämoglobinlösungen. 95 die Sp. O um etwa 1 Proz.!des Wertes zu hoch werden; diese]Größe liegt aber innerhalb der Versuchsfehler. Spezifische Sauerstoffkapazität des Blutes und des hieraus dargestellten Hämoglobins. Von Bestimmungen der Sp. O findet sich ein großes Material in Abhandlungen von Bohr), Abrahamsen?), Tobiesen ?) und mehreren anderen. Sämtliche Versuchsreihen zeigen bedeutendes Schwanken der ge- nannten Größe. Erst betrachten wir eine besonders wichtige Gruppe der Versuche, diejenige nämlich, wo Sp. O sowohl in einer Blutprobe als auch in dem aus der Probe dargestellten Hämoglobin bestimmt wurde. Bei diesen Versuchen ist Sorge zu tragen, daß der Farbstoff des Blutes so gut wie sämtlich in dem daraus dargestellten Hämoglobin wiedergefunden wird, und nicht, wie es leicht beim Kristallisieren, namentlich beim Umkristallisieren geschehen kann, nur ein kleinerer Teil desselben. Mit Hundeblut läßt dies sich erzielen, wenn auf früher angegebene Weise *) Äther angewandt wird; es wird dann fast aller Blutfarbstoff kristallinisch ausgeschieden. “ Auch auf Ochsenblut ist die Ätherbehandlung anwendbar; es gelingt hier, fast sämtliche Stromasubstanz auszuscheiden, man erhält aber keine Kristallisierung des Hämoglobins; nach Verdampfung des Äthers ist die Lösung brauchbar. Selbstverständlich wird in allen Versuchen die Menge des absorbierten Sauer- stoffs und die des Eisens für jede Blutprobe und für das Hämoglobin be- sonders bestimmt. Mit’ Bezug auf Hundeblut verschiedener Individuen liegen die sieben folgenden Versuche 5) vor, wo Sp. O sowohl für eine Blutprobe als für das aus derselben dargestellte Hämoglobin bestimmt wurde. Nummer 1 2 ’& 4 5 6 7 Durchschnitt Sp. O { Blut 331 342 | 358 361 380 386 407 366 P- Hämoglobin | 339 | 355 | 367 | 356 | 359: | 372 | 393 363 Differenz Proz. + 2,3) +3,8|+2,5|—1,4|—5,8 | — 3,8 | —- 3,6 —-0,8 i Wie man sieht, stimmt die Sp. O dss Blutes sehr wohl mit der des dar- aus dargestellten Hämoglobins überein, indem die größte Abweichung 5,8 Proz. des Wertes beträgt. Dasselbe ist der Fall mit den acht unten- stehenden Versuchen an Ochsenblut 6) verschiedener Individuen und der daraus dargestellten Hämoglobinlösung. Durch- | | Nummer }: 5 | 3 | 4 5 6 2 8 EER 80. 0 Blut 323 | 337 | 350 | 354 | 8357 | 8362 | 373 | 387 355 p Hämoglobin| 312 | 333 | 352 | 344 | 384 | 366 | 372 | 367 354 Differenz Proz. |=-35/—-12 4086| -30/+701+11/+03|—+5,2| — 0,3 \ !) Skand. Arch. f. Physiol. 3, 101, 1891. — °?) Über den Sauerstoff des Blutes. Kopenhagen 1893. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 6, 273, 1895. — *) Bohr, Skand. Arch. f. Physiol. 3, 91, 1891. — °) Ebenda, $. 133. — °) Abrahamsen, Über den Sauerstoff des Blutes. Kopenhagen 1893. 8. 47. % 96 Spezifische Sauerstoffkapazität im Blute und in Hämoglobinlösungen. In beiden Versuchsreihen fällt die große Schwankung der Sp. O auf. Der höchste Wert ist sowohl für Hunde- als für Ochsenblut fast 20 Proz. größer als der kleinste; daß dies von zufälligen Fehlern herrühren sollte, bleibt aus- geschlossen, wenn man die Übereinstimmung der Blutproben mit den Hämo- globinlösungen berücksichtigt. Bestände ein einfaches Verhältnis zwischen dem gebundenen Sauerstoff und der Menge des Eisens, so daß z. B. für jedes Atom Eisen zwei Atome Sauerstoff gebunden würden (was keineswegs gleichbedeutend damit wäre, daß von einem Molekül Hämoglobin ein Molekül Sauerstoff gebunden werde }), so würde Sp. OÖ — 400 (399,8) sein. Diese Zahl kann nun auch erscheinen (siehe z. B. Hundeblut Nr. 7), in der Regel verhält es sich aber anders, und die Durchschnittszahl ist in den angeführten Versuchen für Hundeblut 366, für Ochsenblut 355. Diese Zahlen ergeben kein einfaches molekulares Ver- hältnis des Sauerstoffs zum Eisen; dieser Umstand, im Verein mit der be- deutenden individuellen Schwankung der Sp. O, spricht dafür, daß wir mit einem Gemisch von Blutfarbstoffen mit verschiedener Sauerstoffbindung zu schaffen haben, eine Ansicht, die, wie wir später sehen werden, an anderen Beobachtungen ihre Stütze findet. Die spezifische Sauerstoffkapazität ist also dieselbe für das Blut wie für das aus diesem dargestellte Hämoglobin, wenn man zur Darstellung des Hämoglobins die oben genannte Äthermethode ohne Zusatz von Alkohol an- wendet, mittels der fast das gesamte Hämochrom als Hämoglobin auskristal- lisiert wird. Bei der Anwendung anderer Methoden zur Darstellung des. Hämoglobins findet man häufig Änderungen des spezifischen Sauerstoffgehalts. So zeigte in drei unter vier untersuchten Fällen der spezifische Sauerstoff- gehalt des Blutes beträchtliche Abweichung von dem in einer Lösung von Hämoglobinkristallen gefundenen, wenn diese auf gewöhnliche Weise mittels Zusatzes von Alkohol dargestellt wurden. Untenstehende Tabelle illustriert dieses Verhalten. . Nummer 1?) 2?) 3°) 4°) 50,0.) One EN ER 361 346 376 363 PT Hämoglobinlösung . . .. . . 278 289 356 312 Differenz Proz. — 30,0 — 19,7 — 5,6 —- 16,0 Ganz dieselbe Verschiedenheit der spezifischen Kapazität bei Anwendung der erwähnten verschiedenen Darstellungsmethoden des Hämoglobins fand Bock hinsichtlich des Kohlenoxydhämoglobins (S. 125). Die zur Darstellung der Hämoglobinkristalle benutzte Me- thode kann mithin auf den spezifischen Sauerstoffgehalt Ein- fluß üben. Bekannt ist übrigens, daß auch andere Eigenschaften des Hämoglobins sich mit dem Darstellungsverfahren ändern können. So wiesen Lapieque und Gilardoni*) durch Versuche nach, daß Hämoglobin desselben Blutes !) Zentralbl. f. Physiol. 17, 683, 1904. — °?) Abrahamsen, Über den Sauer- stoff des Blutes. Kopenhagen 1893, S. 48. — ®) Bohr, Bisher nicht veröffentlichte Versuche. — *) Compt. rend. 130, 1333, 1900. Sauerstoffaufnahme und Lichtabsorption. 97 verschiedenen prozentigen Eisengehalt haben kann, wenn es auf verschie- dene Art dargestellt wird; durch diesen Umstand sind gewiß, wie schon Nencki und Sieber!) vermuteten, die sehr schwankenden Zahlen (0,29 2) bis 0,46 Proz.) zu erklären, die verschiedene Untersucher auch während der jüngsten Jahre für den prozentigen Eisengehalt gefunden haben. Hier- mit steht es natürlich nicht in Widerspruch, daß man mittels gleichartigen Verfahrens und vielleicht besonders mittels häufigen Umkristallisierens ein konstantes Produkt darstellen kann, das dann selbstverständlich auch kon- stanten Eisengehalt hat. — Ferner hat man nachgewiesen, daß die Licht- absorption einer bestimmten Spektralregion sich durch das Darstellungs- verfahren ändern läßt; so findet Krüger‘) konstant eine Steigerung des Lichtabsorptionsverhaltens sowohl des Hunde- als des Pferdehämoglobins nach wiederholtem Umkristallisieren mit Alkohol. Es ist deshalb zweifelsohne das Richtige, wenn man über die wirklich im Organismus stattfindenden Verhältnisse des Sauerstoffs, des Eisengehalts und der Lichtabsorption Aufklärung zu erhalten wünscht, dann auch die Untersuchung an dem Blute selbst anzustellen. Bei Anwendung der Hämoglobinlösungen, deren Untersuchung sonst an vielen Punkten großes Interesse darbietet, wird man keine sicheren Schlüsse über die normalen Verhältnisse ziehen können. Die Sauerstoffaufnahme und die Lichtabsorption. Wegen der bedeutenden Schwankungen des spezifischen Sauerstoffgehalts, den das Blut verschiedener Individuen zeigt, wird es wahrscheinlich, daß auch das Ver- halten der Sauerstoffmenge zur Lichtabsorption Verschiedenheiten darbietet. Solche sind nun auch nachgewiesen worden, sowohl in meiner oben zitierten Abhandlung als auch von anderen Untersuchern. In der Regel stellte man die Versuche so an, daß die Hämoglobinkonzentration der Flüssigkeit spektrophotometrisch und die maximale Sauerstoffbindung nach Sättigung bei atmosphärischem Sauerstoffdruck durch Auspumpen oder durch Verdrängung mittels Kohlenoxyds bestimmt wurden. In mehreren Fällen wurde zur Sättigung des Blutes statt des Sauerstoffs Kohlenoxyd benutzt, wovon ein ebenso großes Volumen gebunden wird. Ist das Verhältnis der Lichtabsorp- tion zur Sauerstoff- oder Kohlenoxydaufnahme kein konstantes, so gibt das sich durch das Schwanken der Zahlen kund, welche die pro 100 g Hämoglobin gebundene Sauerstoff- oder Kohlenoxydmenge ausdrücken; diese Menge wird im folgenden überall in Cubikcentimeter bei 0° und 760 mm angegeben; wo die Autoren ein anderes Maß gebraucht haben, wurde dieses reduziert. Für das genannte Verhältnis findet nun Hüfner), was Hundeblut be- trifft, Zahlen, die zwischen 131 und 157 schwanken, und Bücheler®) später in demselben Laboratorium Schwankungen des Pferdeblutes zwischen 167 und 237. Auch in den Untersuchungen, die stattfanden, nachdem ich auf die Schwankungen des spezifischen Sauerstoffgehalts aufmerksam gemacht hatte, als die Aufmerksamkeit sich deshalb auf die Frage nach der vermeint- lichen Inkonstanz des Blutfarbstoffes richtete, fand man durchweg bedeutende Y) Arch. f. experim. Pathol. 18, 421, 1884. — *) Lapicque und Gilardoni, 1. c. — °) Lawron, Zeitschr. f. physiol. Chem. 26, 343, 1899. — *) Zeitschr. £. Biologie 6, 47, 1888. — °) Zeitschr. f. physiol. Chem. 1, 329, 1877. — °) Ebenda 8, 359, 1884. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 7 98 Kritik des Begriffes der spezifischen Sauerstoffkapazität. Schwankungen. So gibt de Saint-Martin!) für Menschenblut 118 bis 134 und für Hundeblut 122 bis 135 an, und Kraus, Koßler und Scholz?) finden für Menschenblut in 22 Fällen ein. Minimum von 91, ein Maximum von 197. Wenn diese Autoren aus ihrem bedeutenden experimentellen Material den Schluß ziehen, sie hätten keine Tatsache gefunden, die der Gleichartigkeit des Hämoglobins widerstreite, so ist diese Behauptung nicht haltbar; als Beweis hierfür können wir auf die Tabelle III der genannten Autoren (l. c. S. 337) in ihrer Gesamtheit verweisen. Hier führen wir aus der Tabelle nur ein einzelnes, besonders prägnantes Beispiel an, nämlich Nr. 17 und 18 der zitierten Tabelle, wo bei zwei gesunden Individuen die spektroskopisch be- stimmte. Hämoglobinmenge die gleiche, d. h. 13,98 Proz. und 14,03 Proz., die in maximo aufgenommene Sauerstoffmenge hingegen 22,69 bzw. 12,87 Vol.- Proz. ist; es finden sich also pro 100g Hämoglobin 162 und 91cem Sauerstoff. Ein solches Resultat kann unmöglich von methodischen Ver- suchsfehlern herrühren, und dergleichen Beispiele ließen sich mehrere an- führen. Dagegen hat Hüfner?) auf Grundlage einer Reihe von Versuchen, die er später nach den oben angeführten unternahm, bestimmt behauptet, die Sauerstoffbindung des Hämoglobins sei stets konstant, und von mehreren Seiten ist diesen Versuchen großes Gewicht beigelegt worden. Die Bestim- mungen, acht an Zahl, wurden an Ochsenblut unternommen (es gelang nicht, die an Hämoglobinlösungen angestellten Versuche durchzuführen, 1. c. S. 155). Hüfner findet als Minimum 129, als Maximum: 135,8 für die Kohlenoxyd- bindung in 100 g Hämoglobin. Diese verhältnismäßig gute Übereinstimmung in acht Versuchen würde selbstverständlich keinesfalls das aus den zahl- reichen, oben angeführten Versuchen hervorgehende entgegengesetzte Resultat entkräften können; hierzu kommt aber der von Haldane #) gelieferte Nach- weis, daß sich aus Hüfners Versuchen Resultate herleiten lassen, die nicht damit in Übereinstimmung stehen, was andere Versuche mit Sicherheit über die Dissoziation des Kohlenoxydhämoglobins ergeben. Es finden sich näm- lich unter den erwähnten Versuchen Bestimmungen der Größe der Kohlen- oxydbindung sowohl für etwa 500 als für etwa 700 mm Spannung, und diese Bestimmungen zeigen, wenn man das eigene Berechnungsverfahren des Autors benutzt, daß bei etwa 500 mm nur die 93 Proz. des Hämoglobins mit Kohlen- oxyd gesättigt sind, während dasselbe bei etwa 700 mm mit dem genannten Gase völlig gesättigt sein sollte. Dieses Ergebnis widerstreitet aber sowohl Versuchen, die Hüfner’) selbst über die Dissoziation des Kohlenoxydhämo- globins angestellt hat, und denen zufolge schon bei 100mm Spannung 99,93 Proz. des Hämoglobins gesättigt werden, als auch den von Bock) und Haldane und Smith’) gewonnenen Resultaten. Zwischen 700 mm und 500 mm Spannung ist die Dissoziation des Kohlenoxydhämoglobins in der Tat unmerklich, und es müssen sich deshalb in Hüfners Versuche Fehler ein- geschlichen haben, welche dieselben, wenigstens solange die Art der Fehler nicht aufgeklärt ist, für unseren Zweck unbrauchbar machen. !) Journ. de Physiol. 2, 733, 1900. — ?) Arch. £. experiment. Pathol. 42, 323, 1899. — °) Arch. f. Physiol. 1894, $. 130. — *) Journ. of Physiol. 1900, p. 295. — ®) Arch. f. Physiol. 1895, 8. 222. — °) Zentralbl. f. Physiol. 8, 385, 1894. — 7) Journ. of Physiol. 22, 253, 1898. u " B u au = a a ET" a Fr Sauerstoffaufnahme und Färbungsvermögen des Blutes. 99 Bei den bisher besprochenen Vergleichungen der vom Hämoglobin ge- bundenen Sauerstoffimenge mit der Lichtabsorption desselben wurde letztere Größe stets in einem bestimmten Spektralgebiete spektrophotometrisch ge- messen. Es liegen indes außerdem eine Reihe Untersuchungen von Hal- dane und Smith!) und von Haldane?) vor, wo das totale Färbungs- vermögen des Hämoglobins, mittels einer verbesserten Gowerschen Methode gemessen, mit der direkt bestimmten Sauerstoffabsorption verglichen wurde. Hierbei fand man in 20 Versuchen völlige Übereinstimmung der beiden Größen, indem die Abweichung des Maximums nur etwa 2 Proz. beträgt und . die weit überwiegende Anzahl der Bestimmungen nur eine Differenz von weniger als 1 Proz. des Wertes gibt. Wie die Autoren bemerken, sprechen diese Versuche nicht für Schwankungen der Zusammensetzung des Blutfarb- stoffes, und jedermann wird zugeben, daß sie, an und für sich betrachtet, der entgegengesetzten, die Konstanz des Hämoglobins behauptenden Ansicht eine gewichtige Stütze gewähren. Vergleicht man sie indes mit den zahl- reichen Versuchen, wo die im Verhältnis zum Eisen oder zur spektroskopisch gemessenen Lichtabsorption bestimmte Sauerstoffkapazität bedeutende Schwan- kungen darbietet, so sehe ich nicht ein, wie sie imstande sein sollten, die letztgenannten Versuche zu entkräften. Will man nicht ganz willkürlich große Reihen von Versuchen aussondern, so muß das Resultat sämtlicher vorliegenden Versuche dahin formuliert werden, daß das Verhältnis zwischen dem Eisengehalt des Hämoglobins und dessen Lichtabsorption im begrenzten Spektralgebiet einerseits und anderseits die Sauerstoffbindung im Blute variieren können, während den bisher vorliegenden Versuchen zufolge ein konstantes Verhältnis der Sauerstoffkapazität zum totalen Färbungsvermögen des Hämoglobins besteht; daß das Verhältnis dieser beiden Eigenschaften, der Sauerstoffkapazität und des totalen Färbungsvermögens, trotz Schwan- kungen der oft genannten Art im Hämoglobin ein konstantes bleiben konnte, läßt sich auf Basis unseres gegenwärtigen Wissens auf diesem Gebiete keines- wegs ohne weiteres bestreiten. Eine Untersuchung, bei der sowohl die spektro- photometrische als die Gowersche Methode zur Anwendung käme, würde deshalb großes Interesse darbieten. Zu bemerken ist übrigens, daß das nach Fleischls Methode bestimmte totale Färbungsvermögen und der Eisengehalt des Blutes nach Rosin und Jellineks3) Versuchen nicht in konstantem Ver- hältnis zueinander stehen — was von diesen beiden Untersuchern zum Teil Variationen des Eisengehalts des Hämoglobins zugeschrieben wird (l. c. S. 133). Versuche, im Blute Komponenten mit verschiedener spezifischer Sauer- stoffkapazität voneinander zu sondern. Dem oben Dargestellten zufolge möchte es wohl als konstatiert zu betrachten sein, daß der spezifische Sauerstoffgehalt häufig verschiedener Größe ist. Innerhalb einer oberen und einer unteren Grenze trifft man im Blute eine ganze Reihe glatt ineinander übergehender verschiedener Werte an, und gleich von Anfang an mußte sich bei der Unter- suchung dieser Funktion *) der Gedanke aufdrängen, daß diese vielen ver- schiedenen Werte in der Tat nur von wenigen einzelnen Komponenten her- ») Journ. of Physiol. 25, 331, 1900. — *) Ebenda 26, 497, 1901. — °) Zeit- schrift f. klin. Mediz. 39, 109, 1900. — *) Bohr, Skand. Arch. f. Physiol. 3, 105 u. 141, 1891. 7% 100 Komponenten verschiedener spezifischer Sauerstoffkapazität im Blute. rührten, deren Vorhandensein in abwechselnden Mischverhältnissen der spezifischen Sauerstoffkapazität ihre bunte Mannigfaltigkeit gebe. Die einzelnen Komponenten müßten dann Blutfarbstoffe sein, die sich übrigens ihrem chemischen Charakter nach sehr nahe ständen, die aber eine ver- schiedene Menge Sauerstoff bänden, so daß hinsichtlich jedes einzelnen Farb- stoffes ein einfaches molekulares Verhältnis zwischen dem Gewicht des Farb- stoffes und der gebundenen Sauerstoffimenge stattfände. Es wäre z.B. denkbar, daß einer dieser Farbstoffe Sp. O — 400, ein anderer Sp. O = 200 hätte. Bei solcher Ansicht würde es nahe liegen, sich zu denken, daß jedes einzelne Blutkörperchen einen gleichmäßigen Farbstoff einschlösse, dessen spezieller Charakter schon während der Bildung des Blutkörperchens oder auch durch spätere Einwirkungen bedingt worden wäre; auf diese Weise würde die je im Augenblicke vorhandene Mischung der Farbstoffe eine Resul- tante der verschiedenen Einwirkungen sein, welche die einzelnen Blutkörper- chen erlitten hätten. Die experimentelle Prüfung dieser Ansichten bietet indes, wie leicht zu ersehen, große Schwierigkeiten dar; es gilt hierbei nämlich, die Scheidung von Stoffen zu erstreben, die den meisten chemischen Charakteren nach als sich sehr nahe stehend zu betrachten sind, und die zur Anwendung kommen- den Mittel müssen zugleich aus Rücksicht auf die geringe Haltbarkeit des Farbstoffes sehr wenig eingreifend sein. Man hat nun versucht, das aus dem Blute auskristallisierte Hämoglobin dadurch zu trennen, daß man sich eines möglichen Unterschieds der Löslichkeit von dessen einzelnen Kompo- nenten bediente, teils indem die zuerst ausgeschiedenen Kristalle für sich untersucht wurden, teils indem die gesamte Kristallmasse durch successive Behandlung mit kleinen Portionen Wasser geteilt wurde. Das negative Er- gebnis eines solchen Versuches könnte die Gleichmäßigkeit des Farbstoffes natürlich nicht beweisen; denn an und für sich haben wir keinen Grund, zu erwarten, daß Verschiedenheiten der Sauerstoffbindung an Verschiedenheiten der Löslichkeitsverhältnisse geknüpft sein sollten; ein positiver Erfolg würde hingegen von Bedeutung sein, eben weil die Trennung gemäß der Löslich- keit ein nur wenig eingreifender Vorgang ist, von dem nicht wohl anzu- nehmen ist, er erzeuge Verschiedenheiten, wo solche nicht schon vorher exi- stieren. Die wenigen Untersuchungen !), die nach dieser Methode angestellt worden sind, haben hier und da’allerdings Verschiedenheiten der mehr und der weniger schwer löslichen Kristalle gezeigt, im ganzen haben sie aber nur dürftige Aufschlüsse gegeben. Besser gelang eine andere Methode, wo man ein möglicherweise ver- schiedenes spezifisches Gewicht der einzelnen roten Blutkörperchen zu ver- werten suchte, um dieselben mittels Zentrifugierens in Gruppen zu sondern, die dann auf ihren spezifischen Sauerstoffgehalt untersucht wurden; wenn der Unterschied des spezifischen Gewichtes der einzelnen Körperchen ein sehr geringer ist, wie hier, wird das Zentrifugieren natürlich nur eine höchst un- vollständige Trennung in Gruppen bewirken; jedenfalls gewährt diese Methode aber den Vorteil, die völlige Sicherheit zu bieten, daß keine Änderung des Blutfarbstoffes durch eben den Scheidungsvorgang stattfindet; die ange- ) Bohr, Skand. Arch. f. Physiol. 3, 97, 1891. ng = . u % EIN B-TaP . aa Et ns pn 0 a Sa ee a a Glen te ia 2 ann un) "ie, at a an Fe al u a: u. e Komponenten verschiedener spezifischer Sauerstoffkapazität im Blute. 101 troffenen Verschiedenheiten müssen im Blute präexistierend sein. Daß ein direkter Zusammenhang des spezifischen Gewichtes der Blutkörperchen mit deren Gehalt an verschiedenem Farbstoff existieren sollte, ist selbst- verständlich nicht anzunehmen ; dagegen ist es sehr wohl möglich, daß zwischen dem spezifischen Gewicht und anderen Eigenschaften, z. B. dem Alter der ‘ Blutkörperchen, ein Zusammenhang besteht, und dies könnte nun bewirken, daß man auf indirektem Wege, sozusagen mehr zufällig, Blutkörperchen mit verschiedenem spezifischen Sauerstoffgehalt zum Teil nach dieser Me- thode gesondert bekommen könnte. Eben weil die direkte Abhängigkeit des spezifischen Gewichts von dem spezifischen Sauerstoffgehalt nicht anzu- nehmen ist, müssen wir aber auf große Unregelmäßigkeiten der Resultate gefaßt sein und können nicht erwarten, in derselben Schicht der zentri- fugierten Körperchen konstant Blutkörperchen von demselben spezifischen Sauerstoffgehalt zu finden. Versuche der hier besprochenen Art wurden von Haldane und Smith!) angestellt, die in mehreren Fällen, in denen sowohl Hunde- als Ochsenblut angewandt wurde, ein positives Resultat erzielten; als Beispiel können wir anführen, daß in einer Probe des letzteren Blutes die obere, die mittlere und die untere Schicht der zentrifugierten Blut- . körperchen einen spezifischen Sauerstoffgehalt von 330 bzw. 353 und 365 erwiesen; bei anderen Versuchen erreichte der Unterschied der Sp. O in den verschiedenen Schichten mehr als 20 Proz. des Wertes. Auch an Pferde- blut gelang es mir, nach bisher nicht veröffentlichten Versuchen in einigen Fällen ein ähnliches Verhalten nachzuweisen. Wie unvollständig die vorliegenden Aufschlüsse auch sind, und wie viele Fragen, besonders nach der Natur der einzelnen Farbstoffkomponenten, auch unbeantwortet bleiben, so muß man doch behaupten, daß sie für die prinzipielle Seite der hier behandelten Sache von großer Wichtigkeit sind; ich. wenigstens kann in denselben nur den sicheren Nachweis er- blicken, daß in der Regel, auch unter normalen Verhältnissen, im Blute ein Gemisch von Farbstoffen von verschiedenem spezifischen Sauerstofigehalt an- getroffen wird. Diese Auffassung findet nun auch eine Stütze in einigen anderen Um- ständen, die hier in Kürze genannt werden. Erstens findet man, selbst wenn man den Durchschnitt einer großen Anzahl Bestimmungen an normalem Blute nimmt, Werte des spezifischen Sauerstoffgehalts (etwa 360), die nicht damit in Übereinstimmung stehen, daß es ein einfaches molekulares Ver- hältnis der Sauerstoffbindung zum Eisen des Farbstoffes gibt; dieser Umstand wurde bereits berührt und scheint entschieden dafür zu sprechen, daß wir im Hämochrom nicht mit einem einzelnen chemischen Individuum, sondern mit einem Gemisch zu schaffen haben. — Ferner stützt sich die Ansicht von dem Vorhandensein verschiedener Farbstoffe im Blute auf Beobachtungen ?), denen zufolge das Hämoglobin außerhalb des Organismus in Verbindungen anderen spezifischen Sauerstoffgehalts übergehen kann. Freilich sind diese verschie- denen Oxyhämoglobine, nachdem die Verschiedenheit des genuinen Blutfarb- stoffes (des Hämochroms) von dem daraus dargestellten Hämoglobin kon- ») Journ. of Physiol. 16, 468, 1894. — °) Bohr, Skand. Arch. f. Physiol. 3, 76, 1891. \ 102 Zahlenwerte der spezifischen Bauerstoffkapazität im Blute. statiert worden ist, nicht als mit den Komponenten des Farbstoften‘ im Blute identisch zu betrachten; ihr Vorkommen macht es aber doch wahrscheinlich, daß auch der eigentliche Blutfarbstoff leicht in Modifikationen ‘mit verschie- dener Sp. O übergehen kann. In der jüngsten Zeit hat auch Hüfner!) beobachtet, daß sogar das Kohlenoxydhämoglobin sich schon bei mehrstündigem Stehen bei 8% so ver- ändern kann, daß es weniger CO pro Gramm bindet. Hüfner will seine Beobachtung durch die Vermutung erklären, ein Teil des Hämoglobins habe sich hierdurch so geändert, daß dasselbe entweder gar kein CO mehr oder auch dieses Gas fest binde; die Erklärung kann indes ebensowohl darin liegen, daß sich zum Teil Kohlenoxydhämoglobin mit geringerem spezifischen Sauer- stoffgehalt gebildet hätte, so wie es mit den oben erwähnten Abänderungen des Oxyhämoglobins der Fall ist. Zahlenwerte der spezifischen Sauerstoff kapazität des normalen Blutes. Im . folgenden werden die für normales Blut (Arterien- und Venenblut) gefundenen durchschnittlichen Werte des spezifischen Sauerstoffgehalts nebst den Maxima und Minima dieser Funktion angeführt. Für Hundeblut finde ich?) bei 22 Individuen die durchschnittliche Sp. 0 = 375 Me 2) Mi Tobiesen?), bei dessen Versuchen Morphin angewandt und ein Herz-Katheter eingeführt wurde, beobachtet bei 17 Indi- \ e dere SR Maximum — 429 viduen die durchschnittliche Sp. OÖ —= 388 ee a — 378° Abra- hamsen*) gibt für Ochsenblut die durchschnittliche Sp. O0 —= 351 rien L. a an, wozu jedoch zu bemerken ist, daß 31 der im ganzen ausgeführten 32 Bestimmungen Zahlen zwischen 301 und 391 ergeben, so daß das Maximum 450 einem exzeptionell hohen Werte zu verdanken ist. Für Schweineblut findet derselbe Autor in 5 Fällen die mittlere Sp. O ==. 341 Kr Er En Durch im ganzen 9 Bestimmungen finde ich ') {Maximum — 426 Wie \Minimum — 379 man sieht, sind die individuellen Schwankungen innerhalb derselben Gattung gar zu groß, um dem Umstande, daß die gefundenen Durchschnittswerte für die Gattungen etwas. verschieden sind, weitere Bedeutung beizulegen. Nur ist vielleicht der spezifische Sauerstoffgehalt bei Pferden wirklich in der Regel größer als bei den anderen untersuchten Gattungen. Für einige Tier- gattungen liegen einzelne Bestimmungen vor, die für Kaninchen 389, für einen Zahnwal (Delphinus comm.) 413 6) ergaben. Von Vögeln kamen 16 Individuen von Schwimmvögeln (Uria troile und Mormon fratercula) zur Untersuchung, die in 5 Gruppen geteilt wurden, um hinlängliches Blut zur Analyse zu ; A As. Maximum — 356 erhalten. Man’) fand im De Sp. O0 = 348 en Bye für Pferdeblut die durchschnittliche Sp. O — 411 !) Arch. f. Physiol. 1903, 8. 217. — ?) Skand. Arch. f. Physiol. 3, 119, 1891. — ®) Ebenda 6, 287, 1895. — *) Über den Sauerstoff des Blutes. Kopenhagen 1893, 8. 45 u. 46. — °) Noch nicht veröffentlichte Versuche. — °) Bohr, Übersichten der Königl. Dänischen Akad. d. Wissensch. 1897, 8. 214. — ’) Bohr, l. c. 8. 214. Kohlensäure im Blute. 103 es wurden hier also so gut wie keine individuellen Schwankungen angetroffen, die vielleicht doch durch die Gruppeneinteilung verdeckt waren. Der spezifische Sauerstoffgehalt, über dessen Größe im normalen Blute wir hier eine Übersicht gegeben haben, kann durch verschiedene Eingriffe (z. B. Anämie) Änderungen erleiden, ja nicht selten ist bei demselben Indi- viduum sogar ein Unterschied des Arterienblutes vom Venenblute in betreff der Sp. O zu finden. Dies wird im Abschnitt von der inneren Atmung näher besprochen werden, wo überhaupt die Bedeutung der Schwankungen des spezifischen Sauerstoffgehalts für die Regulation der Zufuhr von Sauer- stoff zu den Geweben zur Behandlung kommen wird. I. Die Kohlensäure Die Kohlensäureabsorption des Blutes ist von der Spannung der Kohlen- säure in dem Gase abhängig, mit dem dasselbe im Gleichgewicht steht, ist dieser Spannung aber nicht einfach proportional. Schon hieraus geht hervor, daß die Absorption nicht allein von einfacher Lösung des Gases in der Flüssig- _ keit herrührt, und die bei gegebenem Drucke in einem Volumen Blut gelöste Menge ist denn auch bedeutend größer als die, welche sich aus dem Absorp- tionskoeffizienten (S. 63) als physikalisch gelöst berechnen läßt. Das Blut enthält also dissoziable kohlensäurebindende Stoffe, und insofern verhalten sich die Absorption der Kohlensäure und die Absorption des Sauerstoffs auf analoge Weise im Blute; während aber derjenige Teil des absorbierten Sauer- stoffs, der nicht einfach physikalisch in der Flüssigkeit gelöst ist, in seiner Totalität an einen einzelnen Stoff in den Blutkörperchen — an das Hämo- chrom — gebunden wird, so daß die Absorption im Plasma das Henrysche Gesetz genau befolgt, haben wir dagegen in betreff der Kohlensäure mit mehr verwickelten Verhältnissen zu schaffen, indem die chemische Bindung an eine ganze Reihe von Stoffen geschieht, die sowohl im Plasma als in den Blutkörperchen gefunden werden. Die Einsicht in die hierbei verlaufen- den chemischen Vorgänge wird ferner dadurch erschwert, daß die gegen- seitige Wechselwirkung zwischen diesen zum Teil nur unvollständig bekannten kohlensäurebindenden Stoffen mit der Größe der Kohlensäurespannung etwas variiert. Obschon seit den fundamentalen Untersuchungen der Gase des Blutes um die Mitte des vorigen Jahrhunderts eine sehr bedeutende Arbeit auf die Erklärung der Bindung der Kohlensäure im Blute angewandt worden ist, sind darum diese Verhältnisse bei weitem noch nicht völlig ins reine gebracht. Was ältere Arbeiten betrifft, können wir auf Zuntz’!) Monographie ver- weisen; im folgenden werden wir uns wesentlich nur bestreben, einen Über- blick über den gegenwärtigen Standpunkt der Frage zu geben. Das Verhältnis der absorbierten Kohlensäuremenge zur Spannung. Bestimmungen dieser Funktion werden gewöhnlich so ausgeführt, daß man das Blut mit einer Atmosphäre von bekanntem Kohlensäurepartialdruck in Absorptionsgleichgewicht bringt, worauf man ein Volumen desselben aus- pumpt und die frei gewordene Kohlensäure mißt; man wiederholt darauf den !) Hermanns Handb. d. Physiol. 4 (2), 64. \ 104 Spannungskurve der Kohlensäure im Blute. Versuch mit einer frischen Probe des Blutes bei einer anderen Kohlensäure- spannung. Das solchergestalt aus dem Blute gewonnene Gas umfaßt nun aber nicht nur die Kohlensäure, die schon allein bei Herabsetzung des Partialdruckes auf den Nullwert entweichen würde (die dissoziable Kohlensäure); denn bei der allmählich in der Pumpe stattfindenden Destruierung der Blutkörperchen treten aus diesen saure Bestandteile, besonders wohl Hämoglobin, in die Flüssigkeit aus, und zwar in solcher Menge, daß auch die als Monokarbonat an die Alkalien gebundene Kohlensäure frei gemacht und ausgepumpt wird; bei weiterer Zusetzung einer Säure nach beendigtem Auspumpen wird deshalb keine Kohlensäure mehr frei (Pflüger!). Wird hingegen das Plasma oder das Serum allein, ohne Blutkörperchen, ausgepumpt, so bleibt, wie unten näher nachgewiesen wird, etwas Monokarbonat zurück, aus dem die Kohlen- säure nur durch Zusatz einer Säure frei gemacht werden kann. Mit Bezug auf das Blut findet man daher auf diese Weise, daß die einer gegebenen Spannung entsprechende, durch Auspumpen gefundene Kohlensäuremenge den wirklichen Wert der dissoziablen Mengen übersteigt; der Überschuß ist aber bei den verschiedenen Spannungen gleich groß und verrückt darum wohl den absoluten Ordinatenwert, aber nicht den Verlauf der Spannungs- kurve, unter der wir, wie früher, die Kurve verstehen, deren Abszissen die Spannungen, deren Ordinaten die chemisch gebundenen Gasmengen sind. Verschiedenes Blut bietet oft bei derselben Spannung ziemlich be- deutende Variationen der Kohlensäureabsorption dar, namentlich wegen wech- selnden Gehalts an kohlensauren Salzen. Dieses Verhalten, das wir im folgenden durch eine spezielle Reihe von Versuchen erhellt finden werden, geht schon aus Gaules?) Beobachtungen über Erstickungsblut hervor, wo z.B. in zwei verschiedenen Blutproben der Gehalt an Kohlensäure derselbe (nämlich 34 Vol.-Proz.) war, die Spannungen sich hingegen als sehr verschieden (36 bzw. 48mm) erwiesen. Wenn es sich daher um die auch nur einigermaßen genaue Feststellung der Spannungskurve handelt, muß deshalb als Regel dasselbe Blut gebraucht werden. Übrigens können, auch bei Benutzung desselben Blutes, äußere Umstände dennoch leicht eine Verschiedenheit der einzelnen Proben bewirken; so hat schon die Defibrinierung einen wenn auch nur geringen Einfluß auf die Alkalinität und ‚mithin auf die Kohlen- säurebindung (Loewy und Zuntz?°); weit bedeutenderen Einfluß übt aber das Stehen namentlich in der Wärme [Zuntz ®) und Loewy und Zuntz’)], indem sich, besonders anfangs, hierbei Säure bildet. Da die Temperatur be- deutende Einwirkung auf den Verlauf der Kohlensäurespannungskurve hat, ist man genötigt, die Versuche, die auf die Verhältnisse im Organismus Anwendung finden sollen, bei Körpertemperatur zu unternehmen; das Ver- bleiben der einzelnen Probe in dieser Temperatur muß deshalb, um die so- eben genannte Säurebildung zu vermeiden, möglichst verkürzt werden. Es ist also überhaupt nicht leicht, eine Bestimmung der CO,-Spannungskurve im Blute zu erhalten, die mit Fug als die normale zu betrachten wäre und sich auf die gewöhnlichen Verhältnisse im Organismus anwenden ließe. !) Kohlensäure des Blutes, $. 5. Bonn 1864. — ?) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1878, 8. 469. — °) Pflügers Arch. 58, 507, 1894. — *) Beitr. z. Physiol. d. Blutes. S. 25. Bonn 1868. — °) 1. c. " ie ualaa" 2 5. Cu U au nn na u Ze burn Are Spannungskurve der Kohlensäure im Blute. “ 105 Zuntz!) hat bei Körpertemperatur Bestimmungen der Kohlensäure- absorption in Hundeblut bei verschiedenen Spannungen ausgeführt, die ein- zelnen Blutproben rührten jedoch in der Regel von verschiedenen Individuen her, und der niedrigste Partialdruck war nur 34mm. In Setschenows?) Versuchen über dieselbe Frage war die Temperatur nur etwa 15° und die niedrigste CO,-Spannung 290 mm. In beiden Versuchsreihen fehlen Bestim- mungen bei hinlänglich niedrigem Spannungswerte; es geht aus ihnen indes unzweifelhaft hervor, daß die im Blute gebundene Kohlensäuremenge von der Spannung abhängig ist, so daß die Spannungskurve eine zur Abszissenachse konkave Linie bildet. Dasselbe Resultat geben P. Berts?°) Versuche mit Einatmung von mehr oder weniger kohlensäurehaltiger Luft und mit Be- stimmung der Menge der Kohlensäure im zirkulierenden Blute (Hunde); mehr als die allgemeinsten Hauptzüge dieser Versuche lassen sich aber für unseren Zweck nicht verwerten, da die Kohlensäurespannung bei denselben nicht im Blute selbst bestimmt wurde, wo die Spannung sehr wohl von der gleich- zeitig in der Exspirationsluft gefundenen verschieden sein kann. Fine einigermaßen normale Spannungskurve läßt sich hingegen aus Jaquets*) Versuchen herleiten, in denen die in physiologischer Beziehung wichtigen niederen Werte der Kohlensäurespannung besonders berücksichtigt wurden und eine Temperatur von 37,5° zur Anwendung kam. Es wurde defibriniertes Ochsenblut benutzt, dasselbe Blut freilich nicht zu den ver- schiedenen Proben, das Material ist aber doch insofern gleichartig, als Blut von fast derselben, mittels Titrierens bestimmten Alkaleszenz gebraucht ‘wurde. Die untenstehende Tabelle gibt Werte für die bei verschiedenen Spannungen in 100 ccm Blut chemisch gebundenen Kohlensäuremengen an; dieselben wurden durch Abzug der physikalisch gelösten Kohlensäure aus Jaquets Zahlen berechnet. Außerdem folgt hier eine Tabelle über eine bisher nicht veröffent- lichte Versuchsreihe, in der ich für eine Temperatur von 38° mittels des 60,-Absorption im Blute. 38°. Nach Jaquet Nach Bohr Spannung | in 100 cem Blut Spannung | in 100cem Blut mm | ccm CO, mm ccm 00, | - 19,4 34,7 Ban. 7,1 35,0 45,7 2,3 ° 13,7 48,2 49,2 5,1 19,5 57,7 50,4 8,2 24,7 72,1 52,1 10,6 | 27,0 125,1 57,7 28,3 | 38,1 54,3 46,7 82,0 | 55,7 1) Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1867, 8. 530. — *) M&m. de l’acad. de St. Petersbourg 26, 44, 1879. — °) La pression baromötrique. 1878, p. 985 ff. — *) Arch. f. experim. Pathol. 30, 329, 1892. 106 Gleichzeitige Absorption von Kohlensäure und Sauerstoff. Kroghschen Absorptiometers die bei Spannungen von 0,6mm bis 82mm chemisch gebundene Kohlensäure bestimmte. Hierzu benutzte ich zwei Fig. 18. Proben von Blut desselben 60 T —— Hundes. 55h > m - u 2 Die bei etwa 20 mm Span- 50 abe nung absorbierte Menge ist Pr ji eg in den beiden Tabellen fast RR die gleiche; der Verlauf der m R= Spannungskurven ist aber 35 / ein wenig verschieden. Übri- 50 / gens stammt das Blut ja o: 7 auch aus verschiedenen 7 Tiergattungen her. Da 20 ! meine Zahlen sämtlich vom 15 Blute desselben Tieres her- 10 i rühren und auch, wie neben- { stehende Figur zeigt, die ; regelmäßigste Kurve geben, o 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 ıgo werden wir sie im folgen- C 0O,-Spannungskurve im Blute: 38°. Qnach Jaquet,Xnach Bohr. den vorzugsweise benutzen. Gleichzeitige Absorption der Kohlensäure und des Sauerstoffs. Es ist natürlich für die Anwendung der auf diese Weise gefundenen Kurve in der Respirationslehre eine Frage von der größten Wichtigkeit, ob gleichzeitig vorhandener Sauerstoff auf die Kohlensäureabsorption einwirkt und mithin die Form der Kurve ändert. Daß dies nicht in erheblichem Maße der Fall ist, hat Ludwig!) nachgewiesen. Indes hat man später mehrere Umstände angeführt, die dafür sprechen sollten, daß der Sauerstoff dennoch imstande wäre, die Kohlensäure aus ihrer Bindung im Blute zum Teil auszutreiben. So nimmt Setschenow?) an, ohne übrigens Versuche hierüber angestellt zu haben, die Kohlensäurebindung, die tatsächlich teilweise an das Hämoglobin selbst geschieht, müsse notwendigerweise unter dem Ein- flusse der Spannung des Sauerstoffs stehen, indem letzteres Gas bekanntlich ebenfalls an das Hämoglobin gebunden wird. Es sind aber, wie ich nachwies, nicht dieselben Teile des Hämoglobinmoleküls, welche die Kohlensäure und welche den Sauerstoff binden, und durch Versuche läßt sich leicht darlegen, daß die Kohlensäurebindung von der gleichzeitigen Sauerstoffbindung praktisch ge- nommen nicht beeinflußt wird ?). Außer Setschenow nahm auch Werigo #) die Austreibung der Kohlensäure aus dem Blute durch Sauerstoff an; er stützte sich auf Respirationsversuche, in denen die Kohlensäurespannung der Lungen- luft sich größer erwies, wenn Sauerstoff vorhanden war, .als wenn die Luft sauerstofffrei war (S. 208). Seitdem man die aktive Rolle der Lunge im Atmungs- prozesse nachgewiesen hat, können dergleichen Versuche, ihrer sonstigen Bedeutung unbeschadet, selbstverständlich nicht zur Lösung der Frage nach ») Wiener med. Jahrbücher 1865, 8. 15. — *) Mem. de l’acad. de St. Pöters- bourg 26, 60, 1879. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 3, 61, 1891 u. 8, 366, 1898. — *) Pflügers Arch. 51, 321, 1892. E x P ! rn m Einfach gelöste Kohlensäure im Blute. 107 dem Einflusse des Sauerstoffs auf die Kohlensäurebindung im Blute benutzt werden. Dazu sind nur direkte Versuche in vitro ohne Dazwischentreten spezifisch tätiger Organe brauchbar. Einige derartige direkte Versuche sind unten angeführt, indem mehrere der Bestimmungen, die über den Einfluß der Kohlensäure auf die Sauerstoffaufnahme im Blute angestellt wurden, sich auch auf die hier besprochene umgekehrte Frage anwenden lassen. In einigen Fällen waren nämlich je zwei der Kohlensäurespannungen dieselben, die Sauerstoffspannungen aber verschieden; hier müßte also ein etwaiger Ein- fluß des Sauerstoffs auf die Kohlensäurebindung hervortreten. Die Versuche sind folgende: Ab . CO Nr. C O,-Spannung RE TEN O,-Spannung cem | : ER ETR NNET 8,0 29,2 U2-1851 \ . > t | 7,8 28,5 46,7 j Pferdeblu 2 EC DENE | 2,3 15,2 7,2 N | t 3,0 152 55.6 Hundeblu BEE DER I 4,6 18,2 25,9 ET | 7 20,5: 12,2 ii Eu he a 8,7 20,1 25,4 \ H t 8,9 18,4 151,1 ee In I ist die Steigerung der Sauerstoffspannung ohne Einfluß auf die aufgenommenen Kohlensäuremengen, ebenfalls in III. In II und IV sieht man eine verhältnismäßig geringe Abnahme der absorbierten CO,-Menge bei den höheren Sauerstoffspannungen. Es muß jedoch bemerkt werden, daß die Versuche bei hoher Sauerstoffspannung in diesen Fällen zuletzt angestellt wurden; schon das längere Stehen wird eine geringere Abnahme der Kohlen- säurebindung bewirken können. Überhaupt zeigen die Versuche zweifels- ohne, daß die Wirkung des Sauerstoffs auf die Kohlensäureabsorption, wenn es überall eine solche gibt, jedenfalls eine verhältnismäßig geringe ist. Näheres über die Bindungsweise der Kohlensäure im Plasma und in den Blutkörperchen. Einfache Lösung. Ein Teil der Kohlensäure des Gesamtblutes findet sich einfach gelöst sowohl im Plasma als in den Blutkörperchen der herr- schenden CO,-Spannung proportional und im Verhältnis zu den (S. 63) an- geführten Absorptionskoeffizienten. Bei einem Drucke von 30 mm CO,, der als der wenn auch nur sehr ungefähre durchschnittliche Druck der Kohlen- säure im Organismus zu betrachten ist, beträgt die in 100 cem Blut physi- kalisch gelöste Kohlensäure 2,01 ccm; werden die Blutkörperchen auf !/, des Volumens des Blutes angesetzt, so enthalten sie 0,59 ccm hiervon, während der Rest, 1,42 ccm, im Plasma enthalten ist. Wie wir oben sahen, nimmt das Blut bei 30 mm Spannung an chemisch gebundener Kohlensäure etwa 39 Vol.- Proz. auf; es ist somit nur ein verhältnismäßig geringer Teil (etwa 5 Proz.) der totalen Kohlensäure, der bei gewöhnlichem Druck dem Henryschen Ge- setze gemäß einfach gelöst ist. 108 Verteilung der Kohlensäure unter Plasma und Körperchen. Die Verteilung der totalen Menge aufgenommener Kohlensäure unter das Plasma und die Blutkörperchen variiert etwas in verschiedenen Blutproben, was wohl zu erwarten stand, wenn man die mannigfachen Bindungsarten der Kohlensäure bedenkt. Obendrein ist die Verteilung, wie unten näher be- sprochen wird, zum Teil von der Ö0,-Spannung abhängig, und es lassen sich deshalb keine genauen, für diese Größe gültigen Zahlen geben. Indes ist es von Bedeutung, ein annäherndes Bild dieses Verhaltens zu haben, bevor wir zur näheren Behandlung der Bindungen im Plasma und in den Blut- körperchen je für sich schreiten. Setschenow!) berechnet aus seinen Versuchen über Hundeblut, daß etwa 2/, der Kohlensäure des Blutes im Plasma, !/,; in den Blutkörperchen angetroffen wird, deren Volumen er auf 30 Proz. von dem des Blutes ansetzt. Was das Ochsenblut betrifft, findet Kraus?), der in jedem einzelnen Falle das Volumen der Blutkörperchen nach Bleibtreu bestimmt, durchschnittlich dieselben Zahlen wie Setscehenow; wie nicht anders zu erwarten, erweisen die Variationen der Verteilung sich aber im ganzen als bedeutend. Frede- ricque?) findet als Durchschnittszahl mehrerer Bestimmungen im Pferde- blut 47 Vol.-Proz. Kohlensäure und in dem hieraus dargestellten Serum . 55 Vol.-Proz. Wird das Volumen der Blutkörperchen auf !/; angesetzt, so gibt die Berechnung pro 100 ccm Blut für das Plasma 37 com (etwa °/,), für die Blutkörperchen 10ccm (etwa !/,) der absorbierten Kohlensäure; wird das Volumen der Blutkörperchen aber etwas höher angeschlagen, so nähert das Verhältnis sich dem oben angegebenen, von Setschenow und Kraus ge- fundenen. Wir wollen deshalb im folgenden den bei 30mm Spannung für 100 ccm Blut oben gefundenen Gehalt an absorbierter Kohlensäure (41 ccm) so verteilt annehmen, daß 27 ccm im Plasma, 14ccm in den Blutkörperchen enthalten sind. Die Bindung der Kohlensäure im Plasma. Wie im Gesamtblute wird auch im Plasma die Kohlensäure von der Spannung abhängig aufgenommen, so daß die Spannungskurve eine zur. Abszissenachse konkave Linie bildet; die speziellere Form der Kurve ist hier aber eine andere als die hinsichtlich des Gesamtblutes gefundene. Dies geht schon aus Setschenows#) Versuchen hervor, wo die Werte bei Körper- temperatur und bei niederen Spannungen, die gerade von besonderem In- teresse sind, freilich nur sehr unvollständig behandelt wurden. Eben diese Werte sind aber mit Bezug auf Ochsenblut von Jaquet?°) in einem Ver- suche bestimmt worden, den wir unten anführen; die chemisch gebundenen Mengen berechnete ich unter Anwendung des Absorptionskoeffizienten des ‚Plasmas für Kohlensäure: auf übliche Weise aus Jaquets Zahlen. Die Tempe- ratur ist 37,5%. Die absoluten Werte der Kohlensäureabsorption sind, wie schon öfters bemerkt, in hohem Grade variabel, besonders infolge Schwankungen des Alkaleszenzgrades des Serums. Es sind deshalb nicht diese Werte, die bei diesem Versuche unser Interesse vorzüglich beanspruchen, sondern der Ver- !) M&m. de l’acad. de St. Petersbourg 26, 59, 1879. — ?) Festschrift. Graz 1898, S. 19; Zentralbl. f. Physiol. 12, 265. — °) Compt. rend. 84, 661, 1877 und Plasma sanguin. 1878, p. 48. — )1.c.8.9 ff. — °) 1. c. 8. 335. Spannungskurve der Kohlensäure im Plasma. 109 lauf der Spannungskurve, der physiologisch wichtiger ist und mehr allgemeine Gültigkeit hat; der Verlauf der Kurve ändert sich nämlich nicht merklich bei Spannungen zwischen 20 und 40mm, selbst wenn die Alkales- zenz des Serums sich innerhalb weiter Grenzen ändert (Jaquet !). Die Kurve zeigt, wie aus der Tabelle hervorgeht, bei niederen Drucken starkes Steigen der gebundenen Mengen, die z. B. von 15 bis 17mm um etwa 13 Vol.-Proz. anwachsen; von 20mm Spannung an ist der Verlauf ein viel flacherer, Bei einer Spannungsänderung von 20 bis 40mm werden . 3,9 Vol.- Proz. auf- genommen; rechnen wir das Serum als ?/, des Volumens des Blutes, so wird das 100ccm Blut entsprechende Serum bei der letztgenannten Spannungs- variation mithin etwa 2,6ccm CO, aufnehmen. Kohlensäureabsorption im Serum (Jaquet). C0O,-Spannung CO, chemisch gebunden mm in 100 ccm 14,8 45,8 16,5 57,4 17,0 58,5 26,6 61,7 42,7 63,7 Freilich ist es gelungen, die allgemeine Natur der chemischen Vor- gänge, mittels deren die Kohlensäure im Serum gebunden wird, durch die zahlreichen zu diesem Zwecke unternommenen Versuche im wesent- lichen aufzuklären; an vielen wichtigen Punkten ist unsere Kenntnis aber doch noch höchst unvollständig, und eine wirklich eingehende Darstellung, in der auch die numerischen Werte der Konstanten bei den chemischen Umsetzungen festgestellt würden, läßt sich noch nicht geben. Aufschlüsse über die Stoffe, die bei der Kohlensäurebindung überhaupt eine Rolle spielen, und über den allgemeinen Charakter dieses Vorgangs werden selbstverständ- lich aber schon nicht geringes Interesse darbieten. Es liegt nahe, die Bindung der Koblensäure im Serum mit den in dem- selben enthaltenen Alkalisalzen in Beziehung zu bringen. Eine Zeitlang glaubte man, am Binatriumphosphat den wesentlichen Faktor der beson- deren Bindungsart der Kohlensäure im Serum, wie diese sich durch die so- eben erwähnte CO,-Spannungskurve kundgibt, gefunden zu haben (Fernet?), und in der Tat wird eine passende Lösung des genannten Salzes auch die Kohlensäure auf analoge Weise binden (L. Meyer, Heidenhain). Als man aber ins reine gebracht hatte, daß die in der Serumasche vorgefundene Phos- phorsäure fast ausschließlich vom Verbrennen organischer, phosphorhaltiger Substanz herrührte und nur in verschwindender Menge von präformiertem, phosphorsaurem Salze stammte, mußte man den Gedanken, das Binatrium- phosphat sei ein wichtiger kohlensäurebindender Stoff des Serums, natürlich verlassen; derselbe hat indes für die Entwickelung der ganzen Frage eine nicht geringe Bedeutung gehabt, indem er die Aufmerksamkeit darauf lenkte, ) 1. ec. 8. 337. — ?) Du röle des prineip. el&ments du sang dans l’absorption ou le degagement des gaz de la respiration. These. Paris 1858. \ 110 Bindung der Kohlensäure an Alkalien und Albuminalkalien im Plasma. daß die Art der CO,-Bindung sich durch die Konkurrenz zweier Säuren um dieselbe Base erklären lassen konnte. Das Binatriumphosphat kann, wie ausgeführt, wegen der geringen Menge, in der es angetroffen wird, für die CO,-Bindung im Serum keine weitere Bedeutung haben. Es finden sich aber andere Alkalisalze, nämlich Kar- bonate, in verhältnismäßig beträchtlicher Menge im Serum gelöst. Bekannt- lich vermag das Monokarbonat unter Umbildung in Bikarbonat Kohlensäure aufzunehmen, und diese Absorption ist von der Kohlensäurespannung ab- hängig; es könnte daher die Möglichkeit geben, daß das Serum auf die- selbe Weise wie eine Lösung des Alkalikarbonats Kohlensäure aufnähme (Gaule!). Untersucht man aber die Dissoziation des Bikarbonats bei 37° in Lösungen derselben Konzentration wie der des Serums (0,1 bis 0,2 Proz.), so findet man, daß dasselbe, praktisch genommen, erst dann meß- bare Mengen Kohlensäure abgibt, wenn die CO,-Spannung bis unter wenige Millimeter sinkt (S. 68); bei einer Spannung von nur 0,2mm werden noch etwa 3/, der gesamten dissoziablen Kohlensäuremenge gebunden (Bohr). Ganz anders verhält sich das Serum, wie wir aus Jaquets oben angeführten Versuchen erfahren; noch bei 15mm C0,-Spannung ist die völlige Sättigung hier bei weitem nicht erreicht. Das Bindungsverhalten der Kohlensäure im Serum findet also keine hinreichende Erklärung allein in der Dissoziation des Bikarbonats. Sobald die CO,-Spannung mehr als 5mm beträgt, was fast ohne Ausnahme im Organismus der Fall ist, wird, praktisch genommen, die totale Menge kohlensauren Alkalis als Bikarbonat vorhanden sein; das fernere Anwachsen der 00,-Spannung bleibt dann ohne weitere Bedeutung für die CO,-Bindung an die Alkalikarbonate. Sertoli?) suchte nun die besonderen Bindungsverhältnisse im Serum durch die Annahme zu erklären, daß die Natronbase sich unter zwei Säuren teile, deren eine die Kohlensäure sei, die andere aber die Albuminstoffe des Serums, namentlich die Globuline, deren saure Eigen- schaft er nachwies; diese Ansicht wurde später von Zuntz), Torup°) und Jaquet‘) und mit einiger Modifikation von Setschenow’) gestützt. Nach den vorliegenden Versuchen ist es als sicher nachgewiesen zu betrachten, daß die Albuminstoffe sich im Serum als Alkaliverbindungen finden, und daß das Alkali ihnen zum Teil entzogen wird, wenn Kohlensäure vorhanden ist. Dies geht hervor teils aus Setschenows Versuchen über die Bindung der Kohlensäure an Paraglobulinalkali, auf die wir später zurückkommen, teils aus den Diffusionsversuchen von Loewy und Zuntz°), denen zufolge die Menge diffusiblen Alkalis im Serum bei Durchleitung von Kohlensäure zu- nimmt, was von der Bildung kohlensaurer Salze auf Kosten der indiffusiblen Albuminalkaliverbindung herrühren muß. Zu demselben Resultat gelangte auch Gürber’?). Wir haben hier daher zweifelsohne einen reziproken Prozeß zwischen einer Base und zwei Säuren, und zwar desselben Typus wie der früher (8.71) !) Arch. f. Physiol. 1878, 8. 490. — ?*) Skand. Arch. 3, 66, 1891. — ®) Hoppe- Seyler, Med.-chem. Unters., Berlin 1868, S. 350. — *) Hermanns Handb. 4, 64, 1882. — ®; Die Kohlensäurebindung des Blutes, Kopenhagen 1887, 8. 36. — ®)l.c. — 7) 1. ce. — °) Pflügers Arch. 58, 516, 1894. — °) Sitzungsber. 1895 und Verhandl. d. phys.-med. Ges. zu Würzburg 28. AT Bindung der Kohlensäure an die Albuminalkalien im Plasma. 311 hinsichtlich des CO,-Hämoglobins näher analysierte, nur daß in letzterem Falle die Base kein Alkali, sondern ein basischer Teil des Globinmoleküls ist, was in prinzipieller Beziehung ja unwesentlich ist. Hieraus folgt, daß sich im Serum bei anwachsender CO,-Spannung Alkalikarbonat bilden muß, und zwar bei den im Organismus vorkommenden Spannungen speziell Bikarbonat, auf Kosten eines Teiles der Albuminalkaliverbindung. Hiermit haben wir aber noch keine Lösung der uns besonders interessierenden Frage erreicht, ob nämlich die solchergestalt stattfindende Kohlensäurebindung bei steigender Kohlensäurespannung in quantitativer Beziehung dem entspricht, was wir durch direkte Versuche am Serum oben fanden; mit anderen Worten, wir wissen nicht, ob die Spannungskurve, die bei Einwirkung der Kohlensäure auf die Alkaliverbindungen des Albumins bei den hier besonders in Frage stehenden Drucken erscheinen würde, der CO,-Spannungskurve entspricht, die wir für das Serum fanden. Zu dieser für unsere Aufgabe wichtigen Frage kehren wir später zurück; so viel ist jedenfalls festgestellt, daß das Alkali des Serums sich in Verbin- dung teils mit Albuminstoff, teils mit Kohlensäure findet. Hieraus erhebt sich nun die Frage, ob die Alkalimenge des Serums größer ist als die in maximo vom Albumin gebundene, wenn letzteres, indem man den Partialdruck der Kohlensäure —= 0 macht, mit Alkali gesättigt wird. In bejahendem Falle werden dann nach vollständigem Auspumpen des Serums noch kohlensaure Salze, selbstverständlich als Monokarbonate, zurückbleiben, denen die Kohlensäure erst mittels eines Zusatzes von Säure entzogen werden kann. Daß dies sich so verhält, hat Pflüger!) nachgewiesen; so findet er in einem Versuche 4,9 Vol.-Proz., in einem anderen 9,3 Vol.-Proz. als die Menge Kohlensäure, die sich noch nach völligem Auspumpen durch Säure- zusatz aus dem Serum gewinnen läßt. Die dieser Kohlensäure entsprechenden Monokarbonate werden als Bikarbonate die doppelte Menge Kohlensäure ent- halten und mithin 9,8, bzw. 18,6 Vol.-Proz. oder im Durchschnitt etwa 14 Vol.-Proz. CO,, 0,033g Na,C O, entsprechend, binden können. Auch auf anderem Wege gelangt man zu einem ähnlichen Resultat. Bringt man nämlich das Serum in Gleichgewicht mit einer Atmosphäre, die eine konstante niedrige Kohlensäurespännung hat, so wird dieselbe sich so anpassen lassen, daß die Albuminalkalien beinahe gar nicht dekomponiert werden und mithin fast gar keine Kohlensäure binden, während anderseits die Bikarbonate auch nicht merklich dissoziiert werden und folglich ihre Kohlensäure fast unverändert behalten. Eine solche passende Atmosphäre hat man, wenn man Stubenluft anwendet, die eine Spannung von etwa 0,6 mm CO, besitzt. Beim Schütteln der Flüssigkeit mit dieser Luft bei gewöhn- licher Temperatur wird das Bikarbonat fast nicht gespalten 2), und die anderen kohlensäurebindenden Stoffe können nur eine sehr geringe Menge Kohlensäure aufnehmen. Es liegt eine solche, zwar nicht mit Serum, sondern mit Blut angestellte Versuchsreihe vor, indem ich?) an 22 Proben normalen Hundeblutes nach Schütteln bei gewöhnlicher Temperatur mit atmosphäri- scher Luft den Kohlensäuregehalt bestimmte. Ich fand durchschnittlich 18 !) Die Kohlensäure des Blutes, $S. 11, Bonn 1864. — ?) Bohr, 1. c. — °) Skand. Arch. 3, 111 u. £., 1891. 112 Bindung der Kohlensäure an die Albuminalkalien im Plasma. (Maximum 27, Minimum 6) Vol.-Proz. CO,. Die Schwankungen sind, wie es nach den vorliegenden Alkaleszenzbestimmungen zu erwarten war, bedeu- tend, die niederen Zahlen sind indes verhältnismäßig selten, indem die Menge der Kohlensäure nur in 8 der 22 Versuche unter 16 Vol.-Proz. sinkt. In 4 Proben von Pferdeblut fand ich durchschnittlich 15 Vol.- Proz. CO,. Die hier für das Gesamtblut bestimmte Bikarbonatkohlensäure stammt außer aus dem Serum zugleich auch aus den Blutkörperchen; wie wir später sehen werden, ist die aus letzteren unter den gegebenen Spannungsverhältnissen her- rührende Kohlensäure auf höchstens etwa 5 ccm anzuschlagen (S. 115). In dem 100 ccm Blut entsprechenden Serum finden wir auf diesem Wege als Bikar- bonat somit etwa 13cem Kohlensäure (in 100ccm Serum etwa 19cem C0,). Betrachten wir nun ein Durchschnittsserum bei 30 mm CO,-Spannung, so wird dasselbe also erstens natürlich 13 Vol.-Proz. Kohlensäure als Bi- karbonate enthalten, ferner außerdem die der Spannung entsprechende physikalisch gelöste Kohlensäure, die etwa 1,5ccm beträgt (S. 107), zusammen mithin etwa l5cem. Da wir fanden, daß das 100 ccm Blut ent- sprechende Serum durchschnittlich etwa 27 ccm CO, enthält (S. 108), wird also noch für etwa 12 ccm Rechenschaft abzulegen sein. Einige derselben sind nun sicherlich, wie oben erwähnt, dadurch zu suchen, daß die Kohlensäure den Albuminalkalien einen Teil ihres Alkalis entzogen und damit Bikarbonat gebildet hat, dessen Menge folglich größer geworden ist als die bei 0,6 mm . Spannung gefundene. Die oben berührte und hier näher zu untersuchende Frage ist aber die, ob diese Dekomposition der Albuminalkalien bei 30 mm CO,-Spannung eine so bedeutende ist, daß hierdurch die genannten etwa 12ccm Kohlensäure wesentlich gedeckt werden, oder ob’ wir zur Annahme der Existenz noch anderer Kohlensäurebindungsarten als der bereits beschrie- benen gezwungen werden. Zu bemerken ist nun sogleich, daß die bisher vorliegenden Versuche weder an Genauigkeit noch Umfang genügen, um auf diesem Gebiete zu einer sicher begründeten Anschauung zu gelangen. Es gebricht uns an hinlänglich variierten Versuchen, namentlich über den Ein- fluß der niederen CO,-Spannungen auf die Bindung sowohl rücksichtlich der Albuminalkalien als der reinen Albuminstoffe. Will man indessen einem Versuche von Setschenow!) entscheidende Be- deutung beilegen, so spalten die Albuminalkalien sich erst bei verhältnis- mäßig hohen CO, -Spannungen in beträchtlicherer Ausdehnung. Er fand für die Aufnahme der Kohlensäure in einer Lösung von Paraglobulinalkali, die nach Titrieren so viel Natriumkarbonat enthielt, daß dieses 2,3ccm ©0, als Bikarbonat zu binden vermochte, bei verschiedenen Spannungen folgende Werte: Spannung | Aufgen. 00, mm ccm 102 | 0,4 497 | 2,4 642 | 2,6 Die Spannungskurve verläuft hier fast geradlinig bis zur Spannung von 500mm. Der Berechnung nach sind daher bei 30 mm CO,-Spannung etwa 10.8. 21. Zusammenfassung der Bindungsverhältnisse der Kohlensäure im Plasma. 113 0,14ccm aufgenommen; der Sättigungsgrad bei diesem Drucke war mithin nur etwa l/js. Es ist deswegen, wenn dieser Versuch richtig ist, durchaus nicht anzunehmen, daß die Aufnahme der Kohlensäure in dem Serum und deren Ausscheidung aus demselben bei Schwankungen der Spannung wie den normal ' im Organismus vorkommenden (20 bis 50 mm) in nennenswertem Grade von der Einwirkung des Gases auf die Albuminalkalien herrühren sollten. Man muß also annehmen, daß esim Serum anderekohlensäurebindende Stoffe gibt, und hier richtet sich der Gedanke ganz natürlich auf die Albumin- stoffe; denn von einem Albuminstoffe,. jedenfalls dem Globin des Hämo- globins, wissen wir, daß er Kohlensäure dissoziabel bindet. Außerdem hat Setschenow Versuche über die Bindung der Kohlensäure sowohl an Para- globulin!) als an Serumalbumin 2) angestellt, die hierfür sprechen. So findet er für das Serumalbumin in 100ccm Serum eine Kohlensäureabsorption von 9,6 ccm bei 54 mm CO,-Spannung. Die Resultate sind aber nicht entscheidend, da nicht bei verschiedenen CO,-Spannungen untersucht wurde, und man des- halb nicht weiß, ob die Verbindungen dissoziabel sind. Die Anschauungen, zu denen wir mit Bezug auf die Bindung der Kohlensäure im Serum gelangten, sind in den Hauptzügen also folgende. Ein Teil der Kohlensäure ist auch bei niedrigen Spannungen (etwa 0,6 mm) als Bikarbonate an Alkali gebunden. Wächst die CO,-Spannung an, so wird die Menge der Bikarbonate zunehmen, indem sich in steigendem Grade Alkali aus den Albuminalkalien abspaltet. Ist Setschenows oben angeführter Versuch mit Paraglobulinalkali aber maßgebend, so wird diese Abspaltung des Alkalis nur eine geringe sein, solange die Spannungen nicht überschreiten, was unter normalen Verhältnissen gewöhnlich im Organismus gefunden wird. Innerhalb solcher Drucke wird die Menge der Bikarbonate sich also wesent- lich unverändert halten, und ihre biologische Bedeutung wird hauptsächlich darin bestehen, daß sie als Verbindung einer starken Base mit einer schwachen Säure freie Säuren (z. B. Milchsäure) neutralisieren, die sich während des Stoff- wechselprozesses bilden können. Erst bei höheren CO,-Spannungen ist dem Obigen zufolge von den Albuminalkalien anzunehmen, daß sie in bedeutendem Grade gespalten werden, und diese Verbindungen bilden dann eine Regulation der zu starken Zunahme der Kohlensäurespannung, deren Steigen über die normale Grenze hinaus hierdurch gehemmt wird. Die wechselnde Menge der Kohlensäure im Serum bei Schwankungen der Spannung innerhalb der im normalen Organismus gewöhnlich vorkommenden Grenzen (etwa 20 bis 50mm) rührt natürlich zum Teil von den den Spannungsände- rungen proportionalen Änderungen der einfach gelösten Kohlensäure her; der Hauptanteil an der Veränderung ist aber anderen Verhältnissen zu- zuschreiben * wobei man besonders, in Analogie zur Kohlensäurebindung des Globins, an die Bildung dissoziabler Kohlensäure - Albuminverbindungen zu denken hat. Hervorzuheben ist jedoch, daß hierüber noch keine maß- gebenden Versuche vorliegen. Die Bindung der Kohlensäure in den Blutkörperchen. Nach dem oben (S. 108) Entwickelten kann die Menge der Kohlensäure in den 100ccm Blut entsprechenden Blutkörperchen bei 30 mm Spannung 1.08.21. —®)L ce. 8. 31, Vers. 65. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 8 114 Bindung der Kohlensäure in den Blutkörperchen. auf durchschnittlich etwa l4ccm angesetzt werden. Diese Kohlensäure wird wohl, wie aus Setschenows!) Versuchen über die Kohlensäureabsorption des Cruors hervorgeht, abhängig von der CO,-Spannung gebunden, nicht aber dieser einfach proportional. Die Spannungskurve bildet auch in diesem Falle eine mit ihrer Konkavität der Abszissenachse zugekehrte krumme Linie; ein auch nur einigermaßen genauer Aufschluß über die Form der Kurve bei Körpertemperatur und niederen Kohlensäuredrucken läßt sich aber aus Setschenows Versuchen nicht herleiten. Ein Vergleich der früher teils für das Gesamtblut, teils für das Serum angeführten Werte zeigt uns indes, daß die Blutkörperchen, denen der Unterschied dieser Werte zuzu- schreiben ist, bei den im Organismus normal vorkommenden Spannungs- variationen bedeutende Mengen Kohlensäure abzugeben oder aufzunehmen vermögen. Ein Teil der Kohlensäure ist in den Blutkörperchen einfach gelöst und läßt sich für einen gegebenen Druck berechnen, da der Absorptionskoeffizient bekannt ist. Für die 100cem Blut entsprechenden Blutkörperchen ist die physikalisch gelöste enk> bei 30 mm Spannung (38°) etwa 0,6 cem (S. 107). Die chemische Bindung der Kohlensäure ist im wesentlichen vom Blutfarbstoff abhängig, und zwar auf zweifache Weise. Teils kon- kurriert der Farbstoff um das saure Alkali mit der Kohlensäure, teils bindet auch der Farbstoff selbst, ohne daß Alkali vorhanden wäre ,.die Kohlensäure dissoziabel. Wir nu jedes dieser ee Verhältnisse für sich näher be- trachten. In den Blutkörperchen findet sich ein wenig Alkali an das Hämoglobin gebunden, das eine Säure ist, welche im Vakuum Kohlensäure aus dem Karbonat auszutreiben vermag (Preyer?). In Berührung mit Kohlensäure wird das Hämoglobinalkali etwas Alkali an die Kohlensäure abgeben; wir haben hier, ganz wie oben, wo von den Albuminalkalien im Serum die Rede war, eine Teilung der Base unter zwei Säuren, den Massenwirkungs- gesetzen gemäß; dies haben Loewy und Zuntz?) nachgewiesen. Was die quantitativen Verhältnisse bei dieser Teilung betrifft, so müssen wir nach Ver- suchen von Zuntz*) annehmen, daß Verbindungen des Hämoglobins mit Alkali sich erst in erheblicherem Grade spalten, wenn die Kohlensäurespan- nung etwa 70mm übersteigt, und dies wird durch Lehmanns’) Versuche bestärkt. Es läßt sich also hier mit Sicherheit sagen, daß die Verhältnisse so sind, wie Setschenows Versuche uns mit Bezug auf die Albuminalkalien des Serums vermuten ließen. Bei den gewöhnlichen im Organismus. an- getroffenen Kohlensäuredrucken wird die an Alkali gebundene Menge der Kohlensäure in den Blutkörperchen eine verhältnismäßig geringe sein. Bei höheren Drucken können dagegen bedeutende Mengen auf diese Weise ge- bunden sein. -Wie erwähnt, hat der Blutfarbstoff aber auch auf andere Weise Bedeu- tung für die Bindung der Kohlensäure; diese wird nämlich auch dissoziabel an das alkalifreie Hämoglobin gebunden, und zwar speziell. an den ) 1. c. 8.43 bis 44. — °?) Die Blutkristalle. Jena 1871. — ?) Pflügers Arch. 58, 522, 1894. — *) Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1867, 8. 530. — ?). Pflügers Arch. 58, 448, 1894. 4 a ee Ta a ma 1 Eu Zn ii nn SE VE CIE DEE Bindung der Kohlensäure in den Blutkörperchen. 115 Globin-Teil des Moleküls (s. S. 71). Die Abhängigkeit der Kohlensäure- absorption von der Spannung ist bei dieser Bindungsweise gerade bei den, physiologisch betrachtet, wichtigen niederen Kohlensäurespannungen beson- ders hervortretend, im Gegensatz zu dem im oben besprochenen Vorgange Gefundenen. Unten geben wir eine Tabelle über die bei verschiedenen Spannungen pro Gramm Hämoglobin chemisch gebundenen Mengen Kohlen- säure; die Konzentration der Lösung ist 2,69 Proz., die Temperatur 38°. Diese Werte lassen sich indes nicht ohne weiteres auf die Blutkörperchen anwenden. Das Hämochrom findet sich in diesen nämlich in einer Konzen- tration von etwa 40 Proz. (S. 89), und die Aufnahme der Kohlensäure im Hämoglobin ist von der Konzentration abhängig. Nun kennen wir aber die Gesetze für den Einfluß dieses Faktors (S. 71), und es ist mithin möglich, zu berechnen, wieviel das bei einer Konzentration von 2,69 Proz: unter- suchte Hämoglobin in einer 40 proz. Konzentration aufnehmen würde. Daß das Hämochrom und das Hämoglobin sich mit Bezug auf die Kohlensäure- absorption als verschieden erweisen sollten, ist nicht wahrscheinlich, da die Kohlensäure sich allein an das Globin bindet und die gleichzeitige Bindung von Sauerstoff keinen Einfluß übt. Kohlensäureaufnahme des Hämoglobins. 38°. Spannung CO,-Aufnahme pro Gramm mm 2,69 Proz. 40 Proz. 10 1,260 0,322 20 1,647 0,448 30 1,902 0,541 40 2,091 0,618 50 2,240 0,684 60 2,363 0,742 100 2,701 0,929 . 200 3,113 1,243 300 3,312 1,460 o : 3,990 3,990 Bei einer Hämoglobinmenge von 15 Proz. im Blute werden also in den 100 cem Blut entsprechenden Blutkörperchen bei 30 mm Spannung etwa 8,1ccm (15 x 0,541) CO, vom Hämoglobin gebunden werden; die bei derselben Span- nung physikalisch gelöste Kohlensäure fanden wir oben gleich 0,6ccm. Zu- sammen sind somit etwa 9 (8,7)cem aufgenommen, während wir die totale Kohlensäureabsorption der Blutkörperchen bei 30 mm Spannung als durch- schnittlich 14cem angaben. Die 5 cem, welche die Differenz der beiden Zahlen bilden, müssen daher an andere Stoffe als das Hämoglobin gebunden sein, zum Teil wohl an das Lecithin, meistens aber als Bikarbonate an Alkali. Variiert die Spannung von 20 bis 40mm, so wird das 100 ccm Blut entsprechende Hämo- globin (15 Proz.) nach der Tabelle 0,17 x 15 = 2,6ccm CO, aufnehmen, eine ähnliche Menge also wie die bei derselben Spannungsdifferenz hinsicht- lich des Serums gefundene ($. 109). Bei solchen Spannungsunterschieden, die denen entsprechen, welche am häufigsten zwischen dem Arterien- und 8*+ 116 Wechselwirkung der Kohlensäureverbindungen in Plasma und Körperchen. dem Venenblute angetroffen werden, wird daher etwa die Hälfte der Kohlen- säurevermehrung dem Serum, die andere Hälfte den Blutkörperchen zufallen. Einfluß der Wechselwirkung zwischen den Blutkörperchen und dem Serum auf die Bindung der Kohlensäure im Blute. Wenn bei gegebener CO,-Spannung im Austausch dissoziabler Stoffe zwischen dem Plasma (Serum) und den Blutkörperchen Diffusionsgleichgewicht eingetreten ist, so bleibt, wie Zuntz!) nachgewiesen hat, dieses Gleich- gewicht nicht unverändert bestehen bei einer Änderung der CO,-Spannung; bei zunehmender Spannung wird das Serum mehr alkalisch (Zuntz), und zu- gleich nimmt sein Chlorgehalt ab (Hamburger?). Da die Alkaleszenz sich wie gesagt ändert, folgt hieraus, daß man aus den, jede für sich, bestimmten CO,-Spannungskurven des Serums und des Cruors nicht ohne weiteres auf die genaue Form der Spannungskurve für das Gesamtblut schließen kann. Bei kleineren Änderungen der Spannung, wie. diese gewöhnlich im Organis- mus vorkommen, ist der Einfluß der wechselnden Kohlensäurespannung auf den Diffusionsaustausch unter den Blutkörperchen und dem Serum allerdings nachweisbar, jedoch schwach (Hamburger?°), Petry); bei Anwendung höherer Kohlensäurespannungen wird die Wirkung aber eine bedeutende. Zuntz fand, wie erwähnt, daß die Alkaleszenz des Serums zunahm, wenn das gesamte Blut mit Kohlensäure gesättigt wurde, und daß das Serum, das sich aus dem Blute nach dessen Sättigung mit Kohlensäure ausschied, mehr Kohlensäure enthielt als der Cruor, während der Cruor dagegen mehr Kohlensäure als das Serum enthielt, wenn jedes für sich mit Kohlensäure gesättigt wurde. Er erklärte die vermehrte Alkaleszenz des Serums als die Folge einer Wanderung kohlensaurer Alkalisalze aus den Blutkörperchen ins Serum; unter der Einwirkung der Kohlensäure sollte sich nämlich in den Blutkörperchen auf Kosten des Hämoglobinalkalis zum Teil doppeltkohlen- saures Alkalı bilden, das ins Serum hineindiffundierend die Alkaleszenz ver- mehrtee Zuntz’ Versuche sind von allen späteren Untersuchern bestätigt worden; seine Erklärung mußte aber Modifikationen erleiden, als Gürber‘) durch quantitative Alkalibestimmungen am Serum und an den Blutkörperchen nachwies, daß das Kali unter der Einwirkung der Kohlensäure nicht aus den Blutkörperchen austritt. Die Verteilung der Alkalien im Blute bleibt im Gegenteil bei der Sättigung mit Kohlensäure unverändert. — Der Zuwachs von Alkali im Serum muß daher anders erklärt werden. Gürber nimmt an, daß der Vorgang in einer Umsetzung unter Kohlensäure und C1Na bestehe, bei der die durch Massenwirkung gebildete Salzsäure fortwährend in die Blutkörperchen einwandere und hier gebunden werde, während das gebildete kohlensaure Salz im Serum verbleibe; diese Ansicht wird von Petry) unter- stützt. Nach Köppes Auffassung beruht der Vorgang auf einer Wanderung freier Kohlensäureionen aus den Blutkörperchen, wo sich unter der Einwir- kung der Kohlensäure zum Teil dissoziiertes kohlensaures Alkali gebildet !) Beiträge zur Physiologie des Blutes, Inaug.-Dissert., Bonn 1868, und Her- manns Handb. 4, 64, 1882. — ?) Zeitschr. f. Biol. 1891, 8. 405. — ?) Osmotischer Druck 1, 266, 1902. — *) Hofmeister, Beiträge 3, 260, 1902. — °) Sitzungsber. d. phys.-med. Ges. zu Würzburg 1895, 8. 28. — °) 1. c. 8, 25. FRE BEN NEN Absorption von Stickstoff. im Blute. 217 habe, in das Serum während gleichzeifigen Eindringens äquivalenter Mengen von Chlorionen aus dem Serum in die Blutkörperchen. Die alkalische Reaktion im Serum entstehe nun dadurch, daß das dissoziierte Wasserstoff- ion sich mit dem Kohlensäureion verbinde und die Menge der freien Hydroxyl- ionen hierdurch vermehrt werde. Diese Fragen, die in allgemein biologischer Beziehung mit bedeutendem Interesse verknüpft sind, konnten wir hier nur in Kürze berühren und müssen im übrigen auf die eingehende Behandlung verweisen, die ihnen in Hamburgers!) Handbuche zuteil wird. Es geht aus denselben aufs neue hervor, wie wichtig es ist, die durch das Studium isolierter Stoffe errungenen Erfahrungen fortwährend durch Versuche am Gesamtblute zu kontrollieren, wo die gleichzeitige Wechselwirkung mehrerer Vorgänge gar leicht die Resultate jedes einzelnen Umsatzes modifiziert, eine Wahrnehmung, zu der unter anderem das Studium der Sauerstoffbindung im Blute reichliche Gelegenheit darbot. III. Stickstoff und Argon. Stickstoff. Der größere Teil des Stickstoffs, derin dem im Organismus zirkulierenden Blute oder in Blut, welches in vitro mit atmosphärischer Luft gesättigt wird, enthalten ist, findet sich einfach gelöst und das Henrysche Gesetz be- folgend; die Stickstoffmenge des Blutes ist aber doch stets deutlich größer als diejenige, die ein ebenso großes Volumen Wasser unter den- selben äußeren Verhältnissen in sich aufnimmt. Dieses Verhalten, das uns zeigt, daß ein Teil der Stickstoffabsorption nicht von einfacher phy- sikalischer Lösung herrührt, beobachtet man stets, auch bei Anwendung der neueren Modifikationen der Quecksilberpumpe, wo die Dichtigkeit inner- halb der hier in Betracht kommenden Zeiträume eine vollständige ist, wes- halb dasselbe nicht von dem Eindringen der äußeren atmosphärischen Luft während des Auspumpens herrühren kann, wenngleich diese Fehlerquelle für die älteren Analysen, wo die Zahlen für den Stickstoffgehalt oft höher sind, als wir-sie bei der Anwendung guter Methoden finden, gewiß eine große Rolle gespielt hat. Betrachten wir erst die Verhältnisse im zirkulierenden Blute; hier fanden wir im Durchschnitt von 16 Versuchen (S. 82) die Stickstoffmenge des Arterienblutes und die des Venenblutes gleich 1,20, bzw. 1,26 Vol.-Proz. Da der Stickstoff 79 Proz. der atmosphärischen Luft beträgt, ist sein Partial- druck in der Alveolenluft 79 Proz. des Totaldruckes, der nach Abzug der Wasserdampftension auf etwa 710mm anzusetzen ist. Bei einem solchen Partialdrucke und einer Temperatur von 38° würden 100cem Wasser, dessen Absorptionskoeffizient für Stickstoff bei dieser Temperatur 0,0122 ist, 0,90 ccm N, aufnehmen, also um nicht unbedeutend weniger als die tatsäch- . lich im Blute enthaltene Menge; der Unterschied ist in Wirklichkeit übrigens noch größer als der hier erscheinende, denn der Absorptionskoeffizient des Blutes beträgt nur 92 Proz. von dem des Wassers (S. 62, und das Blut würde unter den genannten physikalischen Verhältnissen daher nur 0,83 Vol.- !) Osmotischer Druck und Ionenlehre 1 (1902). 118 Absorption von Stickstoff im Blute. Proz. als einfach gelösten Stickstoff aufnehmen. Die Differenz zwischen 1,23 und 0,83 oder 0,4 ccm ist also auf andere Weise aufgenommen. Das Vorhandensein dieses Überschusses an Stickstoff im zirkulierenden Blute ist keiner besonderen biologischen Tätigkeit zu verdanken, denn das außerhalb des Organismus mit atmosphärischer Luft gesättigte Blut zeigt ganz dasselbe Verhalten. Im folgenden werden wir die Absorp- tion im Blute überall mit derjenigen vergleichen, die unter denselbenäußeren Verhältnissen in Wasser stattfinden würde; die Differenz wird dann frei- lich ein wenig kleiner, als wenn wir, wie oben, die physikalische Absorption im Blute mittels des speziellen Absorptionskoeffizienten dieser Flüssigkeit berechnen, dafür werden wir aber nur mit lauter experimentellen Tatsachen zu tun haben. — Bestimmungen des Stickstoffgehaltes des Blutes nach Sättigung mit atmosphärischer Luft wurden angestellt von Jolyet u. Sigalas!) mit dem Ergebnis, daß das Blut etwa 0,7 Vol.-Proz. Stickstoff mehr aufnimmt als das Wasser. Unter zahlreichen Versuchen, die ich über dieses Thema auszuführen die Gelegenheit hatte, und die ohne Ausnahme in derselben Richtung gehende Resulate ergaben, führe ich als Beispiele?) an: Vol.-Proz. Stickstoff nach Sättigung mit atmosphärischer Luft. Zimmertemperatur: In Wasser Differenz In :Behsenblut.., sr 2-2 00. Be EN 1,76 1,93 0,43 InHandeblut za we Re 1,98 1,32 0,66 In Hagdebliut2..I27. 2 2,2 1ER RR TUR HIT 1,65 1,33 0,32 In demselben Blute, das nach Auspumpen aufs neue mit Luft gesättigt wurde... .. 1,64 1,33 0,51 Wie man sieht, kann die Differenz nicht so gar wenig schwanken; durch- schnittlich nahm das Blut in diesen Versuchen im NERBUIRRR mit Wasser etwa 0,5 Vol.-Proz. mehr Stickstoff auf. Teilt man das Blut in Plasma und Blutkörperchen, so erweist es sich, daß die besprochene Stickstoffabsorption des Blutes von den Blut- körperchen, nicht aber vom Plasma herrührt; letzteres nimmt Stickstoff zunächst wie das Wasser auf, während die in physiologischer Chlornatrium- lösung suspendierten Blutkörperchen ganz dasselbe Verhalten zeigen wie das Gesamtblut. Man möchte deshalb geneigt sein, wie Jolyet und Sigalas}?), anzunehmen, die Zunahme der Stickstoffabsorption beruhe auf Adsorption des Gases an die Blutkörperchen, in Ähnlichkeit damit, was überhaupt statt- findet, wenn pulverförmige Partikelchen in einer Flüssigkeit suspendiert sind. Ich*) habe indes nachgewiesen, daß der Grund ein anderer ist, indem die Be- dingung für die Entwickelung der Erscheinung nicht die Integrität der Blut- körperchen ist, sondern das Vorhandensein des Blutfarbstoffes; zugleich muß das Gasgemisch außer Stickstoff auch Sauerstoff enthalten. Dies geht aus folgenden Beobachtungen hervor, die wir der Übersicht wegen in zwei Ab- teilungen gruppieren. %) Compt. rend. 114, 686, 1892. — ?) Bohr, ebenda 124, 414, 1897. — )L.e.— le. ' bi u a = FE ee En “ a Absorption von Stickstoff im Blute. 119 1. Gelöste Blutkörperchen oder eine Lösung kristallinischen Hämo- globins nimmt bei Sättigung mit atmosphärischer Luft einen ganz ähnlichen Überschuß von Stickstoff auf wie das Blut selbst. Beispiel: Vol.-Proz. Stickstoff nach Sättigung mit atmosphärischer Luft. Zimmertemperatur. In Wasser ı Differenz | In 12,4 proz. Hämoglobinlösung. . ». ..... | 1,87 1,33 0,55 In 10,0 proz. Hämoglobinlösung. . . ..... 1,78 1,34 0,44 | Es findet also in Hämoglobinlösungen von fast demselben Gehalte wie das Blut eine Aufnahme von etwa 0,5 ccm mehr Stickstoff statt, als Wasser aufnehmen würde. 2. Außer dem Vorhandensein von Blutfarbstoff ist es für die Entstehung der besprochenen Zunahme der Absorption von Stickstoff erforderlich, daß die Gasmischung, mit der gesättigt wird, außer Stickstoff auch Sauerstoff ent- hält. Stickstoff allein, er möge nun chemisch rein oder als argonhaltiger atmosphärischer Stickstoff zur Anwendung kommen, wird sowohl vom Blute als von Hämoglobinlösungen in fast genau. derselben Menge aufgenommen wie vom Wasser. Beispiel: Vol.-Proz. Stickstoff. Proben desselben Ochsenblutes. Zimmertemperatur. 1} .| | | Blut Wasser | Differenz Sättigung mit sauerstoffhalt. atm. Luft . | 1,76 1,33 | 0,43 * „ themisch reinem Stickstoff | 1,65 1,63 | 0,02 r „ atm. (argonhalt.) % | 1,63 1,60 | 0,03 | Auf besonders prägnante Weise läßt sich dasselbe Verhalten absorptio- metrisch nachweisen, indem man erst die Absorption reinen Stickstoffs in einer Hämoglobinlösung bestimmt, darauf Sauerstoff zusetzt und die Stick- stoffabsorption aufs neue untersucht; hierüber müssen wir aber auf die originale Abhandlung verweisen !). Es ist also das gleichzeitige Vorhandensein des Hämoglobins und des Sauerstoffs, das die gesteigerte Stickstoffabsorption im zirkulierenden oder in dem außerhalb des Organismus mit atmo- sphärischer Luft gesättigten Blute bedingt. Da ein Teil des Stickstoffs nicht einfach gelöst ist, wird es auch nicht wahrscheinlich, daß die Absorption von Stickstoff im Blute das Henrysche Gesetz genau befolge. Dies geht denn auch aus folgenden, bisher nicht veröffentlichten Versuchen hervor. In einer 13,3 proz. Hämoglobinlösung findet man bei 38° und einem Drucke von 560mm N, und 140mm 0, 1,12 Vol.- Proz. N, absorbiert; die berechnete physikalisch gelöste Menge beträgt 0,82 Vol.-Proz., der Überschuß mithin 0,30. Dieselbe Lösung absorbiert bei ") Bohr, L. e. 8. 416. 120 Absorption von Stickstoff, Argon und Kohlenoxyd im Blute. einem Drucke von 70mm N, und 17,5 mm 0, 0,29 Vol.-Proz. -N,; die be- rechnete physikalisch gelöste Menge ist 0,13 Vol.-Proz., der Überschuß also 0,16; der Überschuß sinkt somit nicht einmal bis auf die Hälfte, wenn der Absorptionsdruck bis auf !/, vermindert wird. Die überschüssige Menge Stickstoff ist daher zwar von dem Drucke abhängig, wie wir vorher wissen konnten, da sie sich ja auspumpen läßt; sie ist demselben aber bei weitem nicht proportional, indem bei niederen Drucken relativ mehr Stickstoff aufgenommen wird. Unter welcher Form dieser Überschuß an Stickstoff sich im Blute auf- genommen findet, weiß man nicht; vielleicht ist derselbe, da Sauerstoff ja notwendig ist, damit der Vorgang eintreten kann, als leicht spaltbare Stick- stoffoxyde vorhanden, die dann schon während des Auspumpens dissoziiert würden; es gelang mir nämlich nicht, in dem ausgepumpten Gase Stickstoff- oxyd nachzuweisen. Argon Regnard und Schloessing!) bestimmten die Menge des Argons im zirkulierenden Venenblute (des Pferdes) als 0,042 Vol.-Proz., und ich fand im Venenblute eines Hundes, das direkt in die Pumpe gebracht wurde, in einem bisher nicht veröffentlichten Versuche eine ähnliche Zahl, nämlich 0,053 Vol.-Proz. Da die Menge des Argons in der Atmosphäre 0,94 Proz. und sein Absorptionskoeffizient?) bei 380 — 0,0294 ist, steht zu erwarten, daß im Blute nur 0,026 Vol.-Proz. absorbiert werden, wenn der Totaldruck in der Lunge auf 710 mm angesetzt wird. Das Blut enthält also mehr Argon, als es bei Sättigung mit einer Atmosphäre vom Druck und von der Zu- sammensetzung der Alveolenluft physikalisch lösen würde. Anders verhielt es sich, wenn das Blut außerhalb des Organismus untersucht wurde; dann ist gerade ebensoviel Argon aufgenommen, als der Berechnung nach unter den betreffenden Bedingungen einfach gelöst sein sollte; so in Regnard und Schloessings Versuchen über die Sättigung des Blutes mit reinem Argon bei 38°. Für Blutkörperchen, die in physiologischer Cl Na-Lösung suspendiert waren, fand ich, daß bei Sättigung mit atmosphärischer Luft in Zimmertemperatur ebenfalls so viel Argon aufgenommen wurde, als einer einfachen Lösung entspricht. Regnard und Schloessing äußerten die - Vermutung, der größere Argongehalt des zirkulierenden Blutes sei vielleicht der Alveolarmembran zu verdanken; Sicheres über die Ursache der gefundenen Erscheinungen schließen zu wollen, wäre nach den vorliegenden Versuchen einstweilen zu gewagt. IV. Das Kohlenoxyd. Die Bedeutung, die das Studium der Kohlenoxydintoxikation für mehrere wichtige Seiten der Respirationslehre hat, macht es zur Notwendigkeit, die Bindungsverhältnisse des Kohlenoxyds im Blute hier näher zu betrachten. Claude Bernard?) wies. nach, daß das Kohlenoxyd ein Blutgift ist, und erklärte in den Hauptzügen dessen Wirkungen, indem er feststellte, daß es eine Verbindung mit den roten Blutkörperchen eingeht und hierdurch deren !) Compt. rend. 124, 302, 1897. — ?) Estreicher, Zeitschr. f. physik. Chem. 21, 84, 1899. — °?) Lecons sur les effets des substances toxiques. 1857. N 1 gelun - Ae E B a a ir I sul 3 Se De a u Bi he ec ee Absorption von Kohlenoxyd im Blute. 121 Funktion als Sauerstoffträger hemmt. Aus seinen Untersuchungen im Verein mit Hoppe-Seylers!) und Lothar Meyers?) Arbeiten über die Bindung des Kohlenoxyds im Blute geht hervor, daß dieses Gas imstande ist, den Sauerstoff aus seiner Verbindung mit dem Blutfarbstoffe auszutreiben, und daß diese Austreibung dadurch geschieht, daß das Kohlenoxyd selbst eine Verbindung mit dem Farbstoffe schließt, indem 1 Vol. Kohlenoxyd 1 Vol. Sauerstoff ersetzt. Die Verbindung des Farbstoffes mit Kohlenoxyd be- trachtete man anfangs als eine feste, die mithin anderer Natur sei als die leicht spaltbare Sauerstoffverbindung. Als darauf aber Eulenburg’) und später Donders) gezeigt hatten, daß das Kohlenoxyd sich schon durch Hindurchleiten von Sauerstoff oder sogar durch Hindurchleiten eines indiffe- renten Gases dem Blute entziehen läßt, stellte Donders (l. c.) die Ansicht auf, die Verbindung des Blutfarbstoffes mit Kohlenoxyd sei der Sauerstoff- verbindung ganz analog, und rücksichtlich beider Verbindungen sei die Stabilität von dem hinlänglichen Partialdruck des betreffenden Gases in der umgebenden Atmosphäre abhängig. Die Kohlenoxydverbindung spalte sich aber weniger leicht als die Sauerstoffverbindung, so daß mit Bezug auf das Kohlenoxydhämoglobin die Herstellung weit niederer Spannungen notwendig sei, um das Gas in beträchtlicherem Maße frei zu machen, als dies mit den Sauerstoffverbindungen der Fall sei. Von dieser ganzen Betrachtungsweise aus sei nun zu schließen, daß das Kohlenoxydhämoglobin sich im Vakuum voll- ständig spalten lasse — was Zuntz ?) auch kurz darauf nachwies. Donders ist also der erste, der die Farbstoffverbindungen des Kohlenoxyds und des Sauer- stoffs richtig als dissoziable auffaßte und die Vorgänge bei deren Spaltung auf die allgemeinen Gesetze für reversible chemische Massenwirkungen zurück- führte. Hieraus folgt natürlich, daß unter Umständen sowohl das Kohlenoxyd den Sauerstoff als auch letzteres Gas das Kohlenoxyd aus der Verbindung aus- treiben kann, je nachdem die Partialdrucke sich zueinander verhalten, eine Frage, die später mehr detailliert von Hüfner‘) behandelt wurde. Die Kenntnis der numerischen Werte für die Teilung des Blutfarbstoffes unter ‘ die beiden Gase, wenn.diese in Mischung vorkommen, ist von großer Wichtig- keit für das Verständnis des Verhaltens des Blutes während der Kohlenoxyd- intoxikation und wird deshalb später näher behandelt werden, nachdem wir zuvor einen Überblick über die Absorption des Kohlenoxyds im Blute gegeben haben, wenn außer diesem Gase nur indifferente Gase vorhanden sind. Es sind zahlreiche Versuche angestellt worden, wo die Zusammen- setzung des zirkulierenden Blutes nach Einatmung kohlenoxydhaltiger Gas- mischungen in der hier besprochenen Beziehung untersucht wurde; so außer von Cl. Bernard besonders von Grehant, de Saint-Martin, Haldane und Lorrain-Smith. In späteren Abschnitten werden wir einige dieser Versuche, die für .die allgemeine Respirationslehre von Bedeutung sind, näher diskutieren; hier haben wir vorläufig nur mit der direkten Einwirkung des Kohlenoxyds auf das Blut ohne Dazwischenkunft des Organismus zu tun, so wie dieselbe sich unter geeigneten Bedingungen in vitro erweist. !) Virchows Archiv 2 (1857); 29 (1863). — ?) Zeitschr. £. rationelle Med. 5, 83, 1859. — °) Lehre von den schädlichen u. giftigen Gasen 1865, 8. 53. — *) Pflügers Arch. 5, 20, 1872. — °) Ebenda 5, 584, 1872. — °) Journ. f. prakt. Chem. 28, 256, 1883; 30, 68, 1884. 122 Absorption von Kohlenoxyd im Blute. Absorption von reinem oder mit indifferenten @asen gemischtem Kohlenoxyd. Der Blutfarbstoff bindet in maximo ebensoviel Kohlenoxyd, als er Sauer- stoff aufzunehmen vermag, wenn er mit diesem Gase allein gesättigt wird. Dies wies Lothar Meyer (l. c.) nach; hier werden als Beispiel einige Ver- suche von J. Bock!) angeführt, bei denen die Absorption nach einer exakten Methode (Bohrs Absorptiometer) sowohl für reines Kohlenoxyd als für Sauer- stoff in vollständig evakuierten Hämoglobinlösungen untersucht wurde. Es kamen so hohe Drucke zur Anwendung, daß die Sättigung mit Kohlenoxyd, praktisch genommen, eine völlige war; hinsichtlich des Sauerstoffs wurde der Sauerstoffdruck der Atmosphäre RER bei dem die Sättigung des Hämo- globins zwar ungefähr, aber nicht völlig die maximale ist. Die aufgenommene Gasmenge ist deshalb, was den Sauerstoff betrifft, ein wenig geringer (um etwa 3 Proz. des Wertes). Das Hämoglobin war aus Ochsenblut und stammte von zwei verschiedenen Darstellungen her. I 1: Spannung Absorb. Spannung | Absorb. prog pro g Kohlenoxyd . 115 1,24 Kohlenoxyd . 119 1,22 Sauerstoff . . 150 1,20 Sauerstoff . . 150 1,19 Das Kohlenoxyd und der Sauerstoff werden, wie genannt, beide an das Hämoglobin gebunden. Schon dem bisher Angeführten zufolge ist es höchst wahrscheinlich, daß die Bindung auch in demselben Teile des Moleküls stattfindet. Direkt nachgewiesen wurde dies von Hoppe-Seyler?), der beobachtete, daß auch das Kohlenoxyd an den eisenhaltigen Teil des Moleküls gebunden wird, indem das vom Hämoglobin abgespaltene Hämochromogen in einer CO-Atmosphäre dasselbe Volum CO aufnimmt, das es in Berührung mit atmosphärischer Luft von Sauerstoff absorbiert, welches Volum ja wieder mit dem vom undekomponierten Hämoglobin in maximo gebundenen identisch ist. Wir finden deshalb auch, mit Ausnahme der numerischen Werte für das Verhältnis zwischen den aufgenommenen Mengen und den Spannungen, daß die Bindung des Kohlenoxyds im Blute der Bindung des Sauerstoffs im ganzen völlig analog stattfindet. So absorbiert das Plasma Kohlenoxyd einfach physikalisch, also der Spannung proportional, und in ein wenig geringerer Menge, als unter identischen Bedingungen dasselbe Volum Wasser absorbieren würde; hat das Blut Kohlenoxyd absorbiert, so ist daher allgemein der weit überwiegende Teil an die Blutkörperchen gebunden, und zwar von der Spannung abhängig, nicht aber derselben proportional. Ferner ist die Spannungskurve des Kohlenoxyds (wo die Abszissen die CO-Spannungen, die Ordinaten die absorbierten CO-Mengen sind) verschieden für Hämoglobin- lösungen verschiedener Konzentration, so wie es auch rücksichtlich des Sauer- stoffs der Fall war. Endlich sind auch die pro Gewichtseinheit Blutfarbstoff !) Die Kohlenoxydintoxikation. f. physiol. Chem. 13, 493, 1889. Kopenhagen 1895, 8. 38 bis 39. — °) Zeitschr. | 2 hi F h E 4 m . Spannungskurve des Kohlenoxyds in Hämoglobinlösung. 123 in maximo aufgenommenen Kohlenoxydmengen nicht konstant, sondern können individuell variieren, so daß wir den Begriff der „spezifischen Kohlen- oxydkapazität“ der spezifischen Sauerstoffkapazität (S. 93) analog aufstellen müssen. Das Verhältnis zwischen der Spannung und den aufgenommenen (0 O- Mengen. Während zahlreiche Versuche vorliegen, welche dartun, daß die Verbindung des Kohlenoxyds mit dem Farbstoff sich erst in bedeutenderem Grade spaltet, wenn die Spannung sehr gering wird, gibt es nur wenige Ver- suchsreihen, wo das Verhältnis der aufgenommenen Mengen zur Spannung in weiterem Umfange genau untersucht wurde. Die meisten der vorliegenden Versuche sind obendrein mit Hämoglobinlösungen unternommen worden; in betreff des Blutes-.sind die Aufschlüsse noch spärlicher. Die Spannungskurve läßt sich deshalb vorläufig nur für das Hämoglobin feststellen; mit dieser werden wir später einige einzelne mit Bezug auf das Blut selbst vorliegende Bestimmungen vergleichen. Mit Hämoglobinlösungen hat Bock!) Versuche angestellt nach der absorptiometrischen Methode, die in genauer Ausführung eben zur Bestimmung der Absorption bei so niedrigen Drucken wie den hier in Frage stehenden vor- züglich ist. Untenstehende Tabelle (I) über Ochsenhämoglobin (Konzentration etwa 9 Proz.) bei 20° ist mittels graphischer Interpolation aus zwei Ver- suchsreihen hergeleitet; die.in maximo aufgenommene Menge Kohlenoxyd (1,23 cem pro Gramm) ist gleich 100 gesetzt. } I. :Ochsenhämoglobin, 20° Hundehämoglobin, 37° Spannung Proz. Sättigung Spannung | Proz. Sättigung mm mit CO mm | mit CO 0,25 44 0,22 22 0,5 84 0,57 62 1,0 94 10,78 97 1,5 97 92,17 100 2,0 97,5 5 98,5 20. 99 100 100 Bocks Versuche bei Körpertemperatur wurden an Hundehämoglobin (Konzentration etwa 8 Proz.) angestellt; sie sind in obiger Tabelle (II) an- geführt. Ein Vergleich mit den Zahlen für Ochsenhämoglobin bei 20° zeigt, daß in maximo freilich bei beiden Temperaturen dieselbe Menge CO auf- genommen wird (bei 37,6° wurden pro Gramm 1,22ccm aufgenommen), daß bei niedrigen Drucken jedoch verhältnismäßig bedeutend weniger gebunden wird, wenn die Temperatur höher ist, in Analogie mit den Verhältnissen bei der Sauerstoffbindung. Hüfners?) Versuch über die Dissoziation des Kohlenoxydhämoglobins wurde mit einer etwa 11 proz. Lösung und bei 32,7% ausgeführt, in der Weise, ') Zentralbl. f. Physiol. 8, 385, 1894 u. Über Kohlenoxydintoxikation. 1895, S. 30. — ?) Arch. f. Physiol. 1895, $. 213. 124 Spannungskurve des Kohlenoxyds in Hämoglobinlösungen und im Blute, daß die Werte unter angenommener Gültigkeit einer aufgestellten Dissoziations- formel, deren Konstanten man übrigens experimentell (spektrophotometrisch) zu bestimmen suchte, berechnet sind. Die gefundenen Resultate weichen etwas von Bocks oben angeführten ab, indem Hüfner bei etwa 33° für das Ver- hältnis der Spannung zur gebundenen Menge zunächst dieselben Werte findet wie Bock bei einer Temperatur von etwa 20°. Haldane!) und später Haldane und Smith?) haben mittels der kolori- metrischen Methode die prozentige Kohlenoxydsättigung von Blutlösungen untersucht, die mit Mischungen von Wasserstoff und Kohlenoxyd, in welchen die Menge des letzteren Gases variierte, geschüttelt wurden. In der letzten Versuchsreihe wurde bei 37° und 0,0044 Proz. CO in der Gasmischung (etwa 0,031 mm CO-Spannung) eine Sättigung von 80 Proz., bei 15° und 0,0047 Proz. CO, (etwa 0,035 mm Spannung) eine solche von 98 Proz. gefunden. Die derselben CO-Spannung entsprechenden Sättigungsprozente wurden also in diesen Versuchen viel höher befunden als in den oben angeführten Bestim- mungen von Bock. Von unvollständiger Sättigung kann bei Bocks Ver- suchen, wo das Eintreten des Gleichgewichtszustandes durch die stetige genaue Ablesung des Druckes während des Versuches kontrolliert wurde, keine Rede sein, und Haldane und Smith bezeichnen ihre Resultate aus- drücklich als eher zu niedrig. Der scheinbare Widerstreit zwischen den Resultaten der beiden Versuchsreihen muß daher in den sehr verschiedenen Konzentrationen des Blutfarbstoffes, welche in ihnen zur Anwendung kamen, gesucht werden; bei den Versuchen von Bock war die Konzentration etwa 8 Proz., bei denjenigen von Haldane und Smith etwa 0,15 Proz., indem eine 1 proz. Blutlösung benutzt wurde. Daß die Spannungskurve in den letztgenannten Versuchen, wo die Verdünnung etwa 50 mal größer ist, be- deutend höher liegt, ist nur, was erwartet werden konnte nach den Resultaten, welche oben betreffs des Einflusses der Konzentration auf die analogen Sauer- stoffverbindungen (Oxyhämoglobin) gefunden wurden. (Es mag vielleicht am Platze sein, schon hier ausdrücklich hervorzuheben, daß die Konzentration der Lösung keinen nachweislichen Einfluß auf die Verteilung des Farb- stoffes unter Sauerstoff und Kohlenoxyd hat, wenn diese beiden Gase gleich- zeitig einwirken; dieses, was von Haldane und Smith experimentell nach- gewiesen wurde, ist in Übereinstimmung damit, daß die Konzentration in solcher Weise in die analogen Gleichungen für die Sauerstoff- und Kohlenoxyd- verbindungen eingeht, daß sie aus der Gleichung für das Verhältnis zwischen den gleichzeitig gebundenen Mengen der zwei Gase eliminiert werden kann). Spezifische Kohlenoxydkapazität. Da der Blutfarbstoff bei völliger Sätti- gung mit Kohlenoxyd dasselbe Quantum Gas aufnimmt wie bei Sättigung mit Sauerstoff, muß die spezifische Kohlenoxydkapazität (Sp. CO) oder die für 1g Eisen aufgenommene Anzahl Cubikcentimeter CO denselben numerischen Wert haben wie die spezifische Sauerstoffkapazität (S. 102), und ähnliche Schwankungen, wie wir sie an letzterer fanden, müssen sich auch mit Bezug auf Sp. CO nachweisen lassen. Dies geht denn auch aus Bocks Ver- suchen) hervor, von denen wir hier folgenden anführen. Aus Ochsenblut !) Journ. of Physiol. 18, 452, 1895. — °) Ebenda 22, 253, 1898. — ®) Die Kohlenoxydintoxikation. Kopenhagen 1895, 8. 39. EU Tv Spezifische Kohlenoxydkapazität. 125 wurde unkristallisiertes und kristallisiertes Hämoglobin dargestellt (s. S. 95), und man bestimmte sowohl Sp. O als Sp. CO; man fand: Unkrist. Hämoglobin | Krist. Hämoglobin | Differenz U VOR 352 317 35 TER RTL | 340 308 32 Hieraus ergibt sich sowohl die Übereinstimmung der Sp. O mit der Sp. CO in derselben Probe als auch die Schwankungen der Sp. CO (und der Sp. O) nach der verschiedenen Darstellungsweise des Hämoglobins. — Unten- stehende Versuche!) zeigen das Schwanken der Sp. CO im Blute desselben Individuums während verschiedener Zustände. Einem Hunde wurden. mit Zwischenraum von drei Tagen zwei Blutproben entnommen; darauf ein Ader- laß und Infusion einer CINa-Lösung und hiernach eine dritte Blutprobe. Aus allen drei Proben wurde das Hämoglobin dargestellt, und in Lösungen des- selben bestimmte man den spezifischen Kohlenoxydgehalt. Das Resultat war: Hämoglobin Nr. 1 ergab Sp. CO — 389, Nr. 2 Sp. CO = 381, Nr. 3 Sp. CO — 347. Der Blutverlust hatte also die spezifische Kohlenoxydkapazität ab- geändert. Auch wenn die aufgenommene Menge Kohlenoxyd im Verhältnis zum Trockengewichte des Hämoglobins anstatt des Eisens berechnet wird, erhält man Schwankungen bei verschiedenen Individuen. Wir führen diesbezüglich eine Versuchsreihe von Bock (l. c. S. 27) an, die absorptio- metrisch ausgeführt wurde; in sieben Versuchen fand man hier pro Gramm Hämoglobin CO-Mengen, die zwischen 1,18 und 1,37 schwankten. Zu ähn- lichen Resultaten ist später nach einer anderen Methode auch Hüfner?) ge- kommen. Diese Resultäte waren natürlich nach den über den spezifischen Sauer- stoffgehalt vorliegenden Aufschlüssen sämtlich zu erwarten und enthalten die Bestätigung derselben; selbstverständlich sind sie mit Bezug auf Sp. CO ebenso zu erklären wie mit Bezug auf Sp. O (s. S. 100). Absorption einer Mischung von Kohlenoxyd und Sauerstoff. In einer Mischung der beiden Gase wird der Farbstofi, wie bereits erwähnt, teils mit dem Sauerstoff und teils mit dem Kohlenoxyd Verbindungen eingehen; diese Verbindungen werden sich in Mengen bilden, deren gegen- seitiges Verhältnis außer von dem numerischen Wert ihrer Dissoziations- konstanten von den Partialdrucken des Sauerstoffs und des Kohlenoxyds in der angewandten Mischung bedingt ist. Zugleich wird indes stets, da es sich hier um Dissoziationsvorgänge handelt, reduziertes Hämoglobin in der Lösung vorhanden sein. Die Menge des reduzierten Hämoglobins wird nur un- bedeutend sein, wenn entweder die Kohlenoxyd- oder die Sauerstofispannung oder beide Spannungen verhältnismäßig hoch sind, und in solchen Fällen verläuft der Prozeß wesentlich so, als ob nur Oxyhämoglobin und Kohlen- oxydhämoglobin vorhanden wären; die ganze Menge des Hämoglobins teilt !) Bock, l. c. 8. 40. — ?) Arch. f. Physiol. 1903, S. 222. 126 Absorption einer Mischung von Kohlenoxyd und Sauerstoff im Blute. sich dann unter Sauerstoff und Kohlenoxyd den Partialdrucken dieser Gase proportional. Sind die Spannungen dagegen hinlänglich niedrig, so wird die Menge des reduzierten Hämoglobins beträchtlich sein können, und in solchen Fällen müssen wir bei der Berechnung der prozentigen Menge des Oxyhämo- globins oder des Kohlenoxydhämoglobins notwendigerweise die Menge des gleichzeitig reduzierten Hämoglobins berücksichtigen (s. S. 76). Im ganzen wird die Feststellung der Verteilung des Farbstoffes unter Sauerstoff und Kohlenoxyd bei gegebenen Spannungen zweifelsohne mit größerer Sicherheit durch direkte Versuche geschehen können als durch Berechnung mittels einer Massenwirkungsformel, wo mögliche Fehler der Konstanten und besonders die Möglichkeit nicht in Betracht gezogener Nebenprozesse Unsicherheit bewirken. Eine solche Versuchsreihe, wo jeder einzelne Wert direkt bestimmt wurde, führten Haldane und Smith!) folgendermaßen aus. Eine 1 proz. Blutlösung wurde mit einer Mischung atmo- sphärischer Luft und variierend prozentiger Kohlenoxydmenge geschüttelt, worauf die prozentige Menge des Kohlenoxydhämoglobins mittels der von den Verfassern angegebenen kolorimetrischen Methode?) bestimmt wurde. Die angewandte Temperatur war gewöhnlich die Zimmertemperatur, indem spezielle Versuche gezeigt hatten, daß das Verhältnis sich nicht änderte, wenn Körper- temperatur angewandt wurde. Ein der graphischen Darstellung in der zitierten Abhandlung (l. c. S. 233) entnommener Auszug der Resultate wird unten tabellarisch angeführt. Die Spannung des Kohlenoxyds ist angegeben als die in der Gasmischung enthaltenen prozentigen Kohlenoxydmengen, wenn der Totaldruck 760 mm beträgt. Der Druck des Sauerstoffs ist überall nahezu derselbe (etwa 155 mm). Die des Vergleichs wegen angeführte Tabelle über Hüfners Resultate wird unten näher zur Besprechung kommen. Mischung von atmosphärischer Luft und Kohlenoxyd. Haldane und Smith N Hüfner r% ı Proz. Sättigung Proz. Sättigung Proz. CO | mit CO Proz. CO mit CO 0,025 27 0,05 27,0 0,05 42 0,10 42,4 0,10 59 0,20 59,5 0,20 74 0,40 74,7 0,30 81 0,60 81,6 0,40 85 0,80 85,5 0,50 88 1,00 88,1 Die Tabelle gibt, wie gesagt, den Einfluß der Kohlenoxydspannung auf die Sättigung des Farbstofis an, wenn der gleichzeitige Sauerstoffdruck wie der der atmosphärischen Luft ist; ist der Sauerstoffdruck höher, so wird bei derselben Kohlenoxydspannung natürlich weniger Kohlenoxyd gebunden und umgekehrt. Haldane und Smith untersuchten, ob das Vorhandensein von Kohlen- säure auf die partielle Sättigung mit Kohlenoxyd unter sonst gleichen Um- !) Journ. of Physiol. 22, 231, 1898. — ?) Ebenda 20, 502, 1896. " R P 3 EEE TEURENT Absorption einer Mischung von Kohlenoxyd und Sauerstoff im Blute. 127 ständen Einfluß übe!); sie fanden, daß das innerhalb der von ihnen unter- suchten Grenzen nicht der Fall war. Dies stand nun auch nicht zu erwarten nach dem, was wir oben (S. 91) über den Einfluß der Kohlensäure auf das Verhältnis der Sauerstoffspannung zur absorbierten Sauerstoffmenge bemerkten. Ist die Sauerstoffspannung wie in Haldane und Smiths hierher gehörendem Versuche eine hohe (etwa 16 Proz.), so wird die Kohlensäure nämlich keinen nachweisbaren Einfluß auf die Bindung des Sauerstoffs haben. Anders mag sich das Verhältnis möglicherweise bei niederer Sauerstoffspannung stellen, wo die Kohlensäure entschiedenen Einfluß auf die Dissoziation des Oxyhämo- globins übt; ob hier die Verteilung des Farbstoffs unter den Sauerstoff und das Kohlenoxyd unverändert bleibt, wird davon abhängen, ob die Kohlen- säure die Dissoziationskonstante der Kohlenoxydverbindung proportional ‚mit der der Sauerstoffverbindung ändert; dies ist übrigens recht wahrscheinlich, . da anzunehmen ist (s. S. 70), daß die Wirkung der Kohlensäure auf einer Änderung der Bindung zwischen dem eisenhaltigen und dem eisenfreien Teile des Hämoglobinmoleküls beruht. Eine solche Bindungsänderung könnte * wahrscheinlich die Dissoziation des Sauerstoffs und des Kohlenoxyds gleich viel verändern, Bestimmtes können wir hierüber aber nicht wissen, bevor direkte Versuche über die Frage vorliegen. - Hüfners?) Untersuchungen über die gleichzeitige Sauerstoff- und Kohlenoxydbindung des Hämoglobins wurden so ausgeführt, daß eine ver- dünnte, etwa 1 Proz. Blut enthaltende Blutlösung mit einer Gasmischung aus etwa 96 Proz. Sauerstoff und variierenden Mengen Kohlenoxyd geschüttelt wurde. Die relativen Mengen der Farbstoffverbindungen des Kohlenoxyds und des Sauerstoffs bestimmt man spektrophotometrisch und berechnet hier- aus die Konstante der benutzten Massenwirkungsformel. Diese Konstante ist nun zur Berechnung der prozentigen Sättigung des Farbstoffs mit Kohlenoxyd anzuwenden, wenn dieses sich in verschiedenen Mengen der atmosphärischen Luft beigemischt findet. Obschon die. direkte Bestimmung der einzelnen Werte, wie oben gesagt, gewöhnlich den Vorzug vor einer derartigen Berechnung verdient, sollte man doch in diesem Falle, wo die spektrophotometrische Methode vorzüglich gute Bedingungen findet, die einigermaßen gute Übereinstimmung der auf den zwei verschiedenen Wegen gewonnenen Resultate erwarten. Vergleicht man aber Hüfners Resultate mit Haldane und Smiths oben angegebenen Werten, so ist die Abweichung eine sehr bedeutende. Betrachtet man die oben angeführte Tabelle über die Resultate, so wird man indes leicht gewahren, daß eine merkwürdige Relation zwischen Haldane und Smiths und Hüfners Resultaten besteht, indem die letzteren überall den von Haldane und Smith für die halb so große Spannung des Kohlenoxyds gefundenen genau entsprechen; dies will mit anderen Worten heißen, daß das Verhältnis zwischen der Dissoziationskon- stante der Kohlenoxydverbindungen und der des Oxyhämoglobins in Hüf- ners Versuchen genau doppelt so groß befunden wurde als in Haldane und Smiths Untersuchungen. Was die Ursache hiervon sein kann, ist nicht leicht zu sagen; Versuchsfehler können wohl schwerlich zur Erklärung so umfangreicher und höchst gleichmäßiger Abweichungen in Betracht kommen. ») Journ. of Physiol. 20, 513, 1896. — ?) Arch. f. exp. Pathol. 1902, S. 87. 128 Zeitlicher Verlauf der Kohlenoxydabsorption. Man könnte an eine Änderung des Blutfarbstoffs in der starken Verdünnung denken, wodurch die Dissoziationskonstanten vielleicht geändert würden, in Analogie mit dem, was rücksichtlich der Sauerstoffverbindungen bei der Um- bildung des Hämochroms in Hämoglobin geschieht ($. 88); beide besprochene Versuchsreihen wurden aber bei fast derselben Konzentration angestellt, und Haldane und Smith haben gezeigt!), daß die Verdünnung an und für sich keine Änderung bewirkt. Einige Verschiedenheit bietet jedoch das Verfahren bei den beiden abweichenden Versuchsreihen dar. Haldane und Smith sättigten bei dem Sauerstoffdruck der Atmosphäre und sehr niedrigen CO- Spannungen; Hüfner sättigte mit fast reinem Sauerstoff und bei entsprechend hohen CO-Spannungen; ferner benutzte Hüfner kohlensaures Natron zur Verdünnung. Ob dieser Unterschied der wegen der hochgradigen Ver- dünnung leicht veränderlichen Lösung die Verschiedenheit zu bewirken ver- ‚mochte, muß dahingestellt bleiben. Wo im folgenden die gleichzeitige Bindung des Sauerstoffs und Kohlenoxyds an den Farbstoff in Betracht kommt, benutzen wir Haldane und Smiths Resultate als die auf direkterem Wege, gefundenen. Versuche über die gleichzeitige Aufnahme von Sauerstoff und Kohlen- stoff in dem unverdünnten Blute finden sich bei de Saint-Martin?). Diese geben in den Hauptzügen dieselben Resultate wie die früher be- sprochenen, indem man auch hier gewahrt, daß die Teilung des Farbstoffs von. dem Partialdruck der Gase abhängig ist; die einer gegebenen Spannung entsprechenden absorbierten CO-Mengen sind aber unter sonst gleichen Um- ständen bedeutend geringer. Möglicherweise ist die Sättigung mit Kohlen- oxyd trotz energischen Schüttelns des Blutes mit der Gasmischung eine weniger vollständige; es wurden nämlich 50cem Blut angewandt, deren Sättigung unter gewöhnlichen Verhältnissen lange Zeit beansprucht, wie folgende Entwickelung zeigt. Sowohl Bock (l. c. 8. 61) als Haldane und Smith (l. ec. 8. 512) bemerken, wie schwer es ist, ein vollständiges Gleichgewicht zu erzielen, wenn man Blut mit Kohlenoxyd von niedriger Spannung zu sättigen sucht. Man kann durch Einfüh- rung ‘ der Invasionskonstante für Kohlenoxyd (8. 61) das Minimum der zur Sättigung erforderlichen Zeit berechnen, wenn die Oberfläche der Flüssigkeit ge- geben ist. Ein Beispiel wird am besten zeigen, wie lange Zeit gewöhnlich ver- streichen muß, bis volle Sättigung eintritt. ‘Wir bringen 5cem Blut, die in maximo etwa 1 ccm Kohlenoxyd aufzunehmen vermögen, in eine Flasche von5cm im Durch- messer und 10cm Höhe (die mithin etwa 200cem faßt und eine zylindrische Ober- fläche von etwa 150 qem hat) und verbreiten das Blut über die ganze zylindrische Oberfläche, indem das Blut durch Rotieren der Flasche fortwährend gemischt wird; darauf leiten wir atmosphärische Luft durch die Flasche, indem wir 0,1 Proz. CO zusetzen; um völliges Gleichgewicht zu erreichen, muß das Blut 0,6ccm CO auf- nehmen, da bei dem gegebenen Drucke 60 Proz. des Hämoglobins mit CO gesättigt werden. Das Minimum der Zeit, die zur Sättigung beansprucht wird, ist aus der Invasionskonstante für CO = 0,01 zu berechnen, worunter diejenige Menge CO zu verstehen ist, die im Laufe einer Minute bei dem Drucke von 760mm durch 1gem der Oberfläche in eine Flüssigkeit eindringt; zur Sättigung muß nämlich wenigstens so viel Zeit (x) nötig sein, als 0,6ccm CO gebrauchen, um durch die gegebene Oberfläche in die Flüssigkeit einzudringen; die in der Tat zur Sätti- gung gebrauchte Zeit wird natürlich größer sein, da zugleich fortwährend etwas Kohlenoxyd aus der Flüssigkeit austritt. Die Zeit x, welche die Invasion von !) Journ. of Physiol. 20, 512, 1896. — ?) La Respiration, Paris 1893, p. 284. Gase der Lymphe und der Sekrete. 129 0,6ccm Kohlensäure durch 150 gem Oberfläche bei dem Drucke 760 erfordert, finden wir aus der Gleichung (S. 57) _ $sYPx 760 150..0,01.0,1.x ...100 ’ woraus © — 400 Minuten oder etwa 6'/, Stunden. Dies ist das gesuchte Minimum. Daß das Blut im Verhältnis z. B. zum Wasser so langsam gesättigt wird, liegt natürlich daran, daß es bei den sehr niedrigen Drucken verhältnismäßig bedeutende Mengen Kohlenoxyd aufnimmt; 5 cem Wasser würden, um bei der Spannung SL x 760 mit Kohlenoxyd gesättigt zu werden, nur 0,00009 ccm CO aufnehmen, oder 0,6 = "100 während dagegen 5ccem Blut 0,6 ccm oder etwa 6500 mal so viel absorbieren. Dritter Abschnitt. Die Gase der Lymphe und der Sekrete. 1. Kapitel. Die Lymphe. Die Menge der Gase in der Lymphe wurde von Hammarsten!) bestimmt. Sauerstoff ist hiernach nur in geringer Menge in der Lymphe enthalten; läßt man die Versuche unberücksichtigt, wo Beimischung von Blut _ vorkam, so erhält man als Durchschnitt von fünf Bestimmungen (I. e. 8. 123, Nr. 4 bis 8) nur 0,05 Vol.-Proz. Besonderes Gewicht darf man der Ziffer der zweiten Dezimale nicht beilegen, da der Fehler auf 0,03 Vol.-Proz. anzu- schlagen ist (l. c. S. 127); es wird deshalb auch nicht berechtigt sein, eine Berechnung der O,-Spannung zu versuchen, die ja sonst, da der Absorptions- koeffizient bekannt ist, möglich wäre. Da der Stickstoff bei denselben Ver- suchen durchschnittlich 1,47 Vol.-Proz. beträgt, mithin die Menge übersteigt, die bei Körpertemperatur und Spannung der Atmosphäre (etwa 1 Vol.-Proz.) von der Flüssigkeit aufgenommen werden würde, muß man wahrscheinlich wegen Eindringens atmosphärischer Luft eine kleine Korrektion anbringen, wodurch die Sauerstoffmenge noch ferner vermindert würde. In der Er- stickungslymphe ist der Sauerstoffgehalt, wie zu erwarten, noch geringer (Tschiriew2).._ Die Menge der Kohlensäure beträgt in Hammarstens oben zitierten fünf Bestimmungen durchschnittlich 41,6 Vol.-Proz. (Maximum — 47,1, Minimum = 37,5). Es ist anzunehmen, daß ihre Bindung auf ana- loge Weise wie im Serum stattfindet; so findet man auch, daß die Lymphe einige Kohlensäure enthält, die sich nur durch Zusatz von Säure gewinnen läßt. Die Menge der Kohlensäure ist in der Lymphe geringer als im venösen Blute (in Erstickungslymphe geringer als in Erstickungsblut). Über die Verhältnisse der Spannungen geben die Mengebestimmungen natürlich keinen unmittelbaren Aufschluß, da dieselben ja nicht allein von der Menge, son- dern auch von der Bindungsweise abhängig sind, und obschon letztere in Lymphe und Serum analog ist, kann die relative Menge der verschieden- artigen kohlensäurebindenden Stoffe (Alkalien, Albuminstoffe) dennoch sehr wohl verschieden sein, was einen Unterschied der Spannungen für dieselben !) Arb. a. d. physiol. Anstalt zu Leipzig 6, 121, 1871. — °) Ebenda 9, 38, 1874. Nagel, Physiologie des Menschen. 1. 9 130 Gase normaler und pathologischer Sekrete. Mengen bewirken wird. Indes findet Straßburg!) durch direkte Spannungs- messungen, daß die OO,-Spannung in der Lymphe in der Tat geringer ist als im venösen Blute. 2. Kapitel. Normale und pathologische Sekrete. Die Menge der Kohlensäure in den Sekreten ist wesentlich.davon ab- hängig, ob dieselben Bikarbonate enthalten und somit auf Lackmus alkalisch reagieren oder auch nicht; die alkalischen Sekrete enthalten eine Menge, die oft größer ist (zuweilen bis etwa 80 Vol.-Proz.) als die gewöhnlich im Blute gefundene; in sauren Sekreten ist die Menge bedeutend geringer (etwa 10 Vol.- Proz.), beide Arten von Sekreten zeigen aber erhebliche Schwankungen. Wegen der näheren Verhältnisse können wir bezüglich der normalen Sekrete auf Pflügers?), bezüglich der pathologischen auf Ewalds:) Unter- suchungen verweisen. Bedeutendes Interesse knüpft sich an die Menge des Sauerstoffs in den Sekreten, insofern wir in den Fällen, wo der Sauerstoff in der Flüssigkeit einfach gelöst ist, aus seiner Menge auf seine Spannung zu schließen im- stande sind, was, wie oben gesagt, mit der Kohlensäure, deren Bindung eine mehr komplizierte ist, nicht möglich ist. Soll die berechnete Spannung aber der wirklichen entsprechen, so darf natürlich während der für die Bestimmung des Gases notwendigen Manipulationen kein Verbrauch von Sauerstoff statt- finden. Dies geschieht z. B. mit der Galle und der Milch (Pflüger); hin- sichtlich der letzteren Flüssigkeit fand. ich durch eigene Versuche, däß der darin gelöste Sauerstoff beim Stehen sehr schnell schwindet, und zwar um so geschwinder, je reicher an Fettkügelchen die Milch ist; der Sauerstoff- verbrauch rührt also von Oxydation des Fettes her. Als ein zu derartigen Bestimmungen besonders geeignetes Sekret erwies sich dagegen der Speichel, was wohl damit im Zusammenhange steht, daß sein Gehalt an festen Bestandteilen ein sehr geringer ist (etwa 0,5 Proz.). Sein Absorptionskoeffizient kann deshalb von dem des Wassers auch nur sehr wenig verschieden sein. Versuche über den Sauerstoffgehalt dieses Sekretes wurden zuerst von Pflüger) angestellt; der benutzte Speichel wurde aus der submaxillaren Drüse eines Hundes unter Reizung des Drüsennervs secer- niert, und, wie aus untenstehenden Zahlen hervorgeht, ist die wesentlichste Fehlerquelle bei solehen Versuchen, das Eindringen atmosphärischer Luft von außen her, in diesen Bestimmungen vermieden, indem der Stickstoffgehalt an Größe fast völlig der unter den betreffenden Umständen in der Flüssigkeit einfach gelösten Menge entspricht. Die Durchschnittszahlen der beiden von Pflüger gefundenen, nahe übereinstimmenden Werte sind Sauerstoff —= 0,66 Vol.-Proz.; Stickstoff —= 0,99 Vol.-Proz. Da 100 ccm Wasser bei 38° und der Stickstoffspannung der Atmosphäre 0,90 Vol.-Proz. aufnehmen, können bei den Speichelversuchen wohl höchstens 0,09 Vol.-Proz. Stickstoff, mithin !/, desselben oder 0,02 Vol.-Proz. Sauerstoff von außen her eingedrungen sein. Nach Einführung dieser übrigens bedeu- tungslosen Korrektion erhält man das Volumprozent des Sauerstoffs — 0,64; !) Pflügers Arch. 6, 94, 1872. — ?) Ebenda 2, 178, 1869. — ®) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1873, 8. 677. — ®) l. ce. 8. 177. — °) Pflügers Arch. 1, 686, 1868. WE er ne Lungengaswechsel. 131. aus dem Absorptionskoeffizienten des Wassers bei 38° (0,0237) läßt sich die diesem Sauerstoffgehalte entsprechende Spannung berechnen, die sich als etwa 200 mm oder 26,5 Proz. Sauerstoff bei 760 mm Totaldruck erweist. Später hat R. Külz!)' die Gase des Speichels untersucht. In seinen . Versuchen ist der Stickstoffgehalt größer als in Pflügers Versuchen, was durch Eindringen atmosphärischer Luft zu erklären ist. Die 11 Versuche ergeben durchschnittlich 1,54 Vol.-Proz. Sauerstoff und 3,79 Vol.-Proz. Stick- stoff. Nimmt man an, daß der Speichel ebensoviel Stickstoff enthielt wie in Pflügers Bestimmungen, nämlich 0,99 Vol.-Proz., so werden 3,79 — 0,99 — 2,80 Stickstoff, mithin !/;, davon oder 0,70 Vol.- Proz. Sauerstoff in Abzug zu bringen sein. Der tatsächliche Sauerstoffgehalt würde unter diesen Um- ständen 0,8 Vol.-Proz. betragen, was mit der air von Pflüger gefundenen Zahl so ziemlich übereinstimmt. Von pathologischen Exsudaten (Pleuritis und Hydrothorax) untersuchte Ewald?) eine größere Reihe. Nimmt man den Durchschnitt seiner Versuche, so erweist sich der Gehalt an Gasen als Sauerstoff = 0,55 Vol.-Proz. und Stickstoff 1,87 Vol.-Proz. Rechnet man wie oben den tatsächlichen Stickstoff- gehalt als 0,99 Vol.-Proz., so erhält man als Korrektion für von außen ein- gedrungenen Sauerstoff 0,22 Vol.-Proz., und der wirkliche Sauerstoffgehalt ‘ wird 0,33 Vol.-Proz.; das entspricht einer Spannung von 109 mm oder 14,3 Proz. Sauerstoff, wenn der Absorptionskoeffizient dieser Flüssigkeiten gleich dem des Serums gesetzt wird (0,0231 bei 38%). Im Maximum fand Ewald einen Sauerstoffgehalt, der auf die soeben angeführte Weise korrigiert 0,60 Vol.-Proz. betrug (l.c.S.672,Nr. HI); die Spannung hiervon ist 197 mm oder 26 Proz. Sauerstoff bei 760mm Totaldruck; in diesem Falle enthielt die Flüssigkeit nur sehr wenige Ilymphoide Körperchen, die dagegen in bedeu- tender Menge in der Flüssigkeit angetroffen wurden, deren Sauerstoffgehalt der niedrigste war (]. c. S. 672, Nr. IV), nämlich 0,12 Vol.-Proz., einer Span- nung von 39 mm oder 5,2 Proz. Sauerstoff entsprechend. Respiratorischer Gaswechsel. Erster Abschnitt. Der Gaswechsel dureh die Lungen. 1. Kapitel. Größe des Lungengaswechsels und Zusammensetzung der Exspirationsluft. Der Austausch von Gasen zwischen dem Organismus und der umgebenden Atmosphäre geschieht beim Menschen und bei den übrigen höheren Wirbel- tieren fast ausschließlich mittels der Lungen, wenngleich auch andere Ober- flächen (Haut und Darm) in geringer Menge an demselben teilnehmen. Es handelt sich hierbei in erster Linie um die Aufnahme von Sauerstoff aus der eingeatmeten atmosphärischen Luft und um die Abgabe von Kohlen- . !) Zeitschr. £. Biol. 1887, 8. 321. — ?) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1873, 8. 663. 9* 132 Größe des Lungengaswechsels. säure; die Exspirationsluft wird mithin ärmer an Sauerstoff und reicher _ an Kohlensäure als die eingeatmete Luft. Die Änderungen, welche die Luft sonst noch in dem Respirationsorgane erleidet, bestehen, außer in wechselnder Beimischung sehr geringer wohl hauptsächlich aus dem Darme resorbierter Mengen Wasserstoffs und Kohlenwasserstoffs, in Erwärmung bis zur Körper- temperatur und in Sättigung mit Wasserdampf bei dieser Temperatur; Erwärmung und Sättigung finden hauptsächlich schon in den zuleitenden Luftwegen statt, wodurch die Alveolarmembran der Lunge selber vor größerer Temperaturveränderung und Wasserverdampfung geschützt wird. Da die eingeatmete Luft gewöhnlich die: Zimmertemperatur hat und bei dieser Temperatur nur unvollständig mit Wasserdampf gesättigt ist, wird also mit der Exspirationsluft eine Wasserausscheidung vorgehen. .Die Größe dieser Ausscheidung, die selbstverständlich mit der Temperatur und dem Sättigungs- grade der Einatmungsluft variiert, kann unter gewöhnlichen Verhältnissen für den Menschen auf etwa 450g in 24 Stunden angeschlagen werden. Die Menge des Stickstoffs in der eingeatmeten atmosphärischen Luft ändert sich nicht bei der Respiration; dies geht, was längere. Zeiträume betrifft, aus Versuchen über die gesamte Stickstoffbilanz hervor; es läßt sich aber auch durch direkte Messungen der Menge und Zusammensetzung der ein- und. der ausgeatmeten Luft konstatieren, wenn die Untersuchung, - die gerade in betreff dieser Gase nicht ohne Schwierigkeiten ist, mit hin- länglicher Sorgfalt angestellt wird, so daß man eine Beimischung von Gas aus dem Darm und der Haarschicht vermeidet. Auch die Menge des Argons bleibt bei der Respiration unverändert. Die Gröbße der Sauerstoffaufnahme und der Kohlensäureabgabe unter ver- schiedenen Verhältnissen, z.B. bei verschiedener Ernährung, Temperatur und Arbeit, kommt in einer anderen Abteilung dieses Handbuches zur Behand- lung, wo auch die zu solchen Bestimmungen angewandten Methoden ihre Beschreibung finden. Indes sind hier doch einige Angaben über die durch- schnittliche Größe des Stoffwechsels beim Menschen anzuführen !), die bei der Behandlung der speziellen Funktionen der Atmungsorgane zur Anwendung kommen. Die Kohlensäureabgabe erwachsener Menschen, die, ohne sich in absoluter Ruhe zu befinden, keine eigentliche körperliche Arbeit verrichten, ist im Durchschnitt für Tag und Nacht auf 0,5g (etwa 250 ccm) pro Kilo- gramm und Stunde anzusetzen. Für ein Körpergewicht von 70kg beträgt die Abgabe in 24 Stunden also im ganzen 428 Liter. Während vollständiger - Ruhe (im Schlafe) ist die Abgabe geringer und etwa auf 0,32 g (etwa 160ccm) pro Kilogramm und Stunde anzuschlagen; für kürzere Zeiträume sind wäh- rend des Schlafes noch kleinere Werte (0,27 g) observiert worden. Als Maximum der Kohlensäureabgabe hat man bei harter Arbeit während kürzerer Zeit (fast eine Stunde) bis 2,35 g pro Kilogramm und Stunde beobachtet, mithin 4,7 mal so viel als während relativer Ruhe. Die gleichzeitig aufgenommene Sauerstoffmenge ist von der Art der Stoffwechselumsätze abhängig, von denen die Kohlensäureabgabe herrührt. Unter gewöhnlichen Verhältnissen kann man rechnen, daß für je 85 ccm pro- !) Tigerstedt, Der Stoffwechsel (s. dieses Handbuch). Respiratorischer Quotient. — Zusammensetzung der Ausatmungsluft. 133 duzierter Kohlensäure 100 cem Sauerstoff aufgenommen werden; die Zusammen- setzung der umgesetzten Nahrung wird dann als 120g Albumin, 100g Fett und 300 g Kohlenhydrat gerechnet. Der respiratorische Quotient u — das Verhältnis des Volumens abgegebener Kohlensäure zu dem des 2 aufgenommenen Sauerstoffs — ist also 0,85, und die in 24 Stunden von einem Menschen von 70kg während relativer Ruhe aufgenommene Sauer- stoffmenge beträgt 504 Liter. Ändert sich die Art des Umsatzes, z.B. wegen anderer Zusammensetzung der Nahrung oder wegen harter Arbeit, so ändert sich auch die Größe des Quotienten. Für kürzere Perioden kann aber auch’auf andere Weise eine Änderung des Quotienten entstehen. Da die Aufnahme von Sauerstoff und die Abgabe von Kohlensäure durch das Atmungs- organ wesentlich voneinander unabhängige Prozesse sind, können veränderte Bedingungen des Gaswechsels, z. B. Abänderung der Atemgröße, eine Zeit- lang das gegenseitige Verhältnis verschieben. Ebenfalls kann die Bildung einer Säure, die die Kohlensäure aus den kohlensauren Alkalien des Blutes auszutreiben vermag, auf kurze Zeit die Kohlensäureabgabe erhöhen, so daß der Quotient steigt. Es darf auch nicht außer acht gelassen werden, daß die Verbrennung der organischen Stoffe unter Bildung intermediärer Produkte vorgeht; unter Umständen wird deshalb das Verhältnis der Kohlensäure- produktion zum Sauerstoffverbrauch eine Zeitlang ein anderes als das dem totalen Prozeß entsprechende werden können, wie es z. B. bei den Tauch- vögeln beobachtet ist. Alle dergleichen Änderungen des Quotienten werden der Natur der Sache zufolge jedoch wieder ausgeglichen, und für eine nicht gar zu kurze Periode werden deshalb die Art und die relative Menge der umgesetzten Stoffe für den Wert des respiratorischen Quotienten allein maß- gebend sein. \ 3 Die prozentige Zusammensetzung der ausgeatmeten Luft. Die ein- geatmete atmosphärische Luft enthält durchschnittlich 20,96 Proz. Sauerstoff, 78 Proz. Stickstoff, 1 Proz. Argon und 0,04 Proz. Kohlensäure. Ihre Zu- sammensetzung ist nahezu konstant, und die Zusammensetzung der Aus- atmungsluft ist daher abhängig teils von der Größe des Stoffwechsels, teils von der Menge der gleichzeitig die Lunge durchströmenden Luft. Beide diese Momente sind variabel, und die Ausatmungsluft kann deshalb zuweilen ziemlich verschiedene prozentige Zusammensetzung zeigen. Unter normalen Ver- hältnissen paßt die Atemgröße sich indes der Intensität des Stoffwechsels so an, daß die Zusammensetzung der Exspirationsluft keine bedeutenden Schwan- kungen darbietet (s. S. 168). Ein Wert für den durchschnittlichen Gehalt der Ausatmungsluft an Kohlensäure und Sauerstoff läßt sich auf folgende Weise berechnen. Wäh- rend relativer Ruhe und in wachem Zustande ist die Atemgröße auf 8500 ccm pro Minute (17 Atemzüge & 500 ccm) anzuschlagen; die Kohlensäureabgabe beträgt durchschnittlich für 24 Stunden 250ccm pro Kilogramm und Stunde; setzt man die Abgabe während achtstündigen Schlafes auf 160 ccm pro Kilo- gramm und Stunde an (s. oben), so erhält man für die übrigbleibenden 16 Stunden die Abgabe von 295 ccm CO, pro Kilogramm und Stunde Da der respiratorische Quotient — 0,85 ist, wird die gleichzeitige Sauerstoff- 134 Art der Prozesse bei dem Lungengaswechsel. aufnahme 347 ccm. Hieraus berechnet sich bei obengenannter Atemgröße und unter Berücksichtigung, daß die absolute Menge des Stickstoffs sich bei der Respiration nicht ändert, die Zusammensetzung der Exspirationsluft als 4,05 Proz. CO, und 16,39 Proz. O,. Diese durchschnittlich berechneten Werte stehen in guter Übereinstim- mung mit den selbstverständlich stets etwas schwankenden einzelnen Bestim- mungen von Speck!) und Loewy?). Die Kohlensäureausscheidung und die Sauerstoffaufnahme sind das Pro- dukt der durch die Alveolarmembran hindurch vorgehenden Wechselwirkung des Blutes und der Lungenluft. Im folgenden untersuchen wir erst die Natur der hieran betätigten Kräfte und darauf den Einfluß, den die Ände- rung der Atemgröße und der Blutströmung durch die Lunge auf den Prozeß hat, wie auch, auf welche Weise das Nervensystem Einwirkung übt. Ein späterer Abschnitt wird dann die respiratorische Wechselwirkung zwischen dem Blute und dem Gewebe (die innere Atmung) behandeln. Nachdem wir darauf den Einfluß auseinandergesetzt haben, den eine Änderung der Zu- sammensetzung und des Druckes der Atmosphäre auf den respiratorischen Stoffwechsel hat, werden wir schließlich die Haut- und die Darmrespiration und die fötale Respiration beschreiben. 2. Kapitel. Untersuchungen über die Art der Prozesse, welche den Lungengaswechsel vermitteln. In den Lungen findet ein Gasaustausch statt, mittels dessen der Sauer- stoff der in den Lungenalveolen enthaltenen Luft zum Teil vom Blute auf- genommen wird, während Kohlensäure aus dem Blute in die Alveolenluft entweicht. Es liegt nahe, eine solche Wanderung von Gasen aus dem Blute und in dasselbe durch die Alveolenwände hindurch als eine einfache Diffusion durch die wasserhaltige Membran, die das Blut und die Lungenluft vonein- ander trennt, aufzufassen. Die Membran, welche die Gase passieren, besteht indes aus lebenden Zellen, und die Sache könnte sich deshalb auch anders verhalten; möglicherweise könnten die Zellen, wie es tatsächlich mit dem Epithel anderer Drüsen der Fall ist, an der stattfindenden Aufnahme und Ausscheidung aktiv teilnehmen, so daß das Ergebnis ein anderes würde, als wenn ein Diffusionsprozeß der bestimmende Faktor wäre. Selbstverständ- lich vermag nur die Erfahrung zu entscheiden, welche unter diesen Möglich- keiten das Rechte trifft. Der einzuschlagende Weg muß der sein, daß wir durch Bestimmungen der physikalischen Verhältnisse, speziell der Gas- spannungen im Blute und in der Alveolenluft, untersuchen, inwiefern anzu- nehmen ist, daß die in den einzelnen Fällen tatsächlich ausgeschiedenen und aufgenommenen Gasmengen unter den eben beobachteten Spannungsverhält- nissen die Membran mittels Diffusion passiert haben. Die allererste Forde- rung, die gestellt werden muß, damit die Diffusion als der Hauptfaktor des Gaswechsels in Betracht kommen kann, ist natürlich die, daß die Gase sich in der Richtung auf die niedere Spannung zu bewegt haben. Hinsichtlich !) Physiologie des menschlichen Atmens 1892, 8. 11. — ?) Pflügers Arch. 43, 523, 1888. ‚Größe der Lungenoberfläche. 135 des Sauerstoffs darf daher in solchem Falle die Gasspannung des die Lunge verlassenden Blutes (des Arterienblutes) niemals von höherem Werte befunden werden, als die gleichzeitige Spannung dieses Gases in der Alveolenluft, aus der dasselbe faktisch stammt; umgekehrt hinsichtlich der Kohlensäure. Nun zeigen Versuche, die wir unten näher analysieren werden, wie diese Forderung so wenig befriedigt wird, daß wir nicht nur in einzelnen Bestim- mungen, sondern in der weit überwiegenden Anzahl derselben für die Gas- spannungen Werte finden, welche die völlige Erklärung des Gaswechsels in den Lungen durch Annahme einer Diffusion zur Unmöglichkeit machen. Diese Gase haben sich im Gegenteil von Orten mit niederem nach Orten mit höherem Partialdruck bewegt; dies muß einer spezifischen Tätigkeit der Zellen der Membran zu verdanken sein, und wir finden also in der Lunge einen besonderen Prozeß, die Gassekretion, anderen Drüsensekretionen analog. Der Organismus ist mithin imstande, auch was die Lunge betrifft, inner- halb gewisser Grenzen von den äußeren Umständen unabhängig, die Inten- sität der Funktion den Ansprüchen anzupassen, die der augenblickliche “ Stoffwechsel an dieselbe stellt; eine ganze Reihe neuer Gesichtspunkte betreffend die Funktion der Lunge bietet sich hier zur Untersuchung dar. Den Nach- weis der aktiven Zellentätigkeit dieses Organes gewann man durch ein- gehendes und detailliertes Studium der physikalischen Verhältnisse, unter denen der Gaswechsel vorgeht; eben durch die weitere Entwickelung unserer Kenntnis dieser Verhältnisse geht auch der Weg zur Lösung der spezielleren Aufgaben, die eine natürliche Folge des Nachweises der spezifischen Lungen- sekretion sind. In dieser Beziehung wird sich im folgenden die Theorie von der In- und Evasion der Gasarten durch die Oberfläche der Flüssigkeit (S. 60) als wichtig erweisen. $ 1. Größe der respiratorischen Oberfläche und Zusammen- setzung der Gase in den Hohlräumen der Lunge. Der Nachweis der aktiven Tätigkeit der Zellen und das nähere Studium derselben stützen sich, wie oben erwähnt, auf Untersuchungen der Gas- spannungen des Arterienblutes und der Alveolenluft; zugleich ist hierbei die Kenntnis der Beschaffenheit der Lungenmembran, besonders der Größe ihrer Oberfläche, von Bedeutung. Die Beschaffenheit der Alveolenmembran und die Zusammensetzung und den Druck der Luft in den Alveolen erörtern wir im folgenden, bevor wir zur Darstellung der über die Gasspannungen gewonnenen Resultate schreiten. Die respiratorische Oberfläche der Lungen. Um ins Blut einzudringen, müssen die Gase erst das Epithel der Lunge passieren, das aus zwei Arten von Zellen ‚besteht: teils aus großen Plättchen, teils, in geringerer Anzahl, aus kleineren Zellen ; darauf müssen sie die Endothel- zellen der Kapillargefäße durchdringen. Es wäre denkbar, daß sämtliche diese Arten von Zellen der Sitz spezifischer Tätigkeit bei der Gassekretion wären; die Endothelzellen der Gefäße können hier um so weniger außer acht gelassen werden, als das Stattfinden einer Gassekretion in der Lunge ganz natürlich den Gedanken auf die Möglichkeit einer solchen auch in den Ge- 136 Größe der Lungenoberfläche. weben lenkt, wo sie indes bisher noch nicht experimentell nachgewiesen wurde. Unter den anatomischen Verhältnissen mag hier übrigens nur folgen- der Punkt berührt werden. Bichat!) wies nach, daß die Oberfläche der lebenden Lunge bei Drucken, wie angestrengte Atembewegungen sie bei geschlossener Trachea auf die gefüllten Lungen zu üben vermögen, für kleine Luftbläschen passabel ist, die von da ins Blut eindringen. Füllt man z.B. einem Hunde die Lungen mit Wasserstoff und verhindert man die Ausatmung, so wird das aus einer in der A. femoralis angebrachten Kanüle ausströmende Blut zahlreiche feine Gasbläschen enthalten, die, wie ihre Brennbarkeit zeigt, aus Wasserstoff bestehen. Die Frage wurde von Ewald und Kobert?) näher untersucht, die fanden, daß ein Druck von etwa 35mm genügt, um das Eindringen von Gas durch die Oberfläche der Lunge hervorzurufen, und daß die Lunge, nachdem sie des Druckes entlastet wurde, normal zu fungieren vermochte, ohne daß sich ein Zerreißen des Gewebes konstatieren ließ. Diese Versuche gestatten wohl kaum eine andere Erklärung als die, daß die Luft in der stark angefüllten erweiterten Lunge mittels des Druckes durch die Zwischenräume zwischen den Zellen ins Innere hineingetrieben wird. Dies ist insofern für die funktionellen Verhältnisse von Interesse, als dann anzu- nehmen ist, daß von der spezifischen Tätigkeit der Zellen unabhängig eine Diffusion durch diese Zwischenräume stattfindet; bedenkt man aber die ver- hältnismäßig geringe Oberfläche, die denselben beizulegen ist, so wird die Diffusion wohl nur einen geringeren Umfang haben können, besonders in betreff des schwerer löslichen Sauerstoffs. Die Größe der respiratorischen Oberfläche der Lungen wurde beim Menschen durch Messung der Größe und der Anzahl der Alveolen be- stimmt. Untersuchungen dieser Art stellte Aeby?°) an; er fand, daß die Oberfläche der Lunge eines erwachsenen Mannes bei ruhiger Atmung 80 qm beträgt. Zuntzt) berechnet aus dem Alveolendiameter (0,2 mm) und dem Luftvolumen der Lunge (3000 ccm) die Oberfläche auf 90 qm. Dergleichen Bestimmungen können übrigens nur annähernd sein und werden natürlich auch überall im folgenden als annähernd betrachtet, wenn wir etwas aus ihnen folgern wollen. Von diesem Gesichtspunkte aus ist die Übereinstimmung zwischen den von Aeby und den von Zuntz ausgeführten Berechnungen be- friedigend zu nennen. Die Differenz derselben entsteht übrigens im wesent- lichen dadurch, daß Aeby für die Alveolen der zusammengefallenen Lunge einen Durchmesser von 0,2mm findet, während Zuntz diesen Durchmesser für die mäßig gefüllte Lunge gelten läßt. Im folgenden wollen wir, da, wie Zuntz bemerkt, die Oberfläche wegen Hineinragens der Kapillarschlingen in das Lumen der Alveolen eher zu niedrig angeschlagen wird, 90 qm als die an- nähernde Größe der Oberfläche bei einem erwachsenen Manne (70. kg) rechnen. Soll die Bestimmung auf Individuen geringeren Gewichts angewandt werden, so möchte es wohl kaum zweifelhaft sein, daß die Lungenoberfläche bei der Berechnung nicht dem Gewichte, sondern der Körperoberfläche proportional an- zusetzen ist, da die Intensität des Stoffwechsels ja hauptsächlich von letzterer !) Sur la vie et la mort. Paris 1856, p. 221. — ?) Pflügers Arch. 31, 160, 1883. — ®) Bronchialbaum der Säugetiere und des Menschen. Leipzig 1880, 8. 90.— *)Hermann, Handbuch d. Physiol. 4, 90. ie ri > 429 > 2, 4 Bestimmung der Lungenoberfläche durch Invasion von Kohlenoxyd. 137 abhängt. Da die Körperoberfläche sich als dritte Wurzel des Quadrats des Gewichts verhält, wird mithin die Oberfläche der Lunge für"das Körpergewicht a ie von nkg gleich 90. (+) Is qm. Eine neue, von den bisher angewandten dem Prinzipe nach verschiedene Methode zur Bestimmung der Lungenoberfläche ist folgende, die sich auf die Theorie von der Invasion der Gase in die Oberfläche von Flüssigkeiten gründet. ‘Unter Grehants!) Versuchen über die Absorption des Kohlenoxyds, wenn dieses in verschieden prozentigen Mengen von Hunden eingeatmet wird, finden sich einige Bestimmungen, wo die Kohlenoxydprozente der Ein- atmungsluft so niedrig sind, daß die Absorption nicht nur der Zeitdauer, sondern auch dem Partialdruck des Kohlenoxyds völlig proportional ist. Dieses Verhalten tritt ein, wie untenstehende Tabelle zeigt, wenn der Partial- druck 1/30000 oder darunter ist. Mischung von CO absorbiert von 100 ccm Blut Luft und CO in einer Stunde | in zwei Stunden "1000 8,0 10P Yıs 000 0,59 iS 7/20 000 0,44 nen "/s0.000 0,22 i Ye Bei hinlänglich niedrigem Partialdruck des Kohlenoxyds wird die Ab- sorption durch die Lungen während gegebener Zeit also der Spannung des Gases genau proportional. Aus dieser Proportionalität folgt, daß die durch die Lungen absorbierte Kohlenoxydmenge mit derjenigen Menge identisch ist, welche durch Invasion, die ja ebenfalls der Spannung proportional ge- - schieht, in die feuchte oberflächliche Schicht der Lunge eindringt. Die Pro- portionalität der absorbierten Menge zur Spannung zeigt uns also, daß die Evasion aus der Flüssigkeit in die Luft unter diesen Verhältnissen unmeßbar geworden ist; die in die Flüssigkeit eingedrungene Menge Kohlenoxyd wird ‘also so geschwind entfernt, daß dessen Spannung in der oberflächlichen Schicht praktisch genommen gleich Null wird, was unter Verhältnissen wie den hier vorliegenden natürlich: stets stattfinden muß, wenn man nur die ein- dringende Menge hinlänglich klein macht. Wird die eindringende Menge größer, so muß selbstverständlich auch die Evasion eine Rolle spielen, und die durch die Lunge absorbierte Menge kann dann nicht mehr der Spannung proportional sein. Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß ein solcher Zustand bereits eintritt, bevor der Partialdruck des Kohlenoxyds !/;000 Atmosphäre erreicht. Bei den niedrigsten Partialdrucken ist also die absorbierte Kohlenoxyd- menge gleich der Menge, die der Berechnung zufolge unter den vorhandenen physikalischen Verhältnissen durch Invasion in die oberflächlichsten feuchten Schichten der Lunge eindringt. Dies setzt uns in den Stand, die Größe der 1) Compt. rend. de l’acad. des sciences 125, 736, 1897. L’oxyde de carbone. Paris 1903, p. 68. 138 Zusammensetzung der Alveolenluft. respiratorischen Oberfläche der Lunge (s) zu berechnen. Ist M die in einer Minute aufgenommene Gasmenge, p der Partialdruck und Y der Invasions- koeffizient (0,010), so haben wir für die Invasion in die Feet (S. 57) folgenden Ausdruck: Y-5:D. 760 In Grehants letztem Versuche in der Tabelle werden in einer Stunde von 100 cem Blut 0,22cem Kohlenoxyd aufgenommen; rechnen wir die Blut- menge als !/,; des Körpergewichts, so werden also pro Kilogramm Tier und pro Minute 0,0028ccm CO aufgenommen (M). Da der Totaldruck in der Lunge 1 60 000 — 0,0118 mm, und die 1 kg Körpergewicht entsprechende Oberfläche (s) der nach Abzug der Wasserdampftension 710 beträgt, wird p = 710- Lunge ergibt sich dann aus der Formel als 1,80 qm. Hierbei ist die CO-Spannung der Lungenluft gleich der der Einatmungsluft gesetzt; in der Tat wird sie ein wenig geringer sein, da ein Teil des Kohlenoxyds fortwährend absorbiert wird. Nach Grehant!) ist die absorbierte Menge auf in maximo Y, der eingeatmeten Menge anzuschlagen. Ziehen wir dies in Betracht, so wird die Oberfläche 5/, des gefundenen Wertes oder 2,25qm pro Kilogramm. Wie leicht zu ersehen, ist dies ein Maximum und der oben gefundene Wert ein Minimum der Oberfläche, die-mithin durchschnittlich auf 2,0qm pro Kilo- gramm angesetzt werden kann. Die Lungenoberfläche pro Kilogramm Tier ist, wie früher gesagt, bei Individuen verschiedenen Körpergewichts etwas verschieden; rücksicht- lich des von Grehant benutzten Hundes ist das Gewicht nicht angegeben. Nimmt man an, daß derselbe das durchschnittliche Gewicht (10kg) der von demselben Aakr zu analogen Versuchen angewandten Tiere hatte, und geht man, wo die Lungenoberfläche bei Hunden verschiedenen Körpergewichtes be- rechnet werden soll, von diesem Gewichte aus, so wird der Fehler jedenfalls keine größere Bedeutung erreichen. Zum Vergleich mit der mittels der Invasionsmethode für Hunde ge- fundenen Zahl, 2qm pro Kilogramm, bemerken wir, daß durch Messung und Berechnung (s. oben) die Lungenoberfläche des Menschen als 1,28qm pro Kilogramm für ein Körpergewicht von 70kg gefunden wird; hieraus berechnet sich nach der oben angegebenen Formel für Individuen von 20 und 10kg die Lungenoberfläche auf 1,95 bzw. 2,46 qm. Die Größe der Oberfläche pro Kilogramm ist also bei Menschen und Hunden im Verhältnis zur Körperober- fläche jedenfalls nicht sehr verschieden. Die Zusammensetzung der Luft in den Hohlräumen und die Sauerstoff- spannung in der Oberfläche der Lunge°). Die Alveolenluft. Wie wir oben sahen ($:. 134), können wir den durch- schnittlichen Gehalt der Exspirationsluft an Sauerstoff auf 16,4 Proz. und deren Gehalt an Kohlensäure auf 4,1 Proz. ansetzen, wenn atmosphärische Luft eingeatmet wird. Die Luft, die die Hohlräume der Alveolen verläßt, )l. ce. 8 65. — °) Vgl. Grehant, Journ. de l’anat. et de la physiol. 1, 523, 1864; Bohr, Skand. Arch. 2, 248, 1890; Loewy, Pflügers Arch. 58, 416, 1894. Zusammensetzung der Alveolenluft. 139 wo sie durch die Lungenmembran mit dem Blut in Wechselwirkung tritt, hat indes eine etwas andere Zusammensetzung, ist ärmer an Sauerstoff und reicher an Kohlensäure als die schließlich ausgeatmete Luft. Die eingeatmete Luft dringt nämlich nur zum Teil in die Alveolen selber hinein; ein Teil derselben bleibt in den zuleitenden Luftwegen stehen, wo kein respiratori- scher Stoffwechsel von Belang stattfindet, und aus denen sie deshalb ihrer Zusammensetzung nach wesentlich unverändert ausgeatmet wird. Die Ex- spirationsluft besteht daher aus einer Mischung der aus den Alveolen aus- geatmeten abgeänderten Luft mit der in dem „schädlichen Raume“* (den oberen Luftwegen, der Trachea, den Bronchien) stehenden Inspirationsluft. Kennt man das Volumen eines einzelnen Atemzuges (A) und die Größe des schädlichen Raumes (a), so läßt der Sauerstoff- und der Kohlensäuregehalt der Alveolenluft sich leicht berechnen. Nennt man die prozentige Menge eines dieser Gase in der Inspirationsluft J, in der Exspirationsluft E und in der Alveolenluft x, so hat man!), da die Menge des betreffenden Gases in der Exspirationsluft gleich der Summe seiner Mengen in der Luft aus den Alveolen und im schädlichen Raume ist: AE=(A—ax-+ aJ, oder: AE-aJ Ve Die Größe des schädlichen Raumes, die sich übrigens nur annähernd bestimmen läßt, ist etwa 140 ccm (Loewy?). Bei ruhiger Respiration, wo die Tiefe des Atemzuges 500 cem ist und die Exspirationsluft die oben an- gegebene durchschnittliche Zusammensetzung hat, findet man mit Hilfe oben- stehender Gleichung in der Luft aus den Alveolen 14,6 Proz. Sauerstoff und 5,6 Proz. Kohlensäure. Die Partialspannungen sind dann 104 bzw. 40 mm, indem der Totaldruck in der zur Körpertemperatur erwärmten Lungenluft nach Abzug der Wasserdampftension (etwa 50 mm) auf 710mm anzusetzen ist. Die Zusammensetzung der -Alveolenluft weicht jedoch oft von einem solchen Durchschnittswert nicht unbedeutend ab; nicht nur ist die Exspira- tionsluft in ihrer Zusammensetzung beim ruhigen Atmen häufig von dem angegebenen Durchschnitt etwas verschieden, sondern auch ist besonders die Tiefe des Atemzuges Schwankungen unterworfen, was natürlich selbst bei unveränderter Zusammensetzung der Exspirationsluft von Bedeutung ist. Je kleiner das Volumen des einzelnen Atemzuges wird, um so größeren Einfluß erhält natürlich der schädliche Raum, und um so geringer wird, unter sonst gleichen Verhältnissen, der Sauerstoffgehalt der Alveolen- luft; bei sehr oberflächlichen Atemzügen, wo die Tiefe sich dem Volumen des schädlichen Raumes nähert, kann die Respiration ungenügend werden, selbst wenn die totale Atemgröße wegen zunehmender Anzahl der Atemzüge wie die normale wird. Wir berechneten oben die Zusammensetzung der Alveolenluft in dem Augenblick, da sie die Alveolen verläßt und ausgeatmet wird. Während der Inspirationsphase erhält sie selbstverständlich eine etwas andere, sich der In- spirationsluft mehr nähernde Zusammensetzung. In’ welchem Umfange dies ') Bohr, .e. — ®)l. ce. 140 Ventilationskoeffizient. — Bifurkaturluft. stattfindet, hängt davon ab, wieviel Luft nach der Exspiration in den Lungen zurückbleibt, und wie groß die inspirierte Luftmenge im Verhältnis zu der- selben ist; tatsächlich sind die Verhältnisse so, daß die von den Respirations- phasen hervorgerufene Änderung in der Zusammensetzung der Alveolenluft nicht bedeutend ist. In den Lungen bleiben nämlich nach einer gewöhnlichen Exspiration noch 2800 cem (1200 Residualluft und 1600 Reserveluft) zurück, somit eine im Verhältnis zum einzelnen Atemzuge beträchtliche Menge. Die Atemgröße ist 500 ccm, von denen jedoch, wie oben entwickelt, nur 360 cem in die Alveolen gelangen und sich mit den nach der Exspiration zurück- gebliebenen 2800 ccm vermischen. Der Ventilationskoeffizient oder das Verhältnis der Menge frisch eintretender atmosphärischer Luft zu der nach der Inspiration verhandenen gesamten Alveolenluft ist mithin nur etwa !/,. Unter der gewiß annähernd richtigen Voraussetzung, daß die in die Alveolen eintretende Luft sich momentan mit der bereits dort vorhandenen Luft mischt, läßt sich die Zusammensetzung der Alveolenluft unmittelbar nach der Inspiration berechnen; dieselbe enthält kaum 1/, Proz. mehr Sauerstoff und weniger Kohlensäure als unmittelbar vorher. Die Zusammensetzung der Alveolenluft schwankt also verhältnismäßig nur wenig mit den Respirationsphasen. Wird die Tiefe des Atemzuges aber größer als 500cem, so werden natürlich auch die Schwankungen der Alveolenluft entsprechend mehr ausgeprägt. Zu bemerken ist noch, daß der maximale Sauerstoffgehalt (und mini- male Kohlensäuregehalt) der Alveolenluft, wie entwickelt, unmittelbar nach der Inspiration eintritt. Die aus der Exspirationsluft berechnete Zu- sammensetzung der Alveolenluft gibt dagegen nicht den minimalen Sauer- stoffgehalt der letzteren, der erst nach beendigter Exspiration während der Pause zwischen der Aus- und der Einatmung eintrifft. Die aus der Exspi- rationsluft berechnete, oben angegebene Zusammensetzung der Alveolenluft bezeichnet deshalb zunächst den mittleren Wert der Alveolenluft. Die Bifurkaturluft!). Wo es, wie in den folgenden Versuchen über die Gassekretion der Lunge, notwendig ist, in jedem einzelnen Falle die Zu- sammensetzung der Alveolenluft möglichst annähernd zu bestimmen, kann man mit Nutzen die Zusammensetzung der Exspirationsluft in dem Augen- blick berechnen, da sie die Bifurkatur der Trachea passiert. Die Berechnung geschieht nach der oben angeführten Formel, indem man die Atemgröße be- stimmt und den schädlichen Raum, der hier aus der Trachea und der ein- geführten Kanüle bis an die Ventilklappen besteht, in jedem einzelnen Falle nach dem Tode des Tieres ausmißt. Die Bifurkaturluft enthält, da die Bronchien nicht zum schädlichen Raum mitgerechnet sind, weniger Kohlen- säure und mehr Sauerstoff als die Alveolenluft und steht mithin der Zu- sammensetzung nach zwischen dieser und der Exspirationsluft. Sie gibt indes, was von Wichtigkeit ist, einen für jeden einzelnen Versuch genau bestimmbaren Grenzwert der Alveolenluft, der besonders in den nicht seltenen Fällen unentbehrlich ist, wo die Oberflächlichkeit der Atmung die Zu- sammensetzung der Exspirationsluft stark von der der Alveolenluft entfernt. !) Vgl. Bohr, 1. ce. Spannung der Gase in der Lungenoberfläche. 141 Die Spannung der Respirationsgase in der Lungenoberfläche. Ein physi- kalischer Faktor von eingreifender Bedeutung für die Untersuchung der Funktion der Lunge ist die Größe der Spannung, welche die Gase in der unmittelbar an die Alveolenluft stoßenden Schicht der feuchten Lungenober- fläche üben. Diese Größe läßt sich mittels der Lehre von der Invasion der Gase in Flüssigkeiten berechnen auf Grundlage ähnlicher Betrachtungen wie die, welche uns im vorhergehenden gestatteten, die Größe der Lungenober- fläche mittels der Absorption des Kohlenoxyds zu berechnen. Was den Sauerstoff betrifft, den wir zuerst behandeln, läßt die Aufgabe sich so formulieren: Durch eine gegebene Oberfläche, die mit einer wenn auch noch so dünnen flüssigen Schicht bekleidet ist, dringt ununterbrochen eine während der Zeiteinheit konstante Sauerstoffmenge (M) ein. Eine wie große Differenz (d) zwischen der Spannung des Sauerstoffs in der darüber stehenden Luft (p) und in der Oberflächenschieht der Flüssigkeit (p,) ist hierzu erforderlich ? Es ist für eine solche Anwendung der Invasionslehre natürlich ganz einerlei, welche Theorie von der Passage der Gase durch die Lungenmembran an- genommen wird; der Sauerstoff möge nun durch die Wand diffundieren oder durch aktive Tätigkeit der Zellen ins Blut befördert werden, so muß der Sauerstoff doch jedenfalls zuvor in die oberflächlichste Schicht eindringen. Wo wir in der allgemeinen Einleitung die Invasionslehre behandelten, fanden wir den Ausdruck für d eben mit Hinblick auf die hier gestellte Aufgabe (S. 60). Man hat: d=o— == » Pı ys wo M die in einer Minute aufgenommene Menge Sauerstoff ist, s die Lungen- oberfläche und Y die Invasionskonstante des Sauerstoffs. Für Wasser und Plasma ist y 0,012; wir sahen oben, daß die bei relativer Ruhe aufgenommene 'Sauerstoffmenge auf etwa 350 ccm pro Kilogramm und Stunde anzusetzen ist; die Lungenoberfläche ist (siehe oben) 1,25 qm pro Kilogramm. Hieraus be- rechnen wir unter diesen Verhältnissen d (den Differenzdruck) als 29 mm. Wir sind dann imstande, die Sauerstoffspannung in der Lungenoberfläche (p,) zu berechnen, die gleich der Differenz zwischen der Spannung in der Alveolen- luft (p) und dem Differenzdruck (d) ist; da p gleich 104mm, findet sich also p, gleich 75mm. Während der Ruhe haben die Sauerstoffspannungen somit folgende durchschnittliche Werte: In der Inspirationsluft .. . ... . 158mm (21 Proz.) a FERSEETRWORBREER U are 116 FOREN » :»n Alveolenluft () ...... 104... 1605, ) » » Lungenoberfläche (p,): - -» » 75 „ Wächst die Sauerstoffaufnahme, so steigt der Differenzdruck derselben proportional; denn in der obenstehenden Gleichung ist d mit M proportional. Damit Sauerstoff in gegebener Menge in die Flüssigkeitsschicht der Lungenoberfläche eindringe, muß der Sauerstoff in der Alveolenluft not- wendigerweise eine solche Spannung haben, daß diese die Spannung in der Lungenoberfläche um den Differenzdruck übersteigt. Es leuchtet nun ein, daß das Leben nicht längere Zeit hindurch fortbestehenkann, wenn nicht’ die Sauerstoffspannung der Alveolen einen absoluten Spannungswert hat, der wenigstens ebenso groß als der Differenzdruck ist (etwa 30 mm bei Ruhe) 1423 Gassekretion in der Lunge. Denn genügt der Druck nicht, um Sauerstoff in erforderlicher Menge in die feuchte Lungenoberfläche zu befördern, so vermag selbstverständlich keine noch so kräftige aktive Zellentätigkeit in der Membran Hilfe zu schaffen; dies wird im Abschnitt von der Atmung bei niederen Sauerstoffdrucken aus- führlicher erörtert werden. Hier hat es sich einstweilen nur darum gehandelt, auf welche Weise die Spannung in der Oberfläche sich berechnen läßt, weil eine solche Berechnung in den gleich unten zu besprechenden Versuchen über die Gassekretion zur Anwendung kommt; wir werden dort sehen, daß diese Betrachtungsweise uns mit Bezug auf die Lösung der Frage, in welchem Umfange eine Gassekretion in der Lunge stattfindet, einen bedeutenden Schritt vorwärts bringt. Ganz analoge Berechnungen wie hinsichtlich des Sauerstoffs lassen sich natürlich auch hinsichtlich der Ausscheidung der Kohlensäure aus der Lungenoberfläche durchführen. Hier handelt es sich um die Größe der C0O;- Spannung, die zur Evasion der entwickelten Menge Kohlensäure erforder- lich ist. Die Berechnung ergibt, daß die Differenz zwischen der CO,-Spannung in der Flüssigkeitsschicht und der CO,-Spannung in der Alveolenluft nur wenige Millimeter beträgt; ihre Bestimmung in den einzelnen Fällen hat des- halb kein Interesse. $ 2. Nachweis und Beschreibung der Gassekretion in der Lunge. Eine Lösung der Frage, ob in der Lunge eine spezifische Gassekretion stattfindet, muß sich, wie früher erwähnt, auf einen Vergleich der Spannung der Gase im Blute mit deren Spannung in der Lungenluft stützen. Da die Größe dieser Spannungen von mehreren Faktoren abhängt, die, wie die In- tensität des Stoffwechsels, die Zusammensetzung der Blutgase, die Atemgröße, auch unter normalen Verhältnissen variabel sind, müssen die Bestimmungen teils der Gasspannungen des Blutes, teils der Zusammensetzung der Exspi- rationsluft, aus der die Zusammensetzung der Lungenluft berechnet wird, gleichzeitig an demselben Individuum unternommen werden, wenn die Ver- suche maßgebend sein sollen. Zugleich sind bei dem einzelnen Versuchs- individuum der „schädliche Raum“ und die Tiefe der Atmung zu bestimmen, um die Bifurkaturluft berechnen zu können. Höchst wünschenswert ist end- lich eine gleichzeitig mit den Spannungsversuchen ausgeführte Bestimmung des Körpergewichts und der Intensität des respiratorischen Stoffwechsels; hierdurch wird es möglich, die Sauerstoffspannung in der Oberflächenschicht der Lunge zu finden. Versuche betreffend die beim Lungengaswechsel wirksamen Kräfte. Im folgenden teilen wir die Versuchsreihen in die älteren und die neueren ein, je nachdem sie vor oder nach dem Nachweise der aktiven Sauerstoff- aufnahme in der Lunge!) angestellt wurden; erst diese Untersuchungen gaben nämlich den Anlaß zur Auffassung des Gaswechsels als einer eigent- lichen Drüsensekretion. !) Bohr, Skand. Arch. f. Physiol. 2, 236, 1890. FE RETen. 2 ei nt u Gassekretion in der Lunge. — Versuche von Wolffberg und von Straßburg. 143 Ältere Versuche. Diejenigen Versuche, die teils in Ludwigs Laboratorium (Holmgren, J. J. Müller, Worm-Müller), teils in Pflügers Laboratorium (Wolff- berg, Straßburg, Nußbaum) über die Spannung im Blute und die Zu- sammensetzung der Alveolenluft angestellt wurden, haben ihre große Bedeu- tung für die Entwickelung der hier behandelten Fragen, geben jedoch keine definitive Lösung der Frage nach der Gassekretion der Lunge. Da indes auch in der neueren Zeit häufig die Ansicht,angetroffen wird, die von Wolff- berg, Straßburg und Nußbaum gegebenen Versuchsreihen sollten die Anschauung befürworten oder wohl gar beweisen, daß der Gaswechsel in der Lunge sich vollständig durch Diffusion zwischen Blut und Alveolenluft er- klären lasse, wird es notwendig, hier in Kürze zu untersuchen, worauf man sich in dieser Beziehung stützt. Vorerst ist nun zu bemerken, daß die in dieser Relation besonders wichtigen Bestimmungen der Sauerstoffspannung in den soeben genannten Versuchsreihen nicht gelangen. Straßburg!) findet die Sauerstoffspannung des Arterienblutes als im Mittel 3,9 Proz. einer Atmo- sphäre, während alle späteren Untersucher [Herter2), Bohr), Fredericq *)] teils unter Anwendung desselben Verfahrens, das Straßburg benutzte, teils durch modifizierte Methoden Zahlen über 10 Proz. finden. Eine auch nur annähernd richtige Bestimmung der Sauerstoffspannung des Blutes fand in Straßburgs Versuchen also nicht statt, und es ist ausschließlich die Be- trachtung der Kohlensäurepannungen, die man in diesen Versuchen berücksichtigen darf und auch im wesentlichen berücksichtigt hat. Be- sonders in zwei Beziehungen werden die Resultate als Beweis für die Hinlänglichkeit der Diffusionshypothese angeführt. Erstens sollte mittels der- selben nachgewiesen sein, daß die Kohlensäurespannung des Arterienblutes genau mit der der Exspirationsluft übereinstimme, und zweitens sollte eine ähnliche genaue Übereinstimmung der Kohlensäurespannung des Venenblutes mit derjenigen der in einem Lungenläppchen abgesperrten Alveolenluft stattfinden. | - Was die genannte Übereinstimmung des Arterienblutes mit der Exspi- rationsluft betrifft, durch die der vollständige Diffusionsausgleich zwischen dem die Lunge verlassenden Blute und der Alveolenluft erwiesen sein sollte, so ist meines Wissens dieses Argument für die Diffusionshypothese nicht von Wolffberg oder Straßburg aufgestellt, von denen die betreffenden Bestim- mungen herrühren, sondern von späteren Autoren). Der Sachverhalt ist aber folgender. Straßburg ®) stellte mittels eines Pflügerschen Tonometers eine Reihe von Versuchen über die Kohlensäurespannung des Arterienblutes an, die er im Mittel als 2,8 Proz. einer Atmosphäre befand, zwischen 2,2 und 3,8 schwankend. Wolffberg’) gibt die durchschnittliche Zusammensetzung der Exspirationsluft bei Hunden als 2,8 Proz. CO, und 16 Proz. O, an; seine Zahlen sind jedoch nicht die Durchschnittszahlen für die Exspirationsluft normaler Hunde, was sich schon aus dem respiratorischen Quotienten ersehen ‘) Pflügers Archiv 6, 96, 1872. — ?) Zeitschr. f. physiol. Chem. 3, 98, 1879. — ®) Skand. Arch. 2, 263, 1890. — *) Zentralbl. f. Physiol. 7, 33, 1893. — °) Frede- ricgq, Arch. de Biol. 14, 107, 1896. — °) Pflügers Archiv 6, 77, 1872. — 7) Ebenda 4, 487, 1871. 144 Gassekretion in der Lunge. — Versuche von Wolffberg und von Nußbaum. läßt, der eine Größe (0,58) hat, die allerdings während kurzer Dauer vor- kommen kann, jedoch nicht normal ist, was zugleich aber auch aus der detaillierten Beschreibung des Versuchs hervorgeht!). Die Zahl ist das Mittel von vier successiven einzelnen Bestimmungen an demselben Tiere, das höchst unregelmäßig atmete, weshalb die in Zwischenräumen genommenen Proben auch von 2,0 bis 2,9 schwankende Kohlensäureprozente geben. Ein Vergleich der Wolffbergschen Bestimmung der Exspirationsluft eines ein- zelnen, unregelmäßig atmenden Hundes mit Straßburgs Durchschnitts- zahl für die Kohlensäurespannyung des Arterienblutes ist natürlich nicht berechtigt. Wäre der Vergleich zulässig, so würde damit bewiesen sein, daß Diffusion nicht der tätige Faktor bei der Kohlensäureausscheidung sein kann. Das Kohlensäureprozent der Exspirationsluft ist in Wolffbergs?) Versuchen nämlich zwar hinsichtlich des schädlichen Raumes der Atmungs- kanüle, nicht aber hinsichtlich des Volumens der Trachea korrigiert. Da der Hund groß war und die Tiefe der Atmung 100 ccm betrug, muß die Kor- rektion hinsichtlich des schädlichen Raumes der Trachea eine sehr bedeutende Steigerung des Kohlensäureprozents in der Alveolenluft ergeben, die also eine weit höhere Kohlensäurespannung erhielt als die von Straßburg für das Arterienblut gefundene. Der zweite Punkt der hier besprochenen Versuchsreihen, der allgemein als eine Stütze der Diffusionshypothese betrachtet wird, sind Wolffbergs’) und Nußbaums*) Untersuchungen über die Kohlensäurespannung in Blut aus dem rechten Herzen und in der mittels eines Lungenkatheters ab- gesperrten Alveolenluft. Der Zweck dieser Versuche war, zu prüfen, inwie- fern zwischen der in einem Lungenlappen abgesperrten Alveolenluft und dem die Lunge durchströmenden Blut aus dem rechten Herzen völliges Gleich- gewicht stattfand; war dies der Fall, so nahm man an, daß ein aktiver Prozeß im Lungengewebe seine Widerlegung gefunden habe. Zur Entscheidung der Frage nach der Gassekretion ist dieses Verfahren indes nur wenig brauchbar; denn verhält die Lunge sich als eine Drüse, so wird die Untersuchung des Sekretes in einem abgesperrten Teile hier ebensowenig als bei anderen Drüsen eine Folgerung auf die normalen Sekretionsverhältnisse gestatten; man be- denke in diesem Zusammenhange nur, wie kurze Zeit’), nur wenige Stunden, erforderlich ist, um eine abgesperrte Lunge völlig atelektatisch zu machen. Selbst aber, wenn man hiervon absehen wollte, was nicht berechtigt sein würde, gewähren Wolffbergs und Nußbaums Untersuchungen der Diffusions- hypothese keine Stütze. Unten führe ich die von ihnen gefundenen Werte an; man wird sehen, daß das Verhältnis der Kohlensäurespannung des Blutes zu SR der abgesperrten Alveolenluft ein schwankendes ist; zuweilen findet ° man die Spannung der Alveolenluft höher, was andere tätige Faktoren als einen einfachen Diffusionsprozeß voraussetzt. Des Vergleichs wegen sind hier natürlich stets gleichzeitig ausgeführte Bestimmungen der Spannung des Blutes und der Lungenluft zu benutzen. Die von Nußbaum gefundenen Werte sind deshalb seinen einzelnen Versuchen entnommen, so daß diese Be- dingung befriedigt wurde, was mit der von Nußbaum selbst gegebenen )1 ec. 8.478. — ?)1. ce. 8. 477£. — °) Pflügers Archiv 4, 465, 1871 u. 6, 23, 1872. — *) Ebenda 7, 296, 1873. — °) Loewy, Pflügers Arch. 42, 275, 1888. Gassekretion in der Lunge. — Versuche von Bohr. 145 resümierenden Tabelle nicht der Fall ist, weshalb diese sich hier nicht ge- brauchen läßt. Nach Wolffberg!) Nach Nußbaum’?) Kohlensäureprozent Versuchs- Kohlensäureprozent Lungengas | Blutgas RER IEER: Lungengas | | Blutgas 2,5 | 4,1 Y, 2 4,2 4,1 3,6 | 2,4 y,,u 4,8 3,9 4,6 | 4,9 “u 2,8 3,3 | », u 4,4 4,3 Neuere Versuche. Versuche von Bohr). In dieser Reihe von Versuchen wurden gleich- zeitig die Zusammensetzung der Exspirationsluft und die Spannung der Gase im arteriellen Blute bestimmt. Zu den Versuchen wurden große Hunde ge- braucht, die durch leicht bewegliche Ventile atmeten; eine Probe der Aus- atmungsluft, proportional zur Menge der ausgeatmeten, in einer Gasuhr ge- messenen Luft, wurde behufs der Analyse angesammelt. Zugleich wurde die Tiefe der einzelnen Atmung und nach dem Tode des Versuchsindividuums das Volumen der Trachea und das der Trachealkanüle bestimmt; man hat dann die zur Be- rechnung der Zusammensetzung der Bifur- katurluft (Alveolenluft) erforderlichen Data und kann die Spannung des Sauerstoffs und der Kohlensäure in derselben berech- nen. Aus der Menge und der Zusammen- setzung der Exspirationsluft erfahren wir zugleich die Größe des respiratorischen Stoffwechsels; es läßt sich dann, da die Größe der Lungenoberfläche für Hunde verschiedenen Körpergewichts bekannt ist, der Differenzdruck (d) des Sauerstoffs und hieraus dessen Spannung in der Ober- flächenschicht der Lunge berechnen ($.141). Diese Werte sind in folgender Tabelle, welche sonst der Originalabhandlung ent- nommen ist, aufgeführt; sie zeigen sich für die Verwertung der Versuche von großer Bedeutung, konnten natürlich aber erst nach Einführung der Invasionstheorie be- stimmt werden. Wegen der Details der Fig. 19. - I EEE ET in), er ES SL ET EEE FE 771 IITT angewandten Methoden verweisen wir auf die zitierte Abhandlung. Hier sei nur bemerkt, daß das Blut aus der Arterie in das Hämatareometer (Fig. 19) strömte, wo der Spannungsausgleich mit der in demselben enthaltenen Luft !) Pflügers Arch. 6,42, 1872.— *) Ebenda 7, 296, 1873. — °®) Skand. Arch. 2,236,1890. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 10 146 Gassekretion in der Lunge. — Versuche von Bohr. Sc stattfand, worauf das Blut durch das Be SS periphere Ende der Arterie oder, was = 3°" "&& natürlich leicht eine weniger normale 2 2 = Zusammensetzung des Blutes gibt, durch = 3 = das zentrale Ende einer Vene wieder 5 a, S S ' zum Organismus zurückkehrt. Es ist :- x ns im Vergleich mit früheren Methoden ein A 8 2,0 wesentlicher Fortschritt, daß das Blut, das Bi; n = durch Blutegelinfus oder Pepton flüssig a “= erhalten wird, auf diese Weise stets "a E anno wieder ins Tier zurückfließt; dies ermög- g : 55735 licht die längere Fortsetzung des Ver- Eu: B ® + [+ suches unter einigermaßen normalen S, FE — Verhältnissen. Jeder Bestimmung der o E38 Er Spannung der Gase im Blute entsprach 8 < ra m1m,maao . . .ı° 2 stets eine genaue, gleichzeitig angestellte 8 8» Untersuchung der Exspirationsluft. fen 28 BR ETRNE ; © 55 Be Wenn die Sauerstoffspannung - 5 . . * A + im Arterienblute oder mit anderen Worten Er in dem die Lunge verlassenden Blute .dhE| 725% & größer ist als die der Bifurkaturluft, | 2 E s| r+++++ mithin in noch höherem Grade größer | z als die der Alveolenluft, genügt ein Br: Docoao, Diffusionsprozeß selbstverständlich nicht | 5 ri -.-a, Hmm pP BE: E a Erklärung der Sauerstoffaufnahme im fa ars Blute; es müssen dann die Zellen der ge EERERBFEN TS Lungenmembran eine spezifische Tätigkeit nl EA zur Beförderung des Sauerstoffs aus der = = des Blutes größer ist als die Span- < ad nung in der Lungenoberfläche, -) 8 g ; RT —— ein Diffusionsprozeß nicht hin- FRE 4223%93% reichend ist, um die Aufnahme des 8 5 a 7 Sauerstoffs im Blute zu erklären; = der Sauerstoff hat sich dann nämlich von Eh 3 & e H"PEHMHBH Orten mit niederen nach Orten mit höheren. Ara : Ru Sauerstoffpartialspannungen hin bewegt. u Gassekretion in der Lunge. — Versuche von Bohr. 147 Der Vergleich zwischen den Spannungen des Blutes und denen der Lungen- oberfläche gibt ein weit besseres Kriterium ab als der früher allein ange- wandte Vergleich zwischen der Alveolenluft und dem Blute, wo nur die gröberen Verschiedenheiten zum Vorschein kommen konnten. Fredericq!) äußerte die Vermutung, es sei bei den hier besprochenen Ver- suchen im Hämatareometer kein Ausgleich der Spannungen erzielt worden, spe- ziell nicht in betreff des Sauerstoffs. Daß in mehreren Fällen während der zu den Versuchen angewandten Zeit ein vollkommener Ausgleich erzielt wurde, zeigen jedoch mehrere der von Bohr?) angeführten Beispiele mit Entschiedenheit; es liegt indes ja die Möglichkeit vor, daß der Ausgleich in den verschiedenen Fällen verschiedenen Zeitraum beanspruchen könnte, was denkbar wäre, insofern der Ausgleich des Sauerstoffs unter den Blutkörperchen und dem Plasma dadurch beeinflußt werden könnte, daß das Blut im Tonometer unter andere äußere Verhältnisse geriete als in den Gefäßen. Ein langsamerer Ausgleich zwischen Blutkörperchen und Plasma würde, da letzteres nur sehr geringe Mengen Sauerstoff enthält, das Eintreten des Gleichgewichts im Tonometer verzögern können, und zwar auf variable Weise. Obschon keine Tatsache vorliegt, die für eine derartige Erscheinung spräche, ist deren Möglichkeit doch nicht entschieden auszuschließen; um mit Bezug auf die aus den Ver- suchen gezogenen Schlüsse ganz sicher zu gehen, sind in der untenstehenden Tabelle deshalb nur diejenigen Versuche Bohrs angeführt, wo entweder die Vollständigkeit des Ausgleichs dadurch bewiesen wurde, daß die Einstellung im Tonometer sowohl von niederen als von höheren Spannungen aus geschah (Nr. XII und XIII des Originals), oder wo die Schlußwerte höher liegen als die Anfangswerte (Nr. I, IV, VI, X), wo der Wert mithin sicher ein Minimum der Sauerstoffspannung des Blutes ist. Jeglicher Einwurf gegen die Berech- tigung der Verwertung dieser Versuche wird auch von dem von Fredericeq angeführten Standpunkte aus wegfallen müssen. Wo in der Tabelle die Differenzen der Spannungen des Blutes und der- jenigen der Bifurkaturluft mit Bezug auf den Sauerstoff positiv, mit Bezug auf die Kohlensäure negativ sind, ist eine aktive Zellentätigkeit erwiesen. Aus der Tabelle geht mit größter Deutlichkeit hervor, daß die Sauer- stoffaufnahme sich in keinem der Versuche als die Folge eines Diffusionsprozesses erklären läßt; Diffusion kann in der weit über- wiegenden Anzahl der Fälle auch mit Bezug auf die Kohlensäureausscheidung nicht als hinlänglicher Erklärungsgrund in Betracht kommen. Auch von den übrigen, in dieser Tabelle nicht angeführten Versuchen gilt dasselbe sowohl hinsichtlich des Sauerstoffs als hinsichtlich der Kohlensäure. Speziell war auch in den hier nicht angeführten Versuchen die Sauerstoffspannung im Blute überall höher als in der Lungenoberfläche, ja in 12 der 14 Versuche sogar höher als in der Bifurkaturluft. Die Mittelzahlen sämtlicher Ver- suche geben natürlich ebenfalls Ausschläge in der Richtung der aktiven Zellentätigkeit.e Durch diese Versuche hat die Gassekretion der Lunge also mit völliger Sicherheit ihren Erweis gefunden. In einigen Fällen kam Einatmung kohlensäurehaltiger Luft zur Anwendung; hier scheint die aktive Zellentätigkeit sich in betreff der Kohlen- !) Zentralbl. f. Physiol. 7, 33, 1893 u. Arch. d. Biol. 14, 109, 1896. — ?) 1. e. 8. 251. Ä 10* 148 Gassekretion in der Lunge. — Versuche von Fredericg. säureausscheidung durchweg stärker als gewöhnlich geltend gemacht zu haben !). In gewissen Fällen kam eine Kohlensäureretention vor), indem die Kohlensäurespannung während der Dauer des Versuches im Blute stieg und zu gleicher Zeit in der Exspirationsluft sank. Versuche von F’redericg°). Die Bestimmung der Gasspannungen im Arterienblute geschah mittels eines von Fredericq konstruierten Tonometers (Fig. 20), das im Prinzip dasselbe wie das von Pflüger angegebene ist; es Fig. 20. wurde aber Sorge getragen, daß dem in Bohrs obigen Versuchen angegebenen Prinzip gemäß das aus der Arterie kommende Blut nach Durchströmung des Tonometers wieder in den Organismus zurückkehrte, und zwar immer durch eine Vene. Peptoninjektion erhielt das Blut flüssig. Die Bedingungen eines geschwinden Ausgleichs sind an und für sich etwas geringer als im Hämatareometer*); der Apparat ist aber leicht handlich und gestattet die Aus- dehnung der Versuche auf lange Dauer, wodurch die geringeren Ausgleichsbedingungen aufgewogen werden können. Die Versuche umfassen Bestimmungen der Gas- spannungen des Arterienblutes bei Einatmung teils atmo- sphärischer Luft, teils einer sauerstoffreichen Gasmischung (etwa 85 Proz. 0,). Im ersteren Falle fand man in zwei Versuchen, wo der Spannungsausgleich vollständig erreicht wurde, eine Sauerstoffspannung von 12,8 Proz., bzw. 14 Proz. und eine Kohlensäurespannung von 2,7 Proz., bzw. 2,4 Proz.; war der Totaldruck im Apparat, was am wahrscheinlichsten ist, etwa 710 mm, so gibt das eine Sauerstoffspannung von 91 bis 99mm und eine Kohlensäurespannung von 17 bis 19mm. Da keine gleichzeitig ausgeführten Analysen der Ausatmungsluft angegeben sind, lassen die Versuche sich nicht zur Aufklärung über die beim Gasaustausch tätigen Kräfte benutzen. Dies gilt ebenfalls von den Versuchen, wo die Einatmungs- luft stark sauerstoffhaltig war; auch hier finden sich keine Analysen der Ausatmungsluft, die besonders rücksichtlich der Kohlensäure von Interesse sein würden, indem die Spannung dieses Gases im Blute in diesen Versuchen sehr schwankend ist, von 2,3 bis 5,1 Proz. Die Sauerstoffspannung der Aus- atmungsluft wird auf einen Wert von 80 Proz. angeschlagen, im Blute wird sie gleichzeitig als von 60 bis 70 Proz. befunden. Daß hier die Sauerstoff- spannung im Blute niedriger ist als in der Ausatmungsluft, beweist selbst- verständlich nichts gegen eine aktive Zellentätigkeit, von welcher natürlich nicht anzunehmen ist, daß sie die Spannung des Blutes immer bis über die der Alveolenluft steigert, auch in Fällen, wo es, wie hier, dem Organismus zum mindesten keinen Nutzen bringen würde. Die Versuche ergeben indes die wichtige Tatsache, daß die Sauerstoffspannung des Blutes höhere Werte !) Bohr, 1. c. 8. 267. — *) Ebenda. — °) Zentralbl. f. Physiol. 7, 33, 1893 u. 8, 34, 1894. — *) Vgl. Bohr, Zur Theorie der Bluttonometrie. Skand. Arch. f. Physiol. 1905. Gassekretion in der Lunge. — Versuche von Weißgerber. 149 hat, wenn die Einatmungsluft stark sauerstoffhaltig ist, als wenn dieselbe aus gewöhnlicher atmosphärischer Luft besteht ; hierauf kommen wir später zurück. Versuche von Weibgerber!). In diesen Versuchen, bei denen besonders das Prozent der Kohlensäure in der Einatmungsluft variiert wird, und die der Autor als der Sekretionstheorie widerstreitend auffaßt, werden die Be- stimmungen der Gasspannungen des Arterienblutes wie bei den unmittelbar vorher beschriebenen Versuchen mittels Fredericqs Tonometer ausgeführt. Die Anordnung der Respirationsversuche ist folgende. In der Trachea ist eine mit Ventilen versehene T-förmige Kanüle angebracht, deren Seitenröhre mit Hilfe von Kautschukschläuchen mit je einem Ende eines Kautschuksackes von 50 Liter Volumen in Verbindung stehen, durch den die Atmung während des Versuches also stattfindet. Die Luft im Sacke hat in den einzelnen Ver- suchen eine verschiedene Zusammensetzung, doch ist das Prozent der Kohlen- säure und-des Sauerstoffs stets etwas größer als in atmosphärischer Luft; _ das Tonometer wird zu Anfang des Versuchs mit einer dem Sackinhalt identi- schen Gasmischung beschickt, und die Gasmischung im Sacke wird am Anfang und am Schlusse jedes Versuches analysiert. Diese Anordnung bietet für unsere Zwecke die nicht geringe Mißlichkeit dar, daß die Zusammensetzung der Gasmischung im Sacke während des Versuches fortwährend variiert, in- dem die Kohlensäuremenge zunimmt und die Sauerstoffmenge abnimmt. Hier- durch wird selbstredend, wie der Autor selbst bemerkt, der Vergleich mit der gleichzeitig bestimmten Gasspannung des Blutes ein unsicherer. Ferner wurde keine Untersuchung der Exspirationsluft, geschweige der Alveolen- luft, angestellt; die Luft im Sacke repräsentiert zu jeder Zeit in der Tat nur die Inspirationsluft. Zu den vom Autor gegebenen Zahlen habe ich in untenstehender Tabelle die Größe der Kohlensäureausscheidung pro Kilogramm und Stunde hinzugefügt, wie diese sich aus dem Volumen des Sackes und aus den Änderungen der darin enthaltenen Gasmischung berechnen läßt; die Zahlen bezeichnen Cubikcentimeter ohne Reduktion auf 0° und 760 mm. Die Tabelle betrifft ausschließlich die Kohlensäurespannungen;; den Sauerstoff- Kohlensäureprozent. Versuchs- | Pauer des | Gas im Sacke Gas im | Gas im CO, pro Versuchs | und Tonometer Sacke | Tonometer | Kilogramm nummer || in Minuten anfänglich schließlich | schließlich | und Stunde I 60 51,06 51,50 | 94,25 | 42 IH 60 46,67 720 | 1988 | 53 IV 60 5,89 | 9,83 | 9,58 | 660 Va 60 0,65 Kar wee |, 60 | 802 Vb 60 5,80 Be SruBh || 283 vI 90 4,21 | 192° | | 172 vo 60 15,04 DET N a er We Be 1) VI 49 12,98 | 20,92 | 1756 | 405 IX 50° ° 9,10 14,53 12,78 | 362 X 120 6,05 | 13,64 | 13,42 | 271 !) Arch. de Biol. 14, 441, 1896. 150 Gassekretion in der Lunge. — Versuche von Weißgerber. spannungen legt der Autor selbst kein besonderes Gewicht bei, weshalb sie hier nicht näher behandelt werden. Aus der Tabelle ist zu ersehen, daß in den beiden ersten Versuchen die’ Kohlensäureausscheidung bei dem hohen Prozente (etwa 50 Proz.) der Kohlensäure in der Einatmungsluft fast aufgehört hat. Es ist hier nicht zu erwarten, daß die Kohlensäurespannung in dem Blute niedriger sein sollte als in der Inspirationsluft. Ein solcher Ausschlag der Zellentätigkeit würde natürlich kräftige Arbeit des Respirationsorganes voraussetzen; hier war aber, da der Organismus ja nicht mehr imstande war Kohlensäure in nennens- wertem Grade auszuscheiden, die Grenze der Leistungsfähigkeit jedenfalls überschritten, und von diesen beiden Versuchen müssen wir deshalb in dieser Relation absehen. In den anderen Versuchen hat die Kohlensäure- ausscheidung dagegen zuweilen sogar beträchtliche Werte pro Kilogramm und Stunde gehabt. Indes ist, wie aus der Tabelle ersichtlich, der Unter- schied zwischen der anfänglichen und der schließlichen Luft im Sacke in den meisten Versuchen ein so großer, daß, wie bemerkt, von einem Vergleich mit dem Resultate der Spannungsbestimmungen im Blute nicht wohl die Rede sein kann. Will man diese Werte jedoch hierzu benutzen und z. B. das Mittel der anfänglichen und schließlichen Zusammensetzung sowohl der Ein- atmungsluft als der Tonometerluft zum Vergleich gebrauchen, so werden mehrere der Versuche für eine aktive Zellentätigkeit sprechen (höhere C0,- Spannung in der Einatmungsluft als im Blute). Will man aus Rücksicht auf den verzögerten Ausgleich im Tonometer so weit gehen, daß man das Mittel der anfänglichen und der schließlichen Zusammensetzung der Inspi- rationsluft mit der schließlichen Zusammensetzung der Tonometerluft vergleicht, so werden auch dann einige der Versuche für die Sekretion sprechen, wenn man bedenkt, daß man hier genötigt ist, die Inspirations- luft, nicht aber die Exspirationsluft, geschweige die Alveolenluft, auf welche es doch eigentlich ankommt, mit den Gasen des Blutes zu vergleichen. Über- haupt sind denn diese Versuche, wo die Zusammensetzung der Ausatmungs- luft nicht bestimmt ist, nur wenig geeignet, um zu entscheiden, ob bei denselben eine Gassekretion stattgefunden hat oder auch nicht. Dagegen zeigen sie, daß auch hinsichtlich der Kohlensäure die Spannung des Blutes eine hohe wird, wenn das Prozent in der Einatmungsluft beträchtlich anwächst. Versuche von J. Haldane und Lorrain Smith 1). Diese Untersuchungen betreffen allein das Verhalten der Sauerstoffspannungen im Blute; um deren Werte zu bestimmen, wurde nicht wie bei früheren Versuchen das Tonometer in irgend einer Form angewandt, sondern eine neue, sehr sinn- reiche Methode benutzt, die unter anderem auch die Ausführung der Bestim- mungen an Menschen gestattet. Das Versuchsindividuum atmet eine kon- stante, genau dosierte Mischung von atmosphärischer Luft und Kohlenoxyd ein.: Von Zeit zu Zeit mißt man die prozentische Sättigung des Blutfarb- stoffs mit Kohlenoxyd, die sich nach Verlauf einiger Zeit als konstant bleibend erweist. Nach Eintritt dieses Gleichgewichtszustandes ist die Kohlenoxyd- spannung des die Lunge verlassenden Blutes als gleich der Spannung dieses !) Journ. of Physiol. 20, 497, 1896 u. 22, 231, 1897. Gassekretion in der Lunge. — Versuche von Haldane und Smith. 151 Gases in der Einatmungsluft zu betrachten; man kennt mithin dieSpannung des Kohlenoxyds im Blute. Die gleichzeitig bestimmte prozentische Sätti- gung des Farbstoffs mit Kohlenoxyd ist, wo sich wie hier außer Kohlenoxyd auch Sauerstoff findet, von dem Verhältnis zwischen den Spannungen der beiden Gase abhängig. Die Spannung des Sauerstoffs im Blute läßt sich also aus der Spannung des Kohlenoxyds und dem Sättigungsgrade des Farbstoffs berechnen, indem die erforderlichen Konstanten durch Schütteln des Farb- stoffs außerhalb des Organismus mit einer bekannten Mischung von Sauer- stoff und Kohlenoxyd festgestellt werden, wie an anderem Orte entwickelt wurde (S. 125). Von Einzelheiten führen wir nur an, daß die relative Sättigung des Blutfarbstoffs mit Kohlenoxyd mittels einer von den Autoren angegebenen kolorimetrischen Methode bestimmt wird, deren Ausführung nur eine’ sehr kleine Menge Blutes erfordert. Die Genauigkeit des ganzen angewandten Verfahrens zur Bestimmung der Sauerstoffspannung wurde durch eine Reihe. von Versuchen in vitro erwiesen, wo Blut mit Gasmischungen von wechseln- dem Kohlenoxyd- und Sauerstoffprozent geschüttelt wurde und man den Sättigungsgrad des Farbstoffs bestimmte). Was die denkbaren möglichen Fehlerquellen betrifft, die von den beson- deren Verhältnissen im Organismus herrühren könnten, so wurden auch sie mit ‚großer Sorgfalt untersucht. So zeigt es sich, daß das Vorhandensein von Kohlensäure, wenigstens unter den normal im Organismus vorkommenden Spannungen, das Resultat nicht beeinflußt ?), und daß das Kohlenoxyd sich nicht im Organismus oxydiert, was ja die Bestimmungen fehlerhaft machen könnte). Hinzufügen können wir noch, daß die Bildung einer geringen Menge Kohlenoxyd im Organismus, wie sie von Nicloux®) angenommen wird, auf die gefundenen Resultate keine Einwirkung hat. Die angewandte Methode ‚wurde so sorgfältiger Prüfung unterworfen, daß ihre Zuverlässigkeit keinen Zweifel erleiden kann. Mit Bezug auf die Verwertung der gefundenen Resultate wäre es wohl nur von folgendem, dem Versuche nicht direkt zugänglichem Umstande denkbar, daß er Schwierigkeiten bereitete. Wird das Kohlenoxyd mittels spezifischer Zellentätigkeit in der Lunge aufgenommen, wie es mit dem Sauerstoff der Fall ist, so kann man, worauf Haldane und Smith aufmerksam machen, nicht. davon ausgehen,. daß im Blute stets dieselbe CO-Spannung anzutreffen sei wie in der Lungenluft, und hierdurch würde die Berechnung der Sauerstoffspannung, welche die Kenntnis der Größe der Kohlenoxydspannung voraussetzt, mithin unsicher werden. Eine solche Annahme würde natürlich die spezifische Tätigkeit der Lungen- zellen als bewiesen voraussetzen; von der Annahme einer einfachen Diffusion durch die Lungenmembran aus läßt dieser Einwurf sich ja nicht erheben. Die’ vorwiegende Wahrscheinlichkeit ist nun aber dafür, daß das Kohlenoxyd die Lungenmembran mittels Diffusion passiert. Hierfür spricht namentlich die Art und Weise, wie. das Kohlenoxyd vom Organismus absorbiert wird, indem. die Absorption nach Verlauf einer gewissen Zeit plötzlich aufhört, und.daß dies immer bei einem Sättigungsgrade des Blutfarbstoffs geschieht, !) Journ. of Physiol. 20, 507. — ?) 1. c. 20, 513. — °®) 1.c. p. 514 u. Haldane, Journ. of Physiol. 25, 225, 1900. — *) Arch. de physiol. (5) 10, 434, 1898. 152 _ Gassekretion in der Lunge. — Versuche von Haldane und Smith. der vom Partialdruck der Einatmungsluft abhängig ist, gestattet wohl keine andere Deutung als die, daß das Kohlenoxyd durch Diffusion ins Blut ein- dringt !). Mittels dieser Methode untersuchten Haldane und Smith die Sauerstoff- spannung des Blutes an einer Reihe verschiedener Tiere; die Durchschnitts- zahlen dieser Bestimmungen sind in untenstehender Tabelle angeführt. Gleichzeitige Bestimmungen der Exspirationsluft wurden in diesen Versuchen nicht unternommen; die Inspirationsluft war atmosphärische Luft, deren Sauerstoffspannung, wenn die Luft zur Körpertemperatur erwärmt und mit Wasserdampf gesättigt ist, etwa 149 mm beträgt. Die Sauerstoffspannung der Alveolenluft war dann gewiß niedriger als dieser Wert, wahrscheinlich nur etwa 100mm. Aus der Tabelle ist zu ersehen, daß das Mittel der Sauerstoffspannung des Blutes bei sämtlichen untersuchten Warmblütern in der Regel sogar bedeutend höher ist als die Sauerstoffspannung der ‚Inspirationsluft, und dasselbe ist der Fall mit fast allen Einzelbestim- mungen, aus denen das Mittel berechnet wurde. Anzahl Proz. CO in| Proz. Sätti- | O,-Spannung des Blutes Tiergattung der Bestim- der Inspi- gung des NER mungen | rationsluft ‚| Hgb. mitCO | ı Atmosph. mm Ma 20 0,072 45,9 22,6 17% Mensch 9 0,052 26,9 38,9 293 Hundsars. ne, 2 0,064 46,2 21,0 160 Katze si... ac 1 0,064 37,7 35,3 268 Kaninchen .. 4 0,070 42,4 27,6 210 VOS6ol yes.» 4 0,072 30,4 44,6 339 PILOSCH, a 13 0,082 57,0 18,4 140 In anderen Versuchsreihen wurde der prozentige Sauerstoffgehalt der Einatmungsluft variiert. Bei der Einatmung von Gasmischungen mit hohem Sauerstoffprozent steigt die Sauerstoffspannung des Blutes (vgl. Fredericqs Versuche $. 148), indem sie sich fortwährend höher hält als die Sauerstoffspannung der Inspirationsluft. Die Differenz zwischen der Sauerstoffspannung des Blutes und der der Einatmungsluft zeigte sich sogar bedeutend größer als beim Einatmen atmosphärischer Luft. So findet man z. B. bei Mäusen während Einatmung einer Luft mit 618 mm (87 Proz.) Sauerstoffspannung den Wert der letzteren im Blute als 958 mm; bei- einer Sauerstoffspannung in der Inspirationsluft von 343 mm (47,6 Proz.) ergab dieselbe sich im Blute als 460mm. Bei Einatmung sauerstoffarmer Luft ist die Sauerstoffspannung im Blute im Vergleich mit normaler Span- nung herabgesetzt, hat aber immer so hohen Wert, daß eine spezifische Zellentätigkeit zu dessen Erklärung nötig ist. So findet man als Mittel von sieben Versuchen an Mäusen ?), wo die Einatmungsluft weniger als 10 Proz. Sauerstoff enthielt und durchschnittlich eine Spannung von 53mm (7,4 Proz.) hatte, die Sauerstoffspannung des Blutes gleich 71mm (9,3 Proz.); in allen einzelnen Bestimmungen, aus denen dieses Mittel gebildet wurde, war die Spannung höher im Blute als in der Alveolenluft und in sechs der sieben Y) 1. c. 20, 516. — ?) Journ. of Physiol. 22, 242, 1897. Gassekretion in der Lunge. — Versuche von Haldane und Smith. 153 Versuche sogar höher als in der Inspirationsluft. Analoge Resultate erhält man, wie vorauszusehen war, bei Einatmung atmosphärischer Luft bei niedrigen Drucken. Von den hierher gehörenden Resultaten führen wir nur an, daß drei an kleinen Vögeln angestellte Versuche als Mittel der Sauerstoffspannung in der Inspirationsluft und im Blute 7,1, bzw. 17,1 Proz. einer Atmosphäre ergaben. Die Unzulänglichkeit der Diffusionshypothese geht mit größter Deutlich- keit aus Haldane und Smiths Versuchen hervor. In fast allen Fällen zeigt die Sauerstoffspannung des Blutes bedeutend höhere Werte nicht nur als die Alveolenluft, sondern auch als die das Versuchsindividuum umgebende Atmosphäre. | Es haben wahrscheinlich zwei Umstände zur Förderung der intensiven Zellentätigkeit beigetragen, die bei diesen Versuchen in besonderem Grade stattgefunden zu haben scheint, und die sich durch die Häufigkeit kundgibt, womit sehr hohe Sauerstoffspannungen gefunden werden. Teils hat gewiß die Versuchsmethode selber zu intensiver Zellentätigkeit angeregt, teils befand sich hier das Versuchsindividuum im Gegensatz zu den gewöhnlichen Verhältnissen bei tonometrischen Versuchen unter normalen, günstigen Bedingungen, damit sich intensive Lebensprozesse überhaupt entwickeln können. Was letzteren Umstand betrifft, so müssen wir daran erinnern, daß bei Haldane und Smiths Methode das Aufbinden des Tieres und operative Eingriffe vermieden werden, wie denn auch, was sehr wesentlich ist, Injektionen von Flüssigkeiten, die geeignet sind, das Blut flüssig zu erhalten, unnötig sind. Die Injektion solcher Substanzen, namentlich des Peptons, ist keineswegs als indifferent zu betrachten, wenn man berücksich- tigt, wie hierdurch das Allgemeinbefinden beeinflußt und die Zusammen- setzung der Blutgase verändert wird (Grandis!). Auch die Überleitung arteriellen Blutes in eine Vene, wie sie in einigen meiner Versuche und in allen Versuchen Fredericqs stattfand, ist ein Eingriff, der die normalen Verhältnisse stört. Wie leicht nun Eingriffe verschiedener Art und Störungen der normalen Verhältnisse überhaupt die Intensität der Zellentätigkeit affı- zieren können, davon bieten die neueren drüsenphysiologischen Untersuchungen Beispiele zur Genüge dar, und Haldane und Smith haben auch durch später zu besprechende Versuche gezeigt, in wie bedeutendem Grade das Allgemeinbefinden des Tieres auf die Größe der Sauerstoffspannung im Blute einwirkt. Im Gegensatz zu früheren Versuchen gewähren die von Hal- dane und Smith also günstige Bedingungen für die freie Entfaltung der Hilfs- mittel, über die der Organismus beim Gaswechsel in den Lungen verfügt. Ferner muß angenommen werden, daß die Methode die Anwendung dieser Hilfsmittel stimuliert. Beider Einatmung kohlenoxydhaltiger Luft sättigt sich ja während des Versuches ein Teil des Hämoglobins mit Kohlenoxyd (beim Men- schen etwa ein Drittel, bei Tieren etwa zwei Drittel), der hierdurch für den Transport von Sauerstoff unbrauchbar wird. Funktionell betrachtet verhält das Blut sich also, als ob es eine bedeutend kleinere Menge Hämoglobin ent- hielte, was die äußeren Bedingungen der Gewebsatmung verringert (s. über die innere Atmung S. 201); die Annahme hat dann die Wahrscheinlichkeit !) Arch. f. Physiol. 1891, $. 499. 154 Gassekretion in der Lunge. — Versuche von Haldane und Smith. für sich, daß der Organismus dieser Wirkung entgegenarbeitet, und gerade die Steigerung der Sauerstoffspannung im Arterienblute ist eines der zu diesem Zwecke dienenden Mittel. Daß nun in der Tat die Sauerstofispannung des Blutes bei der größeren relativen CO-Sättigung des Blutes steigt, scheint auch aus Haldane und Smiths Versuchen hervorzugehen !). Stellt man nämlich nach dem verschiedenen Sättigungsgrade des Blutfarbstoffs mit Kohlenoxyd (30 bis 40 Proz., 40 bis 50 Proz. usw.) die Versuche an zahmen Mäusen zu sechs Gruppen zusammen, so erhält man für die einzelnen Gruppen folgende Durchschnittszahlen der Sauerstoffspannung im Blute: Proz. CO-Sättigung des Blutes O,-Spannung Anzahl der | i Proz. von 1 Atmosph. Manuchb Grenzen Mittel b) 30—40 36,2 25,9 10 40-50 45,1 23,0 3 50—60 54,5 I: 7 60—70 64,8 30,1 6 70—80 75,3 32,6 3 80—90 84,1 26,2 Übersteigt die CO-Sättigung des Blutes’ 60 Proz., so sieht man eine deutliche Zunahme der Sauerstoffspannung, die bei einer Sättigung von etwa 75 Proz. ihr Maximum erreicht. Bei.noch höheren Sättigungsgraden wird die Spannung wieder niedriger, was wohl davon herrührt, daß man sich hier in der Nähe der Grenze befindet, die den Mäusen überhaupt die Fort- _ setzung des Lebens verwehrt. Bei Vögeln wurden die höchsten Werte der Ö,-Spannung des Blutes gefunden, was vielleicht von einer besonders stark incitierenden Einwirkung der Verringerung. des Blutsauerstoffs bei diesen Tieren herrührt; jedenfalls besitzen Vögel in dieser Beziehung größere Empfindlichkeit als Mäuse, und sterben schon, wenn 60 Proz. ihres Blutes mit Kohlenoxyd gesättigt sind. Natürlich können hier jedoch auch Gattungs- verschiedenheiten anderer Art entscheidend sein. Da dem oben Entwickelten zufolge die partielle Sättigung des Blutes mit Kohlenoxyd aller Wahrscheinlichkeit nach ein Moment ist, das die Tätig- keit der Lungenzellen anregt,: so werden die von Haldane und Smith für die Sauerstoffspannung des Blutes gefundenen Zahlen zunächst wohl beson- ders hohe Werte repräsentieren, deren Beobachtung nicht zu erwarten ist,. wenn es keinen Anlaß zu besonders gesteigerter Zellentätigkeit gibt; der Organismus paßt wohl auch an diesem Punkte die Intensität der Arbeit den augenblicklich gestellten Forderungen an. Diese Betrachtungsweise wird. auch die Schwierigkeiten beseitigen, die sonst damit verbunden sind, die oben. erwähnten hohen Sauerstoffspannungen des Blutes mit vorliegenden Versuchen über den Sauerstofisättigungsgrad des normalen arteriellen Blutes in Übereinstimmung zu bringen. Häufig findet man nämlich, wenigstens.bei Hunden und Pferden, daß das Arterienblut bei !) Journ. of Physiol. 22, 234 u. 239, 1897. WE Wen EEE Sekretion und Diffusion in der Lunge. 155 der Sauerstoffspannung der Atmosphäre nicht völlig mit Sauerstoff gesättigt ist, obschon man zuweilen findet, daß es übersättigt ist (S. 196). In der Regel müßte man demnach die O,-Spannung des arteriellen Blutes für geringer als 21 Proz. einer Atmosphäre halten. Haldane und Smith sind geneigt, die Erklärung dieses Mangels an Über- einstimmung zwischen dem gewöhnlichen Sättigungsgrade des Blutes und den von ihnen gefundenen hohen Sauerstoffspannungen darin zu suchen, daß der Sauerstoffgehalt des Arterienblutes, wie Pflüger meint, nach der Ent- leerung geschwind abnehme, so daß das Auspumpen nicht die wirklichen Werte gebe. Wie wir bei der Behandlung der Frage nach dem Sauerstoff- sättigungsgrade des Blutes entwickeln werden (S. 196), liegt indes nichts vor, das für einen solchen Verbrauch spräche. Die Erklärung der Nicht- übereinstimmung ist gewiß mit größerem Recht darin zu suchen, daß in Haldane und Smiths Versuchen das Blut wegen der partiellen Sättigung des Hämoglobins mit Kohlenoxyd relativ stärker mit Sauerstoff gesättigt war als unter gewöhnlichen Verhältnissen, und wahrscheinlich würde man dieses auch durch Auspumpen des Blutes gefunden haben, wenn ein solches sich hätte unternehmen lassen. Auch das Mißverhältnis zwischen den mittels der CO-Methode bei niedrigen Drucken gefundenen Spannungen und den von P. Bert unter entsprechenden äußeren Umständen angetroffenen prozen- tigen Sauerstoffmengen des Blutes möchte seine Erklärung durch die intensivere Zellentätigkeit finden, wenn ein Teil des Hämoglobins vom Kohlen- oxyd in Anspruch genommen wird. Übrigens ist zu bemerken, daß einige der Schwierigkeiten, die Haldane und Smith bei der Auseinandersetzung der Verhältnisse bei niedrigen Drucken erblickten !), darin zu suchen sind, daß sie darauf angewiesen waren, eine von Hüfner angegebene Disso- ziationskurve zu benutzen, die, wie spätere Untersuchungen gezeigt haben, von den wirklichen Verhältnissen bedeutend abweicht. Näheres über die spezifische Tätigkeit der Lunge beim Gaswechsel. Durch die oben beschriebenen, von mehreren Untersuchern ausgeführter Versuche ist eine spezifische Zellentätigkeit beim Gaswechsel in den Lungen unzweifelhaft konstatiert worden. Mit Bezug auf die Sauerstoffaufnahme tritt nicht nur in sämtlichen Versuchen von Haldane und Smith, in denen die Zellentätigkeit, wie oben entwickelt, wohl als besonders incitiert zu be- trachten ist, die Unzulänglichkeit der Diffusionshypothese klar hervor — auch in sämtlichen von Bohr angestellten Versuchen, wo’an die Intensität der Zellentätigkeit kein besonderer Anspruch gemacht wurde, wo die Verhältnisse im Gegenteil in dieser Beziehung als ziemlich ungünstig zu betrachten waren, erweist es sich, daß dasselbe der Fall ist, seitdem die Einsicht in die phy- sikalischen Bedingungen durch die Theorie von der In- und Evasion der Gase in Flüssigkeiten sich vertieft hat. Die Gassekretion ist daher als eine essentielle Seite der Lungenfunktion zu betrachten und läßt sich nicht als ‚eine accidentelle Erscheinung auffassen, die bald eintreten, bald unterbleiben könnte. Diese für ein eingehenderes Studium der Funktion der Lunge fun- damentale Tatsache haben wir deshalb in den folgenden Abschnitten bei der !) Journ. of Physiol. 32, 242, 1897. 156 Sekretion und Diffusion in der Lunge. — Versuche von Magnus. Behandlung der verschiedenen respiratorischen Funktionen stets ins Auge zu fassen. Selbstverständlich liegt hierin aber nicht, daß die Spannungen im Blute und in der Alveolenluft immer bedeutende Abweichungen in einer Richtung zeigen sollten, die nicht durch Diffusion erklärt werden könnten. Die Gassekretion paßt sich wie alle anderen Sekretionen den augenblicklichen Forderungen des Organismus an, und ihre Intensität ist deshalb bedeutenden Schwankungen unterworfen. Weil die Gassekretion einen konstanten Faktor der Lungenatmung bildet, ist darum eine gleichzeitige Diffusion durch die Lungenmembran hindurch doch nicht ausgeschlossen. Nach dem Bau der Membran liegt im Gegenteil die Annahme nahe, daß eine solche, wenn auch nur in verhältnismäßig ge- ringerem Umfange stattfindet. Wie die oben (S. 136) angeführten Versuche von Bichat und von Ewald und Kobert zeigen, muß es in der Lunge Spaltenräume geben, die bei Druck für Gasbläschen permeabel sind; durch jene hindurch muß die Diffusion wahrscheinlich stattfinden, in verhältnis- mäßig höherem Grade hinsichtlich der Kohlensäure als des schwerer lös- lichen Sauerstoffs. Wie die oben behandelten Spannungsversuche dartun, ist die Diffusion aber im Verhältnis zu der von den Zellen entwickelten Tätigkeit ein untergeordneter Faktor; die Fläche der Spaltenräume ist ja auch relativ klein, und durch die secernierenden Zellen selbst wird wohl schwerlich eine Diffusion stattfinden. Eine einfache Diffusion durch die Lunge müssen leicht diffusible Gase mit großem Absorptionskoeffizienten am leichtesten bewerkstelligen können, und diese wurde denn auch rücksichtlich des Schwefelwasserstoffs nach Injektion schwefelwasserstoffhaltigen Wassers beim Kaninchen von Magnus!) nachgewiesen. Die von demselben Autor angenommene Undurchlässig- keit des Ammoniaks durch die Lunge würde dagegen die Möglichkeit jeglicher Diffusion durch dieses Organ ausschließen. Kann nämlich ein so leicht diffusibles Gas die Lungenmembran nicht passieren, so kann es überhaupt für eine einfache Diffusion keinen Weg geben; auch die oben erwähnte Ausscheidung von Schwefelwasserstoff durch dieLunge müßte dann von einer Sekretion herrühren, was nur wenig Wahrscheinlichkeit hat. Indes gestatten Magnus’ interessante Versuche auch andere Erklärungen als die vom Autor aufgestellte. Wenn z. B. bei Kaninchen trotz Einatmung einer Luft, die eine 7 proz. Ammoniaklösung durchströmt hat (mithin höchstens 0,1g Am- moniak pro Liter enthält), Vergiftungssymptome ausbleiben, so braucht die Lunge darum doch nicht für Ammoniak undurchgängig zu sein. Dieses Gas wird nämlich, wo es in der Lungenmembran die ausgeschiedene Kohlen- säure antrifft, notwendigerweise in kohlensaures Ammoniak umgebildet, das während des kurzdauernden Versuches keine Vergiftungssymptome hervor- zurufen braucht, selbst wenn aus demselben einiges Ammoniak aufgenommen wird. In anderen Versuchen von Magnus, wo die Ausatmungsluft sich trotz Injektion von Ammoniak ins Blut ammoniakfrei erhielt, kann eine analoge Erklärung zur Anwendung kommen, indem das Ammoniak während der Passage durch die Lungenmembran an Kohlensäure gebunden wird, und daß !) Arch. f. exp. Pathol. 48, 103, 1902. 1 Tätigkeit der Lungenzellen. 157- dasselbe nach dem Tode in die Lungenluft hinausdringt, kann auf dem beim Stocken der Blutzirkulation eintretenden Aufhören der Kohlensäureproduktion beruhen. Das spezielle Verhalten des Ammoniaks in der Lunge im Gegensatz z. B. zum Schwefelwasserstoff würde demnach seine Erklärung darin finden, daß dasselbe im Verein mit der Kohlensäure ein Salz bildete. Durch diese Auffassung der Sache, die mir überhaupt die wahrscheinlichste dünkt, würde man die sonst notwendige Annahme vermeiden, daß auch Schwefelwasserstoff, Stick- stoff, Kohlenoxyd, Wasserstoff usw. die Lunge nicht mittels einfacher Dif- fusion passierten, was doch die überwiegende Wahrscheinlichkeit für sich hat. Die Tätigkeit der secernierenden Zellen. Vergleicht man die Sauerstoff- spannungen des Blutes bei verschiedenen Sauerstoffspannungen der Ein- atmungsluft (Fredericq, Haldane und Smith), so sieht man, daß sie sich. im allgemeinen auf Werte derselben Größenordnung wie die in der ein- geatmeten Luft einstellen. Durch die Gassekretion wird also nicht eine gleichmäßige Spannung im Blute, unabhängig von der Spannung der Alveolen- luft, erhalten, sondern letztere Größe bildet die Basis, um welche die durch die Zellentätigkeit bestimmte Sauerstoffspannung des Blutes schwankt. Da dem oben Entwickelten zufolge anzunehmen ist, daß außer dem Sekretions- vorgange auch in einer gewissen Ausdehnung Gasdiffusion durch die Lunge stattfindet, läßt sich auch nichts anderes erwarten; wenn die Sauerstoff- spannung des Blutes längere Zeit hindurch in hohem Maße von der Alveolen- spannung abwiche, würde wegen der Rückdiffusion ein fortwährender Verlust an-Arbeit stattfinden. | Bei einem Gehalt von 80 Proz., bzw. 40 Proz. und 13 Proz. Sauerstoff der Alveolenluft war in Haldane und Smiths Versuchen das Verhältnis (nicht die Differenz) zwischen der Sauerstoffspannung des Blutes und der der Alveolenluft fast gleich groß, indem die O,-Spannung des Blutes stets 1,6 mal größer war; bei sehr niedrigen Sauerstoffspannungen der Alveolenluft war das Verhältnis größer und hatte einen Wert von 2. Das niedrige Sauerstoffprozent der Alveolenluft hat unter diesen Verhältnissen mithin als Stimulus auf die Sekretion gewirkt!). Um die Intensität der Zellenarbeit aber völlig beurteilen zu können, sollte man eigentlich nicht die Sauerstoff- spannung der Alveolenluft, sondern die Spannung in der oberflächlichsten feuchten Schicht der Lunge mit der Sauerstoffspannung des Blutes vergleichen, denn die Konzentration des Sauerstoffs in der Lungenoberfläche ist derjenige Faktor, der den größeren oder kleineren Zutritt der Lungenzellen zum Sauer- stoff direkt bedingt. Nun weiß man, daß der Sauerstoffverbrauch des Orga- nismus bei hohen und bei niedrigen Sauerstoffdrucken der umgebenden Atmosphäre fast gleich groß ist, folglich ist auch der Differenzdruck gleich groß (S. 141), und um in diesen Fällen die Sauerstoffspannung der Lungen- oberfläche zu finden, muß man also eine konstante Größe von der Spannung der Alveolenluft abziehen. Das Verhältnis zwischen der Sauerstoffspannung des Blutes und der der Lungenoberfläche wird deshalb bei niedrigen Sauerstoff- prozenten der Alveolenluft in noch höherem Grade als das oben angeführte Verhältnis der Sauerstoffspannung des Blutes zu der der Alveolenluft an- !) Journ. of Physiol. 22, 254, 1897. 158 Tätigkeit der Zellen bei der Gassekretion. wachsen, und die Steigerung wird in dieser Weise auch schon dann deutlich hervortreten, wenn die Einatmung gewöhnlicher atmosphärischer Luft mit der Einatmung einer Luft mit hohen Sauerstoffprozenten verglichen wird. Mit Bezug auf die Kohlensäuresekretion gelten analoge Verhältnisse; die Spannung der Kohlensäure steigt im Blute, wenn der prozentige Gehalt der Alveolenluft an diesem Gase wesentlich vermehrt wird (Weißgerber). Die Intensität der Sekretion wächst aber bei solcher Vermehrung an und kohlensäurehaltige Luft wirkt somit als Incitament auf die Kohlensäuresekretion (Bohr!). Nachdem Krogh das Vorhandensein einer Kohlensäureretention bei der Lungenatmung der Kaltblüter unbestreitbar dargetan hat (S. 162), gewinnen die Versuche am Hunde, bei denen eine solche zu vermuten war (Bohr?), an Interesse. Die Zellenarbeit, deren Abhängigkeit von nervösen Einwirkungen später (S. 177) zu diskutieren sein wird, ist periodisch (Henriques), in- dem sowohl die Kohlensäureausscheidung als die Sauerstoffaufnahme Schwan- kungen von etwa 4 Proz. des Wertes und von der Dauer !/, bis 1 Minute zeigt; die beiden Arten der Schwankungen geschehen gewöhnlich mit der- selben, zuweilen mit verschiedener Phase (S. 180). Hier wie öfters im Orga- nismus bedingen. solche Schwankungen wohl die Regulation um den mitt- leren Wert. Eingriffe, welche die Vitalität des gesamten Organismus herabsetzen, schädigen, wie zu erwarten, die Tätigkeit der Zellen; so finden Haldane und Smith, daß das Verhältnis der Sauerstoffspannung des Blutes zu der der Alveolenluft bedeutend herabgesetzt wird durch excessive Abkühlung oder Erwärmung der Tiere, durch Fieber und durch den lokalen Irritations- zustand der Lunge, der durch hohe Sauerstoffdrucke verursacht wird (Lorrain Smith); auf die Wirkung des letzteren Eingriffes werden wir später anderswo zurückkommen. Die Energie, mit der die ngerüeen den einmalin die feuchte Ober- flächenschicht der Lunge eingedrungenen Sauerstoff zu entfernen vermögen, ist unter Umständen eine sehr bedeutende. Erreicht die Sauerstoffaufnahme ein Maximum, wie während angestrengter körperlicher Arbeit (S. 170) oder wie bei Fröschen während der Paarungszeit (8. 163), so bemächtigen die Zellen sich des Sauerstoffs mit solcher Geschwindigkeit, daß die Sauerstoffspannung der Lungenoberfläche, praktisch. gesprochen, gleich Null und der Differenzdruck somit gleich der Sauerstoffspannung der Alveolen wird, wodurch selbst- verständlich dem weiteren Anwachsen der Sauerstoffaufnahme eine Grenze gesetzt ist. Dasselbe ist der Fall bei Atmung unter den niedrigsten Sauer- stoffdrucken, bei denen das Leben sich noch erhalten läßt. Die Grenze der Leistungsfähigkeit des Organismus wird unter solchen Verhältnissen also nicht durch das Versagen der Arbeit der Lungenzellen bestimmt, sondern durch einen meßbaren physikalischen Faktor, nämlich durch diejenige Beschränkung des Eindringens von Sauerstoff in die Oberflächenschicht der Lunge, die durch die Größe der Oberfläche und des Differenzdruckes gegeben ist. Was die Natur der Zellenarbeit betrifft, so muß angenommen werden, daß eine solche von den Spannungen unabhängige Beförderung !) Skand. Arch. f. Physiol. 2, 264, 1890. — ?) 1. c. 8. 267. A a As Tätigkeit der Zellen bei der Gassekretion. 159 von Gasen deren vorübergehende chemische Bindung in den Zellen involviert. Mit Bezug auf den Sauerstoff wird diese Ansicht in hohem Grade durch Ehrlichs!) interessante Versuche gestützt, welche erweisen, daß die Lunge eines der Organe ist, die den Sitz der stärksten Reduktionsprozesse bilden. Bekanntlich prüft Ehrlich das Reduktionsvermögen der Gewebe durch Injektion von Alizarın am lebenden Tiere. Die dissoziable Sauerstoff- verbindung dieses Farbstoffs ist blau, der reduzierte Farbstoff dagegen weiß. Hat der in einem Organ abgelagerte Farbstoff daher letztere Farbe, während die Schnittfläche nach Behandlung mit oxydierenden Mitteln blau wird, so ist das Organ der Sitz von Reduktionsprozessen gewesen. Was die Lunge betrifft, so findet Ehrlich?) „die höchst überraschende Tatsache, daß das Lungengewebe ein außerordentlich hohes, ja vielleicht das höchste Reduktiens- vermögen unter allen Parenchymen besitzt. So hat bei der Taube nur die Lunge die Fähigkeit gezeigt, Alizarinblau zu reduzieren, während diese fast allen anderen Geweben abging.*“ Ehrlich lenkt die Aufmerksamkeit auf das Unerwartete dieses Resultates und fährt fort: „Dennoch war die Tatsache, die ich Hunderte von Malen konstatierte, nicht wegzuleugnen.“ Die Ab- lagerung des Farbstoffs geschieht in Zellen, und Ehrlich meint, hier müsse die Ablagerung in den Stromazellen stattfinden, „indem die dünnen, fast plasmafreien und stets von Sauerstoff durchströmten Alveolarepithelien nicht gut einen Reduktionsvorgang vermitteln können“. Nachdem es sich indes erwiesen hat, daß die Zellen des Lungengewebes der Sitz eines Gas- sekretionsvorganges sind, ist Ehrlichs Betrachtung über den Ort der Farb- stoffablagerung nicht mehr zwingend, und es scheint natürlicher, die Reduk- tionsvorgänge in die Sekretionszellen zu verlegen, um so mehr, da das echte Bindegewebe der Lunge primär blaufarbig, mithin während des Lebens sauerstoffhaltig ist. Interessant ist Ehrlichs Bemerkung, beim Öffnen des Thorax am lebenden Tiere sehe man, daß die Lunge normal gefärbt sei, „doch scheint es manchmal, als ob ein leichter Hauch von Blau die Ober- fläche rasch überfliege und ebenso rasch wieder verschwinde“ Die Beob- achtungen über die Gassekretion in der Schwimmblase der Fische ($. 163), in der zuweilen äußerst hohe Sauerstoffdrucke (über 100 Atmosphären) erzeugt werden, spricht ebenfalls entschieden für das Vorhandensein eingreifender chemischer Vorgänge bei der Sauerstoffsekretion. Wie viele andere Gewebe’) sind auch die Lungen gegen totalen Sauer- stoffmangel sehr empfindlich, was nach dem Nachweise der in diesen Or- ganen stattfindenden Zellenarbeit verständlich wird. Das Vorhandensein einer wenn auch nur geringen Sauerstoffspannung ist notwendig, um das Funktions- vermögen zu erhalten, was namentlich die Verhältnisse bei den Tauchervögeln bezeugen®). Diese Tiere sind imstande, sich einige Zeit hindurch mit nur wenig Sauerstoff zu begnügen und dennoch während einer verhältnismäßig bedeutenden Kohlensäureproduktion das Leben fortzusetzen. Bei Einatmung einer Gasmischung mit 5 Proz. Sauerstoff kann z.B. die Kohlensäureausschei- dung den völligen, normalen Wert behalten, während die Sauerstoffaufnahme ‘) Sauerstoffbedürfnis des Organismus. Berlin 1885. — °) l. c. 8. 143. — ®) Vgl. Verworn, Allgem. Physiol. Jena 1903, 8. 301. — *) Bohr, Oversigt over d. Kgl. danske Vidensk. Selskabs Forhandlinger. 1897, S. 229 u. f. 160 Sauerstoffbedürfnis der Lungenzellen. sehr bedeutend sinkt (5 => 2,5), Ganz andere Verhältnisse stellen 9 | sich aber ein, wenn die Einatmungsluft nur etwa 1 Proz. Sauerstoff enthält. Dann stockt die Atmung nach Verlauf von etwa 1!/, Minuten, und die Vögel werden reflexlos; wird schnell eine künstliche Respiration mit atmo- sphärischer Luft angewandt, so können die Vögel wieder ins Leben gerufen werden, es tritt dann aber ein mehr oder weniger ausgeprägter tetanischer Zustand ein, der unter anderen Verhältnissen nie bei diesen Tieren beobachtet wird, nicht einmal, wenn die Trachea so lange versperrt wurde, bis die Atmungsbewegungen und die Reflexe aufhörten, wodurch das Sauerstofi- prozent in den abgesperrten Lungen freilich auch nicht tiefer sinkt als bis ein wenig unter 2Proz. Da es sich also erweist, daß eine sehr sauerstoff- arme Luft schnell tötet — so schnell, daß der Sauerstoffgehalt des Blutes während der hierzu erforderlichen Zeit bei weitem nicht verzehrt wird — und das Eintreten besonderer nervöser Nachwirkungen veranlaßt, ist ihre Wirkung im Verhältnis zu einer nur wenig sauerstoffreicheren Luft wahr- scheinlich durch eine Einwirkung auf die Lunge selbst zu erklären. Auch die Resultate der Versuche über Kohlenoxydeinatmung, gegen die die Taucher- vögel sehr widerstandsfähig sind, sprechen für einen solchen Schluß; wegen dieses Punktes müssen wir jedoch auf die zitierte Originalabhandlung ver- weisen. $ 3. Die Gassekretion in der Froschlunge und.in der Schwimmblase der Fische. Wegen ihrer Bedeutung für die allgemeine Theorie der Respiration werden wir im folgenden die Resultate einiger an Kaltblütern angestellten Untersuchungen behandeln. Es handelt sich hierbei teils um die Respira- tion der Frösche, teils um die Gasausscheidung in der Schwimmblase der Fische. Der Gaswechsel des Frosches findet bekanntlich teils durch die Haut, teils durch die Lungen statt; das Studium der besonderen Funk- tionen dieser beiden respiratorischen Organe zeigt uns, daß dieselben qualitative Unterschiede darbieten, die wohl geeignet sind, uns darüber aufzuklären, was der eigentlichen Gassekretion (in der Lunge) im Gegensatz zu einer einfachen Diffusion (durch die Haut) eigentümlich ist. Die Sauerstoffproduktion in der Schwimmblase der Fische gibt uns ein prägnantes Bild von dem Vermögen der Sekretion, unter Umständen sehr hohe Sauerstoffspannungen zu erzeugen, und von deren entschiedener Abhängigkeit von nervösen Einflüssen. Die Haut- und Lungenrespiration der Frösche. Bestimmt man den respiratorischen Stoffwechsel der Frösche sowohl bevor als nachdem die Teilnahme der Lungen an demselben durch Ver- sperrung der Luftwege oder durch Exstirpation der Lungen ausgeschlossen wurde, so findet man, daß der genannte Eingriff bald ein sehr starkes Sinken des Stoffwechsels hervorbringt, bald fast ohne Wirkung auf diesen bleibt. Dies steht mit einer Eigentümlichkeit im Zusammenhange, die man bei der Anwendung dieser Tiere zu Bestimmungen des Stoffwechsels gut ins Auge fassen muß, mit den bedeutenden Schwankungen nämlich, denen dieIlntensität- ihres Stoffwechsels unterworfen ist. Teils nimmt diese bekanntlich bei Haut- und Lungenatmung der Frösche. 161 steigender Temperatur zu, teils, und das ist besonders zu beachten, schwankt _ sie auch bei derselben Temperatur (Zimmertemperatur) nach den Jahreszeiten, so daß sie während der Paarungszeit ihr Maximum (etwa 400cem O0, pro Kilogramm und Stunde) erreicht, in den Wintermonaten dagegen weit ge- ringer ist (etwa 70 ccm pro Kilogramm und Stunde) und unter Umständen sogar nur etwa 40 cem 0, pro Kilogramm und Stunde beträgt. Die Wirkung der Ausschließung der Lungenrespiration erweist sich nun als von der Größe des Stoffwechsels vor dem Eingriff abhängig. Ist der Stoffwechsel ursprünglich ein hoher, so sinkt er bedeutend; ist er ursprünglich niedrig, so hält er sich fast unverändert (Bohr!). Der anscheinende Mangel an Übereinstimmung der von früheren Untersuchern [Regnault und Reiset?), Berg:)], gefundenen Resultate beruht auf dem Übersehen dieses Umstandes. Der Anteil der Haut an der gesamten Atmung ist ziemlich konstant; ist der totale Stoffwechsel groß, so beträgt derselbe nur einen verhältnismäßig ge- ringen Teil davon; umgekehrt, wenn der Stoffwechsel im ganzen ein geringer ist. Die starken Schwankungen des totalen Stoffwechsels sind also der Be- teiligung der Lungen an demselben zu verdanken, und hierdurch erklärt sich die verschiedene Wirkung, welche die Ausschließung dieser Beteiligung haben kann. Die Haut und die Lunge der Frösche unterscheiden sich aber als Atmungs- organe nicht allein dadurch, daß die Lungen unter Umständen einen bedeutend größeren Stoffwechsel zu unterhalten vermögen, sondern die genannten Organe bieten auch in ihrer Funktion wesentliche qualitative Verschiedenheiten dar. So steigt bei der Ausschließung der Lungenatmung der respiratorische Quotient . ; die Kohlensäure wird also in verhältnismäßig größerer Menge 0, g8 8 durch die Haut ausgeschieden (Bohr). Diese Verhältnisse wurden nun näher untersucht vonKrogh‘’), dessen Untersuchungen den bedeutenden Fortschritt darbieten, daß sowohl der Anteil der Lunge als der der Haut am Atmungs- vorgange gleichzeitig an demselben Tiere bestimmt wurde. Die Resultate, zu denen er gelangt, sind in den Hauptzügen folgende. Die Sauerstoffauf- nahme durch die Haut ist, von der totalen Größe des Stoffwechsels unab- hängig, nahezu konstant; die größten Schwankungen betragen nur von 43 bis 60cem pro Kilogramm und Stunde. Die Kohlensäureausscheidung durch dasselbe Organ ist im ganzen beträchtlicher als die Sauerstoffaufnahme und schwankt auch mehr (von 92 bis 179ccm pro Kilogramm und Stunde); durchschnittlich ist sie indes während des größten Teiles des Jahres ziemlich gleichmäßig, während der Paarungszeit erreicht sie aber die höheren Werte. Ein ganz anderes Bild gibt die gleichzeitig bestimmte Lungenatmung. Nicht nur ist hier im Gegensatz zur Hautatmung die Sauerstoffaufnahme im ganzen bedeutender als die Kohlensäureabgabe, sondern auch sind die Schwankungen der Intensität weit größer. So findet man die Sauerstoffauf- ‘“ nahme der Lungen von 51 bis 390 ccm pro Kilogramm und Stunde, und die Kohlensäureausscheidung, die während der Paarungszeit eine bedeutende !) Skand. Arch. 10, 88, 1900. — ?) Ann. de chim. et de phys. (3) 26, 299. — ®) Unters. über die Hautatmung der Frösche. Diss. Dorpat 1868. — ‘) 1. c. 8.88, — °) Skand. Arch. 15, 328, 1904. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 11 m er] DD Sauerstoffspannung in der Oberfläche Lunge Differenzdruck d | Sauerstoffaufnahme pro Stunde Lungen- oberfläche gem 94 98 Aktive Hautoberfläche gem 129 145 Durehschnittl. Gewicht eines Frosches 37,5 39,7 Haut- und Lungenatmung der Frösche. Größe (bis 90 ccm pro Kilogramm und Stunde) erreicht, kann im Winter bis auf ungefähr Null sinken, während zugleich übrigens eine reichliche Sauerstoff- aufnahme stattfinden kann. Die qualitative Verschiedenheit der Haut- von der Lungenatmung ist also augenscheinlich bedeutend, und die erheblichen Schwankungen der Intensität des Stoff- wechsels in der Lunge machen es höchst wahrscheinlich, daß dieses Organ der besondere Sitz spezifischer Zellen- tätigkeit ist. Diese Anschauung findet ihre Bestätigung durch eine Reihe anderer Erfahrungen. So beobachtet Krogh!), daß eineKohlensäurespannung von wenigen Prozenten in der die Haut umgebenden Atmosphäre ein bedeutendes Steigen der Sauerstoffaufnahme in der Lunge allein bewirkt, das sich um so weniger durch einen Diffusionsprozeß erklären läßt, da die Sauer- stoffaufnahme der Haut gleichzeitig sinken kann !). Diese ‚ Wirkung auf die Lunge unterbleibt, sobald die cutanen Äste des N. vagus durchschnitten werden; überhaupt scheint die Lungenatmung vom Nervensystem stark beeinflußt zu werden, während eine nervöse Einwirkung auf die Hautatmung durchaus vermißt wird. Diese Ver- hältnisse — die Konstanz der Hautatmung und ihre Indifferenz gegen das Nervensystem im Gegensatz zur Lungenatmung — bewegen zu dem Schlusse (Krogh), daß der Gaswechsel durch die Haut von einer Diffusion, der Gaswechsel: durch die Lunge aber wesentlich von einer Sekretion herrührt. In der Lunge der Frösche findet normal eine Kohlensäureretention statt, welche die Kohlensäure- spannung des Blutes in einer gewissen Höhe erhält (Krogh). In diesem Zusammenhange gewinnen die wenigen Versuche an Warmblütern, wo ebenfalls eine Kohlensäureretention der Lunge stattzufinden schien, an Wichtigkeit (S. 148). Die von Krogh aufgestellte Auffassung der Natur der Haut- und der Lungenatmung beim Frosche findet in hohem Grade ihre Bestätigung durch Berechnung der Sauerstoffspannung teils in der Haut, teils in der Oberflächenschicht der Lungenmembran. Wie eine solche Berechnung anzustellen ist, wurde oben (S. 141) be- schrieben; hier erinnern wir nur daran, daß der Diffe- renzdruck (d) mittels des Invasionskoeffizienten, der - Größe der Sauerstoffaufnahme und des Areals der Lunge, bzw. der Haut gefunden wird. Krogh unternahm sorg- fältige Ausmessungen dieser Areale; dieselben sind als !) Krogh, 1. c. 8. 382. Haut- und Lungenatmung der Frösche. 163 Grundlage für die Berechnung der beiden untenstehenden typischen Fälle benutzt, deren einer (Nr. 1) den Durchschnitt der Sauerstoffaufnahme der Rana fusca!), der andere (Nr. 2) das Maximum der bei Fröschen beob-. achteten Sauerstoffaufnahme ?) gibt. Die Temperatur ist in beiden Fällen 20°, die Sauerstoffspannung‘ der Luft über der Haut und der Lungenoberfläche 158mm; die Differenz zwischen dieser Größe und dem Differenzdrucke zeigt also die Sauerstoffspannung in der Oberflächenschicht an. Während der größten beobachteten Aufnahme von Sauerstoff in der Froschlunge war die Sauerstoffspannung in der Lungenoberfläche, wie man sieht, fast Null. Hier wurde also in der Tat sogleich aller Sauerstoff weg- genommen, der unter den gegebenen physikalischen Bedingungen überhaupt in die oberflächlichste feuchte Schicht der Lunge eingedrungen war; die Zellen müssen mithin imstande gewesen sein, den Sauerstoff ebenso schnell zu ent- fernen, wie er aus der Lungenluft in die Oberfläche der Lungenmembran eindrang, und ihn ins Blut hinein zu befördern, wo die Sauerstoffspannung in diesem Falle sicherlich bedeutend höher als in der Lungenoberfläche gewesen seinmuß. Die spezifische Tätigkeit der Lungenzellen ist mithin auch hier außer Zweifel gestellt. Was den numerischen Wert der Sauerstoffspannung im Blute des Frosches betrifft so liegt ein einzelner Versuch hierüber von Haldane und Smith vor, in welchem derselbe gleich etwa 137 mm befunden wird, was jedoch als ein maximaler Wert zu betrachten ist (S.154). Da in den beiden Nummern der obigen Tabelle die Spannung in der Hautoberfläche gleich 142 bzw. 135 mm befunden wird, steht nichts der Annahme entgegen, daß die Sauerstoffaufnahme durch die Haut von einer Diffusion herrührt, für welche Ansicht so viele andere, oben angeführte Erfahrungen sprechen. Die Atmung der Frösche bietet somit ein interessantes Beispiel eines Gas- wechsels dar, der gleichzeitig mittels Diffusion (durch die Haut) und mittels Sekretion (durch die Lunge) stattfindet, und ein Vergleich der Hautatmung dieser Tiere mit deren Lungenatmung gibt ein gutes Bild von den Ver- schiedenheiten dieser beiden Vorgänge. Die Sauerstoffsekretion der Schwimmblase. Wichtige Aufschlüsse über die Gassekretion hat man durch Unter- suchungen über die in der Schwimmblase der Fische stattfindende Gas- produktion errungen. Es würde den Rahmen dieser Darstellung überschreiten, wollten wir die einschlägige, ziemlich umfangreiche Literatur mustern; wir beschränken uns deshalb auf, die Betrachtung der Hauptzüge, die für die Lehre von der Sekretion besonders wichtig sind. Biot 3) beobachtete, daß Fische, die in beträchtlichen Tiefen gefangen wurden, in der Schwimmblase ein Gas enthielten, das oft zu mehr als 80 Proz. aus Sauerstoff bestand. In einer Tiefe von z. B. 1500m werden solche Fische in der Schwimmblase, deren Wände nachgiebig sind, einen Sauerstoff- partialdruck haben, der die ungeheure Größe von etwa 90 Atm. erreicht, während die Sauerstoffispannung in dem die Fische umgebenden Wasser in solchen Tiefen wie auch an der Oberfläche nahezu !/, Atm. beträgt. Daß !) Krogh, 1. e. 8. 357. — ?) Bohr, 1. ce. 8.87. Versuch XI, 1, 2.— °) M&moires de la soci6t& d’Arcueil 1807. Ra Sn 164 Sauerstoffsekretion der Schwimmblase. der Sauerstoffgehalt der Schwimmblase unter diesen Bedingungen unmöglich durch Diffusion aus den Umgebungen erzeugt sein kann, springt sofort in die Augen, und seit Biots Beobachtung nimmt man denn auch zur Erklärung dieser Erscheinung eine spezifische („dynamische“) Tätigkeit des Organs an. Fische, die sich in den mehr oberflächlichen Schichten des Wassers aufhalten, haben dagegen ein weit weniger sauerstoffhaltiges Gas in der Schwimmblase, gewöhnlich ist das Sauerstoffprozent geringer als das der Atmosphäre. Die Ursache dieser Verschiedenheit bei Fischen derselben Gattung, wenn sie aus der Tiefe und wenn sie aus der Oberfläche geholt werden, wies Moreau!) nach. Befindet sich ein Fisch, der sich in der oberflächlichen Schicht des Wassers aufhält, im Gleichgewicht mit dieser, so muß das Gleichgewicht gestört werden, wenn er tieferes Wasser aufsucht und somit größerem Druck unterworfen wird; wegen der Kompression der mit Gas angefüllten Schwimm- blase wird das Tier nämlich ein geringeres Volumen und folglich ein größeres spezifisches Gewicht bekommen. Um wieder das vorige Volumen einzu- nehmen und hierdurch mit dem Wasser in Gleichgewicht zu kommen, muß die Schwimmblase mit Gas gefüllt werden, bis sie unter dem vermehrten Drucke das ursprüngliche Volumen einnimmt, und dies geschieht mittels der Sekretion fast reinen Sauerstoffs; umgekehrt geht es, wenn der Fisch nach einem Aufenthalt in der Tiefe an die Oberfläche emporsteigt. Durch An- bringung desselben Fisches bald in der Oberfläche, bald in verschiedenen Tiefen konnte Moreau das Sauerstoffprozent in dessen Schwimmblase will- kürlich abändern. Entleert man das Gas der Schwimmblase durch Punktur mit einem Troicart, so wird auch auf diese Weise das Gleichgewicht mit den Umgebungen gestört, indem das Tier sein Volumen vermindert, obschon es unter demselben Drucke bleibt, z. B. in der oberflächlichen Schicht des Wassers; die Schwimmblase wird sich dann nach Verlauf einiger Zeit wieder mit Gas gefüllt haben , und dieses besteht zum größten Teil aus Sauerstoff. Durch Punktierung kann man also hohe Sauerstoffprozente in der Schwimm- blase der Fische erzeugen, ohne daß man nötig hat, sie durch Hinabsenken in größere Tiefen einem vermehrten Drucke auszusetzen (Moreau). Diese Gassekretion, die wir also willkürlich hervorzurufen vermögen, steht unter der Herrschaft des Nervensystems. Wird der Vagus intestinalis durchschnitten, was sich am Dorsche ohne Schwierigkeit be- werkstelligen läßt, so hört in demselben Augenblicke die Sauerstoffsekretion der Schwimmblase auf; das in der Blase enthaltene Gas ändert seine Zu- sammensetzung dann nicht, wenn die Blase zum Teil entleert wird; nach völliger Entleerung bleibt sie fortwährend leer (Bohr?). Die Integrität des R. in- testinalis N. vagi ist also die notwendige Voraussetzung für das Her- vorbringen der Gassekretion. Durchschneidung der anderen Vagusäste (R. cardiac., R. bronchial.) bleibt dagegen durchaus ohne Einfluß auf den Vorgang. Mit Bezug auf den N. sympathicus gibt Moreau an, daß dessen Durchschneidung eine Zunahme des Sauerstoffprozentes in der Blase be- wirke; diese Versuche von Moreau sind aber insofern weniger sicher, da die Untersuchung der Gase in der Blase vor und nach der Durchschneidung der Nerven an verschiedenen Individuen angestellt wurde, was stets Un- !) M&moires de Physiologie, Paris 1877. — ?) Journ. of Physiology 15, 494, 1893. BR 2 x h E Sauerstoffsekretion der Schwimmblase. 165 sicherheit zur Folge hat. Übrigens würde eine solche Funktion des N. sym- pathicus mit der vom N. vagus nachgewiesenen Funktion in gutem Einklang stehen; da Durchschneidung des N. sympathicus eine Zunahme der Sauerstoff- sekretion bewirkt, muß seine Reizung nämlich die Abnahme des Sauerstoffs hervorbringen, während der N. vagus der eigentliche, die Sauerstoff- entwickelung hervorrufende Sekretionsnerv ist. Besondere, stark vaskularisierte Bildungen, die roten Körperchen, be- sorgen, wenigstens hauptsächlich, die Sauerstoffsekretion in der Schwimmblase (Moreau!); als Austrittsort des Sauerstoffs betrachtet man das sog. Oval (A. Jaeger 2). Das Epithel der Schwimmblase ist für Sauerstoff undurch- lässig; dies geht hervor aus Schultzes®) Beobachtung und aus Versuchen mit der herausgenommenen Schwimmblase von Hechten, wo trotz eines Über- drucks von 600 mm Sauerstoff im Laufe von drei Stunden kein Sauerstoff in die Blase eindrang, wenn das Epithel intakt war (Bohr). Die Undurch- lässigkeit des Epithels für Sauerstoff ist auch an der lebenden Schwimm- blase daraus zu ersehen, daß das darin enthaltene Gas ein vorher erzeugtes hohes Sauerstoffprozent durchaus unverändert beibehält, nachdem alle Pro- duktion von Sauerstoff nach Durchschneidung des N. vagus aufgehört hat (Bohr). Das secernierte Gas besteht, wie wiederholte RR und Neu- bildungen desselben erweisen, zu fast 85 Proz. aus Sauerstoff; der Rest ist wesentlich Stickstoff, indem Kohlensäure sich nur in sehr ER Menge vorfindet (Moreau, Bohr). Über die Arbeitsmethode der secernierenden Zellen geben die Versuche keinen anderen Aufschluß, als den, daß wohl eine zeitweilige chemische Bindung des Sauerstoffs vorauszusetzen ist (S. 159). Sich auf den Fund destruierter Blutkörperchen in mikroskopischen Präpa- raten der Kapillaren der roten Körperchen stützend hat Jaeger‘) die Ver- mutung aufgestellt, diese Destruktion sollte ein Freiwerden des an die Blutkörperchen gebundenen Sauerstoffs bewirken, das die Sauerstoffproduk- tion der Schwimmblase begünstigen könnte. Hierbei müßte natürlich vorausgesetzt werden, daß bei der Destruktion der Blutkörperchen zugleich auch das Hämoglobin dekomponiert würde, was Jaeger indes nicht unter- suchte. Diese Auffassung, die sich, wie gesagt, lediglich auf die Beobachtung destruierter Blutkörperchen in mikroskopischen Präparaten stützt, hat jedoch keine Wahrscheinlichkeit für sich. Damit ein solcher Prozeß Bedeutung haben sollte, müßte der Sauerstoff in der Schwimmblase selbstverständlich wesentlich vom dekomponierten Hämoglobin herrühren. Dies würde wieder die Annahme notwendig machen, daß Destruktion und Neubildung von Blut- körperchen und Hämoglobin in bisher nicht gekanntem Umfange stattfänden. So kann man einen Dorsch vom Gewicht von etwa 1kg leicht dahin bringen, im Laufe von sechs Stunden 10 ccm Sauerstoff zu secernieren; während dieser Zeit müßten nun alle Blutkörperchen und die gesamte Be lehinmenge destruiert und neugebildet worden sein, und da die Sauerstoffproduktion sich einmal über das andere unmittelbar nacheinander hervorrufen läßt, ’) 1. ec. 8. 14. — ?) Pflügers Archiv 94, 65, 1903. — ®) Ebenda 5, 51, 1872. — *) Compt. rend. de l’acad. des sciences 114, 1560, 1892. — °) Journ. of Physiology 15, 498, 1893. — °) Pflügers Archiv 94, 95, 1903. 166 Relative Unabhängigkeit der Gassekretion in beiden Lungen. müßten auf diese Weise auch die Destruktion und die Neubildung aller Blut- körperchen mehrmals im Laufe von 24 Stunden stattfinden können. Die in diesem Abschnitt beschriebenen Erscheinungen zeigen, daß die Sauerstoffsekretion und deren Abhängigkeit vom Nervensystem sich an der Schwimmblase besonders leicht demonstrieren lassen. Dies hängt wohl damit zusammen, daß die Bedeutung dieses Organs für den totalen Stoffwechsel des Tieres eine verhältnismäßig geringe ist; die durch die Experimente verur- sachten funktionellen Störungen rufen deshalb keine merkliche Wirkung auf die Ernährung der übrigen Gewebe hervor. In den Lungen erzeugt der experimentelle Eingriff dagegen leicht weitreichende Störungen im ganzen Organismus und dadurch Änderungen der Funktion anderer Organe, die das Resultat leicht verhüllen können. $ 4. Die relative Unabhängigkeit der Gassekretion in jeder der beiden Lungen. Die gleichzeitige Bestimmung des Stoffwechsels in jeder Lunge für sich wird sich im folgenden als unentbehrliches Hilfsmittel beim Studium der Lungenfunktion erweisen. Wie oben berührt, ist die Lunge darum ein schwieriges Versuchsobjekt, weil die experimentellen Eingriffe wegen der fundamentalen Wichtigkeit der Lungen für den Stoffwechsel besonders weit- reichende Wirkungen auf den ganzen Organismus erhalten; das zur Lunge strömende Blut bekommt dann leicht eine geänderte Zusammensetzung, wo- durch die Lunge unter neue Bedingungen gerät, und die spezielle Wirkung des Eingriffes auf dieses Organ undeutlich wird. Diesem Übelstande wird zum Teil abgeholfen, wenn man jede Lunge für sich zur Bestimmung des respiratorischen Stoffwechsels benutzt; läßt man die Einwirkung (z. B. Variation der Atemgröße, der das Organ durchströmenden Blutmenge usw.) in der einen Lunge allein stattfinden, so kann die andere Lunge zur Kon- trolle dienen, indem die Zusammensetzung des Blutes in beiden Lungen zu jeder Zeit durchaus dieselbe ist. Schon die ohne weitere Eingriffe vorgenommene einfache Bestimmung des respiratorischen Stoffwechsels in jeder Lunge für sich, während die äußeren Umstände für beide möglichst gleich gehalten werden, erweist sich als für die Untersuchung über die Gassekretion in diesem Organe nicht ohne Be- deutung. In der Tat findet man oft den respiratorischen Quotienten für die beiden gleichzeitig untersuchten Lungen um nicht so wenig verschieden, ja der respiratorische Quotient ändert sich bisweilen in der einen Lunge allein trotz. unverändert bleibender Versuchsbedingungen; dies gibt eine gute Bestätigung des Vorhandenseins der spezifischen Zellentätigkeit in der Lunge, die wir bereits auf anderem Wege gefunden haben. Als Beispiele können untenstehende Versuche von Maar!) dienen. Wegen der Methode verweisen wir auf die zitierte Abhandlung ?); hier soll nur bemerkt werden, daß das Einbinden von Kanülen in den beiden Hauptbronchien, das bei Schildkröten sehr leicht ist, sich nach einiger Übung auch bei Kaninchen aus- führen läßt, ohne die Pleurae zu beschädigen. Die untenstehenden Versuche !) Skand. Arch. f. Physiologie 13, 269, 1902 (vgl. ebenda 16, 369, 1904). — 1.0.8273 UL. EEE LEERE DEE, Relative Unabhängigkeit der Gassekretion in beiden Lungen. 167 an Kaninchen wurden teils mit natürlicher Atmung während einer Morphin- Narkose (I)!), teils mit künstlicher Atmung nach Nackenstich (II)?) unter- nommen. Die Dauer der einzelnen an war zehn Minuten; die Zahlen geben Cubikcentimeter an. I. Kaninchen. Natürliche Atmung. Lange Exspirationsluft O0, CO, Co, in 10 Minuten , aufgenommen produziert 0, | .rechte 1630 124 86 0,69 linke 1285 81 64 0,79 rechte 1718 122 88 0,72 linke 1311 79 64 0,81 3 | rechte 1742 » 127 90 0,71 linke 1330 9 63 0,80 I. Kaninchen. Künstliche Atmung. Lunge Exspirationsluft 0, c 0, 0% aufgenommen produziert 0, J rechte 1543 31 42 1,36 | linke 1561 51 58 1,13 | rechte 1604 25 36 1,42 linke 1633 42 49 8%; | rechte 1616 26 36 1,38 linke 1657 39 47 1,20 II. - Schildkröte. Natürliche Atmung). Lunge Exspirationsluft 0, 6 ”s 0 aufgenommen produziert 0, rechte 590 11,4 127 1,11 linke 621 10,8 13,8 1,28 | rechte 400 11,9 11,4 0,96 linke | 543 | 11,9 14,0 1,18 Der verschiedene Quotient der beiden Lungen, die sich unter gleichen äußeren Verhältnissen befinden, muß der spezifischen Tätigkeit der Organe zugeschrieben werden. 83. Kapitel. Einfluß von Änderungen der eingeatmeten Luftmenge auf den Gaswechsel der Lungen. Zwei verschiedene Seiten dieser Frage sind bei der Untersuchung in Betracht zu ziehen, teils die Bedeutung der Accommodation der Atemgröße, die stets sekundär eine Zunahme des Stoffwechsels des Organismus begleitet, !) 1. e. S. 329, Nr. 30. — ?) 1. e..8. 330, Nr. 32..— °®) l.c. 8. 308, Nr. 1. 168 Änderung der Atemgröße. teils die Wirkung, die eine primäre Änderung der Atemgröße auf den Gas- wechsel hervorbringt, wo dieselbe, wie z. B. bei willkürlicher Vermehrung der Einatmungsluft, eintritt, ohne von gesteigerten Ansprüchen von seiten des‘ Organismus hervorgerufen zu sein. Diese beiden Seiten der Frage sind am zweckmäßigsten jede für sich zu behandeln. $ 1. Accommodation der Atemgröße an die Größe des Stoff- wechsels. Steigt der Stoffwechsel wegen der Ausführung einer Arbeit (Muskel- bewegung), so wird die während einer gegebenen Zeit die Lunge passierende Luftmenge reflektorisch vermehrt. Umfassende Untersuchungen hierüber wurden von E. Smith angestellt, der zur Messung der eingeatmeten Luft- menge eine vom Versuchsindividuum getragene trockene Gasuhr anwandte. Smith!) findet unter anderem folgende Zahlen für das Verhältnis der Atem- größe zu verschiedenen mehr oder. minder anstrengenden Bewegungen; die in liegender, ruhender Stellung eingeatmete Menge ist als Einheit genommen. Stehende: Stellung zn. va a a Gang, 1 engl. Meile pro Stunde. . ... 2... 1,90 Reiten im: Trab 2°, Fe ee 4,05 Gang, 4 engl. Meilen pro Stunde ... ....... 4,00 TRUE 5 ä RT Ne 7,00 Die Vermehrung der Atemgröße geschieht in der Regel durch Ver- tiefung des einzelnen Atemzuges, wobei die Frequenz der Atemzüge, solange die Arbeit keine gar zu große ist, ziemlich unverändert bleibt; bei sehr an- strengender Arbeit dagegen nimmt auch die Frequenz zu. Wenn die Natur der Arbeit die Erweiterung des Thorax erschwert, so nimmt vorzüglich die Frequenz zu (Loewy 2). Die Änderung der Lungenventilation ändert gewöhnlich an und für sich nicht wesentlich die Größe der respiratorischen Oberfläche. Da nämlich die Zunahme der Atemgröße nach beiden Seiten der mittleren vitalen Stellung geschieht, wird die Vergrößerung der Lungenoberfläche während der In- spirationsdauer so ziemlich deren Verminderung während der Exspirations- dauer kompensieren. | Der Zuwachs der Atemgröße erhält dagegen natürlich große Bedeutung als der größeren prozentischen Ausnutzung der Luft entgegenwirkend, welche der vermehrte Stoffwechsel sonst herbeiführen müßte. Für die Accom- modation der Ventilation gilt hier die Hauptregel, daß die Atemgröße in "solchem Verhältnisse zunimmt, daß die prozentige Zusammensetzung der Aus- atmungsluft trotz des gesteigerten Stoffwechsels ziemlich unverändert bleibt. Doch ist beim Menschen bei nicht gar zu harter Arbeit die Ventilations- kompensation meist keine. vollständige; hat der Stoffwechsel z. B. bis etwa zum Vierfachen zugenommen, so kann die Atemgröße bis stark über das Dreifache vermehrt 'sein?). Die Ausatmungsluft wird unter solchen Um- ständen also etwas ärmer an Sauerstoff und reicher an Kohlensäure als !) Edinb. med. Journ. 1859, p. 619. — ?) Pflügers Archiv 49, 406, 1891. — ®) Vgl. Speck, Physiologie des menschlichen Atmens 1892, S. 62, und Katzen- stein, Pflügers Archiv 49, 369, 1891. E Bu ee TA Accommodation der Atemgröße an den Stoffwechsel. 169 normal. Bei sehr angestrengter Arbeit ist das Ver- Age hältnis oft das entgegengesetzte; die Ventilation wird = Eie Sg hier überkompensiert, so daß die Ausatmungsluft BAES sl. + reicher an Sauerstoff wird als während der Ruhe 25° und 17 bis 18 Proz. Sauerstoff enthalten kann, wie Pr es aus einigen von Specks Versuchen hervorgeht }). S S Dieses Verhalten trifft man allgemein bei Kaninchen 2 “Ela s8 und Hunden an, auch bei geringerer Zunahme des S 5 A - Stoffwechsels (Geppert und Zuntz?). : Die volle Bedeutung der Ventilationskompen- ode Ruta, sation bei steigendem Stoffwechsel wird erst dann HABE klar, wenn man in den einzelnen Fällen zugleich y; E E: 23%% den Differenzdruck berechnet; hierunter ver- O E S 3 steht man, wie öfters bemerkt, die Sauerstoff- spannung, die erforderlich ist, damit die während &0 der Zeiteinheit tatsächlich durch die Lunge auf- „seleae | : 204817535 genommene Sauerstoffmenge aus der Alveolenluft in = S, die oberflächliche feuchte Schicht der Lungenmembran E a eindringen kann. Der Differenzdruck (d) ist dann IE die Differenz zwischen der Sauerstoffspannung in der 3 t N Alveolenluft (p) und der Spannung in der feuchten ° & S = = Schicht der Lungenoberfläche (p,); kennt man d und p, so läßt p, sich leicht berechnen, indem d=p-—-pı Pre wo M die Sauerstoffaufnahme pro Kilogramm und | Minute, 7 der Invasionskoeffizient (0,012)-und s die Lungenoberfläche pro Kilogramm ist. Als Beispiel ist.. Den Differenzdruck findet man aus der Gleichung e en S. 141) al ; EEE Er Be __.M.760 WET 3%.:5, = ® 3 Be von dem Verhältnis der Atemgröße zum Stoffwechsel ap und speziell von der Wichtigkeit der gleichzeitigen | 5 3 = Ss Bestimmung der Sauerstoffspannung in der Lungen- | 5” er oberfläche kann die bedeutende Reihe von Versuchen benutzt werden, die Katzenstein °) über den Stoff- = @ RR wechsel bei teils ruhenden, teils mit verschieden 257 = BE 58 starker Arbeit beschäftigten Menschen anstellte; die 8 9 a Arbeit bestand teils in horizontalem Gehen, teils m nasse in Steigen auf der von Zuntz konstruierten Tret- | = bahn. Unten geben wir tabellarisch die Mittel dr | 8352| *== Versuche mit einem 52,5 kg wiegenden Manne, dessen | a Lungenoberfläche sich also ($. 137) auf 142qm | pro Kilogramm berechnen läßt. Aus den angegebenen .Werten der Größe des Stoffwechsels *) und der Atem- größe °) berechnete ich unter der Voraussetzung, !) Speck, l.e. 8. 70. — ?) Pflügers Archiv 42, 198, 1888. — ®) Ebenda 49, 330, 1891. — ®) 1. c. 8. 363. — ®) ]. ce. 8. 370. Horizontaler Gang Ruhe Steigen 170 Accommodation der Atemgröße an den Stoffwechsel. daß die Luft bei den Versuchen eine durchschnittliche Temperatur von 18,5 hatte, das mittlere Prozent des Sauerstoffs und der Kohlensäure in der aus- geatmeten Luft. Die Alveolenluft berechnete ich aus der Zusammensetzung der Exspirationsluft und der Größe eines Atemzuges, die ich wieder unter der Voraussetzung berechnete, daß die Frequenz der Atmung während der verschiedenen Arbeit wesentlich dieselbe war; eine Ungenauigkeit dieser letzteren Annahme wird übrigens fast gar keine Bedeutung erhalten, da der schädliche Raum (Trachea usw.), der in Betracht des geringen Körper- gewichts hier auf 120 ccm angesetzt ist, bei so großer Atmung nur geringen Einfluß bekommt. Die Sauerstoffspannung in der Lungenoberfläche nimmt also während des vermehrten Stoffwechsels ab trotz der gesteigerten Ventilation (siehe Tabelle S. 169). Bei mittelstarker Arbeit ist die Spannung in obigen Versuchen kaum halb so groß wie in Ruhe, bei starker Arbeit ist sie Null, indem der Differenzdruck hier gleich der vollen Sauerstoff- spannung der Alveolenluft ist; daß letztere Zahlen genau gleich groß sind, ist natürlich als Zufall zu betrachten; sicherlich war die Sauerstoffspannung in der Lungenoberfläche unter diesen Verhältnissen aber höchstens nur wenige Millimeter. Die Unentbehrlichkeit einer Zunahme der Ventilation geht mit aller Deutlichkeit hieraus hervor; aus rein physikalischen Gründen hätte die Sauerstoffaufnahme nicht in dem beobachteten Umfange stattfinden können, wäre, der vergrößerten Aufnahme ungeachtet, die Alveolarspannung nicht wegen der Zunahme der Ventilation auf etwa 15 Proz. Sauerstoff stehen geblieben, und solange die Alveolarspannung diesen Wert beibehält, ist eine größere Sauerstoffaufnahme als die gefundene unmöglich; natürlich könnte aber bei noch größerer Zunahme der Ventilation die Sauerstoffspannung der Alveolenluft steigen und damit die physikalischen Bedingungen für die Möglichkeit einer größeren Sauerstoffaufnahme zuwege gebracht werden. Dadurch, daß wir die Schwankungen der Sauerstoffspannung in der Lungenoberfläche mit in unsere Betrachtung hineinzogen, gelang es uns also, festzustellen, daß die Lungenzellen imstande sind, den Sauerstoff behufs Weiterbeförderung so intensiv zu binden, daß die Sauerstoffspannung der Lungenoberfläche, wenn es wegen der Vermehrung des Stoffwechsels not- wendig wird, bei ganz niedrigen Werten gehalten werden kann, so daß die volle Sauerstoffspannung der Alveolenluft als Differenzdruck wirken wird. Dies steht ganz damit in Übereinstimmung, was wir oben ($. 163) hinsicht- lich der Frösche während des maximalen Lungenstoffwechsels in der Paarungs- zeit nachwiesen, und in einem folgenden Abschnitt (S. 212) werden wir sehen, daß ganz analoge Verhältnisse sich hinsichtlich des Wertes der niedrigsten Sauerstoffspannung in der Eimatmungsluft, bei welcher das Leben noch mög- lich ist, geltend machen. Überhaupt finden wir überall, wo sich eine Gelegen- heit zur Prüfung der aus der Invasionstheorie abgeleiteten Schlüsse darbot, deren Bestätigung; so auch in folgender Betrachtung über den Zusammen- hang zwischen maximaler Lungenventilation und maximaler Sauerstoffaufnahme. | Die Luftmenge, welche während maximaler Arbeit (auf der Tretbahn oder beim Laufen) die Lunge passiert, findet Smith, wie oben angegeben, 3 u a En ln no Berechnung der maximalen Sauerstoffaufnahme aus der maximalen Atemgröße. 171 5,26 mal größer als in relativer Ruhe (in stehender Stellung). Da für einen Mann (70kg) die Atemgröße pro Minute während des letzteren Zustandes als 8500cem anzusehen ist, wird die maximale Ventilation mithin 44 710 ccm pro Minute oder 644ccm pro Kilogramm und Minute. In der oben ange- führten Invasionsgleichung M.760 ys ist, wie wir soeben sahen, die Spannung in der Lungenoberfläche (p,) praktisch gesehen gleich Null, wenn die Sauerstoffaufnahme maximal ist; da die Lungen- oberfläche (s) pro Kilogramm gleich 12800 gem und 7 — 0,012 ist, haben wir ER M.760 re RR RE ee wo p die Sauerstoffspannung der Alveolenluft und M die maximale Sauerstoff- aufnahme pro Kilogramm und Minute ist. Unter der Voraussetzung, daß der respiratorische Quotient 1 ist (wäre er 0,85, so würde das in dem Hauptresultat einen Fehler von nur etwa 1 Proz. ergeben), wird die während einer Minute pro Kilogramm ausgeatmete Sauerstoffmenge die Differenz zwischen der pro Kilogramm eingeatmeten und aufgenommenen Sauerstoffmenge oder, da die Einatmungsluft 21 Proz. Sauerstoff enthält, 21 pm = 644 x 700 —- M; in lccm ausgeatmeter Alveolenluft beträgt die Sauer- 644 x a —#, stoffmenge dann 644 ‚ und durch Multiplikation mit dem Totaldrucke in den Alveolen (710mm) erhält man als die Sauerstoff- spannung der Alveolen ze 644 N ERORERIEN S) Zur Bestimmung von M hat man nun durch Kombination der Gleichungen (1) und (2) 21 ur re Re Fl = 644 0,012 x 12800 woraus M — 24,6; die maximale Sauerstoffaufnahme pro Kilogramm und Stunde ist also 60 mal so groß oder 1476ccm. Setzt man den gefundenen Wert von M in Gleichung (2) ein, so. findet man, daß die Sauerstoff- spannung der Alveolenluft unter diesen Verhältnissen 122 mm und deren Sauer- stoffprozent mithin 17,2 Proz. beträgt. Die Ausatmungsluft wird nahezu die- selbe Zusammensetzung haben wie die Alveolenluft, indem man bei so starker Lüftung die Größe des schädlichen Raumes, wie oben geschah, als ver- schwindend betrachten kann. Bei der experimentellen Bestimmung des Stoffwechsels findet man, daß die Sauerstoffaufnahme!) während der größten Arbeit, die sich einige !) Vgl. Tigerstedt, dieses Handbuch, Lehre von dem Stoffwechsel, und Smith, Philosophical Transactions 1859, p. 713. 172 Primäre Zunahme der Atemgröße. Zeit hindurch leisten läßt, etwa viermal so groß ist wie in relativer Ruhe (etwa 350 ccm), also etwa 1400 ccm pro Kilogramm und Stunde. Die Über- einstimmung mit dem berechneten Werte ist eine vorzügliche, was noch ferner die Richtigkeit .der gemachten Voraussetzungen bestätigt. (Das Ver- hältnis wurde hier rücksichtlich eines Mannes von 70kg Körpergewicht behandelt; ist das Körpergewicht geringer, so ist der Stoffwechsel bekanntlich intensiver, folglich auch die maximale Sauerstoffaufnahme pro Kilogramm größer; die Lungenoberfläche pro Kilogramm ist dann aber auch entsprechend größer.) Die Übereinstimmung dieser Berechnung mit den experimentellen Ergeb- nissen beweist die Richtigkeit der oben in betreff der Zellenarbeit gemachten Annahme. -Es ist hiernach notwendig anzunehmen, daß die Zellen im- stande sind, die Sauerstoffspannung in der Lungenoberfläche auf einer ver- schwindend kleinen Größe zu halten, wodurch die volle Sauerstoffspannung der Alveolenluft sich als Differenzdruck geltend macht; sonst wäre aus rein physikalischem Grunde die tatsächlich beobachtete maximale Sauerstoff- aufnahme nicht möglich. Ob aber die Zellen imstande sind eine noch größere Arbeit zu leisten und die Spannung in der Oberfläche auf Null zu halten, auch wenn die Sauerstoffspannung der Alveolenluft, z. B. beim Einatmen reinen Sauerstoffs, größer als die oben angegebene ist, hierüber können diese Versuche uns keinen Aufschluß geben. Es ist aber, wenn man die genaue Anpassung der Prozesse im Organismus in Betracht zieht, wohl am wahr- scheinlichsten, daß die Grenze der Zellenarbeit mit den größten Forderungen, welche unter natürlichen Verhältnissen überhaupt an sie gestellt werden können, zusammenfällt; da nun die Sauerstoffspannung in der Alveolenluft in der Natur niemals die Spannung in der Atmosphäre überschreiten kann, ist es am wahrscheinlichsten, daß die Zellarbeit auch eingestellt ist, eben die Menge Sauerstoff in maximo zu bewältigen, die hierbei überhaupt in maximo in die Oberfläche einzudringen vermag. 82. Einfluß einer primären Änderung der Atemgröße auf den Gaswechsel. Durch willkürliche Zunahme der Atemgröße kann der Gaswechsel der Lunge sich auf kürzere Zeit bis zu einem gewissen Grade ändern lassen, indem die während der Zeiteinheit stattfindende Kohlensäureausscheidung und Sauerstoffaufnahme etwas anwachsen, letztere jedoch in geringerem Grade, so daß der respiratorische Quotient steigt!). Der Zuwachs der aus- geschiedenen Kohlensäure ist verhältnismäßig geringer als der Zuwachs der Atemgröße; das Kohlensäureprozent der Ausatmungsluft wird deshalb. kleiner, während zugleich die absolute Größe der Kohlensäureausscheidung wächst. Diese Zunahme des Gaswechsels ist indes eine vorübergehende; da die Kohlensäurebildung, von einem kleineren Zuwachs wegen der größeren Arbeit der Atemmuskeln abgesehen, durch den Eingriff kein Steigen erleidet, !) Vgl. Vierordt, Physiol. des Atmens 1845, 8. 120; Lossen, Zeitschr. f. Biologie 2, 244, 1866; Berg, Deutsches Arch. f. klin. Medizin 1869, 8. 291; Pflüger, Pflügers Arch. 14, 1, 1867; Finkler u. Oertmann, Pflügers Arch. 14, 38, 1867; Speck, Physiol. des menschl. Atmens 1892, 8. 13. Er Zu Be Zus ee: Ki a Zah Ka Minimale Atemgröße. 175 wird die vermehrte Kohlensäureausscheidung, die anfangs dadurch unter- halten wird, daß das Blut an Kohlensäure einbüßt, sich bald verlieren. Die Folge der willkürlich vermehrten Atemgröße ist also vorübergehend, und da die Gase des zur Lunge strömenden Blutes sich hierbei fortwährend ändern, lassen sich aus solchen Versuchen keine völlig sicheren Schlüsse über den Einfluß auf die Lungenfunktion ziehen, der der geänderten Atemgröße an und für sich beizulegen ist. Aufschlüsse über diese Frage erzielt man weit besser durch gleichzeitige, getrennte Untersuchung des Stoffwechsels der beiden Lungen, wie unten näher beschrieben wird. Maximum und Minimum der willkürlich geänderten Atemgröhe. Durch Vermehrung der Atemgröße in möglichst weitem Umfang wird selbst- verständlich an und für sich dem Gaswechsel der Lungen keine Schwierigkeit bereitet; die forcierte willkürliche Atmung läßt sich nichtsdestoweniger, wahrscheinlich wegen der dadurch herbeigeführten Änderungen des Blutes, nicht längere Zeit hindurch unterhalten, indem dann Eingenommenheit des Kopfes und Schwindel!) eintreten. Anderseits ist es die Unmöglichkeit, den Stoffwechsel in seinem normalem Umfange unterhalten zu können, die der willkürlichen Verminderung der Atemgröße die Grenze setzt. Was das Minimum betrifft, auf welches dieselbe sich willkürlich reduzieren läßt, so muß es selbstverständlich, je nachdem vorzüglich die Frequenz oder die Tiefe der Atemzüge herabgesetzt wird, ein verschiedenes werden; im extremen Falle, wenn das Volum des einzelnen Atemzuges unter die Größe des schädlichen Raumes (Trachea usw.) sinkt, muß z. B. das Atmen wesentlich ineffektiv bleiben. Die Versuche zeigen, daß eine Herabsetzung der Atemgröße auf etwa 50-Proz. des Normalen kürzere Zeit hindurch zu ertragen ist, welche Zeit ein wenig schwankt, je nachdem man die Frequenz herabsetzt oder unter Beibehaltung der normalen Frequenz die Atemgröße verringert; im ersteren Falle läßt sich die geänderte Atmungsweise 10 bis 25 Minuten (Mosso?), im letzteren nur etwa fünf Minuten (Lossen’?) ertragen. Der normale Stoffwechsel kann bei einer Herabsetzung bis auf 50 Proz. also nicht regelmäßig unterhalten werden; jedoch liegt das erträgliche Minimum augen- scheinlich nicht viel höher. Dies erträgliche Minimum, dessen Berechnung die Anwendung der Invasionstheorie ermöglicht, findet man, unter Voraus- setzung der unveränderten Frequenz, alseetwa 56 Proz. der normalen Atemgröße. Bedenkt man, daß die Sauerstoffspannung der Lungenoberfläche, wo die Ver- hältnisse es erheischen (Arbeit, verminderter Sauerstoffpartialdruck), somit auch hier bei möglichster Beschränkung der Atemgröße, um Null herum stehen bleibt, so wird man einsehen, daß Gleichung (3) (8. 171) zur Berechnung benutzt werden kann. Nennt man das Minimum der Atemgröße pro Kilogramm und Minute z, und setzt man die Sauerstoffaufnahme pro Kilogramm und Minute auf 5,8 ccm (350 cem pro Kilogramm und Stunde) an, so lautet die genannte Gleichung 21 RE TR ke RE x 0,012 X 12800’ woraus © —= 34,2ccm. (Der respiratorische Quotient ist der Bequemlichkeit wegen gleich 1 gesetzt; ist er 0,8, so wird & nur um 3 Proz. des Wertes größer.) Die- )Speck,l. c. 8. 25. — ?) Arch. italienn. de Biologie 7, 59, 1886. — °) Zeitschr. f. Biologie 2, 263, 1886. 174 Einfluß einer verschiedenen Atemgröße der beiden Lungen. jenige Menge Luft, die pro Kilogramm und Minute die Alveolen verläßt, beträgt also 34,2ccm und enthält, wie leicht zu ersehen, wenn man eingedenk ist, daß die eine Seite der Gleichung die Spannung bezeichnet, 4,04 Proz. Sauerstoff. Für das ganze Versuchsindividuum (70kg) wird die Menge der Luft, die pro Minute die Alveolen verläßt, also 2394ccm, was bei 17 Atemzügen pro Minute 140 ccm pro Atemzug gibt. Da mithin bei jedem Atemzuge 140cem atmosphärischer Luft auch in die Alveolen eindringen müssen, findet man die Atemgröße, indem man die Größe des schädlichen Raumes (140 ccm) hierzu addiert, wodurch man 280 ccm oder 56 Proz. des Normalen erhält. Das Sauerstoffprozent der Alveolenluft ist 4 Proz.; berücksichtigt man den Einfluß des schädlichen Raumes (8. 139), so wird die Ausatmungsluft unter diesen Verhältnissen daher etwa 12,5 Proz. Sauer- stoff enthalten. Experiment und Berechnung stimmen mithin auch in diesem Punkte bestens miteinander überein. Verschiedene Atemgröbe jeder Lunge für sich. Der Einfluß einer pri- mären Änderung der Atemgröße auf den Gaswechsel der Lunge läßt sich, wie gesagt, am besten mittels der bereits erwähnten Methode bestimmen, nach welcher man gleichzeitig für jede der beiden Lungen für sich Respi- rationsbestimmungen unternimmt, indem deren relative Atemgröße in den verschiedenen Versuchen variiert wird. Die Zusammensetzung des zur Lunge strömenden Blutes ist hier zu jeder Zeit genau dieselbe, und eine mögliche Änderung der Verteilung des Stoffwechsels unter die beiden Lungen ist also allein von der Änderung der Ventilation abhängig. Von solchen Versuchen, wo an Kaninchen unter Schonung der Pleura in jeden Bronchus für sich eine Kanüle eingelegt wurde, hat Halberstadt eine bisher nicht veröffentlichte größere Reihe ausgeführt, alle mit gleichdeutigem Resultat. Untenstehender Versuch, wo die Respiration natürlich war und die Änderung Kaninchen, Gewicht 2150g. Gewicht der rechten Lunge = 5,0, der linken Lunge = 3,6 g. Dauer jedes Versuches: 15 Minuten. Exspirationsluft | u 35. In ee xspiration 8| 9, g 5, % ER: 23% 00, | (rechte und der rechten a < = 2432| 0, |linke Lunge) Lunge Menge | P P a2| 83% ge | Proz. ToZ. Ba 89 ccm O0, CO, 2: OÖ, 008, | © Co, rechte linke rechte | 1740 12,71 6,06 158 105 | 0,66 linke 2350 15,30 5,58 137 130 | 0,95 | 2900 | 14,51 | 5,65 | 197 | 163 | 0,83 a re 1375 12,10 5,99 136 82 0,60 } 1413 14,09 5,82 104 82 | 0,78 301 | 244 65 67 294 | 235 53 45 =” 285 | 228 48 36 linke 2763 | 15,72 5,35 149 147 | 0,98 rechte | 1133 | 11,49 | 5,98 121 67 N E: 274 | 207 44 32 linke || 2587 | 15,30 | 5,47 |: 153 | 140 | 0,92 rechte | 3371 | 15,71 | 5,20 | 182 | 174 | 0,96 linke | 1802 | 14,23 | 5,77 | 129 | 108 | 0,80 | rechte | 3561 | 15,65 | 5,06 | 197 | 179 | 0,91 | linke | 1592 | 13,51 | 5,84 | 129 92 | 0,72 [rechte | 3939 | 15,72 5,07 | 213 | 198 | 0,93 | linke | 1168 | 128,61 | 5,80 | 105 67 | 0,64 5 311 | 277 59 | 63 326 | 271 60 66 318 | 265 67 75 it lan Einfluß der Blutströmung in der Lunge auf den Gaswechsel. 175 der Atemgröße durch Verengerung des zur Bronchienkanüle einer der beiden Lungen führenden Kautschukschlauches hervorgebracht wurde, kann als Beispiel dienen. Es geht mit großer Deutlichkeit sowohl aus dem Werte der respiratorischen Quotienten als aus den angeführten Zahlen für den prozentigen Anteil der rechten Lunge am totalen Stoffwechsel hervor, daß eine Vermehrung der Ventilation, wenn der Einfluß dieses Faktors auf die Lungenfunktion wie hier isoliert untersucht wird, ohne daß die Zusammensetzung des Blutes variiert, eine Zunahme des Gaswechsels bewirkt; indes ist der Zuwachs der Kohlensäureausscheidung weitaus überwiegend, weshalb auch der respi- ratorische Quotient für diejenige Lunge steigt, die relativ die größere Menge Luft erhält; ja in analogen Versuchen mit künstlicher Atmung wird man sogar finden können, daß nur die Kohlensäureäusscheidung bei vermehrter Ventilation steigt, während die Sauerstoffaufnahme sich durchaus nicht ändert. Nach dem, was wir früher über die spezifische Tätigkeit der Lungenzellen erfuhren, sind diese Änderungen des Gaswechsels wohl zunächst einer inci- tierenden Wirkung der Vermehrung der Atemgröße auf die Zellenarbeit zuzuschreiben; einigen Einfluß üben vielleicht aber auch die geänderten Be- dingungen der Diffusion, besonders hinsichtlich der Kohlensäure. 4. Kapitel. Einfluß der die Lungen passierenden Blutmenge auf deren Gaswechsel. Wenn dierespiratorischen Umsätze anwachsen, wie es z. B. bei der Muskel- arbeit der Fall ist, so nimmt gewöhnlich sekundär auch die Blutmenge zu, die während der Zeiteinheit die Lungen passiert. Obschon die Lungenzellen nämlich, wie wir oben fanden, durch ihre Tätigkeit die Sauerstoffspannung im Blute höher als in der Alveolenluft zu steigern vermögen, wird dennoch zugleich die Passage einer vermehrten Blutmenge unter solchen Umständen erforderlich sein. Wie aus der Form der Sauerstoffspannungskurve des Blutes (S. 87) hervorgeht, bewirkt nämlich eine Vermehrung der Sauer- stoffspannung über die gewöhnlich im Arterienblute vorgefundene (etwa 120 mm) hinaus nur eine verhältnismäßig geringe Vermehrung der Sauerstoffmenge; fast der ganze Zuwachs rührt unter diesen Umständen von dem der Spannung proportional zunehmenden einfach gelösten Sauer- stoff her und kann daher keinen bedeutenden Wert erreichen, es sei denn, daß eine unverhältnismäßige, im Organismus nicht realisierte Zunahme der Spannung stattfände. Damit die Sauerstofizufuhr zu den Geweben des Körpers in einigermaßen beträchtlichem Grade zunehmen kann, ist eine Vermehrung des Blutstromes durch die Lungen deshalb eine Notwendigkeit. Bei vermehrtem Stoffumsatz wird denn auch eine Zunahme der Tätigkeit des Herzens (der Pulsfrequenz) beobachtet, die unter der wahrscheinlichen Vor- aussetzung, daß die Lungengefäße sich wegen vasomotorischen Reflexes zu- gleich erweitern, eine bedeutende Steigerung der Strömungsgeschwindigkeit hervorzubringen fähig sein muß. line genauere Feststellung der Zunahme der Blutströmung in Zahlen läßt sich jedoch nicht geben; eine direkte Be- stimmung derselben konnte bisher nicht ausgeführt werden, und eine Berech- nung, die man allerdings mittels der Menge Sauerstoff, welche das Blut bei den 176 Einfluß der Blutströmung in der Lunge auf den Gaswechsel. gegebenen Spannungen zu absorbieren vermag, zusammengehalten mit der Menge des wirklich in der Lunge aufgenommenen Sauerstoffs, versucht hat, ruht auf einer durchaus unsicheren Basis. Es ist nämlich keineswegs der Fall, was bei dieser Berechnungsmethode vorausgesetzt werden müßte, daß die totale durch die Lungen aufgenommene Menge Sauerstoff.stets aus der Lunge mit dem Blute weitergeführt wird; eine wechselnde Menge desselben wird, wie im Abschnitt über die innere Atmung zur Darstellung kommt, in den Lungen selbst verzehrt, ein Umstand, der die Berechnung in unbestimmbarem Um- fange unsicher macht. Was wir bisher besprachen, ist die sekundäre Vermehrung des Blut- stromes, die eine Steigerung des Stoffwechsels begleitet. Eine andere Frage, die für die Analyse der einzelnen Faktoren der Lungenfunktion eine be- sondere Bedeutung hat, ist es, welchen Einfluß unter sonst gleichen Um- ständen eine primäre Vermehrung des Blutstromes auf den Gaswechsel der Fig. 21. . Lungen hat. Um dies fest- 90 zustellen, kann man die En As A DER RR 7 gleichzeitige, | getrennte EU a / Untersuchung des respira- Tr Rs x "RL \ 7 torischen Stoffwechsels jeder 60 PN ll 12 Lunge für sich benutzen, ' I YA während die Blutver- 2 T teilung unter die beiden. 40 1 Lungen mittels passender 56 \ Verengerung des einen Pul- N monalastes geändert wird. 2 is Solche Bestimmungen wur- 10 \ den von Maar sowohl an K K K K 1 Schildkröten !) als anKanin- 0102345 6 7 8 9 10 11 12 chen?) unternommen. Um Kaninchen. Gleichzeitiger Stoffwechsel in jeder Lunge für sich. die Versuche an letzterem K Kompression. L Ligatur der Art. pulm. sin. R « R Tiere durchzuführen, ist es notwendig, sich eines Verfahrens zu bedienen, das nicht nur sicher, sondern zugleich auch möglichst schonend ist; hierüber wie auch wegen anderer Details verweisen wir aber auf die zitierten Abhandlungen. Nebenstehend findet sich eine graphische Darstellung eines typischen Versuches dieser Art). Die Linien bezeichnen: —-—- Sauerstoffaufnahme der rechten Lunge; Kohlensäureausscheidung der rechten Lunge; — — — Sauerstoffaufnahme der. linken Lunge; ...... Kohlensäureausscheidung der linken Lunge. Die Dauer jeder Bestimmung 10 Minuten. Bei Nr. 2, 5, 7 kam eine Kompression zur An- wendung, von der es sich später erwies, daß sie die Strömung durch den heraus- geschnittenen Pulmonalast auf ‘, verminderte; bei Nr. 9 eine solche, die auf '/, verminderte. Vor Nr. 4 wurden die Nn. vagi durchschnitten; vor Nr. 6 und Nr. 9 wurde Atropin gegeben. i Bemerkenswert ist bei diesen Versuchen erstens die verhältnismäßig geringe Wirkung einer bedeutenden Verengerung des Pulmonalastes. Ferner geht es aber aus der obenstehenden Kurve und überhaupt aus Maars Ver- !) Skand. Arch. f. Physiol. 15, 1, 1908. — ?) Ebenda 16, 358, 1904. — ®) Maar, Skand. Arch. 16, 368, 1904, Tab. II. | { } , j 3 Be ‘ ; 3 Einfluß des Nervensystems auf die Gassekretion. 177 suchen hervor, daß die Sauerstoffaufnahme konstant in derjenigen Lunge, die weniger Blut erhält, kleiner wird; auch die Kohlensäureausscheidung nimmt ab, jedoch in bedeutend geringerem Maße. In der anderen Lunge, wo der Blutstrom anwächst, nimmt auch der Gaswechsel zu; mit Ausnahme der Fälle, wo der Pulmonalast gänzlich gesperrt wird, nimmt die Sauerstoffaufnahme aber weit mehr zu als die Kohlensäureausscheidung, so daß der respira- torische Quotient sinkt. Da dieses Verhalten in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle und speziell überall, wo man der Einwirkung des Nerven- systems mittels Atropins entgegenarbeitete, vorgefunden wird, so ist an- zunehmen, daß es unmittelbar von der Änderung des Blutstromes herrührt. Daß die Kohlensäureausscheidung bei Vermehrung des Blutstromes weit weniger steigt als die Sauerstoffaufnahme, würde schwer zu verstehen sein, wenn die Diffusion als der wesentlichste Vorgang beim Gaswechsel zu betrachten wäre; erst der Nachweis der spezifischen Tätigkeit der Lungenzellen macht solche Vorgänge verständlich. Analoge Verhältnisse fand Maar bei Schildkröten; hier zeigt in allen Fällen diejenige Lunge, deren Blutstrom vermehrt wird, eine Zunahme der Sauerstoffaufnahme, während die Kohlensäureausscheidung entweder in ge- ringerem Maße zunimmt oder auch, wie in allen Fällen, wo Atropin gegeben wurde, sogar unverändert bleibt. Diese Verhältnisse sind aus der Kurven- tafel, die der zitierten Abhandlung beigegeben ist, deutlich zu ersehen. Die unmittelbare Folge einer Zunahme des Blutstromes durch die Lunge ist also ein regelmäßiges, aber verhältnismäßig geringes Steigen des Gaswechsels, das die Sauerstoffaufnahme weit erheblicher berührt als die Kohlensäureausscheidung, so daß der respiratorische Quotient sinkt. Diese Erfahrung wird für die Deutung des Einflusses des Nervensystems auf die Lungenfunktion Bedeutung erhalten. 5. Kapitel. Der Einfluß des Nervensystems auf die Gassekretion. Der Einfluß des Nervensystems auf die Drüsensekretionen ist überall um so leichter nachweisbar, je geringer der Einfluß ist, den eine vorübergehende Sekretionsänderung in der betreffenden Drüse auf den Stoffwechsel des gesamten Organismus übt; wird nämlich der Stoffwechsel wesentlich beeinflußt, so treten zahlreiche kompensatorische Tätigkeiten in Funktion, und das Resultat der nervösen Einwirkung auf die Drüse wird dann leicht verschleiert. Hier- mit steht es in Zusammenhang, daß die Abhängigkeit der temporär secernie- renden Drüsen vom Nervensystem dem Nachweis weniger Schwierigkeiten darbietet als die Abhängigkeit der permanent secernierenden, deren Einfluß auf den gesamten Stoffwechsel der Natur der Sache zufolge durchweg weit bedeutender ist. Dieser Vorteil fällt mit Bezug auf die mit temporären Drüsen angestellten Versuche natürlich weg, wenn die anatomischen Verhält- nisse solchergestalt sind, daß es sich nicht vermeiden läßt, gleichzeitig mit dem Drüsennerv auch Nerven zu Organen zu reizen, deren Funktion für die allgemeinen Umsetzungen des Organismus von eingreifender Bedeutung ist; illustrierend ist in dieser Beziehung der Gegensatz zwischen der Leichtigkeit, mit der sich die Abhängigkeit der Speichelsekretion vom Nervensystem nach- weisen läßt, und den Schwierigkeiten, die in Pawlows Versuchen über die Nagel, Physiologie des Menschen. I. 12 8 Einfluß des Nervensystems auf die Gassekretion. Pankreasinnervation wegen der gleichzeitig mit der Reizung des Vagus ein- tretenden Einwirkung auf die Zirkulationsverhältnisse zu überwinden waren. Diese Betrachtungen finden im ganzen selbstverständlich auch auf die besonderen Verhältnisse der Gassekretion Anwendung; auch hier ist der Nachweis nervöser Einwirkungen verhältnismäßig leicht, wo die Sekretion, wie in der Schwimmblase, in einem Organ stattfindet, das nur temporär in Tätigkeit tritt, dessen augenblickliche Bedeutung für das Leben des Organis- mus nur gering ist, und wo zugleich der das Organ innervierende Zweig des N. vagus sich durchschneiden läßt, ohne auch die Herz- und Kiemenäste zu verletzen. Mit großer Einfachheit und Sicherheit läßt sich hier die Rolle des N. vagus als Sekretionsnerv nachweisen, indem die Sauerstoffausscheidung in der Blase aufhört, sowie der zum Organ führende Ast durchschnitten wird (S. 164). Wo die Gassekretion der Lunge zur Untersuchung kommt, stellen sich die Verhältnisse weit schwieriger; nicht nur bestrebt sich der Organismus, durch alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel stärkere Eingriffe in die Funktion dieses für das Leben fundamentalen Organs zu kompensieren, son- dern auch die Reizung des wichtigsten Nervs des Organs (des N. vagus) zieht fast unvermeidlich das Herz mit in die Änderung hinein. Indes gibt es auch hier wieder einen bedeutenden Unterschied der Verhältnisse bei Kalt- blütern und bei Warmblütern. Bei letzteren ist die unablässige kräftige Tätigkeit der Lunge eine notwendige Lebensbedingung. Bei ersteren können gewöhnlich, ohne ernstere Störungen des Stoffwechsels hervorzurufen, Pausen von nicht unbedeutender Dauer eintreten; auffallend ist dies bei der Schild- kröte, wo oft die geringste Einwirkung, z. B. schon die Erschütterung des Fußbodens, wenn jemand durch das Versuchszimmer geht, die natürliche Respiration nicht wenige Minuten lang stocken macht, worauf dieselbe wieder im vorigen Rhythmus beginnt, als ob gar keine Pause stattgefunden hätte; mit der weniger intensiven Funktion steht wohl auch die größere gegen- seitige Unabhängigkeit in Zusammenhang, welche die beiden ‚Lungen der Schildkröten bei nervösen Einwirkungen zeigen. Bietet der Nachweis des Einflusses des Nervensystems nun aber auch besonders bei Warmblütern bedeutende Schwierigkeiten dar, so ist es nn auch an diesen gelungen, das Vorhandensein eines solchen Einflusses unzweifelhaft zu konstatieren. . Bei Schildkröten läßt sich der Einfluß der Nerven auf prägnante Weise mittels der Methode mit der getrennten gleichzeitigen Untersuchung beider Lungen erweisen, die hier um so leichter angewandt werden kann, da die Trachea der Testudo graeca sich hoch oben am Halse teilt; die Einlegung von Kanülen in die Bronchien kann deshalb geschehen, ohne daß man Gefahr läuft, wichtige Nerven zu beschädigen. Die Verteilung des Gaswechsels unter die beiden Lungen erweist sich bei diesen Tieren als auf einem Tonus der Nn. vagi beruhend. Durchschneidet man den einen Vagus, so steigt die Sauerstoffaufnahme in der korrespondierenden Lunge und sinkt um ebensoviel in der anderen; die Kohlensäureausscheidung wird in derselben Richtung beeinflußt, jedoch schwächer. Durchschneidet man darauf den anderen Vagus, so wird der Gaswechsel wieder wie ursprünglich unter die beiden Lungen verteilt. Folgendes Beispiel!) zeigt den bedeutenden Aus- !) Maar, Skand. Arch. 13, 309, 1902, Vers. II. la ne an N N U GEL RR V > Einfluß des Nervensystems auf die Gassekretion. 179 schlag, den die Sauerstoffaufnahme hierbei in vier aufeinander folgenden Atmungsversuchen an demselben Tier erleidet. Schildkröte. Natürliche Atmung. | Sauerstoffaufnahme in der Versuchsnummer EEE! rechten Lunge | linken Lunge | Summa 1 15,4 17,1 | 32,5 Durchschneidung des rechten Vagus#®— 2 30,0 5,3 35,3 3 29,1 | 5,2 34,3 Durchschneidung des linken Vagus »— 4 Ka En a IR Reizung des einen Vagus hat eine der Durchschneidung entgegen- gesetzte Wirkung. Die Resultate sind völlig konstant und zeigen unzweifel- haft den Einfluß des Nervensystems auf die Lungenfunktion dieser Tiere. Es entsteht nun aber die Frage, ob diese Wirkung nicht als die Folge vasomotorischer Änderungen in den beiden Lungen zu erklären sein möchte; in der Tat gibt eine totale Sperrung des einen Pulmonalastes analoge Aus- schläge, auch mit Bezug darauf, daß die Sauerstoffaufnahme verhältnismäßig stärkere Änderung erleidet als die Kohlensäureausscheidung. Eine solche Erklärung ist indes jedenfalls ungenügend; denn unter anderem wird nach Unterbindung eines Pulmonalastes die betreffende Lunge schnell blaß, wäh- rend die Durchschneidung eines Vagus keine derartige Veränderung der Farbe zur Folge hat, obschon die absolute Änderung des Stoffwechsels nach letzterem Eingriffe eine weit beträchtlichere ist!). Wegen weiterer Details mit Bezug auf nervöse Einwirkungen auf die Lungenfunktion der Schildkröten müssen wir auf die zitierte Abhandlung von Maar verweisen ?); interessant sind hier die Folgen einer Durchschneidung des N. vagus nach vorhergehender Durchschneidung des Halssympathicus (Maars Kurventafel, Figg. 8 und 9); hier wird allein der Sauerstoff und nur in der dem durchschnittenen Nerv korrespondierenden Lunge vermehrt, während von seiten der anderen Lunge keine Kompensation stattfindet. Was die Warmblüter betrifft, so hat die Methode mit getrennter Unter- suchung jeder Lunge für sich allerdings häufig deutliche Ausschläge der nervösen Einwirkungen gegeben); wahrscheinlich wegen der durch. den Ganglienplexus vermittelten äußerst engen nervösen Verbindung unter den beiden Lungen sind die Resultate hier jedoch durchweg inkonstant. Hier hat sich dagegen ein anderes Verfahren, nämlich Reizung des Nervs während sehr kurzer Zeiträume (10 bis 20 Sekunden) und eine Reihe unmittelbar aufeinander folgender, ebenso kurz dauernder Bestimmungen der Zusammensetzung der Exspirationsluft als erfolgreich erwiesen; durch diese kurzdauernden Versuche wird man am leichtesten .einen Ausdruck für die Einwirkung der Nervenreizung auf die eigentliche Lungenfunktion erhalten, !) Maar, Skand. Arch. 15, 15, 1903. — °) Ebenda 13, 269, 1902. — °) Ebenda 13 (1902), Kurventafel, Figg. 27 bis 37. 12* 180 Einfluß des N. vagus auf die Gassekretion. ohne daß die kompensatorischen Änderungen des Stoffwechsels der Gewebe und der Zusammensetzung des Blutes eine Rolle spielen werden (Henri- ques!). Unter Anwendung dieser Methode beobachtete nun Henriques zuerst den interessanten Umstand, daß sowohl die Sauerstoffaufnahme als die Kohlen- säureausscheidung normal Schwankungen um einen Mittelwert herum aus- führt; die Periode der Schwankungen beträgt gewöhnlich !/, bis 1 Minute und ihr Ausschlag etwa 4 Proz. des Wertes, sowohl die Periode als auch der Ausschlag ist aber etwas variabel. In der Regel finden die Schwankungen der Kohlensäureausscheidung und die der Sauerstoffaufnahme zu gleicher Zeit in derselben, zuweilen aber auch in entgegengesetzter Richtung statt, weshalb sie nicht von vasomotorischen Änderungen allein abhängig sein können. Der Stoffwechsel der Lungen erhält sich also, wie es wohl überhaupt mit orga- nischen Prozessen der Fall ist, im Gleichgewicht durch Schwankungen um eine mittlere Lage herum. Die Folgen einer Reizung des N. vagus erweisen sich insofern‘ als verschieden, als der respiratorische Stoffwechsel steigt, wenn durch kräftige Reizung des Vagus die Herzfrequenz nicht bis unter 50 Schläge in der Minute herabgesetzt wird; wenn die Frequenz aber bis zu wenigen Schlägen in der Minute herabgesetzt wird, sinkt der Stoffwechsel beträchtlich. Ein Typus jedes der beiden genannten Fälle findet sich in nebenstehender Figur 22 angegeben ?2). In beiden Fällen gibt es aber doch eine gemeinsame Wirkung, indem der respiratorische Quotient bei Reizung des Vagus sich stets dem Werte 1 nähert und bei kräftiger Reizung denselben voll- ständig erreicht; in den Kurvenfiguren äußert sich dies dadurch, daß die- jenigen Punkte, welche die Kohlensäureausscheidung angeben, bei der Reizung des Vagus mit denen zusammenfallen, welche die Sauerstoffaufnahme bezeichnen, während letztere vorher bedeutend höher lagen. Diese Änderung des Quo- tienten kann nicht von vasomotorischen Änderungen herrühren, denn dann könnte sie ja nicht sowohl beim Sinken als beim Steigen des Stoffwechsels eintreten; überdies wurde im vorigen Kapitel nachgewiesen, daß eine Zunahme des Blutstromes, die man ja annehmen müßte, wenn das Steigen des Stoffwechsels vasomotorisch erklärt werden sollte, an und für sich eine entgegengesetzte, herabsetzende Wirkung auf den Quotienten hat. Wir haben hier also einen mit Sicherheit nachgewiesenen spezifischen Einfluß des N. vagus auf den Gaswechsel,durch den die Kohlensäureausscheidung und dieSauer- stoffaufnahme die gleiche Größe erhalten. Zugleich ist anzunehmen, daß die Reizung des Vagus unmittelbar die Zunahme sowohl der Sauerstoff- aufnahme als der Kohlensäureausscheidung bewirkt; im entgegen- gesetzten Falle wäre das Steigen des Gaswechsels während der Reizung einer — notwendigerweise sehr bedeutenden — Vermehrung des Blutstromes zu- zuschreiben, die sich nicht wohl als mit der beobachteten Herabsetzung der Herzfrequenz (auf etwa die Hälfte) zusammenfallend denken läßt; ob der respiratorische Stoffwechsel bei Reizung des N. vagus steigt oder sinkt, ist daher wahrscheinlich davon abhängig, ob die Herabsetzung der Herzfrequenz !) Skand. Arch. 4, 194, 1892. — ?) Henriques, 1. c., Vers. Ia und III, 8. 216 u. 217. N e E Einfluß des N. vagus auf die Gassekretion. — Innere Atmung. 181 eine so bedeutende ist, daß sie die den Gaswechsel direkt vermehrende Wirkung der Nervenreizung überkompensiert. Auch Maar!) findet, daß der respiratorische Quotient sich bei Reizung des Vagus dem Werte 1 nähert. Fig. 22. F, : In 4,75 14,75 4,50 4,50 4,25 4,25 4,00 4,00 3,75 3,75 3,50 3,50 RE EN a ER RE BR 78 91011 121314. 3,25 3,25 Einfluß der Reizung des Vagus auf den respiratorischen Stoffwechsel nach Henriques,. Die Punkte repräsentieren eine Reihe unmittelbar aufeinander folgender kurz- dauernder (etwa 10 Sekunden) Atmungsversuche. Die punktierte Linie gibt die Kohlensäureausscheidung, die ausgezogene die Sauerstoffaufnahme an. Bei* werden die N. vagi 10” lang gereizt; die Herzfrequenz wird hierdurch in I bis unter 6, in II bis auf 50 Schläge in der Minute herabgesetzt. Zweiter Abschnitt. Die innere Atmung. 1. Kapitel. Allgemeine Übersicht der Prozesse. Obschon der Verlauf der Oxydationsprozesse im tierischen Organismus trotz der gar nicht wenigen im Laufe der Zeit über denselben aufgestellten Ansichten in seinen näheren Einzelheiten nicht völlig aufgeklärt ist, so ist !) Skand. Arch. 13, 306, 1902. Vgl. die Kurventafel Figg. 34 u. 35. 182 Innere Atmung. — Umsetzungen in den Geweben. es doch als sicher zu betrachten, daß der Prozeß unter Bildung intermediärer Stoffwechselprodukte gradweise vorgeht und daß er an die geformten Ele- mente des Organismus geknüpft ist!). Weil die Umsetzungen durch die Zellentätigkeit bestimmt werden, brauchen sie darum aber doch natür- lich nicht notwendigerweise in ihrer Gesamtheit innerhalb der Zellen selbst zu verlaufen; daß der Prozeß in Zellen eingeleitet wird, seine völlige Beendigung aber erst außerhalb derselben, speziell im Blute findet, ist eine Möglichkeit2), die vielfach diskutiert worden ist, und deren Realität unten näher untersucht werden wird. Selbst wenn man aber annimmt, die Umsetzungen wären in ihrem gesamten Umfange der Vermittelung der Zellen zu ihrem Verlaufe bedürftig, ist noch eine Seite der Sache in Betracht zu ziehen. Der Prozeß kann nämlich in seinen verschiedenen Stadien an die Zellen verschiedener Organe geknüpft sein ?); diese Ansicht kann man um so weniger von vornherein abweisen, da ein Zusammenwirken verschiedener Organe in betreff anderer tierischen Umsetzungen wohlbekannt ist. Diejenigen Umsetzungen, die uns hier besonders interessieren, und die unter Bildung von Kohlensäure bei Oxydation der organischen Stoffe ab- laufen, verhalten sich in der Tat so, daß einige der Prozesse in dem- selben Gewebe zum Abschluß kommen, in welchem sie eingeleitet werden, während andere, von stark wechselndem Umfang, zwar rings herumin den verschiedenen Geweben des Körpers eingeleitet werden, ihren Abschluß aber erst unter Kohlensäurebildung und Sauerstoffverbrauch in den Lungen finden. Demnach lassen sich die Prozesse der inneren Atmung in zwei Gruppen teilen. 1. Was die erstere Gruppe der Prozesse der inneren Atmung betrifft, die in denselben Körpergeweben sowohl eingeleitet als abgeschlossen werden, so ent- hält bei diesen das das Organ verlassende Venenblut bereits die als End- produkt gebildete Kohlensäure, die der Lunge zugeführt wird, deren Rolle hierbei nur darin besteht, das fertige Produkt auszuscheiden. Bei dieser Form der Atmung ‘der Gewebe hat man die Rolle des Kapillarblutes, wie oben angedeutet, auf verschiedene Weise aufgefaßt. Man hat gemeint, daß das Blut hierbei nur als Transportmittel für die Gase wirkte, so daß der Sauerstoff, der mit dem Arterienblute den Geweben zugeführt wird, in diese eindringe, wo dann die Bildung von Kohlensäure stattfinde, die also von hier aus ins Blut wandere. Man hat sich aber auch gedacht, daß der Prozeß wenigstens zum Teil etwas anders verlaufe, so daß die Kohlensäure im Blute selbst gebildet werde, indem sauerstoffgierige, durch Spaltungs- prozesse in den Geweben gebildete Substanzen ins Blut austreten und hier mit dem Sauerstoff in Verbindung gehen sollten. Letztere Frage wurde speziell von A. Schmidt untersucht), der sich hierbei folgenden Verfahrens bediente. Eine Probe von Erstickungsblut, in welchem die eventuellen reduzierenden Stoffe aller Wahrscheinlichkeit nach ın besonderer Menge vorhanden sein müßten, wird ausgepumpt; eine andere Probe desselben Blutes erhält einen Zusatz von einer abgemessenen Menge !) Vgl. Pflüger, Pflügers Arch. 10, 251, 1875. — ?) Vgl. Bohr u. Henri- ques, Arch. de physiol. 1897, p. 590. — °) Vgl. Alex. Schmidt, Arb. a. d. physiol. Anst. zu Leipzig 2, 99, 1867. Innere Atmung. — Umsetzungen im Blute. 183 Sauerstoff, der vom Erstickungsblut absorbiert wird, worauf auch die Gase dieser Probe mittels Auspumpens bestimmt werden. Es erweist sich nun, daß einige Volumprozente des zugesetzten Sauerstoffs verzehrt worden sind, und daß sich eine im Verhältnis hierzu ziemlich schwankende Menge Kohlen- säure gebildet hat. Dasselbe geht aus analogen, von Pflüger!) angestellten Versuchen hervor?). Die gefundenen Resultate sind gewiß, da die Versuche nicht aseptisch angestellt wurden, in variierendem Maße zu groß ausgefallen, obschon der bakterielle Stoffwechsel hier, wo das Stehen des Blutes nur von verhältnismäßig kurzer Dauer war, wohl keinen so stark störenden Einfluß erhält, wie derselbe leider bei manchen der älteren in vitro unternommenen Versuchen hatte. Auch das Schütteln des sauerstoffhaltigen Blutes mit Queck- silber, wie es in mehreren der Versuche ausgeführt wurde, hat zweifelsohne zur Vermehrung des Sauerstoffverbrauchs beigetragen®). Am sichersten ist es deshalb, bei den kleineren der beobachteten Werten des Sauerstoffver- brauchs (etwa 1 Vol.-Proz.) stehen zu bleiben. Nach einer der von Schmidt angewandten analogen Methode untersuchten Afonassiew®) und Tschi- riew°) das Erstickungsserum bzw. die Erstickungslymphe. Diese für unsere Frage sehr wesentlichen Versuche zeigen, daß die genannten Flüssig- keiten durchaus von sauerstoffverbrauchenden und kohlensäurebildenden Stoffen frei sind. Die Bildung reduzierender Stoffe in den Geweben, die durch bloße Berührung mit dem Sauerstoff des Blutes in Kohlensäure um- gesetzt würden, läßt sich demnach nicht aufrecht erhalten. Der von Schmidt gefundene verhältnismäßig geringe Stoffwechsel des mit Sauerstoff versetzten Erstickungsblutes ist daher den geformten Elementen desselben zuzuschreiben (Afonassiew®) und rührt aller Wahrscheinlichkeit nach von den darin ent- haltenen weißen Blutkörperchen her. Es ist deshalb anzunehmen, daß der Sauerstoffverbrauch und die Kohlen- säurebildung in den Geweben in allem Wesentlichen in den Zellen selbst und nicht im Blute stattfinden. In Übereinstimmung mit der Rolle als Transportmittel für die Gase, die mit- hin bei diesem Prozesse die wesentlichste des Blutes ist, steht es, daß die Um- setzungen stattfinden können, selbst wenn die roten Blutkörperchen fehlen, sofern nur die Sauerstoffzufuhr zu den Geweben hierdurch nicht gar zu gering wird. Bei Fröschen ist es deshalb möglich, während der Perioden, wo ihr Stoff- wechsel gering ist (S. 160), das Blut durch isotonische Chlornatriumlösung zu ersetzen (Oertmann’); der in der Salzlösung einfach 'gelöste Sauerstoff genügt hierbei zur Ernährung der Gewebe. An Warmblütern läßt sich ein analoger Ver- such anstellen durch Einatmung einer Luft mit so hohen Kohlenoxydprozenten, daß die roten Blutkörperchen, praktisch gesprochen, mit Kohlenoxyd gesättigt sind und keinen Sauerstoff mehr binden; alsdann muß aber, um das Leben zu erhalten, die Sauerstoffspannung, dem bedeutend intensiveren Stoffwechsel der Warmblüter entsprechend, 2 Atmosphären betragen, der einfach gelöste Sauerstoff also etwa 10mal so groß sein wie der in gewöhnlicher atmosphärischer Luft enthaltene !) Pflügers Arch. 1, 98, 1868. — ?) Die von Stroganow (Pflügers Arch. 12, 18, 1876) gefundenen Zahlen für die Sauerstoffzehrung des Blutes lassen sich nicht verwerten, weil die von ihm benutzte Methode auf Voraussetzungen ruht (so z. B. bezüglich der von 1g Hämoglobin gebundenen Sauerstoffmenge, 1. c. 8. 44), die sich als irrig erwiesen haben. — °) Vgl. Pflüger, l. c. 8. 98. — *) Arb. a.d. physiol. Anstalt zu Leipzig 7, 71, 1872. — °) Ebenda 9, 38, 1874. — °) 1. c. 8. 80. — ?) Pflügers Arch. 15, 381, 1877. 184 Innere Atmung. — Wanderung der Gase. (Haldane'). Auch durch Durchleitung gasförmigen Sauerstoffs kann z. B. die Herzmuskulatur am Leben erhalten werden (Magnus?). Für den eigentlichen Oxydationsprozeß sind die roten Blutkörperchen mithin entbehrlich; in allen diesen Fällen sind die Verhältnisse in betreff der Sauerstoffzufuhr jedoch bei weitem nicht normal, weil die wesentlichen Mittel, um die Sauerstoff- und die Kohlensäure- konzentration im Plasma das Blutes zu regulieren, hier weggefallen sind (vgl. 8. 196). Was die Natur der Kräfte betrifft, die bei der Wanderung des Sauer- stoffs aus dem Blute in die Gewebe und bei der Wanderung der Kohlensäure in umgekehrter Richtung tätig sind, so genügen die vor- liegenden Versuche nicht zur völligen Aufklärung der Frage, indem es an gleichzeitigen genauen Bestimmungen der Gasspannungen im Blute und in den Geweben gebricht. Mit Bezug auf den Sauerstoff erscheint die An- nahme, daß seine Bewegung mittels Diffusion geschieht, insoweit wahrschein- lich, als seine Spannung in der Gewebsflüssigkeit in Betracht der verhältnis- mäßig kleinen Menge Sauerstoffis, die man beim Auspumpen gewöhnlich in der Lymphe gefunden hat (Hammarsten?®), und in Betracht der in den Geweben beobachteten kräftigen Reduktionen (Ehrlich) oft eine sehr ge- ringe sein muß; anderseits stehen die Resultate, die sich aus zwei von Straßburg 5) über die Sauerstoffspannung der Lymphe angestellten Ver- suchen herleiten lassen, nicht in Einklang hiermit, indem die übrigens nicht von Straßburg selbst berechnete Sauerstoffspannung der Lymphe hier höher (wenigstens 153 bzw. 162mm) gefunden wird als die der Atmosphäre. In Straßburgs Versuch XXVI°) gab die völlig wasserklare Lymphe (30 ccm) an die im Tonometer enthaltene Luft (20 cem) so viel Sauerstoff ab, daß das Sauerstoffprozent der letzteren von 2,70 auf 3,70 stieg. Hieraus läßt sich unter gebührender Berücksichtigung des Druckes und der Temperatur berechnen, daß 100 ccm Lymphe 0,549 ccm Sauerstoff abgeben würden, die sie also mindestens enthalten haben müssen ; die Sauerstoffspannung der Lymphe war dann wenigstens 153mm, wenn der Absorptionskoeffizient derselben für Sauerstoff gleich dem des Wassers gesetzt wird; in Wirklichkeit ist der Absorptionskoeffizient ein wenig niedriger, weshalb die gefundene Spannungszahl noch etwas weiter erhöht werden muß. Im zweiten Versuche (XX VIII?) findet man auf ähnliche Weise eine Sauer- stoffspannung von wenigstens 162mm. Die Versuche mit Chylus geben niedrigere Zahlen der Sauerstoffspannung. Nach der bisher allgemein üblichen Ansicht über die Sauerstoffspannung des Blutes, wonach diese immer niedriger .als die Sauerstoffspannung der Atmosphäre sein sollte, müßte man nun annehmen, daß Straßburgs Ver- suche geradezu bewiesen, daß ein Diffusionsprozeß zur Beförderung des Sauer- stoffs aus dem Blute in das Gewebe nicht zureichend sei; indes kann eine Sauerstoffspannung, die höher ist als die der Atmosphäre, in der Tat sehr gut im Arterienblute vorkommen, so daß die bis jetzt vorliegenden Versuche keine bestimmte Ansicht von den bei der Wanderung des Sauerstoffs tätigen Kräften gestatten. Ganz dasselbe gilt von der Wanderung der Kohlensäure aus dem Gewebe ins Blut; man findet in den Geweben allerdings häufig so hohe Kohlensäurespannungen, daß eine Diffusion zu genügen scheint, um die Be- !) Journ. of Physiol. 21 (1897). — ?*) Arch. f. exp. Pathol. 47. — °) Arb. a. d. physiol. Anst. zu Leipzig 6, 121, 1871. — *) Das Sauerstoffbedürfnis des Organismus. Berlin 1885. — °) Pflügers Arch. 6, 85, 1872. — °) 1. c. 8. 87. — ”)l. e. 8. 89. Sad u R ER a ie ie dena) 5 5 Innere Atmung. — Zusammenwirken der Gewebe und der Lunge. 185 wegung der Gase zu erklären; indes ist anderseits die Kohlensäurespannung der Lymphe niedriger als die des Blutes (S. 130), was gegen die Diffusions- hypothese spricht. Obgleich letzterer Umstand vielleicht seine Erklärung finden kann !), ohne daß wir eine spezifische Zellentätigkeit anzunehmen brauchten, so gestatten die unvollständigen Aufschlüsse gewiß doch nicht, einen bestimmten Standpunkt in dieser Sache zu nehmen. 2. Bisher betrachteten wir nur, was mit den Umsetzungen in Beziehung steht, die in demselben Körpergewebe sowohl eingeleitet als zu Ende geführt werden. Wir schreiten nun zur Betrachtung derjenigen Gruppe der inneren Atmungsprozesse, bei der ein Zusammenwirken der verschiedenen Gewebe des Körpers mit der Lunge erforderlich ist. Es bilden sich hierbei in den Ge- weben intermediäre Stoffwechselprodukte, die nicht durch das bloße’ Vor- handensein von Sauerstoff im Blute ferner umgesetzt werden, sondern mit letzterem in die Lunge gelangen, wo die schließliche Umbildung stattfindet, indem sich während eines größeren oder geringeren Sauerstoffverbrauchs ‚Kohlensäure bildet. Es ist ein sehr schwankender Teil des gesamten Stoff- wechsels, den dieser in den Lungen stattfindende Prozeß beträgt, wie auch die aus den Geweben zugeführten intermediären Produkte von wechselnder Art sein können, da der respiratorische Quotient (=) bei ihrer weiteren . 2 Umbildung verschieden sein kann; zuweilen beobachtet man sogar Kohlensäure- abspaltung ohne gleichzeitigen Sauerstoffverbrauch, Verhältnisse, die sämtlich im folgenden Kapitel (S. 187) ihre nähere Beschreibung finden werden. Sind wir auch nur selten imstande, in den einzelnen Fällen den direkten Nachweis zu führen, so ist dennoch anzunehmen, daß diese Schwankungen der Intensität der Funktion regulatorisch sind und dazu dienen, trotz wech- selnder Bedingungen einen regelmäßigen Verlauf des gesamten Stoffwechsels zu unterhalten. Eine wesentlich regulatorische Bedeutung müssen die hier besprochenen Stoffumsetzungen z. B. erhalten können, wenn die Sauerstoff- zufuhr zu den Geweben des Körpers erheblich herabgesetzt wird, während der Sauerstoff dennoch reichlichen Zutritt zur Lunge hat, wie es der Fall ist, wenn die Blutströmung durch die Gewebe hindurch in beträchtlichem Maße verlangsamt wird. Unter solchen Umständen wurde denn auch ursprünglich die Aufmerksamkeit auf die Rolle der Lunge bei der inneren Atmung über- haupt hingelenkt (Bohr und Henriques?), wie aus folgenden Versuchen hervorgeht. Versperrt man den Aortenbogen vollständig mittels einer mit Flüssigkeit gefüllten Kautschukblase, so wird die direkte Blutströmung nach dem weit überwiegenden Teile der Gewebe des Körpers abgeschnitten. Die Blutver- sorgung der letzteren wird hierdurch jedoch nicht völlig gehemmt; mit Hilfe der Kollateralen, die sich finden, selbst wenn man zur Sperrung der Aorta noch Unterbindung mehrerer der vom Bogen ausgehenden größeren Arterien hinzufügt, tritt ein wenn auch sehr langsames Durchsickern von Blut durch die abgesperrten Organe ein; durchschneidet man nach Sperrung der Aorta die A. femoralis, so wird man-deshalb ein sehr geringes, jedoch fortwährendes, Ausfließen dunkeln Blutes aus den durchschnittenen Enden gewahren. Unter ‘) Straßburg, 1. ce. 8. 89. — ?) Arch. de physiol. 1897, p. 459. 186 Innere Atmung. — Gaswechsel nach der Sperrung des Aortenbogens. diesen Umständen ist die Zufuhr von Sauerstoff zu der Hauptmasse der Muskeln des Körpers, zur Leber und zu den übrigen Bauchviscera minimal. Geschähe die Kohlensäurebildung ausschließlich in den Geweben des Körpers auf Kosten des demselben zugeführten Sauerstoffs, so müßte der respiratorische Stoffwechsel notwendigerweise bis auf einen verhältnismäßig geringen Bruch- teil seiner Größe vor der Sperrung der Aorta sinken. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Größe des Stoffwechsels nach der Sperrung der Aorta ist etwa zwei Drittel, zuweilen sogar bedeutend mehr, des Normalen. Unter- suchungen, über deren Einzelheiten wir auf die zitierte Abhandlung ver- weisen, ergeben, daß der verhältnismäßig so bedeutende Stoffwechsel nach der Sperrung der Aorta lediglich auf der Unterhaltung des langsam durch die Gewebe sickernden Blutstromes beruht; wird dieser völlig gehemmt, wozu außer der Sperrung der Aorta auch die Sperrung der Vena cava erfor- derlich ist, so sinkt der Stoffwechsel auf einen sehr geringen Wert. Die Erklärung der Erscheinung muß dann die sein, daß mit dem langsamen Blutstrome durch dieabgesperrten Gewebeaus diesen Stoffwechsel- produkte geführt werden, welche in der Lunge unter Sauerstoff- verbrauch in Kohlensäure umgesetzt werden, bei welchem Prozesse das Verhältnis — übrigens stets größer ist als normal. 2 Diese Versuche über den Stoffwechsel nach Versperrung des Aortenbogens wurden später von Rulot und Cuvelier') wiederholt, die ebenfalls ein Steigen . des respiratorischen Quotienten finden, die aber nicht beobachtet zu haben meinen, daß das Sinken des Stoffwechsels nur von verhältnismäßig geringer Größe ist. Indes geben diejenigen Versuche von Rulot und Cuvelier, wo die Aorta ohne anderweitigen vorhergehenden Eingriff im Bogen versperrt war, untenstehende Resultate. Die Versuchsnummern sind die der originalen Abhandlung; die Zahlen geben in Prozenten der unmittelbar vor der Versperrung beobachteten Sauerstoff- aufnahme den Teil an, der sich nach der Sperrung erhielt: Nummer: des Verkuchs =... 12 vol ni Bone re ee I II 2.104 IV Proz. der ursprünglichen Sauerstoffaufnahme ...... 5 62 58 70 .66 Man findet also, daß sich nach der Sperrung im Mittel fast zwei Drittel (62 Proz.) der normalen Sauerstoffaufnahme erhalten haben; da der respiratorische Quotient gestiegen ist, werden die Verhältnisse rücksichtlich der Kohlensäure noch günstiger. Rulot und Cuveliers Versuche stimmen somit in der Hauptsache ganz mit Bohr nnd Henriques’ Beobachtungen überein. (Wo Rulot und Cuve- lier die Sperrung der Aorta an deren terminalem Teile unternahmen, steht der Stoffwechsel nach der Sperrung selbstverständlich dem normalen noch näher.) Lehrreich ist ein Vergleich der Bedingungen, unter denen diese Ver- suche und unter denen A. Schmidts oben besprochene Versuche ausgeführt wurden. In beiden Fällen kommt Erstickungsblut zur Anwendung, welches intermediäre Stoffwechselprodukte enthält, die teils durch Versperrung der Trachea (Schmidt), teils durch außerordentliche Verlangsamung der Blut- strömung durch einen bedeutenden Teil des Organismus (Bohr und Hen- riques) zuwegegebracht wurden. Bei ersteren Versuchen, wo dem Erstickungs- blute in vitro Sauerstoff zugesetzt wird, sind der Sauerstoffverbrauch und die Kohlensäurebildung nur gering; wo die Oxydation dagegen wie in Bohr und Henriques’ Versuchen im Organismus unter Vermittelung der Lunge !) Arch. de Biolog. 15, 629, 1897. A he ee zen Me Innere Atmung. — Anteil der Lunge. 187 ausgeführt wird, ist der Umsatz bedeutend; das Lungengewebe muß hierbei folglich eine wichtige Rolle spielen. In guter Übereinstimmung mit den Anschauungen, zu denen wir ge- langten, stehen die Resultate der von v. Frey!) nach einer sehr genauen Methode über den Stoffwechsel im isolierten, auf künstliche Weise von Blut durchströmten Muskel angestellten Versuche. Aus diesen Versuchen geht das wichtige Resultat hervor, daß die Desassimilation im isolierten Muskel zum Teil nicht bis auf die letzten Oxydationsprodukte durchgeführt wird; hierzu ist die Mitwirkung anderer Organe erforderlich. So gibt der Ein- fluß der Arbeit auf den Stoffwechselprozeß verschiedenen Ausschlag, je nachdem die Bestimmung am ganzen Organismus oder am isolierten Muskel unternommen wird; im letzteren Falle erzeugt die Arbeit eine Herabsetzung des respiratorischen Quotienten. Daß diese Verschiedenheiten von der Bilduuig - intermediärer Stoffwechselprodukte herrühren, die im isolierten Muskel nicht weiter umgesetzt werden (es wurde Milchsäure im Durchleitungsblute nachgewiesen), läßt sich kaum bezweifeln, und die Wahrscheinlichkeit ist dann dafür, daß eben der Umstand eine wesentliche Rolle gespielt hat, daß in diesen Versuchen die Mitwirkung der Lunge bei der Umsetzung der intermediären Produkte weggefallen war. 2. Kapitel. Über den Anteil der Lunge an der inneren Atmung. Aus dem konstant gefundenen Unterschiede des Arterienblutes vom Venenblute, welches letztere reicher an Kohlensäure und ärmer an Sauerstoff ist, geht hervor, daß in sämtlichen Geweben des Körpers stets eine Kohlen- säurebildung und ein’Sauerstoffverbrauch stattfinden; aus dem Unterschiede zwischen den beiden Arten von Blut allein erfahren wir indes natürlich nichts darüber, ob die gesamte Kohlensäurebildung, um bei diesem Faktor zu bleiben, in den Geweben geschieht, ob mit anderen Worten die totale Menge Kohlensäure, die durch die Lungen ausgeschieden wird, in fertig gebil- detem Zustande mit dem Blute in diese Organe gelangt. Wenn man es nichtsdestoweniger lange Zeit hindurch als entschiedene Sache betrachtet hat, daß die Lungen selbst nicht der Sitz besonderer Prozesse der hier besprochenen Art seien, so rührt das in der Tat nur von einem unberechtigterweise aus dem Unterschiede des Arterienblutes vom Venenblute gezogenen Schlusse her, der seine Erklärung indes durch eine Betrachtung der geschichtlichen Ent- wickelung der Frage findet 2). Lavoisier war zu der Ansicht geneigt, daß die Kohlensäurebildung sowohl in der Lunge selbst als rings in den Geweben des Körpers herum stattfinde, behauptete übrigens aber, eine definitive Lösung dieser Frage sei aufzuschieben, bis fernere Untersuchungen speziell über den Gasgehalt des Blutes vorlägen. Eine ganze Reihe nachfolgender Untersucher (Davy, Gmelin und andere) kamen wegen unvollkommener Methodik zu dem be- kanntlich unrichtigen Resultate, daß das Blut überhaupt keine nachweisbare Menge Gases enthalte, was natürlich zu dem Schlusse zwang, daß die Kohlen- säurebildung nicht in den Geweben des Körpers stattfinde und mithin aus- Y) Arch. f. Physiol. 1885 8.532. — ?) Bohr und Henriques, Arch. de phy- siol. 1897, p. 710. 188 Innere Atmung. — Anteil der Lunge. schließlich in die Lungen selbst zu verlegen sei. Als es später trotz aller Schwierigkeiten Magnus gelang, Sauerstoff. und Kohlensäure im Blute und speziell mehr Kohlensäure und weniger Sauerstoff im Venenblute nachzuweisen, ging man so weit, daß man den ganzen Prozeß in die Gewebe des Körpers verlegte und die Rolle der Lunge in dieser Beziehung durchaus bestritt, ver- mutlich, weil man sich während des langen um die Frage geführten Streites mit Unrecht daran gewöhnt hatte, die Rolle der Gewebe und die der Lunge als sich in dieser Hinsicht gegenseitig ausschließende Alternative zu betrachten. Eine Stütze der Ansicht, daß die Lunge keinen besonderen Anteil’an der Kohlensäurebildung habe, glaubte man nun auch an dem Resultate von Temperaturmessungen des Blutes des rechten und des linken Herzens zu finden. Für diese Frage sind diese Temperaturmessungen jedoch durchaus ohne Belang, indem sie wesentlichst durch die Temperatur umliegender Organe (der Leber) beeinflußt werden, wie Heidenhain und Körner!) schlagend nachgewiesen haben. Um die hier behandelte Frage zu lösen, genügt es nun selbstver- ständlich nicht, den Kohlensäure- und den. Sauerstoffgehalt des Blutes aus dem rechten und des Blutes aus dem linken Herzen zu bestimmen. Erforderlich sind außerdem die gleichzeitige Bestimmung der Blutmenge, die während der gegebenen Zeit die Lunge oder, was dasselbe - ist, die eine Herzhälfte passiert, und die gleichzeitige Bestimmung. der Größe Fig. 28. des respiratorischen Stoff- wechsels. Aus der Zusammen- setzung der Blutsorten und aus der Menge, des die Lunge pas- d sierenden Blutes läßt sich dann berechnen, wieviel Kohlensäure und Sauerstoff während der ge- gebenen Zeit von dem Blute der Lunge zugeführt und entzogen worden ist. Ein Vergleich dieser Mengen mit derjenigen Menge der Gase, die, wie der aus- geführte Atmungsversuch angibt, wirklich gleichzeitig durch die. Lungen ausgeschieden und auf- genommen wurde, wird dann zeigen, ob die Umsetzung in den ! ie Lungen durch die Abgabe aus Schematische es: Se a und Henri- dem Blute und die Aufnahme in demselben völlige Deckung findet, oder ob ein Verbrauch von Sauerstoff und eine Bildung von Kohlensäure in den Lungen selbst stattgefunden haben. Dergleichen Bestimmungen sind erst in der jüngsten Zeit ausgeführt worden (Bohr und Henriques?). Die Hauptzüge des Verfahrens werden wir hier in Kürze beschreiben; besondere Schwierigkeit verursacht übrigens nur die Messung der während gewisser [EITIEITIETIIIITIIETTITIN) LETTITT name] !) Pflügers Arch. 4, 558, 1871. — °?) Arch. d. physiol. 1897, p. 590. Innere Atmung. — Anteil der Lunge. 189 Zeit das Herz passierenden Blutmenge. Um diese zu bestimmen‘, führt man das Blut aus der Aorta, deren Stamm dicht unterhalb des Bogens mittels einer Klemmschraube (Fig. 23,k) gesperrt wird, durch eine in den Truncus anonymus eingelegte Kanüle (die anderen Äste des Bogens sind unter- bunden) in eine Ludwigsche Stromuhr (d), wo die Messung geschieht; von hier passiert das Blut durch eine Erwärmungsspirale (g) eine in der A. femo- ralis (a) angebrachte Kanüle. Auf diese Weise tritt es nach der Messung in die Aorta unterhalb der Klemmhakensperrung ein und verbreitet sich von hier auf gewöhnliche Weise nach den Geweben des Körpers. Gemessen wird mithin alles die Aorta passierende Blut mit Ausnahme desjenigen Teiles, der seinen Weg durch die Coronararterien nimmt. Letztere Menge läßt sich nicht direkt messen, ihre ungefähre Größe, die im Vergleich mit der totalen Blutmenge nur gering ist, läßt sich indes nach speziell hierüber angestellten _ Versuchen!) aus dem Gewichte des Herzens berechnen. Gleichzeitig mit der Messung der Blutmenge nimmt man teils mittels eines in das rechte Herz eingeführten elastischen Katheters, teils aus einer Arterie kontinuierlich und gleichzeitig Blutproben zum Auspumpen in den mit Quecksilber gefüllten Rezipienten b und b,. Für denselben Zeitraum bestimmt man ferner mittels eines Respirationsversuches die totale Kohlensäureausscheidung und Sauerstoffaufnahme. Aus diesen Daten läßt sich’nun berechnen, welchen Anteil das Blut und welchen die Lunge an den Prözessen hat; der Deutlichkeit wegen führen wir beispielsweise eine solche Berechnung an. Ein Hund von 17,4kg Gewicht gab während 21 Minuten 698ccm CO, ab und nahm 680 ccm O, auf. Während dieser Zeit passierten 6650 ccem Blut die Stromuhr; durch die Coronararterien flossen nach der Berechnung 840 cem. Die - totale, während des Versuches die Lunge passierende Blutmenge betrug mithin 7490 ccm. Während des. ganzen Versuches wurden dem rechten Herzen und der A.carotis gleichzeitig Blutproben entnommen. Diese enthielten an Gasen in 100 cem: Vol.- Proz. © O0, OÖ, N, Rechtes Herz ...... . | . 18,08 4,05 1,38 ee re eh 12,13 9,62 1,28 RR A | 5,95 5,57 0,10 Das Blut hatte also während der 21 Minuten bei der Passage durch die Lunge an Kohlensäure er 5,97 X 7490 100 der gegebenen Zeit, wie gesagt, an CO, 698 und an O, 680 betrug, waren also 252ccm CO, ausgeschieden und 263cem O0, aufgenommen worden, für welche die Blutuntersuchung keine Erklärung geben kann. Diese Mengen wurden somit in der Lunge selbst umgesetzt, wo folglich in diesem Falle etwa ein Drittel der Kohlensäurebildung und des Sauerstoffverbrauchs stattgefunden hat. Eine Tabelle über die vorliegenden Versuche wird a. f. S. angeführt; die an verschiedenen Individuen unternommenen Versuche sind durch größeren Zwischenraum voneinander getrennt. Angegeben ist sowohl der totale respi- .— 446 cem äbgegeben und an Sauerstoff = 417 cem aufgenommen. Da der totale Stoffwechsel während !) Bohr und Henriques, Skand. Arch. 5, 232, 1894. 190 Innere Atmung. — Anteil der Lunge. ratorische Stoffwechsel pro Kilogramm und Stunde als auch der prozentige Anteil an demselben, den die Prozesse in der Lunge selbst haben. | Totale Respiration ö Nr pro Kilogramm und Stunde Proz. Anteil der Lunge 00, 0, 00, O8, 1 252 | 343 4. 51. 3 201 231 55 51 3 317 338 . 62 65 4 123 87 15 6 5 231 2 | 60 56 6 158 142 | 20 5 7 | 140 124 | 38 28 | 8 185 193 54 54 9 117 121 | 62 60 10 163 175 | 28 28 11 145 144 Bert 14 12 145 | 150 Fe eg ie 13 91 | 91 | 19 22 14 115 | 112 36 39 ka: 15 182 209 2 2 16 128 123 66 0 17 137 | 198 12 42 18 120 115 29 30 19 110 110 25 32 20 91 111 33 53 l Den besonderen Anteil der Lunge am Stoffwechsel findet man, wie zu ersehen, sehr schwankend, von ganz unbedeutenden Werten an bis über 60 Proz.; im Mittel finden etwa 33 Proz. des Umsatzes in der Lunge statt. Der respiratorische Quotient für die in den Lungen vorgegangene Umsetzung ist sehr variabel; besonderes Interesse hat Nr. 16, wo in der Lunge eine Kohlensäureproduktion ohne gleichzeitigen Sauerstoffverbrauch stattfand. Zuntz und Hagemann!) äußerten in der Diskussion über eine von ihnen angestellte Versuchsreihe, auf die wir unten zurückkommen werden, die Vermutung, Resultate wie die in obiger Tabelle angeführten rührten wahrscheinlich davon her, daß die Blutproben keine wahren Durchschnitts- proben gewesen seien, indem sie namentlich meinen, die Mischung des ver- schiedenen Venenblutes im rechten Herzen sei keine gleichmäßige gewesen. Bei Bohr und Henriques’ Versuchen wurden indes einen längeren Zeitraum hindurch die Proben langsam und allmählich und während der Zeiteinheit stets in genau gleich großen Mengen entnommen. Die Schwankungen der Zusammensetzung des Blutes innerhalb des Hohlraumes des rechten Herzens !) Stoffwechsel des Pferdes. Berlin 1898. (Ergänzungsbd. 3 zu den Land- wirtsch. Jahrb. 28, 1898.) Innere Atmung. — Anteil der Lunge. 191 müssen sich deshalb, wenn sie überhaupt in größerem Umfange angetroffen werden, wofür nichts spricht, notwendigerweise gegenseitig ausgleichen. Hin- sichtlich einiger der Bestimmungen läßt sich nun ferner geradezu nach- weisen, daß diese Erklärungsweise ausgeschlossen ist; in Nr. 8 der Tabelle sind z. B. die respiratorischen Quotienten für die totale Respiration, für den Anteil des Blutes und für den Anteil der Lunge fast gleich groß (0,96, 0,98, 0,94); dies läßt sich nicht mit einer ungleichen Mischung des Venen- blutes im rechten Herzen in Einklang bringen, und doch beträgt der Anteil der Lunge hier 54 Proz. des totalen Stoffwechsels. Es liegt daher gewiß durchaus kein Anlaß zu der Annahme vor, daß die gefundenen Resultate im ganzen nicht den wirklichen Verhältnissen entsprechen sollten, und wir müssen daher annehmen, daß gewöhnlich in der Lunge selbst eine Kohlensäureproduktion und ein Sauerstoffverbrauch stattfinden, deren Größe, die durchschnittlich als etwa ein Drittel des totalen Stoffwechsels befunden wurde, in den einzelnen Fällen sehr vari- ierend ist und zwischen O und 66 Proz. schwanken kann. Versuche wie die soeben beschriebenen sind zur prinzipiellen Lösung der hier behandelten Frage notwendig. Wegen des bedeutenden Eingriffs, den die Messung der Geschwindigkeit des Blutstromes erheischt, sind sie indes nicht geeignet, den Einfluß verschiedener äußerer Umstände auf die Funktion zu untersuchen, indem die Wirkung derselben gar zu leicht von dem Haupteingriffe überschattet wird. Beschränken wir uns aber darauf, aus der Zusammensetzung teils der Atemgase, teils der Blutgase den respi- ratorischen Quotienten zu ermitteln, so brauchen wir während der Aus- führung der Respirationsbestimmung nur noch gleichzeitige Blutproben aus dem rechten Herzen und aus einer- Arterie zu nehmen, was ein verhältnis- mäßig kleiner Eingriff ist, der die Beibehaltung der natürlichen Atmung ermöglicht. In denjenigen Fällen, wo die Blutgase und die Atemgase den ° gleichen Quotienten ergeben, können wir dann freilich nichts darüber sagen, ob die Lunge in der hier besprochenen Weise an dem Stoffwechsel teil- genommen hat oder nicht; denn wir sahen oben, daß der besondere Anteil der Lunge an der Umsetzung mit ganz demselben Quotienten verlaufen " kann wie der totale Umsatz. Finden wir aber, daß die beiden gleichzeitig bestimmten Quotienten verschieden sind, so wissen wir, daß ein Teil der Um- setzung in der Lunge selbst stattgefunden hat, und können uns von dessen Natur, wenn auch nicht von dessen Größe eine Vorstellung bilden. Ist der Quotient für die Blutgase größer als der für die Atemgase, so muß der Quotient für den Anteil der Lunge kleiner sein als der für die totale Respiration; in der Lunge ist der Sauerstoffverbrauch dann relativ größer gewesen als die Kohlensäurebildung. Ist umgekehrt der Quotient für das Blut kleiner als der für die Respirationsluft, so muß der Quotient für den Anteil der Lungen größer sein als der für die totale Respiration, und die Lunge ist dann der Sitz eines Prozesses gewesen, bei dem im Verhältnis zur totalen Respiration die Kohlensäurebildung größer war als der Sauerstoffverbrauch. Die Resultate einer solchen von Bohr und Henriques!) ausgeführten Versuchsreihe finden sich in untenstehender Tabelle. Die Bestimmungen an !) Arch. de physiol. 1897, S. 819. 192 Innere Atmung. — Anteil der Lunge. möglichst normalen Tieren zeigen, daß der respiratorische Quotient der Blutgase kleiner war als der der Atemgase; in dem der Lunge zufallenden Anteil an der Umsetzung war die Kohlensäurebildung im Vergleich mit dem Sauer- stoffverbrauch mithin vorwiegend. Macht man durch einen Aderlaß das Venenblut sehr arm an Sauerstoff, so kehrt das Verhältnis sich um, dann ist im Anteil der Lunge der Sauerstoffverbrauch relativ vorwiegend gewesen, was ja gut damit übereinstimmt, daß die Sauerstoffversorgung der Gewebe in solchen Fällen abnorm niedrig ist. Im Gegensatz hierzu finden sich in einer Abteilung der Tabelle Bestimmungen, wo das Venenblut dadurch besonders arterialisiert wurde, daß man eine A. femoralis mit einer V. femoralis in Verbindung setzte, so daß die Vena cava einiges arterielle Blut erhält. Der Quotient für den Anteil der Lunge war hier ein solcher, daß der Sauerstoffverbrauch im Vergleich mit der Kohlensäureproduktion niedrig gewesen sein muß, wie es auch, wo das Venenblut teilweise arterialisiert war, zu erwarten stand. Der respiratorische Quotient gleichzeitig teils im Blutgase, teils im Atemgase bestimmt (Bohr und Henriques). et | Arterialisation von Normal- Anämie Verenkiut Blutgas Atemgas Blutgas Atemgas Blutgas Atemgas 0,91 0,96 ° 1,03 0,96 | 0,54 0,71 0,63 0,66 1,38 1,20 0,55 0,71 0,72 0,83 0,86 0,84 _ — — ee 0,93 0,61 a _ er 0,79 0,69 Er ya 262 = 0,82 0,82 | == st | Mittel... 0,75 | 0,82 0,97 0,85 | 0,54 0,71 | | Zuntz und Hagemann!) haben behufs anderer Zwecke analoge Ver- . suche ausgeführt, deren Ergebnisse sich a. f. S. tabellarisch zusammengestellt finden. Die Bestimmungen haben den Vorzug, daß sie an großen Tieren, nämlich an Pferden, angestellt wurden, wo man das Aufbinden unterlassen und die Tiere sowohl in Ruhe als auch bei der Arbeit untersuchen konnte; einige der Pferde scheinen jedoch etwas anämisch gewesen zu sein. Zuntz und Hagemann meinen nun freilich, daß die bedeutenden Ver- schiedenheiten, die sich in ihren Versuchen betreffs der nach den beiden ver- schiedenen Methoden bestimmten Quotienten finden, keine reale Bedeutung hätten und von dem Umstande herrührten, daß die aufgefangenen Blutproben keine wirklichen Durchschnittswerte repräsentiert hätten. Wir sahen oben, daß diese Betrachtung für die von Bohr und Henriques ausgeführten Ver- suche keine Gültigkeit besitzt. Bieten Zuntz und Hagemanns Versuche nun auch mehr Unsicherheit dar, weil die Blutproben nicht im Laufe längerer Zeit allmählich in kleinen Portionen, sondern im Laufe von 1!/, bis 2 Minuten 1) 1,0. p. 372. °_ | 2 4 | | } Innere Atmung. — Anteil der Lunge. 193 Der respiratorische Quotient gleichzeitig im Blut- und im Atem- gase bestimmt (Zuntz und Hagemann). Ruhe Arbeit Nr. | Blutgas | Atemgas | Blutgas | Atemgas 1 0,65 0,87 | 0,67 | 0,73 2 1,00 0,85 | 1,93 | 0,90 3 0,31 | 0,87 | 0,58 | 0,87 4 1,68 0,95 | 0,89 | 0,82 5 1,35 0,95 | 0,75 0,78 “ 0,60 0,88 | 1,17 0,83 » 7 | 1,39 0,94 1,33 0,98 8 | 1,24 0,82 0,75 0,71 9 | 0,84 0,99 0,62 0,78 10 | 0,64 0,95 | 0,63 | 0,74 Mittel... . . 0,97 | 0,91 | 0,93 | 0,81 | Be auf einmal genommen wurden, so scheint eine nähere Betrachtung der Bestim- mungen dennoch entschieden dafür zu sprechen, daß die Schwankungen des gegenseitigen Verhältnisses der Quotienten keine zufälligen sind, sondern viel- mehr von individuellen Dispositionen der verschiedenen untersuchten Tiere ab- hängen. Die in der Tabelle unter „Ruhe* und „Arbeit“ in derselben wage- rechten Reihe stehenden Werte gelten für dasselbe Individuum. Schon bei der Untersuchung der 5 Fälle unter den 10 Bestimmungen, wo der Blutgas- quotient bei Ruhe größer ist als der Atemgasquotient (Nr. 2, 4, 5, 7, 8), findet man, daß es vorwiegend dieselben Individuen sind, rücksichtlich deren die Quotienten auch bei Arbeit das genannte Verhalten zeigen (Nr. 2, 4, 6, 7, 8). Noch deutlicher tritt aber das Individuelle des Verhältnisses unter den Quo- tienten hervor, wenn man einzelne derjenigen Fälle miteinander vergleicht, in welchen man die Quotienten besonders abweichend findet, und welche des- halb den meisten Anlaß geben könnten, geradezu an Fehler der Bestimmungen zu glauben. So ist in Nr.3 bei Ruhe der Blutgasquotient im Verhältnis zum Atemgasquotienten besonders klein (0,31, bzw. 0,87), und ganz analoges Ver- halten findet man bei demselben Individuum bei Arbeit (die Quotienten 0,58, bzw. 0,87). In Nr. .7, wo die Quotienten ebenfalls auffällig sind, haben sie bei demselben Individuum nahezu den gleichen Wert bei Ruhe und bei Arbeit. Daß dies von zufälligen Fehlern herrühren sollte, ist unwahrscheinlich, ob- schon das schnelle Entnehmen der Blutproben und die Geneigtheit des Pferde- blutes zur Sedimentierung in einigen Fällen: wahrscheinlich Ungenauigkeiten erzeugt haben mögen. — Die Durchschnittszahlen der Bestimmungen’ ergeben für die Versuche bei Arbeit weit größeren Unterschied der beiden Arten von Quotienten als die Versuche bei Ruhe. Bei Arbeit war der Anteil der Lunge am totalen Stoffwechsel mithin mehr ausgeprägt, und zwar im Mittel so, daß der Sauerstoffverbrauch in der Lunge größer war als die Kohlensäurebildung. Die vorliegenden Versuchsreihen, die einen Vergleich der respiratorischen Quotienten der Blutgase mit denen der Atemgase gestatten, erweisen also, daß in den Lungen normal eine Umsetzung stattfindet, mittels deren Nagel,’ Physiologie des Menschen. I. 13 194 Gaswechsel zwischen Blut und Gewebe. Kohlensäure gebildet und Sauerstoff verzehrt wird, und zwar so, daß das Verhältnis dieser beiden Prozesse zueinander sich je nach dem Zustande des Organismus und den verschiedenen an diesen gestellten Forderungen ändert. Wie oben (S. 185) erwähnt, sind die hier besprochenen Umsätze in der Lunge durch ein Zusammenwirken der Lunge mit den Geweben des Körpers bedingt, welche letzteren mittels ihres Stoffwechsels die für die Umsetzung in der Lunge notwendigen Substanzen liefern, deren Natur übrigens einst- weilen noch nicht aufgeklärt ist. 3. Kapitel. Gaswechsel zwischen Blut und Gewebe. Die Intensität der respiratorischen Umsetzungen im Gewebe des Körpers ist sehr bedeutenden Schwankungen unterworfen; bei Arbeit ist der Stoff- wechsel mehrmal größer als bei Ruhe, wie dies hinsichtlich der Muskeln und der Drüsen aus zahlreichen vorliegenden Versuchen hervorgeht, in denen die Menge und die Zusammensetzung des durchströmenden Blutes unter ver- schiedenen Umständen untersucht wurden. Auch dem Gesamtzustande des Organismus gemäß scheint die Intensität der Atmung in den einzelnen Geweben zu schwanken. Um dies nachzuweisen, hat Vierordt!) eine besondere Methode angegeben, die, weil keinen operativen Ein- griff erfordernd, auch auf Menschen anwendbar ist; nach derselben hemmt man den Kreislauf im ersten Gliede eines Fingers durch dessen Umschnürung, worauf man die Zeit bestimmt, welche verfließt, bis das abgesperrte Blut, dessen Absorp- tionsspektrum in dem vom Finger reflektierten Lichte beobachtet wird, das Spek- trum des reduzierten Hämoglobins darbietet, mithin keine nennenswerte Menge von Sauerstoff mehr enthält. Es erhalten freilich noch andere Umstände als das Sauerstoffbedürfnis der Gewebe Einfluß auf das Resultat”); die zur Verzehrung des Sauerstoffs erforderliche Zeit wird selbstverständlich zugleich von der relativen Blutfülle des abgesperrten Teiles, von dem Hämoglobingehalte des Blutes und von dessen Sauerstoffsättigungsgrade abhängig sein; wird z. B. letztere Größe herab- gesetzt durch vorhergehende willkürliche Beschränkung der Atmung (Vierordt) oder durch den Aufenthalt in einer Luft mit niedrigem Partialdruck des Sauerstoffs [Henoque®°), Tripet‘)], so wird die Zeit verkürzt; ebenfalls wird jede Änderung der Bindung des Sauerstoffs, die bewirkt, daß die Sauerstoffspannungskurve eine andere Form bekommt, auf das Resultat Einfluß erhalten. Indes sind die Schwan- kungen, die nach Vierordts Methode unter sonst möglichst gleichen Verhältnissen als Anderungen des Zustandes des Organismus (Tageszeit, Verdauung, Unwohl- sein usw.) begleitend gefunden werden, doch so bedeutend und regelmäßig, daß es wohl am wahrscheinlichsten ist, daß sie wirklich durch das wechselnde Sauerstoff- bedürfnis der Gewebe bedingt werden. Dem starken Schwanken der Intensität der Gewebsatmung entspricht, wie sich im folgenden erweisen wird, eine Reihe von Regulationsmitteln, durch die die Konzentration des Sauerstoffs im Plasma des Blutes geändert werden kann und das Angebot von Sauerstoff sich mithin mit dem wech- selnden Begehr von seiten der Gewebszellen in Übereinstimmung bringen läßt. Bevor wir zur Behandlung dieser Frage schreiten, wird indes ein Überblick über die mittleren Spannungen der Gase im Arterien- und im Venenblute am Platze sein. !) Zeitschr. £. Biol. 14, 422, 1878. — ?) Vierordt, 1. c. 8. 447; Filehne, Sitzungsber. d. phys.-med. Sozietät zu Erlangen 1879, 8. 109. — ®) Compt. rend. Soe. de Biolog. 53, 1003, 1901. — *) Compt. rend. del’acad. des sciences 136, 76, 1902. x 4 | ’ 3 } ’ 3 Innere Atmung. — Gasspannungen im Arterien- und Venenblute. 195 Die Sauerstoff- und die Kohlensäurespannungen im Arterien- und im Venenblute, Als Durchschnitt sämtlicher von Bohr!) ausgeführten Bestimmungen findet man die Sauerstoffspannung des Arterienblutes bei Hunden gleich etwa 120mm. Da es die Arbeit der Lungenzellen ist, die innerhalb gewisser, durch die physikalischen Bedingungen gegebener Grenzen die Größe der Sauerstoffspannung des Blutes bestimmt, wird man indessen finden, daß diese öfters von dem angeführten Mittel nicht unbedeutend abweicht, wie bei der Besprechung sowohl der von Fredericq als der von Haldane und Smith hierüber angestellten Versuche hervorgehoben wurde. Die Kohlen- säurespannung des Arterienblutes, von der das nämliche gilt, beträgt meinen Versuchen zufolge etwa 20 mm, was mit den von Fredericg gefun- denen Resultaten übereinstimmt. Im Venenblute ist dieSauerstoffspannung nach den von Falloise?) mit Fredericqs Tonometer ausgeführten Versuchen durchschnittlich auf etwa 26 mm (3,63 Proz. einer Atmosphäre), die Kohlensäurespannung auf etwa 41mm (5,81 Proz.) anzusetzen; natürlich sind die Gasspannungen im Venenblute gemäß der Intensität der Umsetzungen und anderen Verhält- nissen aber sehr variabel, so daß in den einzelnen Fällen häufige Ab- weichungen von diesen Mittelzahlen zu erwarten sind. In guter Übereinstimmung mit dem, was wir oben von der Spannung des Sauerstoffs im Arterienblute fanden, stehen die Resultate der Unter- suchungen darüber, in welchem Grade das Arterienblut mit diesem Gase gesättigt ist; bei solchen Untersuchungen vergleicht man die Sauer- stoffmenge des dem Gefäße direkt entnommenen Arterienblutes mit derjenigen Menge, die eine Probe desselben Blutes aufnimmt, wenn sie außerhalb des Organismus mit atmosphärischer Luft (von etwa 150mm Sauerstoffspannung) geschüttelt wird. Es erweist sich, daß das Arterienblut gewöhnlich beinahe, jedoch nicht völlig mit Sauerstoff gesättigt ist (Pflüger?°); natürlich können verschiedene Umstände (z. B. Hemmung des freien Atmens oder Änderung der Geschwindigkeit der Blutströmung durch die Lungen) bewirken, daß man in einigen Versuchen niedrigere Sättigungsgrade findet; ein Vergleich der Mittelzahlen für den Sauerstoffgehalt teils im Arterienblute, teils in den mit atmosphärischer Luft geschüttelten Proben zeigt indes, daß die Regel die oben angeführte ist. Um richtige Werte zu erhalten, ist es notwendig, die Blut- probe während des Schüttelns mit atmosphärischer Luft bei Körpertemperatur zu erhalten, da widrigenfalls schon die von der Temperatur abhängige Än- derung des Absorptionskoeffizienten für das einfach gelöste Gas zur Folge hat, daß man den Sättigungsgrad des Arterienblutes etwas geringer findet, als er wirklich ist; letzteres ist z. B. mit Pflügers oben zitierten Versuchen der Fall, wo das Schütteln mit Luft bei 0° geschah. Bei den im folgenden angeführten Versuchen wurde diese Fehlerquelle dagegen vermieden. Geppert und Zuntz*) fanden im Kaninchen- und Hundeblut einen Sättigungsgrad, der zwar -etwas schwankte, meistens jedoch zwischen 95 und 97 Proz. lag (Sauerstoffgehalt beim Schütteln mit Luft = 100) und in einem Falle !) Skand. Arch. 2, 263 u. f., 1890. — ?) Bull. de l’acad. de Belgique 1902, p. 582. — °) Pflügers Arch. 1, 70, 1868. — *) Ebenda 42, 239 u. 242, 1888. 13* 196 Innere Atmung. — Sättigungsgrad des Sauerstoffs. 99 Proz. erreichte; aus dem Sättigungsgrad des Blutes läßt sich zwar die Sauerstoffspannung nicht genau berechnen, weil die Kohlensäurespannungen bei den beiden zu vergleichenden Proben (Arterienblute und mit Luft ge- schütteltem Blute) nicht identisch sind; die angeführten Werte entsprechen aber ungefähr (s. die Tabelle S. 92) einer Sauerstoffspannung im Arterien- blute von 90 bis 130mm. Zuntz und Hagemann!) finden in neun Bestimmungen an Pferdeblut zweimal eine größere Sauerstoffmenge im Arterienblute als in der mit atmosphärischer Luft geschüttelten Probe, mithin eine Sauerstoffspannung des Arterienblutes, die 150 mm übersteigt. Das Resultat der Sättigungsversuche steht also im ganzen in Übereinstimmung mit den oben angegebenen direkten Bestimmungen der Sauerstoffspannung des Arterienblutes, wo auch öfters Werte gefunden wurden, die über der Spannung dieses Gases in der Atmosphäre lagen. Pflüger?) hat beobachtet, daß das Arterienblut, wenn es nach der Entleerung unter Luftabschluß steht, im Laufe weniger Sekunden bedeutend dunkler wird, sofern man es nicht sehr schnell abkühlt. Obschon Pflüger) selbst davor warnt, eine Änderung der Farbe unbedingt als mit einem Sauerstoffverbrauch gleich- bedeutend zu betrachten, wird dies Phänomen dennoch allgemein einer Oxydation zugeschrieben, die sozusagen augenblicklich im Arterienblute nach dessen Ent- leerung eintreten sollte, eine Anschauung, die in mehreren Beziehungen, unter anderem auch hinsichtlich der Bestimmung des Sättigungsgrades, wichtige Konse- quenzen herbeiführen würde; der Nachweis einer solchen Sauerstoffzehrung gelingt aber nicht durch direkte Bestimmungen des Sauerstoffes in Blutproben *). Diese Farbenänderungen entstehen deshalb nicht durch Oxydation, sondern wahrscheinlich durch eine Änderung des Volumens der Blutkörperchen (schon eine starke Ab- kühlung macht allein das entleerte Arterienblut heller’); da wir nun wissen, daß die Kohlensäurespannung im nicht abgekühlten entleerten Blute sehr rasch steigt (Zuntz), und daß dies wieder eine Zunahme des Volumens des einzelnen Blutkörperchens bewirkt (v. Limbeck‘), so wird das Nachdunkeln des Blutes in Pflügers Versuchen erklärlich, ohne daß es nötig wäre, eine Oxydation anzu- nehmen. Andere Versuchsresultate Pflügers’), in welchen die Sauerstoffmenge des Arterienblutes je nach der Dauer des Auspumpens verschieden gefunden wird, und die in diesem Zusammenhange auch öfters angeführt werden, gehören eigent- lich anderswohin, indem sie von dem Umstande herrühren, daß der bakterielle Stoff- wechsel, gegen den man in den älteren Versuchen keine Vorsichtsmaßregeln treffen konnte, beim langsameren Auspumpen größeren Einfluß erhält (s. Anhang, $. 221). Regulation der Konzentration des Sauerstoffs im Plasma des Blutes °). i Das Plasma, welches die Blutkörperchen umgibt und ein unumgängliches Mittelglied für die Gasbeförderung zwischen diesen und den Endothelzellen | der Gefäße ist, enthält selbst keine sauerstoffbindenden dissoziablen Stoffe. Es absorbiert deshalb den Sauerstoff im wesentlichen auf dieselbe Weise, wie es das Wasser tut, also der Spannung proportional und in geringer Menge. Das Plasma hat also keinen nennenswerten Vorrat an Sauerstoff; in dem- selben Maße, wie die Gewebszellen dem Plasma Sauerstoff entziehen, muß dieser aus den in den Blutkörperchen enthaltenen Oxyhämochromen ersetzt > u Be .. !) Stoffwechsel des Pferdes, Berlin 1898, 8. 402. — ?°) Zentralbl. f: d. med. Wissensch. 1867, 8. 321. — °) 1. c. 8. 323. — *) Vgl. Bohr, Arch. de physiol. 1897, p. 592. — °) Pflüger, 1. c. 8. 322. — °) Vgl. Hamburger, Osmotischer Druck, Wiesbaden 1902, 8. 291. — 7) Zentralbl. £. d. med. Wissensch. 1867, 8. 722. — ®) Vgl. oben 8. 64 u. 84. Innere Atmung. — Regulation der Sauerstoffkonzentration im Plasma. 197 werden. Der Ersatz geschieht so gut wie momentan wegen der günstigen Diffusionsbedingungen zwischen dem Plasma und den Blutkörperchen, die eine besonders’große Oberfläche darbieten. In jedem Augenblicke ist deshalb die Sauerstoffspannung des Plasmas von der Sauerstoffspannung der Blut- körperchen abhängig und die Sauerstoffkonzentration im Plasma also der zu jeder Zeit im ganzen Blute herrschenden Sauerstoffspannung direkt proportional. Die Sauerstoffmenge, die, im Plasma gelöst, in jedem Augenblicke den Zellen zu Gebote steht, ist dann direkt und in einfachem Verhältnis von der Sauerstoffspannung im Blute abhängig, dagegen, und dies ist wohl zu be- herzigen, von der totalen Sauerstoffmenge des Blutes nur insofern, als die Menge die Spannung beeinflußt, abhängig (Bohr !). Die Untersuchung der Bedingungen für die Sauerstoffversorgung der Zellen während des Kapillarkreislaufes fällt also mit der Untersuchung der Änderung zusammen, welche die Sauerstoffspannung des Blutes bei dem Übergang aus Arterienblut in Venenblut erleidet. Hier ist nun vor allen Dingen zu untersuchen, welcher Regel gemäß die Sauerstoffspannung des Blutes im Verhältnis zu dem von den Geweben verursachten Sauerstoff- verbrauch desselben abnimmt, oder mit anderen Worten zu bestimmen, in welchem Verhältnis die Sauerstoffspannung des Venenblutes zu derjenigen Sauerstoffmenge steht, die nach dem in den Geweben stattfindenden Ver- brauch noch im Blute übrigbleibt. Keine von den in einem früheren Abschnitte (S. 84) angegebenen Sauerstoffkurven, die das Verhältnis der Sauerstoffspannungen (Abszissen) zu den entsprechenden absorbierten Sauerstoffmengen (Ordinaten) ausdrücken, kann hier einfach benutzt werden. Man muß nämlich eingedenk sein, daß die Form der Sauerstoffspannungskurven von der gleichzeitig vorhandenen Kohlensäurespannung abhängig ist (S. 91), und da diese beim Übergange des Arterienblutes in Venenblut wegen der stattfindenden Neubildung von Kohlensäure fortwährend anwächst, ist keine der oben angegebenen Sauer- stoffspannungskurven, die sämtlich bei konstanter Kohlensäurespannung be- stimmt wurden, unmittelbar brauchbar. Es muß für den Übergang aus Arterienblut in Venenblut eine besondere Sauerstoffspannungskurve berechnet werden; wie dies geschieht, wird ein Beispiel am leichtesten zeigen. Wie wir oben sahen, kann man rechnen, daß das Blut mit einer Sauer- stoffspannung von durchschnittlich 120mm und einer Kohlensäurespannung von durchschnittlich 20 mm in die Kapillaren eintritt; die unter diesen Ver- hältnissen in 100 cem Blut enthaltene Menge Sauerstoff beträgt der S. 86 gegebenen Sauerstoffspannungskurve zufolge (nach Hinzurechnung des phy- sikalisch gelösten Sauerstoffs, siehe die Anmerkung ?2) 20cem. Haben die Gewebe hiervon 8ccm verzehrt, so werden sich im Durchschnitt 6,4 cem ') Skand. Arch. 3, 136 u. f., 1891. — ?) In.den im Abschnitte vom Blute gegebenen Spannungskurven des Sauerstoffs und der Kohlensäure bezeichnen die Ordinaten das chemisch gebundene Gas. Bei den hier erörterten Fragen handelt es sich dagegen selbstverständlich um die totale Menge absorbierten Gases, und die Kurven, die wir hier zu benutzen haben, müssen deshalb aus den früher gegebenen gebildet werden, indem wir zu den Ordinaten die bei jeder gegebenen Spannung physikalisch gelöste Gasmenge hinzuaddieren, die sich mittels der S. 63 mitgeteilten Absorptionskoeffizienten leicht berechnen läßt, 198 Innere Atmung. — Sauerstoffspannungskurven für Arterien- und Venenblut. 00, Kohlensäure gebildet haben 5: = 0,80), und die Kohlensäurespannung 0, wird dann von 20 bis 30mm gestiegen sein, wie es aus der (nach der An- merkung korrigierten) Kohlensäurespannungskurve des Blutes (S. 106) hervor- geht; die den im Venenblute übrigbleibenden 12 ccm Sauerstoff entsprechende Sauerstoffspannung ist daher in der Sauerstoffspannungskurve zu suchen, die 30 mm Kohlensäurespannung entspricht, und wird gleich 32,2 mm gefunden. Durch Ausführung einer analogen Berechnung des für jeden einzelnen Cubikcentimeter verbrauchten Sauerstofis erhält man die in untenstehender Tabelle angeführten Werte der Sauerstoffmengen des Blutes, die beim Über- gange aus Arterien- in Venenblut den verschiedenen Sauerstoffspannungen entsprechen ; ist der respiratorische Quotient größer als 0,8, so wird dadurch selbstverständlich die berechnete Spannungskurve etwas verändert, speziell so, daß der Eiufluß der Neubildung von Kohlensäure noch größer wird. Die nichtkorrigierten Werte, die man erhalten würde, wenn man ohne Berück- sichtigung der neugebildeten Kohlensäure überall die im Arterienblute vorgefundene Kohlensäurespannung (20 mm) benutzte, sind des Vergleiches wegen hinzugefügt. Sauerstoffspannungskurven beim Arterienblut und beim Über- gange aus Arterien- in Venenblut. Aufgenommener Sauerstoff Vol.-Proz. Sauerstoff- BR bei konstant beim Ubemgp ns 20 mm:00, | aus Art.- in mm | Venenblut 5 1,0 | 0,5 10° RT 1,5 15 58; 3,3 20 8,1 5,8 25 10,9 8,4 30 | 12,7 10,9 40 15,3 14,7 60 18,1 17,9 80 Er 19,2 100 7 20,0 Ein Vergleich der beiden Kolonnen der Tabelle miteinander zeigt, wie dem Sinken der Sauerstoffspannung und somit dem Sinken der Konzentration des Sauerstoffs im Plasma während des Kapillarkreislaufes durch eine Art Selbstregu- lierung von der stattfindenden Kohlensäurebildung entgegengearbeitet wird. So würde, wenn die Kohlensäurespannung bei dem Werte im Arterienblute (20 mm) stehen bliebe, ein Venenblut, das beim Verlassen der Kapillaren 10,9 Vol.-Proz. Sauerstoff enthält, eine Sauerstoffspannung von 25mm haben; tatsächlich bewirkt aber die steigende Kohlensäurespannung, daß die Sauerstoffspannung bis auf 30mm gebracht wird; die Sauerstoffspannung ist mithin wegen der Einwirkung der Kohlensäure um etwa 20 Proz. über den Wert gestiegen, den sie ohne den Einfluß dieses Moments haben würde. Bei größerem N u re Innere Atmung. — Sauerstoffspannungskurve für Venenblut. 199 Sauerstoffverbrauch der Gewebe wächst dieser Einfluß der Kohlensäure stark; wenn z. B. im Venenblute nur 1,5 Vol.-Proz. Sauerstoff übrig sind, so ist die Sauerstoffspannung im Blute wegen der entsprechenden Kohlensäurebildung bis auf 10mm, und also um 54 Proz. des Wertes gestiegen, den sie haben würde, wenn. die Kohlensäurespannung sich konstant erhalten hätte (6,5 mm). In obiger Tabelle ist die Sauerstoffmenge des Blutes als Funktion der Sauerstoffspannung angeführt; bei Untersuchungen über den Einfluß, den der Sauerstoffverbrauch auf die Konzentration dieses Gases im Plasma hat, ist es doch gewöhnlich zweckmäßiger, sich untenstehender Tabelle über die- selben Werte zu bedienen, wo die Sauerstoffspannung und die Konzentration im Plasma als Funktionen der totalen Sauerstoffimenge des Blutes betrachtet sind. Verhältnis der totalen Sauerstoffmenge zur Sauerstoffkonzen- tration im Plasma beim Übergange aus Arterien- in Venenblut. Totaler Sauerstoff Sauerstoff in des Blutes Bauerstoff- 100 cem Plasma spannung Vol.-Proz. ccm 1 7,8 0,024 2 11,7 0,035 3 14,2 0,043 4 : 16,5 0,050 5 18,5 0,056 6 20,4 0,062 8 24,2 0,073 12 32,2 0,098 16 46,0 0,139 18 62,0 _ 0,188 19 77,0 0,233 20 120,0 0,364 Nachdem wir oben den Einfluß betrachtet haben, den der Sauerstoff- verbrauch in den Kapillaren auf die Sauerstoffkonzentration des Plasmas übt, wenn man die gleichzeitig gebildete Kohlensäure berücksichtigt, schreiten wir nun zur Untersuchung der Mittel, durch die der Orga- nismus befähigt wird, zum Teil von der Größe des Sauerstoffverbrauches unabhängig, die Sauerstoffkonzentration des Plasmas so zu regulieren, daß die Versorgung der Gewebszellen mit Sauerstoff sich innerhalb gewisser Grenzen den verschiedenen an ihre Arbeit gestellten Forderungen anpaßt. Diese Regulationsmittel beschreiben wir im folgenden jedes für sich, und wir suchen ihre Wirkungsart unter der Voraussetzung zu bestimmen, daß die übrigen Umstände möglichst unverändert bleiben; in der Wirklich- keit werden die verschiedenen Regulationsmittel, was wohl in Erinnerung zu behalten ist, auf vielfachste Weise im Organismus kombiniert. Die Regulationen können behufs der Beschreibung zweckmäßig in zwei Hauptgruppen gesondert werden, in solche nämlich, bei denen der Ausschlag dadurch entsteht, daß der Sauerstoffverbrauch auf eine größere oder kleinere Menge Blutfarbstoff als vorher verteilt wird, während die Form der Sauer- 200 Innere Atmung. — Regulation der Sauerstoffkonzentration usw. stoffspannungskurve sich nicht verändert (Änderung der Strömungsge- schwindigkeit und der Konzentration des Hämochroms im Blute), und in solche,,bei denen die Form der Sauerstoffspannungskurve sich durch ver- schiedene Einwirkungen auf das Hämochrom verändert (Änderung der Kohlen- säurespannung und des spezifischen Sauerstoffgehalts). Änderung der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes (d. i. der während der Zeiteinheit durchströmenden Blutmenge). Nimmt die Strömungsgeschwindig- keit durch ein Gewebe unter sonst ganz gleichen Umständen zu, so wird der in der Zeiteinheit stattfindende Sauerstoffverbrauch auf eine größere Menge Blut verteilt; hierdurch steigt die Sauerstoffkonzentration im Plasma. Ent- hält z. B. das die Kapillaren verlassende Venenblut 12 Vol.-Proz. Sauerstoff, und ist mithin die Konzentration des Sauerstoffs im Plasma nach obiger Tabelle 0,098, so wird eine Zunahme der Strömungsgeschwindigkeit bis zur doppelt so großen, während der Sauerstoffverbrauch unverändert bleibt, die Wirkung haben, daß das Venenblut 16 Vol.-Proz. Sauerstoff enthält; die Sauerstoffkonzentration beträgt dann 0,139 und ist somit um etwa 42 Proz. gewachsen. Eine solche Zunahme der Geschwindigkeit der Strömung durch ein Organ, dessen Sauerstoffverbrauch wesentlich unverändert bleibt, kann unter Umständen stattfinden, wo die Blutzirkulation durch vermehrte Herz- energie überhaupt zunimmt (z. B. beim Aufenthalt in sauerstoffarmer Luft). Am häufigsten tritt die Zunahme des Blutstromes indes sekundär infolge gesteigerter Arbeit im ‚Organe ein, wo denn auch zugleich der Sauerstoff- verbrauch während der Zeiteinheit steigt. Die größere Strömungsge- schwindigkeit wird selbstverständlich auch im letztgenannten Falle stets dazu beitragen, die Sauerstoffkonzentration des Plasmas relativ zu steigern; die absoluten Ausschläge des ganzen Prozesses können hierbei aber selbstver- ständlich verschieden sein. Sokann der Zuwachs der Strömungsgeschwindig- keit geringer sein als der des Sauerstoffverbrauchs, wodurch die Sauerstoff- menge des Venenblutes bei Arbeit geringer wird als bei Ruhe, wie es mit den Muskeln der Fall ist!); oder die gesteigerte Strömungsgeschwindigkeit kann die Zunahme des Sauerstoffverbrauchs überkompensieren; dann ist das Venenblut bei Arbeit sauerstoffreicher als bei Ruhe, wovon die Sub- maxillardrüse ein Beispiel gibt?2). Mit Bezug auf diese Drüse liegen so- wohl für Ruhe als für Arbeit genaue Bestimmungen des Sauerstoffverbrauchs, der Zusammensetzung des Blutes und der Strömungsgeschwindigkeit vor (Barcroft3). Diese zeigen, daß das der ruhenden Drüse entströmende Blut im Mittel von neun Versuchen 52,8 Proz. der Sauerstoffmenge des Ar- terienblutes enthält, was, die Spannung des Arterienblutes auf 120mm an- gesetzt, eine Sauerstoffkonzentration im Plasma 0,089 ergibt (siehe die Tabelle S. 199). Bei Arbeit der Drüse findet Bareroft den Sauerstoffver- brauch etwa drei- bis viermal, die Strömungsgeschwindigkeit etwa sechsmal so groß als bei Ruhe; demnach wird das Venenblut aus der arbeitenden !) Vgl. Cl. Bernard, Tissus vivants, Paris 1866, p. 220; Sczelkow, Sitzungsber. d. Wiener Akad., math.-naturw. Kl., 45, 1862; Chauveau u. Kauf- mann, Compt. rend. de l’acad. des sciences 104, 1128, 1887. — *?) Cl. Bernard, Liquides de l’organisme, Paris 1859, p. 440. — °) Journ. of Physiology 27, 31 u. £. 1901. Innere Atmung. — Regulation der Sauerstoffkonzentration usw. 201 Drüse 73,3 Proz. des Sauerstoffs des Arterienblutes enthalten und die Sauer- stoffkonzentration des Plasmas 0,132 betragen. Schon die Zunahme der Strömungsgeschwindigkeit — es wirken zugleich noch andere Regulationen, wie die gesteigerte Konzentration des Hämochroms (siehe unten) — hat dann bewirkt, daß die Sauerstoffkonzentration des Plasmas in dem die arbeitende Drüse verlassenden Blute im Vergleich mit den Verhältnissen bei Ruhe um etwa 48 Proz. zugenommen hat. Diese bedeutende Zunahme des den Zellen zu Gebote stehenden Sauerstoffs steht in gutem Einklange damit, daß das Drüsensekret nach den vorliegenden Versuchen (S. 130) einen besonders hohen Sauerstoffgehalt (einer Spannung von etwa 200 mm entsprechend) zu haben scheint. Änderung der prozentigen Menge des Blutfarbstoffe.. Eine prozentige Zunahme des Blutfarbstoffes, diese möge nun von einem absoluten Zuwachs der Menge dieses Stoffes herrühren oder auch durch Ausscheidung von Flüssigkeit aus dem Blute entstanden sein, bewirkt ganz ebenso wie eine Zu- nahme der Strömungsgeschwindigkeit, daß der während des Kapillarkreis- laufes stattfindende Sauerstoffverbrauch des Gewebes’ auf eine größere Menge des Hämochroms verteilt wird, weshalb die Sauerstoffspannung im Venen- blute größer wird, als es unter übrigens gleichen Verhältnissen sonst der Fall gewesen sein würde; die Folge hiervon wird wieder, was das wesent- lichste ist, daß die Sauerstoffkonzentration des Plasmas relativ größer wird. Solche prozentige Vermehrung des Hämochroms finden wir dann auch als stationären Zustand bei besonders kräftigen Individuen, ebenso wie die Menge des Hämochroms nach Geschlecht und Alter verschieden ist, am größten bei 20 bis 30 jährigen Männern (etwa 1,4mal so groß als im Kindesalter !. Aber auch als mehr vorübergehende Regulation finden wir bei ermüdender Muskelarbeit eine Zunahme der prozentigen Menge des Hä- mochroms ?), die von einer durch Ausscheidung von Flüssigkeit erzeugten Konzentrationsänderung des Blutes herrührt; nach zehn Minuten dauernder anstrengender Arbeit stieg z. B. die Anzahl der roten Blutkörperchen durch- schnittlich um 12,3 Proz. des ursprünglichen Wertes; das Maximum der Zunahme war 23,4 Proz. (v. Willebrand). Neben der Änderung der Strom- geschwindigkeit schafft also bei der Muskelarbeit die Konzentrationsänderung des Blutes günstigere Bedingungen für die Sauerstofflieferung an die Gewebs- zellen. Dasselbe ist in noch höherem Maße bei den Flüssigkeit secernierenden Drüsen der Fall. Die Zunahme der Konzentration des Hämochroms im Blute, welche beim Aufenthalt in verdünnter Luft beobachtet wird, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle als Mittel zur Steigerung der Sauerstoffkonzentration des Plasmas; die prozentige Vermehrung des Farbstoffes kann hier in ausgesprochenen Fällen etwa 50 Proz. des normalen Wertes erreichen (Viault). Auf den Verlauf der Sauerstoffspannungskurve haben die hier besprochenen Konzentrationsänderungen keinen Einfluß; die Konzentration des Hämochroms bleibt nämlich hierbei in den Blutkörperchen selbst unverändert (S. 89). ‘) Vgl. Schwinge, Pflügers Archiv 73, 329, 1898. — °) Vgl. Zuntz u. Schumburg, Studien zu einer Physiologie des Marsches, Berlin 1901; v. Wille- brand, Skand. Arch. 14, 176, 1903. — ®) Compt. rend. de l’acad. des sciences 111, 917, 1890. 202 Innere Atmung. — Regulation der Sauerstoffkonzentration usw. Änderung der Kohlensäurespannung des Blutes. Wegen der Änderung, welche die Sauerstoffspannungskurve durch eine Änderung der Kohlensäure- spannung erleidet, erhält letztere einen bedeutenden regulatorischen Einfluß auf die Sauerstoffkonzentration des Plasmas. Auf welche Weise die Neu- bildung von Kohlensäure während der Passage des Blutes durch das Gewebe hierbei für die Bedingungen der Sauerstoffaufnahme Bedeutung erhält, ent- wickelten wir oben; natürlich wird aber auch jede auf andere Weise ent- standene Änderung der Kohlensäurespannung auf die Sauerstoffkonzentration einwirken, und diese Wirkungen der Kohlensäure haben für die Versorgung der Zellen mit Sauerstoff um so größere Bedeutung, da sie um so kräftiger hervortreten, je geringer die Sauerstoffmenge des Blutes geworden ist. Än- derungen der Kohlensäurespannung des Blutes können, von der Bildung. der Kohlensäure in den Geweben unabhängig, auf verschiedene Weise entstehen. So kann wegen der spezifischen Tätigkeit der Lungen die Kohlensäurespannung des zu den Geweben strömenden Arterienblutes bald bedeutend niedriger, bald (bei Retention) höher als die normale sein (S. 158). Die Kohlensäure- spannung kann aber auch wegen Einwirkungen auf das Blut während der Passage desselben durch die Kapillargefäße variieren; wie wir unten sehen werden, spielen hierbei aller Wahrscheinlichkeit nach Änderungen des „spezifischen Kohlensäuregehalts“ des Hämochroms eine wichtige Rolle; auch wird die Bildung fixer Säuren, indem sie die an Alkali gebundene Kohlen- säure partiell frei machen, die Kohlensäurespannung des Kapillarenblutes steigern. Ein hübsches Beispiel einer auf letztgenanntem Wege stattfindenden Regulation ist die Bildung von Milchsäure bei Sauerstoffmangel in den Ge- weben (auch nach sehr anstrengender Muskelarbeit!); indem hierdurch die Kohlensäurespannung des Blutes während dessen Passage durch die Kapil- laren steigt, bewirkt mithin eben das durch den Mangel an Sauerstoff er- zeugte Produkt ein dem Sauerstoffmangel entgegenarbeitendes Steigen der Sauerstoffkonzentration des Plasmas. Auch das Einatmen kohlensäurehaltiger Luft wird wegen des damit verbundenen Steigens der Kohlensäurespannung des Blutes selbstverständlich eine Zunahme der Sauerstoffkonzentration des Plasmas zur Folge haben. Da wir später diesen Umstand in Betracht zu ziehen haben, um die Wirkung der Kohlensäureinhalation beim Aufenthalt in verdünnter Atmosphäre zu er- klären, führen wir hier gleich ein Zahlenbeispiel an. Setzt man die Sauer- stoffspannung des Arterienblutes wie gewöhnlich auf 120 mm an und rechnet man den Sauerstoffverlust des Blutes im Gewebe als 8 Vol.-Proz., so wird die Sauerstoffspannung des Venenblutes unter gewöhnlichen Verhältnissen etwa 32mm betragen (siehe die Tabelle S. 199); wird aber die Kohlensäure- spannung des Arterienblutes, während die Sauerstoffspannung unverändert bleibt, auf 80mm erhöht (z. B. durch Einatmung einer angemessen zu- sammengesetzten Gasmischung mit etwa 8 Proz. C0,), so wird, wenn derselbe Sauerstoffverbrauch (8 Vol.-Proz.) im Blute vorausgesetzt wird, die Sauerstoff- ‚spannung des Venenblutes 48 mm (siehe S. 92). Die Sauerstoffkonzentration des die Gewebe verlassenden Blutes ist dann wegen der Kohlensäureein- atmung um 50 Proz. des Wertes gestiegen. !) Vgl. Araki, Zeitschr. f. physiol. Chem. 19, 422, 1894, und Spiro, Zeitschr. f. physiol. Chemie 1, 111. Innere Atmung. — Regulation der Sauerstoffkonzentration usw. * 203 Eigentlieh ist die Zunahme der Konzentration des Sauerstoffs noch größer ; bei der Berechnung für das Blut mit 80mm CO,-Spannung wurde nämlich das fernere Steigen der Spannung nicht berücksichtigt, das wegen der Neubildung von Kohlensäure während des Kapillarkreislaufes auch hier stattfinden wird. Kohlensäureeinatmung kann also unter Umständen auf die Versorgung der Gewebszellen mit Sauerstoff höchst günstig wirken. Änderung der spezifischen Sauerstoffkapazität des Blutes‘). Hierdurch wird das Hämochrom so modifiziert, daß die Größe der Sauerstoffmenge, die bei einem gegebenen Sauerstoffdrucke gebunden wird, sich ändert, oder, was ganz dasselbe ist, so, daß eine gegebene, im Blute absorbierte Sauerstofimenge eine andere Spannung ausübt (S. 93). j Im Organismus ändert sich den vorliegenden Untersuchungen zufolge der spezifische Sauerstoffgehalt (Sp. O) unter verschiedenen Verhältnissen, und zwar teils so, daß das Blut überhaupt einen anderen Sp. O bekommt (z. B. bei Einatmung sauerstoffarmer Luft, bei Anämie usw.), teils so, daß der Sp. O des Venenblutes von dem des Arterienblutes verschieden wird. Auf die Bedeutung der ersteren Art einer Änderung in der Sauerstoffzufuhr zu den Geweben werden wir später zurückkommen, wenn wir die durch Einatmung sauerstoffarmer Luft hervorgerufenen Änderungen behandeln. Hier haben wir speziell mit der beim Übergang von Arterien- in Venenblut stattfindenden Modifikation des Hämochroms zu schaffen, durch welche die Sauerstoffkonzentration des Plasmas Fir. 24. während des Kapillarkreislaufes regu- 2 liert werden kann. In nebenstehender schematischer graphischer Darstellung A bezeichne A die Sauerstoffspannungs- kurve des Arterienblutes, die Ordinate R dh die prozentige Sauerstoffmenge, die im i Venenblute enthalten ist, nachdem der ' Sauerstoffverbrauch in den Geweben 'R IR stattgefunden hat; die Sauerstoff- spannung des Venenblutes wird dann i durch den Wert der Abszisse p ver- p pP treten sein. Ändert sich aber der spezifische Sauerstoffgehalt, so daß er während der Passage des Blutes durch die Kapillargefäße z. B. abnimmt, so wird das Verhältnis ein anderes. Die Sauerstoffspannung des Venenblutes findet dann ihren Ausdruck ın einer anderen Kurve, in welcher die Ordinaten- werte für dieselben Abszissen kleiner sind, und welche sich mithin durch die Kurve V darstellen läßt. Ist der Sauerstoffverbrauch derselbe und die im Venenblut übriggebliebene Sauerstoffmenge (R) somit unverändert, so wird die Spannung nicht mehr — p sein, sondern einen größeren Wert an- genommen haben, der-dem Abszissenwerte für R in der Kurve V entspricht, folglich —= Pist. Die Sauerstoffkonzentration des Plasmas wird also nach Herabsetzung des spezifischen Sauerstoffgehalts größer und die Versorgung der Zellen mit Sauerstoff leichter als vorher. V !) Vgl. Bohr, Skand. Arch. 3, 142, 1891 und Tobiesen ebenda 6, 273, 1895. 204 Inhere Atmung. — Regulation der Kohlensäurekonzentration im Plasma. Eine derartige Änderung des spezifischen Sauerstoffgehalts läßt sich öfters im Organismus konstatieren, wenn das gleichzeitig entnommene Arterien- und Venenblut untersucht werden. So fand man in einem Ver- suche, daß das Blut der Arterien einen spezifischen Sauerstoffgehalt von 468, das der Vena femoralis einen solchen von 420 hatte, was einer Zunahme der Sauerstoffkonzentration im Venenblute von etwa 12 Proz. des Wertes ent- spricht, den dieselbe ohne diesen Faktor haben würde. Die Änderung des spezifischen Sauerstoffgehalts beim Übergange des Arterienblutes in Venen- blut wird, wie genannt, häufig angetroffen, ist aber nicht konstant. Dies steht wohl zum Teil damit in Verbindung, daß dieselbe nur ein einzelnes unter mehreren anderen Regulationsmitteln der Sauerstoffzufuhr ist; sicher- lich spielt es aber auch eine Rolle, daß die Verhältnisse, unter denen die Experimente bisher unternommen wurden, für die Entwickelung eines kräftigen Stoffwechsels der Gewebe besonders ungünstig waren (Aufbinden der Tiere, Herzkatheter); wahrscheinlich werden die Ausschläge unter günstigeren Verhältnissen häufiger und größer sein. Die hier angeführten verschiedenen Arten von Regulationsmitteln der Sauer- stoffkonzentration des Plasmas wirken, wie schon genannt, in der Regel zu gleicher Zeit, so daß bald das eine, bald das andere besonders stark hervortritt; es wird somit eine zahlreiche Reihe von Kombinationen ermöglicht, durch welche die Versorgung der Zellen mit Sauerstoff zum Teil von der Vermin- derung des Sauerstoffs unabhängig, die das Blut während der Durchströmung der Kapillaren erleidet, den Forderungen der Gewebe angepaßt wird. Regulation der Konzentration der Kohlensäure im Plasma. Die Konzentration der einfach gelösten Kohlensäure im Plasma die der Kohlensäurespannung des Blutes proportional ist, wird für die innere Atmung von Bedeutung, teils als die physikalischen Bedingungen bestimmend, unter denen die Beförderung der Kohlensäure aus den Geweben ins Blut während des Kapillarkreislaufes stattfindet, teils als die Sauerstoffspannung beeinflussend, wie oben entwickelt wurde Eine Zunahme der Strömungs- geschwindigkeit des Blutes wird unter sonst gleichen Verhältnissen aus ähnlichen Gründen wie den in betreff des Sauerstoffs entwickelten dazu beitragen, daß die Spannung verhältnismäßig geringer wird ; dieselbe Wirkung wird eine Zunahme der Konzentration des Hämochroms üben, jedoch nur hinsichtlich des an den Farbstoff gebundenen Teiles der Kohlensäure. Da man Carbo-Hämoglobine verschiedenen spezifischen Kohlensäure- gehalts nachgewiesen hat (S. 73), wird sich wahrscheinlich auch die Kohlensäurespannung des Blutes innerhalb weiter Grenzen hierdurch regu- lieren lassen, indem der Übergang aus einer Verbindung von geringerem in eine Verbindung von größerem spezifischen Kohlensäuregehalt die Span- nung herabsetzen wird, und umgekehrt, ganz derjenigen Auseinander- setzung analog, die oben in betreff des Sauerstoffs angeführt wurde; eine direkte Untersuchung dieses Verhaltens an gleichzeitig entnommenem Ar- terien - und Venenblut ist bisher aber nicht ausgeführt worden. Die Kohlen- säure des Blutes ist übrigens an so viele verschiedene Stoffe gebunden (8. 103), die zum Teil aufeinander einwirken, daß die Annahme nahe liegt, die Spannung könne sich auch auf mannigfache andere Weise für dieselbe im Änderungen in der Zusammensetzung der Einatmungsluft. 205 Blute absorbierte Kohlensäuremenge ändern; Näheres wissen, wir hierüber aber nicht. In Anbetracht des bedeutenden Einflusses, den die Kohlensäure- spannung auf die Sauerstoffspannung des Blutes übt, verdient es schließlich ausdrücklich hervorgehoben zu werden, daß eine umgekehrte Wirkung der Sauerstoffspannung auf die Kohlensäurespannung, wenn es überhaupt eine solche gibt, jedenfalls ohne erhebliche Bedeutung ist (S. 106). Drittör Abschnitt. Einfluß einer geänderten Zusammensetzung der Einatmungsluft auf den Respirationsprozeß. Es ist namentlich der Einfluß, welchen Änderungen der Sauerstoff- und der Kohlensäurespannungen der umgebenden Atmosphäre auf den Gaswechsel haben, der im folgenden zur Untersuchung kommt; Schwan- kungen der Spannung des Stickstoffs, der sich ja bei dem Atmungs- vorgange überhaupt indifferent zu verhalten scheint, sind ohne Bedeutung; so läßt sich der Stickstoff durch andere indifferente Gase (Wasserstoff, Methan) ersetzen, ohne daß Abweichungen vom normalen Gaswechsel, wenigstens während der Dauer der Versuche, nachweisbar wären. Wo der Stickstoff oder andere indifferente Gase unter dem Einflusse eines hohen Druckes aber in bedeutenden Mengen vom Blute absorbiert worden sind, können sie durch eine darauf folgende Entlastung des Druckes, wenn diese nicht hinlänglich langsam vor sich geht, schädlich wirken; es bilden sich nämlich hierdurch leicht Gasbläschen im Blute, die in den Blutgefäßen Em- bolien verursachen können, wodurch namentlich das Nervensystem affiziert wird }). Der Einfluß, den die Änderung des Partialdruckes eines Gases auf den Organismus übt, ist von der Entstehungsweise dieser Änderung unab- hängig; die Wirkung ist also dieselbe, die Änderung des Partialdruckes möge nun von einer Änderung der prozentigen Menge des betreffenden Gases oder von einer Änderung der Größe des Totaldruckes oder von beiden im Verein herrühren. Dies hat besonders P. Bert?) experimentell dargetan und läßt sich überdies schon daraus schließen, daß die Konzentration des ein- fach gelösten Gases in der die tierische Zelle umgebenden Flüssigkeit und somit die maßgebende äußere Atmungsbedingung einzig und allein durch‘ den numerischen Wert des Partialdruckes ohne Rücksicht auf dessen Ent- stehungsweise bestimmt werden. Die Wirkung, die eine Änderung des Partialdruckes des Sauer- stoffs und des der Kohlensäure in der umgebenden Atmosphäre auf den respiratorischen Vorgang übt, ist komplizierterArt. Die Änderung des Partialdruckes der Alveolengase und die hieraus folgende Änderung der Be- dingungen für die Tätigkeit der Lungenzellen sind selbstverstündlich das Primäre; sekundär verändert sich aber zugleich die Zusammensetzung der Gase des Blutes und mithin auf mehrfache Weise die Bedingungen sowohl für die Lungenatmung als für die Atmung der Gewebe; aus Versuchen über '!) Vgl. Hoppe-Seyler, Müllers Arch. f. Physiologie 1857; P. Bert, La pression barometrique. Paris 1878, p. 520 und 939. — ?) 1. c. 8. 1153 u. £. TR NN 306 Änderung ‚des Sauerstoffdruckes in einer der beiden Lungen. den Einfluß, den die Partialdruckvariation der genannten Gase auf den ge- samten Organismus ausübt, läßt sich daher die spezielle Wirkung auf die Lungenfunktion nicht unmittelbar ableiten. Will man die Wirkung der Änderungen des Partialdruckes auf den Lungengaswechsel für sich untersuchen, ohne daß die Änderungen der Gase des Blutes das Resultat beeinflussen, so ist daher die früher öfters er- wähnte Methode anzuwenden, nach welcher der respiratorische Stoffwechsel jeder Lunge für sich zu gleicher Zeit bestimmt wird; indem man dann der Einatmungsluft für jede der Lungen eine verschiedene Zusammensetzung gibt, läßt sich, da das durchströmende Blut ja zu jeder Zeit in beiden Or- ganen identisch ist, der Einfluß der Gasdruckänderung auf die Lungen- funktion als solche bestimmen. Das Resultat derartiger Untersuchungen werden wir im folgenden durchgehen, bevor wir zur Behandlung der Än- derungen schreiten, die der respiratorische Stoffwechsel in seiner Totalität durch den Aufenthalt des Individuums in verschiedenartig zusammengesetzter Luft erleidet, und bevor wir die kompensatorische Tätigkeit betrachten, die’ der Organismus hierbei entwickelt. 1. Kapitel. Verteilung des respiratorischen Gaswechsels unter die beiden Lungen bei verschiedener Zusammensetzung der Einatmungs- luft für jede einzelne derselben. Wie in früheren Abschnitten erwähnt, lassen sich nach einiger Übung beim Kaninchen Kanülen in beide Bronchien ohne Verletzung der Pleura einführen; es ist dann möglich, unter Beibehaltung der natürlichen Atmung den Stoffwechsel jeder Lunge für sich zugleich zu untersuchen, indem rück- sichtlich jeder derselben für sich ein vollständiger Atmungsversuch aus- geführt wird. Bei den Untersuchungen, um die es sich hier handelt, macht man nun die Einatmungsluft der beiden Lungen verschieden, indem eine derselben atmosphärische Luft, die andere aber eine Gasmischung aus einem großen, wohläquilibrierten Spirometer einatmet; zu dieser Gasmischung benutzt man außer Sauerstoff und Kohlensäure überall nur reinen atmo- sphärischen Stickstoff. Typische Beispiele derartiger Bestimmungen werden unten angeführt; dieselben sind einer größeren, bisher nicht veröffentlichten von Halberstadt ausgeführten Versuchsreihe entlehnt und betreffen die Wirkung einer Änderung sowohl des Sauerstoff- als des Kohlensäurepartial- druckes. Einfluß des Partialdruckes des Sauerstoffs auf die Verteilung des @aswechsels unter die beiden Lungen '). Ein größerer Sauerstoffpartialdruck in der Einatmungsluft bewirkt eine gesteigerte Sauerstoffaufnahme in der betreffenden Lunge und eine kompen- sierende Verminderung derselben in der anderen, so daß die Summe der Sauerstoffaufnahme der beiden Lungen in der Regel fast unverändert bleibt. So beträgt bei den Versuchen nach Tabelle I der Unterschied der Sauerstoff- aufnahme der rechten von der der linken Lunge, in Prozenten des Stoffwechsels der rechten Lunge ausgedrückt, 16,5 Proz. (in Nr. 1 und 6 bzw. 16 und 17), wenn !) Vgl. folgende Tabellen I und I. Änderung des Sauerstoffdruckes in einer der beiden Lungen. Tabelle I. 207 Kaninchen, 2000g; natürliche Atmung; Dauer jedes Versuches 15 Min. Die Menge der Einatmungsluft beträgt überall für jede Lunge etwa 2000ccm per 15 Min. Totale Atmung O0, Proz. Auf- Aus- (rechte + linke Lunge) Lunge der Ein- |genommener| geschiedene Ausge- atmungsluft| Sauerstoff | Kohlensäure genommener | schiedene Sauerstoff | Kohlensäure | rechte 21,1 150 119 \ | 232 | linke 21,1 124 113 Et | rechte 75,6 197 122 292 236 * | linke 21,1 14488 113 rechte 45,9 172 118 225 | linke 21,1 96 108 e- rechte 91,8 183 115 218 | linke 21,1 83 103 er rechte 59,5 171 113 21 | linke 21,1 84 101 298 4 rechte 21,1 134 110 \ s| linke 21,1 112 105 Ka ah | Tabelle II. j Kaninchen, 2000g, natürliche Atmung; Dauer jedes Versuches 15 Min. Zwischen den einzelnen Versuchen mit sauer- stoffarmer Luft 15 Min. lang Einatmung atmosphärischer Luft. Totale Atmung r 0, Proz. Auf- Aus- (rechte + linke Lunge) Lunge der Ein- |genommener| geschiedene Aut: | Ausge- atmungsluft | Sauerstoff | Kohlensäure genommener I aahfedana Sauerstoff | Kohlensäure rechte 21,0 134 112 | linke 21,0 111 93 I” 298 rechte 21,0 171 118 linke 0,10 — 15 69 $ Eee | rechte- 21,0 159 114 In 1,93 | 67 Er ide ran 21,0 155 98 + era 1,12 — 5 57 an u re 21,0 149 94 5 ’ \ . | linke 2,80 4 52 Ale > rechte 21,0 134 85 \ | . 5 13 | linke 3,84 11 50 Fe : rechte 21,0 98 86 | z 2 | B) | linke 21,0 94 69 ai | ’ beide Lungen atmosphärische Luft atmen; dagegen 45, 51, 52 und 55 Proz., wenn die rechte Lunge ein ur mit beziehungsweise 46, 59, 76 und 92 Proz. Sauer- stoff. atmet. 2308 Einfluß des Sauerstoffdruckes auf die Kohlensäureausscheidung. Es: gilt, also durchweg die Regel, daß diejenige Lunge, deren Ein- atmungsluft den größeren Sauerstoffpartialdruck zeigt, auch die größere Sauerstoffaufnahme hat. Bei sehr niedrigen Sauerstoffpartial- drucken (unter 1,9 Proz.) in der einen Lunge wird in dieser eine geringe Menge Sauerstoff ausgeschieden!) (siehe Tabelle II); die andere, atmo- sphärische Luft atmende Lunge zeigt zwar eine vermehrte Sauerstoffauf- nahme, diese genügt aber nicht zur Kompensation, so daß die totale Sauer- stoffaufnahme der beiden Lungen bedeutend sinkt. Die Ausscheidung von Sauerstoff bei geringem Partialdruck dieses Gases rührt vielleicht von der Diffusion her, die höchst wahrscheinlich neben dem weit bedeutenderen Sekretionsvorgange in den Lungen stattfindet (S. 156). Über den Einfluß, den die Änderung des Sauerstoffpartialdruckes auf die Verteilung der Kohlensäureausscheidung unter die beiden Lungen übt, liegen ältere Versuche von Werigo?) vor, die allerdings keine eigentlichen Atmungsversuche sind, indem in ihnen nur die Spannung der Kohlensäure in jeder Lunge für sich untersucht wurde, nachdem die eine Lunge einige Zeit hindurch sauerstoffhaltiges Gas, die andere aber Wasserstoff ein- geatmet hatte. Werigo findet hierbei ein höheres Kohlensäureprozent in der Sauerstoff atmenden Lunge und glaubt, dies einer die Kohlensäure aus- treibenden Wirkung des Sauerstoffs auf das Blut zuschreiben zu müssen. Eine derartige Wirkung läßt sich nun nicht durch Untersuchung des Blutes in vitro feststellen (S. 106), und nach den weiteren Aufschlüssen, welche die unten angeführten Atmungsversuche geben, sind Werigos Resultate in der Tat denn-auch ganz anders zu erklären. Betrachtet man nämlich in der Tabelle I die ausgeschiedenen Kohlensäuremengen, so sieht man, daß diese die ganze Versuchsreihe hindurch in der rechten Lunge fast konstant sind, es werde nun atmosphärische Luft oder fast reiner Sauerstoff eingeatmet; eine Zu- nahme des Sauerstoffpartialdruckes bis über den der Atmosphäre hat mithin keinen Einfluß auf die Kohlensäureausscheidung. Dagegen zeigt die Tabelle II, daß die Kohlensäureausscheidung derjenigen Lunge, die sehr sauerstoffarme Luft einatmet, um 20 bis 30 Proz. ihres ur- sprünglichen Wertes sinkt. Der von Werigo nachgewiesene Einfluß des Sauerstoffs auf die Kohlensäureausscheidung ist deshalb nicht einer Zunahme der Kohlensäureausscheidung in der die sauerstoffreiche Luft atmenden Lunge, sondern einer Abnahme der Kohlensäureausscheidung in der die sauerstofffreie Luft atmenden Lunge zuzuschreiben. Da wir in einem früheren Abschnitte nachgewiesen haben (S. 190), daß in der Lunge wegen einer hier vor sich gehenden Oxydation intermediärer Stoffwechselprodukte eine Kohlensäurebildung stattfindet, und daß diese durchschnittlich einen ähn- lichen prozentigen Teil des totalen Stoffwechsels (etwa 33 Proz.) beträgt wie das hier gefundene Sinken der Koblensäureausscheidung, kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, daß letzteres durch den Wegfall der Beteiligung der Lunge an der inneren Atmung zu erklären ist, der notwendigerweise eintreten muß, wenn der Sauerstoff der Alveolenluft einen hinlänglich geringen Wert annimmt. !) Vgl. Werigo, Pflügers Archiv 51, 321, 1892. — °) 1. c. Änderung des Kohlensäuredruckes in einer der beiden Lungen. 209 Einfluß des Kohlensäurepartialdruckes auf die Verteilung des Gaswechsels unter die beiden Lungen '). Durch Versuche über den gleichzeitigen respiratorischen Stoffwechsel der beiden Lungen, bei denen die Einatmungsluft überall 21 Proz. Sauer- stoff enthält, während der Partialdruck der Kohlensäure variiert, findet man, daß die Sauerstoffaufnahme in der Hauptsache durch eine größere oder geringere Kohlensäurespannung der Einatmungsluft keine Änderung erleidet, während die Verteilung der Kohlensäureausscheidung unter die beiden Lungen stets so geschieht, daß die Ausscheidung in derjenigen Lunge, deren Kohlensäurespannung die höhere ist, herabgesetzt wird. Dies wird selbst bei niedrigen Kohlensäuredrucken der Einatmungsluft (z.B. 1,5 Proz. CO,) beob- achtet, und es läßt sich also keine stimulierende Wirkung der Kohlensäure auf den Ausscheidungsprozeß gewahren, wenn der Einfluß des Blutes wie hier eliminiert wird. Wird der Partialdruck der Kohlensäure in der Einatmungs- luft hinlänglich groß, so wird durch die betreffende Lunge Kohlensäure auf- genommen, was schon Cl. Bernard?) beobachtete. Die Grenze, an welcher Kohlensäure weder ausgeschieden noch aufgenommen wird, liegt beim Ka- ninchen so gut wie konstant bei einem Gehalt der Einatmungsluft von etwa 15,5 Proz. CO,, wenn eine Lunge atmosphärische Luft, die andere eine kohlen- säurehaltige Gasmischung von demselben Sauerstoffgehalt einatmet. 2. Kapitel. Der respiratorische Prozeß bei verschiedenem Partial- druck des Sauerstoffs und der Kohlensäure in der umgebenden Atmosphäre. Der respiratorische Stoffwechsel läßt sich innerhalb ziemlich bedeutender Schwankungen der Spannungen des Sauerstoffs und der Kohlensäure in nor- malem Umfang unterhalten. Hierdurch wird der Einfluß der Variation der Gasspannungen auf mancherlei Weise kompensiert, teils durch Änderungen der Arbeitsintensität des Respirationsorgans, teils durch Änderungen der Gas- bindungen des Blutes und der Zirkulationsgeschwindigkeit desselben. Die Regulationsmittel haben selbstverständlich aber ihre Grenzen; bei gar zu starker Änderung der Sauerstoff- oder der Kohlensäurespannung der um- gebenden Atmosphäre läßt sich der normale Stoffwechsel des Organismus nicht aufrechterhalten, und der Tod tritt je nach den Umständen mehr oder weniger rasch ein. Die Untersuchung derjenigen Mittel, durch welche der Organismus trotz der Änderungen der umgebenden Atmosphäre den normalen respiratorischen Stoffwechsel zu erhalten vermag, und die Bestimmung der- jenigen Grenze, über die hinaus dies nicht möglich ist und das Leben. daher nicht mehr fortgesetzt werden kann, werden wir uns im folgenden zur Auf- gabe machen. Wie es sich erweisen wird, ist die Anwendung der Theorie von der Invasion der Gase in Flüssigkeiten auf die Verhältnisse im Organis- mus sehr förderlich, um Einsicht in diese Vorgänge zu erhalten. !) Es bot sich mir hier die Gelegenheit dar, eine Reihe bisher nicht ver- öffentlichter Versuche von Halberstadt benutzen zu können. — ?) Anesthösiques et asphyxie. Paris 1875, p« 370. Nagel, Physiologie des Menschen. I. ' 14 210 Respiratorischer Gaswechsel bei verminderten Sauerstoffdrucken. Änderungen des Partialdruckes des Sauerstoffs. Verminderung des Partialdruckes. Über diese Frage sind seit Lavoisier, dem wir auch auf diesem Felde grundlegende Versuche verdanken, bis in die jüngste Zeit eine große Reihe Arbeiten erschienen; die hierdurch errungenen Resultate im einzelnen auseinanderzusetzen, würde den Rahmen dieser Dar- stellung weit überschreiten. Wir müssen uns hier auf den Versuch be- schränken, die Hauptlinien der auf diesem Gebiete gewonnenen Kenntnis zu ziehen und mit dem zusammenzuhalten, was die vorhergehenden Abschnitte uns über die Arbeitsweise der Respirationsorgane gelehrt haben. Wegen einer mehr detaillierten Darstellung der Versuchsresultate müssen wir auf die vorliegenden Monographien von P. Bert!), Fraenkel und Geppert?), Loewy°) und Durig) verweisen, wo auch die Spezialliteratur nachzusehen ist. Wird der Partialdruck des Sauerstoffs in der umgebenden Atmosphäre herabgesetzt, so sinkt er auch in der Alveolenluft der Lunge, jedoch in verschiedenem Maße, je nach der Größe der Sauerstoffaufnahme und der Lungen- ventilation. Bei derselben Verminderung des äußeren Druckes kann die Zusammensetzung der Luft, die in den Alveolen die respiratorische Oberfläche unmittelbar berührt, daher in nicht geringem Grade verschieden sein, ein Umstand, den namentlich Loewy?°) eingehend behandelt hat. Die Berechnung der Zusammensetzung der Alveolenluft erfordert, wie in früheren Abschnitten nachgewiesen, die Kenntnis der Zusammensetzung der Exspirationsluft, der Atemgröße und des „schädlichen Raumes“ (der Luftwege); um aus der Zu- sammensetzung die Spannung der einzelnen Gase zu berechnen, muß man natürlich zugleich den Totaldruck in den Alveolen kennen, der gleich dem herrschenden atmosphärischen Drucke minus der Tension der Wasserdämpfe (etwa 50 mm) bei Körpertemperatur ist. Bei demselben äußeren atmosphärischen Drucke wird der Sauerstoff- gehalt der Exspirationsluft, mithin auch die Sauerstoffspannung der Alveolenluft, mit der Größe der Sauerstoffaufnahme und der Atmungsluft variieren; eine unter allen Verhältnissen konstante Abhängigkeit der Sauerstoffspannung der Alveolenluft von der der äußeren Atmosphäre gibt es alsonicht. Hält man aber die Sauerstoffaufnahme und die Atmungsgröße (Volum und Anzahl) konstant, während man den äußeren Druck variiert, so wird letzterer natürlich der die Sauerstoffspannung der Alveolen bestimmende Faktor sein; eine ein- fache Proportionalität der Sauerstoffspannung der Alveolenluft zu der der Atmosphäre ist aber unter solchen Verhältnissen doch nicht vorhanden. Wenn z. B. (S. 139) die Alveolenluft bei Atmung unter gewöhnlichem Drucke (760 mm) 14,6 Proz. Sauerstoff enthält, so ist ihre Sauerstoffspannung 104mm, da der Totaldruck 760 — 50 = 710mm beträgt. Da die Atmosphäre 21 Proz. Sauer- stoff enthält, werden (wenn der respiratorische Quotient, um die Berechnung zu erleichtern, gleich 1 gesetzt wird) von der eingeatmeten Luft 21 — 14,6 — 6,4 Proz. Sauerstoff aufgenommen. Vermindert man nun den Druck der um- gebenden Atmosphäre z. B. bis auf 500 mm, so wird der Totaldruck in den Alveolen 500 — 50 = 450 mm; da vorausgesetzt wird, daß der absolute Sauerstoff- !) La pression barom6trique. Paris 1878. — *) Wirkungen der verdünnten Luft. Berlin 1883. — °?) Respiration und Zirkulation bei Anderung des Sauerstoff- gehalts der Luft. Berlin 1895. — *) Arch. f. Physiol. 1903, 8. 209. — ®)1. c. Respiratorischer Gaswechsel bei verminderten Sauerstoffdrucken. 311 verbrauch und die Atemgröße (unter dem jeweilig herrschenden Drucke ge- messen) unverändert bleiben, wird deshalb für jeden Atemzug die gleiche Gewichtsmenge Sauerstoff verbraucht werden, die an Raum wegen der Druck- verminderung 6,4 X — 10,1 Proz. der eingeatmeten Luft betragen wird, 450 und das Sauerstoffprozent der letzteren wird mithin 21 -—- 10,1 — 10,9 Proz, einem Partialdrucke von 450 x nn die Sauerstoffpartialdrucke in den umgebenden Atmosphären sich in den beiden — 49 mm entsprechend. Während Fällen wie Kan oder etwa 2/s verhalten, bilden sie ein ganz anderes Verhält- 760 nis in der Alveolenluft, nämlich an oder etwa !/,. Aus’dem Dargestellten geht hervor, daß man bei Untersuchungen der Atmung in verdünnter Luft keine gleichdeutigen Resultate zu erreichen erwarten darf, es sei denn, daß die Spannungen der Alveolenluft und nicht die der umgebenden Atmosphäre als Grundlage für die Deutung der Versuche benutzt werden. Die untere Grenze der Sauerstoffspannung der Alveolenluft, die sich nicht ohne Gefährdung des Lebens überschreiten läßt, weil dann die Sauer- stoffaufnahme sogar in Ruhe nicht in normalem Umfange stattfinden kann, ist für die einzelnen Individuen etwas verschieden, indem hierbei die mehr oder weniger kräftige Entwickelung der Lungen eine Rolle spielt. Die Grenze, die nach Versuchen von A. Loewy!) und A. Loewy, J. Loewy und Zuntz?) ein wenig, jedoch nicht weit unter 35mm liegen muß, kann auf ein wenig über 30 mm angesetzt werden, was einem Sauerstoffgehalt der Alveolenluft von etwa 4,5 Proz. entspricht, wenn der Totaldruck wie gewöhnlich bei nor- malem Atmosphärendruck gleich 710mm gesetzt wird. In welcher Höhe über dem Meere (auf Bergen, im Ballon) das Individuum sich befinden muß, damit die Sauerstoffspannung der Alveolenluft etwa 30 mm werde, läßt sich dem oben Entwickelten zufolge nicht im allgemeinen angeben, da die Atem- größe entscheidenden Einfluß hierauf erhält. Werden die Größe eines Atemzuges (500 ccm) und die Frequenz wie unter gewöhnlichem Drucke beibehalten, so wird eine Höhe von etwas über 5000 m der Sauerstoffspannung von 30 mm in der Alveolenluft entsprechen; bei Vermehrung der Atemgröße wird die Sauerstoffspannung der Alveolenluft selbstverständlich aber steigen, so daß sich weit größere Höhen ertragen lassen. Bei Verrichtüng einer Arbeit, die den Sauerstoffverbrauch steigert, ist eine Sauerstoffspannung von etwas über 30 mm nicht mehr hinlänglich; dann steigt die Sauerstoffspannung in verschiedenem Maße je nach der Größe der Arbeit (des Sauerstoffverbrauchs), indem die Atemgröße zunimmt). Die Ursache, weshalb die Sauerstoffspannung von etwas mehr als 30 mm in der Alveolenluft eine ungefähre untere Grenze für die Möglichkeit hin- länglicher Sauerstoffaufnahme bildet, hat man früher darin gesucht, daß die Sauerstoffspannung des Blutes hierdurch so niedrig werden sollte, daß dessen Sauerstoffgehalt wegen zu großer Dissoziatiin des Oxyhämoglobins zu ) 1. ce. 8. 54. — ?) Pflügers Arch. 66, 489, 1897. — °) Vgl. A. Loewy, l. c., Tabelle 8. 51 bis 52 und A. Loewy, J. Loewy u. Zuntz, 1. c. $. 489. 14* 3123 Respiratorischer Gaswechsel bei verminderten Sauerstoffdrucken. gering würde. Die Erscheinung findet jedoch genügende und völlige Er- klärung in dem Umstande, daß ein Differenzdruck von 29mm erforder- lich ist, damit die 350cem Sauerstoff, die während der relativen Ruhe proKilogramm und Stunde normal aufgenommen werden müssen, überhaupt in die oberflächliche Flüssigkeitsschicht der Lunge einzudringen vermögen (s. S. 141). Wenn die Lungenzellen durch sofortige Weiterbeförderung des eindringenden Sauerstoffs die Sauer- stoffspannung in der feuchten Oberfläche der Lunge um Null herum er- halten (wozu sie imstande sind, wie wir aus den Untersuchungen über die maximale Sauerstoffaufnahme, S. 163 u. 170 erfuhren), so wird die ge- samte Sauerstoffspannung in der Alveolenluft als Differenzdruck wirken. Bei einer Sauerstoffspannung von 30 mm wird die erforderliche Menge Sauerstoff also eben in die Oberfläche der Lunge eindringen können; bei niedrigeren Drucken wird dies nicht mehr möglich sein. Hierdurch wird die Lage der unteren Grenze der Sauerstoffspannung in der Alveolenluft auf ein einfaches physikalisches Phänomen zurückgeführt, ebenso wie die Notwendigkeit einer höheren Sauerstoffspannung beim Arbeiten, wenn mehr Sauerstoff aufgenommen wird und der Differenzdruck also größer sein muß, ihre Erklärung findet. Bei Sauerstoffspannungen der Alveolenluft unterhalb der genannten Grenzen kann die Sauerstoffaufnahme, wie angeführt, für den normalen Stoffwechsel nicht hinlänglich groß werden; da die Kohlensäureausscheidung weit weniger leidet, so findet man, daß der respiratorische Quotient unter solchen Verhältnissen zunimmt. Wenn die Sauerstoffspannung sich aber bei irgend einem Werte oberhalb der Grenze hält, kann die Sauerstoffauf- nahme ganz denselben Wert behalten wie bei Atmung unter gewöhnlichem atmosphärischen Drucke; die Sauerstoffaufnahme ist mithin in bedeutendem Umfange von einer Verminderung des Partialdruckes des Sauerstoffs in der umgebenden Atmosphäre unabhängig. Indem bei verschiedenen alveolaren Sauerstoffspannungen die gleiche Menge Sauerstoff aufgenommen wird, muß die Intensität der Arbeit der. Lungenzellen aber sehr verschieden werden; denn die Konzentration des Sauerstoffs in der oberflächlichen Schicht der Lunge, von wo die Zellen dieses Gas in das Blut befördern, variiert unter sonst gleichen Umständen mit der Sauerstoffspannung der Alveolenluft. Diese kann bei Atmung atmosphäri- scher Luft unter normalem Drucke auf 104mm angeschlagen werden, und da der Differenzdruck bei der Aufnahme von 350 ccm Sauerstoff pro Kilo- gramm und Stunde 29 mm beträgt, so wird: die Sauerstoffspannung in der Lungenoberfläche, die der Sauerstoffkonzentration daselbst natürlich propor- tional ist, 104 — 27 — 75mm ($. 141). Ist die Sauerstoffspannung der Alveolenluft dagegen, wie es bei Atmung in stark verdünnter Luft ge- schehen kann, 30 mm, so wird die Spannung in der Lungenoberfläche für dieselbe Sauerstoffaufnahme und folglich für denselben Differenzdruck gleich 30-—-29 = 1Imm. Die Atmung in verdünnter Luft bedingt also, um dieselbe Sauerstoffaufnahme zu effektuieren, eine vermehrte Arbeit der Lungenzellen. Auch hinsichtlich der inneren Atmung wird die Zellenarbeit aber bei herabgesetztem Drucke in der Alveolenluft, wenigstens wenn die Herabsetzung einen ziemlich bedeutenden Grad erreicht, schwierigeren Verhältnissen unter- % Respiratorischer Gaswechsel bei verminderten Sauerstoffdrucken. 313 worfen, indem die Sauerstoffspannung des Blutes niedriger wird. Wie wir oben (8.157) sahen, sind die Lungenzellen nämlich wohl imstande, die Sauer- stoffspannung so zu vergrößern, daß dieselbe die der Alveolenluft übersteigt, und dies kommt in ausgesprochenem Maße zur Anwendung, wenn letztere Spannung, absolut betrachtet, einen geringen Wert hat; es gilt hierbei indes die Regel, daß die Sauerstoffspannung des Blutes sich doch in der Nähe eines Wertes bewegt, der von dem Werte der Spannung der Alveolenluft nicht gar zu fern liegt, und infolgedessen wird also die Sauerstoffspannung des Blutes durch Atmung in stark verdünnter Luft herabgesetzt werden. Indem die Spannung des Blutes sinkt, nimmt auch die Menge des von diesem absorbierten Sauer- ‚stoffs ab. Wie aus den Tabellen S. 92 zu ersehen, ist die Verminderung der absorbierten Sauerstoffmenge jedoch nur eine geringe, solange die Span- nung nicht bedeutend unter das Normale sinkt. So wird Arterienblut (mit 20mm Kohlensäurespannung) noch bei 35 mm etwa 3/,, bei 25 mm Spannung etwa 1/, derjenigen Menge enthalten, die es bei der normalen Sauerstoffspan- nung von etwa 120 mm aufnimmt. Hiermit in Übereinstimmung finden P. Bert und Fraenkel und Geppert, daß die vom Blute absorbierte Sauer- stoffmenge erst dann bis zur Hälfte des Normalen abnimmt, wenn der Total- druck der umgebenden atmosphärischen Luft in bedeutendem Grade sinkt, in Fraenkel und Gepperts Versuchen !) bis unter 300 mm. Selbstver- ständlich variieren die Resultate nicht unerheblich ?), da die Sauerstoffspannung der Alveolenluft je nach dem Atmungsmodus bei demselben äußeren Drucke sehr verschieden sein kann, und da die Sauerstoffspannung des Blutes durch die Tätigkeit der Zellen bis mehr oder weniger hoch über die der Alveolen- luft gesteigert werden kann. Enthält das Arterienblut aber eine bedeutend geringere Menge Sauerstoff als normal, so bewirkt der Verbrauch von Sauer- stoff während des Kapillarkreislaufes ein stark ausgesprochenes weiteres Sinken der Spannung, mithin auch der Sauerstoffkonzentration im Plasma, welche die wesentlichste physikalische Bedingung der inneren Atmung bildet. Die Kompensation dieses Umstandes wird durch alle diejenigen Mittel erstrebt, die wir in einem früheren Abschnitte (S. 196), auf den wir hier verweisen, als die Sauerstoffkonzentration im Plasma regulierend angeführt haben. Teils wird die Blutzirkulation durch gesteigerte Herzarbeit be- schleunigt, teils nimmt die prozentige Menge des Blutfarbstoffes zu), und endlich verändert sich der spezifische Sauerstoffgehalt®). Was die Regulation der Sauerstoffkonzentration im Plasma betrifft, die, wie wir früher nachgewiesen haben, bei der Zunahme der Kohlensäurespannung des Blutes stattfindet (S. 202), so ist folgendes zu bemerken. Die Kohlensäurespannung beim Aufenthalt in luftverdünntem Raume wurde bisher noch nicht bestimmt. Dagegen nimmt die Kohlensäuremenge des Blutes unter solchen Verhält- nissen ab, wie Versuche von P. Bert), Fraenkel und Geppert‘) und Mosso und Marro’?) zeigen; dies ist indes (siehe den Abschnitt über die Kohlensäure des Blutes) keineswegs gleichbedeutend damit, daß die Spannung dieses Gases abnimmt, denn bei der komplizierten Bindung von Kohlensäure )1.c. 8.47. — ®?)l.c. 8. 52. — °) Vgl. Abderhalden, Zeitschr. f. Biol. 43 (1902) und Jaquet, Arch. f. exper. Pathol. 45 (1900). — *) Vgl. Bohr, Skand. Arch. f. Physiol. 3, 143, 1891. — °).l.e. — °)l.c. — 7) Arch. ital. de biol. 39, 402, 1903. 314 Respiratorischer Gaswechsel bei verminderten Sauerstoffdrucken. im Blute und den vielen Variationen, denen dieselbe unterworfen ist, findet keine einfache Abhängigkeit statt zwischen der Menge und der Spannung. Die Verminderung der Kohlensäuremenge rührt in dem hier besprochenen Falle wahrscheinlich von einer Abnahme der Menge des doppeltkohlensauren Natrons her, wegen der Säurebildung, die eintritt, wo der Zutritt von Sauer- stoff erschwert wird, und in solchem Falle läßt sich nichts über die Kohlen- säurespannung schließen, die den Umständen gemäß zugleich sowohl ab- nehmen als anwachsen kann. Bei sehr beträchtlicher Verminderung des Druckes der umgebenden Atmosphäre nimmt, wie gesagt, die Kohlensäuremenge des Blutes ab; bei mäßigeren Druckverminderungen braucht dies nicht der Fall zu sein. Tissot und Hallion!) fanden während einer Ballonfahrt bis zu einer Höhe von 3500 m, daß die Kohlensäureausscheidung des Organismus abnimmt, die Sauerstoffaufnahme aber ganz unverändert bleibt und der respiratorische Quotient sinkt; da dieselben Forscher?) durch Untersuchung des Blutes an einem Hunde unter denselben Verhältnissen eine Zunahme der Kohlensäure- menge im Blute finden, scheint das Sinken der Kohlensäureausscheidung als eine Retention der Kohlensäure im Blute erklärt werden zu müssen (S. 158), die wie oben entwickelt für eine bessere Ausnützung des Blutsauerstoffs von Bedeutung sein würde. Dagegen gelangen Mosso und Marro?) durch ihre Versuche in der pneumatischen Kammer zu dem- entgegengesetzten Re- sultate; sie finden bei einer Druckverminderung, die einer Höhe von etwas unter 3000 m über dem Meere entspricht, eine Zunahme der Kohlensäure- abgabe. Es ließen sich mehrere andere Beobachtungen anführen, aus denen hervorgeht, daß die Kohlensäureausscheidung unter den hier genannten Um- ständen variabel ist), was übrigens nichts erstaunliches hat; die Regulations- mittel des Organismus gegen die Einwirkung einer Druckverminderung in der umgebenden Atmosphäre sind so zahlreich und werden so mannigfach kombiniert, daß nicht zu erwarten steht, es werde immer nur ein einzelnes Kompensationsmittel, hier die Kohlensäurespannung des Blutes, in Gebrauch genommen, geschweige denn in vollem Umfange, solange der äußere Druck nicht so stark herabgesetzt wird, daß man fast die äußerste, dem Organismus erträgliche Grenze erreicht. Wie Loewy‘’) beobachtete, läßt sich der Aufenthalt in stark verdünnter Luft besser ertragen, wenn der Atmungsluft Kohlensäure beigemischt wird. Die Erklärung dieses interessanten Versuches liegt nach dem Nachweis des Einflusses der Kohlensäure auf die Sauerstoffspannung des Blutes klar zu- tage; bei Einatmung von Kohlensäure steigt die Spannung dieses Gases im Blute, mithin auch die Sauerstoffkonzentration im Plasma bei derselben Me des im gesamten Blute absorbierten Sauerstoffs. Beim Aufenthalt in stärker verdünnter Luft leidet das Allgemein- befinden; das hierbei auftretende Unwohlsein nebst körperlicher und geistiger Apathie (die Bergkrankheit) entwickelt sich um so leichter, je größere An- sprüche an die Sauerstoffaufnahme gestellt werden, wie es z. B. bei gesteigerter !) Compt. rend. de l’acad&mie des sciences 133, 949, 1901; vgl. ebenda 134, 1255, 1902. — *) Ebenda 133, 1036, .1901. — °) Arch. ital. de biol. 39, 387, 1903. — *) Vgl. A. Loewy, J. Loewy und Zuntz, 1. c. 8. 522. — °) Resp. und Zirkul. b. Änderung des Sauerstoffdruckes. Berlin 1895, 8. 21. Respiratorischer Gaswechsel bei verminderten Sauerstoffdrucken. — Akapnie. 915 Muskelarbeit der Fall ist. Die Symptome sind ziemlich wechselnd, und die individuelle Disposition ist sehr verschieden; wegen der näheren Verhält- nisse hierbei müssen wir aber auf die Spezialliteratur verweisen, besonders auf die Arbeiten von P. Bert!) und Mosso?) über die Bergkrankheit. Diese krankhaften Zustände sind, primär wenigstens, dem Mangel an Sauerstoff zu verdanken, da sie bei jedem hinlänglichen Abnehmen des Partialdruckes dieses Gases erscheinen. Mosso nimmt an, daß auch eine vermehrte Kohlen- säureausscheidung (Akapnie), die eine Verarmung des Blutes an Kohlensäure verursache, bei der Bergkrankheit wesentlich mitbeteiligt sei. Die Momente, die als hierfür sprechend angeführt werden, nämlich die geringere Kohlen- säuremenge des Blutes beim Aufenthalt in stark verdünnter Luft und die oben genannte günstige Wirkung von Kohlensäureinhalationen unter solchen Verhältnissen, sind jedoch nicht beweisend®). Die Kohlensäuremenge des Blutes ist nämlich, wie oben besprochen, für die Kohlensäurespannung nicht entscheidend, die doch den hier in Betracht kommenden Faktor bildet, und Kohlensäureinhalationen wirken günstig, selbst wenn die Menge und die Spannung der Kohlensäure im Blute den normalen Wert haben. Die Frage nach der Bedeutung der Akapnie für die Bergkrankheit kann deshalb nicht als entschieden betrachtet werden. Zu bemerken ist übrigens, daß eine Ver- minderung der Kohlensäurespannung des Blutes den neueren Untersuchungen zufolge (S. 91) eine Abnahme der Konzentration des Sauerstoffs im Plasma bewirkt; die Folge der Mossoschen Akapnie würde deshalb Mangel an Sauer- stoff um die Gewebszellen herum sein, und auch bei Akapnie würde das wesentliche Moment Mangel an diesem Gase werden. Auf welche Weise die obengenannten krankhaften Symptome durch Mangel an Sauerstoff in der umgebenden Atmosphäre hervorgerufen werden, ist Gegenstand lebhafter Debatte gewesen. Die nächste Ursache sind ohne Zweifel in vielen Fällen Anomalien des Stoffwechsels, die direkt von einem Mangel an der für den normalen Verlauf der Gewebsrespiration hinlänglichen Konzentration des Sauerstoffs des Plasmas herrühren. Auch ein anderes, bisher weniger beachtetes Moment ist aber ohne Zweifel von Bedeutung. Aus dem oben Dargestellten geht hervor, daß der Aufenthalt in verdünnter Luft, selbst wenn das Individuum in äußerer Ruhe bleibt, dennoch dem Organismus eine in verschiedenem Grade vermehrte Arbeit verschafft, teils durch .die verstärkte Herztätigkeit, teils, und wohl nicht zum wenigsten, durch die intensivere Zellentätigkeit, welche die kompensatorischen Bestrebungen sowohl hinsicht- lich der äußeren als der inneren Respiration hervorrufen. Wie die Unter- suchungen über die Speichelsekretion ergeben haben ®), läßt sich rücksichtlich der Drüsenzellen ein durch übermäßige Arbeit erzeugter Zustand der Ermüdung konstatieren, so daß dieselbe Reizung nicht mehr imstande ist, eine so ent- schiedene Wirkung hervorzubringen, und daß übermäßige Ermüdung der Zellen Unwohlsein und Apathie zu erregen vermag, ist ja eine allgemeine Erfahrung aus körperlicher und geistiger Überanstrengung. Die Annahme liegt nun nahe, daß auch Überanstrengung derjenigen Zellen, die wie die Lungenzellen während des Aufenthaltes im luftverdünnten Raume bei der Regulation des !) Pression baromeötrique. - Paris 1878. — ?) Der Mensch auf den Hochalpen. Leipzig 1899. — °?) Vgl. Loewy, Arch. f. Physiol. 1898, 8.409. — *) Vgl. Heiden- hain, Hermanns Handt. d. Physiol. 5, 47. 216 Respiratorischer Gaswechsel bei erhöhten Sauerstoffdrucken. respiratorischen Prozesses tätig sind, Störungen des Allgemeinbefindens her- vorrufen könnten, ohne daß es hierbei immer so weit zu kommen brauchte, daß die Gewebsrespiration wirklich Mangel an Sauerstoff litte.e Für das Vorhandensein eines solchen Ermüdungsmomentes bei der Entstehung der Bergkrankheit spricht es in hohem Grade, daß man zuweilen das Auftreten der krankhaften Symptome erst bei der Rückkehr zu tiefer ge- legenen Orten nach einem Aufenthalt in größeren Höhen gewahrt hat); auf ähnliche Weise ließe sich vielleicht auch das plötzliche Eintreten des Leidens während der nächtlichen Ruhe?) erklären. Vermehrung des Partialdruckes des Sauerstoffs. Bei Einatmung sauer- ‚stoffreicher Gasmischungen oder reinen Sauerstoffs unter atmosphärischem Drucke zeigen die Sauerstoffaufnahme und die Kohlensäureabgabe, wenigstens bei nicht gar zu langer Dauer der Versuche, keine erheblichen Abweichungen vom Normalen?). Dagegen wirkt Atmung reinen Sauerstoffs unter der Spannung von 3 bis 4 Atmosphären oder die Atmung gewöhnlicher atmo- sphärischer Luft unter der Spannung von 15 bis 20 Atmosphären, wie P. Bert) beobachtet hat, schnell tötend, indem der Tod unter starker Ab- nahme des respiratorischen Stoffwechsels, Sinken der Temperatur und Kon- vulsionen eintritt. Diese giftige Wirkung des hochgespannten Sauerstoffs _ ist allen tierischen und pflanzlichen Organismen gemein; welche dem Leben ‚unentbehrlichen Vorgänge hierdurch betroffen werden, ist uns aber nicht bekannt. Bei länger fortgesetzter Einwirkung kann Sauerstoff von einer Spannung, die sogar etwas niedriger ist als die einer Atmosphäre, auf organische Vorgänge nachteilig wirken, z. B. auf die Entwickelung von Insekteneiern 5). Die sauerstoffbefördernde Funktion der Lungenzellen, die ja der Wirkung des Sauerstoffs am unmittelbarsten ausgesetzt sind, wird, wie Lorrain Smith) durch Versuche besonders an Mäusen gezeigt hat, schon durch einige Stunden fortgesetzte Einwirkung des Sauerstoffs unter der Spannung von etwa 2 Atmosphären geschädigt, so daß sie später, wenn das Tier atmosphärische Luft atmet, nicht imstande ist, die Sauerstoffspannung des Blutes bis auf den Wert zu erheben, der sonst bei Untersuchungen nach der Kohlenoxydmethode beobachtet wird (S. 150); bei länger fortgesetzter Einwirkung des Sauerstoffs entwickelte sich eine Pneumonie. Wie zu erwarten stand, erwies sich die Widerstandsfähigkeit der Lungenzellen gegen die giftige Wirkung als individuell verschieden. Vermehrung des Partialdruckes der Kohlensäure’). Bei Einatmung einer Luft mit verhältnismäßig geringer Vermehrung des Kohlensäuregehalts (bis etwa 5 Proz.) läßt sich der Stoffwechsel, sowohl die Kohlensäureabgabe als die Sauerstoffaufnahme, in normalem Umfange erhalten, wobei die Menge der geatmeten Luft etwas vermehrt wird. Obschon !) Times, Weekly Edit., London 1904, p. 232 (8. April). — ?) Vgl. Mosso,l. e. 8. 260. — °?) Vgl., ebenfalls was die Spezialliteratur betrifft, Durig, Arch. f. Phys. 1903, 8. 209. — *) Pression barom. Paris 1878, p. 764f. — °) Bert, 1. c. p. 841. — *) Journ. of Physiol. 22, 307, 1898. — 7) Vgl. Speck, Menschl. Atm. Leipzig 1892, 8.128; Loewy, Pflügers Arch. 47, 601, 1890; Haldane und Smith, Journ. of Path. and Bacter. 1 (1892). “ 2 ce Respiratorischer Gaswechsel bei Änderung des Kohlensäuredruckes. 217 solche kleineren Kohlensäureprozente in der Atmosphäre insofern eine Stimu- lation der Lungenarbeit bewirken, als sie eine größere Spannungsdifferenz zwischen Blut- und Alveolengas hervorrufen (S. 147), so bewirken sie doch, wie aus den oben angeführten Versuchen mit besonderer Untersuchung der Respiration jeder Lunge für sich (S. 209) zu ersehen ist, keine Ver- mehrung der Kohlensäureausscheidung; wo man bei Kohlensäureeinatmungen zuweilen eine Zunahme der Kohlensäureausscheidung gefunden hat, ist das daher einer, wohl wesentlich durch die vermehrte Tätigkeit der Atmungs- muskulatur bewirkten, gesteigerten Kohlensäureproduktion zuzuschreiben. Bei fernerer Vermehrung des Partialdruckes der Kohlensäure wird in erster Linie die Kohlensäureausscheidung, später auch die Sauerstoffaufnahme ab- nehmen. Genaue Regeln für die Abnahme der Kohlensäureausscheidung bei Vermehrung der Spannung in der: Einatmungsluft lassen sich individueller Verschiedenheiten wegen nicht geben} durchweg wird aber schon bei einem Gehalt von weniger als 10 Proz. Kohlensäure die normale Ausscheidung sich nicht unterhalten lassen. Wo nur die eine Lunge kohlensäurehaltige, die andere dagegen atmosphärische Luft atmet, tritt das Aufhören der Kohlen- säureausscheidung bei einem Gehalt von etwa 15 Proz. CO, in der Einatmungs- luft ein (S. 209). Bringt man ein Tier in einem abgegrenzten, mit reinem Sauerstoff an- gefüllten Raume unter, so wird selbstverständlich das Kohlensäureprozent all- mählich steigen; zuletzt tritt der Tod nach vorhergehender Narkose durch Kohlensäufevergiftung ein, während Sauerstoff noch in reichlicher Menge vorhanden ist. Bei solchen Versuchen !), wo das Kohlensäureprozent der umgebenden Atmosphäre fortwährend steigt, nimmt die Kohlensäureabgabe allmählich ab, während die Menge und die Spannung der Kohlensäure im Blute zunehmen. Unmittelbar vor Eintritt des Todes steigt jedoch wieder die Kohlensäureabgabe konstant, während die Menge dieses Gases im Blute abnimmt (P. Bert?). Ob diese Erscheinung durch eine Steigerung der spe- zifischen Tätigkeit der Lungenzellen, wodurch während Abnahme der Spannung im Blute Kohlensäure aus dem Blute hinausbefördert wird, oder durch eine Säurebildung, wodurch die kohlensauren Salze dekomponiert werden und die somit vermehrte Spannung die Ausscheidung einer größeren Menge Kohlen- säure bewirkt, zu erklären ist, läßt sich durch die vorliegenden Versuche nieht entscheiden. Bei Säugetieren tritt der Tod gewöhnlich bei etwas mehr als 30 Proz. Kohlensäure in der umgebenden Atmosphäre ein; das Blut kann bei Hunden dann etwa 120 Vol.-Proz. Kohlensäure enthalten (P. Bert). Vierter Abschnitt. Haut- und Darmatmung. Fötale Atmung. Die Hautatmung. Durch .die Haut werden Wasserdämpfe und Kohlen- säure ausgeschieden und Sauerstoff aufgenommen. Die Menge der aus- geschiedenen Wasserdämpfe, deren direkte Bestimmung erst Lavoisier und Seguin) gelang, ist den verschiedenen Verhältnissen gemäß sehr schwankend, ») P. Bert, 1. c. p. 982. — ?) 1. c. p. 1025. — ®) l. c. p.996. — *) Lavoisier, Oeuvres 2, 704, Paris 1862. 918 Haut- und Darmatmung. ° wie in anderen Abschnitten dieses Handbuches näher behandelt wird; die durchschnittliche Menge ist auf 1000 bis 2000g pro 24 Stunden anzu- schlagen. Die Kohlensäureausscheidung durch die Haut des Menschen wurde zuerst von Scharling!), später von mehreren anderen Untersuchern be- stimmt; nach verbesserten Methoden findet Schierbeck?) ihre Menge als etwa 9g pro 24 Stunden, mithin etwas weniger als 1 Proz. der gesamten Kohlensäureausscheidung. Wenn bei höheren Temperaturen Schweißsekretion eintritt, nimmt die Menge bis 30g pro 24 Stunden zu (Schierbeck). Das Verhältnis zwischen den Volumina der durch die Haut ausgeschiedenen Kohlen- säure und des ebenso aufgenommenen Sauerstoffs (T) findet man durch Bestimmungen an begrenzten Teilen der Hautoberfläche als durchschnittlich etwa 2,4 (Gerlach); diese Größe kann indes bedeutend schwanken, gewöhn- lich ist die Sauerstoffaufnahme aber weit geringer als die Kohlensäureaus- scheidung. Versuche von Zuntz, Lehmann und Hagemann) ergeben, daß Pferde durch die Haut etwa 2,5 Proz. der totalen Kohlensäureproduktion ausscheiden, verhältnismäßig also etwas mehr als der Mensch. Bei den nackten Amphibien ist die Hautatmung intensiver Er spielt eine größere Rolle für den ganzen Atmungsprozeß, wie es hinsicht- lich der Frösche in einem früheren Abschnitte ausführlich besprochen wurde (siehe 8. 160). Beim Aale wurde die Atmung durch die Haut als von ziem- lich bedeutender Größe befunden (Krogh°), während sie sonst um Fischen durchweg gering zu sein scheint. Folgende Tabelle nach Krogh ®) gibt eine Übersicht über die Haut- atmung pro Stunde und Quadratdecimeter Hautoberfläche bei verschiedenen Tieren; die Gasmengen sind in Cubikcentimetern ausgedrückt. 0, 00, Berechnet nach Maxim. | Mittel Maxim. | Mittel | Versuchen von Mensch... .. us — 0,50 e 1,18 Gerlach MenKoh-- er _ — 3,1 0,94 Schierbeck Wanbe.. 2 Ar 0,92 0,47 1,1 0,60 Krogh Schildkröte, 047, 0,1 — 0,15 —_ „ Bana.fusea: .v. % Wuatz 1,8 1,51 5,3 3,0 5 Rana esculenta. .... 2,1 1,62 4,4 3,1 = EEE it 1,05 0,74 un _ - Nach Kroghs in einem früheren Abschnitte angeführten Untersuchungen (S. 162) ist anzunehmen, daß die Hautatmung — im Gegensatz zur Lungen- atmung — einem einfachen Diffusionsprozeß zwischen dem Blute und. der umgebenden Atmosphäre zu verdanken ist. Die Darmatmung. Bei Warmblütern hat die Darmatmung keine beson- dere respiratorische Bedeutung; aus der mit dem Speichel verschluckten atmo- !) Kgl. Danske Vid.-Selsk. Skrifter und Journ. f. prakt. Chem. 26, 454, 1845. — ?) Arch. f. Physiol. 1893, 8. 116. — °) Arch. f. Anat., Physiol. u. wissensch. Med. 1851, 8. 431. — *) Arch. f. Physiol. 1894, 8. 351. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 16, 348, 1904. — °) Ebenda 8. 356. Eee EEE ee ei Darmatmung. — Fötale Atmung. 319 sphärischen Luft wird der Sauerstoff nach und nach durch die Wände des Ver- dauungstraktes hindurch aufgenommen, ebenso wie einige Kohlensäure aus dem Blute in den Darmkanal oder umgekehrt diffundieren kann, je nachdem der prozentige Gehalt an Kohlensäure, die beim Verdauen in verschiedener Menge gebildet wird, im Darmkanale mehr oder weniger reichlich ist. Wasserstoff und Kohlenwasserstoff, die sich bei Umsetzungsprozessen im Darme bilden, können von hier ins Blut diffundieren und in verhältnismäßig geringer Menge durch die Lungen ausgeschieden werden. Übrigens verweisen wir mit Bezug auf die Zusammensetzung der Gase des Darmkanals, die mit der Diät variieren, auf den Abschnitt von der Verdauung. Das Vorhandensein einer wirklichen Sekretion von Kohlensäure im Ventrikel während der Verdauungsperiode wies Schierbeck!) nach. Die hierbei auftretenden Kohlensäurespannungen im Ventrikel, die mit der In- tensität der Ventrikelarbeit variieren, werden. durch Pilokarpin gesteigert, durch Nikotin herabgesetzt und können eine Höhe von etwa 140 mm erreichen, mithin den Wert der CO,-Spannungen im normalen Blute erheblich über- steigen. Bei gewissen Fiscken findet sich eine eigentliche Darmatmung, so beim Cobitis fossilis, wo die verschluckte Luft kurz darauf per anum abgegeben wird und dann bedeutend weniger Sauerstoff (etwa 12 Proz.) und mehr Kohlensäure (etwa 0,8 Proz.) enthält (Baumert?). Bei diesem Fische scheint der Mitteldarm durch sehr starke Entwickelung des Kapillarnetzes der Wände und durch die Bildung eines eigentümlichen Epithels der respiratorischen Funktion angepaßt zu sein). Die fötale Atmung. Im Gegensatz zu der früher allgemein herrschenden Ansicht haben die Untersuchungen der letzteren Jahre gezeigt, daß der Stoff- wechsel des Embryos während des größten Teiles der Entwickelung fast von derselben Intensität (Größe pro Kilogramm und Stunde) ist wie der des Muttertieres und während der frühen Perioden sogar noch intensiver ®). Der Stoffwechsel des Fötus besteht bei Vögeln wesentlich in einer Um- setzung von Fett, bei Säugetieren in einer Umsetzung von Ponmarural (Bohr). Der Gasaustausch geschieht, was das Vogelei betrifft, durch die für Diffusion leicht durchgängige Schale hindurch (Hüfner®); inwiefern beim Eintreten in das Blut die Diffusion allein oder eine spezifische Zellentätig- keit bestimmend ist, konnte bisher nicht untersucht werden. Für die Sicherung einer Versorgung des Embryos mit Sauerstoff in der frühesten Entwickelungs- periode ist wahrscheinlich die in allgemein biologischer Beziehung interessante, von Hasselbalch’?) nachgewiesene Sauerstoffabspaltung im Ei gleich beim Anfang der Bebrütung von Bedeutung. ) Skand. Arch.‘ f. Physiol. 3, 437, 1891 und 5, 1, 1895. — ?°) Chem. Unters. d, Respir. des Schlammpeizgers. Breslau 1855. — *) Vgl. Lorent, Arch. f. mikroskop. Anat. 15, 429, 1878 u. Paneth, Zentralbl. f. Physiol. 2, 485 u. 631, 1889. — *) Vgl. Bohr u. Hasselbalch, Skand. Arch. f. Physiol. 10, 149, 1900; Hasselbalch, ebenda 8. 353; Bohr, ebenda 8. 413; Tangl, Pflügers Arch. 93, 327, 1903; Bohr u. Hasselbalch, Skand. Arch. 14, 398, 1903; Bohr, ebenda 15, 34, 1903. — °) Ebenda 11, 23, 1903. — °) Arch. f. Physiol. 1892, 8. 467. — 7) Skand. Arch. f. Physiol. 13, 170, 1902. 220 Gewinnung der Blutgase durch Auspumpen. Der respiratorische Stoffwechsel des Säugetierembryos geschieht durch Austausch von Gasen mit dem Muttertiere mittels der Placenta. Die hier stattfindende Aufnahme von Sauerstoff im Blute des Embryos bewirkt den übrigens gewöhnlich nicht sehr bedeutenden Unterschied der Farbe zwischen dem Blute der Arteria umbilicalis und dem der Vena umbilicalis, welches letztere heller ist. Der im Vergleich mit der Arterie größere Sauerstoffgehalt und geringere Kohlensäuregehalt der Vene geht ferner aus den von Cohn- stein und Zuntz!) ausgeführten direkten Bestimmungen hervor. Während der Asphyxie des Muttertieres dringt umgekehrt der Sauerstoff mittels der Placenta aus dem Embryo in die Mutter, und das Blut der Umbilicalvene wird dunkler als das der Arterie (Zuntz?). Da in diesem Falle die Richtung, in welcher der Sauerstoff bei dem angeführten Versuche wandert, von der Größe der Sauerstoffspannung abhängt, ist es anzunehmen, daß zwi- schen den Gasen im Blute des Embryos und dem der Mutter in einer ge- wissen Ausdehnung Diffusion stattfindet; ob dieser Diffusionsprozeß aber der wichtigste Faktor für den Gaswechsel ist, oder ob zugleich in der Placenta eine Gassekretion vorgeht wie in der Lunge, ist noch unaufgeklärt und sehr fraglich. Ebensowenig sind die anderen Verhältnisse hinsichtlich der respiratorischen Funktion der Placenta bisher näher untersucht worden. Es wäre ja sehr wohl möglich, daß die respiratorischen Vorgänge zum Teil nicht im Gewebe des Embryos beendigt würden und daß intermediäre Stoff- wechselprodukte aus dem Embryo in die Placenta geführt würden, um ent- weder hier umgesetzt zu werden, oder vielleicht um dem Blute der Mutter zugeführt zu werden, wo sie dann erst die endliche Umbildung in Kohlen- säure erlitten. Über diese für die Respiration des Embryos fundamentalen Fragen liegen jedoch, wie bemerkt, noch keine Untersuchungen vor. Anhang. Einige Bemerkungen über die Gewinnung der Blutgase mittels Evakuierens des Blutes. Zum Auspumpen des Blutes ist eine Pumpe nacn Hagens System (siehe Fig. 25) absolut vorzuziehen, da eine solche teils, was natürlich das Wichtigste ist, ein weit besseres Vakuum gibt als die früher von den meisten Physiologen be- nutzten Hahnenpumpen, teils Verunreinigung des Quecksilbers durch Hahnschmiere ausschließt. Ein Volumen der Pumpenkugel von etwa 500cem ist gewöhnlich am bequemsten zu handhaben; mittels eines solchen werden Flüssigkeiten wenigstens ebenso schnell evakuiert als mittels des gewöhnlich angewandten Volumens von 1 Liter, da in ersterem Falle das Füllen der Kugel mit Quecksilber und deren Ent- leerung um so rascher geschehen. Sehr zweckmäßig ist es, zur Bewegung des Quecksilbers Wasserdruck (jedoch kein automatisches Pumpen, welches sich nicht für Blutgasauspumpung eignet) zu benutzen, indem der Raum oberhalb des Queck- silbers im Behälter d völlig mit Wasser angefüllt wird; der Hahn «a steht mit der Wasserleitung in Verbindung, und durch Öffnen desselben wird das Quecksilber in den Pumpenbehälter hinaufgedrückt; es sinkt, wenn man den Hahn b öffnet, der nach einem hinlänglich weiten Abfluß führt; durch den Trichter ce, dessen 1) Pflügers Arch. 34, 206, 1884. — *) Ebenda 14, 612, 1877, u lich etwas bequemer und bewirkt keine Blutgaspumpe. ; 2331 langer Kautschukschlauch in d hinabführt, kann nötigenfalls Quecksilber in den Behälter nachgefüllt werden; Wasser schleicht sich aus d nicht in die Pumpenkugel hinein, wenn die Pumpenröhre, wie aus der Figur (x) ersichtlich, im Inneren von d eine kleine Strecke aufwärts geführt wird. Auf diese Weise kann das Pumpen viel rascher geschehen, als wenn man, wie gewöhnlich, den Behälter d hebt und senkt, zugleich aber auch mit großer’ Sicherheit, indem das Steigen des Queck- silbers augenblicklich stockt, wenn man a schließt; ferner hält das Quecksilber in der Pumpe sich hierdurch jahrelang Fi g. 25. rein, da es nicht mit dem sonst ge- bräuchlichen langen Kautschukschlauch in Berührung kommt, der es stets nach Verlauf einiger Zeit verunreinigt. Damit die Bestimmung der Menge der Gase genau werde, muß die zu evakuierende, im Rezipienten s ange- brachte Flüssigkeit energisch geschüttelt und auch erwärmt werden, zugleich muß man Sorge tragen, daß der Stoff- wechsel der in der Flüssigkeit ent- haltenen Mikroben verhindert wird, am besten durch Zusatz von Fluornatrium. Wenn, wie in den älteren Versuchen, der Stoffwechsel der Mikroben nicht gehemmt wird, so wird während des Auspumpens Sauerstoff in wechselnder Menge verbraucht, und zwar unter sonst gleichen Umständen um so mehr, je länger das Auspumpen dauert; rasches und langsames Auspumpen ergeben dann also verschiedene Sauerstoffmenge des Blutes (vgl. 8. 196). Das Schütteln läßt sich so aus- führen; daß man den Rezipienten nach einer früher anderswo angegebenen Methode mit der Pumpe verbindet, wo- durch man ein gleichzeitiges Eindringen atmosphärischer Luft von außen her absolut verhindert!). Ein energisches Hin- und Herschütteln läßt sich aber auch durch Drehung des mit der Hand am Schliffe n’ (siehe d. Fig.) erfaßten Rezipienten erzielen, wie es bei ge- wöhnlichen Auspumpungen empfohlen werden kann; dieses Verfahren ist näm- Undichtheit, wenn der Schliff und die Schmiere gut sind. Längere Kautschuk- schläuche, die von einzelnen Untersuchern zur Verbindung des Rezipienten mit der Pumpe benutzt wurden, gewähren nicht die Sicherheit hinlänglicher Luftdichtigkeit. Jedenfalls ist das Schütteln, besonders gegen Ende des Auspumpens, sehr energisch und stetig auszuführen, sonst kann die Pumpe leer scheinen, während die Flüssigkeit im Rezipienten noch Gas enthält. Was die Erwärmung betrifft, so wirkt diese, wenn Blut oder Hämoglobin- lösung ausgepumpt wird, zur Steigerung der Spannung der. dissoziablen Gase; wesentlichere und allgemeinere Bedeutung hat sie aber für die Vermehrung der Wasserdampftension im Rezipienten, wodurch ein ununterbrochener Strom von !) Bohr u. Torup, Skand. Arch. f. Physiol. 3, 72, 1891. 222 Blutgaspumpe. Dampf das Gas mit sich in die Kühlröhre (r) und von hier, wo die Tension zwar herabgesetzt wird, jedoch stets viel höher als über dem Schwefelsäurebehälter (z) ist, in die Pumpe selbst reißt, wenn man den Hahn (t) öffnet. Beim Arbeiten mit Pumpen, die nicht mit einem Schwefelsäurebehälter versehen sind, hat die Erwärmung selbstverständlich noch größere. Bedeutung; wird die Wasserdampf _ tension in der Pumpe nämlich höher als im Rezipienten, so geht ein Strom von Wasserdampf aus ersterer in letzteren, und das sehr verdünnte Gas oberhalb der Flüssigkeit im Rezipienten kann dann nur sehr langsam (mittels Diffusion) in die Pumpe eindringen, so daß diese, praktisch betrachtet, leer wird, lange bevor die Flüssigkeit ausgepumpt ist. Hierdurch erklärt es sich, weshalb P. Bert‘) mit seiner Pumpe keinen Sauerstoff aus dem Blute auszupumpen vermochte, wenn er den Rezipienten auf 0° abgekühlt hielt, was er mit Unrecht (siehe S. 66) daraus her- leitete, daß das Blut bei dieser Temperatur keine Sauerstoffspannung haben sollte. In der Tat läßt Blut, wie ich direkt versucht habe, bei der Temperatur von 0° sich völlig auspumpen, wenn man nur die Pumpe durchaus trocken hält, was nötigenfalls durch mehrmaliges Wechseln der Schwefelsäure während des Aus- pumpens geschehen kann. Ist die Schwefelsäure in der Pumpe nicht gar zu wasserhaltig, so braucht die Erwärmung, um das Auspumpen in kurzer Zeit beendigen zu können, etwa 40° im Wasserbade um den Rezipienten nicht zu übersteigen; in diesem ist sie wegen der lebhaften Verdampfung dann etwas niedriger (20 bis 30°). Hierdurch erzielt man den Vorteil, daß selbst leicht dekomponierbare Stoffe wie das Hämo- globin sich während des Auspumpens nicht verändern. . Technisehe Fortschritte in der Verarbeitung von Hähnen und Schliffen haben bewirkt, daß man die Pumpe bei sorgfältiger iBehandlung praktisch genommen weit über die Dauer eines Versuches hinaus luftdicht halten kann; hierfür sollte man immer Sorge tragen, um dadurch die sehr unsichere Korrektion wegen der von außen eingedrungenen atmosphärischen Luft zu vermeiden. !) Pression barome6trique. Paris 1878, p. 694. Allgemeine Physiologie des Herzens F. B. Hofmann. Bezüglich der älteren Literatur ist im folgenden unter dem Schlagwort Tiger- stedt vielfach auf Tigerstedts Lehrbuch der Physiologie des Kreislaufs, Leipzig 1892, verwiesen. — Sächs. Ber. = Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. (darin die Arb. a. d. physiol. Anst. zu Leipzig 1866 bis 1875). Automatie des Herzens und seiner Teile. Das aus dem Körper heraüsgeschnittene Herz der Kaltblüter vermag, wenn man es vor allzu großen Schädigungen (Austrocknen, extremen Tempe- raturen) schützt, viele Stunden lang regelmäßig und mit normaler Schlagfolge der einzelnen Herzabteilungen weiter zu schlagen. Auch das im Körper be- lassene Herz schlägt nach dem Tode dieser Tiere (nach der Zerstörung des Zentralnervensystems) noch lange Zeit fort. Ähnlich widerstandsfähig verhält sich das embryonale Herz von Warmblütern. Das Herz der erwachsenen Warmblüter schlägt nach dem Tode der Tiere sich selbst überlassen nur noch kurze Zeit, doch kann man das schon tagelang stillstehende Herz von Warm- blütern außerhalb des Körpers wieder zum Schlagen bringen, wenn man die Koronararterien mit geeigneten Lösungen durchströmt!) (siehe unten S. 247, Ernährung des Herzens). Das spontane Weiterschlagen ausgeschnittener Herzen läßt sich nun nicht etwa auf eine durch die abnormen Bedingungen gesetzte Reizung zurückführen, denn alte und neue Versuche haben gezeigt, daß auch das unberührte, im Tier belassene Herz selbst dann noch ganz regelmäßig weiter schlägt, wenn alle seine nervosen Verbindungen mit dem Zentralnervensystem zerstört oder das letztere völlig abgetötet ist2). Das Herz trägt also alle Bedingungen, die zum regelmäßigen, rhythmischen ‘) Kuljabko, Pflügers Arch. 90, 461 (hier Literatur); Zentralbl. f. Physiol. 16, 330, 1902. H. E. Hering, Pflüg. Arch. 99, 245, 1903. — ?) Eine ausführliche Zu- sammenstellung der älteren unvollkommenen Versuche darüber bei A. v. Bezold, Untersuchungen über die Innervation des Herzens, 1, 4 ff., 1863. Neuerdings haben H. E. Hering (Pflügers Arch. 60, 478, 1895) Kaninchen nach Durchschneidung der Vagi und Ausreißung der Accelerantes tagelang, H. Friedenthal (Engelmäanns Arch. 1902, 8. 135) Kaninchen und einen Hund nach Durchschneidung aller Herz- nerven monatelang am Leben erhalten. Isolierung des unberührten Herzens mit dem Lungenkreislauf (wobei das Zentralnervensystem abstirbt, künstliche Atmung) von N. Martin (Philos. Transaet. 174B, 666, 1883) und anderen, zuletzt H. E. Hering (Pflügers Arch. 82, 163, 1898) und Bock (Arch. f. exp. Path. 41, 160, 1898). 224 Schlagfolge der einzelnen Herzabteilungen. Schlagen und zu einer koordinierten Schlagfolge der einzelnen Herz- abteilungen notwendig sind, in sich selbst, es besitzt die Fähigkeit der Automatie, worunter hier bloß verstanden werden soll die Fähigkeit des Herzens, ohne Zuführung besonderer äußerer Reize, speziell der sog. all- gemeinen Nervmuskelreize, in Erregung zu geraten !). Automatie in diesem Sinne kommt nicht allen Teilen des Herzens in gleicher Weise zu. Die hierher gehörigen Tatsachen sind zunächst sehr gründlich am Kaltblüterherzen (insbesondere dem des Frosches), erst später auch am Säugetierherzen studiert worden. Da es somit bei der Erörterung dieser Frage unvermeidlich ist, auf die prinzipiell wichtigen Experimente am Kaltblüterherzen genauer einzugehen, sei daran erinnert, daß die Hohlvenen bei den niederen Wirbeltieren (Fische bis Reptilien) in einen. besonderen Hohlraum, den Venensinus, einmünden, welcher durch das Sinusvorhofostium bei den Fischen in den ungeteilten Vorhof, bei den Amphibien und Reptilien in den rechten Vorhof einmündet. Bei den letzteren mündet in den linken Vorhof die Pulmonalvene. Bei der normalen Schlagfolge schlägt der Venen- sinus zuerst, auf die Sinuskontraktion folgt nach einer kleinen Pause die Systole des oder der Vorhöfe und wiederum nach einer kleinen Pause die Systole des ungeteilten oder unvollkommen geteilten Ventrikels. Bei manchen Tierklassen erfolgt ganz zuletzt noch die Kontraktion des Anfangsteiles der Aorta, des Bulbus cordis. Bei den Vögeln und Säugetieren beginnt die Kontraktion an der Einmündungsstelle der großen Venen ins Herz, breitet sich von hier aus sehr rasch über beide Vorhöfe aus, die sich gleichzeitig kontrahieren, worauf sich nach einer kleinen Pause beide Herzkammern gleich- zeitig zusammenziehen. Daß die Reihenfolge der Kontraktionen in der be- schriebenen Weise vor sich geht, kann man am besten sehen nach einem künstlich, z. B. durch Vagusreizung erzeugten Stillstande, oder am abgekühlten, selten schlagenden Herzen. Die Stellen, an welchen die Kontraktion normalerweise beginnt, pulsieren am absterbenden Herzen in der Regel am längsten (Sinus beim Froschherzen, letztes Stück der Hohl- und Pulmonalvenen am Säugetierherzen®). Dies rührt zum. Teil wohl daher, daß die Erregungsleitung beim Absterben stark leidet. Doch schlägt auch der vom Sinus abgeschnittene Vorhofventrikel (nach Stannius; siehe das Folgende!) nicht so lange fort wie der Sinus?). Über den Grund, warum die normale koordinierte Schlagfolge des Herzens vom venösen gegen das arterielle Ende hin fortschreitet, erhält man Aufklärung, wenn man den physiologischen Zusammenhang des Sinus mit den darunter liegenden Herzabschnitten aufhebt. Der Versuch ist zuerst von Stannius#) in der Weise ausgeführt worden, daß er am Froschherzen eine Fadenschlinge so um die Vorhöfe legte, daß der Sinus oberhalb der Schlinge lag. Wird die Schlinge fest zugezogen, so schlägt der Sinus, wenn die un- !) Vgl. dazu Langendorff, Du Bois’ Arch. 1884, Suppl. S. 44 und Ergebn. d. Physiol. 1 (2), 322 ff., 1902, ferner Tigerstedt, 8. 171. — ?) Literatur über letzteres bei Engelmann, Pflügers Arch. 65, 540, 1897. Vgl. auch H.E.Hering, ebenda 82, 22 ff., 1900. — ®) Bidder, Du Bois’ Arch. 1866, 8. 20. — *) Müllers Arch. 1852, 8. 85 ff. Vorher hatte Ähnliches Volkmann (ebenda 1844, 8..426), gleichzeitig Bidder (ebenda 1852, 8. 167) beobachtet. Über diesen Versuch hat sich eine ausgedehnte Literatur entwickelt (zusammengestellt bei Loewit, Pflügers Arch. 23, 313 ff,, 1880), die vielfach nur noch historisches Interesse besitzt. Jr; du EEE Erste Stanniussche Ligatur. 225 mittelbare Folge des Quetschreizes (kurze Hemmungswirkung) abgeklungen ist, im früheren Tempo weiter, die unterhalb des Fadens befindlichen Herz- abschnitte stehen still. Ganz ähnlich wie diese sog. „erste Stanniussche Ligatur“ wirkt eine quere Durchschneidung der Vorhöfe unterhalb der Sinusgrenze. Die Angabe von Stannius (l. c.), Heidenhain') und anderen, daß an der Sinusvorhofgrenze der Schnitt weniger sicher wirke als die Ligatur, ist wohl darauf zurückzuführen, daß die Ligatur eine breite Stelle quetscht, daher so wirkt, wie ein Schnitt unterhalb der Sinusgrenze?),. Wird nämlich der Schnitt möglichst genau in der äußerlich sichtbaren Grenzlinie zwischen Sinus und Vorhof geführt, so erfolgt gar kein oder höchstens ein äußerst kurz dauernder Stillstand. Der lange Stillstand tritt erst auf, wenn der Schnitt etwas von dieser Grenze weg im Vor- hofsgebiet geführt wird ?). Vorhof und Ventrikel des Kaltblüterherzens stehen nach der Abtrennung vom Sinus in der Regel nicht dauernd still, sondern beginnen zumeist, wenn sie vor Erstickung bewahrt bleiben, wieder spontan zu schlagen), aber in viel langsamerem Tempo als der Sinus. Die Dauer des Stillstandes ist außer- ordentlich verschieden, manchmal fehlt er ganz. Insbesondere variiert seine Dauer je nach der Tierspezies. Beim Frosch ist er in der Regel sehr lang, bei der Schildkröte dauert er gewöhnlich nur !/, bis !/; Stunde. Wird bei diesem Tiere Blut durch die Koronararterien geleitet, oder träufelt man Atropin auf die Atrioventrikulargrenze, so erfolgt nach der Abtrennung der Kammer vom Sinus gar kein Stillstand (Gaskell, 1. ce. S. 59 u. 120). Beim Säugetierherzen tritt nach Abquetschung des größten Teiles der Vorhöfe von den Kammern nur ein ganz flüchtiger Stillstand der letzteren auf, sodann schlagen die Ventrikel spontan weiter, nur in etwas langsamerem Tempo als die Vorhöfe. Beim Säugetier stört also die Trennung der Vor- höfe und Ventrikel in der Hauptsache bloß die koordinierte Schlagfolge beider und setzt die Frequenz der Ventrikelkontraktionen herab’). !) Müllers Arch. 1858, 8. 482, 502. — ?) Vgl. dazu Löwit, 1. c. S. 322ff.; ähnlich schon Eckhard, Beiträge z. Anat. u. Physiol. 2, 128, 1860. — ®) Eckhard, 1. e. 8. 130; Löwit (1. e. 8. 328 ff.) für das Froschherz; Gaskell (Journ. of Physiol. 4, 50, 1883) für das Schildkrötenherz. — *) Zuerst beobachtet von Volkmann, vgl. Heidenhain, De nervis organisque central. cordis ete. Inaug.-Dissert. 1854, 8. 50. Unter Öl treten Kontraktionen nie wieder auf (Goltz, Virchows Arch. 21, 191, 1861), aber auch das unverletzte Herz stellt seine Tätigkeit unter Öl früher ein als an der Luft, wahrscheinlich wegen Erstickung. Wenn der Ventrikel frei in der Luft hängt, beginnt er auch früher zu schlagen, als wenn er einer luftundurchlässigen Unterlage aufliegt. Wird an einem mit Serum gefüllten ausgeschnittenen Herzen vom Sinus her eine Kanüle in den Ventrikel eingeführt und der Vorhof um die Kanüle fest zugeschnürt, so tritt kein Ventrikelstillstand, sondern eine „periodische“ Schlagfolge desselben auf (Luciani, Sächs. Ber. 25, 11, 1872, weiteres darüber im folgen- den!), nach Gaglio (Arch. ital. Biol. 12, 382 ff., 1889) bewirkt durch den (intrakardialen) Druck der Füllungsflüssigkeit. Wird am unverletzten Froschherz mit erhaltener Zirkulation der Vorhof quer durchquetscht, so daß der physiologische Zusammenhang mit dem Sinus zerstört ist, so vollführt -der durch das Blut aus- gedehnte Ventrikel ebenfalls periodische Kontraktionen, die aber nicht bloß auf Reizung durch den gesteigerten Innendruck zurückzuführen sind (Langendorff, Du Bois’ Arch. 1884, Suppl. 8. 59 #.)—°) v. Wittich, Königsberger med. Jahrb. 1, 18, 1859. Wooldridge, Du Bois’ Arch. 1883, 8. 522. Tigerstedt, ebenda 1884, 8. 497; Krehl u. Romberg, Arch. f. exp. Path. 30, 49, 1892. Nagel, Physiologie des Menschen, I. 15 236 Deutung des Stanniusschen Versuchs. Der Versuch von Stannius ist in zweierlei Weise gedeutet worden. Die einen!) schlossen daraus, daß normalerweise die Erregung des Herzens im Sinus ihren Ursprung nimmt und von hier aus den anderen Herzteilen zugeleitet wird. Da aber die abgeschnittenen Teile nach einiger Zeit wieder zu schlagen beginnen, nahm andererseits Heidenhain?) an, daß die Automatie allen Herzteilen in gleicher Weise zukomme, daß aber durch die Unterbindung eine starke Erregung der intrakardialen Hemmungsnerven gesetzt und da- durch die Kontraktionen der darunter liegenden Teile vorübergehend unter- drückt werden. Diese letztere Erklärung der Stanniusschen Ligatur läßt sich indessen aus folgenden Gründen nicht halten: 1. Beobachtet man bei mechanischer Reizung der extrakardialen Herznerven nie einen so anhaltenden Stillstand wie — in der Regel — beim Stanniusschen Versuch. Heidenhain war der Meinung, daß die längere Dauer des Stillstandes im letzteren Falle durch Mitreizung der Ganglienzellen im Herzen bedingt sei. Doch geht aus neueren Versuchen, in welchen die zum Ventrikel hinziehenden intrakardialen „Scheidewandnerven“ mit ihren Ganglien elektrisch gereizt wurden, hervor, daß hierbei überhaupt kein oder nur ein sehr kurzer Stillstand (durch sog. „Leitungshemmung“, siehe unten bei den Hemmungsnerven!) auftritt®). Auch gibt ein Schnitt durch den Sinus, wobei ebenfalls die intrakardialen Hemmungsnerven mitgetroffen werden, keinen dauernden, sondern nur vorübergehenden Stillstand, und Reizung der Vorhöfe macht Beschleunigung, keinen Stillstand (Löwit, 1. c. S. 329, 347 ff.). Über die angeblich bessere Wirkung der Ligatur statt des Schnittes siehe die vorige Seite! 2. Tritt der Stillstand nicht ein, wenn die Vorhofswände bloß teilweise durch- schnitten oder unterbunden werden, wenn nur eine genügend breite Muskel- brücke zwischen Sinus und Ventrikel stehen bleibt, gleichgültig ob rechts oder links, vorn oder hinten. Erst wenn diese letzte Muskelbrücke auch durchschnitten wird, erfolgt Stillstand des Ventrikels‘®). 3. Der Stillstand tritt auch auf, wenn durch Vergiftung mit Atropin die Endigungen der Hemmungsnerven gänzlich gelähmt sind und Reizung oder Ein- schnitt in den Sinus keinen Stillstand mehr gibt’). Weitere Gründe bei Engel- mann, sein Arch. 1903, 8. 505 ff. Der Versuch von Klug (Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1881, 8. 947), daß auch nach Degeneration der Vagi der Stillstand nach der ersten Stanniusschen Ligatur bestehen bleibt, beweist nichts wegen des Erhaltenbleibens der postganglionären Hemmungsfasern im Herzen (siehe unten unter Hemmungsnerven, vgl. auch Niko- lajew, Du Bois’ Arch. 1893, Suppl. 8. 73). Es bleibt also nur die erstgenannte Annahme übrig, die so zu formu- lieren wäre, daß die Automatie am besten im Sinusgebiet ausgebildet ist, daß aber auch die anderen Herzteile der Fähigkeit, automatisch zu schlagen, nicht ganz entbehren ®). !) Zuerst Eckhard, Beiträge usw. 1, 147, 1858, im Anschluß an Bidder, Müllers Arch. 1852, 8. 163 ff. — °) De nervis organisque centr. cordis etc. Inaug.- Diss. 1854, und Müllers Arch. 1858, 8. 502. — ®) F.B.Hofmann, Pflügers Arch. 60, 157 ff., 1895. — *) Gaskell (Journ. of Physiol. 4, 64ff., 1883) am Schildkrötenherzen, F. B. Hofmann (l. e. $. 146) am Froschherzen. — °) Schmiedeberg, Sächs. Ber. 22, 139, 1870. Löwit, 1. c. 8. 337. — °) Experimentelle Ansätze zu einer wirklichen Erklärung des vorübergehenden Stillstandes nach der Abtrennung vom Sinus, dahingehend, daß durch von anderer Seite her (durch künstliche Reizung des Vorhofes oder vom Sinus her) zugeleitete rhythmische Erregungen die Automatie des Ventrikels zurückgedrängt wird und nach ihrem Wegfall sich erst allmählich zur vollen Höhe erhebt, bei Gaskell (l.c. 8.120) und Hofmann (Schmidts Jahrb. 281, 120, 1904); vgl. ferner Lohmann, Engelmanns Arch. Suppl. 1904, 8. 265. u Automatie isolierter Herzteile. 337. Versuche, durch weitergehende Isolierung die Stellen, welche automatisch zu schlagen vermögen, genauer zu bestimmen, haben folgendes ergeben'): Im „Sinus- gebiet“ (im eigentlichen Sinus und im Endstück der Hohlvenen) ist die Fähigkeit, automatisch zu schlagen, allen Teilen in ungefähr gleichem Maße eigen, den Hohl- venen vielleicht in noch höherem Grade als dem Sinus?). Bleibt beim Stannius- schen Versuch nur ein kleines Stückchen Sinus mit dem Vorhofe in Verbindung, so tritt kein langdauernder Stillstand ein. Nach den oben 8. 225 erwähnten Ex- perimenten von Löwit und Gaskell kommt ein ähnlich hoher Grad von Auto- matie wohl auch der Übergangsstelle (dem Muskelring) zwischen Sinus und Vorhof zu. Die spontanen Kontraktionen des sinuslosen Froschherzens gehen, wie ins- besondere Engelmann°) durch Messungen des Zeitintervalls zwischen Vorhofs- und Ventrikelkontraktion feststellen konnte, fast immer von einer Stelle zwischen Vorhof und Ventrikel, also von der Gegend der Atrioventrikulargrenze aus. In einigen Fällen beobachtet man aber, daß der wieder schlagende, vom Sinus ab- getrennte Herzabschnitt von neuem zum Stillstand kommt, wenn man am oberen Schnittende noch ein weiteres Stück des Vorhofes abträgt*‘). Ob dies in allen Fällen darauf beruht, daß Reste vom Sinus stehen geblieben waren, wie Engel- mann (l. ce.) meint, oder ob die Vorhofsmuskulatur des Froschherzens selbst auto- matisch schlagen kann, ist noch fraglich. Die von der Ventrikelbasis abgeschnittene Herzspitze des Frosches steht ohne Zufuhr äußerer Reize dauernd still, ebenso beteiligt sich die Herzspitze am lebenden Tiere nicht mehr am Herzschlag, wenn ihr physiologischer Zusammenhang mit dem übrigen Herzen durch eine quere schmale Quetschung gelöst worden ist’). Wird die Quetschung so ausgeführt, daß Partien der Ventrikelbasis mit dem abgequetschten Ventrikelteile in Verbindung bleiben, so kann letzterer spontan schlagen‘). Beim Schildkröten- und Säugetierherzen schlagen hingegen auch isolierte Streifen oder Stücke aus der Muskulatur der Vorhöfe und Ventrikel unter geeigneten Bedingungen spontan weiter’). Beim Froschherzen pulsiert auch der isolierte Aortenbulbus spontan ®). Nimmt man als Maßstab für die Ausbildung der Automatie eines Herz- teiles die Frequenz seiner Kontraktionen nach der Isolierung, so ist die Auto- matie beim Froschherzen in allen Teilen des Sinusgebiets ungefähr gleich- mäßig und gegenüber anderen Herzteilen am besten entwickelt, d. h. diese Stellen besitzen, wenn sie isoliert werden, das frequenteste Schlagtempo. Eine geringer entwickelte Automatie — eine niedrigere Schlagfrequenz nach der !) Inwieweit etwa bei derartigen Zerstückelungen durch die Verletzung usf. abnorme Dauerreize gesetzt werden könnten, läßt sich freilich kaum bestimmen. — 2) Engelmann, Pflügers Arch. 65, 119, 1897. — °?) Sein Arch. 1903, 8. 512 ff. — *) Löwit, Pflüg. Arch. 23, 330, 342, 1880; Langendorff, Du Bois’ Arch. 1884, Suppl. 8. 99. — °) Heidenhain, De nervis org. centr. cordis etc. Inaug.-Diss. 1854, 8. 47; Bernstein, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1876, S. 385 und andere, siehe Tigerstedt, S. 157. Man quetscht am lebenden Tiere den Ventrikel mit Hilfe eines Fadens oder einer kleinen Klemmpinzette kräftig quer über die Mitte durch. Die Tiere können wochenlang am Leben erhalten werden. Bei mäßiger Erwärmung können solche Herzspitzen mitunter anscheinend spontan pulsieren (Langendorff, 1. c. 8. 38).— °) v. Vintschgau, Pflügers Arch.76, 59, 1899; 88, 575, 1902.— 7) Gas- kell (Journ. of Physiol. 4, 51ff.; Schäfers Textbook of Physiol 2, 176, 1900) für das gut ernährte Herz von Testudo graeca. [Bei anderen Arten sahen Howell und Cooke (Journ. of Physiol. 14, 219) und andere keine spontanen Kontraktionen der Ventrikelmuskulatur]; Krehl u. Romberg (Arch. f. exp. Path. 30, 64, 1892) für den rechten Ventrikel des Kaninchenherzens; Porter (Journ. of exp. med. 2, 391, 1897 und Americ. Journ. of Physiol. 1, 514, 1898) für blutdurchströmte Muskel- stücke aus dem Ventrikel des Hunde- und Kaninchenherzens, auch die Herzspitze, die abgeschnitten oder in vivo abgeklemmt ohne Blutzufuhr dauernd still steht (Langendorff, Pflügers Arch. 70, 283, 1898). — ®) Engelmann, Pflügers Arch. 29, 425, 1882. 15* 228 Ursprung der normalen Herzerregung im Sinusgebiet. Isolierung — besitzen beim Froschherzen die Atrioventrikulargrenze und der Bulbus cordis, vielleicht auch die Vorhöfe, keine Automatie (wenigstens unter gewöhnlichen Umständen) die Herzspitze. - Beim Säugetier ist die Automatie der Vorhöfe besser entwickelt als die der Kammern, doch besitzen auch Stücke der letzteren noch automatische Fähigkeit. Stehen die einzelnen Herzteile miteinander in physiologischer Ver- bindung, so wird jener Teil, welcher am frequentesten schlägt, den anderen zuvorkommen und, wenn er ihnen seine Erregungen zuzuleiten vermag, auch ihr Schlagtempo bestimmen. Da für gewöhnlich der Sinus am frequentesten schlägt, so kommt die normale Reihenfolge des Schlages der einzelnen Herz- abteiluingen — vom venösen gegen das arterielle Ende des Herzens hin — dadurch zustande, daß die normalen Erregungen im Sinusgebiet ihren Ur- sprung nehmen und von hier aus den übrigen Herzabteilungen nacheinander zugeleitet werden. Auch innerhalb des Sinusgebietes wird jener Teil, welcher jeweils die höchste Schlagfrequenz besitzt, das Schlagtempo des Ganzen be- stimmen. Diese Stellen können wechseln, man kann deshalb auch nicht eine bestimmte Stelle des Sinusgebietes als den Ursprungsort der Herzbewegung bezeichnen. Partielle Zerstörung des Sinusgebietes wird die Fortdauer der Herzbewegung nicht aufheben, weil sofort andere Stellen für die vernichteten eintreten können!). Was beim Froschhergen vom Sinusgebiet gilt, ist beim Säugetierherzen auf die Einmündungsstellen der großen Venen (Hohl- venen und Pulmonalvenen) ins Herz zu beziehen ?). Den klarsten Beweis dafür, daß die normale Herzschlagfolge im Sinus ihren Ursprung nimmt, liefern folgende Versuche von Gaskell3). Erwärmung des ganzen Herzens oder isolierter, spontan schlagender Teile bewirkt eine Zunahme, Abkühlung eine Abnahme der spontanen Schlagfrequenz. Gas- kell zeigte nun, daß am ausgeschnittenen ganz intakten Herzen isolierte Erwärmung, Abkühlung oder Vergiftung des Ventrikels die Frequenz der Ventrikelkontraktionen nicht beeinflußt, isolierte Erwärmung usf. des Sinus dagegen das Schlagtempo des ganzen Herzens ändert, welches demnach von dem des Sinus vollständig abhängig ist. Die Beschleunigung tritt auch auf bei streng isolierter gelinder Erwärmung einer beliebigen kleinen Stelle des letzten Stückes der Hohlvenen, und zwar auch nach Atropinvergiftung, während gleich gelinde Erwärmung einer Stelle der Vorhöfe oder des Ven- trikels einflußlos ist ®). In der "bisherigen Darstellung wurde ganz abgesehen von der Frage nach der anatomischen Grundlage der Automatie des Herzens. Nach Analogie mit dem Zentralnervensystem nahm man früher meistan, daß die automatische Tätigkeit des Herzens von den in ihm enthaltenen Ganglienzellen ausgehe, daß also diese, insbesondere das sog. Remaksche Ganglion im Sinus, das eigentliche automatische motorische Zentrum des Herzens darstelle. Daß die Ansicht von einem neurogenen Ursprung der Herztätigkeit mindestens in ») W. H. Gaskell, Philos. Transact. 173 (3), 993 ff., 1882; Journ. of Physiol. 4, 44 ff., 1883; Th. W.Engelmann, Pflügers Arch. 65, 134 ff., 1896; Deutsche Klinik 4, 219 ff., 1903. — ?) Vgl. Me William, Journ. of Physiol. 9, 174, 1888; H.E. Hering, Pflügers Arch. 82, 22ff., 1900. — °) Philos. Transact. 173 (3), 996, 1882. — *) Me William (Journ. of Physiol. 9, 182, 1888) für das Säugetierherz, en mann (Pflügers Arch. 65, 132 ff., 1895) für das Fröschherz. ee u Neurogene oder myogene Automatie? 3939 dieser Form unhaltbar ist, geht daraus hervor, daß auch Teile des Herzens noch spontan pulsieren können, die sicher gar keine oder aber eine ver- schwindend geringe Zahl von Ganglienzellen enthalten !). Zu den ersteren gehören: 1. Isolierte Muskelstückchen aus den Hohlvenen und dem Sinus des Frosch- herzens, in denen mikroskopisch keine Ganglienzelle nachweisbar war’). 2. Der Aortenbulbus des Froschherzens?). 3. Das vom zweiten Tage der Bebrütung an pulsierende embryonale Herz des Hühn- chens bis zu der am sechsten Tage erfolgenden Einwanderung von Ganglienzellen *). 4. Das Herz verschiedener Wirbelloser ’°). Höchstens einige wenige Ganglienzellen sind noch enthalten in folgenden spontan pulsierenden Herzpartien: 1. Muskelstreifen aus dem Vorhof und Ventrikel des Schildkrötenherzens und Muskelstücke aus dem Säugetierventrikel‘). 2. Im Sinus und Vorhof des Froschherzens nach Entfernung der Remakschen und der Vorhofganglien ’). Gegen die angeführten Beweise ließe sich zwar einwenden, daß die Ver- hältnisse im Herzen von Embryonen und von Wirbellosen andere sein könnten als im erwachsenen Wirbeltierherzen, weil im Laufe der Entwickelung ein Funktionswechsel eintreten könnte, und daß in der zweiten Gruppe von Fällen immer noch eine, wenn auch sehr geringe Zahl von Ganglienzellen vorhanden sei, daß ferner bei den Zerstückelungsversuchen abnorme Reize gesetzt wurden °). Diese Einwände sind aber recht gezwungen. Man muß also wohl, wenn man an der Hypothese eines neurogenen Ursprungs der Herz- tätigkeit festhalten will, annehmen, daß außer den Ganglienzellen noch ein in allen Muskelstücken (mit Ausnahme des embryonalen Herzens und der Froschherzspitze!) anzunehmendes Nervennetz automatische Fähigkeiten be- sitzt?). Weitaus wahrscheinlicher aber ist, daß die Automatie des Herzens im Herzmuskel selbst ihren Sitz hat, Theorie vom myogenen Ursprung der Herztätigkeit von Gaskell und Engelmann). !) Über die Verteilung der Ganglienzellen im Frosch- und Säugetierherzen, siehe unten 8. 261 ff. — ?”) Engelmann, Pflügers Arch. 65, 120, 1897. — ®) Engel- mann, ebenda 29, 425, 1882; bestritten von Dogiel, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1894, S. 225. — *) His jun., Abh. Sächs. Ges. d. Wiss.18, 1, 1891. Über die Physiologie des embryonalen Herzens siche Pickering (Journ. of Physiol. 14, 383 — ausführliche Literatur, 18, 470; 20, 165), Bottazzi Artikel Coeur in Richets Dict. de Physiol. 4, 253 ff. — °) Literatur bei Tigerstedt, 8. 172; vgl. auch Bottazzi und Fano, Artikel -Coeur in Richets Dict. de Physiol. 4, 270ff., 1900. Für das Herz von Limulus soll allerdings eine neurogene Automatie nachweisbar sein. (Carlson, Americ. Journ. of Physiol. 12, 67 ff., 1904). — °) Vgl. die oben 8. 227 zitierten Versuche von Gaskell, Krehl und Romberg, Porter. — ’) Hof- mann, Pflügers Arch. 60, 142, 1895. — ®) Bezüglich der Engelmannschen Ver- suche am Aortenbulbus’ hat Langendorff (Du Bois’ Arch. 1884, Suppl. 8. 56 Anm.) bemerkt, daß die Pulsationen beim mit Säugetierserum gespeisten Bulbus durch mechanische oder chemische Reizung verursacht sein könnten. Engelmann sah aber auch spontane Pulsationen am nicht durchströmten Bulbus (l. e. S. 435). — °) Dies ist wohl die nicht ganz klar ausgesprochene Ansicht von Kronecker (Zeitschr. f. Biol. 34, 600, 1896) und Bethe (Allg. Anat. u. Physiol. d. Nervensyst., Leipzig 1903, 8. 408 ff.). Letzterer beschreibt (l. c. 8. 91) übrigens an den marklosen Nervenfasern eine besondere Art von ganz kleinen Ganglienzellen (identisch mit den zuerst von Gerlach (Virch. Arch. 66, 211, 1876) beschriebenen kleinen Zellen an den Maschen des Nervenplexus?). — '°) Zur Erklärung dafür, daß im erwachsenen Herzen nicht allen Teilen Automatie zukommt, nehmen Gaskell und Engelmann 2330 Bedingungen der Automatie. Wichtiger als die Frage, welche Gewebselemente automatisch tätig sind !), ist die Frage nach den Bedingungen der Automatie. Darüber ist vorläufig nur wenig festgestellt. Man weiß nur, daß zur dauernden Aufrecht- erhaltung der automatischen Kontraktionen außer organischem Nährmaterial und Sauerstoff?) die Anwesenheit bestimmter anorganischer Salze nötig ist, und zwar der Na- und Ca-Salze.. Die Wirkung derselben ist nicht ge- “nügend geklärt. Nachdem zuerst Biedermann?) rhythmische Zuckungen von Skelettmuskeln in schwach alkalischer 0,6 proz. Kochsalzlösung beobachtet hatte, wies Loeb‘) nach, daß eine Reihe von Ionen, Na, Li usf., wenn sie in isotonischen Lösungen auf den Skelettmuskel wirken, rhythmische Zuckungen hervorrufen, besonders wenn sich eine geringe Menge freier OH- oder H-Ionen in der Lösung befindet. Andere, z. B. die Ca- und K-Ionen hemmen nach Loeb das Auftreten rhythmischer Zuckungen. Auf der anderen Seite fand Howell?), daß Stücke aus dem Hohlvenenende des Schild- krötenherzens im eigenen Blutserum sowie in anorganischen Salzlösungen, welche Na-, Ca- und K-Salze in denselben Mengen wie das Blutserum enthalten, weiter schlagen, nicht aber Stücke aus dem Ventrikel. Um diese zum Schlagen zu bringen, muß der Gehalt der Lösung an Na-Salzen erhöht, das Blut oder Serum mit 0,6 Proz. Na Cl verdünnt werden °). Der weiteren Angabe Howells, daß auch Ca-Salze ähnlich wirken, widersprachen Loeb’) und Lingle®). Die Kontroverse leidet darunter, daß Leistungsfähigkeit im Sinne von Kontraktionsenergie und automatische Fähig- keit nicht immer genügend scharf auseinandergehalten wurden’). Wie Kronecker') zuerst zeigte, sinkt nach anhaltender Wirkung von 0,6 proz. Na Cl-Lösung die Leistungs- fähigkeit des Froschherzens so weit, daß die Kontraktionen allmählich bis zur Un- merklichkeit an Höhe abnehmen ohne besonders große Abnahme der Reizbarkeit und Schlagfrequenz. Hinzufügung von Ca-Salzen erhöht die Leistungsfähigkeit, kann aber die Schlagfrequenz herabsetzen''). Jedenfalls ist für das Entstehen spontaner, an, daß die automatischen Fähigkeiten um so mehr verloren gehen, je weiter sich die Muskulatur vom embryonalen Bau entfernt. Übrigens schlagen schon im embryonalen Herzen isolierte Stückchen vom Vorhof frequenter als solche aus dem Ventrikel (Fano, Arch. ital. de Biol. 13, 410 ff., 1890). !) Zur weiteren Orientierung über diese Kontroverse ist zu vergleichen: Engelmann, Pflügers Arch. 65, 535, 1897 und Deutsche Klinik 4, 215, 1908; Langendorff, Ergebn. d. Physiol. 1 (2), 325 ff., 1902; F. B. Hofmann, Schmidts Jahrb. d. Med. 281, 113, 1904. — ?) Bei der Erstickung nimmt die Schlagfrequenz ab. Details bei Öhrwall, Skand. Arch. 7, 235 ff., 1897. Über die Unterdrückung der Automatie durch CO,-Vergiftung siehe ferner Straub (Arch. f. exp. Path. 45, 380, 1901) und Lingle (Amer. Journ. of Physiol. 8, 78, 1903). Über Wieder- belebung des erstickten Herzens durch Massage Battelli (Compt. rend. 130, 800, 1900) und andere. — °) Wiener Sitzungsber. 82, Abt. 3, 257, 1880. — *) Festschr. £. Fick, 8. 99, 1899. — °) Amer. Journ. of Physiol. 2, 69 ff., 1899. — °) Ahnlich an der Froschherzspitze Merunowicz (Sächs. Ber. 27, 252, 1875), Aubert (Pflügers Arch. 24, 368ff., 1881) u. a. — 7) Amer. Journ. of Physiol. 3, 383 ff., 1900. — ®) Ebenda 4, 265, 1901; 8, 75, 1903; vgl. dagegen Howell, ebenda 6, 181, 1902; Martin, ebenda 11, 103, 1904. — °) Lingle hat vielleicht diese Unterscheidung ge- meint, wenn er sagt (ebenda 8, 86), daß nach Loebs Ansicht die Prozesse, welche eine rhythmische Tätigkeit veranlassen, und solche, welche sie unterhalten, in ge- wissem Sinne verschieden und einander mehr oder weniger antagonistisch sind. — \0) Festschr. f. Ludwig, 1874, 8. 208f£. — "') Lingle, l.c. 4, 278; 8, 90; Langendorff u. Hueck (Pflügers Arch. 96, 477 ff., 1903) beim Kaltblüter. Die geringe Zunahme der Schlagfrequenz des Säugetierherzens bei Zusatz von Ca zur Durchströmungsflüssigkeit führen die Verfasser auf Nebenumstände zurück (vgl. dagegen Groß, ebenda 99, 308, 1903). Auch Martin (l. c. S. 107) sah spontane Kontraktionen des Schildkrötenventrikels in 0,7 proz. Na Cl-Lösung früher auf- treten, wenn der Muskel vorher in eine Ca-haltige Lösung getaucht wurde. ee ee er : Einfluß der Temperatur und von Giften auf die Automatie. 231 kräftiger Kontraktionen die Anwesenheit sowohl von Na- als auch von Ca-Salzen erforderlich, wozu dann aus anderen Gründen (siehe unten, S. 248) noch die K-Salze hinzukommen. Das Herz schlägt spontan nur innerhalb gewisser individuell sehr variabler Temperaturgrenzen. Unterhalb 0° bis 4° C und oberhalb von etwa 36° bis 42% C verfällt das Froschherz in diastolischen Stillstand, ist aber noch reizbar und kann durch entsprechende Erwärmuug bzw. Abkühlung wieder zum Schlagen gebracht werden!). Der reparable Wärmestillstand (nicht zu ver- wechseln mit der irreparablen Wärmestarre, welche erst bei länger dauernder Erwärmung des Froschherzens auf über etwa 42° C auftritt?), befällt am ganzen Herzen zuerst den Ventrikel, dann stehen die Vorhöfe und- bei noch höherer Temperatur erst der Sinus still. Je höher die Automatie des abgetrennt schlagenden Herzteils ist, desto höher liegt die Temperatur, bei welcher Wärmestillstand auftritt 3). Erwärmt man das Herz von der unteren Temperaturgrenze für die spontane Schlagfähigkeit an allmählich, so nimmt die Schlagfrequenz anfangs ganz langsam, später immer rascher bis zu einem Maximum zu und von diesem ab sehr rasch, aber in höchst unregelmäßiger Weise bis zum Still- stande ab (Cyon, 1. ce.). Bei plötzlicher starker Temperaturänderung beobachtet man verschiedene Reiz- erscheinungen, Wärmetetanus bei Erwärmung von 0° auf 40° C*), Seltenerwerden des Herzschlags bei Erwärmung von 20° auf 40° C (von Cyon°) auf Reizung der Vagusendigungen bezogen), Acceleration bei Abkühlung). Für das Warmblüterherz ergaben die Untersuchungen von Newell Martin?) und Langendorff®) ebenfalls ein zunächst langsameres, dann rascheres Ansteigen der Schlagfrequenz beim Erwärmen bis zu einem Maximum bei etwa 42° C, das sich aber nach zeitweiliger Abkühlung gegen höhere Temperatur hin verschiebt. Die untere Temperaturgrenze für spontanes Schlagen liegt zwischen 6 bis 7°C, aber man kann selbst ein gefrorenes Herz durch vorsichtiges Erwärmen wieder zum Schlagen bringen?). Einen reparablen Wärmestillstand gibt es beim Säugetierherzen nicht, nur irreparable Wärmestarre, die bei Temperaturen über 45° C eintritt. Dureh Giftwirkung kann die Schlagfrequenz des Herzens herabgesetzt werden entweder infolge direkter Schädigung der automatisch tätigen Elemente (Muskel- fasern oder Nervennetz) oder infolge Reizung des intrakardialen Hemmungsapparates. Die Entscheidung zwischen beiden Möglichkeiten sucht man gewöhnlich darin, daß im letzteren Falle die Giftwirkung durch Atropin, welches die intrakardialen (post- ganglionären) Hemmungsnerven lähmt, beseitigt wird, im ersteren Falle nicht. Da aber Atropin daneben noch eine ausgesprochene Einwirkung auf die Muskulatur besitzt — es wirkt der Bowditchschen Treppe entgegen und verlängert die refraktäre !) Schelske, Über die Veränderungen d. Erregbarkeit durch Wärme. Heidel- berg 1860, siehe Meißners Jahresber. 1860, S. 527. Cyon, Sächs. Ber. 18, 271, 1866. — ?2) Siehe Aristow (Du Bois’ Arch. 1879, 8. 201) und Ide (ebenda 1892, Suppl. S. 243). — °) Stewart, Journ. of Physiol. 13, 119, 124, 130, 1892. — *) Vgl. Cyon, 1. e. 8. 297. Stewart (l. c. 8. 124) sah einen „Wärmetetanus“ bloß bei hohem Innendruck. — °) Cyon, 1. ce. 8. 305; Pflügers Arch. 8, 345, 1873. — ®) Aristow, l.e. 8.205. — 7) Philos. Transact. 174 (2), 674, 1883. — ®) Pflügers Arch. 66, 355, 1897. — °) Waller u. Reid, Philos. Transact. 178B, 223, 1897; Hering, Pflügers Arch. 99, 250 ff., 1903. 232 Rhythmische Kontraktionen bei Dauerreizung. Phase — so ist dies Kriterium nicht ganz eindeutig').. Noch schwieriger ist zu entscheiden, ob eine Beschleunigung durch direkte Wirkung auf die automatisch tätigen Elemente oder durch Reizung der intrakardialen Endigung der Beschleuni- gungsfasern erzeugt wird. Bezüglich der speziellen Wirkung der einzelnen Sub- stanzen muß auf die Zusammenstellung von Richet (Dict. de Phys. 4, 323 ff., 1900) und auf die ausgedehnten Untersuchungen von Hedbom am Säugetierherzen- (Skand. Arch. f. Physiol. 8, 148, 1898 und 9, 1, 1899) verwiesen werden. Die Reizbarkeit des Herzens. Rhythmische Kontraktionen bei Dauerreizen. Hat man einen Abschnitt des Froschherzens (durch Abtrennung vom Sinus) zum Stillstand gebracht, so reagiert derselbe auf einen konstanten Dauerreiz — auf den konstanten elektrischen Strom, stärkeren intrakardialen Druck, chemische Agenzien — mit rhythmischen Kontraktionen. Schwache konstante Ströme rufen sowohl am ruhenden ganzen Ventrikel als auch an der Froschherzspitze nur bei der Schließung eine Kontraktion hervor. Verstärkt man den Strom, so erfolgen nach der Schließung mehrere Kontraktionen, die um so frequenter sind und um so länger (mit allmählich abnehmender Frequenz) anhalten, je stärker der Strom ist?). Nach der Öffnung erfolgt beim Froschherzen nur eine oder höchstens einige wenige Kontraktionen, bei der Herzspitze der Ringel- natter aber häufig eine ganze Reihe von Pulsationen. Schaltet man in einen Stromkreis zwei Herzspitzen hintereinander ein, so sind beide in ihrem Rhythmus ganz unabhängig voneinander®). Die beiden letzten Beobachtungen widerlegen die Ansicht von Kaiser‘), daß die rhythmischen Kontraktionen des Herzens bei Durchströmung mit dem konstanten Strom auf Stromesschwankungen beruhen, welche durch jede Kontraktion erzeugt werden. Viel leichter als an der Herzspitze werden Pulsationen am ganzen Ventrikel ausgelöst), was nicht bloß auf die stärkere Verletzung im ersteren Falle, sondern auf spezifische Unterschiede zurückgeführt werden muß. Daß bei Reizung des isolierten Vorhofventrikels die Erregung von dem an der Anode liegenden Herzteile ausgehen soll‘), gilt sicher mindestens nicht für alle Fälle”). Rhythmische Pulsationen stillstehender Herzteile können ferner durch Er- höhung des intrakardialen Druckes ausgelöst werden. Solche Versuche sind ins- besondere an der nach Heidenhain-Bernstein abgeklemmten Spitze des Frosch- herzens (siehe oben, S. 227, Anm. 5) ausgeführt worden. Bei Abwesenheit äußerer Reize steht die Spitze still. Steigert man aber durch Kompression der Aorta den Druck im Ventrikel, so beginnt sie nach einiger Zeit, unabhängig vom Rhythmus der übrigen Herzteile, rhythmisch zu pulsieren®). Die Pulsationen überdauern die Drucksteigerung einige Zeit. !) Auch Versuche am embryonalen, nervenfreien Herzen über diesen Punkt führten zu keinem eindeutigen Resultat. Pickering (Journ. of Physiol. 18, 478 ff.) beobachtete einen durch Atropin aufhebbaren Muskarinstillstand an Herzen von Hühnerembryonen erst von einem Alter von 160 bis 200 Stunden ab, bei Säugetierembryonen dagegen fand er das Muskarin schon in den jüngsten Stadien wirksam (ebenda 20, 183). Vgl. dagegen Bottazzi, Richets Diet. 4, 268. — ?) Zuerst beobachtet von Eckhard, Beiträge usw. 1, 153, 1858. Die übrige Literatur voll- ständig bei Langendorff, Ergebn. d. Physiol. 1 (2), 290, 1902 und Tigerstedt, 8. 161. — ®) Trendelenburg, Pflügers Arch. 82, 268, 1900. — *) Zeitschr. f. Biol. 30, 279, 1894 und 82, 464, 1895. — °) Foster und Dew Smith, Journ. of Anat. and Physiol. 10, 746, 1876. — °) Bernstein, Unters. üb. d. Erregungs- vorgang im Nerven- und Muskelsystem 1871, 8. 216. — 7) Vgl. z. B. Engel- mann, Pflügers Arch. 52, 621, 1892. — °) Gaskell, Journ. of Physiol. 3, 51, 1880 u. 4, 46, 1883; Aubert, Pflügers Arch. 24, 366, 1881; Ludwig u. Luchsinger, ebenda 25, 231, 1881. 2 Rhythmische Aktion bei Momentanreizung. 233 Auch durch die Drucksteigerung werden rhythmische Kontraktionen viel leichter am ganzen, vom Sinus abgetrennten Ventrikel als an der Herzspitze aus- gelöst. (Gaskell, 1. c.) Hierher gehören vermutlich auch die oben 8.225, Anm.4 zitierten Experimente von Luciani und Gaglio. Langendorff hält die von ihm unter ähnlichen Verhältnissen beobachteten Kontraktionen für automatische, weil sie auch nach Wegfall der Drucksteigerung bestehen blieben. Jedenfalls ist hier eine scharfe Grenze zwischen den durch äußeren Reiz erzeugten und den automatischen Kontraktionen schwer zu ziehen, weil — nach einem Gedanken von Gaskell (l. c. 1883, S. 46) — eine geringe Nachhilfe durch einen äußeren Reiz genügt, um der latenten automatischen Fähigkeit dieser Herzabschnitte zum Durch- bruch zu verhelfen. Rhythmische Kontraktionen werden endlich PER durch verschiedene chemische Reizmittel hervorgerufen, welche auf die äußere Oberfläche der nach Bernstein abgeklemmten Herzspitze gebracht werden: verdünnte Mineralsäuren, Alkalien, ge- sättigte Kochsalzlösung, Alkohol, Galle usw.'). Alle diese Substanzen schädigen gleichzeitig sehr bald die Ventrikelgewebe. Vorübergehend erregend wirken ferner eine Reihe von Alkaloiden, wenn sie dem durch die Herzspitze zirkulierenden Blute zugesetzt werden, so: Delphinin*), Chinin®) Atropin*), Akonitin, Veratrin, Helle- borein, Morphin’). Auch am ganzen Ventrikel lösen Atropin (Gaskell, siehe oben, S. 225) und Digitalin®) Kontraktionen aus, welche von der Atrioventrikulargrenze ausgehen. Die Scheidung zwischen chemischer Reizung und Steigerung der Auto- matie ist hier ganz konventionell. Über die zuerst von Merunowicz beobachteten periodischen Kontraktionen der Froschherzspitze nach Einführung von mit Na Cl- Lösung verdünntem Säugetierblut vgl. den ausführlichen Bericht von Tigerstedt (S. 158 ff.) und oben $. 230. Rhythmische Aktion des Herzens nach starker Momentanreizung. Es gibt gewisse Stellen im Herzen, welche schon auf ganz kurz dauernde äußere Einwirkungen — kurzen starken Druck, einzelne starke Induktions- ströme oder kurze Tetanisierung — mit einer die Reizung lange über- dauernden Reihe von Kontraktionen reagieren, deren Frequenz zunächst zunimmt, dann aber allmählich bis zum völligen Stillstand abnimmt. Eine solche Stelle ist an der Atrioventrikulargrenze des Froschherzens gelegen. Mechanischer Druck durch eine Ligatur — die sogenannte zweite Stan- niussche Ligatur — oder ein Schnitt, Stich oder starke elektrische Reizung an dieser Stelle löst am sinuslosen Froschherzen die eben beschriebene Pulsationsreihe aus’). Die Wirkung erfolgt nicht, wie man früher meinte, bei Reizung der in der Nähe befindlichen Bidderschen Ganglien, sondern, wie Gaskell®) und Ewald (l. e.) gezeigt haben, bei Reizung der Verbindungs- muskulatur zwischen Vorhof und Ventrikel (His „Atrioventrikulartrichter“). Mit mehreren Kontraktionen reagiert ferner auf Momentanreizung der ganglienfreie Aortenbulbus des Froschherzens®) und auch einige Stellen des Säugetierventrikels !%). Insbesondere aber kommt dem Venensinus des Frosches, in geringerem Grade der Sinusvorhofgrenze die Eigenschaft zu, ‘) Langendorff, Du Bois’ Arch. 1884, Suppl. 8. 7; dort auch Literatur. — ”) Bowditch, Sächs. Ber. 23, 682, 1871. — ?) Schtschepotjew, Pflügers Arch. 19, 62, 1879. — *) Löwit, ebenda 25, 447, 1881. — °) Langendorff, l.c. — ‘) Brandenburg, Engelmanns Arch. 1904, Suppl. 8. 213. — 7) Stannius, Müllers Arch. 1852, 8. 88; H. Munk, Beil. z. Tagebl. d. Naturf.-Vers. zu Speyer, 1861, 8. 46 (zit. nach Tigerstedt, 8. 198) und Du Bois’ Arch. 1878, $. 569; Marchand, Pflügers Arch. 18, 513, 1878; Ewald, ebenda 91, 21, 1902. — °) Schäfers Textbook (2), 8. 179. — °) Engekmanpn, ebenda 29, 445,. 1882. — ") Me William (Journ. of Physiol. 9, 179, 185, 1888), auch eigene Beobachtungen. 234 Refraktäre Phase. auf einen starken Induktionsstrom mit einer langen Reihe sehr frequenter Kontraktionen zu reagieren!). Die Stellen, welche so reagieren, sind also in der Regel solche, welche eine ziemlich hoch entwickelte Fähigkeit der Automatie besitzen. Doch soll nach Langendorff?) gelegentlich auch an der abgeklemmten Herzspitze des Frosches auf einen kurzen mechanischen Reiz eine die Reizung überdauernde Pulsreihe folgen (ähnlich wie andeutungs- weise schon bei Steigerung des intrakardialen Druckes), besonders wenn sie erwärmt wird und infolgedessen zu anscheinend spontanem Pulsieren neigt oder sonstwie ihre Erregbarkeit gesteigert wird®). Daß der ganze Ventrikel durch Dauerreize so viel leichter zu rhythmischem Pulsieren veranlaßt wird als die abgeschnittene Herzspitze, beruht offenbar auf der Mitreizung der so leicht zu spontanem Pulsieren anzuregenden Gewebe der Atrioventrikular- grenze (entweder der Übergangsmuskulatur oder eines hypothetischen Nerven- netzes — nicht der Ganglienzellen — daselbst). Rhythmischer Wechsel der Reizbarkeit des Herzens. Refraktäre Phase. Der Grund für den rhythmischen Wechsel zwischen Erregung und Ruhe bei konstanter Dauerreizung des Herzens ist nicht in Schwankungen des äußeren Reizes, sondern in Änderungen der Reizbarkeit des Herzens zu suchen. Jeder Herzabschnitt wird nämlich während seiner Systole für äußere Reize unerregbar — refraktäre Phase —, und erst während der Diastole kehrt die Reizbarkeit allmählich wieder zur vollen Höhe zurück®t). Ein refraktäres Stadium zeigt nicht bloß der direkt gereizte, mit dem übrigen Herzen noch in Zusammenhang stehende Vorhof und Ventrikel des Kalt- und ‘Warmblüterherzens (bei ersterem auch Sinus, Hohlvenen und Aortenbulbus), sondern auch die isolierte Froschherzspitze >). Der vorübergehende Verlust der Erregbarkeit bei jeder Erregung, welchen das Herz übrigens mit dem maximal gereizten quergestreiften und glatten Muskel und wohl auch mit allen nervösen Elementen teilt (nur ist er hier meist bedeutend kürzer), wird allgemein als Folge einer anderen Eigenschaft des Herzens aufgefaßt, nämlich der Besonderheit, auf jeden überhaupt wirk- !) Lov&n, Mitteil. v. physiol. Labor. Stockholm 4, 16, 1886; Strömberg u. Tigerstedt, ebenda 5, 43ff., 1888, zit. nach Tigerstedt, $. 199. — ?) Du Bois’ Arch. 1884, Suppl. 8. 7 u. 39. — °) Die mit Nikotin vergiftete Herzspitze des Hundes oder Frosches reagiert ebenfalls auf einen Momentanreiz mit mehreren Kontraktionen (Wertheimer und Colas, Arch. de Physiol. 1891, 8. 344). — *) Marey, Travaux du lab. 2, 78, 1876, auch abgedruckt in Journ. de l’anat. et physiol. 1877, p. 60. Die Abhängigkeit der Reizbarkeit vom Reizintervall hatten vor ihm schon Bowditch (Sächs. Ber. 23, 663, 1871) und Kronecker (Festschr. f. Ludwig, 1874, 8. 181) beobachtet. Nach Marey (l. ce. 1877, 8. 72) ist die Reizbarkeit des Herzens während der Systole bloß stark herabgesetzt, nach Engelmann (Pflügers Arch. 59, 317#ff., 1895) vollständig vernichtet. Das Auf- treten von Kontraktionen bei Reizung während der Systole in den Versuchen von Marey beruht nach Engelmann und nach Courtade (Arch. de physiol. 1897, p. 74) auf Mitreizung benachbarter Teile und sekundärer Zuleitung der Erregung zum Ventrikel, wie sich aus dem langen Latenzstadium ergibt. — °) Ältere Literatur bei Tigerstedt, 8. 164 ff. Für Vorhof und Ventrikel des Säugetierherzens ferner E. Meyer (Arch. de physiol. 1898, p. 184), Langendorff (Pflügers Arch. 61, 317, 1895), Cushny u. Mathews (Journ. of Physiol. 21, 213, 1897). : 4 j “ j Änderung der refraktären Phase (Reizbarkeit) des Herzens. 2335 samen Reiz mit einer für den gegebenen Zustand des Herzens maximalen Kontraktion zu reagieren, also keine untermaximalen Zuckungen zu geben!) („der Herzmuskel gibt entweder alles oder nichts“). Man kann dies so deuten, daß der Herzmuskel bei jeder Kontraktion alles im Augenblick verfügbare Material zersetzt. Dann wäre es begreiflich, daß er durch eine zweite Reizung erst dann wieder in Erregung versetzt werden kann, wenn der verbrauchte Vorrat wieder ersetzt ist. Dem entspräche nach jeder Kontraktion ein allmähliches Ansteigen der Reizbarkeit und der Leistungsfähigkeit von Null an. Bezüglich des zeitlichen Verlaufs der refraktären Phase folgert Engel- mann?) aus seinen Versuchen, daß die Reizbarkeit des normalen blutdurch- strömten Froschventrikels unmittelbar vor dem Anfang der Systole (im Stadium der latenten Reizung) ganz schwindet, kurz vor Beginn der Diastole wieder zurückkehrt und während letzterer und noch geraume Zeit darüber hinaus ansteigt. Durch Untersuchungen am ausgeschnittenen Herzen mittels eines Rheotomverfahrens überzeugten sich Walther?) und Trendelen- burg) davon, daß die Reizbarkeit schließlich einige Zeit konstant bleibt (abgesehen von ganz allmählichen Schwankungen), so daß es möglich ist, für einige Zeit konstante Schwellenwerte zu bestimmen. Die so zu bestimmende Schwelle gibt ein Maß der maximalen Erregbarkeit (des. allgemeinen Erreg- barkeitszustandes), welche das Herz unter den gegebenen Bedingungen er- reicht. Von diesem Maximum sinkt die Reizbarkeit während der Systole ab, und auf dasselbe steigt sie nach der Systole an’). Die Art des Anstieges (anfangs rascher, später immer langsamer?) ist nicht genau untersucht, nur der Zeitpunkt, von welchem an die Reizbarkeit gleich bleibt (also Schwellen- reize zu wirken anfangen), wurde von Walther und Trendelenburg für einige Versuchsbedingungen festgestellt. Dieser Punkt fällt am ganz frischen Herzen im allgemeinen hinter den dia- stolischen Abfall der Kontraktionskurve, rückt aber bei länger dauernder Reizung des ausgeschnittenen Herzens, sowie besonders nach Muskarinvergiftung und unter „Ireppenbedingungen“ (siehe unten, $S. 246) immer mehr in die Diastole herein, durch Atropinvergiftung wird er weiter hinausgerückt (Walther). Variiert man unter sonst gleichen Versuchsbedingungen lediglich die Kontraktionsdauer (durch Wechsel der Reizfrequenz), so findet man diesen Punkt in einer festen Beziehung zur Kontraktionsphase. Je kürzer die Kontraktion, desto kürzer das refraktäre Stadium (Trendelenburg). Dies gilt nach klinischen Beobachtungen von H. E. Hering‘) auch für den Menschen. Erwärmung verkürzt, Abkühlung verlängert die refrak- !) Zuerst gefunden von Bowditch (Sächs. Ber. 23, 687,.1871) und Kron- ecker (Festschr. f. Ludwig, 1874, S. 173) für das Froschherz, für das Säugetierherz bestätigt von Me. William (Journ. of Physiol. 9, 169, 1888). Die einzige von Kronecker beobachtete Ausnahme (Du Bois’ Arch. 1883, S. 265, an mit altem Blut gefüllten Herzen gaben schwache Reizungen nur etwa halb so hohe Zuckungen wie starke Reize) beruht vielleicht darauf, daß der Ventrikel bei schwachen Reizen sich nur partiell zusammenzog? Letzteres mit Sicherheit beobachtet von Engel- mann am Sinus (Pflügers Arch. 65, 125, 1897). — ?) Pflügers Arch. 59, 312 ff., 1895. — °) Pflügers Arch. 78, 622, 1900. — *) Engelmanns Arch. 1903, 8. 279. — °) Nach dem Gesagten wäre zu unterscheiden ein Stadium völliger Unerregbarkeit und ein darauf folgendes Stadium bloß herabgesetzter Erregbarkeit. Der Ausdruck „refraktäres Stadium“ wird gewöhnlich gebraucht für die Zeit, innerhalb welcher ein sonst wirksamer Reiz während der Herzkontraktion unwirksam bleibt: „Die re- fraktäre Phase ist kürzer für starke als für schwache Reize.“ — °) Pflügers Arch. 89, 283, 1902. 236 Herzperiodik. täre Phase!). Die Gifte der Digitalisgruppe setzen die Reizbarkeit des Herzens (nach anfänglicher Erhöhung) herab, was sich ebenfalls in einer Verlängerung der refraktären Phase für eine wirksame, beliebig gewählte aber konstante Reizstärke äußert?). Erstickung®) bewirkt ebenfalls anfangs eine Steigerung der Reizbarkeit und erst ganz spät eine Herabsetzung derselben, Strychninvergiftung setzt die Reiz- barkeit herab*). Natronsalze verkürzen, Kalisalze verlängern die refraktäre Phase’). Nach v. Basch°) hinterlassen Reize, welche noch keine Kontraktion aus- zulösen vermögen, eine Zeitlang eine Steigerung der Reizbarkeit, so daß sie, obwohl einzeln unwirksam, bei Wiederholung wirksam werden, es gebe also beim Herzen eine Summation unterschwelliger Reize. Davon zu unterscheiden ist die Steigerung der Reizbarkeit, welche eintritt, wenn man einen Herzteil nach längerer Ruhe zum Schlagen veranlaßt. Wenn man nämlich z. B. bei rhythmischer Reizung des sinuslosen Froschherzens eine längere Pause macht, so sinkt die Reizbarkeit von dem Maximum, bis zu welchem sie nach der letzten Kontraktion angestiegen war, während der darauf folgenden Ruhe ganz allmählich wieder ab. Beginnt man sodann die rhythmische Reizung von neuem, so nimmt die Reizbarkeit nach den ersten Schlägen zu’) (analog der gleichzeitigen „treppenförmigen“ Zunahme der Kontraktionshöhen, siehe unten!). Nach Öhrwall, der diese langsamen Reizbarkeitsschwankungen und ihre Änderung bei der Erstickung (l. e.) in der Weise genauer studiert hat, daß er für ein gegebenes konstantes Reizintervall unter verschiedenen Verhältnissen die Schwelle bestimmt, sind die Vorgänge sogar noch komplizierter. Während im Anfangs- stadium der Erstickung Ausfall eines Pulses bei mäßig frequenter Schlagfolge eine Steigerung der Reizbarkeit verursacht, weil ja der Anstieg der Reizbarkeit nach jeder Erregung die Systole gewöhnlich überdauert, sinkt in späteren Erstickungs- stadien schon nach dem Aussetzen eines Pulses die Reizbarkeit rasch wieder ab.- Dauert die Pause länger, so sinkt die Reizbarkeit zunächst noch weiter, steigt aber dann ganz langsam wieder an. Folgt jetzt eine Gruppe von Kontraktionen, so steigt die Reizbarkeit nach den ersten Schlägen an, nimmt aber während der folgenden allmählich wieder etwas ab. Man findet also dann zwei Reizschwellen, eine niedrigere für das tätige und eine höhere für das ruhende Herz. Im weiteren Verlauf der Erstickung nähern sich die ‚beiden Schwellenwerte immer mehr, bis schließlich, im Endstadium der Erstickung, die Schwelle dieselbe bleibt, gleichgültig ob Pulse vorausgegangen waren oder nicht. Läßt man in einem künstlich durchströmten Froschherzen die Durchströmungs- flüssigkeit längere Zeit stagnieren, sö führt der Ventrikel Gruppen von Kontrak- tionen aus, die durch verschieden lange Ruhepausen voneinander getrennt sind („Lucianische Perioden“®), und die einer regelmäßigen Schlagfolge Platz machen, wenn man die Füllungsflüssigkeit wechselt (Roßbach). Die Erscheinung beruht, wie zuerst Sokolow und Luchsinger vermuteten, Langendorff und Öhrwall bewiesen, auf Erstickung, und zwar nach letzterem auf Sauerstoffmangel, nicht auf Anhäufung von Kohlensäure [übrigens sah Straub (l.c.) auch bei der Kohlensäure- ') Kronecker, Festschr. f. Ludwig, 1874, 8. 179ff.; Marey, 1. c. 1877, S. 72ff; von Burdon-Sanderson und Page (Joum. of Physiol. 2, 401) mittels Rheotomverfahren und Schwellenreizen bestätigt. Dazu stimmt freilich gar nicht die Angabe, daß die Reizbarkeit des Herzens für galvanische Ströme durch Abkühlung erhöht wird (Gotch und Macdonald, Journ. of ‘Physiol. 20, 290, 1896). — °) Straub, Arch. f. exp. Path. 45, 346, 1901; siehe auch Brandenburg, Zeitschr. f. klin. Med. 53, 1904. Pletnew, Zeitschr. 2. exp. Path. 1, 80, 1904. — ) Sauerstoffmangel ohne Kohlensäureanhäufung: Öhrwall (Skand. Arch. f. Physiol. 8, 37 f£., 1898). Kohlensäurevergiftung: Straub (Arch. f. exp. Path. 45, 380 ff.). — *) H.E. Hering, Zentralbl. f. Physiol. 15, 195, 1901. — °) Ringer u. Sainsbury, Journ. of Physiol. 4, 356 ff., 1883. — °) Wiener Sitzungsber. 79 (3), 37, 1879; vgl. auch die Kontroverse zwischen v. Basch und Kronecker, Du Bois’ Arch. 1880, S. 283 ff. — 7) Kronecker, Festschr. f. Ludwig, 1874, 8. 177 ff. — ®) Luciani (siehe oben 8. 225, Anm. 4); Roßbach (Sächs. Ber. 26, 193, 1874); Sokolow u. Luchsinger, Pflügers Arch. 23, 294, 1880; Langendorff, Du Bois’ Arch. 1884, Suppl. 8. 108; Öhrwall, ebenda 1893, Suppl. 8. 40, und die beiden eben zit. Abhandlungen. Nervennetz oder Muskulatur? — Herztetanus. 937 vergiftung Gruppenbildung am Ventrikel]. Nach Öhrwall hängt die Periodik mit dem eben beschriebenen langsamen Absinken und späteren Wiederansteigen der Reizbarkeit während längerer Pausen zusammen. Sind schwache Reize vorhanden, so treten diese beim Wiederansteigen der Reizbarkeit während der Ruhe über die Schwelle, es beginnt eine Reihe von Kontraktionen. Dabei steigt die Reizbarkeit anfangs noch weiter, sinkt aber dann wieder ab. Die Herzschläge hören auf, so- bald die Reizbarkeit so weit gesunken ist, daß die Reize wieder unter der Schwelle liegen. Vielleicht bestehen ähnliche Verhältnisse auch bezüglich der inneren Herz- reize, woraus sich dann der Wechsel zwischen spontanen Schlägen und Ruhepausen erklären ließe (vgl. auch das oben, 8. 233, über die Unterstützung der Automatie durch schwache Dauerreize Gesagte!) | Nach dem Gesagten würde man sich also das Zustandekommen einer rhythmischen Schlagfolge bei konstanter Dauerreizung des Herzens so zu denken haben, daß während jeder Systole der Reiz unwirksam wird und erst gegen Ende der Diastole, sobald die Reizbarkeit wieder genügend angestiegen ist, über die Schwelle tritt und eine neue Erregung auslöst. Je stärker der Dauerreiz ist, desto früher wird er nach jeder Systole wieder wirksam werden, desto frequenter wird also das Schlagtempo sein. Die Fähigkeit, auf den konstanten Reiz mit rhythmischen Erregungen zu reagieren, wird ziemlich allgemein dem Herzmuskel zugeschrieben. Diese Annahme ist um so wahr- scheinlicher, als auch der quergestreifte Skelettmuskel eine refraktäre Phase besitzt und auf Dauerreize (den konstanten Strom) mit rhythmischen Er- regungen zu reagieren vermag!). Wenn man die refraktäre Phase im Herzen auch wieder (wie die Automatie) auf spezifische Eigenschaften eines Nervennetzes zurückführen wollte”), so bliebe . wohl nichts anderes übrig, als entweder die direkte Reizbarkeit des Herzmuskels überhaupt zu leugnen (weil man sonst bei Reizung während der refraktären Periode des Nervennetzes doch den Erfolg der direkten Muskelreizung beobachten müßte ?), oder wenigstens mit Schiff‘) anzunehmen, daß die direkte Muskelreizung nur zu einer lokalen „idiomuskulären“ Kontraktion führt, die nicht fortgeleitet wird, während eine geordnete Kontraktion eines ganzen Herzteils bloß durch Reizung des Nerven- netzes zustande kommen könne. Dem gegenüber hat Langendorff°) betont, daß die isolierte Herzspitze durch Substanzen zum Schlagen gebracht wird, welche am Nervmuskelpräparat den Nerven nicht reizen (Ammoniak, Kalkwasser, verdünnte Mineralsäuren), während Nervenreize (Glycerin) unwirksam sind; daß ferner die nach Bernstein abgeklemmte Herzspitze noch wochenlang reizbar bleibt, wenn ihre Nervennetze wohl schon degeneriert sein müßten‘). Dem galvanischen Strome gegenüber soll sich die Reizbarkeit des Herzens wie die des Nerven verhalten’). Nach Versuchen am Darm hat neuerdings Magnus®) eine- dritte Meinung aus- gesprochen, nämlich „daß durch das Funktionieren“ nervöser „Zentren die Muskeln selbst’) refraktär werden können“, während andererseits auch die hypothetischen Zentren funktionell vom Zustande der Muskulatur abhängig sein sollen. Herztetanus. In ähnlicher Weise wie konstante Reizung wirkt Tetanisierung des Herzens mit Induktionsströmen. Jene Reize, welche in die refraktäre Phase hineinfallen, bleiben unwirksam — soweit sie nicht (nach v. Basch) gegen Ende derselben die ‘) 8. Garten, Abhandl. sächs. Ges. d. Wiss. 26, 331, 1901; Buchanan, Journ. of Physiol. 27, 95, 1901. — ?) v. Cyon, Pflügers Arch. 88, 277 ff., 1902; Bethe, Allgem. Anat. u. Physiol. d. Nervensystems, $. 456, 1903. — °) Vgl. dazu auch Hof- mann, Pflügers Arch. 72, 431 ff., 1898. — *) Arch. f. physiol. Heilk. 1850, 8.68, 70. — °) Ergebn. d. Physiol. 1 (2), 283#f., 1902. — °) Bethe (l. c. 8. 109) ist freilich der Meinung, daß diese Nerven überhaupt nicht degenerieren. — 7) Gotch u. Mac- donald, 1. c. — ®) Pflügers Arch. 103, 539 ff., 1904. — °) Von mir gesperrt gedruckt. 2338 | Kardiotonus. — Lokale Reizwirkungen. Erregbarkeit vorübergehend steigern. Der erste Reiz, welcher über die Schwelle tritt, löst eine neue Kontraktion aus und vernichtet von neuem die Reizbarkeit des Herzens. Auch durch Tetanisieren kann man also eine rhythmische Schlagfolge auslösen, nur pflegt diese nicht lange anzuhalten, vermutlich wegen deletärer Neben- wirkungen der Ströme. (Bei starken Reizungen tritt leicht Flimmern, Wühlen und Wogen ein, vgl. die nächste Seite.) Da die refraktäre Phase in der Norm bis gegen Ende der Diastole hin anhält und dann auch noch die Leistungsfähigkeit des Her- zens zunächst beträchtlich herabgesetzt ist (siehe den folgenden Abschnitt!), so kann am normalen Herzen auch bei rasch aufeinander folgenden Reizungen keine Super- position der Zuckungen und kein Tetanus, wie am Skelettmuskel, zustande kommen'). Dies wird aber der Fall sein, wenn die refraktäre Periode durch irgend welche Ein- flüsse verkürzt wird und zu gleicher Zeit die Leistungsfähigkeit nach jeder Erregung rasch ansteigt”). — Die Bedingungen für Superposition und Tetanus sind vorhanden am Froschherzen bei Erwärmung der Durchströmungsflüssigkeit von 0° auf 40° 0°), bei hohem Gehalt der Durchströmungsflüssigkeit an Natrium- oder Caleiumsalzen *), Zusatz von Alkohol zu derselben ’°), insbesondere aber bei gleichzeitiger Tetanisierung des Vagus und des Herzens°), sowie nach Muskarinvergiftung und unter „Treppen- bedingungen“ (Walther); am Katzenherzen bei starker Abkühlung’). Besonders leicht erhält man ferner Tetanus am Ürustaceen- und am embryonalen Herzen. (Literatur bei Walther.) Kardiotonus. Von dem durch Superposition der einzelnen Zuckungen charakterisierten echten Tetanus muß man jene dauernden Zusammenziehungen des Herzmuskels unter- scheiden, welche durch „Wühlen und Wogen“ bei sehr starken Reizungen’ entstehen, sowie jene anhaltenden „kardiotonischen“ Zusammenziehungen der Herzwand, welche auftreten bei plötzlicher starker Dehnung derselben ®), durch Gifte?) (Anti- arin, Digitalin, Veratrin), bei Durchströmung mit alkalischen Flüssigkeiten !°) usf. Lokale Reizwirkungen. Der konstante Strom erzeugt am Froschventrikel eine (dem kathodischen Wulst am Skelettmuskel analoge) lokale Dauerverkürzung an der Kathode, die sich bei stärkeren Strömen auf größere Partien erstrecken kann, an der Anode dagegen eine Erregungshemmung, welche am blutgefüllten Froschherzen durch eine Vorwölbung der erschlafften anodischen Stelle während der Systole des übrigen Ventrikels kennt- lich macht, und die sich von der anodischen Stelle aus anscheinend langsam über den ganzen Ventrikel verbreitet!!). Mechanische Reizung (ev. bloße Berührung) einer Stelle des Froschventrikels während der Systole setzt ebenfalls eine lokale Erschlaffung, die am atropinisierten Herzen nicht auftritt'”). Stärkere mechanische Reizung (ähnlich auch sehr starke Tetanisierung oder Betupfung mit Säure) übt eine auf mehrere Systolen sich erstreckende Nachwirkung aus, die sich in einer Verkürzung der Systole und vorzeitiger Erschlaffung der gereizten Stelle äußert '?). Während der Diastole ist die Muskulatur dieser Stelle schwach kontrahiert (lokale „Schrumpfung‘*). !) Die Annahme von Fredericg, daß die normale Systole ein Tetanus sei, ist unhaltbar (siehe Kapitel „Kreislauf“). — *) Am genauesten untersucht von Walther (Pfliügers Arch. 78, 597, 1898), dort auch eine kritische Übersicht der gesamten Literatur. — °) v. Cyon, Sächs. Ber. 18, 297, 1866; Aristow, Du Bois’ Arch, 1879, 8. 198. — *) Ringer, Journ. of Physiol. 4, 29, 1883; Ringer u. Sains- bury, ebenda, 8. 350. — °) Roy, ebenda 1, 452, 1878. — °) Rouget, Arch. de Physiol. 1894, p. 397; O. Frank, Zeitschr. f. Biol. 38, 300, 1899; Walther, 1. c. — 7) Langendorff,-Pflügers Arch, 61, 316, 1895. — °) Goltz, Virchows Arch. 23, 490 ff., 1862; Frank, Zeitschr. f. Biol. 32, 389, 1895. — °) Roy, l. ce. 8. 477. — 10%) Gaskell, Journ. of Physiol. 3, 53, 1880. — '') Biedermann, Wiener Sitzungsber, 89 (3), 47, 1884. — ") Schiff, Arch. f. physiol. Heilk. 9, 251, 1850; Roßbach, Pflügers Arch. 25, 181, 1881; 27, 197, 1882; Aubert, ebenda 24, 358, 1881. — 13) Nach meinen Beobachtungen bewirkt auch die Anode des konstanten Stromes re bi aa A A ne Ute | ' k 4 ; | 1 r E h 3 Flimmern. 239 Flimmern; Wühlen und Wogen. Tetanisieren des Herzens mit sehr starken Strömen‘), Reizung mit starkem konstanten Strom*), starke mechanische oder thermische Reizung®) erzeugen am Warmblüterherzen eine frequente ungleichzeitige Kontraktion der verschiedenen Muskelbündel, fibrilläres „Flimmern“, welches die Reizung, wenn sie sehr stark ist oder wenn sie wiederholt wird, überdauert und dann ev., wenn nicht eine der unten angeführten Gegenmaßnahmen angewandt wird, bis zum Absterben bestehen bleibt. Vor dem Versuche, das (z. B. unter Chloroformwirkung) stillstehende mensch- liche Herz durch elektrische Reizung wieder zum Schlagen veranlassen zu wollen, wird deshalb gewarnt‘), Am abgekühlten Warmblüterherzen tritt ebenso wie an dem in mittlerer Temperatur befindlichen Kaltblüterherzen statt des ungemein raschen Flimmerns ein langsameres, peristaltisches Wühlen und Wogen auf. Das stark erwärmte Kaltblüterherz flimmert ebenfalls. „Flimmern“ und „Wühlen und Wogen“ sind also nicht prinzipiell voneinander verschieden’). Das Flimmern läßt sich beseitigen, wenn man die Reizbarkeit des Herzens durch vorsichtige Abkühlung‘) oder Absperrung der Blutzufuhr (bei künstlich durchströmten ausgeschnittenen Herzen durch Abstellung der Durchströmung’) herabsetzt, wenn man (bei Hunden) sehr viel Chloralhydrat intravenös injiziert (Gley, 1. c.) oder der Durchströmungsflüssigkeit Chlorkalium zusetzt®), das Herz massiert [bei Kaninchen] °) oder möglichst bald Wechselströme sehr hoher Spannung (z. B. 4800 Volt) auf das ganze Tier, bzw. Wechselströme von 240 Volt oder sehr starke Einzelschläge auf das freigelegte Herz einwirken läßt!‘). Die Herzen ver- schiedener Säuger verhalten sich hierin verschieden. Verhältnismäßig leicht (auch schon spontan) erholen sich Herzen von Föten oder neugeborenen Tieren, am schwierigsten das Herz erwachsener Hunde, doch gelingt es auch hier, Erholung herbeizuführen ''). . Auch der Vorhof kann durch starkes Tetanisieren zum Flimmern gebracht werden '?). Zerschneidet man den Ventrikel in einen zickzackförmigen Streifen, so kann sich das Flimmern bei Reizung eines Endes bis an das andere darin fortpflanzen (Me. William, 1. c. 8. 298). Das Flimmern des Ventrikels pflanzt sich jedoch selten auf die Vorhöfe und das der Vorhöfe nicht auf die Kammer fort (Vulpian, l.c.). Daß die abgeschnittene Herzspitze durch elektrische Ströme viel schwerer zum Flimmern gebracht wird als der ganze Ventrikel, bezieht Langendorff'?) auf die Anwesenheit von Ganglienzellen im ganzen Ventrikel, doch ist es wahr- scheinlicher (nach Analogie der-oben, 8. 233 ff., erwähnten Unterschiede zwischen Spitze und Basis des Froschherzens) durch das Vorhandensein leichter erregbarer Muskelpartien an der Ventrikelbasis bedingt. Diese Partien liegen nach den Unter- nicht immer eine vollständige Aufhebung, sondern manchmal bloß eine sehr starke lokale Abschwächung und Verkürzung der Systole (ganz ähnlich wie eine negativ. inotrope Vaguswirkung, siehe diese!). !) Ludwig u. Hoffa, Zeitschr. f. rat. Med. 9, 128#ff., 1849 und andere. — ?®) 8. Mayer, Wiener Sitzungsber. 68 (3), 80, 1873 und andere. — ®) Mc. William, Journ. of Physiol. 8, 304, 1887; Kronecker, Compt. rend. Soc. de Biol. 1891, p. 258; Langendorff, Pflügers Arch. 61, 314, 1895. — *) Vgl. Tigerstedt, 8. 221. — ®) Langendorff, Pflügers Arch. 66, 395, 1897; Bätke, ebenda 71, 412, 1898. — °) Me. William, 1. ce. p. 304; Gley, Arch. de physiol. 1891, 8. 742. — 7”) Langen- dorff, Pflügers Arch. 61, 319, 1895. — °) H. E. Hering, Zentralbl. f. Physiol. 17, 3, 1903. Nach Guttmann, Virchows Arch. 35, 465, Anm.; Aubert u. Dehn, Pflügers Arch. 9, 122, 1874; Me. William, Journ. of Physiol. 8, 306, 1837, bewirken Kalisalze in tödlicher Dosis übrigens selbst Flimmern, bzw. Wühlen und Wogen. — ®?) Zuerst wohl von Bezold, Unters. a. d. Würzburger Labor. 1, 285 ff., 1867. — ") Prevost u. Battelli, Journ. de physiol. 1899, p. 432; 1900, p. 40, 448. — ") Vgl. Me. William, H. E. Hering, l.c. Porter (Americ. Journ. Physiol. 1, 71, 1898) führte die Erholung des flimmernden Hundeherzens durch Durchströmung mit warmem Hundeblut herbei, nach vorheriger Abkühlung des Herzens. — '?) Vul- pian, Arch. de physiol. 1874, p. 976. — '?) Pflügers Arch. 70, 282ff., 1893. 240 Flimmern. suchungen von Langendorff in der Tiefe (l. c. 8. 287). Es ist wahrscheinlich, daß durch den Kroneckerschen Herzstich — Einstich in das “Ventrikelseptum an der unteren Grenze des oberen Drittels desselben führt insbesondere am Hunde- herzen zum Flimmern ') — solehe hocherregbare Elemente gereizt werden. Das Flimmern ließe sich erklären, wenn man berücksichtigt, daß durch eine sehr starke Reizung alle Muskelbündel zu maximal frequentem Schlagen gebracht werden. Da die einzelnen Muskelbündel unter gewissen Umständen nachweisbar eine individuell verschieden hohe Erregbarkeit besitzen (bei den einen das Re- fraktärstadium länger dauert als bei den anderen), so wird ihre maximale Schlag- frequenz individuell verschieden sein, sie werden sich ungleichzeitig kontrahieren ?). Werden bei der Reizung Elemente mit betroffen, welche die Eigenschaft besitzen, einen kurzdauernden Reiz mit anhaltenden rhythmischen Erregungen zu beant- worten (siehe 8. 233), so kann das Flimmern die Reizung überdauern. Flimmern tritt ferner sehr häufig auf nach Unterbindung oder Abklemmung der Koronararterien und ihrer Hauptäste®). Die Erklärung ist hier durchaus strittig. Während die Entdecker dieses Flimmern direkt oder indirekt auf die dadurch er- zeugte Anämie der Herzwand bezogen, erklärten es Tigerstedt*) und M.v. Frey’) durch Nebenverletzungen bei der Operation. Dagegen wird angeführt, daß auch Verstopfung der Koronararterien mittels Glasstabes°) oder Einspritzung von Lyko- podium’) oder Paraffin®) oder auch Ersatz des Sauerstoffs im Blut durch Kohlen- oxyd denselben Symptomenkomplex (Stillstand mit nachfolgendem Flimmern) herbeiführt. Am ausgeschnittenen, künstlich von der Aorta aus durchströmten Katzenherzen vermochte aber Langendorff’) durch Absperrung der Durch- strömungsflüssigkeit Flimmern nicht zu erzielen, ebensowenig sah Magnus'’) nach Verdrängung des Blutes aus den Koronararterien durch indifferente Gase (Wasser- stoff) Flimmern auftreten, wohl aber beim Durchtreiben von Kohlensäure. Es kann also doch nicht die Anämie an sich das Flimmern verursachen, sondern irgend ein unbekannter Nebenumstand. Cohnheim dachte an die Erzeugung eines giftigen Stoffwechselproduktes, weil das Flimmern erst einige Zeit nach der Absperrung des Blutes auftrat. Am wahrscheinlichsten bleibt aber trotzdem, daß das Flimmern durch eine unbeabsichtigte Reizung beim Verstopfen der Koronararterien bedingt ist (vgl. die Kritik bei Langendorff, 1. c.). Die zuletzt genannten Experimente schließen nun auch die Deutung aus, welche Kronecker (l. e. 8. 558) dem zum Flimmern führenden Stich in die Kammer- scheidewand zuletzt gab. Während er früher annahm, daß dadurch ein Koordi- nationszentrum gelähmt werde (wogegen sich schon Me. William 1. c. und Porter!!) gewandt hatten), meinte er später, daß durch den Stich vasomotorische Nerven für die Koronararterien gereizt würden, und führte das Flimmern auf die hierdurch erzeugte Anämie der Herzwand zurück. Vielleicht handelt es sich um Dauererregung irgend welcher hoch erregbarer Gebilde (vgl. oben). Über die Beschaffenheit der normalen „inneren“ Herzreize. Die Eigenschaft des Herzmuskels, auf Dauerreize mit rhythmischen Kontraktionen zu reagieren, legt aber auch die Fragen nahe: ) Kronecker u. Schmey, Berl. Sitzungsber. 1884, 8.87. — ?) Trendelen- burg, Engelmanns Arch. 1903, 8. 304. Ganz die gleichen individuellen Verschieden- heiten nebeneinanderliegender Elemente beobachtet man auch beim Nervmuskel- präparat, dessen einzelne Elemente z. B. bei der Ermüdung ebenfalls in ungleich frequente Erregung geraten. — °) A. v. Bezold, Unters. physiol. Labor. Würzburg 1, 256, 1867; Cohnheim u. Schulthes-Rechberg, Virchows Arch. 85, 503, 1881. — *) Skand. Arch. f. Physiol. 2, 394, 1890; Kreislauf, 8. 192. Hier Literatur. — 5) Zeitschr. f. klin. Med. 25, 158, 1894. Ausführliche Literatur. — °) Porter, Zentralbl. f. Physiol. 9, 481 u. 645. — °) S6e, Bochefontaine u. Roussy, Compt. rend. 92, 88, 1881; Porter, 1. c. — °) Kronecker, Zeitschr. f. Biol. 34, 551, 1896. — °) Pflügers Arch. 70, 289#f., 1898. — '°) Arch. f. exp. Path. 47, 200, 1902. — !!) Pflügers Arch. 55, 366, 1893. ET ii 2 een ae nn a 'na Erhaltung der physiologischen Reizperiode. 241 1. Ob der natürliche „Ursprungsreiz“ der Herzaktion im Sinusgebiet ein Dauerreiz oder .ein rhythmischer ist. 2. Ob dem Vorhof und Ventrikel vom Sinus (bzw. den Einmündungs- stellen der Venen) her dauernd „Leitungsreize“!) zugeleitet werden oder rhythmisch entsprechend der jedesmaligen Sinuserregung. Die zweite Frage hat zuerst Gaskell vermittelst der oben, 8. 228, zitierten Erwärmungsversuche so beantwortet: Da isolierte Erwärmung des Frosch- ventrikels, trotz deutlicher Wirkung auf die Stärke seiner Kontraktionen, keine Zunahme seiner Schlagfrequenz bewirkt, diese vielmehr nach wie vor mit der des Sinus übereinstimmt, so kann der Leitungsreiz kein kontinuierlicher, sondern nur ein rhythmischer, von den Erregungen des Sinus abhängiger sein. Im gleichen Sinne spricht?) die Erfahrung, daß am absterbenden Herzen oder nach gewissen Vergiftungen®), bei welchen das refraktäre Stadium für eine bestimmte Reizstärke sich allmählich verlängert, der Ven- trikel zunächst nach jeder Vorhofskontraktion sich zusammenzieht, von einem gewissen Punkte ab, sobald nämlich die refraktäre Periode für den Leitungs- reiz länger geworden ist, als das Intervall zwischen zwei Vorhofskontraktionen, aber nur nach jeder zweiten. Wirkte der Leitungsreiz kontinuierlich ein, so müßte entsprechend der allmählichen Verlängerung der refraktären Phase auch die Frequenzabnahme des Ventrikels allmählich — nicht sprunghaft — erfolgen. Dabei zeigt sich außerdem, daß der Ventrikel dem natürlichen Leitungsreiz gegenüber sich ganz so verhält wie gegen (nicht allzu starke) künstliche rhythmische Reize, was übrigens auch in anderer Beziehung durch mehrere Untersuchungen sichergestellt wurde ®). Durch die Annahme rhythmischer, vom Sinus über die Vorhöfe zum Ventrikel fortgeleiteter Erregungsimpulse erklärt sich ferner folgende Beob- achtung: Schaltett man in Fig. 26. die regelmäßige rhythmische Schlagfolge des Ventrikels eines normalen Frosch- oder Säugetierherzens durch ein- malige starke Momentan- AORMDE desselben während a, b, d, e, f spontane Ventrikelkontraktionen; ce Extrasystole der Diastole eine vorzeitige des Ventrikels nach Reizung mit einem einzelnen Induktions- h K : strom. Vor den spontanen Kontraktionen (bes. vor d) sieht Kontraktion ein —- eine SO- manin der Kurve einen schwachen Vorschlag, welcher durch genannte Extrasystole ne, die vorhergehende Vorhofsystole erzeugt ist. fällt die natürliche Systole, welche unmittelbar darauf folgen sollte, aus, und erst nach einer längeren Pause — gewöhnlich als kompensatorische Pause bezeichnet’) — erfolgt wieder eine Kontraktion. Die Gesamtdauer a b ce d e f !) Über die Begriffe „Ursprungsreiz“ und „Leitungsreiz“ vgl. H. E. Hering, Pflügers Arch. 92, 392, 1902. — ?) Vgl. Engelmann, Deutsche Klinik 4, 244, 1903. — ®) Digitalin: Straub, Arch. f. exp. Path. 45, 346, 1901; Brandenburg, Zeitschr. £. klin. Med. 53 (1904). Carpain: Alcock u. H. Meyer, Engelmanns Arch. 1903, 8. 225. Kohlensäure: Straub, Arch. f. exp. Path. 45, 380, 1901. — *) Mc. William, Journ. of. Physiol. 6, 192, 1885; F. B. Hofmann, Pflügers Arch. 72, 409, 1898, hier auch die übrige Literatur. Weitere Überlegungen über die ver- gleichsweise Stärke und Dauer des Leitungsreizes bei v. Kries, Engelmanns Arch. 1902, S. 489; Alcock u. Meyer, l.c. 8. 232. — °) Marey, Travaux du labor. 1876, p. 74; auch Journ. de l’Anat. et de la physiol. 1877, p. 70. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 16 2423 Fehlen der kompensatorischen Pause im Sinusgebiet. der letzten (durch die einfallende Extrasystole abgekürzten) spontanen Ventrikel- periode!) und der darauf folgenden Extrasystöle samt kompensatorischer Pause ist (bis auf geringe Bruchteile einer Sekunde) gleich der Dauer zweier spontaner Ventrikelperioden (be + cd ziemlich gleich 2a b in Fig. 26). Schaltet man statt einer mehrere Extrasystolen hintereinander ein, so beträgt die Zeit vom Anfang der letzten spontanen Systole vor bis zum Beginn der ersten spontanen Systole nach der Reizung immer ein gerades Vielfaches der normalen Periodendauer: Engelmanns Gesetz der Erhaltung der physio- logischen Reizperiode?). Dies gilt beim Froschherzen auch für den Vorhof. Die Erklärung dafür ist nach Engelmann folgende: Vom Vorhof aus werden dem Ventrikel Leitungsreize nur rhythmisch, nach jeder Vorhofs- erregung einer, zugeleitet (in Fig. 26 durch schräge punktierte Pfeile an- gedeutet). Schaltet man eine vorzeitige Extrasystole ein, so trifft der nächste Leitungsreiz in der refraktären Phase der Extrasystole ein, vermag also den Ventrikel nicht zu erregen. Erst die zweitnächste Erregungswelle vom Vor- hofe löst wieder eine Ventrikelsystole aus. Setzt man .durch Abkühlung des Sinus das Schlagtempo des Herzens herab, so vermag man zwischen die natürliche Schlagfolge des Ventrikels Extrasystolen einzuschalten, ohne daß darauf eine kompensatorische Pause folgt, weil dann die einzelnen Leitungs- reize so weit auseinander liegen, daß die refraktäre Periode der Extrasystole schon vorüber ist, wenn der nächste Leitungsreiz eintrifft). Mit der Veränderung der Intervalle zwischen den einzelnen Kontraktionen ist natürlich auch eine Änderung der Kontraktionsgröße verknüpft (vgl. unten, 8. 246). Die Extrasystole ist, da sie früher eintritt als die natürliche Systole, niedriger als letztere und läuft rascher ab. Die erste Systole nach der kompensatorischen Pause ist höher als die Systolen in der gleichmäßigen Reihe und dauert zugleich etwas länger. Infolge dessen ist die darauf folgende zweite natürliche Systole event. wieder etwas kleiner als die der gleichmäßigen Reihe *). Anders als Vorhof und Ventrikel des Froschherzens verhält sich der Sinus. Hier wird nämlich nach Extrareizung niemals eine echte kompen- satorische Pause beobachtet. Erfolgt die Extrareizung nicht allzu frühzeitig nach einer spontanen Systole, so ist die Dauer einer Extraperiode (Zeit vom Beginn der Extrasystole bis zum Beginn der nächsten spontanen Systole) gleich der einer normalen Periode). Setzt die Extrasystole sehr frühzeitig nach einer spontanen Systole ein, so ist allerdings häufig eine geringe Verlängerung der Extraperiode nachweisbar, gleich- viel ob die Extrasystole durch direkte Sinusreizung ausgelöst wurde oder durch Zuleitung der Erregung von anderen Herzteilen her‘°). ’) Unter einer Ventrikelperiode versteht man die Summe von einer Systole, Diastole und Pause, ihre Dauer entspricht also der Zeit, welche vom Beginn einer Systole bis zum Anfange der nächsten verstreicht. — ?°) Pflügers Arch. 59, 333, 1894. Für den Ventrikel des Warmblüterherzens bestätigt von Cushny u. Ma- thews (Journ. of Phys. 21, 221, 1897) und H. E. Hering (Pflügers Arch. 82, 425, 1900). — °) Trendelenburg, Engelmanns Arch. 1903, 8. 311. Fehlen der kompensatorischen Pause bei ventrikulären Extrasystolen am selten schlagenden menschlichen Herzen beschrieb Pan (Deutsch. Arch. £. klin. Med. 78, 128, 1903). — *) Langendorff, Pflügers Arch. 70, 473 (hier die Literatur). Siehe auch Hof- mann, ebenda 84, 148 ff., 1901. — °) Engelmann, ebenda 65, 137 ff., 1897. — °) Darüber und über einige andere kleine Abweichungen siehe Engelmann, 1. c. 8. 145ff. Beachtenswert sind besonders lange anhaltende Nachwirkungen ganz starker Reizungen (Hemmungen oder Beschleunigungen), die auch an atropinisierten ee; hi 5 r v E -d Ansichten über den „inneren Herzreiz“. 943 Am Vorhofe des Säugetierherzens folgt auf Extrasystolen zwar eine Pausenverlängerung nach Art einer kompensatorischen, doch ist die Summe der Extraperiode und der letzten (abgekürzten) spontanen Periode sehr oft kleiner als das Doppelte zweier normaler Perioden‘). Fällt nämlich die Extrasystole so früh- zeitig nach der spontanen Systole, daß sie sich noch rückläufig bis zu den Venen fortpflanzen und auch dort eine vorzeitige Extrasystole auslösen kann, so kommt wegen des Fehlens der kompensatorischen Pause im Sinusgebiet die nächste darauf folgende spontane Systole der Venen um ebensoviel früher zustande, als durch die Extrasystole die letzte spontane Periode verkürzt wurde. Die nächste Erregungs- 'welle geht also vom Sinusgebiet etwas früher aus als gewöhnlich. Daß sich die Extrasystolen des Vorhofes im Warmblüterherzen so viel leichter rückläufig gegen die Venen zu fortpflanzen als im Froschherzen, beruht wahrscheinlich darauf, daß in letzterem die Erregung zunächst auf den Sinus und von diesem erst auf die wahrscheinlich zuerst sich kontrahierenden Venen übergehen kann, während im Warmblüterherzen der „Sinus“ mit dem Vorhof verschmolzen ist ?). Ebensowenig wie am Sinus tritt eine echte kompensatorische Pause an einem Froschherzventrikel auf, der durch einen konstanten Reiz zu rhyth- mischem Schlagen gebracht wird und in dessen Schlagfolge eine Extrasystole eingeschaltet wird®). Daraus folgt, daß vermutlich auch der unbekannte, die rhythmischen Erregungen auslösende „innere Ursprungsreiz“ der Herzaktion im Sinus nach Art eines konstanten Dauerreizes wirkt. Dies ist aber nicht die einzige Erklärungsmöglichkeit, denn es könnte auch sein, daß der innere Herzreiz nach jeder Systole neu erzeugt würde). Nach Loeb und seinen Schülern ist der innere zur spontanen Schlagfolge führende Reiz im Gehalt des Blutes und der Gewebsflüssigkeit an Na-Ionen zu suchen (siehe oben, S. 230). Den die Automatie fördernden Na-Ionen wirken die hemmenden Ca- und K-Ionen entgegen. Das Verhältnis der Na- und Ca-Ionen im Blut genügt, um ge- rade bloß den Sinus zu, erregen; steigert man den Gehalt an Na-Ionen, so verfällt auch der Ventrikel, ja selbst der Skelettmuskel in rhythmische Zuckungen. Selbst wenn diese Tatsachen alle richtig wären (sie werden zum Teil bestritten, siehe oben), so wäre es immer noch möglich, daß nicht die Na-Ionen selbst den Herzreiz darstellen, sondern daß sie bloß die Reizbarkeit des Herzmuskels so weit steigern, daß die inneren Herzreize wirksam werden’). Dann bliebe noch Raum für die Ansicht Langendorffs‘), daß der innere Herzreiz durch die eigenen Stoffwechsel- oder stark kuraresierten Herzen auftreten können, also wohl auf eine direkte Muskelreizung bezogen werden müssen. Bezüglich der Beschleunigungen vgl. oben, 8. 233. Analoge Hemmungen, vermutlich durch direkte Muskelreizung, sah am Frosch- herzen schon Dastre (Journ. de l’Anat. et de la Physiol. 1882, p. 463). Langen- dorff (Du Bois’ Arch. 1885, S. 285) wies zuerst nach, daß sie auch an atropini- sierten Herzen auftreten können, und auch F. B. Hofmann (Schmidts Jahrb. 281, 117, 1904) bezog eine ähnliche Hemmungswirkung bei Reizung der Atrioventrikular- grenze des spontan schlagenden Froschventrikels auf direkte Muskelreizung. !) Cushny u. Mathews, H. E. Hering, l. c. — ?) Wenckebach, Engel- manns Arch. 1903, 8. 57. — ®) Engelmann, Pflügers Arch. 59, 328, 1895. Kaiser (Zeitschr. f. Biol. 32, 457, 1895) gab zwar an, daß am isolierten Ventrikel bei chemischer Reizung der Basis oder automatischer Tätigkeit ebenfalls eine echte kompensatorische Pause nach Extrareizungen auftritt, doch sind die Erregungen in seinen Fällen wohl vom Vorhofsrest und dem Atrioventrikulartrichter aus dem Ventrikel rhythmisch zugeleitet worden (vgl. die Kritik bei Muskens, Pflügers Arch. 66, 334, 1897; ferner Woodworth, Amer. Journ. of Physiol. 8, 237 ff., 1902). — *) Das ist die Ansicht von Engelmann (Pflügers Arch. 65, 142, 1897; Deutsche Klinik 4, 227, 1903). — °) Am Skelettmuskel steigern Na-Salzlösungen die Reizbarkeit enorm (vgl. Biedermann, Elektrophysiologie 1, 89#f., 1895). Loeb dagegen (Festschr. f. Fick, 8. 99) gibt freilich an, daß eine automatische Tätigkeit auch ohne Steigerung der Reizbarkeit angeregt werden kann. — °) Ergebn. d. Physiol. 1 (2), 324, 1902. 16* 244 Ansichten über den „inneren Herzreiz“. produkte des Herzens gebildet wird. Dies widerspricht allerdings wieder der Mei- nung Engelmanns, daß die Reizerzeugung während der Systole, ‘also während der Periode gesteigerter Bildung von Stoffwechselendprodukten, unterdrückt ist!). Etwas irgendwie Sicheres läßt sich also heute darüber noch nicht aussagen. Wie nun ein stetig wirkender Reiz zu rhythmischer Tätigkeit führen kann, hat: man sich im Anschluß an Rosenthal?) vielfach an mechanischen Modellen klar gemacht®). Diese zeigen „alle das Eigentümliche, daß die stetige Wirkung einen Widerstand findet, welchen sie zuerst überwinden muß, um’sich bemerklich zu machen“. (Rosenthal, l.c. 8. 242.) Da es sich indessen bei den Vorgängen der Muskel- und Nervenerregung im Grunde um Stoffwechselprozesse, also um chemische Vorgänge handelt, würde man beim Suchen nach Analogien jetzt wohl eher an die Gesetze des chemischen Reaktionsverlaufs und des Gleichgewichts in chemischen Systemen denken. Eine auch auf das Herz anwendbare Hypothese über die Stoffwechselvorgänge bietet nun die bekannte, auf eine breite Beobachtungsbasis an vielen anderen erreg- baren Gebilden Heringsche Theorie der Vorgänge in der lebenden Substanz *). Hering nimmt bekanntlich an, daß in jedem kleinsten Teilchen der lebenden Sub- stanz Aufbau und Zersetzung, Assimilierung (A) und Dissimilierung (D) (oder, wie Gaskell es nannte, anabole und katabole Prozesse) gleichzeitig sich vollziehen. Sind diese Gegenprozesse gleich stark, so befindet sich die Substanz trotz fort- währender Änderung im „autonomen“ Gleichgewicht. Werden aber durch einen äußeren Reiz die D-Prozesse gesteigert (D-Reizung), so daß also neben der „auto- nomen“ normalen D ein Plus von „allonomer“ (durch den „D-Reiz“ erzeugter) D- vor sich geht, welcher die autonome A nicht mehr das Gleichgewicht halten kann, so verändert sich die Substanz im Sinne einer Verminderung ihrer Leistungsfähig- keit und Reizbarkeit, sie wird unterwertig (macht eine „allonome* absteigende Ver- änderung durch). Hört der D-Reiz auf, so strebt die Substanz durch Vermehrung der autonomen A wiederum ihr früheres autonomes Gleichgewicht zu erreichen — autonome aufsteigende Änderung. Auf einem solchen fortwährenden Wechsel ab- und aufsteigender Änderungen beruht nun nach Hering (l. c. 8. 69) auch die Tätigkeit des Herzens, indem durch die aufsteigende Veränderung die vorher- gegangene absteigende Änderung immer wieder ausgeglichen wird. „Eine solche ‚periodisch tätige‘ Substanz ... ermüdet nicht, sofern nicht ihre Assimilierungs- bedingungen gestört werden oder ihre Dissimilierung durch anderweite Einflüsse übermäßig gesteigert wird; und innerhalb gewisser Grenzen ist sie befähigt, sich auch veränderten A- und D- -Bedingungen bzw. A- und D-Reizen anzupassen, woraus sich ebensowohl Änderungen der Periode als des Ausmaßes der einzelnen Änderungen ergeben können.“ Der Blutdruck als Herzreiz. Der Blutdruck ist zwar nicht als der normale innere Herzreiz zu be- trachten, denn auch ohne Innendruck schlägt das Herz spontan weiter, bis zu einem gewissen Grade ist aber die Schlagfrequenz doch vom intrakardialen Druck abhängig. Wenn man nämlich in das venöse Ende eines völlig isolierten, künstlich durchströmten Kaltblüterherzens die Durchströmungsflüssigkeit unter hohem Druck einfließen läßt, so steigt die Schlagfrequenz; erniedrigt man den Druck bald wieder, so überdauert die durch die Drucksteigerung gesetzte Frequenzzunahme erstere noch einige Zeit’). Wenn der „venöse“ Druck des einfließenden Blutes konstant bleibt und bloß der Ausfluß des Blutes aus dem Ventrikel einem größeren Widerstande begegnet, so erfolgt bei Variationen des Aortendruckes innerhalb der normalen Blutdruckhöhen keine Frequenz- !) Eine andere Ansicht siehe bei Straub, Pflügers Arch. 103, 446 ff., 1904. — ?) Die Atembewegungen, Berlin 1862. — °) Eine ausführliche Kritik derselben bei Öhr- wall, Skand. Arch. 8, 5 ff., 1898. — *) Lotos, Prag 1888, 8. 35. — °) Tschiriew, Du Bois’ Arch. 1877,8. 180 ff. Ludwig u. Luchsinger, Pflügers Arch. 25, 228 ff., 1881. Der Blutdruck als Herzreiz. 245 änderung, bei sehr hohen Drucken (gänzlicher Behinderung des Abflusses) eine geringe Frequenzabnahme, vielleicht wegen des Stagnierens des Blutes im Herzen!),. Am künstlich durchströmten (Einfluß in den rechten Vorhof, Abfluß aus der Aorta), bloß noch mit den Lungen in Verbindung stehenden Säugetierherzen haben bei niedrigem konstanten Einflußdruck (unter 10 cm Blut) Variationen des Aortendruckes von 25 bis 140 cm Quecksilber keinen Einfluß auf die Pulsfrequenz. Eine geringe Frequenzabnahme erfolgt dann, wenn der arterielle Druck dauernd so niedrig ist, daß der Kreislauf in den Koronargefäßen leidet. Bei hohem Einflußdruck macht Behinderung des Ab- flusses Arhythmie?); Variationen des (venösen) Einflußdruckes von 10 bis 70 cm Blut haben keinen Einfluß auf die Pulsfrequenz®). Am Präparate von H.E. Hering (isolierter Herz-Lungen- und Carotis-Jugularis-Kreislauf) machte Absperrung des Ausflusses meist eine geringe Beschleunigung, manchmal gar keine Änderung der Frequenz, häufig traten Arhythmien auf (meist p. bige- minus), nie eine Frequenzabnahme). Am nervös isolierten Herzen bei voll- ständig erhaltenem Kreislauf vermehren starke Blutdrucksteigerungen meist die Pulsfrequenz’), aber nur, wenn die Drucksteigerung rasch erfolgt ®). Häufig treten-Arhythmien auf’), mehrere Autoren haben auch eine geringe Frequenzabnahme beobachtet °). Die Frequenzzunahme bei Steigerung des Einflußdruckes ist ersichtlich bedingt durch Reizung der automatisch tätigen Elemente des Herzens am venösen Ende, wofür auch das Überdauern der Erregung nach dem Reize spricht (vgl: oben S. 233). Die Arhythmien bei Erhöhung des arteriellen (Abfluß-)Druckes beruhen auf. Extrasystolen des Ventrikels, welche bei Ab- klemmung der Aorta vom linken, bei Abklemmung der Pulmonalis vom rechten Ventrikel ausgehen?). Es kann sogar zu einer Umkehrung der Schlagfolge kommen, sodaß der Ventrikel vor dem Vorhofe schlägt. Die von mehreren Autoren am nervös isolierten Herzen beobachtete geringe Frequenzabnahme bei Blutdrucksteigerungen könnte auf sekundären Komplikationen beruhen. N. Martin (. ce. S. 214) zählt als solche auf: Veränderung der ins Herz ein- fließenden Blutmenge, deren Bedeutung nach dem Obigen fraglich ist, Ände- rungen der Temperatur und der chemischen Zusammensetzung des Blutes 1°). Die Leistungsfähigkeit (Kontraktilität) des Herzens und ihre rhythmischen Schwankungen. In ähnlicher Weise, wie die durch die Reizschwelle charakterisierte Reizbarkeit ist auch die Höhe und Dauer der Kontraktionen — die Leistungs- fähigkeit (Kontraktilität) — von der Länge des Intervalls nach der vorher- !) Howell u. M. Warfild, Stud. biolog. Laborat. Johns Hopkin’s Univ. Balti- more 2, 235, 1881. Hier Kritik der früheren Untersuchungen (Tschiriew, 1. c., hatte ebenfalls Frequenzzunahme bei Steigerung des Widerstandes für den Abfluß gesehen). — ?) N. Martin, Ebenda $. 213. — ®) Howell u. Donaldson, Philos. Transaet. 175, 151, 1884. — *) Pflügers Arch. 72, 173, 1898. — °) Zuerst Ludwig u. Thiry, Wiener Sitzungsber. 49 (2), 442, 1864. — °) Johannson, Dn Bois’ Arch. 1891, 8.142ff. — 7’) Heidenhain, Pflügers Arch. 5, 143, 1872; Knoll, Wiener Sitzungsber. 66 (3), 209 ff., 1872.— ®) Nur solange das Halsmark nicht durchschnitten ist: Knoll, 1. c. 8. 213. Im übrigen siehe die Literatur bei Tigerstedt, 8. 298 ff. — °) H. E. Hering, Pflügers Arch. 82, 1, 1900. — '°) Vgl. auch Knoll, l.c. - 246 Abhängigkeit der Systolengröße von der Schlagfrequenz. gehenden Erregung abhängig!), Je früher also eine zweite Kontraktion. nach der ersten einsetzt, desto kleiner ist sie. Macht man die Pausen zwischen. den Reizungen länger, so wächst bis zu einer gewissen oberen Zeitgrenze (dem „Optimum des Reizintervalls“ 2) die Größe der Kontraktionen. : Bis zu dieser Grenze gilt also der Satz, daß die Kontraktionen um so größer werden, je länger die Pause nach der vorhergehenden Erregung ist. Genauere‘ An- gaben darüber, ob die Zunahme der Zuckungshöhen nach jeder Systole der Zunahme der Reizbarkeit durchaus parallel geht, stehen noch aus°). Am Froschherzen ist mit der Verkleinerung der Kontraktionen auch eine beträcht- liche Verkürzung, mit ihrer Vergrößerung eine Verlängerung der Kontrak- tionsdauer verbunden, während das mechanische Latenzstadium sich nur sehr wenig ändert). Am Menschenherzen tritt zwar bei Frequenzänderung die ana- loge Veränderung der Systolendauer gegenüber der beträchtlicheren Änderung der Länge der Diastole mehr in den Hintergrund, ist aber ebenfalls vorhanden 5). Verlängert man das Reizintervall über das Optimum hinaus, so nimmt die Höhe der Kontraktionen wiederum ab, und zwar werden sie um so niedriger, je länger die Ruhepause ist. Damit ist eine Verlängerung der Kontraktionsdauer und des mechanischen Latenzstadiums verbunden®). Reizt man ein stillstehendes Herz nach einer sehr langen Ruhepause rhythmisch, so sind die Kontraktionen anfangs sehr niedrig und gedehnt und nehmen allmählich an Höhe zu, an Dauer ab. Die Zunahme der Kontraktionshöhe wird als „Bowditchsche Treppe“ bezeichnet’). (Ähnliche Erscheinungen am Skelettmuskel und Nervensystem nach langer Ruhe siehe in den entsprechen- den Kapiteln dieses Handbuches.) Das Optimum des Reizintervalls liegt am frischen, gut ernährten Herzen ziemlich hoch®), wird aber am absterbenden, ausgeschnittenen Herzen und bei der Erstiekung immer kürzer, so daß schließlich schon nach ganz kurzen Pausen die !) Ludwig u. Hoffa, Zeitschr. f. rat. Med., 1. Folge, 9, 135, 1850; Bow- ditch, Sächs. Ber. 23, 673, 1871 und andere. Bezüglich der Trennung von Reiz- barkeit (= Anspruchsfähigkeit) und Leistungsfähigkeit siehe H. E. Hering (Pflügers Arch. 86, 534 ff., 1901), Engelmann (sein Arch. 1902, Suppl., 8. 1). Streng genommen müßte man noch unterscheiden zwischen Größe der Erregung (des der Kontraktion zugrunde liegenden Stoffwechselvorganges) und der Größe des mechanischen Effekts (Kontraktilität im engeren Sinne), doch liegen hierüber keine Untersuchungen vor. — °?) Hofmann, Pflügers Arch. 84, 141, 1901. — °) In den Kurven von Walther (Pflügers Arch. 78, 622, 1899, Fig. 18) vom aus- geschnittenen, blutleeren Herzen ist die Kurvenhöhe noch nicht maximal, wenn die Reizschwelle schon konstant geworden ist. Das entgegengesetzte Verhalten gibt Engelmann (Deutsche Klinik 4, 239, 1903) für das blutdurchströmte Herz an. Aus dem langsameren Anstieg der Leistungsfähigkeit nach der Systole erklärt sich auch bei Walter (l. c.), daß nach Muskarinvergiftung die Superposition (das Höherwerden der Extrazuckung) meist später auftritt als die Ver- kürzung der refraktären Phase. — *) Hofmann, 1. c. 8. 142ff.— °) Volkmann (Hämodynamik 1850, 8. 362, u. Donders (Dublin quat. Journ. med. science 1868, p. 225, zit. nach Tigerstedt, $. 128 ff., woselbst auch die übrige Literatur) durch Messung des Intervalls zwischen erstem und zweitem Herzton beim Menschen. Direkte Bestimmungen am Säugetier (Klug, Du Bois’ Arch. 1881, 8. 260; v. Frey u. Krehl, ebenda, 1890, 8. 49) bei Frequenzänderung durch Vagusreizung ergaben dasselbe Resultat. Vgl. auch H. E. Hering (Pflügers Arch. 89, 287, 1902). — 6%) Hofmann, 1. c. 8. 149. — 7) Sächs. Ber. 23, 669, 1871. — °) Am ausge- schnittenen Froschherzen ungefähr 5 bis 6”. Für die künstlich durchströmte Hundeherzspitze gibt Woodworth 1” an (Amer. Journ. of Physiol. 8, 215, 1903). Abhängigkeit der Systolengröße von Temperatur und Ernährung. 247 Bowditchsche Treppe auftritt‘). Die sehr ähnlichen Änderungen der Reizbarkeit am erstickenden Herzen (siehe oben $. 236) erfolgen nach Öhrwall zwar im gleichen Sinne wie die Änderungen der Kontraktionshöhe, doch laufen beide ein- ander nicht streng parallel. Muskarinvergiftung begünstigt ebenso wie Erstickung das Auftreten der Treppe bei kurzen Reizintervallen, Atropin wirkt antagonistisch (Bowditch, 1. ce. 8. 678f£.). Die Herzkammern mancher Tiere?) zeigen das Treppenphänomen nicht. Die Dauer und Höhe der Herzkontraktionen wird ferner beeinflußt durch die Temperatur: Von der unteren Temperaturgrenze für spontanes Schlagen an (siehe oben S. 231) nimmt beim Froschherzen die Kontraktionshöhe bei Erwärmung rasch zu bis zu einem Maximum, und darauf zuerst langsam, später rascher ab°). Die Kontraktionsdauer nimmt bei der Er- wärmung im allgemeinen ab. Die spontane Schlagfrequenz verhält sich innerhalb gewisser Grenzen umgekehrt, so daß zwischen 0° und 18° © die Summe der Systolendauern in der Zeiteinheit angenähert gleich bleibt (Cyon, l. c. S. 289). Beim Säugetierherzen nimmt die Kontraktionsgröße im all- gemeinen bei Abkühlung von der Körpertemperatur bis auf ungefähr 20° C zu, bei weiterer Abkühlung ab ®). Die Leistungsfähigkeit des Herzens hängt ferner von seiner Er- nährung ab. Um dauernd gut leistungsfähig zu bleiben, bedarf das Herz, wie jeder Muskel, abgesehen von der nötigen Wegschaffung der Zersetzungs- produkte seines Stoffwechsels, der Zufuhr organischen Nährmaterials, von O und der Anwesenheit gewisser anorganischer Salze. Die Untersuchungen über die einzelnen Faktoren der Ernährung sind meist am künstlich durchströmten Herzen ausgeführt worden. Am Kaltblüter wird ent- weder das ganze Herz nach dem Verfahren von Ludwig durchspült, oder in den Vorhof oder Ventrikel eine Kroneckersche bzw. Williamssche Kanüle eingeführt. Für das ausgeschnittene Säugetierherz hat Langendorff°) eine Durchströmungs- methode ausgearbeitet, welche darin besteht, daß man von der Aorta aus unter einem konstanten Druck von 90 bis 100 mm Hg Flüssigkeit durch die Koronararterien treibt. Bezüglich der Details und Modifikationen dieser Methoden vgl. Langen- dorff (Ergeb. d. Physiol. 1 (2), 275 ff., 1902). Das Herz vermag zwar auch bei Durchströmung mit Lösungen bestimmter anorganischer Salze (Ringerlösung, siehe unten) lange Zeit kräftig zu schlagen, wobei es in ihm selbst (in den Gewebsspalten oder den Gewebs- elementen, nicht in den makroskopischen Blutspalten®) verhandenes orga- nisches Material’ zersetzt, es bleibt aber viel länger leistungsfähig, wenn man der Ringerlösung geringe Mengen von Glukose (bis zu einem Gehalt von 1 Proz.) hinzufügt”). Ähnlich wirkt vielleicht auch Lävulose, nicht aber die !) Öhrwall, Skand. Arch. 7, 235#f., 1897. Hofmann, Il. e. 8. 153. — 2) Aal: Mc William (Journ. of Physiol. 6, 210, 1885); Hecht: Walther (Pflügers Arch. 78, 625, 1900); auch die Venen des Froschherzens: Engelmann, ebenda, 65, 126, 1895). — °®) Cyon, Sächs. Ber. 18, 275ff., 1866. — *) Langendorff, Pflügers Arch. 66, 385, 1897. — °) Pflügers Arch. 61, 291,.1895. — °) Nach Howell (Amer. Journ. of Physiol. 2, 55ff. u. 68, 1899), der an Streifen von den Hohl- venen des Schildkrötenherzens arbeitete, welche im Inneren sehr wenig muskulöse Maschen enthalten. Dagegen hält die Kroneckersche Schule an der Ansicht fest, daß das Nährmaterial von den in den kapillaren Spalten zwischen den Muskelmaschen zurückgehaltenen Blutresten geliefert wird (vgl. Schücking, Engelmanns Arch. 1901, Suppl. 8. 218). — 7) Locke, Zentralbl. f. Physiol. 14, 670, 1901; Journ. of Physiol. 31, XIII f£., 1904. Wurde anfangs bezweifelt (vgl. z.B. Göthlin, 1. infra e., S. 42), ist aber seither mehrfach bestätigt worden. 248 Ernährung des Herzens. übrigen Zuckerarten. Serumalbumin, das von Kronecker und seinen Schülern für ein wichtiges Nährmaterial gehalten wurde, erhöht, zur Ringer- lösung hinzugefügt, die Leistungsfähigkeit des Herzens nicht, ebensowenig reines Paraglobulin, wohl aber ungereinigtes (an Lecithin gebundenes?) Paraglobulin !). In bezug auf sein O-Bedürfnis verhält Kia das Herz wie der Skelett- muskel. Auch ohne O-Zufuhr kann es noch eine Zeitlang weiter arbeiten, aber schließlich nimmt die Höhe der Kontraktionen enorm ab2). Kohlen- säureanhäufung bewirkt ebenfalls eine Abnahme der Kontraktionshöhe, eventuell bis zur Unmerklichkeit. Die von einigen Autoren angegebene an- fängliche Erhöhung der Kontraktionen durch Kohlensäure hat Groß?) am Säugetierherzen nicht gesehen. Am ausgeschnittenen Säugetierherzen kann der für kräftiges Schlagen nötige Bedarf an O auf lange Zeit auch ohne Anwesenheit von Hämoglobin gedeckt werden, wenn man die Durchströmungsflüssigkeit mit O unter Atmosphärendruck sättigt (Locke, 1. e.). Auf Kohlensäurewirkung führt Kronecker das Phänomen der Treppe zurück‘). Von anorganischen Salzen sind zur Aufrechterhaltung der Leistungs- fähigkeit des Herzens nach Ringers Entdeckung) unbedingt erforderlich Ca-Salze. In reiner physiologischer NaCl-Lösung sinkt die Kontraktions- höhe sehr rasch bis zur Unmerklichkeit ab. Fügt man aber sodann der Lösung etwas CaC], zu, so erscheinen die Kontraktionen wieder und nehmen an Höhe zu®). Man hat die Abnahme der Kontraktionen in reiner NaCl-Lösung meist allein auf das Herausdiffundieren der Ca-Salze aus dem Muskel bezogen. Doch übt eine ähnlich restaurierende Wirkung auf das durch 0,7 proz. NaCl-Lösung „erschöpfte“ Herz wie Ca-Zusatz auch aus Übertragung in eine isotonische Rohrzuckerlösung’) und eine vermehrte O-Zufuhr?). Ebenso unbedingt nötig wie die Ca-Salze sind aber für die Kontraktilität der Muskeln auch die Na-Salze. In isosmotischer Zuckerlösung verliert der Herz- wie der Skelettmuskel seine Reizbarkeit und Kontraktilität vollkommen, erhält sie aber durch Zusatz von NaCl wieder?). In einem Gemisch von Na- und Ca-Salzlösungen schlägt das Herz zwar sehr kräftig, neigt aber zu Dauerkontraktionen (Ringer, ]. c.). Um diese zu vermeiden, ist es nötig, noch eine passende Menge. eines Kalisalzes hinzuzufügen, welche, allein für sich oder im Überschuß angewandt, die Leistungsfähigkeit, Reizbarkeit und !) Göthlin, Skand. Arch. f. Physiol. 12, 45 ff., 1901. Vgl. dazu Schücking, l. c. 8. 235. — 5) Öhrwall (Skand. Arch. f. Physiol. 7, 235ff., 1897) für das Froschherz; Strecker (Pflügers Arch. 80, 161, 1900) für das Säugetierherz. Die übrige Literatur bei Langendorff (Krgehn. d. Physiol. 1 (2), 313.) — ®) Pflügers Arch. 99, 314, 1903. Hier ausführliche Literatur. — ‘) Du Bois’ Arch. 1878, 8. 322. Vgl. auch Schücking, I. c. 8. 221. — °) Journ. of Physiol. 6, 361; Brit. med. Journ., p. 730,. 1885, und an mehreren anderen Orten. — °) Auch die günstige Wirkung eines Zusatzes von Gummi arabicum zur NaCl-Lösung (Heffter, Arch. f. exp. Path. 29, 49 ff., 1892), welche Albanese (ebenda 32, 297, 1893) auf die Erhöhung der Viskosität bezog, beruht nach Locke (Journ. of Physiol. 18, 332, 1895) auf dem Gehalt an arabinsaurem Ca. — ?) Howell, Amer. Journ. of Physiol. 6, 185, 189, 1902. — ®) Lingle, ebenda 8, 80 ff., 1903; Martin, ebenda 11, 118ff., 1904. — °) Overton, Pflügers Arch. 92, 346ff., 1902. Die Experimente von Lingle (Amer. Journ. 4, 267) beziehen sich nur auf das Fehlen von spontanen Kontraktionen in reiner Dextroselösung. Leitung der Erregung im Herzen. 249 die spontane Schlagfrequenz herabsetzen. Ringer gelangte so auf empirischem Wege zu einer Lösung!), welche das Froschherz lange Zeit gut schlagend er- hält. Für Säugetierherzen gab dann Locke?) nach den Serumanalysen von Abderhalden?°) als beste Konzentration der Durchströmungsflüssigkeit an: 0,9 bis 1 Proz. NaCl, 0,02 bis 0,024 CaCl,, 0,02 bis 0,042 KCl, 0,01 bis 0,03 Proz. NaHCO, (nicht Na,C0;). Über die Wirkung und den Nutzen des Zusatzes von NaHCO, hat sich eine ausgedehnte Diskussion entsponnen®). Wahrscheinlich handelt es sich um die günstige Wirkung einer ganz schwachen Alkaleszenz der Lösung. Das für die Lösung benutzte Wasser muß aus Glasgefäßen destilliert sein, weil bei Benutzung von Metallteilen schädliche „oligodynamische“ Wirkungen von Schwermetallsalzen auftreten können’). ’ Die Stärke der Kontraktionen (weniger die spontane Schlagfrequenz) ist ferner in hohem Grade abhängig von der in der Zeiteinheit durch die Koronar- arterien strömenden Blutmenge. Erhöhung des Druckes, unter welchem das Blut am ausgeschnittenen Herzen in die Kranzgefäße eingetrieben wird, steigert die Systolenhöhe‘). Nach völliger Abstellung der Zirkulation tritt vor der Abschwächung eine vorübergehende Verstärkung der Kontrak- tionen auf’). Bezüglich der großen Zahl von Herzgiften, welche die Leistungs- fähigkeit des Herzens ändern, sei auf die Zusammenstellung von Richet °) verwiesen. Die Änderungen der Leistungsfähigkeit und der Reizbarkeit scheinen bei Vergiftungen nicht immer gleichen Schritt zu halten ?). Beachtenswert ist besonders die Wirkung einiger Organextrakte auf die Leistungsfähigkeit des Herzens. Der Extrakt des Nebennierenmarkes bewirkt infolge seines Adrenalingehaltes eine beträchtliche Acceleration und Verstärkung des Herzschlages bei Kalt- und Warmblütern, am nervös iso- lierten Herzen in situ sowie am ausgeschnittenen Herzen und am künstlich durchströmten Muskelstreifen aus dem Säugetierventrikel10). Kochsalz- extrakte vom Zentralnervensystem und peripheren Nerven vermindern die Kraft besonders der Vorhofsschläge, vielleicht sekundär infolge der starken Blutdrucksenkung und Verminderung des Stromvolumens im Koronarkreis- lauf!t). Die Wirkung dieser Extrakte auf die Frequenz ist ganz unbedeutend und imkonstant. Extrakte des Lobus posterior (des Infundibularteiles) der ?) 100 cm? 0,6 proz. NaCl, enthaltend 1cm? 1proz. NaHCO,, 1 cm? 1 proz. CaCl,, 0,75cm®? 1proz. KCl (Journ. of Physiol. 6, 362). Göthlin (Skand. Arch. f. Physiol. 12, 9) empfiehlt ein Gemisch von NaCl 0,65 Proz., NaHCO, 0,1 Proz., KC1 0,01 Proz., CaCl, 0,0065 Proz., Na,HPO, 0,0009 Proz., NaH,PO, 0,0008 Proz. Die Phosphate können ohne großen Schaden weggelassen werden. — ?) Zentralbl. f. Physiol. 14, 672, 1900. — °) Zeitschr. f. physiol. Chemie 25, 65, 1898. — *) Siehe deren ausführliche Zusammenstellung bei Groß, 1. e. 8. 311ff. — °) Locke, Journ. of Physiol. 18, 319, 1895. Ringer, ebenda 22, 14, 1897. — °) Magrath und Kennedy, Schirrmacher, zitiert nach Langendorff (Ergebn. d. Physiol. 1 (2), 300. — 7) Rusch, Pflügers Arch. 73, 547, 1898; Langen- dorff, l. e. — °) Dict. de Physiol. 4, 330ff. — °) Alcock und H. Meyer, Engelmanns Arch. 1903, S. 235 ff, — !°) Oliver und Schäfer, Journ. of Physiol. 18, 252 ff., 1895; Gottlieb, Arch. f. exp. Pathol. 38, 99, 1896 und 43, 286, 1899; Hedbom, Skand. Arch. 8, 147, 1898; Cleghorn, Amer. Journ. of Physiol. 2, 279, . 1899; Boruttau, Pflügers Arch. 78, 101, 1899 und andere. — '') Osborne u. S. Vincent, Journ. of Physiol. 25, 289, 1900; vgl. auch 8. Vincent u. Sheen, ebenda 29, 261, 1903. 250 Leitung der Erregung. Hypophyse bewirken nach Herring!) am ganzen Froschherzen (nach Zer- störung des Zentralnervensystems) Abschwächung und geringe Frequenz- abnahme, am isolierten Froschventrikel (oder am ganzen Herzen nach Atropinvergiftung) Verstärkung der Kontraktionen und Acceleration. Thyreo- globulin setzt nach Vagusdurchschneidung sowie nach Atropinvergiftung die Schlagfrequenz herab und verstärkt (sekundär infolgedessen?) die Herz- schläge 2). Jodothyrin sowie Kochsalzextrakte der Schilddrüse verstärken die Kontraktionen isolierter Herzmuskelstücke unter geringer Acceleration °). Über die relativ geringen Wirkungen anderer Organextrakte vgl. Hedbom und Öleghorn (. c., hier auch ausführliche Literatur). Die Leitung der Erregung im Herzen. Die Analyse des ersten Stanniusschen Versuchs hat endgültig ergeben, daß die automatische Erregung des Herzens normalerweise im Sinus- gebiete ihren Ursprung nimmt und von hier aus den aufeinander folgenden Herzabteilungen, also nacheinander den Vorhöfen, dem oder den beiden Ventrikeln (und dem Aortenbulbus) zugeleitet wird. Dieser Leitungsprozeß zerfällt in zweierlei Etappen: die Überleitung der Erregung von einem Herz- abschnitte auf den nächsten und in die Ausbreitung der Erregung innerhalb jeder einzelnen Herzabteilung. Geschwindigkeit der Leitung. Innerhalb der einzelnen Herzabteilungen erfolgt die Erregungsleitung unter normalen Verhältnissen mit so großer Geschwindigkeit, daß sie sich bei einfacher Inspektion in allen Teilen gleichzeitig zusammenzuziehen scheinen, und zwar kontrahieren sich beide Vorhöfe zusammen und ebenso beide Ven- trikel zusammen in diesem Sinne gleichzeitig®). Die Geschwindigkeit der Erregungsleitung. innerhalb der intakten Herz- abteilungen kann gemessen werden durch Untersuchung der Aktionsströme nach zwei Methoden: Man bestimmt sie entweder bei Ableitung von zwei unverletzten Stellen aus dem Intervall vom Beginn des Aktionsstromes bis zum Gipfel der ersten Phase®) oder bei künstlicher Reizung aus dem Zeitintervall zwischen dem Moment der Reizung an einer und Beginn des Aktionsstromes bei Ableitung von einer anderen Stelle — richtiger aus der Differenz dieses Zeitintervalls bei Reizung einer von der Ableitungsstelle entfernteren und einer ihr näheren Stelle‘). Im Prinzip auf das- selbe läuft hinaus die Methode von Langendorff, die Nerven zweier Nervmuskel- präparate vom Frosch an verschiedenen Stellen über den Säugetierventrikel zu .') Journ. of Physiol. 31, 420, 1904. Hier auch die (zum Teil widersprechenden) Literaturangaben. Die Unterscheidung beider Teile der Hypophyse zuerst bei Howell (Journ. of exp. med. 3, 245, 1898). — ?) v. Cyon u. Oswald, Pflügers Arch. 83, 199, 1901. — °) Cleghorn, 1. c. p. 287. — *) Die Angabe, daß in klinischen Fällen beide Ventrikel sich ungleichzeitig kontrahieren (sog. Hemisystolie), ist nicht genügend begründet, weder durch das Tierexperiment (Frank u. Voigt, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 65, 580, 1900) noch durch die Beobachtungen am Menschen (Riegel, Zur Lehre v. d. Herzirregularität usw., Wiesbaden 1891; H. E. Hering, Prager med. Wochenschr. 21, Nr. 6, 1896); nur bei absterbenden Herzen kann dies vorkommen. — °) Dieser Punkt entspricht dem Anfang der Negativität der von der Reizstelle ferner liegenden Ableitungsstelle, vgl. Burdon- Sanderson u. Page; Journ. of Physiol. 2, 424 ff., 1880. — °) Engelmann, Pflügers Arch. 17, 88, 1878. Leitung der Erregung. 251 . legen und deren sekundäre Zuckungen zu verzeichnen‘). Von Waller und Reid’) wurde fernerdie Verzeichnung von Verdickungskurven an zwei verschiedenen Stellen des Ventrikels angewendet. Die durchschnittliche Geschwindigkeit der Erregungsleitung beträgt im blutleeren Froschventrikel nach Engelmann in der ersten halben Stunde nach dem Herausschneiden bei 12 bis 16° C ungefähr 35 bis 40 mm in der Sekunde, nach Burdon-Sanderson und Page dagegen beträgt sie um 100mm in der Sekunde. Im blutdurchströmten Vorhofe des Froschherzens fand Engelmann?) nach einer anderen Methode Werte von 90 bis 200 mm in der Sekunde. Im Säugetierventrikel geben Bayliss und Starling*) etwa 3m in der Sekunde an, Schlüter (l. e. S. 107) schätzt sie auf 2 bis 4m pro Sekunde, Waller und Reid (l. c. S. 239 und 249) fanden bei verschiedenen Säugetieren Zeiten von 300 bis 2400 mm in der Sekunde, als Maximum beim Schafherzen 8m. Die Leitungsgeschwindigkeit ist abhängig von der Tempe- ratur, sie nimmt ab in der Kälte, steigt in der Wärme’). Eine Abhängigkeit derselben von der Länge des Intervalls nach der voraufgegangenen. Erregung ist am unverletzten Froschventrikel bei mittleren Reizintervallen (1!/, bis 6 Sekunden) nicht nachweisbar‘) (siehe dagegen unten), doch hat an- scheinend Bethe’) bei Einschaltung von Extrasystolen in die normale Schlag- folge eine verzögerte Leitung der Extrasystole beobachtet. Der Übergang der Erregung von einer Herzabteilung auf die andere er- fordert eine geraume Zeit, so daß sich schon bei bloßer Inspektion eine kleine Pause zwischen den Kontraktionen der aufeinander folgenden Abschnitte be- merkbar macht. Dies Intervall z. B. zwischen Atrium- und Ventrikelsystole (von Engelmann mit As—Vs bezeichnet), gemessen durch die zeitliche Diffe- renz des Kontraktionsbeginnes bei graphischer Verzeichnung, schwankt ganz außerordentlich, am Froschherzen von etwa !/, bis 2 Sekunden und darüber. Am Hundeherzen in situ fanden Bayliss und Starling‘°) mittels Ver- zeichnung der Aktionsströme rund 0,13”. Es ist abhängig von der Temperatur im selben Sinne wie die Leitungszeit innerhalb des Ventrikels, von der Er- nährung (Blutzufuhr) und von der Schlagfrequenz. Je rascher die Kon- traktionen aufeinander folgen, desto länger, je seltener, desto kürzer ist es. Jede Systole setzt also die Geschwindigkeit der Leitung vorübergehend herab. Die verzögernde Wirkung mehrerer rasch aufeinander folgender Systolen vermag sich zu summieren®). Nach ganz langen Pausen kann die Kon- traktilität schon abgenommen haben (Bowditchs Treppe), die Leitungs- geschwindigkeit aber noch auf voller Höhe sein 10). Infolge der leitungshemmenden Wirkung jeder Systole wird eine im Sinus ‚oder Vorhofe vorzeitig einsetzende „Extra“-Systole auf die folgenden Herzabschnitte entsprechend später übertragen. Es werden also im Sinusgebiete entstandene Irre- gularitäten „auf ihrem Wege zur Kammer über eine größere Zahl von Perioden verteilt und dadurch im einzelnen gemildert werden“ — Selbstregulierung des Herzschlags"'). ') Schlüter, Pflügers Arch. 89, 87, 1902. — ?) Philos. Transact. 178B, 226, 1887. — ?) Pflügers Arch. 56, 188 u. 194, 1894. — *) Proceed. Royal Soc. 50, 213, 1891. — ®) Engelmann, Pflügers Arch. 11, 480, 1875. — °) F. B. Hofmann, ebenda 84, 136, 1901. — 7) Allg. Anat. u. Physiol. d. Nervensyst. 1903, 8. 430. — *°) Intern. Monatsschr. f. Anat. u. Physiol. 9, 271, 1892. — °) Engelmann, Pflügers Arch. 56, 166 ff., 1894. — !°) Derselbe, Deutsche Klinik 4, 241, 1903. — '') Details bei Engelmann, Pflügers Arch. 65, 153 ff., 1897, ufd Deutsche Klinik 4, 245 ff., 1909. 252 Leitungsrichtung. Schneidet man den Vorhof oder Ventrikel von der Seite her so tief ein, daß nur eine ganz schmale muskulöse Verbindungsbrücke stehen bleibt, so erfolgt die Erregungsleitung durch die Brücke so langsam, daß sich beide Hälften in einem deutlichen Absatz nacheinander kontrahieren!). Man kann also künstlich innerhalb jeder Herzabteilung dieselbe Leitungsverzögerung erzeugen, die normalerweise zwischen den einzelnen Herzabteilungen vor- handen ist. Ein prinzipieller Unterschied zwischen beiden Leitungsvorgängen braucht also nicht zu bestehen. Die Leitungsgeschwindigkeit in der künstlich hergestellten schmalen Verbindungsbrücke ist unmittelbar nach jeder Systole herabgesetzt und nimmt danach allmählich zu, ganz so wie die Leitungs- geschwindigkeit zwischen Vorhof und Ventrikel?). Daß man am intakten Ven- trikel diesen Einfluß der Systole bei mittleren Reizintervallen nicht nachweisen kann, beruht wahrscheinlich bloß darauf, daß sich in diesem Falle die Leit- fähigkeit nach der Systole sehr rasch wieder zur vollen Höhe erhebt. Ist nicht bloß eine beschränkte Stelle, sondern das ganze Herz geschädigt, so erfolgt die Erregungsleitung mitunter so langsam, daß man mit dem bloßen Auge das Wandern der Kontraktionswelle beobachten kann: so an der hinteren Fläche der Vorhöfe abgekühlter, absterbender Säugetierherzen?), manchmal auch an ausgeschnittenen Froschherzen*), nach Injektion von Bromkalium’). Leitungsrichtung. Innerhalb der einzelnen Herzabteilungen pflanzt sich die Erregung bei künstlicher Reizung, wie durch die Beobachtung der Aktionsströme von allen Autoren übereinstimmend erwiesen wurde), von der Reizstelle aus diffus nach. allen Richtungen hin fort. Bei der auf dem normalen Wege, vom Vorhofe her, ausgelösten Ventrikelsystole wandert die Erregung im Froschherzen stets von der Basis zur Spitze, d.h. es wird zuerst die Basis negativ gegenüber der Spitze (erste Phase des Aktionsstromes) und dann umgekehrt die Spitze negativ gegenüber der Basis (zweite Phase”). Über das Verhalten des Säugetierherzens differieren die Angaben. Am Katzen- und Igelherzen wird nach Injektion von Bromkalium die Leitung so verlangsamt, daß man das Wandern der Kontraktionswelle von der Einmündungsstelle der großen Venen über die Vorhöfe hin, im Ventrikel von der Basis zur Spitze direkt sehen kann (Me William, 1. c.). Waller®) dagegen fand am freigelegten Hunde- und ') Gaskell, Journ. of Physiol. 4, 64, 1883. Dieselbe Beobachtung am Frosch- ventrikel machten vorher schon Volkmann (Wagners Handwörterb. 2, 616, 1844) und Aubert (Pflügers Arch. 24, 364, 1881). — ?°) Gaskell, 1. e.,- Engel- mann, Pflügers Arch. 62, 550, 1896. — ?) Vgl. besonders H. E. Hering, Pflügers Arch. 82, 22 f£., 1900. — *) Kronecker, Du Bois’ Arch. 1883, 8. 268, und andere. — 5) Mc William, Journ. of Physiol. 8, 306, 1887. — °) Marchand, Pflügers Arch. - 15, 530, 1877; Engelmann, ebenda 17, 72, 1878; Burdon-Sanderson u. Page, Journ. of Physiol. 2, 399, 1879, und andere. Die abweichenden Angaben von Pagliani u. Kaiser, daß die Kontraktionen entfernt von der Reizstelle beginnen können, beruht auf bloßem Augenschein und ist wohl eine Täuschung (Muskens, Pflügers Arch. 66, 333, 1897). Auch die Angabe von Bethe (I. c. S. 445), daß er an zwei Streifen vom Hundeherzen einmal bei künstlicher Reizung eines Endes die Kontraktionen am anderen Ende- beginnen sah, ist, da jede genauere Analyse des Versuchs fehlt, ganz unklar. Die Erklärung, welche Bethe selbst gibt (Rücklaufen der Erregungswelle im „Nervennetz“), ist aus verschiedenen Gründen unhaltbar. — 7) Engelmann, l. c.; Marchand, Pflügers Arch. 17, 143, 1878. — ®) Philos. Transact. 180 B, 169, 1889. Sul ie ee ec 5 Dee SE Leitungsrichtung. 253, Katzenherzen in der Regel zuerst eine Negativität der Spitze. Doch zeigten Bayliss und Starling!), daß bei sehr sorgfältig behandelten Hundeherzen stets die Basis zuerst in Erregung gerät, dann erst die Spitze. Kühlte sich das Herz ab, so kehrte sich das Verhältnis um, eventuell trat ein drei- phasiger Aktionsstrom auf. Dies beruht nach den Verff. darauf, daß sich an der stärker abgekühlten Basis der Aktionsstrom langsam entwickelt. Infolgedessen kommt es bei geringer Schädigung zu einem kurzen Vorschlag: Basis negativ, dann überwiegt die Nega- tivität der Spitze, und endlich kommt die länger anhaltende Negativität der Basis wieder zum Vorschein. Bei stärkerer Abkühlung ist der erste Vorschlag von der Basis verschwindend klein (Fig. 6, 2. Aktionsstrom). Die unmittelbar darauf folgende Umkehr (Negativität der Spitze vor der Basis, Fig. 6, 1. und 3. Aktionsstrom) er- klären Verff. durch nervöse Leitung von der Basis zur Spitze und durch muskuläre in umgekehrter Richtung. Die Deutung, daß die Erregung in den inneren Muskel- bündeln von der Basis zur Spitze geht und in den äußeren zurückkehrt, ist nach den Verff. unhaltbar. Eine Erregung der Basis vor der Spitze fand auch Schlüter?) nur an ganz frisch ausgeschnittenen Katzenherzen. Später kehrte sich auch hier das Verhältnis stets um. Bei diesem großen Einfluß äußerer Umstände auf den Verlauf der Aktionsströme war von großer Wichtigkeit der Nachweis von A. Waller?), daß man bei passender Lage .der Elektroden (Ableitung von rechter Hand, rechter Scapula, Stirn, Mund einerseits, Herzspitze, linker Hand usw. anderer- seits, am besten Herzspitze mit rechtem Arm oder rechter Schulter*) die Aktionsströme des Herzens vom ganzen Tier oder Menschen ableiten und mittels des Kapillarelektrometers registrieren kann. Diese Methode, das menschliche Elektrokardiogramm aufzunehmen, wurde später von Einthoven ) sorgfältig ausgearbeitet, der durch Analyse der Kapillarelektrometerkurve die Normalform des Elektrokardiogramms feststellte und sie mit einem noch rascher reagierenden Meßinstrument, dem Saitengalvanometer, verifizierte. Die Normalform des Elektrokardiogramms besteht nach Einthoven aus fünf Ausschlägen, P bis T in Fig. 27, von denen der Anfang der Erhebung Rum rund 0,03” dem Beginn Fig. 27. der Herzstoßkurve vorauseilt. 0,18ec. Einthoven hält die Aus- — schläge P und @ für den R ee zweiphasischen Aktionsstrom der Vorhöfe, R und T für P T den Aktionsstrom der Ven- g9__A Ks nes x trikelbasis, der länger anhält \ S als der der Spitze und in- Q folgedessen nur in der Mitte Normalform des menschlichen Elektrokardiogramms £ nach Einthoven. von letzterem ungefähr kom- pensiert wird. Der Ausschlag S rührt nach ihm vermutlich vom Überwiegen der Stromzweige des linken Ventrikels (der eigentlichen Spitze) her. Nach dieser Analyse ist am ganz intakten Menschenherzen sowohl im Vorhofe als im Ventrikel der dem venösen Herzende zugerichtete Teil zuerst in Erregung, *) Intern. Monatsschr. f. Anat. u. Physiol. 9, 256, 1892. — ?) Pflügers Arch. 89, 87, 1902. — °) Journ. .of Physiol. 8, 239, 1887. — *) Einthoven, Pflügers Arch. 80, 150, 1900. — °) 1. c. Ferner Pflügers Arch. 6N, 101, 1895 und 99, 472, 1903. 254 Leitungsbahn. "dann erst der davon abgewandte, entsprechend dem Wandern der Erregungs- welle vom venösen gegen das arterielle Ende des Herzens hin. Die Übertragung der Erregung von einem Herzteil auf den andere kann am intakten Herzen sowohl in der normalen, als auch in der entgegen- gesetzten Richtung erfolgen. Bei manchen wirbellosen Tieren kann sich die Richtung der Erregungswelle spontan umkehren, so daß der Ventrikel eine Zeitlang vor dem Vorhofe schlägt. Bei höheren Tieren tritt dies nur ein, wenn man durch frequente rhythmische Reizung oder durch einen am Ventrikel angreifenden Dauerreiz!) den letzteren zu häufigerem Schlagen veranlaßt als den Vorhof. An absterbenden Herzen oder nach Helleborein- vergiftung kann die rückläufige Leitung vor der rechtläufigen verloren gehen, die Reizleitung wird also dann irreziprok?), auch kann sich die rückläufige Erregung langsamer fortpflanzen als die rechtläufige °). Leitungsbahn. Verwandelt man den Froschventrikel durch seitliche Einkerbungen in einen ziekzackförmigen Streifen, so läuft die an einem Ende gesetzte Er- regung noch immer über den ganzen Streifen ab*). Die beiden-Kammern des 'Säugetierherzens schlagen nur so lange koordiniert, als sie noch durch eine Muskelbrücke miteinander in Verbindung stehen’). Ebenso bleibt die Er- regungsleitung im Vorhofe nach einem seitlichen Einschnitte so lange er- halten, als noch“eine genügend breite muskelhaltige Verbindungsbrücke vorhanden ist 6). Auch die Überleitung der Erregung von einer Herzabteilung auf die andere ist nach unseren heutigen Kenntnissen an das Bestehen von Muskel- brücken gebunden”). Soweit man die intrakardialen Nervenstämmchen von der umgebenden Muskulatur reinlich trennen konnte, hat man stets gefunden, daß sie die motorische Erregung isoliert für sich nicht zu leiten vermögen. So vermag der Koronarnerv des Schildkrötenherzens (ein intrakardialer Ast des rechten Vagus, der frei vom Sinus zum Ventrikel hinzieht) nach Durch- schneidung des Vorhofes die Erregung nicht vom Sinus zum Ventrikel zu leiten®). ') Vgl. die Beobachtungen am Säugetierherzen von Mc William (Journ. of Physiol. 6, 185, 1888) und von H. E. Hering (Pflügers Arch. 82, 19ff., 1900). Über wahrscheinliche rückläufige Erregungswellen vom Ventrikel des menschlichen Herzens Volhard (Zeitschr. f. klin. Med. 53, 1904). — *) Kaiser, Zeitschr. f. Biol. 32, 20, 1895; Engelmann, Pflügers Arch. 61, 275, 1895. — ®) Bayliss u. Starling, Journ. of Physiol. 13, 410, 1892. — *) Fick (Sitzgsber. d. physik.- med. Ges. Würzburg, 1874, wörtlich zit. in Pflügers Arch. 72, 453 Anm.). Engel- mann, Pflügers Arch. 11, 465, 1875. — °) Porter, Amer. Journ. of Physiol. 2, 127, 1899. — °) Gaskell, Journ. of Physiol. 4, 64 ff., 1883. — 7) Solche Muskel- verbindungen bestehen am Kaltblüterherzen in Form eines breiten Ringes um das Sinusvorhof- und Atrioventrikularostium (letzterer ist der oben 8. 233 er- wähnte Atrioventrikulartrichter von His, Arb. d. med. Klinik zu Leipzig, 1893 — vgl. ferner Gaskell, Journ. of Physiol. 4, 70, 1883 und F. B. Hofmann, His’ Arch. 1902, 8. 66). Beim Warmblüter sind Muskelverbindungen zwischen Vor- hof und Ventrikel von His (l. c.), Stanley Kent (Journ. of Physiol. 14, 239, 1893), Retzer (His’ Arch. 1904, S. 1), Humblet (Arch. internat. de physiol. 1, 278, 1904) und Braeunig (Engelmanns Arch. 1904, Suppl. $S. 1) insbesondere in der Scheidewand nachgewiesen worden. — °) Gaskell, Journ. of Physiol. 4, 64, 1883, vgl. auch 8. 75. int Hz De 02 Dh A nn 1 nn nie En a Se un 2 u 1u0 m nn PL Leitungsbahn. 255 Am Froschherzen wirkt Durchtrennung der muskulösen Vorhofswände mit Er- haltung der funktionsfähigen Scheidewandnerven, der einzigen Nervenstämmchen, die vom Sinus zur Kammer ziehen (intrakardiale Vagusfortsetzung, siehe unten, S. 261), wie die erste Stanniussche Ligatur'), Beim Hunde- und Kaninchen- herzen wird die Überleitung der Erregung vom Vorhofe auf den Ventrikel auf- gehoben, wenn man unter Erhaltung der oberflächlichen Nervenbündel (der vor- deren Kammernerven) die Verbindung zwischen den Vorhöfen und Kammern zerquetscht?), ja sogar schon, wenn man die Muskelbrücke in der Scheidewand durchtrennt®). Die Ventrikel schlagen natürlich weiter (siehe oben, $. 225), aber ihr Schlagtempo ist dann unabhängig von dem der Vorhöfe. Umgekehrt hindert Durchschneidung der größeren Nervenbündel die Überleitung der Erregung von einer Herzabteilung auf die andere nicht, wenn noch eine genügend breite Muskelbrücke bestehen bleibt *). Die Angabe, daß nach Exstirpation der Atrioventrikularganglien beim Frosch der Ventrikel still steht°), wurde von Gaskell (l. c. 8. 75ff.) dahin berichtigt, daß dies nur der Fall ist, wenn dabei die nahe anliegende Verbindungsmuskulatur zwischen Vorhof und Ventrikel mit verletzt und infolgedessen ein „totaler Block“ gesetzt wird (vgl. unten, 8. 258). Kronecker°) beobachtete an einem Hunde- herzen nach Unterbindung eines vom Vorhof zum Ventrikel ziehenden Nerven eine Herabsetzung der Schlagfrequenz des Ventrikels, doch ist nicht angegeben, ob sich der Ventrikel nicht vielleicht nach jedem vierten Vorhofschlag: kontrahierte. N. Lomakina’) hat durch Ligatur einzelner Nerven an der Vorhofkammergrenze von Hunden und Kaninchen in vielen Fällen Unregelmäßigkeiten des Schlages so- wohl der Vorhöfe als auch der Kammern. (Flimmern, Störungen des Rhythmus und der Koordination — sogar zwischen den beiden Vorhöfen!) hervorrufen können, doch sind die Versuchsresultate (wegen der gleichzeitigen Zirkulationsstörungen oder Nebenverletzungen? vgl. oben, S. 240) so unregelmäßig, daß man irgend welche sichere Folgerungen daraus nicht ziehen kann. Bemerkenswert ist, daß Massenligatur um die Atrioventrikulargrenze mit Ausschluß der größeren Nerven- stämmchen (l. c. 8. 417) ziemlich regelmäßig Störungen der Koordination zwischen Vorhofs- und Ventrikelkontraktion gab (wie bei Wooldridge). Die angeführten Tatsachen schließen die alte Vorstellung, daß die Er- regung im Herzen von einem gangliösen Zentrum im Sinus zu einem eben- solchen im Vorhofe und im Ventrikel geleitet wird, unbedingt aus®). Es bleiben nur noch zwei Möglichkeiten übrig: Entweder erfolgt die Leitung intramuskulär in dem allseitig zusammenhängenden Zellsyneytium, welches nach histologischen?) und embryologischen 1%) Untersuchungen die Herzmuskel- !) F. B. Hofmann, Pflügers Arch. 60, 142, 1895. — ?) Wooldridge, Du Bois’ Arch. 1883, 8. 532ff. — ®) His jun., Berner Kongreß, Zentralbl. f. Physiol. 1895, 8. 469. Humblet, 1. c. Nach persönlicher Mitteilung von H. E. Hering steht sein Befund (Zentralbl. f. Physiol. 17, 2, 1903), daß am Hundeherzen die Koordination zwischen Vorkammer und Kammer erhalten blieb, wenn bloß die äußere Wand des rechten Vorhofes mit dem Ventrikel in Verbindung stand, dazu in keinem Gegensatz, weil auch in diesem Falle die Erregung auf das Septum überging. — *) Eckhard (Beiträge z. Anat. u. Physiol. 7, 192, 1874) und F. B. Hofmann (Pflügers Arch. 60, 139, 1895) für das Froschherz. Gaskell (l. c. S. 61 ff.) für das Schildkrötenherz. — °) Marchand, Pflügers Arch. 17, 148 ff., 1878; Löwit, ebenda 23, 335 ff., 1880. Hier auch weitere Literatur. — °) Zeitschr. f. Biol. 34, 598, 1897. — 7) Zeitschr. £. Biol. 39, 377, 1900. — °) Eine ausführliche “Widerlegung dieser Ansicht in ihren verschiedenen Modifikationen bei F.B. Hofmann (Pflügers Arch. 72, 445 ff., 1898). — °) v. Ebner, Wiener Sitzungsber. 109 (3), 700, 1900; M. Heidenhain, Anat. Anz. 20, 33, 1901. — !°) Hoyer jun., Bull. de l’Acad. de Cracovie, zit. nach Schwalbes Jahresber. d. Anat. 1, 210, 1901. Godlewsky, Arch. f. mikr. Anat. 60, 111, 1902. Vgl. auch Richets Diet. de physiol. 4, 254. 256 Leitungsbahn. zellen miteinander bilden (Engelmann!), Gaskell, ]. c.); oder sie wird ver- mittelt durch die marklosen Nervenfasern, welche die Herzmuskulatur überall durchziehen, und welche nach einigen Autoren innerhalb der Musku- latur ein kontinuierlich zusammenhängendes Netz bilden?), was allerdings noch nicht sicher bewiesen ist 3). Wenn die oben 8. 237 angeführten Argumente Langendorffs für die direkte Reizbarkeit des Herzmuskels richtig sind, so ist damit auch die muskuläre Erregungsleitung höchst wahrscheinlich gemacht. Denn wenn die chemischen Reize an der Applikationsstelle den Muskel, nicht aber das Nervennetz erregen, dann kann die Fortleitung der Erregung von der Reizstelle auch nur auf muskulärem, nicht auf nervösem Wege erfolgen, weil wir einen Übergang der Erregung vom Muskel auf den Nerven nicht kennen. Als weitere Gründe gegen die Annahme einer nervösen Leitung der motorischen Erregung im Herzen werden angeführt: 1. Die eben erwähnte Unfähigkeit der größeren intrakardialen Nerven- stämmchen, die motorische Erregung zu leiten. Man könnte zwar annehmen, daß die feinen marklosen Nerven im Myokard andere Eigenschaften besitzen als die marklosen Fasern der Stämmchen. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß an und in den intrakardialen Nervenstämmchen die Ganglienzellen liegen, aus deren Achsen- zylinderfortsätzen das intramuskuläre Nervengeflecht gebildet wird. Reizung dieser Stämmchen nun, wobei auch die Ganglienzellen und ihre Achsenzylinderfortsätze mit gereizt werden, gibt keinerlei motorischen Effekt*). 2. Die Unabhängigkeit der motorischen Erregungsleitung im Herzen von der Leitung der Hemmungswirkungen (nach mäßiger Quetschung kann die motorische Leitung noch erhalten sein, während die Hemmungsnerven schon leitungsunfähig sind’). Es ist unwahrscheinlich, daß im Herzmuskel ein kontinuierlich zusammen- hängendes Nervennetz für die motorische Leitung und ein diskontinuierliches, für Vorhof und Ventrikel gesondertes Nervengeflecht der Hemmungsfasern nebenein- ander besteht. 3. Der Einfluß der Hemmungsnerven auf das Leitungsvermögen (vgl. unten 8. 271). Erfolgte die Leitung durch ein Nervennetz, so müßte man annehmen, daß die Hemmungsnerven irgendwie an den marklosen Nerven des Netzes endigten, wofür histologisch keinerlei Anhaltspunkte oder auch nur Analogien vorliegen. 4. Der Unterschied in der Leitungsgeschwindigkeit zwischen und innerhalb der einzelnen Herzabteilungen würde zur Annahme zwingen, daß das Nervennetz in der Verbindungsmuskulatur die Erregung ganz bedeutend langsamer leitet als das einheitlich damit zusammenhängende Netz der Kammer und des Vorhofes. Gaskell und Engelmann führen diese langsamere Leitung in sehr ein- facher Weise darauf zurück, daß die Verbindungsmuskulatur zwischen den beiden Herzteilen, wie oben, $8. 229, Anm. 10, schon angeführt wurde, etwas andere histolo- gische und physiologische Eigenschaften besitzt (mehr der embryonalen Muskulatur ähnelt) als die Muskulatur der Kammer und der Vorhöfe. Daß die Erregung im embryonalen Herzen langsamer geleitet wird als im erwachsenen (3,6 bis 11,5 mm pro Sekunde), wurde von Fano°) für das Hühnchen angegeben. Die Pause zwischen Vorkammer- und Kammersystole tritt übrigens im embryonalen Herzen nach His jun.’) zu der Zeit auf, in der sich in der Herzwand die Muskelzellen zu differenzieren beginnen, Ganglienzellen aber noch nicht eingewandert sind. !) Pflügers Arch. 11, 465, 1875. — ?) Ranvier, App. nerv. termin. des museles de la vie organ., Paris 1880, p. 191ff.; Heymans u. Demoor, Arch. de biol. 13, 644, 1894, und andere, neuerdings Bethe, Allg. Anat. d. Nervensyst. —.°) Hofmann, His’ Arch. 1902, 8. 100 ff. — *) Ausführlicher bei Hofmann, Schmidts Jahrb. 281, 117 #., 1904. — °) Engelmann, sein Arch. 1902, $. 103. Hofmann, Pflügers Arch. 72, 443, 1898. Dasselbe geht hervor aus einem Experiment von Kronecker (6. Intern. Physiol.-Kongr., Arch. di Fisiol. 2, 137, 1904): Flimmern der Vorhöfe verhindert nicht die Leitung der Hemmung zum Ventrikel. — °) Arch. ital. de Biol. 13, 402, 1890. — 7) Arb. aus d. mediz. Klin. z. Leipzig, 1893, S. 18 ff. 4 A ment. ı up — ae ed an NE ET Einwände gegen die intramuskuläre Erregungsleitung. 357 Stark umstritten ist die Frage, ob man aus der absoluten Größe der Leitungs- geschwindigkeit irgend welche Schlüsse auf intramuskuläre oder nervöse Leitung ziehen soll. Über diesen Punkt muß auf die einschlägige Literatur verwiesen werden!). Die Bedenken gegen die Annahme einer intramuskulären Leitung im Herzen sind folgende: 1. Bei Wasserstarre der Vorhöfe®), bei starker Vagusreizung®), nach Muskarin- vergiftung*) kann eine Vorhofskontraktion nicht mehr nachweisbar sein und trotzdem die normale Erregung vom Sinus (den Hohlvenen) zum Ventrikel geleitet werden, bzw. bei künstlicher Vorhofsreizung eine Ventrikelkontraktion nach entsprechend langer Latenzzeit auftreten. Bei der Wasserstarre handelt es sich um eine Art mechanischer Verhinderung des Kontraktionsaktes (auch im wasserstarren Skelett- muskel wird in einem gewissen Stadium die Erregung ohne Kontraktion noch weiter geleitet°), bei starker Vaguswirkung wohl nur um eine so hochgradige Ab- schwächung der Kontraktion, daß sie bei den gewöhnlichen Untersuchungsmethoden der Beobachtung entgeht‘). Nach Muskarinvergiftung hat allerdings Bethe auch unter dem Mikroskop keine Bewegung mehr gesehen. Selbst wenn dies richtig ist, liefern solehe Experimente noch keinen entscheidenden Beweis gegen die intra- muskuläre Erregungsleitung, denn es ist möglich, daß die Erregungsleitung und der mechanische Akt der Kontraktion auch im Skelettmuskel an zwei verschiedene Substrate gebunden ist?). 2. Erfolgt die Erregungsleitung intramuskulär, so bleibt es in einzelnen Fällen (Ventrikel mancher niederen Tiere) fraglich, welche Funktion den intra- muskulären Nervenfasern zukommt®). Einige weitere, weniger wichtige Einwände siehe bei F. B. Hofmann’) und Langendorf£f'’). Die vereinzelten, oben, S. 252, Anm. 6, erwähnten Angaben, daß gelegentlich bei künstlicher Reizung die Kontraktion an einem von der Reizstelle entfernten Orte beginnen soll, können nicht gegen die intramuskuläre Leitung ver- wertet werden, denn sie stehen in Widerspruch zu den sehr sorgfältigen Beobachtungen einer ganzen Reihe von Autoren und lassen sich übrigens auch unter der Annahme der Leitung durch ein kontinuierliches Nervennetz nicht erklären. Auch die von Bayliss und Starling gegebene Erklärung der scheinbaren Umkehr der Leitungs- richtung im absterbenden Säugetierventrikel ist noch zu wenig begründet, als daß man sichere Folgerungen daraus ziehen könnte. Für die Leitung der motorischen Erregung im Herzen durch Nerven führt Bethe (I. c.) ferner vergleichende physiologische Überlegungen an, nach welchen bei Wirbellosen innerhalb der glatten Muskulatur ein diffus leitendes, kontinuierlich zu- sammenhängendes Nervennetz vorhanden sein soll. Nach meinen eigenen Unter- suchungen, die sich allerdings nur auf Mollusken (Kephalopoden, Aplysia) und Würmer (Sipunculus) beziehen, kann ich mich den Folgerungen von Bethe nicht ganz anschließen. Inwieweit die Analogieschlüsse dieses Autors von der Meduse auf das Herz zulässig sind, darüber kann ich mir ohne eigene Experimente kein Urteil erlauben. So beachtenswert indes derartige Analogien in heuristischer Be- ziehung sein mögen, so wird die Entscheidung doch immer in erster Linie von den Versuchsergebnissen am Objekt selbst abhängen, denn es könnte sehr wohl dieselbe Bewegungsform — peristaltische Welle — an verschiedenen Objekten auf ver- schiedenem Wege zustande kommen"). ) Engelmann, Pflügers Arch. 56, 193 ff., 1894 und Deutsche Klinik 4, 233 ff., 1903. H. E. Hering, Pflügers Arch. 86, 568, 1901. Bethe, Allg. Anat. u. Physiol. d. Nervensyst. 1903, 8. 436 ff. — ?) Engelmann, Pflügers Arch. 56, 199, 1894. — ®) Engelmann, ebenda, $S. 197; Knoll, ebenda 67, 609; 68, 339, 1897; Hof- mann, ebenda 72, 438, 1898. — *) Bethe, 1. c. S. 443. — °) Biedermann, Wiener Sitzungsber. 97 (3), 101, 1888. — °) Vgl. Gaskell, Schäfers Textbook of Physiol. 2, 185, 1900. Wie leicht schwächste Kontraktionen dem Nachweis ent- gehen, darüber siehe Bayliss u. Starling, Journ. of Physiol. 13, 410, 1892. — 7) Engelmann, 1. c. — ®) Vgl. Hofmann, Schmidts Jahrb. 281, 121, 1904. — ®) Pflügers Arch. 72, 457 ff., 1898. — !) Ergebn. d. Physiol. 1 (2), 337 ff., 1902. — ") vgl. Biedermann, Pflügers Arch. 102, 476, 1904. ‚ Nagel, Physiologie des Menschen. I, 17 258 Blockierung der Leitung. Hält man sich an die Beobachtungen am Herzen selbst und wägt man. die einander entgegenstehenden Gründe und Gegengründe gegeneinander ab, so erscheint die Annahme einer intramuskulären Leitung der motorischen Erregung im Herzen als die weitaus wahrscheinlichere, und sie soll deshalb auch dem Rest der Darstellung zugrunde gelegt werden. Nehmen wir aber dieses an, so ist es sehr unwahrscheinlich, daß die normale automatische Er- regung von Nerven ausgehen und dann im Muskel sich weiter fortpflanzen sollte. Vielmehr gelangen wir zu einer einheitlichen und in sich geschlossenen Auffassung erst dann, wenn wir mit Gaskell und Engelmann nicht bloß ‚die Erregungsleitung, sondern auch die Fähigkeit der Automatie auf den Herzmuskel selbst beziehen. Aus diesem Grunde würde ich es für den weit- aus wichtigsten der bisherigen Gegenbeweise gegen die muskuläre Erregungs- leitung im Herzen halten, wenn sich die oben S. 229, Anm. 5, erwähnte Angabe Carlsons von einer neurogenen Automatie des Herzens von Limulus bestätigen und auf Herzen anderer Tierklassen übertragen lassen sollte. Will man trotz der erwähnten großen Schwierigkeiten an der Annahme der motorischen Leitung durch ein Nervennetz festhalten, so muß man folgerichtig alle die Eigenschaften, welche wir früher dem Herzmuskel zugeschrieben haben, also neben der Automatie auch die rhythmischen Veränderungen der Reizbarkeit (re- fraktäre Phase) und Leistungsfähigkeit dem Nervennetz beilegen'). Unter dieser Voraussetzung kann man die folgende Darstellung auch noch vollkommen bei- behalten, nur müßte statt „Herzmuskel“ stets „intramuskuläres Nervennetz“ gesetzt werden. Blockierung der Erregungsleitung. Wenn man in den Vorhof oder Ventrikel des Frosch- oder Schildkröten- herzens einen tiefen seitlichen Einschnitt macht, so wird bei frequenter Schlagfolge nicht jede einzelne, sondern je nach der Tiefe des Einschnittes und je nach der Schlagfrequenz nur jede zweite, dritte oder vierte Erregung durch die Muskelbrücke weiter geleitet, und wenn die Brücke ganz dünn ist, geht gar keine Erregung mehr durch. Gaskell?) bezeichnete diese mit der oben, 8. 252 erwähnten Leitungsverzögerung verknüpfte Erscheinung als „Block“, als partiellen, wenn noch einzelne Erregungen durchgehen, als kom- pletten, wenn die Leitung ganz aufgehoben ist. Partiellen bis kompletten Block kann man auch erzeugen durch lineare quere Quetschung des Vorhofes oder Ventrikels. Das Phänomen beruht auf dem Umstande, daß während jeder Systole die Reizbarkeit des Herzmuskels wie für den künstlichen Reiz, so auch für den natürlichen „Leitungsreiz“ vorübergehend aufgehoben ist und um so langsamer wieder zur Norm zurückkehrt, je stärker der Muskel geschädigt ist?). Ein partieller Block (Halbierung oder Viertelung der Schlagfrequenz !) An, allerdings sehr unklaren und anfechtbaren, Ansätzen dazu fehlt es nicht, vgl. oben 8. 237. — ?) Journ. of Physiol. 4, 66, 1883. — °) Vgl. besonders Straub, Arch. f. exp. Path. 45, 366, 1901 u. a. Gaskell bezieht (l. c. 8. 71) den Block bei seitlichem Einschnitt zum Teil auf eine Abnahme des Querschnitts der leitenden Brücke, zum Teil auch auf eine Schädigung der noch erhaltenen Brücke durch die nahe Verletzung, ähnlich wie nach Biedermann (Wiener Sitzgsber. 80 (3), 40, 1879) der Skelettmuskel in der nächsten Umgebung einer verletzten Stelle eine Abnahme der Reizbarkeit zeigt. Beträufeln der Blockstelle mit 0,75 proz. Kochsalzlösung beseitigt den Block (Gaskell, 1. c. 8. 95), vgl. oben 8. 236 die Verkürzung der refraktären Phase durch Na-Salze! Ein (allmählich verschwindender) ul rd a ad rn a ee N VENEN. IL EELEEN SEES u un, Se Blockierung der Leitung. 259 des Ventrikels) tritt auch auf, wenn man den Ventrikel abkühlt und dadurch seine refraktäre Phase verlängert oder die Schlagfrequenz des Sinus durch Erwärmen erhöht), ferner nach Vergiftungen 2?) und beim Absterben. v. Kries beobachtete (l. c.), daß, wenn die Herabsetzung der Temperatur auf einen schmalen Streifen an der Atrioventrikulargrenze oder quer über den Ventrikel beschränkt blieb, die Frequenzabnahme sprungweise nach Potenzen von 2 erfolgte: erst Halbierung, dann Viertelung, Achtelung usw. Er schloß daraus, daß, wenn n Erregungswellen ankommen, die ersten schwächer abgekühlten Elemente bloß auf - reagieren, auf die nächsten stärker gekühlten wieder bloß die Hälfte davon, also = wirksam sind, usf. Bei linearer Quetschung kommt hingegen Drittelung öfter vor. In der Übergangsmuskulatur zwischen den einzelnen Herzabteilungen, z. B. zwischen Vorkammer und Kammer, kehrt schon in der Norm die Leit- fähigkeit nach jeder Systole langsamer zur vollen Höhe zurück als in der eigentlichen Vorhofs- und Kammermuskulatur (vgl. oben, 8.251). Die Über- gangsmuskeln werden deshalb auch von Gaskell (l. c.) als Blockfasern be- zeichnet. Daher kommt es wohl, daß Extrasystolen des Sinus oder Vor- hofes, welche sehr frühzeitig nach der Hauptsystole einsetzen, mitunter gar nicht auf den Ventrikel übergeleitet werden®). Dies könnte indes auch daher rühren, daß die Systole des Vorhofes und damit auch die refraktäre Phase desselben kürzer ist als die des Ventrikel... Daß am absterbenden oder vergifteten Herzen zunächst vereinzelte Ventrikelsystolen ausfallen, also zunächst ein partieller, später ein kompletter Block an der Atrioventrikular- grenze auftritt, wird ebenfalls vielfach auf eine besonders rasche Schädigung der „Blockfasern“ zwischen Vorhof und Ventrikel bezogen. Dem widerspricht aber H. E. Hering*), der Gründe dafür beibringt, daß sich in solchen Fällen (nach Strychninvergiftung, die nach ihm ähnlich wie Erstickung wirkt) die Verbindungsfasern noch mit dem Vorhof mit kontrahieren, daß aber die Reizbarkeit der eigentlichen Ventrikelmuskulatur für den zugeleiteten natür- lichen Reiz gesunken ist. Am absterbenden Herzen kann schließlich ein Block auch innerhalb der einzelnen Herzabteilungen auftreten, so daß z. B. nur eine Kammer schlägt). Eine Abnahme der Erregungsgröße (ein Dekrement) infolge des Passierens einer Blockstelle kann beim Herzen wegen der stets maximalen Kontraktionen nicht vorkommen6). Wenn der Leitungsreiz überhaupt über die Schwelle tritt, löst er in der nachfolgenden Herzabteilung auch eine für den gegebenen Zustand derselben maximale Kontraktion aus. Block zeigt sich anfangs auch in Streifen, welehe man aus der Herzmuskulatur herausgeschnitten hat, so daß im Anfang die an einer Stelle gesetzte Erregung nicht bis ans Ende vorzudringen vermag. (Gaskell, l. c. 8. 52). !) Gaskell, Philos. Transact. 1882 (3), S. 998 ff.; v. Kries, Engelmanns Arch. 1902, 8. 477. — ?) Digitalin: Straub 1. c. — °) Engelmann, Pflügers Arch. 65, 158 ff., 1895. — *) Zentralbl. f. Physiol. 15, 193, 1901. — °) Vgl. Gley, Compt. rend. Soc. Biol. 1893, p. 1053; Engelmann, Pflügers Arch. 62, 543, 552, 1896. — *) Vgl. H. E. Hering, Pflügers Arch. 86, 550 ff., 1901. .. 260 Übersicht über die regulatorischen Herznerven. Die Innervation des Herzens. Die automatische Tätigkeit des Herzens kann vom Zentralnervensystem aus in mannigfacher Weise modifiziert werden. Es kann durch Nerveneinfluß verändert werden: die Schlagfrequenz (dieser Effekt wird von Engelmann!) als chronotrope Nerveneinwirkung bezeichnet), die Schlagstärke (inotrope Nervenwirkung), die Leitung der Erregung im Herzen (dromotrope Nerven- wirkung) oder die Reizbarkeit des Herzens (bathmotrope Wirkung). Die regulatorischen Herznerven zerfallen nun in zwei Klassen: solche, welche die genannten einzelnen Faktoren der Herztätigkeit hemmen oder mindern (negativ chronotrop usw. wirken) „Hemmungsnerven“, und solche, welche sie fördern oder verstärken (positiv chronotop usw. wirken), „Förderungs- nerven“ nach dem Vorschlage. von F. B. Hofmann?), gewöhnlich nach einer ihrer Wirkungen Acceleratoren genannt. Die von den Brüdern Weber (1845) entdeckten und seither bei allen Wirbeltierklassen — auch beim Menschen — nachgewiesenen Hemmungs- fasern 3) entspringen aus der Medulla oblongata aus dem Vaguskerne, ver- laufen dann im Vagusstamme und ziehen in den Herzästen dieses Nerven zum Herzen hin). Ausnahmsweise irren Hemmungsfasern in den Depressor ab°), wahrscheinlich auch manchmal in den Halssympathicus, dessen peri- pherer Stumpf auf Reizung mitunter Herzhemmung gibt). Da man durch Herausziehen des Accessorius aus dem Foramen jugulare die Hemmungsfasern des Vagus mit durchreißen kann 7), glaubte man lange, sie würden dem Vagusstamme durch eine Accessoriuswurzel zugeführt. In letzter Zeit wurde nun zunächst histologisch der Beweis erbracht, daß der Ursprung derselben im Vaguskern gelegen ist®).. Von hier aus verlassen sie die Medulla nach Großmann?) in der mittleren und unteren, nach Kreidl'’) ausschließlich, nach Friedenthal und Schaternikoff (l. e.) in weitaus überwiegender Zahl in der mittleren Wurzelgruppe des Glossopharyngeus-Vagus-Accessoriusgebietes (den eigent- lichen Vaguswurzeln), während sie nach Cadman'') ausschließlich in der untersten Wurzelgruppe austreten sollen. Die vonv. Bezold und den Brüdern Cyon fast gleichzeitig entdeckten 1?) Förderungsnerven (Acceleratoren, Augmentatoren) verlassen das Rückenmark !) Pflügers Arch. 62, 555, 1896; Engelmanns Arch. 1900, 8. 320 ff. — ?) Schmidts Jahrb. 281, 113, 1904. 8. J. Meltzer (Du Bois’ Arch. 1892, 8. 374) faßte sie mit anderen Nerven unter der Bezeichnung Aktionsnerven zusammen. — °) Zur Geschichte ihrer Entdeckung vgl. Tigerstedt, 8. 229ff. Dort auch die ver- gleichende physiologische Literatur. — *) Genaue anatomische Daten über den Verlauf der Herznerven bei den Säugetieren gibt Schumacher, Wiener Sitzungsber. 111 (8), 133, 1902. — °) H. E. Hering, Pflügers Arch. 57, 77, 1894. — °) Siehe Tigerstedt, 8. 265. Andeutungen darüber, daß einige Hemmungsfasern auch ganz außerhalb des Vagusgebiets verlaufen können, bei Friedenthal und Schater- nikoff (Engelmanns Arch. 1902, 8. 58) und Langley (Philos. Transact. 183B, 111, 1893: 5. und 6. Thorakalnerv). Vielleicht spielen dabei indirekte Wirkungen auf das Herz (durch Blutdruckänderungen?) mit. Über Frequenzminderung der Herzschläge bei Ammoniakeinblasung in die Nase nach Vagusdurchschneidung siehe Knoll, Wiener Sitzungsber. 66 (3), 199 ff., 1872). — 7) Literatur bei Tigerstedt, S. 259. — ®)Van Gehuchten, nach Hermanns Jahresber. 1902, S. 73. — °) Pflügers Arch. 59, 1, 1895. — !°) Wiener Sitzungsber. 106 (3), 197, 1897. — '') Journ. of Physiol. 21, 42, 1900. — !?) Geschichte der Entdeckung bei Tigerstedt, 8. 260. az Sn LE er 2 Die Ganglien der Herznerven. 261 mit dem 1. bis 5. Thorakalnerven !), gehen in den weißen Rami communicantes zum Grenzstrang des Sympathicus, treten ins Ganglion stellatum und in das untere Cervicalganglion desselben ein und verlaufen von diesen Ganglien teils als gesonderte Nervenbündel, teils mit Vagusfasern gemischt zum Herzen 2). Förderungsnerven finden sich auch im Vagusstamm (siehe unten, $. 267), in seltenen Fällen bei Kaninchen und Katze im Halssympathicus °). Die regulatorischen Herznerven gehören zum „autonomen“ Nerven- system von Langley (vgl. den Art. Sympathieus in diesem Handbuch), in ihren Verlauf sind daher Ganglienzellen eingeschaltet, und wir unterscheiden an ihnen einen präganglionären Abschnitt bis zu ihrer Endigung an den peripheren sympathischen Ganglienzellen, deren Achsenzylinderfortsätze als postganglionäre Nervenfasern zum Endorgan hinziehen. Für die Stelle, an welcher Ganglienzellen in den Verlauf sympathischer Nerven- fasern eingeschaltet sind, liefert einen (deskriptiv-anatomischen) Wahrscheinlich- keitsschluß die Bekleidung der Nervenfasern mit Mark (die präganglionären Fasern sind markhaltig, die postganglionären meist marklos). Sicherer ist der Nachweis mittels der Degenerationsmethode und mittels Nikotinvergiftung. Injiziertt man einem Tier Nikotin oder bepinselt direkt das Ganglion mit 1 proz. Nikotinlösung, so gehen Erregungen von den präganglionären Fasern nicht mehr auf die post- ganglionären über, während die letzteren noch reizbar und leitfähig sind. Für die Acceleratoren liegen die Ganglienzellen nach Gaskell®) und Langley (l. c.) im Ganglion stellatum und im unteren Cervicalganglion. Die von dort zum Herzen abgehenden Äste enthalten demnach postganglionäre Fasern. Die in den Verlauf der Hemmungsfasern eingeschalteten Ganglien- zellen liegen im Herzen selbst (anatomischer Schluß von Gaskell, l.c.). Damit stimmen überein die Resultate der Degenerationsversuche 5) und die Ergebnisse der Nikotinmethode®). Zu dem gleichen Schlusse führt die Beobachtung’), daß beim absterbenden Affenherzen die Acceleratorwirkung bedeutend länger erhalten blieb als die Hemmungswirkung, was mit dem früheren Unwirksam- werden der präganglionären Fasern anderer Funktion in Einklang steht. Die Ganglienzellen des Herzens. Im Frosehherzen®) verlaufen die jederseits einfachen Herzäste der beiden Vagi, an welchen die Ganglienzellen hauptsächlich liegen, nach ihrem Eintritt in das vorderste Sinusende zunächst in der Wand der Vena pulmonalis (dort liegt das sogenannte Remaksche Ganglion) und ziehen dann als „Scheidewandnerven“ im Septum zwischen den beiden Vorhöfen zur Atrioventrikulargrenze hin, wo an jedem wiederum eine größere Anhäufung von Ganglienzellen sich befindet, die Bidder- schen Ganglien. Die Ganglienzellen sind meist unipolar (bipolare und multipolare sind selten). An ihnen endigen intrakapsulär, unmittelbar dem Zelleib anfliegend, in Form von „Spiralfasern“ mit Endkörben präganglionäre Fasern — offenbar !) Langley, Philos. Transact. 183 B, 107, 1893. Hier auch die Literatur. — 2) Topographie dieser Äste für das Kaninchen bei Bever (Unters. a. d. Würzburger Labor. 1, 249 ff., 1867), für den Hund bei Schmiedeberg (Sächs. Ber. 23, 148, 1871), für die Katze bei Böhm (Arch. f. exp. Path. 4, 255). — °) Literatur bei Tigerstedt, 8. 265. Beim Menschen sahen Wertheimer u. Gaudier (Compt. rend. Soc. Biol. 1901, p. 137) keine Beschleunigung bei Reizung des Halssympa- thieus. — *) Journ. of physiol. 7, 13, 1886. — °) Zusammengestellt bei F. B. Hof- mann, His’ Arch. 1902, 8. 81. — °) Langley, Journ. of Physiol. 11, 277, 1890; Hofmann, Schmidts Jahrb. 281, 118, 1904. — 7) H. E. Hering, Pflügers Arch. 99, 245, 1903. — ®) Vgl. F. B. Hofmann, His’ Arch. 1902, S. 54. 262 Ganglien des Herzens; chronotrope Hemmung. Vagusfasern. Die Nervenfortsätze der unipolaren Zellen gehen als postganglionäre Fasern zur Muskulatur und bilden im Myokard ein dichtes Nervengeflecht. An den Nervenzweigchen von den Scheidewandnerven zum Myokard findet man zunächst auch noch einzelne Ganglienzellen. Sehr arm an Ganglienzellen sind die äußeren Vorhofswände und die unteren zwei Drittel des Ventrikels, doeh findet man auch hier noch gelegentlich einige versprengte Zellen '). Iın Säugetierherzen*) liegen die Ganglienzellen hauptsächlich an und in den Nervenstämmehen im subperikardialen Bindegewebe, seltener in den Nerven- geflechten des Myokards®). Am zahlreichsten kommen sie vor in der hinteren Vorhofswand zwischen Hohl- und Pulmonalvenen, ferner zwischen Aorta und Arteria pulmonalis, mehr vereinzelt auch am oberen Ende des Conus arteriosus. In dem subperikardialen Nervenplexus der Kammer findet man Ganglienzellen nur selten. Dogiel unterscheidet drei Typen von (vorwiegend multipolaren) Zellen: Die Zellen vom ersten Typus anastomosieren miteinander durch ein dichtes Netz kurzer Den- driten und schicken ihre Nervenfortsätze als marklose Fasern ins Myokard hinein. Die ungemein langen, ganz wie marklose Nervenfasern aussehenden Dendriten der Zellen vom 2. Typus gehen in die Nervenstämmchen über, ihre Endigung war nicht zu eruieren. Die Dendriten der Zellen vom 3. Typus bilden innerhalb des be- treffenden Ganglions ein dichtes extrakapsuläres Geflecht zwischen den Ganglien- zellen. Die Endigungsweise der Nervenfortsätze der Zellen vom Typus 2 (welche vielfach einen dünnen Markbelag annehmen), sowie der des 3. Typus war nicht zu ermitteln. In den Ganglien endigen Nervenfasern in zweierlei charakteristisch ver- schiedener Weise: Dünne markhaltige und marklose Fasern, welche in extra- kapsuläre Nervengeflechte übergehen; dicke, ungemein reich sich verteilende mark- haltige Fasern, welche intrakapsulär unmittelbar auf dem Zelleib, wahrscheinlich bloß der Zellen vom ersten Typus, endigen. Die letzteren Nervenfasern hält Dogiel für cerebrospinale — also wohl Vagusfasern. Die einzelnen Wirkungen der Hemmungs- und Förderungsnerven. 1. Chronotrope Nervenwirkung. a) Hemmung. Elektrische, mechanische oder chemische Reizungen des Vagus geben, wenn sie schwach sind, eine Herabsetzung der Schlag- frequenz, wenn sie stark genug sind und einige Zeit anhalten, einen völligen Stillstand des Herzens. Diese „negativ-chronotrope Wirkung“ erfolgt mit einer merklichen Latenz nach Beginn der Reizung und überdauert die Reizung einige Zeit, so daß z. B. ein zum Stillstand gebrachtes Herz nach Schluß der Reizung allmählich wieder in die normale Schlagfrequenz übergeht. - Bei den Bestimmungen der Latenzzeit der Vaguswirkung wurde früher nicht berücksichtigt, daß die Erregungswelle, welche zu Beginn der Vagusreizung eben vom Sinusgebiet aus zum Ventrikel hin im Ablauf begriffen ist, noch bis zu Ende läuft (wenn nicht eine sogenannte „dromotrope“ Wirkung mitspielt), so daß also der Ventrikel in der Regel nach Beginn der Vagusreizung noch einen Schlag aus- führt, ehe er stillsteht. Die Latenzzeit muß also. am Sinus bestimmt werden. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes fand Trendelenburg‘*) beim Frosch- herzen und Zimmertemperatur eine Latenz von 0,9 bis 1”, d. h. wenn der Anfang ') J. Dogiel, Arch. f. mikr. Anat. 21, 21, 1882. Die oben, 8. 229, Anm. 9 erwähnten kleinen Zellen am Endplexus, welche von Bethe für Ganglienzellen gehalten werden, sind von den hier beschriebenen echten Ganglienzellen durchaus verschieden. — ?) Vgl. insbes. Krehl u. Romberg, Arch. f. exp. Path. 30, 52 ff., 1892; A. 8. Dogiel, Arch. f. mikr. Anat. 53, 246, 1899. Weitere Literatur bei Tigerstedt, 8. 212. — ®) Die von Berkley (Anat. Anz. 9, 33, 1894) im Myokard beschriebenen spindeligen Ganglienzellen werden von anderen Forschern für Binde- gewebzellen gehalten (siehe A. 8. Dogiel, l. c. 8. 241 ff.). — *) Engelmanns Arch. 1902, Suppl. 8. 301 ff. Chronotrope Hemmung. 363 der Vagusreizung um dieses Zeitintervall vor den Systolenbeginn fiel, war die nächste Schlagperiode schon merklich verlängert. Momentanreize, z. B. einzelne Induktionsströme, geben, auch wenn sie noch so stark sind, keinen völligen Stillstand, sondern vermögen bloß eine allmählich ab- klingende Herabsetzung der Schlagfrequenz hervorzurufen. Das Maximum der Ver- zögerung fällt dabei meist schon auf die erste Periode nach der Reizung, seltener geht ihr noch eine submaximal verzögerte Periode voraus'). Mehrere aufeinander folgende Einzelreize summieren sich in ihren Wirkungen. Folgen sich die Einzel- reize in langen Intervallen, so nimmt die Herabsetzung der Schlagfrequenz mit der Dauer der Reizung ganz allmählich zu*). Je stärker und besonders je frequenter die Reize sind, desto früher nach dem Reizbeginn setzt völliger Stillstand ein. Das serien des Reizintervalls beträgt im Mittel 0,07 Sek. (Trendelenburg,l. ce. 8. 309). Der konstante Strom erregt die Hemmungsnerven bei Schließung und Öffnung nach dem Pflügerschen Zuckungsgesetz. Durchschneidung oder Unterbindung wirkt wie ein elektrischer Momentanreiz (wichtig wegen der Auffassung der Stan- niusschen Ligatur), chemische Reizung mit Kochsalz wirkt wie schwache Teta- nisierung mit Induktionsströmen. Für Induktionsströme sind die Hemmungsfasern sehr viel weniger erregbar als der Ischiadicus, für lineare, mittels Rheonom er- zeugte Stromesschwankungen ist ihre Reizbarkeit nur wenig geringer als die der motorischen Nervenfasern *). Der Herzstillstand, welchen man durch starke Vagusreizung erzielen kann, hält bei langen Reizungen nicht während der ganzen Dauer derselben an, sondern macht einer bloßen Herabsetzung der Schlagfrequenz Platz, die dann allerdings bei Fortdauer der Reizung außerordentlich lange anzuhalten vermag (biszu 2 Stunden am Hunde). Wird in diesem Stadium eine Reizung des anderen Vagus hinzugefügt, so kann eine vorübergehende Verstärkung der Hemmungswirkung (bis zu neuerlichem kurzen Stillstande) erfolgen, voraus- gesetzt, daß der andere Vagus nicht schon vorher anhaltend gereizt worden war. Warletzteres der Fall, so vergeht (beim Warmblüter) nach der Reizung des ersten Vagus einige Zeit, ehe der andere wirksam wird 5). Unter gewissen Umständen sieht man aber bei Hinzufügung der Reizung des anderen Vagus, auch wenn er ganz frisch ist, keine Verstärkung der Hemmung ®). Das Aufhören des Herzstillstandes trotz fortdauernder Vagusreizung beruht nicht etwa immer auf lokaler Ermüdung der Reizstelle’) oder Ermüdung der Nerven- fasern des Vagusstammes, denn wenn man den Vagus peripher von der Reizstelle durch Kälte leitungsunfähig gemacht und ihn dann andauernd gereizt hat, so ver- ursacht die Reizung sofort wieder Herzhemmung, sobald die Leitung durch Erwärmen wiederhergestellt wird®). Ebenso gibt bei Atropinvergiftung am Kaninchen der Vagus nach dem Ende der Vergiftung sofort wieder Stillstand, auch wenn er vorher sieben Stunden lang gereizt worden war’). Die Erscheinung ist vielmehr wahrschein- lich so zu erklären, daß ein für beide Vagi gemeinsamer Hemmungsapparat im Herzen sich befindet, der relativ schwer ermüdet!°), und daß die Übergangsstellen von den Nervenfasern des Vagus auf diesen Hemmungsapparat verhältnismäßig ') Donders, Pflügers Arch. 1, 351, 1868; Nuäl, ebenda 9, 83, 1874; Tren- delenburg, 1. c. — *) Legros und Onimus (Journ. de l’Anat. et Physiol. 1872, p- 581 ff.) für Schildkröte und winterschlafende Ringelnatter, bei höheren Tieren weniger auffallend. — °) Imamura, Engelmanns Arch. 1901, S. 187. — *) Lau- lanie, Compt. rend. 109, 407, 1889. — °) Eckhard, Beiträge usw. 8, 181, 1878. Gampgee u. Priestley, Journ. of Physiol. 1, 39 ff., 1878. — °) Hüfler, Du Bois’ Arch. 1889, S. 305. Hough, Journ. of Physiol. 18, 198, 1895. — ’) Dies kann allerdings vorkommen: Ludwig u. Hoffa, Zeitschr. f. rat. Med. 1. Folge, 9, 122, 1850. Stricker u. Wagner, Med. Jahrb. 1878, 8. 375. — °) Hough, 1. e. S. 161. — °) Szana, Du Bois’ Arch. 1891, S. 315. — !°) Vgl. Gamgee u. Priest- ley, 1. e.; Laulanie, Compt. rend. 109, 377, 1889. 264 Chronotrope Hemmung. leicht ermüdbar sind. Unter der Voraussetzung des myogenen Ursprungs der Herztätigkeit hatte dieselbe Folgerung eines für alle Vagusfasern gemeinsamen Hemmungsapparates im Herzen auch Hofmann!) aus dem Umstande gezogen, daß schon bei Reizung eines einzelnen Vagus, ja auch nur einiger weniger Hemmungs- fasern eine Frequenzabnahme des ganzen Herzens erfolgt. Doch ist diese An- gelegenheit noch nicht spruchreif, da Langley*) gegen die daran anknüpfende Auffassung des Sympathicus wichtige experimentelle Gegengründe beigebracht hat. Reizt man einen Vagus untermaximal, so daß bloß eine geringe Herab- setzung der Schlagfrequenz zustande kommt, so kann man durch Hinzufügen einer ebenso starken Reizung des anderen Vagus die Hemmung verstärken >). Je größer also die Zahl der gleichzeitig gereizten Hemmungsfasern ist, desto stärker ist die Hemmung und umgekehrt: selbst sehr starke Reizung der sehr wenigen in den Depressor abgeirrten Hemmungsfasern im Falle von H. E. Hering gab bloß Herabsetzung der Schlagfrequenz, keinen Stillstand. Dieser Umstand erklärt wahrscheinlich die von mehreren Forschern gemachte Beobachtung, daß der rechte und linke Vagus besonders bei niederen Tieren verschieden starke chronotrope Wirkungen ausüben. Nach den Experimenten von Gaskell am Schildkrötenherzen *) und be- sonders von F. B. Hofmann am Froschherzen 5), wo die Scheidewandnerven . die einzigen Vagusfortsetzungen zum Ventrikel darstellen, endigen die chrono- tropen Vagusfasern im Sinus, die zum Vorhof und Ventrikel weiterziehenden Vaguszweige üben am normal schlagenden Herzen, dessen Erregungswellen vom Sinus ausgehen, nur noch inotrope und „dromotrope* Wirkungen aus. Wenn daher in einem Vagus mehr Fasern für den Ventrikel und weniger für den Sinus enthalten sind als im anderen, so wird der erstere mehr eine inotrope Wirkung auf die Kammer, der letztere mehr eine chronotrope Wirkung entfalten. Beim Frosch übt in der Regel der rechte Vagus eine starke chronotrope Wirkung und eine geringe inotrope Hemmung auf den Ventrikel aus, beim linken Vagus ist das Verhältnis gewöhnlich umgekehrt‘). Hier kann man nun direkt nachweisen, daß der vorwiegend die Fortsetzung des rechten Vagus zum Ventrikel hin bildende vordere Scheidewandnerv meist viel dünner ist als der hintere, hauptsächlich dem linken Vagus entstammende. Die Dicke der Nerven variiert aber, woraus sich die Inkonstanz der Versuchsresultate erklärt. Vagusreizung gibt keine chronotope Hemmung mehr, wenn das Herz — oder nach Asher’) auch bloß das Sinusgebiet — unter hohem intrakardialem Druck steht, ferner bei niederen Temperaturen. Bei Erhöhung der Temperatur bis auf 39° C (beim Frosch) bleibt die Vaguswirkung bestehen, die Reizschwelle sinkt sogar®). Bei gleicher Reizstärke ist die chronotrope Hemmung um so größer, in je !) Verh. d. 74. Naturforschervers. 1902, 584 ff.; Schmidts Jahrb. 281, 121 ff., 1904. Vgl. auch schon Eckhard, 1. ce. 8. 178, 1878. — ?) Journ. of physiol. 31, 244, 1904. — °) Hüfler, 1. ce. — *) Journ. of Physiol. 4, 83, 1883. — °) Pflügers Arch. 60, 167, 1895; 72, 434 ff., 1898. — °) Tarchanoff, Trav. du labor. de Marey 2, 292, 1876; Hofmann, 1. c. 8. 160, 1895. — 7) Verh. d. 21. Kongr. f. inn. Med. 1904. — ®) Ludwig u. Luchsinger, Pflügers Arch. 25, 213 ff., 1881. Hier die ältere Literatur. Stewart, Journ. of Physiol. 13, 59, 1892. Am isolierten, mit Ringerlösung durchströmten Schildkrötenherzen nimmt die Reizbarkeit des Vagus bei Erwärmung über Zimmertemperatur ab (Martin, Amer. Journ. of Physiol. 11, 388 ff., 1904). Merkwürdig ist, daß bei Fröschen im Hochsommer die chronotrope Vaguswirkung oft fehlt, daß ferner bei Warmblütern, insbesondere bei den Vögeln, welche die höchste Körpertemperatur besitzen, die chronotrope Hemmung nicht so lange anhält wie bei Kaltblütern, siehe Tigerstedt, S. 235ff. Nach Asher (I. ce.) setzt plötzliche Temperatursteigerung die Reizbarkeit des Vagus vorübergehend herab. ra 7 | Chronotrope Hemmung; Beschleunigung. 265 schlechterem Zustande sich das Herz befindet!). Angeblich bewirkt auch Asphyxie (oder Pyrogallolinjektion) eine beträchtliche Steigerung der Hemmungswirkung, während Injektion von bee ins Blut die Hemmungswirkung herabsetzt?). Atropin lähmt die letzten Endigungen des Hemmungsapparates im Herzen, nach genügend starker Vergiftung geben weder Reizung des Vagusstammes noch des Venensinus eine chronotrope Hemmung mehr°). Ebenso wirken nach Böhm‘) eine Reihe anderer Gifte, wie Datürin, Hyoscyamin usw. Nikotin (ebenso Coniin, Curare) verhindert in mäßigen Dosen zunächst den Übergang der Erregung von den präganglionären auf die postganglionären Fasern (Langley, siehe oben, 8. 261). Vor der Lähmung bewirkt das Nikotin infolge Erregung der in den Vagusverlauf eingeschalteten Ganglien °) einen kurzdauernden Stillstand, dessen Zustandekommen durch vorherige Injektion von Atropin, das die postganglionären Fasern lähmt, ver- hindert wird. Der Stillstand des Herzens nach Muskarininjektion wurde von Schmiedeberg ebenfalls auf eine Reizung des wahrscheinlich gangliösen intra- kardialen Endapparates des Vagus bezogen, weil er wohl durch Atropin, nicht aber durch Nikotin beseitigt werden kann. Gaskell®) hingegen hält den Muskarin- stillstand für die Folge einer direkten Wirkung des Giftes auf den Herzmuskel (siehe auch oben, $. 231). Nach subkutaner Injektion von Natriumkarbonat verliert beim Frosch der Vagus für lange Zeit seine Wirkung auf das Herz, nach intravenöser Injektion beim Kaninchen nur vorübergehend. Darauf folgendes Bestreichen des Sinus mit ver- dünnten Kalisalzlösungen macht beim Frosch den Vagus wenigstens auf kurze Zeit wieder wirksam’). Jodnatrium setzt nach Barbera®) die Wirksamkeit des Vagus beim Warmblüter herab und hebt den Muskarinstillstand auf°), Injektion von Natriumphosphat erhöht sie. Jodothyrin erhöht nach v. Cyon!?) ebenfalls die Reizbarkeit der Vagi und ruft in hohen Dosen sogar selbst eine Erregung derselben hervor. Die Atropin- und Nikotinlähmung kann nach demselben Autor durch Jodo- thyrininjektion aufgehoben werden"). Ebenso steigere Jodothyrin die herabgesetzte Reizbarkeit des Vagus bei thyreoidektomierten oder strumösen Tieren, deren Vagi durch Atropin besonders leicht dauernd gelähmt werden sollen. Hypophysenextrakt soll ähnlich wirken wie Jodothyrin!?), die durch Injektion desselben hervorgerufene Herabsetzung der Schlagfrequenz läßt sich nicht immer durch Atropin beseitigen. Über die lähmende Einwirkung verschiedener Substanzen auf den Vagusstamm siehe unten! b) Beschleunigung (positiv chronotrope Wirkung). Der Accelerans ist im allgemeinen weniger reizbar als der Vagus. Beim Tetanisieren liegt für ihn die Reizschwelle höher als für die Hemmungsnerven 13). Stärkste mechanische Einzelreize, wie Durchschneidung, Quetschung, sind ganz un- wirksam !#). Die Zunahme der Schlagfrequenz bei Reizung des Accelerans setzt mit sehr bedeutender Latenz (einige Sekunden nach Beginn der Reizung, in der Kälte länger, bei höherer Temperatur kürzer !5) ein und überdauert das !) Hough (Journ. of Physiol. 18, 162, 1895) für Hunde- und Katzenherzen, während Gaskell (Philos. Transact. 173 (3), 1011, 1882) für den Frosch das Gegenteil angibt. — ?) Danilewsky, Physiologiste Russe 2, 3, 1900. Hüfler (Du Bois’ Arch. 1889, S. 311) fand dagegen keinen von der Atmung abhängigen Unterschied in der Reizbarkeit des Vagus. Dagegen sah er, daß die Reizbarkeit des Hemmungsapparates Schwankungen zeigte, deren Ursache unaufgeklärt blieb (l. c. 8. 303, 310). — °?) Vgl. hierzu und zum Folgenden bes. Schmiedeberg, Sächs. Ber. 22, 130, 1870. — *) Böhm, Studien über Herzgifte. Würzburg 1871. — 5) Beweise dafür an anderen sympathischen Ganglien von Langley (Journ. of Physiol. 27, 224, 1901). — °) Ebenda 8, 408, 1887. — ”) Löwit, Pflügers Arch. 25, 473 ff., 1882. — °) Ebenda 68, 434, 1897. — °) v. Cyon, ebenda70, 643, 1898. — 10) Ebenda 70, 161ff., 1898. — "!) Ebenda 70, 511; 73, 42, 1898. Bestätigt von Boruttau (Pflügers Arch. 78, 127 Anm.) und Asher (I. c.). — '?) Pflügers Arch. 71, 432 ff. und 73, 339, 1898. — "?) Schmiedeberg, Sächs. Ber. 23, 157, 1871. — 1) Boehm, Arch. f. exp. Path. 4, 274, 1875. — "°”) Stewart, 1. c. 8. 983. 266 Acceleratorwirkung. Ende der Reizung beträchtliche Zeit. Bei einigermaßen (über 1”) anhalten-. dem Tetanisieren nimmt die Beschleunigung mit Verstärkung der Reizung zu bis zu einem von der Schlagfreguenz vor der Reizung unabhängigen Maximum), das bei weiterer Verstärkung der Reizung nicht überschritten wird, das aber hinter der maximalen Beschleunigung, welche durch direkte chemische Reizung (mit Barytsalzen usf.) des Herzens selbst erzielt wird, zurückbleibt (Böhm, 1. c. S. 276). Variiert man bei gleichbleibender maxi- maler Reizstärke die Reizdauer von 1 bis 36 Sekunden, so steigt die Schlag- frequenz jedesmal in ungefähr derselben Zeit (beim Hunde etwa 10 Sekunden) bis zum gleichen Maximum an, die Beschleunigung überdauert aber die Reizung um so länger (bis zu mehreren Minuten), je anhaltender letztere ist?). Bei kurzdauernder Reizung kann es vorkommen, daß die Beschleunigung erst nach dem Ende der Reizung beginnt, bzw. ihr Maximum erreicht. Eine Ermüdung des Accelerans ist nach einer Reizung von zwei Minuten Dauer noch nicht nachweisbar (Böhm, 1. c.), wohl aber nach viel länger anhaltenden Reizungen (Reid Hunt). Nach diesem Autor ermüdet der Accelerans viel rascher bei Reizung mit frequenten Strömen als bei Reizung mit selten aufeinander folgenden Strömen. Wenn die marklosen postganglionären Fasern gereizt werden, so beruht die Er- müdung zum Teil auf einer lokalen Herabsetzung der Reizbarkeit an der Reiz- stelle, wie sich durch Verschieben der Elektroden zeigen läßt. Diese lokale Wirkung fehlt bei Reizung der markhaltigen präganglionären Fasern. Dann bleibt bloß eine ermüdende Wirkung auf das Herz selbst übrig. Ob diese die Endigungen des Accelerans oder den Herzmuskel selbst betrifft, "blieb fraglich. Injektion von Neben- nierenextrakt hat auf derart „ermüdete“ Herzen eine sehr geringe Wirkung, die Vagusreizung hingegen ist viel stärker wirksam. Curare und Atropin in großen Dosen beschleunigt die Ermüdung des Accelerans, Jodnatrium (das nach v. Cyon*) die Reizbarkeit des Accelerans steigert) verringert die Ermüdbarkeit desselben. Jodothyrin setzt nach v. Cyon’) die Reizbarkeit des Accelerans herab. Abkühlung verringert die Wirksamkeit des Accelerans, bei Erwärmung nimmt sie zu bis zu einem Maximum zwischen 18 bis 25° C (beim Frosch), bei weiterer Erwärmung nimmt sie wieder ab. Durch hohen intrakardialen Druck, der die Hemmungswirkung schon aufhebt, wird die Wirksamkeit des Accelerans erhöht°). Werden Hemmungs- und Beschleunigungsnerven gleichzeitig und gleich stark gereizt, so überwiegt während der Reizung die Wirkung der Hemmungs- nerven. Nach Schluß der Reizung schwindet die Hemmungswirkung zuerst, und es kommt dann die länger anhaltende Nachwirkung des Accelerans zum Vorschein ?). Während der gleichzeitigen Reizung beider Nerven wird nicht etwa, wie Baxt°®) meinte, die Wirkung des Accelerans durch den Vagus völlig unterdrückt. S. J. Meltzer’) wies aus Baxts Tabellen nach, daß die Zahl der Herzschläge stets größer war, wenn zusammen mit dem Vagus der Accelerans gereizt wurde, als wenn der Vagus allein gereizt wurde. Ferner gibt Reizung des Accelerans eine !) Da das Maximum in dieser Beziehung konstant ist, so hängt die durch maximale Acceleransreizung erzielbare Vermehrung der Schlagzahl im Einzelfalle von der Schlagfrequenz vor der Reizung ab. Je niedriger diese war, desto größer ist die Zunahme der. Herzschlagzahl. — ?) Baxt, Du Bois’ Arch. 1877, 8. 521. — ®) Americ. Journ. of Physiol. 2, 407 ff., 1899. — *) Pflügers Arch. 70, 176, 1898. — >) Ebendal. c. — °) Stewart, Journ. of Physiol. 13, 87 ff., 141,1892. — 7) Schmiede- berg, l.c. 8. 155 ff. — °) Sächs. Ber. 27, 299, 1875, bes. S. 350. — °) Du Bois’ Arch. 1892, 376. Vgl. auch Böhm, 1. c.. $S. 278; Stricker u. Wagner, Wiener med. Jahrb. 1878, S. 373. Muhm, Engelmanns Arch. 1901, 8. 244. ee a ). Daß die spinalen Gefäßzentren auch bei Asphyxie in Erregung geraten, wurde von Kowalewsky und Adamück®) bei Hunden angegeben, von S. Mayer’) und Kabierske (l. c.) aber an Kaninchen nicht bestätigt. Der negative Befund dieser Autoren rührt nach Luchsinger°) daher, daß sie die künstliche Atmung nicht genügend lange aussetzten. Die Blutdruck- steigerung tritt nämlich hier erst nach längerer Zeit ein®). Asher und Lüscher (l. e., S. 527) sahen sie viel eher auftreten als Konow und Sten- beck und führen den Unterschied auf die geringere Schädigung des Rücken- markes bei ihrer Methode zurück. Daß diese Drucksteigerung wirklich auf Reizung von spinalen Zentren zurückzuführen ist, geht daraus hervor, daß sie nach Zerstörung des Rückenmarkes oder nach asphyktischer Lähmung desselben wegfällt !0). Über die genauere Lage der Gefäßzentren im Rückenmark läßt sich aus- sagen, daß im Halsmark keine vorhanden zu sein scheinen, weil der Blut- druck, gleichgültig, in welcher Höhe das Halsmark durchschnitten wird, stets auf die gleiche Größe absinkt. Wenn man dagegen der Halsmarkdurch- schneidung eine Durchtrennung des Brustmarkes am ersten Brustwirbel folgen !) Virchows Arch. 29, 410 ff., 1864. — ?) Pflügers Arch. 8, 485, 1874; hier die Literatur. — ?) Proe. Roy. Soe. 66, 394, 1900. — *) Schlesinger, Med. Jahrbb. (Wien) 1874, S. 20. — °) Heidenhain u. Kabierske, Pflügers Arch. 14, 518, 1877; hier die ältere Literatur; Smirnow, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1886, 8. 147; Usti- mowitsch, Du Bois’ Arch. 1887, 8. 188; Roschansky, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1889, 8. 162; Asher u. Lüscher, Zeitschr. f. Biol. 38, 528, 1898. — ©) Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1868, 8. 582ff. — 7) Wien. Sitzungsber. 73 (3), 91ff., 1876. — °) Pflügers Arch. 16, 526, 1878. — °) Bestätigt von Konow u. Stenbeck, Skand. Arch. 1, 407, 1889; Landergren, ebenda 7, 7 ff., 1897. — '%) Luehsinger, l. e., 8. 529; Konow u. Stenbeck, 1. c., 8. 405. 304 Spinale Gefäßnervenzentren ; Dilatatorenzentren. läßt, so sinkt der Blutdruck von neuem. Hier beginnen also offenbar die Zentren!). Wie weit sie herunterreichen, ist nicht ganz sichergestellt. Kabierske (l. c. 8.527) sah die Blutdrucksteigerung bei Ischiadicusreizung am Hunde ausbleiben nach Durchtrennung des Brustmarkes am letzten Brustwirbel, auch nachdem die Wunde verheilt und Strychnin injiziert worden war. Er schloß daraus, daß der Reflex dann bloß noch auf so kleine Gefäßgebiete beschränkt ist, daß eine merkliche Blutdrucksteigerung nicht mehr zustande kommt. Auch Goltz?) hatte vorher schon keinen Beweis für eine reflektorische Gefäßverengerung vom Lumbalmark aus finden können. Wie man sieht, entspricht diese Ausdehnung im ganzen (die obere Grenze scharf, die untere nur ungefähr) dem Austrittsgebiete von Vasoconstrictoren aus dem Rückenmark. - Da nachgewiesen ist, daß die präganglionären Fasern des Sympathicus aus Ganglienzellen des Seitenhorns entspringen®), so könnte man in diesen die spinalen Gefäßzentren vermuten, doch ist nicht ausgeschlossen, daß auch benachbarte Gebiete der grauen Substanz be- teiligt sind. | Über das gegenseitige Verhältnis des Gefäßzentrums in der Medulla zu den spinalen Zentren ist wenig Tatsächliches bekannt. Von der Beobachtung ausgehend, daß die vom Rückenmark auslösbaren Gefäßreflexe auch nach Strychninvergiftung sehr klein sind, hat Heidenhain*) die Meinung aus- gesprochen, daß die Zentralorgane der Gefäßnerven eine ähnliche innere Gliederung besitzen wie die Zentren der Skelettmuskulatur. Das medulläre Zentrum könnte dann eine Art „allgemeines Reflexzentrum“* darstellen, wäh- rend vom Rückenmark aus nur lokale Reflexe vermittelt würden. Daß das medulläre Zentrum de norma der Hauptvermittler des normalen Gefäßtonus ist, folgt daraus, daß der Blutdruck nach Ausschaltung desselben auch dann noch beträchtlich absinkt, wenn eine „Shockwirkung“ des Eingriffes so gut wie ausgeschlossen ist, z. B. bei lokaler Narkose der Medulla durch Auf- träufeln von ß-Eukain ’). Ob der Tonus der Gefäßnervenzentren ein automati- scher ist oder reflektorisch ausgelöst ist, ist nicht entschieden. Die Zentren der Vasodilatatoren. Ob das Gefäßzentrum in der Medulla oblongata nur eine gefäßverengende (blutdrucksteigernde, „pressorische*) Wirkung hat oder ob von ihm aus auch gefäßerweiternde (blutdruckmindernde, „depressorische*) Wirkungen aus- gehen, ob wir also in der Medulla oblongata ein einheitliches Zentrum sowohl für die Constrietoren, als auch für die Dilatatoren oder für jede Art der Gefäßnerven ein besonderes Zentrum annehmen sollen, ist ganz unentschieden. Laffont‘) sah nach einem seitlichen Stich in den Boden der Rautengrube neben der Medianlinie die Blutdrucksenkung bei Reizung des Nervus depressor !) Stricker, Med. Jahrbb. (Wien) 1878, 8.21; 1886, S. 6.— ?) Pflügers Arch. 11, 98, 1875. — °) Das Seitenhorn und seine Zellgruppe verschwinden oberhalb des Ab- ganges des ersten Dorsalnerven (Sherrington, Journ. of Physiol. 13, 700, 1892). Nach Durchschneidung des Halssympathicus degenerieren die Zellen des Seiten- hornes (Anderson, ebenda 28, 510, 1902; hier auch die übrige Literatur), — *) Pflügers Arch. 14, 527 ff., 1877; vgl. auch Vulpian, Lecons sur l’app. vasomot. 1, 266 ff., 1875. — °) Vgl. darüber ausführlich Asher (Ergebn. d. Physiol. 1 (2), 364 bis 367, 1902). — ®) Compt. rend. 90, 705, 1880. a Zn 0 Zentren der Dilatatoren; „periphere Gefäßzentren“. 305 derselben Seite zunächst weiter bestehen. Später verschwand die depres- sorische Wirkung der Reizung, und an ihrer Stelle trat eine Blutdrucksteige- rung auf, schließlich, nachdem sich die Hämorrhagie an der Läsionsstelle stark vergrößert hatte, gar kein Effekt mehr. Er schloß daraus, daß zuerst das Dilatatorenzentrum der betreffenden Seite zerstört worden war. Auf absteigende Dilatatorenbahnen aus der Medulla oblongata deutet der Umstand hin, daß man bei Reizung des Halsmarkes Erweiterung der Ge- fäße des Ohres und der Regio buccofacialis!) und im Penis?) beobachtet hat, ja sogar eine zwischen die gewöhnliche aeg She eingeschaltete Blutdrucksenkung °). Daß die Ganglienzellen, aus welchen die Dilatatorfasern vermutlich im Rückenmark entspringen, auch reflektorisch erregbar sind, schloß man daraus, daß Reizung des Plexus brachialis sowie des zentralen Splanchnicusstumpfes auch noch nach Isolierung des Rückenmarkes Blutdrucksenkung bewirken kann). Die Zulässigkeit dieser Schlußfolgerung hängt aber von der Auffassung ab, die man über das Zustandekommen solcher depressorischer Reflexe hat. Bestehen sie in einer Hemmung des Tonus der Constrietoren, so ist damit nichts bewiesen für die Existenz von Dilatatorenzentren. Sicherer läßt sich auf letztere schließen aus der reflektorisch auslösbaren Blutgefäßerweiterung im Penis und in den hinteren Extremitäten nach Isolierung des Lumbosacral- markes des Hundes’), da hierbei Constrietorenzentren kaum mehr in Betracht kommen (s. die vorige Seite). Der selbständige Tonus der Gefäße („periphere Gefäßzentren‘“). Die Existenz peripherer Gefäßzentren wird daräus erschlossen, daß auch die nervös vollständig isolierten Gefäße noch einen gewissen Grad von Tonus besitzen, bzw. wieder erlangen können. Am beweisendsten sind hier die Versuche von Goltz), welcher zeigte, daß nach der Durchschneidung des N. ischiadicus die anfangs beträchtliche Temperaturerhöhung der be- treffenden Extremität wieder zurückgeht, und daß die Gefäße sich dann auf direkte mechanische und elektrische Reizung und bei starker Abkühlung‘ wieder lokal erweitern können, und zwar selbst dann noch, wenn die Extre- mität nur noch mittels der Gefäße mit dem übrigen Körper zusammenhängt ’’). Wenn aber eine Erweiterung möglich ist, so müssen die Gefäße doch einen gewissen Tonus besitzen. Dasselbe geht hervor aus der Beobachtung, daß einige Tage nach der Ischiadieusdurchschneidung Reizung des peripheren Stumpfes Erweiterung gibt. Der Einwand, daß vielleicht das betreffende Gefäßgebiet außer von den durchschnittenen Vasomotoren noch von anderer Seite her (eventuell von Nervenbündeln, welchein den Gefäßwänden verlaufen) versorgt wird, wird dadurch widerlegt, daß in derartigen Fällen wohl noch ‘) Dastre u. Morat, Rech. exp. sur le syst. nerv. vasomot. p. 144; Vulpian (Legons ete. 1, 219) sah einmal auch Erweiterung der Darm- und Mesenterial- gefäße beim Hunde. — *) Eckhard, Beiträge usw. 7, 73f#f., 1873. Auch bei Reizung der Brücke und der crura cerebri erfolgt Erektion. — ®) Johannson, Du Bois’ Arch. 1891, 8. 134 ff. — *) Literatur bei Tigerstedt, 8. 530. — °) Goltz, Pflügers Arch. $, 463 ft.; 9, 189, 1874, u. a. (s. Tigerstedt). — °) Pflügers Arch. 9, 181 8., 1874; 11, ss k., 1875; Goltz und Ewald, ebenda 63, 389 ff., 1896. — 7) Vgl. Gergens und Werber, ebenda 13, 52, 1876. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 20 306 „Periphere Gefäßzentren.“ Erweiterung auf lokale Reizung hin, aber nicht mehr reflektorisch von ent- fernteren Stellen her ausgelöst werden kann. Eine ähnliche Wiederherstel- lung des Tonus ist auch, allerdings nicht immer !), am Kaninchenohr nach, Durchschneidung des Halssympathicus. beobachtet worden. Die Blutdruck- senkung nach Splanchnicusdurchschneidung geht ebenfalls nach einiger Zeit wieder zurück, obwohl keine Verheilung der Nervenenden stattgefunden hat). Die Zungengefäße erweitern sich nach Durchschneidung und Degeneration der Konstriktoren und Isolierung des Zungenkreislaufs auf Reizung der Dila- tatoren hin und verengern sich nachher wieder von selbst, bleiben nicht er- weitert. Es muß also eine besondere periphere Erregungsursache für dieselben geben 3). Der selbständige periphere Gefäßtonus reicht allerdings, wenn man nicht besondere Vorsichtsmaßregeln anwendet, nicht hin, um unmittelbar nach plötzlicher Zerstörung des Rückenmarks den Kreislauf aufrecht zu erhalten. Dies gelingt aber, und man kann die Tiere am Leben erhalten, wenn man das Rückenmark stückweise in mehreren Sitzungen entfernt*). Der Kreis- lauf bleibt ferner erhalten, wenn man den Tieren eine genügende Menge physiologischer Kochsalzlösung intraarteriell injiziert °) oder das Rückenmiark ganz allmählich durch Anämisierung ausschaltet®6). Asher und Arnold führen dies als Beweis dafür an, daß schon in der Norm ein peripherer Ge- fäßtonus bis zu einem gewissen Grade besteht, daß er also nicht etwa erst nach der Nervendurchschneidung als Regulierungsvorgang auftritt. Ein guter Beweis dafür liegt auch darin, daß man schon unmittelbar nach der Durchschneidung des gemischten Gefäßnerven, z. B.. des Ischiadicus, durch geeignete Reizungsart (siehe oben S. 292) eine Gefäßerweiterung erzielen kann. Auch steht die Auffassung, daß schon normalerweise ein merklicher peripherer Tonus vorhanden ist, in guter Übereinstimmung mit der allge- meinen Beobachtung, daß Hemmungsnerven — wie hier die Dilatatoren — sonst nur zu Gebilden hinziehen, welche einen selbständigen Tonus besitzen 7). Die „peripheren Zentren“, durch deren Erregung die eben beschriebenen Erscheinungen zustande kommen, müssen entweder in unmittelbarster Nähe ‚der Gefäße oder in der Gefäßwand selbst liegen. Daß sie nicht in den sym- pathischen Ganglien gesucht werden dürfen, geht daraus hervor, daß der periphere Gefäßtonus auch nach der Durchschneidung der postganglionären Fasern wiederkehrt. Allerdings liegen einige Anzeichen vor, daß auch die sympathischen Ganglien einer tonischen Dauererregung fähig sind. Sie sind jedoch nicht genügend ein- deutig, um sicher für diese Ansicht verwertet werden zu können. Ein Hinweis darauf könnte einem Experimente von Goltz und Ewald®) entnommen werden. Nachdem sie bei einem Hunde jenes Rückenmarkstück entfernt hatten, welches die spinalen Gefäßzentren für die hinteren Extremitäten enthielt, stellte sich der periphere Tonus der Gefäße, der anfangs verschwunden war, allmählich wieder her. Nach sechs Monaten wurde der Ischiadicus der einen Seite durchschnitten, und nun folgte eine binnen wenigen Tagen sich wieder ausgleichende Temperatur- !) Vgl. die Zusammenstellung bei Langley, Schäfers Textbook of Physiol.: 2, 657, 1900. — *) Asp, Sächs. Ber. 19, 141, 1867. — °) Isergin, Du Bois’ Arch. 1894, S. 444. — *) Gergens und Werber (l. ec.) am Frosch, Goltz und Ewald (l. e.) am Hunde. — °) Spina, Pflügers Arch. 76, 219, 1899. — °) Asher und Arnold, Zeitschr. £. Biol. 40, 278, 1900. — 7) Biedermann, Pflügers Arch. 80, 437, 1900; Verworn, Engelmanns Arch. 1900, Suppl., 8. 121. — ®) Pflügers Arch. 63, 390, 1896. } f E - > 4 . F ER Te „Periphere Gefäßzentren.“ 307 erhöhung und Rötung dieser Pfote: infolge der Durchschneidung waren die im Sympathicus gelegenen Ganglienzellen der Vasoconstrietoren abgetrennt worden, - und dadurch wurde vielleicht der Tonusverlust bedingt. Indessen ist es doch fraglich, ob diese Deutung richtig ist. Goltz hatte früher beobachtet !), daß, wenn nach einmaliger Durchschneidung des Ischiadicus die anfängliche Tempe- raturerhöhung der Extremität sehr langsam zurückgegangen war, eine neuerliche mehr periphere Durchschneidung wiederum eine langsam zurückgehende Tempe- raturerhöhung bewirkt, und er schloß daraus, daß die Durchschneidung einen sehr anhaltenden Reiz der Vasodilatatoren setzt, der besonders durch Summation (mehrfache Einschnitte) sehr gesteigert werden kann. 18 Tage nach der ersten Durchschneidung waren die Nerven degeneriert, und neuerliche Durchschneidung brachte dann keine Temperatursteigerung mehr hervor (l. c. 11, 67). Im Falle von Goltz und Ewald aber konnten ja die Vasodilatatoren nach der Rücken- marksexstirpation nicht degeneriert sein, weil ihr trophisches Zentrum (seien es nun Spinalganglien oder sympathische Ganglien) erhalten war, sie mußten also durch den Schnitt gereizt werden. Für einen Tonus der sympathischen Ganglien spricht dann noch die Erfah- rung von Goltz *), daß die Gefäßerweiterung nach Durchschneidung des Ischiadicus ‚(also der postganglionären Fasern) immer beträchtlicher ist als die nach Zerstö- rung der Rückenmarkszentren und der von ihnen ausgehenden präganglionären Fasern. Die ähnliche Angabe von Claude Bernard, daß die Temperaturerhöhung im Ohr nach Exstirpation des oberen Spinalganglions stärker und anhaltender ist als nach Durchscehneidung des Halssympathicus, ist später bestritten worden’). Auch die Beweise, welche Dastre und Morat‘*) für die Existenz eines Tonus der vasoconstrietorischen sympathischen Ganglien angeführt haben, sind nach Langley (Schäfers Textbook 2, 676) nicht haltbar. Daß die vasomotorischen sympathischen Ganglienzellen weder reflektorisch noch durch Erstickung erregbar sind, ist nach Analogie mit den Ganglienzellen anderer Funktion anzunehmen und geht für die Asphyxie auch direkt aus den ‘oben 8. 303 angeführten Experimenten hervor. Die Reflexe, welche Claude Bernard’) bei Reizung des Lingualis und Roschansky°) bei Reizung des zen- tralen Splanchnicusstumpfes nach Zerstörung des Rückenmarkes beschrieben haben, sind als „Axonreflexe“ im Sinne von Langley aufzufassen. Auf welche anatomischen Elemente der Gefäßwand der Ursprung des peripheren Gefäßtonus zu beziehen ist, ist nicht ausgemacht. Ganglienzellen können es nicht sein, weil unzweifelhaft echte Ganglienzellen bisher nur aus- nahmsweise einmal in der Gefäßwand nachgewiesen wurden. Zwar werden von manchen Autoren ’) auch gewisse kleine verzweigte Zellen, welche die kleineren Gefäße allenthalben umspinnen, als Ganglienzellen angesprochen. Andere °) halten sie aber für Bindegewebszellen, weil sie in keinem Zusammen- hang mit den Nervenfasern stehen. Es ist möglich, daß die Gefäßmuskel- zellen selbst einen automatischen Tonus besitzen?). Nach meinen eigenen Erfahrungen an Wirbellosen !) würde ich es aber auch für möglich halten, daß die letzten peripheren Endigungen der Vasoconstrictoren selbst nach der Abtrennung vom Zentralnervensystem in Dauererregung geraten und besonders leicht auf mechanische Reizung (Dehnung) ansprechen. Allerdings dürften .diese allerletzten Endigungen dann (bei dem langen Bestande des Tonus) !) Pflügers Arch. 8, 497; 11, 59ff., 1875. — *) Ebenda 9, 180, 1874. — °?) Siehe die Literatur bei Langley, Schäfers Textb. of Physiol. 2, 677, 1900. — *) Rech. exp. sur le syst. nerv. vasomot. besonders 8. 322 ff., 1884. — °) Compt. rend. 55, 345, 1862. — °) Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1889, 8. 162. — 7) Neuerdings von Bethe, Allg. Anat. u. Physiol. d. Nervensyst., 8. 80, Abb. 28. — °) Vgl. Dogiel, His’ Arch. 1899, 8. 150#£. — °) Vgl. Bernstein, Pflügers Arch. 15, 602, 1877. — 10%) Vgl. die vorl. Mitt. 6. Physiol.-Kongr. Arch. di Fisiol. 2, 116, 1904. 20* 308 „Periphere Gefäßzentren“; mechanische Reizung der Gefäße. auch nicht degenerieren, was Brodie und Dixon!) in der Tat vermuten. Man wird durch diese Vermutungen an ein von S. Mayer?) aufgestelltes Gesetz erinnert, daß nämlich der Ursprung und die Endigung einer Nerven- faser, die „terminale Substanz“, auf Ernährungsstörungen insofern gleichartig reagieren, als sie die Wiederaufnahme der Ernährung mit einer Erregung beantworten, was die dazwischen liegende Nervenfaser, die „interterminale Substanz“, nicht tut). Für einen myogenen Ursprung des peripheren Tonus und gegen alle anderen Annahmen spricht freilich die Analogie mit dem Herzen, sowie gewisse Erfahrungen an anderen glatten Muskeln (Sphincter iridis). Von den Annahmen, die man über die Natur des peripheren tonusfähigen Apparates macht, hängt natürlich auch die Auffassung über die Wirkungs- weise der Vasodilatatoren ab. Vermutet man in den Gefäßwänden eigene nervöse Zentren, so könnten die Vasodilatatoren deren Tätigkeit hemmen. Sind dagegen die Muskelfasern selbst einer tonischen Erregung fähig, so wird man anzunehmen haben, daß die Dilatatoren direkt an ihnen endigen, und daß die spezifische Hemmungswirkung derselben entweder die Folge ihrer besonderen Endigungsart oder eines spezifischen, in ihnen ablaufenden Pro- zesses ist, kurz, es wiederholen sich hier jene Fragen, auf welche bei Gelegen- heit der Herznerven schon hingewiesen wurde. Eine sichere Entscheidung darüber ist heute nicht möglich. Direkte periphere Einwirkungen auf die Gefäße. Dieselbe Unsicherheit der Auffassung herrscht auch bezüglich der direkten peripheren Einflüsse, welche den Tonus der Gefäße entweder zu verstärken oder abzuschwächen vermögen. Ja, noch mehr, man ist in vielen solchen Fällen sogar im unklaren darüber, ob man es mit einer direkten Wirkung auf den peripheren Apparat oder mit einer reflektorisch unter Vermittelung des Zentralnervensystems ausgelösten Tonusänderung zu tun hat. Dies gilt schon für den Erfolg mechanischer Reizung der Hautgefäße. Direkte mecha- nische (ebenso wie elektrische) Reizung kleiner Arterien erzeugt an der Reiz- stelle eine allmählich entstehende, lange anhaltende Verengerung, die nachher entweder einfach zurückgeht oder einer stärkeren lokalen Erschlaffung Platz macht *). An der Vena saphena ist die Verengerung auf mechanische Reizung nach längerer Abschnürung und Wiederherstellung des Kreislaufs viel ge- ringer als vorher, und sie wurde deshalb von Welikij°) auf Reflexwirkung bezogen. Fährt man über leicht gerötete Hautpartien mit einer stumpfen Spitze leicht weg, so entsteht infolge der Blutverdrängung im Momente der Berührung ein sofort wieder verschwindender weißer Strich, nach einigen Sekunden aber tritt als Folge der Reizung eine anhaltende Blässe der ge- reizten Stelle auf®). War die mechanische Reizung sehr intensiv, so ver- schwindet diese blasse Linie bald, und an ihrer Stelle tritt eine ganz lange !) Journ. of Physiol. 30, 499 ff., 1904. — ?) Wien. Sitzungsber. 81 (3), 121, 1880. — °) Eine ähnliche noch viel allgemeinere Ansicht hat v. Cyon (Pflügers Arch. 70, 261 ff., 1898) bezüglich der Herznerven ausgesprochen. Doch liegen dort die Verhältnisse viel unklarer. — *) Vergleiche hierzu und zum Folgenden Vulpian, App. nerv. vasomoteur 1, 40ff., 1875. — °) Siehe Hermanns Jahresber. 1895, 8. 70. — °) Durchaus nicht immer, vgl. Vulpian,l. ce. 8. 52. u Gift- und Organextraktwirkung auf die Gefäße. 309 (bis zu einer Stunde) dauernde Rötung auf. Zu beiden Seiten des roten Striches können blasse verwaschene Streifen erscheinen. Vulpian hält ins- besondere die Rötung für eine reflektorische Dilatatorerregung, weil sie der Reizung so spät nachfolgt und so lange anhält, endlich weil ihre Intensität von der Reizbarkeit des Zentralnervensystems abhängt. Es könnte aber auch sein, daß die Erregbarkeit des peripheren tonusfähigen Apparates unter normalen Umständen von der Erregbarkeit des Zentralnervensystems abhängt. Beachtenswert ist jedenfalls die Ähnlichkeit der anhaltenden lokalen Gefäß- erweiterung nach starker Reizung mit der lokalen Diastole nach mechanischer Reizung des Froschherzens. Außerdem bieten die oben $S. 305 zitierten Experimente von Goltz zahlreiche Beispiele von Gefäßerweiterung auf starke mechanische (oder elektrische) Reizung auch bei völliger BNDE der Ge- fäßnerven. Zu den wenigstens teilweise direkt peripher wirkenden Faktoren gehört ferner die Temperatur, deren Einfluß unten S. 327 im Zusammenhang mit den 'Tem- peraturreflexen besprochen werden soll, endlich verschiedene Gifte. Manche Gifte bewirken an nervös isolierten Blutgefäßen eine Erweiterung unter gleich- zeitiger Vernichtung der Reizbarkeit der Vasoconstrietoren. Andere, wie Amyl- nitrit und Nitroglycerin, welche ebenfalls eine peripher bedingte Gefäßerweiterung bewirken, vernichten die Reizbarkeit der Vasoconstrietoren nicht. Eine Reihe anderer Gifte, wie z. B. Chlorbaryum, die Substanzen der Digitalisgruppe, Nikotin, Piperidin usf., verengern durch direkte periphere Einwirkung die Gefäße'). Schwache Säuren erweitern, ‚Alkalilösungen verengern die Gefäße?) (wenigstens beim Frosch). - Am bemerkenswertesten ist die Wirkung einiger Organextrakte. So be- wirkt das im Nebennierenextrakt enthaltene Adrenalin durch periphere Wirkung auf die Gefäße eine enorme Blutdrucksteigerung®). Da das Adrenalin auch eine deutliche Wirkung auf den Skelettmuskel entfaltet *), da ferner die Wirkung auf die Gefäße auch nach Degeneration der postganglionären Gefäßnerven bestehen bleibt’), so nimmt man meist an, daß das Arenalin seine Wirkung direkt auf die Muskulatur der Gefäße ausübe. Dem widersprachen aber neuerdings Brodie und Dixon®), welche insbesondere nach Lähmung der Vasomotoren durch Apocodein die Adrenalinwirkung verschwinden sahen und daraus schlossen, daß das Adrenalin die allerletzten Endigungen der Vasoconstrietoren errege, welche nach Nerven- durchschneidung nicht degenerieren sollen. Läwen’) sah dagegen die Adrenalin- wirkung bei Fröschen auch noch nach Vergiftung mit reinem Kurarin fortbestehen, das nach Tillie die Vasomotoren lähmt. Ganz so wie das Extrakt des Nebennieren- markes wirken nach Biedl und Wiesel®) Extrakte aus den Nebenorganen des Sympathicus, dem chromaffinen Gewebe Kohns, welche a aereehiche lich mit dem Nebennierenmarke identisch sind. Tigerstedt und Bergmann’) fanden ferner in dem mit kalter Kochsalz- lösung bereiteten Extrakt aus der Nierenrinde eine Substanz, die auch im Nieren- !) Vgl. Kobert, Arch. f. exp. Path. 22, 77, 1887; F. Pick, ebenda 42, 399, 1899. Hier ausführliche Literatur. Durdufi, ebenda 43, 121, 1899. — ?) Gaskell, Journ. of Physiol. 3, 62ff., 1880. — °) Gleichzeitig entdeckt von Oliver. und Schäfer (vgl. Journ. of Physiol. 18, 230, 1895) und Szymonowicz und Cybulski (siehe Pflügers Arch. 64, 97, 1896), richtig gedeutet von den ersteren. Die spätere Literatur bei Boruttau, Pflügers Arch. 78, 97 ff., 1899. — *) Oliver und Schäfer, 1. ec. 8. 263. — °) Langley, Journ. of Physiol. 27, 247 ff., 1901. Vgl. dazu Elliott, Journ. of Physiol. 31, XXI, 1904. — °) Ebenda 30, 497, 1904. Die Wirkung von Baryumchlorid bleibt nach Apocodeinvergiftung bestehen, ist also auch nach diesen . Autoren direkte Muskelwirkung, Pilocarpin und Musecarin werden unwirk- sam. — 7?) Arch. f. exp. Pathol. 51, 426 ff., 1904. — °) Pflügers Arch. 9, 434, 1902. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 8, 223, 1898. 310 ij Organextraktwirkung; spezifisch wirkende Substanzen. venenblute enthalten ist, und welche durch periphere Einwirkung auf die Gefäße blutdrucksteigernd wirkt. Die Substanz wird durch Kochen zerstört. In letzter Zeit haben Swale Vincent und Sheen') auch noch aus anderen Organen (Muskeln, Nerven usf.) mit Kochsalzlösung bei Zimmertemperatur PISMMEERE wirkende Extrakte erhalten. Aus einer ganzen Reihe von Organen (Thyreoidea, Thymus, Nekmiukks, Hypophyse, Nerven und Muskeln, Niere, Leber, Milz, Darmschleimhaut usf.°) lassen sich ferner — insbesondere beim Auskochen mit Kochsalzlösung — depres- sorisch wirkende Substanzen ausziehen. Daß die depressorisch wirkende Substanz im Extrakt von Nervengewebe nicht das Cholin ist, wie Halliburton°) meinte, geht nach 8. Vincent und Sheen (l. ce.) daraus hervor, daß nach Atropin- vergiftung der Extrakt noch immer den Blutdruck herabsetzt, während Cholin- injektionen ihn dann steigern. Bayliss und Starling*) haben die Vermutung ausgesprochen, daß es viel- leicht auf die verschiedenen Gefäßbezirke spezifisch depressorisch wirkende Sub- stanzen geben könne. Wenn auch die Experimente, aus welchen Bayliss und 'Starling ihre Folgerung zogen, vielleicht nicht ganz beweisend sind’), so liegen doch von anderer Seite ähnliche Angaben vor. So scheint Kohlenoxydvergiftung eine Dilatation speziell der Hirngefäße zu bewirken®). So wirken die Albumosen (Witte-Pepton) auf die einzelnen Gefäßbezirke verschieden stark dilatierend: Die Leber-, Milz- und Darmgefäße sind besonders empfindlich, während die Nieren- und Hautmuskelgefäße sehr wenig darauf reagieren’). Am bemerkenswertesten aber sind die Angaben von Cavazzani°) über die Wirkung des Harnstoffs. Auf der einen Seite hatten mehrere Autoren ?) nachgewiesen, daß die harntreibenden Mittel, und zwar nicht bloß die sogenannten „harnfähigen Substanzen“, sondern auch die eigentlichen Diuretica mit Ausnahme des Digitalins, wenn sie einem isolierten Nierenkreislauf zugefügt wurden, also durch direkte periphere Wirkung, die durchfließende Blutmenge vermehrten. Cavazzani und Rebustello zeigten, daß diese Gefäßerweiterung außerdem, aber in abnehmendem Maße, auch die Ge- fäße des Hirns, der Leber, der Extremitäten, schließlich auch der Lunge betrifft. Andererseits steigert Harnstoff, ins Blut injiziert, den Blutdruck, und zwar durch eine direkte Wirkung auf das Vasomotorenzentrum. Wenn man nämlich in der hinteren Extremität bei intakten Nerven einen künstlichen Kreislauf herstellt, so nimmt das Stromvolumen in dieser Extremität ab, wenn dem Tier Harnstoff injiziert wird. Durch das Zusammenspiel dieser entgegengesetzten zentralen und peripheren Wirkungen, von denen die periphere quantitativ variiert, kommt es nach Harnstoff- injektion zu einer zweckmäßigen Regulierung des Kreislaufes, nämlich einer ver- mehrten Durchströmung der Niere vermöge der lokalen Erweiterung der Nieren- gefäße bei gleichzeitiger Steigerung des allgemeinen Blutdrucks, da die geringe periphere Wirkung in den anderen-Bezirken durch die zentralen Erregungen über- tönt werden. Ganz ähnlich überwiegt nach Gottlieb und Magnus'°) die durch gewisse Substanzen der Digitalisgruppe bewirkte Blutverdrängung aus dem Splanch- nicusgebiete die direkt verengernde Wirkung des Giftes auf die peripheren Gefäße so sehr, daß letztere sich erweitern. !) Journ. of Physiol. 29, 261 ff., 1901. — ?) Vincent und Sheen, 1. c. Hier auch die Literatur. — °) Journ. of Physiol. 26, 229, 1901; vgl. auch Mott und Halliburton, Philos. Transact. 191 B, 216, 242, 1899. — *) Journ. of Physiol. 28, 351, 1902. — ®) Vincent und Sheen, 1. c. 8. 263. — °) F. Pick, Arch. f. exp. Path. 42, 437 ff. Vgl. auch Wiechowsky, ebenda 48, 407, 1902. Die verschieden starke Wirkung des Adrenalins auf die einzelnen Gefäßbezirke (Langley, Journ. of Physiol. 27, 248, 1901) könnte auf verschieden ausgiebiger Versorgung mit Vasoconstrietoren beruhen (Brodie und Dixon, Journ. of Physiol. 30, 495, 1904), denn Gefäße mit geringer Constrietorenversorgung (Hirn, Lunge) werden erst bei stärkeren Dosen verengert. — 7) Thompson, Journ. of Physiol. 24, 396; 25, 1, 1899. — *®) Arch. ital. de biol. 18, 158, 1893. Vgl. auch Stefani, ebenda 21, 247, 1894. — °?) Abeles, Wien. Sitzungsber. 87 (3), 196 ff., 1883. J. Munk, Virchows Arch. 107, 291, 1887; 111, 434, 1888. Landergren und Tigerstedt, Skand. Arch. 4, 263, 1894. — '°) Arch. f. exp. Pathol. 47, 135, 1901. DE, WERD EB Wirkung von Erstickung und Anämie; spontane Tonusschwankungen. 311 Stefani!) scheint zur Erklärung der Erweiterung der Hautgefäße bei der Erstickung ebenfalls eine ähnliche periphere, lokal verschiedene dilatatorische Wirkung des Erstickungsblutes heranziehen zu wollen, wie sie für den Harnstoff angegeben wurde. Die Zulässigkeit dieser Folgerung ist aber zweifelhaft. Mosso?) sah, wenn er durch die Gefäße der ausgeschnittenen Niere nach längerer Durchströmung mit arteriellem Blut Erstickungsblut durchfließen ließ, eine Abnahme des Stromvolumens, also Gefäßverengerung. Wurde dann wieder arterielles Blut durchgeleitet, so erweiterten sich die Gefäße langsam wieder, am meisten, wenn das Blut an der Luft geschlagen und es so mit O gesättigt, die CO, ihm aber zu einem großen Teile entzogen worden war. Läßt man auf dieses mit O gesättigte Blut mit Eisenfeilspänen reduziertes Blut folgen, so fließt dieses noch rascher. Unterbricht man den Strom des arteriellen Blutes, und läßt man es sodann von neuem durchströmen, so ist der Blutstrom zunächst außerordentlich beschleunigt, die Gefäße sind stark erweitert, was ja auch vom lebenden Tiere als Gefäßlähmung nach Anämie bekannt ist. Dieser Lähmungszustand kann aber schon durch mit Eisenfeile reduziertes Blut beseitigt werden. Die verengernde Wirkung des Erstiekungsblutes bezog Mosso auf eine Reizwirkung der CO,. Die Arteria saphena des Kaninchens kontrahiert sich energisch, wenn sie längere Zeit mit dyspnoischem Blut gefüllt war und dann plötzlich hellrotes (eupnoisches) Blut in sie einströmt?). Auf eine analoge „postanämische“ Erregung der letzten Endigungen der Vaso- motoren in den Gefäßen bezieht S.Mayer‘*) die Blutdrucksteigerung, welche einige Zeit nach Lösung einer 10 bis 15 Minuten dauernden Aortenabklemmung erfolgt. Plumier°) sah die Lungengefäße nach Durchschneidung ihrer Vasoconstrietoren (des Sympathicus) sich bei der Erstickung verengern. Die Blutgefäße der Frosch- pfote erweitern sich beim Durchleiten von mit 00, gesättigter Ringerlösung °). Der Tonus der isolierten Gefäße kann außer durch nachweisbare äußere Reize auch noch durch unbekannte innere Einwirkungen beeinflußt werden’). Derartige „spontane“ Tonusschwankungen — Erweiterungen und Verenge- rungen — sind an Gefäßen mit intakten Nerven zuerst von Schiff°) an den Arterien des Kaninchenohres beobachtet worden. Die Verengerung dauert gewöhnlich länger als die Erweiterung. Die Perioden folgen sich sehr unregelmäßig, sie sind unabhängig von Blutdruck und Atmung und verlaufen in beiden Ohren unabhängig voneinander. Ähnliche Schwankungen der Gefäß- weite sind auch an mehreren anderen Orten beobachtet worden, so an der Schwimmhaut und im Mesenterium des Frosches, an der Arteria saphena und anderen Hautgefäßen des Kaninchens?), an den Darmgefäßen!P). Nach Durch- schneidung des Halssympathicus verschwinden die Tonusschwankungen der Ohrarterie zunächst, kehren aber nach einigen Tagen wieder !!). Dieselbe Beob- achtung hat Huizinga !2) an den Schwimmhautarterien des Frosches gemacht und dabei auch den Einwand einer vikariierenden anderweitigen Vasomotoren- versorgung widerlegt, denn die Reflexe von der vorderen Extremität auf die Schwimmhaut blieben aus. Diese Beobachtungen, sowie das Auftreten von !) Arch. ital. de biol. 21, 248, 1894. — ?) Sächs. Ber. 26, 330ff., 1874. — 3) E. Hering bei $S. Mayer, Wiener Sitzungsber. 81 (3), 138, 1880. — *) Ebenda 79 (3), 112#. Hier Literatur. — °) Trav. du Labor. de Frederieq 6, 277, 1901. — 6) Bayliss, Journ. of Physiol. 26, XXXII, 1901. — 7) Goltz, Pflügers Arch. 11, 91. — °) Arch. f. physiol. Heilk. 13, 525, 1854. Die übrige Literatur bei Tiger- stedt, 8. 538. — °) Siehe Tigerstedt, 1. c. — !") Bayliss, ebenda 28, 280 ff., 1902. Dieselben Volumsehwankungen zeigt die Milz (Roy, Journ. of Physiol. 3, 208 ff., 1881). — '') Vulpian, Lecons sur l!’app. vasomoteur 1, 81, 1875, und andere. Nach S$S. Mayer (Hermanns Handbuch 5 [2], 478) sind allerdings die Schwankungen am nervös völlig isolierten Ohre nur durch Blutdruckschwankungen bedingt. — \2) Pflügers Arch. 11, 213, 1875. e 312 Tonusschwankungen; Reaktion auf Dehnung. Tonusschwankungen in der ausgeschnittenen Niere !) sprechen für die Möglich- keit eines peripheren Ursprungs. Für letztere Annahme wurde ferner geltend gemacht, daß die Schwankungen an den beiden Ohren des Kaninchens, ja selbst an den verschiedenen Arterien der Schwimmhaut nicht gleichzeitig auftreten, und daß an einer und derselben Arterie (besonders an der Arteria saphena) erweiterte und verengerte Stellen nebeneinander vorkommen 2). Trotzdem müssen die Tonusschwankungen in gewisser Beziehung vom Zentralnerven- system abhängig sein, denn sonst würden sie nach der Durchschneidung der Vasomotoren nicht zunächst verschwinden. Ferner sind sie abhängig vom Erregbarkeitszustande des Zentralnervensystems: nach Strychninvergiftung sind sie enorm verstärkt (Huizinga, l. c. S. 211, auch bei anämischen Tieren ohne Vergiftung!), am Kaninchenohre zeigen sie sich nach Mosso?°) nur dann, .wenn das Tier aufgeregt ist. Zu den selbständigen Kontraktionen der Gefäßwand gehören ferner- die zuerst von Wharton Jones®) beobachteten rhythmischen Verengerungen der Venen im Fledermausflügel, welche nach Luchsinger) und Schiff ®) auch nach Unterbindung aller Flügelnerven und Bepinselung der zum Flügel hinziehenden Gefäße mit Ammoniak, am abgeschnittenen oder besser ab- gebundenen Flügel und bei künstlicher Durchströmung bis zu 20 Stunden nach dem Tode des Tieres bestehen bleiben, also ihren peripheren Ursprung ganz sicher erkennen lassen. Vorbedingung für ihr Zustandekommen ist allerdings ein Innendruck von einiger Größe (40 bis 50cm Wasser), was lebhaft an das analoge Verhalten des Herzens gewisser Wirbelloser erinnert, die sich erst bei einem gewissen Füllungsdruck kontrahieren ’). Die Eigenschaft, auf Steigerungen des Innendruckes durch Kontraktion zu reagieren, bildet aber nicht etwa eine gelegentliche Ausnahme, sondern ist wahrscheinlich allen Gefäßen eigen. Nachdem schon Ostroumoff®) durch Temperaturmessungen an der Pfote zu dem Schlusse gelangt war, daß die Blutgefäßwandung. für sich, nach Durchtrennung der an sie herantretenden Nerven, das Vermögen besitzt, auf eine plötzliche Blutdrucksteigerung mit Verstärkung ihrer Spannung zu reagieren, zeigte jüngst Bayliss®) durch Volummessungen, daß Erhöhung des Blutdruckes eine Verengerung, Er- niedrigung des Blutdruckes eine Erweiterung des Volumens der entnervten Hinterpfote des Hundes herbeiführt, ja an der ausgeschnittenen Carotis des Hundes konnte er die Kontraktion bei Drucksteigerung direkt sehen. Diese periphere Tonusregulierung bei Schwankungen des Innendrückes ist aber nach Ostroumoff (l. ec.) nur vorhanden bei guter Erregbarkeit der „peripheren Zentren“. Wird diese durch ermüdende Einflüsse, wozu frische Nervendurchschneidung, längere Atemsuspensionen, wiederholte Druck- steigerungen gehören, herabgesetzt, so werden die Gefäße durch die Steigerung des Innendruckes erweitert. ') Mosso, Sächs. Ber. 26, 317, 1874. — ?°) Riegel, Pflügers Arch. 4, 357, 1871. Doch sah derselbe Autor ähnliche lokale Einschnürungen an den Mesenterial- arterien auch bei direkter Halsmarkreizung (l. ec. 8. 372£.). — °) Zit. nach Tiger- stedt, 8. 539. — *) Philos, Transact. 1852 (1), 8. 131ff.; zit. nach Tigerstedt, 8. 441. — °) Pflügers Arch. 26, 445, 1881. — °) Ebenda, 8. 456. — 7) Herz von Helix (Biedermann, Wiener Sitzungsber. 89 [3], 24ff., 1884), von Aphysia (Straub, Pflügers Arch.. 86, 504, 1901). — °) Pflügers Arch. 12, 244 ff., 1876. — °) Journ. of Physiol. 28, 220, 1902. a a u Wirkung von Erstickung‘’und Anämie auf das Gefäßnervenzentrum. 313 Die Beobachtungen von Ostroumoff und Bayliss stehen in-einem gewissen Gegensatz zu den Angaben von Stefani'), der bei künstlich unterhaltenem Kreis- lauf die Gefäße auf Drucksteigerung sich erweitern sah, und zwar die Haut- und Muskelgefäße der Extremitäten viel stärker und prompter als die Gefäße der Ein- geweide. Einfluß von Ernährungsstörungen auf die Gefäßnervenzentren. Erstickung, und zwar speziell Mangel an Sauerstoff, bewirkt zu- nächst eine enorme Erregung des bulbären Vasomotorenzentrums und in- folgedessen meist eine sehr bedeutende Steigerung des Blutdruckes?). Nach der anfänglichen Steigerung sinkt der Blutdruck infolge der fortschreitenden Lähmung des Zentrums wieder ab und zwar anfangs schneller, später lang- samer. Diese Verzögerung des Absinkens wird von Konow und Stenbeck und Landergren°) erklärt durch die nunmehr neu hinzutretende asphyk- tische Erregung der. spinalen Gefäßzentren, welche den Blutdruck noch eine Zeitlang hoch erhält. Kohlensäureanhäufung im Blute bei genügender Sauerstoff- zufuhr bewirkt nach Mares bloß eine ganz vorübergehende Blutdrucksteige- rung mit darauf folgendem allmählichen Absinken. Ebenso wie die Erstickung bewirkt Anämisierung des Hirnes beim Kußmaul-Tennerschen Versuch und bei Steigerung des allgemeinen Hirn- druckes anfangs Erregung, später Lähmung des bulbären Gefäßzentrums ?). Die spinalen Zentren und Bahnen der Gefäßnerven werden durch Anämisierung ebenfalls zunächst erregt und darauf, vergleichsweise aber erst sehr spät, gelähmt. S. Mayer) fand nach Abklemmung der Aorta noch hohen Blut- druck bei schon vollständiger motorischer Lähmung. Asher und Arnold®) sahen, daß nach Anämisierung des Rückenmarkes die Reflexe auf den Blut- druck als letzte übrig blieben. Insbesondere der Depressorreflex bleibt be- stehen, wenn schon längst die Sensibilität und Motilität des Rückenmarkes verloren gegangen ist. Läßt man in einem Stadium der Erstickung oder Anämisierung, in welchem der Blutdruck bereits stark abgesunken ist, von neuem arterielles Blut durch die Zentren strömen, so erfolgt wiederum eine starke „post- dyspnoische“ oder „postanämische“ Erregung derselben, die zu einer be- trächtlichen Blutdrucksteigerung führt”). Die Gefäßverengerung bei der Erstickung erstreckt sich nicht auf alle Organe. Vielmehr betrifft sie vorwiegend die Bauch- und Beckeneingeweide: ") Arch. ital. de biol. 21, 246, 1894. — °) Traube, Konow und Stenbeck, Pick und Knoll, Mares an den oben 8. 277ff. zitierten Orten und andere. Die Blutdrucksteigerung ist unter gewissen Umständen nicht sehr bedeutend (Zuntz, Pflügers Arch. 17, 400, 1878), kann sogar ganz fehlen (Hürthle, ebenda 44, 592, 1889. — °) Skand. Arch. 7, 7, 1897. — *) Über den Kußmaul-Tennerschen Versuch siehe 8. Mayer (Wiener Sitzungsber. 73 [3], 85, 1876; Lähmung sieher nur bei Kaninchen, nicht bei Hunden), über Hirndruck Naunyn und Schreiber (Arch. f. exp. Path. 14, 32#f., 1881) und Cushing (Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurgie 9, 791ff., 1902). Durch allmähliche Steigerung des Hirndruckes kann man den Blutdruck immer höher (bis auf 290 mm Hg beim Hunde) treiben. Naunyn und Schreiber halten übrigens die bei Hirnkompression der Blutdruck- senkung vorhergehende primäre Erhebung für reflektorisch, durch Reizung sensibler Nerven bedingt. — °) Wiener Sitzungsber. 79 (3), 99, 1879. — °) Zeitschr. f. Biol. 40, 277, 1900. — 7) 8. Mayer, Wiener Sitzungsber. 81 (3), 130 ff., 1880. Hier weitere Literatur. ? 314 Loi de balancement bei Erstickung. es verengern sich die Gefäße des ganzen Darmes, der Milz, Niere, des Uterus, während sich die Gefäße anderer innerer Organe (der Nebenniere), vor allem aber die Gefäße der Haut und Muskulatur und die Hirngefäße en die Retinalarterien) erweitern }). Dieser Gegensatz zwischen dem Verhalten der Hautmuskel- und Hirngefäße einerseits, den Eingeweidegefäßen andererseits tritt auch bei reflektorisch ausgelösten Blutdrucksteigerungen sehr oft auf (loi de balancement von Dastre und Morat) und Könnte hier in plausibler Weise durch eine bestimmte Organisation des Gefäß- nervenzentrums selbst erklärt werden, vermöge welcher etwa nur die Zentren für bestimmte Gefäßbezirke in Erregung gerieten oder etwa gleichzeitig mit einer Er- regung der Constrietoren für den einen Bezirk eine Erregung der Dilatatoren für andere Bezirke verbunden wäre. Bei der Erstickung aber würde man eher — wie bei den Erstickungskrämpfen der Skelettmuskeln — eine allgemeine, gleichmäßige Reizung aller Gefäßnerven erwarten. In der Tat fand schon Heidenhain (l. ce. 8. 103ff.), daß man durch relativ schwache elektrische Reizung des Vasomotoren- zentrums dieselben Erscheinungen erhält wie bei Erstickung. Bei starker Reizung verengern sich dagegen auch die Hautgefäße mit. Er meinte also zunächst, daß bei nicht allzustarker Erregung der Zentren die geringe constrietorische Wirkung auf die Hautgefäße durch den gesteigerten Blutdruck überwunden wird und da- durch eine passive Hyperämie der Haut bewirkt wird. Am ehesten könnte man sich ein solches Verhalten bei den Hirngefäßen mit ihren verhältnismäßig schwach wirkenden Vasomotoren zurechtlegen. Zwar beteiligen sich jene Hautteile, deren Gefäßnerven durchschnitten sind, nicht an der Hyperämie, wofern ihr peripherer tonusfähiger Apparat gut erregbar ist?), aber das könnte die Folge der oben 8. 312 beschriebenen peripheren Reaktion der nervös isolierten Gefäße auf Steigerung des Innendruckes sein, von der man nicht sagen kann, ob sie ebenso auch bei in- takten Gefäßnerven vorhanden ist. Den direkten Beweis dafür, daß die Erweiterung der Haut- und Muskelgefäße bei der Erstickung eine passive ist, bedingt durch die Blutdrucksteigerung, erbrachten Bayliss und Bradford‘). Je kleiner die Blutdrucksteigerung bei einem Tiere desto geringer auch die Erweiterung der oberflächlichen Gefäße, ja, wenn nach vorheriger Durchschneidung beider Splanchnieci die Drucksteigerung ganz un- bedeutend ist, so verengern sich auch die Gefäße der Extremitäten, das Volumen der letzteren nimmt ab. Eine Volumenabnahme der Extremitäten erfolgt auch dann, wenn man die Blutdruckerhöhung bei der Erstickung dadurch verhindert, daß man den Überschuß des Blutes aus der Carotis in ein geräumiges Seitenrohr ausfließen läßt*). Danach fließen wohl also in der Tat bei der Erstickung allen Gefäßen eonstrietorische Erregungen zu, aber den Eingeweidegefäßen am stärksten. Sie treiben also das in ihnen enthaltene Blut am kräftigsten aus, und es ergießt sich in die verhältnismäßig schwächer kontrahierten Gefäße der äußeren Teile. Die Ursache der kräftigeren Kontraktion der Eingeweidegefäße ist vermutlich auf reichere Innervation mit Constrietoren begründet (vgl. aber oben 8. 313 die An- gaben von Stefani). Ob bei der Erstickung neben der allgemeinen Erregung der Vasoeonstrietoren eine ebensolche allgemeine Dilatatorenerregung vorhanden ist (Dastre und Morat, 1. c.), die aber von der Constrietorenerregung übertönt wird, ist nach den vorliegenden Untersuchungen nicht zu entscheiden. !) Heidenhain, Pflügers ‘Arch. 5, 100, 1872; Dastre und Morat, Rech. exp. sur le syst. nerv. vasomoteur 1884, p. 287 #t. Über das Verhalten der Nebennierengefäße siehe Bied]l und Reiner (Pflügers Arch. 67, 450, 1897), über die Hirngefäße, Literatur bei Hürthle (ebenda 44, 590 ff., 1889) und Gottlieb n. Magnus (Arch. f. exp. Path. 48, 269, 1902). — ?) Ostroumoff (unter Heidenhain), Pflügers Arch. 12, 257, 1876. Durch Untersuchung der "Druckverhältnisse im Hirnkreislauf kam Hürthle (ebenda 44, 594, 1889) zu dem Schlusse, daß während der Asphyxie auch Vasodilatatoren der Hirngefäße erregt sein müßten. — °) Journ. of Physiol. 16, 20, 1894. — *) Bayliss, ebenda 23, Suppl., 8. 14. Ganz das Entgegengesetzte findet (Ebenda 8. 42) Delezenne. Einfluß des Großhirns auf die Gefäße; Sensibilität derselben. 328 Über den Einfluß von Giften auf das Constrietorenzentrum (die Narcotica wirken lähmend, Stryehnin, Campher usf. erregend), vgl. Gottlieb (Verh. d. 19. Kongr. f. innere Med. S. 21ff., 1901). Auch bei der Erregung des Gefäß- zentrums durch Gifte ist häufig mit der Verengerung der Gefäße des Splanchnicus- gebietes eine Erweiterung der Haut-, Muskel- und Hirngefäße verbunden !). Die Beziehungen der Gefäßnerven zum Großhirn. Von der Großhirnrinde her werden die Gefäßzentren beeinflußt bei Affekten. Diese Einflüsse bilden einen Teil der schon bei den Herzzentren erwähnten „Ausdrucksvorgänge des Gefühlslebens“ (emotive Innervationen), ‚bezüglich welcher auf die psychologische Literatur verwiesen werden muß?). Über die „emotiven Reflexe“ bei Tieren siehe unten $. 322. In neuerer Zeit haben einige Psychologen die Ansicht ausgesprochen, daß die Gefühle und Affekte das Bewußtseinskorrelat von nervösen Erregungen darstellen, welche von afferenten Gefäß- (und Eingeweide-)nerven dem Großhirn zugeführt werden (James [wenigstens anfangs], Lange®). Mit Rücksicht darauf hat Sherrington*) nachgewiesen, daß Hunde nach Durchschneidung des Halsmarkes (also oberhalb des Abganges der Vasomotoren — in einem Falle waren außerdem die Vagosympathici und Depressores durchschnitten) genau ebenso Affektsymptome (Furcht, Zorn usw.) zeigen wie normale Hunde. Wahrscheinlich ist es freilich, daß vom Gefäßsystem aus dumpfe Sensationen ausgelöst werden, welche die Stimmung beeinflussen. Injektion stark reizender Substanzen in die Gefäße’), sowie Reizung des De- pressors®), der ja nach neueren Untersuchungen ein sensibler Gefäßnerv (der Aorta) ist, ruft bei nicht narkotisierten Tieren Schmerzäußerungen hervor. Ferner spielen wohl auch bei den Kitzelempfindungen Gefäßveränderungen mit’), Wündt°) meint sogar, daß die Wärme- und Kälteempfindung indirekt durch Gefäß- nervenreizung hervorgerufen werden könnte. Die Fälle von Herzangst und Herz- schmerz, insbesondere die typischen Anfälle von Angina pectoris, finden sich in aller- erster Linie bei Erkrankungen der Koronararterien und des Anfangsteiles der Aorta °). Auch durch künstliche Reizung bestimmter Stellen der Großhirnrinde (der motorischen Zone und der angrenzenden Gebiete) und der von diesen Stellen ausgehenden zentrifugalen Bahnen in die innere Kapsel und die Groß- hirnschenkel lassen sich Veränderungen der Gefäßweite auslösen, die sich in einer Steigerung, gelegentlich aber auch in einer Senkung des allgemeinen Blutdruckes zu erkennen geben !%). Eine tonische Innervation des bulbären Gefäßzentrums von den oberen Hirnteilen aus besteht aber nicht, wie daraus hervorgeht, daß Durchschneidung des Hirnstammes vor dem Gefäßzentrum keine Erniedrigung des Blutdruckes setzt. !) Gottlieb u. Magnus, Arch. f. exp. Path. 48, 270, 1902. — ?) Vgl. oben $. 280. Eine scharfe Kritik der zu den Untersuchungen verwendeten plethysmographischen Methode und der psychologischen Folgerungen aus den Ergebnissen gab R. Müller (Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorg. 30, 340, 1902). — °) Vgl. Wundt, Grundz. d. physiol. Psychol. 2, 5. Aufl., 367, 1902. — *) Proc. Roy. Soc. 66, 390, 1900. — °) Pagano, Arch. ital. de biol. 33, 33, 1900. — °) Tschirwinsky, Zentralbl. f. Physiol. 9, 778, 1896; v. Cyon, Pflügers Arch. 70, 233, 1898. — 7) Siehe dieses Handb. 3, 705. — ®) Grundz. d. physiol. Psych. 1, 5. Aufl., 402, 436, 1901. — ®) Vgl. Krehl, Pathol. Physiol., S. 110 ff. — '°) Vgl. die Literatur bei Tigerstedt, 8. 536ff. Nach Howell und Austin (Amer. Journ. of Physiol. 3, XXII, 1900) gibt Reizung der motorischen Zone bei Morphium-Äthernarkose Blutdrucksenkung, bei Curare-Äthernarkose Steigerung. Die Blutdrucksteigerung wird bewirkt durch Kontraktion der Gefäße der Eingeweide (des Dünndarmes), während die des Colons 2. B. sich erweitern, wie bei Reizung eines sensiblen Nerven ae -Franck und Hallion, Arch. de physiol. 1896, p. 504). 316 Traube-Heringsche Blutdruckschwankungen. Die zentral bedingten Schwankungen des Gefäßtonus. Wenn bei einem curaresierten Hunde nach doppelseitiger Vagotomie die künstliche Respiration ausgesetzt wird, so steigt infolge der dyspnoischen Erregung des Gefäßzentrums der Blutdruck an, und zwar in langsamen Wellen (Traube). Vorbedingung für das Entstehen dieser Wellen ist eine gewisse Venosität des Blutes. An curaresierten Hunden, Katzen und Kaninchen treten sie auch bei gleichbleibendem mittleren Blutdruck auf, wenn man die Tiere durch oberflächliche künstliche Atmung dyspnoisch macht. Wenn die Tiere nicht ganz vollständig curaresiert sind, sieht man, daß diese Blutdruckschwankungen den abortiven Atembewegungen isochron ' sind (Hering?). Schwankungen des Blutdruckes, welche mit den Atem- bewegungen zusammenfallen (Absinken des Blutdruckes bei der Inspiration, Ansteigen desselben bei der Exspiration), treten ferier auf nach Abstellung der künstlichen Atmung bei cchloroformierten Hunden, wenn beide Phrenici und Vagi durchschnitten und Thorax und Abdomen weit eröffnet sind (Fredericg?). Daß die von Traube und Hering an curaresierten Tieren mit den von Fredericq an nicht curaresierten Tieren beobachteten Wellen identisch sind und strenge mit der Atmung koinzidieren in der Weise, daß der Exspiration eine Drucksteigerung entspricht, zeigte Plumier‘*) an morphinisierten Hunden, denen beide Vagi und Phrenici durchschnitten, Thorax und Abdomen weit eröffnet waren und die künstlich respiriert wurden. Nach Sistierung der künstlichen Atmung traten parallel den frustranen Atembewegungen die Blutdruckschwankungen auf. Nun wurde das Tier immer stärker curaresiert und die Atemsistierung wiederholt. Die Blutdruckschwankungen blieben immer synchron mit den immer schwächer werdenden Atembewegungen und änderten ihr zeitliches Verhältnis (ungefähr 7 in. der Minute) auch nicht nach vollständiger Curaresierung. Die Traube-Heringschen Wellen müssen, da sie an curaresierten Tieren ebenso wie an Tieren mit eröffnetem Thorax auftreten, deren Atem- bewegungen keinen peripheren, mechanischen Einfluß auf den Kreislauf haben können, durch zentrale Ursachen bedingt sein. Sie stellen sich analog der inspiratorischen Hemmung des Vagustonus dar als eine Art Irradiation der Erregung vom Atemzentrum auf das Gefäßzentrum (inspiratorische Hemmung, exspiratorische Verstärkung des Tonus’). Ähnlich wie die inspiratorische Hemmung des Vagustonus am stärksten ist bei Dyspnoe, so treten auch die Traube-Heringschen Wellen erst in der Dyspnoe hervor. Sie sind ferner sehr stark, wenn das Gefäßzentrum durch Drucksteigerung in der Schädel- höhle erregt wird 6). Bei erhaltenen Vagis wirken sich während der Inspi- ration die Pulsbeschleunigung und die periphere Gefäßerweiterung in bezug auf den Blutdruck entgegen ?). !) Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1865, 8. 881. — ?) Wiener Sitzungsber. 60 (2), 829, 1869. — °) Arch. de biol. 3, 71,. 1882; Du Bois’ Arch. 1887, 8. 351. — *) Travaux du labor. de Frederieq 6, 241, 1901. — °) Der Einwand von Woodjr. _ (Amer. Journ. of Physiol. 2, 352, 1899), daß die Traube-Heringschen Wellen nach Injektion von Extractum veratri viridis, welches das Atemzentrum lähmt, nicht verschwinden, ist nach Plumier (l. e.) nicht stichhaltig, weil die von Wood beobachteten Wellen keine Traube-Heringschen, sondern Wellen vierter Ord- nung (8. Mayersche) waren (vgl. oben). — °) Naunyn und Schreiber, Arch. f. exp. Path. 14, 41ff., 1882. (Hier auch 8. Mayersche Wellen?); Cushing, Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Mediz. u. Chirurgie 9, 799, 1902. — 7) Frederieg, 1. e. 1882, 8. 90, nt dt ur ee S. Mayersche Blutdruckschwankungen. 317 Um die rein zentral ausgelösten Traube-Heringschen Wellen von den größtenteils peripher bedingten, gewöhnlich auch bei Eupnoe vorhandenen respi- ratorischen Schwankungen der Blutdruckkurve zu scheiden, sind die ersteren von Biedl und Reiner'!), denen sich Morawitz*) anschloß, als Wellen dritter Art (oder Ordnung) bezeichnet worden, wobei die Autoren unter Wellen erster Ordnung die einzelnen Pulswellen, unter Wellen zweiter Ordnung die gewöhnlichen Atemschwankungen des Blutdrucks verstehen. Fredericgq (l. ce.) bezeichnete auch die Traube-Heringschen Wellen als Wellen zweiter Ordnung, d. h. von der- selben Größenordnung wie die gleichzeitigen Ateminnervationen. Von den Traube-Heringschen, den einzelnen Ateminnervationen parallel gehenden Wellen sind streng zu scheiden langsame Schwankungen des Blut- drucks, welche bei unvergifteten, spontan atmenden Kaninchen auftreten, deren Wellenlänge mehrere spontane Atemperioden umfaßt. Diese zuerst von Cyon3) und Latschenberger und Deahna*) beobachteten Blut- druckschwankungen wurden insbesondere von S. Mayer’) genau beschrieben (S. Mayersche Wellen oder Wellen dritter Ordnung nach Fredericeq — "Wellen vierter Ordnung von Biedl-Reiner und Morawitz). Diesen Blut- druckschwankungen gehen gewöhnlich, nicht immer, Schwankungen in der Atemgröße und periodisches Erschauern des Versuchstieres parallel. Knoll ®) führt daher diesen Symptomenkomplex auf die kontinuierliche sensible Reizung beim gefesselten Tiere zurück, auf welche die bulbären Zentren periodisch reagieren, wobei der Einfluß auf die einzelnen Zentren (Atmungs- und Gefäß- zentrum, Bewegungszentren) je nach der Erregbarkeit derselben variiere. Da- gegen bemerkt Rulot?), daß diese Blutdruckwellen auch am ungefesselten Tiere auftreten; sodann verschwinden in tiefer Chloralnarkose, wenn die Reflexe auf den Blutdruck sehr herabgesetzt sind, zwar die periodischen Schwankungen der Atemgröße, aber nicht immer auch die S. Mayerschen Blutdruckwellen. Latschenberger und Deahna (I. ce. 8. 200) erklärten die von ihnen beob- achteten Wellen, welche sie mit den Traube-Heringschen identifizierten, durch das Wechselspiel zwischen pressorischen und depressorischen Reflexen. Sobald die pressorischen Einflüsse überwiegen und der Blutdruck steigt, trete infolge der Autoregulation des Kreislaufs (siehe das Folgende!) ein depressorischer Reflex ein und umgekehrt. Auch nach v.Cyon®), der ebenfalls beide Wellenarten für identisch hält, sollen sie der Ausdruck eines Wettstreites zweier antagonistisch wirkender Kräfte sein, nämlich der Erregung des Vasoconstrietorenzentrums und der Gegen- wirkung der Depressoren (siehe jedoch unten 8. 320). Wenn bei sehr. seltenem Herzschlag die künstliche Atmung so frequent gemacht wird, daß sie der Zahl der Herzschläge nahezu gleichkommt, so beob- achtet man ebenfalls wellenförmige Schwankungen des Blutdruckes, welche nach Hering und 8. Mayer (l. c. 8. 302) bedingt sind durch die Interferenz der Puls- wellen „mit den durch den mechanischen Einfluß der künstlichen Lufteinblasungen bedingten Wellen des Blutdruckes“. Morawitz (l.c. 8.83 ff.) glaubt auch für diese Wellen eine Beteiligung des Vasomotorenzentrums annehmen zu müssen, weil er nach völliger Ausschaltung desselben (Abbindung aller vier Hirnarterien und Dekapitierung des Tieres) nur noch sehr selten, bei ganz genauer Einstellung der Frequenz der künstlichen Respiration echte Interferenzwellen erhielt, welche sich aber bezüglich der Pulsform in charakteristischer Weise von den beim normalen Tier vorkommenden ähnlichen Wellen, die er „pulmonale Reflexwellen“ nennt, unterschieden. Y) Pflügers Arch. 79, 176, 1900. — ?) Engelmanns Arch. 1903, 8. 92. — *) Pflügers Arch. 9, 506 ff., 1874. — *) Ebenda 12, 171 #£., 1876. — °) Wiener Sitzungsber. 74 (3), 281, 1876. — °) Ebenda 92 (3), 439, 1885. — 7) Travaux du Labor. de Fredericq 6, 67, 1901. — °) Pflügers Arch. 70, 262 ff. 1898. 318 ‚Reflexe vom Herzen auf die Gefäße; n. depressor. Außer den bisher erwähnten, ziemlich regelmäßig ablaufenden rhythmischen Wellen sind unter verschiedenen Umständen noch andere Blutdruckschwankungen beobachtet worden, bezüglich welcher auf die Zusammenstellung von Biedl und Reiner (l. e. 8. 173 ff.) verwiesen werden muß. 3. Gefäßreflexe. Die Regulierung des Kreislaufs durch: die Gefäßnerven muß naturgemäß in erster Linie auf reflektorischem Wege ausgelöst werden. Wir können diese Reflexe in zwei Gruppen sondern: 1. Reflexe von den einzelnen Teilen des Gefäßsystems aufeinander (Autoregulation des Kreislaufs), 2. Reflexe auf das Gefäßsystem von anderen Organen. Reflexe vom Herzen auf die Gefäße und von den Gefäßen - aufeinander. Von dieser ersten Gruppe sind zunächst bekannt Reflexe vom Herzen auf die Gefäße. Nachdem zuerst Bochefontaine und Bourceret!) bei Reizung des Pericardialüberzuges des Herzens Blutdrucksteigerung beobachtet hatten, wies Wooldridge?) bei Reizung: der oberflächlichen Nervenstämmehen des Herzens Blutdruckänderungen (Steigerungen und Senkungen) nach, welche von der Schlagzahl des Herzens unabhängig waren. Ebenso sahen Brodie und Russell) bei Reizung der extracardialen Herzäste des Vagus den Blut- druck unabhängig von der Frequenz des Herzschlages bald steigen, bald sinken. Als den wichtigsten Reflexnerven des Herzens betrachtete man früher den Nervus depressor. Es sind aber oben S. 283 (siehe dort auch die Literatur) schon die Gründe angegeben worden, welche dafür sprechen, daß dieser Nerv nicht aus dem Herzen, sondern aus dem Anfangsteil der Aorta entspringt. Elektrische Reizung des zentralen Stumpfes des Nervus depressor bewirkt eine allmählich eintretende, die Reizung lange über- dauernde Herabsetzung des Blutdrucks, die hauptsächlich durch Erwei- terung der Blutgefäße des Splanchnicusgebietes zustande kommt). Nach Durchschneidung der Splanchniei, Durchschneidung des Rückenmarkes in der Höhe des dritten Brustwirbels ®) oder Ausschaltung des ganzen Bauch- kreislaufs durch Kompression der Aorta, der unteren Hohlvene und der Pfortader €) ist die Blutdrucksenkung absolut genommen zwar bedeutend geringer, aber doch nicht ganz verschwunden. Nach der Splanchnicus- durchschneidung kann sie wieder ganz (oder fast ganz) auf dieselbe Höhe gebracht werden wie vorher, wenn der Blutdruck durch Kochsalzinfusion oder Reizung der peripheren Splanchnicusstümpfe auf der normalen Höhe gehalten wird 7). Die Erweiterung bezieht sich demnach noch auf andere Gefäßbezirke, und Bayliss®) wies plethysmographisch direkt eine Volum- zunahme der Extremitäten nach. Das Nierenvolum nahm, wahrscheinlich !) Compt. rend. 85, 1168, 1877. — ?) Du Bois’ Arch. 1883, 8.539. — °) Journ. of Physiol. 26, 96, 1900. — *) Ludwig und Cyon, Sächs. Ber. 18, 307, 1866. — °) Smirnow, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1886, 8. 146. — °) Heidenhain u. Grützner, Pflügers Arch. 16, 51, 1877. — 7) Porter u. Beyer, Amer. Journ. of Physiol. 4, 283, 1901. — °) Journ. of Physiol. 14, 303, 1893. Nervus depressor. 319 infolge kollateraler Anämie, ab!). Sobald der Blutdruck wieder anstieg, vergrößerte sich nachträglich auch das Nierenvolumen. Die Blutgefäße der ' Schilddrüse erweitern sich 2). | Ludwig und Cyon führten die Blutgefäßerweiterung bei Depressor- reizung auf zentrale Hemmung des Constrietorentonus zurück. Es ist seit- her vielfach 3) die Vermutung ausgesprochen worden, daß der Reflex durch Erregung eines eigenen Dilatatorenzentrums in der Medulla oblongata zustande komme. Ein strenger Beweis dafür ist aber bisher noch nicht erbracht worden ®). S v. Cyon nimmt an, daß die Depressorfasern nicht direkt im Gefäßzentrum endigen, sondern in einem parigen, ganglionären Zwischenapparat. Jedenfalls, meint er, müsse die Verbindung des Depressors mit dem Gefäßzentrum eine ganz eigen- - tümliche sein, denn es gelang ihm nie, durch Anderung des Zustandes des Gefäß- zentrums eine pressorische Wirkung vom N. depressor aus zu erhalten’), während bei anderen sensiblen Nerven je nach dem Zustande des Zentrums pressorische oder depressorische Erfolge erzielt werden können (vgl. unten 8. 325). Der Depressorreflex wird außerordentlich gesteigert nach Injektion von Jodothyrin oder Natriumphosphat ®). Jodnatriuminjektion schwächt ihn ab’), nach Adrenalin- einspritzung ist er herabgesetzt oder ganz vernichtet®), Einspritzung des blutdruck-. steigernden Nierenextraktes hebt ihn dagegen nicht auf’). Atropin und Curare ist ohne Wirkung auf den Depressorreflex, Chloralhydrat, Amylenhydrat und Ather setzen ihn herab. Nach Strychnininjektion und bei Erstickung wird die Wirkung geringer, nach Morphium- und Nikotinvergiftung stärker !). Depressor- reizung bringt die 8. Mayerschen (?) Wellen zum Verschwinden ''), ebenso die „pulmonalen Reflexwellen“ von Morawitz'”). Da nach Ludwig und Cyon der Depressor aus dem Herzen entspringen sollte, so folgerten sie daraus, daß durch diesen Nerven das Herz die Wider- stände, welche sich seiner Entleerung entgegenstellen , auf dem Wege des Reflexes vermindern könnte, wobei natürlich der oben S. 282 erwähnte Einfluß aufs Herz im gleichen Sinne wirken würde.: Nach den neueren Angaben von Köster-Tschermak und Schumacher 13) müßten die sensibeln Nerven des Herzens, denen man diese Funktion zuschreiben wollte, ausschließlich im Vagusstamme selbst verlaufen. Der Nervus depressor würde gereizt werden durch die Dehnung der Aortenwand, er wäre nicht der „Ventilnerv“ des Herzens, sondern der Aorta. Als Beweis dafür wurde von Köster und Tschermak die negative Schwankung des Längsquerschnittstromes dieses Nerven bei Erhöhung des Innendrucks der Aorta angeführt. !) Dasselbe fanden Bradford (ebenda 10, 398, 1889) und Frangois-Franck und Hallion (Arch. de physiol. 1896, p. 505). Auf denselben, rein mechanischen Grund ist es wohl zurückzuführen, daß auch die Schleimhaut der Regio bucco-facialis (Dastre und Morat, Rech. exper. sur le syst. nerv. vasomot. 1884, p. 302 ff.) erblaßt. — ?) v. Cyon, Pflügers Arch. 70, 145, 1898. — °) Zuerst von Ostrou- moff, ebenda 12, 276, 1876. — *) Vgl. v. Cyon in Richets Diet. de physiol. 4, 784 ff. — °) Tsehirwinsky gibt an (Zentralbl. f. Physiol. 10, 66, 1896), daß er an narkotisierten, curaresierten Kaninchen manchmal auch pressorische Effekte bei Reizung des N. depressor erhalten hat. — °) v. Cyon, Pflügers Arch. 70, 161 ff. — 7) Barb6ra, ebenda 68, 434 ff., 1897. — ®) Oliver und Schäfer, Journ. of Physiol. 18, 250, 1895; v. Cyon, Pflügers Arch. 74, 105 ff., 1899. — °) Tigerstedt u. Bergmann, Skand. Arch. 8, 263, 1898. — '°) Tschirwinsky, l.c. und ebenda 9, 777, 1895. — "') Bayliss, l.c. p. 318; v. Cyon, Pflügers Arch. 70, 276, 1898 (Die Wellen sind hier als Traube-Heringsche bezeichnet). — '*) Engelmanns Arch. 1903, S. 86. — '?) Siehe oben, $. 283. 320 Autoregulation des Kreislaufs. Die Fälle, in welchen der Depressor bei Blutdrucksteigerungen nach- “ weisbar in den Kreislauf regulierend eingreift, sind nicht sehr zahlreich. Unter den gewöhnlichen Versuchsbedingungen (bei normalem Blutdruck) befindet sich der Depressor in Erregung, nach Durchschneidung der vorsichtig unmittelbar vorher präparierten Depressores steigt der. Blutdruck,. allerdings nur vorübergehend, an!). Dieser Anstieg ist aber bei von vornherein erhöhtem Blutdruck nicht etwa größer als bei normalem, ja bei Drucksteige- rungen durch künstliche Plethora (Transfusion des Blutes eines anderen Tieres in das Versuchstier) bleibt sie sogar vollständig aus. Auch vermag der Depressor experimentell gesetzten Blutdrucksteigerungen durchaus nicht immer entgegen zu wirken. Der einzige nicht unbestrittene ?2) Fall ist der, daß die Blutdrucksteigerung, welche unmittelbar nach Abklemmung beider Carotiden auftritt, nach der Durchschneidung der Depressoren stärker ist als vorher. Auf die Höhe der Blutdrucksteigerung bei Reizung eines sen- siblen Nerven oder bei der Asphyxie hat es keinen Einfluß, ob die Depressoren erhalten sind oder nicht. Erwähnenswert ist schließlich mit Rücksicht auf den oben angeführten Einfluß des Depressors auf die S.Mayerschen Wellen und die S. 317 erwähnte Annahme v.Cyons der Umstand, daß nach Durchschneidung beider Depressoren häufig wellenförmige Blutdruckschwankungen auftreten. Der Nervus depressor ist wohl der wichtigste, aber nicht der einzige Repräsentant einer Gruppe von sensiblen Nerven der Gefäße), welchen eine regulierende Wirkung auf den Kreislauf zugeschrieben wird. Latschen- berger und Deahna!) erschlossen derartige Einflüsse zuerst aus folgendem Versuch. Sie durchschnitten bei Hunden auf einer Seite den n. ischiadicus und cruralis und klemmten die arteria femoralis ab. Wurde sodann gleich- zeitig die Klemme von der Femoralis des gelähmten Beines entfernt und die Femoralis des anderen (nicht gelähmten) Beines abgeklemmt, so trat allmäh- lich eine Blutdrucksteigerung auf, beim Freilassen der Femoralis der normalen und gleichzeitigem Abklemmen der Arterie des gelähmten Beines eine Druck- senkung. Da eine rein mechanische Erklärung hierfür nicht ausreicht, so deuteten Latschenberger und Deahna das Resultat im .Sinne einer reflek- torischen gegenseitigen Regulation der Gefäßweite. Zwar führte Zuntz) die Drucksteigerung bei Anämisierung auf dyspnoische Reizung der Nerven- endigungen in den Geweben zurück (weil auch Blutstauung durch Verschluß der abführenden Venen eine Blutdrucksteigerung ergab), ließ aber das Prinzip einer reflektorischen Beeinflussung gelten. Später wies Heger) nach, daß Injektion stark reizender Substanzen (Nikotin, Silbernitrat) in die periphere Blutbahn (bei abgebundenen Venen) eine reflektorische Druck- steigerung hervorruft. Einer genaueren Analyse wurden diese Erscheinungen durch Pagano’) unterzogen, welcher angibt, daß Injektion stark reizender !) Sewall und Steiner, Journ. of Physiol. 6, 162, 1885; Hirsch und Stadler, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 81, 391, 1904. Nach diesen auch das Folgende; vgl. dort auch die weitere Literatur. — ?) Bayliss, Journ. of Physiol. 14, 315. — ®) Histologischer Nachweis der sensiblen Nervenendigungen in der Adventitia und Intima bei Dogiel, Arch. f. mikr. Anat. 52, 66, 1898. — *) Pflügers Arch. 12, 178 ff., 1876; im ganzen bestätigt von Reid Hunt, Journ. of Physiol. 18, 392, 1895. — °) Pflügers Arch. 17, 404 ff., 1878. — °) Festschr. f. Ludwig, 1887, 8. 193, — 7) Arch. ital. de biol. 33, 1, 1900. ee in EB BEEELIELELLEOEEUE EN Autoregulation des Kreislaufs. 321 Stoffe in die Femoralis und in die Nierenarterien, besonders aber in die Carotis und in die Aorta eine sofortige starke Blutdrucksteigerung setzt, welche bedingt ist durch eine Verengerung der Gefäße im Splanchnicüsgebiet, während die Haut- und Muskelgefäße sich erweitern. Unwirksam ist Injek- tion in die Darmarterien und ins venöse System. Ehe man freilich aus diesen Experimenten weitergehende Schlüsse zieht, muß man berücksichtigen, daß die Injektionen für das Tier äußerst schmerzhaft sind und also die so hervorgerufenen Reflexe möglicherweise nichts für die Gefäße Charakteristisches enthalten, selbst wenn sie wirklich von den Gefäßen, und nicht etwa vom umgebenden Gewebe ausgehen. ; Als der gewissermaßen adäquate Reiz für diese sensiblen Gefäßnerven müßte doch wohl der Blutdruck angesehen werden. Daß nun wirklich Blut- druckschwankungen in einem beschränkten Bezirke reflektorisch den all- gemeinen Blutdruck verändern können, haben zunächst Spalitta und Consiglio!) und bald darauf Delezenne?) angegeben. Sie fanden, daß Blutdruckerhöhung in den Gefäßen einer isoliert durchströmten, eventuell nur noch vermittelst der Nerven mit dem übrigen Tier zusammenhängenden Pfote reflektorisch eine Drucksteigerung in der Aorta auslöst. Für einen „Regulierungsvorgang“ spricht diese Beobachtung allerdings nicht), wohl aber deutet auf einen solchen die Mitteilung von Siciliano®), daß die geringe Blutdrucksteigerung, welche (bei Hunden zusammen mit einer Acceleration des Herzschlages) unmittelbar nach Abklemmung der Carotiden auftritt, ein Reflex ist, welcher bedingt wird durch den Wegfall einer Dauer- erregung sensibler Nerven, die durch die Wandspannung der Carotis hervor- gerufen wird. (Das Genauere darüber wurde schon oben $. 283 mitgeteilt.) Diesem Reflex würde nach dem vorhin Gesagten andererseits wieder der Depressor entgegenwirken. Ist dies alles richtig, so hätten wir hier in der Tat einen Fall von gegenseitiger Ausbalancierung der Gefäßweite auf reflek- torischem Wege vor uns, der auch bei dem „Balancement“ zwischen Ein- geweide- und Hautmuskelgefäßen wohl zu berücksichtigen wäre. Wenigstens beschreiben Gottlieb und Magnus’) eine Gefäßerweiterung in der isoliert durchströmten hinteren Extremität bei einer durch Strophantininjektion ver- ursachten Verengerung der Bauchgefäße. Ob ferner derartige Gefäßreflexe neben der direkten Wirkung der Anämie auf das Gefäßnervenzentrum auch an der nervösen Regulierung der Spannung der Gefäßwände bei Änderung der Körperstellung beteiligt sind 6), ist nicht zu sagen. Reflexe auf das Gefäßsystem von anderen Organen. Die Reflexe von anderen sensiblen Nerven (außer denen des Herzens und der Gefäße selbst) sind sehr mannigfaltig und lassen sich nur zum Teil unter allgemeineren Gesichtspunkten zusammenfassen. Wir wollen dabei unter- scheiden die Reflexwirkungen auf den allgemeinen Blutdruck infolge von !) I nervi vasosensitivi. Palermo 1896. — ?) Compt. rend. 124, 700, 1897. — ®) Spalitta und Consiglio nehmen dies freilich an. — *) Arch. ital. de biol. 33, 338, 1900. — °) Arch. £. exp. Path. 47, 159, 1902. — °) Vgl. darüber Hill (Schäfers Textb. of Physiol. 2, 90ff., 1900) und den Artikel Kreislauf in diesem Handbuch. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 2 - 322 Pressorische Reflexe. Verengerung oder Erweiterung größerer Gefäßgebiete und die ev. daneben herlaufenden örtlichen Gefäßveränderungen von beschränkter Ausdehnung. Pressorische Reflexe. Starke sensible Reizung, und zwar sowohl Reizung der Nervenendigungen als auch der Nervenstämme bewirkt in der Regel — mit gewissen, später zu erörternden Ausnahmen — eine Steigerung des Blutdruckes, einen sogenannten „pressorischen“ Reflex. So wirken z. B. elektrische Reizung des zentralen Ischiadicusstumpfes, verschiedener Haut- nerven, des Splanchnicus major und minor, des Trigeminus und seiner Endigungen in der Nasenschleimhaut (Einblasen irrespirabler Gase), des Laryngeus superior, starke Reizung des Magens usf.!). Besonders stark und auffällig steil ist die Drucksteigerung bei Reizung der Hinterwurzeln der Dorsal- und der ersten drei Lumbalnerven ?). Derartige starke Reizungen rufen’ bei erhaltenem Bewußtsein Schmerz hervor, und es ist die erste Frage, ob nicht die Blutdrucksteigerung in solchen Fällen gleich den anderen Schmerzäußerungen als Affektsymptom zu betrachten ist, das nur unter Beteiligung der Großhirnrinde zustande kommt). Für einige „emotive Reflexe“, welche durch adäquate Reizung der Sinnesnerven ausgelöst werden, ist ein solcher Ursprung in der Tat anzunehmen. So sahen v. Bezold®) und Couty und Charpentier’) die Blutdrucksteigerungen, welche durch Gehörseindrücke (Drohungen usw.) hervorgerufen werden, nach Ausschaltung der Großhirnhemisphären (durch Lykopodiuminjektion oder Exstirpation) ausbleiben. Strittig ist, ob die Blutdrucksteigerungen, welche man am Kaninchen in einem gewissen Stadium der Curarevergiftung bei schwachen Hautreizen (leisem Strei- cheln der Haut, Heben des Kopfes usf.) beobachtet‘), ebenfalls als Schreckreflexe aufzufassen sind. Heidenhain und Grützner geben an, daß diese Übererreg- barkeit auch nach Durchschneidung des Mittelhirnes noch fortbesteht. Knoll’) dagegen fand, daß sie nach Großhirnexstirpation sowie bei einer gewissen Tiefe der Chloralnarkose verschwindet, während der pressorische Reflex von der Nasen- schleimhaut aus noch erhalten ist. Reid Hunt‘) nimmt neuerdings an, daß das Curare die Erregbarkeit der sensiblen Nervenendigungen steigere.. Sehr merk- würdig ist, daß gleichzeitig die schmerzhaftesten Hautreize keine oder nur eine unbedeutende Blutdrucksteigerung bewirken (Heidenhain und Grützner, |. c.). Abgesehen von den genannten Fällen bleiben aber die Blutdruckreflexe auf Reizung sensibler Nerven auch nach der Ausschaltung des Großhirnes bestehen. Dies gilt insbesondere für den Reflex von der Nasenschleimhaut, aber auch für die Reizung des zentralen Ischiadicusstumpfes?) und verschiedener anderer sensibler Nerven. Freilich ist in den letztgenannten Fällen die Blutdruck- steigerung nicht selten geringer, und es wird das Auftreten depressorischer Reflexe begünstigt (s. unten S. 325), so daß eine gewisse Mitbeteiligung des Großhirnes am Zustandekommen dieser Schmerzreflexe doch vielleicht an- zunehmen ist 19). E !) Vgl. die Literatur bei Tigerstedt, 8. 522ff. — *) Bradford, Journ. of Physiol. 10, 400, 1899. — °) So Cyon, Ges. Abh., 8. 95 ff. — *) Unters. über d. Innervation d. Herzens 2, 276 ff., 1863. — °) Compt. rend. 85, 161, 1877.—°) v.Bezold, 1. c.; Heidenhain u. Grützner, Pflügers Arch. 16, 54, 1878. — 7) Wiener Sitzungsber. 92 (3), 452 ff., 1885. — ®) Journ. of Physiol. 18, 406, Anm., 1895. — ®) Dittmar, Owsjannikoff (siehe oben 8.302); Heidenhain u.Grützner, l.o.; Couty u. Charpentier, l. e, u. a. — !") Knoll, 1. e. 8. 452. Loi de balancement bei pressorischen Reflexen. 323 Die Blutdrucksteigerung bei Reizung sensibler Nerven wird ebenso wie die bei der Erstickung, hervorgerufen durch eine Verengerung der Gefäße der Baücheingeweide. Zu gleicher Zeit aber erweitern sich in der Regel die Blutgefäße des Gehirnes, der Haut und der Muskeln, es erfolgt eine Volum- ‚ zunahme der Extremitäten wie bei der Erstickung. Hier wie dort erhebt sich nun die Frage, ob diese Erweiterung hervorgerufen wird durch direkte Nervenwirkung (Erregung der Dilatatoren oder Nachlaß des Constrietoren- tonus) auf die Hautmuskelgefäße, oder ob letztere rein passiv durch die große, aus den Baucheingeweiden verdrängte Blutmenge erweitert werden. Für die Beteiligung der Gefäßnerven werden folgende Gründe beigebracht. Werden einige Zeit vor dem Versuche die Gefäßnerven der Extremität durchschnitten, so erweitern sich die Hautgefäße der gelähmten Pfote nicht mehr (die Haut- temperatur steigt nicht 'an!). Dies gilt auch für die Muskelgefäße 2). Ebenso verschwindet die Rötung der Lippen, die beim Hunde auf Reizung des zen- tralen Ischiadicusstumpfes auftritt, nach Durchschneidung des Vagosympa- thicus oder Exstirpation des oberen Cervicalganglions auf der gelähmten Seite). Daß die Gefäßerweiterung durch Erregung der Dilatatoren und nicht etwa durch Herabsetzung des Constrictorentonus zustande kommt, zeigte Isergin®), indem er an der Zunge des Hundes einen künstlichen Kreislauf einleitete und nun die Reflexe bei Reizung des zentralen Ischiadicusstumpfes untersuchte. Es trat bei Reizung dieses Nerven eine beträchtliche Zunahme des Ausflusses aus der Vene auf, welche fast vollständig ausblieb, wenn die Vasodilatatoren der Zunge im Nervus lingualis und glossopharyngeus beider- seits durchschnitten wurden, während die Constrictoren erhalten blieben. Iso- lierte Durchschneidung der Constrietoren schwächte den Reflex nur wenig ab. Die Gefäße der Zungenschleimhaut bei weißen Katzen zeigten auf Ischia- dieusreizung zuerst eine vorübergehende Erweiterung, sodann eine Verengerung. Wie aus der Nervendurchschneidung hervorgeht, ist die erstere durch Erregung der Dilatatoren, die letztere durch Erregung der Constrietoren bedingt. Am Öhre folgen sich die beiden Phasen gerade umgekehrt, zuerst Verengerung, dann Er- weiterung°). Vulpian°) beschreibt bei zentraler Ischiadicusreizung an der Zungen- schleimhaut Verengerung, am Ohre Erweiterung. Endlich sah Bayliss’) eine Volumzunahme der hinteren Extremität des Hundes bei Reizung des N. cruralis anterior auch dann noch, wenn infolge Exstirpation der Baucheingeweide die Blutdrucksteigerung fast vollständig aufgehoben war. Diesen für Nervenwirkung beweisenden Angaben stehen nun andererseits mehrere Gegenargumente entgegen. Mittels der plethysmographischen Methode zeigte Bayliss°), daß eine Volumzunahme der Extremität (beim Hunde) nur !) Ostroumoff, Pflügers Arch. 12, 256, 1876; unmittelbar nach der Durch- schneidung, ehe noch der periphere tonusfähige Apparat sich erholt hat, erfolgt bei jeder Drucksteigerung eine Erweiterung der Gefäße auch der gelähmten Extremität. — *) Heidenhain u. Grützner, l. c. 8. 20ff. — °) Wertheimer, Arch. de physiol. 1891, S. 549. — *) Du Bois’ Arch. 1894, 8. 446 ff. — °) So schon Eckhard, Beiträge z. Anat. u. Physiol. 7, 87, 1876. — °) Lecons sur l’app. vaso- moteur 1, 238, 242 ff.; vgl. auch Wertheimer,l. c. 8. 550; hier weitere Literatur. — 7) Journ. of Physiol. 28, 292, 1902; danach darf wohl das ebenda, 23, Suppl., S. 14, angeführte Experiment von Bayliss mit negativem Resultate bei Reizung desselben Nerven (allerdings am Kaninchen) als zurückgenommen gelten. Vgl. auch (ebenda, S. 42) Delezenne). — °) Journ. of Physiol. 16, 17 ff., 1894. 21* 324 Balancement; lokale Gefäßreflexe. stattfindet, wenn der Blutdruck infolge der sensiblen Reizung stark ansteigt. So bewirkt Reizung des zentralen Splanchnicusstumpfes eine enorme Blut- drucksteigerung und eine (passive) Volumvergrößerung der Extremität nur so lange, als der Splanchnicus der anderen Seite noch erhalten ist. Wird dieser auch noch durchschnitten, so ist die Blutdrucksteigerung gering und, das Volumen der Extremität nimmt jetzt ab. Daß nach Durchschneidung beider Splanchnici oder Ausschaltung des Bauchkreislaufs durch Unterbindung der Aorta und der unteren Hohlvene noch eine geringe Blutdrucksteigerung bei Reizung sensibler Nerven erfolgt, war aber schon früher bekannt!), und Heidenhain und Grützner wiesen bereits auf den Gegensatz hin, der darin besteht, daß hiernach eine Verengerung erfolgen muß in Bezirken (Haut, Muskel), welche nach ihren anderen Versuchen eine Erweiterung zeigen. Der Widerspruch ist heute ebensowenig gelöst wie damals. Lokale Gefäßreflexe. Man könnte daran denken, daß sich vielleicht nur bestimmte Gefäßgebiete in der Haut und den Muskeln erweitern, andere sich verengern, und diese Überlegung führt zur Frage der lokalen Gefäß- reflexe. Nachdem schon Snellen?) beobachtet hatte, daß zentrale Reizung des Nervus auricularis Erweiterung der Ohrarterien bewirkt, untersuchte Lov&n3), geleitet von der Erfahrung, daß beim Menschen schmerzhafte Reizung einer Hautstelle Rötung derselben hervorruft, außer dem N. auri- cularis noch eine Anzahl anderer sensibler Hautnerven beim Kaninchen und fand besonders deutlich bei Reizung des N. dorsalis pedis eine Er- weiterung der Arteria saphena, weniger deutlich bei Reizung der sensiblen Gesichtsnerven eine Erweiterung im Gebiete der Arteria maxillaris externa, der Arterien des Vorderarmes bei Reizung der zugehörigen sensiblen Nerven bei gleichzeitigem Ansteigen des allgemeinen Blutdruckes. Die Erweiterung erstreckte sich nach Lov6&n gewöhnlich nur wenig über das Gebiet des betreffenden sensiblen Nerven hinaus, doch kommt bei Reizung des N. auricularis einer Seite gelegentlich auch Rötung des anderen Öhres vor, oder eine Rötung im Nachbargebiete des betreffenden Nerven, niemals da- gegen erstreckte sich die erweiternde Wirkung der Nerven der hinteren Extremität bis auf die Ohrarterien. Dies Resultat wurde dann von Cyont) dahin verallgemeinert, daß Reizung jedes sensiblen Nerven außer der in der Regel auftretenden Blutdrucksteigerung noch eine Gefäßerweiterung in seinem Verbreitungsgebiete auslöse. Dieser Erweiterung könne eine Verengerung als Teilerscheinung des allgemeinen pressorischen Effektes vorangehen. Die Untersuchungen der folgenden Zeit haben nun in der Tat eine Zahl von Einzelbeobachtungen gebracht, welche sich dieser Regel fügen. Huizinga°) fand beim Frosch, daß Kneipen der Haut an einer entfernten Stelle Verengerung der Schwimmhautgefäße, an einer unmittelbar benachbarten Stelle dagegen Erweiterung derselben auslöste. Bei Reizung der Nasenschleimhaut sah Francois-Franek®°) eine Vasodilatation nur der Kopfgefäße, am stärksten. auf derselben Seite, etwas schwächer auf der Gegenseite, dagegen eine Vaso- constrietion sonst überall (in der vorderen und hinteren Extremität, in den !) Asp, Sächs. Ber. 19, 155, 1867; Grützner u. Heidenhain, Pflügers Arch. 16, 47 ff., 1878. — ?) Arch. f. d. holländ. Beiträge 1, 213, 1858. — °) Sächs. Ber. 18, 91 ff., 1866. — *) Ges. Abh., 8. 103, 121. — °) Pflügers Arch. 11, 216, 1875. — °) Arch. de physiol 1889, p. 550 ff. EEE BLEZEBEL ELLE ZOLL TEEIL EEE WERL En SW Lokale Gefäßreflexe; depressorische Reflexe. 325 inneren Organen, die Lungen mit eingeschlossen), infolgedessen ein Ansteigen des Blutdruckes. Auch an den Baucheingeweiden kommen solche lokale Wirkungen vor. So folgt auf zentrale Reizung jener Hinterwurzeln jener Spinalnerven, von welchen die meisten Vasomotoren zur Niere abgehen, starke Erweiterung der Nierengefäße!). Da die Reizung des zentralen Stumpfes des zugehörigen N. intercostalis meist nur Verengerung der Nierengefäße hervorruft, muß man an- nehmen, daß die Erweiterung durch Reizung der afferenten Nerven der Ein- geweide (bzw. der Niere selbst) ausgelöst wird. Zu gleicher Zeit erfolgt bei Reizung der Hinterwurzeln des Wundgebietes eine Erweiterung der Gefäße in der Brustwand (erschlossen aus der stärkeren Wundblutung) usw. Auf der anderen Seite sind aber eine ganze Menge von Beobachtungen über Erweiterung von Gefäßen in entfernten Gebieten gemacht worden ?), und zwar insbesondere auch solche, welche auf eine direkte Beteiligung der Vasodilatatoren zurückzuführen sind, wie» die oben S. 323 erwähnten Fälle von Isergin, für welche also die angeführte Regel nicht paßt. Irgendwelche allgemeineren Gesichtspunkte lassen sich für diese Reflexe nicht aufstellen. Dagegen kennt man eine Anzahl von lokalen Gefäßreflexen, die auf Rei- zung sensibler Nervenendigungen hin zugleich mit anderen Reflexen in funk- tionell zusammengehörigen Gebieten auftreten: so erweitern sich die Blutgefäße der Glandula submaxillaris zu gleicher Zeit mit reflektorisch von der Mund- höhlenschleimhaut aus ausgelöster Sekretionstätigkeit; es erfolgt Erweiterung der Blutgefäße im sich kontrahierenden Musculus mylohyoideus bei Reizung der Schleimhaut des Kehlkopfeinganges und des Oesophagus des Frosches 3), eine Erektion des Penis bei Reizung der Haut der.Genitalien usf. Über die angeblichen lokalen Reflexe bei mechanischer Reizung der Haut siehe oben S. 309.. Die Rötung freigelegter tiefer Organe führt Vulpian) ebenfalls auf Reflexwirkung zurück, nicht auf direkte periphere Reizung, weil sie sich weiter ausbreitet, als der Ausdehnung der freigelegten Teile entspricht. Depressorische Reflexe. Mitunter erhält man bei Reizung sensibler Nervenstämmchen am unvergifteten Tiere statt der gewöhnlichen reflek- torischen Blutdrucksteigerung eine Blutdrucksenkung, statt der pressorischen einen „depressorischen“ Effekt, und zwar gibt es einzelne Nerven (abgesehen vom N. depressor), welche vorwaltend (N. glossopharyngeus) depressorisch, und andere, die ausschließlich (Splanchnicus) oder vorwaltend (Ischiadicus, Faeialis, Infraorbitalis, Cervicalnerven) pressorisch wirken). Das Hervor- treten der depressorischen Reflexe wird begünstigt durch Abtragung des Großhirnes beim Kaninchen ), durch einen gewissen Grad von Chloralhydrat-, Äther- oder Chloroformnarkose, durch Ermüdung der Zentren infolge lange anhaltender sensibler Reizung”). Latschenberger und Deahna erklärten diese Erscheinung durch die Annahme gesonderter pressorisch und depressorisch wirkender Nervenfasern im gemischten Nervenstamme, von denen die pressorischen in der Norm die ') Bradford, Journ. of Physiol. 10, 399 ff., 1889. — ?) Vgl. Tigerstedt, S. 521. — °) Gaskell, Journ. of Anat. and Physiol. 11, 742, 1877. — *) Lecons sur l’app. nerv. vasomoteur 1, 243. — °) Knoll, Wiener Sitzungsber. 92 (3), 447 ff., 1885. — °) Cyon, Ges. Abh., 8. 95ff.; Heidenhain u. Grützner, Pflügers Arch. 16, 52, 1878; Knoll, 1. e. 8. 452ff. — 7) Latschenberger u. Deahna, Pflügers Arch. 12, 165 ff., 1876. 3236 Depressorische Reflexe; Regulierungswirkung. anderen gewöhnlich überwiegen würden, während bei zunehmender Ermüdung‘ die Wirkung des pressorischen Apparates früher geschwächt würde und dann die der Depressoren zum Vorschein käme. Eine tatsächliche Unter- lage erhielt diese Annahme durch die Beobachtung von Kleen!), daß mecha- nische Reizung (Massage) der entblößten Skelettmuskeln ganz regelmäßig eine Blutdrucksenkung hervorruft, während Reizung der darüber befindlichen Haut eine Drucksteigerung bewirkt. Elektrische Reizung der Muskelnerven gibt dagegen einen pressorischen Effekt?. Man kann auch durch rein periphere Eingriffe auf den gemischten Nervenstamm die depressorischen Reflexe hervortreten lassen. Zunächst bekommt man auch ohne solche Ein- griffe bei sehr schwachen Reizungen meist eine Drucksenkung), ferner behalten die depressorisch wirkenden Nerven bei Abkühlung ihre Leitfähig- keit länger als die blutdrucksteigernden, sie vertragen Schädigungen, wie z.B. längere Freilegung, besser als die anderen Nervenfasern, und sie regenerieren nach der Durchschneidung früher als die anderen). Reid Hunt meint, der N. depressor setze den Tonus des Vasomotorenzentrums herab, die übrigen depressorisch wirkenden Nerven erregen nach ihm das Vasodilatatorenzentrum. Direkt nachgewiesen wurde letzteres für die Haut und Muskelgefäße durch Bayliss’), welcher eine Gefäßerweiterung in den Extremitäten auch noch nach Durchschneidung der Constrietoren nachweisen konnte. Eine Blutdrucksenkung erhält man ferner beim Einblasen stark reizender Gase in die Lunge‘) oder Reizung der pulmonalen Vagusäste?), nach Francois- Franck wahrscheinlich infolge Verengerung der Lungengefäße. Über die Bedeutung der genannten Reflexe als Regulierungsvorgänge ist etwas Gesichertes nicht auszusagen °). Es sei nur darauf hingewiesen, daß nach Francois-Franck?°) außer den pressorischen Reflexen auf den großen Kreislauf auch solche auf den kleinen ausgelöst werden, und daß die dadurch bedingte Abnahme des Blutzuflusses zum linken Herzen regulatorisch den gesteigerten Blutdruck im großen Kreislauf herabsetzen soll. Durchsichtig ist dagegen die Bedeutung jener Reflexe, welche Teil- erscheinungen anderer funktioneller Zusammenhänge sind, wie die oben 8. 325 schon angeführte Gefäßerweiterung in tätigen Muskeln und Drüsen, die Erektion des Penis’, wozu dann noch die im Dienste der Wärmeregulierung stehenden Temperaturreflexe hinzukommen. Da sich aber hierbei den Re- flexen noch andere Einwirkungen auf die Gefäße beimischen können, die von den reflektorisch ausgelösten schwer zu trennen sind, so sollen diese Bezie- hungen in einem Zusammenhang besprochen werden. !) Skand. Arch. 1, 247, 1887; bestätigt von Brunton u. Tunicliffe, Journ. of Physiol. 17, 373, 1894, u. Reid Hunt, ebenda 18, 389, 1895. — °?) Reid Hunt, l. c.; Asp, Sächs. Ber. 19, 183 ff.,, 1867. — °) Knoll, 1. e., Hunt, l. e. — *) Reid Hunt, 1. c. — °) Journ. of Physiol. 38, 287 ff., 1902. — °) Frangois- Franck, Trav. du labor. de Marey 4, 379, 1880. — 7) Brodie and Russel, Journ. of Physiol. 26, 98, 1900. — °) Wenn der mehr oder weniger lokalen Gefäß- erweiterung bei schmerzhafter Hautreizung eine regulatorische Bedeutung zu- kommen sollte, so wäre (durch den Wegfall derselben) vielleicht eine Erklärungs- möglichkeit für die sogenannten trophischen Störungen an sensibel gelähmten Partien gegeben, — worauf Kollege Garten und ich gelegentlich der Versuche von Köster (Zur Physiol. d. Spinalganglien u. d. trophischen Nerven. Leipzig, 1904) aufmerksam wurden. — °) Arch. de physiol. 1896, p. 198. ee tier u Direkte thermische Reizung der Gefäße. 327 Die Abhängigkeit der Gefäßweite von der Temperatur. Die genauere Analyse der geläufigen Erscheinung, daß (bei intakten Gefäßnerven) Abkühlung eine Verengerung der Gefäße, länger anhaltende Kälte ebenso wie Erwärmung eine Erschlaffung der Gefäßwand bewirkt !), stößt auf Schwierigkeiten. Es könnten sich hierbei kombinieren eine direkte periphere Wirkung auf die Gefäßwand und eine direkte oder reflektorische Einwirkung der Temperaturschwankung auf das Gefäßnervenzentrum. Die direkte Wirkung von Temperaturänderungen auf die Gefäße ist so- wohl an ausgeschnittenen größeren Arterien, als auch — nach Durchschneidung der Gefäßnerven — im Körper selbst studiert worden. Die auf dem ersteren Wege gewonnenen Daten sind schwer zu deuten. Nachdem von Piotrowski angegeben worden war 2), daß sich ausgeschnittene Arterien bei der Erwär- mung verkürzen und bei Abkühlung verlängern, untersuchte Mc William 5) diese Verhältnisse genauer und fand an frischen, noch gut erregbaren, quer zur Längsachse des Gefäßes ausgeschnittenen Streifen großer Arterien inner- halb der physiologisch in Betracht kommenden Temperaturgrenzen bei Er- wärmung von etwa 25°C bis auf ungefähr 35°C eine Verkürzung, bei weiterer Erwärmung bis auf rund 45°C eine Erschlaffung. Frische Längs- streifen verhalten sich gerade umgekehrt. Der Verkürzung des Querstreifens entspricht an der ganzen auf einer Seite abgebundenen und mit Flüssigkeit gefüllten Arterie eine Volamabnahme. Die eben erwähnten Veränderungen treten an mehrere Tage außerhalb des Körpers aufbewahrten Gefäßen nicht mehr auf. Bei künstlicher Durchströmung frisch isolierter Extremitäten mit ver- schieden temperiertem Blut fand Lewaschew *) bei Temperaturdifferenzen (des einströmenden Blutes) zwischen rund 33° bis 37°C in der Regel eine Vermehrung der aus der Vene ausfließenden Blutmenge bei Erwärmung, eine Verminderung bei Abkühlung, bei sehr niederen Temperaturen nachher eine Vermehrung. Die Erschlaffung der Gefäßwand bei Erwärmung ist nicht auf direkte Reizung der Vasodilatatoren zu beziehen — nach Grützner‘’) werden die Vasodilatatoren für die Hautgefäße schon durch mäßige Erwär- mung erregt — denn sie tritt auch auf, wenn die Gefäßerweiterer so lange vorher durchschnitten worden waren, daß sie degeneriert sein mußten. Bei rascher starker Erwärmung kann sich gelegentlich in die Erschlaffung eine vorübergehende Verengerung der Gefäße einschieben. Lui$) bezeichnet es ‚nach seinen Versuchen sogar als Regel, daß die Erschlaffung vorübergeht und einer dauernden Verengerung Platz macht. Manchmal erfolgt auf Tem- peraturänderung gar keine Änderung der Gefäßweite — auch Winkler’) bemerkte bei direkter Inspektion der Blutgefäße im Kaninchenohre keinen ersichtlichen Einfluß der Erwärmung oder Abkühlung des durchströmenden !) Zusammenstellung der älteren Beobachtungen bei Lewaschew, Pflügers Arch. 26, 60#f., 1881. Daß es sich, entgegen der Meinung mancher Hydrothera- peuten, sowohl bei der Erschlaffung unter Wärme als auch unter Kälteeinfluß natürlich in gleicher Weise um eine Abnahme des Tonus und Zunahme des Strom- volumens handelt, hat F. Pick (Zeitschr. f. Heilk. 24, 61 ff., 1903) am Tier direkt gezeigt. — *) Pflügers Arch. 55, 295, 1894. — °) Proceed. Roy. Soc. 70, 117 ff., 1902. — *) 1. ec. — °) Pflügers Arch. 17, 226 ff., 1878. — °) Arch. ital. de biol. 21, 416, 1894. — 7) Wiener Sitzungsber. 111 (3), 91 ff., 1902. 328 Thermische Reizung des Gefäßnervenzentrums; thermische Reflexe. Blutes auf die Gefäßweite — nach Lewaschews Vermutung deshalb, weil die Erregbarkeit des peripheren tonusfähigen Apparates aus unbekannten Gründen herabgesetzt sein kann und die Temperaturreize dann unter der Schwelle bleiben. Die Versuche von Lewaschew stimmen überein mit den Beobachtungen von Goltz!), Bernstein?) und anderen über Verengerung der Gefäße bei Abkühlung und Erweiterung bei Erwärmung (oder sehr inten-: siver Kältewirkung) nach Durchschneidung der Gefäßnerven, so daß eine: direkte Wirkung der Temperatur auf den peripheren tonusfähigen Apparat der Gefäße wohl feststeht. | Eine direkte Beeinflussung des Gefäßnervenzentrums durch Temperatur- schwankungen ist dagegen von früheren Beobachtern nicht angenommen worden. Stefani?) sah bei Erwärmung des Carotisblutes oder bei Auf- träufeln warmer Kochsalzlösung auf die Medulla oblongata, wenn beide Vagi- durchschnitten waren, bloß noch eine ganz geringe Blutdrucksteigerung, die: nicht selten ausblieb, bei- Abkühlung geringe Steigerungen oder Senkungen. Knoll) beobachtete nach intravenöser Infusion großer Mengen kalter physiologischer Kochsalzlösung keine besonderen Blutdruckveränderungen. Dagegen fand neuerdings Kahn’) bei Erwärmung des Carotidenblutes (und dadurch bedingter isolierter Erwärmung des Kopfes des Versuchstieres) eine beträchtliche Erweiterung sämtlicher oberflächlichen Gefäße. Da der Blut- druck dabei nicht absank, sondern etwas anstieg, so mußte die Gefäßerweiterung an der Körperoberfläche durch Verengerung in anderen Gebieten überkom-: pensiert werden, und zwar verengerten sich die Gefäße des Splanchnieus- gebietes, denn nach Durchschneidung beider Splanchnici sank. der Blutdruck beim Erwärmen des Kopfes. Kahn hält den Symptomenkomplex für die Folge einer direkten Reizung des Gefäßnervenzentrums, nicht für einen Temperaturreflex von der Haut des Kopfes. Von der größten Bedeutung sind die reflektorisch durch Erwärmung und Abkühlung der Haut ausgelösten Änderungen der Gefäßweite. Bei Tieren und Menschen bewirkt lokale Abkühlung eine Verengerung, Erwär- mung eine Erweiterung auch entfernter Gefäßbezirke. Setzt man ein Kaninchen mit der hinteren Extremität in kaltes Wasser, so verengern sich die Ohrgefäße, setzt man es in warmes Wasser, so erweitern sie sich). Daß es sich um einen Reflex handelt, ergibt sich daraus, daß nach Rückenmark- durchschneidung die unmittelbare Fernwirkung von dem anästhetischen Körperteile aufs Ohr wegfällt”), während allerdings nach längerer Zeit noch eine Wirkung auftritt, nach Winkler vermutlich deshalb, weil infolge Er- wärmung des ganzen Tieres ein thermischer Reflex von der intakten Vorder- hälfte ausgelöst wird... Beim Menschen sind derartige Fernwirkungen (Gefäßverengerung bei Abkühlung) ebenfalls schon von Brown-Söquard und Tholozan °) angegeben, später von den einen bestätigt?), von anderen !) Pflügers Arch. 11, 90, 1875. Vgl. auch Goltz und Ewald, ebenda 63, 390 ff., 1896. — ?) Ebenda 15, 585 ff., 1877. — °) Arch. ital. de biol. 24, 424, 1895. — *) Arch. f. exper. Pathol. 36, 305, 1896. — °) Engelmanns Arch. 1904, Suppl. 8. 81. — %) Beke-Callenfels, Zeitschr. £. rat. Med, 7, 155, 1855; Paneth, Zentralbl. £. Physiol. .1, 272, 1887. — 7) Winkler, Wien. Sitzungsber. 111 (8), 68 ff., 1902. — ®) Journ. de la physiol. 1, 500, 1858. — °) Francois-Franck, Travaux du labor. de Marey 2, 39ff., 1876 u. a. Thermische Reflexe; Gefäßerweiterung in tätigen Organen. 329 allerdings auch bestritten oder anders beschrieben worden !). Die Gefäß- verengerung bei kalten Duschen, Berührung der Haut mit Eis usw. erstreckt sich nicht bloß auf die Hautgefäße, sondern betrifft auch innere Organe (direkt nachgewiesen von Wertheimer?) für die Niere) in einem solchen Umfange, daß es zu einer Blutdrucksteigerung kommt. Daß dies nicht. bloß ein Schreckreflex ist, wie Stefani?) meinte, geht daraus hervor, daß die Drucksteigerung bei längerer Reizung während der ganzen Zeit fortbesteht. Die Gefäße der Muskeln erweitern sich nach Wertheimer*) dabei (im Zusammenhang mit dem vermehrten Stoffumsatz im Muskel ?). Bemerkenswert ist ferner, daß sich bei Kaninchen die Trachealschleimhaut stark rötet (und stärker sezerniert), sobald man die Haut des Tieres abkühlt >). Bei den durch die Schwankungen der Umgebungstemperatur am Nor- malen bewirkten Änderungen der Gefäßweite dürften wohl thermische Re- flexe auf die Dilatatoren und direkte peripherische Einwirkungen auf die Gefäße zusammenwirken®). Dies ergibt sich beim Tiere aus einem von Luchsinger’) mit gleichem Erfolge wiederholten Versuche von Schiff >), daß die Gefäße eines Organes nach Durchschneidung der Gefäßnerven bei Erwärmung sich zwar noch erweitern, aber viel weniger als die mit intakten Gefäßnerven. Auf eine gleiche kombinierte periphere und zentrale Wirkung schloß auch S. Amitin’) aus plethysmographischen Versuchen. Sie sah ihr Armvolumen bei Abkühlung des ihn umgebenden Wassers von 31°C bis 12°C abnehmen, bei Erwärmung zunehmen, während allerdings U. Mosso!P) innerhalb dieser Grenzen gar keine Änderung des Armvolumens sah, nur bei Abkühlung des Wassers im Plethysmographen auf 6° und Erwärmung über 33°C eine starke Volumzunahme. Es ist möglich, daß die reflektorische Beein- flussung der Gefäßweite durch unbehagliche Temperaturen bei nervösen Per- sonen stärker ist als bei weniger empfindlichen. Die Gefäßerweiterung in tätigen Organen. Eine vermehrte Blutzufuhr bei der Tätigkeit ist nachgewiesen. worden bei den Drüsen (Glundula submaxillaris, Verdauungsdrüsen des Abdomens) und der Muskulatur. (Über das Verhalten der Hirnzirkulation siehe das ent- sprechende Kapitel dieses Handbuches!) Eine Beschleunigung des Blutstromes wurde in verschiedenen Muskeln bei tetanischer Reizung des zugehörigen motorischen Nerven beobachtet. Die Verhältnisse sind nur dadurch kompliziert, daß die Kontraktion des Muskels selbst eine Veränderung der Blutströmung bewirkt. So kommt es am Beginne des Tetanus (oder einer verlängerten Zuckung des veratrinisierten Muskels) zu einer plötzlichen Beschleunigung des Blutstromes, welcher während der Dauer des Tetanus eine Abnahme des Stromvolumens nachfolgt!!). Erst nach !) Vulpian, Lecons sur l’app. nerv. vasomot. 1, 233 ff., 1875; Stefani, Arch. ital. de biol. 24, 414, 1895. — *) Arch. de physiol. 1894, p. 308. — ?) l. c. — *) Arch. de physiol. 1894, p. 732ff. — °) Lode, Arch. f. Hygiene 28, 389, 1897, zuerst Roßbach (zitiert bei Lode). — °) An eine direkte Wirkung auf das Gefäß- nervenzentrum ist wohl höchstens in Ausnahmefällen zu denken. — 7) Pflügers Arch. 14, 391, 1877. — ®) Legons sur la physiol. de la digest. 1, 233. — °) Zeitschr. £. Biol. 35, 13, 1897. — !®) Arch. ital. de biol. 12, 346, 1889. — '') Gaskell, Arb. a.d. physiol. Anst. z. Leipzig 1876, 8. 60. Vgl. auch Heilemann, His’ Arch. 1902, 8. 45. 330 Gefäßerweiterung in tätigen Organen. dem Tetanus oder bei länger dauernden Reizungen schon am Ende desselben nimmt das Stromvolumen wieder über das Ruheausmaß zu. Eine reine Zunahme des Stromvolumens erhält man dagegen, wenn man die Zusammen- ziehung des Muskels entweder mechanisch verhindert!) oder das Versuchstier ‚schwach curaresiert?). Es sind also in den Muskelnerven Vasodilatatoren ent- halten, durch deren Mitreizung eine Erweiterung der Blutgefäße bedingt wird. Aus manchen Anzeichen wird von Gaskell auch die gleichzeitige Anwesenheit einer viel geringeren Anzahl vasoconstrictorischer Nervenfasern erschlossen. Daß auch bei reflektorisch ausgelösten Muskelkontraktionen die Gefäße des Muskels sich erweitern, geht aus den oben $. 325 zitierten Experimenten von Gaskell hervor... Die Zunahme des Stromvolumens bei willkürlicher Muskelaktion wiesen Chauveau und Kaufmann‘) im M. masseter und levator labii sup. des Pferdes während des Kauens nach. Daß diese Zunahme nicht bloß aus der Steigerung der Herzarbeit während der Muskeltätigkeit resultiert, sondern daß daneben eine Dilatation der Muskelgefäße vorliegt, ergibt sich aus der gleichzeitigen Drucksteigerung in der Muskelvene. Wenn sich bei angestrengter Tätigkeit die Gefäße größerer Muskel- gruppen erweitern, so müßte der Blutdruck infolgedessen sinken, wenn nicht eine Kompensation an anderen Orten erfolgte. Tatsächlich aber steigt. wie Zuntz und Tangl*) durch Manometerversuche an im Tretwerk arbeitenden Hunden sahen, der Blutdruck in der Regel an, besonders bei sehr an- strengender Arbeit. Das deutet darauf hin, daß mit der Gefäßerweiterung in den Muskeln gleichzeitig Verengerungen anderer Gefäße, wahrscheinlich im Splanchnicusgebiete, einhergehen. Es wird also offenbar bei der Muskel- arbeit eine größere Blutmenge aus den Eingeweidegefäßen heraus in die Muskelgefäße verdrängt, ähnlich wie während der Zeit der Verdauung eine größere Blutmenge durch die Baucheingeweide zirkuliert und den anderen Organen entzogen wird. Der Nachweis, daß in der Muskulatur während der Tätigkeit eine viel größere Blutmenge enthalten ist als in der Ruhe, wurde von Ranke und Spehl erbracht). Gaskell#) machte darauf aufmerksam, daß die lokale Gefäßerweiterung in den Muskeln und Drüsen während der Tätigkeit auf vermehrter Erzeugung (saurer) Stoffwechselprodukte beruhen könnte, die eine direkte erschlaffende Wirkung auf die Gefäßmuskulatur ausüben könnten. FExperimentell ent- schieden ist die Frage nicht’), wenn man es auch von vornherein für wahr- scheinlicher halten würde, daß die Gefäßerweiterung, ähnlich wie die Accele- ration des Herzschlages bei der Muskeltätigkeit, in erster Linie vom Zentralnervensystem abhängt. !) Sadler, Sächs. Ber. 21, 206, 1869. — ?) Gaskell, Journ. of Physiol. 1, 274, 1878. — °?) Siehe Arch. de physiol. 1892, p. 279. — *) Pflügers Arch. 70, 544, 1898. Kaufmann (l. e. 8. 279 und 493) hatte allerdings am Pferde mit der- selben Methode nur beim Kauen meist eine geringe Zunahme, beim Arbeiten im Tretwerk dagegen Sinken des Blutdrucks beobachtet. — °) Vgl. Tigerstedt, 8. 551. — °) Journ. of Physiol. 3, 67 ff., 1880. — 7) Siehe Loewi, 6. intern. Physiol.- Kongr., Arch. di Fisiol. 2, 145, 1904. Vgl. ferner Bayliss, Journ. of Physiol. 26, XXXII, 1902. " see Die Physiologie des Stoffwechsels von R. Tigerstedt. Zusammenfassende Darstellung, in welcher die ältere Literatur gesammelt ist: Voit, Physiologie des allgemeinen Stoffwechsels und der Ernährung, in Hermanns Handbuch der Physiologie 4, Tl. I. Leipzig 1881. (Im folgenden nur mit dem Autornamen zitiert.) 3 Einleitung. Die Physiologie des Stoffwechsels untersucht, welche Stoffe für den Zu- wachs und den Unterhalt des Körpers nötig sind, die Bedeutung dieser Stoffe für den Körper, den Umfang der im Körper unter verschiedenen Bedingungen stattfindenden Verbrennung sowie den Ansatz von verschiedenen Verbindungen im Körper !). Die betreffenden Substanzen sind dreierlei Art, nämlich 1. organische Nahrungsstoffe, Verbindungen, welche dem Körper potentielle Energie zu- führen und also die Kraftquelle des Körpers darstellen; hierher gehören vor allem Eiweißkörper, Fette und Kohlehydrate; 2. Sauerstoff, welcher zur Unterhaltung der Verbrennung notwendig ist; 3. Wasser und anorga- nische Nahrungsstoffe (mineralische Bestandteile, Aschebestandteile), welche vom Körper unaufhörlich abgegeben werden und durch die Nahrung ersetzt werden müssen, weil sonst schwere, zum Tode führende Störungen im Befinden des Körpers auftreten. Im allgemeinen werden weder die organischen noch die anorganischen Nahrungsstoffe in reinem Zustande dem Körper zugeführt, sondern in Form von Mischungen untereinander und mit Substanzen genossen, welche keinen Nährwert besitzen. Diese Nahrungsmittel stellen entweder, wie z. B. das Fleisch, reine Naturprodukte dar, oder sie werden, wie das Mehl, aus solchen !) Der zu meiner Verfügung stehende Raum hat es mir leider nicht gestattet, den geschichtlichen Entwickelungsgang der Ernährungslehre zu besprechen; aus demselben Grunde ist es mir auch nicht möglich gewesen, den Anteil der neueren Autoren an den Fortschritten dieses Abschnittes der Physiologie in dem gebührenden Umfange darzulegen, weshalb die folgende Darstellung keine Ansprüche auf Voll- ständigkeit machen kann. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 91 r* 332 Einleitung. durch die Industrie dargestellt. Übrigens genießt der Mensch in der Regel die zu seiner Verfügung stehenden Nahrungsmittel nicht ohne weitere Be- reitung, sondern unterwirft dieselben noch mannigfachen Veränderungen, bis sie in Form neuer Mischungen, als Speisen, verzehrt werden. Wenn die Kost alle Nahrungsstoffe in der Menge enthält, die den Körper auf seinem stofflichen Bestande erhält oder ihn in einen gewünschten stoff- lichen Zustand versetzt, heißt sie nach Voit eine Nahrung!). In gewissen Fällen, wo es nur gilt, eine allgemeine Übersicht über den Stoffwechsel zu gewinnen, kann die alleinige Feststellung der (festen und flüssigen) Einnahmen des Körpers ganz befriedigende ‚Aufschlüsse geben. Hierbei nimmt man an, daß die genossene Kost gerade genügt, um den Körper in stofflichem Gleichgewicht zu erhalten, wie dies bei Erwachsenen im allgemeinen der Fall ist. Wo die Art der Ernährung einzelner Gruppen der Bevölkerung durch ausgedehntere statistische Untersuchungen zu er- mitteln ist, steht übrigens kein anderes Mittel zu unserer Verfügung. Die nützliche Wirkung einer Kost kann in vielen Fällen aus den Ge- wichtsveränderungen der Versuchsperson in einem gewissen Grade beurteilt werden, denn wo das Körpergewicht stetig ab- oder zunimmt, muß die Kost zu arm bzw. zu reich sein, und ein dauerndes Konstantbleiben des Körper- gewichts stellt ohne Zweifel einen vollgültigen Beweis dafür dar, daß die Kost gerade genügend, weder zu arm noch zu reich gewesen ist. Weitergehende Schlußfolgerungen dürfen kaum aus der Bestimmung des Körpergewichts gezogen werden, denn eventuelle Veränderungen desselben geben an und für sich keinen Aufschluß darüber, welche Bestandteile des Körpers dabei teilgenommen haben, wozu noch kommt, daß der Wassergehalt des Körpers nicht selten viel größere Variationen als der Gehalt an festen Bestandteilen darbietet und also unter Umständen die Gewichtsveränderungen des Körpers in sehr erheblichem Umfange beeinflussen kann. Um tiefer in die Kenntnis der Stoffwechselvorgänge eindringen zu können, ist es daher unbedingt notwendig, auch die Ausgaben des Körpers fest- zustellen, um dann aus der Stoffwechselbilanz Schlüsse betreffend den im Körper stattgefundenen Umsatz ziehen zu können. Als -besonders wichtig stellt sich die Frage nach der Dauer eines Stoff- wechselversuches. Generell kann sie jedoch nicht beantwortet werden, und ich will daher nur einige allgemeine Betrachtungen darüber einschalten. Wenn sich keine störenden Einflüsse geltend machen, kehren im Leben des Menschen und der höheren Tiere wenigstens die Variationen in der Intensität des Stoffwechsels im Laufe von 24 Stunden immer wieder zurück, und die Periode von 24 Stunden stellt daher nicht allein als Zeitabschnitt, sondern auch in bezug auf den Ablauf des Stoffwechsels und überhaupt der Lebensfunktionen eine wohl be- grenzte Einheit dar. Wenn es also gilt, absolute Werte für den Stoffwechsel zu erhalten, in welchen die im Laufe der 24 Stunden erscheinenden Variationen sich gebührendermaßen geltend machen sollen, so muß der Versuch wenigstens diese Dauer haben. Aus Beobachtungen von nur kurzer Dauer, z. B. einer Stunde, lassen sich keine sicheren Schlüsse betreffend den Gesamtstoffwechsel pro 24 Stunden ziehen. Auch diese Zeit ist nicht immer unbedingt genügend: wenn der Einfluß einer bestimmten Kost untersucht werden soll, muß der Versuch so lange dauern, bis die genossene Nahrung tatsächlich verdaut und vom Darme resorbiert worden ist, denn sonst muß es ja zutreffen, daß die betreffende Kost ihren Einfluß nicht in vollem 1) Yoit, 8. 491. Einleitung. 333 Umfange hat ausüben können. Wie lange diese Zeit bis zur vollständigen Auf- saugung eigentlich ist, kann nur die direkte Erfahrung entscheiden. Nach Voit') ist beim Fleischfresser die aufgenommene Nahrung bei reiner Fleischfütterung innerhalb 24 Stunden so vollständig verdaut und aufgesogen, wie dies überhaupt stattfindet. Wenn man also im Anfange des Versuchstages die ganze Futtermenge auf einmal verabreicht, ist die Verdauung nach 24 Stunden beendigt. Bei den Pflanzenfressern ist die Sache wegen des großen Volumens der Nahrung mehr verwickelt, und bei Versuchen an diesen gibt man daher dem Tiere eine Zeitlang ein und dasselbe Futter, damit die Nahrungsstoffe täglich immer in der gleichen Menge vom Darme ins Blut übergehen. Was endlich den Menschen betrifft, so begegnen wir auch hier Schwierigkeiten, da wir ja daran gewöhnt sind, unsere Kost immer auf mehrere Mahlzeiten täglich zu verteilen, und es daher leicht geschehen kann, daß die in der letzten Mahlzeit genossenen Nahrungsstoffe am Ende des Versuchstages noch nicht vollständig ver- daut und aufgesogen sind. Auf seine große Erfahrung gestützt, schreibt Voit?) vor, die letzte Mahlzeit nicht später als 12 bis 14 Stunden vor dem Ende des Ver- suches zu geben. Streng genommen ist auch diese Forderung nicht genügend, denn eigentlich sollten die resorbierten Nahrungsstoffe vor Ende des Versuches im Körper voll- ständig umgesetzt und die Zersetzungsprodukte von ihm abgegeben werden, so daß der stoffliche Zustand des Körpers am Ende des Versuches so viel als möglich ganz derselbe als zu Beginn wäre, vorausgesetzt, daß aus der genossenen Nahrung kein stofflicher Ansatz erfolgt ist. Diesem Postulate wird genügt, wenn der Versuch (bei einer und derselben Kost) mehrere Tage nacheinander fortgesetzt wird, denn der Körper stellt sich in der Regel binnen einer verhältnismäßig kurzen Zeit mit der zugeführten Nahrung in stoffliches Gleichgewicht und bietet dann Tag für Tag den gleichen Stoffwechsel dar. Wollen wir die Einwirkung einer bestimmten Variabel, z. B. eines bestimmten Nahrungsstoffes, eines Giftes, gewisser körperlicher Zustände usw. auf den Stoffwechsel feststellen, so müssen wir zuerst beim betreffenden Individuum fest- stellen, wie sich der Stoffwechsel ohne die Einwirkung dieser Variabel verhält. Hierbei können wir entweder von dem Hungerzustande oder, bei Nahrungszufuhr, von dem Zustande stofflichen Gleichgewichts ausgehen. Beim Hunger stellt sich der Körper, nachdem die ersten Hungertage vorüber sind, auf einen Minimalverbrauch und zersetzt eine Zeitlang pro Kilogramm Körpergewicht täglich etwa ebensoviel von seiner eigenen Substanz. Wenn dann der Stoffwechsel infolge eines bestimmten Eingriffes eine plötzliche Veränderung nach der einen oder anderen Seite erleidet, so ist es klar, daß diese Veränderung gerade von dem betreffenden Eingriff hervor- gerufen worden ist. — Auch können wir durch eine zweckmäßig angeordnete Kost das Versuchsindividuum in einen solchen Zustand bringen, daß es mit derselben in vollständigem stofflichen Gleichgewicht ist: jeder Eingriff, welcher einen Einfluß auf den Stoffwechsel ausübt, wird sich dann durch Störung dieses Gleichgewichts offenbaren müssen. Wenn ich also in bezug auf die Dauer eines Stoffwechselversuches Beobach- tungen von 24stündiger und längerer Dauer in erste Linie stelle, so verkenne ich indes keineswegs, daß auch Beobachtungen von kürzerer Dauer vielfach eine sehr große Bedeutung haben und oft unumgänglich sind. Nur durch solche können wir ja den zeitlichen Ablauf des Stoffwechsels näher verfolgen und genaue Aufschlüsse über Eingriffe erhalten, welche eine schnell hervortretende und schnell vorüber- gehende Wirkung haben. Alles hängt von der Aufgabe und dem Zwecke des Ver- suches ab, und hier wie auch sonst wird nur der wissenschaftliche Takt des Forschers die schließliche Entscheidung treffen können. ) Voit, 8..16. — ?) Ders., 8. 17. 334 Die Einnahmen des Körpers. Erstes Kapitel. ‚Allgemeine Übersicht der Einnahmen und Ausgaben des Körpers. 8$ 1. Die Einnahmen. Bei der Untersuchung der Einnahmen ist die Quantität der in der ge- nossenen Kost enthaltenen Nahrungsstoffe zu bestimmen !). Besonders in früherer Zeit begnügte man sich meistens damit, aus zugänglichen Durch- schnittszahlen die quantitative Zusammensetzung der Kost einfach zu berechnen. Auch heutzutage ist man, besonders bei der statistischen Ermittelung der bei frei gewählter Kost genossenen Nahrung, vielfach geradezu gezwungen, die Aufgabe in dieser Weise zu vereinfachen. In solchen Fällen ist es, um eine zuverlässige Vorstellung von dem Kostmaß des betreffenden Individuums zu erhalten, notwendig, die Untersuchung auf mindestens eine Woche auszudehnen. Während dieser Zeit genießt der Mensch in der Regel ziemlich viele verschiedene Nahrungsmittel, und im all- gemeinen kommen dieselben Speisen usw. die eine Woche nach der anderen etwa in derselben Weise wieder vor; es ist daher gestattet, anzunehmen, daß die Ermittelung der während einer Woche genossenen Kost eine ziemlich richtige Vorstellung von der Nahrungsaufnahme des Individuums gibt, sowie daß die bei der Berechnung der Kost nach den Durchschnittszahlen stattfindenden Fehler nicht alle in derselben Richtung gehen, sondern sich zum größten Teile gegenseitig kompensieren. Selbstverständlich ist es um so besser, je länger die Dauer der Beobachtung ausgedehnt werden kann. Immer mehr macht sich indes die Forderung geltend, bei den Stoff- wechselversuchen die genossene Kost direkt zu analysieren. Auch ist diese Aufgabe dank den Fortschritten der analytischen Methoden nunmehr wesentlich erleichtert worden, obgleich insbesondere bei Versuchen am Menschen mit seiner aus zahlreichen verschiedenen Nahrungsmitteln und Speisen zusammengesetzten Kost hierdurch ein bedeutender Aufwand von Arbeit beansprucht wird. Jedenfalls werden noch in unserer Zeit sehr wesentliche Vereinfachungen gemacht. Es wäre natürlich am richtigsten, den Gehalt der Nahrung an reinem Eiweiß, reinem Fett, reinen Kohlehydraten, sowie an den verschiedenen Arten dieser und anderer Nahrungsstoffe direkt zu bestimmen. So weit sind wir jedoch noch lange nicht gekommen, und wir müssen uns damit be- gnügen, in der Kost den Stickstoff, das Ätherextrakt, die Trocken- substanz und die Asche zu bestimmen. Aus dem Stickstoff berechnet man, unter Anwendung eines bestimmten Koeffizienten, gewöhnlich 6,25, das Eiweiß; das Ätherextrakt wird als Fett aufgefaßt und der Rest, nachdem von der Trockensubstanz das „Eiweiß“, das „Fett“ und die Asche subtrahiert wurden, stellt die Kohlehydrate dar. Diese Berechnungsweise geht indes von mehreren unbegründeten und nach weislich unrichtigen Annahmen aus. Es ist nicht richtig, daß alles Eiweiß !) Hier sehe ich zunächst von den Aschebestandteilen und dem Sauerstoff ganz ab. Die Einnahmen des Körpers. 335 16 Proz. N enthält, wie der Koeffizient 6,25 voraussetzt, denn verschiedene Eiweiß- körper haben einen ziemlich verschiedenen Gehalt an Stickstoff. Außerdem kommt der Stickstoff sowohl. in tierischen als in pflanzlichen Nahrungsmitteln auch in anderen Verbindungen als Eiweiß vor. Neben Eiweiß und der mit ihm in nahrungsphysiologischer Hinsicht fast gleichwertigen leimgebenden Substanz enthält das Fleisch eine Anzahl N-haltiger Verbindungen, welche nur intermediäre Produkte des Eiweißstoffwechsels darstellen und den aus der N-Be- stimmung berechneten scheinbaren Eiweißgehalt des Fleisches nicht unwesentlich erhöhen. Nach Rubner!) würde der Extraktivstickstoff in 100g trockenem Muskel 2,41g betragen, d. h. bei 15,49 g Gesamtstickstoff nicht weniger als 15,56 Proz. desselben (Pflüger?). Frentzel und Schreuer°) fanden allerdings geringere. Zahlen, laut welchen der Extraktivstickstoff 8,9 bis 7,1 Proz. des Gesamtstickstoffs betragen würde, jedenfalls ist aber, auch nach ihren Bestimmungen, der wirkliche Eiweißgehalt des Fleisches wesentlich niedriger als der aus dem Stickstoff be- rechnete. Dasselbe gilt von sämtlichen pflanzlichen Nahrungsmitteln, bei welchen außer- dem N-haltige, in den Verdauungsflüssigkeiten unlösliche Substanzen zuweilen in sehr reichlicher Menge vorkommen. Als Beispiel seien nur die Kartoffeln und die eßbaren Pilze erwähnt. In jenen beträgt der Eiweißstickstoff nach Schulze und Barbieri 65 bis 44 Proz., nach Kellner 56 bis 42, nach Morgen 70 bis 48, nach Snyder*) 40 Proz. des Gesamtstickstoffs. Von dem in den eßbaren Pilzen (Cham- pignons) enthaltenen Stickstoff kommen 49,3 Proz. auf (bei künstlicher Ver- dauung) digestibles, 16,0 Proz. auf nicht-digestibles Eiweiß, sowie 34,7 Proz. auf sonstige N-haltige Verbindungen (C. Th. Mörner°). 5 Unter Umständen kann also die Berechnung des Eiweißes aus dem N-Gehalt der Nahrungsmittel einen sehr beträchtlichen Fehler bedingen; völlig exakt ist sie nur in dem Falle, wenn reine Eiweißstoffe verabreicht werden. Im folgenden be- zeichne ich, wie dies gewöhnlich geschieht, als Eiweiß die durch Multiplikation des N-Gehaltes mit 6,25 erhaltene Stickstoffsubstanz °). Der Äther löst bekanntlich mehrere andere Substanzen als das Fett, und da solche in den Nahrungsmitteln mehr oder minder reichlich vorkommen, besteht das Ätherextrakt nicht allein aus Fett (bzw. freien und durch Spaltung von etwa vorhandenen Seifen freigemachten Fettsäuren), sondern auch aus verschiedenen anderen Verbindungen (Lecithin, Cholesterin usw.). Da wir keine Kenntnisse über den Nahrungswert dieser Verbindungen haben, können wir dieselben nicht in gleiche Reihe mit dem Fett stellen, und auch hier bleibt eine gewisse Unsicherheit, welche indes von viel geringerer Bedeutung ist als der entsprechende Fehler bei der Eiweißbestimmung. Der als Differenz berechnete Gehalt an Kohlehydraten stellt nicht allein die in den Verdauungsflüssigkeiten löslichen Kohlehydrate dar, sondern schließt außer- dem die in den pflanzlichen Nahrungsmitteln zuweilen sehr reichlich vorkommende Zellulose u. dgl. ein. Wenn die löslichen Kohlehydrate nicht direkt bestimmt werden — was in der Tat bei mehreren Arbeiten stattgefunden hat —, wird also der berechnete Gehalt an ihnen in der Regel größer als der wirkliche. Übrigens ist es einleuchtend, daß bei der Differenzbestimmung alle Analysen- und Berech- nungsfehler sich bei den Kohlehydraten geltend machen müssen. Der geringe Kohlehydratgehalt in den meisten tierischen Nahrungsmitteln bewirkt im allgemeinen keine Ungenauigkeit und braucht nur dann berücksichtigt !) Zeitschr. f. Biol. 19, 344, 1883. — ?) Arch. f. d. ges. Physiol. 79, 545, 1900. — ®?) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1902, 8. 284. — *) U.S. Depart. of agricult., Off. of exp. stat., Bull. No. 43, p. 10, 1897. — °) Zeitschr. f. physiol. Chem. 10, 503, 1886. — °) Unter Berücksichtigung der elementaren Zusammensetzung der Eiweißkörper und der nicht-eiweißartigen N-haltigen Substanzen in verschiedenen Nahrungsmitteln stellt Atwater (Storrs Agricultural Experiment Station 1899, p- 79) als Reduktionsfaktor für die Berechnung der N-Substanz folgende Zahlen auf: tierische Nahrungsmittel 6,25; Weizen, Roggen 5,70; Mais, Hafer, Buchweizen, Reis 6,00; Erbsen 6,25; Früchte 5,80. 336 Die Ausgaben des Körpers. zu werden, wenn die Aufgabe der Untersuchung, wie z.B. das Studium des Ansatzes von Kohlehydraten im Körper, es bestimmt fordert. Endlich leidet auch die Bestimmung der anorganischen Bestandteile an eineın prinzipiellen Fehler: die in den eiweißartigen Verbindungen enthaltenen anorgani- schen Elemente, wie Schwefel und Phosphor, bleiben nach der Einäscherung in der Asche zurück und vermehren also den scheinbaren Gehalt an Aschebestandteilen. Aus dieser Zusammenstellung folgt, daß die heutige Physiologie des Stoff- wechsels eine volle Genauigkeit bei der Bestimmung der Einnabmen noch lange - nicht erreicht hat, wenn auch dieser Mangel aller Wahrscheinlichkeit nach nur in Ausnahmefällen erheblichere Fehler bewirken dürfte. Es ist indes noch eine nicht unwesentliche Fehlerquelle zu berücksichtigen, nämlich daß die zur Analyse entnommene Probe der durchschnittlichen Zusammen- setzung des betreffenden Nahrungsmittels nicht immer völlig entspricht. Um dessen ganz sicher zu sein, sollte man eigentlich die Kost ganz fein zerkleinern und erst dann die Probe nehmen. Etwa in dieser Weise verfährt man bei Versuchen an Tieren. Bei Versuchen am Menschen ist dies aber in der Regel lange nicht mög- lich, vor allem weil wir nicht daran gewöhnt sind, ausschließlich eine breiige Kost zu genießen. Hier müssen daher besondere Vorsichtsmaßregeln beobachtet werden, welche indes hier nicht näher besprochen werden können. 8 2. Die Ausgaben. Die beim Stoffwechsel gebildeten Produkte bleiben nicht im Körper, sondern werden durch die Ausscheidungsorgane — die Lungen, die Haut, die Nieren und den Darm — vom Körper abgegeben. Der Körper befindet sich in stofflichem Gleichgewicht, wenn die in den Ausgaben erscheinenden Elemente mit den in der Kost aufgenommenen quantitativ und qualitativ übereinstimmen. Insofern sich die Ausgaben auf die Stoffwechselprodukte der organischen Nahrungsstoffe beziehen, enthalten sie als elementare Bestandteile N, S, P, C, H und O0. Stickstoff, Schwefel und Phosphor entstammen den Eiweißkörpern, Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff sowohl diesen als den Fetten und Kohlehydraten. Da die Moleküle der organischen Nahrungsstoffe beim Stoff- wechsel zerfallen, kann nur die Elementaranalyse der Ausgaben die ge- wünschten Aufschlüsse über den Umfang der im Körper stattgefundenen Zersetzung geben. Für die Eiweißkörper stellt der Stickstoff den am meisten charakteri- stischen elementaren Bestandteil dar. Um die Menge des im Körper ver- brannten Eiweißes zu bestimmen, genügt daher in der Regel die Bestimmung des Stickstoffs; man braucht also meistens nicht den Schwefel besonders zu berücksichtigen und den Phosphor nur dann, wenn es gilt, das Verhalten der P-haltigen Eiweißkörper beim Stoffwechsel zu untersuchen. Von den übrigen Elementen der Nahrungsstoffe ist der Kohlenstoff bei derartigen Untersuchungen unbedingt als das wichtigste zu bezeichnen. Wenn wir neben der N-Abgabe die Kohlenstoffabgabe genau bestimmt haben, so erhalten wir, nach Abrechnung des in dem zersetzten Eiweiß enthaltenen Kohlenstoffs, einen Rest an Kohlenstoff, welcher die zersetzte Fett- und Kohlehydratmenge ausdrückt. Um die solcherart erhaltene Kohlenstoffmenge auf die beiden Gruppen der N-freien Nahrungsstoffe bestimmt verteilen zu können, ist die Ermittelung des gleichzeitigen Sauerstoffverbrauches unbedingt notwendig. Vgl. darüber unten S. 340. Die'gasförmigen Ausscheidungsprodukte. 337 Auch die Bestimmung der Wasserstoffabgabe ist aus verschiedenen Ge- sichtspunkten bedeutungsvoll. Hierbei muß indes bemerkt werden, daß ein großer Teil des als Wasser vom Körper abgegebenen Wasserstoffs schon als Wasser vom Körper aufgenommen worden ist und also kein Produkt der im Körper stattgefundenen Verbrennung darstellt. Der in den Ausscheidungen enthaltene Sauerstoff ist zum größten Teil behufs der Oxydation der organischen Nahrungsstoffe durch die Atmung aufgenommen . und rührt nur in geringem Grade von den letzteren her. Wie sonst wird er durch die Differenz bestimmt, und zwar nur in dem Falle, wenn alle anderen vom Körper abgegebenen Elemente direkt bestimmt worden sind. Die Elementaranalyse der aus den organischen Nahrungsstoffen stammen- den Ausgaben beschränkt sich also auf Stickstoff (Schwefel und Phosphor), Kohlenstoff und Wasserstoff, wozu noch die Bestimmung des aufgenommenen Sauerstoffs hinzukommt. In vielen Fällen ist es jedoch notwendig, einzelne in den Ausgaben des Körpers erscheinende Verbindungen an und für sich zu bestimmen, teils um einen tieferen Einblick in die Art und Weise der Stoffwechselvorgänge zu gewinnen, teils auch um das Verhalten der einzelnen Nahrungsstoffe im Darme festzustellen. Die Analysen der Ausgaben werden nach gewöhnlichen Methoden aus- geführt; dieselben erfordern in diesem Zusammenhange keine Besprechung. Dagegen müssen die Methoden zum quantitativen Aufsammeln der Ausscheidungsprodukte hier in ihren allgemeinen Zügen erörtert werden, weil dieselben für die Physiologie des Stoffwechsels eine durchgreifende Be- deutung haben. I. Das Sammeln der Ausscheidungsprodukte. a) Das Sammeln der gasförmigen Ausscheidungsprodukte und die Bestimmung des verbrauchten Sauerstoffs. „ Eigentümlicherweise bezogen sich die ersten quantitativen Bestimmungen der Ausgaben des Körpers gerade auf die am schwierigsten zu sammelnden Exkretionsprodukte, die gasförmigen. Zu diesem Zwecke benutzte La- voisier, teilweise im Verein mit Laplace und Seguin, folgende Methoden. 1. Er schloß das Versuchstier (einen Sperling) in eine abgeschlossene Glasglocke von 31 Cubikzoll Inhalt ein und ließ es hier bis zum Tode bleiben, welcher nach 55 Minuten eintrat. Danach analysierte er die in der Glocke enthaltene Luft !). 2. Im Verein mit Laplace?) schloß er ein Meerschweinchen in ein Gefäß ein, welches er die ganze Versuchsdauer hindurch ventilierte. Die ausströmende Luft wurde auf Kohlensäure und Wasserdampf analysiert. 3. Ebenfalls im Verein mit Laplace (und S&guin) schloß Lavoisier®) ein Meerschweinchen in ein mit reinem Sauerstoff gefülltes Gefäß ein; die abgegebene Kohlensäure wurde durch Lauge absorbiert und bei länger dauerndem Versuche neuer Sauerstoff in bestimmten Mengen zugeführt. 4. Bei Lavoisiers Versuchen am Menschen atmete die Versuchsperson durch eine Gesichtsmaske; die durch dieselbe exspirierte Luft wurde gemessen und ana- !) Me&moires de l’Acad&mie des sciences, Paris 1777, p. 185. Oeuvres de La- voisier 2, 177. — ?) Ebenda 1780, p. 355. Oeuvres de Lavoisier 2, 327. — 3) Ebenda 1780; 1789, p. 185. Oeuvres de Lavoisier 2, 326, 693. Nagel, Physiologie des Menschen. I. PP} 338 Die gasförmigen Ausscheidungsprodukte. lysiert!). Die Anordnung dieser Versuche geht aus zwei von Mme. Lavoisier ausgeführten Zeichnungen, welche Grimaux) in seinem Buche über Lavoisier mitgeteilt hat, sehr deutlich hervor. Es liegt ganz außerhalb der Aufgabe dieses Handbuches, eine Darstellung der verschiedenen Methoden zu geben, welche seitdem zur quantitativen Be- stimmung des Gaswechsels benutzt wurden. Ich werde daher, ohne An- sprüche auf Vollständigkeit zu erheben, nur die wichtigsten unter denselben kurz erwähnen und verweise in bezug auf ältere Arbeiten auf die Zusammen- stellungen von Zuntz und Voit in Hermanns Handbuch der Physiologie, Ba. IV, 2 und VI 1. Diese sämtlichen Versuchsweisen gründen sich auf die von Lavoisier und seinen Mitarbeitern praktisch geprüften Methoden. Die zweite Methode wurde am Menschen zuerst in kleinem Maßstabe von Scharling?°) und dann von Pettenkofer ?) in seinem großen Respirationsapparate angewandt. Der Respirationsapparat von Voit) stellt im großen und ganzen nur eine Ver- kleinerung dieses Apparates dar. Nach demselben Grundprinzip sind ferner die Respirationsapparate von Liebermeister®), Stohmann’), Kühn), Leyden und Fränkel?), Sonden und mir !0), Rubner!!) und Jaquet !2) sowie das Respirationskalorimeter von Atwater und Rosa 3) konstruiert. Die dritte Methode Lavoisiers wurde von Regnault und Reiset!*) zu großer Vollkommenheit ausgebildet, von Reiset!’) auch auf größere Säuge- tiere angewandt, sowie von Hoppe-Seyler !6) bei Versuchen am Menschen benutzt. Andere Autoren !’) haben derartige, für kleinere Tiere eingerichtete Apparate gebaut. Bei allen diesen wird die abgegebene Kohlensäure durch Lauge absorbiert und statt derselben reiner Sauerstoff automatisch zugeführt. Prinzipiell gehört hierher auch eine von Röhrig und Zuntz!°) aus- gearbeitete Methode, bei welcher das Versuchstier aus einem Behälter Sauer- stoff einatmet und in denselben wieder ausatmet, wobei die ausgeatmete Luft durch zweckmäßig wirkende Ventile ein mit Lauge beschicktes Gefäß zu passieren hat. Die Bestimmungen, welche unter Anwendung eines Respirationsapparates ausgeführt werden, sind 1. die Kohlensäureabgabe, 2. die Abgabe von Wasser- dampf, 3. die Aufnahme von Sauerstoff. !) M&moires de l’Acaddmie des sciences, Paris 1789. Oeuvres de Lavoisier 2, 695. — °) Grimaux, Lavoisier 1743—1794, Paris 1888, p. 119, 129. — ®) Ann. d. Chem. u. Pharm. 45, 218, 1843. — *) Ebenda, 2. Suppl.-Bd., 8. 1, 1863. — °) Zeitschr. f. Biol. 11, 532, 1875. — °) Deutsch. Arch. f. klin. Med. 7, 75, 1870. — 7) Landwirtschaftl. Versuchsstat. 19, 93, 1876. — °®) Ebenda 44 (1894). — °) Arch. f. path. Anat. 76, 150, 1879. — '!°) Skand. Arch. f. Physiol. 6, 7, 1895. — l) Arch. f. Hygiene 26, 32, 1896. — !?) Verhandl. d. Naturf. Ges. zu Basel 15, 252, 1903. — '°) U. 8. Depart. of Agriculture, Off. of exp. stat., Bull. No. 44, 1897; No. 63, 1899; No. 69, 1899; No. 109, 1902; No. 136, 1903. Andere derartige Apparate sind ferner noch von Laulanie, Arch. de physiol. 1895, p. 617, Hal- dane, Journ. of Physiol. 13, 419, 1902, und anderen Autoren beschrieben. — '*) Ann. de chimie et de physique, 3. serie, 26, 1 (1849). — !?) Ebenda, 3. serie, 69, 129, 1863. — 1) Zeitschr. f. physiol. Chemie 19, 574, 1894. — ') Colasanti, Arch. f. d. ges. Physiol. 14, 94, 1877; Seegen u. Nowak, ebenda 19, 370, 1879; Leo, ebenda 26, 221, 1881; Nemser, ebenda 45, 284, 1889; Heerlein, ebenda 52, 170, 1892; Pflüger, ebenda 77, 443, 1899; Bleibtreu, ebenda 85, 366, 1901; Rosenthal, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1902, 8. 167; Zuntz, ebenda 1903, Suppl. 8. 492. — !#) Arch. f. d. ges. Physiol. 4, 83, 1871; Wolfers, ebenda 32, 227, 1883. Die gasförmigen Ausscheidungsprodukte. 339 Bei allen soeben erwähnten Apparaten läßt sich die Bestimmung der Kohlensäureabgabe sehr genau machen. Zur Prüfung ihrer Leistungsfähigkeit in dieser Hinsicht läßt man im Apparate Stearin, Alkohol oder Petroleum von bekanntem Kohlenstoffgehalt brennen und bestimmt die entwickelte Kohlen- säure. Ganz wie bei der organischen Elementaranalyse kann man dann die berechneten und die gefundenen Mengen untereinander vergleichen. Das Resultat dieser Prüfungen ist für einige der oben erwähnten Apparate in folgender Tabelle aufgenommen: | | Kohlensäure; Apparat mittlerer Fehler E | Proz. Hotkeukotae 0 0 u | 1,96!) DET A MEERE 1,76 Stohmann ..... | 1,45 Leyden u. Fränkel . . RETRO EN 1,58 Sonden u. Tigerstedt ....... 1,16?) Bar EEE RR AEINTEDLG | 0,54 ?) Viel schwieriger ist die Bestimmung des abgegebenen Wasserdampfes gewesen. Zwar erhielt Pettenkofer bei seinen ersten Versuchen ziemlich befriedigende Resultate: bei 5 Versuchen einen Maximalfehler von — 6,7 Proz. und einen mittleren Fehler von 4,4 Proz. Zwei folgende Reihen zeigten indes ungünstigere Resultate, im Durchschnitt von 4 Versuchen 6,4 Proz. GC. und E.Voit und Forster suchten durch Prüfung aller Einzelheiten des Apparates die Ursache dieses Fehlers näher aufzuklären und kamen zu dem Schluß, daß der Fehler auf unvollständiger Verbrennung des Stearins be- ruhte. Wenn sie Wasser direkt abdampfen ließen, erhielten sie als Durch- schnitt von drei Versuchen einen Fehler von nur — 3 Proz. Inwieweit diese Erklärung das Richtige getroffen hat, mag unentschieden bleiben. Jedenfalls kommt noch ein anderer Umstand hinzu, auf welchen Stohmann die Aufmerksamkeit richtete. Wenn ein mit Ölfarbe angestrichenes Metall feuchter Luft ausgesetzt wird, so entsteht eine Absorption von Wasserdampf, und eine Wasser- abgabe erfolgt wieder, wenn die Luft trockener wird. Dieses Phänomen ist mit der gewöhnlichen Kondensation ‚des Wasserdampfes durchaus nicht zu verwechseln, denn das absorbierte Wasser kann nicht als sichtbare Feuchtigkeit mit den Augen er- kannt, wie auch nicht durch Löschpapier oder Leinwand weggeschafft werden‘). Durch zweckmäßige Wahl des Wandmaterials hat man indessen später viel genauere Bestimmungen des Wasserdampfes erzielen können. Im Respirationskalorimeter von Atwater und Rosa beträgt der Fehler in 23 Versuchen durchschnittlich nur 1,65 Proz.5); und auch Rubner)gibt an, daß ‘) Ann. d.. Chemie u. Pharm., 2. Suppl.-Bd., 1863; C. u. E. Voit u. Forster, Zeitschr. f. Biol. 11, 126, 1875. — ?) Vgl.auch Rosenberg, Skand. Arch. f. Physiol. 16, 67, 1904. — °) Hier sind auch 2 Kontrollversuche aufgenommen, bei welchen irgend- welche Zufälligkeiten das Ergebnis fehlerhaft machten. Wenn diese Versuche aus- geschlossen werden, beträgt der prozentige Fehler in 25 Kontrollversuchen nur 0,016. — *) Die landwirtschaftl. Versuchsstationen 19, 104, 1876.—°) U. S. Depart. of Agrieult., Off. of exp. Stat., Bull. No. 136, p. 38, 1903. Von der Reihe sind vier Versuche aus- geschlossen, bei welchen Zufälligkeiten das Resultat abnorm schlecht machten. — ) Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches, Leipzig und Wien 1903, 8.17. 22* 340 Die gasförmigen Ausscheidungsprodukte. bei seinem Apparat jeder Fehler der Wasserbestimmung durch Kondensation absolut beseitigt ist. Doch ist zu bemerken, daß das Respirationskalorimeter von Atwater und Rosa einen Cubikinhalt von nur 4,8cbm und die Respirationskammer von Rubner einen von 7,5cbm hat, während der Luft- raum im Pettenkoferschen Apparat 12,7cbm und in dem von Sonden und mir 100,65 cbm beträgt. Mit Apparaten nach Regnault und Reiset hat man, meines Wissens, nie versucht, Bestimmungen der Wasserabgabe zu machen. Bis jetzt ist es nur Jaquet und, nach brieflicher Mitteilung, Atwater gelungen, unter Anwendung eines durch einen ununterbrochenen Luftstrom ventilierten Respirationsapparates den Sauerstoffverbrauch mit genügender FExaktheit direkt zu bestimmen. Da indes die Kenntnis von dem Sauerstoff- verbrauch für Stoffwechseluntersuchungen von der größten Bedeutung ist, suchte Pettenkofer denselben indirekt zu ermitteln. Die Differenz zwischen dem Anfangsgewicht der Versuchsperson, plus allen seinen direkt bestimmten Einnahmen, minus aller Ausgaben und des Endgewichts ergibt die Sauer- stoffaufnahme. Jedoch kann diese Berechnung nie völlig befriedigende Re- sultate geben, denn alle Analysenfehler werden sich ja bei derselben geltend machen müssen, und insbesondere wird der Fehler der Wasserbestimmung hierbei einen sehr bedenklichen Einfluß ausüben. Auch hat man nur sehr selten Versuche gemacht, um in dieser Weise die Sauerstoffaufnahme zu bestimmen. Dagegen sind die nach Regnault und Reiset gebauten Apparate ganz besonders für die direkte Bestimmung des Sauerstoffs geeignet; hat man ja nur die Luft in der Respirationskammer vor und nach dem Versuche auf Sauer- stoff zu analysieren und die Menge reinen Sauerstoffs zu bestimmen, welche aus den Behältern in die Respirationskammer übergeht. Unter Anwendung von Respirationsapparaten nach Pettenkofer oder Regnault und Reiset kann man sogar am Menschen tagelang die Kohlen- säure- und Wasserabgabe (bzw. die Sauerstoffaufnahme) ununterbrochen be- stimmen. Solche Apparate sind aber sehr kostspielig und erfordern ziemlich viel Raum, weshalb sie nicht in allen Laboratorien eingerichtet werden können. Darin liegt wesentlich die Ursache, weshalb man in der letzten Zeit vielfach Apparate nach der vierten Methode Lavoisiers benutzt hat, d.h. Apparate, “ bei welchen das Versuchsindividuum durch eine Gesichtsmaske oder ein Mundstück, bei Tieren durch eine Trachealkanüle atmet und die eingeatmete wie die ausgeatmete Luft durch zweckmäßig eingerichtete Ventile vonein- ander getrennt wird. Die bewegten Luftmengen werden gemessen und analysiert; wegen des hier in Betracht kommenden kleinen Luftvolumens läßt sich auch die Sauerstoffbestimmung mit großer Präzision ausführen. Unter den von verschiedenen Autoren benutzten Versuchsanordnungen dieser Art sind die im Laboratorium von Zuntz!) ausgebildeten Methoden !) Zuntz und Geppert, Arch. f. d. ges. Physiol. 42, 196, 1888; Strass- mann, ebenda 49, 321, 1891; Loewy, ebenda 49, 492, 1891; Magnus-Levy, ebenda 55, 1, 1894. Vgl. unter anderem noch Speck, Schriften d. Ges. zur Beförd. der Naturw. zu Marburg 10, 1871; Hanriot und Richet, Ann. d. chimie et de phys., 6. serie, 22, 1, 1891 und Travaux du laboratoire de Richet 1, 470, 1893; Tissot, Archives de physiologie 1896, p. 563. u Allein u Iiesuuuuiie. 4 Sul Ai ee ee Harn und Kot. 341 in erster Linie zu nennen, weil sie sich vielfach sehr gut bewährt haben und sogar bei Bergbesteigungen und Ballonfahrten!) erfolgreich benutzt worden sind. | Obgleich diese Methode an dem wesentlichen Übelstande leidet, daß die Versuchsperson, wenigstens bis sie sich an den Apparat gewöhnt hat, unter abnormen Bedingungen atmet?), und daß daher die Beobachtung nur eine verhältnismäßig kurze Zeit (1/, bis /, Stunde, zuweilen auch etwas länger) ohne Unterbrechung ausgeführt werden kann ?), muß sie dennoch als in vielerlei Hinsicht sehr wertvoll bezeichnet werden, vor allem, wenn es gilt, schnell ein- tretende und schnell vorübergehende Veränderungen des Stoffwechsels zu er- forschen. So hat sie die Einwirkung der Muskelarbeit auf den Stoffumsatz in vielen wesentlichen Punkten aufgeklärt. Daß sie dagegen nicht genügt, um die Stoffwechselgröße pro 24 Stunden festzustellen, ist nach dem schon Angeführten ohne weiteres ersichtlich. b) Das Sammeln von Harn und Kot. In unserer Zeit erscheint die Frage nach dem Sammeln der flüssigen und festen Exkrete behufs der Analyse außerordentlich einfach — es hat aber geraume Zeit gedauert, bis man so weit gekommen ist. Betreffend den Harn ist vor allem zu bemerken, daß er für die gesamte Dauer des Versuches gesammelt werden muß. Man hat sich daher davon zu vergewissern, daß die Blase sowohl im Beginn als am Ende der Versuchs- periode ganz leer ist. In erster Linie hat Voit auf die früher begangenen Fehler beim Sammeln des Harns aufmerksam gemacht und gezeigt, wie diese zu vermeiden waren ®). Man meinte, daß kein namhafter Verlust an Harn entstehen konnte, wenn der Harn des Versuchstieres auf den (hölzernen) Boden des Käfigs gelassen und von diesem in geeigneter Weise gesammelt wurde. Die direkte Prüfung ergab indessen, daß diese Annahme ganz unrichtig war, und daß man viel strengere Vorsichtsmaßregeln einzuhalten hatte. Zu diesem Zwecke richtete Voit seine Versuchshunde so ab, daß sie den Harn niemals in den Käfig, sondern nur außerhalb desselben in ein untergehaltenes Glas entleerten, oder auch wurde das Tier katheterisiert. Bei Hündinnen ist dies nach Spaltung des vorderen Teiles der Harnröhre (C. Ph. Falck°) sehr einfach; aber auch männliche Hunde lassen sich mit sehr feinen elastischen Röhrchen kathe- terisieren 6). Es ist aber nicht an allen Tieren möglich, das Katheterisieren durch- zuführen, und um dennoch sicher zu sein, allen Harn der Versuchsperiode zu bekommen, hat man verschiedene Einrichtungen ersonnen, welche jedoch hier nicht beschrieben werden können. Auch hat es sich erwiesen, daß man bei zweckmäßiger Konstruktion des Bodens der Käfige (Drahtgitter, durch welches Y) Arch. f. d. ges. Physiol. 63, 466, 1896; 66, 481, 1897. — °) Vgl. Speck, Physiol. d. menschl. Atmens, Leipzig 1892, S. 215. Katzenstein, Arch. f.d. ges. Physiol. 49, 380, 1891; Hoppe-Seyler, Zeitschr. f. physiol. Chemie 19, 578, 1894. — °) Smith hat es durchgesetzt, 18 Stunden lang mit alleiniger Unter- brechung für die Mahlzeiten durch eine Maske zu atmen (Philosophical Transactions 139, 690, 1859). — *) Zeitschr. f. Biol. 4, 318, 1868. — °) Arch. f. path. Anat. 9, 57, 1856. — °) Vgl. Voit, 8. 25. 342 Harn und Kot. — Schweiß. der Harn sogleich in einen weiten Trichter abfließt; Spülen des Gitters) vollkommen brauchbare Resultate erzielen kann !). Beim erwachsenen Menschen begegnet es im allgemeinen keiner Schwierig- keit, den Gesamtharn einer Periode zu erhalten. | Es ist selbstverständlich, daß die Untersuchung. des Kotes nur dann für das Studium der Stoffwechselvorgänge eine Bedeutung haben kann, wenn der betreffende Kot sich auf eine bestimmte Kost bezieht. Indessen ist der Darm bei allen Tieren mehr oder weniger gefüllt, und man muß daher den Versuchskot in geeigneter Weise vom früheren und späteren Kote abgrenzen. Eine wirkliche Abgrenzung ist bei den Pflanzenfressern nicht möglich; man kann die Schwierigkeit aber in der Weise umgehen, daß man dem Versuchs- tiere mehrere Tage lang das Versuchsfutter gibt und den eigentlichen Versuch erst dann beginnt, wenn man annehmen kann, daß aller früherer Darminhalt entleert ist. Beim Fleischfresser beobachteten Bidder und Schmidt, daß der schwarze, pechartige Kot nach Fleischfütterung sich leicht von dem volumi- nösen, dem Brote ähnlichen Exkrementen nach Aufnahme von Schwarzbrot unterscheiden läßt?2). Dann untersuchten Bischoff und Voit die Frage genauer, stellten die Unterschiede des Kotes bei verschiedener Fütterung dar und konnten dadurch eine wirkliche Kotabgrenzung erzielen). Als besondere Abgrenzungsmittel wurden später frische Knochen (G. Meyer), Badeschwamm (Adamkiewicz), Korkstückchen (Salkowski und I. Munk®), Kieselsäure (Cremer und Neumayer°) usw. benutzt. Bei Versuchen am Menschen suchte J. Ranke die Abgrenzung des Ver- suchskotes durch Preißelbeeren zu erzielen®). Weiske’) und G. Meyer’) grenzten bei Versuchen mit vegetabilischer Kost den Versuchskot dadurch ab, daß sie vor und nach dem Versuche reine animalische Kost ohne Zusatz von Stärke oder Cellulose darreichten. Später führte Rubner die Abgrenzung durch Milch ®) oder Ruß 10) ein; Hultgren und Landergren !!) benutzten ge- trocknete Blaubeeren, Ad. Schmidt!?) Karmin usw. Betreffend die Frage, wie diese Abgrenzung im Detail ausgeführt wird, verweise ich auf die unten zitierten Arbeiten. c) Das Sammeln von Schweiß. Der von der Körperoberfläche abgegebene Wasserdampf wird in den Respirationskammern gleichzeitig mit dem durch die Respirationswege aus- geschiedenen bestimmt. Zum Sammeln der festen Bestandteile, welche im Schweiß abgegeben werden, hat Argutinsky!?) folgendes Verfahren ein- geschlagen. Wenn die Schweißabsonderung durch ein Dampfbad erzeugt wurde, saß die nackte Versuchsperson auf einem Holzstuhl, der in ein Sitzbad !) Vgl. Voit, 8. 26. — *) Bidder u. Schmidt, Die Verdauungssäfte und der Stoffwechsel. Mitau u. Leipzig 1852, 8. 217. — °) Voit, Physiol. chem. Unters. 1, 14, 1857; Bischoff u. Voit, Die Gesetze der Ernährung des Fleischfressers. Leipzig u. Heidelberg 1860, 8. 289. — *) Voit, 8. 32. — °) Zeitschr. f. Biol. 35, 391, 1897. — °) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1862, 8. 315. — 7?) Zeitschr. f. Biol. 6, 458, 1870. — ®) Ebenda 7, 18, 1871. — °) Ebenda 15, 119, 1879. — !*) Ebenda 19, 56, 1883. — !!) Skand. Arch. f. Physiol. 2, 376, 1890. — !?) Siehe bei Ad. Schmidt u. Strasburger, Die Fäces des Menschen. Berlin 1902, 8. 5. — ') Arch. f.d. ges. Physiol. 46, 594, 1890. RR Ze ee ee ee ee u ae eh N u ee Me Be Ma Be Ben. Dh Sonstige Abgaben. — Die Abgaben durch die Respiration. 343 aus Zinkblech gestellt war, so daß der herabfließende Schweiß fast vollständig gesammelt werden konnte, während der auf dem Körper zurückgebliebene Schweiß nicht berücksichtigt wurde. — Um am bekleideten Körper den Schweiß unter, soweit möglich, normalen Verhältnissen zu sammeln, wurde aus wohl ausgewaschenem Flanell ein Anzug und aus dünnem Jägerwollstoff ein Hemd und Unterhosen gemacht. In diesen Kleidern wurde der abgesonderte Schweiß zurückgehalten und nach Ende des Versuches der Stickstoff in Hemd, Unterhosen, Weste und Hut bestimmt. d) Sonstige Abgaben vom Körper. Der Körper erleidet noch dadurch Substanzverlust, daß Stoffe von ihm ab- gegeben werden, welche nicht Produkte der in ihm stattfindenden Verbrennung darstellen. Hierher gehört der Verlust durch Abschuppen der Epidermis, durch Schneiden von Haaren und Nägeln, durch die Abgabe von Sperma und Menstrual- blut, durch die Milchsekretion. Durch abfallende Haare verliert der Ochs täglich nicht mehr als 2,2 bis 2,8g N, während seine tägliche Stickstoffabgabe im Harn und Kot 100 bis 200g beträgt. Auf demselben Wege gibt der Hund täglich nur etwa 0,18 und der Mensch 0,03g N ab. Durch Schneiden der Nägel ist der täg- liche Verlust an N etwa 0,0007g N (Moleschott!). Diese Substanzverluste sind also im großen und ganzen sehr gering; auch werden sie bei Stoffwechselversuchen nicht in Betracht gezogen, da die bei diesen sonst auftretenden, unvermeidlichen Fehler an sich viel mehr betragen. Die Substanzverluste durch Abgabe von Sperma, Menstrualblut und Milch sind viel beträchtlicher und müssen selbstverständlich genau berücksichtigt werden. In der Regel werden sie aber bei Stoffwechselversuchen vermieden, wenn sich die Untersuchung nicht speziell auf die Feststellung ihres Einflusses richtet. II. Die Verteilung der einzelnen Elemente auf die verschiedenen Ausscheidungen. a) Die Abgaben durch die Respiration. Daß Kohlenstoff und Wasserstoff in Form von Kohlensäure und Wasser von den Lungen abgegeben werden, ist seit dem Anfang der wissenschaft- lichen Untersuchungen über den Stoffwechsel bekannt und bedarf hier keiner näheren Erörterung. Anders stellt es sich mit dem Stickstoff und den N-haltigen Produkten. Von vornherein läßt es sich ja nicht bestreiten, daß freier Stickstoff als Stoff- wechselprodukt bei der Exspiration vom Körper abgegeben werden könnte, und dasselbe wäre ja auch mit etwaigen N-haltigen, gasförmigen Verbin- dungen möglich. Nur mit Hilfe von Apparaten nach Regnault und Reiset ist es mög- lich, die quantitativen Veränderungen des freien Stickstoffs bei länger dauernden Stoffwechselversuchen zu bestimmen. In den zahlreichen, von den genannten Autoren veröffentlichten Beobachtungen finden wir auch eine, wenn auch geringe Abgabe von Stickstoff 2). Dieselbe beträgt durchschnitt- lich nach einer Berechnung von Zuntz beim Kaninchen 0,004 und beim Hunde 0,007 g pro Kilogramm und Stunde 3). Die einzelnen Beobachtungen weichen aber untereinander sehr erheblich ab, indem sie beim Kaninchen !) Vgl. Voit, 8. 51. — *) Ann. de chim. et de phys., 3° serie, 27 (1849). — ®) Hermanns Handb. d. Physiol. 4 (2), 132. 344 Die Abgaben durch die Respiration. zwischen 0,007 und 0,0007 und beim Hunde zwischen 0,024 und OÖ bis — 0,005 g variieren. NReiset fand beim Schaf eine N- Abgabe von 0,003 bis 0,0055, beim Kalb eine von 0,004 bis 0,003 pro Kilogramm und Stunde !). Seegen und Nowak beobachteten in der Exspirationsluft beim Kaninchen 0,005 (0,004 bis 0,006), beim Hunde 0,008 (0,006 bis 0,009) N pro Kilo- gramm und Stunde ?2). Ein Hund von30 kg Körpergewicht würde demnach im Laufe von 24 Stunden 5,8 g Stickstoff, d. h. bei Fütterung mit 1500 g Fleisch (— 5lg N) mehr als 11 Proz. des Gesamtstickstoffs in Gasform abgeben. Demgegenüber kann aber bemerkt werden, daß sogar bei einem Respira- tionsapparat nach Regnault und Reiset nicht unbedeutende Fehler der N-Bestimmung unterlaufen können. In dieser Hinsicht bemerken Petten- kofer und Voit?) den genannten Autoren gegenüber, daß eine Abgabe von freiem Stickstoff durch Verunreinigung des gebrauchten Sauerstoffs, durch Diffusion von außen her, durch nicht beobachtete Temperaturunterschiede im Apparat, durch Zersetzung des Harnammoniaks beim Glühen der Luft hätte vorgetäuscht werden können. Auch könnte dieser Stickstoff zum Teil aus der Haarbekleidung oder aus der im Darme befindlichen verschluckten Luft herrühren. In der Tat zeigten die bald nachher folgenden Versuche von Leo, daß .die scheinbare Abgabe von freiem Stickstoff um so geringer wurde, je besser es gelang, alle Fehlerquellen auszuschließen. Beim Kaninchen erhielt er nämlich pro Kilogramm und Stunde durchschnittlich nur 0,00042g N, also weniger als 1/0. der von Seegen und Nowak beobachteten Ausscheidung ?). Diese Zahl fällt übrigens schon innerhalb der Grenzen der unvermeidlichen Versuchsfehler. Wir können daher mit großer Wahrscheinlichkeit behaupten, daß freier Stickstoff als Stoffwechselprodukt nicht in erwähnenswerter Menge in den gasförmigen Exkreten abgegeben wird. Daß eine N-Abgabe sehr geringen Umfanges völlig ausgeschlossen ist, ist dagegen nicht einwandfrei bewiesen. Zuntz hat nämlich über Versuche von Tacke berichtet, nach welchen beim Kaninchen meistens eine geringe, aber immerhin die Grenzen der möglichen Versuchsfehler übersteigende Menge gasförmigen Stickstoffs abgegeben wird. Bei Zufuhr von salpetersaurem oder salpetrigsaurem Ammon in den Magen steigt diese Abgabe beträchtlich an — möglicherweise findet hierbei eine Spaltung nach der Gleichung NH,.NO, = N, + 2H,0 statt. Nach Zuntz dürften Gärungsprozesse im Darme das Agens darstellen, welches diesen Zer- setzungsprozeß einleitet °). Defren bemerkt, daß im kondensierten Wasser der Exspirationsluft Nitrate und insbesondere Nitrite nachgewiesen werden können°®). Nach Atwater und Benedict ist indes die Menge derselben außerordentlich gering, und es ist also höchst wahrscheinlich, daß keine meßbare Quantität Stickstoff auf diesem Wege den Körper verläßt?). Mit großer Bestimmtheit vertraten Brown-Söquard und d’Arsonval die Ansicht, daß die exspirierte Luft stark giftige Substanzen enthält, und es lag !) Ann. de chim. et de phys., 3° serie, 69 (1863). — ?) Arch. f. d. ges. Physiol. 19, 414, 1879. — °) Zeitschr. f. Biol. 16, 508, 1880; vgl. auch Seegen: und Nowak, Arch. f. d. ges. Physiol. 25, 383, 1881. — *) Ebenda 26, 235, 1881. — 5) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1886, 8. 560. — °) Exper. Stat. Record 8, 385, 1897. — 7) U. 8. Depart. of Agricult., Off. of exp. Stat., Bull. No. 109, p. 18, 1902. Die Abgaben durch die Haut. 345 natürlich sehr nahe, anzunehmen, daß dieselben N-haltig waren. Von den Bemer- kungen verschiedener Autoren veranlaßt, machten sie mit vervollkommneten Ver- suchsanordnungen neue Versuche, welche immer wieder dasselbe Resultat gaben '). Indes wies Formanek, wie es scheint, vollkommen einwandfrei nach, daß die Ursache der betreffenden giftigen Wirkungen nicht in der Gegenwart toxischer Verbindungen in der Exspirationsluft lag, sondern daß dieselben vom Ammoniak, welches aus dem festen und flüssigen Exkrete der Versuchstiere in die Luft über- gegangen war, hervorgerufen waren’). Soweit es die Untersuchung des Stoffwechsels betrifft, haben wir daher in den Respirationsprodukten nur die Kohlensäure „und den Re zu berücksichtigen. b) Die Abgaben durch die Haut. "Perch die Haut wird vor allem Wasser abgegeben. Da dasselbe ver- dampft, wird es in den Respirationsapparaten gleichzeitig mit dem Respirations- wasser bestimmt. Die Menge des Wassers, welche bei Versuchen am Menschen in den Kleidern zurückbleibt, wird durch Wägen derselben vor und nach dem Versuche ermittelt. Der Schweiß enthält aber auch feste Bestandteile, unter welchen der Harnstoff der wichtigste ist. Die Menge desselben kann (beim Menschen) unter Umständen eine nicht zu vernachlässigende Größe betragen. So fand Argutinsky, daß während eines Dampfbades von !/, bis 3/, Stunde Dauer im Schweiß 0,25 bis 0,26g N ausgeschieden wurden. Nach einem langen Spaziergang wurden im Schweiß bis zu 0,76g N beobachtet®). Atwater und Benedict?) fanden beim ruhenden Menschen bei gewöhnlicher Zimmer- temperatur pro Tag nur 0,025g N im Schweiß, beim arbeitenden dagegen durchschnittlich 0,29g (Minimum 0,20, Maximum 0,66 g). In dem tropischen Klima von Java beobachtete Eykman’) bei Ruhe eine tägliche Abgabe von 0,76 g N und bei leichter Arbeit eine von 1,36 g N im Schweiß. Im allgemeinen braucht man aber die N-Abgabe durch den Schweiß nicht zu berücksichtigen; unter besonderen Umständen bewirkt aber ihre Vernachlässigung einen nicht unbeträchtlichen Fehler. Endlich wird auch Kohlensäure durch die Haut abgegeben. Bei Ver- suchen in der Respirationskammer addiert sie sich zu der bei der Exspiration abgegebenen Kohlensäure. Nach direkten Bestimmungen von Schierbeck ®) und v. Willebrand’) ist die von der Haut ausgeschiedene Kohlensäure- menge jedenfalls nur eine geringe. Pro 24 Stunden berechnet betrug sie bei einer Temperatur von 20 bis 32°C etwa 7,2 bis 8,4g (= 2 bis 2,3g C). Wenn die Temperatur zu dem Punkte stieg, wo sichtbarer Schweiß hervor- brach (etwa 33°C), nahm die Kohlensäureabgabe durch die Haut auf etwa 31 bis 32g (= 8,5 bis 8,7g C) zu. !) Compt. rend. de l’Acad&mie des sciences (Paris) 106, 106, 165, 1888; 108, 267, 1294, 1889; Archives de physiol. 1894, p. 113; vgl. auch Merkel, Arch. f. Hygiene 15, 1, 1892; Haldane u. Smith, Journ. of Pathol. and Bacteriol. 1 (1893). — ?) Arch. f. Hygiene 38, 1, 1900. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 46, 594, 1890. — *) U. S. Depart. of Agricult., Off. of exp. Stat., Bull. No. 69, p. 24, 1899; Bull. No. 136, p. 118, 1903. — °) Arch. f. path. Anat. 131, 177, 1893. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1893, 8. 116; Arch. f. Hygiene 16, 218, 1893. — 7) Skand. Arch. f. Physiol. 13, 351, 1902. 346 Die Abgaben durch die Nieren und den Darm. c) Die Abgaben durch die Nieren. Wenn wir wie früher von den Abgaben der Aschebestandteile absehen, so sind im Harne nur Stickstoff (Schwefel, Phosphor), Kohlenstoff und Wasser zu berücksichtigen. Ich werde die chemische Zusammensetzung des Harns hier nicht -be- sprechen, da dieselbe in einem anderen Abschnitt dieses Handbuches mit der gebührenden Ausführlichkeit behandelt wird. Hier habe ich also nur den Harn aus dem Gesichtgpunkte der Physiologie des Gesamtstoffwechsels zu berücksichtigen. Vor allem ist die N-Abgabe im Harn bedeutungsvoll, denn der bei weitem größte Teil des vom Körper abgegebenen Stickstoffs erscheint im Harn. Die durch die Nieren ausgeschiedene Menge Kohlenstoff ist dagegen im Vergleich mit der Kohlenstoffmenge der Exspirationsluft sehr gering. Übrigens steht sie, bei gesunden Individuen, in einem ziemlich konstanten Verhältnis zur N-Menge des Harns, und es ist daher gestattet den Harn- kohlenstoff aus dem Harnstickstoff zu berechnen, wenn nicht eine sehr große Genauigkeit erstrebt wird. Bei gemischter Kost betrug im Durchschnitt von 47 Versuchen an vier verschiedenen Individuen mit zusammen 145 Versuchstagen das Verhältnis C/N 0,721 — Max. 0,791, Min. 0,635 (Atwater und Benedict!). Beim Hunger hat man für C/N 0,654 bis 0,950 gefunden [Munk?), Johansson, Landergren, Sonden und Tigerstedt)]. Da die tägliche N-Abgabe im‘°Harn beim Menschen etwa 16 g beträgt, würde darin durchschnittlich 11,5 g Kohlenstoff mit den Grenzwerten 10,2 bis 14,8 enthalten sein. Auch wenn wir bemerken, daß das Verhältnis C/N, wie aus anderen Erfahrungen hervorgeht, innerhalb etwas weiterer Grenzen als der von Atwater und Benedict gefundenen variieren kann, so wird doch der Fehler der Kohlenstoffberechnung im Vergleich mit der täglichen Kohlenstoffabgabe in der Respiration, welche beim Erwachsenen in der Regel 200 g und mehr beträgt, kaum eine wesentliche Differenz verursachen können. d) Die Abgaben durch den Darm. Im Kote werden teils Reste der genossenen Kost, welche nicht im Darm- rohre resorbiert wurden, teils Bakterien, teils Rückstände der Verdauungs- säfte, zerfallene Darmepithelien und Substanzen, welche sonst von der Darm- schleimhaut und der Leber ausgeschieden werden, abgegeben. Es wäre natürlich von großer Bedeutung, wenn man feststellen könnte, welchen Ursprunges die in einer bestimmten Kotportion enthaltenen Verbin- dungen eigentlich sind, ob sie dem Körper selber entstammen oder unresor- bierte Reste der Kost darstellen. Jedoch lassen sich keine ganz bestimmten Resultate in dieser Beziehung gewinnen; nichtsdestoweniger besitzen wir vielerlei Erfahrungen, welche eine allgemeine Vorstellung hierüber gestatten. !) U. 8. Depart. of Agricult,, Off. of exp. Stat., Bull. No. '36, p. 114, 223, 1903. — ?) Arch. f. path. Anat. 131, Suppl. 145, 1893. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 7, 78, 1896. EN UE3SN zu en ee a ee er ee ec 2 ee ee e. Biken de ee a Die Abgaben durch den Darm. 347 Daß eine wirkliche Kotbildung auch ohne Aufnahme von Nahrung statt- findet, geht aus den Erfahrungen an hungernden Individuen hervor. Schon das Vorhandensein des Meconiums gibt dafür einen Beweis ab. Das Trockenmeconium betrug bei ausgetragenen Schafsfrüchten im Mittel von drei Beobachtungen 53,6 g, bei einem 8!/, monatlichen Pferdefötus 65,2 g, bei einem ausgetragenen Pferdefötus- 88,0 g. Das Schafsmeeonium enthielt (trocken) 13,5 Proz. Ätherextrakt, welcher zum großen Teil aus Farbstoffen bestand. Das Meconium des jüngeren Pferdefötus gab (trocken) 15,3 Proz. Ätherextrakt, von welchem etwas mehr als ein Drittel aus Neutralfett, Cholesterin usw. bestand. Im trockenen menschlichen Meconium fand Voit 15,5 Proz. Ätherextrakt und davon 7,3 Proz. Cholesterin !). Der Hungerkot des Fleischfressers stellt eine schwarze pechartige Masse von schwachem, kaum fäkalen Geruch dar. Die Entleerung erfolgt in Zwischenzeiten von 8 bis 18 Tagen. Berechnet für 1 kg mittleres Körper- gewicht, beträgt die Menge etwa 0,06 bis 0,32 g Trockenkot pro Tag?) Über die tägliche Kotabgabe bei hungernden Menschen liegen die in der folgenden Tabelle zusammengestellten Angaben vor. N l & " 5; Beobachtungs- 'Trockensubstanz | Stickstoff Atherextrakt Versuchsperson | dauer | pro Tag pro Tag pro Tag | .....Eage - »| g g g TR | 10 | 3,82 0,32 1,35 Breithaupt?).. . 6 | 2,00 0,11 0,57 Betr, \ 5 | 2,20 0,13 0,44 Pro Kilogramm mittleres Körpergewicht beträgt der Trockenkot 0,072 bzw. 0,034 und 0,034 g. Auch von einer anderen Seite her hat man die unabhängig von der Nahrungs- zufuhr im Darme stattfindende Kotbildung feststellen können. Hermann isolierte am Hunde ein Dünndarmstück von dem Zusammenhang mit dem übrigen Darm, vereinigte die beiden Enden dieses Stückes, so daß sie einen geschlossenen Ring bildeten, und ließ das Tier am Leben. "Als es nach zwei bis drei Wochen getötet wurde, war der Darmring von einem fäkal aussehenden, schwach alkalischen Inhalt stark gefüllt; außer zahlreichen Kokken und Bakterien verschiedener Art und spärlichen farblosen Zellen enthielt er Mucin, Fetttropfen und nadelförmige Fettsäurekristalle’). Diese Erscheinung wurde dann von Blitstein und Ehren- thal®), Berenstein’?) und F. Voit®) untersucht. Der Inhalt des Darmringes wird von diesen Autoren wesentlich als Dünndarmsekret mit größerer oder geringerer Beimischung von abgestoßenen und allmählich in Detritus verwandelten Epithelien aufgefaßt, und F. Voit ist sogar gewillt, aus diesen Beobachtungen zu folgern, daß diese Produkte den wesentlichsten Anteil an der Kotbildung haben, während die großen Verdauungsdrüsen, die Leber und das Pankreas, hierbei fast keinen Einfluß ausüben. Demgegenüber bemerkt aber Klecki°’), daß die von Hermann und seinen Nachfolgern beobachtete Erscheinung größtenteils durch Bakterien bedingt sei, und !) F. Müller, Zeitschr. f. Biol. 20, 329, 1884. — ?) Derselbe, ebenda 20, 334, 1884; I. Munk, Arch. f. d. ges. Physiol. 58, 325, 1894; F. Voit, Zeitschr. f. Biol. 29, 346, 1892. — °) F. Müller, Arch. f. path. Anat. 131, Suppl., 10, 14, 17, 64, 1893. — *) Johansson u. a., Skand. Arch. f. Physiol. 7, 86, 1896. — 5) Arch. f. d. ges. Physiol. 46, 93, 1890. — °) Ebenda 48, 74, 1891. — 7) Ebenda 53, 52, 1893. — °) Zeitschr. f. Biol. 29, 325, 1892; vgl,.auch I. Munk, Arch. f..d. ges. Physiol. 58, 388, 1894. — °) Zentralbl. f. Physiol. 7, 736, 1893. 348 Die Abgaben dureh den Darm. also über die normalen Sekretionsbedingungen keine Aufklärung geben kann. Wenn nämlich die isolierte Darmschlinge mit Borsäurelösung und künstlichem Magensaft desinfiziert wird, so findet man sogar nach Ablauf von 46 Tagen in einer 13 cm langen Darmschlinge nur 4,5 g einer gelblichen, dicken, klebrigen Flüssigkeit. Dies stimmt mit den Erfahrungen Pawlows über die Sekretions- bedingungen des Darmsaftes vollständig überein; nach diesen wird derselbe nämlich nur bei direkter Reizung der Darmschleimhaut durch den Darminhalt abge- sondert !). Jedenfalls geht auch aus diesen Beobachtungen hervor, daß ein Teil des Kotes dem Körper selber entstammt. Es ist ziemlich selbstverständlich, daß dieser Teil bei Nahrungszufuhr größer als bei Hunger sein muß, denn dann wird ja die Sekretion der Verdauungsflüssigkeiten bedeutend stärker, als sie je beim Hunger ist. Also wird der Kot auch bei Nahrungsaufnahme zu einem wesentlichen Teil aus dem eigenen Bestand des Körpers herzuleiten sein. Dieser zuerst von Bischoff und Voit?) ausgesprochene Satz findet in Erfahrungen am Hunde seine volle Bestätigung. Wenn man einen Hund mit N-freiem Stärkemehl füttert, so findet man dessen ungeachtet im Kote ziemlich viel Stickstoff. Ein kleiner Hund von 7kg Körpergewicht schied in einer 9tägigen Hungerperiode durchschnittlich 1,32 g Trockenkot mit 0,09g N täglich aus. Bei Fütterung mit 70g Stärke- mehl und 6,4g Fett betrug der tägliche Trockenkot 3,04g mit O,11gN; bei 140g Stärke und 11,2g Fett fanden sich 5,95 g Trockenkot mit 0,22g N. Derselbe Hund schied nach 500 g Fleisch täglich 3,3 g Trockenkot mit 0,24g N aus (Rieder). Wenn wir nun weiter erfahren, daß ein großer Hund von mehr als 30 kg Körpergewicht nach Aufnahme von 1500 bis 2000 g Fleisch durchschnittlich 0,67 g N pro Tag im Kote abgibt, so läßt es sich nicht verkennen, daß der größte Teil dieses Stickstoffs keinen Rückstand des gefütterten Fleisches dar- stellen kann ®). Wenn die gefütterte Fleischmenge eine sehr große ist, oder wenn man einem Hunde eine vegetabilische, stark voluminöse Kost gibt, so nimmt die Kotmenge beträchtlich zu, und nun erscheinen wirklich bedeutendere Reste des Futters im Kote >). Auch das im Kote enthaltene Fett ist wesentlich ein Produkt des Körpers selbst, wie daraus hervorgeht, daß der Kot auch bei sehr fettarmer Nahrung ziemlich viel Fett enthält. Beim Menschen begegnen wir ganz entsprechenden Erscheinungen. Bei an Stickstoff sehr armer Kost enthält also der Kot ziemlich viel Stickstoff und zwar scheint die darin ausgeschiedene N-Menge um so größer zu sein, je reichlicher die Kost, wie dies aus folgender Tabelle (siehe nächste Seite oben) näher ersichtlich ist$). !) Pawlow, Das Experiment als zeitgemäße und einheitliche Methode medizini- scher Forschung. Wiesbaden 1900, 8. 15. — ?) Bischoff u. Voit, Die Gesetze der Ernährung des Fleischfressers. Leipzig u. Heidelberg 1860, 8. 291. — ?) Zeitschr. f. Biol. 20, 382, 1884. — *) F. Müller, ebenda 20, 343, 1884; Tsuboi, ebenda 35, 68, 1897. — °) Vgl. F. Müller, ebenda 20, 359, 1884. — °) Bei Versuchen am Hunde mit variierenden Mengen N-freien Futters hat Tsuboi dasselbe gefunden (Zeitschr. f. Biol. 35, 76, 1897). Die Abgaben durch den Darm. 349 3: SE | N Kost I a | Nr pro Tag | in der Kost | im Kote Audi Ä pro Tag | pro Tag | - | 8 g | 1 | 1. | 150 Fett, 585 Stärke. . .. .| 136 | 139% | Rubner!) 2. | 300 Stärke, 120 Zucker, 89 | | | " Schmalz, 900 Weißwein ... | 0,29%) | 054 | Rieder?) 3.190 Stärke, 40 Zucker, 30: | | | | Schmalz, 1125 Weißwein... 0,87) | 087 | A 4. | 100 Stärke, 30 Zucker, 30 | | | | Schmalz, 900 Weißwein . . | 0,30%) | 0,78 s 5. | Stärke, Zucker, Butter, Sago- | \ grütze, Fruchtgelee, Kar- | 1: tefelmahl: %.°. 2:34 0°, | 0,14 | 0,65 C. Tigerstedt‘) 6. | 1050 Sagogrütze, 213 Zucker . 0,22 | 1,50 Renvall°) 1450 Sagogrütze, 238 Zucker | 0,31 1,52 | = u I! h Wo man also bei gewöhnlicher Kost nur etwa 1 bis 1,5 - Stickstoff im täglichen Kot findet, da ist dieser Stickstoff wesentlich als ein vom Körper selbst stammendes Exkretionsprodukt aufzufassen. Auch im menschlichen Kote ist das Fett zum großen Teil desselben Ur- sprunges. Bei drei Versuchen mit Brot und einem mit Makkaroni, wo der Fettgehalt der Kost äußerst gering war, fanden sich im entsprechenden Kot bzw. 3,1, 4,7, 6,1, 6,5g Ätherextrakt (Rubner®). In Renvalls Versuchen, wo gleichfalls die Kost kein Fett enthielt, betrug die Fettmenge im Kote 2,5 bis 1,6 g täglich ”). Wenn die Fettmenge im Kote nicht mehr als etwa 6 bis 7g pro Tag beträgt, entstammt sie also wesentlich dem Körper selbst und stellt keinen Rückstand der Kost dar. Die Erfahrungen über die bei gewöhnlicher, einigermaßen zweckmäßiger, gemischter Kost im Kote abgegebenen N- und Fettmengen zeigen, daß der Kot tatsächlich zum allergrößten Teil dem Körper selbst entstammt. In Atwaters und Benedicts°) langer Reihe von 47 Versuchen mit insgesamt 145 Tagen betrug die tägliche N-Abgabe in den Fäces durchschnittlich 1,6 g (Maximum 2,7, Minimum 0,7g). Im Durchschnitt von 22 Versuchen bei Muskelruhe und einer mittleren Zufuhr von 2659 Kalorien enthielt der Kot 1,1g N (Maximum 1,7, Minimum 0,8g) und im Durchschnitt von 25 Arbeits- versuchen mit einer mittleren Zufubr von 4340 Kalorien 1,7g N (Maxi- mum 2,7, Minimum 0,7g). Ganz dasselbe finden wir in den Versuchen von Wait°): hier beträgt die N-Menge im Kote unter 25 Versuchsreihen im Maximum 1,8g und im Minimum 0,6 g; Durchschnitt 1,3 g. In den Versuchen, !) Zeitschr. f. Biol. 15, 198, 1879. — ?) Ebenda 20, 386, 1884. — °) Im Wein. — *) Skand. Arch. f. Physiol. 16, 68, 1904. — °) Ebenda 16, 127, 1904. — °) Zeitschr. £. Biol. 15, 191, 1879. — 7) Skand. Arch. f. Physiol. 16, 129, 1904. — °) U.S. Depart. of Agricult., Off. of exp. stat., Bull. No. 136, p. 120, 1903. — °) Ebenda Bull. No. 89, 1901 and No. 117, 1902. 350 Die Abgaben durch den Darm. welche über die Ausnutzung einzelner Nahrungsmittel hauptsächlich in Voits Laboratorium von Meyer!), Rubner?), Atwater?), Prausnitz ®) und Uffelmann’) ausgeführt wurden, schwankt die N-Menge im Kot bei tierischen und gewissen feiner präparierten pflanzlichen Nahrungsmitteln zwischen 0,14 und 1,9 g pro Tag; nur in einem einzigen Versuche mit 4100 g Milch betrug der Kot-N 3,10 g. Durch mikroskopische Analyse des menschlichen Kotes haben Prausnitz und seine Mitarbeiter diese Folgerungen noch erhärtet. Nach einer Methode, die aller- dings nur approximative Resultate ergeben kann, fand Kermauner, daß mikro- . skopisch nachweisbare Fleischreste nur zu etwa 0,2 bis 1,0 Proz. des genossenen Fleisches im Kote erscheinen ®). Nach Verabreichung von dem Kaseinpräparate Plasmon enthält der Kot keine in Betracht kommende Mengen von unresorbiertem Plasmon oder dessen Verdauungsprodukten (Micko’). Sogar wenn die N-Menge im Kote größer als in den jetzt besprochenen Versuchen wäre, ist es nicht ausgeschlossen, daß sie dennoch ein Produkt des Körpers darstellen könnte, denn die Menge der Verdauungsflüssigkeiten kann ja unter verschiedenen Umständen sehr verschieden sein, wie dies aus den Erfahrungen Walthers über die während einer Verdauungsperiode im Pankreassaft des Hundes bei verschiedener Nahrungsweise abgegebene N-Menge direkt hervorgeht. Nach Fütterung mit Milch, Brot oder Fleisch in Quantitäten, welche die gleiche N-Menge (3,4g) enthielten, betrug die - N-Menge des secernierten Pankreassaftes bzw. 0,345, 0,651 und 0,326 g°). Daraus dürfen wir indessen nicht schließen, daß der genossene Stickstoff nimmer in erwähnenswerter Menge in dem Kote erscheint. Wissen wir ja, daß sich in den vegetabilischen Nahrungsmitteln N-haltige Verbindungen vorfinden, welche von den Verdauungsflüssigkeiten gar nicht angegriffen und also mit dem Kote vom Körper ausgeschieden werden ?). , Solche Ver- bindungen kommen vor allem in den Hülsensubstanzen: vor: daher finden wir auch, daß die N-Menge im Kote bei gröberen vegetabilischen Nahrungs- mitteln wesentlich größer ist als bei fein präparierten, wo die Hülsen durch die vorhergehende Präparation größtenteils entfernt worden sind. Auch muß die Beschaffenheit der Kost an und für sich, ihr Volumen, die Schwierigkeit, welche sie der Einwirkung der Verdauungssäfte macht, usw. bewirken können, daß Reste von sonst resorbierbaren Stickstoffverbindungen im Kote er- scheinen. Prausnitz!”) bemerkt, daß der Trockenkot bei leicht verdaulichen tierischen und pflanzlichen Nahrungsmitteln einen sehr konstanten N-Gehalt (durchschnitt- lich 8,65 Proz., Grenzwerte 8,16 bzw. 9,16 Proz.) hat und betrachtet diesen Kot als fast vollständig aus dem Verdauungsrohre entstammend. Bei schwerer verdaulicher Kost (grobem Brote usw.) ist der N-Gehalt im Trockenkot wesentlich niedriger (bis zu etwa 3,8 Proz.), vorausgesetzt, daß die Kost keine schwer digestiblen Sub- stanzen mit hohem N-Gehalt enthält, in welchem Falle der N- Gehalt ein höherer wird. In den Versuchen von Atwater und Benedict!'), bei welchen, wie schon Y) Zeitschr. f. Biol. 7, 26, 1871. — ?) Ebenda 15, 195, 1879; 36, 59, 1898. — ®) Ebenda 24, 23, 1888. — *) Ebenda 25, 536, 1889. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 29, 356, 1882. — °) Zeitschr. f. Biol. 35, 330, 1897. — 7) Ebenda 39, 430, 1900; vgl. auch P. Müller, ebenda 39, 451, 1900, sowie Tsuboi, ebenda 35, 68, 1897. — ®) Arch. des sciences biol. 7, 85, 1899. — °) Vgl. Rubner, Zeitschr. f. Biol. 19, 74, 1883. — !°) Ebenda 35, 335, 1897; vgl. auch Menicanti u. Prausnitz, ebenda 30, 354, 1894. — '!} U. S. Depart. of Agricult., Off. of exp. Stat., Bull. No. 136, p. 115, 1903. ec re ie ee Die Abgaben durch den Darm. 351 erwähnt, der Stickstoff so vorzüglich ausgenutzt wurde, betrug indessen der pro- zentige Gehalt des Trockenkotes an Stickstoff durchschnittlich nur 5,33 Proz. - (Maximum 6,97, Minimum 3,91). Andererseits fand Renvall'!) bei einer zum großen Teil aus groben vegetabilischen Nahrungsmitteln (Hafergrütze, hartem Roggenbrot, Käse, Schinken und Butter) bestehenden Kost, daß der Kotstickstoff, trotz einer Gesamtmenge von 2,15 bis 3,59g N, durchschnittlich nur 5,77 Proz. der Trockensubstanz (Maximum 5,97, Minimum 5,55) betrug. Auch findet Schier- beck ®), daß es hinsichtlich des Totalstickstoffs im Kote wenigstens drei verschiedene Typen von Individuen gibt. Der eine Typus hat bei jeglicher Kostform ein sehr niedriges N-Prozent, etwa 4, im Kote; der zweite hat dagegen ein verhältnismäßig hohes N-Prozent, etwa 6 bis 7; während der dritte Typus bei grober, stark kot- bildender Kost ein N-Prozent von etwa 4, bei gewöhnlicher gemischter Kost etwa 6 und unter besonderen Kostverhältnissen mit sehr geringer Kotbildung etwa 7 bis 8 Proz. N hat. Betreffend der Fettmenge im Kote zeigen die oben (S. 350) zitierten Ausnützungsversuche mit einzelnen Nahrungsmitteln, daß die tägliche Ab- gabe, trotz einer ziemlich reichlichen Fettzufuhr (71 bis 214g), in der Regel nicht mehr als 6 bis 7g beträgt. Auch Versuche mit gemischter Kost er- geben dasselbe: in einer Reihe von 41 Versuchen fanden Atwater und Benedict im Kote durchschnittlich 5,1 g Fett (2,1 bis 13,4) pro Tag), und ähnliche Beobachtungen sind auch von anderen Autoren mitgeteilt worden. Da die Fettmenge des Kotes bei fettfreier Kost auf etwa 6 bis 7g steigen kann, ist es ersichtlich, daß dieselbe unter diesen Umständen zum allergrößten Teile als Produkt des Körpers selbst aufzufassen ist. Es kommen indes Fälle vor, wo die Fettmenge im Kote wesentlich größer ist und wo also ein beträchtlicher Teil derselben als Rückstand der Kost aufgefaßt werden muß. Dies findet z. B. beim Genuß von Fett statt, welches noch innerhalb bindegewebiger Membranen eingeschlossen ist und daher nicht so leicht wie freies Fett durch die Verdauungssäfte angegriffen werden kann; ferner auch in dem Falle, wenn das Fett nicht bei Körpertemperatur in flüssige Form übergeht (Arnschink) usw. Ob Kohlehydrate in erwähnenswerter Menge in Kot übergehen, ist vor allem von ihrer Beschaffenheit an und für sich abhängig. Da die Zellulose von den Verdauungsflüssigkeiten nicht angegriffen wird und ihre Lösung nur durch einen durch Bakterien bewirkten Gärungsprozeß erfolgt (Tappeiner’), und da der Aufenthalt der Kost im Darme des Menschen nicht sehr lange dauert, ist es von vornherein zu erwarten, daß die Menge der in gewöhn- licher Weise als Differenz bestimmten Kohlehydrate im Kote bei zellulose- reichen Nahrungsmitteln ziemlich beträchtlich sein muß, sowie daß sie um so geringer sein wird, je vollständiger die Nahrungsmittel von den Hülsen befreit sind. Dies wird auch durch die Erfahrung bestätigt. Bei grobem Roggen- brot beträgt die tägliche Kohlehydratmenge im Kote 72 bis 38 g, während sie bei Weißbrot, Makkaroni, Reis usw. höchstens etwa 13 bis 14g ausmacht und vielfach noch geringer ist (Rubner‘), Hultgren und Landergren ’’). !) Skand. Arch. f. Physiol. 16, 104, 1904. — ?) Arch. f. Hygiene 51, 62, 1904. — ®) U. S. Depart. of Agricult., Off. of exp. Stat., Bull. No. 69, 1899; No. 109, 1902; No. 136, 1903; Memoirs of the Nat. acad. of sciences, Washington 1902, VIII, p. 231. — *) Zeitschr. f. Biol. 26, 434, 1890. — °) Ebenda 20, 52, 215, 1884; 24, 105, 1888. — °) Ebenda 15, 192, 1879. — 7) Skand. Arch. f. Physiol. 2, 373, 1891; 5, 111, 1894. 352 Die Ausscheidungswege des Stickstoffs. Bei direkter Bestimmung der löslichen Kohlehydrate fand Constantinidi, nach Genuß von etwa 375g Stärke in Kartoffeln, nur 1,5 bis 2,7g davon im Kote!). Dementsprechend läßt sich bei gesunden Individuen nach Genuß von Cerealien und Kartoffeln mikroskopisch fast; gar keine Stärke im Kote nachweisen, während ‘ dies stattfindet, wenn die Stärke in Form von Hülsenfrüchten oder in grünen Ge- müsen verzehrt wird (J. Möller’). Aus dieser Darstellung folgt, daß bei gut verdaulicher Kost der Kot, so weit es seine organischen Bestandteile betrifft, zum allergrößten Teil ein Ex- kretionsprodukt des Körpers selbst (Reste der Verdauungsflüssigkeiten, wirk- liche Ausscheidungsprodukte, Darmbakterien) darstellt, und daß die in ihm enthaltenen Reste der Kost nur verhältnismäßig gering sein müssen. Bei schwerer verdaulicher Kost wird der Anteil dieser an der Kotbildung größer, und im Kote können sich dann sogar sehr beträchtliche Mengen unresorbierter Nahrungsstoffe vorfinden. In diesem Zusammenhange ist noch zu bemerken, daß tote oder lebendige Mikroorganismen auch unter völlig normalen Verhältnissen einen nicht zu ver- nachlässigenden Teil des Kotes bilden und zwar würden sie bei leicht verdaulicher Kost dem Gewichte nach etwa rund ein Drittel der Trockensubstanz des Kotes gesunder Erwachsener betragen (Strasburger’). Bei einer genauen Untersuchung des Stoffwechsels ist es notwendig, auch die Kohlenstoffmenge im Kote in Betracht zu ziehen. Wie dies mit dem Harn- kohlenstoff der Fall ist, kann man aber auch den Kotkohlenstoff, ohne einen erheblicheren Fehler zu begehen, aus dem Kotstickstoff berechnen und braucht ihn daher nicht immer direkt zu bestimmen. In den Versuchen von Atwater und Benedict betrug die tägliche C-Menge im Kote durchschnittlich 12,9 g pro Tag (Maximum 24,3, Minimum 6,5g). Auf 1g Kotstickstoff kamen im Durchschnitt 9,2 g Kohlenstoff; die Grenzwerte waren 13,8 bzw. 6,8gt). e) Die Ausscheidungswege des Stickstoffs. Aus den Erfahrungen über die gasförmigen Ausscheidungsprodukte folgerten wir oben ($. 345), daß Stickstoff als Stoffwechselprodukt nicht in merkbarer Menge in Gasform vom Körper abgegeben wird. Es muß also die gesamte Mengöd Stickstoff, welche den Körper verläßt, im Harn und Kot erscheinen. Es dauerte lange, bis diese hochwichtige Tatsache allgemein anerkannt wurde. Allerdings hatten Bidder und Schmidt) bei ihren Versuchen an Katzen und Hunden die Gesamtmenge des gefütterten Stickstoffs im Harn und Kot wiedergefunden, die meisten Autoren konnten dies aber nicht be- stätigen und wollten vielmehr festgestellt haben, daß die im Harn und Kot ausgeschiedene Stickstoffmenge in der Regel geringer war als die N - Zufuhr. Schon im Jahre 1857 wies indes Voit an fünf Hunden nach, daß wenigstens unter gewissen Umständen aller Stickstoff des Futters im Harn !) Zeitschr. f. Biol. 23, 445, 1886. — ?) Ebenda 35, 291, 1897. — °) Ad. Schmidt und Strasburger, Die Fäces des Menschen, S. 267; vgl. daselbst auch die ältere hierhergehörige Literatur. — *) U. 8. Depart. of Agrieult., Off. of exp. Stat., Bull. No. 136, p. 120, 1903. — °) Bidder und Schmidt, Die Verdauungs- säfte und der Stoffwechsel, 1852, 8. 333 ff., 386. ee ehe EEE re Die Ausscheidungswege des Stickstoffs. und Kot wiedererhalten werden konnte!). Durch neue, lange andauernde Versuchs- reihen begründeten Voit undBischoff?) dieses Resultat noch fester, und ersterer wies dann im Laufe der folgenden Jahre die Einwendungen der Gegner mit voll- stem Erfolg zurück >). Die Bedeutung dieser Tatsache kann nicht zu hoch geschätzt werden, denn erst durch die Feststellung, daß aller Stickstoff mit dem Harn und Kot vom Körper abgegeben wird, ist überhaupt eine exakte Physiologie des Stoffwechsels möglich. Wenn Stickstoff in erwähnens- werter Menge in Gasform abgegeben werden würde, so hätte die alleinige Untersuchung des Harnes und Kotes keinen Sinn, und wir könnten daraus gar keine Folgerungen ziehen. Jeder Stoffwechselversuch würde daher die An- wendung eines Respirationsapparates er- fordern — vorausgesetzt, daß die Stick- stoffabgabe dadurch bestimmt werden konnte, was indes mit unseren gegen- wärtigen Mitteln nicht der Fall ist. Wir dürfen uns indes nicht vor- stellen, daß die im Harn und Kot täglich abgegebene N-Menge immer gleich der in der Kost aufgenommenen wäre. Im Gegenteil treten vielfach Differenzen auf, indem teils die N-Zufuhr größer ist als die N-Abgabe, teils umgekehrt diese größer als die N-Zufuhr, was nur dadurch bedingt ist, daß der Körper im ersten Falle Stickstoff zurückgehalten, im letz- teren von sich selbst abgegeben hat. Man kann es aber immer dazu bringen, die N-Zufuhr und die N-Ab- gabe im Harn und Kot Tag für Tag gleichgroß zu machen, wenn man näm- lich dem Versuchsindividuum eine Zeit- ‘) Voit, Physiol. chem. Unters. 1, 19, Augsburg 1857. — ?) Bischoff und Voit, Die Gesetze der Ernährung des Fleisch- fressers, Leipzig und Heidelberg 1860. — °) Zeitschr. f. Biol. 1, 69, 109, 283, 1865; 2, 6, 189, 1866; 4, 297, 1868; vgl. auch Voit, 8. 45. Nagel, Physiologie des Menschen. I. Für die ganze Periode. 353 R a N ge a Da BR Da Be N | a 8 en 4 [| - in o© u SE BR u a ES 2 & [%) aB.„ al IS II =} - 88 g = [8 a5 & a A a a -_ E S Ha mo oo 2 na ao Sa© fat} oo ooo"-mo SI} a ® Be EEE RER — a moon on astra &D SO © mM oo - + rl ıi+ ae es EB Sarnen zH al Saga ce a a a Eu = En ® De "-oooo u aD SS —« Au OMIBESESH a E = R } &0 . # : 8 : : : an E> P 2 s 5) 5 > a -_ 2 m m 1 m SI - 4 Enisen na. -- 8 MO mn 4 “armani _ a) - 354 Die Berechnung der Stoffwechselversuche. lang die gleiche, an Stickstoff nicht zu arme Kost reicht. Wenn dieser Zu-- stand des Stickstoffgleichgewichts erreicht ist und dann bestehen bleibt, so läßt es sich nicht denken, daß Stickstoff in merkbarer Menge auf einem anderen Wege als durch den Harn und den Kot vom Körper abgegeben worden wäre. Als Beispiel der großen Übereinstimmung, welche zwischen den N-Ein- nahmen und den N-Abgaben erzielt werden kann, teile ich folgende Versuche von Gruber!) hier mit. Diese wurden an einem Hunde von etwa 17kg Körpergewicht ausgeführt. Im gefütterten Fleisch sowie im Harn und Kote wurde der Stickstoff und in der zweiten Periode des ersten Versuches auch der Schwefel bestimmt. (Siehe Tabelle auf 8.353.) Das gefütterte Fleisch enthielt in der zweiten Periode des Versuches I 3,562 Proz. N und 0,2128 Proz. S. Wenn wir für diese Periode die Größe der Fleischzersetzung nach dem Stickstoff berechnen, so erhalten wir 5986 g; nach dem Schwefel bekommen wir 5998 g. Tatsächlich wurden während dieser Periode 6000 g Fleisch gefüttert. $ 3. Die Berechnung eines Stoffwechselversuches. Um die Art und Weise zu erläutern, wie man aus den Daten der Ein- nahmen und Ausgaben den Stoffwechsel berechnet, teile ich als Beispiel einen Versuch von Atwater und Benedict?) hier mit. Bei diesem sind sämtliche Einnahmen und Ausgaben des Körpers mit alleiniger Ausnahme des Sauerstoff- verbrauches bestimmt. Versuchsperson: ein 32jähriger gesunder Mann von etwa 64 kg Körper- gewicht. Versuchsdauer: 4 Tage. Während des Versuches sollte Muskel- tätigkeit so viel als möglich vermieden werden. (Siehe Tabellen auf neben- stehender Seite.) Bei der Berechnung des tatsächlich stattgefundenen Stoffwechsels haben wir den Kot in erster Linie zu berücksichtigen. Wie oben bemerkt, stammt derselbe bei gewöhnlicher, nicht zu grober Kost zum größten Teil aus dem Körper selbst, zum Teil aber auch aus der genossenen Kost. Eine bestimmte Verteilung der im Kote ausgeschiedenen Verbindungen auf diese beiden Quellen läßt sich in einem gegebenen Falle nicht durchführen, und wir müssen daher den Kot entweder als Rückstand der Kost oder als Exkretions- produkt vom Körper auffassen. Für die Berechnung des Stoffwechsels ist es einerlei, was wir tun, denn wenn wir annehmen, daß der Gesamtkot ein Pro- dukt des Körpers darstellt, so ist die Kost restlos resorbiert worden; fassen wir dagegen den Kot als reinen Rückstand der Kost auf, so ist ihre Menge mit der Kotmenge zu vermindern. In allen beiden Fällen gelangen wir zu ganz demselben praktischen Resultat. Auf Grund dessen werde ich bei der Berechnung des Stoffwechsels hier und im folgenden den Kot als Rückstand der Kost betrachten, ohne darum die oben (S. 352) entwickelte: Auffassung bezüglich der Herstammung des Kotes aufzugeben. Im vorliegenden Versuch haben also von der genossenen Kost 89,08 Eiweiß (mit 14,26g N), 78,8 g Fett, 286,6 g Kohlehydrate mit insgesamt !) Zeitschr. f. Biol. 16, 367, 1880; 19, 563, 1883. — ?) U. S. Depart. of Agri- cult., Off. of Exp. Stat., Bull. No. 109, 1902. 355 Die Berechnung der Stoffwechselversuche. Fee + 97L + LET — ee ke = 0 — zur 677 »8'937 6021 € L'8 vs 99097 I swumg a 82'205 — _ _ = 8'796 _ - * g9nep pun uoryeadsoygy 8HE sT'zı gz’9l > er Pi T'goHL s'orrl 2 ee Bere. : 5 10'1 882 98°0 58 L‘E vs 907 Pal: Se ee ES) 3 3 3 3 3 3 3 3 RR oyeıpky 9 x N oduauu eBansdunpreyossny je) n4 AOSSB a uoyosruwd1o ul 19) N -o[yoy aA gröArg M urosop) H 3e] oad joyyım !uoqeäsny 8398 00'687 sı’sı 8'687 ‘78 776 g'391% #895 sung — _ - _ - ai 00081 008T. a a RE A 20° 9r'el 18°0 e'87 cz 0 wi 08 “0. 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Wieder N-Gehalt in verschiedenen Eiweiß- körpern innerhalb gewisser Grenzen variiert, so varliert auch der Gehalt an Kohlenstoff, und verschiedene Autoren haben daher etwas verschiedene Zahlen für das Verhältnis N:C angenommen. Mit mehreren anderen Autoren werde ich hier als Verhältniszahl die von Rubner!) angegebene 3,28 benutzen und erwähne nur, daß Pflüger?) eine etwas geringere Zahl, 3,20, als richtiger auffaßt. 2. 22677 Im zersetzten Eiweiß sind also 16,23 x 3,28 — 53,24 g C enthalten. Für die N-freien Nahrungsstoffe bleiben daher 219,46 — 53,24 — 166,22 80. Es erübrigt, diese Kohlenstoffmenge auf Fette und Kohlehydrate zu verteilen. Wenn der gleichzeitige Sauerstoffverbrauch auch bekannt wäre, würde keine Schwierigkeit vorliegen, dies durchzuführen. Bei der Verbrennung der Kohlehydrate genügt der in ihrem Molekül vorhandene Sauerstoff gerade zur Oxydation des Wasserstoffs, und der aufgenommene Sauerstoff wird also ausschließlich zur Oxydation des Kohlenstoffs verwandt. Das Volumen- verhältnis der gebildeten Kohlensäure zum verbrauchten Sauerstoff, der respiratorische Quotient C0,/O,, ist daher gleich 1. Da die Fette durch- schnittlich 76,5 Proz. C, 12 Proz. H und 11,5 Proz. O enthalten, bedürfen sie auch zur Oxydation des Wasserstoffs einer Sauerstoffzufuhr, und der respiratorische Quotient sinkt auf 0,707 herab. Wenn der dem zersetzten Eiweißquantum entsprechende Sauerstoff vom gesamten verbrauchten Sauer- stoff abgezogen ®) und also die Sauerstoffmenge ermittelt wird, die auf die Oxydation der N-freien Nahrungsstoffe fällt, so läßt sich, wie leicht ersicht- lich, aus der Größe des dann erhaltenen respiratorischen Quotienten der gegenseitige Anteil der Fette und der Kohlehydrate an der stattgefundenen Verbrennung berechnen. . Wenn aber, wie es bei länger dauernden Versuchen in der Regel der Fall ist, die Sauerstoffaufnahme nicht bestimmt worden ist, so kann man, unter Berücksichtigung der Zusammensetzung der genossenen Kost und des entsprechenden Kotes, dennoch mit einer ziemlich befriedigenden Genauigkeit die betreffende Verteilung durchführen. Es zeigen nämlich viele Erfahrungen, welche im Kap. IV besprochen werden, daß die Kohlehydrate beim Stoff- wechsel vor den Fetten verbrennen. Man bezieht also den aus N-freien Nahrungsstoffen entstammenden Kohlenstoff in erster Linie auf die resorbierten Kohlehydrate. Bleibt noch eine Kohlenstoffmenge übrig, so wird diese auf Fett bezogen. Im vorliegenden Versuche bestanden die resorbierten Kohle- hydrate aus 176,8g Stärke und 109,8g Disacchariden, wenn wir annehmen, !) Zeitschr. f. Biol. 21, 324, 1885. — ?) Arch. f. d. ges. Physiol. 51, 234, 1892; 68, 179, 1897. — °) Das Eiweiß (trockener Muskel) enthält 50,5 Proz. C, 7,6 Proz. H, 15,4 Proz. N und 20,97 Proz. O; davon werden 11,3 Proz. C, 2,8 Proz. H, 15,4 Proz. N und 11,44 Proz. O im Harn und Kot abgegeben; es bleiben also für die Abgabe durch die Atmung 39,2 Proz. 0, 4,8 Proz. H und 9,53 Proz. OÖ. Der respiratorische Quotient ist also hier 0,78. Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe. br 357 daß die nicht resorbierten nur Stärke darstellten. Sie enthiel 4 also a + 46,23 —= 124,73g C und es blieben dann nur noch 41,49g C übrig, welche aus zersetztem Fett entstammen müssen. Während dieses Versuches hat der Körper also 101,44g Eiweiß, 54,35 g Fett und 286,6 g Kohlehydrate zersetzt. Die Nettozufuhr von Kohlenstoff betrug 231,62g. Davon sind im Harn und in der Respiration 219,46 g ausgeschieden und also 12,16 g im Körper zurückgeblieben. Nebst 6,45 g C, welche der vom Körper selbst verlorenen N - Menge (1,97 g) entsprechen, ist dieser Kohlenstoff als N-freie Verbindung in dem Körper angesetzt worden. Als Fett berechnet beträgt dies 24,38 g. Wir können also noch sagen, daß der Körper 12,44 g Eiweiß eingebübßt, dagegen aber 24,38g Fett angesetzt hat. Die Kost war daher nahezu aber nicht vollständig genügend. N Zweites Kapitel. Die Verbrennung im Körper. $ 1. Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe. In einer Mitteilung vom Jahre 1789 faßte Lavoisier die von ihm und seinen Mitarbeitern Laplace und Seguin gewonnenen Ergebnisse, betreffend die Respiration und Wärmebildung des Körpers, folgendermaßen zusammen. Die Atmung ist nichts anderes als eine langsame Verbrennung von Kohlen- stoff und Wasserstoff, welche in jeder Beziehung, mit derjenigen einer brennenden Lampe übereinstimmt. Die Tiere sind also wahrhafte brennbare Körper, welche brennen und sich verzehren. Die eigene Substanz der Tiere, ‚das Blut liefert den brennbaren Stoff: wenn das Tier nicht durch die Nahrung diese Verluste wieder ersetzte, so würde der Lampe binnen kurzem das Öl mangeln, und es würde zugrunde gehen, ganz wie eine Lampe erlischt, wenn das Öl zu Ende ist!!). Durch diese Beobachtungen und Versuche war es ein für allemal fest- gestellt, daß eine Verbrennung die Quelle der tierischen Wärme darstellt. Bei seinen Berechnungen der im Tierkörper gebildeten Wärme ging Lavoisier von der Annahme aus, daß die Verbrennungswärme einer organischen Verbindung gleich der aus der Verbrennungswärme ihrer Elemente berechneten sei. Die Un- richtigkeit dieser Voraussetzung wurde an der Hand zahlreicher Versuche von Favre und Silbermann nachgewiesen ?), und es war daher für die weitere Ent- wickelung unserer Kenntnisse über die tierische Wärme unabweisbar, die Ver- brennungswärme der verschiedenen Körpersubstanzen und organischen Nahrungs- stoffe festzustellen. Nachdem Frankland) die ersten hierher gehörigen Bestimmungen ausgeführt hatte, stellte sich Stohmann ) seit 1877 die Aufgabe, die Wärme- werte der wichtigsten Nahrungsstoffe und Körperbestandteile exakt zu !) Memoires de l’Academie des sciences 1789, p. 185; Oeuvres de Lavoisier 2, 691; vgl. auch Lavoisiers frühere Arbeiten, Oeuvres 2, 174—183, 318—333, 676— 703. — *?) Annales de chim. et de phys., 3. serie, 34, 427, 1852. — °) Phil. Mag. 32, 182, 1866. — *) Landwirtschaftliche Jahrbücher 13, 513, 1884. 358 Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe. ermitteln und veröffentlichte darüber mehrere lange Versuchsreihen. Kurz danach widmeten sich Rubner!) und Berthelot?) derselben Aufgabe. Durch die von dem letzteren außerordentlich verfeinerten Technik der kalori- metrischen Bestimmungen veranlaßt, unterwarf Stohmann im Verein mit Langbein) seine früheren Resultate einer eingehenden Revision und teilte wieder eine große Anzahl derartiger Bestimmungen mit. Die folgende Tabelle enthält eine Zusammensetzung der wichtigsten von diesen Autoren mitgeteilten Wärmewerte. (S. Tab. auf nebenstehender Seite.) Nach allgemeinen naturwissenschaftlichen Grundsätzen ist von vorn- herein anzunehmen, daß die Nahrungsstoffe bei dem im Körper stattfindenden Umsatz dieselbe Menge aktueller Energie entwiekeln müssen, als dies bei den entsprechenden Vorgängen außerhalb des Körpers der Fall ist. Um den Energiewechsel im Körper berechnen zu können, müssen wir daher in erster Linie feststellen, welche chemische Verwandlungen die Nahrungsstoffe beim Stoffwechsel erleiden. So viel uns jetzt bekannt, findet die Verbrennung im Körper nie in der Weise statt, daß die oxydablen Substanzen mit einem Male in ihre End- produkte zersetzt werden. Im Gegenteil durchläuft sie mehrere verschiedene Stufen, bis die Endstufe erreicht wird, und bei einer zu kurzen Beobach- tungsdauer könnte es möglicherweise zutreffen, daß etwa vorhandene inter- mediäre Produkte das Resultat trüben könnten. So viel es das Fett und die Kohlehydrate betrifft, kommt dieser Umstand bei genügend langer Beob- achtungsdauer indes gar nicht in Betracht, wie daraus hervorgeht, daß inter- mediäre Produkte des Fett- oder Kohlehydratstoffwechsels, wenn überhaupt nachweisbar, immer nur in sehr geringen Mengen im Körper vorkommen. Im großen und ganzen zerfallen also die einmal angegriffenen Fett- und Kohlehydratmoleküle vollständig in ihre Endprodukte: Kohlensäure und Wasser, und dabei ist es für die Berechnung des kalorischen Wertes von gar keinem Belang, ob die Verbrennung mit einem Male oder stufenweise erfolgt. : Bezüglich der N-haltigen Nahrungsstoffe stellt sich die Sache wesentlich anders dar, denn ihre N-haltigen Ausscheidungsprodukte (Harnstoff, Harn- säure usw.) repräsentieren jedenfalls noch "einen beträchtlichen Wärmewert, welcher dem Körper von gar keinem Nutzen ist. Vom kalorimetrisch be- stimmten Wärmewert dieser Substanzen müssen wir also die Verbrennungs- wärme der Ausscheidungsprodukte abziehen, um den physiologisch nutzbaren Wärmewert derselben zu erhalten. Unter den N-haltigen Abfallsprodukten der Eiweißkörper ist bei den Säuge- tieren der Harnstoff unbedingt das wichtigste. Dessen Wärmewert beträgt durch- schnittlich 2,528 Kal. Da nun 100g Rindfleisch nach Stohmann. 16,4g N ent- halten, und 16,4g N 35,1g Harnstoff entsprechen, so würden 100g Rindfleisch mit 572,1 Kal. im Körper eine Wärmemenge von 572,1— 35,1 X 2,528 — 483,4, d. h. pro 1g 4,834 Kal. entwickeln. Diese Berechnung ist indessen nicht ganz richtig, denn die Eiweißkörper geben bei ihrer Verbrennung noch andere N-haltige Abfallsprodukte als Harnstoff ab, und es kann ja der Fall sein, daß sich unter diesen Verbindungen mit größerer oder kleinerer Verbrennungswärme als der des Harnstoffs vorfinden könnten. !) Zeitschr. f. Biol. 21, 337, 1885. — *) Vgl. Berthelot, Chaleur animale; Prineipes chimiques de la production de la chaleur chez les ötres vivants. Paris 1899, T.2. — ®) Journ. f. prakt. Chemie, N. F. 42, 361, 1890; 44, 336, 1891; 45, 305, 1892. Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe. 359 Die Verbrennungswerte der wichtigsten organischen Nahrungs- stoffe bei konstantem Druck pro 1g aschefreier Substanz). Stoh- Substanz Stoh- | Beorthelot |Rubner| mann Anmerkungen bg Proz. N Äthylalkohol . . —_ 7,026 —_ _ Glycerin . . . 4,316 — —_ — Arabinose . . . 3,720 3,714 — -- Xyloe....... 3,746 3,738 = Tr Hui. ..,.% 3,743 3,762 — — Lävulose . . 3,755 — _ — Galaktose . . 3,722 — —_ — Rohrzucker © . 3,955 3,962 4,001 = Milchzucker, krist. 3,737 EIR7T — — Maltose, krist. 3,722 a > ni Dextrin Ir: 4,119 - _ Stärke. . . 4,183 4,228 — — Glykogen ar 4,190 — Er Zellulose . . 4,185* 4,200** = — |*Schwedisches Fil- Palmitinsäure — 19,265— 9,369 vr we trierpapier. Baum- ‘ wolle. Baum- Stearinsäure . ng 9,429— 9,549 | 9,745 ner wolle Olsiitite: 2, aaa _ 9,511 9,334 —_ Tierisches Fett. . 9,500 — 9,423 — Butter . .. 11 9231 ee er a Vegetabilisches Öl — 9,520 — _ Asparagin ... . 3,511 3,397 — 21,3 Harnstoff 2,537 2,525 2,523 46,7 Harnsäure . 2,741 2,747 — 33,3 Eiereiweiß . 5,735 5,687 — 15,2 Fibrin . . 5,637 5,529 _ 16,7 Rindfleisch . 5,721?)| ° 3,728°) 5,778%)| 16,4 Kalbfleisch . | 5,663 — — 16,4 Vollständig ' Rindfleisch. . . . | 5,641 5,656 16,4 entfettet Syntonin. ... . 5,908 En = 15,8 Digestion von frischem Fleisch mit HCl "Serumalbumin | 5,918 = — 15,2 Hämoglobin (Pferd 5,885 5,910 5,949 16,5 a 5,858 5,626 — 15,6 Össein . 5,040 5,410 — 16,3 Entfettet Chondrin 5,131 5,342 des 15,4 Entfettet Vitellin 5,745 5,781 = 16,0 Eidotter . 5,841 — _ 15,3 Pflanzenfibrin . .. . 5,942 5,832 _ 15,4 Pepton. .. . 5,942 — — 15,4 Durch Pepsin aus Fibrin dargestellt !) Es wird angenommen, daß die gebildete CO, gasförmig ist. Die Lösungs- wärme der Kohlensäure in Wasser beträgt nach Berthelot 0,127 Kal. — *) Durch Kochen mit Wasser von Extraktivstoffen befreit, entfettet. — °) Mit Alkohol und Ather gewaschen, getrocknet, gepulvert. — *) Mit Wasser ausgezogen, entfettet. 360 Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe. Nur direkte Versuche können diese Frage entscheiden. Solche wurden in erster Linie von Rubner ausgeführt !). Dabei ging er von der Annahme aus, daß (beim Hunde) bei reiner Fleischdiät alle brennbaren Substanzen im Harn nur Abkömmlinge des gleich- zeitig zersetzten Eiweißes darstellen, sowie daß im Laufe von 24 Stunden alle diese Zersetzungsprodukte vom Körper abgegeben werden. In einer ersten Versuchsreihe untersuchte er als Repräsentant der Eiweißkörper Rindfleisch, welches mit Wasser von 35°C angerührt und koliert, sodann mit warmem Wasser (von 60") mehrere Male ausgezogen und nachher noch mit Alkohol und Äther entfettet worden war. Dieses Präparat enthielt 16,59 Proz. N; seine Verbrennungswärme betrug 5,778 Kal. pro 1g aschefreier und 5,754 pro 1g aschehaltiger Substanz. Mit diesem Eiweißmaterial in frischem Zustande wurde ein Hund acht Tage lang gefüttert und der Harn der zwei letzten Versuchstage zur Be- stimmung des Wärmewertes benutzt. Auf 1g N berechnet betrug derselbe 6,69 Kal, während 1g N im Harnstoff nur 5,4 Kal. entspricht. Daraus folgt, daß die Verbrennungswärme der im Körper entstandenen Zersetzungs- produkte des Eiweißes größer ist, als wenn sie ausschließlich aus Harnstoff bestehen würden. Nach Rubner müssen ferner auch die im Fleischkote abgegebenen Verbindungen bei der Feststellung der physiologischen Verbrennungswärme des Fleisches in Abzug gebracht werden. Zu diesem Zwecke machte er Be- stimmungen an einem anderen Hunde, bei welchem er im Durchschnitt pro Tag pro 100g trockenen Eiweißes im Kote 3,24 g mit 0,23 g N wieder- fand. Die Verbrennungswärme desselben betrug pro 1g aschehaltiger Sub- stanz 5,722 Kal. Unter Voraussetzung des N-Gleichgewichtes treten von den in 100 g Ei- weiß enthaltenen 16,59g N im Harn 16,36 N aus. Wir erhalten demnach die physiologische Verbrennungswärme des Eiweißes nach folgender Rechnung: 100g trockenes aschehaltiges Eiweiß . . cs... ... 7... yo ae Davon abzuziehen: Für den: Harn. 16,36: 8569: Sana I Beast nen a ke SER Et 128.0 Für den Kot 84 X E10 KR us a aBpee 18,5 ER NER Rest 447,4 Kal. Rubner reduziert diese Zahl noch mehr, indem er pro 100g Substanz für die Quellungswärme des Eiweißes 2,9 Kal. und für die Lösungswärme der im Harn abgegebenen Produkte 2) 2,2 Kal. in Abzug bringt. Nach diesen Korrek- tionen findet er also den physiologischen Nutzeffekt von 100g des von ihm benutzten, aschenhaltigen Präparates gleich 442,4 Kal., d. h. für 1g 4,424 Kal. In derselben Weise bestimmte Rubner die physiologische Verbrennungs- wärme des fettfreien Fleisches und erzielte dabei folgende Resultate: 100 g trockenes, fettfreies, aschehaltiges Fleisch mit 154g N. ... . 534,5 Kal. Davon abzuziehen: Für den: Harn 1108 NIE RE Kal. 80 6 et re 112,9 Für den Kot 32.2 ICE Ra N, is in 16,8 Für die Quellung des BiwelßBbe u.a = 0 3.2.00. 000 Wiens 2,7 | 1 Für: die Lösung des HarBew wo. 2 see ter el, are 2,0 Rest 400,1 Kal. !) Zeitschr. f. Biol. 21, 296, 1885. — *) Ebenda 20, 414, 1884. ei te 2 2 se > Fu re he BE SR Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe. 361 Als einen dritten Fall untersuchte Rubner die beim Hunger zer- fallende eiweißartige Körpersubstanz, welche nach seinen Beobachtungen und Berechnungen an und für sich dieselbe Verbrennungswärme als das Muskel- fleisch — 5,345 Kal. — hätte, und bekommt dann für ihre physiologische Verbrennungswärme folgendes: 100.8 Trockensubstänz mit 154g N . 2... 2... nenne ee .. 534,5 Kal. Davon abzuziehen: Für den Harn 15,168 N X 8,495 Kal... ...... SOEHTT 418,8 Für-den Ko6 3,46 5.N X 4824 Kal 2... 20.0 16,8 150.3 Für die - Quellung. des. Eiweißes „ 2... ul sa an 2:7 5 Eur>di9 Bbasınp- dos BLAIHE.. 200 2 Sinne antıa e eke azeine Ad 2,0 Rest 384,2 Kal. Aus diesen Zahlen berechnet sich für 1g Stickstoff in den verschiedenen Substanzen: NS Bw ee ee a el 2 Ereln, 26,66: Kal, N uns Mnskalteiuch nn She a Se Fe a re Rue BC OR LEE} Fe > Vol 1g N in der beim Hunger Kurtallonden Körpersubstanz. - - © .. 2... 24,94 „ Gegen die Rubnersche Berechnungsweise bemerkte Pflüger'), daß die unter Umständen sehr große Fettmenge im Fleischkot nicht aus dem Fleisch ab- geleitet werden darf, und daß also der kalorische Verlust durch den Kot von Rubner zu hoch aufgenommen worden ist; daß die Korrektionen wegen der Quel- lung des Eiweißes und Lösung der Harnbestandteile ganz unsicher sind und daher fortgelassen werden sollten; daß die Nahrungszufuhr bei den betreffenden Ver- suchen nicht ausreichte, um das Tier im stofflichen Gleichgewicht zu erhalten und daß also der Harn keinen reinen Eiweißharn darstellte; daß die Menge und die chemische Zusammensetzung des Fleischkotes nicht als konstant zu betrachten sei, indem große Variationen sowohl bei verschiedenen Individuen, als auch bei dem- selben Individuum unter verschiedenen Umständen stattfinden können. Unter An- wendung der Rubnerschen Zahlen für die Verbrennungswärme des Fleischharns und einer auf verschiedene, ziemlich willkürliche Annahmen gegründeten Berechnung der Verbrennungswärme des Fleischkotes, stellt Pflüger folgende Rechnung über den physiologischen Verbrennungswert des Fleisches auf: 100g trockenes, aschehaltiges Fleisch mit 15,448 N. ..... 22... 2984,95 Kal. Davon abzuziehen: Für den Harn 14,58g N x 745 Kal. ..... RR. a ar 5 8:6 Für den Kot 0,68 N X 282 Kal -... 2222... Re er Rest 401,4 Kal. Die Differenz der Rubnerschen Zahl gegenüber beträgt nur 1,3 Kal., d.h. etwa 0,3 Proz., und ist also ganz irrelevant. Indes fügt Pflüger noch hinzu, daß dieser Wert nur für arbeitende Tiere gilt; bei ruhenden Hunden ist die Kot- bildung geringer und daher auch der durch den Kot bewirkte Verlust an Spann- kraft kleiner. Als Nutzeffekt des Stickstoffs bei solchen Tieren erhält Pflüger demnach 26,76 Kal., während Rubner 25,98 Kal. angibt. Die Differenz ist hier 3 Proz. Später machte Pflüger die Rechnung rigen: 100g trockenes, aschehaltiges Fleisch mit 15,498 N... . 2.2... 534,1 Kal Davon abzuziehen: . Bor den Harn DIENSTE 2 ine. Neo} 120, Für'den Kot0,4 HN R723,2 Kal... .. ..... 6,8 % Rest 413,7 Kal. D. h. pro 1g N im Futter 26,71 Kal. !) Arch: f. d. ges. Physiol. 52, 14, 1892; 78, 542, 1900. Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe. 362 - © S a a EN ” Pre a9 : Be = Ss ws = EB ER = a: 8 - ee a PC A, © PN FH a {a | © 28th BO.SER = re = | “no oa ao Ee2s87 8 + Han > © SEEN Fa Del m, asEaS NEN tu. in an br) srms > o :- N ae: a m n Has on & a ın BT u Sam = «4 A m 2 N Ö Be” H4oo® oo Be Ho nın == S|.98% Oo 2S | SS 52835" ES FH zZ a zZ &n : > © ın ao vo rn NET I 2a NZ ee ee ee er o aaoca aaa = & >) Sm ı N Br mm 8 N ie u = a) m on ER Se ee SE EDER er er ee sang.“ “nm -n EM zZ & = © 3 ea) E Ber [eS| rg — = 333329498 us | ® SEFERHLD 22 SR: er ee fo) “ 5 a ee be) Br Br A ® BE .886328 bi m 05 os En Sn ® SENSE ZE _ PER —8 8 De aaraada Fe) 22H + $ rer E EBELEcE HKEgBeERGHH SS 28215 #5 $ MMOoOHMMZNM HM BEARBRRAB h- -andtnon © Gegen diese Kritik macht Rub- ner”) seinerseits geltend, daß das „Kotfett“ bei Fleischfütterung kein wirkliches Fett darstellt, denn seine Verbrennungswärme beträgt nur 8,470 Kal., während die des wirklichen tierischen Fettes etwa 9,4 Kal. ist®); daß diese Substanz nicht ein Rück- stand des Futters sein kann, sowie daß sie jedenfalls infolge der Fleisch- aufnahme vom Darme des Tieres ab- gegeben worden ist und also einen durch die Fütterung bewirkten Ver- lust darstellt. Da wir aber wissen, daß auch bei völlig fett- und eiweiß- freier Kost immer etwas Fett im Kote abgegeben wird, haben wir meines Erachtens keine Gründe, diese Sub- stanz bei der Berechnung der physio- logischen Verbrennungswärme des Ei- weißes als einen diesem entstammen- den Verlust in Abzug zu bringen, insbesondere wenn es gilt, eine Zahl zu finden, welche auch bei Zugabe anderer Nahrungsstoffe zum Futter benutzt werden kann. In der letzten Zeit sind wieder neue Versuche über die physiolo- gische Verbrennungswärme. des Flei- sches von Rubner, Frentzel und Schreuer, sowie von Frentzel und Toriyama mitgeteilt worden. In zwei Versuchen findet Rub- ner*) für 1g trockenes, aschehaltiges, fettfreies Fleisch, mit einer Ver- brennungswärme von bzw. 5,327 und 5,532 Kal., den physiologischen Nutz- effekt gleich 4,038 bzw. 4,171 Kal. Hier wurden für Quellung und Harn- lösung keine Korrektionen gemacht. Mit diesen werden die Zahlen bzw. 3,991 bzw. 4,124, im Mittel 4,058 Kal., zeigen also eine vollständige Über- einstimmung mit den früheren Be- stimmungen Rubners. !) Ohne Korrektion für Quellung und Harnlösung. — ?) Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung, 8. 22, 1902. — °) Nach Frentzel und Schreuer (Arch. £. [Anat. u.] Physiol. 1903, 8. 470) be- trägt der Brennwert des Ätherextraktes des Fleischkotes etwa 9,550 Kal. prolg. Aber auch diese Autoren geben zu, daß das Ätherextrakt des Fleischkotes kein Fett ist. — *) Rubner, Die. Gesetze usw., 8.31, 1902. tt ee a Vie ee En he en Be Dit zu rehee ch. e Fe Bi u ee ae See dee | | | | | | Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe. 363 Frentzel und Schreuer') fanden, auch ohne Korrektionen für Quellung usw., bei Fütterung mit einer Mischung von Fleisch und Fleischmehl für die physio- logische Verbrennungswärme pro 1g N in der fettfreien, aschehaltigen Substanz 25,62 Kal. Hierbei wurde das Atherextrakt des Kotes nicht als Abfallprodukt des Eiweißes aufgefaßt. In einer folgenden Reihe mit reinem Fleisch erhielten dieselben Autoren als Nutzwert pro 1g N in der aschehaltigen, fettfreien Trockensubstanz des Fleisches 26,06, bzw. 24,86 Kal. ?). Die vorliegenden Angaben über den physiologischen Verbrennungswert des Fleisches haben also ergeben: (siehe Tabelle auf nebenstehender Seite). Im Durchschnitt beträgt der Nutzwert des extrakthaltigen Fleisches (Nr. 2, 4, 5, 7, 8) pro 1g aschehaltiger Substanz 4,067 Kal., 4,474 Kal. dem extraktfreien Fleisch gegenüber. Diese Differenz ist selbstverständlich von dem geringeren Wärmewert der Extraktivstoffe bedingt; wenn der Gehalt an diesen bekannt ist, so kann man, wie z. B. in folgendem Fall von Frentzel und Schreuer?), den Ver- brennungswert des extraktfreien Fleisches (Eiweißes) mit großer Genauigkeit herleiten. 23,15 g fettfreies Trockenfleisch enthielten 4,08g Extrakt. Die Verbrennungs- wärme des letzteren betrug 4,08 X 3,154 — 12,9 Kal. Da die Verbrennungswärme des fettfreien Trockenfleisches 5,300 Kal. betrug, war der Gesamtwärmewert in 23,15g = 122,7 Kal. Der extraktfreie Rückstand machte 23,15 — 4,08 — 19,07 g Eiweiß, darauf kommen 122,7 — 12,9 = 109,8 Kal., d. h. pro 1g = 5,758 Kal., was mit der Zahl von Rubner, 5,754, vollständig übereinstimmt. Durch die Feststellung der Nutzwerte der organischen Nahrungsstoffe eröffnete sich die Möglichkeit zu prüfen, ob diese, wie aus allgemeinen Gründen anzunehmen war, bei ihrer Verbrennung im Körper tatsächlich die berechnete Wärmemenge entwickeln oder nicht. Man hatte nämlich dann zu erwarten, daß sich die verschiedenen Nahrungsstoffe beim Stoffwechsel in Gewichtsmengen vertreten würden, welche gleichgroße Wärmemengen repräsentierten. Auf Voits Anregung nahm es Rubner*) sich vor, diese Voraussetzung experimentell zu prüfen, und es gelang ihm in einer sehr eleganten Weise, die Richtigkeit derselben nachzuweisen. Aus Rubners Ver- suchen und Berechnungen ging nämlich hervor, daß 100g Fett entsprechen Direkt ; B R Kalorimetrisch am Tier : bestimmt bestimmt Biwaßri nn. Si Rare Te, 211 201 BIBTEBUENE I EEE DE Fe a a N = 282 221 Roöhrzueker. "273722... 1 a ran 234 231 Traubenzucker, swasserfrer 2”. 2. 0:00 0 an 256 243 Wie diese Versuche in ihren Einzelheiten durchgeführt wurden, braucht um so weniger hier dargestellt werden, als seitdem direkte kalorimetrische Bestim- mungen die betreffende Auffassung außer allen Zweifel gestellt haben. Ich be- !) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1901, 8. 284. — ?) Ebenda 1902, 8. 282. — ®) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1902, S. 507. — *) Zeitschr. f. Biol. 19, 312, 1883; vgl. auch Hoesslin, Münchener med. Wochenschr. 1901, 8. 2141; 1902, S. 795, sowie Rubner, ebenda 1902, S. 232 und Voit, ebenda 1902, 8. 233. o Differenz — 3,15 + 1,20 — 0,97 — 0,68 0.47 + 1,20 — 0,24 — 0,30 + 0,69 Proz. Differenz Kal. + 8,7 — 34,6 E46 48 — 27,0 ch E + 27,1 — 115 — 52,3 Summe der direkt be- stimmten Wärme 1305,2 1056,6 333,9 1495,3 3958,4 2488,0 2276,9 4769,3 Kal. 17683,6 Summe der berechneten Kal. 1296,3 1091,2 329,9 2492,4 2249,8 4780,8 17735,9 Wärme Versuchs- dauer Futter Tier Tage 46 Summa Hunger Hunger 390 Fleisch 40 Speck 80 Fleisch, 30 Speck 350 Fleisch 580 Fleisch Hund I Hund I . Hund I 0 Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe. merke nur, daß zu der Zeit, als diese Versuche ausgeführt wurden, die Kennt- nis von den wirklichen Verbrennungs- werten der hier in Betracht kommenden Verbindungen noch lange nicht so ent- wickelt war, wie sie jetzt ist, und daß daher die von Rubner bei der Be- rechnung seiner Resultate benutzten Kon- stanten etwas von den heutigen ab- weichen, sowie daß er betreffend die elementare Zusammensetzung des Ei- weißes einen zu hohen Kohlenstoffgehalt angenommen hatte, was seinerseits auf die Berechnung der verbrannten Fett- menge einwirkt. Die oben angeführten Zahlen sind daher nicht mehr als völlig exakt zu bezeichnen. Die ersten Versuche, bei welchen die aus dem Stoffwechsel berechnete Wärmebildung mit der direkt kalori- metrisch bestimmten Wärmeabgabe verglichen wurde, wurden von Rub- ner!) ausgeführt. Bei denselben wurde die Gesamtabgabe von Stick- stoff, Kohlenstoff und Wasser be- stimmt. Die Resultate dieser Ver- suche sind in nebenstehende Tabelle eingetragen. Bei der Berechnung des Stoffwechsels wurde angenommen, daß aller Kohlen- stoff aus N-freien Substanzen aus zer- setztem Fett stammt. Bei den Fütterungs- versuchen, wo das Tier keine Kohle- hydrate bekam, ist diese Annahme als vollständig berechtigt aufzufassen. Bei den Hungerversuchen ist die Teilnahme des Körperglykogens an der Verbrennung aber nicht ausgeschlossen, und da 1g © aus Glykogen einen geringeren Wärme- wert als 1g C aus Fett hat, wird sich die berechnete Wärmeproduktion etwas größer darstellen als die tatsächliche. Im Versuch I ist diese Einwirkung des Glykogens nicht merkbar gewesen. Da- gegen dürfte die erhebliche Differenz zwischen der berechneten und der ge- fundenen Wärme im Versuch II gerade ‚durch das Glykogen bedingt sein. Um eine vollständige Übereinstimmung zu bekommen, braucht man nur anzu- nehmen, daß vom Gesamtkohlenstoff etwa 19 Proz. dem Glykogen entstammten. !) Zeitschr. f. Biol. 30, 73, 1894; Vorl. Mitteil. Berl. klin. Wochenschr. 1891. Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe. 365 Aus allen Versuchen, welche insgesamt 46 Tage umfassen, geht hervor, daß die aus dem Stoffwechsel berechnete Wärmemenge 17 735,9 und die direkt bestimmte 17 683,6 Kal. betrug. Die absolute Differenz. ist nur 52,3 Kal., d. h. 0,30 Proz. Diese Versuche ergeben also, daß die organischen Nahrungs- stoffe, unter Berücksichtigung der Abfallprodukte des Eiweißes, bei der im Körper stattfindenden Verbrennung die gleiche Wärmemenge entwickeln, als sie bei der Verbrennung außerhalb des Körpers produzieren. Ebenso deutlich geht diese Tatsache aus den zahlreichen Versuchen hervor, welche Atwater im Verein mit Rosa, Woods, Benedict, Smith, Bryant und Snell ausgeführt hat. Da sich diese Versuche auf den Menschen beziehen und zum Teil in einer nur wenig verbreiteten Publikation veröffentlicht sind, finde ich es angezeigt, dieselben hier etwas näher zu besprechen !). Der zu diesen Versuchen benutzte Apparat, dessen Bau schon im Jahre 1892 angefangen wurde ?), besteht aus einer als Kalorimeter eingerichteten Respirations- kammer von 2,15m Länge, 1,22m Breite und 1,92 m Höhe und hat also einen Cubikinhalt von 4,99 cbm. In derselben kann sich ein erwachsener Mensch tage- lang ohne weitere Unannehmlichkeiten aufhalten und darin auch mechanische Arbeit verrichten. Zu diesem Zwecke ist in der Kammer ein stationäres Fahrrad aufgestellt, welches von der Versuchsperson bewegt wird und seinerseits einen Dynamo antreibt. Der hierdurch erzeugte elektrische Strom wird mittels einer elektrischen Lampe in Wärme verwandelt. Die Gesamtarbeit wird also als Wärme gemessen. Es ist nicht möglich, die von Atwater benutzten Vorrichtungen hier zu be- schreiben, ich beschränke mich daher nur darauf, die Resultate der Kontroll- versuche mitzuteilen. Diese wurden teils unter Anwendung eines elektrischen Stromes, dessen Energie in Wärme transformiert wurde, teils durch Verbrennen von Alkohol im Apparat ausgeführt. Die letzteren sind natürlich die wichtigsten, weil der Apparat bei diesen ganz in derselben Weise als bei den wirklichen Ver- suchen funktionierte. Die 27 zu verschiedenen Zeiten ausgeführten derartigen Ver- suche ergeben als Differenz zwischen der berechneten und der gefundenen Wärme- menge + 0,74 Pröz.; mit Ausschluß von drei Versuchen, wo offenbar irgendwelcher Fehler vorlag, beträgt die Differenz nur + 0,51 Proz. (vgl. auch oben, 8. 339). Die bei den Versuchen benutzte Kost wurde, ebenso wie der Harn und der Kot, an N, C, Ätherextrakt, Asche, Trockensubstanz und Wasser ana- lysiert, sowie außerdem noch die Verbrennungswärme der Kost, des Harnes und des Kotes direkt bestimmt. Bei diesen Versuchen genoß die Versuchs- person diese Kost schon etwa vier Tage vor dem Versuche, damit sie sich an dieselbe gewöhne und sich, wenn möglich, vor dem eigentlichen Versuche in N-Gleichgewicht stelle. Als Wärmeeinheit wird diejenige Wärmemenge be- nutzt, welche bei 20°C die Temperatur eines Kilogramm Wasser um 1° erhöht. Bei der Berechnung der Versuche wird angenommen, 1. daß in erster Linie die aus der Kost stammenden resorbierten Nahrungsstoffe im Körper verbrennen; 2. daß der Kot einen Rückstand der Kost darstellt; 3. daß eine Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben an N als Eiweiß aufzufassen !) U. S. Depart. of Agriculture, Off. of exp. stat., Bull. No. 44, 1897; No. 63, 1899; No. 69, 1899; No. 109, 1902; No. 136, 1903. Alle diese werden im folgenden als „Bull. No.“ zitiert.. Bull. No. 136 ist neuerdings in den Ergebnissen der Physio- logie 3, 1 (Wiesbaden 1904) in deutscher Übersetzung mitgeteilt worden. Memoirs of the national academy of seiences, Washington 1902, 8, sixth Memoir. — *) Vgl. Atwater u. Rosa, Storrs Agrieultural Exp. Stat., tenth ann. report 1897, Middle- town, Conn., 1898, p. 212. 366 Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe. Kost N Versuchs- Dauer person Eiweiß Fett Kohlehydrat Tage g g g 5 E. 0 4 119,1 94,7 275,5 7 1 4 104,4 68,2 190,4 8 a + 129,4 95,7 307,8 9 R 4 119,6 69,0 341,8 10 s 4 123,5 31,6 297,4 13 x 3 117,1 87,8 270,2 14 = 4 94,4 82,5 289,8 15 # 2 16 \ 2 108,9 39,9 276,9 17 E 2 22 E 3 123,2 68,8 276,1 23 n 3 123,6 68,8 278,6 24 g 3 123,6 68,8 408,6 18 A. W.S. 2 19 = 2 96,9 72,4 250,1 20 R 2 21 s 8 96,9 72,4 250,1 un 25 ı..TH, 3 110,8 104,4 312,2 — 26 . 3 99,6 94,8 247,2 —_ 27 5; 3 98,6 40,3 247,2 72,0 = 2 3 98,6 40,3 375,2 _ 35 J. C.W. 4 97,7 85,6 278,0 — Mittel dieser 22 Versuche mit 67 Tagen . i a — 36 J. C. W. 1 0 0) 0 0 | 39 £ 1 0 0 0 {) 42 N 1 0 0 0 0 } 51 ; 2 ) 0 0 v [ Arbeits- 5 E. O 4 119,1 152,9 377,8 _ 11 3 4 124,1 129,1 484,6 _ 12 A ‚4 120,6 158,5 296,1 72,4 29 BR. 3 100,1 106,0 470,7 Z 30 ‚ 3 99,2 104,2 340,9 72,0 | 31 - 3 100,9 160,8 "842,7 Fe | 39 a 3 100,5 151,6 353,9 Rn | 33 e 8 99,7 99,3 - 355,0 72,0 34 2 3 99,7 ‚99,3 477,9 _ Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe. 367 Im angesetzten | Im angesetzten ä : win (+) ie Da abge-|(-+) ie abge- bee engg. uaern gebenen (—) | gebenen (—) Eiweiß Fett berechnet | gefunden | Differenz Kal Kal. Kal. Kal. Kal. Proz. 128 — 24 — 174 2482 2379 —42° 134 — 60 .— 138 2437 2394 — 1,7 153 0 + 266 2356 2286 — 3,0 149 — 20 + 174 2272 2309 + 1,6 147 — 38 + 200 2265 2283 + 0,8 173 — 66 + 258 2106 2151 +21 142 — 69 + 234 2124 2193 En 3,2 128 +31 + 37 2358 2362 + 0,2 126 +39 + 50 2335 2332 —01 128 +34 + 105 2288 2276 —05 138 + 7 + 602 2168 2259 + 4,2 141 — 9 + 87 2213 2176 — LT 136 hi: 9 + 573 2227 2272 + 2,0 2762 100 123 — 67 + 244 2362 2488 + 5,3 2765 101 108 + 1 — 341 2214 2279 + 2,9 2763 101 106 +12 + 209 2335 2303 — 1,4 2264 101 126 — 31 — 240 2308 2279 — 1,3 2896 111 147 +11 + 386 2241 2224 E= 0,1 2490 106 128 — 19 + 232 2043 2085 + 2,0 2485 97 124 — 34 + 173 2125 2123 — 0,1 2489 112 128 — 26 —+ 209 2066 2079 0,6 2519 110 135 — 36 — 47 2357 2397 +1,7 — 2659 107 134 — 16 + 176 2258 2270 +06 j 0 0 95 — 406 — 2062 2373 2253 —5,1 Eo 0 131 — 565 — 1708 2142 2027 —5,4 0 0 108 — 498 — 1663 2053 1946 — 5,2 Po 0 97 — 414 — 2033 2350 2362 + 0,5 0 0 94 — 433 — 1995 2334 2348 + 0,6 g. ersuch 3678 139 125 +39 — 464 3839 3726 — 2,9 3862 219 133 — 17 — 382 3909 3931 + 0,6 3891 136 130 — 5 — 309 3928 3927 0) 3487 93 134 — 28 — 229 3517 3589 .- 2,1 3453 71 140 — 74 — 164 3480 3470 — 0,3 3495 91 129 — 13 — 153 3441 ‚3420 —0,8 3487 142 119 ns — 336 3590 3565 —0;7 3481 125 129 — 87 — 371 3685 3632 — 1,4 3493 126 126 —65 — 338 3644 3587 — 1,6 368 Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe. Mitte | Kost Nr. | Versuchs- | Dauer | | person | Eiweiß Fett Kohlehydrat' Alkohol | Tage | g g g g | : 37 | J W. 4 100,4 69,1 601,0 _ 38 | R 4 102,6 202,8 295,7 _ 40 ö 4 101,7 66,5 797,7 _ 41 = 4 102,6 285,1 318,4 — 43 | s 4 104,0 291,8 383,3 Me 44 | % 4 104,4 66,9 902,1 _ 45 | . 1 105,3 289,1 391,4 — 46 a 4 103,0 302,8 366,7 nee 47 5 4 102,2 69,7 843,1 _ 48 x 1 103,0 292,1 380,8 _ 49 | N 3 110,8 95,4 975,3 _ 52 | % 3 106,3 333,9 435,8 _ 53 | b 3 105,1 95,8 983,0 _ 54 | n 3 109,6 346,2 437,7 _ 50 | 5 1 1 /.65,2 137,2 235,5 _ 55 | 5 1 | 109,2 333,5 434,7 _ Mittel der Versuche 6 bis 54 mit 76 Tagen ... ». 2. 2 ne Mittel :aller-Veersuche: ©. nl 1. 35 Re ER ist; 4. daß eine Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben an C als Fett zu betrachten ist. Wie ersichtlich, sind alle Posten der Einnahmen (mit Ausnahme von Sauerstoff) und Ausgaben direkt analytisch und kalorimetrisch bestimmt, mit alleiniger Ausnahme der im Körper angesetzten oder von ihm abgegebenen Verbindungen. Auf Grund der ganzen Anordnung der Versuche ist indes die Menge der letzteren in den meisten Fällen so gering, daß die, übrigens unvermeidliche, Schätzung ihrer kalorischen Werte nur einen äußerst geringen Fehler hat bewirken können. Hiervon machen (von den Hungerversuchen ab- gesehen) die Versuche 37, 38, 40, 41, 43 bis 48, 50 und 55 in der vorstehenden Tabelle eine Ausnahme; nichtsdestoweniger ist der Unterschied zwischen berechneter und direkt bestimmter Wärmeproduktion nur bei den zwei letzten, wo der Körper eine sehr große Fettmenge einbüßte, etwas beträchtlicher. Das Resultat dieser Versuche ist so deutlich wie möglich: die aus dem Wärmewert der Einnahmen und Ausgaben berechnete Wärmeproduktion ist der direkt bestimmten Wärmeabgabe genau gleich. Da hier die Kost aus allen drei Gruppen organischer Nahrungsstoffe, sowie in einigen Versuchen auch aus Alkohol zusammengesetzt war, folgt außerdem, daß gerade die zu- geführte, aus dem Darm resorbierte Kost in erster Linie zerfällt, sowie daß die genossenen Kohlehydrate vor dem Fett zugrunde gehen. Denn wäre dies nicht der Fall, so könnte eine so genaue Übereinstimmung zwischen be- rechneter und gefundener Wärmeproduktion bei weitem nicht stattfinden. Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe. ro Tag (Fortsetzung). 369 | | | | | | Im angesetzten | Im angesetzten Wärmeproduktion Kost | Kot | Ham |Chlonen Car Chancen dDRr in | Eiweiß Fett berechnet | gefunden | Differenz Kal | Kal. | Kal Kal. Kal. Kal. Kal. | Proz. ars | 18 133 — 61 — 1304 4821 4764 | —ı12 3708 153 155 — 172 — 1001 4573 4477 — 21 45065 | 182 143 | — 77 — 994 5251 5223 — 0,5, 4539 | 231 158 | — 173 — 981 5304 5242 — 12 4867 224 147 | — 141 — 518 5155 5205 +10 4932 190 140 | — 74 — 449 5125 5198 +14 4860 256 150 | — 145 — 658 5257 5162 — 1,8 4836 214 144 | — 39 N 5193 5238 + 0,8 4710 199 145° | — 58 | — 749 5173 5248 + 1,4 4856 280 |.162 | _ 8 — 798 5297 5218 u 5499 172 | 135 | + 16 +88 5088 5245 +3, 5476 | 228 128 | — 12 477 5309 5277 — 0,6 5478 | 218 288; +8 u, 20 5104 5178 +14 5513 | 242 132 | — 19 — 196 5354 5215 — 2,6 2601 | 128 118 — 142 — 1847 4344 4134 —4,8 5514 | 243 145 — 56 — 4799 9981 9314 6,7 — " | 1 | 138 u | 4 | | 08 u — - 3541 | 14 136 — 4 | — 296 | 3597 | 3577 | —06 Da es indes nicht möglich ist, bei jedem Stoffwechselversuch und noch weniger bei der Berechnung statistischer Angaben über die Nahrung bei ver- schiedenen Bevölkerungsgruppen die direkte kalorimetrische Bestimmung der Einnahmen und Ausgaben durchzuführen, und da ferner die gewöhnliche Kost des Menschen aus zahlreichen Nahrungsmitteln zusammengesetzt ist, welche mehrere verschiedene Eiweißkörper, Fette und Kohlehydrate mit ver- schiedenen Verbrennungswerten enthalten, ist es notwendig, Standardzahlen zu besitzen, welche so genau als möglich die mittlere Verbrennungswärme der verschiedenen organischen Nahrungsstoffe angeben. Im Anschluß an seine Studien über die Verbrennungswärme der wichtig- sten Nahrungsstoffe suchte Rubner!) auch solche Standardzahlen zu be- rechnen, und tiese sind seitdem bei den hierher gehörigen Arbeiten fast überall benutzt worden. Für die Verbrennungswärme der animalischen Eiweißkörper benutzt Rubner als Durchschnittszahl die des asche- und fettfreien Fleisches, also für 1g 4,233 Kal. DBetreffend die pflanzlichen Eiweißkörper nimmt er an, daß sie die gleiche physiologische Verbrennungswärme als die mit ihnen etwa gleich zusammen- gesetzten tierischen Eiweißkörper (Syntonin und Fibrin) haben, und stellt also für 1g die Zahl 4,301 Kal. auf. Da aber der N-Gehält dieser Eiweißkörper größer als 16 Proz., und also der Koeffizient 6,25 hier zu groß ist, aber dennoch im all- gemeinen für alle Eiweißkörper benutzt wird, macht Rubner eine entsprechende !) Zeitschr. f. Biol. 21, 370, 1885. Nagel, Physiologie des Menschen. I. . 370 Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe. Reduktion des Wärmewertes dieser Verbindungen und gibt für 1 g Substanz 3,960 Kal. als Normalzahl an. Endlich setzt Rubner voraus, daß das Eiweiß in der Kost des Menschen zu 60 Proz. aus animalischen und: zu 40 Proz. aus vegetabilischen Nahrungsmitteln stammt. Danach erhält er für 100g Eiweiß in der Kost 608 X 4,233 Kal. = 253,98 Kal. 40. X 3,960 „ = 15840 „ 100g = 412,38 Kal. lg Eiweiß in der menschlichen Kost hätte also eine physiologische Ver- brennungswärme von rund 4,1 Kal. Da in der Kost des Menschen unter allen Kohlehydraten die Stärke am reichlichsten vertreten ist, nimmt Rubner als Standardzahl für die Kohle- hydrate die Verbrennungswärme der Stärke —= 4,1 Kal. an. Als Standardzahl für die Fette benutzt Rubner das Mittel der Ver- brennungswerte für Olivenöl, Tierfett und Butter, wie sie damals von Stoh- mann bestimmt worden waren, und bekommt also für die Verbrennungswärme von 1g Fett 9,3 Kal. Rubner bemerkt noch ausdrücklich, daß diese Standardzahlen sich nur auf die gemischte Kost des Menschen beziehen, sowie daß bei ihrer Berech- nung die Ausnutzung verschiedener Nahrungsmittel im Darme keine Berück- sichtigung gefunden hat. Um die Zuverlässigkeit dieser Standardzahlen zu prüfen, eh die langen Versuchsreihen Atwaters zu unserer Verfügung. Zu diesem Zwecke habe ich die in den Bull. No. 63, 69 und 109 mitgeteilten in folgender Weise berechnet. Von der genossenen Kost habe ich die im entsprechenden Kote enthaltene Menge von Eiweiß, Fett und Kohlehydraten subtrahiert und also die Menge der resorbierten Nahrungsstoffe erhalten, sowie dann nach den Angaben von Atwater das im Körper zurückgebliebene bzw. von ihm abgegebene Eiweiß und Fett dazu algebraisch addiert. Die Summe stellt den im Körper tat- sächlich stattgefundenen Stoffwechsel dar. Diese habe ich dann nach den Standardzahlen ausgedrückt; die so erhaltenen Werte sind in folgender Tabelle mit den von Atwater gefundenen zusammengestellt. Die von Atwater benutzte Wärmeeinheit bezieht sich auf die spezifische Wärme des Wassers bei 20°C und nicht bei 0 bis 1°, infolgedessen dieselbe 0,9 Proz. kleiner ist als die gewöhnliche. Bei der Berechnung der Atwaterschen Versuche habe ich daher die Standardzahlen um 1 Proz. erhöht und benutze also für das Fett rund 9,4 und für die Kohlehydrate rund 4,15 Kal. Für das Eiweiß habe ich unterlassen, eine Korrektur für den N-Verlust durch den Darm zu machen, weil es mir am einfachsten erscheint, in jedem einzelnen Falle den Kot als Verlust der Gesamtkost aufzufassen. Nur wenn die Kost ausschließlich aus Eiweiß besteht, kann die gesamte N-Menge im Kote in bestimmte Beziehung zu der Kost gebracht werden, obgleich auch hier der Stickstoff wesentlich dem Körper selber ent- stammt. Bei einer Kost, welche auch N-freie Bestandteile enthält, findet aber gar keine direkte Beziehung des Kotstickstoffs zum genossenen Eiweiß statt, denn hier sind die Verdauungsflüssigkeiten jedenfalls zu einer größeren oder geringeren Menge wegen der Verdauung dgs Fettes und der Kohlehydrate im Darme aus- gegossen worden. Übrigens wissen wir ja, daß der Kot auch bei ganz N-freier Kost ebensoviel Stickstoff als bei reichlicher Eiweißzufuhr enthalten kann. Durch dieses Verfahren würden sich auch verschiedene Einwendungen, welche Pflüger gegen die Berechnungsweise Rubners gemacht hat (vgl. S. 361), erledigen. Ich nehme daher die Verbrennungswärme des Eiweißes zu 4,2 Kal. an. Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe. 371 Nach Atwater Fe, B Differenz Vers.- | berechnet nach der/direkt kalori- Von mir Sea Nr. Verbrennungs- metrisch . berechnet wärme d. Kost usw.| bestimmt Mittel Kal. Kal. Kal. Kal. Kal. | Proz. 5 2481 2379 2430 2501 +71 + 2,9 6 3829 3726 171... 3819 — 42 +11 7 2434 2394 2414 2480 +66 + 2,7 8 2361 2287 2324 2359. +35 +15 9 2276 2309 2293 2292 — 1 — 0,04 10 2268 2283 2272 2277 +5 + 0,2 11 3901 3932 3916 3936 + 20 + 0,5 13 2112 2151 2131 2125 — 6 —0,3 14 2131 2193 2162 2127 — 35 — 1,6 21 2304 2279 2291 2300 +9 + 0,4 23 2216 2176 2196 2154 . — 42 — 1,9 24 2238 2272 2255 2197 — 58 — 2,6° 25 2242 2244 2243 2270 + 27 + 1,2 26 2043 2085 2064 2038 — 26 —1,3 28 2067 2079 2073 2071 — 2 —01 29 3515 3589 3552 3549 — 3 —0,1 31 3439 3420 3430 3434 +4 +0, 32 3573 3565 3569 3553 — 16 —0,5 34 3629 3587 3608 3605 — 3 — 0,1 Summa 51000 51087 + 87 + 0,2 Nach Atwater beträgt der Energiewechsel bei diesen 19 Versuchen ins- gesamt 51 000, nach meiner Berechnung 51087; die Differenz macht nur 0,17 Proz. des Gesamtmittels au.. Wenn wir die Angaben über die pro- zentige Differenz bei den einzelnen Versuchen näher analysieren, so finden wir erstens eine vollkommen gleichmäßige Verteilung der positiven und der negativen Unterschiede, sowie zweitens daß die mittlere Differenz nur + 1,01 Proz. beträgt. Die größten Differenzen sind + 2,9 bzw. — 2,6 Proz. In diesen Versuchen bestand die Kost aus Fleisch, Eiern, Butter, Käse, Milch, Brot, Kartoffeln, Früchten, Zucker usw. (in Nr. 7 und 10 außerdem aus 72,5 g Alkohol) und entsprach also genau der Kost bei freier Wahl. Wenn also in einem Stoffwechselversuch bei gemischter Kost die Kost und der Kot genau analysiert, sowie der abgegebene Stickstoff und Kohlen- stoff direkt bestimmt werden, so gibt die unter Anwendung der Standard- zahlen Rubners ausgeführte Berechnung des Energiewechsels den tatsächlich stattgefundenen Energieumsatz sehr genau an. Atwater') hat seinerseits in folgender Weise Standardzahlen berechnet. Unter Berücksichtigung der direkt bestimmten Verbrennungswärme verschiedener Eiweißkörper, sowie der Verteilung des Stickstoffs in verschiedenen Nahrungsmitteln auf Eiweiß und nicht-eiweißartige Substanzen berechnet er in erster Linie den Verbrennungswert für 1g N-Substanz in diesen Nahrungsmitteln. Für Fette und Kohlehydrate benutzt er die direkten Bestimmungen ihrer Verbrennungswerte. Aus !) Storrs (Connecticut) Agrieultural Experiment Station for 1899, p. 98. 24* Die Verbrennungswerte der organischen Nahrungsstoffe. Eiweiß. A B h Pro 100g Ver- AB Mittel Nahrungsmittel des Gesamt- | brennungs- pro 1g eiweißes wärme pro g £ Kal. Kal Kal. Fleisch, Fisch usw. . 43,0 5,65 243,0 —_ Kier - 0... Nuree 6,0 5,75 34,5 u Molkereiprodukte . 12,0 5,65 67,8 — Animalisches Eiweiß 61,0 — 345,3 5,66 Getreide . | 31,0 5,80 179,8 - Leguminosae . | 2,0 5,70 11,4 _- Grünkraut . | 5:5 5,00 27,5 _ Früchte 0,5 5,20 2,6 — Vegetabilisches Eiweiß 39,0 en | 221,3 5,67 Summa | 100,0 N | 566,6 5,67 Fett A B Pro 100g Ver- 2 Mittel Nahrungsmittel des Gesamt- | brennungs- pro1lg fettes wärme pro & g Kal. Kal Kal Fleisch und Eier . 60,0 9,50 570,0 = Molkereiprodukte . 32,0 9,25 296,0 l Animalisches Fett | 92,0 _- 866,0 9,41 Vegetabilisches Fett | 8,0 9,30 74,4 9,30 Summa | 100,0 “r 940,4 9,40 | Kohlehydrate. N B Pro 100g Ver- Mittel Nahrungsmittel der ker brennungs- AB pro 1g hydrate |Wärme pro g g Kal. Kal Kal Animalische Kohlehydrate 5,0 3,90 19,5 3,90 Getreide . 55,0 4,20 231,0 — Leguminosae . 1,0 4,20 4,2 — Grünkraut . 13,0 4,20 54,6 _— Früchte 5,0 4,00 20,0 — Zucker 21,0 3,95 83,0 — Vegetabilische Kohlehydrate 95,0 | _ 392,8 4,13 Summa | 100,0 | = |. 419,3 4,12 ee DE MN Die Verbrennungswärme des Harns. 373 seinen Ermittelungen über die in seinen Stoffwechselversuchen stattgefundene Zusammensetzung der Kost berechnet er nun, wieviel Prozent der verschiedenen Nahrungsstoffe aus den verschiedenen Nahrungsmitteln herstammen, multipliziert diese Zahlen mit den entsprechenden Wärmewerten und erhält solcherart. den mittleren Wärmewert für 1g Eiw&iß, 1g Fett und 1g Kohlehydrat, wie dies aus den Tabellen auf nebenstehender Seite ersichtlich ist. Nach Atwater erhalten wir also brutto für die Verbrennungswärme GEBEN GEBES KREIE ee et 5,65 LT REN TE a DS U A a 9,40 dem Konlahydrate” wre. ae Be er ae 4,15 Um die physiologische Verbrennungswärme des Eiweißes zu erhalten, ist die Reduktion für die im Harn enthaltenen brennbaren Verbindungen zu machen, welche er wie Rubner als ausschließlichen Verlust des Eiweißes in die Rechnung bringt. Dieselbe beträgt pro 1g Eiweiß rund 1,25, und der physiologische Ver- brennungswert des Eiweißes wäre demnach 4,40 Kal. Wie ersichtlich, stimmen die Zahlen für das Fett und die Kohlehydrate mit den oben benutzten vollständig überein. Nur in bezug auf das Eiweiß findet sich ein Unterschied, der indes nur 0,2 Kal. beträgt. Indes wird hierdurch die Differenz zwischen Kol. A und B in der obigen Tabelle mit alleiniger Ausnahme von vier Versuchen (Nr. 9, 14, 23 und 24) positiv, weshalb sich die von mir benutzte Zahl wohl besser empfiehlt. Es erübrigt noch, die Verbrennungswärme des Harnes und des Kotes etwas näher zu besprechen. ‚Betreffend den Harn bemerkt Rubner!), daß dessen auf 1g N be- rechnete Verbrennungswärme, der kalorische Quotient (Kal./N), trotz großer Verschiedenheit der Kost nur ziemlich geringe Schwankungen darbietet. Für die Muttermilch entsprechen allerdings 12,1 Kal. 1g N, bei den übrigen Nahrungsmitteln bewegt sich aber der kalorische Quotient in Rubners Versuchen nur zwischen 6,42 und 8,57; das Mittel beträgt 7,93 Kal. Nähere Angaben sind in folgender Tabelle enthalten. | | Kal. z Nahrung a Versuchsdauer pro ig N Tage : | BURN, Bäugling : u: IScbum rise 6,93 | 7 a Iirwachsener 1.3 sat a 20 nenn 7,08 7 Batiermo. Kost i:....:=. suis Be he ra a 8,57 2 d RER OR: a le se 8,33 4 Fettreiche Kost; - ., -., m sum dirie en ee. 8,87 2 ee Euren, 8,44 4 denliihte Kost, Knaben es 6,42 4 f a a RE EN 7,50 | 4 TFiaiuch. 7 4 He ee 7,69 4 Kartoffeln! .u 3. Sala a2 38, EL FIED 7,85 1 In fünf Versuchen von Lo ewy RUE der kalorische Quotient im Mittel 8,56 (7,77 bis 9,762). . Aus Atwaters langen Versuchsreihen mit gemischter Kost erhalten wir als Gesamtmittel von 47 Versuchen mit 145 Tagen den kalorischen Quotienten gleich 8,07 Kal. Das Maximum betrug 9,08, das Minimum 7,09 3). !) Zeitschr. f. Biol. 42,.302, 1902. — ?) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1901, S. 317. — °?) Bull. No. 136, p. 223, 1903. 374 Die Verbrennungswärme_ des Kotes. Pro 1g N beträgt also die Verbrennungswärme des Harns rund 8 Kal. Wenn wir, wie es zurzeit allgemein stattfindet, den N-Gehalt des Eiweißes gleich 16 annehmen, so würde der Verlust durch den Harn pro 1g Eiweiß 0,16 x 801,28, rund 1,3 Kal. betragen. Die ganze Berechnung des Wärmewertes des Harns auf 1g Harnstickstoff basiert, wie mehrmals hervorgehoben wurde, auf der Annahme, daß die im Harn abgegebenen brennbaren Verbindungen zum allergrößten Teil Produkte der Eiweiß- zersetzung darstellen. Die große Konstanz des kalorischen Quotienten gibt dieser Annahme eine gute Stütze, obgleich wir andererseits nicht behaupten dürfen, daß diese Annahme in aller Strenge richtig ist. So finden wir bei Tangl'), daß dieser Quotient beim Menschen bei einer einseitigen Kohlehydratnahrung wesentlich größer als bei vorwiegender Fettnahrung ist, nämlich im ersten Falle 11,47 bis 11,93, im zweiten 8,59 bis 9,63 Kal. In derselben Richtung variierte übrigens auch der Kohlenstoffquotient (C/N) des Harns: bei Fett zwischen 0,691 und 0,771, bei Kohlehydraten zwischen 0,944 und 0,981. Dementsprechend gibt Kellner?) für den kalorischen und den Kohlenstoffquotienten‘ des Ochsenharns die Zahlen 31,4, 32,9, bzw. 3,32, 3,46 an. Bei Fütterung von hungernden Hunden mit Fleisch- extrakt fand Bürgi°), daß sowohl der kalorische als der Kohlenstoffquotient des Harns denjenigen beim Hungerharn gegenüber beträchtlich ansteigt; während im letzteren Kal/N etwa 8 und C/N etwa 0,7 waren, betrugen sie im Extraktharn bis zu 25,5 bzw. 1,57. In kalorischer Hinsicht bietet der Kot, wie Rubner?) bemerkt, ein un- gemein gleichartiges Bild dar. Bei einer sehr verschieden zusammengesetzten Kost (Fleisch, Milch, fette Kost, magere Kost, Brot, Kleiebrot oder Kar- toffeln), deren Wärmewert auf 1g organische Substanz zwischen 4,18 und 6,5 Kal. variierte, schwankte der Wärmewert pro 1g organische Substanz im Kote nur zwischen 5,26 und 6,52 Kal. und betrug im Mittel 6,04 Kal. In den Atwaterschen Versuchen beträgt die Verbrennungswärme pro 1g organische Substanz im Kote bei gemischter Kost 6,62 Kal. Das Maximum ist 7,66 Kal. und das Minimum 5,905). Durchschnittlich kann also der Wärmewert des aschefreien Trockenkotes auf etwa 6,5 Kal. pro Gramm geschätzt werden. Viel größere Variationen stellen sich dar, wenn die Verbrennungswärme. des Kotes pro 1g N berechnet wird. BeiRubners Bestimmungen begegnen uns Variationen zwischen 66 und 123 Kal., und bei denjenigen von Atwater zwischen 73 und 159. Hier ist also der Stickstoff bei weitem nicht in dem- selben Maße als beim Harn bestimmend, was ohne Zweifel zum Teil wenigstens von dem verschiedenen Gehalt des Kotes an Ätherextrakt bedingt ist. Dafür spricht auch die von Frentzel und Schreuer®) hervorgehobene Tatsache, daß der kalorische Quotient des fettfreien Kotes (Kal./N) nur wenig variiert, in fünf Fällen zwischen 47,12 und 48,64 Kal. 8 2. Die Berechnung des Energiewechsels aus dem respira- torischen Stoffwechsel. Bei kürzer dauernden Versuchen, wo man über die aus dem Darme statt- gefundene Resorption der verschiedenen Nahrungsstoffe nichts Bestimmtes sagen kann, hat man als Basis einer Berechnung des Energiewechsels nur die Beobachtungen ») Arch. f. (Anat. u.) Physiol., Suppl. 1899, 8. 251.; vgl. auch Rubner, Zeitschr. f. Biol. 42, 303, 1901. — ?) Die landwirtschaftl. Versuchsstat. 47, 290, 308, 1896. — ®) Arch. f. Hyg. 51, 14, 1904. — *) Zeitschr. f. Biol. 42, 297, 1901; vgl. auch Lorisch, Zeitschr. f. physiol. Chem. 41, 308, 1904. — °) Bull. No. 136, 115, 205, 1903. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1903, 8. 478. Zu Be a he ee Berechnung des Energiewechsels aus dem Gaswechsel. 375 über die CO,-Abgabe und die O-Aufnahme (ev. die N-Abgabe) zur Verfügung. Es fragt sich, mit welcher Sicherheit Schlußfolgerungen aus solchen Bestimmungen gezogen werden können. Wenn die N-Abgabe im Harn gleichzeitig bestimmt worden ist, so hat man natürlich von dem ausgeschiedenen Kohlenstoff bzw. dem aufgenommenen Sauer- stoff die dem zersetzten Eiweiß entsprechenden Mengen in Abzug zu bringen. Da der Harn, wie schon erwähnt, bei gemischter Kost auf 1g N etwa 0,72g C enthält und im Eiweiß das Verhältnis N:C gleich 1:3,28 ist, so kommt auf je 1g im Harn abgegebenen Stickstoff 2,56g Kohlenstoff in der Exspiration; der übrige Kohlenstoff entstammt den N-freien Nahrungsstoffen. Da das Fett durchschnittlich 76,5g C auf 100 Teile enthält, .so ‚beträgt die Verbrennungswärme für 1g aus Fett stammenden. Kohlenstoff in der Exspiration etwa 12,3 Kal. Für 1g aus Stärke stammenden Kohlenstoff beträgt die Ver- brennungswärme 9,5 Kal. Der Unterschied beträgt 22,8 Proz. Aus der Kohlen- stoffabgabe allein lassen sich also keine bestimmten Schlüsse bezüglich des im Körper während des Versuches stattgefundenen Energiewechsels ziehen. Bei gemischter Kost findet Rubner') den kalorischen Wert von 1g CO, rund 3,0 Kal., d. h. pro 1g C 11,0 Kal. Wesentlich anders ist es.mit dem Sauerstoffverbrauch der Fall, und man kann aus demselben ziemlich befriedigende Aufklärungen über die wirkliche Größe des Energieumsatzes gewinnen. Kann man ja bei gleichzeitiger Bestimmung der Kohlensäureabgabe und der Sauerstoffaufnahme schon aus der Größe des respi- ratorischen Quotienten wenigstens annäherungsweise berechnen, in welchen gegen- seitigen Mengen das Fett und die Kohlehydrate beirn Stoffwechsel beteiligt waren. Es kommt aber noch der wichtige Umstand hinzu, daß der kalorische Wert des Sauerstoffs für alle drei Gruppen organischer Nahrungsstoffe nur sehr wenig variiert. Magnus-Levy berechnete denselben für 1g bei fettfreiem Muskelfleisch zu 3,00, bei Fett zu 3,27 und bei Rohrzucker zu 3,56; diese Zahlen verhalten sich wie 100:109:118,6 — d.h. der Unterschied zwischen Fett und Zucker beträgt nur 9 Proz.?). Später führte Pflüger eine. neue Berechnung aus und kam dabei zu dem Resultate, daß 1g Sauerstoff bei Verbrennung des Fettes 3,29 Kal., bei der des fettfreien Muskels 3,30 und bei der Verbrennung der Stärke 3,53 entspricht; diese Zahlen verhalten sich wie 100:100,3:107,3°?). Wenn der Energiewechsel nach dem Sauerstoffverbrauch berechnet wird und gleichzeitig keine synthetischen Pro- zesse, wie Fettbildung aus Kohlehydraten, stattfinden, so werden Resultate erhalten, die sich um höchstens 7,3 Proz. von dem richtigen Werte unterscheiden. Mit diesen Zahlen stimmen die von E. Voit berechneten sehr gut überein: Pflanzeneiweiß 3,30, tierisches Eiweiß 3,27, Fett 3,27, Kohlehydrate 3,53 Kal. für 1g bei ihrer Verbrennung verbrauchten Sauerstoff‘). Drittes Kapitel. Der Stoffwechsel beim Hunger. An und für sich gestaltet sich der Stoffwechsel beim Hunger nicht ein- facher als bei Zufuhr von Nahrung, denn hier kommen nicht allein die Zer- setzungsvorgänge, sondern auch diejenigen Prozesse, durch welche das Ver- brennungsmaterial von den lebenden Geweben abgegeben wird, in Betracht. Wenn es aber gilt, den Stoffwechsel ohne Berücksichtigung der dabei statt- findenden intermediären Vorgänge zu untersuchen, so läßt sich ohne !) Rubner, Beiträge zur Ernährung im Knabenalter. Berlin 1902, 8. 61. — 2) Arch. f. d. ges. Physiol. 55, 7, 1894; vgl. auch Zuntz, ebenda 68, 201, 1897 und 83, 558, 1901, sowie Arch. f. pathol. Anat. 131, Suppl. 8. 18%. — °) Arch. f. d. ges. Phys. 77, 465, 1899; 78, 526, 1899; 79, 575, 1900. — *) Zeitschr. f. Biol. 44, 359, 1903; vgl. auch Krummacher, ebenda 44, 362, 1903. 376 Der allgemeine Zustand beim Hunger. Zweifel sagen, daß der Hunger den einfachsten Zustand darstellt, indem hier der Einfluß der Kost auf die Größe des Stoffwechsels ausgeschlossen ist und, wie die Erfahrung ergeben hat, der Körper so viel als möglich den Umfang der Zersetzungsprozesse beschränkt. Der Hungerstoffwechsel bietet daher einen außerordentlich bedeutungsvollen Ausgangspunkt dar, wenn es gilt, die absolute Größe des Stoffwechsels zu untersuchen und den Nahrungsbedarf des Körpers unter verschiedenen Umständen festzustellen. 8& 1. Der allgemeine Zustand beim Hunger. Aus allen hierher gehörigen Beobachtungen, sowohl an Tieren wie am Menschen, geht hervor, daß der Hunger mit verhältnismäßig geringen Beschwerden verbunden ist. Die Eßlust ist im Laufe des ersten Tages natürlich sehr stark, und die Versuchspersonen haben wegen des Fastens ver- schiedene unangenehme Sensationen; diese verschwinden indes ziemlich bald, und es zeigt sich sogar, daß nach Ende des Fastens, wenn Nahrung wieder zur Verfügung gestellt wird, die Eßlust nicht besonders groß ist, so daß die Versuchsperson sich gewissermaßen zum Essen zwingen muß. Nach dem Genuß des ersten Bissens kehrt die Eßlust allerdings bald wieder). Aus den genauen Untersuchungen an hungernden Menschen, welche in Berlin, Florenz und Stockholm gemacht wurden, seien folgende Er- scheinungen hervorgehoben. Cetti hungerte im März 1887 zehn Tage lang und wurde während dieser Zeit von C. Lehmann, F. Müller, I. Munk, Senator und Zuntz beobachtet. Zur Zeit seines Fastens war er 26 Jahre alt, mittelgroß, schlank, von heller Haut- farbe, gracilem Knochenbau. Muskulatur mittelmäßig entwickelt, aber von guter Konsistenz, Fettgewebe gering. Körpergewicht nach der letzten Mahlzeit 57,08 kg. Keine anderen krankhaften Veränderungen werden erwähnt, als daß der Perkussions- schall in der linken Fossa infraclavicularis etwas höher und kürzer war als rechts; im äußersten Teil derselben war auch das Exspirationsgeräusch etwas länger als rechts. Auf Grund dieser Befunde hat Klemperer gemeint, Cetti habe an Tuberkulose gelitten?), was indes von Munk und Senator entschieden bestritten wird®). Übrigens ist Cetti noch jetzt, 17 Jahre nach dem Hunger versuch, am Leben. Während seines Fastens trank Cetti Wasserleitungswasser in beliebiger Menge und rauchte ziemlich viel Zigaretten. ; Bis zum sechsten Hungertag trat bei Cetti keine wesentliche Veränderung im Befinden ein; nur klagte er von Zeit zu Zeit über Aufstoßen und Schmerzen im Leib. Am siebenten Tage klagte er über stärkere Beschwerden im Leib, sie nahmen im Laufe des Tages zu, er sah elend und hohläugig aus und gab an, daß er sich sehr schlecht fühle. Am Schluß desselben Tages erfolgte zum erstenmal Stuhlgang, nach welchem Cetti sich sofort sehr viel wohler fühlte, und zwar am achten Tage frischer als an den vorhergehenden beiden Tagen. Er gab an, wieder ganz beschwerdefrei zu sein und sich vollkommen wohl zu fühlen, nur hatte er öfter das Bedürfnis zu ruhen als früher, und klagte leicht über ein Gefühl von Kälte. Obgleich er es nieht zugeben wollte, machte sich am neunten und zehnten Tage eine gewisse Veränderung in seinem Aussehen und seinem Wesen allmählich bemerk- bar. Er sah blässer aus, das Gesicht erschien hohläugig und eingefallen, die Y) Vgl. Ranke, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1862, 8.335. H. Schultzen, ebenda 1863, 8.31. F. A. Falck, Beiträge zur Physiologie, Hygiene und Toxikologiel, Stuttgart 1875. Lehmann, Müller u.a., Arch. f. pathol. Anat. 131, Suppl., 1893 (Cetti). Luciani, Das Hungern, Hamburg und Leipzig 1890 (Succi). Johansson, Landergren u. a., Skand. Arch. f. Physiol. 7, 1896 (J. A.) — ?) Berl. klin. Wochenschr. 1889, 8. 872. — °) Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1889, 8. 833, 836. Der allgemeine Zustand beim Hunger. 377 Bewegungen schienen ihm schwerer zu fallen, er wurde stiller und, reizbarer. Am Ende des zehnten Tages erschien das Aussehen Cettis noch elender als am Tage zuvor, die Mattigkeit hatte zugenommen; als er rasch sich aus der liegenden Stellung zum Stehen aufrichten wollte, wurde ihm schwindelig, schwarz vor den Augen, und er drohte umzufallen. Es wurde deshalb trotz der Einwendungen Cettis beschlossen, den Versuch abzubrechen. Der zweite Hungerer, Breithaupt, welcher von den Berliner Physiologen untersucht wurde, war Schuhmachergeselle, zur Zeit des Versuches 21 Jahre alt, von mittlerer Körpergröße und mittlerem Ernährungszustand. Er stammte aus gesunder Familie, soll früher nie ernstlich krank gewesen sein und erschien auch jetzt vollkommen gesund. Die ärztliche Untersuchung konnte an ihm niehts Krankhaftes entdecken. Die Muskulatur der Arme war nur von mittelmäßigem Volumen, aber von fester Konsistenz; die Muskulatur der Beine sehr wohl ent- wickelt. Körpergewicht am Tage vor dem Fasten 60,07 kg. Während der Ver- suchsdauer durfte er nach Belieben Wasserleitungswasser trinken, sonst war ihm nicht erlaubt, irgend etwas zu genießen, auch nicht zu rauchen. Während der zwei ersten Hungertage befand sich Breithaupt vollkommen wohl und gab an, gar keine Beschwerden zu empfinden. Am dritten und vierten Tage litt er an einem Schnupfen, welcher von Unbehagen und Mattigkeit begleitet war. Am fünften Tage hatte sich das Wohlbefinden vollständig wieder hergestellt. Am sechsten Tage erschien er aber wieder matter; er selbst gab zwar an, nichts davon zu merken, doch fiel es auf, daß er beim Gehen bisweilen schwankte und daß er bei der Arbeit schwer atmete. Es wurde daher beschlossen, den Versuch abzubrechen. ; Während des ersten und zweiten, sowie des fünften und sechsten Tages seines Fastens verrichtete Breithaupt am Gärtnerschen Ergostaten eine genau gemessene Arbeit, welche pro Tag zwischen 1423 und 617 kg-m schwankte. Der dritte Hungerer, Succi, hatte schon früher in Mailand und Paris ein dreißigtägiges Fasten durchgeführt, als er im Februar 1888 in Florenz ein neues Fasten unternahm, während dessen er von Luciani untersucht wurde. Zu dieser Zeit war er etwa 40 Jahre alt, mittlerer Größe, von schön gerundeten Körperformen mit: gut entwickelten Muskeln und nicht zu reichlichem, aber derbem Fettpolster. Körpergewicht vor der letzten Mahlzeit 63,55 kg. Er litt an einer Facialislähmung nach einem Trauma. Sonst bot er keine krankhaften Symptome dar. Während seines Fastens durfte Succi sowohl ein alkalisches Getränk als Brunnenwasser genießen. Während seines ganzen dreißigtägigen Fastens blieb Succi in vollkommen physiologischem Zustande und entwickelte sogar in den späteren Tagen desselben sehr bemerkenswerte körperliche Leistungen. Am Tage beschäftigte er sich eifrig mit seinen Privatinteressen und hielt sich viel in Bewegung, indem er täglich etwa 3000 bis 4000 Schritte machte. Am 12. Tage konnte er einen Ritt von 1 Std. 40 Min. machen; am selben Tage spazierte er viel im Zimmer umher, machte einen Dauerlauf von 8 Minuten mit drei jungen Studenten und hielt an demselbem Abend eine Fechtübung aus. An diesem Tage hatte er 19900 Schritte gemacht. Am 23. Fasttage beabsichtigte er, den Abend bei Volksspielen zuzu- bringen; er nahm daran teil mit zwei Gängen auf Säbel, die er mit Ausdauer, Kraft und Gewandtheit führte. An diesem Tage hatte er 7000 Schritte gemacht. Am 20. Hungertage war er fähig, den Widerstand von 52 kg mit der rechten Hand zu überwinden, und nöch am 29. Tage zeigte er eine bemerkenswerte Wider- standskraft gegen Ermüdung. J. A., Kandidat der Medizin, 26 Jahre alt, gesund, mit ziemlich kräftiger Muskulatur, fastete fünf Tage lang. Während seines Fastens trank er nur Wasser- leitungswasser. Das allgemeine Befinden war die ganze Zeit gut oder ziemlich gut. Am ersten Hungertage fühlte sich J. A. etwas schlaff und litt trotz einer Zimmertemperatur von 20° an Kälte. Am zweiten Tage litt er gleich nach seinem Spaziergang vormittags an Spannungsgefühl im Magen, was jedoch bald wieder verschwand. Am dritten Tage sind gelinde Magenschmerzen und Übelkeit an- gegeben. In der Nacht Schmerzen in der‘ linken Wade. Dagegen wird für den 378 Der allgemeine Zustand beim Hunger. vierten und fünften Hungertag angegeben, daß keine Schmerzen im Magen auf- traten. Betreffend die Körperkräfte ist zu bemerken, daß J. A. am ersten Tage keine merkbare Mattigkeit empfand. Erst am dritten Tage fühlte sich J. A. ziem- lich matt und schlaf. Am fünften Hungertage litt er an einer unbedeutenden Mattigkeit, Schwindel; beim plötzlichen Aufstehen wurde es ihm schwarz vor den Augen. Über das Verhalten hungernder Tiere ist nach F. A. Falck, der an vier er- wachsenen und sechs neugeborenen Hunden eine eingehende Untersuchung aus- geführt hat, folgendes hier mitzuteilen: Viele Tage, ja Wochen lang konnten in dem Allgemeinbefinden der Tiere keine wesentlichen Veränderungen nachgewiesen werden. Die kleinen Hündchen schrien viel, wie dies überhaupt Hunde des Alters, wenn sie von ihrer Mutter ent- fernt werden, zu tun pflegen; die ausgewachsenen, gut gezogenen Tiere verhielten sich dagegen vollkommen ruhig; sie suchten wohl hin und wieder in ihrem Käfig,‘ ob sie nichts Eßbares erlangen könnten, gebärdeten sich jedoch nicht ungezogen und wütend. - Im weiteren Verlauf des Hungers trat die fortwährend zunehmende Adynamie mehr und mehr in den Vordergrund; die Tiere lagen meist schlafend in ihrem Käfig, und es bildete sich schließlich ein schlafsüchtiger Zustand aus. Die Fähig- keit, zu gehen und zu stehen, nahm mit jedem Tage mehr und mehr ab, während die nervösen Funktionen noch vollkommen intakt zu sein schienen, da die Tiere auf Anrufen usw. gut reagierten. Kurze Zeit vor dem Tode schwanden jedoch auch diese Reaktionen, und die Tiere lagen paralytisch wie eine leblose Masse da. Es zeigten sich Störungen der Respiration; dieselbe wurde sehr verlangsamt; plötzlich trat Respirationspause ein, welche Hin- und Herschleudern des Kopfes und allgemeine Körperbewegungen veranlaßte; hierdurch kam die Respiration wieder in Gang, und zwar anfangs luftschnappend, laut hörbar, später ruhiger. Dieser Wechsel der Respirationsbewegungen wiederholte sich oft, bis die Respiration immer langsamer und langsamer erfolgte und endlich für immer stillstand. Kurz vor dem Tode erfolgte meist eine dünne Kotentleerung. Einige Zeit vor. dem Tode beobachtete man regelmäßig, daß sich in den Conjunctivalsäcken eitrige Sekrete ansammelten. Über die großen Körperfunktionen während des Hungers liegen folgende Angaben vor: Die Pulsfrequenz ist im großen und ganzen unverändert oder richtiger etwas geringer als bei Nahrungszufuhr; für J. A. betrug sie während der Eßtage im Mittel 78,8, während der Hungertage 71,4; bei Breithaupt war sie am sechsten Hungertage 47 bis 48, am ersten Eßtage danach 56 bis 68. Bei Cetti änderte sich die Pulsfrequenz bis zum zehnten Hunger- tage nicht merklich, bei Succi war dieselbe vielleicht ein wenig niedriger als normal. Dagegen stellt sich eine beträchtliche Zunahme der Erregbarkeit des Herzens ein, die sich durch eine ganz unverhältnismäßige Steigerung der Pulsfrequenz bei geringfügigen Bewegungen zu erkennen gibt. So stieg die Pulsfrequenz bei Cetti am neunten und zehnten Tage schon beim Aufrichten aus der liegenden Stellung in die sitzende von 80 bis 84 auf 112 bzw. 104. Bei Succi nahm die Pulsfrequenz am zwölften Hungertage infolge eines vierminutigen Laufens mit 63 Schlägen pro Minute zu. Eine zehn Minuten dauernde Arbeit am Ergostaten erhöhte am sechsten Hungertage die Pulsfrequenz bei Breithaupt von 62 auf 150. Die Körpertemperatur (Rectum) hält sich lange Zeit ziemlich un- verändert, scheint aber etwas niedriger als normal zu sein. Die Differenz betrug im Versuche an J. A. bei Messungen jede zweite Stunde im Mittel nur 0,16°C. Auch Jürgensen hat in seinen ausführlichen Bestimmungen der Körpertemperatur nur eine geringfügige Abnahme beim Hungern beob- Der allgemeine Zustand beim Hunger. 379 achtet!). Eine beträchtlichere Abnahme erscheint nach Versuchen an Hunden erst während der letzten Tage vor dem Tode?). Nach Wasser scheinen hungernde Tiere kein großes Bedürfnis zu haben. Selbst wenn ihnen Wasser dargeboten wird, trinken sie oft nichts. Auch hungernde Menschen trinken im allgemeinen nicht viel Wasser: während der fünf ersten Hungertage genoß Cetti durchschnittlich 1137 g, Breit- haupt 1540 und J. A. gar 563g. Während der zwei ersten Tage seines Fastens in Florenz enthielt sich Succi vollständig des Trinkens, am dritten bis fünften Tage genoß er durchschnittlich 867 g. Diese Erscheinung erklärt sich daraus, daß Wasser teils durch die Verbrennung des Wasserstoffs gebildet wird, teils aus den Geweben bei deren Zerstörung dem Körper zur Verfügung gestellt wird. Außerdem findet ja nur eine sehr geringe Absonderung von Verdauungsflüssigkeiten statt, infolgedessen der Wasserbedarf des Körpers wesentlich herabgesetzt werden muß?). Aus dem Versuche an J. A. geht folgendes betreffend die Wasserbilanz hervor: Während des fünftägigen Hungerns entstanden durch Oxydation des Wasserstoffs durchschnittlich 235 g; durch das Zugrundegehen der Gewebe wurden durchschnitt- lich 260 g freigemacht; Summe 495 g. Die mittlere Aufnahme von Wasser betrug 563g. Also standen dem Körper durchschnittlich 1058 g Wasser zur Verfügung. Im Harn und in der Respiration erschienen aber durchschnittlich 1564 g Wasser. Der Körper hatte also jedenfalls noch 506 g Wasser pro Tag verloren. Bei seinen Hunden, welche auch kein Wasser erhielten, fand Falck, daß das Körpergewicht nach einer fast geraden Linie abnahm. Auf der anderen Seite beobachtete Luciani bei Hunden, welchen 150g Wasser täglich zugeführt wurden, daß das Körpergewicht, die drei ersten und die sechs letzten Tage ausgenommen, sehr nahe eine gleichseitige Hyperbel durchläuft, deren Abszissenachse eine der Asymptoten darstellt. Bei den vielfach erwähnten hungernden Menschen nahm das Körper- gewicht täglich um etwa 1 Proz. ab. Bei Cetti betrug der gesamte Gewichts- verlust während zehn Tage 11 Proz., bei Breithaupt in sechs Tagen 6 Proz., bei Sucei in zehn Tagen 9 Proz., sowie bei J. A. in fünf Tagen 7,4 Proz. des Anfangsgewichtes. Diese Abnahme erfolgt indes nicht gleichmäßig, sondern zeigt verschiedene Schwankungen, welche zum Teil wenigstens durch die ver- schieden große Wasseraufnahme bedingt sind, wie übrigens auch die indivi- duellen Differenzen mit Unterschieden in der Wasseraufnahme teilweise zu- sammenhängen. $ 2. Der Stoffwechsel beim Hunger. Über den Gesamtstoffwechsel bei hungernden Tieren besitzen wir eine Reihe sehr wertvoller Angaben von Bidder und Schmidt), Pettenkofer und Voit5), sowie Rubner®). Da es nicht möglich ist, alle diese Beobach- tungen hier aufzunehmen, stelle ich einige, wo der Hunger am längsten gedauert hat, als Beispiele hier zusammen. (Siehe Tabelle auf folgender Seite.) !) Jürgensen, Die Körperwärme des gesunden Menschen. Leipzig 1873, 8. 21 bis 27. — *°) Vgl. besonders Falck, Beiträge zur Physiologie usw. 1, 38, 1875. — °) Vgl. Voit, 8.99. — *) Bidder und Schmidt, Die Verdauungssäfte - und der Stoffwechsel, 8. 310. — ) Zeitschr. f. Biol. 5, 370, 1869. — °) Ebenda 19, 540, 1883; Rubner, Biologische Gesetze. Marburg 1887. u ce rn Der Gesamtstoffwechsel beim Hunger. 380 Wi Peru a EEE ey 006 = mag 31 “Te ez'ea = N 31 ‘puyparaq gz‘g — N/o uayuonond weop YeN (1 1'384 1'938 8'687 6'968 6'673 Fr 9 8 - | g'gg GırE 0'983 Kagett) 63 80° »9 F x (org Fayospaz)| 088 B'LeE 9°16% 9'°9 108 987 <‘9 & E aouqny 319 6'609 LEE L'89 s'rE 677 L'9 ° “ 2 ss 0'708 136727 808 6 27 78 8'8l 6 g (org Fayosmaz)| 487 0'698 6'662 3'69 978 01% 061 8 x aouqny Zu <‘6#6 8'698 8‘06 ı'88 a<'E 8‘6L # n € ‘se 0'8801 0'696 0'611 0'301 27 c‘og 8 e | (‚groA pun 1'98 o'T9IL 0‘L101 221 0'201 L‘q LIE Br . ‚uogpeyyus ‘TE 2'695 = ToyoyIy 3 1‘,g pun ‘Te 0‘9I0T — usyeıpkyoyoy Ig‘ırz uoA 41omsdunuusIgloA A9p you Ist outwung AP uf („ — 'uopeyguo "ey g‘OSI —= [OyoyIy I3c'Iz pun "Te 9'901 — usyeaıpÄkyalyoy 3 F'00z UOA IOMsdunuusIgIo‘ A9p ypou 45! owumg Aop uf (, — 'uayeyJus "TE G'36I — ToyoyIYy 3c',z pun 'Tey c'c60I — usyeıpÄyspyoy 37,95 UA NIomsdunuusdgqIo‘ 19p yDoUu IST auung Ip UJ (, — "9681 ‘sg ‘Is ‘,, Torsäyg 'F "yoıy "pueyg („ — '(9881 ‘TIE ‘BE ToIsÄyg sd °p 'F 'yoay ‘NOuoyog 'TFA) qwdıo ayeymsoyy adrıperu nz 'z017 6 AP um opoygyoweskfeuy STUBIONT [IM ‘usygQydo nz 'zoiT 6 Aw yoryuedıo pums zyesun)-N uep ınz uofyez aIq 107 'g ‘umdung seq ‘tueIon („ — 'usyfeygus Te 6F8II — usyeıpkyalyoy 3 6'683 UOA JIOMSSUNUUALAIOA AOP yoou ysT amumg A9p UL („ — "uayfeyyuo "IEM 8231 = UBYEIpÄyaLyoy 3 ITE UoA JIomsdunuusdgTo‘ Top yoou st 9wwng Ip UJ (z — '$68T ‘607 'g "Tddng ‘TEL 'yeuy 'yyed 'F 'ydıy (; 8‘9€ (8 1°01#% 10177 0'599 IL Lo'8I 9‘c9 SeIgy TOyoaz | 1'8E (,6‘9872 6'9897 6'864 v9 »r'CZ 079 Segg Jsıq | | SIE 80261 L'F89T 1'983 z’ısT LFI 1'89 g | | ‘IE 8'661 6'T891 FIrE g‘ıL1 69‘$ 0'79 F zIE 1'780 LF89L F'6gE z’ısı 19°81 e'#9 5 0'38 901% 61821 g‘0z8 gIeıT | G8'z1 1'09 ° o1opuw 'n s'eE 70337 69161 g'g08 1'903 L1'z1 0',9 I (‚uossueyop 6'68 („8'018 | 8'002 1'608 0'218 17'873 8'219 Segg 1092er] VL r | 813 L'gLel 87971 6er 0'981 80°7 vos 6% | 813 Gern 9‘0zEL 9'731 0‘ 687 1'389 0% | („‚tuerong +95 06081 B‘0zEI F'88I 0'z#l “19 8'9< oL ı mong 8 uodung ump 877 (e 3'E<#1 — 8'897 har 20°01 9‘88 yeu ode a 8'733 3'651 9'601 9'393 e'601 eg’ol 1'98 9 sıq q | odeydung 9 | 8'97 Fogsı 8'6951 9'087 B'FEl gz II 6°28 10p OYIM | (‚zyunz pun udung | | uuewyer #13 (3 3'CH91 sel o'ısE Fr sr'gt 09 | wep 10a odeggg z|ydneyyrarg | z E 2 | | 8'623 Ss‘8ost F1321 0'193 wel vol 8°08 01° 6 | | LIE 0'299 1 E01 1'793 vor | 1801 1'283 Be | | zyunz pun +87 L'FoCI FLEZI g'193 gIEL sL‘01 a3 9. 9 | ‚zyunz p | uusewyor 0'63 o'8I9T 38871 8'678 L'9E 1 gz'el 6'798 -F7SAa I a8 I [ey [ey or TOMTE Fi) 3 34 = | wure1dofry sn® sn® In A BER | en -ı0d.g ewumn | eu TA SeL | -syonsıo | N a 8 sogzJ0s10Z sqedgy-N -19d104 | = a 014 uoLIofey | | Die Zersetzung von Eiweiß beim Hunger. 383 -& 3. Die Zersetzung von Eiweiß und Fett beim Hunger. Um eine vollständigere Vorstellung von den Stoffwechselvorgängen beim Hungern zu bekommen, ist es notwendig, die dabei stattfindende Zersetzung des Eiweißes und des Fettes gesondert zu untersuchen; wir besitzen vielerlei Erfahrungen, welche in dieser Hinsicht außerordentlich wertvoll sind. Betreffend den Eiweißzerfall geben uns vor allem die Versuche von F. A. Falek!), von welchen drei besonders charakteristische in Fig. 28 graphisch dargestellt sind, Aufklärung. Fig. 28. 30g o 25 / u 20 15 T > 10 er /; A I u I FIN) 5 Da an DE ER IH I YV wu I 0 1 Tag 11 21 31 41 51 61 Die Harnstoffabgabe bei drei hungernden Hunden nach F. A. Falck. Bei diesen Versuchen wurde, wie es bis zur Einführung der Kjeldahlschen Methode in der Regel der Fall war, nicht der gesamte Stickstoff im Harn, sondern nur der Harnstoff bestimmt. Wie aber aus mehreren Beobachtungen hervorgeht, ist der hierdurch entstehende Fehler, beim Hunde wenigstens, nur gering. Die Kurve I bezieht sich auf eine Hündin, die 60 Tage lang auf ab- solute Karenz gesetzt war. Ihr Verlauf kann in gewissem Grade für die Harnstoffabgabe bei einem erwachsenen Tier, das zu Beginn des Fastens genügend Fett besitzt, als typisch angesehen werden. Noch nach dem Tode enthielt der Körper etwas Fett, in der Bauchhöhle allein 30g. Wie ersicht- !) Falck, Beiträge zur Physiologie usw. 1, 69, 1875; vgl. auch Voit, Zeitschr. f. Biol. 2, 307, 1866; Kumagawa, Mitt. d. med. Fakultät der Universität zu Tokio 3, 1, 1894, 384 Die Zersetzung von Eiweiß beim Hunger. lich, nimmt die Harnstoffabgabe unter verschiedenen, verhältnismäßig geringen Unregelmäßigkeiten bis zum Tode ununterbrochen ab. Die Kurven II und III haben einen teilweise ganz anderen Charakter. Im Anfang nimmt zwar auch hier die Harnstoffausscheidung in derselben Weise wie im Versuch I ab; nach Verlauf einiger Tage steigt sie aber wieder an und erreicht jetzt Werte, die die Anfangswerte wesentlich übertreffen. Danach folgt in Kurve III eine neue, bis zum Tode führende Abnahme der Harnstoffausscheidung. Die Ursache dieser Verschiedenheit bei den ver- schiedenen Hungertieren werde ich später erörtern. Beim Menschen ist die Eiweißzersetzung während längerer Hunger- perioden an den mehrmals erwähnten Hungerern studiert worden. In folgender Tabelle sind die dabei erhaltenen Zahlen für die N-Abgabe im Harn zusammengestellt: Hungertag Cetti Hüngertag Sucei I!) |Sucei I?) Letzter Eßtag 13,5 Letzter Eßtag 16,2 — 1 13,6 1 13,8 17,0 2 12,6 2 11,0 11,2 3 13,1 3 13,9 10,6 4 13,4 4 12,8 10,8 5 10,7 5 12,8 11,2 6 10,1 6 10,1 11,0 Fi 10,9 7 9,4 8,8 ‘8 8,9 8 8,4 9,7 9 10,8 9 7,8 10,1 10 9,5 10 6,8 7, 1. Eßtag 13,4 11 7,9 6,3 2. Eßtag 13,3 12 7,2 6,8 Breithaupt 13 3,5 5,1 Letzter Eßtag 13,0 14 5,3 4,7 1 10,0 15 5,1 5,1 2 9,9 16 5,5 4,2 3 13,3 17 6,2 5,4 4 12,8 18 5,5 3,6 5 11,0 19 5,0 5,7 6 9,9 20 4,4 3,3 1. Eßtag 11,8 21 3,9 2,8 2. Eßtag 8,3 22 3,2 u | J. A. 23 4,8 — 4 Letzter Eßtag 22,4 24 5,6 — 1 12,0 25 6,0 nr 2 12,7 26 9,1 = 3 13,5 27 5,4 age 4 13,6 28 5,6 ei 5 11,3 29 | 4,1 _ 1. Eßtag 24,4 30 6,6 _ 2. Eßtag | 17,1 | oe !) Lucianis Beobachtungen. Vgl. die Note 8.382. — ?) E. und O. Freund, Wiener klin. Rundschau 1901, S. 69, 91. Die Zersetzung von Eiweiß beim Hunger. 385 Die einzigen Versuche, welche einen näheren Vergleich mit dem Ver- halten bei hungernden Tieren gestatten, sind die an Cetti und Succi. In beiden und insbesondere in dem letzteren finden wir, daß der Eiweißzerfall beim Menschen ganz wie beim Hunde im Verlauf des Hungerns unter ver- schiedenen, im allgemeinen geringen Unregelmäßigkeiten allmählich abnimmt und etwa nach zwei Wochen einen sehr kleinen Wert erreicht. Ähnlich geringe Werte wie bei Succi hat man auch bei anderen Hungerern in der späteren Hungerzeit beobachtet. Ein sich aushungernder 50jähriger Irrer, der seit vier Wochen nur ein Weißbrot und ein Glas Bier zu sich nahm, schied am 28. Tage nur 4,44g N im Harn aus (Scherer); ein 24jähriges Mädchen, das in- folge einer Oesophagusstenose in 16 Tagen verhungerte, schied sogar nur 2,8g N aus (Schultzen). Ein abstinierender Geisteskranker von 65kg Körpergewicht schied vom 15.bis 21. Hungertage durchnittlich 4,26, ein anderer von 55 kg Körpergewicht während 16 Tagen im Mittel 4,3g aus (Tuczek). Bei einem Falle von Schlafsucht und Inanition beobachtete Senator am vierten Tage 5,7g, am 14. sogar 3,8g N im Harn. Übereinstimmende Zahlen sind auch von F.Müller mitgeteilt worden'). Während der ersten Hungertage ist die N-Abgabe verhältnismäßig groß; auf Grund dessen hat Munk geltend machen wollen, daß sich der Mensch betreffend den Eiweißzerfall im Anfang des Hungerns wesentlich anders verhielte als der Hund, bei welchem die N-Abgabe schnell herabsinkt?). Diese Auffassung scheint jedoch nicht berechtigt zu sein, denn Munk selbst hat schon früher bei einem Hunde von 35 kg Körpergewicht während neun Hungertagen eine N-Abgabe von insgesamt 78g beobachtet?). Dies macht pro Kilogramm Körpergewicht 2,23g N, während die N-Abgabe bei Cetti während der ersten neun Hungertage insgesamt 1,83 g pro Körper- kilo betrug. _ Während der ersten drei bis vier Hungertage bemerken wir bei allen vier Hungerern (nicht aber bei Succi II), daß die N-Abgabe im Harn stetig zunimmt, um dann wieder abzusinken. Die gleiche Erscheinung hat Praus- nitz bei 15 zweitägigen Hungerversuchen zwölfmal beobachtet und findet eine Erklärung dieses Verhaltens in folgender Überlegung. Da der Mensch in seiner gemischten Nahrung in der Regel viel Fett und namentlich viel Kohlehydrate genießt, so wird sich auch in seinem Körper immer viel Glykogen und Fett vorfinden. Am ersten Hungertage schützt nun das reichlich ab- gelagerte Glykogen eine gewisse Menge Eiweiß vor der Zersetzung, es geht aber selber an diesem Tage zu großem Teile zugrunde, und seine schützende Wirkung fällt daher am zweiten Hungertage wesentlich fort, statt dessen wird nunmehr Eiweiß in größerem Umfange angegriffen ®). Hierdurch verarmt aber der Körper an disponiblem Eiweiß, infolgedessen nimmt die Eiweiß- zersetzung wieder ab, und das vorhandene Körperfett wird nun in größerem Maße angegriffen. Diese Auffassung wird dadurch wesentlich unterstützt, daß beim Versuche an J. A., pro Körperkilogramm berechnet, gleichzeitig mit der Steigerung des Eiweißzerfalles die Abgabe von Kohlenstoff aus N- freien Verbindungen abnahm, um erst am fünften Tage wieder in die Höhe zu gehen’). Trotzdem dürfen wir uns nicht vorstellen, daß die Gesamtmenge des Glykogens schon im Laufe der ersten Hungertage verbraucht worden wäre, denn wir wissen ja, daß sich Glykogen sogar nach mehrwöchigem Hungern !) Nach Munk, Arch. f. path. Anat. 131, Suppl., S. 119. — ?) Ebenda 131, Suppl., S. 118. — °?) Ebenda 101, 105. — *) Zeitschr. f. Biol. 29, 151, 1892. — 5) Vgl. Skand. Arch. 7, 64, 1896. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 25 386 ; Die Zersetzung von Eiweiß beim Hunger. im Körper nachweisen läßt. Im Anfang des Hungerns ist aber der Glykogen-- gehalt viel größer als später, und das Glykogen kann daher gerade zu dieser Zeit seine stärkste eiweißersparende Wirkung ausüben }). Ausden im folgenden Kapitel näher zu besprechenden Erfahrungen über den Stoffwechsel bei Zufuhr von Nahrung wissen wir, daß das aus dem Darm resorbierte Eiweiß leichter als alle anderen Nahrungsstoffe im Körper zersetzt wird. Beim Hungern finden wir indes, daß der Anteil des Eiweißes am Ge- samtstoffwechsel verhältnismäßig gering ist, und zwar beträgt derselbe dem Wärmewerte nach bei gut genährten Tieren nur etwa 7,3 bis 16,5 Proz. der totalen ‚Wärmeentwickelung (E. Voit?). Da nun dieses Eiweiß den Geweben selbst entstammt, so folgt, daß die Körpergewebe in verhältnismäßig geringem Umfange Eiweiß von sich selber abgeben. Wie schon oben bemerkt, beobachtet man bei hungernden Tieren nicht selten, daß die N-Abgabe nach einer vorübergehenden Abnahme wieder be- ginnt anzusteigen und allmählich Werte erreicht, welche die Anfangswerte wesentlich übertreffen (vgl. Kurve II und III, Fig. 28°). Voit, welcher die betreffende Erscheinung zuerst beobachtete, deutete dieselbe durch die Annahme, daß das anfangs neben dem Eiweiß noch vor- handene Fett das erstere schützte, später aber nicht mehr, nachdem der Körper dem Fett gegenüber reicher an Fleisch geworden war. Eine wesentliche Stütze erhielt diese Auffassung durch Rubners Ver- suche an hungernden Hunden). Es wurden an einem und demselben Tiere zwei Hungerversuche ausgeführt. In dem ersten war das Tier mager, 8,83 kg, dabei zersetzte es am zweiten Hungertage pro Körperkilogramm 5,32 g Fett und schied 0,34g N im Harn aus. Sodann wurde es gemästet und vier Monate später zu einem neuen Hungerversuche benutzt. Eswognun 11,11kg und zersetzte am zweiten Hungertage pro Kilogramm 5,92 g Fett, schied aber nur 0,14g N aus. Die absoluten Zahlen sind im mageren Zustande 3,04 g N und 46,94g Fett, im fetten 1,64g N und 65,79g Fett. Noch direkter scheint die Bedeutung der Fettabnahme aus folgenden Versuchen am Kaninchen hervorzugehen (Rubner’). N im Harn, . Zersetztes Fett, Nr. Hungertag | Durchschnitt pro Tag] Hungertag | Durchschnitt pro Tag 8 g II 8 1,67 2% 10,3 4—5 1,46 4 10,3 6.:—:,8 3,21 8 2,4 III 1-12 1,50 — — MB 1,03 a —iß 10,0 9 —15 0,91 915 7,4 16—18 2,65 16—18 1,0 !) Vgl. auch Landergren, 'Skand. Arch. 14, 165, 1903, — °) Zeitschr. f. Biol. 41, 167, 1901; vgl. auch Rubner, ebenda 19, 557, 1883. — °) Weitere Beispiele davon finden sich bei Voit, Zeitschr. f. Biol. 2, 327, 1866; Feder, ebenda 14, 176, 1878; Schimanski, Zeitschr. f. physiol. Chemie 3, 396, 1879; Kukein, Zeitschr. f. Biol. 18, 26, 1882; Schöndorff, Arch. f. d. ges. Physiol. 67, 432, 1897. — *) Zeitschr. f. Biol. 19, 541, 561, 1883. — °) Ebenda 17, 220, 231, 233, 1881. Die Zersetzung von Eiweiß und Fett beim Hunger. 387 Im Versuch I steigt die N-Abgabe von 1,46 auf 3,21g, während gleichzeitig die Fettzersetzung von 10,3 auf 2,49 herabsinkt. Das Ergebnis vom Versuch III ist gleichlautend: N- Abgabe während des 9.bis 15. Tages 0,91, während der letzten Tage 2,65; Fettzersetzung während des 9. bis 15. Tages 7,4 g, während der letzten Tage 1,0g. Wenn die hier zu erörternde Deutung richtig ist, so müßte durch Zufuhr von N-freien Nahrungsstoffen die betreffende Steigerung des Eiweißzerfalls vermieden werden können. Diese Voraussetzung hat sich nun in der Tat in einer Anzahl von Fällen, wie z. B. in den folgenden, bewährt. Ein hungerndes Kaninchen von 2159 g Anfangsgewicht lebte 29 Tage lang; während 23 Tage erhielt es je 30g Öl subeutan, während der letzten drei Tage aber nicht. Von der gesamten Fettmenge, 690 g, wurden 540g resorbiert. Eine Steigerung der N-Abgabe trat erst spät auf und kam eigentlich nur während der letzten drei Hungertage deutlich zum Vorschein. (Am 1. bis 8. Tage 1,78 g, 13. bis 22. Tage 0,58 g, 23. bis 25. Tage 0,64 g, 26. Tage 0,99, 27. Tage 1,24, 28. Tage 1,17 g; Koll?). Auch durch Zufuhr von Kohlehydraten ist es gelungen, während langer Zeit der beim Kaninchen in der Regel hervortretenden Steigerung des Eiweiß- umsatzes vorzubeugen (Kaufmann). Schulz°) fütterte einen Hund mit einer den Bedarf weit untersteigenden Menge Fleisch und entzog also, bei nur wenig verändertem Eiweißbestand, dem Tiere allmählich dessen Fett: die prämortale Steigerung der N-Abgabe kam endlich sehr charakteristisch zum Vorschein. Nach dem Tode enthielt das Tier allerdings noch etwas Atherextrakt; ein Drittel davon bestand aber aus Cholesterin. - Wenn also diese Erfahrungen unbedingt dafür sprechen, daß das Körperfett und seine quantitativen Veränderungen in bezug auf die Größe des Eiweißumsatzes beim Hungern eine sehr bedeutende Rolle spielen, so ist dadurch nicht nachgewiesen, daß die betreffende Steigerung des Eiweiß- umsatzes nur von der Fettabnahme bedingt ist, denn sie kann auch dann auftreten, wenn der Körper sein Fett noch lange nicht verbraucht hat, wie daraus hervorgeht, daß man an verhungerten Tieren, welche die prämortale Steigerung der N-Abgabe sehr schön därgeboten haben, immer noch zurück- gebliebenes Fett hat nachweisen können ). Ein vollständiger Fettmangel existiert also überhaupt nicht, was übrigens Voit nie behauptet hat. Angesichts dieser Tatsachen hat Schulz’) erwogen, ob nicht auch andere Umstände hierbei zu berücksichtigen sind, und ist in dieser Hinsicht zu der folgenden Auffassung gekommen: Beim Hunger können die Körperzellen zu- nächst ohne wesentliche Störungen ihrer Lebenstätigkeit Eiweiß von sich abgeben. Endlich muß doch irgend eine Zelle ihren niedrigsten Eiweißbestand erreicht haben, und sie stirbt ab. Dieses Absterben einer oder weniger Zellen wird natürlich nicht den Tod des Gesamtorganismus zur Folge haben. Wenn aber eine große Anzahl von Zellen zugrunde gegangen ist, werden die Leistungen des Körpers erheblich gestört werden müssen, bis sie ‘schließlich ganz aufhören. Ein fettreiches Tier hält den Hunger länger aus, weil der Fettreichtum des für gewöhnlich auch eiweißreicheren Tieres einen größeren ») Koll, Die subeutane Fetternährung vom physiolog. Standpunkte, 8. 98. Würzburg 1897. — ?) Zeitschr. f. Biol. 41, 96; E. Voit, ebenda 41, 550, 1901. — %) Arch. f. d. ges. Phys. 76, 400, 1899, — *) Vol. Schulz, ebenda 66, 145, 1897. — °) Ebenda 76, 385, 1899. 25* 388 Die Zersetzung von Eiweiß und Fett beim Hunger. Eiweißschutz ausübt und also wenig Zelleiweiß vernichtet wird. Die prä- mortale Steigerung des Eiweißzerfalles ist also von einem plötzlich statt- findenden Absterben von Zellen bedingt). Eine nähere Erörterung dieser Anschauung und der darüber geführten Polemik würde hier zu weit führen. Ich will nur bemerken, daß bei dieser Erscheinung auch andere Faktoren beteiligt sein könnten. Es könnte möglich sein, daß die Fähigkeit der durch den Hunger beschädigten Körperzellen, Fett zu zersetzen, ganz allmählich abnehmen würde ‚und zur Deckung des dadurch entstandenen Defizits Eiweiß in entsprechend steigenden Mengen zum Abschmelzen kommen müßte. — Auch ist es nicht unmöglich, daß bei einer bedeutenden Abnahme des Körperfettes das Fett nicht in genügender Menge aus seinen großen Depots in den Saftstrom gerät, wodurch die Speisung der Gewebe mit Fett verringert wird ?). Als entschieden kann diese Frage jedenfalls nicht erachtet werden. Es zeigt sich ja übrigens, daß der Stoffwechsel bei Hunger demjenigen bei Nahrungszufuhr gegenüber verschiedene Abnormitäten darbietet, wie schon daraus hervorgeht, daß die Verbrennungswärme des Harns beim Hunde pro 1g N größer ist als bei reiner Fleischfütterung (vgl. oben 8.361). Betreffend fernere Unterschiede weise ich auf die von E. und OÖ. Freund an Sucei gemachten Beobachtungen hin °). Könnte es dann nicht der Fall sein, daß die prämortale Steigerung des Eiweiß- zerfalles durch eine Art von Autointoxikation bedingt wäre, welche entweder das Zersetzungsvermögen der Zellen für Fett oder die Lösung des Fettes aus den großen Fettdepots herabsetzen würde? Nach dem Hungern zeigt der Körper eine ausgesprochene Fähigkeit, die erlittenen Verluste wieder zu ersetzen. Da ich in den Kapiteln VIII bis X den Ansatz von organischer Substanz im Körper näher besprechen werde, beschränke ich mich hier nur darauf, einige hierher gehörige Beobachtungen am Menschen mitzuteilen. Die Versuchsperson J. A. hatte während fünf Hungertagen vom Körper 398,8 g Eiweiß, 937,7g Fett, 36,69 Aschebestandteile und 3829 g Wasser ver- loren. Am letzten Tage betrug der Umsatz 71,7g Eiweiß und 181g Fett. Bei einer sehr reichlichen Kost, aus welcher im Mittel 170,5g Eiweiß, 238,3g Fett, 249,1g Kohlehydrate und 29,3 Alkohol = 4141 Kal. resorbiert wurden, zersetzte J. A. während zwei Eßtagen durchschnittlich 135,5g Eiweiß, 68g Fett, 249,1g Kohlehydrate und 29,3g Alkohol = 2424 Kal. Es blieben also während dieser zwei Tage 81,5g Eiweiß, 339,3 Fett und wenigstens 25,1 g Aschebestandteile im Körper zurück. Vom genossenen Wasser, für die zwei Tage 7894 g, wurden 2730g angesetzt. Während dieser zwei Tage wurden also 20,4 Proz. des verlorenen Ei- weißes, 36,2 Proz. des verlorenen Fettes, 71,3 Proz. des verlorenen Wassers und wenigstens 68,6 Proz. der verlorenen Aschebestandteile dem Körper ersetzt‘). $ 4. Der Verlust der verschiedenen Organe beim Hungern. Um den Gewichtsverlust der einzelnen Organe beim Hungern festzustellen, hat man zwei möglichst gleichgroße Tiere derselben Art und desselben Alters ausgewählt, das eine sogleich, das andere aber nach einem genügend langen Hunger getötet und dann an beiden die einzelnen Organe, frisch und in trockenem Zustande gewogen und miteinander verglichen. Hierbei ist man von der Annahme ausgegangen, daß bei zwei Tieren gleichen Gewichts und gleichen Alters alle Organe gleich schwer sind, was indes nicht ganz richtig !) Vgl. auch Kaufmann, Zeitschr. f. Biol. 41, 75, 1901; Schulz, ebenda 41, 368; E. Voit, ebenda 41, 502, 550, 1901. — ?) Vgl. E. Voit, Zeitschr. f. Biol. 41, 530, 1901. — ®?) Wiener klin. Rundschau 1901, 8. 69, 91..— *) Skand. Arch. £. Physiol. 7, 46, 49, 65, 68, 1896. Der Gewichtsverlust der Organe beim Hunger. 389 ist, denn das Gewicht einzelner Organe kann trotz gleichgroßem Körper- gewicht vielfach variieren. Es steht uns aber keine andere Methode zur Verfügung, um diese Frage ganz allgemein zu beantworten. Folgende Tabelle enthält eine Zusammenstellung der in dieser Weise von Chossat!) (Tauben), Voit2) (Katze), Kumagawa) (Hund) und Sedlmair®) (Katze) gemachten Beobachtungen. 100 g Organ verloren nach: x Chossat Voit Kumagawa Sedlmair ISedlmair I se frisch #risch | trocken frisch, fettfreii trocken trocken Skelett 21 14 —. 6) 19 24 Haut 33 I 21 — 28 32 | 44 Muskeln 42 \ 31 30 42 70 65 Gehirn und |\ 2 3 SE 22 1,1 _— Rückenmark |/ Mn] Herz 45 3 _ 16 55 4 Blut = 27 18 48 — EB Milz : 67 63 97 74 75 Leber 92 54 57 50 72 64 Pankreas 64 17 — 62 39 69 Nieren 32 „26 21 55 98 53 Genital- A Sa u 49 ar ze. apparat |/ Magen ‚und ya 18 = 32 53 57 Darm Lungen 22 18 19 29 30 35 Fettgewebe 93 97 —_ —_ 97 89 Aus dieser Tabelle geht in voller Bestätigung der Stoffwechselversuche hervor, daß vor allem das Fettgewebe beim Hungern zugrunde geht. Ferner finden wir, daß die drüsigen Organe — die Milz, die Leber, das Pankreas — in einem beträchtlichen Umfange leiden, sowie daß auch die Skelettmuskeln in einem sehr großen Umfange zerstört werden. Nach Voit und Kumagawa würde dagegen das Herz nur wenig an Masse einbüßen, während dasselbe nach Chossat und Sedlmair sehr stark abnimmt. Das zentrale Nerven- system scheint dagegen nur in sehr geringem Grade durch das Hungern zu leiden. Die zuletzt erwähnte Erscheinung könnte dafür sprechen, daß diejenigen Organe, deren Tätigkeit für das Leben am wichtigsten ist, trotz eines pro- longierten Hungerns nicht an Masse abnehmen und also ganz speziell auf Kosten der übrigen Organe ernährt werden, und man könnte auch in dem geringen Gewichtsverlust des Herzens bei den Versuchen von Voit und Kumagawa eine Bestätigung dieses Schlusses finden. Da aber das Gewicht !) M&m. present6s par divers savants ä l’Acad&mie des sciences. Paris. 8, 438, 1843; zit.nach Voit, 8.95.—*) Zeitschr. f. Biol. 2, 351, 1866, 13tägiges Hungern. — ®) Mitt. der med. Fakultät der Universität zu Tokio 3, 1, 1894. Die bier mit- geteilten Zahlen sind von E. Voit (Zeitschr. f. Biol. 46, 195, 1904) auf fettfreies Tier berechnet, 24tägiges Hungern. — *) Zeitschr. f. Biol. 37, 41, 1899, 28-, bzw. 35tägiges Hungern. 390 Der Gewichtsverlust der Organe beim Hunger. des zentralen Nervensystems an und für sich sehr gering ist und die Er- fahrungen Chossats und Sedlmairs bezüglich des Herzens ganz anders als die von Voit und Kumagawa lauten, so dürfte aus diesen Beobachtungen keine bestimmte Schlußfolgerung gezogen werden können, obgleich das Material jedenfalls eine Andeutung davon gibt, daß beim Hungern die be- sonders tätigen Organe ihre Arbeit auf Kosten der übrigen Organe ausführen. Diese Anschauung hat aber durch andere Untersuchungen eine sehr wichtige Stütze gefunden. E. Voit fütterte Tauben mit sehr kalkarmem Futter; die Knochen, welche bei den Bewegungen der Tiere benutzt wurden, verlieren dabei kaum etwas an Gewicht, während das Brustbein und der Schädel zu ganz dünnen, löcherigen Gebilden verwandelt worden waren !). Da die Kost die zum Unterhalt des Körpers notwendige Kalkmenge nicht enthielt, wurde Kalk von den „untätigen* Knochen abgegeben, um den „tätigen“ zur Verfügung gestellt zu werden. Daß auch beim vollständigen Hungern die Knochen ihre anorganischen Bestandteile abgeben, geht aus Munks?) Beobachtungen an hungernden Menschen und Tieren hervor. Sehr demonstrativ ist auch folgende Beobachtung von Miescher?°). Der Rheinlachs zieht im besten Ernährungszustande aus dem Meere, bleibt aber sechs bis neun Monate lang im Süßwasser, ohne irgendwelche Nahrung zu genießen. Während dieser Zeit magert er natürlich in sehr hohem Grade ab, die Geschlechtsorgane, die Hoden und die Eierstöcke entwickeln sich aber auf Kosten der abnehmenden Skelettmuskeln zu einem enormen Umfange. Hierher gehört auch die Verwandlung der Batrachierlarven, z. B. der der Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans). Wenn dieselbe gegen Ende Mai aus- gewachsen ist und eine Länge von. etwa 8cm erreicht hat, hört sie auf zu fressen. Die Länge des eigentlichen Körpers beträgt etwa 3 cm, und der mächtige Ruder- schwanz stellt also einen sehr großen Teil der Masse des Tieres dar. In der Zeit von etwa fünf Wochen wird nun infolge des Hungers der ganze Schwanz auf- gezehrt, indem er sich von Tag zu Tag verkleinert, während auf seine Kosten die Hinter- und Vorderbeine aus dem Rumpfe hervorwachsen (Pflüger‘). Es scheint daher die Auffassung gestattet zu sein, daß sämtliche Organe beim Hungern ihre Beiträge zum Unterhalt des Gesamtkörpers abgeben; die- jenigen Organe aber, deren Tätigkeit in erster Linie für das Leben in Betracht kommt, leisten ihre Arbeit auf Kosten der übrigen: ihr Nahrungszustand leidet daher weniger als der der anderen Organe, und sie nehmen verhältnismäßig. wenig an Gewicht ab. a“ Früher oder später trifft aber die Zeit ein, wo das durch diese Be- steuerung der Organe angeschafite Material nicht mehr genügt, um die lebenswichtigsten Organe und Verrichtungen zu unterhalten. In dieser Hinsicht verhalten sich verschiedene Tiere und verschiedene Individuen sehr verschieden: junge Tiere haben eine sehr geringe Widerstandskraft, neu- geborene Hunde sterben schon innerhalb 72 Stunden; erwachsene Hunde sind !) Amtl. Ber. d. 50. Vers. d. deutschen Naturf. in München 1877, 8. 242, zit. nach Voit. — ?) Arch. f. path. Anat. 131, Suppl., $. 171, 1893; Arch. f. d. ges. Physiol. 58, 336, 1894. Vgl. auch Sedlmair, Zeitschr. f. Biol. 37, 25, 1899; E. Voit, ebenda 46, 167, 1904. — °) F. Miescher, Histochemische u. physiol, Arbeiten 2, 124, 1880; vgl. auch Boyd, Dunlop, Gillespie, Gulland, Greig, Mahalanobis, Newbigin und Paton, Journ. of Physiol. 22, 333, 1898. — *) Arch. f. d. ges. Physiol. 29, 78, 1882; 54, 403, 1893. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Nahrung. 391 bei absoluter Karenz bis zu 60 Tagen am Leben geblieben; erwachsene Menschen haben 40 bis 50 Tage lang gefastet, ohne zu sterben — unwider- ruflich kommt aber der Tag, wo das Leben erlischt. Wenn die Tiere in Watte eingebettet und dadurch der Wärmeverlust vermindert wird, kann der Tod allerdings noch einige Zeit aufgeschoben werden. Es dauert indes nun- mehr nicht lange, bis die Störungen der lebenswichtigsten Organe so weit fortschreiten, daß das Leben nicht mehr möglich ist, das Tier stirbt. Viertes Kapitel. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Nahrung. Wenn ein Tier beliebig große Mengen der N-freien Nahrungsstoffe, aber kein Eiweiß aufnimmt, so scheidet es nichtsdestoweniger Stickstoff im Harn und Kot ununterbrochen aus; wenn mit dieser Diät genügend lange fort- gefahren wird, tritt der Tod an N-Hunger unvermeidlich ein. Dennoch hält der Körper bei alleiniger Zufuhr von N-freier Kost länger aus als bei voll- ständigem Hungern. Haben wir ja schon beim Studium des Hungerstoff- wechsels gesehen, wie die zugrunde gehende Eiweißmenge geringer ist, so- lange der Körper Gelegenheit und Vermögen hat, Fett in genügender Menge zu zerstören, sowie daß die Zufuhr von Fett oder Kohlehydraten den Eintritt der prämortalen Steigerung der N-Abgabe unter Umständen wenigstens ver- hindern oder aufschieben kann. In derselben Richtung gehen die an Kaninchen gemachten Beobachtungen von Oertmann!): bei möglichst N- armem, hauptsächlich aus Kohlehydraten bestehendem Futter blieben die Tiere noch bis zu 61 Tagen am Leben, während Kaninchen bei vollständiger Nahrungsentziehung viel früher verenden. Auf der anderen Seite ist es bei einem Tiere, dessen Verdauungsorgane die Resorption ausreichender Eiweißmengen gestatten, möglich, durch alleinige Zu- fuhr von Eiweiß bleibend den Körper völlig leistungsfähig zu erhalten. Das beste Beispiel davon haben wir in einem Versuch von Pflüger?), der einen äußerst mageren Hund von etwa 30 kg Gewicht fast 3/, Jahre lang mit möglichst fett- und glykogenfreiem Fleisch fütterte. Nach dieser Zeit war das Tier, ob- gleich es dabei eine sehr beträchtliche Arbeit ausführte, noch sehr leistungsfähig. Da wir in betreff der chemischen Vorgänge bei der Stoffzersetzung im Körper keinen wesentlichen, prinzipiellen Unterschied zwischen dem Hunde und dem Menschen voraussetzen können, läßt es sich theoretisch sehr wohl denken, daß auch der Mensch sich ausschließlich mit Eiweiß ernähren könnte. Indes kommt hier die Leistungsfähigkeit der Verdauungsorgane noch in Be- tracht, und die Erfahrung hat gezeigt, daß diese nicht vermögen, dauernd Eiweiß in solcher Menge zu verdauen und dem Blute abzugeben, wie sie für den Unterhalt des Körpers nötig wäre, und aus diesem Grunde ist der Mensch immer gezwungen, neben dem Eiweiß auch N-freie Nahrungsstoffe zu genießen. Da das Eiweiß also unter den organischen Nahrungsstoffen eine bestimmte Ausnahmestellung einnimmt, ist es angezeigt, die Darstellung des Stoffwechsels bei Zufuhr von Nahrung mit dem Studium des Eiweißes zu beginnen. 1) Arch. f. d. ges. Physiol. 15, 375, 1877. — ?) Ebenda 50, 98, 1891; 96, 331, 1903. 392 Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Eiweiß. $ 1. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Eiweiß). Noch heutzutage sind die von Bischoff und Voit ausgeführten Unter- suchungen über den Eiweißstoffwechsel vor allem maßgebend. Daher teile ich zur Orientierung in erster Linie eine Zusammenstellung einiger Beob- achtungen von diesen Autoren hier mit?). N-Abgabe, | | Dauer Hund I°) |N-Aufnahme | Durchschnitt pro Tag | N-Bilanz IR: Nr. 1858 pro Tag pro Tag NEN N. im Harn | im Kot | Summe Datum g g g £ g Tage 1 9.—15. Nov. 61,2 56,5 1,0 97,9 + 3,7 7 24510:==17. 15 51,0 50,6 0,8 51,4 — 0,4 2 3 | 18.—19. „ 40,8 41,3 0,6 41,9 — 11 2. 4 11:20.—21.° ; 30,6 36,6 0,5 37,1 — 6,5 2 5 122,23. , 20,4 22,9 0,2 23.1 —27 2 6 || 24.—25. „5 10,2 15,2 0,2 15,4 —)2 2 7 || 26,—27.. „ 6,0 12,5 _ 12,5 — 6,5 2 8 || 28.—30. „ 0 7,7 —_ 7,7 — 7,7 3 9 1.— 4. Dez. 61,2 57,8 0,6 58,4 —+ 2,8 + 10 ee 85,0 80,6 0,8 | 81,4 + 3,6 3 N-Abgabe, x Hund II?) | N-Aufnahme ae pro Tag |N-Bilanz SRURRER Nr. 1858 pro Tag pro Tag Er im Harn | im Kot | Summe ii Datum g g g £ g Tage 1 | 25. Aug. f) 7,6 an. 7,6 — 7,6 1 2 | 26. n f) 6,5 in) 6,5 —65 1 —— 3 |. 27.—28. , 10,2 12,9 12,9 BE 2 4 129. Aug.—1.Sept. 20,4 22,6 22,6 — 2,2 + 5 | 2.—3. Sept. | 30,6 32,0 32,0 — 14 2 6 ae a EE 40,8 40,1 40,1 + 0,7 2 +7. 51,0 49,2 92 | +1,8 2 ı I I !) Das Verhalten der P-haltigen Eiweißstoffe wird im Zusammenhange mit den Aschebestandteilen erörtert werden (Kap. X). — ?) Das bei diesen Versuchen benutzte Fleisch war gutes, frisches Kuhfleisch, jederzeit sehr sorgfältig von Knochen, Knorpel usw. rein präpariert. Verschiedene Analysen ergaben, daß es durchschnittlich nicht mehr als 1 Proz. Fett enthielt. Als Durchschnittswert für den N-Gehalt des gefütterten Fleisches wird nach mehreren Analysen die Zahl 3,4 angenommen. — Im Harn wurde nur der Harnstoff, nicht der Gesamtstickstoff bestimmt, was aber nur einen verhältnismäßig geringen Fehler hat veranlassen können. Die Resultate der Versuche werden von Voit in der Regel als „Fleisch“ aufgenommen. Um dieselben mit den späteren Untersuchungen leichter vergleich- bar zu machen, habe ich sie hier und im folgenden in Stickstoff angegeben. — ®) Bischoff u. Voit, Die Gesetze der Ernährung des Fleischfressers. Leipzig u. Heidelberg 1860, Tabelle; Voit, Zeitschr. f. Biol. 3, 74, 1867. — *) Voit, Zeitschr. f. Biol. 3, 29, 84, 1867. Pe EN RN ae due ee ee Ben u Ge ee Einfluß verschiedener Eiweißmengen. 393 Aus diesen Versuchen folgt, daß bei vermehrter Zufuhr von Eiweiß auch die Eiweißzersetzung zunimmt, und zwar wird in den meisten Fällen nicht allein die gesamte zugeführte Eiweißmenge zersetzt, sondern ein Teil des Körpereiweißes geht außerdem zugrunde; nur bei sehr reichlicher Fleisch- zufuhr tritt Gleichgewicht ein oder erfolgt sogar eine Retention von Stick- stoff im Körper. Wesentlich in derselben Weise verhält sich der Eiweißumsatz, wenn das Futter nebst Eiweiß auch Fette oder Kohlehydrate enthält. Auch jetzt steigt die Eiweiß- zersetzung in nahezu gerader Proportion zu der gefütterten Eiweißmenge, obgleich, wie später näher auszuführen ist, die absolute Größe des Eiweißzerfalls bei Zugabe von Fett oder Kohlehydraten etwas herabgesetzt wird. Als Belege verweise ich auf folgende Versuche von Bischoff und Voit!). | pro Tag || Abende, | wanitanz | Dauer Nr. etc | Durchschnitt pro Tag des | N-. |.Fetk pro Tag Versuchs g g g g | Tage 1 || 22. Nov. bis 1 Dez. 1857 51 | 250 || 7,9 — 2,8 10 2 2. Dez. 8,5 | 250 9,2 —0,7 1 3 Bes 11,9 | 250 _ _ 1 4 ae | 15,3 | 250 11,7 + 3,6 1 5 |5. Dez. 1857 bis5. Jan. 1858| 17,0 | 250 15,1 + 1,9 32 6 6. bis 8. Jan. 25,5 | 250 22,4 + 3,1 3 * "ER 5 Reel 34,0 | 250 29,8 +42 3 8 7 a? 42,5 | 250 39,2 + 3,3 3 9 re 51,0 | 250 47,0 + 4,0 4 | 5 | Babe. Tubes: N-Bilanz He Nr. Datum urchsehnitt pro Tag > | N | Stärke pro Tag Versuchs I 8 g g 8 Tage 1 22. März 1858 23,8 150 26,3 — 25 1 2 5, NER 20,4 150 23,1% — 2,7 1 3 a 14,6 200 18,8 — 42 1 4 25. bis 28. März 8,8 |250-350 13,4 — 4,6 4 5 | 31. März bis 1. April 5,1 |350-430 10,7 — 5,6 2 6 2. bis 3. April 0 450 | 5,7 —5,7 2 } l Wie der Körper sehr verschiedene Eiweißmengen zersetzen kann, so ver- mag er es auch, sich mit sehr verschiedenen Quantitäten Eiweiß in Stick- stoffgleichgewicht zu stellen (vgl. S.353), vorausgesetzt, daß die betreffende Kost genügend lange verabreicht wird. Wie leicht ersichtlich, kann dies jedenfalls nur innerhalb gewisser Grenzen stattfinden: erstens gibt es eine untere Grenze, unterhalb deren die Eiweiß- Y!) Bischoff u. Voit, a. a. O., Tab.; Voit, Zeitschr. f. Biol. 5, 332, 338, 433, 1869. 394 Einfluß verschiedener Eiweißmengen. zufuhr nicht sinken darf, ohne daß N-Hunger eintritt, und zweitens findet sich eine obere Grenze, welche, wie es scheint, von der Verdauungs- und Re- sorptionsfähigkeit des Darmes bestimmt wird, indem der Körper nach einiger Zeit wenigstens es vermag, jede noch so große Menge resorbierten Eiweißes zu zersetzen. Um die Art und Weise zu zeigen, wie sich der Körper ins N-Gleich- gewicht stellt, verweise ich auf folgende zwei Versuche von Voit!). Fall I Ta N-Zufuhr | N-Abgabe N-Bilanz 5 pro Tag pro Tag pro Tag 1863 g£ RER g as 77 ER 17,0 184.4, —18 IH. 2.5 Syke 51,0 41,6 +94 BE 51,0 44,5 ° +65 8. ; | 51,0 47,3 + 3,7 RR Re RR 51,0 47,9 +31 RR N 51,0 49,0 + 2,0 a 49,3 +1,77 7 ls ar Sec Zehn airne | 51,0 51,0 0 Summa 1. bis 7. Juni . . a v1 2, Fall I. Ta | N-Zufuhr | N-Abgabe N-Bilanz 5 pro Tag pro Tag pro Tag 1863 £ g g- 13. April | 51,0 51,0 0 Its | 34,0 39,2 — 5,2 + Me a ra 36,9 — 2,9 Lore. a 34,0 37,0 — 3,0 Er BE. 36,7 —37 18... EN 34,0 34,9 — 0,9 Summa 14. bis 18. Apzil t nusa ae — 14,7 Beide Versuche sind an demselben Hunde ausgeführt. In Fall I hatte das Tier vorher täglich 17g N im Fleisch bekommen; es war mit dieser N- Menge nicht im Gleichgewicht, sondern gab von seinem Körper noch 1,6g N ab. Jetzt wurde die N-Zufuhr auf 51 g gesteigert. Der N-Umsatz stieg dabei sogleich auf 41,6g an und betrug während der folgenden Tage bzw. 44,5, 47,3, 47,9, 49,0, 49,3, 51,0. Das N-Gleichgewicht trat erst am siebenten Tage ein. Bei vermehrter N - Zu- fuhr steigt also der N-Umsatz sogleich an, ist aber anfangs kleiner als die Zufuhr und wird erst nach einigen Tagen derselben gleich. Fall II stellt das Spiegelbild des ersten Falles dar. Hier war das Tier vorher mit 51g N im Fleisch im N-Gleichgewicht. Wenn nun die N-Zufuhr auf 34 g herab- gesetzt wird, sinkt der N-Umsatz sogleich auf 39,2 und beträgt während der folgenden Tage bzw. 36,9, 37,0, 36,7, 34,9g. Erst am fünften Tage nähert sich das Tier dem N-Gleichgewicht, hat aber während dieser Zeit 14,7g N von seinem Körper ver- loren. Bei verminderter N-Zufuhr sinkt also der N-Umsatz sogleich herab, ist aber anfangs größer als die Zufuhr und nähert sich im Laufe einiger Tage derselben. !) Zeitschr. f. Biol. 3, 79, 1867. Das Stickstoffgleichgewicht. 395 Zur Erklärung der Tatsache, daß bei genügend großer Vermehrung der Zufuhr Stickstoff anfangs im Körper zurückgehalten wird, können mehrere Hypothesen aufgestellt werden. Es könnte der Fall sein, daß dies von der Anhäufung N-haltiger Stoffwechselprodukte im Körper bedingt wäre. Dem- gegenüber läßt sich aber bemerken, daß diese Produkte bei einigen Versuchen - eine mit dem Bestand des Lebens unvereinbare Menge betragen würden. Bei einem Hunde von 32 kg, der sechs Tage lang mit 1500 g Fleisch gefüttert war und acht Stunden nach Fütterung mit 2000 g Fleisch getötet wurde, fand Schöndorff!) in Muskel, Herz, Leber, Nieren, Gehirn, Milz, Pankreas und Blut, welche zusammen etwa 53 Proz. des Körpergewichtes betrugen, 16,9 g Harnstoff. Im ganzen Tiere hätten also 34 g Harnstoff vorhanden sein können. In dem oben mitgeteilten Versuch mit 51 g N hatte das Tier ein Körpergewicht von etwa 30kg und hielt während sechs Tagen insgesamt 26,4g N zurück, . was, als Harnstoff berechnet, etwa 60 g beträgt. Es ist also nicht möglich, daß der Stickstoff in Form von Harnstoff im Körper zurückgehalten worden wäre. Außerdem besitzen wir direkte Versuche von Voit, nach welchen der im Körper befindliche Harnstoff tatsächlich im Laufe desselben Tages vom Körper aus- geschieden wird?). Er gab einem Hunde, der sich mit 51g N im N-Gleichgewicht befand, drei Tage lang noch Harnstoff und beobachtete dabei im Harn einen dieser Harnstoffmenge genau entsprechenden Überschuß, wie aus folgender Zusammen- stellung ersichtlich ist. N .‘ - ß im H 5 N im Fleisch | im’ gefütterten | N im Harn | = nee ee: Tag bei Zufuhr von Harnstoff Harnstoff g g g g 1 51 — 51,7 — 2 51 2,5 54,4 2,7 3 51 2,4 54,1 2,4 4 51 3,7 55,5 3,8 5 51 L 51,7 = SUMME: dns ep 8,6 _ | 8,9 Daß auch intermediäre N-haltige Zersetzungsprodukte nicht in größerer Menge von einem Tage zum anderen zurückgehalten werden, geht teils daraus, daß die mit dem Fleisch aufgemommenen N-haltigen Extraktivstoffe Tag für Tag quantitativ ausgeschieden werden, teils auch aus dem folgenden Versuch hervor. Reicht man einem Hunde viel Leim und wenig Fleisch, so wird eine große Menge von Harnstoff oder intermediären N-haltigen Zersetzungsprodukten ausgeschieden; würde nun ein Teil derselben im Körper zurückgehalten werden, so müßte, wenn man einen Hungertag folgen läßt, beträchtlich mehr Harnstoff abgegeben werden als nach Darreichung der geringen Gabe von Fleisch allein.- Voit?) gab nun einem Hunde von 22kg Gewicht 200g Fleisch und 200g Leim, wonach dieser im Tag im Mittel 34,0 N entleerte; am darauf folgenden Hungertage erschienen nur 7,6g N, das heißt nicht mehr als gewöhnlich beim Hungern nach voraufgehender Fütterung mit 200g Fleisch. i Ebenso deutlich tritt dies aus Versuchen über die Ausscheidung des Kreatinins und der Harnsäure hervor; auch verläuft die Schwefelausscheidung während der ») Arch. f. d. ges. Physiol. 74, 355, 1899. — ?) Zeitschr. f. Biol. 2, 51, 1866. — ®) Voit, 8. 59. 396 Die Retention von Stickstoff. ersten Hungertage nach reichlicher Fleischfütterung der N-Ausscheidung parallel, was nicht möglich wäre, wenn der dabei abgegebene Stickstoff nicht von Eiweiß herstammen würde (Gruber!). Nach diesen und anderen Erfahrungen scheint zur Erklärung der zeit- weiligen Retention von Stickstoff nur die Annahme übrig zu bleiben, daß dieser Stickstoff tatsächlich in Form von Eiweiß oder dessen Verdauungs- produkten im Körper zurückgehalten wird. Damit ist aber nicht gesagt, daß dieses Eiweiß in den Zellen und Ge- weben als organisierte lebende Substanz angesetzt wird. Vollständig läßt sich ja diese Möglichkeit nicht ausschließen, und daß dies in vielen Fällen tatsächlich geschieht, steht außer jedem Zweifel. Ebenso unzweifelhaft ist es aber, daß ein anderer Teil des resorbierten Eiweißes als totes Eiweiß eine Zeitlang unzersetzt bleibt und den Eiweißvorrat der Körperflüssigkeiten usw. erhöht. Dafür spricht unter anderem die sogleich zu besprechende Erfah- rung über die Eiweißzersetzung bei Verminderung der Eiweißzufuhr und während der ersten Hungertage. Die Ursachen dieser Retention von totem Eiweiß sind insbesondere von Gruber?) erörtert worden, und zwar kommt er dabei zu folgendem Schlusse, welcher mit den neueren Erfahrungen über die Verdauung und Resorption des Eiweißes in einer sehr guten Übereinstimmung steht. Aus dem genossenen Eiweiß werden unter dem Einfluß der verschiedenen Verdauungsflüssigkeiten verschiedene Verbindungen gebildet, welche nicht mit gleicher Leichtigkeit im Körper zerlegt werden. Die Mehrzahl derselben wird sehr schnell angegriffen und sehr schnell in ihre Endprodukte zer- setzt; es finden sich aber darunter auch solche Verbindungen, welche wider- standsfähiger sind und daher nur allmählich zugrunde gehen. Infolgedessen wird sich die Abgabe der einer bestimmten Eiweißmenge entsprechenden Ab- fallstoffe auf eine kürzere oder längere Reihe von Tagen verteilen müssen. Um dies zu erläutern, nimmt Gruber rein willkürlich an, daß 80 Proz. des. Nahrungseiweißes immer binnen des ersten Tages, 13 Proz. binnen des zweiten, 5 Proz. binnen des dritten und 2 Proz. binnen des vierten Tages zerlegt werden. Innerhalb der drei ersten Tage einer neuen eiweißreicheren Fütterung muß dem- nach Eiweißansatz und am vierten Tage N-Gleichgewicht eintreten, das dann er- halten bleibt, solange die gleiche Fütterung fortdauert. | Am Fütterungstage zersetzt Aus dem Futter des | » 1:72 2 3 4 5 1. Fütterungstages . . . . . . | 2780 RT A 2 2 2. BR U a |. 5 2 3. : BR a 13 5 4. . a Be Tr 80 13 5. a 27 Te E = 80 Summa ,.. | so | 08 | 98 100 100 Aus demselben Gesichtspunkte läßt sich auch, zum Teil wenigstens, der in Fall II (S.394) stattfindende Verlust an Stickstoff bei Verminderung der Eiweißzufuhr auffassen. Das aus der früheren Kost stammende, noch nicht !) Zeitschr. f. Biol. 42, 416, 1901. — ?) Ebenda, 8. 422, 2 he A u Die N-Abgabe beim Hunger. 397 zersetzte Eiweiß vermehrt einige Tage lang die Eiweißzersetzung, bis diese Reste zugrunde gegangen sind. Außerordentlich klar tritt uns dieses Verhalten während der ersten Hungertage entgegen. Wenn ein und dasselbe Tier zu wiederholten Malen auf Hunger gesetzt wird, nachdem es vor demselben bei den verschiedenen Versuchsreihen ein an Stickstoff verschieden reiches Futter bekommen hat, so ist die N-Abgabe im Harn während der ersten Hungertage um so größer, je größer die vorher gefütterte Eiweißmenge war. Von dem vierten oder fünften Hungertage an tritt aber in allen Reihen, unabhängig von der ver- fütterten Eiweißmenge, die gleiche N-Abgabe auf. Als Belege sei auf folgende Versuche von Voit!) verwiesen. N-Abgabe Reihe 11 | Reihe 15 | Reihe 7 g g g 1. Hungertag . ... . 28,1 12,4 6,4 2 Be 11,6 8,7 5,4 BE et 8,9 7,3 4,8 4. ee ER, 8,1 7,0 5,7 5 EA RRE S 5,7 6,9 5,7 6 Eee 6,2 6,0 5,9 7 Bu Ge ae 4,8 6,0 5,3 8. EN ne ak 4,7 5,7 5,1 Vor dem Hunger im Gemischtes a sa 85,0 | 51,0 Futter Indessen wissen wir aus verschiedenen Beobachtungen, daß es unter Umständen beträchtlich länger dauert, bis sich bei verminderter Eiweißzufuhr das N-Gleichgewicht wiederherstellt. In solchen Fällen dürfte der Körper, aller Wahrscheinlichkeit nach, von seiner Organmasse Eiweiß abgegeben haben, bis er sich an die kleine Eiweißmenge im Futter gewöhnt hat, ebenso wie ein länger dauernder Ansatz von Eiweiß wohl als Ausdruck einer Neu- bildung von Organmasse aufgefaßt werden muß (vgl. oben, S. 396). In genau derselben Weise wie bei ausschließlicher Eiweißnahrung stellt sich der Körper ins N-Gleichgewicht, wenn das Futter nebst Eiweiß auch Fett oder Kohlehydrate enthält, wie z. B. in folgenden Versuchen von Voit?). A. Eiweiß und Fett. Fall I. Aufnahme pro Tag N-Abgabe | N-Bilanz Tag N | Fett pro Tag | pro Tag g | g | g g 6. Januar 1858 ...... 385.11, 5.950 20,1 + 5,4 7% = 255 | 250 | 23,0 +25 EREN Bu. + ae 25,5 | 250 | 1 +14 Vorher 500g Fleisch (= 17,0g N) und 200g Fett. !) Zeitschr. f. Biol. 2, 311, 1866. — °) Ebenda 3, 34, 1867; 5, 348, 443, 1869. 398 Die Eiweißzersetzung unter dem Einfluß von Fett und Kohlehydraten. Fall I. Aufnahme pro Tag N-Abgabe | N-Bilanz Tag pro Tag pro Ta N Fett g g g g 20. Februar 1861... .. 13,6 200 21,6 — 8,0 BLNER N RE 13,6 200 19,2 — 5,6 air. Kl UT DOT, 13,6 200 16,9 — 3,3 8. RE 13,6 200 16,0 — 124 lie RE . 13,6 200 15,3 — 1/7 Vorher 1800g Fleisch (= 61,2g N). B. Eiweiß und Stärke. Fall Il. Aufnahme pro Tag | N-Abgabe | N-Bilanz Tag pro Tag pro Tag N Stärke g g Y g 29. März 1861.11 7 WEM 27,2 450 14,8 + 12,4 20,5: N Er 278. 450 21,1 + 61 31.%; A Re, 61,2 450 45,6 + 15,6 1 ABl a a 61,2 450 50,2 + 11,0 Vorher nur 450g Stärke. Fall I. Aufnahme pro Tag | N-Apgabe | N-Bilanz Tag pro Tag pro Tag N Stärke g g g g 13.,4U.51869- areas 13,6 400 20,8 — 12 ie: ER 13,6 400 17,9 4 EI OS Fa 13,6 400 15,5 —uR 3 ER SE 13,6 400 15,2 — 1,6 Vorher 1500g Fleisch = 5lg N und 200 g Stärke. Die nahe Abhängigkeit des Eiweißumsatzes von der Eiweißzufuhr geht auch aus den Erfahrungen über den stündlichen Ablauf der N-Ausgabe nach N-haltiger Kost sehr prägnant hervor. An Hunden sind Versuche in dieser Richtung von Panum!), Feder?), Falck°®), Krummacher‘*), Gruber’) u. a. ausgeführt worden. Dieselben Y) Nord. med. Arkiv 6, Nr. 12, 1874. — ?) Zeitschr. f. Biol. 17, 531, 1881. — 8) Falck, Beiträge zur Physiologie usw. 1, 185, 1875. — ) Zeitschr. f. Biol. 35, 494, 1897. — °) Ebenda 42, 420, 1901. ai hit al on ia za Der stündliche Verlauf der N-Abgabe. 399 stimmen in allem Wesentlichen gut überein, und ich kann mich daher auf die Wiedergabe einer einzigen Untersuchung beschränken. Zu diesem Zwecke wähle ich die von Feder, weil hier die Versuchsbedingungen am meisten variiert worden sind. Vor jedem Versuche wurde die Blase entleert, wonach das Tier das für den Tag bestimmte Futter erhielt und in wenigen Minuten verschlang. Die Blase wurde dann nach jeder zweiten Stunde katheterisiert. In erster Linie wollte Feder den zeitlichen Verlauf der N-Abgabe nach mehrtägigem Hungern feststellen. Die Ergebnisse zweier solcher Versuche sind in Fig. 29, Kurve I und II graphisch dargestellt worden. In demselben kommen allerdings gewisse Schwankungen vor; diese sind aber nur geringfügig, und wir können daher sagen, daß die N-Abgabe beim hungernden Hunde, der sich, wie bekannt, nur sehr wenig bewegt, von Stunde zu Stunde im großen und ganzen sehr wenig variiert. Fig. 29. dg De 1000 g Fleisch VI 1 ug TG ET Be 500 g Fleisch, 150 g Speck III 500g Fleisch IV a F-—___ 1} Hunger I, U 0 0 4 8 12 16 20 24: Stunden Die stündlichen Variationen der N-Abgabe beim Hunde nach Feder. Die dicke Linie stellt den Verlauf der Eiweißresorpfion im Darme dar. Ein ganz anderes Aussehen bieten die Kurven IV und VI dar, welche sich auf Fütterung mit reinem Fleisch (in IV mit 500 g = 17 gN, in VI mit 100g = 34 N) beziehen. Nicht allein die absoluten Zahlen für die N-Abgabe sind hier beträchtlich größer, im Laufe des Tages treten außerdem noch sehr bedeutende, regelmäßig verlaufende Schwankungen derselben auf, welche unbedingt mit der Eiweißzufuhr in Zusammenhang gebracht werden müssen. Schon längere Zeit vor dem Versuche war das Tier mit den gleichen Fleisch- mengen gefüttert worden, und es stand daher mit denselben etwa im N-Gleich- gewicht. Aus den Kurven geht hervor, wie die N-Abgabe durch das Futter sofort in die Höhe getrieben wird, in der sechsten bis achten Stunde ihr Maximum er- reicht und dann wieder allmählich auf den Nüchternwert herabsinkt, welcher für die 22, bis 24.- Stunde bei 500 g Fleisch 0,57 und bei 1000 g Fleisch 1,03 g N beträgt. Von vornherein ist es deutlich, daß diese Schwankungen von dem zeitlichen Verlauf der Resorption aus dem Verdauungsrohre bedingt sein müssen. Um diese Frage näher aufzuklären, empfiehlt es sich, diese Resultate mit denjenigen zu ver- gleichen, welche über den Verlauf der N-Resorption beim Hunde vorliegen. Zu diesem Zwecke ist die stark ausgezogene Kurve in die Fig. 29 gezeichnet. Dieselbe 400 Der stündliche Verlauf der N-Abgabe. gibt nach Schmidt-Mühlheim') an, wieviel Prozent der gesamten gefütterten Eiweißmenge während der sechs ersten zweistündigen Verdauungsperioden aus dem Verdauungsrohr resorbiert wurden. Die Anordnung der betreffenden Versuche machte es notwendig, für jede einzelne Bestimmung ein besonderes Tier zu opfern, und infolgedessen leiden die Ergebnisse an einer gewissen Unsicherheit. Jedoch können wir mit großer Wahrscheinlichkeit aus denselben folgern, daß die Eiweiß- resorption während der ersten zwei Stunden am reichlichsten ist und während der folgenden zehn Stunden langsamer, aber ziemlich gleichmäßig fortgeht, sowie daß zu der zwölften Stunde schon etwa 95 Proz. des gefütterten Einweißes aus dem Darme verschwunden sind. Während der ersten und in einem noch höheren Grade während der zweiten Periode nach der Fütterung steigt die N-Abgabe sehr beträchtlich an. Zu dieser Zeit sind schon 47 Proz. des gefütterten Eiweißes resorbiert worden. Zur Zeit der maximalen N-Abgabe sind vom Eiweiß 56,5 Proz. zum Blute übergegangen. Indes ist während der ersten sechs Stunden die ganze resorbierte N-Menge bei weitem nicht ausgeschieden, denn am Ende der sechsten Stunde sind im Versuche IV nur 33,5, im Versuche VI nur 34,4 Proz. der ganzen N-Menge im Harne erschienen. Bis 56,5 Proz. des Stickstoffes vom Körper abgegeben werden, dauert es in beiden Versuchen etwa neun Stunden. Es findet sich also, wie übrigens zu erwarten ist, eine deutliche Verschiebung zwischen den Kurven der N-Resorption und der N-Ausscheidung. Dieselbe ist leicht zu erklären, denn erstens werden die resorbierten N-haltigen Verbindungen doch nicht sogleich in ihre Endprodukte verwandelt, und zweitens muß es jedenfalls eine Zeitlang dauern, bis die letzteren durch die Nieren abgegeben werden. Unter Bezugnahme auf diese Umstände dürfte aus dem Vergleich der beiden Vorgänge der Schluß berechtigt sein, daß die Variationen der N-Resorption für die der N-Zer- setzung bzw. N-Abgabe in erster Linie bestimmend sind. Wenn nebst Fleisch auch Fett gefüttert wird (Kurve III: 500 g Fleisch und 150g Fett), bekommen die Kurven ein ganz anderes Aussehen als bei reinem Eiweißfutter. Allerdings ist die gesamte N-Abgabe hier etwa ebensogroß als bei Fütterung mit 500g Fleisch allein; der Verlauf derselben ist aber ein anderer, die Ausgabe ist auf den ganzen Tag gleichmäßiger verteilt, und wir vermissen hier sowohl den starken Anstieg als auch die plötzliche Senkung, welche den Kurven IV und VI ein so charakteristisches Gepräge erteilen. Jedenfalls zeigen auch diese Kurven nicht denselben gleichmäßigen Verlauf als die Hungerkurven: schon während der zweiten Stunde nach der Fütterung erreichen sie einen ver- hältnismäßig hohen Wert, welcher während der folgenden Stunden noch höher ansteigt; dann nimmt die N-Abgabe eine Zeitlang ab, um schließlich am Ende des Tages schnell ihr Minimum zu erreichen. Diese Eigentümlichkeit hängt wohl zum Teil damit zusammen, daß der Eiweiß- zerfall durch das gleichzeitig gefütterte Fett etwas herabgedrückt worden ist. Hierbei kommt aber noch eine durch die Gegenwart des Fettes möglicherweise stattfindende Verzögerung der Verdauung und Resorption des Eiweißes in Betracht. Beim Menschen haben Voit2), Forster), Oppenheim), Sonden und ich’), Landergren®), Tschlenoff?), Veraguth®), Rosemann?), Tengwall!), Hopkins und Hope!!), Slosse!?2), Hawk und Chamber- ") Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1879, 8. 39. Schmidt-Mühlheim hat die Resorption nur für die zweite, vierte, sechste, neunte und zwölfte Stunde bestimmt. Um diese Resultate mit seinen eigenen vergleichen zu können, hat Feder die- selben auf zweistündige Perioden umgerechnet. — ?) Voit, Physiol.-chem. Unteres. 1, 41, 1857. — ®) Zeitschr. f. Biol. 9, 383, 1873. — *) Arch. f. d. ges. Physiol. 23, 461, 1880. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 6, 151, 1885. — °) Ebenda 7, 75, 1886. — 7) Korr.-Bl. Schweiz. Ärzte 1896, 8. 65. — °) Journ. of Physiol. 21, 112, 1897. — ®) Arch. f. d. ges. Physiol. 65, 343, 1897. — '°) Vgl. Tigerstedt, Lehrbuch der Physiol. 1, 90, 1897. — "') Journ. of Physiol. 23, 270, 1898. — "”) Travaux du laboratoire de physiol. de l’Institut Solvay 4, 501, 1901. Der stündliche Verlauf der N-Abgabe. 401 lain!) u. a. ähnliche Versuche und wesentlich mit demselben Resultat wie bei den Versuchen an Hunden ausgeführt. Indes ist der Verlauf der N-Abgabe beim Menschen weder im Hunger noch nach einmaliger Nahrungsaufnahme so glatt wie beim Hunde. Während des vierten und fünften Hungertages wurde an J. A. die N-Abgabe im Harn in zweistündigen Perioden bestimmt; dieselbe stieg (vgl. Fig. 30) zwischen 10 Uhr vormittags und 12 Uhr mittags an, um danach im weiteren Verlauf des Tages allmählich abzunehmen. Nach den Erfahrungen an Hunden hätte man erwartet, daß die N-Abgabe während dieser Tage im großen und ganzen konstant gewesen wäre. Es ist möglich, daß der Anstieg damit zu- sammenhängt, daß J. A. zwischen 8 und 10 Uhr vormittags einen Spazier- gang im Freien machte und daß die dabei stattfindende Muskelarbeit, welche jedenfalls die größte Anstrengung während des Tages darstellte, einen ver- mehrten Eiweißumsatz bewirkte. Auch ist an den Einfluß eines infolge der Arbeit erhöhten Blutdruckes zu denken, welcher eine stärkere Tätigkeit der Nieren hat verursachen können. Fig. 30. 3g - Erster Eßtaz Zweiter Eßtag RER — Fe | r 7 r| Hungertag re Hungertag 0 10vM. 2nM. 6 10 2vM. 6 10 2nM. 6 10 2vM. 6 10 Die stündlichen Variationen der N-Abgabe während des vierten und fünften Hungertages, nach Landergren. Nach einer einmaligen Nahrungsaufnahme kann sich die N-Abgabe auch beim Menschen sehr regelmäßig gestalten. Dies scheint aber nicht als all- gemeine Regel aufgestellt werden zu können, denn es treten oft verschiedene Unregelmäßigkeiten auf, welche zeigen, daß noch andere Umstände als die Resorption der Nahrung hierbei von Bedeutung sein dürften. Vor allem ist es beim Menschen im allgemeinen nicht möglich, während einer längeren Zeit eine gleiche, absolute Muskelruhe zu beobachten, und auch wenn die Muskel- arbeit bei genügendem Vorhandensein von N-freien Nahrungsstoffen nicht direkt auf Kosten des Eiweißes ausgeführt wird, so werden jedenfalls Veränderungen des Blutdruckes dabei hervorgerufen, welche ihrerseits die Durchblutung der Nieren und damit die Harnsekretion beeinflussen können. Endlich findet man bei der gewöhnlichen Verteilung der Nahrungsauf- nahme auf mehrere Mahlzeiten, daß die N-Abgabe im Harn nach jeder Mahl- zeit mehr oder weniger ansteigt. Trotz allen Unregelmäßigkeiten gilt also auch für den Menschen die allgemeine Regel, daß eine vermehrte Zufuhr von Eiweiß im engsten Anschluß an die Resorption aus dem Darme den Eiweißumsatz in die Höhe treibt. Tschlenoff sowie später Veraguth und Slosse haben in Versuchen, bei welchen der Harn stündlich entleert und an Stickstoff analysiert wurde, noch verschiedene Diskontinuitäten der N-Abgabe beobachtet, welche sie mit einer zwei- !) American Journ. of Physiol. 10, 115, 269, 1903, 1904. Nagel, Physiologie des Menschen. I, 96 402 Der stündliche Verlauf der N-Abgabe. zeitigen Resorption des Stickstoffs, erstens aus dem Magen, zweitens aus dem Darme, in Zusammenhang bringen wollen. Diese Auffassung ist ja an und für sich vollkommen plausibel, obgleich unsere Kenntnisse über die Resorption im Magen noch zu gering sind, um einen unanfechtbaren Grund einer solchen An- nahme darzustellen. Noch bleibt aber die Frage, ob es bei so kurzen Perioden möglich ist, allen Harn wirklich zu gewinnen, denn das Zurückbleiben auch eines ziemlich geringen Harnquantums in der Blase kann ja sehr wesentliche Fehler verursachen. Bei Oppenheim verlief übrigens auch bei stündlichem Harnlassen die N-Abgabe vollkommen gleichmäßig. Es ist fast selbstverständlich, daß der Verlauf der N-Abgabe im Harn nach mehrmaliger Nahrungsaufnahme im Tage weniger steile Schwankungen darbieten muß, als wenn die gleiche Eiweißmenge auf einmal verabreicht wird!). Es fragt sich aber, inwiefern und in welcher Richtung der gesamte tägliche Eiweißumsatz unter dem Einfluß fraktionierter oder einmaliger ‘ Nahrungsaufnahme verändert wird. Adrian?), welcher diese Frage zuerst erörterte, machte zu ihrer Aufklärung Versuche, die indes nicht als beweiskräftig angesehen werden können. Die folgen- den Untersuchungen von I. Munk°), v. Gebhardt?) und Krummacher‘) haben entgegengesetzte Resultate ergeben. Während ersterer bei dreimaliger Fleischzufuhr einen größeren Eiweißumsatz als bei einmaliger findet, kommen die beiden letzteren Autoren zu dem Resultate, daß der tägliche N-Umsatz bei fraktionierter Aufnahme geringer ist. Die Differenzen sind jedenfalls nicht bedeutend und betragen nur 5 bis 6 Proz. Es würde zu viel Raum beanspruchen, die verschiedenen Versuche hier näher zu erörtern. Es scheint mir indes, daß insbesondere v. Gebhardts Beobachtungen die von ihm und Krummacher vertretene Auffassung in hohem Grade stützen, weshalb ich in folgender Tabelle dieselben hier mitteile. Das Versuchstier befand sich im N-Gleichgewicht, und ein und dasselbe Eiweißquantum wurde ihm ent- weder auf einmal oder in zwei bis acht Portionen gegeben. A Tägliche Tägliche N-Abgabe im Dauer Nr. Reihe N-Zufuhr anBi der Reihe g g Tage 1 Einmalig . . . 18,0 18,01 5 2 Zweimalig Aissesnel.. 18,0 18,26 7 5 Zweimalig . . 18,0 17,91 6 4 | Viermalig a 18,0 17,24 7 B) Viermalig ; . .. .. 18,0 16,28 1 6 Achtmalig (nern. 18,0 16,77 8 7 Achuanalbe 2... 40.0 18,0 17,22 6 8) 12,9 1 ra 18,0 17,94 7 Nur in der zweiten Reihe (Übergang von einmaliger zu zweimaliger Fütterung) ist die N-Abgabe unter den Reihen mit mehrmaliger Fütterung größer als bei einmaliger. Sonst zeigt sich bei der fraktionierten Fütterung die N-Abgabe durch- gehend geringer. Zur Erklärung dieser Tatsache hebt Krummacher hervor, daß die bei ein- maliger Aufnahme innerhalb einer kurzen Zeit resorbierte große Eiweißmenge ver- !) Vgl. Krummacher, Zeitschr. f. Biol. 35, 495, 1897. — ?) Zeitschr. £. physiol. Chem. 17, 616, 1893. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 58, 354, 1894. — *) Ebenda 65, 611, 1897. — °) Zeitschr. f. Biol. 35, 480, 1897. Vgl. auch die Polemik zwischen. Munk und Krummacher, Zentralbl. f. Physiol. 11, 729; 12, 87, 41, 1898. nn a u Ta rn Der stündliche Verlauf der N-Abgabe. 403 hältnismäßig rasch im Körper aufgebraucht wird, während bei fraktionierter Zufuhr die Resorption gleichmäßiger erfolgt und daher auch die Eiweißzersetzung all- mählicher stattfindet. Der von Adrian und v.Gebhardt vertretenen Ansicht, daß das Eiweiß bei einmaliger Darreichung durch weitgehende Spaltungsprozesse in minderwertige Produkte verwandelt würde, wird von Munk und Krummacher aus, wie mir scheint, guten Gründen als unhaltbar widersprochen. Bei Zufuhr von Fleisch und Fett beobachtete Munk fast genau den gleichen N-Umsatz, gleichgültig, ob er das Futter auf einmal oder fraktioniert gab — was mit den früher erwähnten Erfahrungen über den zeitlichen Verlauf der N-Abgabe bei Fütterung mit Fleisch und Fett genau übereinstimmt und zum Teil wenigstens damit zusammenhängen dürfte, daß die Resorption von Eiweiß durch Beigabe von ‚Fett langsamer erfolgt. r Beim Menschen kann keine Rede davon sein, die Nahrung nur einmal täglich aufzunehmen, denn seine Verdauungsorgane sind nicht für solche Mengen, die dann auf einmal genossen werden müßten, angepaßt. Auch zeigt ein Versuch von J. Ranke, der 1832 g Fleisch auf einmal verzehrte — was jedenfalls nicht eine ausreichende Nahrung eines erwachsenen, arbeitenden Menschen darstellt —, daß von der Trockensubstanz nicht weniger als 12 Proz. im Kote gefunden wurden, während der Verlust mit dem Kote, wenn dieselbe Fleischmenge in drei Portionen verteilt genossen wurde, nur 5 Proz. betrug'). Die obere Grenze des N-Gleichgewichtes ist, aller Wahrscheinlichkeit nach, von dem Resorptionsvermögen des Darmes bedingt, indem der Körper * auch die größten Mengen von Eiweiß, die von dem Darme noch bewältigt werden können, früher oder später Tag für Tag zersetzt. Das Maximum von reinem Fleisch, mit welchem Voits?) großer Hund von etwa 35 kg Körpergewicht sich ins Gleichgewicht stellen konnte, betrug 2500g = 85 g N. Bei 2600 g Fleisch mit 88,4 g N konnte er das Futter noch verdauen, setzte davon aber 126g = 4,3g N an. Es ist indes: in höchstem Grade wahr- scheinlich, daß das Tier nach einiger Zeit auch mit dieser Fleischmenge ins Gleich- gewicht gekommen wäre. Bei 2900 g Fleisch (= 101,5 g N) traten schwere, von Erbrechen und Durchfall begleitete Verdauungsstörungen auf. Beim Menschen ist es wohl kaum möglich, eine bestimmte Zahl auf- zustellen, welche die obere Grenze des N-Gleichgewichts ausdrücken würde. Im allgemeinen genießt der erwachsene Mensch etwa 80 bis 150 g Eiweiß (= 12,8 bis 24 g N) und hält sich dabei im Gleichgewicht. Aber auch viel größere Eiweißmengen können verdaut und im Körper zersetzt werden. Bei- spiele davon haben wir in Hultgrens und Landergrens Untersuchungen 5) über die Kost schwedischer Arbeiter, in Ohlmüllers) Beobachtungen über siebenbürgische Arbeiter, in den in Amerika unter Atwaters’) Leitung aus- geführten Studien über die Nahrungsaufnahme verschiedener Bevölkerungs- gruppen, sowie in den Ermittelungen über die Kost bei strenger körperlicher Arbeit (Wettturnen usw.) und bei Eiweißmast. So beobachtete Jaffa ‘) beim Trainieren für einen Fußballzweikampf in Kalifornien eine tägliche N-Aufnahme von 43,2g (— 270g Eiweiß); Goodbody, Bardswell und Chapman’) erwähnen zwei völlig gesunde Menschen, welche bei absichtlicher Über- !) J. Ranke, Die Ernährung des Menschen; München 1879, 8. 309. Zit. nach Munk. — ?) Zeitschr. f. Biol. 3, 24, 1867. — °) Hultgren und Lander- gren, Untersuchungen über die Ernährung schwedischer Arbeiter, Stockholm 1891, 8. 15. — *) Zeitschr. f. Biol. 20, 393, 1884. — °) U. S. Depart. of Agricult., Off. of exp. Stations, Bull. No.98, 1901. — °) Ebenda, Bull. No. 84, 1900. — 7) Journ. of Physiol. 28, 257, 1902. Vgl. auch Lichtenfelt, Arch. f. d. ges. Physiol. 86, 182, 1901. 26* 404 Die Grenzen des N-Gleichgewichts. ernährung 47,1 bzw. 53,9 g N (= 294 g bzw. 337 g Eiweiß) genossen. (Vgl. auch unten im Kapitel von Eiweißansatz.) Die untere Grenze des N-Gleichgewichtes beobachtete Voit bei dem oben erwähnten Hunde in einem sehr herabgekommenen Zustande bei Zufuhr von 480 g Fleisch (— 16,3 g N); für gewöhnlich genügten nicht 500 g Fleisch, um das Tier im N-Gleichgewicht zu erhalten, sondern es verlor unaufhörlich Stickstoff und näherte sich nur äußerst langsam dem N-Gleichgewicht!). — Wenn aber das Tier außer Eiweiß auch Fett und Kohlehydrate im Futter bekommt, so sinkt die untere Grenze des N-Gleichgewichtes erheblich tiefer als bei ausschließlicher Zufuhr von Fleisch. So betrugen bei dem hier besprochenen Tiere etwa 350 g Fleisch (— 11,9g N) das Minimum, womit das N-Gleichgewicht erreicht werden konnte, wenn neben Fleisch 250 g Fett gefüttert wurden?). Daß das Minimum noch viel tiefer herabgedrückt werden kann, geht aus mehreren neueren Untersuchungen hervor,“ Auf Grund seiner Erfahrungen über den N-Umsatz ünter verschiedenen Bedingungen kam Voit zu dem Schluß, daß die geringste gefütterte Eiweib- menge, mit welcher sich der Körper im N-Gleichgewicht erhalten kann, auch bei dem reichlichsten Zusatz von Fett oder Kohlehydraten immer größer ist als die beim Hungern etwa vom vierten Tage an zugrunde gehende Eiweibß- menge?). Dieser Satz kann indes nicht länger aufrecht erhalten werden. Schon Versuche von Salkowski*) und Rubner‘’) ergaben, daß man durch reich- liche Zufuhr von Fett und Kohlehydraten bzw. durch alleinige Zufuhr von Rohrzucker die N-Abgabe im Harn gegenüber derjenigen beim Hungern tat- sächlich herabdrücken kann, daß also die N-Abgabe beim Hungern nicht dem überhaupt erreichbaren Minimum des Eiweißzerfalles, soweit er sich aus dem Harn allein beurteilen läßt, entspricht. ; Sodann folgten Untersuchungen von I. Munk, bei welchen erstrebt wurde, die geringste zur Herstellung des N-Gleichgewichtes notwendige Eiweißmenge am Hunde festzustellen ®). Unter diesen Versuchen werde ich nur den folgenden hier mitteilen, Bei einem Hunde von 25 kg Körpergewicht betrug die tägliche N- Abgabe im Harn und Kot während des vierten bis sechsten Hungertages durchschnittlich 6,38g. Dann wurde ihm ein aus Fleisch, Schmalz und Stärke zusammengesetztes, an N und Fett ana- lysiertes Futter mit 5,70 bis 6,23g& N pro Tag gegeben. Bei dieser Fütterung schied das Tier am vierten Tage 5,81, am fünften Tage 5,02, am sechsten Tage 4,62 und am siebenten Tage 4,682 N im Harn und durchschnittlich 0,86 & N im Kote aus. Während der zwei letzten Tage betrug also die gesamte N-Abgabe im Mittel 5,51 g, also 0,87 g weniger als während des vierten bis sechsten Hungertages. Im Anschluß an die früheren Versuche von Munk machten E. Voit und Korkunoff?) eine lange Versuchsreihe, um die vorliegende Frage aufzuklären. Das Versuchstier bekam teils Eiweiß allein, teils Eiweiß mit Zugabe von Fett und Kohlehydraten. Das Eiweiß bestand aus Fleisch, aus dem durch warmes Wasser die Extraktivstoffe größtenteils ausgelaugt waren. Zum Vergleich wurde bei jeder Reihe auch eine Hungerperiode eingeschaltet. 1) Zeitschr. f. Biol. 3, 30, 1867; Voit, 8. 112. — ?) Voit, 8. 134. — °) Zeitschr. f. Biol. 3, 29, 1867; 5, 355, 1869. — *) Zeitschr. f. physiol. Chemie 1, 43, 1877. — 5) Zeitschr. f. Biol. 19, 357, 1883. — °) Arch. f. path. Anat. 101, 112, 1885; 132, 92, 1893; Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1896, 8. 184. — 7) Zeitschr. f. Biol. 32, 58, 1895. u a Au ee a Dazu Die Grenzen des N-Gleichgewichts. 405 Gesamte | Futter | Gesamte | Bi | Körper- | N-Abgabe 2. N-Abgabe N Nr. | gewicht beim N | Fett Kohle- | bei PN: ei | Hungern e hydrate | Fütterung | Fütterung I. kB 8 RETTET ad WE a BR 1) 202 4,01 | 11,99 3,8 ee 12,04 — 0,05 N t 2 24,0 485 | 749 85 .- 7,78 — 0,29 3 | 24,0 43 | 5 86 E= 5,72 — 0,61, 4 28,8 401 | 5,88 151 _ 5,46 + 0,42 5 24,0 886 | 5,30 159 _ 5,16 +0,14 | 6 24,1 535 -| 388 18 249 4,91 — 1,08 7 24,7 4,94 | 5,00 18 249 4,35 +0,65 8 24,0 4,93 5,07 21 334 4,48 +0,59 9) 30,0 4,08 5,88 22 286 4,47 +1,41 10 || . 27,7 4,98 5,11 16 274 5,11 Durch die Zugabe von Fett bzw. Kohlehydraten wird in Nr. 2 bis 10 der N- Umsatz in hohem Grade herabgedrückt und N-Gleichgewicht wird in Nr. 4, 5, 7, 8, 9 und 10 bei einer N-Zufuhr von nur bzw. 5,88, 5,30, 5,00, 5,07, 5,88 und 5,l1g erreicht. Die Ausgaben von N im Harn und Kot betragen hier bzw. 5,46, 5,16, 4,35, 4,48, 4,47, 5,11, während sie in den entsprechenden Hungerreihen bzw. 4,01, . 3,86, 4,94, 4,93, 4,08 und ,4,98 betragen. In Nr. 7 und 8 ist also N-Gleichgewicht bei einem N-Umsatz erreicht, der um 0,59 bzw. 0,45 g geringer ist als in den ent- sprechenden Hungerreihen. Aus diesen Beobachtungen würde nun unmittelbar folgen, daß sich der Körper bei genügender Zufuhr von N-freien Nahrungsstoffen mit einer N-Menge, die tat- sächlich geringer ist als die beim Hungern ausgeschiedene, in N-Gleichgewicht stellen kann. Diese Folgerung lassen E. Voit und Korkunoff indes nicht gelten, indem’ sie demgegenüber bemerken, daß der bei Hunger ausgeschiedene Stickstoff nicht allein Eiweiß, sondern zu etwa 20 Proz. auch N-haltigen Extraktivstoffen entstamme, während das gefütterte Fleisch von diesen Verbindungen frei war. Sie finden daher in ihren Beobachtungen eine Bestätigung der ursprünglich von C. Voit vertretenen, später‘) aber verlassenen Auffassung. Meinerseits kann ich dieser Deutung der Versuchsergebnisse nicht zustimmen. Wenn ich mich auf den Standpunkt der genannten Autoren stelle und also will- kürlich für die Extraktivstoffe im Hunger-N 20 Proz. abziehe, so erhalte ich bei Nr.7 und 8 für den Eiweiß-N beim Hungern 3,95 g — also nur 0,40 bzw. 0,53 & weniger als bei der Zuführ von Eiweiß. Dieses Plus — wenn es überhaupt existiert — braucht aber gar nicht im Sinne von (©. Voit, daß sogar die geringste Eiweiß- zufuhr an und für sich den Eiweißumsatz erhöhe, aufgefaßt zu werden, sondern ist meiner Meinung nach ganz einfach dadurch bedingt, daß die Absonderung der Ver- dauungsdrüsen bei Nahrungszufuhr viel lebhafter als beim Hungern ist. Auch finden wir bei den hier speziell besprochenen Versuchen Nr. 7 und 8, daß die N- Abgabe im Harn beim Hungern 4,83 bzw. 4,82 beträgt, während sie bei Nahrungs- zufuhr nur 3,35 bzw. 3,89 ausmacht. Hierzu kommt endlich noch, daß doch ein Teil des Kotstickstoffs einen Rückstand des Futters darstellen kann’). Noch ist eine hierher gehörige Versuchsreihe von Jägerroos zu erwähnen. Einem Hunde von etwa 12kg Körpergewicht wurde nach einer an N sehr armen Kost — 1,74 bis 0,58g pro Tag — das Futter während sieben Tagen entzogen. Die N-Abgabe während derselben betrug durchschnittlich 3,14 (4,11 bis 2,31)g N pro Tag. Vier Tage später wurde mit einem Futter begonnen, das bei genügendem Y) Zeitschr. f. Biol. 25, 285, 1889. — ?) Vgl. auch E. Voit, ebenda 33, 333, 1896; Cremer, ebenda 42, 612, 1901. 406 Die Grenzen des N-Gleichgewichts. Vorhandensein von N-freien Nahrungsstoffen durchschnittlich nur 3,60g N enthielt. Im Mittel von 15 Tagen schied das Tier dabei 2,36 g, also 0,78g N weniger als beim Hungern im Harn und Kot aus. Da das Futter aus 100g frischem Fleisch und 50g Butter bestand, war der Gehalt desselben an N-haltigen Extraktivstoffen ebenso groß als derjenige in der beim Hungern zerfallenden Körpersubstanz'). Auch dieser Versuch stellt also einen entscheidenden Beweis gegen die hier erörterte An- schauung dar. Beim Menschen verhält sich die untere Grenze des N-Gleichgewichtes ganz ähnlich wie beim Hunde, wie dies aus den Erfahrungen über den Stoff- wechsel bei N-armer Kost hervorgeht. Bei einer durchschnittlichen Zufuhr von 4,73g N, 135g Fett, 268g Kohle- hydraten und 54g Alkohol pro Tag schied Hirschfeld am vierten bis achten Tage durchschnittlich 6,65g N im Harn und Kot aus — war also dabei noch nicht im Gleichgewicht. In einer folgenden Reihe mit durchschnittlich 7,44g N, 165g Fett, 354g Kohlehydrate und 43 g Alkohol betrug die durchschnittliche N- Abgabe im Harn und Kot während des fünften bis achten Tages dagegen 7,53g. Hier war also das N-Gleichgewicht aufs nächste erreicht worden’). Zu entsprechenden Resultaten kamen ferner Kumagawa°) und Klemperer‘). Ersterer genoß bei Selbstversuchen während neun Tagen durchschnittlich 8,75g N, 2,5g Fett und 570g Kohlehydrate und schied dabei im Harn und Kot 8,108 N aus — also wurden bei dieser Diät noch 0,65 & N täglich im Körper zurückgehalten. Klemperers Versuche wurden an einem 20jährigen und einem 28jährigen Körper- arbeiter ausgeführt. Die Kost bestand durchschnittlich aus 5,28g N, 264g Fett, 470 g Kohlehydraten und 172g (!) Alkohol. Während des sechsten bis achten Tages betrug die gesamte N-Abgabe durchschnittlich 4,60 bzw. 3,91g, d. h. auch hier ein Ansatz von bzw. 0,68 und 1,37 g N. Peschel?) genoß eine Kost, in welcher der N-Gehalt Tag für Tag vermindert wurde, und zwar von 7,59 auf 5,88g. Am fünften Tage war bei einer N-Zufuhr von 7,16g die N-Ausgabe 7,05g; am sechsten Zufuhr: 7,05, Abgabe 6,89; am siebenten Zufuhr: 6,24, Abgabe 6,48; am achten Zufuhr: 5,88, Abgabe 6,2. Am siebenten Tage berechnet sich der N-Umsatz pro Kilogramm Körpergewicht zu etwa 0,08 g. = Der kalorische Wert der bei diesen Versuchen genossenen Kost ist, wie I. Munk‘) bemerkt hat, verhältnismäßig sehr groß. Während der Stoffwechsel bei einem mäßig arbeitenden Menschen nur etwa 35 bis 40 Kal. pro Kilogramm Körpergewicht beträgt, trat das N-Gleichgewicht bei Hirschfeld bei einer Zufuhr von 43, bei Peschel bei einer von 46, bei Kumagawa bei einer von 52, sowie bei den beiden Versuchspersonen Klemperers erst bei einer von 78,5 Kal. pro Kilogramm Körpergewicht auf. Es schien also, als ob das N-Gleichgewicht bei geringer N-Zufuhr nur in dem Falle erzielt werden könnte, wenn die absolute Kraftzufuhr übermäßig groß wäre. Neue Versuche von Siven’), bei welchen die N-Zufuhr unter Ersatz des weggelassenen Eiweißes durch isodyname Mengen von N-freien Nahrungs- stoffen stufenweise vermindert wurde, ergaben indessen, daß auch bei etwa normaler Kalorienzufuhr das N-Gleichgewicht bei sehr geringen Eiweißmengen in der Kost erzielt werden kann. !) Skand. Arch. f. Physiol. 13, 408, 1902. — ?) Arch. f. path. Anat. 114, 301, 1888; vgl. auch Arch. für die ges. Physiol. 41, 338, 1887. — °) Arch. f. path. Anat. 116, 404, 1889. — *) Zeitschr. f. klin. Med. 16, 550, 1889. — °) Peschel, Inaug.-Diss., Berlin 1891. — °) Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1889, Nr. 16; Arch. f. path. Anat. 132, 99, 1893. — 7) Skand. Arch. f. Physiol. 10, 91; 1899: Die Grenzen des N-Gleichgewichts. 407 Mittel pro Tag Reihe Dauer | Gesamte L N-Zufuhr re Abgabe | N-Bilanz Tage g g g 1 7 12,69 2479 11,30 + 1,39 22 3 10,44 2493 10,40 +0,04 2b 6 10,35 2505 9,36 + 0,99 3 6 8,71 2486 7,98 0,73, 4 6 6,26 2477 6,36 — 0,10 5 4 4,52 2444 4,95 — 0,43 6 7 | 2,47 2440 3,51 — 1,04 | Zu dieser Zusammenstellung ist noch hinzuzufügen, daß Siven am letzten Tage der fünften Reihe tatsächlich im N-Gleichgewicht war. Also genügte hier bei einer Zufuhr von 41,4 Kal. pro Kilogramm Körpergewicht (58,9 kg) 0,08g N zum Unterhalt des N-Gleichgewichts. In einer weiteren Versuchsreihe verminderte Siv&n mit einem Male die N- Zufuhr von etwa 18g auf 2,69g'). Die N-Ausgaben im Harn und Kot betrugen dabei am vierten Tage 4,88.und am 17. Tage 4,06. Es wurde deshalb die N-Zufuhr auf 4,02g erhöht; nunmehr war die gesamte N-Abgabe im Mittel von vier Tagen 4,30 g, also fast Gleichgewicht. Die Kost enthielt 42 Kal. pro Kilogramm Körper- gewicht. Damgsgsznübsr konnte Caspari?) bei einer Zufuhr von 50,1 Kal. pro Kilo- gramm Körpergewicht und insgesamt 10,82g N nicht in]N - Gleichgewicht kommen, denn er schied noch am fünften Tage 11,96g N im Harn und Kot aus. Er stellt sich daher vor, daß Sivens Resultat vereinzelt dasteht. Diese Ansicht dürfte jedoch nicht ganz richtig sein, denn schon die früheren Arbeiten von Hirschfeld und Kumagawa zeigen ja, daß bei einer so reichlichen Kost wie der von Caspari genossenen' N-Gleichgewicht schon bei einer weit geringeren N-Zufuhr eintritt. Außerdem hat Caspari selber in Verein mit Glaeßner°) an zwei Vegetarianern Beobachtungen über den N-Umsatz gemacht, aus welchen hervorgeht, daß bei dem einen (einer Frau) bei einer Zufuhr von 0,09g N und 47 Kal. und bei dem anderen (einem Mann) bei einer Zufuhr von 0,11g N und 66 Kal. pro Kilo- gramm Körpergewicht nicht nur N-Gleichgewicht, sondern sogar N-Ansatz er- reicht wurde. Entsprechende Angaben sind auch von anderen Autoren mitgeteilt worden. Bei einem 28jährigen Tapezierergehilfen von 57kg Körpergewicht, welcher seit drei Jahren an rein vegetabilische Kost gewöhnt war, fand Voit‘) in der täglichen Kost 8,4g N, im Harn und Kot 8,8g N. — Albu’) erwähnt eine vollkommen gesunde 42jährige Frau von 37,5 kg Körpergewicht, die sechs Jahre lang auf rein vegetabilischer Diät gelebt hatte. In der täglichen Kost waren 5,46g N(=0,15g N und 37,3 Kal. pro Kilogramm Körpergewicht) enthalten. Während fünf Tagen wurde 0,37g N erspart. — Endlich beobachtete Caspari‘) bei einem Manne von 41,3 kg Körpergewicht N-Gleichgewicht bei einer Zufuhr von 3,79g N und 1566 Kal. = 0,108 N und 38 Kal. pro Körperkilo. Bei seinem ersten Versuch bestimmte Siv&n nach Stutzers Methode noch die Verteilung der von ihm genossenen N-Substanz auf Eiweiß und andere N- haltige Stoffe. Bei der fünften Reihe betrug der Eiweißstickstoff nur 1,98 g !) Skand. Arch. f. Physiol. 11, 315, 1901. — ?) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1901, 8. 323. — ®) Zeitschr. f. diätet. u. physik. Therapie 7, (9), 1904. — *) Zeitschr. f. Biol. 25, 255, 1889. — °) Zeitschr. f. klin. Med. 43, 75, 1901. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1904, S. 562; vgl. auch Klemperer, Zeitschr. f. klin. Med. 16, 588, 1889; Bernert u. Stejskal, Arch. f. exp. Path. 48, 134, 1902. 408 Die Grenzen des N-Gleichgewichts. pro Tag (= 12,4g Eiweiß). In der vierten Reihe, wo Siv&n während der letzten vier Tage N ansetzte, war der Eiweiß-N höchstens 4,43g (aller N im Brot ist dann als Eiweiß-N berechnet), was pro Kilogramm Körpergewicht 0,074g N beträgt. Wenn wir diese Ergebnisse mit den an hungernden Menschen er- haltenen vergleichen, so finden wir, daß auch beim Menschen N -Gleichgewicht bei einem N-Umsatz bestehen kann, der geringer ist als der beim Hunger : stattfindende. Pro Kilogramm Körpergewicht betrug die gesamte N- Abgabe im Harn und Kot bei den oben erwähnten Versuchspersonen bzw. 0,10, 0,15, 0,07, 0,06, 0,08, 0,08, 0,10. Während des achten bis zehnten Hungertages schied Cetti 0,19g, während des sechsten Hungertages Breithaupt 0,18g, während des 21. bis 25. Hungertages Succi 0,09 und während des fünften Hungertages J. A. 0,18g N im Harn aus. Bei Versuchen an Hunden mit sehr N-armem Futter beobachteten Munk!) und Rosenheim), daß trotz bestehenden N-Gleichgewichts, etwa von der sechsten bis achten Woche an allmählich verschiedene sehr schwere Störungen auftraten, welche, wenn das Futter nicht beizeiten verändert wurde, zum Tode führten und von den genannten Autoren als Ausdruck einer ungenügenden N-Zufuhr aufgefaßt werden. Diese Störungen bestanden vor allem in Störungen der Verdauung und wurden, nach Munk, dadurch bewirkt, daß bei der N-armen Kost zu wenig Eiweiß zum Wiederaufbau des bei der Sekretion zum Teil zerfallenen Proto- plasmas der Drüsenzellen vorhanden war. Dementsprechend konstatierte Rosen- heim bei der Sektion im Verdauungsrohre und in der Leber schwere pathologische Veränderungen. Betreffend die Deutung dieser Erscheinungen bemerkt Siven°), daß sie möglicherweise von einer andauernd zu einförmigen Beschaffenheit der Kost be- dingt waren; Breisacher‘) faßt die Störungen als Ausdruck eines vorhandenen Salzhungers auf. Daß die geringe N-Menge in der Kost an und für sich diese Störungen nicht bewirkte, dürfte aus Jägerroos’ Beobachtungen ganz deutlich hervorgehen’). Bei diesen Versuchen wurde nebst Zucker und Butter nur frisches Fleisch in rohem Zustande gefüttert. Die folgende Tabelle enthält seine Resultate in konzentrierter Form. Gesamt-N | N im Mittel pro Tag Versuchs- | | Nr. dauer Auf- A | Auf- y nahme | Abgabe | Bilanz | nahme Abgabe | Bilanz Tage g g Bio huich g g E4; 91 207,2 231,7 | — 245 2,28 2,55 — 0,27 2. 132 224,9 200,38 | -+24,6 1,70 1,51 +0,19 3°), 14 11,4 174 | — 50 0,82 1,24 — 0,42 a 1ER 435 | 494 | — 50 | 1,87 1,00. br u. Mittel vr ie . | | | !) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1891, $. 338; Arch. f. path. Anat. 132, 141, 1893. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1891, 8. 341; Arch. f. d. ges. Physiol. 54, 61, 1893; vgl. auch Zuntz u. Magnus-Levy, Arch. f. d. ges. Physiol. 49, 440, 1891. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 10, 147, 1899; vgl. auch Hagemann, Inaug.- Diss., Berlin 1891. — *) Deutsche med. Wochenschr. 1901, 8. 1310. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 13, 389, 1902. — °) Hiernach folgte noch eine Periode von 46 Tagen, während welcher das Tier trächtig war; aus diesem Grunde ist diese Periode hier ausgeschlossen. £ Die Grenzen des N-Gleichgewichts. 409 Gesamt-N | N im Mittel pro Tag |Versuchs- | Nr. dauer Auf- j | Auf- # EEE Abgabe | Bilanz dla Abgabe | Bilanz Tage g g & g g g I. 1. 132 467,8 444,3 | + 23,5 3,54 3,36 | +0,18 2. 17 13,7 52,2 | — 385 0,80 3:07. | —90 3. 50 144,2 131,2 | + 13,0 2,88 2,62 +0,26 Summa u. Mittel 199 625,7 627,7 — 2,0 3,14 3,15 —.0,01 Das Körpergewicht des Tieres im Versuch I variierte zwischen 4,55 und 6,73 und betrug im Durchschnitt 5,9kg; im Versuch II wog das Tier im Durchschnitt etwa 12 kg. Bei den verschiedenen Reihen im Versuch I betrug der N-Umsatz pro Kilo- gramm Körpergewicht bzw. 0,50, 0,26 und 0,20g, im Versuch II bzw. 0,28, 0,25 und 0,23g. In den Versuchen von Munk und Rosenheim war der N-Umsatz pro Kilogramm Körpergewicht 0,23 g, also etwa von derselben Größe wie in denen von Jägerroos. Und dennoch blieben die Tiere 146 (von der ersten Periode abgesehen) bzw. 199 Tage am Leben. In beiden Fällen starb das Tier nicht an irgend welcher ehronischen Erkrankung oder an Verdauungsstörungen, sondern an einer akuten Infektionskrankheit. Im Darmepithel konnten keinerlei pathologische Veränderungen nachgewiesen werden, wie auch das Futter bis zum Tode sehr gut ausgenutzt wurde. Während der ganzen Beobachtungsdauer befanden sich die Tiere wohl, und es waren bei ihnen keine Zeichen von abnehmender Leistungsfähigkeit oder von Mattigkeit zu bemerken. Daß auch der Menseh bei einer an Eiweiß ziemlich armen Kost bei dauernder Gesundheit bleiben kann, folgt teils aus den oben mitgeteilten Erfahrungen an Vege- tariern, teils aus einer sehr wichtigen Versuchsreihe von R. O0. Neumann!'). Die- selbe umfaßte im ganzen 746 Tage und war in drei Abschnitte geteilt. In dem ersten und dritten Abschnitt, welche je 10 Monate dauerten, genoß Neumann eine freigewählte Kost; durch Konstantbleiben des Körpergewichts wurde festgestellt, daß sie genügend war. Im zweiten Abschnitt, 120 Tage, wurde durch Versuche über den N-Umsatz die Effektivität der Kost direkt kontrolliert. Die Ergebnisse sind in Tabelle 1 (8. 410) zusammengestellt (vom Abschnitt II nur die ersten 50 Tage in fünf Perioden verteilt). Über den Gesamtstoffwechsel bei Zufuhr von Eiweiß haben wir die Bilanzversuche von Pettenkofer und Voit in erster Linie zu berück- sichtigen. Die genannten Autoren berechneten ihre Analysenresultate unter der Annahme, daß sich N und C im Eiweiß wie 1: 3,684 verhielten. Diese Verhältniszahl ist indes nicht richtig, und sie beträgt nach Rubner 1: 3,28, nach Pflüger sogar 1:3,20°). Dieser Unterschied ist besonders bei großen Eiweißmengen von durch- greifender Bedeutung. So entspricht einer Abgabe von 85,4g N (= etwa 2500g Fleisch) nach Pettenkofer und Voit 314,6g C, nach Rubner 280,1 g — also eine Differenz von 34,5g C. D. h. wenn die N-Substanz in 2500g Fleisch im Körper vollständig zersetzt wird, und 280,18 C vom Körper abgegeben worden sind, so würde dies nach Rubners Verhältniszahl bedeuten, daß der gesamte an Eiweiß gebundene Kohlenstoff in 2500 g Fleisch vom Körper abgegeben worden ist, während nach der Zahl von Pettenkofer und Voit im Körper 34,5 © — wahrscheinlich als Fett — zurückgehalten worden sind. ') Arch. f. Hyg. 45, 1, 1902. — ?) Siehe oben $. 356. ‘(898 8 TA) Te 98'958 = N 31 — ey 086 = Pad 31 “ey 828 = N 31 (: («1'89 8317 0877 se+ 70 1 — »'c8 ‘88 DER TIEETRRT 8 L («9° 18 0091 #821 + |. IT 37 — ‘69 0'89 “7%. 8981 TUN "97 SIq "IZ X) (8'584 Te81 | 8091 BI 0€ 1'689 219 nr T9BT TenIgag '61 ‘< (s8'97 FSsı 1. 8gg1 33 — u 33 z'1g EHRT E98T ZIEW "6 SIQ AenIgOT ‘0% u) (8'886 I a Bu 7: Be Er 88 1'986 08 er WITT IT 8 (378 #601 | gHF 69 — — 68 +07 01 "8987 Tunp 'T sıq Tuudy ‘0% T (1678 wu | 0 La RL 1. Be 86 gg 0 79098987 ZIgM "FI SIq ‘01 | : yyoLmod zyesun] | 2'033 west Bar 000, ersurr Dr s'sı sı 01 | 2861 z 2'108 g'eL LuI. | 80, | Are 5 1% —- e’gl ZT 9° 6061 — 8'707 0'F8 zı | 0'9 u 'g Ko Em Gs1 I 011 | 6661 - 0'F81 L’EL 16 9'99 we 3 z A 83 — oT 0% 0'6 I gest = ers ‘29 °8 1: 808 SseL O1 EH = _ ._ = wu: 950 sg 1 ” | — FR ar _ = = ' 608% u'$r 0'087 g'g8 g‘oL | 029 syeuom OL 11 | 3 3 3 3 3 3 3 3 | 34 | "TeM | | ; vurumg | 90y WIN Weg mwN toyoyIy | ereapkyoryoy | MOL N ı aypımes | zueitg-N RUE: Mi — | -aedıoy | AS EIN & | Se, o1d ogedqy | SeL od owuyeumy ' sarogımt | - | || = - - PL Der Gesamtstoffwechsel bei Zufuhr von Eiweiß. 411 Eine neue Berechnung der Versuche von Pettenkofer und Voit!) war daher notwendig, und Pflüger ?) unterzog sich der Mühe, diese auszuführen. Nach dieser neuen Berechnung sind die Resultate der Münchener Physiologen in Tabelle 2 (S.410) zusammengestellt. Diese Versuche sind alle an einem und demselben Hunde ausgeführt. Erst bei einer Zufuhr von etwa 68g N (Nr. 6) gelangt das Tier in stoffliches Gleich- gewicht; bei den Reihen mit geringerer N-Zufuhr setzt das Tier nicht allein von seinem eigenen Eiweiß, sondern auch von seinem eigenen Fett zu. Je größer die gefütterte N-Menge wird, um so geringer ist auch die Selbstbesteuerung des Körpers, bis er endlich mit 68 und 84 g N (= 2000 bis 2500 g Fleisch) ungefähr in materielles Gleichgewicht kommt ’°). Einen näheren Aufschluß über den Umfang der tatsächlich stattgefundenen Verbrennung gibt uns die kalorische Berechnung der Versuche. Aus der- selben geht hervor, wie gleichzeitig mit dem vermehrten N-Umsatz tatsäch- lich auch der Gesamtstoffwechsel, und zwar sehr regelmäßig, ansteigt. Beim Hunger beträgt er pro Kilogramm Körpergewicht 34,9 Kal., ist bei 17g N etwa gleich groß, um dann immer mehr zuzunehmen und bei 85g N im Futter das Maximum von 65,0 Kal. zu erreichen. Bei abundanter Eiweißzufuhr steigt also der Gesamtstoffwechsel mit etwa 90 Proz. dem Stoffwechsel beim Hunger und bei geringer Eiweißzufuhr gegenüber an. In einem noch höheren Maße steigt indes der N- Umsatz; die Differenz zwischen dem Maximum bei Zufuhr von 85,0g N und dem Minimum beim Hunger beträgt 79,3g, d. h. 1426 Proz. Es wäre also grundfalsch, wenn wir aus dem N-Umsatz den Gesamtstoffwechsel schätzen wollten. Später hat Rubner ähnliche Versuche ausgeführt, welche dadurch, daß die zu vergleichenden Versuche unmittelbar nacheinander angestellt wurden, den Vorzug haben, daß sie sich so viel als möglich auf den gleichen körper- lichen Zustand des Versuchstieres beziehen®). Ich stelle einige von ihnen hier zusammen. | ' N-Zufuhr | N-Abgabe | Kalorien Nr..i Tag- | | — | | g g Zufuhr Umsatz pro kg I I L. ya f) 18 | ) 308 51,9 2 0 1,5 0 281 48,3 3 17,0 13,1 481 330 56,3 4 17,0 14,2 | 481 330 55,0 2L 1 20,4 | 17,3 576 607 88,9 2 20,4 1772 | 576 539 78,1 Be, ) 40 | N) 446 65,0 = | 20,4 16,6 576 536 78,0 b) | 0 32,9 0 477 70,6 0: f) 22 | 0 507 78,0 7 f) 19:1 0 | 4a 70,2 !) Zeitschr. f. Biol. 5, 370, 1869; 7, 432, 1871. — *) Arch. f..d. ges. Physiol. 51, 267, 1891. — °?) Der Fettansatz, der hier erscheint, dürfte nur ein scheinbarer sein, denn wenn die Versuche unter Anwendung der Verhältniszahl C/N = 3,20 berechnet werden, wird derselbe nur 14 bzw. 3g. — *) Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches, S. 57, 65, 76, 84, 155. 4123 Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Fett. | . Nr. | Tag N-Zufuhr | N- Abgabe Kalorien g g Zufuhr Umsatz pro kg Im. | 1 > 7,8 0 1089 40,6 | 52 0 7,4 ) 947 36,0 | 3 0 7,3 0 1017 39,1 | 4 0 6,3 0 912 35,2 | 5 51 46,5 1326 1171 46,0 | 6 51 46,8 1326 1218 47.5 | 7 51 49,5 1326 1274 48,7 | 8 51 48,9 1326 1291 49,8 IV. 1 0 5,0 ) 718 _ 2 0 5,1 0 742 _ 3 68 51,6 1926 1046 — 4 0 12,4 | ) 746 _ 5 | 68 | 52,7 1926 1115 _ 6 | ) | 12,2 | 0 772 _ ı i \ Aus diesen Versuchen erhalten wir im Durchschnitt: Versuch I: Hunger 290 Kal., Zufuhr von 17g N 530 Kal.; Versuch II: Hunger 472 Kal, Zu- fuhr von 20,48 N 561 Kal.; Versuch III: Hunger 991 Kal., Zufuhr von 5lg N 1239 Kal.; Versuch IV: Hunger 745 Kal., Zufuhr von 68g N 1080 Kal. Ganz wie bei den Versuchen von Pettenkofer und Voit steigert eine verhältnismäßig geringe N-Zufuhr den Gesamtstoffwechsel nur in geringem Grade (im Versuch I um 14 Proz.), während dagegen eine reichlichere N-Zufuhr den Stoffwechsel beträchtlich in die Höhe treibt (im Versuch II um 19 Proz., im Versuch III um 25 Proz., im Versuch IV um 45 Proz.); gleich- zeitig beträgt die durchschnittliche Zunahme der N-Abgabe dem Hungerwerte gegenüber in allen Versuchen mehrere hundert Prozent. $ 2. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Fett. Pettenkofers und Voits!) Versuche über den Einfluß des Fettes auf den Stoffwechsel sind, nach den früher benutzten Konstanten berechnet, in folgender Tabelle zusammengestellt 2). | ! | De Futter N- | Fett, | | ns Fe | er | — ro Nr. Datum on ehe! N Fett Abgabe] zersetzt Kal. Körper- | periode | & e | g & | gewicht || I I I I. | 10. März 1862 | 6 | A 1207 | 38,7 1 Aa | 10 | — 2 86 947 31,5 ' 1. April®) 8 | —|ı10| 54 | 9 1057 35,8 Sr, | 10 — | 160. 45 | 108 1093 | 37,4 | | | | | II. | 5. April 1861 | 2 — |. — 171,6 97 | 1187 36,1 BE che 5 NET |: 1070 |i TE8E 37,3 ER = | 8 — u Eee 102 ' 1089 35,7 19. 00) | 2 SE re 1. 7,7 1... 169 = 11800 | 56,2 N l I I !) Zeitschr. f. Biol. 5, 369, 1869. — *?) 1g N = 25,25 Kal., 1g Fett = 9,5 Kal. — ®) In der Zwischenzeit bekam das Tier täglich bis zum 24. März 1500 g Fleisch, da- nach 100g Fett. — *) Der Versuch dauerte nur 10 Stunden, ist aber auf 24 Stunden berechnet. — °) Nach sehr reichlichem gemischten Futter bekam das Tier vom 18. April an 350g Fett. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Fett. 413 Aus diesen Versuchen geht hervor, daß die beim Hunger zugrunde gehende Fettmenge durch eine gleichgroße Fettmenge im Futter ersetzt werden kann, sowie daß eine sehr bedeutende Steigerung der Fettzufuhr den Fettumsatz bedeutend in die Höhe treibt. Wie sich der Stoffwechsel bei Zufuhr von Fett und Eiweiß verhält, ist aus folgenden wie früher berechneten Versuchen von Pettenkofer und Voit!) ersichtlich: ES a ne ze I 3 | \ Futter N- Fett, Kalorien Nr. Datum ee | er setzt | lorien | Körper- | & g & g gewicht | I. | 20. April bis 1. Juni 1863 . | 1,0) — | 20,4 59 | 1094 34,9 | 12. Mai 1863... 2.2... 17,0 | 100 | 16,7 75 | 1151 36,8 | 3. Juni bis 30. Juli 1862. . | 17,0 | 200 | 17,6 | 119 | 1593 49,0 I. | 20. Febr. bis 9. März 1863 . | 51,0 | — | 51,0 22 | 1554 46,5 | 9. u. 13. März 1868... . . 51,0 | 30 | 49,5 24 | 1528 45,7 I 17. März 18638 ....... 51,0 60 | 51,0 48 | 1795 53,8 | 20. u. 24. März 1868 . .... . | 51,0 | 100 | 47,7 34 | 1575 46,5 1 18. Juni 1868 ....... 51,0 | 100 | 49,3 17 | 1456 46,9 | 27. u. 30. März 1863 . .. . || 51,0 | 150 | 49,5 40 | 1679 49,6 Die zu der ersten Versuchsreihe mit 17g N und bzw. 0, 100 und 200g Fett im Futter gehörigen Versuche sind zum Teil in weiten Intervallen aus- geführt und dürften daher kaum sichere Schlußfolgerungen gestatten. Da- gegen sind die Versuche der zweiten Reihe ziemlich gut untereinander ver- gleichbar. Aus denselben kann kaum anders geschlossen werden, als daß die Zugabe von 30 bis 150g Fett die Fettzersetzung nicht beeinflußt, wenn die gleichzeitig gefütterte Eiweißmenge an und für sich ungefähr genügt, um den Stoffwechsel zu unterhalten. In allem Wesentlichen wurden diese Resultate durch Versuche von Rubner, bei welchen der Stoffwechsel beim Hunger und bei Fettzufuhr in unmittelbarem Anschluß aneinander bestimmt wurde, bestätigt?), wie z. B. I | | Futter | Fett, Kalorien Nr Tag N Fett N-Abgabe | „ersetzt Kalorien u; kg ‚örper- g g£ £ g 2 gewicht I. 1 —_ _ 9,4 74 955 39,8 2 | — 167 5,1 81 914 38,1 1. 8 ee _ 3,9 88 957 40,0 | | 2u.| ı |) — EU ER. 62 | es | 563 | 2 | — ee 59 | se | 545 a Di ER. 180 | 17 Pe EEE. , . a Be 2 ») Zeitschr. £. Biol. 9, 1, 1873. 1g N = 26,26; 1g Fett = 9,5 Kal. — ?2) Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches, 8. 51. 414 Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Kohlehydraten. Bei Zufuhr von einer Fettmenge, deren kalorischer Wert (1537 Kal.) um 60 Proz. den Stoffwechsel beim Hunger übertraf, trat keine Steigerung der Fettzersetzung ein (Versuch I). Eine ziemlich bedeutende Zunahme, 18,4 Proz. dem Hungerstoffwechsel gegenüber, erschien aber im Versuch II, wo das gefütterte Fett, seinem Kalorienwert (1710 Kal.) nach, fast dreimal - so groß war als der Umsatz beim Hunger (durchschnittlich 609 Kal.). Also erscheint eine Zunahme der Fettzersetzung und des gesamten, in Kalorien ausgedrückten Stoffwechsels bei Zufuhr von Fett nur dann, wenn die gefütterte Fettmenge ihrem kalorischen Werte nach den Bedarf des Körpers sehr beträchtlich übersteigt. Bei geringerer Fettzufuhr bedingt das Fett aber keine Steigerung, wie es auch Pflüger durch Versuche an Hunden bestätigt hat. $ 3. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Kohlehydraten. Wie oben bemerkt, ist es nicht ohne gleichzeitige Bestimmung der Sauer- stoffaufnahme möglich, zu entscheiden, in welchem Maße Fette und Kohle- hydrate beim Stoffwechsel beteiligt sind. Beim Hunger, sowie bei Zufuhr von Eiweiß oder Fett ist doch, aller Wahrscheinlichkeit nach, der Anteil der Kohlehydrate an der Verbrennung so gering, daß kein großer Fehler entsteht, wenn der gesamte, aus N-freien Nahrungsstoffen stammende Kohlenstoff in den Ausgaben als Fett-C berechnet wird. Bei Zufuhr von Kohlehydraten gestaltet sich die Sache viel komplizierter, und es ist nicht möglich, aus der alleinigen Bestimmung des abgegebenen Kohlenstoffs, auch wenn die Zusammensetzung des Futters genau bekannt ist, den gegenseitigen Anteil des Fettes und der Kohlehydrate festzustellen. Hier ist daher die Bestimmung des Sauerstoffverbrauches unbedingt not- wendig. Bei kurzdauernden, unter Anwendung einer Respirationsmaske aus- geführten Versuchen, wo neben der CO,-Abgabe auch die O,- Aufnahme be- stimmt worden ist, hat es sich nun herausgestellt, daß der respiratorische Quotient bei Zufuhr von Kohlehydraten binnen kurzem ansteigt, daß also diese in der Tat sogleich nach ihrer Resorption vom Körper angegriffen werden !). Aus diesen Erfahrungen zog man nun den Schluß, daß die resorbierten Kohlehydrate vollständig vor dem resorbierten Fett bzw. dem Körperfett ver- braucht werden, und berechnete von dieser Annahme aus den unter solchen Umständen stattfindenden Stoffwechsel. Dieser Schluß war indes nicht voll- ständig berechtigt, denn es lagen meines Wissens keine Beobachtungen vor, welche seine Richtigkeit tatsächlich bewiesen hätten. Diese wesentliche Lücke in unseren Kenntnissen ist indes durch die Untersuchungen Atwaters und seiner Mitarbeiter in der letzten Zeit aus- gefüllt worden. Allerdings war es bis jetzt auch ihnen nicht möglich, bei länger dauernden Versuchen die O,-Aufnahme festzustellen; ihre kalorimetri- schen Bestimmungen des Stoffwechsels bei verschieden zusammengesetzter Kost lassen uns aber die vorliegende Frage entscheiden. Wenn nämlich der aus dem Wärmewerte der Kost und der Ausgaben berechnete Stoffwechsel auch bei Zufuhr von Kohlehydraten mit der direkt kalorimetrisch bestimmten, !) Vgl. z. B. Magnus-Levy, Arch. f. d. ges. Physiol. 55, 1, 1893. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Kohlehydraten. 415 Wärmeabgabe genau übereinstimmt, so liegt hierin ein unanfechtbarer Beweis dafür, daß die gesamten Kohlehydrate der Kost tatsächlich vor dem Fett im Körper angegriffen werden. ‘Da die Versuchspersonen bei allen Versuchen von Atwäter in ihrer Kost sowohl Fett als Kohlehydrate genossen (vgl. S. 366), stellen diese Ver- suche sämtlich die erwünschte Begründung dieses Satzes dar. Unter den- selben finden sich aber einige, welche in dieser Hinsicht ganz besonders be- deutungsvoll sind, indem die Versuchsperson hier die gleiche Zufuhr von Eiweiß und Kalorien, aber mit verschiedener Verteilung auf Fett und Kohle- hydrate bekam. Einige dieser Versuche sind in folgender Tabelle aufgenommen. | | Kraftwechsel, berechnet aus | Kraft- | | wechsel, | Versuch I. Ei- | i Kohle- | direkt | Anmerkungen | weiß | Fett hydraten, hg age: bestimmt i | Kal. | Kal. | Kal. | Kal. Kal. | ! | | a #2 Narite | 38 Iısee | — 2250 | 2187 | Hunger, Ruhe 35 \ 429 814 1114 2357 | 2397 | Gew. Kost, Ruhe | | N ; 37, 40, 44, irren | 434 | 1288 | ssrı | soss | sıse | Bulhydresiche 47, 49, 53 f | Il Kost, Arbeit 38, 41, 43, | | s n 45, 46, 48, V Mittel | 489 | 3190 | 1465 | 5144 | sıos |} Fettreiche Kost, | !l Arbeit 52, 54 | | Bei Hunger und Ruhe, wo der Körper von seinem eigenen Eiweiß und Fett lebt, ist der Stoffwechsel durchschnittlich berechnet 2250, direkt bestimmt 2187 Kal, während er bei Nahrungszufuhr, darunter 1114 Kal. in Kohlehydraten, 2357 bzw. 2397 Kal. beträgt. Die Differenz der direkten kalorimetrischen Bestimmungen macht nur 210 Kal. aus, was sich leicht daraus erklären läßt, daß ein fastender Mensch, selbst am ersten Hungertage, doch etwas ruhiger als bei Nahrungszufuhr ist. Die beiden anderen Durchschnittszahlen beziehen sich auf den Stoffwechsel bei körper- licher Arbeit. In der einen Reihe enthielt die Kost 1288 Kal. aus Fett und 3371 Kal. aus Kohlehydraten; Kraftwechsel berechnet 5093, gefunden 5136. In der zweiten Reihe war das Verhältnis des Fettes und der Kohlehydrate umgekehrt: 3190 Kal. aus.Fett und 1465 Kal. aus Kohlehydraten; Gesamtstoffwechsel berechnet 5144, gefunden 5105. Die Differenz zwischen|den kalorimetrischen Bestimmungen beträgt nur 31 Kal. Aus diesen Erfahrungen folgt also, daß die genossenen Kohlehydrate sowohl vor dem Körperfett, als vor dem mit der Kost aufgenommenen Fett im Körper zerfallen. Nachdem dies festgestellt ist, können wir an der Hand der vorliegenden Versuche den Einfluß der Zufuhr von Kohlehydraten in verschiedener Menge näher untersuchen. Auch hier haben wir die Beobachtungen von Petten- kofer und Voit in erster Linie zu berücksichtigen !). Dieselben sind mit den mehrfach erwähnten Korrekturen in folgender Tabelle zusammengestellt. !) Zeitschr. f. Biol. 9, 435, 1873; vgl. Pflüger, Arch.ff. d. ges. Physiol. 52, 239, 1892. 1g N = 26,26, 1g Fett = 9,5, 1g Stärke (St) = 4,2, 1g Trauben- zucker (T) = 3,8 Kal. 416 Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Kohlehydraten. | Aus diesen Versuchen EBSEl.n Aal no oo ließe sich schließen, daß die IB - u.a Eee A a nr ISES8EI SI ES58 55 35 Zufuhr von 379g Kohle- Id MM &% hydraten den Stoffwechsel, dem beim Hunger gegen- Rue" über, pro Kilogramm Körper- Eu 38 3223 38 38 gewicht um etwa 17 Prozent er 5 "on ET RER Tr = f k N : . ER m DR SIE IR Re Er En in die Höhe treibt. Bei Zu- gabe von 167 bzw. 182g Un SIE OTE BRAIN Kohlehydraten zu 500g 838 5 aa Vei ai & Fleisch steigt der Gesamt- SE om > oo © > n x : nn - stoffwechsel um höchstens AN 12 Prozent, im Durchschnitt aber nur um 10 Prozent a "SS RS an e® (Nr. II). Bei 1500 g Fleisch 5% on NO zu Arm nm 0 " 4 EB an] 3. Me ++ 7% (Nr. III) beträgt die Zunahme a 2 S = ” —_ durch 172g Stärke sogar 48 Prozent; es muß aber 8 bemerkt werden, daß dieses | Eh al E85 Sa2S8 25 & : I 2 ara 2) 2 bei dem anderen 57,7 Kal. > &D paar | DD — << © & SS a & In Nr. IV ist die Zunahme a ” Ga er es nur etwa 12 Proz. = M Leider sind die zu ver- EI . gleichenden einzelnen Ver- Q 8 eRUeE re >, = = suche nicht in unmittelbarem r ” Anschluß aneinander ausge- g führt worden, weshalb diese I ERTAI RURM Schlüsse nicht als völlig a Er sicher erachtet werden kön- th ne nr nen. Bei Rubner?) finden - wir indes einwandsfreie Beob- $ achtungen wie die folgenden, EEE ne welche übrigens einen di- N . Pr SR. rekten Vergleich betreffend 28 ie un ua. AL den Einfluß der verschie- = © sis o© = are ® B ig: eV el denen Nahrungsstoffe auf den ® - ER 2 =) En is ® = = = Stoffwechsel gestatten. | TR BER. Bı8r 80 | garten 5” 4 | TE BR 55 ) Das im Fleisch ent- | 2 ei <ı<23 23 & 2 5 a haltene Fett ist nicht berück- | ‚8 08mm So 8, sichtigt. Auch bei der Fett- I en 0 bilanz ist das Nahrungsfett @ i ar nieht aufgenommen worden. — | > "= EB - > ®) Rubner, Die Gesetze des | Energieverbrauches, 8. 72. Einfluß der Nahrungsaufnahme auf den Stoffwechsel. 417 Futter | Kraftwechsel Tag N Fett Kohle- | Kalorien Total prokg hydrate Körpergewicht g 8. Kal. Kal. 2 A = a _ | 969 40,2 3 56,8 — = 1543 | 1072 44,8 4 Er —_ — — | 947 39,9 5 _ 167 -- 1536 | 963 40,9 6 = er 45 _ 922 39,6 ni — — 411 1446 982 42,3 | — Be — _ | 977 42,1 Im Durchschnitt beträgt der Kraftwechsel pro Kilogramm Körpergewicht beim Hunger 40,4 Kal., bei Zufuhr von Eiweiß 44,4, bei Zufuhr von Fett 40,9, bei Zu- fuhr von Kohlehydraten 42,3; derselbe nimmt also bei Eiweiß um 11,9, bei Fett um 1,2 und bei Kohlehydraten um 4,7 Proz. zu. Wie aus der Tabelle ersichtlich, war in allen Fällen die potentielle Energie des Futters gleichgroß, und zwar über- stieg sie den Umsatz beim Hunger um bzw. 58, 61 und 52 Proz. In einer anderen Versuchsreihe wurden dem Tiere pro Kilogramm Körper- gewicht im Eiweiß 57,4, im Fett 54,2, in Kohlehydraten 57,0 Kal. zugeführt. Beim Hunger betrug der Gesamtstoffwechsel pro Kilogramm Körpergewicht 37,5 Kal., bei Fleisch 46,0, bei Fett 39,4 und bei Kohlehydraten ebenfalls 39,4 Kal. In Pro- zenten war die Steigerung dem Hungerstoffwechsel gegenüber bei Eiweiß 24,3, bei Fett und Kohlehydraten 5,1. Eine dritte Versuchsreihe ergab für den Stoffwechsel während des zweiten Hungertages 310 Kal. Bei Zufuhr von 482 Kal. im Fleisch war derselbe 396 Kal., bei Zufuhr von 749 Kal. in Stärke und Rohrzucker 345 bzw. 390 Kal. Aus diesen Beobachtungen geht als Resultat hervor, daß allerdings so- wohl Fett als Kohlehydrate den Gesamtstoffwechsel nicht unwesentlich steigern, aber, wie es scheint, im allgemeinen nur, wenn sie in großem Überschuß auf- genommen werden, während das Eiweiß den Gesamtstoffwechsel immer in die . Höhe treibt, sobald es in einer Menge genossen wird, die den Umsatz beim Hunger nur verhältnismäßig wenig übersteigt. Zur theoretischen Deutung dieser Tatsachen könnte man sich vorstellen, daß der größere Vorrat an Verbrennungsmaterial an sich eine umfangreichere Verbrennung im Körper hervorrufe. Es könnte auch der Fall sein, daß die Steigerung des Gesamtstoffwechsels durch die Verdauungsarbeit oder durch Muskelbewegungen und -Spannungen bedingt wäre. Zur Aufklärung dieser Frage sind Versuche notwendig, bei welchen der Einfluß der Muskelbewegungen so viel als möglich ausgeschlossen ist und wo der Stoffwechsel in kürzeren Perioden untersucht wurde. An Hunden, welche die ganze Versuchszeit vollkommen ruhig lagen, unter- suchte Rubner') in dreistündigen Perioden die CO,-Abgabe beim Hunger, sowie bei Fütterung mit Fleisch oder Fett. Beim Hunger verlief diese mit äußerst ge- ringen Variationen, und dasselbe gilt im großen und ganzen auch bei der Fett- fütterung. Auch war der absolute Unterschied nur gering: während neun Stunden beim Hunger 108,8 bis 116,7g CO,, während neun Stunden nach Fütterung mit 80 g Fett 111,0 bis 111,4g CO,. Dagegen stieg die CO,-Abgabe bei Fütterung mit !) Festschrift für Ludwig 1887, 8. 259. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 237 418 Einfluß der Nahrungsaufnahme auf den Stoffwechsel. 460 g ausgelaugtem Fleisch sehr bedeutend an und betrug während 6 Stunden 92,9 bis 95,1g, 73 bis 76,3g beim Hunger gegenüber. Nähere Angaben über diese Ver- suche sind in folgender Tabelle enthalten. C0,-Abgabe g © = 1 460 g 5 Zeit Hunger 80 g Butterfett ausgelaugtes & Fleisch I I R 21.6 1 9—12 V 36,6 35,6 35,6 37,8 } 92.9 PER 2 12—3 N 36,4 40,7 37,7 36,7 : 3 6 35,8 40,4 37,7 37,4 } = 971 4 6—9 35,2 38,5 — - g 5 9—12 36,8 41,1 _ he } 18.2 8 6 12—3 V 35,5 38,8 — — 7 3—6 35,7 35,9 _— — } 78,4 75,3 8 6—9 33,8 37,2 RR PR: Sowohl am Hunde als am Menschen machte dann Magnus-Levy') ausführ- liche Untersuchungen über denselben Gegenstand und bestimmte dabei nicht allein die CO,-Abgabe, sondern auch den O-Verbrauch, wodurch die absolute Größe des Stoffwechsels viel genauer als bei alleiniger Bestimmmung der Kohlensäure be- rechnet werden kann (vgl. 8. 374). Aus denselben läßt sich folgendes entnehmen. Bei den Versuchen am Hunde war eine Erhöhung des Sauerstoffverbrauches bei einer den Bedarf nicht überschreitenden Zufuhr von Fett sehr gering und war in der 5. bis 9. Stunde in der Höhe von etwa 10 Proz. deutlich sichtbar. Bei einer sehr reichlichen Zufuhr ging die Steigerung nie über 20 Proz. hinaus, sie fand etwa von der 4. bis zur 13. und 14. Stunde oder etwas später statt. Im Durchschnitt von 18 Stunden überstieg die Zunahme des Stoffwechsels nicht 10 Proz. und war jedenfalls für 24 Stunden noch geringer. Nach Fütterung mit Kohlehydraten in reichlicher Menge (500g Reis, 200g Hackfleisch und 25 g Fett) nahm der O-Verbrauch während der zwei ersten Stunden um etwa 30 Proz. zu, um dann langsam und stetig weiterzuwachsen bis zu einem Maximum von 39 Proz. während der 6. bis 8. Stunde. Bis zur 11. Stunde sank der Sauerstoffverbrauch wieder sehr langsam ab und fiel dann schneller, so daß von der 14. bis 15. Stunde ab die erhaltenen Werte nur um wenige Prozente die Nüchternwerte übertrafen. Für 24 Stunden berechnet betrug die Zunahme des O-Verbrauches etwa 17,5 Proz., was aber zu einem Viertel von dem gleichzeitig ge- nossenen Eiweiß bedingt war. Wenn das Futter nur die dem Bedarf gerade ent- sprechende Menge von Kohlehydraten enthielt, zeigte sich eine viel geringere Zu- ‘nahme, und zwar betrug dieselbe für die ersten 10 Stunden durchschnittlich nur etwa 11 Proz. In einem noch erheblicheren Grade nahm indessen der O-Verbrauch nach Fütterung mit Eiweiß zu. Durchschnittlich betrug die Steigerung während der ersten 12 Stunden bei 13,2g N:19 Proz., bei 36,8g N:37,5 Proz., bei 59,3g N 47 Proz. und während der ersten 24 Stunden bzw. 10, 21 und 32 Proz. Am Menschen fand Magnus-Levy, daß bei 210g Speck oder Butter eine Steigerung des O-Verbrauches eintrat, die mit der 8. Stunde noch nicht beendet war. Dieselbe war aber nur gering, für 8 Stunden durchschnittlich nur etwa 6 bis 8 Proz., bei Aufnahme von kleineren Fettmengen (100g) ganz unbedeutend. Nach Genuß von Kohlehydraten in geringer Menge (85 g Weißbrot) zeigte sich eine Steigerung des O-Verbrauches um 11 bis 16 Proz., die schon in der 3. und 4. Stunde kaum mehr sichtbar war. In Versuchen, wo 140 bis 160g Stärke verabreicht wurden, !) Arch. f. d. ges. Physiol. 55, 1, 1893. uf BER u ee ee Einfluß der Nahrungsaufnahme auf den Stoffwechsel. 419 war der O-Verbrauch in den ersten 3 Stunden bis rund 33 Proz. erhöht, in der 3. Stunde sank die Kurve zumeist ab, um in der 4. und 5. Stunde ziemlich die ur- sprüngliche Höhe zu erreichen. Endlich beobachtete er nach Genuß von 120 bis 310g gebratenem Rindfleisch eine prozentuale Zunahme des O-Verbrauches bis zu 32 Proz. Das Maximum trat etwa in der 4. Stunde ein. Für die ersten 7 Stunden betrug die Zunahme bei 250 bis 310g Fleisch etwa 16 bis 22 Proz.'). Auch diese Versuche zeigen also, daß das Fett in mäßigen Gaben keine erwähnenswerte Steigerung des Gesamtstoffwechsels veranlaßt, daß Kohle- hydrate in reichlicherer Menge aufgenommen eine erheblichere Zunahme, die indes nur kurze Zeit dauert, bewirken können, sowie daß das Eiweiß den Stoffwechsel sowohl für kürzere als für kleinere Perioden steigert. Da die letzterwähnten Versuche an ruhenden Menschen gemacht wurden und die Wirkung der Muskelbewegungen auf den Stoffwechsel also wesentlich ausgeschlossen waren, muß die Ursache der vorliegenden Steigerung des Stoffwechsels entweder in der Verdauungsarbeit oder darin liegen, daß eine größere Zufuhr ohne Beteiligung sichtbarer Muskelbewegungen einen größeren Verbrauch hervorruft. Daß erstere nicht die alleinige Ursache der betreffenden Steigerung ab- geben kann, scheint aus der großen Verschiedenheit hervorzugehen, welche bei mäßigen Gaben von Eiweiß einerseits und von N-freien Nahrungsstoffen andererseits stattfindet. Denn es läßt sich, meines Erachtens, kaum denken, daß die Verdauung einer gewissen Eiweißmenge einen so viel größeren Auf- wand von Arbeit als die einer isodynamen Menge von Fett oder Kohle- hydraten erforderte. Da wir nun ferner wissen, wie die Spaltung des Ei- weißes auch bei der natürlichen Verdauung im Darme sehr weit geht, und wie aller Wahrscheinlichkeit nach diese Spaltung nach stattgefundener Re- sorption unmittelbar fortgesetzt wird, so dürfte man in bezug auf das Eiweiß kaum der Annahme entgehen können, daß der Zerfall gerade von der ver- mehrten Zirkulation von oxydationsfähigem Material verursacht wird 2). Damit verkenne ich keineswegs den Einfluß der Darmarbeit, deren Be- deutung in erster Linie von Speck), v. Mering und Zuntzt), Magnus- Levy) hervorgehoben wurde, und die, wie es scheint, nunmehr auch von Rubner‘) ziemlich hoch angeschlagen wird. Ist es ja selbstverständlich, daß die Kontraktionen der Muskulatur der Verdauungsorgane, sowie die Drüsensekretion nicht ohne die Entwickelung von aktueller Energie stattfinden können. Welchen Umfanges die hierdurch hervorgerufene Verbrennung tatsächlich ist, davon wissen wir indes nichts Bestimmtes. Wenn wir uns vergegenwärtigen, wie der Stoffwechsel bei Zufuhr von mäßigen Mengen Fett gar nicht ansteigt, wie er sogar bei ziemlich großen Fettgaben in der Regel nur unerheblich -ge- steigert wird, und wie die Steigerung bei Kohlehydraten doch der bei Zufuhr von Eiweiß stattfindenden im allgemeinen weit nachsteht, so müssen wir wohl ') Vgl. auch die Versuche Koraens über die CO,-Abgabe bei verschiedener Kost. Skand. Arch. f. Physiol. 11, 176, 1901. — ?) Vgl. Fick, Sitzungsber. d. Würz- burger physik. med. Ges., 21. Dez. 1889. — °) Arch. f. exp. Pathol. 2 (1874); Physiol. des menschlichen Atmens, Leipzig 1892, 8.28. — *) Arch. f. d. ges. Physiol. 15, 634, 1877; 32, 173, 1883. Vgl. auch Zuntz, ebenda 83, 566, 1901. — °) Ebenda 55, 116, 1893. — °) Rubner, Biol. Ges. 1887, 8. 27. Die Gesetze des Energie- verbrauches, 8. 127. 27° 420 Einfluß der Nahrungsaufnahme auf den Stoffwechsel. schließen, daß die Verdauungsarbeit an sich nur einen verhältnismäßig ge- ringen Aufwand von Energie erfordert. Diese Auffassung wird durch die Erfahrung Rubners!) gestützt, daß bei einem Hunde von 7 kg Körpergewicht die Fütterung mit 20 bis 30g Knochen eine Steigerung des Stoffwechsels um nur 10 Proz. hervorrief. Wenn aber sehr große Ansprüche an die Verdauungsorgane gestellt werden, so zeigt sich eine sehr bedeutende Steigerung des Stoffwechsels.. So stieg der O-Verbrauch in einem Versuche von Magnus-Levy nach Fütterung mit 900 bis 1000 g Knochen während der ersten Stunden um 24 bis 33 Proz. an. Die Zunahme war also hier etwa desselben Umfanges wie bei Fütterung mit großen Kohlehydratmengen. Man darf doch nicht behaupten, daß die letzteren eine ebenso große Darmarbeit erfordert hätten wie 1000 g Knochen. Es ist möglich, daß der Einfluß der Darmarbeit dadurch verdeckt wird, daß gleichzeitig die Verbrennung in den übrigen Körperteilen in entsprechen- dem Umfange herabgesetzt wird. Es würde also eine Kompensation der bei der Verdauung stattfindenden Wärmeerzeugung durch Ersparung innerhalb gewisser Grenzen auftreten. Dies alles gilt aber nur in dem Falle, wenn die Körperbewegungen mög- lichst vermieden werden, denn diese üben auf den Stoffwechsel einen so mäch- tigen Einfluß aus, daß schon anscheinend ganz geringfügige Veränderungen des Muskeltonus eine unverkennbare Veränderung des Stoffwechsels hervor- rufen. Da wir nun wissen, einen wie großen Einfluß die Nahrungsaufnahme an sich auf das subjektive Gefühl der Leistungsfähigkeit ausübt und wie in- folgedessen der Muskeltonus gesteigert wird, ist es leicht zu verstehen, daß der Umfang des Stoffwechsels nach Nahrungsaufnahme, gleichgültig, wie die Kost zusammengesetzt sein mag, gesteigert werden kann: diese Steigerung hängt aber nur indirekt mit der Nahrungsaufnahme an sich zusammen. $ 4. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von anderen N-haltigen Verbindungen als dem Eiweiß. Außer dem Eiweiß gibt es eine ganze Menge von N-haltigen Verbindun- gen, welche in unseren gewöhnlichen Nahrungsmitteln enthalten sind. Bei der Untersuchung ihres eventuellen Nährwertes gilt es vor allem, festzu- stellen, ob sie das Eiweiß vollständig oder zum Teil vertreten können oder in dieser Hinsicht vielleicht ganz wirkungslos sind. Zu diesem Zwecke kann man prüfen, inwiefern die betreffende Verbindung überhaupt im Körper zer- setzt wird, oder ob sie unzersetzt vom Körper wieder abgegeben wird. Nur im ersten Falle ist es möglich, daß die Substanz Eiweiß vertreten kann. Um dies zu entscheiden, hat man dann zu untersuchen, ob sie, in genügender Menge, allein für sich die N-Abgabe beim hungernden Körper vollständig auf- heben kann, oder ob sie, bei stattfindendem N-Gleichgewicht, imstande ist, das- selbe noch zu unterhalten. Wenn dies der Fall ist, so ist diese Substanz als dem Eiweiß völlig gleichwertig aufzufassen. Wird aber der N-Verlust beim Hunger nur zum Teil aufgehoben, oder bleibt das N-Gleichgewicht nicht mehr be- stehen, ohne daß der Körper so viel Eiweiß als beim Hunger von sich selber zuzu- setzen braucht, so muß die Verbindung als ein Eiweißvertreter bezeichnet werden. !) Zeitschr. f. Biol. 19, 330, 1884. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Albumosen. 421 Man ist zuweilen auch in der Weise zu Werke gegangen, daß man die be- treffende Substanz einer bestimmten Kost zugefügt hat, um zu prüfen, inwie- fern durch diese Zugabe ein Ansatz von Eiweiß erzielt werden konnte. Diese Verfahrungsweise gibt indes nicht ganz eindeutige Resultate, denn es kann der Fall sein, daß der Ansatz dadurch Beamngt worden ist, daß die Zugabe Eiweiß erspart, aber nicht vertritt. 1. Die Verdauungsprodukte des Eiweißes. Soviel sich aus vorliegenden Erfahrungen entnehmen läßt, wird das ge- nossene Eiweiß, auch wenn es in nicht koagulierter Form aufgenommen wird, nur zu einem sehr geringen Teile unverändert aus dem Darme resorbiert. Infolgedessen ist es von vornherein einleuchtend, daß das Gemenge sämtlicher Produkte der Ei- weißverdauung, so wie es bei der normalen Digestion gebildet wird, genau denselben Nährwert wie das Eiweiß haben muß. Dagegen kann man über den Nährwert der einzelnen Verdauungsprodukte an und für sich a priori nichts sagen, und nur direkte Versuche können hier den Ausschlag geben. Ich werde die älteren hierhergehörigen Arbeiten von Plosz!), Maly?), Adam- kiewiez°) u. a.*) hier nicht berücksichtigen, da sie einer Zeit entstammen, wo die Kenntnisse von den Verdäuungsprodukten des Eiweißes noch sehr mangelhaft waren. Nachdem die Lehre von der Eiweißverdauung durch die Arbeiten von Kühne und seinen Schülern wesentlich erweitert und vertieft worden war, stellte sich Pollitzer?) die Aufgabe, den Nährwert einiger dabei entstandener Produkte fest- zustellen, und zwar benutzte er bei seinen Versuchen Amphopepton, Protoalbumose und Heteroalbumose, welche Verbindungen sämtlich nach den Vorschriften Kühnes dargestellt waren. Das Resultat dieser Versuche ist in folgender Tabelle zu- sammengestellt, aus welcher hervorgeht, daß sowohl das Amphopepton als die beiden Albumosen ganz denselben Nährwert als das Fleisch besitzen, indem unter ihrem Einfluß ein ebenso großer N-Ansatz wie bei Fütterung mit einer entsprechenden Fleischmenge erfolgt*). | N | Zahl | i Futter Fer | Zufuhr | Ausgabe im | ae Tage Harn und Kot | Pro zag () () 5 | g | i 1 | Fleisch . Bas 1-8 | 1,91 | + 0,50 Pepton . . . i 2 2,41 1,83 | + 0,58 Fleisch . . . . Er, 2,41 | 1,90 #051 Protoalbumose . 2 t 279,47 | 1,80 I + 0,67 Heteroalbumose . | 1 2,49 | 1,67 | + 0,82 Fleisch . a | 1,67 I 4 0,46 Gelatine a ee Be rt 2,77 I. 0,52 Pesch. 2°... 8228 a ar | 1,67 | + 0,46 !) Arch. f. d. ges. Physiol. 9, 323, 1874; 10, 536, 1875. — °) Ebenda 9, 602, 1874. — °) Adamkiewiez, Die Natur und der Nährwert des Peptons, Berlin 1877; Arch. f. pathol. Anat. 75, 144, 1879. — *) Vgl. Voit, 8. 121, 122, 394. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 37, 301, 1885. — °) Vgl. unter anderen auch Zuntz, Arch. f. d. ges. Physiol. 37, 313, 1885; Pfeiffer, Berl. klin. Wochenschr. 1885, 8. 477; Gerlach, Die Peptone in ihrer wissenschaftlichen und praktischen Bedeutung, Hamburg 1896; I. Munk, Therap. Monatsh., Juni 1888; Deutsche med. Wochenschr. 1889, S. 26; Hildebrandt, Verhandl. d. XII. Kongresses f. inn. Med. 1893; Zeitschr. f. physiol. Chem. 18, 180, 1893; Cahn, Berl. klin. Wochenschr. 1893, S. 565, 602; Kuhn und Völker, Deutsche med. Wochenschr. 1894, 8. 793. 4923 Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Leim. Mit dem nach Kühnes Vorschriften durch Selbstverdauung des Pankreas dar- gestellten „Drüsenpepton“ (wesentlich Antipepton) fand Ellinger') ebenfalls am Hunde: N pro Tag Futter Zufuhr Ausgabe im N-Bilanz Harn und Kot | pro Tag g g Eiweiß ...-. 8,92 6,09 + 2,83 Albumose . ... || 891 6,42 + 2,49 Drüsenpepton . . 8,95 10,39 — 1,44 Obgleich das Drüsenpepton also unzweifelhaft das Eiweiß zu einem gewissen Grade ersetzen konnte, war es dennoch nicht imstande, dasselbe vollständig zu vertreten. Sogar diese Versuche können indes kaum als einwandfrei bezeichnet werden, -denn.die bei denselben benutzten Präparate stellten, wie aus den Arbeiten der Hofmeisterschen Schule hervorgeht, bei weitem keine so reinen Verbindungen dar, wie sie nunmehr erhalten werden können. So bestand das Antipepton El- lingers aus echtem Pepton mit reichlichen Mengen der Endprodukte der Pepsin- verdauung; die von Pollitzer gefütterte Protoalbumose war ein Gemenge von Proto- und Heteroalbumose, und sein Pepton stellte ein Gemisch von der O©- Albumose Picks mit Peptonen und Endprodukten der Verdauung dar. Es war daher unumgänglich notwendig, die Frage an der Hand der inzwischen gewonnenen Erfahrungen wieder aufzunehmen. Dies wurde von Blum?) getan, und zwar benutzte er bei seinen Versuchen teils die Heteroalbumose des Fibrins, teils die Protoalbumosen des Kaseins. Seine Resultate sind in folgender Tabelle zusammengestellt. 2 Tage { Art des Futters a ad NEHamR Einnahme Ausgabe g Pleisch » 70. 2 area ee RO ES 14,12 13,81 u- 0,31 Heteroalbumose des Fibrins . . ... . 14,12 15,30 — 1,18 Fleisch . . ET UNE | 14,7 14,80 BET EH Protoalbumose I des Kaseins . | 14,7 | 14,43 + 0,27 1100 Ran RE 92:3 14,7 14,0 + 0,7 Protoalbumose II des Kaseins | 14,7 14,4 + 0,3 Während die.beiden Protoalbumosen das Fleisch vollständig ersetzen können, ist dies mit der Heteroalbumose nicht der Fall, sondern der Körper setzt noch von seinem eigenen Stickstoff zu; jedenfalls bewirkt auch sie eine wesentliche Ersparnis an Eiweiß. Wie Blum "bemerkt, muß dieser Unterschied davon herrühren, daß der Hetero- albumose gewisse chemische Eigenschaften oder Molekülgruppen fehlen, welche den anderen primären Spaltungsprodukten zukommen. Geht man von den beiden als minderwertig erkannten Eiweißabkömmlingen, der Heteroalbumose und dem Leim (vgl. sub 2), aus, so ergibt sich als wesent- licher Unterschied zwischen ihnen und den echten Eiweißkörpern inklusive der Protoalbumosen die Abwesenheit bzw. der geringe Gehalt an Tyrosin und Indol liefernden Gruppen, hingegen ein verhältnismäßig reichlicher Gehalt an Glykokoll- !) Zeitschr. f. Biol. 33, 190, 1896. — ?) Zeitschr. f. physiol. Chem. 30, 15, 1900. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Leim. 423 gruppen. (Die Kohlehydratgruppen spielen hierbei keine Rolle, da das von solchen freie Kasein den vollen Nährwert des Eiweißes besitzt.) Betreffend das Glykokoll wissen wir, daß es im Körper zu Harnstoff oxydiert wird, und es liegen keine Gründe zu der Annahme vor, daß aus dem im Eiweiß, Leim usw. enthaltenen Glykokoll die C-reicheren Aminosäuren des Eiweißmoleküls hervorgehen würden. Der in der Heteroalbumose und im Leim in Form von Glykokoll vor- kommende Stickstoff hat daher keine Bedeutung für eine eventuelle Synthese von Eiweiß im Körper. Das Fehlen der Tyrosin- und Indolgruppen in diesen Substanzen stellt wohl die Hauptursache ihrer Minderwertigkeit dar, denn anscheinend vermag es der Körper nicht, eine Neubildung von aromatischen Gruppen zu bewirken. Diese sind ihm aber unentbehrlich, und eiweißartige Substanzen, welche keine solchen Gruppen enthalten, können daher seinen Eiweißbedarf nicht decken. Versuche von Escher und Hermann!) geben dieser Auffassung eine gewisse Stütze: es zeigte sich nämlich, daß die Zugabe von Tyrosin zu einem eiweißfreien, aber Leim enthaltenden Futter das Körpergewicht erhielt oder sogar steigerte, während dasselbe Futter ohne Tyrosin die stetige Abnahme des Körpergewichtes nicht verhindern konnte. Da indes aus den Veränderungen des Körpergewichtes nie ganz bestimmte Folgerungen über den Stoffwechsel gezogen werden dürfen, sind entsprechende Untersuchungen über die N-Bilanz notwendig, ehe die Frage als erledigt angesehen werden kann. 2. Der Leim. In wenigen Fragen haben die Ansichten so stark gewechselt wie in bezug auf den Nährwert des Leimes. Nachdem man sich eine lange Zeit vorgestellt hatte, daß derselbe einen außerordentlich hohen Nährwert besäße, erfolgte ein Rückschlag in das entgegengesetzte Extrem, indem man annahm, daß er gar keinen Nährwert hätte, ja sogar als ein Gift wirken sollte?). Erst nachdem Bischoff und Voit®) unter Anwendung der inzwischen vervoll- kommneten Technik auch diese Frage in Angriff nahmen, ‚wurde für unsere Auf- fassung eine feste wissenschaftliche Unterlage geschaffen, und es ergab sich, daß hier wie anderswo die Wahrheit zwischen den beiden Extremen lag. Aus den betreffenden Untersuchungen wie aus späteren Versuchen von Voit und Hofmann‘) sind einige Resultate in der folgenden Tabelle zusammengestellt. N-Zufuhr pro Tag ä N-freie N- N- A ) in x Tier |Reihe| Tag in in Extrak- Substanzen | Abgabe Bilanz Fleisch | Leim |,. pro Tag |pro Tag | pro Tag : tivstoffen we g g g g g L| ı | 1 | 680 = m = 67,0 | + 10 BR 68,0 28,0 °) —..'f _ 83,2 + 12,8 | 5 |1-3 17,0 _ _ 300 Fett 15,5 + 15 47 17,0 _ _ _ 17,8 — 0,8 10—13|) 17,0 28,1°) .- — 435 | + 16 | 7 1 13,6 _ _ 200 Fett 15,3 — 17 2—4 13,6 _ — 250 Stärke 14,7 — 11 | 5—7 13,6 ie _ 250 Zucker 14,9 — 1,8 | 8s—10| 18,6 5) | — | > 40,6 + 15 Y) Vierteljahrsschr. d. naturf. Ges. in Zürich 21, 36, 1876. — ?) Vgl. Voit, Zeitschr. f. Biol. 8, 297, 1872. — °) Bischoff und Voit, Die Gesetze der Er- nährung des Fleischfressers 1860. — *) Zeitschr. f. Biol. 8, 313, 1872. — °) 200 g Leim. 424 Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Leim. N-Zufuhr pro Tag N-£freie N- N- Mier |Reihe| Tag in in. & er 2 Substanzen | Abgabe | Bilanz | Fleisch | Leim | “*W@® | pro Tag | pro Tag | pro Tag tivstoffen g g g g & g I. , 10,2 14,6 !) 0,9 | 200 Speck 86 | — 29 3 | ill. 102 29,2?) 1,5 20 „ 39,8 +11 514 te 1,8 200 , 9,7 —:19 6 |13—15 _ _ Beer — 15 —115 7: 116—17 — 29,2?) 0,8 200 Speck 33,7 — 87 6.1.12 Be ur ee 10,6 — 166; 3—5 — | 43,6°) 0,4 200 Speck 46,1 — 21 7 — _ — _ 17,8 — 17,8 Br) _ _ er) — 10,6 — 10,6 Aus diesen Versuchen folgt, daß der Leim tatsächlich Eiweiß in einem be- deutenden Grade erspart. In der Reihe I. 1 wurden bei 68g N in 1000g Fleisch nur 1gN täglich im Körper angesetzt; als dem Futter 200g Leim zugefuhrt wurden, blieben im Körper 12,89 N zurück. Etwas Ähnliches finden wir in II. 2 und 3, wo- selbst die Zugabe von 100g Leim zu 10,2 N in 300g Fleisch, 100g Leim und 100g Speck nicht nur N-Gleichgewicht, sondern sogar einen N-Ansatz von 1,1g bewirkte. Ferner folgt aus I. 7, daß der Leim in höherem Grade als eine dem Gewichte etwa gleiche, aber dem Kalorienwerte nach größere Menge Fett oder Kohlehydrate Eiweiß erspart, sowie aus II. 5 und 7, daß er den N-Verlust beim Hunger wesentlich herabsetzt. Auf der anderen Seite kann der Leim aber nicht das Eiweiß vollständig ver- treten. Dies geht aus Il. 5 bis 7, sowie 16 hervor; im ersten Falle verlor der Körper bei Zufuhr von 200g Leim noch 3,7g N, im zweiten bei 300g Leim noch 2,1g von sich selber. Ganz gleiche Resultate erzielte auch Oerum‘). Mit Ausnahme einiger ein- geschalteter Hungertage bekam das Versuchstier (Hund) die ganze Zeit hindurch 125 g Stärke, 50g Zucker und 5g Fleischextrakt, sowie außerdem eine immer gleiche N-Menge, einmal im Leim, das andere Mal im Fleisch. Im letzteren Falle fand ein N-Ansatz im Körper statt, während beim Leim die Stickstoffabgabe stets größer war als die Zufuhr: ö : N N- N- Tag Leim | Mleinch im Futter| Abgabe Bilanz 8 g g g g 1—3 — _ _ 2,1 BR 4—3 = 91 8,5 3,2 + 0,3 —i2 22 _ 3,5 4,3 — 0,8 13—15 ini _ 0,4 2,3 — 1,9 16—23 ar 91 3,5 2,8 -#.0,7 24—29 22 i 3,5 3,9 — 04 30—33 = a 0,4 1,7 18 !) 100g Leim. — ?) 200g Leim. — °) 300g Leim. — *) Nordiskt Medieinskt Arkiv 11, Nr. 11, p. 8, 1879. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Leim. 435 Um diese Resultate richtig zu würdigen, müssen wir noch den physiologischen Wärmewert des Leimes berücksichtigen. Derselbe wurde von Krummacher!) nach der Rubnerschen Methode, und zwar mit folgendem Ergebnis bestimmt. Pro1g Trockensubstanz beträgt die Verbrennungswärme des Leimes 5,209 Kal., davon ist aber für den Harn 1,23 und für den Kot 0,16 Kal. abzuziehen. Es bleiben also für 1g aschehaltigen Leim 3,819 Kal. und, bei einem Aschegehalt von 2,95 Proz., 3,934 Kal. für 1g aschefreien Leim. Macht man nun nach Rubner Korrekturen für die Quellung des Leimes und für die Lösungswärme des Harnes, so bekommt man 3,884 Kal. —= 21,2 Kal. für 1g Stickstoff im Leim. Kehren wir nun zu Oerums Versuchen zurück, so finden wir, daß 3,1g N im Fleisch = 81 Kal., während 3,1g N im Leim nur 66 Kal. betragen. Die Diffe- renz ist 15 Kal. oder in Prozent der Gesamtzufuhr bei der Fleischfütterung 1,9. Es ist kaum anzunehmen, daß diese geringe Differenz das Resultat in merkbarem Grade hat beeinflussen können. Um die Frage nach dem Nährwert des Leimes noch weiter aufzuklären, hat man vielfach den Eiweißzerfall beim Hunger mit dem bei Leimfütterung am Hunde verglichen. Aus den älteren hierher gehörigen Untersuchungen von Voit, Oerum, Pollitzer?) und Munk°) schien hervorzugehen, daß unter günstigen Umständen der Zerfall des Körpereiweißes durch den Leim auf etwa ein Drittel des Hunger- wertes herabgedrückt werden konnte. In einer Versuchsreihe von Munk, wo das Futter nebst 57 g Fett und 44 g Kohlehydraten 9,73g N im Eiweiß oder Leim ent- hielt, wurden folgende Resultate erhalten: 3 | N im Futter | N-Abgabe pro Tag N- 5 pro Tag ı Harn Kot Summa Bilanz er g Ice g eh g | I. | 9,738 N im Eiweiß. . . | 8,75 0,62 9,37 | + 0,38 IL |:8,16; ,„ „. Leim + | | 1,57, „ „ Eiweiß... | 8,69 0,74 943 | +0,31 IH. | 9,73, „ „ Eiweiß... | 89 0,53 9455 | +0,28 l | Hier konnten also sogar fünf Sechstel des Eiweiß-N durch den Leim-N ersetzt werden, ohne daß das Körpereiweiß angegriffen wurde. Beim Hungern nach Ende der dritten Periode schied der Hund am ersten Tage 5,17, am zweiten. 4,32g N im Harn aus. Dies beträgt pro Körperkilogramm 1,75 g Eiweiß, während in der zweiten Periode 0,5 g Eiweiß genügten, um den Körper auf seinem Eiweißbestand zu erhalten. Dem gegenüber bemerkt Kirchmann‘), daß der käufliche Leim immer von Eiweiß mehr oder minder verunreinigt sei, und stellte daher Versuche mit eiweiß- freiem Leim an. Diese ergaben wesentlich andere Resultate: wenn Leim allein ge- füttert wird, so sinkt im ‘günstigsten Falle die Eiweißzersetzung im Verhältnis zu der beim Hunger stattfindenden höchstens um 35 Proz. — dabei war der gefütterte Leim imstande, etwa 62 Proz. des Energiebedarfes zu decken. — In Versuchen von Krummacher’), wo 100 Proz. des Energiebedarfes durch Leim gedeckt worden waren, konnte der Eiweißzerfall beim Hunger nur um 37,4 Proz. herabgedrückt werden. Über das Verhalten des Fettes bei Leimfütterung liegen Versuche von Petten- kofer und Voit‘) vor, deren Hauptresultate in folgender Tabelle zusammen- gestellt sind’). !) Zeitschr. f. Biol. 42, 242, 1901. — ?) Arch. f. d. ges. Physiol. 37, 307, 1885; vgl. oben 8.421. — ®) Ebenda 58, 309, 1894; 61, 607, 1895; Arch. f. pathol. Anat. 101, 107, 1885. — *) Zeitschr. f. Biol. 40, 54, 1900. — °) Ebenda 42, 252, 1901. — 6) Ebenda 5, 377, 389, 1869; 7, 482, 487, 1871; 8, 370, 1872. — ?) Die Versuche sind hier umgerechnet unter der Annahme, daß N:C im Fleisch wie 1: 3,28, im Leim wie 1:2,8 sich verhält. 496 Der Stoffwechsel bei Zufuhr von Leim. Zersetzt g Kalorien Nr. Tag Einnahmen & = Kal. #2 kg N Fett |35 Körper- [e} Pi g MB gewicht 1 | 19. Febr. | 1800 Fleisch 59,7 30 — || 1851 | 55,8 2| 24. „ 400 „ 15,3 181 — | 2121 | 64,5 200 Fett 31.07.00 400 Fleisch, 14,9 27 210 | 1531 | 46,6 210 Stärke 4| 2. März 400 Fleisch, 13,4 32 | 227 1518 | 46,6 227 Zucker 54:78. .:.% 400 Fleisch, 39,5 65 — | 1514 | 46,9 200 Leim (28,3 aus Leim, 11,2 aus Eiweiß) 6 | 3. April | 2500 Fleisch 85,4 (+12')| — | 2128 | 63,1 0 A Pe _ 11,6 93 — | 1187 | 36,1 ET Fe _ 5,7 107 — || 1184 | 37,3 | 9.1.11... — 4,7 102 — || 1089 35,7 01 18% 75 350 Fett 77 .169 — || 1800 56,2 11 | 15. Mai 200 Leim 30,6 38 | — | 1014 | 30,8 | (28,3 aus Leim, i 2,3 aus Eiweiß) 12 | 17. „ 20 „ 30,6 128 — | 1873 | 56,4 200 Fett (28,3 aus Leim, | 2,3 aus Eiweiß) | 18.1.4949, -, 200 Fleisch, 34,7 88 — | 1603 | . 49,0 200 Leim (28,3 aus Leim, | | 6,4 aus Eiweiß) - | 14 || 21. , 1800 Fleisch, 82,4 (+22))| — | 1810 | 55,2 200 Leim (28,3 aus Leim, | | 54,1 aus Eiweiß) N | I | i In Versuch 4 wurde bei Zufuhr von 400 g Fleisch und 227g Zucker noch 32 g Körperfett zersetzt. Als in Versuch 5 der Zucker durch 200g Leim ersetzt wurde, stieg die Fettzersetzung um 33 g. Die Verbrennungswärme von 250 g Zucker ist etwa 1000 Kal., die von 200g Leim (= 28,3g N) etwa 600; im letzten Falle ist die Zufuhr also 400 Kal. geringer gewesen. Da der Verbrennungswert des ‚tierischen Fettes 9,46 Kal. beträgt, hätte der Körper 42,3g Fett statt 33g mehr zersetzen müssen; der Versuch zeigt also, daß der gefütterte Leim in hohem Grade das Körperfett schützt. — Beim Hunger ist die Zersetzung von Fett in Versuch 7 bis 9 durchschnittlich 100,8g = 950 Kal. Bei alleiniger Zufuhr von 200 g Leim (= 600 Kal.) in Versuch 11 sinkt der Fettzerfall auf 38, also eine Ersparnis von 62g = 591 Kal. Hier hat der Leim seinem vollen Wärmewerte nach das Fett vertreten. Aus den Versuchen 1 und 14 folgt, daß 200g Leim eine Ersparnis von 30 + 22 = 52g Fett bewirken, d. h. 600 Kal. aus Leim haben 495 Kal. aus Fett erspart usw. Über das Verhalten der leimgebenden Gewebe beim Stoffwechsel besitzen wir nur wenige Erfahrungen. In zwei Versuchsreihen mit Knorpeln und Sehnen fand Etzinger?) folgendes: !) C-Retention dem zersetzten Eiweiß entsprechend. — ?) Zeitschr. f. Biol. 10, 106, 1874. ee en u Be neh Die N-haltigen Extraktivstoffe des Fleisches. 427 N pro Tag Reihe Tag Futter Futter ER N-Bilanz 8 g g T. 7 0 0 8,7 — 8,7 8 Knorpel |\ 25 10,2 9 ii J . 10,8 — 17,5; Mittel — 5,8 10 0 0 9,6 11 0 0 7,5 — 75 II. 8 0 0 7,0 = 70 \ 9 | Sehnen \ 46.6 13,1 10 | R J ? 18,6 —+ 5,9; Mittel + 2,0 321 0 | f) 9,0 | 12 0 0 7,6 — 7,6 Da die N-Abgabe im Harn in beiden Reihen am Tage nach der Fütterung größer ist als während der Hungertage, habe ich bei der Bilanzberechnung auch diesen Tag mitgenommen. Bei Knorpelfütterung beträgt dann der durchschnitt- liche N-Verlust 5,8g, 8,7 bzw. 7,5g dem bei Hunger gegenüber; bei Fütterung mit Sehnen finden wir sogar einen N-Ansatz, der durchschnittlich 2g pro Tag beträgt. Indessen wurde der Kot in diesen Versuchen nicht analysiert, weshalb bestimmte Schlußfolgerungen aus denselben nicht gezogen werden können. Mit Ossein hat Voit!) folgenden Versuch gemacht: N pro Tag Tag | Futter Futter PIRARS N-Bilanz g g g 5 0 0 10,4 — 10,4 6 Össein 41,8 7 R 169,6 59,6 8 2 58,2 — 35,9; Mittel — 7,2 9 0 _ 31,1 10 {) Ir 14,8 11 {) I 10,0 | Hier wurde auch der Kot an N analysiert, und zwar fanden sich darin 9,7g N, welche zum größten Teil dem gefütterten Ossein entsprechen. Unter Be- rücksichtigung dieses Stickstoffes wird die Bilanz für die Osseintage und die zwei folgenden, an welchen die N-Abgabe noch erhöht war, — 45,6 oder pro Tag 9,1g. Da die N-Abgabe während der Hungertage (5,11) etwa 10,2g betrug, hat das Ossein wenigstens 1,1g N erspart. Wenn man indessen zu der N-Abgabe während der ÖOsseintage nur das Plus der N-Abgabe an den folgenden Tagen addiert, so wird die Ersparnis noch größer: Einnahmen 169,6, Gesamtausgaben 194,8, Verlust 25,28 = 84g N pro Tag. In bezug auf den Stoffwechsel dürften sich daher die leimgebenden Gewebe etwa in derselben Weise wie der Leim verhalten ?). 3. Die N-haltigen Extraktivstoffe des Fleisches. Rubners?) Versuche über den Nährwert dieser Verbindungen ergaben, daß unter ihrer Einwirkung die CO,-Abgabe gar nicht verändert wurde, während der !) Zeitschr. f. Biol. 10, 212, 1874. — *?) Über den Nährwert des Elastins vgl. Mann, Arch. f. Hyg. 36, 166, 1899. — °) Zeitschr. £. Biol. 20, 265, 1884. Vgl. auch Pflügers Kritik, Arch. f. d. ges. Physiol. 77, 556, 1900. 428 Die N-haltigen Extraktivstoffe des Fleisches. N-Verlust des Körpers, demjenigen beim Hunger gegenüber, eine geringe Abnahme- zeigte: N-Verlust während des 6. und 9. Hungertages durchschnittlich 4,5g, N-Verlust nach Fütterung von je 3,6g N im Fleischextrakt während zwei dazwischen liegender Tage 3,3 — also eine geringe Ersparnis an N. Auf Grund verschiedener, im. Originale nachzulesender Überlegungen kommt Rubner indessen zu dem Re- sultate, daß das Fleischextrakt auf den Stoffwechsel keinen Einfluß hat. Bei diesen Versuchen konnte der Kot nicht analysiert werden. Neue Versuche über den Nährwert des Fleischextraktes wurden von Frentzel und Toriyama') ausgeführt. Das Versuchstier bekam in einer Vorperiode von vier Tagen 100g Stärke, 50g Schmalz und 3g Fleischasche, sowie im Versuch mit Fleischextrakt noch 40g davon im Tage. Die Resultate, pro Tag berechnet, sind folgende. N Futter Harn | Kot Summa der DIABE g g | g Ausgaben Vorversuch:3.. 1.0.0: 844 0,1 2,83 | 0,3 | 2,6 — 2,5 Hieischextrakt:. usHs.5 wir 3,8 5,8 | 0,5 | 5,8 — 2,0 Der N-Verlust des Körpers ist in beiden Fällen etwa gleich, und der geringen Differenz zugunsten des Fleischextraktes kann um so weniger irgend welche Be- deutung zugeschrieben werden, als das Extrakt 0,46g Albumin-N enthielt. Aus der kalorimetrischen Untersuchung des Harns geht indes hervor, daß das Fleischextrakt nicht unverändert vom Körper abgegeben wird. Es fanden sich nämlich im Vorversuch im Harn 20,9, im Kot (näch Abzug des Fettes) 19,9 Kal., Summa 40,8 Kal., sowie im Versuche mit Fleischextrakt im Harn 55,3, im Kote (mit Abzug des Fettes) 22,9, Summa 78,2 Kal. Vom Gesamt-N im Harn während der Fleischextraktperiode entstammten 0,46 g = 3,4 Kal. dem im Extrakt enthaltenen Eiweiß. Mit Abzug dieser Quantität betrug also die Mehrausgabe im Laufe dieser Periode im Harne und Kote täglich 34 Kal. Das gefütterte Fleischextrakt enthielt 104,8 Kal., davon 16,5 im Eiweiß, also in N-haltigen Extraktivstoffen 88,3 Kal. Jedenfalls sind also 54,3 Kal. vom Körper verwertet worden; die N-haltigen Ex- traktivstoffe des Fleisches würden daher zu etwa 60 Proz. am Stoffwechsel teil- nehmen. In Versuchen von Bürgi?) und Rubner?) an hungernden Hunden wurden von den Kalorien der aufgenommenen Extraktivstoffe nur 17,6 bis 42,2 Proz. im Harn nicht wiedergefunden; die genannten Autoren wollen aber nach im Originale nachzulesenden Überlegungen dartun, daß hier doch keine Verbrennung, sondern eine Retention der Extraktivstoffe vorliegt, und zwar würde beim Durchgange dieser Stoffe durch den Körper möglicherweise eine Art Trennung derselben statt- finden, indem einige rascher als die anderen aus dem Körper entfernt werden. Unter den einzelnen N-haltigen Extraktivstoffen des Fleisches ist allein das Kreatin hinsichtlich seines Verhaltens im Körper näher untersucht worden. In einem Versuche am Hunde, bei welchem zum Normalfutter (500g Fleisch und 250g Stärke) 5g Kreatinin zugefügt wurden, fand Voit‘) im Harn 4,79g Kreatinin mehr als sonst. Hier wurde also fast die ganze verfütterte Kreatininmenge ohne Oxydation vom Körper abgegeben. Bei Zusatz von 6,27g Kreatinin erschienen insgesamt 3,81 g Kreatinin mehr als gewöhnlich; von der eingeführten Kreatinin- menge konnten demnach 2,46g nicht wieder aufgefunden werden. Bei 8,56g Kreatin (= 6,48g Kreatinin) betrug die Mehrausgabe an Kreatinin 4,71g. Also konnte auch hier ein Teil der Fleischbase nicht im Harne nachgewiesen werden. Unter der Bemerkung, daß das im Wasser so schwer lösliche Kreatin längere Zeit im Darme bleibt und daher erst später entfernt wird, folgert Voit, daß das ver- !) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1901, 8. 499. — ?) Arch. f. Hyg. 51, 1, 1904. — ®) Ebenda 51, 19, 1904. — *) Zeitschr. f. Biol. 4, 111, 1868. u Zu de ne See ee Me u Ba u Der Nährwert des Asparagins. 429 zehrte Kreatin zum größten Teil wenigstens als solches oder als Kreatinin aus- geschieden wird '!). Diese Schlußfolgerung ist durch neüe Versuche am Menschen von Mallet?) sichergestellt worden. Bei gewöhnlicher Kost betrug die Kreatininabgabe während 9 Tage durchschnittlich 0,817 g (0,695—0,894) — es konnte kein Kreatin nach- gewiesen werden. Dann gab er in der Kost 5 — 10 — 15g Kreatin oder Kreatinin und erbielt dabei, mit Abzug für die normal stattfindende Kreatinin- ausscheidung folgende Resultate: Kreatinin Nr. 3; EE { in der Kost! im Harn II in Proz. von I g g 1 5 4,81 96,2 2 10 9,77 97,7 5 15 14,74 98,2 Fast die ganze verzehrte Kreatininmenge erschien also am selben Tage im Harn. Mit Kreatin erzielte er, wie aus der folgenden Zusammenstellung hervorgeht, genau dasselbe Ergebnis: Kreatin Nr. A H. in der Kost | im Ham°) | H in Proz. von I g g | 4 3 | 2,87 95,7 5 5 | 4,81 96,1 e: 7 10 9,75 97,5 7 | 15 14,70 98,0 ! Das Fleischextrakt verdankt seinen Nährwert also anderen Verbindungen als dem Kreatin. 4. Das Asparagin. Angesichts des Vorkommens von Asparagin in vielen pflanzlichen Nahrungs- mitteln hat man zahlreiche Untersuchungen gemacht, um dessen Nährwert fest- zusstellen. . Betreffend den Fleischfresser liegen folgende Angaben vor. v. Knieriem*) fütterte einen Hund neun Tage lang mit 50 g Brot und 100g Milch mit 1,03g N; dabei schied das Tier während der drei letzten Tage durch- schnittlich im Harn und Kot 2,14g N aus und verlor also von seinem Körper 1,11 gN. Zu diesem Futter wurden während zwei Tagen insgesamt 7,21’g N im Asparagin zu- gefügt; die N-Abgabe stieg dementsprechend an, der Verlust an N sank aber auf 0,87g. Drei folgende Tage mit dem Normalfutter ergaben einen mittleren Verlust von 0,98g N. Das Asparagin hätte also durchschnittlich eine Ersparnis von 0,19g N bewirkt, was wohl innerhalb der Grenzen der Versuchsfehler fällt. Demgegenüber findet I. Munk°), daß das Asparagin nicht allein keine Ersparnis an Stickstoff, sondern vielmehr eine Steigerung des Eiweißzerfalles sowohl während der Fütterung als nach derselben hervorbringt, wie z. B. in folgendem Versuch. ') Vgl. auch Scheffer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 4, 241, 1880. — ®) U. S. Depart. of Agricult., Off. of exp. Stat., Bull. No. 66, 1899. Vgl. auch Macleod, Journ.. of Physiol., Proceedings 1900, p. 7. — °) Als Kreatinin be- stimmt. — *) Zeitschr. £. Biol. 10, 284, 1874. — °) Arch. f. path.‘Anat. 94, 436, 1883; 98, 364, 1884. 430 Der Nährwert des Asparagins. N im |N im Harn 2 N-Bilanz Nr. | Tag | Futter und Kot Anmerkungen pro Tag | pro Tag pre. Tag 1: 1—7 34,0 34,3 — 0,3 |1kg Fleisch pro Tag 8—10 39,3 41,3 — 18 |5,3g N in Asparagin 11—12| 34,0 37,2 — 3,2 -| Wie die Tage 1 bis 7 13 34,0 33,8 + 0,2 I. | 1—8 23,8 26,2 — 2,4 700g Fleisch + 120 g Kohlehydrate 9—11 29,1 31,6 — 25 |5,3g N in Asparagin 12 23,8 28,8 5,0 13 23,8 27,9 — 4,1 |Der Kot wurde nicht berück- 14 23,8 28,3 — 45 sichtigt Mit v. Knieriems Resultaten stimmen dagegen die von Mauthner') ziemlich genau überein. Sein Versuchshund bekam 7 Tage lang täglich 500g Fleisch und 50g Speck, danach während 3 Tage noch je 20g Asparagin und endlich wieder das Normalfutter. Ein anderer Hund wurde mit N-freier Kost und Asparagin gefüttert. N s P,0, ; Abgabe | Abgabe Nr. Ta im ; Bemerkungen e Futter Abgabe | Bilanz |jm Harn im Harn ® g g g g I. | 3,5,6,7 | 16,683 1852 |—ı91| 1,08 2,43 Er 8—10 | 20,386 | 21,39 |—097| 0,98 2,30. |9:738N in Aspara- 11 16,63 1928 |—2,65| 1,08 2,46 Rn D..1,9—5 0,27 3,66 |—3,39| 0,17 a 68 4,0 6,96 | —2,96 | 0,22 0,58. 19:79.8 DAN Apee 9—11 0,27 3,53 .|—3,26 | - 0,14 0,58 gm Aus dem ersten Versuche geht hervor, daß das Asparagin im Versuch I während 3 Tage insgesamt 3 X 0,94 = 2,82 g N erspart hat. Am 11. Tage ist die N-Abgabe indes noch um 0,74g erhöht. Die gesamte Ersparnis beträgt also 2,088 N. Zu gleicher Zeit ist auch die Ausscheidung von 8 und P,O, etwas herabgesetzt. : Im zweiten Versuche beträgt die N-Ersparnis durchschnittlich nur 0,37g, die Abgabe von Schwefel ist erhöht. Jedenfalls findet sich in diesen Versuchen ebenso- wenig wie in denjenigen von v. Knieriem irgendwelcher deutlicher Beweis dafür, - daß das Asparagin beim Fleischfresser als Eiweißersparer auftre'en konnte. Gleich unsicher stellt sich die Wirkung des Asparagins beim omnivoren Menschen dar. Bei Selbstversuchen beobachtete Graffenberger?), daß, bei statt- findendem N-Gleichgewicht, die Zugabe von 5g N in Asparagin die N-Ausscheidung nur um 3,95g erhöhte, daß also eine Ersparnis von 1,05g N stattgefunden hatte. Aus diesen Versuchen lassen sich indes keine bestimmten Schlüsse ziehen, da der Kot nicht analysiert wurde. Als Eiweißersparer dürfte daher das Asparagin weder beim Hunde noch beim Menschen gelten können. Da es jedenfalls zum großen Teil im Körper oxydiert wird, wie dies unter anderem aus Potthasts®) Beobachtung, daß der respira- !) Zeitschr. f. Biol. 28, 506, 1891. — *) Ebenda 28, 319, 1891. Vgl. auch die Versuche an Ratten von Politis, ebenda 28, 492, 1891 und Gabriel, ebenda 29, 115, 1892, sowie die Bemerkungen Voits, ebenda 29, 125, 1892 und Longo, Zeitschr. f. physiol. Chem. 1, 213, 1877. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 32, 288, 1883. a | nn nn ne a nn ll m dl Zn u oc m Der Nährwert des Asparagins. 431 torische Quotient nach intravenöser Injektion von Asparagin ansteigt'), so sollte man erwarten, daß es aus dem ae a der Fettersparnis eine gewisse Rolle spielen könnte. Wenn wir annehmen, daß das Asparagin glatt in Harnstoff und eine N-freie Verbindung gespalten wird, so wäre dessen physiologische Verbrennungswärme gleich 2,358 Kal., etwa 0,56g Stärke entsprechend. Indes ist es dem Menschen nicht möglich, mehr als 30g Asparagin pro Tag zu genießen; im besten Falle würde dasselbe also höchstens 16g Stärke = 7,5g Fett vertreten können, was ja für den Stoffwechsel des Menschen vollständig irrelevant ist. In noch höherem Grade gilt dies vom Fleischfresser, in dessen URIDEINOENE Nahrung das Asparagin niemals vorkommt. Beim Pflanzenfresser dürfte das ERRRER eine größere Bedeutung haben, und nach den Erfahrungen von. Weiske*) und seinen Schülern, sowie von Kellner) scheint es, als ob dasselbe unter Umständen eine nicht ganz unerhebliche Wirkung auf den Umfang des Eiweißzerfalls ausüben könnte. Aus den zahlreichen hierher gehörigen Beobachtungen teile ich einige charakteristische Beispiele hier mit. - 3 N pro Tag Nr E im im | im |Summa Anmerkungen Autor *» Futter | Harn| Kot |der Aus-, Bilanz 2 g g g gaben I. 1. |Schaf | 7,29 | 3,28 | 3,74 7,02 + 0,28 : Weiske “ 15,10 | 9,96 | 3,76 | 13,72 |+-1,32|| 7,84N in Asparagin n er | » 17,05 | 9,55| 6,50 | 16,05 |-+ 1,00 5 2.| » 27,13 |16,91| 7,81 | 24,72 |+2,41| 10,08Nin Asparagin A II. 1. | „118,11 | 10,39 | 6,59 | 16,98 |+ 1,18 1000 g Heu b 2.) „1811| 8,26) 8,42 | 16,68 +1,43) 1000gHeu-+ 183g R | St. + 32g Zucker 3.| „ | 27,91 |18,67 | 8,10 | 26,77 |+1,14| 1000g Heu-+ 130g z St. + 32g Zucker + 52,5g Asparagin IV. 1. ä 9,06 | 2,85 | 6,51 9,36 | — 0,30 Kellner 2. a 18,50 | 11,76 | 5,54 | 17,30 |+1,20 | 9,36 N in Aspara- E gin *) 2 S = 9,06 | 2,76 | 6,32 | 9,08 — 0,02 i x 18,50 | 10,90 | 5,77 | 16,67 +1,83 9,36g N in Aspara- 2 gin ‘) ee = 17,08 | 8,07 | 7,17 | 15,24 +1,84 h 2 A 26,45 |18,34 | 7,08 | 25,42 +1,03 9,36g N in Aspara- > en gin vo. 1. 2 17,08 | 7,75| 6,95 | 14,70 |-+ 2,38 R 5 26,45 |16,86 | 6,85 | 23,71 |—+-2,74| 9,36g N in Aspara- F gın i | In Nr. Iund II hat das Asparagin, wie es scheint, täglich 1,04 bzw. 1,41g N erspart; dasselbe ist in Nr. IV und V der Fall. Dagegen kommt keine durch das Asparagin bewirkte Ersparnis in Nr. III, VI und VII zum Vorschein. Nach den ) CH, ‚(NHY.O „= = CO(NH,), + 0,H,0,. — ?) Zeitschr. f. Biol. 15, 261, Harnstoff 1879; 17, u 1881; 20, 254, 1884; 30, 254, 1894. — °) Ebenda 39, 313, 1900. In diesen Arbeiten wird auch über die übrige Literatur berichtet. — *) Als Ersatz für eine entsprechende Menge Stärke. 4323 Der Nährwert der Fettsäuren. näheren Angaben über diese Versuche folgt, daß die Ersparnis eigentlich nur in dem Falle eintritt, wenn das Asparagin einem kohlehydratreichen, aber verhältnis- mäßig eiweißarmen Futter zugegeben wird. Betreffend diese Wirkung haben wir keine Veranlassung anzunehmen, daß das Asparagin durch synthetische Prozesse im Körper in Eiweiß verwandelt werden könnte. Es muß daher nur als Eiweißersparer wirken. In dieser Hinsicht wäre in erster Linie daran. zu denken, daß das Aspa- ragin in derselben Weise wie Fett, Kohlehydrate oder Leim das Eiweiß ersparen könnte. Dagegen spricht aber der Umstand, daß es bei den Pflanzenfressern nur bei verhältnismäßig geringen Eiweißmengen im Futter diese Wirkung entfaltet, sowie daß dieselbe, wenn sie bei den Fleischfressern und dem Menschen überhaupt existiert, bei diesen nur eine sehr geringe ist. Viel wahrscheinlicher erscheint daher die ursprünglich von Weiske aus- gesprochene Anschauung, welcher später Zuntz') und Hagemann’) beigetreten sind. Nach dieser würde die durch das Asparayin bewirkte Ersparnis an Eiweiß dadurch zuwege gebracht werden, daß es von den im Darme vorhandenen Bak- terien angegriffen würde und solcher Art das Eiweiß vor diesen schützt. Mög- licherweise könnte es durch die Lebenstätigkeit dieser Bakterien sogar in Eiweiß verwandelt und dann als solches vom Körper verwertet werden. Für diese Auffassung spricht gewissermaßen auch Kellners Erfahrung, daß am Lamm das Ammoniumacetat die gleiche Ersparnis hervorruft, wie z. B. in folgendem Versuch: N pro Tag | Nr. | A kunge . Einnahme Ausgabe Bilans | EN g g | 1 | 10,26 9,15 +11 | Ze 15,99 18,15 +2,84 | 5,73g N in Ammoniumacetat 3 | 15,99 13,67 +2,32 | 5,73g N in Asparagin Daß das Asparagin durch eine bessere Ausnutzung der Kohlehydrate das Eiweiß erspare, dürfte nicht sehr wahrscheinlich sein, denn im vorliegenden Versuch wurde die Resorption der Kohlehydrate nur um 20g verbessert, und diese Menge dürfte kaum eine Ersparnis von mehr als 1g N bewirken können, besonders wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die sonst resorbierten Kohlehydrate in Nr. IV und V nicht weniger als etwa 500g betrugen. Außerdem beobachtete Kellner, daß die Rohfaser in größerem Umfange zersetzt wurde, was eine lebhaftere Tätigkeit der Darmbakterien anzeigt. 8 5. Der Stoffwechsel bei Zufuhr von einigen N-freien Verbindungen. 1. Freie Fettsäuren. Bei der Verdauung zerfällt das Fett, zum größten Teile wenigstens, in Fett- säuren und Glycerin; aus diesen wird dann das Fett wieder in der Darmschleim- haut synthetisiert. Welchen Nahrungswert haben aber Fettsäuren und Glycerin, wenn sie allein für sich genossen werden? Um diese Frage aufzuklären, brachte I. Munk°) einen Hund in N-Gleich- gewicht mit 600g Fleisch uud 100g Speck, gab sodann dem Tiere statt des letz- teren 100 g Hammieltalg und ersetzte endlich diesen durch die aus 100g Hammeltalg dargestellten Fettsäuren. Das Tier blieb die ganze Zeit im N-Gleichgewicht, wie aus der folgenden Zusammenstellung hervorgeht. %) Arch. f. d. ges. Physiol. 49, 483, 1891. — °) Landwirtschaftl. Jahrb. 20, 264, 1891. — ®) Arch. f. path. Anat. 95, 433, 1884. Der Nährwert des Glycerins. 433 N N im Harn N-Bil . und Kot „Dilanz Versuchstag Futter pro Tag im Futter Mittel pro Ära Eee pro Tag Tag g g g g 1-3 | 600 Fl. + 100 Sp. 20,4 20,06 +0,34 4— 9 | 600 Fl. + 100 Hammeltalg 20,4 19,91 + 0,49 10—14 | 600 Fl. + Fettsäuren aus 20,4 20,44 — 0,04 | 100 Hammeltalg x In bezug auf die Ersparnis an N üben also die freien Fettsäuren nahezu den- selben Einfluß wie die entsprechende Fettmenge aus. Da Munk') schon früher nachgewiesen hatte, daß freie Fettsäuren aus dem Darme vorzüglich resorbiert werden, war dieses Resultat eigentlich voraus- zusehen, denn die Glycerinmenge in 100g Fett beträgt nur 9g, welche 37,6 Kal. = etwa 4g Fett entsprechen, und es ist, wie Voit bemerkt, nicht gut möglich, daß eine Differenz der Fettaufnahme von 4g einen deutlich hervortretenden Einfluß auf den Eiweißumsatz im Körper ausüben könnte. 2. Das Glycerin. Betreffend das Glycerin an sich geht aus den Arbeiten von I. Munk®), Lewin®), Tscherwinsky*) und Arnschink°) hervor, daß es beim Hunde in Dosen von 25 bis 200 g keinen eiweißersparenden Einfluß ausübt, sondern viel- mehr bei größeren Gaben neben einer Vermehrung der Harnmenge eine Er- höhung der N-Abgabe in Harn, welche noch an den nach dem Glycerintage folgenden Tagen fortdauert, bewirkt. Demgegenüber findet Sommer‘) beim hungernden Kaninchen nach Glyceringabe eine unzweideutige Abnahme der N Abgabe, z. B. am 3. Hungertage 0,74g N im Harn, am 4. und 5. Hungertage, wo je 15g Glycerin verabreicht wurden, 0,62 bzw. 0,61g N. Ferner wird es in einer wesentlichen Menge (beim Hunde nach einer nicht ganz zuverlässigen Me- thode bestimmt bis zu 37 Proz., Arnschink) unzersetzt im Harn ausgeschieden. Nach Leo’) finden sich beim Menschen erst nach einer Gabe von 20g Glycerin Spuren davon im Harn. Nach Aufnahme von 26,8g Glycerin betrug a Menge des im Harn entleerten Glycerins 0,5 bis 1g. Bei nicht zu großen Gaben verbrennt also das Glycerin vollständig im Körper. Dennoch tritt es nicht ganz entsprechend seinem Wärmewerte für das Fett ein, „denn es wird mehr Glycerin zersetzt, als seinem Wärmewerte nach nötig wäre. Bei größeren Dosen können bis zu 57 Proz. unnütz verbrennen (Arnschink). Zu etwa dem gleichen Resultat kam auch I. Munk®°) bei Versuchen an curaresierten Kaninchen, denen Glycerin intravenös eingespritzt wurde. — Auf der anderen Seite berichtet aber Sommer über Versuche an Kaninchen, bei welchen der respiratorische Quotient konstant blieb und sich nicht deutlich in der Richtung veränderte, wie man zu erwarten hätte, wenn es beim Stoffwechsel angegriffen worden wäre. Bei der Nahrung des Menschen spielt das Glycerin an sich nur eine sehr untergeordnete Rolle. Es ist zwar in allen gegorenen Getränken vertreten, aber nur in verhältnismäßig geringen Mengen; im Liter Bier werden etwa 1 bis 3, im Liter Wein etwa 7 bis 14g aufgenommen. In diesen Quantitäten dürfte das Glycerin sowohl verbrannt als seinem Wärmewerte nach verwertet werden. Die mit Biertrebern gefütterten Kühe erhalten, nach Soxhlet, nicht un- beträchtliche Mengen von Glycerin. !) Arch. £. path. Anat. 95, 407, 1884. — ?) Ebenda 76, 119, 1879. — °) Zeitschr. f. Biol. 15, 243, 1879. — *) Ebenda 15, 252, 1879. — °) Ebenda 23, 413, 1887. — ©). Festschrift für Fick, Braunschweig 1899, S. 95. — 7) Arch. f. d. ges. Physiol. 93, 269, 1903. — ®) Ebenda 46, 303, 1890. Nagel, Physiologie des Menschen, I. 28 434 Der Nährwert der Cellulose. 3. Die Cellulose. Betreffend die Verdauung der Cellulose wissen wir durch Biedermann und Moritz'), daß sie bei Helix pomatia durch ein im Darminhalt befindliches Enzym, und zwar unter Bildung von Zucker aufgelöst wird. Sonst ist noch nichts von einer Enzymwirkung im Tierreich auf die Cellulose bekannt, denn die Angabe von Knauthe?), daß beim Karpfen ein entsprechendes Enzym im Hepatopankreas und Dünndarminhalt vorhanden wäre, konnte von E. Müller®) nicht bestätigt werden. Sonst wird die Lösung der Cellulose, wie von Tappeiner*) zuerst nachgewiesen wurde, durch einen von Bakterien bewirkten Gärungsprozeß zuwege gebracht. Bei dem Wiederkäuer findet diese Gärung im Pansen und im Dickdarm statt, dagegen kann eine wesentliche Beteiligung des Dünndarmes an diesem Vorgange als ausgeschlossen betrachtet werden. Bei dieser Gärung, an welcher Eiweiß- körper, Fette und Stärke nicht wesentlich beteiligt sind, werden Kohlensäure, Sumpfgas, Aldehyd, große Mengen flüchtiger Säuren, und zwar vorwiegend Essig- säure und eine Säure von der Zusammensetzung der Buttersäure gebildet. Die durch diese Gärung dem Körper zur Verfügung gestellte Energie wird von Henneberg und Stohmann’) in folgender Weise berechnet. Aus 100g Cellulose entstehen etwa 33,5 g CO,, 4,7g Sumpfgas und je 33,6 & Essigsäure und Buttersäure (wenn es gestattet ist, die flüchtigen Fettsäuren auf beide gleichmäßig zu verteilen). Die Verbrennungswärme für 100g Cellulose beträgt 414,6 Kal., die von 4,7 g Sumpfgas, welche in den Darmgasen abgegeben werden und daher dem Körper nicht zugute kommen, 62,7; es bleibt also als Nutzwert für 100g gegorene Zellulose 351,9 Kal. Nach Wilsing‘) verlassen (beim Ziegenbock) von den gebil- deten flüchtigen Säuren etwa 3 Proz. unzersetzt den Körper; unter Berücksichtigung dieses Verlustes, sowie der Tatsache, daß die Heurohfaser nur zu etwa 60 Proz. im Darme gelöst wird, würde beim Pflanzenfresser auf 100g gefressene Cellulose ein Nutzeffekt von 204,8 Kal., d. h. pro 1g 2,048 Kal. kommen. Daß die Cellulose auch im Darme des Menschen ausgenutzt wird, zeigte zuerst Weiske’), der bei Darreichung von gekochten Möhren, Sellerie und Kohl in zwei Versuchen eine Ausnutzung der Rohfaser von 47 bis 63 Proz. beobachtete. v. Knieriem®), der Versuche mit Scorzonera hispanica und Kopfsalat machte, fand bei jener eine Ausnutzung von nur 4 Proz., beim Salat mit dessen zarterer Cellulose dagegen eine von 25 Proz. Bei Versuchen mit kleiehaltigem Brot beob- achteten Hultgren und Landergren’), daß die N-freie Substanz der Hülsen mindestens zu 23 Proz. im Darme gelöst wurden. Durch diese Erfahrungen ist aber noch nichts über den Nährwert der:Zellu- lose entschieden... Allerdings muß ja die bei dem Gärungsvorgang entwickelte Wärme, welche nach Henneberg und Stohmanns Berechnungen pro 100g ge- löste Cellulose nur etwa 44 Kal. beträgt, dem Körper unverkürzt zugute kommen, es fragt sich aber, ob die bei dieser Gärung gebildeten flüchtigen Fettsäuren in einem nachweisbaren Grade als Ersparer anderer Nahrungsstoffe dienen können. Betreffend das Eiweiß gibt v. Knieriem'”) an, daß es beim Kaninchen durch die Cellulose merkbar erspart wird; demgegenüber findet Weiske'!) sowohl am Kanin- chen als am Schafe, daß die Cellulose in dieser Hinsicht gar keine Wirkung aus- übt, und auch v.Wolff'?) ist zu demselben Resultate gekommen. Wegen Einzel- heiten muß auf die unten zitierten Arbeiten verwiesen werden. Unter Anwendung des Voitschen Respirationsapparates untersuchte v. Knie- riem auch den Einfluß der Zellulose auf die Fettzersetzung und fand (beim !) Arch. f. d. ges. Physiol. 73, 219, 1898. — *) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1898, 8. 152. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 83, 619, 1901. — *) Zeitschr. f. Biol. 20, 52, 1884; 24, 105, 1888; ®) Ebenda 21, 613, 1885. Vgl. auch Zuntz und Hagemann, Landwirtschaftl. Jahrbücher, 27. Ergänzungsbd. (3), 8. 241, 1898. — 6) Zeitschr. f. Biol. 21, 625, 1885. — 7) Ebenda 6, 456, 1870. — ®) Ebenda 21, 67, 1885. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 5, 129, 1894. — !) Zeitschr. £. Biol. 21, 94, 1885; 24, 293, 1888. — !') Ebenda 22, 373, 1886; 24, 553, 1888. — !?) Vgl. Weiske, Zeitschr. f. Biol. 24, 560. Der Nährwert der Pentosen. 435 Kaninchen), daß diese durch 7,47 g zersetzte Rohfaser um etwa 2 bis 3g vermindert wurde. Zu demselben Schluß führen auch I. Munks') Untersuchungen über den Einfluß des buttersauren Natrons, wenn es curaresierten Kaninchen intravenös injiziert wurde; hierbei stellte es sich nämlich heraus, daß die Buttersäure rasch oxydiert wurde, sowie daß hierbei sonst verbrennendes Körpermaterial, wohl in erster Reihe Körperfett, obgleich anscheinend nicht in isodynamer Menge erspart wird. Nach diesem allen würde man doch nicht so weit wie einige Autoren gehen und der Zellulose allen Nährwert absprechen können. Beim Menschen hat sie aller Wahrscheinlichkeit nach keine nennenswerte Bedeutung, beim Pflanzenfresser wird sie aber bis zu einem gewissen Grade am Stoffwechsel wirklich teilnehmen können. 4. Pentosen?). Nachdem Ebstein°®) nachgewiesen hatte, daß beim Menschen nach Dar- reichung von der Arabinose oder Xylose diese im Harn erschienen, stellte Cremer‘) Versuche an, um die Ausscheidungsverhältnisse verschiedener Kohlehydrate quan- titativ festzustellen, und fand dabei folgendes: R Pentose; im En Dauer der k Pentose Darm, Harn Nase, Beob- Nr. Tierart x x und Kot unngesetzi achtung, g g g Stunden 1 Huhn Aylose...... „144 210,2 2,2 8,0 12 2 | Kaninchen || Arabinose . . . 28,8 13,0 15,8 15 3 Mensch r 9,3 etwa 15 | 41 4 Huhn Rhamnose . . . 10,0 7,4 2,6 | 12 5 || Kaninchen ® EBEN AL 23,2 6,8 | 15 6 R R 30,6 16,9 13,1 | 16 7 a - 28,5 16,5 12,0 | 24 | Bei Versuchen von Jaksch’°) wurden im Harn von 20g Arabinose im Laufe von 31 Stunden 43 Proz. ausgeschieden, während dieser Körper im Kote niemals zu finden war. Nach Darreichung von 10 g Xylose wurden innerhalb 14 Stunden bis zu 54 Proz. im Harn abgegeben; Kot frei von Xylose. Nach 20 g Rhamnose fanden sich im Harn bis zu 64 Proz. derselben; auch trat sie in erheblicher Menge im Kot auf. — Diese Versuche geschahen an Kranken; an sich selber führten Bendix und Dreger‘) mit 20 bis 50g Xylose Versuche aus. Davon wurden 30 bis 38 Proz. im Harn abgegeben. Die Pentosen werden also in ziemlich großen Mengen unverändert vom Körper abgegeben, zum Teil aber doch in ihm verwertet. Bei Fütterung von Arabinose in Dosen von etwa 10g fand Salkowski’) beim Kaninchen durchschnittlich 18,4 Proz. davon im Harn wieder (der Kot wurde nicht untersucht). Unter der Einwirkung der Arabinose war die N-Abgabe im Harn in drei Fällen geringer als beim Hunger (Hunger 1,40, 0,80, 1,40; Arabinose 1,15, 0,46, 0,77 g), in einem Falle gleichgroß und in einem Falle bedeutend größer (Hunger 0,61; Arabinose 1,01g). Beim diabetischen Menschen beobachteten Lindemann und May°) unter dem Einfluß von 65g verabreichter Rhamnose, von welcher nur 10,1g = 16 Proz. ") Arch. f. d. ges. Physiol. 46, 322, 1890. — *) Vgl. die Zusammenstellung von Neuberg, Ergebn. d. Physiol. 3 (1), 412, 1904. — °) Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1892,-8. 577. Arch. f. path. Anat. 129, 406, 1892; 132, 368, 1893. Vgl. auch Salkowski, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1892, 8. 593; 1893, 8. 193. — *) Zeitschr. f. Biol. 29, 521, 1892. — °) Zeitschr. f. Heilkunde 20, 195, 1899. — °) Deutsch. Arch. f. klin. Med. 78, 198, 1903. — 7) Zeitschr. f. physiol. Chemie 32, 393, 1901. — ®) Deutsch. Arch. f. klin. Med. 56, 286, 1896. 28 * 436 Der Nährwert der Pentosen. wieder ausgeschieden wurden, eine bedeutende Abnahme der N-Abgabe (von 17,0 auf 14,8g). Dagegen fand v. Jaksch!) nach Einführung von Xylose. beim Dia- betiker eine enorme Steigerung des Eiweißzerfalles, sowie anscheinend auch eine Steigerung nach Zufuhr von Rhamnose. Am Kaninchen fanden Neuberg und Wohlgemuth) bei Gaben von ie by% von l- oder d-Arabinose bei jener etwa 15 und bei dieser 31 bis 39 Proz. der ver- fütterten Menge im Harn wieder. Bei Fütterung einer r-Arabinose erschienen 22 bis 24 Proz. unverändert und 5 bis 9 Proz. als d-Arabinose im Harn. Cremer°) ist der einzige, der nähere Versuche über den Nährwert der Pen- tosen, und zwar der Rhamnose, ausgeführt hat. Seine Resultate, welche sich auf das Kaninchen beziehen, sind in folgender Tabelle zusammengestellt: Abgabe Nr. Futter N Kal. g g I, Hunger 1,55 13:55 | 181 Rhamnose | 1,63 | 16,38 178 f u; Bhamnoee ; im Haraı g s Hunger 1,67 | 15,52 185 | 2 | | II. | Hunger 0,90 | 10,7 | 129 | | | | 5 21g Rhamnose; im Harn Rhamnose 0,85 | 12,2 | 128 \ und Kot 1,9g | Hunger 1,07 95 | 113. | Hunger 1,22 96 | 113 I) IM. | Hunger 1,62 12,4 146 | Tinet. op. 2,00 12,2 141 f 28,7g Rhamnose; im Harn | Rhamnose 2,13 12,5 126 und Kot 4,5g Hunger 2,46 11,1 120 Die kalorischen Werte sind hier unter der Voraussetzung berechnet, daß die gesamte, im Harn und Kot nicht wiedergefundene Menge von Rhamnose im Körper verbrannt worden ist (lg Rhamnose = 3,909 Kal... Wenn diese Voraussetzung richtig ist und wenn die im Harn und Kot nicht nachgewiesenen Mengen der Rhamnose tatsächlich zugrunde gegangen sind, so folgt aus diesen Versuchen unbedingt, daß die Rhamnose als ein wirklicher Nahrungsstoff aufzufassen ist. Wie aber Cremer selber bemerkt, kann es dennoch der Fall sein, daß größere Mengen Methan gasförmig, sowie größere Mengen unbekannten C-haltigen Materials mit dem Harn ausgeschieden werden. Hierüber liegen indes keine direkten Erfahrungen vor. Jedenfalls steht der stringente Beweis für den Nährwert und die Isodynamie der Pentosen noch aus, wenn es auch sehr wahrscheinlich ist, daß sie als Nahrungsstoffe bezeichnet werden müssen. In einem gewissen Grade wird diese Annahme durch die Tatsache unterstützt, daß die Nucleinsäuren in ihrem Molekül Pentosen enthalten. Betreffend die Pentosane gibt Slowzoff*) für das Xylan an, daß am Kaninchen 14 bis 62 Proz. im Kot und 1,5 bis 4,6 Proz. im Harn unverändert ausgeschieden wurden. Nach 24 bis 48 Stunden konnte im Blute etwas, in der Leber und den Muskeln dagegen größere Mengen desselben nachgewiesen werden. Nach Stone°’) werden beim Pflanzenfresser die Pentosane bis zu 50 bis 60 Proz., nach Rudzinski‘) zu 47 Proz. ausgenutzt’). !) Vgl. F.Voit, ebenda 58, 523, 1897. — ?) Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 41, 1902. — °?) Zeitschr. f. Biol. 42, 451, 1901. — *) Zeitschr. f. physiol. Chem. 34, 181, 1901. — °) Zitiert nach Neuberg und Wohlgemuth, ebenda ‘35, 65. — °) Ebenda 40, 317, 1904. — 7) Vgl. auch betreffend den Menschen König, Zeitschr. f. Unters. d. Nahrungs- und Genußmittel 5, 110, 1902, sowie Schierbeck, Arch. £. Hygiene 51, 80, 1904. | F Asa nn a ch A Der Nährwert anderer Kohlehydrate. 437 5. Andere Kohlehydrate. Am Kaninchen untersuchte Münch!) das Verhalten der Hexosen Formose und Methose, sowie des Methylglykosids teils nach Injektion in das Blut, teils nach Eingabe per os. Seine Hauptresultate sind folgende: Im Harn erscheint | | | Methyl- | Formose | Methose | glykosi al Proz. Proz. | Proz. | | | Injiziert in die V. jue. . . . 15 | 60,3 | 249 | Injiziert in die V. mes. an | | hungernden Tieren . .. . 11,0 12,0 | 0 Injiziert in die V. mes. an ge- | | ER EER Tütsorten Lieren .- 2.4. | 102,0 826 | 15,6 Zu Injiziertt in den Magen an | hungernden Tieren . . . . | 15,7 8.“ 4,7 Injiziert in den Magen an ge | | | fütterten Tieren . ee Ri 6,9 37 0 | | \ Die im Harn abgegebene Menge dieser Substanzen, wenn sie in die Blutbahn injiziert werden, ist bei hungernden Tieren wesentlich geringer als bei gefütterten, während bei Injektion in den Magen das Umgekehrte stattfindet. Betreffend "die Betrachtungen, die Münch an diesen Sachverhalt knüpft, muß auf das Original verwiesen werden. Über die verschiedenen Arten der Mannose berichten Neuberg und Meyer), daß die d-Mannose im Harn gar nicht erscheint, von 10g der 1-Mannose treten 1,2g als solche und 4g als l-Glukose im Harn auf. Die i-Mannose wird partiell zersetzt und in i- und l-Glukose umgewandelt. Bei hungernden Tieren ist die Verwertung der l- und i-Mannose fast vollständig, bei gefütterten aber nur sehr mäßig. Die «-Gluko-Heptose wurde von Wohlgemuth®) am Kaninchen untersucht. Am gefütterten Tiere erschienen bei Einführung in den Magen 29 Proz., bei subku- taner Einspritzung 44 Proz. und bei intravenöser Injektion 50 Proz. der Heptose im Harn wieder. An hungernden Tieren wurden 6g Heptose per os eingegeben und dabei nur 0,3 bis 0,4g im Harn wiedergefunden (die Fäces wurden nicht untersucht). 6. Der Alkohol. Über den Nährwert des Alkohols liegen sehr zahlreiche Untersuchungen vor. Da diese in der letzten Zeit von Rosemann*), Rosenfeld°’) und Atwater®) eingehend besprochen worden sind, kann ich mich bei der vorliegenden Darstellung auf die wichtigsten Arbeiten beschränken und verweise in bezug auf die näheren Einzelheiten auf die genannten Arbeiten. In erster Linie muß die Frage beantwortet werden, ob und in welchem Um- fange der Alkohol im Körper oxydiert wird. Daß der Alkohol tatsächlich zum größten Teil im Körper verbrannt wird und nur in geringer Menge unverändert in die Ausscheidungen des Körpers abgegeben !) Zeitschr. f. physiol. Chem. 29, 493, 1900. — ?) Ebenda 37, 530, 1903. — ®) Ebenda 35, 568, 1902. — *) Arch. f. d. ges. Physiol. 86, 307, 1901. — °) Rosen- feld, Der Einfluß des Alkohols auf den Organismus. Wiesbaden 1901. — *) The physiological Aspects of the Liquor Problem: Investigations made by and under the Direction of Atwater, Billings, Bowditch, Chittenden and Welch. Boston 1903. Part II. p. 149—347. 438 Der Nährwert des Alkohols. wird, wurde vor allem von Austie, Thudichum und Dupr& festgestellt!). Die Menge des unverändert abgegebenen Alkohols beträgt beim Menschen nach Versuchen von Bodländer?) 2,9 Proz, nach Straßmann®) 7,9 Proz., nach Atwater und Benedict*) dagegen nur 1,9 (1,0 bis 3,7) Proz. des genossenen Alkohols.. Da die letzteren Versuche nach den genauesten Methoden ausgeführt wurden, dürfte man schließen können, daß nur ein ganz geringer Teil des Alkohols der Zersetzung im Körper entgeht. Auch wenn also der Alkohol im Körper oxydiert wird, ist es dadurch nicht bewiesen, daß er einen Nährwert besitzt, denn man könnte sich ja denken, daß der Umsatz der organischen Nahrungsstoffe in gleichem Umfange wie ohne Alkohol. stattfände, und in diesem Falle würde natürlich der Alkohol ganz unnütz ver- brennen. Bei Versuchen hierüber ist es notwendig, nur solche Gaben von Alkohol zu verabreichen, bei welchen keine ausgesprochenen Vergiftungssymptome erscheinen, denn während des Excitationsstadiums steigern die dabei auftretenden starken Muskelbewegungen den Stoffwechsel, und während des folgenden Depressions- stadiums wird derselbe durch die allgemeine Erschlaffung herabgesetzt. In beiden Fällen liegen sekundäre Wirkungen des Alkohols vor, welche keine bestimmten Folgerungen in bezug auf die tatsächliche Bedeutung des Alkohols beim Stoff- wechsel gestatten. Es ist daher wichtig, daß die Versuche am Menschen aus- geführt werden, denn nur so können wir den Grad der eventuellen Vergiftung einigermaßen sicher beurteilen. Auch um Raum zu ersparen, werde ich daher bei der folgenden Darstellung nur die am Menschen gewonnenen Resultate be- sprechen. Nach Genuß von 20 bis 30cem in entsprechendem Grade verdünnten abso- luten Alkohols zeigte sich in Versuchen von Zuntz und Berdez°): während 1'/, . bis 2 Stunden nur eine ganz geringe Zunahme (etwa 3,5 Proz.) des respiratorischen Stoffwechsels. Ebenso fand Geppert‘) bei Gaben von 30 bis 190cem Alkohol keinen in Betracht kommenden Effekt auf die O-Aufnahme; die CO,-Abgabe war entweder konstant, oder sie ging etwas herunter. Diese beiden Versuchsreihen wurden unter Anwendung der Respirationsmaske ausgeführt. Mit dem Stock- holmer Respirationsapparat machte Bjerre’) einen Versuch, indem er an zwei aufeinander folgenden Tagen genau die gleiche Kost genoß, am zweiten Tage aber dazu noch 407 g Kognak mit 166g Alkohol aufnahm. Am 1. Tage schied er insgesamt 749, am zweiten 780g CO, aus. Wenn der Alkohol bei seiner Ver- brennung andere Nahrungsstoffe nicht erspart hätte, so hätte die CO,-Abgabe am 2. Tage, unter der Voraussetzung, daß 10 Proz. des Alkohols unzersetzt vom Körper abgegeben worden wären, statt 780g nicht weniger als 1038g betragen müssen. Aus diesen und anderen Versuchen folgt also, daß der Alkohol bei seiner Verbrennung im Körper tatsächlich N-freie Nahrungsstoffe erspart. In bezug auf das Verhalten des Eiweißzerfalles unter dem Einfluß von Alko- hol sind vor allem diejenigen Versuche von Bedeutung, bei welchen in einer genau ' analysierten Standardkost Fett oder Kohlehydrate durch eine isodyname Menge Alkohol ersetzt wurden. Nach dieser Versuchsmethode fand Miura°), daß je 65g Alkohol, während 4 Tagen statt 110g Kohlehydrate verabreicht, die N-Abgabe er- höhen und also keine eiweißersparende Wirkung ‚ausüben. Bei ähnlicher Versuchsanordnung, wo 77,6 g Fett durch 100 g absoluten Alkohol ersetzt wurden, erzielte Neumann’) ein wesentlich anderes Resultat, wie aus fol- gender Zusammenstellung ersichtlich ist. 4 !) Vgl. Atwater, a. a. O. p. 180. — ?) Arch. f. d. ges. Physiol. 32, 398, 1883. — °) Ebenda 49, 314, 1891. — *) Memoirs of the National Academy of Sciences, Washington. VIII: 6, 258, 393, 1902. — °) Fortschritte der Medizin 5, 1, 1887. — °) Arch. f. exp. Path. 22, 367, 1887. — 7) Skand. Arch. f. Physiol. 9, 323, 1899. — ®) Zeitschr. f. klin. Med. 20, 137, 1892. — °) Arch. f. Hygiene 36, 1, 1899; vgl. die Kritik Rosemanns, Arch. f. d. ges. Physiol. 77, 405, 1899. a Der Nährwert des Alkohols. 439 ö Einnahmen, Mittel pro Tag N- Ausgaben N-Bilanz =] ” Mittel pro Tag r 5 |suchstag | N | Fett | nyärate | hol | Harn | Kot |Summa|| PO Tag | g g g g ee g I. 1— 5 | 12,2 | 156,0 224 _ #61 T°18 11,9 +0,3 I.| 6—9 | 123,2 78,4 224 _ 3 a 13,8 — 1,6 II. | 10-13 || 19,2 78,4 224 100 | 13,4 | 1,8 15,2 — 3,0 IV. || 14—19 || 12,2 78,4 224 100 | ı1,1 | 14 12,5 — 0,3 v. || 20-25 | 192 | 156,0 | 224 100 | ua | +8, VL | 26—29 || 12,2 78,4 224 _ 12,6 | 14 14,0 —18 VI. | 30—35 | 12,2 | 156,0 224 _ | 10,9 | 15 12,4 — 0,2 Aus diesen Versuchen geht hervor, daß die N-Bilanz, welche während der Periode I positiv war, durch Fortlassen von 77,6g Fett durchschnittlich — 1,6g beträgt.” Wenn diese Fettmenge durch die isodyname Menge Alkohol ersetzt wird, tritt während der ersten vier Tage noch ein vermehrter Eiweißzerfall auf (Periode III), danach aber stellt sich N-Gleichgewicht (Periode IV) ein. Wenn dann (Periode V) ‘ die volle Fettration verabreicht wird, wird die N-Bilanz positiv; diese schlägt in eine negative um, wenn wiederum 77,6g Fett, jetzt aber ohne Ersatz fortgelassen werden (Periode VI). Ganz entsprechende Resultate bekam auch Clopatt') in Versuchen, wo in der Standardkost etwa 65 bis 70g Fett durch 87,0 Alkohol ersetzt wurden: u | Einnahmen, Mittel pro Tag | we N-Bilanz 3 NVer- | a a Kr Mittel © | suchstag | N eis 1 ee Teer ro Ta nr. 5 | hydrate | hol | Harn | Kot |Summa pP 8 g g g g g g 8 8 I. 1—12 | 16,1 | 132,0 254 we 13,2 | 2,0 15,2 + 0,9 u.| 13-18 | 16,3 60,7 257 87 | 158 | 230 17,8 —15 IH. | 19-24 | 16,3 59,5 257 87.1.1987, | 31 14,8 +1,5 IVv.| 25-31 || 16,0 59,5 | 255 _ 187 1 18 15,5 +05 v.| 32-36 | 16,2 | 124,0 | 355 — 1'189 | 17 15,6 | +0,6 Auch hier tritt während der ersten Tage der Alkoholperiode ein vermehrter Eiweißzerfall auf (Periode II), welchem dann ein deutlich verminderter (Periode III) nachfolgt. Rosemann?) ersetzte in zwei Versuchen 105g Kohlehydrate und 47,4g Fett bzw. 70 g Kohlehydrate und 53,4 g Fett durch eine an Verbrennungswärme etwas größere Menge Alkohol und erhielt dabei folgende Resultate: N ErE i n ws | Einnahmen, Mittel pro Tag N Ausgaben N-Bilanz | ; Mittel pro Tag £ =) Ver- || Mittel g> i Iy Fett Kohle- | Alko- pro Tag & j suchstag | hydrate | hol | Harn | Kot |Summa . | 8 g g g g g Bei 8 l | I.! -1—9 | 16,7 184 287 E= 12,9 2:7 15,6 | +1,1 I. | 10—13 16,9 137 182 144 13,8 2,8 16,6 | + 0,3 IH. | 14-23 || 16,7 | 137 182 144 | 12,9 | 2,8 157 | +10 IV. | 24—29 16,9 184 287 -— 13,3 2,6 15,9 | + 1,0 V.| 30—36 | 15,4 | 137 182 —_— | 145 | 24 | 16,9 | —1,5°) !) Skand. Arch. f. Physiol. 11, 354, 1901. — ?) Arch. f. d. ges. Physiol. 86, 380, 1901. — °) Vgl. auch Ott, Arch. f. exper. Pathol. 47, 267, 1902; Atwater u. Benedict, Memoirs of the National Academy of Sciences, Washington, VIII: 6, 264. 440 Der Nährwert des Alkohols. Andere Versuche sind in der Weise ausgeführt, daß zu einer Normalkost, ohne irgend welche Veränderung derselben, eine gewisse Quantität Alkohol hinzugefügt wurde. Durch Zugabe von 80 bis 120g Alkohol zu einer an sich ausreichenden Kost beobachtete E. Schmidt!) während 4 Tagen nur eine ganz minimale Spar- wirkung, desgleichen fand auch Schöneseiffen'!) durch Zugabe von 135 g Alkohol während 6 Tagen zu einer nicht ganz genügenden Kost keine deutliche Wirkung auf den Eiweißumsatz. Demgegenüber beobachtete Chotzen’), daß die ursprüng- lich negative N-Bilanz bei Zugabe von 60 bis 120g Alkohol eine positive wurde und wies in der letzten Reihe einen Ansatz von 1,4g N pro Tag nach. Nach derselben Methode gelang es auchNeumann’), eine unverkennbare Er- sparnis von N-Substanz durch den Alkohol nachzuweisen. Zu einer aus 18g N, 116,5 g Fett, 255g Kohlehydraten bestehenden Kost, bei welcher der Verf. gerade im N-Gleichgewicht war, wurde Alkohol in allmählich steigenden Gaben von 20 bis zu 100g zugegeben. Dabei betrug die N-Bilanz an den 6 ersten Tagen (20 bis 50g Alkohol) durchschnittlich — 0,02, d. h. das N-Gleichgewicht blieb bestehen (Periode II). Vom 7. Tage an trat ein entschiedener N-Ansatz auf, und zwar wurden bis zum 11. Tage durchschnittlich 1,1g N (Periode III) und vom 12. bis 18. Tage (mit 100g Alkohol pro Tag) durchschnittlich 2,08 N im Körper zurück- gehalten (Periode IV). Am 19. Tage wurden 78,2 g Fett fortgelassen — jetzt trat kein Ansatz von N mehr auf (Periode V), sondern der Körper setzte von sich selber noch 0,2g N täglich zu. Als nun der Alkohol vom 26. Tage an fortgelassen und statt dessen die Fettmenge auf 193,3g erhöht wurde (Periode VI), wodurch die Gesamtzufuhr ihrem Wärmewerte nach gleich der bei der Alkoholperiode wurde, setzte der Körper täglich 2,4g N an — also nur ein klein wenig mehr als während der Periode IV. Endlich sind die Versuche von Atwater und Benedict*) zu erwähnen, welche dadurch, daß in ihnen auch die Wärmeabgabe des Körpers kalorimetrisch bestimmt wurde, für die Frage nach dem Nährwert des Alkohols eine sehr große Bedeutung haben. Erstens zeigen sie, wie nicht anders zu erwarten ist, daß die in der früher (8.365) dargestellten Weise aus der Verbrennungswärme der Kost usw. berechnete Wärmeproduktion auch bei Darreichung von Alkohol mit der direkten kalorimetrischen Bestimmung der Wärmeabgabe genau übereinstimmt. Ferner ergibt sich aus denselben, daß der Stoffwechsel bei untereinander vergleichbaren Versuchen, in welchen die N-freien Nahrungsstoffe in der Kost von einer entsprechenden Quantität Alkohol ersetzt wurden, ganz derselben Größe ist, sowie daß die Ersparnis an Fett bei gleicher Kalorienmenge der Kost in beiden Reihen im großen und ganzen gleichgroß ist, wie z. B.: a Br | Kalorien Täglicher E-=| | | 8 Versuch 23 DRS SU, | in Kost mit | Verlust oder (Siehe 8. 366) 28 £ Abzug des Gewinn an Fett SA Versuche K | > otes | g | | | | I) 9, 24 E. 0. | Ohne Alhohol, Ruhe 2618 | 39,0 20. 10, 22 PANR | Mit Alkohol, Ruhe 2602 | + 42,0 | — a 11 E. O0. | Ohne Alkohol, Arbeit 3510 | — 39,7 2 - 12 | „ » | Mit Alkohol, Arbeit | 36144 | —322 | 35 E 26,28 | I.F.8. | Ohne Alkohol, Ruhe 2253 | + 23,1 1-2 27 |,» » | Mit Alkohol, Ruhe | 26 | +ı182 | | 433 29, 31, 32,34 | J.F.S. | Ohne Alkohol, Arbeit 3251 — 9,57 7°1 3 02 | | I fi 80,83. 12005 Mit Alkohol, Arbeit | 325500 — m) Be Il I en !) Siehe bei Rosemann, Arch. f. d. ges. Physiol. 86, 327, 331, 1901. — 2) Rosenfeld, Therapie der Gegenwart 1900, Nr. 2. — ®) Arch. f. Hygiene 41, 85, 1901; vgl. auch Offer, Zentralbl. £. d. Verdauungskrankheiten 2, 573, 1901. — *) Memoirs of the National Academy of Sciences, VIII: 6, 231, 1902. Sr ee ec ae en Ze ae en Be ehe ih. re Bien ech ee Eee ee ee ee eu Bee ee ee Der Stoffwechsel bei Muskelarbeit. 441 In den Versuchen 22, 23 und 24 bekam die Versuchsperson eine Normalkost von 2290 Kal. (netto). Zu dieser wurden im Versuch 22 500 Kal. in Alkohol, im Ver- such 24 500 Kal. in Zucker zugegeben; im Versuch 23 fand keine Zugabe: statt. In diesen Versuchen wurden täglich bzw. 63, 9 und 60g Fett angesetzt, d. h. der Alkohol hat einen ebenso großen Fettansatz als der Zucker bewirkt. Aus allen diesen Erfahrungen geht hervor, daß der Alkohol als ein Nahrungs- stoff zu betrachten ist, denn er vermag bei seiner Oxydation im Körper sowohl die N-freien Nahrungsstoffe als auch das Eiweiß zu ersparen. Bei .der Berechnung von Kostmaßen, in welchen Alkohol enthalten ist, sind wir also berechtigt, diesen seinem vollen Nährwerte nach mitzunehmen. In bezug auf das Eiweiß ist indes als sehr wichtig hervorzuheben, daß der Alkohol, wie aus den Versuchen von Miura, Schmidt, Schöneseiffen, Neumann, Clopatt und Rosemann ersichtlich ist, während der ersten Tage nach einer alkoholfreien Diät kein eiweißersparendes Vermögen darbietet, sondern vielmehr den Eiweißumsatz in die Höhe treibt. Diese Erscheinung wird ziemlich allgemein als Ausdruck irgend einer Giftwirkung aufgefaßt; erst nachdem sich der Körper an den Alkohol gewöhnt hat, tritt dann seine Fähigkeit, Eiweiß zu ersparen, in ihrer vollen Deutlichkeit hervor, und gerade in diesem Umstande finden wir die Erklärung dafür, daß bei nur wenige Tage dauernden Versuchen die Eiweißersparnis nicht zum Vorschein gekommen ist. In praktischer Hinsicht kann der Alkohol trotzdem keine große Bedeutung als Nahrungstoff beanspruchen, denn seine schädlichen Wirkungen, welche auch beim Gebrauch verhältnismäßig kleiner Dosen, wenn sie täglich wiederholt werden, auftreten, und welche ein ganzes Heer von Krankheiten und Elend allerlei Art hervorbringen, kompensieren vollauf seine nährenden Eigenschaften. Daher hat man trotz der zahlreichen in entgegengesetzter Richtung gehenden Erfahrungen von mehreren Seiten behauptet, der Alkohol sei kein Nahrungsstoff, denn ein Gift kann nicht zu gleicher Zeit auch nährende Eigenschaften besitzen!). Meines Er- achtens kann dennoch dieser Auffassung aus physiologischem Gesichtspunkte gar nicht beigestimmt werden, denn gerade der Alkohol gibt uns ein Beispiel dafür, daß eine und dieselbe Substanz zweierlei Wirkungen haben kann. Ebensowenig ist auch die Annahme begründet, daß der Alkohol wegen seines Nährwertes nützlich oder sogar notwendig wäre. Die Alkoholfrage ist ein viel zu kompliziertes Problem, um allein aus dem Gesichtspunkte der Nahrungsphysiologie gelöst zu werden: es kommen noch so vielerlei andere und wichtigere Umstände hier in Betracht, und diese sprechen fast sämtlich gegen den Alkohol und für die rigoroseste Mäßigkeit bzw. totale Enthaltsamkeit. Fünftes Kapitel. Der Stoffwechsel bei körperlicher Arbeit. $ 1. Welche Nahrungsstoffe werden bei der Muskelarbeit verbrannt? | Schon aus La voisiers Versuchen über den respiratorischen Gaswechsel ging hervor, daß der Stoffumsatz durch Muskelarbeit wesentlich ansteigt, und die seitdem ausgeführten Untersuchungen haben diese Tatsache längst außer allen Zweifel gestellt. Als Liebig?) die chemische Zusammensetzung der Nahrungsmittel und des toten Körpers mit einer vor ihm lange. nicht erreichten Klarheit erkannt ') Vgl. Kassowitz, Deutsche med. Wochenschr. 1900, Nr. 32 bis 34; Arch. f. d. ges. Physiol. 90, 421, 1902; Rosemann, ebenda 94, 557, 1903; 100, 348, 1903. — *°) Liebig, Die Tierchemie oder die organische Chemie in ihrer An- wendung auf Physiologie und Pathologie, Braunschweig 1842; vgl. Voit, 8. 267. 442 Der Stoffwechsel bei Muskelarbeit. hatte, stellte er sich die Frage, welche Nahrungsstoffe bei der körperlichen Arbeit zugrunde gehen und welche Bedeutung die verschiedenen Gruppen der organischen Nahrungsstoffe beim Stoffwechsel überhaupt haben. Weil sich die organisierten Formen vor allem durch ihren Eiweißgehalt auszeichnen, nahm er an, daß die Tätigkeit des Körpers und insbesondere die Muskelarbeit durch Zersetzung der lebendigen Gewebe stattfinde; dem- entsprechend hätte das in der Nahrung aufgenommene Eiweiß die Aufgabe, die bei der Arbeit zerstörte lebendige Substanz wieder aufzubauen. Die Zer- setzung des Eiweißes wäre daher allein durch die Tätigkeit der Organe und Gewebe bedingt. Auf der anderen Seite stellten die N-freien Nahrungsstoffe, die Fette und die Kohlehydrate die Quelle der Wärmebildung im Körper dar; ihre Zersetzung würde dadurch bewirkt, daß sie von dem im Blute befind- lichen Sauerstoff angegriffen würden; zu gleicher Zeit würden sie das Eiweiß vor dem Sauerstoff schützen. Der zweite Satz dieser Hypothese ist durch die zahlreichen, seitdem aus- geführten Untersuchungen längst widerlegt worden, denn wir besitzen die kräftigsten Beweise dafür, daß die Zersetzung der N-freien Nahrungsstoffe nicht vom Sauerstoff, sondern von der Tätigkeit der Gewebe eingeleitet wird, wie dies aus der nahen Abhängigkeit der Wärmebildung im Körper vom Nervensystem am deutlichsten hervorgeht. Wenn die Ansicht richtig wäre, daß die lebendige Substanz des Muskels bei der körperlichen Arbeit selber zerfalle, so hätte man zu erwarten, daß dabei eine Zunahme der N-Abgabe einträte, und man hat in der Tat sehr zahlreiche Versuche gemacht, um dies nachzuweisen. Damit Versuche in dieser Richtung beweiskräftig sein sollen, ist es vor allem notwendig, daß das Versuchsindividuum auf einen solchen Zustand — N-Gleichgewicht oder Hunger — gebracht wird, daß seine N-Abgabe ohne Muskelarbeit Tag für Tag einigermaßen konstant ist, denn es ist nicht mög- lich, die Einwirkung der Arbeit auf den Stoffumsatz zu bestimmen, wenn auch andere Variabeln auf den Eiweißzerfall einwirken können. Unter den Versuchen, welche diese Bedingung erfüllen, sind in erster Linie einige von Voit!) am Hunde ausgeführte herbeizuziehen: | N-Auf- N- a Nr. Datum Bu art et Anmerkungen g g I. 1 | 23. "bis 25. Januar 1860. ..%7, | — 5,6 Ruhe 2 || 26. bis 28. Januar 1860 . ... | — 5,7 Laufen 8 29. Januar bis 1. Febr. 1860 . . | — 5,1 Ruhe I. 1 18. bis 22. Februar 1860... . | 51 51,8 Ruhe 2 23. bis 25. Februar 1860... . 51 55,3 Laufen 3 26. bis 28. Februar 1860. . . | 51 51,9 Ruhe 4 29. Febr. bis 2. März 1860 . . | 51 53,8 “ Laufen 5 3. bis 5. März 1860 ..... | 51 52,2 Ruhe !) Voit, Untersuchungen über den Einfluß des Kochsalzes, des Kaffees und der Muskelbewegungen auf den Stoffwechsel, München 1860, 8. 148 ff.; Zeitschr. f. Biol. 2, 339, 1866. Der Stoffwechsel bei Muskelarbeit. "443 N-Auf- we Ver- nahme | Abgabe | eR Nr. Datum pro Tag | pro Tag | Anmerkungen |: | II. ı pri 1864 en — 7,2 | Ruhe 2 SE April 1864 —_ 7,2 Ruhe 3 25. April 1864 ... u. & = 7,4 Laufen, 8 Stunden + 26. April 1864 nn ar, — 6,5 Ruhe IN USE BE 1004 . . _ 5,4 Ruhe BIT II TR 7 EE nn 5,4 Ruhe Ba: a BB. = 5,2 Laufen, 8 Stunden 4 | 12. Juli 1864... 0.0.0. —_ 5,8 Ruhe 5 | 13. Juli 1868 ....... _ 5,5 | Ruhe Während der Arbeitstage hatte das Tier in den zwei ersten Versuchen in einem großen Tretrad zu laufen. Es währte geraume Zeit, bis es imstande war, gleichmäßig zu traben, jedoch war es durchaus nicht dahin zu bringen, einen lang- samen Gang einzuhalten; stets lief es außerordentlich schnell, so daß es zuletzt etwa 10 Minuten lang, ohne zu ruhen, das Rad treiben konnte. Dies war für das Tier eine sehr große Anstrengung, denn es wurde dabei am ‚ganzen Körper heiß, der Atem war keuchend und beschleunigt, und häufig stand ihm schaumiger Speichel vor dem Munde. Es zitterte nachher an den kxtremitäten, ging langsam und wankend nach seinem Käfig zurück und legte sich dort ruhig nieder. Voit wagte es daher nicht, ihm eine größere Anstrengung auf einmal zuzumuten, doch konnte das Tier nach 1 oder 1'/, Stunden mit erneuten Kräften ans Werk gehen; während eines Tages lief es so im ganzen meist eine Stunde. Die solcher Art vom Hunde ausgeführte Arbeit betrug nach Voits Berechnung etwa 150000kgm pro Tag. Über die Arbeitsweise in den Versuchen III und IV hat Voit nichts Näheres angegeben. Versuch I zeigt fast gar keine Steigerung bei der Arbeit. Auch wenn die ganze umgesetzte Eiweißmenge ausschließlich zu mechanischer Leistung verwendet worden wäre, so könnten dadurch nur etwa 63000 kgm, d.h. etwa zwei Fünftel der geleisteten Arbeit entstanden sein. Auch aus den beiden anderen Hungerversuchen geht dasselbe hervor, denn in Versuch III beträgt die mittlere N-Abgabe bei Ruhe 6,97, bei Arbeit 7,4, Differenz nur 0,43 g; in Versuch IV ist die N-Abgabe bei Ruhe aus Nr. 1, 2 und 5 berechnet 5,4g, bei der Arbeit 5,2g oder, wenn wir dazu noch den Überschuß am 4. Tage hinzufügen, 5,6 g. In Versuch II, wo das Tier mit einer sehr reichlichen Fleischmenge im N-Gleichgewicht war, betrug die N-Abgabe bei Ruhe durchschnittlich 51,9 g, bei Arbeit durchschnittlich 54,5g. Die Differenz, 2,6g N, entspricht nur etwa 29000kgm, also kaum ein Fünftel der von Voit berechneten Arbeit. Dasselbe Resultat geht ferner aus den Bilanzversuchen von Pettenkofer und Voit!) am Menschen hervor. Die vom Versuchsindividuum auszuführende Arbeit bestand darin, ein Rad mit einer Kurbel zu treiben. Das Rad wurde so stark belastet, bis der Widerstand in der Achse nach dem Gefühl des Ar- beiters ebenso groß war, als er gewöhnlich bei Drehbänken in mechanischen Werkstätten ist, welche durch ein von der Hand getriebenes Schwungrad be- wegt werden. Hierzu war ein Gewicht von 25kg nötig, welches um eine Rolle in einer um das Rad gelegten Kette schwebend hing. Der Mann be- !) Zeitschr. f. Biol. 2, 537, 1866. 444 Der Stoffwechsel bei Muskelarbeit. wegte das Rad 9 Stunden lang und machte dabei etwa 7500 Umdrehungen. Abends wurde die Arbeit beendigt und bald darauf das Bett aufgesucht. Der Mann fühlte sich zu dieser Zeit ermüdet, wie nach einer anstrengenden Arbeit. Die Versuche wurden sowohl bei Hunger wie bei mittlerer Kost ausgeführt: Il | | P | N-Abgabe im Harn © . | r - Nr Datum Nahrung | RER An 8 | Tag |Nacht Summe | merkungen | BE g Tl 11. Dezember 1866 —_ | 7,4 5,1 12,5 Ruhe 14. Dezember 1866 | — 6,7 5,6 12,3 Ruhe 3 | 22. Dezember 1866 | we | 5,6 |. 6,2 11,8 | Arbeit 11.53 18. Dezember 1866 | Mittlere Kost | 8,3 8,2 16,5 Ruhe 2 | 27. Dezember 1866 | * EEE 16,7 Ruhe 3 || 29. Dezember 1866 | “ „1 85 | 84 16,9 Arbeit 4 || 31. Juli 1866 | x E 10,1 | 7,2 17,3 Ruhe 5 3. August 1866 | x TS 17,3 Arbeit | | In der Reihe I ist die durchschnittliche N-Abgabe bei Ruhe 12,4 g, bei Arbeit 11,8 g, also 0,6 g weniger. Bei den Versuchen bei mittlerer Kost beträgt die durchschnittliche N-Abgabe bei Ruhe 16,8 g, bei Arbeit 17,1g — also kein Unterschied. Auch wenn wir die N-Abgabe während der Tageshälfte und der Nacht- hälfte besonders betrachten, so stellt sich kein bestimmter Unterschied dar. Bei den Ruheversuchen ist die N-Abgabe durchgehend größer oder gleich groß am Tage wie während der Nacht; unter den Arbeitsversuchen finden wir in II. 3 und 5 dasselbe, in I. 3 dagegen das Gegenteil. Aus dem Verhalten der N-Abgabe während des Tages und der Nacht läßt sich daher keine Stütze dafür entnehmen, daß die körperliche Arbeit auf Kosten des Eiweibes stattfände. An sich selber machten Fick und Wislicenus einen sehr bemerkenswerten Versuch'). Sie bestiegen den Berg Faulhorn, dessen Spitze 1956 m über der Ober- fläche des Brienzer Sees liegt. 17 Stunden vorher nahmen sie ihre letzte eiweiß- haltige Nahrung zu sich; der davon entstammende Stickstoff dürfte nach dem, was wir schon gesehen haben, schon vor dem Anfange des Versuches zum größten Teile den Körper verlassen haben. Die Bergbesteigung selbst dauerte etwa 8 Stunden; erst 7 Stunden später genossen sie eine eiweißhaltige Kost; während der Berg- besteigung und der danach folgenden 7 Stunden bestand ihre Nahrung nur aus Stärke, Zucker, Fett und Getränk (Wein). Der während dieser 15 Stunden ge- sammelte Harn enthielt bei Fick 5,74g und bei Wislicenus 5,55g N und ent- sprach nach ihrer Berechnung 38,28 bzw. 37 gm zersetztem Eiweiß. Naclı dem von Rubner aufgestellten Verbrennungswerte des Eiweißes repräsentieren diese N-Mengen einen Verbrennungswert von 149,1 bzw. 144,2 Wärmeeinheiten. Diese bedingen aber eine Arbeitsleistung von 63378 (Fick) bzw. 61280kgm (Wislicenus). Die von denselben tatsächlich ausgeführte nützliche Arbeit bestand darin, den eigenen Körper 1956 m hoch zu erheben. Fick wog 66 und Wislicenus 76kg; die betreffende Arbeit betrug also 129096. bzw. 148656kgm. Die auf Kosten des zersetzten Ei- weißes ausgeführte Arbeit wäre also höchstens die Hälfte der tatsächlich ausgeführten. !) Vierteljahrsschr. d. Züricher naturf. Ges. 10 (1865); Fick, Gesammelte Schriften 2, 85. Der Stoffwechsel bei Muskelarbeit. . 445 Und sogar nicht soviel; denn wir müssen noch die Arbeit des Herzens und der Atemmuskeln, die Arbeit derjenigen Muskeln, welche den Körper in aufrechter Stellung erhalten, sowie die Arbeit, welche zur Erhebung des’Schwerpunktes des Kör- pers bei jedem Schritt auch auf. einer ganz ebenen Oberfläche nötig ist, hinzufügen. Man könnte sich vorstellen, daß die der Arbeit entsprechende N-Menge nicht am Arbeitstage selbst, sondern später vom Körper abgegeben würde. Diese Annahme, welche schon Liebig!) aussprach, ist von Argutinsky”?) und Krummacher‘) an der Hand einiger Selbstversuche geprüft worden. Als Arbeitsleistung wurde Gehen bergauf gewählt, und zwar betrug die Steigarbeit allein für sich bei Argu- tinsky 75000 bis 115000 kgm. Infolge dieser Arbeit zeigte sich nun eine be- deutende Steigerung der N-Abgabe im Harn, die mindestens 3 Tage lang andauerte. Auch wenn er amı Arbeitstage extra eine Zuckermenge genoß, welche seiner An- nahme nach zur Leistung einer fast doppelt so großen Arbeit theoretisch genügen würde, wurde die Steigerung der N-Abgabe dennoch nicht unterdrückt, obgleich wesentlich herabgesetzt. Nach Argutinskys Berechnung würde diese Mehrzer- setzung von Eiweiß imstande gewesen sein, gegen 75 bis 100 Proz. der Steigarbeit zu erklären. Dabei sind aber die Arbeitsleistungen beim Gehen auf einer ebenen Ober- fläche und bergab, sowie die Mehrarbeit des Herzens usw. nicht berücksichtigt worden. Schon daraus folgt, daß diese Versuche lange nicht beweisen, daß die Muskel- arbeit ausschließlich auf Kosten des Eiweißes stattfindet. Es kommt aber, wie I. Munk‘) bemerkte, noch hinzu, daß die von Argutinsky genossene Kost im Maximum (bei der Extrazugabe von Zucker) nur etwa 30 Kal. und sonst nur 18,2 bis 23,0 Kal. pro Körperkilo enthielt. Diese Kost genügte sogar während der Ruhe- tage nicht; auch war Argutinsky nie im N-Gleichgewicht und mußte also so- wohl bei Ruhe als bei Arbeit an seinem eigenen Körper zehren. Unter solchen Umständen liegt nichts Sonderbares darin, daß bei den durch die Arbeit gestellten größeren Ansprüchen auch das Eiweiß in größerer Menge angegriffen wurde. Die nach demselben Plane ausgeführten Versuche von Krummacher leiden an demselben Fehler, denn die tägliche Kost enthielt nur etwa 26 Kal. pro Körper- kilo. Auch war Krummacher während der ganzen Dauer des Versuches keinen einzigen Tag im N-Gleichgewicht. Gegen die betreffende Ansicht sprechen ferner die Erfahrungen am Hungerer Sucei ganz entschieden. Während des 12. Tages seines Fastens führte er ver- hältnismäßig schwere Arbeitsleistungen aus (vgl. 8. 377). Die N-Abgabe im Harn betrug am 11. Tage (während desselben lag Succi den ganzen Tag im Bett) 7,888 g; am 12. Tage (Arbeit) 7,162 und an den drei folgenden Tagen bzw. 3,509, 5,336, 5,142 g. Also konnte weder am Arbeitstage, noch während drei folgender Ruhetage irgend welche Steigerung der N-Abgabe beobachtet werden. Auch neue Versuche von Krummacher’) ergaben dasselbe. Ein kräftiger Arbeiter ‘bekam täglich 14,3g N, 175g Fett und 903 g Kohle- hydrate —= 72Kal. pro Körperkilo. Während drei Ruhetagen schied er im Harn und Kot 13,5g N aus; dann jolgte ein Arbeitstag, während dessen eine äußere Arbeit von 402000 kgm geleistet wurde. Dabei betrug die gesamte N-Abgabe 14,1 g, sowie an den zwei nächstfolgenden Ruhetagen 13,7 bzw. 13,5g. Die ganze Steigerung be- trägt also kein Gramm Stickstoff. Auch wenn wir annehmen, daß der gesamte Eiweißumsatz am Arbeitstage, sowie das Plus am folgenden Tage zur Arbeitsleistung verwendet worden wäre, so würde dies nur etwa 373 Kal. entsprechen, während der kalorische Wert der tatsächlich geleisteten Arbeit 945 Kal. beträgt. Als weiteres Beispiel dafür, daß die körperliche Arbeit nicht mit Notwendig- keit eine Zunahme der Eiweißzersetzung erfordert, seien noch die ausführlichen Untersuchungen von Wait‘) erwähnt. In einer ersten Reihe waren die Versuche !) Sitzungsber. d. bayer. Akad. d. Wiss. 2, 443, 1869. — ?) Arch. f. d. ges. Physiol. 46, 552, 1890. — *) Ebenda 47, 454, 1890; vgl. auch Dunlop, Paton, Stockman und Maccadam, Journ. of Physiol. 22, 68, 1897. — *) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1890, 8. 557; vgl. auch Hirschfeld, Arch. f. pathol. Anat. 121, 501, 1890. — °) Zeitschr. f. Biol. 33, 108, 1896; vgl. auch Oppenheim, Arch. f. d. ges. Physiol. 23, 484, 1880.— °) U. S. Depart. of Agricult, Off. of exp. Stat., Bull. No. 89 (1901); No. 117 (1902). 446 Der Stoffwechsel bei Muskelarbeit. in der Weise angeordnet, daß nach einer Ruheperiode von 2 bis 3 Tagen eine Arbeits- periode von 2 bis 4 Tagen folgte, während welcher die Kalorienzufuhr auch ge- steigert wurde. In der Regel wurde durch die Muskelarbeit keine erwähnenswerte Steigerung der N-Abgabe hier bemerkt, obgleich die N-Zufuhr bei den Arbeits- perioden größer als bei den Ruheperioden war. In einer zweiten Reihe wurde die N-Zufuhr konstant erhalten und während der Arbeitsperioden, welche 6 Tage lang dauerten, nur die Fett- und Kohlehydratgaben erhöht. Bei allen diesen Versuchen, mit nur einer einzigen Ausnahme, war die N-Abgabe während der Arbeitsperioden geringer als während der Ruheperioden. Man könnte sich indes denken, daß dies durch das Vermögen der N-freien Nahrungsstoffe, Eiweiß zu ersparen, bedingt wäre. Daher stellte Wait nun noch einige Versuchsreihen an. Wenn die Versuchsperson während der Ruheperioden dieselbe reichliche Kost als während der Arbeitsperioden bekam, so betrug in drei Versuchen die durchschnittliche N-Abgabe bei Ruhe bzw. 19,3, 15,2, 17,0, bei Arbeit bzw. 19,6, 15,8, 17,8. Wenn in den zu vergleichenden Versuchen die Kost dieselbe war und für die Ruhetage vollständig genügte, für die Arbeitstage aber etwas zu knapp war, so betrug die N-Abgabe in drei Versuchen bei Ruhe bzw. 18,4, 14,7, 15,7, bei Arbeit bzw. 17,2, 14,5, 16,2. “ Frentzel') fütterte einen Hund mit nur 150g Fett. Die N-Abgabe im Harn betrug bei Ruhe 6,11g pro Tag. Nun folgten 2 Arbeitstage, während welcher das Tier insgesamt eine Arbeit von 200 974 kgm leistete. Die N-Abgabe war am 1. Tage 7,29, am 2. 6,06, Summe 13,35 = 347 Kal. = 147000 kgm. Die ganze Verbrennungs- wärme des zersetzten Eiweißes reichte also nicht aus, um mehr als etwa 73 Proz. der äußeren Arbeit zu decken. Zu bemerken ist, daß die N-Abgabe am folgenden Tage nicht größer war als während der früheren Ruhetage, 6,21 g. — Ein hungerndes Tier schied während 2 Ruhetagen durchschnittlich 3,85g N, während 3 Arbeitstagen bzw. 4,97, 5,02, 5,63, in Summa 15,62 g N, sowie während des danach folgenden Hungertages noch 5,08g N aus. Im Hungerharn entsprechen 15,62 g N nach Rubner 389,5 Kal. = 165540 kgm. Die vom Tiere tatsächlich geleistete äußere Arbeit betrug 217000 kgm. Endlich läßt sich aus der bei Muskelarbeit stattfindenden Zunahme des Gas- wechsels, wenn auch indirekt, nachweisen, daß dieselbe in der Regel nicht auf Kosten des Eiweißes geleistet wird. Das Eiweiß enthält auf 1g N 3,28g C; im Harn findet sich pro 1g N 0,72g C (siehe 8.346). Also muß für jedes Gramm N, welches im Harn ausgeschieden wird, 3,28 — 0,72 = 2,56g C durch die Respira- tion abgegeben werden. Wenn also die Muskelarbeit auf Kosten des Eiweißes statt- findet, so erhält man die entsprechende N-Menge durch Division der in der Respiration abgegebenen C-Menge durch 2,56. In einem Versuche am Menschen betrug die durch einstündiges Klettern bewirkte Zunahme der CO,-Abgabe 104g — 284g 0 = 11,1g N = 688g Eiweiß. Wenn das Eiweiß die ausschließliche Quelle der Muskelarbeit darstellen würde, so hätte der Eiweißzerfall während dieser einstündigen Arbeit um 68,8g zugenommen — was aber wider alle unsere Erfahrungen streitet”). Aus diesen Beobachtungen folgt also, daß die Muskelarbeit ohne ver- mehrte Eiweißzersetzung ausgeführt werden kann. Doch dürfen wir daraus nicht den Schluß ziehen, daß nicht auch das Eiweiß als Quelle der Muskel- arbeit dienen kann. Wenn dem Körper keine genügende Menge von N-freien Nahrungsstoffen zur Verfügung steht, greift er, wie schon aus den oben mit- geteilten Versuchen von Argutinsky und Krummacher hervorgeht, zu dem Eiweiß, und in einem extremen Falle wird er seine Muskelleistungen aus- schließlich auf Kosten des Eiweißes ausführen können ). Einen solchen Fall hat Pflüger*) experimentell realisiert. Er fütterte einen großen, sehr mageren Hund von etwa 30 kg Körpergewicht monatelang mit Fleisch der ausgesuchtesten Art, dessen Gehalt an Fett und Kohlehydraten so gering als !) Arch. f. d. ges. Physiol. 68, 212, 1897; vgl. auch Caspari, ebenda 83, 509, 1901. — ?) Vgl. Skand. Arch. f. Physiol. 6, 181, 1895. — °) Voit, 8. 199. — *) Arch. f. d. ges. Physiol. 50, 98, 1891; 96, 333, 1903. a ME EV ER, TE | r | | | | | Der Stoffwechsel bei Muskelarbeit. 447 möglich war. Die Arbeitsperioden dauerten stets eine Reihe von Tagen, und zwar ohne daß jemals ein Ruhetag eingeschaltet wurde. Die Arbeit bestand in zwei- bis dreistündigem Ziehen eines schweren Wagens über eine Strecke von 13,613 km, wo- bei eine graphische Vorrichtung eine genaue Messung der Zugarbeit gestattete. In einer ersten Versuchsreihe vom 27. Juli bis 31. August betrug die Arbeit während 22 Tagen 109608kgm pro Tag, während 13 Tagen 73072 kgm. In der zweiten Reihe, vom 20. Oktober bis zum 30. November, leistete das Tier während 9 Tagen 109 608 kgm, während 15 Tagen 73072kgm und während 17 Tagen 59117 kgm. Die Versuche sind in folgender Tabelle konzentriert wiedergegeben: Körper- Aufnahme pro Tag N: 1 gewicht im Harn 2 | Tag |am Anfange N Fett Kohle- | und Kot Anmerkungen & der Periode hydrat | pro Tag kg 5 g g g Erste Reihe: 1 1— 4 29,65 62,0 12,8 iR 61,5 Ruhe 2 5s—ı11 29,40 62,0 12,8 1,1 65,2 109 608 kgm pro Tag 3 || 12 28,75 62,0.| 19,8 1,1 64,4 th... WU PR EAN 4 | 13—27 28,63 67,2 12,9 1,8 69,1 109 608 „ 5 ” 5 | 28—39 28,10 69,7 | 11,6 1,6 69,4 iS ra A are 6 | 40—50 28,45 69,7 | 121 8,5 66,3 Ruhe Zweite Reihe: 7| 1-9 30,60 684 | 7,6 | 16,3 67,7 Ruhe -8 || 10—24 30,40 68,4 7,6 16,3 69,9 73072 kgm pro Tag 9 25—29 | 29,45 68,4 7,6 | 16,3 69,8 .ı Een 10 | 30—46 28,95 68,8 | 84 | 12,2 69,0 TE ER 11 || 47—50 28,60 74,5 9,9 81 75,6 109 608 „ We 12 | 51-59 28,50 63,2 8,4 6,9 62,7 Ruhe Die größte mittlere Zufuhr von N-freien Nahrungsstoffen während der Arbeits- perioden finden wir in Reihe 1, Tag 13 bis 27 mit 12,9g Fett und 1,8g Kohle- hydraten und in der Reihe 2, Tag 10 bis 29 mit 7,6g Fett und 16,3g Kohle- hydraten. Die Verbrennungswärme ist bzw. 129 und 139 Kal. = 55 000 bzw. 59000 kgm. Die im Futter enthaltenen N-freien Nahrungsstoffe genügten also bei weitem nicht für die tatsächliche Arbeitsleistung des Tieres. Damit erledigt sich auch die Ansicht von Chauveau!), daß das Eiweiß bei der Muskelarbeit nie in Anspruch genommen würde?). Wenn wir die in der vorstehenden Tabelle enthaltenen Angaben näher durch- mustern, finden wir, daß der Unterschied der N-Abgabe in den Ruhe- und den Arbeitsperioden nur verhältnismäßig gering ist. Für alle Ruheperioden beträgt die N-Abgabe durchschnittlich 64,5g, für die Periode mit 59117 kgm Arbeit 69,0 g, für diejenigen mit 73072kgm Arbeit 67,9g und für diejenigen mit 109608 kgm Arbeit 67,4g. Nach einem Verbrennungswerte von rund 26 Kal. pro 1g N ent- spricht der größten Differenz der Durchschnittszahlen, 4,5g N, 117 Kal. —= 49725 kgm, reicht also sogar für die geringste äußere Arbeit, 59 117 kgm, nicht aus, selbst wenn wir voraussetzen, daß die gesamte freigemachte Energie ohne Verlust zu körper- licher Arbeit verwendet worden ist. Auch wenn wir die nacheinander folgenden Ruhe- und Arbeitsperioden untereinander vergleichen, stellt sich in der Regel keine größere Differenz dar: Periode 1 und 2: 3,7g; Periode 5 und 6: 3,1g; Periode 7 und 8: 2,2g. Nur die Perioden 11 und 12 geben eine größere Differenz: 12,9g N = 335 Kal. = 142375 kgm. !) Compt. rend. de l’Acad. des sciences (Paris) 122, 429, 504, 1896. — °) Vgl. auch die Kritik Munks, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1896, S. 372. 448 Der Stoffwechsel bei Muskelarbeit. Wenn wir nun ferner bedenken, daß zu der äußeren Arbeit noch die Mehr- arbeit des Herzens und der Respirationsmuskeln usw. hinzukommt, sowie daß der bei der körperlichen’ Arbeit stattfindende vermehrte Umsatz, soviel sich die Sache jetzt beurteilen läßt (vgl. unten), wenigstens dreimal größer ist als die der Arbeit an sich entsprechende Wärmemenge, daß also einer äußeren Arbeit von 109608 kgm ein Mehrverbrauch von 773 Kal. — etwa 30g N entspricht, so können wir, auch wenn wir die gleichzeitig aufgenommenen N-freien Nahrungsstoffe ihrem vollen Verbrennungswerte nach in Betracht ziehen, nicht die Annahme vermeiden, daß bei (fast) ausschließlicher, zur Er- haltung des Körpers völlig genügender Eiweißzufuhr die Eiweißzersetzung durch die körperliche Arbeit in einem nur sehr geringen Grade beeinflußt wird. Da wir nun wissen, wie der Körper auch ohne Muskelbewegungen die größten in der Kost zugeführten Eiweißmengen zersetzt, so dürfte aus den vorliegenden Erfahrungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ge- schlossen werden können, daß er die Eiweißmenge, die sonst ganz unnütz verbrennt, bei der Muskeltätigkeit als Kraftquelle verwendet. Ein analoges Verhalten findet übrigens auch bei der Wärmeregulation statt, wovon näher im folgenden Kapitel die Rede sein wird. Da das Eiweiß in der Regel nicht in vermehrter Menge bei der Muskel- arbeit zerfällt, müssen die N-freien Nahrungstoffe, wenn sie in genügender Menge vorhanden sind, dabei als Kraftquelle dienen. Diese Folgerung wird durch die sehr zahlreichen Untersuchungen über die Veränderungen des respiratorischen Gaswechsels bei körperlicher Arbeit unzweideutig bewiesen. : Beispiele davon haben wir in den Bilanzversuchen von Pettenkofer und Voit!), in vielen, besonders aus dem Laboratorium von Zuntz hervor- gegangenen Arbeiten über den respiratorischen Gaswechsel, über welche ich unten näher berichten werde, sowie in den kalorimetrischen Untersuchungen von Atwater und seinen Mitarbeitern ?). Aus den letzteren seien hier als Belege einige Angaben zusammengestellt, welche außerdem in einer überaus durchsichtigen Weise die Tatsache bestätigen, daß das Eiweiß bei genügendem Zugang an N-freien Nahrungsstoffen bei der Muskel- arbeit nicht verbraucht wird. | | | 2 Wärme- Wärmemenge Gesamier Versuchs- | äquivalent der aus zersetztem Stoffwechsel | nummer Muskelarbeit | Eiweiß | Kal. | Kal. Kal 35 | Sr 403 2270 37 506 446 | 4764 40 518 446 | 5223 44 | 571 440 | 5199 Kohlehydrat- 47 | 562 418 | 5248 Diät 49 | 515 457 5245 53 | 987 392 5178 Mittel... . | 543 434 | 5137 !) Zeitschr. f. Biol. 2, 459, 1866. — ?) U. 8. Depart. of Agrieult., Off. of exp. Stations, Bull. No. 136, p. 182, 1903. . Der Stoffwechsel bei Muskelarbeit. 449 Wärme- Wärmemenge | Versuchs- | äquivalent der | aus Pre | ei) nummer | Muskelarbeit . Eiweiß | Kal. Kal. | Kal. 38 | 495 552 4477 #4 522 543 5242 43 | 548 505 5205 45 577 426 5162 # 46 551 510 5248 Bott-Diät 48 | 550 462 5218 52 | 607 433 5277 54 | 595 "450 5215 Mittel .. . | 550 489 5106 | Alle diese Versuche sind an einem und demselben Individuum ausgeführt. Bei Ruhe betrug der Stoffwechsel 2270 Kal., davon etwa 400 aus Eiweiß. Bei einer äußeren Arbeit, welche durchschnittlich etwa 550 Kal. entsprach, stieg der Stoff- wechsel im Mittel auf etwa 5100 Kal., davon aus Eiweiß bzw. 434 und 489 Kal. Nur in zwei Versuchen (Nr. 38 und 41) ist der kalorische Wert der strengen Arbeit (über 200000 kgm pro. Tag) etwas geringer als der des zersetzten Eiweißes, in allen ‚übrigen findet das entgegengesetzte Verhalten statt. Die bedeutende Steigerung des Gesamtstoffwechsels ist also von einer beträchtlichen Mehrzersetzung der N-freien Nahrungsstoffe bedingt. Auch kann man die Einwirkung der Arbeit auf die Zersetzung der N-freien Nahrungsstoffe in der Weise demonstrieren, daß man in bestimmten Perioden Arbeit und Ruhe wechseln läßt und dabei den respiratorischen Gas- wechsel bestimmt. Wir finden dann, wie die CO,-Abgabe sogleich mit dem Beginne der Arbeit anfängt anzusteigen und wie sie im Laufe derselben so hohe Werte erreicht, daß sie unmöglich durch den gleichzeitigen Eiweißzerfall erklärt werden können (vgl. S.446), wie z. B.): | CO, pro Stunde Nr. | Zunahme | Zunahme Baba beim Gehen | beim Klettern g g | g 1 27 40 104 -g 22 39 72 3 | 34 15 59 E | 33 21 53 5 36 28 50 6 | 30 | 45 84 1.3 34 41 84 8 | 37 13 80 l Von verschiedenen Autoren wird die Ansicht vertreten, daß bei der Arbeit nur Kohlehydrate verwendet werden sollten. Daß dieser Satz in seiner Allgemeinheit nicht richtig sein kann, folgt schon daraus, daß auch das Ei- weiß eine Quelle der Muskelkraft darstellt. Man könnte sich aber vorstellen, }) Skand. Arch. f. Physiol. 6, 80, 1895. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 29 450 Der Stoffwechsel bei Muskelarbeit. , daß unter den N-freien Nahrungsstoffen allein die Kohlehydrate zu diesem Zwecke befähigt wären, und daß das Fett erst nach Verwandlung in Kohle- hydrat vom Muskel benutzt werden würde. Die zum Beweise dieser Auf- fassung herbeigezogene Tatsache, daß das Muskelglykogen bei der Arbeit verschwindet, zeigt nur, daß dasselbe dabei verbraucht wird, nicht aber, daß es die einzige Quelle der Muskelarbeit darstellt, und daß das Fett, um vom Muskel verwertet zu werden, erst in ein Kohlehydrat übergehen müßte. In der letzten Zeit ist diese Ansicht vor allem von Chauveau!) ver- treten worden, und zwar würde bei dieser Verwandlung der Fette ihr gesamter Wasserstoff in das Zuckermolekül übergehen, so viel Sauerstoff, wie nötig, aufgenommen und der überschüssige Kohlenstoff als CO, abgegeben werden. Die Reaktion würde also nach folgendem Schema erfolgen (Zuntz): 100 Fett = 76,5C + 11,9H + 11,60 = 942,3 Kal. 180,3g Zucker = 72,120 + 11,9H + 96,10 = 665,0 Kal. Von den 942,3 Kal. des Fettes würden also für die Muskeltätigkeit 277,3 — 29,4 Proz. verloren gehen; auch müßte bei diesem Vorgang der respiratorische Quotient stark herabsinken (Zuntz?). Etwas derartiges konnte indes Zuntz bei Versuchen, wo er vorwiegend Eiweiß oder Fett oder Kohlehydrate fütterte, nicht konstatieren. Es fanden sich nämlich für 1m Weg beim starken Bergaufsteigen beim Hunde folgende kalorische Werte, deren Berechnungsweise unten näher dargestellt werden wird: Besp. Kal. Mittel | Quotient 1. Ausschließliche Eiweißernährung.. . . 0,78 2,58 2,58 2. Vorwiegend Fettzersetzung. . - . . - 0,74 2,43 3. Vorwiegend Fettzersetzung (Kohlehy- 2,57 drate durch Phlorhizin möglichst vollständig beseitigt) - . » »... 0,71 2,71 4. Viel Zucker beim eiweißreichgenährten \ BHBrO er ee RE 0,83 2,58 2,61 5. Viel Zucker bei eiweißarmer Kost . . 0,88 2,63 J Wie ersichtlich sind die Zahlen des letzten Stabes fast absolut gleich. Wenn Chauveaus Auffassung richtig wäre, hätte der Energieverbrauch, falls er 2,61 Kal. bei Kohlehydratfütterung betragen hätte, bei ausschließ- licher Fettzersetzung um 29,4 Proz., d. h. auf 3,38 Kal. ansteigen sollen. Ein soleher Unterschied liegt doch außer der Größe der Beobachtungsfehler bei diesen Versuchen. Auch die oben zitierten Versuche von Atwater und Benedict sprechen ganz bestimmt gegen diese Ansicht, denn wenn sie richtig wäre, so könnte es doch nicht zutreffen, daß die Gesamtwärmeabgabe bei strenger Arbeit genau dieselbe wäre, gleichgültig ob die Kost vorwiegend Fett oder vor- wiegend Kohlehydrate enthält. !) Compt. rend. de l’Acad. des sciences 122, 58, 113, 429, 504, 1098, 1163, 1169, 1244, 1303; 123, 151, 283, 1896; 125, 1070, 1897; 126, 795, 1072, 1118, 1898. — 2) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1896, 8. 358, 538; 1898, 8. 267. Vgl. auch Frentzel und Loeb, ebenda 1894, 8. 541. > Der Stoffwechsel bei Muskelarbeit. 451 Die Muskeln können also ihre Leistungen auf Kosten aller drei Haupt- gruppen. der organischen Nahrungsstoffe ausführen, ziehen aber hierbei die N-freien vor und benutzen unter diesen, wie es scheint, in erster Linie die Kohlehydrate. Je nach der Art der Nahrung wird daher die eine oder andere Gruppe hauptsächlich angegriffen; die spezifischen Fleischfresser leisten ihre Muskelarbeit auf Kosten des Eiweißes und des Fettes, die Pflanzen- fresser, wie vor allem unsere landwirtschaftlichen Nutztiere, auf Kosten der Kohlehydrate. Letzteres dürfte angesichts der großen Menge der vom Menschen genossenen Kohlehydrate auch bei ihm wesentlich der Fall sein 1). $ 2. Die Verwertung der Energie bei der Muskelarbeit. Sowohl für die Physiologie des Stoffwechsels als für die des Muskels an sich ist es von hervorragender Bedeutung, festzustellen, ein wie großer Teil des bei der Muskeltätigkeit vermehrten Stoffumsatzes als äußere Arbeit erscheint. Die am Frosch unter Anwendung thermoelektrischer Methoden direkt ermittelte Wärmetönung bei der Muskelarbeit kann hier nicht besprochen werden, da dieselbe in einer anderen Abteilung dieses Handbuches erörtert werden soll. Ich beschränke mich daher auf die Stoffwechseluntersuchungen, welche an warmblütigen Tieren ausgeführt worden sind. Die hierher gehörigen Bestimmungen sind zum großen Teil in Zuntz’ Laboratorium an verschiedenen Tiergattungen unter Anwendung der Re- spirationsmaske ausgeführt und gründen sich also nur auf Versuche von verhältnismäßig kurzer Dauer. Über die bei denselben sonst benutzte Technik vergleiche die unten zitierte Arbeit ?). In der folgenden Tabelle sind einige am nüchternen Hunde gemachte Beobachtungen über den Gaswechsel bei verschiedener Arbeit zusammen- gestellt (Zuntz). Alle Zahlen beziehen sich auf 1 Minute. O-Ver- 00,- Resp. Zustand des Tieres brauch | Abgabe : Quotient ccm ccm | 1. Ruhe, liegend ... 174,3 124,7 0,71 2. Ruhe, stehend . . . 245,6 170,2 0,69 3. Gang auf fast hori- Pro Min. 78,566m Weg, zuntalem Boden . . 725,3 525,2 0,73 13,23 kgm Steigarbeit. 4. Gang bergauf ... 1285,3 990,6 0,77 Pro Min. 79,497 m Weg, - 365,82 kgm Steigarbeit 5. Zugarbeit ..... 1028,8 798,9 0,77 Pro Min. 70,42m Weg, 22,83 kgm Steigarbeit, 202,91 kgm Zugarbeit Y) In der letzten Zeit hat auch Pflüger (Arch. f. d. ges. Physiol. 96,.332, 1903) seinen ursprünglichen Standpunkt verlassen und und gibt nunmehr, auf Grund der Arbeiten von Zuntz und seinen Schülern, zu, daß die mittelbare Quelle der Muskelkraft sowohl im Eiweiß wie im Fett und Kohlehydrat liegen kann, und daß die Art der Ernährung also den Stoff bestimmt, der bei Muskelarbeit verbraucht wird. Indes hält er noch immer daran fest, daß jede Muskelarbeit, trotz über- reicher Ernährung‘ mit Fett, eine Steigerung der N-Ausscheidung bedingt. — 2) Lehmann und Zuntz, Landwirtschaftl. Jahrbücher 18, 7, 1889. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 68, 191, 1897. 29* 452 Der Nutzeffekt bei der Muskelarbeit. Wenn wir von Nr. 3 und 4 den Ruhewert (Nr. 1) abziehen, so erhalten wir die der Arbeit entsprechende Zunahme des Gaswechsels: 551,0cem OÖ und 400,5cem CO,, bzw. 1111,0ccm O und 865,9cem CO,. Die geleistete Arbeit bestand aus 1. der horizontalen Fortbewegung des Tieres und 2. der reinen Steigarbeit. Um den Gaswechsel, welcher jedem dieser Faktoren ent- spricht, feststellen zu können, berechnet Zuntz in erster Linie den Gas- wechsel und die Arbeit, bezogen auf 1kg Körpergewicht und 1m Weg: 3. 0,006 252 kgm Steigarbeit; 0,260 40 ccm O;'0,189 27 ccm 00, 4. 0,172 512 kgm Steigarbeit; ‘0,523 93 cem O; 0,40835 cem C0,. Wenn nun der O-Verbrauch für die Horizontalbewegung von 1kg um Im ==/%, der- Tor Leistung von ikgm Arbeit durch Heben des Körpers = y gesetzt wird, so erhalten wir zur Berechnung von x und y folgende Slsiehungen: x + 0,172512y = 0,523 93 x + 0,006 252, — 0,260 40 Daraus ergibt sich x, die für die Horizontalbewegung von 1kg Körpergewicht um: im nötige O-Menge = 0,25049ccem, y, die zur Leistung von 1 Ken äußere Arbeit nötige O-Menge = 1,585 ccm. ; Für die CO,-Abgabe sind: die entsprechenden Mengen, x, und y, x, = 0,181 03ccm Y, = 1,3178 .cem. . Für die ‘Zugarbeit berechnet Zuntz den O-Verbrauch pro Kilogrammeter in der Weise, daß er von dem sub 5 aufgenommenen Werte den Ruhewert (Nr. 1) abzieht; der Rest bezieht sich auf die Zugarbeit allein = 854,4cem O und 674,2ccm CO,. Nach den soeben berechneten Zahlen hatte die Horizontalbewegung und die Steigarbeit zusammen 515,55 cem O verbraucht. Also bleiben für 202,91 kgm Zugarbeit 338,95ccm O, d.h. für TERM 1,6704 cem 0: Für die C0,-Abgabe erhalten wir 1,467 ccm. i Nun entspricht nach make 1 Liter O bei Fettverbrennung eine Wärmemenge von 4,686 Kal. und bei Stärkeverbrennung 5,047 Kal. Im ersten Falle ist der respiratorische Quotient 0,707, im zweiten 1,000. Solange nur Fett und Kohlehydrate in Betracht kommen, nimmt also die einem Liter 'verbrauchtem Sauerstöff ent- sprechende Energiemenge für einen Zuwachs des respiratorischen Quotienten um "0,293 mit 0,361 Kal., d. h. pro einen Zuwachs um 0,01 mit 0,0123 Kal. zu. Der kalorische Wert von 1Liter bei Eiweißzersetzung verbrauchtem Sauerstoff ist endlich nach Zuntz 4,476 Kal. Bei der Umrechnung des Sauerstoffverbrauches in kalorisches Maß erhält man also einen Maximalwert, wenn man nur Fett und Glykogen als Kraftquellen des Muskels in Betracht zieht, einen Minimalwert, wenn man Eiweiß und Fett als die verbrennenden Substanzen betrachtet. Unter beiden Annahmen und unter Berücksichtigung des respiratorischen_Quotienten be- rechnet Zuntz den Energieverbrauch für verschiedene Formen von Muskel- arbeit beim Hunde und kommt dabei zu folgendem Resultat: Nr. 1 Zur Fortbewegung von 1 ui um im auf hori- . zontaler Bahn 0,001 1787 | 0,001 164 5 | | | 2 Zur Leistung von ikgm Arbeit durch rer | aufsteigen 0,008 180 0,007 130 0,007 668 1 0,006 950 3 Zur Leistung von 1kgm Zugarbeit . ı Der Nutzeffekt bei der Muskelarbeit. 453 Da aber das Eiweiß bei nüchternen Tieren nur einen geringen Anteil an der durch die Arbeit bewirkten Steigerung des Stoffwechsels hat, ist es sehr wahrscheinlich, daß die höheren Zahlen die richtigeren sind. Das Wärmeäquivalent von 1kgm ist gleich 0,002 353 Kal. Aus den sub 2 und 3 aufgenommenen Zahlen folgt daher, daß die Zunahme der Ver- brennung bei Bergaufsteigen 3,26, bei Zugarbeit 3,48 mal größer ist als die tatsächlich ausgeführte äußere Arbeit — also tritt rund etwas weniger als ein Drittel der aufgewandten chemischen Energie als äußere Arbeit hervor, der Rest wird in Wärme umgesetzt. (Vgl. auch die oben S. 450 mitgeteilten Angaben über den Mehrumsatz bei Arbeit und verschiedener Fütterung.) Für das Pferd haben Zuntz und Hagemann !) folgende Zahlen gefunden: Nr. Kalorien 1 E j 1 | Zur Fortbewegung von Ikg um im auf hori- ji | zontaler' Bahn... ee ee ae 0,000 348 bis 0,000 432 2 | Zur Leistung von Ikgm Arbeit durch Bergauf- >. ben - ea 1 ER er ah Aa 0,005 44 bis 0,007 17 2 | Zur Leistung von 1kgm Zugarbeit .ı .... | BU PIT AR, Entsprechende Untersuchungen am Menschen sind seit Lavoisier von Voit?2), Speck), Hanriot und Richet®), Katzenstein°), Sonden und Tigerstedt®), Zuntz und Schumburg?), Heineman°), Frentzel und Reach°) u. a. ausgeführt worden !P). Unter diesen werde ich nur einige besonders besprechen und verweise in bezug auf die übrigen auf die Original- abhandlungen. Die Arbeit bestand teils im Gehen bergauf, teils in Heben von Gewichten oder in Drehen an geeigneten Apparaten. Versuche mit Heben von Ge- wichten leiden oft an dem Übelstand, daß das gehobene Gewicht von der Versuchsperson selber wieder herabgesenkt wird. Zu der positiven Arbeit der Hebung kommt daher auch die bei der Senkung stattfindende Muskel- tätigkeit, welche jedenfalls einen Aufwand von Energie beansprucht, aber doch nicht gleich der entsprechenden positiven Arbeit gesetzt werden darf (vgl. unten S.457). Dasselbe gilt auch vom Gehen bergauf, wenn es vom Gehen bergab begleitet wird. Zur Feststellung einer bestimmten Verhältnis- zahl zwischen Arbeit und Energieentwickelung können also nur solche Ver- suche benutzt werden, wo ausschließlich positive Arbeit geleistet worden ist, d. h. Gehen bergauf ohne Hinabsteigen, Dreharbeit, Heben von Gewichten, welche automatisch oder von einem Gehilfen gesenkt werden. In Katzensteins Versuchen wurde Raddrehen, sowie reines Gehen bergauf als Arbeitsleistungen benutzt. Nach derselben Berechnungsweise wie der oben bei den entsprechenden Versuchen am Hunde benutzten, ergeben !) Landwirtschaftl. Jahrbücher 27, Ergänzungsband 3, 309, 1898. — ?) Voit, S. 202. — °) Speck, Physiologie des menschlichen Atmens. Leipzig 1892. — *) Compt. rend. de l’Acad&mie des sciences 105, 78, 1887. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 49, 330, 1891. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 6, 165, 1895. — 7”) Zuntz und Schumburg, Studien zu einer Physiologie des Marsches. Berlin 1901, 8. 157 bis 309. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 83, 441, 1901. — °) Ebenda 83, 477. — 10) Vgl. auch Zuntz, ebenda 83, 557, 1901; Arch f. (Anat. u.) Physiol. 1897, 8. 535. 454 Der Nutzeffekt bei der Muskelarbeit. diese, daß der Sauerstoffverbrauch für den horizontalen Gang pro Kilo Körper- gewicht und 1m Weg im Maximum 0,1682ccm, im Minimum 0,0858 cem, sowie pro Kilogramm mechanischer Arbeit bei Steigen bergauf im Maximum 1,5036, im Minimum 1,1871cem, und bei Drehen durchschnittlich 1,957 cem beträgt. Der Nutzeffekt war also bei Arbeit mit den unteren Extremitäten wesentlich günstiger als bei Arbeit mit den oberen. Die Resultate Heinemans über den Mehrverbrauch bei Dreharbeit und verschieden zusammengesetzter Kost sind in folgender Tabelle zusammen- gestellt, und zwar, wie aus den Überschriften der verschiedenen Stäbe her- vorgeht, unter verschiedenen Annahmen berechnet: k Pro 1ikgm Kal., wenn angenommen, daß Respira- Hauptnahrung tionsquo- allein N-freie | der Eiweißum- |das Eiweiß sich tient bei | Nahrungsstoffe |satz dem O-Ver-| an der Arbeit der Arbeit verwendet brauch proport.| maximal be- wurden wächst teiligt hat | Fett | 0,724 0,009 39 0,009 35 0,009 27 Kohlehydrate 0,901 0,010 67 001068 | 0,01037 Möglichst viel Ei- | | | weiß .. | 0,796 | 0,011 40 | 0,011 27 | 0,010 64 Fett und Kohlehy- | | | | drate | 0,783 | 0,010 98 | = 0,010 85 Fett und Kohlehy- | | | ärate . u. | 0805 | os | kn 901048 | ı ı Wie ersichtlich, bewirkt die verschiedene Berechnungsweise keinen wesentlichen Unterschied. Eine vollständige Übereinstimmung der Zahlen bei verschiedener Kost hat sich in keiner Reihe erzielen lassen. Wie Zuntz ausführt, ist dieser Umstand aller Wahrscheinlichkeit nach dadurch bedingt, daß die Versuchsperson im Laufe der Versuchsreihe allmählich gelernt hatte, ökonomischer zu arbeiten. Die Versuche mit eiweißreicher Kost sind nämlich früher als die übrigen ausgeführt worden. Über die Energieentwickelung pro Ikgm Steigarbeit gibt endlich fol- gende von Frentzel und Reach zusammengestellte Tabelle Aufschluß; in derselben sind auch die Berechnungen über den Energieverbrauch bei Hori- zontalbewegung aufgenommen: | Kalorien pro | Kalorien a Versuchs- 2 ee Versuchs- |——— | er Fe person Horizontal- person | Horizontal- | bewegung 1kgm bewegung | 1ikgm ikg um im lkgumıim| | | KR; 0,000 786 0,006 72 A.L . 0,000 668 | 0,006 85 pr 0,000 510 0,007 50 J. K \ 0,000779 | 0,006 87 Bi. 0,000 496 0,007 39 L.Z ...| 0000574 | 0,00642 N. Z | 0,000 677 | 0,008 38 N db | 0,000515 | 0,006 46 Dr | 0,000 619 0,008 36 rn | 0,000 706 | 0,006 70 ) | Il Bei der Arbeit mit den oberen Extremitäten betrug der Nutzeffekt in Heinemans Versuchen etwa 22,6 Proz. Als Durchschnitt für den Mehr- Der Nutzeffekt bei der Muskelarbeit. 455 verbrauch bei lkgm Arbeit mit den unteren Extremitäten geht aus den vorstehenden Angaben 0,0072 Kal. hervor. Der Nutzeffekt ist hier 32,6 Proz. Die Arbeit mit den unteren Gliedmaßen scheint also ökonomischer als die mit den oberen stattzufinden. Es ist indes nicht unmöglich, daß dieser Unterschied nur ein scheinbarer ist. Was bei derartigen Versuchen gemessen wird, ist ja die äußere nützliche Arbeit. Diejenigen Muskelleistungen, welche zur Fixation der Glieder, zur verstärkten Atmung und Herztätigkeit usw. nötig sind, werden ihrer Größe nach gar nicht gemessen, der dabei stattfindende Energieverbrauch macht sich aber bei der Be- stimmung des Stoffwechsels unverkürzt geltend. Also ist der Nutzeffekt der bei der Arbeit direkt beteiligten Muskeln ohne Zweifel noch größer, als dies nach den oben mitgeteilten Zahlenangaben erscheint, und es läßt sich wenigstens denken, daß die bei der Arbeit mit den oberen Extremitäten notwendigen Extramuskelleistungen verhältnismäßig größer sind als die bei Arbeit mit den unteren stattfindenden. Bei seinen kalorimetrischen Untersuchungen hat Atwater!) auch die vorliegende Frage beachtet. Folgende Tabelle enthält eine Zusammenstellung seiner hierhergehörigen Beobachtungen. % | | Kalorien pro Tag Lewis - — Kalorisches x tz- Mehr- Äaui- Versuchsperson Mittel Mittel Aqui effekt h zersetzung valent der Ruhe- | der Arbeits- bei FR RESER, er i versuche versuche der Arboh Pros. E. O0. 2279 3892 1613 | 214 13,3 (42 Tage Ruheversuche, | | 12 Tage Arbeitsversuche) | J. F. 8. I 2119 3559 1440 15283 16,2 12 Tage Ruheversuche, | | & I | 18 Tage Arbeitsversuche) | | I.0.W. | 2857 5143 2786 | 546 19,6 (4 Tage Ruheversuche, | 14 Tage Arbeitsversuche) | Die Arbeit bestand darin, mit einem stationären Fahrrad einen elektri- schen Motor zu treiben, dessen Energie in Wärme umgewandelt und so direkt gemessen wurde (vgl. S.365). Der Nutzeffekt ist hier wesentlich geringer als in den früher erwähnten Versuchen vom Zuntzschen Laboratorium. Die Ursache dieser Differenz ist möglicherweise darin zu suchen, daß das Bei- behalten des Gleichgewichtes auf dem Fahrrad in Atwaters Versuchen eine gewisse Muskelanstrengung erfordert hat, welche bei der Messung der ge- leisteten Arbeit nicht zutage getreten ist ?). Über den Stoffwechsel bei verschiedener Art von Muskelleistung muß ich noch folgende von Johansson’), teilweise im Verein mit Koraen ausgeführte Untersuchungen kurz erwähnen‘). !) U. 8. Depart. of Agricult. Office of exp. Stat. Bull. No. 136, 8. 190, 1903. — 2) Über den Einfluß der Geschwindigkeit der Bewegung auf den Energieverbrauch bei der Muskelarbeit vgl.Zuntz, Arch. f. d. ges. Physiol. 95, 192, 1903. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 11, 273, 284, 1901; 13, 229, 1902; 14, 60, 1903. — *) Vgl. auch Speck, Physiologie des menschlichen Atmens, Leipzig 1892, 8. 56, sowie Chau- veau, Compt. rend. de l’Acad&mie des sciences 121, 26, 91, 1895. 456 Der Nutzeffekt bei der Muskelarbeit. Der zu diesen Versuchen benutzte Apparat gestattet allein für sich reine Hebungen und Senkungen eines Gewichtes mit den vorderen Extremitäten auszu- führen, sowie auch dasselbe auf eine bestimmte Höhe zu tragen und endlich die Geschwindigkeit und Dauer der Bewegung innerhalb weiter Grenzen zu variieren. Mit demselben ist es also möglich, die verschiedenartigsten Muskelleistungen näher zu untersuchen. Bei diesen Versuchen konnte freilich nur die 0O,-Abgabe bestimmt werden. Da die Versuche aber alle im nüchternen Zustande ausgeführt wurden und die Ruhewerte außerordentlich konstant waren, sind die dabei beobachteten Variationen ganz sicher als ein zuverlässiger Ausdruck für die relativen Verände- rungen des Stoffwechsels zu bezeichnen. Bei reiner Hebung eines Gewichtes betrug die Mehrabgabe von CO, pro 1kgm äußere Arbeit 0,0053 bis 0,0058 g; wenn die Leistung aber ermüdend war, stieg sie auf 0,0059 bis 0,0069 g an, was zum Teil wenigstens von der Schwierigkeit bedingt war, die Bewegungen dabei ruhig und ohne Beteiligung anderer Muskeln auszuführen. Die CO,-Abgabe nahm während der Dauer der Kontraktion proportional zu, und zwar betrug die Zunahme für je 1 Sekunde längere Dauer der Bewegung pro Kilogramm Belastung 0,00042 bis 0,00050g. Bei größerer Belastung und Hubhöhe, d.h. bei größerer Arbeitsleistung bei jeder Kontraktion stieg diese Zahl auf 0,000 54 bis 0,00067 g. Durch Elimination dieses Einflusses der Kontraktionsdauer findet man die CO,-Abgabe, welche einer momentanen Ausführung der Arbeit von 1 kgm entspricht, gleich 0,0032 bis 0,0042 g. Die Anfangsstellung der Arme, ob sie zu Beginn der Arbeit gestreckt oder schon etwas gebeugt sind, übt wenigstens innerhalb der ersten vier Fünftel des ganzen Bereiches der Bewegung nur einen sehr geringen Einfluß aus, vorausgesetzt, daß die Bewegung schnell genug ausgeführt wird. Bei langsamen Bewegungen macht sich dagegen der Einfluß des Verkürzungsgrades der Muskeln sehr merkbar. Beim Tragen eines Gewichtes, statischer Arbeit, nimmt die CO,-Abgabe bei gleicher Kontraktionsdauer der Belastung proportional zu, und zwar beträgt sie für das Beibehalten einer Kontraktion während 1 Sekunde bei 10 kg Belastung rund 0,001 g. Die Herstellung der Kontraktion beansprucht indes auch eine gewisse Arbeit, welche etwa 0,0038 CO, für 10kg entspricht. Wenn man also die CO,-Abgabe bei ver- schiedenen Versuchen mit derselben absoluten Dauer und mit derselben Gesamtdauer der Kontraktionen vergleicht, so findet man immer eine größere CO,-Abgabe, je größer die Zahl der Kontraktionen und also je kürzer die Dauer der einzelnen Kon- traktionen ist, wie z. B. in folgenden Versuchen von !/, Stunde bei 20 kg Belastung: Zahl der Kontraktionen.. . . . . 900 450 22,5 Dauer jeder Kontraktion . . .. 1" 2 40" 00,-Abgabe :.. 2»... 2 16T hie 10T. 68 0 Bei gleicher Belastung, aber verschiedener Dauer der Kontraktion nimmt die CO,-Abgabe der letzteren proportional zu. Die vom Herstellen der Kontraktion usw. unabhängige CO,-Abgabe pro 1” ist von dem Verkürzungsgrade der betreffenden Muskeln abhängig, und zwar wird sie um so größer, je mehr die betreffenden Muskeln kontrahiert sind, wie z. B. bei einer Belastung von 20,4kg'): Entfernung der | 00,-Abgabe für 1” statische Kontraktion Hände vom er: distalen Ende Versuchsperson J Versuchsperson K des Apparates g g 49 0,0129 0,0115 40 | 0,0083 0,0099 30 | 0,0063 | 0,0053 20 | 0,0044 | 0,0050 10 | 0,0036 | 0,0053 0 | 0,0025 | 0,0017 !) Vgl. hierüber auch Bornstein u. Poher, Arch. f.d. ges. Physiol. 95, 146, 1903. Der Nutzeffekt bei der Muskelarbeit. 457 Wenn die von den Muskeln zu leistende Arbeit darin besteht, ein (automatisch) gehobenes Gewicht allmählich zu senken, was der Kürze halber als negative Arbeit bezeichnet werden mag, so wächst auch hier die C O,-Abgabe proportional der Zahl der Bewegungen und der Zeitdauer der Kontraktion. Für je 1 Sekunde längere Dauer der Bewegung nimmt die CO,-Abgabe (bei 10 kg Belastung) um 0,0017 bis 0,0080g zu. Ein Vergleich mit der CO,-Abgabe bei statischer Arbeit ergibt, daß diese bei der negativen Arbeit nicht größer ist, als daß sie gut auf die stattfindende statische Arbeit bezogen werden kann, wie z. B. pro Sek. und 10 kg: Be- 00, 00, Nr. listeng Höhe Negative Statische Arbeit Arbeit kg em gefunden berechnet 1 | 20... 50 0,0024 0,0028 2 ı 90 50 0,0030 0,0031 a 50 0,0028 . 0,0028 4 weg 0,0026 0,0023 5 30 5.0 0,0028 0,0023 6 20.55 0,0017 0,0016 Hieraus folgt, daß der willkürliche Nachlaß des Kontraktionszustandes keinen merkbaren Aufwand von Energie erfordert, daß also die sonst naheliegende Vor- stellung, nach welcher die Abnahme der Verkürzung mit einem besonderen Prozeß verbunden ist, während gleichzeitig die mit der Erhaltung der Kontraktion im Zu- sammenhang stehenden Prozesse vor sich gehen, nicht richtig sein kann. Folgende Tabelle enthält eine Übersicht über die Zunahme der C0,- Abgabe für je 1 Sekunde länger dauernde Bewegung, bei positiver, negativer und statischer Muskelarbeit: Hebung oder Senkung CO, in 1 Sekunde bei 20kg Belastung — KENN von | bis Positive | Negative era aus den ah : | $ suchen mit statischer oder umgekehrt Arbeit | Arbeit Arbeit | | 0) | 10 | 0,0043 _ 0,0028 0) | 20 | 0,0053 0,0034 0,0032 N) 40 | 0,0092 0,0052 0,0046 0 | 50 0,0099 0,0049 | 0,0057 10 | 20 | 0,0068 A | 0,0037 20 | 30 | 0,0068 — | 0,0051 30 40 | 0,0088 - — | 0,0070 40 | 50 | | 0,0102 0,0121 | _ Die Muskeltätigkeit übt also auf den Stoffumsatz einen sehr großen Ein- fluß aus, und sogar sehr geringe Muskelbewegungen vermögen den Stoff- wechsel in merkbarem Grade zu erhöhen. Sehr deutlich geht diese Tatsache unter anderem aus einigen Beobachtungen von Johansson!) hervor. Seine CO,-Abgabe betrug, wenn er in liegender Stellung nüchtern vorsätzlich die größtmögliche Muskelruhe beobachtete, 21,4g pro Stunde; lag er im Bette ruhig wie gewöhnlich, jedoch ohne diese vollständige Ruhe einzuhalten, war !) Skand. Arch. f. Physiol. 7, 172, 1897. 458 Der Nutzeffekt bei der Muskelarbeıt. die C0,-Abgabe 28,1g — also eine Steigerung von 31,3 Proz. In einer späteren Versuchsreihe von ihm!) betrugen die Zahlen bei vorsätzlicher Muskelruhe 20,7 und bei gewöhnlicher Bettruhe 24,9, d. h. eine Differenz von 20,4 Proz. — Bei einer hysterischen Frau, die 7 Tage lang fast keine Nahrung genossen hatte, wurde am 7. Tage während 233/, Stunden die 00,-Abgabe in zweistündigen Perioden bestimmt. Dabei schlief die Patientin die ganze Zeit hindurch. Dessenungeachtet variierte ihre CO,-Abgabe pro 2 Stunden zwischen 26,8 und 34,0g, d. h. eine Differenz von 27,7 Proz. Die Varia- tionen der C0,-Abgabe verliefen ganz unabhängig von den Temperatur- schwankungen in der Respirationskammer ?). Unter solchen Umständen ist es leicht einzusehen, wie der Stoffwechsel am Tage, auch wenn die Versuchsperson keine eigentliche Arbeit leistet, be- trächtlich größer sein muß als während der Nacht. Auch finden wir in den Versuchen von Pettenkofer und Voit das Verhältnis zwischen der 60,- Abgabe während der Nachthälfte und der Tageshälfte beim gesunden Menschen durchschnittlich wie 100:133 (Grenzwerte: 100:154; 100:107). Während der Nachthälfte schlief aber die Versuchsperson nicht die ganze Zeit, und der Unterschied zwischen dem wachen Zustande und dem Schlaf an sich muß daher noch größer sein. In einer Reihe von 11 Versuchen von Sonden und mir) verhielt sich die CO,-Abgabe im wachen Zustande und im Schlaf durch- schnittlich wie 100:145. Die Grenzwerte waren 100:169 bzw. 100: 132. Als weitere Beispiele davon, wie die Muskelbewegungen und -Spannungen den Stoffwechsel beeinflussen, seien noch folgende Angaben über die im Laufe des Tages beim Hungerer J. A. stattgefundenen Variationen der CO,-Abgabe CO,-Abgabe für 2 Stunden : | : Be Letzter Eßtag 5. Hungertag | VEIEE g | 8 | g s-10V | — | = -- _ | 31 10—12 73 | 10—1 Lesen 48 | 10—12 Ruhe | 32 12— 2N 86 Frühstück um 53 12—2 Schreiben 35 1 :Uhr’N 2— 4 71 1,30—5,30 Lesen, 58 2—3 Lesen 30 | Spazieren 4— 6 ' 85 Mittagessen um 60 | 3—5 Ruhe, 31 | 5,30 N 5—6 Spazieren 6— 8 | 98 | 6—7,30 Ruhe, 56 6—9 Lesen 34 | ı . 7,30—9 Lesen 8—10 ' 78 | Abendbrod um 61 | 9—10 Schreiben 33 | 10 Uhr N 10-12 | 8 — 45 | Schlaf | 33 12— 2V | © Schlaf 35 ” | 28 2— 4 | 60 " 36 | M | 27 4— 6 ' 60 « BB | . | 30 6— 8 | 92 _ 63 | u | 33 !) Skand. Arch. f. Physiol. 8, 108, 1898. — ?) Nordiskt Medieinskt Ark. 30, Nr. 37, 1897. — °?) Skand. Arch. f. Physiol. 6, 148, 1895. re ee u en Der Stoffwechsel bei verschiedener Außentemperatur. 459 hier mitgeteilt!). In der Tabelle auf nebenstehender Seite sind die Zahlen für den letzten Eßtag und den 5. Hungertag, sowie zum Vergleich Angaben über die CO,-Abgabe bei der oben erwähnten jungen Frau, die sich während der ganzen Versuchsdauer in hysterischem Schlaf befand, eingetragen. Während des Eßtages beträgt die Differenz zwischen dem Maximum und Minimum der CO,-Abgabe im wachen Zustande 29 g, d.h. 40,9 Proz. des kleinsten Wertes. Die mittlere Abgabe im wachen Zustande beträgt 83 g; von diesem Mittel weichen die einzelnen Bestimmungen durchschnittlich um 8,9 Proz. ab. Die Grenz- werte sind aber 18,2 und 3,6 Proz. Es ist selbstverständlich, daß diese Variationen zum Teil von den Mahlzeiten bedingt sind. Während des 5. Hungertages begegnen wir aber fast ebenso großen Variationen, welche hier nur von Variationen der Muskeltätigkeit bedingt sein können. Im wachen Zustande ist die Differenz zwischen Maximum und Minimum 15g = 31,2 Proz. des kleinsten Wertes. Die mittlere CO,-Abgabe ist hier 57g; die bei den einzelnen Bestimmungen beobachteten Abweichungen von demselben be- tragen durchschnittlich 7,1 Proz., mit einem Maximum von 15,6. Bei der hysteri- schen Frau ist die Differenz zwischen Maximum und Minimum allerdings 8g, also jedenfalls 29,6 Proz. des Minimums; die mittlere Abweichung der CO,-Abgabe be- trägt indes nur 5,7 Proz. des Mittels und ist also entschieden geringer als bei J. A. im wachen Zustande. Bei der Untersuchung des Einflusses irgend welcher Variabeln auf den Stoffwechsel muß man daher immer, wenn dies nur möglich ist, den Stoff- wechsel bei vorsätzlicher Muskelruhe und in nüchternem Zustande als Grund- lage benutzen. Sechstes Kapitel. Der Stoffwechsel bei verschiedener Außentemperatur. Die frühesten Arbeiten über den Einfluß verschiedener Außentemperatur auf den Gaswechsel, welche mit Crawford (1788), Lavoisier (1789) und Spallanzani (1793) begannen und von Delaroche, Treviranus, Letellier, Vierordt, Lehmann, Moleschott, Liebermeister, Senator u..a. fort- gesetzt wurden 2), ergaben, daß die Veränderungen der umgebenden Temperatur in wesentlich verschiedener Richtung auf die poikilothermen und ‘homoio- thermen Tiere einwirken. Während bei letzteren der Gaswechsel beim Sinken der Außentemperatur in der Regel anstieg und bei Zunahme derselben herab- sank, war er bei den ersteren um so größer, je höher die Temperatur der Umgebung war. In Ludwigs Laboratorium wurde dann von Sanders-Ezn?) nach- gewiesen, daß auch beim Warmblüter eine Abnahme des Gaswechsels bei Ab- nahme der Außentemperatur stattfinden kann, wenn nämlich dabei die Eigen- temperatur des Tieres abnimmt. Das gewöhnliche Verhalten ist also davon abhängig, daß das Tier seine Eigentemperatur einigermaßen konstant erhält. ») Skand. Arch. f. Physiol. 7, 74, 1897; vgl. auch ebenda 6, 117, 1895. — ?) Um Raum zu ersparen, verweise ich betreffs derselben auf die Zusammen- stellungen von Pflüger, Arch. f. d. ges. Physiol. 14, 73, 1877; Voit, Zeitschr. f. Biol. 14, 57, 1878; Voit, 8. 211; Johansson, Skand. Arch. f. Physiol. 7, 123, 1897. — ®) Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. Kl., 1867, S. 58; vgl. Pflüger, Arch. f. d. ges. Physiol. 12, 283, 1879, welcher nachweist, daß bei gewissen Versuchen wenigstens eine Undichtigkeit die Resultate von Sanders-Ezn unsicher gemacht hat. 460 Der Stoffwechsel bei verschiedener Außentemperatur. Die folgenden Arbeiten bezweckten nun, die unter verschiedenen Um- ständen bei Kaltblütern und Warmblütern unter dem Einflusse verschiedener Außentemperatur stattfindenden Veränderungen des Stoffwechsels bestimmt festzustellen. Betreffend das Verhalten der Kaltblüter läßt eine Untersuchung von H. Schulz!) die direkte Proportionalität zwischen der Körpertemperatur und der Größe des Stoffwechsels aufs deutlichste hervortreten: 00,-Abgabe Temperatur des Tieres |pro Kilogramm und Stunde g 1,0— 1,6 0,0084— 0,0147 6,4 0,0672 14,5—15,4 0,0694— 0,0846 25,0—25,3 0,1499 — 0,1706 32,5—33,5 0,5495 —0,6696 34,0 0,6392 Beim nicht arbeitenden Menschen beträgt die CO,-Abgabe pro Kilogramm und Stunde durchschnittlich 0,5g. Bei einer Temperatur von 32°C ist also der Stoffwechsel des Frosches etwa ebenso groß als der des Menschen. Ganz dasselbe Verhalten findet auch, wie die Versuche von Zuntz und Röhrig?), sowie von Pflüger’) ergaben, am curaresierten Warmblüter statt. Aus den Versuchen des letzteren ergibt sich: | O-Verbrauch C0O,-Abgabe Temperatur pro Kilogramm pro Kilogramm im Rectum | und Stunde und Stunde | ccm ccm 33,0 298,8 _ 32,4 ee 310,3 39,0 436,2 356,9 41,0 523,8 520,1 Bei einer Steigerung der Körpertemperatur von 39° auf 41°C nimmt also, für 1°C berechnet, der O-Verbrauch um 10 Proz. und die CO,-Abgabe um 22,9 Proz. zu; bei einer Abnahme der Körpertemperatur von 39° auf 33° nimmt der O-Verbrauch, für 1°C berechnet, um 5,2 Proz., die CO,-Abgabe um 1,9 Proz. ab. Auch folgende Versuche an curaresierten Kaninchen von Velten®) sind in dieser Hinsicht sehr demonstrativ: O-Verbrauch | CO,-Abgabe Prozentige Veränderung Temperatur für für pro 1°C Nr. im Kilogramm Kilogramm I et RT "Rectum und Stunde und Stunde der der cem cem O-Aufnahme 6) O,-Abgabe 1 38,3 581 571 2 37,4 557 541 | : — 58 3 31,4 386 383 | — 51 —i: 48 4 26,2 219 202 | —.' #8 — 91 5 23,1 181 178 | — 5,5 — 8,7 6 30,4 211 196 | + 2,2. 1,4 7 36,4 455 | 437 | 19,5 + 20,8 !) Arch. f. d. ges. Physiol. 14, 78, 1877. — ?) Ebenda 4, 57, 1871. — °®) Ebenda 12, 333, 1876; 18, 305, 1878. — *) Ebenda 21, 361, 1880. Zn er a Gamer u Der Stoffwechsel bei verschiedener Außentemperatur. 461 ‘Dasselbe Verhalten tritt ferner zum Vorschein, wenn infolge einer hohen Durchschneidung des Rückenmarkes die Muskeln dem Einfluß Er höheren Nervenzentren entzogen sind: O-Verbrauch CO,-Abgabe Temperatur pro Kilogramm pro Kilogramm im Rectum und Stunde und Stunde ccm ccm 38,7 422,7 399,7 41,3 489,3 486,4 Pro 1°C Zunahme der Körpertemperatur nimmt hier der O-Verbrauch um 6,1, die CO,-Abgabe um 8,3 Proz. zu. Endlich wies Pflüger nach, daß auch bei unversehrten Säugetieren eine Steigerung der Körpertemperatur tatsächlich den respiratorischen Stoffwechsel in die Höhe treibt: O-Verbrauch C0O,- Abgabe Temperatur pro Kilogramm pro Kilogramm im Rectum und Stunde und Stunde ccm ccm 38,6 676,9 641,3 40,6 754,8 728,2 “- Die-Zunahme des O-Verbrauches, berechnet für eine Steigerung um 1°C ‘der Körpertemperatur, ist hier 5,7, die der 0Ö0;-Abgabe 6,8 Proz., also etwas geringer als bei Tieren mit hoch durchschnittenem Rückenmark. Solange die Körpertemperatur des Tieres aber im großen und ganzen unverändert bleibt, verhält sich der Stoffwechsel ganz anders: er steigt bei sinkender und sinkt bei steigender Außentemperatur (Zuntz und Röhrig!), Colasanti?), Finkler®) und Pflüger). Besonders instruktiv sind in dieser Hinsicht die von dem letzteren mitgeteilten Versuche, bei welchen das Tier in Perioden von je etwa 20 Minuten Dauer in einem Bade abgekühlt oder erwärmt wurde. In folgender Tabelle sind zwei dieser Versuche aufgenommen. O-Verbrauch CO,-Abgabe pro Kilogramm pro Kilogramm Temperatur ie Nr. | “ und Stunde und Stunde im Rectum ‘cem ccm XXILH. 1 829 859 39,2 2 794 } . 39,2 3 738 von 39,2 auf 38,3 + 763 \ 38,3 37,8 704 n ’ n ’ 5 839 J Zu 87,5 6 888 } dh sat, , 87,6 7 859 a7 5 286 x 608 577 „28,6 „ 24,0 9 457 512 EBEN. 2050 !) Arch. f. d. ges. Physiol. 4, 57, 1871. — 15, 603, 1877. — *) Ebenda 18, 324, 1878. ?) Ebenda 14, 92, 1877. — °) Ebenda 462 Der Stoffwechsel bei verschiedener Außentemperatur. O-Verbrauch C0,- Abgabe Versuch | Nr. | Pina Blinde | "und Brände Ani‘ Bectcı ccm ccm XXIV. 1 798 704 von 37,8 auf 38,8 2 Ya 634 38,8 3 884 882 A Be 4 588 519 „.25,6 „ 21,4 5 486 539 21,4 6 648 542 „ 214 „ 26,5 7 820 756 „265 „ 39,6 8 707 715 „ 324,6 „35,6 9 667 617 „ 35,6 „ 36,8 Wenn eine Abnahme der Körpertemperatur wegen der Abkühlung droht, stellt sich eine beträchtliche Zunahme des Gaswechsels ein (Versuch XXIII, Nr.4 bis 7; Versuch XXIV, Nr. 2 bis 3). Dieser schlägt seinem Zeichen nach in das Um- gekehrte um, wenn die Körpertemperatur eine entschiedene Abnahme erleidet (Ver- such XXIIH, Nr. 8 bis 9; Versuch XXIV, Nr. 4 bis 6). Wenn das Bad wieder er- wärmt wird und die Körpertemperatur sich aufs neue der normalen nähert, so steigt der Gaswechsel bei einer verhältnismäßig niederen Außentemperatur sehr bedeutend (Versuch XXIV, Nr. 7 bis 8), um dann bei einer etwas höheren Außen- temperatur wieder herabzusinken. Durch diese Versuche war es endgültig festgestellt, daß der Stoffwechsel beim warmblütigen Tiere unter dem Einflusse der Abkühlung zunimmt: es kämpft der Körper durch eine vermehrte Wärmebildung gegen den durch die niedrige Außentemperatur hervorgerufenen großen Wärmeverlust. Hier liegt also der prinzipielle Unterschied zwischen Kaltblütern und Warm- blütern vor. Auf der anderen Seite ruft aber die Erhöhung der Körpertemperatur auch beim ganz normalen warmblütigen Tiere eine Erhöhung des Stoffwechsels hervor; also nimmt die Energie der Oxydationsprozesse auch bei diesen Tieren, unabhängig von dem regulatorischen Einfluß des Nervensystems, mit der Temperatur der Organe zu. Dies stellt wiederum eine fundamentale Über- einstimmung in den Grundeigenschaften der lebendigen Gewebe bei allen, sowohl den poikilothermen als den homoiothermen Tieren dar. Die von der Abkühlung bewirkte Zunahme des Stoffwechsels, welche für den Warmblüter so charakteristisch ist, ist daher als etwas später Erworbenes, als etwas, was sich im Interesse des Beibehaltens einer konstanten Eigentemperatur allmäh- lich entwickelt hat, aufzufassen (Pflüger). Unter den übrigen Untersuchungen, welche die gleiche Abhängigkeit des Stoff- wechsels der Warmblüter von der Außentemperatur erweisen, sind noch folgende zu erwähnen. Herzog Karl Theodor in Bayern!) fütterte vom 14. Dezember bis zum 14. Juni eine Katze mit einem und demselben Futter und machte dabei von Zeit zu Zeit in sechsstündigen Perioden Bestimmungen der CO,-Abgabe. Die Außen- temperatur schwankte während dieser Zeit zwischen — 5,5 und + 30,8°C. Wenn man von einer Außentemperatur von 16°C als normaler ausgeht, stieg die CO,- Abgabe bei niedriger Temperatur an und nahm bei höherer Temperatur ab. !) Zeitschr. f. Biol. 14, 79, 1878. Der Stoffwechsel bei verschiedener Außentemperatur. 463 Außerdem nahm das Körpergewicht der Katze während der wärmeren Monate bei einer Kost zu, welche während der kalten Jahreszeit kaum genügte, um dasselbe konstant zu erhalten. Mit einer wie großen Genauigkeit diese von der Außentemperatur ab- hängigen Veränderungen des Stoffwechsels erfolgen, geht aus zahlreichen Versuchen von Rubner!), aus welchen folgende Beispiele hier mitgeteilt werden, hervor: A. Versuche am hungernden Hunde: I. 2: IH. Kalorien Kalorien Kalorien Außen- pro Kilo- Außen- pro Kilo- Außen- pro Kilo- temperatur | gramm und | temperatur | gramm und | temperatur | gramm und Stunde Stunde Stunde 13,8 78,7 11,8 40,6 1a | 39,7 14,9 74,7 12,9 39,1 19,5 | 35,1 17,4 69,8 15,9 36,0 27,4 30,8 18,0 67,1 17,5 35,2 er — B. Versuche am hungernden Meerschweinchen: I. Junges Tier II. Erwachsenes Tier C0,-Abgabe | C0,-Abgabe Auben- Temperatur | pro Kilo- Adsene Temperatur | pro Kilo- rare des gramm und asus des gramm und pP Tieres Stunde pP Tieres Stunde g g f) | 38,7 4,500 0 37,0 2,905 10 38,6 3,433 11 37,2 2,151 20 38,6 2,283 2 37,4 1,766 30 38,7 1,778 26 37,0 1,540 35 39,2 2,266 30 37,7 1,317 35 38,2 1,273 40 39,5 1,454 - C. Versuche am gefütterten Meerschweinchen: I. Junges Tier II. Erwachsenes Tier C0,-Abgabe | | C0,-Abgabe EL, Temperatur | pro Kilo- IE Temperatur pro Kilo- teuinänetn des gramm und Simdesstur des | gramm und pP Tieres Stunde ar i. Tieres | Stunde g | | g f) 38,5 4,94 () 37,9 | 2,987 10 38,4 3,64 10 37,7 2,219 22 38,6 2,72 20 37,9 | 1,779 30 38,7 2,78 25 39,0 | 1,650 30 | 39,0 | 1,430 !) Sitzungsber. d. Akad. d. Wiss. München 1885, 8. 458; Biologische Gesetze, Marburg 1887; Die Gesetze des Energieverbrauches, 1902, S. 100 ff., 118, 135, 153 ff., 166. 464 Der Stoffwechsel bei verschiedener Außentemperatur. Ein Vergleich der Versuche am gefütterten und hungernden Meer- schweinchen läßt erkennen, daß bei niedriger Temperatur der Stoffwechsel bei beiden etwa gleichgroß, aber bei höherer Temperatur beim gefütterten Tiere größer als beim hungernden ist. Diese Tatsache wird durch folgende Versuche vonRubner an einem Hunde von 3,5 bis 4,5 kg Körpergewicht bei Hunger und bei Fleischzufuhr bestätigt: Kalorien pro Stunde und Kilspisuin Körpergewicht bei Außen- 100 g Fleisch 200 & Fleisch 320g Fleisch VERIDARUNE Hunger | = 24 Kal. = 48 Kal. = 81 Kal. | pro Kilogramm | pro Kilogramm | pro Kilogramm 7 86,4 er | 77,7 87,9 15 83 = = 86,6 20 55,9 | 55,9 | 57,9 76,3 25 54,2 | 55,5 | 64,9 et so | 56,2 | 55,6 | 63,4 83,0 Bei genügend großer Fleischzufuhr ist also der Umsatz von der Außen- temperatur fast unabhängig (Versuch bei 320g Fleisch), ‘während bei einer geringeren Zufuhr, die sogar bei hoher Außentemperatur ungenügend ist, die Einwirkung der Temperatur sich in ihrem vollen Umfange geltend macht. Es läßt sich daher schließen, daß der Stoffwechsel bei Zufuhr von Eiweiß von einer gewissen Grenze an sowohl bei hoher als bei niedriger Temperatur ansteigt; ist die dadurch erzielte Wärmebildung genügend, um auch bei tiefer Temperatur den Bedarf des Körpers zu decken, so ruft die letztere an und für sich keine weitere Steigerung hervor. Wenn dies nicht der Fall ist, so treibt die Abnahme der Temperatur wie sonst den Stoffwechsel in die Höhe. Als weiteres Beispiel sei noch folgender Versuch von Rubner mitgeteilt: Kalorien pro Stunde Kal. pro Stunde | | Kilogr und Kilogramm Außen- - aan log Ka Außen- e temperatur | 275 £ "Fleisch temperatur | 550g Fleisch Hunger = 86,9 Kal. 41,5. 4788-7, pro Kilogramm | pro Kilogramm 5,3 121,3 121,9 4,2 | 135,5 15,0 | 98,7 96,1 14,5 | 110,9 21,0 | 70,7 83,7 21,9 101,0 30,6 | 61,9 81,7 30,8 | 117,2 Über den Einfluß der Fettzufuhr bei verschiedener Temperatur teilt Rubner folgenden Versuch mit: sin pro Btuhds un8 Kilogramm Körpergewicht Nr Außen- | — 3 temperatur | 98g Speck | Hunger | ze"144,3 Kal, ı pro Kilogramm 1 2,8 (152,1°) | 155,5 2 7,3 119,6 _ 3 15.5 83,1 93,4 4 31,0 62,9 | 79,9 !) Von Rubner berechnet. [Der Stoffwechsel bei verschiedener Außentemperatur. 465 Sowohl bei normaler als bei höherer oder niederer Temperatur bewirkt die Zufuhr einer sehr großen Fettmenge nur eine mäßige Zunahme des Stoffwechsels. Aus den oben angeführten Versuchen an curaresierten Tieren geht mit großer Wahrscheinlichkeit hervor, daß die bei niederer Temperatur statt- findende Zunahme des Stoffwechsels, welche von Rubner als chemische Wärmeregulation bezeichnet wird, zum größten Teil wenigstens, in den Muskeln stattfindet. Die noch zu beantwortende Frage ist aber die, ob hierbei äußerlich merkbare, grobsinnliche Muskelbewegungen auftreten oder nicht. Bei kleinen Tieren, wie Mäusen, werden die Körperbewegungen sehr lebhaft, sobald die Außentemperatur herabsinkt (Pembrey'!). Wenn dieselbe von 18 bis 10°C abnimmt, so werden die Tiere sehr tätig; sie waschen sich oder versuchen aus der Kammer zu entfliehen. Damit hängt auch die außerordentlich kurze Zeit zusammen, innerhalb welcher eine deutliche Zu- nahme der CO,-Abgabe bei diesen Tieren zum Vorschein kommt, wie z. B. in folgenden Beobachtungen von Pembrey: Wächst die Veränderung der Außen- Innerhalb CO,-Ab- temperatur Minuten gabe um Proz. 110. 30 211 105° ee 10 118 BEE 13,8% 0.25.29. 0 5 75 BE Ra 18,00. BE: 2 74 GEH mit 17,00. ren 1 60 Langsamer verlief die umgekehrte Reaktion: Nimmt die Veränderung der Außen- Innerhalb CO,-Ab- temperatur Minuten gabe um Proz. ab Ir aut 32H OT er 30 46 0,8 auf 20 0. er 10 28 12,8 auf SE 5 14 18 aut 350 Fe es 2 13 17 auf Sl GA 1 5 Nach Rubner kommen beim Meerschweinchen wie beim Hunde keine Bewegungen vor, welche von der Wärme oder Kälte eingeleitet worden wären; indes bemerkt Rubner, daß er an der unteren wie an der oberen Tem- peraturgrenze gelegentlich Unruhe beobachtet hat?). Auf Grund dessen ist er der Ansicht, daß die chemische Wärmeregulation nicht von sichtbaren Be- wegungen herrührt. Auf der anderen Seite bringt aber Richet?) die ge- steigerte Wärmebildung bei niedriger Außentemperatur gerade mit einem von ihm beobachteten Kälteschauer in Zusammenhang. !) Journ. of Physiol. 15, 401,1894.— ?) Vgl. Rubner, Die Gesetze des Energie- verbrauches, $. 135, 139, 214. — ®) Archives de physiologie 1893, p. 312. "Nagel, Physiologie des Menschen. I. 30 466 Der Stoffwechsel bei verschiedener Außentemperatur. Meines Erachtens ist es sehr schwer, vielleicht unmöglich, an Tieren die Frage nach dem Vorhandensein wirklicher Muskelbewegungen bei der Wärmeregulation bestimmt zu beantworten, denn auch in dem Falle, daß ein Zittern oder Frösteln von einem aufmerksamen Beobachter wahrgenommen werden kann, so wird doch das Vorhandensein etwaiger Muskelspannungen und dergleichen wohl kaum festgestellt werden können, und dennoch wird durch solche Bewegungen der Stoffwechsel, wie aus den oben $. 457 an- geführten Beispielen hervorgeht, in einem sehr erheblichen Grade gesteigert. In den oben $S. 463 angeführten Versuchen von Rubner am hungernden Hunde beträgt die Differenz zwischen Maximum und Minimum bzw. 17,3, 15,3 und 28,9 Proz. des Minimums; diese Steigerung kann also trotz anscheinend vollständiger körperlicher Ruhe infolge von Muskelbewegungen stattgefunden haben. Bei den Hungerversuchen S. 464 ist dagegen diese Differenz beträchtlich größer und dürfte daher, wie die ähnlichen, in anderen Versuchen von Rubner beobachteten Differenzen kaum aus dem hier hervor- gehobenen Gesichtspunkte erklärt werden können. Jedenfalls ist es, um zu einer bestimmten Entscheidung zu gelangen, notwendig, Versuche am Menschen anzustellen, um solcher Art ganz be- stimmte Angaben über die möglicherweise stattfindenden Muskelbewegungen zu erhalten. Bei einem nüchternen erwachsenen Manne, welcher sich während der Ver- suche in sitzender Stellung befand und sich so ruhig wie möglich hielt, fand Voit!) in sechsstündigen Versuchen, daß die CO,-Abgabe sowohl bei Zunahme als bei Abnahme der Außentemperatur, von der gewöhnlichen Zimmertemperatur gerechnet, erhöht wurde. Als die Außentemperatur von 16,2° auf 4,4° herabsank, betrug die Zunahme der CO, 53g, d.h. pro 1°C 4,5g, während die Steigerung bei Zunahme der Außentemperatur von 16,2 auf 30°C nur 13g CO,, d. h. pro 1°C 0,9g betrug. Die näheren Details dieser Versuche sind folgende: 0 0O,-Abgabe 60,-Abgabe Temperatur pro 6 Stunden Temperatur pro 6 Stunden g g 4,4 211 23,7 165 6,5 206 24,2 167 9,0 192 26,7 160 14,3 155 30,0 171 16,2 158 Beim Menschen begegnen wir also ganz demselben Verhalten wie beim Hunde. Voit gibt aber an, daß sich seine Versuchsperson zwar so ruhig als nur möglich verhielt, aber am Ende der ersten Kälteversuche stark fror und vor Frost zitterte. Übrigens beträgt die Differenz zwischen Maximum und Minimum nur 36 Proz. des Minimums und dürfte zum größten Teil aus den kleinen Muskelbewegungen erklärt werden können. Unter Anwendung der Respirationsmaske machte Loewy*) an mehreren Indi- viduen Versuche in derselben Richtung. Jeder Versuch dauerte durchschnittlich !) Zeitschr. f. Biol. 14, 79, 1877. — ?) Arch. f. d. ges. Physiol. 46, 189, 1890, Der Stoffwechsel bei verschiedener Außentemperatur. 467 2!/, bis 3 Stunden; während dieser Zeit brachten die Versuchspersonen 1'/, bis 1'/, Stunde in der Wärme und ebensolange in der Kälte zu. Sie waren nüchtern oder hatten 3 bis 4 Stunden vor dem Versuche ein leichtes Frühstück genossen. In 20 Fällen blieb der O-Verbrauch bei Kältewirkung unverändert, in 9 Fällen nahm er ab und in 26 Fällen zu!). Beim völlig ruhenden Menschen ruft also eine Abkühlung lange nicht immer eine Zunahme des Stoffwechsels hervor. Trotzdem bestand in allen diesen Fällen ein mehr oder minder starkes Kältegefühl, und in der Mehrzahl der Fälle sank die Eigentemperatur des Körpers. Unter den 26 Versuchen, wo der Stoffwechsel bei der Kälte zunahm, betrug die Steigerung in je einem Falle 90,8, 53,1, 34,0, 33,3 Proz.; bei den übrigen war sie kleiner. Unter diesen 26 Versuchen finden sich 13, wo Muskelzittern oder Muskelspannungen deutlich zum Ausdruck kamen; gerade in denselben hat die Zunahme des Stoffwechsels ihre höchsten Werte erreicht. Auch wenn bei den anderen 13 Versuchen keine Muskelspannungen usw. von den Versuchspersonen angegeben wurden, so schließt dies selbstverständlich ihr Vorhandensein nicht aus, und in dieser Hinsicht ist es höchst bemerkenswert, daß in allen Fällen, wo von intelligenten und mit ihren Körperfunktionen vertrauten Individuen völlige Muskelschlaffheit angegeben wurde, nie eine Zunahme des O-Verbrauches zu kon- statieren war. Selbstversuche von Johansson?) tun dasselbe dar. Hier wurde die CO,- Abgabe in nüchternem Zustande und bei vorsätzlicher Muskelruhe zuerst, wenn die Versuchsperson wohl bedeckt in warmem Bette lag, dann, wenn sie bei ver- schiedener Außentemperatur nackt auf einem Stuhle saß, und endlich wenn sie wieder in warmem Bette lag, bestimmt. In folgender Tabelle ist das Mittel der CO,-Abgabe während der beiden Wärmeperioden mit der während der Kälteperiode zusammengestellt. (Die CO,-Abgabe während der ersten Viertelstunde der Kälte- periode und der ersten der Nachperiode wurde für sich bestimmt und ist hier aus- geschlossen, weil hierbei ja besondere Muskelbewegungen gemacht wurden.) Temperatur in CO, pro Stunde CO, pro Stunde der Respirations- Wärme Kälte kammer g g 13,7 23,6 20,4 14,6 239 23,8 15,3 22,9 20,4 18,8 23,3 22,1 19,8 23,8 23,6 20,6 23,3 24,9 20,7 22,5 25,7 21,5 22,4 22,8 Mittel 23,2 23,0 Aus den Zahlen des letzten Stabes läßt sich kein Beweis für eine von Muskel- bewegungen unabhängige Zunahme der CO,-Abgabe bei verschiedener Außen- temperatur herausfinden, denn dieselben zeigen gar keine direkte Abhängigkeit von dieser, und die Mittel der beiden Reihen stimmen vollständig überein. Wie bei Loewy nahm auch bei Johansson die Körpertemperatur während der Kälte- perioden ab. : Im großen und ganzen geht dieselbe relative Unabhängigkeit der CO,-Abgabe beim wirklich ruhenden Menschen- endlich aus mehreren von Rubner und !) Alle Werte, die nur um 5 Proz. vom Mittelwert in der Wärme abweichen, werden von Loewy als unverändert betrachtet. — *) Skand. Arch. f. Physiol. 7, 123, 1897. — Vgl. Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches, $S. 216, sowie Johansson, Skand. Arch. f. Physiol. 16, 88, 1904. 30* 468 Der Stoffwechsel bei verschiedener Außentemperatur. Lewaschew!) ausgeführten Versuchsreihen hervor. Jeder Versuch dauerte 4 bis 6 Stunden, und die Versuchsperson hatte 2 bis 3 Stunden vorher ein leichtes Frühstück genossen. Von diesen Versuchen seien die folgenden hier mitgeteilt: Außen- C0O,-Abgabe Außen- C0,-Abgabe Versuch pro Stunde Versuch pro Stunde temperatur temperatur g g I 14,1 38,9 III 15 34,0 Sommer- 17,4 32,1 Feuchte Luft 20 28,3 kleidung 23,5 30,5 23 28,6 27 31,4 u 15 32,3 IV 2 29,8 Trockene 20 30,0 Sommer- 10—15 25,1 Luft 23 27,9 kleidung 15—20 24,1 25 31,7 20 —25 25,0 29 32,4 25—30 25,3 30—35 23,7 35—40 21,2 Versuch Außen- CO,-Abgabe pro Stunde temperatur g v 12,8 27,9 j Sommer- 12,4 31,2 } PD Klanung es ei } Am Schluß Zittern 24,9 23,9 25,8 22,9 27,3— 27,7 24,9; 27,3; 24,3. Zuweilen Schweiß 30,0 23,7 bis 28,2. Fast konstant Schweiß Aus allen diesen Versuchen scheint mir unzweideutig hervorzugehen, daß die im Dienste der Wärmeregulation stattfindende Zunahme des Stoff- wechsels vor allem durch kleinere oder größere Muskelbewegungen hervor- gebracht wird. Auch Rubner gibt zu, daß eine energische Beeinflussung durch den Willen für kurze Zeiten die Muskeln ähnlich lähmen kann, wie dies durch Curare in nachhaltiger Weise geschieht. Gerade darin findet er einen neuen Beweis dafür, daß auch beim Menschen die Muskeln die Wärme- regulation mitbesorgen können. Doch betont Rubner, daß er bei länger dauernden Kälteversuchen am Menschen niemals hochgradige Steigerungen gesehen hat: Vielfach fehlte trotz Zitterns überhaupt jeder Zuwachs der CO,-Abgabe 2). Letzteres ist wohl wesentlich durch die Länge der von ‚ Rubner gewählten Versuchsperioden bedingt. Diese Beteiligung der Muskelbewegungen bei der Zunahme des Stoff- wechsels infolge einer niedrigen Außentemperatur kann doch unter Umständen !) Rubner u. Lewaschew, Arch. f. Hygiene 29, 33, 1897; Rubner, Ebenda 38, 123f., 1900. Vgl. auch Schattenfroh, Ebenda 38, 93, 1900. — ®) Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches, S. 220 f. Der Stoffwechsel bei verschiedener Körpergröße. 469 in wesentlichem Grade ausgeschlossen werden, nämlich wenn die genossene Kost, wie in den oben (S.464) angeführten Versuchen, auch bei einer höheren Außentemperatur eine entsprechende Steigerung des Stoffwechsels hervorruft. In seiner ersten Mitteilung wollte Rubner den Sitz dieses vermehrten Stoff- wechsels in den „Drüsenapparat“ verlegen. Später !) spricht er sich weniger bestimmt aus und -gibt zu, daß sich die betreffende Mehrzersetzung auch auf andere Organe als die Drüsen erstrecken könnte. Die betreffende Mehrzer- setzung ist aber, wie aus dem hier Ausgeführten hervorgeht, von der Außen- temperatur ganz unabhängig. Siebentes Kapitel. Der Stoffwechsel bei verschiedener Körpergröße und verschiedenem Lebensalter. Es ist selbstverständlich, daß der Stoffwechsel bei verschiedenen Tieren unter sonst gleichen Umständen um so größer sein muß, je größer das Tier ist, denn bei einem größeren Tiere ist ja auch die Organmasse, von welcher der Stoffwechsel in erster Linie abhängt, größer. Auf die Einheit des Körpergewichtes berechnet ist aber der Stoffwechsel bei großen Tieren geringer als bei kleinen. Am deutlichsten läßt sich dieser Satz durch Tarnchie an hungernden Tieren beweisen, wo der mächtige Einfluß der Nahrungsaufnahme auf den Stoffwechsel ausgeschlossen ist. Wir finden dann in dieser Hinsicht folgen- des?) (siehe Tabelle auf Seite 470). In ihrer vollsten Deutlichkeit geht die betreffende Tatsache aus Rubners langer Versuchsreihe an Hunden (Nr. 2 bis 8) hervor. Daß bei verschiedenen Tierarten einige Variationen vorkommen müssen, ist leicht einzusehen, denn die Art und Weise, wie verschiedene Tiere beim Hunger reagieren, wird doch einige Verschiedenheiten darbieten, und vor allem wird die Dicke des Pelzes in dieser Hinsicht eine wesentliche Rolle spielen müssen. Die Ursache dieser Erscheinung suchte C. Bergmann (1847?) in fol- gender Weise zu erklären. Je kleiner ein Tier ist, um so größer ist seine Körperoberfläche im Verhältnis zum Volumen und Gewicht des Körpers. An- genommen, wir haben zwei Kugeln, die eine von 2, die andere von 4cm Durchmesser, so ist die Oberfläche der ersten 12,56, die der zweiten 50,24 qem; ihre Volumina sind bzw. 4,18 und 33,49cem. Die Oberfläche der kleinen Kugel ist also viermal kleiner als die der großen, ihr Volumen aber achtmal kleiner: pro l1ccm kommt bei der kleinen Kugel 3 qem, bei der großen nur 1,5 gem. Nun wissen wir, daß der Tierkörper den größten Teil — etwa vier Fünftel — seines gesamten Wärmeverlustes durch die Haut erleidet. Der Wärmeverlust des Körpers wird also, unter sonst gleichen Umständen, vor allem durch die Y) Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches, 8. 125. — °?) Vgl. auch die Zusammenstellung von E. Voit, Zeitschr. f. Biol. 41, 113, 1901. — ®) O0. Berg- mann, Über die Verhältnisse der Wärmeökonomie der Tiere zu ihrer Größe. Ab- gedruckt aus den Göttinger Studien 1847. 470 Der Stoffwechsel bei verschiedener Körpergröße. =“ Größe der Körperoberfläche &% bedingt sein. Damit aber die a Körpertemperatur auf ihrer 5 u normalen Höhe erhalten wird, E iR SET = muß die Wärmebildung, d.h. u nu der Stoffwechsel, dem Wärme- a a - 3 verlust gleich sein, also sich u 2 = 2 > etwa proportional der Körper- oberfläche verhalten. Wenn a daher ein großes und ein 3 Ei ge leerer mneoon ma kleines warmblütiges Tier, 2598 ER TE EEE . . . os M| "35573507055 welche alle beide sich in be- aM®. zug auf die Dichte ihrer = Haare nicht viel unterschei- al, den, bei derselben Außen- EB „| neasaeasnnae temperatur dieselbe Körper- ABB TIREELEISTIIEE er r | 55 temperatur haben sollen, muß & das kleine Tier im Verhält- ra nis zu seinem Körpergewicht E 3 ZeaHXtrrRaBS8g mehr Wärme als das große E 9: are Ss | Tier bilden, der pro Körper- = N kilo berechnete Stoffwechsel en muß bei jenem größer als bei Be: diesem sein. u ET ERSETITEZETSE | Eine direkte Konsequenz ee Dr Eee dieser Auffassung ist die, daß | 4 der Stoffwechsel bei verschie- den großen Tieren, auf die iR: ® EEE. > Einheit der Körperoberfläche E s R>) $ 5 & Sercssdacsc bezogen, gleich groß sein muß. M &0 Daß dies der Fall ist, wurde zuerst von Rubner nach- & Br REN gewiesen, indem er bei den # PETER” Se in der nebenstehenden Tabelle Ej sur. nen unter 2 bis 8 aufgenommenen = Hunden auch die Körperober- !) Skand. Arch. £f. Physiol. ö 7, 55, 1896. — ?) Zeitschr. £. & Biol. 19, 535, 1883; 1g N= 5 ; k A 25,25 Kal., 1g Fett = 9,50 Kal. = ER: — °) Ebenda 17, 238, 1881; E i 8% 1gN = 25,25 Kal, 1g Fett Pr . 354 = 9,50 Kal. — *) Rubner, eu rceunnen JE Biol. Gesetze, 1887, 8. 15. — 53555555 E 388 5) Journ. of Physiol. 31, 337, AHEBEHHHBRBM 3 MAR 1904; vgl. auch Richet, Arch. de physiol. 1890, p. 23; Slowt- 5 man+4oroonoma zoff, Arch. f. d. ges. Physiol. A Tr 1008 NN [Der Stoffwechsel bei verschiedener Körpergröße. 471 fläche maß und. den Stoffwechsel pro Quadratmeter berechnete. Es zeigte sich, daß bei allen diesen Tieren der Kraftwechsel pro Quadratmeter Körper- oberfläche im großen und ganzen derselben Größe ist. Als Mittelwert er- halten wir 1088 Kal.; die größten Differenzen sind — 104 bzw. + 103 Kal. und betragen daher nicht ganz 10 Proz. des Mittels. Die Ursache des vorliegenden Sachverhaltes liegt indessen nicht allein in den Bedingungen der Wärmeregulation, denn auch bei einer so hohen Außentemperatur, daß der Wärmeverlust nunmehr ganz unbedeutend ist, findet derselbe Unterschied zwischen großen und kleinen Tieren statt, wie z. B. in folgenden Versuchen am Meerschweinchen bei 30°C (Rubner!): Hungernde Tiere Gefütterte Tiere | Kilo- 1. ilo- r Korper CO, pro 0o-/ CO, pro Qua Kiinen CO, pro Kilo- | CO, pro Qua wicht gramm und dratmeter rien gramm und dratmeter ® Stunde und Stunde Stunde und Stunde kg g g kg 5 g 0,617 1,289 12,35 0,670 1,430 14,10 0,568 1,129 10,53 0,520 1,788 16,19 0,223 1,778 12,14 0,360 2,210 17,69 0,206 1,961 13,16 0,221 2,787 18,94 Sogar bei Kaltblütern, wo keine Wärmeregulation stattfindet, begegnen wir derselben Abhängigkeit des Stoffwechsels von der Körpergröße (Jolyet und Regnard?), Knauthe?). v. Hoesslin*) hat diese Frage sehr eingehend erörtert und ist nach vielerlei Erwägungen zur folgenden Auffassung gekommen. Wenn für ein Tier die für möglichst große Arbeitsleistung im Kampfe ums Dasein geeignetste Größe einmal gegeben ist, so kann für ein anderes Tier von ähnlicher Lebensweise der Umsatz nicht ohne direkten Schaden für das Tier in einem stärkeren Verhältnis als die dritte Wurzel aus dem Quadrate seines Körpergewichtes (K), d. h. proportional seiner Körperoberfläche wachsen. Ein Sinken des Umsatzes unter dieses Verhältnis würde von einem Sinken der Gesamtarbeitsleistung (sowohl der animalen als der vegetativen Organe) und damit ebenfalls von einer Schädigung des Tieres im Kampfe ums Dasein notwendig begleitet sein. Wenn bei verschieden großen Tieren die maximale Arbeitsfähigkeit erreicht werden soll, muß also bei diesen Tieren der Umsatz sich verhalten wie K%, nur dann kann sowohl die maximale Arbeits- fähigkeit erreicht, wie die anatomische Ähnlichkeit im Bau bewahrt werden. Auch Rubner°) scheint sich einer derartigen Auffassung zu nähern; bei der Besprechung der soeben mitgeteilten Erfahrungen weist er nämlich darauf hin, daß. die abkühlenden Verhältnisse bei großen und kleinen Tieren in analoger Weise die Wärmebildung anfachen müssen, also in eben der Oberfläche entsprechender Weise allmählich entlasten, und daß ein Teil der Arbeit unter keinerlei Lebensbedingungen unter eine bestimmte Grenze fallen kann, da Atmung, Kreislauf usw. bestimmte Ansprüche stellen, welche sofort wieder auf die frühere Höhe sich einstellen müssen, wenn die Temperaturverhältnisse sinken. Ein Kind, welches pro Kilogramm Körpergewicht mit 90 Kal. als Wärme- produktion ins Leben tritt, würde in die Haut eines Erwachsenen, die ja nur für !) Rubner, Biol. Ges., 8. 18, 25. — ?°) Arch. de physiol. 1877, p. 584. — 3) Arch. f. d. ges. Physiol. 73, 490, 1898. — *) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1888, S. 339. — °) Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches 1902, 8. 175. 479 Der Stoffwechsel in verschiedenem Lebensalter. weit kleinere Wärmemengen normale Verhältnisse der Wärmeabfuhr zeigt, nicht hineinpassen. Bei aufgehobener chemischer Wärmeregulation tritt das Minimum des Hunger- stoffwechsels ein, und dies findet offenbar seine Erklärung in dem Ablaufe einer Reihe notwendiger Lebensfunktionen, kleinen Arbeitsleistungen, Herzarbeit, Atmungs- tätigkeit, die ihrerseits den eigenartigen Verhältnissen jedes Tieres angepaßt sein müssen, da in jedem Momente dieselben wieder im Sinne der chemischen Regulation zur Tätigkeit bereit sein müssen. Wenn der Stoffwechsel pro 1 kg Körpergewicht bei großen und kleinen Tieren derselbe wäre, so würde unzweifelhaft das größere Tier schon bei niedrigerer Tem- peratur an der Schwelle der physikalischen Regulation angelangt sein und diese weiterhin in viel höherem Maße in Anspruch. nehmen müssen als das kleine Tier, und schließlich auch diesen Regulationsapparat in seiner Leistungsfähigkeit bald erschöpft haben, noch lange ehe das kleine Tier mit seiner Organisation den ther- mischen Verhältnissen gegenüber versagt. Betreffend den Stoffwechsel bei körperlicher Arbeit zeigt sich nach den Erfahrungen von Zuntz!) und Slowtzof£f?) nur in bezug auf die Horizontal- bewegung des eigenen Körpers ein Unterschied zwischen großen und kleinen Tieren derselben Art, indem der Energieverbrauch pro Ikg und Im Weg um so größer ist, je kleiner das Tier. Auf die Einheit der Körperoberfläche bezogen ist derselbe bei großen und kleinen Tieren annähernd proportional. Dagegen findet sich betreffend den Energieverbrauch für 1kgm äußere Arbeit keine gesetzmäßige Beziehung zur Körpergröße. Daß der wachsende Organismus pro Kilogramm Körpergewicht einen größeren Stoffwechsel als der erwachsene haben muß, folgt aus dem schon Ausgeführten. Es kann aber der Fall sein, daß außerdem noch irgend welche spezifische Verschiedenheiten für das jüngere Lebensalter charakteristisch sind; wie der Ansatz von Eiweiß und von lebendiger Substanz beim wachsen- den Körper leichter als beim erwachsenen erfolgt (vgl. Kapitel VIII), so könnte es auch der Fall sein, daß der Stoffwechsel bei jenem größeren Umfanges wäre, als dies der kleineren Körpergröße an sich entspricht. Um diese Frage zu erörtern, haben wir den Stoffwechsel pro Quadrat- meter Körperoberfläche bei Individuen verschiedenen Alters zu untersuchen. Da es nicht möglich ist, an jedem einzelnen Individuum die Messung der Körperoberfläche vorzunehmen, ist man in den meisten Fällen gezwungen, dieselbe aus dem Körpergewicht zu berechnen. Um die Grundlagen einer solchen Berech- nung zu gewinnen, machte Meeh?) eine Anzahl direkte Bestimmungen der Körper- oberfläche bei Menschen von verschiedenem Alter und stellte auf Grund derselben ER folgende Formel auf: O=K Ve, wo O die Körperoberfläche in Quadratcentimeter, @ das Körpergewicht in Gramm und K eine empirische Konstante darstellt. Die letztere variiert bei verschiedenem Lebensalter etwas, und zwar beträgt sie beim.-Neügeborenenräts 4.0 2. 004 0 ee degree EU DBR im. 1. bis 2 Bebensfahre...n.. ...... 20 an Aa 11,576 im 7. Lebensjahrent Eu)... ©. % STERN ar 508 im 9, bis;12. .Lebensiahre’:.,. :: TFT ER 12,165 im. 18. bis 20, Lebensjahre... ... En 12,847 beim Erwachsenen . .... . N RR A RER ar 12,008 Als durchschnittlichen Wert gibt Meeh 12,312 an. !) Arch. f. d. ges. Physiol. 68, 209, 1897. — ?) Ebenda 95, 175, 1908. — ®) Zeitschr. f. Biol. 15, 425, 1879. N EN EN GENDN WE u Zu ee m an löh A un Pit Ba A ee Der Stoffwechsel in verschiedenem Lebensalter. 473 Unter Anwendung der Meehschen Beobachtungen haben Miwa und Stoeltzner!) versucht, eine noch genauere Formel zu entwickeln, und finden die betreffende Konstante, K, gleich SEEN EEN RL, Veıtv® 2, ODGR wo O0 die Körperoberfläche, @ das Körpergewicht, U den Brustumfang und Z die 6 Körperlänge bedeuten. Die Oberfläche wäre demnach, 0 = K Vr@1L. Als Durchschnittszahl für K erhalten die Verff. 4,5355 und bemerken, daß die nach ihrer Formel berechneten Resultate besser mit den direkt beobachteten, als die nach Meehs Formel erhaltenen übereinstimmen. Die Abweichung beträgt nämlich nach der letzteren + 6,94 und — 10,47 Proz., bei Miwa und Stöltzner nur + 3,2 und — 5,1 Proz., also etwa die Hälfte. Da bei den jetzt vorliegenden Untersuchungen Brustumfang und Körperlänge lange nicht immer angegeben sind, ist die ursprüngliche Formel Meehs wohl bis auf weiteres zu benutzen. Nach Rubner‘) beträgt dieKonstante K beim Hunde durchschnittlich 11,16 (10,18 bis 12,51°), beim Kaninchen 12,88, bei der Ratte 9,13 und beim Meerschweinchen 8,885‘). Vor einigen Jahren untersuchten Sonden und ich’) unter Anwendung des Stockholmer Respirationsapparates die CO,-Abgabe bei zahlreichen Indivi- duen von verschiedenem Alter und Geschlecht. Bei jedem einzelnen Ver- suche wurden 6 bis 12 Iıidividuen in die Respirationskammer aufgenommen. Alle Versuche, mit Ausnahme von vier, wurden vormittags angestellt. Ein paar Stunden vor dem Versuche hatten die Versuchspersonen gefrühstückt; außerdem erhielten sie bei den meisten Versuchen etwas Apfel, Bonbons oder dergleichen. Sie saßen still und gingen in der Kammer nicht herum. Die Resultate sind in folgender Tabelle zusammengestellt: A. Männliche Individuen. | : Mittleres CO, pro In- co co = eg; Körper- vlkakın pro Stunde u. | pro Stunde u. gewicht und Stunde Kilogramm | Quadratmeter Jahre kg £ £ .£ 1 7,86 20,1 23,1 1,149 26,27 2 9,59 27,5 33,2 1,207 29,86 3 10,53 30,2 33,4 1,106 28,22 4 11,39 31,6 33,6 1,063 27,54 5 12,47 34,1 34,0 0,997 26,49 6 13,86 44,5 44,5 1,000 27,58 7 14,54 45,3 43,5 0,960 26,65 8 15,53 51,4 41,8 0,813 23,54 9 17,10 55,5 45,2 0,814 24,18 10 19,51 59,5 42,7 0,718 21,81 11 22,93 65,3 37,8 0,579 18,60 12 | etwa 25 67,5 38,4 0,569 18,48 13 34,72 68,3 35,3 0,517 16,85 14 44,39 76,5 36,7 0,480 | 16,25 15 | 57,57 84,6 34,4 | 0,407 | 14,24 !) Zeitschr. f. Biol. 36, 314, 1898.— *) Ebenda 19, 548, 553, 1883. °) Nach Hecker ist die Konstante 12,322. — *)Rubner, Biol. Gesetze, 8.17. — °) Skand. Arch. f. Phys. 6, 53, 1895. Daselbst ist auch die ältere Literatur zusammengestellt. Vgl. die Kritik Rubners, Beiträge zur Ernährung im Knabenalter, Berlin 1902, 8. 47. 474 Der Stoffwechsel in verschiedenem Lebensalter. Nr. 1 zeigt die geringste CO,-Abgabe pro Individuum, und der Unterschied zwischen dieser Zahl und den übrigen ist an und für sich sehr beträchtlich. Die Ursache liegt darin, daß die übrigen Versuche ohne Ausnahme an Individuen der wohlhabenderen Klassen geschahen, während der betreffende Versuch an Kindern stattfand, welche sehr schlecht nutriiert, skrofulös und rachitisch waren. B. Weibliche Individuen. Mittleres CO, pro In- 00, 00, N Alter Körper- dividuum pro Stunde u. | pro Stunde u. gewicht und Stunde Kilogramm | Quadratmeter Jahre kg g £ | g 1 7,87 21,8 24,7 1,133 26,61 2 9,91 26,6 22,6 0,850 20,78 3 11,16 31,0 26,2 0,845 21,75 4 12,19 36,2 26,9 0,743 20,14 5 13,15 39,5 27,5 0,696 18,46 6 14,04 44,3 29,3 0,661 18,22 7 15,14 48,6 27,8 0,562 15,99 8 15,59 49,9 31,9 0,639 18,32 9 17,69 53,9 27,1 0,503 14,78 10 | etwa 30 53,9 29,1 0,540 : 16,27 11 40-50 67,0 37,1 0,554 17,94 12 65— 79 66,9 26,1 0,390 12,64 Aus diesen Versuchen geht also hervor, daß sowohl männliche als weib- liche Individuen pro Quadratmeter Körperoberfläche eine um so größere CG0O,-Abgabe haben, je jünger sie sind. Wir schlossen daraus, daß nicht allein die Körperoberfläche und der davon abhängige Wärmeverlust usw., sondern auch das Alter an und für sich für die Größe des Stoffwechsels maßgebend waren. Da ferner sämtliche Versuchsindividuen, mit Ausnahme von Nr. 1 der männlichen Individuen, derselben Klasse der Gesellschaft angehören und im großen und ganzen sich in derselben Weise ernährten, dürfte die C0,-Abgabe als relatives Maß des Stoffwechsels gelten können. Wir bemerkten aber ausdrücklich, daß es von rein theoretischem Gesichts- punkte zweckmäßiger gewesen wäre, wenn die Versuche frühmorgens nüchtern aus- geführt worden wären. Wir beabsichtigten aber bei unserer Arbeit ganz besonders, eine tatsächliche Unterlage zur Berechnung des Ventilationsbedarfes in Öffentlichen Lokalen, speziell in Schulen zu gewinnen, und wollten daher die Versuche an Individuen in demselben körperlichen Zustande anstellen, in welchem sie sich in der Schule befinden. Betreffend die Körperruhe war sie natürlich keine absolute, in sämtlichen Versuchen saßen die Versuchspersonen und waren im allgemeinen ganz still. Unsere Werte für die CO,-Abgabe beziehen sich also nicht auf Menschen in liegender Stellung, bei welchen die Muskeln so wenig gespannt sind, wie sie es überhaupt bei einem gesunden Menschen im wachen Zustande sind. Neue Versuche in derselben Richtung wurden dann von Magnus-Levy und Falk!) mitgeteilt. Hier wurden die CO,-Abgabe und der O-Verbrauch unter Anwendung der Gesichtsmaske an nüchternen Individuen bei voll- !) Arch. f. (Anat. u.) Physiol., Supplbd., 1899, 8. 314. TEE WER, Der Stoffwechsel in verschiedenem Lebensalter. 475 ständiger körperlicher Ruhe bestimmt. Die Resultate dieser Beobachtungen sind in folgenden Tabellen, für die CO, in Gramm, für den O-Verbrauch in Liter pro Stunde berechnet, zusammengestellt: A. Männliche Individuen. C0,, Gramm pro Stunde O-Verbrauch, Liter “ pro Stunde Alter | Gewicht 2 pro Quadrat- Nr. Kilogramm meter Tri pro Quadrat- # = Kilogramm BER Körper- Körper- Körper- meter Körper- Jahre kg. gewicht oberfläche gewicht oberfläche 1 2),| 115 0,96 17,70 0,585 10,74 2 6 14,5 0,87 17,35 0,552 10,92 3 6 18,4 0,72 15,46 0,457 9,78 4 7 19,2 0,79 17,46 0,476 10,32 5 7 20,8 0,78 17,35 0,478 10,68 6 9 21,8 0,68 15,34 0,407 9,24 7 11 26,5 0,59 14,40 0,374 8,22 8 10 30,6 0,62 - 15,69 0,377 8,52 9 14 36,1 0,52 13,81 0,313 8,40 10 14 36,8 0,50 13,45 0,301 8,10 11 16 39,3 0,48 13,33 0,296 8,22 12 17 40,0 0,51 14,16 0,297 8,28 13 14 43,0 0,49 14,04 0,308 8,76 14 17 44,3 0,53 15,34 0,288 8,28 15 16 57,5 0,39 "12,39 0,251 7,68 16 16 57,5 0,41 12,86 0,253 7,92 17—26 | 22—56 | 43,2—88 0,35 11,16 0,224 7,14 237—30 | 70—77 | 47,8—69,3 0,29 9,18 0,185 5,88 B. Weibliche Individuen. CO,, Gramm pro Stunde O-Verbrauch, Liter pro Stunde Alter | Gewicht pro pro Quadrat- Nr. Kilogramm meter ‚pro pro Quadrat- Körper- Körper- ei amm | meter Körper- örper- Jahre kg gewicht oberfläche gewicht oberfläche 1 7 15,3 0,78 15,69 0,491 9,90 2 61%, 18,2 0,71 15,22 0,445 9,48 3 12 24,0 0,61 14,28 0,338 7,92 + 12 25,2 0,52 12,39 0,322 7,68 5 13 31,0 0,58 14,89 0,332 8,46 6 11 35,0 0,53 14,04 0,322 8,52 7 14 35,5 0,51 13,67 0,317 8,46 8 12 40,2 0,45 12,63 0,295 8,22 9 11 42,7 0,48 13,45 0,301 8,52 10—22 | 17—40 | 31,0—68,2 0,38 11,75 0,244 7,26 23—29 | 71—86 | 30,3—59,3 0,33 9,79 0,217 6,24 476 Der Stoffwechsel in verschiedenem Lebensalter. Auch hier ist der Gaswechsel pro Quadratmeter Oberfläche bei jüngeren Individuen größer als bei älteren. Indes findet sich, wie zu erwarten, ein großer quantitativer Unterschied zwischen diesen Zahlen und denen von Sond&n und mir, indem erstere durchgehend kleiner sind. Ein Vergleich zwischen den beiden Versuchsreihen ergibt aber, daß sich der Einfluß der Nahrungsaufnahme und der sitzenden Stellung auf den Gaswechsel bei den verschiedenen Altersklassen um etwa gleichviel Prozent bei allen geltend macht. Dagegen findet sich in bezug auf.die CO,-Abgabe bei männlichen und weiblichen Individuen desselben Alters ein prinzipieller Unterschied zwischen Magnus-Levy und Falk einerseits und Sonden und mir andererseits. Während wir, wie früher Starling, Andralund Gavarret, Speck, fanden, daß die CO,-Abgabe beim weiblichen Geschlecht wesentlich geringer war als beim männlichen, konnten Magnus-Levy und Falk keine derartige Differenz beobachten; sie erklären diesen Umstand aus dem Gesichtspunkte, daß bei den jüngeren Altersklassen die „Ruhe“ bei den Mädchen eine wesentlich größere als bei den Knaben gewesen ist, was wir ‚seinerzeit schon mit der Bemerkung hervorhoben, daß der Muskeltonus bei diesen größer ist als bei jenen. Zur weiteren Aufklärung der vorliegenden Frage haben wir noch teils die bis jetzt nur wenig zahlreichen Ermittelungen über den Gesamtstoffwechsel bei wachsenden Kindern, teils die Angaben über die Nahrungsaufnahme bei Menschen von verschiedenem Alter und Geschlecht. Folgende Tabelle enthält eine Zusammenstellung der betreffenden Be- obachtungen der ersten Art: Körper- Kalorien Kalorien Ne Alter gewicht pro Kilo- | pro Quadrat- Antar gramm und | meter und Jahre kg 24 Stunden | 24 Stunden 1 9 23,2 63 1499 Hellström!) 9 u 24,0 —_ 1377 Rubner?) 3 10 26,0 52. 1290 Rubner°) 4 11 32,1 56 1391 Sonde&enu. Tigerstedt‘) 5 11 41,0 44 1321 Rubner°) 6 12 ‚38,0 — 1300 Rubner*) 7 12 38,3 48 1254 Sond&nu. Tigerstedt‘®) 8 || Erwachsener 70,0 32 1071 Durchschnittlich erhalten wir pro Quadratmeter Körperoberfläche und 24 Stunden im Alter von 9 Jahren 1438 Kal., von 10 Jahren 1290 (der Knabe war nicht im N-Gleichgewicht), von 11 Jahren 1356, von 12 Jahren 1277 Kal. !) Hellström, Studier öfver mjölken säsom föda, Helsingfors 1900, p. 132. Der zweite Versuch von Hellström fand an einem 11'/,jährigen Mädchen statt. Dasselbe bekam aber nicht genügend Nahrung, sondern verlor 2,93 g N, weshalb dieser Versuch hier nicht aufgenommen wurde. — *) Rubner, Beitr. zur Er- nährung im Knabenalter, Berlin 1902, 8. 62. .Berechnet von Rubner aus der CO,-Abgabe. — °) Ebenda, 8. 40. — *) Skand. Arch. f. Physiol. 6, 215, 1895. Minimum der CO,-Abgabe im Schlaf zeigen dasselbe !): nährungszustande sind und nicht zu überreichlich essen. Der Stoffwechsel in verschiedenem Lebensalter. 477 Auch folgende Angaben über das bei zweistündigen Perioden ermittelte Männliche Individuen. CO, pro Stunde und Quadrat- Alter meter Körperoberfläche Jahre g 11,2 14,09 12,0 13,78 18—20 10,75 22—43 9,74 Wie ersichtlich, stimmen diese Zahlen mit den entsprechenden von Magnus-Levy und Falk sehr nahe überein. Die alleinige Untersuchung der Nahrungsaufnahme gibt, wenn sie sich auf eine genügend lange Periode erstreckt, gute Anhaltspunkte für die Kenntnis des Stoffwechsels, wenn es sich um Individuen handelt, welche in gutem Er- Daher sind die Angaben, welche sich auf die Nahrungsaufnahme bei Menschen von verschiede- nem Alter und Geschlecht beziehen, zur näheren Aufklärung der vorliegenden Frage als sehr wertvoll zu erachten. Folgende Tabelle enthält eine Zusammenstellung der hierher gehörigen Beobachtungen von Camerer?): N Alter Körpergewicht Kalorien Kalorien Es pro Kilogramm | pro Quadratmeter NE kg und 24 Stunden und 24 Stunden Männliche Individuen. Loy 5— 6 18 76,7 1680 2 | 7—10 24 61,7 1440 3 l 11—14 34 47,4 1250 4 | 15—16 52,8 39,8 1220 5 17—18 59,4 87,7 1200 6 I Erwachsener 70 32,0 1071 Weibliche Individuen. zn 2— 4 12,7 75,3 1470 2 5— 7 16,6 68,7 1460 3 | 8—10 22,3 59,2 1390 4 | 11—14 31,9 51,7 1330 5 | 15--18 41,0 33,2 | 930 6 | 21— 24 44,5 40,0 ı 1150 7 | Erwachsene 56 32 | 999 ‚Aus dieser Tabelle folgert Camerer, daß der Nahrungsbedarf (und also der Stoffwechsel) in jedem Alter im großen und ganzen der absoluten Größe der Körper- ?) Skand. Arch. f. Physiol. 6, 150, 217, 1895. — ?) Camerer, Der Stoffwechsel des Kindes, Tübingen 1894, S. 108. Der Stoffwechsel in verschiedenem Lebensalter. 478 oberfläche proportional sei. Die obige Tabelle ergibt indes gerade das Gegenteil, indem aus derselben so deutlich wie möglich hervorgeht, wie die Nahrungsaufnahme vom fünften bzw. zweiten Jahre mit zunehmendem Alter ununterbrochen abnimmt, und zwar beträgt die Differenz für männliche Individuen zwischen -Nr.1 und Nr. 6 etwa 56 Proz. und für weibliche Individuen zwischen Nr. 1 und Nr. 7 47 Proz. Die einzige Ausnahme von dieser Regel, welche hier zu finden ist, ist Nr. 5 unter den Mädchen. Camerer bemerkt aber, daß hier die Nahrungszufuhr un- genügend war. | Dasselbe Resultat geht auch aus den Beobachtungen anderer Autoren hervor, wie aus der folgenden Zusammenstellung ersichtlich ist. Körper- Kalorien Kalorien Nr. | Alter | Geschlecht gewicht | P" Kilo- ; |P5o/Qusärat- Autor gramm und | meter und Jahre kg 24 Stunden | 24 Stunden 1 2!/, | männlich 12,2 81 1568 2 4, % 15,2 79 1717 ; 3 | 10%, E 25,0 64 1503 Uttelmann)) 4 | 14%, R 42,6 48 1366 5 2, R 15,0 90 1916 6 4Y, g 15,5 87 1822 Bi 2%, x 27,5 68 1673 x 8 | 10%, weiblich 43,2 46 1313 ee, 9 121, A 47,5 41 1219 10 | 14% i 49,9 38 1083 | Aus diesen Erfahrungen scheint doch ungezwungen der Schluß gezogen werden zu können, daß der Stoffwechsel des wachsenden Körpers nicht allein durch die Bedingungen der Wärmeabgabe usw. beherrscht wird, sondern außer- dem von dem jugendlichen Alter an sich abhängig ist. Durch anderweitige Beobachtungen wissen wir ja auch, daß im allgemeinen da, wo assimilatorische Vorgänge stattfinden, diese von lebhaften dissimilatorischen Prozessen be- gleitet sind; dazu gehört auch die Tatsache, daß bei Muskelarbeit einerseits der Stoffwechsel gesteigert wird, andererseits die Masse des Muskels zunimmt. Betreffend den Einfluß des Lebensalters auf den Stoffwechsel müssen noch das Säuglings- und das Greisenalter insbesondere besprochen werden. Während des ersteren schläft das Kind meistens, und der Tonus seiner Muskulatur ist nur wenig entwickelt. Dementsprechend haben die direkten Beobachtungen von Heubner und Rubner?°) über den Gesamtstoffwechsel, die Bestimmungen Scherers*) über den respiratorischen Gasaustausch, so- wie die von Camerer°), Cramer), Schlossmann’), Oppenheimer®), !) Uffelmann, Die Hygiene des Kindes, 8. 260. — ?) Jahrb. f. Kinderheil- kunde, N. F., 46, 245, 1898; vgl. auch Hasse, Zeitschr. f. Biol. 18, 553, 1882, sowie die kalorimetrischen Bestimmungen am Kaninchen von Richet, Arch. de physiol. 1885 (2), p. 237. — °) Zeitschr. f. Biol. 36, 1,1898; 38, 315, 1899. — *) Jahrb. f. Kinderheilk., N. F., 43, 471, 1896. — °) Camerer, Der Stoffwechsel des Kindes, Tübingen 1894, 8. 108; Zeitschr. f. Biol. 33, 521, 1896; 39, 37, 1900. — °) Arch. f. Kinderheilk. 32, 37, 1901. — 7) Ebenda 33, 338, 1902. — ®) Zeitschr. f. Biol. 42, 160, 1902. Der Stoffwechsel in verschiedenem Lebensalter. 479 Jaffa!) u. a. ausgeführten Untersuchungen über die Nahrungsaufnahme des Säuglings ergeben, daß allerdings der Stoffwechsel bei ihm pro Kilogramm Körpergewicht durchschnittlich etwa 70 bis 100 Kal. beträgt, nicht selten aber, und zwar trotz stattfindender Zunahme des Körpergewichtes bis auf etwa 50 Kal. herabsinkt und auf 1 qm Körperoberfläche bezogen, in der Regel nicht größer und zuweilen sogar geringer ist als beim erwachsenen Menschen. Letzteres scheint vor allem während der ersten Lebenstage des Säuglings stattzufinden, was auch daraus ersichtlich ist, daß nach Cramers Ermittelungen die gasförmigen Ausscheidungen beim Neugeborenen sowohl absolut als relativ geringer sind als bei älteren Säuglingen. Da ein eingehenderes Studium des Säuglingsstoffwechsels nicht in diesem Buche angezeigt ist, beschränke ich mich darauf, nur folgende Beobachtungen als Beispiel hier mitzuteilen: R Kalorien Kalorien Aka Körper- | pro Kilo- | _ Pro Nr. gewicht | gramm ı Quadrat- | Anmerkungen Autor und meter u. Wochen kg 24 St. | 24 St. 1 9 5,2 68 1006 Brustnahrung 2 30 7,6 69 1143 Dasselbe Kind; Heubner und .8| 30 7,6 75 1233 Nahrung mit Rubner 4 | 30 Le 82 1378 Kuhmilch 5 2 3,2 8 1000 6 4 3,7 89 1150 2 7 4,4 100 1370 nr 8|...10 | 50 84 |. 1200 Tu ne \ Camerer 91 14 5,6 79 1170 ı0| ı7 6,1 75 1150 11 | 20 6,6 71 1120 '# Über den Stoffwechsel im höheren Lebensalter hat Ekholm?) unter Anwendung des Stockholmer Respirationsapparates eine Versuchsreihe an zehn Greisen im Alter zwischen 68 und 81 Jahren gemacht. Dazu kommen noch drei Versuche von Sondön und mir an zwei Männern und einer Frau im Alter von 69 bis 84 Jahren 3). Der Gesamtstoffwechsel betrug bei diesen 13 Versuchspersonen pro Kilogramm Körpergewicht und 24 Stunden rund 28 Kal. und pro Quadratmeter und 24 Stunden rund 910 Kal. Die Ex- treme sind 23,7 und 31,0 Kal. pro Kilogramm Körpergewicht, sowie 750 und 1005 pro Quadratmeter Körperoberfläche. Da der Stoffwechsel beim erwachsenen, nicht arbeitenden Menschen pro Kilogramm und 24 Stunden durchschnittlich etwa 32 Kal. und pro Quadratmeter Oberfläche etwa 1071 Kal. beträgt, folgt, daß der Stoffwechsel im höheren Lebensalter kleiner ist als in früheren Jahren. Dasselbe geht auch aus den oben mitgeteilten Bestimmungen der CO,- Abgabe hervor (vgl. die Tabellen S. 475). !) U. S. Depart. of Agriculture, Off. of exp. Stations. Bull. 84 (1900). — *) Skand. Arch. f. Physiol. 11, 60, 1900. — °?) Ebenda 6, 209, 1895. 480 Der Ansatz von Eiweiß im Körper. Aus dem hier dargelegten Material von Beobachtungen und Versuchen können wir also schließen, daß nicht allein die Körpergröße an und für sich, sondern auch das Lebensalter einen maßgebenden Einfluß auf den Stoff- wechsel ausübt. Zum Teil kann dieser Einfluß mit wirklichen Muskel- bewegungen in Zusammenhang gebracht werden, zum Teil dürfte er aber von solchen ganz unabhängig zu sein. Hier kommt nun neben anderen Um- ständen der Grad des Muskeltonus in Betracht, und derselbe spielt hier möglicherweise die allerwichtigste Rolle. Achtes Kapitel. Der Ansatz von Eiweiß im Körper. Beim Studium der Eiweißzersetzung bei reiner Fleisch(Eiweiß-)-Fütterung stellte es sich heraus, daß es nur wenige Tage dauert, bis sich der Körper mit noch so großen Eiweißmengen ins N-Gleichgewicht stellt, daß also die N-Retention im Körper nur eine kurze Zeit dauert und nie eine bedeutendere. Größe erreicht, auch wenn wir annehmen dürfen, daß aller im Körper zurück- gebliebene Stickstoff tatsächlich in Form von (lebendigem oder totem) Eiweiß angesetzt wurde (vgl. S. 394). Die größte N-Menge, welche Voit?) bei reiner Fleischfütterung an seinem Hunde zum Ansatz bringen konnte, betrug 46,4 g oder als Fleisch berechnet 1365 g. Durchschnittlich konnte er auf diesem Wege keinen größeren Ansatz als 17g N (= 500g Fleisch) be- kommen. „Man vermag mit Fleisch allein ein Tier zwar auf dem anderswie erzeugten reichlichen Stande zu erhalten, aber diesen Stand nicht herzustellen, noch eine Mästung von Fleisch zu bewirken.“ Aus Voits Versuchen mit Fleischfütterung folgt, daß Stickstoff bei fett- reichem Zustande des Tieres unter sonst gleichen Umständen ungleich mehr und länger angesetzt wird als bei fettarmem Zustande nach längerer Fütterung mit größeren Mengen reinen Fleisches?). Bei fetten Tieren spart also das im Körper angesetzte Fett das Eiweiß und läßt etwas davon zum Ansatz kommen. Bei fettarmem Körper tritt es sogar ein, daß vom zugeführten Fleisch gar nichts im Körper angesetzt wird, wie z. B. im folgenden Versuch’). Vom 17. Fe- bruar bis 5. März 1862 verzehrte Voits Hund täglich 1500g Fleisch (mit 5lg N) und befand sich damit schließlich im N-Gleichgewicht. Darauf hungerte das Tier vom 5. bis 15. März und verlor dabei 70,7g N und nicht wenig Fett vom Körper. Als es nun wieder 1500 g Fleisch bekam, setzte es sich sofort damit in N-Gleich- gewicht. Darauf erhielt der Hund vom 25. März bis 4. April kein Fleisch, sondern nur 100g Fett täglich; bei dieser Diät gab er von sich selber 62,8g N. ab. Als er dann abermals 1500g Fleisch täglich bekam, setzte er bis zum Gleichgewicht 18,49 N. an. Ganz anders stellt sich die Sache dar, wenn das Tier nebst Eiweiß auch N-freie Nahrungsstoffe erhält, denn diese sparen, wie schon früher bemerkt wurde, das Eiweiß. Es liegt uns jetzt ob, zu untersuchen, wie groß und wie lange dauernd der hierdurch erzielte N-Ansatz tatsächlich ist und welchen Einfluß verschieden große relative Mengen von Eiweiß und N-freien Nahrungs- stoffen hierbei ausüben. !) Zeitschr. f. Biol. 3, 46, 1867. — ?) Ebenda 3, 51, 1867. — °) Ebenda 5, 344, 1869. u a re er ee ee Be ee u Bl nn LU Le ll nn lc Der Ansatz von Eiweiß im Körper. 481 Vollständig bestimmt läßt sich diese Frage kaum beantworten, denn da der- artige Versuche, um beweiskräftig zu sein, an einem und demselben Tiere gemacht und dennoch vielfach variiert werden müssen, sowie jede einzelne Reihe eine ge- raume Zeit erfordert, so wird sich der körperliche Zustand des Tieres im Laufe der Untersuchung wesentlich verändern, was aber seinerseits, wie aus dem soeben mit- geteilten Beispiel hervorgeht, die Resultate in wesentlichem Grade beeinflussen kann. Zur vorläufigen Orientierung möge folgende Zusammenstellung einiger Ver- suche von Voit!) dienen. In acht verschiedenen Versuchsreihen bekam das Tier zuerst eine gewisse. Menge Fleisch und dann außerdem wechselnde Mengen von Fett. > & Durch das Ersparnis Futter Mittlerer | Fett bewirk- in Proz. Nr. Datum en Basar © | des ohne N | Fett | PFO a8 an N Fett um- g g £ g gesetzten N 1. 12. bis 14. Januar 1859. | 68,0 | 250 57,7 63 08 15. Januar 1859 . . .. | 680 | — 64,0 , . 2. |28. bis 31. März 1859 . || 61,2 as 60,3 47 SS 1. bis 5. April 1859 . . || 61,2 | 250 55,6 . ’ 3. 2. bis 9. März 1863. . \ = 3 51,0 0 50,7 1. bis 10. April 1863 ’ 0,3 0,6 9. bis 17. April 1863 . . | 51,0 30 50,4 17. bis 20. April 1863 . | 51,0 60 50,6 0,1 0,2 20. bis 27. April 1863 . | 51,0 | 100 49,0 1,7 3,3 27. März bis 1. April 1863 51,0 150 48,4 2,3 4,5 4. |19. bis 21. Januar 1862. | 51,0 0 51,4 13 = 22. bis 27. Januar 1862. | 51,0 | 150 50,1 ’ , 5. 31. Juli u. 3. August 1864 | 34,0 _ 38,7 3.3 85 1. August 1864... . . 34,0 | 100 35,4 s er, 2. August 1864. . . . . || 34,0 | 300 33,0 5,7 14,7 6. |23. u. 25. April 1863 . . || 17,0 —_ 18,9 1% 63 24. April 1863 . ... . 17,0 | 100 17,7 ! . 7. |11. u. 13. Mai 1863. . . || 17,0 —— 18,7 A 2,0 10,7 12. Mai 1863... rs 17,0 | 100 16,7 > 8. 22. bis 25. April 1859 . | 17,0 | 300 15,5 28 189 125. bis 29. April 1859 . | 17,0 | — 17,8 i ? Die prozentige Ersparnis variiert hier zwischen 0,2 und 14,7, ihre Größe scheint von der Größe der N-Zufuhr ziemlich unabhängig zu sein, denn bei 34g N und 300 g Fett, sowie bei 17g N und 300g Fett ist sie größer als bei jeder anderen Kombination von Fleisch und Fett. Und selbst die absolute Ersparnis an Stick- stoff ist bei reichlichen Fleischmengen nicht durchgehend beträchtlicher als bei verhältnismäßig geringen. Nur in der Reihe 1 mit 68g N und 250g Fett ist sie größer als in der Reihe 5 mit 34g N und 300g Fett. Die absolute Kraftzufuhr zeigt in beiden Reihen nur unwesentliche Unterschiede (3955 bzw. 3721 Kal.). Obgleich sich aus ‘diesen Zahlen kein bestimmtes ‚Gesetz abstrahieren läßt, scheint aus den Versuchen indes mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit !) Zeitschr. f. Biol. 5, 334, 1869. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 31 482 Der Ansatz von Eiweiß im Körper. hervorzugehen, daß eine große tägliche Ersparnis an Stickstoff nicht allein von der absoluten N-Menge in der Kost bedingt ist, sondern vielmehr am sichersten erzielt wird, wenn die Fettzufuhr im Verhältnis zur N-Zufuhr ziemlich groß ist. Diese Folgerung wird durch die folgende Reihe von Voit!) wesentlich unter- stützt; bei derselben blieb die Fettzufuhr stets die gleiche, die N-Menge stieg aber von 15,3 (= 450g Fleisch) auf 5lg (= 1500g Fleisch), ohne daß der Umfang des N-Ansatzes dabei in einem erheblicheren Grade variierte. Futter pro Tag Was Nr. Datum N Fett pro Tag g g g 1 4, DeZ..1BBT. N. 0 a 15,3 250 3,6 2 5..., 1857 bie 6. Jan. 1888. 4... 17,0 250 1,9 3 6. bis. *9; Jan. 21358 47,0 Wr 25,9 250 3,1 4 9.002 re BEE ar a er 34,0 250 4,3 DB N IB 2 ee 42,5 250 3,2 8: 1-38, 5100, VB En e 51,0 250 4,1 7 ID ER 2 BB A en, 51,0 250 1,8 Bei 25,5 und 42,5g N ist der N-Ansatz der gleiche; bei 34,0 und 51,0g N (Nr. 6) ebenso. : Es bleibt aber noch zu untersuchen, wie lange der N-Ansatz unter ver- schiedenen Nahrungsbedingungen andauert, bis N-Gleichgewicht wieder eintritt. Es kann ja der Fall sein, daß bei einer gewissen Kombination von Fleisch und Fett der tägliche N-Ansatz beträchtlich ist, aber nur kurze Zeit Futter N Be; Dat pro Tag | Gesamt | on N-Gleich- T. er atum 2 Tage N Fett N-Ansatz gewicht ? g g g 1 32 5. Dez. 1857 bis 6. Jan. 1858 | 17,0 250 61,0 Noch nicht 2 3 6. b18::9:-Jan. 1858 . . 25,5 250 9,2 Nahezu 3 5 80. Dez. 1860 bis 4. Jan. 27,2 200 5,2 Gleichgewicht 1861 4 4 22.'bis 26. Nov. 1860 . . 27,2 200 10,2 Noch nicht 5 3 27. bis 30. Nov. 1860 . . 27,2 200 12,9 Noch nicht 6 3 9. bis 12. Jan. 1858 .. 34,0 250 12,8 Nahezu 7 3 12. bis 15. Jan. 1858 . . 42,5 250 10,0 Nahezu 8 4 15. bis 19. Jan. 1858 . . 51,0 250 16,2 Nahezu 9 3 19. bis 22. Jan. 1858 . . 51,0 250 5,4 Nahezu 10 10 22. bis 31. Jan. 1862 . . 51,0 150 3,5 Gleichgewicht 11 23 9. März bis 1. April 1863 51,0 | 30—150 30,2 Nahezu i 12 7 | 1. bis 8. April’ 1859 . . | 61,2 250 29,0 Gleichgewicht 13 3 12. bis 15. Jan. 1859 . . || 68,0 250 12,0 Nahezu !) Zeitschr. f. Biol. 5, 338, 1869. Vgl. daselbst die Reihe vom 1. bis 24: Fe- bruar 1858 bei 150g Fett und allmählich abnehmenden Fleischmengen. 483 Der Ansatz von Eiweiß im Körper. dauert, während bei einer anderen Kombination trotz eines verhältnismäßig geringen täglichen Ansatzes die Gesamtinenge des im Körper aufgespeicherten Stickstoffes größer als im ersten Falle ist. In der vorstehenden Tabelle auf S. 482 unten sind die hierauf bezüglichen Versuche von Voit!) zusammengestellt. Bei 61,2& N und 250g Fett trat Gleichgewicht nach 7 Tagen ein, und dabei waren nur 299 N angesetzt; bei 17g N und 250g Fett stellte sich das N-Gleich- gewicht sogar nicht nach 32 Tagen ein, und während dieser Tage waren doch 619g N im Körper angesetzt worden. Der N-Ansatz verlief sehr regelmäßig, und zwar betrug derselbe für die ersten 12 Tage durchschnittlich 2,41 und für die folgenden Dekaden bzw. 1,47 und 1,77g. Es scheint also, daß ein reichlicher N-Ansatz am besten bei einer im Verhältnis zum gefütterten Eiweiß großen Fettzufuhr erzielt wird. Aus schon angegebenen Gründen lassen sich aber aus dem vorliegenden Material keine ganz bestimmten Folgerungen ziehen. Als weiteres Beispiel von der Einwirkung des Fettes auf den N-Ansatz sei noch folgender Versuch von Pflüger mitgeteilt®). Das Versuchstier bekam während 5 Tage durchschnittlich 37,1g, 105g Fett und 163g Stärke und dann Ersparnis Durch F Bus PD. Tag Mittlerer Kohlehydrat n- OR N-Umsatz| bewirkte era an er Kohle- | yro Tag | mittlere Er-| Kohle- # hydrat ? " arnisan N Mydrah y SP umgesetz- g g g ten N 1 |23. Juni bis 2. Juli 1859 | 17,0 |100—300| 17,1 dr nn 2. bis 5. Juli 1859 - . . | 17,0 == 19,2 4 3 2 2. bis 6. April 1865 17,0 -. 18,6 24 56 6. bis 8. April 1865 17,0 250 16,2 . e 3 |14. bis 20. Juni 1865 . . | 17,0 250 18,2 :2 ‘a. 20. bis 22. Juni 1865 . . | 17,0 _ 20,0 , 4 \4. bis 10. Juli 1864. . . | 27,2 En 28,1 AR 2% 10. bis 19. Juli 1864 27,2 |100—400 | 25,9 j k 5 |13. bis 17. Februar 1865 || 27,2 _ 26,6 Ag r 17. bis 22. Februar 1865 || 27,2 250 25,3 ! > 6 |23. bis 26. Juli 1864 . . | 34,0 = 35,0 A RR 26. bis 28. Juli 1864 34,0 |100—400| 30,7 r ’ 7 29. Juni bis 8. Juli 1863 | 51 = 54,4 IR 5% 8. bis 13. Juli 1868... . | 51 200 49,4 : : 8 |1. Januar 1859... ... 68 —_ 64,4 32 5.0 3. bis 4. Januar 1859. . | 68 |100—200 61,2 2 : 9 6. Januar 1859. .... 68 — 67,7 6.8 10.0 7. bis 11. Januar 1859 68 | 200—300 60,9 ? y 10 |15. Januar 1859 .... 68 — 70,4 6.0 85 16. bis 18. Januar 1859. | 68 200 64,4 ’ ; !) Zeitschr. f. Biol. 5, 344, 1869. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 52, 61, 1892. 31* 484 Der Ansatz von Eiweiß im Körper. während 4 Tage 38,1 g N, 126g Fett und 230g Stärke. Der mittlere Ansatz von Stickstoff betrug im ersten Falle 4,549,‘'im zweiten 5,85g pro Tag, oder für den ganzen Versuch 46,1g = 288g Eiweiß, was nahe 1,2 Proz. vom Anfangsgewicht des Tieres (28,3kg) beträgt. In bezug auf den Eiweißansatz haben die Kohlehydrate prinzipiell. die- selbe Bedeutung wie das Fett. Zum Vergleich mit der Tabelle S.481 stelle ich die von Voit!) mitgeteilten Erfahrungen über den N-Ansatz unter der Einwirkung von Kohlehydraten hier zusammen (siehe Tabelle auf S. 483 unten). Die prozentige Ersparnis ist hier wie beim Fett nicht von der absoluten Menge des gefütterten Eiweißes abhängig; der größten Ersparnis (13 Proz.) begegnen wir bei Zufuhr von 17gN (Nr. 2); etwa von derselben Größe (12,3 Proz.) ist die Ersparnis bei 349 N; in Nr. 1 und Nr. 9 ist die prozentige Ersparnis trotz der sehr ver- schiedenen N-Menge etwa gleichgroß (10,9 bzw. 10) usw. Dagegen ist der absolute Ansatz von N um so größer, je größer die gefütterte N-Menge war. Wie lange er gedauert hätte und von welchem Betrage er bis zum N-Gleichgewicht gewesen wäre, darüber geben uns diese Versuche indes keinen Aufschluß. Hinsichtlich des gegenseitigen Vermögens des Fettes und der Kohlehydrate N zu ersparen, hat sich aus vielen Versuchen ergeben, daß die letzteren dem Fett entschieden überlegen sind, wie z. B. in folgendem Versuch von Voit?). Der Hund bekam vom 19. bis 23. Juni 1859 17g N (= 500g Fleisch) und 250g Fett; der N-Umsatz betrug dabei 19g. Als statt des Fettes 300g Zucker am 23. bis 26. Juni dargereicht wurden, sank die N-Abgabe auf 15,8; bei 200g Zucker (26. bis 29. Juni) betrug die N-Abgabe 17,1g und bei 100g Zucker (29. Juni bis 2. Juli) 18,3g. Obgleich sogar die größte Zuckermenge kalorisch nur etwa 132g Fett entsprach, übte der Zucker doch eine auffällig größere eiweißersparende Wirkung als das Fett aus. Spätere Untersuchungen haben diese Tatsache vielfach bestätigt. Eine mit 42,5g Fleischmehl und 45g Stärke gefütterte Hündin verlor täglich 0,6g N vom Körper. Durch Zugabe von 5g Fett sank der Verlust auf 0,4g. Als das Fett durch 14,8g Stärke, wovon 12,5g verdaut wurden, ersetzt wurde, trat N-Gleich- gewicht ein (Potthast°). — E. Voit und Korkunoff*) gaben einem 27kg schweren Hunde in direkter Folge je drei Tage Eiweiß allein (5,11g N), Eiweiß mit 134g Fett und Eiweiß mit 269g Stärke. Die N-Abgabe betrug bzw. 9,57, 7,56 und 5,11g; durch das Fett waren also 2,01, durch die Stärke aber 4,46 & N erspart worden, und dennoch war die Verbrennungswärme der gefütterten Fettmenge (1246 Kal.) größer als die der gefütterten Kohlehydrate (1103 Kal.). In besonders prägnanter Weise geht die Überlegenheit der Kohlehydrate als Eiweißersparer aus Versuchen von Landergren’5) hervor (Mensch). Bei diesen gab er seinen Versuchspersonen eine möglichst N-arme, aber kohle- hydratreiche Kost und ersetzte nach einigen Tagen die Kohlehydrate voll- ständig durch eine isodyname Menge Fett. Hier kommt also das relative Vermögen des Fettes und der Kohlehydrate, Eiweiß zu ersparen, aufs deut- lichste zum Ausdruck (siehe Tabelle auf nebenstehender Seite oben). In Versuch I bekam die Versuchsperson eine in kalorischer Hinsicht völlig genügende Kost mit bzw. 45 und 44 Kal. pro Körperkilo.. Im Laufe der vier ersten Tage, wo nur Kohlehydrate genossen wurden, sank die N-Abgabe im Harn !) Zeitschr. f. Biol. 5, 434, 1869. — °) Ebenda 5, 448, 1869. — °) Arch. £. (Anat. u.) Physiol. 1898, 8. 269. — *) Zeitschr. f. Biol. 32, 118, 1895. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 14, 133, 1903. Vgl. auch Cedercreutz, Beiträge zur Kenntnis des Stickstoffwechsels in der Frühperiode der Syphilis. Breslau 1902. u u Me re ee Der Ansatz von Eiweiß im Körper. 485 Netto-Einnahmen pro Tag IE N-Abgabe alorien ro Ta AR Tag N Fett Ir er Alkohol | pro Tag in Harn g g g g g I 1 0,26 _— 738 17 3150 8,91 2 0,26 ur 738 17 3150 5,15 3 0,26 —_— 738 17 3150 4,30 4 0,26 788 17 . 3150 3,76 5 = 304 2 30 3049 4,28 6 — 304 2 30 3049 8,86 7 — 304 2 30 3049 9,64 I 1 0,81 116 350 16 2647 9,29 2 0,81 116 350 16 2647 7,07 3 0,81 116 350 16 2647 5,25 4 0,81 116 350 16 2647 4,95 5 — 326 2 18 3164 4,33 n zn 326 2 18 3164 7,81 III 6 1,09 61 259 16 1771 9,8 7 1,09 61 259 16 1771 7,9 8 1,09 61 259 16 1771 Fi 9 _ 275 4 16 2682 6,5 10 — 275 4 16 2682 8,4 11 1,42 62 270 16 1830 7,5 12 1,42 62 270 16 1830 5,4 13 1,42 +62 270 16 1830 4,9 von 8,91 auf ein Minimum von 3,76g. Als nun die Kohlehydrate ausgeschlossen und durch eine isodyname Menge Fett ersetzt wurden, stieg die N-Abgabe binnen drei Tagen auf 9,64g, war also 2,6 mal größer als während der Kohlehydrat- periode. Der Versuch II unterscheidet sich vom Versuch I dadurch, daß die Kost während der Kohlehydratperiode ziemlich knapp war, indes während der folgenden Periode durch Ersatz der Kohlehydrate durch eine isodynamisch viel größere Fettmenge beträchtlich erhöht wurde. Dessenungeachtet steigt während der letz- teren Periode die N-Abgabe am 2. Tage auf 7,81g, 4,95g am 4. Tage der Kohle- hydratperiode gegenüber. Der Versuch III, welcher an einer anderen Versuchsperson als die früheren ausgeführt wurde, beginnt mit einer kohlehydratreichen, aber absolut ungenügenden - Kost mit nur 22 Kal. pro Körperkilo; dabei sinkt die N-Abgabe in drei Tagen auf 7,1g. Dann werden die Kohlehydrate fortgelassen und statt dessen Fett in reich- licher Menge (Zufuhr 33,5 Kal. pro Körperkilo) genossen: am 2. Tage steigt die N-Abgabe auf 8,4g. Beim Rückgang zu der ersteren, kohlehydratreichen, aber ungenügenden Kost sinkt die N-Abgabe wieder, und zwar am 3. Tage auf den niedrigen Wert von 4,9g. In diesem Falle hat also 1 Kal. aus Kohlehydraten für die Eiweißersparnis eine größere Wirkung gehabt als 2 Kal. bei einseitiger Fett- nahrung. Zur theoretischen Deutung dieser Tatsache haben E. Voit und Kor- kunoff!) angenommen, daß die Kohlehydrate dank ihrer Aldehyd- bzw. Ketongruppe sich in einem labileren Gleichgewicht als das Fett befinden, !) Zeitschr. f. Biol. 32, 130, 1895. 486 Der Ansatz von Eiweiß im Körper. deshalb leichter als dieses zersetzt werden und also in höherem Maße eiweiß- ersparend wirken, während Rubner!) auf die verschiedene Wasserlöslichkeit und Teilbarkeit dieser Nahrungsstoffe größeres Gewicht legt. Auch würde das Nahrungsfett rascher angesetzt und dadurch die Zeit verkürzt werden, während welcher es durch seine Zersetzung eiweißersparend wirken könnte. Demgegenüber ist aber nach Landergren zu bemerken, daß die Kohle- hydrate ihre charakteristische, eiweißersparende Wirkung auch dann ent- falten, wenn sie nicht allein, sondern mit ziemlich viel Fett genossen werden. So wurde in einem seiner Versuche?) bei einer Nahrungszufuhr (netto) von 1,04g N, 143g Fett und 308g Kohlehydraten und 28g Alkohol mit 45 Kal. pro Körperkilo die N-Abgabe im Harn am 4. Tage auf 3,0 g herabgedrückt, und mehrere andere seiner Versuche ergeben dasselbe. In Versuchen von Tallqvist®) bekam die Versuchsperson täglich 2867 Kal. mit 16,3 N; in der ersten viertägigen Periode enthielt die Kost noch 44g Fett und 466g Kohlehydrate, in der zweiten ebenso langen 140g Fett und 250g Kohle- hydrate. In beiden Perioden stellte sich bald N-Gleichgewicht ein. Bei Ein- haltung der gleichen N-Menge und bei normalem Kaloriengehalt in der Kost betrug die N-Bilanz am 4. Tage der 1. Periode + 0,69, am 4. Tage der 2. Periode —0,14g. Also kann man wohl sagen, daß das N-Gleichgewicht im großen und ganzen ebensogut erhalten wird durch eine Kost, in der die N-freien Stoffe zu 90 Proz. wie zu 60 Proz. (kalorisch 80 bzw. 40 Proz.) durch Kohlehydrate ver- treten werden. Bei Gegenwart eines gewissen Minimums an Kohlehydraten entfaltet das Fett sowohl bei N-Hunger als bei N-Zufuhr einen fast ebenso kräftigen N-Schutz als isodyname Mengen von Kohlehydraten. Die leichtere Zersetz- barkeit usw. der letzteren kann also nicht die Ursache sein, weshalb die N-Ersparnis bei vollständigem Mangel an Kohlehydraten geringer ist als beim Vorhandensein einer genügend großen Menge derselben. Vorläufig begnüge ich mich damit, diese aus den einschlägigen Versuchen direkt hervorgehende Tatsache zu betonen; im folgenden Kapitel werde ich Gelegenheit haben, ihre theoretische Bedeutung näher zu erörtern. Über die Größe des beim erwachsenen Menschen zu erzielenden Ansatzes von Stickstoff haben u. a. Krug), F. Müller’), Moraczewskit), Sven- son’), Lüthje®), Dapper°), Kaufmann !P), sowie der letztere und Mohr 1!) wichtige Beobachtungen mitgeteilt, welche in folgender Tabelle zusammen- gestellt sind 12). Die Versuche von Krug und Dapper stellen Selbstversuche an gesunden Individuen dar; die Versuche 10 und 11,16 bis 18 von Lüthje beziehen sich ebenfalls auf gesunde Individuen; die übrigen Versuche sind - an Rekonvaleszenten ausgeführt (siehe Tabelle auf nebenstehender Seite). ‚Einen ganz enormen Ansatz von N erzielten White und Spriggs'?) an einer 38 jährigen hysterischen Frau. Der Versuch dauerte 55 Tage, während des- !) Rubner, Handb. d. Ernährungstherapie 1 (1), 2. Aufl. 1903, 8. 80. — ?2) Skand. Arch. f. Physiol. 14, 120, 1903. — °) Arch. f. Hyg. 41, 177, 1902. — *) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1893, 8. 374. — °) Zeitschr. f. klin. Med. 16, 552, 1889. — °) Ebenda 39, 44, 1900. — 7) Ebenda 43, 86, 1901. — °) Ebenda 44, 22, 1902. Deutsch. Arch. f. klin. Med. 81, 278, 1904. — °) Dapper, Inaug.-Dissert. Marburg 1902. — !°) Zentralbl. f. Stoffwechsel- u. Verdauungskrankh. 3, 239, 1902. — !!) Berliner klin. Wochenschr. 1903, Nr. 8. — !?) Vgl. auch Rosenfeld, Ber- liner Klinik 1899, Januar. — "?) Journ. of Physiol. 26, 151, 1901. wi new a Der Ansatz von Eiweiß im Körper. 487 - ER N pro Tag »8 A s® = ga |lnson as | dEH 23 85 Nr. so & Eorg Ein- Aus- | An- a: a S 3 Autor r 2 2 8| nahme | gabe | satz BR Fa ) Tage g g g g x 15 71 15,5 12,1 3,4 49,5 21 Krug 2 7 31 9,9 8,6 1,3 9,1 13 Müller 3 6 = 29,2 21,2 8,0 48,0 27 |: v. Moraczewski , 44a 9 55 23;1 16,3 6,8 61,2 29 b 5 72 30,7 16,8 | 13,9 69,5 45 5a 6 53 _ 25,8 18,0 | 7,8 | 46,8| 30 b 7 61 29,8 214 | 84 | 58,8| 28 ol 3|.58 292 |230| 62 || 186| 21 Svenson 9 58 15,8 10,1 | 571 51,3| 36 b 9 60 16,7 12,5 4,2 37,8 25 7 7 78 28,2 17,9.) 1038 | 72,1| 37 |] 8a 5 — 48,5 39,7 8,8 43,9 18 b 8 55 22,8 21,9 0,8 6,7 Es c 7 —_ 62,2 49,2 | 13,0 91,5 21 d 6 — 62,5 55,2 7,3 43,5 11 e 7 — 62,6 58,1 4,5 31,8 7 ga | 12 40 30,8 292 | 16 | 194 5 Lüthje b | ı10 58 42,1 36,0 | 6,1 | 609 | 14 © 5 70 61,0 47,2 | 13,8 69,2 23 10a | 10 | 6 49,1 344 | 14,7 | 147,0| 30 db| 8 64 46,2 27,6 | 18,6 | 148,6 | 40 c 7 60 40,7 22,1 | 18,6 || 130,5 46 dı 13 70 28,8 2238| 65 | 8345| 23 11a 5 33 20,3 181| 22 | ı32| u b 12 37 20,1 16,8 3,3 39,6 16 Dapper e | ‘9 38 24,6 21! 2326| 2334| 1 12 18 | 70—90 | 17,2—24,2| — 3,8 68,4 1 15—26 || Kaufmann und 13 11 |67—96|15,0—17,3| — 5,7 | 62,7 | -34 Mohr 14 10 |63—74|34,6—44,6 | 29,2 | 11,0 |109,9 | 27 15 12 |38—58 || 24,7—31,2| 23,2 5,2 62,0 18 Be 16 7 \72—82|49,6—63,5| 43,2 | 114 | 79,9 | gı |\Lüthje und 17 7 |36—44| 26-40 | 228 | 46 | 319| ı7 Berger 18 10 |55—60|151,9—58,6| 504 | 6,8 | 67,7 | 12 selben bekam die Versuchsperson eine sehr reichliche Kost, an einigen Tagen bis zu 115 Kal. pro Körperkilo, und ihr Körpergewicht nahm dabei von 39,2 auf 52,5kg zu. Die gesamte Aufnahme von Stickstoff betrug 2142,5, die gesamte Ab- gabe 1481,5g. Also wären im Körper nicht weniger als 661g N zurückgeblieben. Da indes 661g N = 19441g Fleisch sind und das Körpergewicht der Versuchs- person nur um 13,3kg zunahm, muß irgendwo ein Verlust an N stattgefunden 488 haben. Die Autoren ziehen die Menstruation, den Fchweiß usw. in Betracht, kommen indes schließlich doch zu dem Resultat, daß ein nicht zu erklärender Verlust von wenigstens 120g N vorgekommen ist. Der Ansatz von Eiweiß im Körper. Sogar bei einer ungenügenden Kost kann es zu einem N-Ansatz im Körper kommen. Dapper') genoß in einem Selbstversuch 125g Eiweiß, 25 bis 45g Kohlehydrate und 65g Fett = 13 bis 14 Kal. pro Körperkilo. Obgleich er bei dieser absolut unzureichenden Kost täglich etwa 300g an Gewicht verlor, wurden doch im Laufe von 12 Tagen insgesamt 9,6g N zurückgehalten. In einem zweiten Versuch mit 180 g Eiweiß, 75 bis 80 g Fett und 30 bis 40 g Kohlehydrat = 17 Kal.täglich pro Körperkilo war die N-Bilanz auch positiv, und es wurden bei einem täglichen Gewichtsverlust von 360 g während 7 Tage im Körper 9,1g N angesetzt. Dapper war fettleibig, und sein Körpeıfett könnte daher zu einem gewissen Grade als Eiweißersparer wirken. Indes wurde das gleiche Resultat auch in Selbst- versuchen von Clopatt?) erzielt, trotzdem dieser nur etwa 76kg wog. Bei einer Zufuhr (brutto) von etwa 35 Kal. pro Körperkilo, welche an sich ungenügend war und in 12 Tagen einen Gewichtsverlust von 1,5kg veranlaßte, war die N-Bilanz mit Ausnahme des 2. Versuchstages positiv, und zwar betrug der gesamte Ansatz während dieser Tage 11,24 g, also etwa 1g pro Tag. In welcher Form der im Körper retinierte Stickstoff dort vorkommt — als lebendige Substanz, als totes Eiweiß oder als andere N-haltigen Ver- bindungen — darüber lassen sich nur Vermutungen aufstellen. Angesichts der großen Mengen Stickstoff, die bei vielen der oben $. 487 mitgeteilten Versuche im Körper zurückgehalten worden sind, ist es indes von vorn- herein ziemlich wahrscheinlich, daß hier jedenfalls eine gewisse POSHAE von lebendiger Substanz stattgefunden hat. Zur Aufklärung dieser Frage sind Untersuchungen über die gleichzeitige Aschebilanz sehr wertvoll. Wenn nämlich Stickstoff und Phosphor in dem- selben gegenseitigen Verhältnis angesetzt werden, wie sie im Muskelfleisch vorkommen, so gewinnt die Annahme von einem wirklichen Fleischansatz wesentlich an Wahrscheinlichkeit.e. In dieser Hinsicht sind folgende Ver- suche von Lüthje und Berger) von großem Interesse. Tägliche Bilanz Pin Pin Nr Knochen- Rest P Muskel- „ N P Ca substanz fleisch g g g g g g 1 2. 10,999 + 1,237 E= 1,215 0,542 0,695 0,665 2 + 5165 | + 0,563 + 0,528 0,240 0,323 0,314 3 + 11,419 | + 0,550 + 0,322 0,144 0,406 0,682 4 + 4,566 — 1,477 + 1,147 0,528 0,949 0,275 5 + 6,768 | + 1,765 + 0,103 0,044 0,721 0,411 Da das Muskelfleisch nur sehr arm an Ca ist, fassen die genannten Autoren den gesamten Ca-Ansatz als sprechende P-Menge in die Rechnung. Diese P-Menge ist im 5. Stabe der Tabelle 361, 1901. Knochensubstanz auf und bringen also eine ent- !) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1893, 8.375. — ?°) Skand. Arch. £. Physiol. 11, Vgl. auch Hellesen, Norsk Magaz. f. Laegevidensk. 1902, Nr. 9, sowie Hirschfeld, Berliner klin. Wochenschr. 1894, S. 621; Bornstein, Ebenda 1904, Nr. 46 u. 47. — °) Deutsch. Arch. f. klin. Med. 81, 278, 1904. Der Ansatz von Eiweiß im Körper. 489 aufgenommen. Die zurückbleibende P-Menge findet sich im 6. Stabe. Im 7. Stabe ist die P-Menge berechnet, welche notwendig wäre, um mit dem angesetzten Stickstoff Muskelsubstanz zu bilden (N:P = 1:0,060). Aus dieser Berechnung folgt, daß in Nr. 1 und 2 Stickstoff und Phosphor genau in dem Verhältnisse zurückgehalten worden sind, wie ein eventueller Fleisch- ansatz erfordert. In Nr. 3 ist ein verhältnismäßig größerer Ansatz von Stickstoff und in Nr. 4 und 5 von Phosphor erfolgt. Hieraus folgt, daß der alleinige Nach- weis einer N-Retention bei weitem nicht gestattet, von einer Neubildung von Muskel- substanz zu reden. Es ist sehr wahrscheinlich, daß in Nr. 1 und 2 eine solche tatsächlich aus der ganzen zurückgehaltenen N-Menge stattgefunden hat. Die Ver- suche wurden an Rekonvaleszenten gemacht. In Nr. 3 hat nur ein Teil des Stickstoffs in Fleisch verwandelt werden können. In Nr. 4 und 5 ist ein beträcht- licher Phosphoransatz ohne entsprechenden N-Ansatz zu verzeichnen. Wir können also vorläufig nur so viel sagen, daß bei einem umfang- reicheren N-Ansatz im Körper wahrscheinlich ein Teil dieses Stickstoffs als lebendige Substanz (Fleisch) abgelagert wird, während ein anderer Teil als totes Eiweiß oder andere N-haltigen Verbindungen entweder als Einschluß in der lebendigen Substanz oder gelöst in den Körpersäften vorkommt. Von alters her ist es bekannt, daß die Muskeln nur durch Arbeit gestärkt werden; auch die allerreichlichste und am zweckmäßigsten zusammengesetzte Kost vermag es an und für sich|nicht, eine kräftige Muskulatur zu entwickeln. Im Zusammenhang hiermit steht nun auch die Tatsache, daß die Arbeit eine N-Anhäufung im Körper sogar bei einer Kost, die an sich lange nicht als reichlich bezeichnet werden kann, bewirkt. Caspari!) gab einem Hunde von 32 kg Körpergewicht ein konstantes Futter mit 2088 bis 2099 Kal. und 25,11g N pro Tag. Während der sieben ersten Tage leistete das Tier keine Arbeit; dann folgten vier Arbeitstage, wieder ein Ruhetag und endlich noch fünf Arbeitstage. Die N-Bilanz und das Körpergewicht sind in folgen- der Tabelle aufgenommen (die kursivierten Zahlen entsprechen den Arbeitstagen): N-Bilanz Mittleres N- Bilanz Mittleres Tag ‚ pro Tag Körpergewicht Tag pro Tag Körpergewicht g kg g kg 1—4 — 0,46 32,75 12 + 1,27 32,90 5—6 + 1,22 32,70 13 + 2,51 32,60 7 + 1,24 33,00 14 + 3,69 32,35 8 — 1,39 32,68 15 + 2,94 32,45 9 +0,01 32,25 16 + 3,46 32,23 10 + 0,10 32,65 17 + 3,54 32,08 11 + 1,50 32,60 Die tägliche Arbeit bedingte nach Casparis Berechnung 467 bis 597 Kal. Während der ersten Ruheperiode ist die mittlere N-Bilanz bzw. — 0,46, + 1,22, +1,24; im Laufe der ersten Arbeitsperiode beträgt sie bzw. — 1,39, + 0,01, + 0,10, +1,50, sinkt während des nun folgenden Ruhetages auf + 1,27, erhebt sich dann während der zweiten Arbeitsperiode und erreicht nun sehr hohe Werte, bis auf +3,69. Und zwar fand dies statt, trotzdem die Kost an und für sich für die Arbeitsperioden nicht genügend war, Die erste Ruheperiode läßt nämlich das Körpergewicht von 32,75 auf 33,00 kg steigen; in der ersten Arbeitsperiode sinkt es dagegen auf 32,60, erhebt sich am folgenden Ruhetage auf 32,90, um dann während der zweiten Arbeitsperiode auf 32,08 herabzusinken. ?) Arch. f. d. ges. Physiol. 83, 509, 1901; vgl. auch Bornstein, ebenda 83, 540, 1901. 490 Der Ansatz von Eiweiß im Körper. An sich selber machte Kaup!) einen entsprechenden Versuch. Die Arbeits- leistung bestand in Bergbesteigen und betrug, ohne Hinzurechnen der bei dem Absteigen und bei der Horizontalverschiebung ausgeführten Arbeit, 138860 kgm, was, unter Voraussetzung eines Nutzeffektes von 33 Proz., einem Energieverbrauch von 924 Kal. entspricht. Die Schweißbildung bei der Arbeit war nur unbedeutend. Die Kost war während der Ruhetage und des Arbeitstages dieselbe und bestand aus 22,2 N, 128g Fett, 507g Kohlehydraten und 18g Alkohol = 3969 Kal. Die N-Bilanz betrug während dreier Ruhetage — 2,2, — 2,7, + 0,2; während des Arbeits- tages + 3,5, und während der zwei folgenden Ruhetage + 0,2, + 0,5g. Gleichzeitig mit dem Ansatze von N während des Arbeitstages war auch die Abgabe von Phosphor vermindert, was seinerseits, wie ähnliche Beobachtungen von Lüthje und Berger (zit. 8.488), in einem gewissen Grade wenigstens für den Ansatz von organisierter Substanz spricht. Unter den jetzt erwähnten Erfahrungen zeigen mehrere, daß keineswegs immer ein reichlicher Überschuß an Nahrung erforderlich ist, um beim Er- wachsenen einen N-Ansatz zustande zu bringen. Dagegen geht aus den- selben noch nicht hervor, ob und auf welche Weise dieser Ansatz geschützt werden kann. Rosenfeld?), welcher diese Frage eingehend erörtert hat, hebt im Anschluß an frühere Ausführungen von Voit?) hervor, daß es nicht un- wahrscheinlich ist, daß dazu eine Kost gehört, welche auf die Dauer vom Menschen nicht bewältigt werden kann. Ebenso wie bei einer Entfettungs- kur in den ersten Tagen fast immer Eiweiß abschmilzt, kann sich bei gegen früher verminderter Kost nur erst nach einem gewissen N-Verlust der Eiweiß- bestand erhalten; es muß also das Individuum eine dem Mastfutter annähernd gleiche Nahrungsmenge als Norm genießen. Diese Auffassung dürfte jedoch kaum richtig sein, wenigstens nicht sofern es sich um einen wirklichen Ansatz von lebendiger Organmasse handelt. Schon die Erfahrungen an hungernden Tieren und Menschen haben ja ergeben, daß nur nach einer an Eiweiß sehr reichen Kost der durch die N-Abgabe ge- messene Eiweißzerfall während der ersten Hungertage erheblicheren Um- fanges ist, während das Verhalten der Hungertiere, wenn sie vorher eine ziemlich N-arme Kost erhalten haben, sowie das nach wenigen Tagen unab- hängig von der Art des früheren Futters eintretende typische Hungerminimum so deutlich wie möglich zeigen, daß die lebendige Substanz des Körpers bei der Karenz nur in verhältnismäßig geringem Umfange der Zersetzung an- heimfällt. Genau dasselbe Verhalten tritt uns auch in Landergrens*) schon erwähnten Versuchen über die N-Abgabe bei N-armer, aber kalorisch ge- nügender Kost entgegen. Zu voller Evidenz wird aber die betreffende Auffassung durch folgenden Ver- such von Siv&n?’) widerlegt. Das Versuchsindividuum, ein dreißigjähriger Mann, genoß in seiner gewöhnlichen Kost täglich etwa 16g N. Dann wurde, unter ent- sprechender Vermehrung der N-freien Nahrungsstoffe, die tägliche N-Zufuhr auf 6,26 g herabgesetzt. Das Resultat ist in folgender Tabelle auf nebenstehender Seite oben eingetragen. Während dieses Versuches hat also die N-Zufuhr von 16,0 auf 6,26, d. h. um etwa 61 Proz. abgenommen, und trotzdem hat der Körper nicht allein seinen früheren Eiweißbestand behauptet, sondern ‚außerdem noch insgesamt 19,58 g N angesetzt. Und doch lag hier kein Nahrungsüberschuß vor, denn das Körpergewicht nahm im Laufe der 28 Versuchstage von 60,8 auf 59,7kg ab. !) Zeitschr. f. Biol. 43, 221, 1902. — °) Berliner Klinik, Januar 1899, 8. 11, 22. — °?) Voit, 8. 113. — *) Skand. Arch. f. Physiol. 14, 119, 1903. — °) Ebenda 10, 128, 1899; vgl. auch Hirschfeld, Arch. f. d. ges. Physiol. 44, 454, 1889. Der Ansatz von Eiweiß im Körper. 491 Gesamter N-Verlust Gesamtansatz N-Zufuhr | N-Gleich- am Körper während der Periode } Ei (mit Abzug des Ver- Nr. | Tage | pro Tag gewicht bis Bintritt des ste rd a nach Tagen | N-Gleichgewichtes ersten Tage) it - g g 1 7 12,69 1 0,53 9,73 2 9 10,38 1 0,34 6,04 3 6 8,71 sofort _ 4.39 4 6 6,26 2 2,09 — 0,58 Bei zweckmäßiger Anordnung der Kost kann also die N-Zufuhr sehr tief herabgedrückt werden, ohne daß der Körper von seinem eigenen Eiweiß etwas zuzusetzen braucht, was seinerseits zeigt, daß das einmal in organi- sierter Form angesetzte Eiweiß auch ohne Mastfutter geschützt werden kann. Als weiteres Beispiel sei noch folgender Versuch von Lüthje und Berger!) mitgeteilt. Während 10 Tage bekam die Versuchsperson 55 bis 60 Kal. pro kg mit 51,9 bis 58,6g N täglich und setzte dabei insgesamt 67,7g N im Körper an. Dann wurde die Zufuhr auf 35 bis 36 Kal. mit 20,8 bis 22,4g N herabgesetzt. Während der ersten sechs Tage dieser Reihe verlor der Körper insgesamt 37,5g N; am siebenten Tage stellte sich N-Gleichgewicht ein. Vom Ansatz wurden also jedenfalls 30,2g N trotz der stark verminderten Zufuhr im Körper zurückgehalten. Trotz allem gilt es indes als eine allgemeine Regel, daß ein lange dauern- der und umfangreicher Ansatz von Eiweiß beim Erwachsenen nur ausnahnıs- weise zu erzielen ist, und daß der Ansatz auch unter den günstigsten Be- dingungen verhältnismäßig bald eine obere Grenze erreicht, die nicht mehr überschritten wird. In dieser Hinsicht liegt ein prinzipieller Unterschied zwischen dem Eiweiß und dem Fett vor, dessen Ursachen vor allem von v.Hoesslin ?) eingehend erörtert worden sind. Das Eiweiß, das im Körper aufgespeichert wird, kann teils in den Körper- flüssigkeiten bleiben, teils in lebendige Substanz verwandelt werden, eventuell auch als toter Einschluß in den Organen vorkommen. Angesichts der großen Konstanz in der Zusammensetzung der Körperflüssigkeiten kann die in denselben enthaltene Eiweißmenge nur in dem Falle zunehmen, wenn sie selber an Menge zunehmen. Hier findet aber die Zunahme bald eine obere Grenze, und ein weiterer Ansatz daselbst ist daher ausgeschlossen. Über eine etwaige Aufspeicherung von totem Eiweiß als Zelleinschluß können wir nichts Bestimmtes sagen. Es bleibt also nur die Möglichkeit, daß das angesetzte Eiweiß sich organisiert und in lebendige Sub- stanz verwandelt. Aber auch hier wird, wie die Erfahrung zeigt, bald eine obere Grenze erreicht. Der erwachsene Körper sucht nämlich die für ihn normale Menge an lebendiger Substanz in möglichst engen Grenzen zu erhalten, weil mit dem Wachstum der Zelle ein bedeutend größerer Verbrauch verbunden ist und damit dann auch eine vermehrte Leistungsfähigkeit, wie auch mit einer Abnahme der lebendigen Substanz eine sehr verminderte. Eine ‚mittlere und sich annähernd gleich bleibende Leistungsfähigkeit erhält sich der Körper durch die annähernde Konstanz seiner funktionierenden Massen. Das Gegenteil, eine weitgehende Ab- hängigkeit des Organismus und seines Bestandes an funktionierendem Protoplasma, eine rapide Ab- und Zunahme des Körperfleisches, wäre nicht zweckentsprechend, weniger vorteilhaft, wie die wirkliche Einrichtung. Darum zerstört der Körper den größten Teil des überschüssig zugeführten Eiweißes. !) Deutsch. Arch. f. klin. Med. 81, 301, 1904. — °) Arch. f. pathol. Anat. 89, 354, 1882. 492 Der Ansatz von Eiweiß im Körper. ‘Bei dem noch wachsenden Körper sind die Bedingungen für den Eiweiß- ansatz viel günstiger, was zum Teil von dessen im Verhältnis zur Körper- größe beträchtlicher Nahrungsaufnahme, zum Teil wohl auch von einer be- sonderen Fähigkeit der jungen Zellen, das Eiweiß aus den Körperflüssigkeiten an sich zu ziehen und in lebendiges Protoplasma zu verwandeln, bedingt ist. Während der erwachsene Körper sogar bei dem größten Überschuß an Nahrung und Eiweiß binnen einer jedenfalls nicht sehr langen Zeit sich mit diesem Eiweiß ins Gleichgewicht setzt, so bleibt im Alter des Wachstums, wenn nicht die Kost an und für sich absolut ungenügend ist, Tag für Tag eine gewisse Eiweißmenge im Körper zurück und erhöht also ununterbrochen den Eiweiß- bestand des Körpers, bis dieser seine volle Reife erreicht hat. Eine wie große Menge Stickstoff in dieser Weise täglich oder wöchent- lich angesetzt wird, und in welchem Verhältnis diese zur genossenen Eiweiß- menge bzw. der Gesamtkost überhaupt steht, darüber wissen wir zurzeit nicht viel. Nur als Beispiele teile ich nach Bendix'), Rubner und Heubner?), Hellström?°), Cronheim und Möller), Sommerfeld und Caro?) einige Angaben über den N-Ansatz im Säuglingsalter hier mit. Bei allen diesen Versuchen waren sowohl die Einnahmen als die Ausgaben an N direkt analysiert (siehe Tabelle 1 auf 8.493). Das vorliegende Beobachtungsmaterial ist indes viel zu klein, um irgend welche allgemein gültigen, bestimmten Schlußfolgerungen zu gestatten. Be- merkenswert ist jedenfalls die große Ersparnis an N, welche in Nr. 1 bis 3 bzw. 47, 34 und 26, in Nr. 4 bis 7, 24, 9 und 17, sowie in Nr. 8 und 9 13 bzw. 18 Proz. des genossenen Stickstoffs beträgt. An drei wachsenden Hunden im Alter von 78 Tagen, mit einem Anfangs- «gewicht von bzw. 1,85, 1,17. und 2,96 kg, bestimmte Rost‘) während 3'/, Monate den N-Stoffwechsel. Während der ersten Periode von 21 Tagen war das Futter so zugemessen, daß die Tiere entsprechend ihrer Gewichtszunahme täglich etwa die gleiche Kalorienzufuhr pro Kilogramm Körpergewicht (etwa 180 Kal.) bekamen. Im weiteren Verlaufe der Versuchsreihe blieb das Futter konstant und die Zufuhr pro Körperkilo also immer geringer (bei Hund I von 169 bis 88, bei Hund II von 167 bis 84, bei Hund III von 179 bis 89 Kal.). Tabelle 2 auf 8. 493 enthält ein Resümee dieser Beobachtungen. Die Zahlen stellen Mittelwerte in Gramm pro Tag dar. Nach Rost ist, in bezug auf den N-Ansatz, eine Korrektur von etwa 3 Proz. wegen N-Verlustes anzubringen. Die neueren Erfahrungen über die Veränderungen des Eiweißes bei der Ver- dauung haben mit großer Wahrscheinlichkeit ergeben, daß dasselbe dabei zum großen Teile in verhältnismäßig wenig komplizierte Produkte gespalten wird. Aller- dings sind die Akten darüber noch nicht geschlossen, ob die Gesamtmenge des Ei- weißes im Darme und in der Darmschleimhaut so weit zersetzt wird, und es läßt sich daher denken, daß ein Teil des Eiweißes diesem Zerfall entgeht und etwa in Form von Albumosen dem Körper zur Verfügung gestellt wird. Zur Aufklärung dieser Frage, welche die nach einer wirklichen Synthese der Eiweißkörper im Organismus impliziert, hat in erster Linie Loewi’) Versuche über den Wert der biuretfreien Spaltprodukte der Pankreasselbstverdauung für den Eiweißhaushalt angestellt, !) Jahrb. f. Kinderheilk. N. F. 43, 22, 1896. — ?) Zeitschr. f. Biol. 36, 35, 1898; 38, 328, 1899. — °) L’Obstetrique 1900. — *) Jahrb. f. Kinderheilk. N. F. 57, 45, 1903. — ®) Arch. f. Kinderheilk. 33, 161, 1902. In den einschlägigen Versuchen ‚betrug der tägliche P-Ansatz bzw. 0,44 und 0,71g. — °) Arbeiten a. d. Kaiserl. Gesundheitsamte 18, 206, 1901. — 7) Arch. f. experim. Pathol. 48, 303, 1902. ® A "9poLIOT UEPUSFYFANNq A9p opuyy we YydImssısdıoy (5 = sı'8 91 6% 0'8I 79% FI EI 0'6 839 FI 8‘ 03'31 L28T—981 692 03 9€ 0'8I L1# 6L Da 06 oF<4 st °° c3's1 S9T—871 039 8 + 0'81 038 95 E73 06 er'r 8 1 03‘31 L3T—001 1 83 1'F 0'8T—F 11 03‘ 93 L1 86-97 03€ 8 7 [RE a 497 66 —8L Q 54 ST 3 3 34 FR 3 3 34 3 3 = („YyPTA9H zyesuy-N Pwyeumvy-N| (‚Y401maH zyesuy-N dwyeugny-N | („3491129 zyesuy-N Suyeupmy-N | oödeysusgerf fer ; 5 III punH Ir pung I punH : "sc OIIPqeL a © h, 5) 5 ; ; FE " og + sr9L = 86'681 e PER 6 a ER pIPFIowwog eg x 60° + 18 #1 — 6891 u sayep 8 2 aoeuqny 'n gouqnoy r z.’0+ »eE 918 93% 2 OB L 2 Be # DS R eso+ age £0L 06‘8 9'9 wa ji 9 < i “ 4 JeIIeW 'n mreyuoıg Se] 024 !yopruyny ceo+ gE'E g0L er'g 6'9 91 g A xrpuog | Ze od ‘Zungen oydısunyy z0+ 98% —_ 818 [Fr RE.’ + aouqny n Jouqnog Ze] o2d ‘yoprunıoyyam 930-+ LL‘0 328 g01 1'8 wsypoM 6 € + PPoLIOd 1 + 317 > »2'9 gs FT ° woagsjjo | 9zued orp any ‘yaprunoyynmt ec + 31% _ gs [AK edel 2—1 I 3 i : hie: r n 3 aomy usedunyIouuy ZWETTET-N oqwäsny-N yydIm9 day IN uswyeuurg -aodıoy "TOIIqEL, 494 Der Ansatz von Eiweiß im Körper. indem er Hunde mit diesen Substanzen und Fett fütterte. Wenn die betreffenden Verbindungen denselben Nährwert als das Eiweiß besäßen, so sollte durch dieselben nicht allein N-Gleichgewicht, sondern auch N-Ansatz erzielt werden müssen. Unter den in dieser Richtung von Loewi gemachten Versuchen scheiterten einige wegen Erbrechen, Diarrhöe oder Unregelmäßigkeiten der N-Abgabe im Harn. Im folgen- den Versuche traten aber diese Übelstände nicht ein, weshalb derselbe von Loewi als besonders beweiskräftig erachtet wird. Der Hund erhielt nach etwa zehntägigem Hungern 200g Fleisch, 50 g Stärke und 75g Schmalz mit etwa 7g N und ‚setzte dabei während 5 Tage durchschnitt- lich 2g N an. Nach dieser Vorbereitung bekam das Tier 300 ccm der Pankreas- produkte mit 5,80g N, 50g Stärke und 100g Schmalz; die N-Zufuhr betrug ins- gesamt 5,97 g. Während 11 Tage setzte das Tier bei dieser Diät 9,79g N, d. h. pro Tag 0,89g N an, welcher Stickstoff nur aus den gefütterten Pankreas- produkten hat entstammen können. Zu gleicher Zeit wurde auch 0,649 g P,O, angesetzt. Auf Grund dieses Versuches zieht nun Loewi die allgemeine Schluß- - folgerung, daß die Summe der biuretfreien Endprodukte für alle Teile des im Stoffwechsel zugrunde gehenden Körpereiweißes eintreten, sowie daß das Tier aus diesen Produkten Eiweiß aufbauen kann. Die Gültigkeit dieses Satzes dürfte indes nicht über allen Zweifel erhaben sein. Schon aus Loewis Arbeit entsteht eine Bedenklichkeit. Er setzte nämlich den oben beschriebenen Versuch weiter fort, aber in der Weise, daß er die Stärke fort- ließ und durch Fett ersetzte. Die bisher positive Bilanz wurde.nun schwach negativ, was möglicherweise aus dem geringen Vermögen des Fettes, Eiweiß zu ersparen, erklärt werden konnte. Als nun aber nach zwei Tagen wieder Stärke verabreicht wurde, fuhr das Tier fort, N von seinem Körper zu verlieren; der Verlust betrug während sechs Tage in Summa 5,30 g N und hörte erst auf, wenn Fleisch statt des Pankreaspräparates gefüttert wurde. Daraus geht, wie Loewi selber bemerkt, jedenfalls hervor, daß das Fleisch qualitativ mehr leistet als eine an N’ ent- sprechende Menge biuretfreier Endprodukte der Pankreasverdauung. Unter Anwendung eines anderen Präparates, und zwar mit Trypsin verdauten Fibrins, bei welchem die Biuretreaktion eben angedeutet war, kam Lesser!) zu dem Resultat, daß es unmöglich sei, damit einen Ansatz von Stickstoff am Körper zu erreichen, vielmehr wurde dabei noch 1,3g N abgegeben, während bei Eiweiß- fütterung bei derselben Gabe N am ersten Tage schon 2,9g N angesetzt wurden. Auch Henderson und Dean?) konnten bei einem entsprechenden Versuche keine Eiweißsynthese nachweisen. In demselben bekam das Versuchstier nebst Fett "und Stärke die durch lange dauernde Behandlung mit kochender Schwefelsäure aus Fleisch erhaltenen biuretfreien Endprodukte. Es traten dabei Erbrechen und Diarrhöe von Zeit zu Zeit auf, indes war der N-Verlust vom Körper endlich nur 0,08g pro Tag. Jedenfalls vermochten also die betreffenden Produkte in einem sehr hohen Grade das Körpereiweiß zu ersparen. In der letzten Zeit haben Henriques und Hansen?) entsprechende Versuche an Ratten mitgeteilt. Dabei stellte es sich heraus, daß die Produkte einer zweimonatlichen Selbstdigestion von Ochsenpankreas nebst Hundedarm- schleimhaut, welche keine Spur von Biuretreaktion gaben, tatsächlich imstande waren, nicht allein das N-Gleichgewicht herzustellen, sondern auch einen N-Ansatz zu bewirken. So wurden in einem Versuche im Laufe von 14 Tagen bei einer täglichen Zufuhr von 0,159g N im ganzen 0,129 g N angesetzt. Auch diejenigen Verbindungen des trypsinverdauten Stoffes, die nicht durch Phosphorwolframsäure gefällt werden („Monoaminosäuren“), sowie diejenigen, !) Zeitschr. f. Biol. 45, 497, 1904; vgl. auch die Polemik zwischen Loewi und Lesser, ebenda 46, 110 u. 113, 1904. — °) American Journ. of Physiol. 9, 386, 1903. — °) Zeitschr. f. physiol. Chemie 43, 417, 1905. Der Ansatz von Kohlehydraten im Körper. 495 die in 96 proz. warmem Alkohol löslich sind, vermochten die Tiere im N- Gleichgewicht zu erhalten. Dagegen erlitten die Tiere einen stetigen N-Verlust, wenn sie mit den Säurespaltungsprodukten des Kaseins gefüttert wurden. Zu bemerken ist, daß das Futter außer den erwähnten N-haltigen Verbin- dungen noch Zucker, Schweinefett, Zellulose, sowie NaCl, KCl, Na,00, und KnochenmeHll enthielt. Neuntes Kapitel. Der Ansatz von Kohlehydraten im Körper !). Nachdem Claude Bernard im Verein mit Barreswill?) 1848 nach- gewiesen hatte, daß die Leber sich bei jeder Art von Nahrung durch einen hohen Gehalt an Zucker von allen anderen Organen unterschied, die keinen Zucker enthalten, gelang es ihm einige Jahre später, das von ihm als Mutter- substanz des Leberzuckers aufgefaßte Glykogen rein darzustellen®). Etwa gleichzeitig wurde das Leberglykogen auch von Hensen entdeckt®). Kurz nachher fand Sanson5) das Glykogen in den Muskeln, der Milz, den Nieren und sogar im Blute. Wie die zahlreichen seitdem ausgeführten Untersuchun- gen ergeben haben, findet sich das Glykogen schon in den früheren Stadien des Embryonallebens, sowie beim wachsenden und erwachsenen Körper fast in allen Organen vor. Der Gehalt an Glykogen variiert aber bei ver- schiedenen Körperteilen sehr erheblich, und ein größerer Glykogenansatz wird nur in der Leber und den Muskeln angetroffen, obgleich die Glykogen- menge der übrigen Organe bei genaueren Untersuchungen gar nicht zu ver- nachlässigen ist. Die Glykogenmenge des Körpers ist vielfachen Variationen unter- worfen; unter Umständen wird das Glykogen fast vollständig zerstört, um bei Zufuhr von Glykogenbildnern alsbald, und zwar innerhalb einer sehr kurzen Zeit, aufs neue gebildet und angesetzt zu werden. Das Glykogen ist daher in erster Linie als ein Reservenahrungsstoff aufzufassen, und seine Bedeutung beim Stoffwechsel liegt wohl vor allem darin, daß es den Körper von Variationen der Kohlehydratzufuhr in einem gewissen Grade unabhängig macht. Die Menge Glykogen, die im Körper angesetzt werden kann, ist jeden- falls sehr begrenzt und kann bei weitem nicht mit der Fettmenge wetteifern, die unter Umständen im Körper abgelagert wird, was unzweifelhaft davon bedingt ist, daß das Glykogen nicht wie das Fett in ein besonderes Gewebe, sondern in den Organen selber aufgespeichert wird. !) Da diese Frage in der letzten Zeit von Cremer (Ergebnisse der Physio- logie 1 (1), 803, 1902), Langstein (Ebenda 1 (1), 63, 1902; 3 (1), 453, 1904) und Pflüger (Arch. f. d. ges. Physiol. 96, 1, 1903) sehr eingehend bearbeitet worden ist, werde ich mich hier nur auf das Allerwichtigste beschränken und verweise betreffend alle Einzelheiten auf die genannten monographischen Darstellungen, wo auch die umfangreicheLiteratur in großer Vollständigkeit verzeichnet ist. — 2) Compt. rend. de ’Academie des sciences (Paris) 27, 514, 1848. — °) Ebenda (Paris) 44, 578, 1857. — *) Verhandl. d. physikal.-med. Ges. in Würzburg 7, 219, 1856; Arch. f. pathol. Anat. 11, 395, 1857. — °) Compt. rend. de l’Acade&mie des sciences (Paris) 44, 1159 u. 1323, 1857; Journ. de la physiol. 1, 258, 1858. 496 Der Ansatz von Kohlehydraten im Körper. Betreffend die obere Grenze des Glykogenbestandes hat Schöndorff!) beim Hunde nach Fütterung mit Fleisch, Reis, Kartoffeln und Rohrzucker die in Tabelle1 auf 8.497 aufgenommenen Zahlen gefunden. Der hier gefundene Maximalwert, 37,87 g Glykogen pro Körperkilo, kann natürlich nicht als der höchste überhaupt erreichbare Glykogengehalt angesehen werden. Jedenfalls ist er als sehr hoch zu erachten, wie überhaupt die Zahlen der Versuche 3 bis 5 alle früheren weit überragen. Legen wir den Maximalwert einer Berechnung des möglichen Glykogenmaxi- mums beim Menschen zugrunde, so bekommen wir bei einem Körpergewicht von 70kg als obere Grenze für den Glykogenbestand 2660 g, was ungefähr neunmal mehr ist als die als Durchschnittszahl gewöhnlich angegebene Menge, 300g. Ob überhaupt ein so großer Glykogenansatz beim Menschen möglich ist, darüber will ich keine bestimmte Meinung aussprechen. Betreffend die Verteilung des Gesamtglykogens auf die verschiedenen Organe ergibt sich aus den Versuchen Schöndorffs folgendes: > Glykogen in Prozent des Gesamtglykogens in Nr. Blut | Leber | Muskulatur | Knochen |Eingeweiden Fell Herz | Gehirn 1 | 0,03 | 20,06 62,63 5,34 0,37 11,40 | 0,14 | 0,04 2 || 0,01 | 26,37 58,30 10,33 1,08 3,76 | 0,09 | 0,06 3 — 58,55 31,23 6,82 5,21 3,00 0,14 0,07 4 — 56,74 28,99 7,28 4,30 2,48 0,11 0,07 5 Ta 38,92 12,90 5,31 4,02 | 0,29 | 0,06 6 — | 21,93 53,76 11,28 7,30 5,39 | 0,20 | 0,14 7 — | 48,51 35,90 10,85 2,98 1,40 | 0,17 | 0,17 Bei allen Versuchen ist der größte Teil des Glykogens in der Leber und den Muskeln gefunden worden, und zwar beträgt derselbe im Maximum 85,73 und im Minimum 75,69 Proz. des Gesamtglykogens. Die Verteilung des Glykogens auf die Muskeln und die Leber ist aber sehr variierend: während z. B. im Versuch 5 die Glykogenmenge in beiden gleich groß ist, ist sie in Versuch 2 in der Muskulatur etwa zweimal und im Versuch 1 sogar dreimal größer als in der Leber. Auf der anderen Seite ist sie aber in den Versuchen 3, 4 und 7 kleiner in den Muskeln als in der Leber. Zur weiteren Aufklärung über die Verteilung des Glykogens im Körper seien noch folgende Angaben von Cramer?), Pflüger?) und Athanasiu‘) mitgeteilt (siehe Tabelle 2 auf 8. 497). Die prozentige Verteilung des Glykogens ist in folgender Tabelle auf 8. 498 oben berechnet worden. !) Arch. f. d. ges. Physiol. 99, 19, 1903. Ich teile nur diese Bestimmungen hier mit, weil diese die höchsten Zahlen ergeben haben und nach den zuver- lässigsten Methoden ausgeführt wurden. Vgl. unter anderen auch Böhm und F. A. Hofmann (Arch. f. exp. Pathol. 8, 271, 375, 1878), E. Voit (Zeitschr. f. Biol. 25, 543, 1889), Pflüger (Arch. f.d. ges. Physiol. 96, 268, 1903), Gatin-GruZewska (Ebenda 102, 574, 1904). — ?) Zeitschr. f. Biol. 24, 75, 1888. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 91, 121, 19802. — *) Ebenda 74, 561, 1899. 497 "UBLIBAOQ PIP anN („ — sung wm 3 61‘0 yoou nzep !youypersq A9yonz SIY („ — "uedun] op ımN (j Der Ansatz von Kohlehydraten im Körper. 61°, Lo‘ — m („. 88'0 —_ rar ‚18% 12'0 syprrqrem 08 oyosauy | ZI 971 09'328 — or I usınds 06‘ 810% 9577 988 Jaodung '3818z ypeu “„punH | II 83'7 1911 L0‘0 00 | 830 110 — gerol 69°0 03‘ “ “ oI 097 836 90°0 0%8°0 Ho —_ 1.274 801 0 e 6 898 3687 g0'0 20'0 _ (1 20°0 _ »8'97 067 gg‘E aous1oqedneu ‘yosuam | 8 3 3 3 3 3 3 3 34 ori uly9 219 ıneH uspIPModurg uayd9ouy ınye sn Aa9Q9'T ıydH H ysaW -10dıo Puumg . Yy9LM9d YAIBIOLT, 4 I I odd ur uodoykIg zodıgy "s OTIEg®L 3:77 T'ıg ‘0 ro 80 PA 9 ‘03 113 - sHL L 83'81 F9H1 rahı) a) 6% L‘oL e'91 L'8L T'z€ _ 10'8 9 68'FE 9'808 ra) 60 #31 F'91 8'6€ 1'031 6‘81L 800'0 61'8 q ı8'LE 6'813 FAR) 0) 8'9 s‘Iı 003 F'6L F'sst _ 832 F L0'08 6'483 rahı) F0 98 6#1 g61 8'68 Test —_ 1g'6 € 81‘ L'seF 950 F0 F91 69°7 0‘ 0'783 6FIL 900 03'589 ° 82'7 869 800 10 6% 930 LE Fer 681 30‘0 00'51 I 3 3 3 3 3 3 3 3 34 ofLy1odıg uAmy9 z.19 9 uspraMmodur uay9ou anyenysn 19q9 mn ee o4 hg 11679) H TA p IT ypoouy i yepnysnL r Id ER ei -19d1Qy ur uodoyAIg "7 OTogBL, Nagel, Physiologie des Menschen. I, 498 Der Ansatz von Kohlehydraten im Körper. Glykogen in Prozent des Gesamtglykogens in Nr. Leber | Muskulatur | Knochen |Eingeweiden| Haut Herz Gehirn 8 10,20 89,35 3 0,24 = 0,07 0,10 9, 11,16 81,15 ° — 4,88 2,16 Sn 0,65 10 5,94 89,83 ai 0,94 2,41 0,34 0,60 11 46,21 39,52 11,23 _ 2,66 _ Be 12 44,80 44,38 — 10,85 — — — Bei einem und demselben Tiere können verschiedene Muskeln einen sehr verschiedenen Glykogengehalt haben; so fand Cramer!) bei einem Hunde im rechten M. biceps brachii 0,17, im rechten M. quadriceps femoris 0,53 Proz. Glykogen und Aldehoff?) bei einem Pferde im M. glutaeus mazximus 2,44, M. latissimus dorsi 1,29, M. obliquus abd. ext. 1,71, M. biceps brachii 1,48 Proz. : Dagegen ist der Unterschied des Glykogengehaltes der Muskulatur in den beiden Körperhälften in der Regel nur gering. Nach Bestimmungen von Cramer) betrug die größte Differenz des Glykogengehaltes bei drei Tauben 0,08, bei drei Hühnern 0,02, bei drei Kaninchen 0,03, bei fünf Hunden 0,05 und bei drei Neu- geborenen 0,08, was in Prozenten des niedrigeren Wertes bzw. 9, 9, 7, 28 und 4 ausmacht. Auch bei gleichnamigen Muskelgruppen der beiden Körperhälften ist die Differenz des Glykogengehaltes im allgemeinen nicht beträchtlich. Dementsprechend dürfte nach den Beobachtungen von R. Külz*), Cramer?) und Schöndorff°) das Glykogen in der Leber ziemlich gleichmäßig verteilt sein. Aus diesen Erfahrungen folgt die in methodischer Hinsicht äußerst wichtige Tatsache, daß es bei der Bestimmung der im Körper angesetzten Glykogenmenge notwendig ist, nebst der Leber wenigstens eine ganze Körperhälfte zu verarbeiten. Die Untersuchung der Leber allein kann keine Aufschlüsse über die Gesamtmenge des Glykogens abgeben, die Untersuchung einer einzelnen Muskelgruppe gibt uns keine sichere Zahl für das Gesamtglykogen in den Muskeln, und bei alleiniger Untersuchung der Leber und der Muskulatur bleibt in den übrigen Organen noch eine Glykogenmenge zurück, welche nach den oben mitgeteilten Erfahrungen bis auf 25 Proz. des totalen Glykogens steigen kann. Im Körper wird das Glykogen beim Hunger und bei körperlicher Arbeit allmählich verbraucht. Eine Zeitlang stellte man sich vor, daß das Glykogen schon nach einigen Hungertagen bis auf Spuren verschwinden würde; neuere und genauere Untersuchungen haben indes ergeben, daß diese Auffassung lange nicht begründet ist. Bei einem Hunde, der 28 Tage lang gehungert hatte, fand Pflüger”) noch insgesamt 52,5g, d. h. pro Kilo- gramm Körpergewicht 1,56g als Zucker berechnetes Glykogen. Solche große Mengen dürften jedoch als Ausnahmen zu betrachten sein. Nach 21tägigem Hungern enthielt die Leber eines etwa 18kg schweren Hundes nur noch 0,48g Glykogen (v. Mering®) und Pugliese?) teilt Versuche mit, bei welchen nach 18 bis 24tägigem Hungern in der Leber überhaupt kein Glykogen nachzuweisen war. !) Zeitschr. f. Biol. 24, 78, 1888. — ?) Ebenda 25, 148, 1889. — °) Ebenda 24, 70, 1888. — *) Ebenda 2%, 183, 1886. — °) Ebenda 24, 85, 1888. — °) Arch. f£. d. ges. Physiol. 99, 216, 1908. — 7) Ebenda 91, 119, 1902. — °) Ebenda 14, 282, 1877. — °) Journal de physiol. et de pathol. gen. 1903, p. 67. en Ber A ne Hr ea [2 Der Ansatz von Kohlehydraten im Körper. 499 Ganz ähnliche Schwankungen finden wir bei anderen Tieren. Beim Huhn erzielte Hergenhahn!) die in folgender Tabelle eingetragenen Resultate. Glykogen N Endgewicht Dauer der AR 8 r. j in der umme des Tieres Karenz in der Leber Muskulatur g g 1 792 ö 0,00 0,70 0,70 2: 948 6 0,03 0,52 0,55 3 798 6 0,00 0,04 0,04 = 1172 6 0,01 0,32 0,33 5 1368 6 0,13 1,26 1,39 6 1216 ö 0,12 0,96 1,08 7 1055 8 0,06 1,70 1,76 Hieraus folgt noch die wichtige Tatsache, daß das Glykogen in der Leber ganz verschwunden oder auf eine sehr geringe Menge reduziert sein kann, während der übrige Körper, vor allem die Muskeln, noch ganz beträchtliche Mengen davon enthält. : Betreffend den Einfluß der körperlichen Arbeit auf den Glykogenver- brauch machte E. Külz?) Versuche an wohlgenährten Hunden, welche täglich 5 bis 7 Stunden einen schweren Wagen zu ziehen hatten. Am eigentlichen Versuchstage blieben sie ohne Nahrung, und unmittelbar nach der Fahrt wurden sie getötet. Unter fünf Tieren fanden sich bei vier nur Spuren von Glykogen in der Leber; bei dem fünften Tiere enthielt die Leber 0,8g Glykogen. Die Muskeln halten dabei aber das Glykogen energischer fest, und bei sehr geringer Glykogenmenge in der Leber können die Muskeln noch ganz beträchtliche Mengen Glykogen beherbergen, wie z. B. in den folgenden Versuchen °). Glykogen Körper- Nr. gewicht in der im übrigen |pro Kilogramm Leber Körper Körpergewicht kg g g g 1 44,47 0,89 51,16 1,16 2 17,25 0,20 3,21 0,20 3 5,05 1,08 7,16 1,63 4 6,17 0,00 4,06 0,66 Noch tiefer läßt sich der Glykogengehalt des Körpers herabdrücken, wenn man nach einigen Hungertagen dem Tiere eine anstrengende Arbeit aufzwingt, insbesondere wenn man vor dem Hungern durch Fütterung mit kohlehydratarmem Futter die anfängliche Glykogenmenge möglichst herab- setzt. Nach dieser Methode fand Bendix ) folgendes: !) Zeitschr. f. Biol. 27, 218, 1890. — ?) Arch. f. d. ges. Physiol. 24, 45, 1881. — °?) E. Külz, Beiträge zur Kenntnis des Glykogens. Festschrift für Ludwig. Marburg 1891, 8. 41. — *) Zeitschr. f. physiol. Chemie 32, 484, 1901. 32* 500 Der Ansatz von Kohlehydraten im Körper. Glykogen Körper- Dauer des Nr. gewicht Hungerns : in den pro Kilogramm iu der Lieber Muskeln Körpergewicht kg Tage g 8 g 1 8,0 2 Spuren 0,00 0,00 2 7,9 2 0,00 Spuren 0,00 3 4,3 2 urn 0,00 ..—- 4 8,0 2 1,89 0,07 0,25 Ein Vergleich mit den Erfahrungen über den Glykogenschwund beim Hungern allein läßt ohne weiteres erkennen, daß die Muskelarbeit ein viel kräftigeres Mittel als der Hunger ist, um den Glykogenbestand des Körpers sehr tief herabzudrücken. Wie Rosenbaum!), Demant?), Külz°), Frentzel*) und Simon’) gezeigt haben, sind die durch das Strychnin hervorgerufenen Krämpfe in einem sehr hohen Grade dazu geeignet, das Glykogen zum vollständigen Verschwinden zu bringen. Um den Einfluß einer bestimmten Nahrung oder irgend welcher an- derer Variablen auf den Glykogenansatz festzustellen, steht keine andere direkte Methode als die folgende zu unserer Verfügung. Man muß durch vorgängige Präparierung den Glykogenbestand des Versuchstieres so viel wie möglich reduzieren, gibt dann die zu untersuchende Kost und tötet das Tier nach einer bestimmten Zeit. Beim praktischen Durchführen dieser Methode begegnet uns eine große Schwierigkeit dadurch, daß sogar nach ziemlich lange dauerndem Hungern der Körper nicht ganz geringe Mengen Glykogen enthalten kann und daß hierbei, wie schon bemerkt, nicht unwesentliche individuelle Variationen vorkommen. Dieser Schwierigkeit wird durch Einschaltung einer strengen Arbeitsleistung wesentlich vorgebeugt. Indessen beziehen sich die allermeisten hierher gehörigen Untersuchungen auf Tiere, welche nur gehungert und nicht außerdem gearbeitet haben $). Es bleibt also die Frage nach der wahrscheinlichen Glykogenmenge bei einem Tiere, das eine gewisse Zeit lang gehungert hat, zu entscheiden. Mit Durchschnittszahlen läßt sich hier nicht viel tun, denn solche könnten nur dann wirklich maßgebend sein, wenn die Zahl der Versuchstiere in den unter- einander zu vergleichenden Reihen sehr groß wäre, und auch dann könnten berechtigte Einwendungen gegen die Schlußfolgerungen erhoben werden. Die statistische Methode wird hier, wie auch sonst, gar zu leicht zu ganz falschen Resultaten führen. Da diese Methode indes durch keine andere ersetzt werden kann, ist es notwendig, ihre Fehler so viel wie möglich zu vermindern, und daher benutzt ') Arch. f. exp. Pathol. 15, 452, 1881. — *) Zeitschr. f. physiol. Chemie 10, 441, 1886. — ®) Külz, Beiträge 1891, 8. 51. — *) Arch. f. d. ges. Physiol. 56, 281, 1894. — °) Zeitschr. f. physiol. Chemie 35, 320, 1902. — °) Bernard hat Versuche über die Glykogenbildung auch in der Weise gemacht, daß er zuerst ein Stück der Leber exstirpierte und analysierte, dann das zu untersuchende Futter gab und die Veränderungen des Glykogens im übriggebliebenen Teile des Organes unter- - suchte. Wie Bernard selber: (Legons sur le diabäte,. p. 509) bemerkt, ist diese ‘ Methode wegen der durch den Eingriff verursachten Störungen lange nicht exakt; auch wird nach derselben nicht die gesamte Glykogenmenge des Körpers bestimmt. Der Ansatz von Kohlehydraten im Körper. ; 501 Pflüger als Vergleichszahl die bei den Kontrollversuchen an Tieren der gleichen Art beobachtete maximale Glykogenmenge. Hierdurch werden aber die Bedingungen sehr verschärft, denn es läßt sich ja auch nicht. be- haupten, daß alle mit der Versuchskost gefütterten Tiere zu Beginn der Fütterung diesen maximalen Glykogengehalt gehabt hätten; diese Maßregel ist aber kaum zu vermeiden, damit die Versuchsresultate als wirklich be- weisend angesehen werden können. Als Quelle des Glykogens können von vornherein alle drei Gruppen von organischen Nahrungsstoffen angesehen werden, und nur durch direkte Ver- suche läßt sich die Frage bestimmt entscheiden. _ Wie man eine lange Zeit hindurch annahm, daß das Eiweiß die wesentliche Quelle des Körperfettes darstellte, war man auch der Ansicht, daß das Glykogen in erster Linie dem Eiweiß entstammte. 'Bernard!) äußerte sich in dieser Hinsicht sehr vor- sichtig. Nach ihm stellten allerdings die Eiweißkörper eine Quelle des Gly- kogens dar; in gemischter Kost begünstigten die Kohlehydrate den Glykogen- ansatz in erheblichem Grade; allein für sich genossen schienen sie sich wesentlich verschieden zu verhalten, und er kam zu dem Schlusse, daß die Frage nach dem Ursprunge des Glykogens noch lange nicht als entschieden aufgefaßt werden könnte. Wolffberg?) betrachtete das Eiweiß als die einzige Quelle des Glykogens, während auf der anderen Seite Pavy?°), Luch- singer?) und andere gerade die ON ate als Muttersubstanz des Gly- kogens auffaßten. -_ Durch zahlreiche Untersuchungen ist die Berechtigung der letzterwähnten. Auffassung, wie es scheint, über jeden Zweifel sichergestellt. Ob aber das Eiweiß auch als Glykogenbildner gelten kann, darüber ist bis in die letzte Zeit vielfach gestritten worden. Da es sich von vornherein nicht ausschließen 1aßt, daß Glykogen aus. Eiweiß entstehen könnte, kann ein völlig einwandfreier Beweis für die Gly- kogenbildung aus Kohlebydraten nur dadurch geliefert werden, daß man am Versuchstiere die N-Abgabe bestimmt und dartut, daß die nach derselben berechnete Glykogenmenge geringer ist als die beim Versuche tatsächlich im Körper entstandene. Unter den hierher gehörigen Untersuchungen werde ich hier die im Voitschen Laboratorium von Otto, Abbot, Lusk und Fr. Voit ausgeführten und von C. Voit?) mitgeteilten in erster Linie besprechen, weil die Bedeutung der Kohle- hydrate als Quelle des Körperglykogens aus diesen äußerst deutlich hervorgeht. Aus verschiedenen Ursachen werde ich nur die an Hühnern ausgeführten Ver- suche näher erörtern. Die Versuche fanden in der Weise statt, daß dem Tiere nach vier bis fünf- tägigem Hungern Lösungen von verschiedenen Zuckerarten beigebracht wurden, acht Stunden später wurde das Tier getötet und das Glykogen in dessen Organen bestimmt. Das Maximum von Glykogen, welches aus dem zersetzten Eiweiß hätte ent- stehen können, berechnet Voit folgendermaßen. Im Muskeleiweiß treffen auf 1g N 3,295gC; in den Exkrementen hungernder Hühner auf 1g N 1,208g C. Y) Bernard, Lecons sur le diabäte. Paris 1876, p. 469. — ?) Zeitschr. f. Biol. 12, 275, 1876. — ®) Pavy, Die Physiologie der Kohlehydrate. Deutsche Aus- gabe. Wien 1895, 8. 112. — *) Luchsinger, Exp. u. krit. Beiträge zur Physiol. und Pathol. des Glykogens. Zürich 1875, 8. 45. — °) Zeitschr. f. Biol. 28, 245, 1892. 5023 i Der Ansatz von Kohlehydraten im Körper. Danach können beim Huhn im Maximum 2,087 g C in Glykogen übergehen und bilden dann 4,779g Glykogen. Auf 1g N in den Exkreten kommen also 4,779 g Glykogen. Nach einigen Kontrollversuchen an hungernden Hühnern nimmt Voit an, daß die im Körper nach einigen Tagen Hunger noch zurückgebliebenen Glykogen- mengen so gering sind, daß sie gegen die bei den Fütterungsversuchen beobachteten gar nicht in Betracht kommen. Demgegenüber läßt sich bemerken, daß (vgl. oben, 8.499) doch nicht ganz unerhebliche Glykogenmengen nach vier bis fünf Tagen Hunger im Körper zurückgeblieben sind, und zwar beträgt dieses Restglykogen nach Hergenhahn im Maximum 1,605 pro Kilogramm Anfangsgewicht des Tieres. Bei seiner Berechnung der Versuchsresultate von Voit und seinen Mitarbeitern hat Pflüger!) diese Zahl benutzt, und ich werde ihm in dieser Hinsicht folgen, weil dadurch die Versuche ja noch mehr beweisend werden. R Glykogen Körper- Rest I r Glykogen Glykogen Re N s glykogen | iwejg |Summe aus U0Ker T. | gewicht Maxi ıwel gefunden ie aximum | Maximum Zucker zugeführt kg g 8 g g g 1 1,728 9,77 3,40 6,17 10,35 4,18 50 g Dextrose 2 1,653 2,65 2,57 5,22 9,20 3,38 60g Rohrzucker 3 1,627 2,61 3,29 5,90 7,55 165 |55g Lävulose 4 1,772 2,84 2,08 4,92 7,94 83,02 |60.g Maltose Aus dieser Zusammenstellung folgt, daß, auch ‚wenn die Versuche so ungünstig wie irgend möglich berechnet werden, dennoch ein Glykogenansatz nach Fütterung mit Dextrose, Lävulose, Rohrzucker und Maltose unbedingt erscheint. ; Dagegen konnte kein deutlicher Glykogenansatz nach Darreichung von Milch- zucker nachgewiesen werden. Zur Deutung dieser sehr merkwürdigen Erscheinung ist es notwendig, das Verhalten der einzelnen Zuckerarten im ‚Verdauungsrohre und bei intravenöser oder subeutaner Injektion zu berücksichtigen. Im Verdauungsrohre wird der Rohr-: zucker invertiert und muß daher in ganz derselben Weise als die genossene Dex- trose oder Lävulose auf den Glykogenansatz einwirken können. Bei intravenöser Einspritzung findet keine Invertierung statt, und der Rohrzucker wird, wie schon Claude Bernard?) fand und später von F. Voit*) bestätigt wurde, unverändert, und zwar quantitativ im Harn abgegeben. Auch die Maltose wird teils im Darmrohre, teils im Blute in 2 Mol. Dextrose gespalten und muß sich daher in bezug auf die Glykogenbildung ganz wie diese verhalten. Wesentlich anders stellt sich der Milchzucker dar. Die Ursache dieser Verschiedenheit muß darin gesucht werden, daß der Milchzucker beim Huhn im Darme nicht invertiert wird (Weinland‘), wie er auch nach Dastre°) und Fr. Voit‘) bei subcutaner Einspritzung quantitativ im Harn erscheint. Wo aber der Milchzucker im Darme gespalten wird, muß wenigstens aus der Dextrosekomponente desselben Glykogen gebildet werden’), Da subeutan injizierte Galaktose im Körper verwertet und nicht im Harne aus- !) Arch. f. d. ges. Physiol. 96, 182, 1903. — ?) Bernard, Lecons sur les phenomönes de la vie communs aux animaux et aux vegetaux 2, 37, Paris 1879. — ®) Deutsches Arch. f. klin. Med. 58, 244, 1897. — *) Zeitschr. f. Biol. 38, 35, 1899. — ®) Archives de physiol. 1891, p. 178; 1892, p. 103. — °) Deutsch. Arch. £. klin. Med. 58, 544, 1897. Vgl. auch Weinland, a. a. O. 8.48, 1899. — 7) Weinland, a. a. O., 8.50. ae u u a Ya m a Ze Di | | Der Ansatz von Kohlehydraten im Körper. 503 geschieden wird, dürfte auch dieser Zucker als Glykogenbildner dienen können (Fr. Voit!). Direkte Versuche von Weinland’) am Kaninchen haben auch er- geben, daß unter Umständen wenigstens in der Leber aus Galaktose Glykogen gebildet werden kann, wenn auch in geringerer Menge als aus den übrigen Hexosen. Die nächste Quelle der Glykogenbildung haben wir also in den Hexosen: Dextrose, Lävulose und, wenn auch in geringerem Grade, Galaktose. Da diese Hexosen bei der Verdauung aus Stärke, Dextrin, Rohrzucker und Mal- tose entstehen, sind die letzterwähnten natürlich auch als Glykogenbildner zu bezeichnen. . Da eine nähere Erörterung der mit anderen Kohlehydraten erzielten Resul- tate angesichts der für diesen Abschnitt festgestellten Grenzen viel zu viel Raum beanspruchen würde, sehe ich mich gezwungen, auf eine solche hier zu verzichten und verweise auf die unten zitierte Literatur). Wie oben bemerkt, wurde schon früh die Ansicht vielfach vertreten, daß das Glykogen im Körper auch aus Eiweiß gebildet werden würde. Die als Beweis dafür von Wolffberg‘), v. Mering°), E. Külz‘®) und anderen mitgeteilten Versuche werden von Pflüger’) sehr abweisend kritisiert, und es muß, meines Erachtens, Pflüger zugegeben werden, daß dieselben kaum einen entscheidenden Beweis für den zu beweisenden Satz bringen. Auf Grund dessen zieht Pflüger den weiteren Schluß, daß aus kohlehydrat- freiem Eiweiß überhaupt kein Glykogen gebildet wird, und findet eine sehr wesentliche Stütze dieser Auffassung in einer an Fröschen bei Kaseinfütterung von Schöndorff°) ausgeführten Versuchsreihe, aus welcher in der Tat her- vorgeht, daß bei diesen Tieren das kohlehydratfreie Kasein keinen UT ansatz bewirkt. Demgegenüber fand aber Bendix°) an Hunden, an welchen er durch Hunger und strenge körperliche Arbeit die Glykogenmenge auf ein Minimum reduziert hatte (vgl. S. 499), nach Fütterung mit Kasein einen deutlichen Glykogenansatz im Körper, welcher sogar größer war als nach Fütterung mit dem kohlehydrathaltigen Ovalbumin, wie aus der folgenden Zusammen- stellung hervorgeht (siehe Tabelle auf 8.504 oben). Von einem anderen Gesichtspunkte aus hat Gruber!°) die Frage nach der Glykogenbildung aus Eiweiß in Angriff genommen. An einem Hunde !) Deutsch. Arch. f. klin. Med. 58, 533. — ?) Zeitschr. f. Biol. 40, 374, 1900. — °?) Cremer, Ebenda 28, 483, 1892 (Isomaltose, Mannose, Sorbose, Xylose, Arabinose, Rhamnose); Salkowski, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1893, 8. 193 (Arabinose); Derselbe, Zeitschr. f. physiol. Chem. 32, 393, 1901 (Ara- binose); F. Voit, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 58, 537, 1897 (Arabinose, Xylose, Rhamnose); Neuburg und Wohlgemuth, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 31, 1902 (Arabinose); Münch, Ebenda 29, 493, 1900 (Formose, Maltose, Methylglykosid); Cremer, Zeitschr. f. Biol. 42, 437, 1901; Frentzel, Arch. f. d. ges. Physiol. 56, 284, 1894 (Xylose); Wohlgemuth, Zeitschr. f. physiol. Chem. 35, 568, 1902 («-Glucoheptose); Pflüger, Arch. f. d. ges. Physiol. 96, 218, 1903. — *) Zeitschr. £. Biol. 12, 266, 1876. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 14, 280, 1877. — °) Külz, Beiträge usw., 8. 27. — 7) Arch. f.d. ges. Physiol. 96, 227, 1903. — °) Ebenda 82, 60, 1900; 88, 339, 1901; vgl. auch die Kritik Cremers, Zeitschr. f. Biol. 42 (1901), sowie die Versuche von Blumenthal und Wohlgemuth (Berliner klin. Wochenschr. 1901, 8. 391), welche die Resultate Schöndorffs unter An- wendung eines Leimpräparates bestätigen. — °) Zeitschr. f. physiol. Chem. 32, 494, 1901; 34, 545, 1902; vgl. auch die Kritik Schöndorffs, Arch. f. d. ges. Physiol. 88, 339 1901. — !°) Zeitschr. f. Biol. 42, 409, 1901. 504 Der Ansatz von Kohlehydraten im Körper. Glykogen Körper- Pro Kil { in der | im übrigen ro: A110- Nr. | gewicht 5 * Summe | gramm Kör- Anmerkung Leber Körper pergewicht kg 8 8 g g 1 5,52 6,41 7,96 14,37 2,60 | Casein puriss. 2 6,50 11,54 - 17,92 29,46 4,53 R u 3 3,88 0,31!) 0,34 }) 0,65) 0,17%) Ovalbumin 4 6,40 1,30?) 4,17!) 5,47!) 0,86 !) R 5 5,30 3,221) | 10,71') 13,93!) 2,63!) Eiereiweiß bestimmte er bei Eiweißfütterung (1500g Fleisch = 5lg N) die gesamten Einnahmen und Ausgaben an Stickstoff und Kohlenstoff. Es zeigte sich, daß ein Kohlenstoffrest im Körper zurückblieb, welcher zum Teil wenigstens als Glykogen angesetzt worden ist. Die Einzelheiten dieser Versuche sind folgende: Summe von 5 Versuchstagen Versuchs- Nr. dauer N- C- C aus dem zersetzten C-Retention Abgabe | Abgabe Eiweiß, N + 3,28 aus -Eiweiß Tage 8 8 Ei g 1 5 237,7 697,8 779,6 81,8 5 254,6 728,4 835,5 107,1 Im Körper sind also 81,8 bzw. 107,1g aus Eiweiß stammender Kohlenstoff zurückgeblieben. Als Glykogen berechnet, würde dies 184 bzw. 241g betragen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß ein wesentlicher Teil dieses Kohlenstoffs als Fett angesetzt worden ist; jedenfalls macht dieser Versuch einen Glykogenansatz aus Eiweiß sehr wahrscheinlich. ; Wir können indes noch von einer anderen Seite her diese Frage er- örtern. Wie bekannt, verliert der Körper nach Exstirpation des Pankreas, nach Vergiftung mit Phloridzin sowie bei der Zuckerharnruhr (Diabetes mel- litus) in einem größeren oder geringeren Umfange die Fähigkeit, Zucker zu zersetzen oder als Glykogen aufzuspeichern, und statt dessen wird der Zucker im Harn vom Körper abgegeben. Die Untersuchung der Zuckeraus- scheidung im Harne bei verschiedenen Formen der Zuckerkrankheit wird uns daher sehr wertvolle Aufschlüsse über die eventuelle Glykogenbildung aus Eiweiß geben können, denn wenn einmal Dextrose aus dem Eiweiß ent- steht, so folgt aus dem schon oben Ausgeführten, daß unter normalen Ver- hältnissen Glykogen daraus gebildet werden muß. Der bei der Zuckerkrankheit irgend welcher Form im Harn aus- geschiedene Zucker kann entweder aus dem im Anfang der Krankheit im Körper noch vorhandenen Glykogen oder auch aus den genossenen Nahrungs- stoffen bzw. dem Körpereiweiß stammen. Auch bei den hierher gehörigen Untersuchungen ist es also notwendig, die Glykogenmenge des Körpers approximativ zu schätzen. !) Rohglykogen. Der Ansatz von Kohlehydraten im Körper. 505 Nach der schon oben dargestellten Methode suchte Bendix') seine Versuchstiere glykogenfrei zu machen, spritzte dann im Laufe von 10 bis 11 Stunden in drei Dosen Phloridzin ein und gab gleichzeitig dem Tiere Milcheiweiß, Caseinum pu- rissimum, Ovalbumin oder Leim. Der Harn wurde 20 Stunden lang gesammelt und an Stickstoff und Zucker analysiert. Mit Abzug des dem Phloridzin ent- sprechenden Zuckers schieden die Tiere bei Fütterung mit Milcheiweiß 13,5 bis 27,3g (4 Versuche), bei Fütterung mit reinstem Kasein 13,9 bis 17,3g (2 Versuche), bei Fütterung mit Ovalbumin 4,3 bis 18,3 g (5 Versuche), sowie bei Fütterung mit Leim 13,9 bis 20,2 g Zucker aus (4 Versuche). Nach Fütterung mit dem kohlehydrathaltigem Ovalbumin wurde also nicht mehr Zucker als nach Fütterung mit dem kohlehydratfreien Kasein oder Leim ausgeschieden. 2 Dementsprechend hat man an Diabeteskranken beobachtet, daß die reich- lichste Zuckerausscheidung nicht nach dem Genuß von kohlehydrathaltigen Eiweiß- körpern, sondern beim Kasein erscheint. Als Beispiel verweise ich auf folgende Beobachtungen von Therman?). | Versuchs- Zucker im N im Harn Diät dauer Harn pro Tag pro Tag Tage g g Wr Far 4 69,1 22,2 Fleisch 4 74,0 20,3 ET 4 88,9 22,0 Gluton 4 63,2 25,0 Butter + 13,8 4,9 z Eier 4 76,1 21,4 Fleisch . . 4 83,0 20,5 ET 4 140,8 26,6 Durchschnittlich erhalten wir bei Gluton 63,2, bei Eiern 76,2, beim Fleisch 78,5, beim Käse aber 114,9& Zucker. Aus diesen und anderen gleichlautenden Beobachtungen dürfte wenigstens so viel geschlossen werden können, daß der in gewissen Eiweißkörpern enthaltene Kohlehydratkomplex doch nicht in der Regel für die eventuelle Bildung von Zucker aus Eiweiß maßgebend sein kann; wie auch der Kohlehydratgehalt bei den meisten Eiweißkörpern so gering ist, daß er hierbei keine wesentliche Einwirkung ausüben möchte. Gegen alle diese Beobachtungen läßt sich indes die Einwendung machen, daß sich der Einfluß des etwa vorhandenen Restglykogens doch nicht mit Sicherheit ausschließen läßt. -Es könnte der Fall sein, daß die Versuchstiere von Bendix trotz der vorhergehenden Präparation noch ziemlich große Glykogenmengen beherbergten; unmöglich wäre es ja auch nicht, daß das gefütterte Eiweiß durch seine Verbrennung den Zucker des Körpers vor Oxy- dation schützt, infolgedessen die Zuckerausscheidung bei Eiweißzufuhr zu- nimmt, ohne daß der Zucker aus den Eiweißkörpern gebildet wird). Um die Frage zu entscheiden, müssen wir also noch strengere Anforderungen an die Beweisführung stellen und von der Annahme ausgehen, daß das Versuchs- individuum beim Beginn des Versuches einen maximalen Glykogengehalt hat. ') Zeitschr. f. physiol. Chem. 32, 487, 1901. — *) Skand. Arch. f. Physiol. 17, 1, 1905. Daselbst auch eine Übersicht der früheren Literatur. — °) Vgl. Pflüger, Arch. f. d. ges. Physiol. 103, 348, 1904; 106, 170, 1904. 506 Der Ansatz von Kohlehydraten im Körper. Im Anschluß an die schon erwähnten Untersuchungen von Schöndorff stellt Pflüger !) in der letzten Zeit 37,9g Glykogen — 41g Zucker als das Maximum pro Kilogramm Körpergewicht beim Hunde auf. Wenn also ein phloridzinvergifteter Hund oder ein Hund mit Pankreasdiabetes ohne jede Zufuhr von Kohlehydraten insgesamt nicht mehr als etwa 41g Zucker pro Körperkilo abgibt, so wäre es möglich, daß die ganze Zuckermenge nur aus dem Restglykogen entstammen und also nichts inbezug auf eine eventuelle Glykogenbildung aus Eiweiß beweisen würde. Dieser strengen Anforderung gegenüber zeigen sich nicht allein die aller- meisten klinischen Beobachtungen ?), sondern auch fast sämtliche Ermittelungen über die.-Zuckerausscheidung bei künstlichem Diabetes bei Tieren für die vor- liegende Frage ganz wertlos. Es ist allerdings, meiner Ansicht nach, sehr schwer anzunehmen, daß bei allen einschlägigen -Kranken bzw. Versuchstieren das Rest- glykogen zu Beginn des Versuches den. von Schöndorff beobachteten enormen Wert erreicht hätte. Hierin liegt aber kein Beweis vor, und ich beschränke mich daher darauf, einige der wichtigsten} hierhergehörigen Arbeiten unten zu ver- zeichnen °). In der allerletzten Zeit ist indes eine Arbeit von Lüthje *) erschienen, welche die Zuckerbildung aus kohlehydratfreiem Material über jeden Zweifel erhebt. Am 24. Oktober wurde einem Hunde von 5,8g. Körpergewicht das Pankreas exstirpiert; vom 29. Oktober bis zum 6. November bekam das Tier (kohlehydrat- freie) Nutrose + Rinderserum, vom 6. bis 19. November Nutrose + etwas Fleisch- extrakt, vom 19. bis 24. November reines Kasein 4 Butter. Während dieser Zeit schied es insgesamt 1176g Zucker aus. Unter Zugrundelegung der Pflügerschen Maximalzahl würde das Tier zu Beginn des Versuches 232g Glykogen (= 257g Zucker) beherbergt haben. Daher müssen aus anderem Material 919g Zucker ge- bildet sein. Im Anschluß an diese Mitteilung gibt Pflüger?) ausdrücklich zu, daß hier zum erstenmal ein einwandfreier Beweis dafür vorliegt, daß der vom diabetischen Hunde ausgeschiedene Zucker unmöglich aus dem Glykogenvorrat des Tierkörpers abgeleitet werden kann, und kommt nach einer, von den möglichst ungünstigen Annahmen ausgehenden Berechnung zu dem Schluß, daß hier wenigstens 526g Zucker durch das Restglykogen nicht gedeckt sind. Dessenungeachtet ist Pflüger nicht gewillt, die Zuckerbildung aus Eiweiß zuzugeben, sondern bleibt bei seiner kurz vorher ausgesprochenen Meinung®), daß in Fällen, wie den betreffenden, das Fett, und zwar nicht allein dessen Glycerinkomponente die Quelle des Zuckers im Körper darstellt. In dieser Hinsicht stützt er sich wesentlich auf theoretische Überlegungen all- gemeiner Art, welche hier wegen Mangel an Raum nicht näher erörtert werden können. Es stellt sich daher die Frage, ob wirklich das Fett an sich als ein Glykogenbildner im tierischen Körper aufgefaßt werden kann. Bis vor wenigen Jahren stellte man sich ziemlich allgemein vor, daß dies gar nicht der Fall wäre. Seitdem haben sich die Ansichten in einem !) Vgl. Pflüger, Arch. f. d. ges. Physiol. 103, 7, 1904; vgl. auch ebenda 96, 268, 1903. — ?) Vgl. Lüthje, Arch. f. d. ges. Physiol. 106, 160, 1904. — ®) v.Mering, Zeitschr. f. klin. Med. 16, 435, 1889; Prausnitz, Zeitschr. f. Biol. 29, 168, 1892; Lusk, Ebenda 42, 32, 1901; Lüthje, Deutsches Arch. f. klin. Medizin 79, 498, 1904. — *) Arch. f. d. ges. Physiol. 106, 160, 1904. — °) Ebenda 106, 168, 1904. — °) Ebenda 103, 1, 1904. Der Ansatz von Kohlehydraten im Körper. 507 gewissen Grade verändert, und es wird von mehreren Seiten die Auffassung vertreten, daß unter Umständen auch das Fett als eine Quelle des Glykogens zu betrachten sei. Als Beweis dafür hat man Fälle herbeigezogen, wo bei kohlehydratfreier Diät die im Harn abgegebene Zuckermenge so groß gewesen war, daß sie nicht aus dem gleichzeitig zerfallenen Eiweiß hat erklärt werden können. In einer Anzahl Versuchen an Hunden mit Pankreasdiabetes fand Min- kowski') die Menge des ausgeschiedenen Zuckers (D) pro 1g N BEECaCHAHENIEN gleich 2,8 g. Man stellte sich nun vielfach vor, daß dieser Quotient die größte Zucker- bildung angab, welche aus Eiweiß im Körper stattfinden konnte; wenn daher bei kohlehydratfreier Diät mehr Zucker abgegeben würde, so müßte der Überschuß aus Fett stammen. Irgend welcher Beweis für diese Auffassung liegt indessen nicht vor. Wie schon bemerkt, findet sich bei gewöhnlicher gemischter Kost im Harn etwa 0,72gC auf 1g N. Da im Eiweiß N und C sich wie 1:3,28 verhalten, bleiben für 1g N noch 2,56g C zurück; diese C-Menge würde 6,4g Dextrose entsprechen, was also etwa das theoretische Maximum der Kohlehydratbildung aus Eiweiß angeben würde. Da 1g N im Eiweiß mit Abzug der Verbrennungswärme des Harns etwa 26,7 Kal. entsprechen und 6,4g Dextrose gleich 24 Kal. sind, würde eine Zuckerbildung dieses Umfanges auch aus kalorischem Gesichtspunkte vollständig möglich sein. Nur wenn in einwandfreien Versuchen der Zuckerquotient größer als 6,4 ist, kann man daraus mit Bestimmtheit auf eine Zuckerbildung aus Fett schließen. Es findet sich nun tatsächlich eine Anzahl solcher Beobachtungen, welche von Rumpf (D/N = 102), Mohr (D/N = 8,14°), Hartogh und Schumm (D/N = 9,0 *) veröffentlicht wurden. Gegen dieselben sind aber von Lüthje5), Rosenquist®), F. Müller’) und Landergren°) Anmer- kungen gemacht worden, welche, meines Erachtens, ihre Beweiskraft in hohem Grade verringert haben. Auf Grund dieser Kritik, betreffend welche ich auf die unten zitierten Arbeiten verweise, müssen wir sagen, daß bis auf den heutigen Tag kein einziger einwandfreier Beweis für eine vitale Zuckerbildung aus Fett bei den höheren Tieren erbracht worden ist. Als unmöglich kann eine solche von vornherein nicht angesehen werden, und mit völliger Bestimmtheit läßt es sich ja nicht behaupten, daß bei den soeben erwähnten und anderen Versuchen der Zucker zum größeren oder kleineren Teil nicht auf Kosten des Fettes entstanden ist. Vom chemischen Standpunkte aus begegnet eine Glykogenbildung aus Gly- cerin keiner Schwierigkeit, und es liegen auch Versuche von Cremer’), Lüthje ') und anderen vor, bei welchen eine solche ziemlich bestimmt nachgewiesen wurde. Da aber das Glycerin nur 9 Proz. des Fettes beträgt, kann demselben an sich keine größere Bedeutung bei dem Kohlehydratansatz im Körper zuerkannt werden. Aus den vorliegenden Erfahrungen dürfte also vorläufig der Schluß ge- zogen werden können, daß der Kohlehydratansatz im Körper in erster Linie !) Arch. f. exp. Path. 31, 97, 1893. — ?°) Berliner klin. Wochenschr. 1899, 8. 185. — °) Ebenda 1901, 8. 919. — *) Arch. f. exp. Path. 45, 29, 1900; Rumpf, Arch. f. d. ges. Physiol. 97, 98, 1903. — °) Zeitschr. f. klin. Med. 39, 423, 1900. — €) Berliner klin. Wochenschr. 1899, 8.614. — 7) Zeitschr. f. Biol. 42, 540, 1901. — ®) Skand. Arch. f. Physiol. 14, 160, 1903. — °) 8. Ergebnisse der Physiol. 1, (1), 889, 1902. — !°) Deutsch. Arch. f. klin. Med. 80, 98, 1904; vgl. auch Pflüger, Arch. f. d. ges. Physiol. 103, 24, 1904. 508 Der Ansatz von Kohlehydraten im Körper. durch die in der Kost aufgenommenen Kohlehydrate, in zweiter Linie aus zerfallenem Eiweiß hervorgebracht wird !). Damit habe ich gar nicht behaupten wollen, daß Kohlehydrate bei dem Zerfall des Eiweißes im Körper immer gebildet werden können. Wie Landergren?) im Anschluß an seine Untersuchungen über den N-Umsatz bei Kohlehydrathunger entwickelt hat, kann man sich sehr wohl denken, daß dies nur dann stattfindet, wenn sonst keine Kohlehydrate dem Körper zur Verfügung stehen. Bei einer Kost, welche allein aus Kohlehydraten besteht, sinkt die N-Abgabe in einigen Tagen sehr tief, auf weniger als 4 g, steigt aber schnell wieder an, wenn die Kohlehydrate durch eine isodyname Fettmenge ersetzt werden, und zwar beträgt diese Zunahme nach drei Tagen etwa dg. Unter der Voraussetzung, daß der Körper aus Fett keine Kohle- hydrate zu bilden vermag, wird dies dadurch erklärt, daß der Körper, um seinen Bedarf an Kohlehydraten zu decken, eine größere Eiweißmenge zer- setzen muß; daß ein solcher Bedarf tatsächlich sich vorfindet, geht ohne weiteres aus der Konstanz des Blutzuckers auch bei weit fortgeschrittenem Hunger hervor. Man könnte sich nun denken, daß auch bei Kohlehydratzufuhr das Eiweiß in derselben Weise gespalten würde, daß aber der dabei entstandene Zucker nicht ge- nügte, um den Bedarf des Körpers zu decken, weshalb bei Ausschaltung der Kohlehydrate eine größere Eiweißmenge in Anspruch genommen werden müsse. Gegen diese Auffassung spricht indes ein Versuch von Kayser), bei welchem das Versuchsindividuum in einer ersten dreitägigen Periode täglich 21g N, 71g Fett und 338g Kohlehydrate, in einer zweiten ebenso langen 21gN und 220g Fett und in einer dritten Periode von drei Tagen wieder die erste Versuchskost bekam. Die N-Abgabe betrug: während der 1. Periode 18,8 — 19,3 — 20,1, während der 2. Periode 22,2 — 22,9 — 25,4, während der 3. Periode 20,8 — 18,4 — 18,8g. Im Laufe der zweiten Periode, bei welcher die Kohlehydrate vollständig vermieden und von einer isodynamen Fettmenge ersetzt wurden, stieg die N-Abgabe von 20,1 auf 25,4g, um bei wiederholter Zufuhr von Kohlehydraten auf 18,8g herab- zusinken. Da in den Versuchen Landergrens eine N-Umsetzung von etwa 9g dem Körper vollständig genügte, hätten doch 20g genügen müssen, wenn bei ihrem Zerfall Zucker gebildet worden wäre. Nichtsdestoweniger steigt die N-Abgabe um etwa 5g an; diese Mehrzersetzung von Eiweiß diene nach Landergren dazu, den Bedarf des Körpers an Kohlehydraten zu decken. Es würde daher nur bei ein- tretendem Glykogenmangel eine Kohlehydratbildung aus Eiweiß stattfinden, um: den absoluten Bedarf des Körpers an Kohlehydraten zu decken. Nach Landergrens Erfahrungen würden hierzu etwa 5g N nötig sein; unter der Voraussetzung, daß im Maximum 6,4 g Zucker pro 1 g Eiweiß-N entstehen können, würde der tägliche Minimalbedarf an Kohlehydraten beim erwachsenen Menschen etwa 32g betragen. Wenn diese in vielerlei Hinsicht sehr ansprechende Auffassung richtig ist, so: folgt, daß auch beim Hunger eine Glykogenbildung stattfinden könnte. Dann wäre auch der ziemlich bedeutende Glykogengehalt, den man sogar nach sehr lange dauerndem Hungern beobachtet hat, leichter erklärlich, als er erscheint, wenn er !) Betreffend die im ‚letzteren Falle stattfindenden chemischen Vorgänge ver-' weise ich auf die Zusammenstellungen von Langstein (Ergebn. d. Physiol. 1, (1), 71, 1902; 3, (1), 453, 1904. — ?) Skand. Arch. f. Physiol. 14, 147, 1904. — °) Von Noordens Beiträge 2, 81, 1894. een ed ee Seite ee ie u Der Ansatz von Fett im Körper. 509 als Restglykogen aufgefaßt wird. Eine direkte Stütze dieser Auffassung kann möglicherweise in folgenden Versuchen von Vogelius') und Frentzel?) liegen. Bei diesen wurden die Tiere durch kräftige Strychninkrämpfe glykogenfrei gemacht, dann in künstlichem Schlaf (Chloral, Urethan) gehalten und nach 18 bis 45 Stunden getötet. Die Resultate Frentzels sind in folgender Tabelle zu- sammengestellt. L er Glykogen Nr. des Schlafes in der Leber in den Muskeln Stunden 8 g 1 18 0,35 0,00 2 24 0,21 0,00 3 28 0,26 0,00 4 45 0,51 Spuren Vogelius fand an seinen Kaninchen, welche nach 48 bis 74 Stunden ge- tötet wurden, in der Leber, 0,30 bis 0,40g und im übrigen Körper 1,29 bis 1,57 g Glykogen. Ein Kaninchen, welches nach den Strychninkrämpfen außer dem Nar- coticum noch Phloridzin erhielt, schied in 33'/, Stunden 1,70g Zucker aus; in seiner Leber fand sich 0,07 und in der Muskulatur 0,60 Glykogen. Einmal gelang es, das Tier nach Beendigung des Strychninkrampfes 119 Stunden in Nar- kose zu erhalten. Es lieferte 5,25g Zucker und enthielt nach dem Tode 1,29g Glykogen in der Leber und den Muskeln. Zehntes Kapitel. Der Ansatz von Fett im Körper’). Einen vorläufigen Abschluß gewannen die Ansichten über die Quelle der Fettbildung im Körper durch die Untersuchungen von Pettenkofer und Voit, aus welchen mit großer Wahrscheinlichkeit hervorging, daß beim Fleischfresser und Menschen wenigstens ein Fettansatz nur auf Kosten des Nahrungsfettes und des Eiweißes zustande kommen konnte und daß die Kohlehydrate nur als Ersparer des Nahrungsfettes, bzw. des aus dem Eiweiß abgespaltenen Fettes wirkten. Bei dem Pflanzenfresser war indes Voit geneigt, anzunehmen, daß ein, wenn auch nur geringer, Teil des Fettes den Kohlehydraten entstammte ). Ich werde die von den genannten Autoren dargebrachten Beweisgründe für die Fettbildung aus Eiweiß in erster Linie erörtern. Dabei werde ich indes die Angaben über die unter der Mitwirkung niederer Pilze statt- findende Fettbildung nicht berücksichtigen, weil sie für die Frage nach der Fettbildung im Tierkörper keine Bedeutung beanspruchen können. Fr. Hofmann?) ließ Eier der Schmeißfliege sich in defibriniertem Blute ent- wickeln. Das Blut enthielt ursprünglich 0,0535 g Fett, die frischen Fliegeneier insgesamt 0,0064g, Summa 0,0599g Fett. Bei den erwachsenen Tieren fand ®) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1893, S. 378. — ?) Arch. f. d. ges. Physiol. 56, 282, 1894. — °) Betreffend Einzelheiten, welche hier nicht besprochen werden können, verweise ich auf Rosenfelds eingehende Darstellung dieser Frage in den Ergebnissen der Physiol. 1, (1), 651, 1902 und 2, (1), 50, 1903. — *) Voit, 1881, 8. 235. — °) Zeitschr. f. Biol. 8, 159, 1872. 510 Der Ansatz von Fett im Körper. Hofmann 0,5328 g Fett, es hatte sich also aus dem Bluteiweiß 0,4729g Fett ge- bildet. Gegen diesen Versuch wendet aber Pflüger!) ein, daß hier unter dem Einfluß niederer Pilze sowohl Fett als Kohlehydrate aus dem Eiweiß gebildet werden müßten, wodurch natürlich die Beweiskraft desselben gänzlich aufgehoben wird. Um diesen Übelstand zu vermeiden, wiederholte 0. Frank?) den Versuch unter Anwendung von Fleisch, das 14 Tage lang mit Äther extrahiert worden war. Hierbei konnte er tatsächlich einen nicht geringen Fettansatz konstatieren. Dessenungeachtet findet er selber den Versuch nicht beweisend, und zwar weil man nicht sicher sein kann, daß der Äther wirklich alles Fett aus dem als Nähr- boden dienenden Fleisch entfernt hat. Unter gewissen pathologischen Zuständen findet eine fettige Metamorphose und eine Anhäufung von Fett in den Geweben statt, welche nach Voits, Auffassung nicht dadurch bedingt ist, daß Fett von außen den Geweben zugeführt und von ihnen aufgenommen wird, sondern vielmehr den Ausdruck einer Umwandlung des Organ- eiweißes in Fett darstellt. Ich werde die Frage nach den Vorgängen bei der fettigen Degeneration nicht in ihrem ganzen Umfange hier erörtern, sondern mich nur auf die bei der Phos- phorvergiftung auftretende beschränken, da diese für die vorliegende Frage als besonders bedeutungsvoll aufgefaßt worden ist. Als Stütze seiner Ansicht, daß die fettige Degeneration bei der Phosphorver- giftung von einer Umwandlung des Organeiweißes bedingt wäre, führt Voit folgenden Versuch von Bauer) an. Nach 12tägigem Hungern wurde ein Hund mit Phosphor vergiftet und starb 7 Tage nachher. Bei der Sektion fand sich in allen Organen und ganz besonders in den Muskeln und der Leber eine reichliche Anhäufung von Fett (in den Muskeln 42,4 Proz., in der Leber 30 Proz... Wegen des vorhergehen- den 12tägigen Hungerns stellt sich Bauer vor, daß das Tier schon zu Beginn der Vergiftung die größte Menge seines Körperfettes eingebüßt hatte, und daß also das in den Organen nachgewiesene Fett nur aus dem reichlich zugrunde gegangenen Eiweiß entstanden sein könnte. Demgegenüber läßt sich aber einwenden, daß der Körper nach den neueren Erfahrungen (vgl. oben 8.387) auch bei fortgeschrittenem Hungern doch ziemlich viel Fett enthalten kann, und diese Einwendung muß hier um so mehr in Betracht gezogen werden, da der Hund Bauers vor dem Versuche gut genährt war. Bauers Auffassung gegenüber bemerkte Lebedeff‘), daß das Fett z. B. in der Phosphorleber nicht daselbst durch Zerfall des Eiweißes entsteht, sondern dort- hin aus Fett aufgenommen wird, welches den großen Fettdepots des Körpers ent- stammt und mit dem Blute der Leber zugeführt wird. Er stützt diese Auffassung darauf, daß das Fett in der Phosphorleber dieselbe Zusammensetzung und Be- schaffenheit als das subeutane Fett hat; wenn man vor der Phosphorvergiftung die Versuchstiere mit verschiedenen Fettarten mästet, so hat das bei der Phosphor- vergiftung in der Leber auftretende Fett eine entsprechende Beschaffenheit, während man doch erwarten sollte, daß ein durch Zerfall des Leberparenchyms gebildetes Fett immer einer und derselben Art wäre und in keiner Abhängigkeit von der Art des subeutanen Fettes stände. Ganz ähnliche Resultate hat später auch Rosen- feld nach derselben Methode gewonnen °). Nach der statistischen Methode an Fröschen angestellte Versuche ergaben wiederum, daß phosphorvergiftete Tiere eine größere Fettmenge enthielten als die Kontrolltiere (Leo°), Polimanti’). Gegen diese Versuche machte indes Pflüger“) verschiedene Einwendungen und veranlaßte Athanasiu°), die Frage an der Hand eines genügend umfangreichen Materials nochmals zu prüfen. Diese Versuche fanden unter Anwendung der inzwischen durch die Arbeiten aus Pflügers Labora- !) Arch. f. d. ges. Physiol. 51, 280, 1892. — ?) Zeitschr. f. Biol. 35, 553, 1897. — ®) Ebenda 7, 71, 1871; 14, 527, 1878. — *) Arch. f. d. ges. Physiol. 31, 13, 1883. — °) Ergebn. d. Physiol. 2, (1), 67, 1903; Berl. klin. Wochensehr. 1904, Nr. 22. — °) Zeitschr. £. physiol. Chemie 9, 469, 1885. — 7) Arch. £.d. ges. Physiol. 70, 349, 1898. — ®) Ebenda 71, 318, 1898. — °) Ebenda 74, 511, 1899. Daselbst. auch ausführliche Literaturangaben. 7 ee ee Te Fr ee ge a Zah Der Ansatz von Fett im Körper. 511 torium vielfach verbesserten und verfeinerten Fettbestimmungsmethoden an 124 vergifteten und gleich vielen Kontrollfröschen derselben Körpergröße statt und er- gaben, daß 100g des lebenden Tieres durch die Vergiftung eine Vermehrung des Fettgehaltes um 0,005 g erfahren hatten; daß dagegen 100 g des anfänglichen Lebend- gewichtes durch die Phosphorvergiftung 0,093 g Glykogen verloren, während bei beiden Gruppen die Lecithinmenge und die Stickstoffausscheidung gleich groß waren. In wesentlicher Übereinstimmung hiermit findet Taylor!) in einer an 14 ver- gifteten und 14 Kontrollfröschen ausgeführten Versuchsreihe, daß die phosphor- vergifteten Tiere pro 100g lebende Substanz 0,347g N, 3,00g Troekensubstanz, 0,35 g Fett und 0,099 Glykogen verloren. Der Zerfall ist hier größer als bei den Versuchen von Athanasiu, was wohl darauf beruht, daß Taylors Tiere im all- gemeinen 10 bis 12 Tage am Leben blieben, während Athanasius Frösche schon nach 1 bis 6 Tagen verendeten. Auch Versuche an warmblütigen Tieren ergaben gleichlautende Resultate. Kraus und Sommer’) fanden bei phosphorvergifteten Mäusen in der Leber 7,4 bis 37,4 Proz. Fett, während die Leber der Kontrolltiere nur 5,1 bis 11,8 Proz. Fett enthielt. Dagegen war der gesamte Fettgehalt des Körpers bei jenen 4,1 bis 7,9, bei diesen aber 13,8 bis 29,3 Proz. Endlich hat Rosenfeld°) gezeigt, daß die bei der Phosphorvergiftung so konstant erscheinende Fettanhäufung in der Leber vollständig ausbleibt, wenn der Versuch an Tieren angestellt wird, welche zu Beginn der Vergiftung schon so fett- arm wie möglich sind. Als Beispiel seien folgende Angaben an Hühnern mitgeteilt: Kontrolltiere Phosphorvergiftete Tiere Nr. Fett Fett Nr. Fett Fett in der Leber |im ganzen Körper in der Leber im ganzen Körper 2 g g g g 1 0,45 7,37 1 0,20 4,49 0,16 3,40 2 0,35 3,52 3 0,65 4,52 Das Verhalten des Fettes bei der Phosphorvergiftung gibt also der Lehre von der Fettbildung aus Eiweiß keine Stütze *). Dasselbe gilt auch von der Fettbildung in der Milchdrüse. Soviel. sich die Sache jetzt übersehen läßt, kann kein Zweifel darüber walten, daß das Milchfett teils dem Nahrungsfett, teils den Kohlehydraten entstammt. Ob aber das Eiweiß hierbei irgend welchen direkten Anteil hat, muß vorläufig als unentschieden an- gesehen werden, und jedenfalls kann die Fettabsonderung in der Milchdrüse nicht als Beweis für eine im Körper sonst vorkommende Fettbildung aus Eiweiß herbei- gezogen werden’). Als wichtigster Grund für die Annahme einer Fettbildung aus Eiweiß galten lange die Resultate der von Pettenkofer und Voit am Hunde aus- geführten Bilanzversuche, laut welchen unter günstigen Umständen bis zu 58g aus Eiweiß stammendes Fett täglich angesetzt werden konnte®). Dieses Resultat war indes nur durch eine fehlerhafte Annahme, betreffend die elemen- !) Journ. of experim. Med. 4, 399, 1899. — ?) Beitr. zur chem. Physiol. 2, 86, 1902. — ?) Ergebn. d. Physiol. 2, (1), 67, 1903. — *) Vgl. auch Lindemann, Zeitschr. f. Biol. 38, 405, 1899; Ribbert, Deutsche med. Wochenschr. 1903, Nr. 44; Rosen- feld, Berl. klin. Wochenschr. 1904, Nr. 22. — °) Vgl. die Zusammenstellungen von Rosenfeld (Ergebn. d. Physiol. 1, (1), 664) und K. Basch (Ebenda 2, (1), 366). Da die Fettbildung in der Milchdrüse am zweckmäßigsten im Zusammenhang mit der Physiologie dieses Organes behandelt wird, habe ich diese Frage hier nicht näher besprechen wollen. — °) Ann. d. Chem. u. Pharm., 2. Supplbd., 1863, 8. 52, 361; Zeitschr. f. Biol. 5, 106, 1869; 6, 371, 1870; 7, 489, 1871. 512 Der Ansatz von Fett im Körper. tare Zusammensetzung des Eiweißes, bedingt, und die eingehende Kritik, die Pflüger an diesen Versuchen ausübte), ergab, daß sich aus diesen Versuchen kein Fettansatz nachweisen läßt (vgl. oben, S. 409). Im Voitschen Institut wurden dann neue Bilanzversuche gemacht, um die Frage näher aufzuklären. Dabei konnte Cremer?) an einer Katze, die er mit sehr großen Fleischmengen fütterte, in der Tat eine Retention von überschüssigem Kohlenstoff konstatieren. Die zurückgebliebene C-Menge betrug in einer Versuchsreihe bei einer täglichen Zufuhr von 450g Fleisch 7,3g pro Tag, und in einer anderen bei 350 bis 450g Fleisch 4,5 g pro Tag. Auch gegen diese Versuche machte Pflüger) vielerlei Einwendungen, welche indes zum großen Teile nicht als berechtigt angesehen werden können, auch wenn man Pflüger darin beistimmen muß, daß die Cremerschen Versuche, so wie sie jetzt vorliegen, in einer viel zu kurzen Form mitgeteilt sind. Zu demselben Resultat wie Cremer kam auch Gruber) in seinen schon oben (8.503) erwähnten Bilanzversuchen am Hunde bei einer täglichen Zu- fuhr von 1500 g Fleisch. Meines.Erachtens kann diesen Versuchen gegenüber die Ansicht nicht mehr aufrecht erhalten werden, daß im Körper überhaupt keine Fettbildung aus Eiweiß möglich wäre; dieselbe scheint aber im allgemeinen nur geringen Umfanges zu sein und bloß bei Zufuhr sehr großer Eiweißmengen vorzu- kommen, was wohl damit zusammenhängt, daß das Nahrungseiweiß unter allen Nahrungsstoffen in erster Linie zerfällt. Beim Menschen, der ja nur eine verhältnismäßig geringe Eiweißmenge zu verdauen vermag, dürfte das Eiweiß als Fettbildner keine nennenswerte Bedeutung besitzen. Zu der Zeit, als die Lehre vom Eiweiß als die wesentliche Quelle des Fett- ansatzes noch in ihrem vollen Umfange allgemein angenommen war, mußte man, um einen eventuellen Fettansatz aus N-freien Nahrungsstoffen darzu- tun, in erster Linie beweisen, daß die angesetzte Fettmenge nicht aus dem zerfallenen Eiweiß hätte entstehen können. Die Beweisführung war daher in etwa derselben Weise durchzuführen, wie oben in bezug auf die Glykogen- bildung aus Kohlehydraten dargestellt worden ist (vgl.S. 501). Seitdem die Be- deutung des Eiweißes als Fettbildner so erheblich reduziert worden ist, kommt diese Komplikation nicht mehr in Betracht. Wegen des geschichtlichen Inter- esses, welches die ersten von dem genannten Standpunkte aus einwandfreien Untersuchungen über Fettbildung aus N-freien Nahrungsstoffen beanspruchen, finde ich es angezeigt, die betreffenden Versuche auch unter Berücksichtigung einer eventuellen maximalen Fettbildung aus Eiweiß zu besprechen. Nach Henneberg?) stellte man sich vor, daß das Eiweiß ohne Eingriff des atmosphärischen Sauerstoffs zerfalle, und zwar in folgender Weise: Aus 1g Eiweiß würde nach Abtrennung des Stickstoffs als Harnstoff (0,335 g) zum Reste (0,665 g) 0,123 g Wasser hinzutreten und davon 0,274g CO, austreten: dann blieben 0,514 g Fett übrig. ‘Da-aber die physiologische Verbrennungswärme von 1g Eiweiß rund 4,1 Kal., die von 0,514 g Fett aber rund 4,8 Kal. beträgt, war die von Henneberg berechnete Zahl, wie Rubner‘®) bemerkte, entschieden zu groß, denn dem Wärme- ') Arch. f. d. ges. Physiol. 51, 231, 1891; vgl. auch Kumagawa, Mitteil. d. med. Fakultät zu Tokio 3, 1, 1894. — ?°) Münch. med. Wochenschr. 1897, Nr. 29; Zeitschr. f. Biol. 38, 309, 1899. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 68, 176, 1877; 77, 521, 1899. — *) Zeitschr. f. Biol. 42, 409, 1901. — °) Voit, 8. 250. — °) Zeitschr. f. Biol. 21, 355, 1885. u En BE We I N ee Lern Der Ansatz von Fett im Körper. 513 werte nach konnte aus 1g Eiweiß höchstens 0,447 g Fett entstehen, und dies nur in dem Falle, wenn die gesamte potentielle Energie des Eiweißes auf die gebildete Fettmenge übertragen würde. Daß das Nahrungsfett im Körper angesetzt wird, geht schon aus den Bilanzversuchen von Pettenkofer und Voit mit aller wünschenswerten Klarheit hervor (vgl. 8.412). Viele andere Erfahrungen bestätigen diese Tatsache. Fr. Hofmann!) ließ einen Hund von 26,45 kg Körpergewicht 30 Tage lang hungern, wobei dieser 39,5 Proz. seines Gewichtes verlor, und gab ihm dann während 6 Tage insgesamt 2389 g Fett und 39,7g N. Bei der Sektion wurden im Körper 1353 g Fett aufgefunden, welches zum allergrößten Teile während der foreierten Fütterung angesetzt worden war. Aus dem zersetzten Eiweiß hätten im Maximum nur 131g Fett entstehen können. — I. Munk?) ließ einen Hund 33 Tage lang hungern; währenddessen sank das Körpergewicht von 17,6 auf 11,5 kg herab. Nun erhielt das Tier während 17 Tage insgesamt 5250 g Fleisch und 2260 g Rüböl; sein Körpergewicht stieg auf 13kg. Bei der Sektion wurde eine reichliche Fett- ablagerung konstatiert. Dieses Fett unterschied sich aber wesentlich von dem ge- wöhnlichen Hundefett, indem wenigstens vier Fünftel davon bei Zimmertemperatur flüssig waren und sich als ein helles, durchsichtiges, schwach gelblich gefärbtes Öl darstellten; auf den Boden des Gefäßes setzte sich eine weißliche, körnig kristalli- nische Masse ab. Das angesetzte Fett zeigte also hinsichtlich seiner Konsistenz mit dem gefütterten Rüböl eine große Übereinstimmung; in demselben gelang es außerdem Munk, wie früher bei entsprechenden Versuchen Radziejewski°), die im normalen Hundefett nicht vorkommende Erucasäure nachzuweisen. Desgleichen gelang es Lebedeff*), je nachdem er Leinöl oder Hammeltalg fütterte, ein Fett mit niedrigem oder mit hohem Schmelzpunkte bei Hunden zum Ansatz zu bringen). Gegen die letzterwähnten Versuche hat Pflüger‘) allerdings bemerkt, daß das Hundefett keine konstante Zusammensetzung hat, und daß also die von Munk beobachtete Abhängigkeit der Beschaffenheit des bei verschiedener Fütterung an- gesetzten Fettes vom Futter nichts bewiese. Meines Erachtens wird jedoch die Beweiskraft der soeben erwähnten Beobachtungen nicht durch diese re aufgehoben. Noch im Jahre 1881 äußerte Voit’), daß „es nicht mit Sicherheit er- wiesen sei, daß die Kohlehydrate im fleischfressenden oder pflanzenfressenden Tier in Fett übergehen, aber auch nicht, daß sie nur das anderweit erzeugte Fett vor der Verbrennung schützen“. Dennoch lagen schon damals die an Schweinen durchgeführten Versuchsreihen von Weiske und Wildt®) vor, aus welchen mit aller Bestimmtheit eine Fettbildung aus Kohlehydraten sich demonstrieren läßt. Von drei gleichen, sechs Wochen alten Tieren wurden zwei zur Bestimmung des am Körper schon vorhandenen Fleisches und Fettes gleich geschlachtet und das dritte mit Kartoffeln gefüttert. Während 184 Versuchstage setzte das Tier 6,140 kg Fett an; davon entstammten 0,575 aus dem Nahrungsfett; im Körper wurden also 5,565 kg Fett gebildet. Der Eiweißumsatz betrug 13,082kg. Unter Anwendung der Reduktionszahl von Henneberg (51,4) hätten aus dem zersetzten !) Zeitschr. f. Biol. 8, 165, 1872. — ?) Arch. f. pathol. Anat. 95, 407, 1884. — ®) Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1866, $. 351; Arch. f. pathol. Anat. 43, 276, 1868; 56, 211, 1872. — *) Zeitschr. f. physiol. Chem. 6, 139, 1882; Arch. f. d. ges. Physiol. 31, 47, 1883. — °) Vgl. auch Winternitz, Zeitschr. f. physiol. Chem. 24, 425, 1898. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 82, 331, 1900. — ?) Voit, 8. 262. — ®) Zeitschr. f. Biol. 10, 1, 1874; vgl. auch Lawes und Gilbert, Phil. Trans. 149, 493, 1860. Nagel, Physiologie des Menschen. I, 33 514 Der Ansatz von Fett im Körper. Eiweiß 6,724kg Fett entstehen können. Nun findet sich aber vom Stickstoff der Kartoffeln wenigstens ein Drittel in Form von Asparagin vor; selbst wenn die Hennebergsche Zahl richtig wäre, so hätten daber aus Eiweiß nur 4,482 kg Fett entstehen können. Aus Kohlehydraten wären also mindestens 1,083 kg Fett ent- standen. Auch Voit gibt bei der Besprechung dieses Versuches zu, daß hier möglicherweise ein Beispiel vorliegt, bei dem die Kohlehydrate zur Fettbildung zu Hilfe genommen werden müssen. In der folgenden Zeit wurden Beispiele dieser Art immer zahlreicher. An Pflanzenfressern veröffentlichten Soxhlet!), B. Schultze2), Meißl und Strohmer?), Kühn®), Chaniewski®), Meißl, Strohmer und v. Lorenz®), Rosenfeld’), Lehmann und E. Voit°®), an Hunden I. Munk’) und Rubner!°) derartige Untersuchungen. Die folgende Tabelle enthält eine Zusammenstellung einiger Angaben betreffend die Pflanzenfresser: Fettansatz aus . Eiweiß, nach Nr. Tierart | Nahrungs- Henneberg Kohle- Autor g g g 1 Gans 20,4 54,9 193,6 Chaniewski 2 « 31,7 104,9 508,7 a 3 R 8,7 51,4 385,2 s 4 Ochs 86,0 192,0 145 Kühn u. a. 5 x 77,0 153,0 202 BR 6 S 39,0 103,0 561 ee 2 7. Schwein 7,9 33,6 312 Meißl u. Strohmer 8 R 16,4 33,0 363,8 a . 9 R 15,2 45,2 148,4 Eu 5 Munk ließ einen Hund von etwa 37 kg Körpergewicht 31 Tage lang hungern und fütterte ihn dann während 25 Tage mit 200g Fleisch und verschiedenen Mengen Kohlehydrat und Leim (mit letzterem nur 10 Tage). Bei der Sektion wurden 1070 g Fett erhalten; davon waren nach Munk wenigstens neun Zehntel, also 963 g, während der Fütterungsperiode gebildet. Da der Eiweißumsatz während des ganzen Versuches 808 g betrug, hätten nach der Hennebergschen Zahl daraus höchstens 415g Fett entstehen können; das Futter enthielt 75g Fett. Es wurden aber noch insgesamt 797 g trockener Leim verfüttert. Unter der Annahme, daß aus diesem eben- soviel Fett entstehen konnte wie aus dem Eiweiß, wären aus dem Leim 410g Fett entstanden. Aus Kohlehydraten wären dann jedenfalls 963 — (415 + 75 + 410) = 63g Fett gebildet. Diese Rechnung gründet sich aber, wie aus dem früher Ausgeführten hervorgeht, auf absurde Voraussetzungen; der aus Kohlehydraten entstammende Fettansatz ist also noch beträchtlich größer. Bei dem Versuche von Rubner wurden alle Ausgaben des Körpers direkt be- stimmt. Der Versuchshund von 6,2kg Körpergewicht bekam während zwei Ver- !) Zeitschr. d. landw. Vereins in Bayern 1881; zit. nach Lehmann und E. Voit. — ?) Landw. Jahrb. 1, 57, 1882. — °) Sitzungsber. d. Akad. d. Wiss. (Wien), math.-naturw. Kl., 88, (3), 205, 1883. — *) Landw. Versuchsstat. 44, 370, 443, 505, 560, 1894. — ®) Zeitschr. f. Biol. 20, 179, 1884. — °) Ebenda 22, 141, 1886. — 7) Berl. klin. Wochenschr. 1899, 8. 665. — *) Zeitschr. f. Biol. 42, 619, 1901. — °) Arch. f. pathol. Anat. 101, 91, 1885. — !) Zeitschr. f. Biol. 22, 272, 1886. BI N rue ee Der Ansatz von Fett im Körper. 515 suchstage insgesamt 200g Rohrzucker, 170g Stärke und 9,4g Fett. Kohlenstoff: aufgenommen 176,6 g, abgegeben 87,1; im Körper also zurückgeblieben 89,5 g. Aus dem zersetzten Eiweiß hätten höchstens 5,8g C und aus dem Nahrungsfett 7,2g C im Körper zurückbleiben können. Also müssen 76,5 g Kohlenstoff aus den ge- fütterten Kohlehydraten entstammen. Sie können nun entweder als Glykogen oder Fett im Körper angesetzt worden sein. Als Glykogen berechnet würden sie etwa 173g, d. h. 27,9g pro Kilogramm Körpergewicht betragen; es ist jedoch äußerst wenig wahrscheinlich, daß hier eine so große Glykogenmenge angesetzt worden ist. Es ist allerdings wahr, daß sich unter Schöndorffs') Versuchen drei vorfinden, bei welchen der Glykogengehalt noch größer gewesen. Diese Tiere wurden aber 8 Tage lang gefüttert und bekamen täglich nebst 200g Fleisch 100g Reis, 150g Kartoffeln und 150 g Rohrzucker, d. h. etwa 250g Kohlehydrate, 185 g Kohle- hydrate in dem vorliegenden Versuche gegenüber. Bei dieser Umwandlung der Kohlehydrate in Fett müssen selbstverständ- lich Reduktionsprozesse stattfinden. Das tierische Fett hat etwa folgende elementare Zusammensetzung: 76,54 C, 11,94 H, 11,52 O; die Dextrose ent- hält 40 C, 6,7 H, 53,3 0. Um den nötigen Kohlenstoff für 100 g Fett zu liefern, sind daher im Minimum 191,35 g Dextrose erforderlich. Denken wir uns nun, daß C, H und O dieses Kohlehydrates in C, H und O des Fettes übergehen, so finden wir: 191,35 Dextrose 100 Fett. Darin 76,54 C . 76,54 C 12,76 H 11,94 H 102,05 OÖ 4,52 0 Die 0,82g H bilden mit 6,56g O zusammen 7,38g Wasser. Von dem Sauerstoff bleiben noch 83,97 g übrig. Diese können aber 78,71 weiteres Kohlehydrat vollständig verbrennen und liefern dabei 47,23 g Wasser und 115,45g CO,. Man erhält daher folgende Äquation: 270,06 g Traubenzucker — 100g Fett + 54,61g Wasser + 115,45g CO, (Bleibtreu). Dieser Vorgang verläuft mit einer positiven Wärmetönung, denn 100g Fett — 950 Kal, 270,06 g Dextrose aber 1010,70; die Differenz beträgt 60,7 Kal. Ohne Sauerstoff aufzunehmen, scheidet der Körper also bei der Bildung von 100 g Fett aus Kohlehydraten 115,45 g — etwa 59 Liter CO, aus. Diese Kohlensäure zu der sonst gebildeten addiert, muß natürlich den respiratori- schen Quotienten erhöhen. Die Richtigkeit dieser Konsequenz hat Bleibtreu durch direkte Versuche an mit Kohlehydrat gemästeten Gänsen bestätigt, und zwar gelang es ihm, den respiratorischen Quotienten dauernd beträchtlich über die Einheit, bis zu 1,38, hinauszutreiben. Diese hohen Zahlen sind nicht durch Abnehmen des verbrauchten Sauerstoffs, sondern durch Ansteigen der ausgeschiedenen . Kohlensäure verursacht). !) Arch. f. d. ges. Physiol. 99, 213, 1903. — *) Ebenda 56, 464, 1894; 85, 356, 1901. Eine ähnliche Rechnung haben früher auch Meißl (Zeitschr. f. Biol. 22, 142, 1886) und Hanriot (Compt. rend. 114, 371) gemacht. — °) Vgl. auch die entsprechenden Beobachtungen am Murmeltiere von Pembrey (Journ. of Physiol. 27, 407, 1901); daselbst ist auch die frühere Literatur besprochen. 33* 516 Der Ansatz von Fett im Körper. Betreffend das durch Kohlehydrate gebildete Fett gibt Rosenfeld!) nach Versuchen an Gänsen an, daß es im Vergleich mit dem Fett der Hungergänse fol- gende Eigentümlichkeiten darbietet. In bezug auf das Gesamtfett findet man bei den Kartoffelgänsen nur eine 1cm hohe Schicht flüssigen Fettes über den 8 bis 9cm hohen Mengen von Kristallen aus Palmitin und Stearin, während das Hungerfett zu neun Zehntel aus der Ölschieht besteht. Während bei den Hungergänsen das Hautfett zu zwei Drittel bis drei Viertel aus öliger Substanz besteht, an deren Boden nur ein relativ geringer Niederschlag sich befindet, und bei den Marktgänsen jenes Fett zu erhalten ist, dessen schwer erstarrende, halbflüssige Art allgemein bekannt ist, ist das Hautfett der Kartoffelgänse nach 10 Stunden fest geronnen, von ziemlich derber Konsistenz. Das Kohlehydratfett ist also ein hartes, ölsäure- . armes Fett. Im Verdauungsrohre wird das Fett, zum größten Teile wenigstens, in Fettsäure und Glycerin gespalten. Schon aus dieser Tatsache folgt, daß ge- fütterte freie Fettsäuren bzw. Seifen für den Fettansatz etwa dieselbe Be- deutung als das Neutralfett haben müssen. Daß dies wirklich der Fall ist, wurde von Radziejewski?2) unter Anwendung von Rübölseife, und von I. Munk?°) unter Anwendung von aus Schaffett freigemachten Fettsäuren nachgewiesen. Letzterer gab einem Hunde von 17kg Körpergewicht während 14 Tage nur 500 g Fleisch täglich und ließ ihn dann 19 Tage lang hungern, wobei sein Körper- gewicht auf 10,8kg herabsank. Dann wurde das Tier während 14 Tage mit mage- rem Fleisch und großen Mengen der freien Fettsäuren gefüttert. Dabei stieg das Körpergewicht auf 12,7 kg an. Bei der Sektion wurden etwa 1100 g Fett erhalten; es enthielt nicht mehr als 1 Proz. freie Fettsäuren und stimmte hinsichtlich seiner Eigenschaften mit dem Schaffett sehr nahe überein. Die gefütterten Fett- säuren hatten sich also im Körper mit Glycerin verbunden und waren dann als Neutralfett im Körper angesetzt worden *). Elftes Kapitel. Die mineralischen Nahrungsstoffe. $ 1. Allgemeine Übersicht. Für den Unterhalt des Körpers sind gewisse anorganische Verbindungen ebenso wichtig als die organischen Nahrungsstoffe, weil der Körper immer, sowohl beim Hungern, als bei der reichlichsten Zufuhr von organischen Nahrungsstoffen, solche von sich abgibt und, wenn diese durch die Nahrung nicht ersetzt werden, schwer erkrankt und endlich am „Aschehunger“ stirbt. Die betreffenden Verbindungen sind Wasser und Aschebestandteile, welche letztere der Kürze halber oft als Salze bezeichnet werden. Über die Bedeutung des Wassers können wir uns kurz fassen. Das Wasser ist dem Körper notwendig, teils um dessen Geweben den normalen Turgor, ohne welchen die lebendige Substanz nicht leistungsfähig und am Leben _ bleiben kann, zu geben, teils um als Lösungs- und Quellungsmittel für die in !) Berl. klin. Wochenschr. 1899, 8. 665. — ?) Arch. f. pathol. Anat. 43, 1868; 56, 214, 1872. — °) Ebenda 95, 437, 1884. — *) Vgl. auch Fischlers Versuche über experimentell erzeugte Fettsynthese aus ölsaurem Natrium und Glycerin in der überlebenden Niere (Arch. f. pathol. Anat.'174, 338, 1903). [vd Die mineralischen Nahrungsstoffe. 517 den Körperflüssigkeiten enthaltenen Verbindungen zu dienen; werden ja diese gerade durch das Wasser als Vehikel nach allen Teilen des Körpers gebracht. Durch alle seine Ausscheidungen gibt der Körper ununterbrochen Wasser von sich ab, und wird dieser Verlust nicht ersetzt, so steigt er früher oder später zu einem mit dem Bestande des Lebens unvereinbaren Umfange. Hun- gernde Tiere vertragen besser Wassermangel als Tiere, welche mit trockenem Futter ernährt werden, was dadurch bedingt ist, daß bei jenen die Organe selber zugrunde gehen und dabei das in ihnen mit der lebendigen Substanz innig verbundene Wasser frei machen und also dem Gesamtkörper zur Ver- fügung stellen. Bei trockenem Futter zerfällt die lebendige Substanz gar nicht oder jedenfalls in kleinerem Maße als beim Hungern: das in den Ge- weben enthaltene Wasser wird daher in diesen zurückgehalten, und die Körper- flüssigkeiten bekommen also von dieser Quelle aus keinen genügenden Ersatz für die Verluste an Wasser, die sie erleiden. Außerdem sind diese Verluste bei Fütterung mit trockenem Futter größer als beim Hungern, denn die Ver- dauung beansprucht jetzt eine gewisse Menge Wasser, und auch die Harn- abgabe wird wohl größer sein, als bei vollständiger Karenz. Wenn man ein Tier mit Eiweiß, Fett, Kohlehydraten und Wasser in voll- kommen genügender Menge füttert, so viel wie möglich aber alle minerali- schen Bestandteile ausschließt, so treten im Befinden desselben merkwürdige Störungen auf. Bei allen so gefütterten Tieren (Tauben, Hunden) trat nach Forster!) bald ein Zustand von Muskelschwäche und Zittern auf, der am besten durch allgemeine Ermüdung bezeichnet werden kann. Die Schwäche in den einzelnen Muskeln der Hunde, namentlich der hinteren Extremitäten, nahm allmählich, schon von der zweiten Versuchswoche an, einen lähmungs- artigen Charakter an. Auch die Tätigkeit des Gehirns erlitt Störungen, die sich in dem wachsenden Stumpfsinn und der Teilnahmslosigkeit der Tiere zu erkennen gaben. Erscheinungen. einer erhöhten Erregbarkeit machten sich in späterer Zeit oft geltend. So zuckten die Hunde sofort und stets, wie heftig erschreckt, zusammen, wenn irgend eine rasche Bewegung, auch in der Entfernung, gegen sie ausgeführt wurde. Unter die Erscheinungen von seiten der Zentralorgane sind auch Wutanfälle, die sich namentlich durch tonischen Krampf der Hals- und Kiefermuskulatur äußerten, zu setzen. Bei Tauben trat endlich der Tod unter allgemeinen Krämpfen und Erstickungs- erscheinungen ein. Die Versuche an Hunden unterbrach Forster zu einer Zeit, wo die Störungen nicht die äußerste Grenze erreicht hatten. Trotz dieser Störungen gingen die Stoffwechselprozesse bis zu späten Stadien des Salzhungers in etwa normaler Weise vor sich. Auch die Ver- dauung verlief eine längere Zeit unverändert, endlich zeigten sich aber darin erhebliche Störungen, das Futter wurde im Magen erst nach längerem Auf- enthalt verändert, Erbrechen stellte sich ein, und es wurde auch öfters Kot entleert, der eine weiche, fast diarrhöische Beschaffenheit hatte. Wenn zu gewöhnlichem, salzhaltigem Futter übergegangen wurde, so zeigten die Tiere anfänglich nur eine geringe Freßlust; allmählich steigerte sich dieselbe, so daß das Tier schließlich eine erstaunliche Gefräßigkeit zeigte. !) Zeitschr. f. Biol. 9, 297, 1873. Daselbst ist auch die ältere Literatur be- sprochen. 518 Die mineralischen Nahrungsstoffe. Die Schwäche und das Zittern der Muskeln, der tappende Gang verloren sich | aber nur allmählich, so daß nach Verlauf eines vollen Monats Spuren davon. noch bemerkbar waren. Durch diese Beobachtungen ist es also erwiesen, daß die Aschebestandteile der Kost für den Unterhalt des Körpers ebenso wichtig sind als die darin enthaltenen brennbaren Verbindungen, ja aus den soeben angeführten Versuchen scheint sogar zu folgen, daß der erwachsene Körper leichter eine vollständige Karenz, als den einseitigen Aschehunger verträgt. Um die Ursache dieses Sachverhaltes zu erforschen, hat Forster die Aus- scheidung des Phosphors und des Kochsalzes bei Salzhunger untersucht und ist dabei zu folgenden, von späteren Autoren bestätigten Resultaten gekommen. Die Ausscheidung des Phosphors im Harn und Kot hört niemals auf, sie nimmt nur in einem erheblichen Grade ab, und zwar um so mehr, je größer die Menge des genossenen salzfreien Futters ist. Für das Kochsalz zeigt sich ganz dasselbe: im Anfange des Versuches wird dieses in Mengen abgegeben, die sich von Tag zu Tag verringern. Später ist die Ausscheidung desselben so weit herab- gedrückt, daß in 200cem Harn nunmehr nur unwägbare Spuren entdeckt werden können. An den zwei letzten Versuchstagen, an denen der Körper an Substanz verlor, erschienen wieder, wenn auch ganz geringe Mengen Chlor im Harn. Auch im Magensafte wurde, selbst in den späteren Stadien des Versuches, Chlor vom Tiere abgesondert. Im allgemeinen gilt von der Kochsalzausscheidung dasselbe wie von der Phosphorabgabe, nämlich daß diese um so geringer ist, je größer die Menge der genossenen aschefreien Kost ist, d. h. je weniger die eigene Substanz des Körpers am Stoffzerfall teilnimmt. Forster glaubt diese Resultate verallgemeinern zu dürfen und stellt daher den Satz auf, daß die Ausscheidung der Aschebestandteile beim Salz- hunger während des ganzen Versuches, jedoch in erheblichem Grade ver- mindert, andauert.und gerade bei der reichlichsten Zufuhr von organischen Nahrungsstoffen am geringsten ist. Dieses Verhalten ist wahrscheinlich dadurch bedingt, daß bei ungenügen- der Zufuhr von organischen Nahrungsstoffen die Aschebestandteile aus den dann zerfallenden Geweben frei werden, in den allgemeinen Saftstrom gelangen und zum Teil ausgeschieden werden. Bei reichlicherer Aufnahme von organi- schen Nahrungsstoffen zerstört der Körper nicht seine eigene Substanz, und die in den Geweben gebundenen mineralischen Bestandteile werden daher von ihnen möglichst stark festgehalten; daher nimmt die Menge der in den Körperflüssigkeiten enthaltenen freien Salze ab, und die Ausscheidung wird geringer. Sie hört indessen nie vollständig auf, und die Gewebe müssen daher, um den Anforderungen der Körperflüssigkeiten an Aschebestandteilen zu genügen, von ihrer eigenen Substanz immer wieder solche abgeben. Hierin liegt aller Wahrscheinlichkeit nach die Ursache der schweren Störungen, welche den Aschehunger charakterisieren. Wie Voit!) ausführt, ist das Leben allerdings noch möglich, wenn auch die Organe einen Teil ihrer konstituierenden Asche eingebüßt haben; ihr Gehalt an Asche kann innerhalb gewisser, allerdings sehr enger Grenzen schwanken. Sobald aber der Verlust über diese Grenze hinausgeht, die von dem normalen Gehalte nicht weit ab- liegt, sind die normalen Funktionen der Organe so wenig mehr möglich, wie bei einem großen Verlust an Eiweiß oder Wasser. Es gehen dabei nicht 1) Voit, 8. 358. Das Wasser. 519 etwa die Zellen zugrunde, sondern es tritt eine das Leben gefährdende Ände- rung in deren Funktionen ein. Es ist dieses Verhalten analog dem einer komplizierten chemischen Verbindung, welche ihren individuellen Charakter noch nicht zu verlieren braucht, wenn auch eine Gruppe von Molekülen daraus weggenommen wird. Näher auf diese Fragen einzugehen, verbietet uns der Raum. Auch muß ich auf eine Zusammenstellung der bisher vorliegenden, übrigens lange nicht genügen- den Erfahrungen über die Aufgabe der einzelnen Salze bei dem Lebensprozesse verzichten, da dieselben wohl richtiger in einem anderen Zusammenhange zu be- handeln sind. Ich werde also meine Aufgabe darauf beschränken, die wichtigsten Aschebestandteile hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Stoffwechselvorgänge an sich zu erörtern. Obgleich ich die große Wichtigkeit der Untersuchungen über den Schwefel- umsatz im Körper durchaus nicht verkenne, werde ich doch, angesichts unserer noch sehr mangelhaften hierhergehörigen Kenntnisse, denselben hier übergehen und werde also nur Wasser, Kochsalz, Phosphor, Calcium, Magnesium und Eisen hier besprechen. $ 2. Das Wasser. Da es kaum möglich ist, einem durstenden Tiere die zum stofflichen Gleichgewicht notwendige Menge fester Nahrung beizubringen, lassen sich vollständig reine Durstversuche nicht durchführen, sondern diese sind immer zu einem gewissen Grade durch gleichzeitig stattfindende Einschmelzung von Körpersubstanz kompliziert. Nichtsdestoweniger geben uns diese Versuche die durch Wassermangel bewirkten Störungen in der deutlichsten Weise zu erkennen. Tauben, welehe Nothwang') mit luftgetrockneten Erbsen von 10 Proz. Wasser- gehalt fütterte, zeigten nach 2 bis 3 Tagen eine lebhafte Unruhe; später stellten sich Störungen der Muskeltätigkeit, Zittern, Struppigwerden des Gefieders usw. ein, und die Tiere starben innerhalb 2 bis 7 Tage, während Tauben, die auf vollstän- dige Karenz gestellt waren, 11 bis 12 Tage lang am Leben blieben. Nach den Ermittelungen Nothwangs hatten die Dursttiere beim Tode etwa 22 Proz. ihrer Wassermenge verloren; die quergestreiften Muskeln enthielten durchschnittlich nur 71 Proz.,.die Organe im allgemeinen nur 67 Proz. Wasser, während bei normalen Tauben der Wassergehalt der Muskeln 77 und der der Organe überhaupt 73 Proz. beträgt. Da bereits in der Mitte der Durstzeit bedrohende Symptome erschienen, läßt sich schließen, daß schon ein Verlust von 11 Proz. des Wassers sehr ernst- hafte Störungen hervorruft. In vollkommener Übereinstimmung mit diesen Erfahrungen gibt Landauer?) an, daß Mäuse bei Durst zehnmal früher sterben als bei vollständiger Inanition. Wenn der Wasserverlust etwa 10 Proz. des Körpergewichtes beträgt, wird bei Hunden das Futter regelmäßig erbrochen (Straub?). Betreffend die Einwirkung des Wassermangels auf den Stoffwechsel hat Straub gefunden, daß die Fettzersetzung davon unabhängig ist. Da- gegen scheint der Eiweißumsatz, wie aus den Arbeiten von Landauer, Dennig‘), Straub und Spiegler5) hervorgeht, dabei in einem gewissen Umfange gesteigert zu werden. Als Beispiel sei auf den folgenden Versuch von Straub verwiesen. ») Arch. f. Hygiene 14, 272. — ?) Ungar. Arch. f. Med. 3, 136, 1895; zit. nach Straub. — °) Zeitschr. f. Biol. 38, 539, 1899. — *) Zeitschr. f. physik. u. diätet. Ther. 2, 281, 1898. — °) Zeitschr. f. Biol. 41, 239, 1901. 520 Das Wasser. Der Versuchshund von etwa 12kg Körpergewicht erhielt täglich 130g luft- trockenes Fleischpulver mit 16,09 N, dazu 409g Schweinefett. Die durchschnittliche N-Abgabe im Kot betrug 0,41g N: Tag N im Harn P im Harn | Harnmenge ein g g ccm ccm 1 14,71 0,830 305 400 2 14,78 0,856 320 400 3 14,78 0,830 315 400 4 14,78 0,839 335 400 5 14,78 0,839 330 400 6 15,11 0,883 340 400 7 = — — 400 8 16,12 0,944 340 ) 9 15,86 0,953 335 0 10 16,49 0,953 335 0 11 16,95 0,961 360 400 12 16.19 0,891 380 400 13 16,03 0,909 370 400 14 15,78 0,865 390 900 15 14,95 0,787 420 900 16 14,47 0,839 470 600 17 14,23 0,865 390 400 Auch nach wieder stattfindender Zufuhr von Wasser bleibt hier die N-Abgabe im Harn eine Zeitlang erhöht. Diese Erscheinung könnte von einer Ausspülung etwa zurückgebliebener Zersetzungsprodukte bedingt sein. Dagegen spricht aber die Tatsache, daß die absolute Harnmenge während der Durstperiode nicht vermindert, zuweilen sogar erhöht ist, und Straub ist daher gewillt, die Mehrausgabe von N als Ausdruck einer Mehrzersetzung von Eiweiß aufzufassen, welche so lange an- hält, als das verlorene Wasser unersetzt bleibt. Es kommt aber auch vor, daß die N-Abgabe im Harn nicht sogleich am ersten Tage zunimmt, ja, daß sie anfangs sogar abnimmt, um im späteren Verlaufe der Durstzeit anzusteigen. Letzteres sucht Landauer dadurch zu erklären, daß ein Teil der Zersetzungsprodukte noch zurückgehalten wird. Da aber diese Depression auch in Fällen erscheint, wo keine wesentliche Abnahme der Harnmenge stattfindet, müssen noch andere Umstände hierbei beteiligt sein, und Spiegler hat in dieser Hinsicht auf den Einfluß einer verzögerten Resorption aus dem Darme aufmerksam gemacht; da, wo keine Depression auftritt, sei die Menge. der Ver- dauungssekrete genügend, um eine Resorption normalen Umfanges zu gestatten, Auch die nach Ende der Durstperiode vorkommende Steigerung der N-Zersetzung sei von Eiweißmengen bedingt, die während der Entziehungsperiode der Resorption entgangen sind, nun aber resorbiert werden. Dabei könnte auch die Retention N-haltiger Zersetzungsprodukte eine gewisse, wenn auch nur geringe Rolle spielen, wie Nothwang ja eine Zunahme der Extraktivstoffe bei durstenden Tauben nachwies. Bei reichlicher Zufuhr von Wasser hat man oft eine mehr oder minder erhebliche Zunahme der N-Abgabe im Harn beobachtet. Es liegt selbstver- ständlich am nächsten, dieselbe als die Folge der Ausspülung im Körper vorhandener N-haltiger Zersetzungsprodukte aufzufassen, und so ist sie in der Tat von mehreren Autoren aufgefaßt worden. Andere erblicken darin den Ausdruck einer größeren Eiweißzersetzung und dafür schien auch die | Das Wasser. 521 beträchtliche Steigerung der N-Abgabe bei gewissen Versuchen, wie z. B. im folgenden von Forster), kräftig zu sprechen. Der Versuch wurde an einem hungernden Hunde ausgeführt. Während des 5. bis 7. Hungertages schied das Tier durchschnittlich 182cem Harn mit 12,51g Harnstoff aus. Am 8. Tage wurde dem Tiere sehr reichlich Wasser gegeben; infolgedessen stieg die Harnmenge auf 2010 ccm und der Harnstoff auf 22,91 g an. Während des 9. bis 11. Tages betrug die Harnmenge durchschnittlich 323 cem mit 17,30 g Harnstoff”). Dem gegenüber vertritt Neumann?), auf Selbstversuche gestützt, die Ansicht, daß hier vor allem eine Ausspülung von Zersetzungsprodukten vor- liegt. Er findet nämlich, daß die durch reichliche Wasserzufuhr hervor- gerufene Steigerung der N-Abgabe im Harn nur vorübergehender Art ist und nach ein oder zwei Tagen, trotz fortdauernder reichlicher Wasseraufnahme, auf den früheren Wert herabsinkt. Seine Kost enthielt in einem Versuche von 24 Tagen täglich 12,1g N. Bei einer Einnahme von 800 bis 1070 cem Wasser betrug die gesamte N-Ausfuhr im Harn und Kot durchschnittlich 12,09 g mit den Grenzwerten 11,77 und 12,35. Nun wurde während vier Tage die Wasseraufnahme auf 3000 g und mehr erhöht; hierbei betrug die N-Abgabe bzw. 15,90, 14,6, 12,3, 12,2g — also eine Steigerung nur während des ersten und zweiten Tages. In einer dritten Periode mit 600 bis 900g Wasser pro Tag sank die N-Ausgabe auf 9,84, 10,27 und 11,41 g. Jetzt wurde wiederum Wasser in großer Menge genossen. Bei 3000 bis 3300 eem täglich betrug die N-Abgabe 16,35, 13,7, 11,60, 11,68, 12,42, 12,00; bei 3500 bis 3700 eem bzw. 11,60, 11,19, 10,96. Eine letzte Periode von vier Tagen mit verminderter Wasserzufuhr (700 bis 1700 g) ergab für die N-Abgabe bzw. 9,28, 11,47, 11,77, 11,31 g. Für die betreffende Auffassung spricht auch die Erfahrung Oppenheimers‘), daß die N-Abgabe bei vermehrter Wasserzufuhr schon nach einigen Stunden ihr Maximum erreicht und schnell zurückgeht. Während eines Tages trank er 2 Liter Wasser am Anfange des Versuches; dabei schied er dem Normaltage gegenüber in 4 Stunden etwa 6g Harnstoff mehr aus. Ein weiterer Konsum von 2000 & Wasser brachte keine Erhöhung mehr zustande. Normaltag Wassertag i Aufgenommene Zeit Harn Harnstoff en BER Harn Harnstoff ccm g ccm ccm £ 1—5 343 7,75 2000 1290 13,28 5—9 238 7,97 1000 1400 7,52 9—6 327 11,47 1000 905 11,66 6—1 270 7,61 — 402 7,23 $3. Das Kochsalz. Das Kochsalz wird nur zu geringem Teile durch den Kot abgegeben; die weitaus größte Menge desselben wird im Harn ausgeschieden. ') Zeitschr. f. Biol. 14, 175, 1878. — ?) Vgl. auch Voit, Unters. über den Einfluß des Kochsalzes usw. auf den Stoffwechsel, München 1860, S. 61; Fränkel, Arch. f. pathol. Anat. 71, 117, 1877; Salkowski u. I. Munk, ebenda 71, 500, 1877; Voit, 8. 152; Gruber, Zeitschr. f. Biol. 42, 419, 1891; Jacques Mayer, Zeitschr. f. klin. Med. 2, 34, 1880. — ®) Arch. f. Hygiene 36, 248, 1899; vgl. auch Dubelir, Zeitschr. f. Biol. 28, 336, 1891. — *) Arch. f. d. ges. Physiol. 23, 468, 1881. 523 Das Kochsalz. Bei seinen Versuchen über den Einfluß des Kochsalzes auf den Stoff- wechsel fand Voit!) die in der folgenden Tabelle enthaltenen Zahlen für die N-Abgabe bei Zufuhr verschiedener Mengen Kochsalz. Das Tier bekam täglich 1500 g Fleisch = 5lg N: Mittel pro Tag Reihe || Wasserzufuhr (außer dem Wasser im Fleisch) NaCl | N-Abgabe | Harnwasser g g - 8 4% 108 _ 51,12 985 3, 6 233 5 51,50 948 2,5 352 10 51,73 1042 4+ 665 20 53,28 1284 11 _ _ 50,65 828 _ 5 51,92 898 9 = 10 52,95 987 10 — 20 53,97 1124 Wenn das Tier Wasser nach Belieben trinken durfte, wurde die mittlere N-Abgabe bei Zusatz von 5 oder 10g NaCl fast gar nicht verändert. Bei 20 g NaCl stieg die N-Abgabe um 4,2 Proz. an. Am durstenden Tiere wurde die N- Abgabe durch Aufnahme von 5, 10 und 20g um bzw. durchschnittlich 2,5, 4,6 und 5,8 Proz. erhöht. Daß hier keine vermehrte Ausspülung von N-haltigen Zersetzungspro- dukten vorliegt, dürfte daraus folgen, daß jede Reihe mehrere Tage lang dauerte. Aus dieser Versuchsreihe würde man also schließen können, daß das NaCl, wenn es nicht in zu geringer Menge aufgenommen wird, den Eiweiß- umsatz erhöht. Hier kommt aber die wasseranziehende Wirkung des Kochsalzes in Betracht, denn es ist ja möglich, daß die Wasserzufuhr nicht genügte, um den vorhandenen Bedarf zu decken. In diesem Falle wäre die Steigerung der N-Abgabe die Folge des Wassermangels (vgl. oben S. 519). Auf der anderen Seite wird bei einem kurzdauernden Versuche die Aus- spülung bei einer reichlicheren Diurese eine scheinbare Steigerung des Eiweiß- zerfalles vortäuschen können, wie in folgendem Versuche von Feder?). Die Harnstoffabgabe betrug am 4. Hungertage 24,7, am 5. Tage mit 15g NaCl 27,4, am 6. Tage (ohne NaCl) aber 19,4 und am 7. Tage wieder 24,4g. Bei Fütterung und N-Gleichgewicht betrug die Harnstoffabgabe am 5. Tage der Reihe 83,2, am 6. Tage mit 15g NaCl 86,2, am 7. aber (ohne NaCl) 79,3 und am 8. 66,8g. Dagegen zeigen die Versuche von Dubelir?) eine Herabsetzung der N-Abgabe unter dem Einflusse des Kochsalzes. Bei einem mit 250g Fleisch und 50g Speck gefütterten Hunde sank hier die N-Abgabe im Harn bei 3 bis 10g NaCl von 9,12 allmählich auf 7,84g herab, um nach Aussetzung des Kochsalzes sogleich auf 9,23 g wieder anzusteigen. Hier wurde kein Wasser zum Trinken gegeben. !) Voit, Unters. über den Einfluß des Kochsalzes usw. auf den Stoffwechsel, München 1860, 8. 59. — ?) Zeitschr. f. Biol. 14, 187, 1878, — °) Ebenda 28, 241, 1891. A ca 1 u nn u > Das Kochsalz. 523 Die gleichen Wirkungen wurden dann auch von Gabriel!) am Hammel sowohl bei kleinen als großen Gaben von Kochsalz, von Pugliese?), Straub?) und Gruber‘) am Hunde, sowie von Pugliese, Coggi’) und Belli®) am Menschen nachgewiesen. Unter diesen Versuchen sei als besonders charakteristisch der folgende von Straub hier mitgeteilt. Das Tier bekam täglich 600g Fleisch (= 20,56g N) und 40 g Speck, sowie während der Kochsalztage außerdem 700g Wasser: Tag N im Harn Harnmenge 6 20,18 465 7 20,12 430 8 19,70 1060 9 19,73 1100 Je 12g NaCl 10 19,64 1060 11 19,46 510 12 20,06 490 Aus diesen Beobachtungen dürfte also gefolgert werden können, daß das Kochsalz bei genügender Zufuhr von Wasser in der Tat Eiweiß erspart. In den Versuchen von Belli bestand das Cl-Gleichgewicht bei einer Zu- fuhr von durchschnittlich 6,19 g Cl; bei einer mittleren Zufuhr von 0,543 g Cl betrug der Verlust durchschnittlich nur 0,113 g. Der erwachsene Mensch würde also mit etwa 0,7g Cl= etwa 1,2g NaCl im Gleichgewicht sein können. Unsere hierher gehörigen Erfahrungen sind indes noch viel zu wenig umfang- reich, um irgend welche bestimmte Schlußfolgerungen, betreffend den absoluten Cl-Bedarf des Menschen, zu gestatten. $4. Der Phosphor. Der Phosphor kommt im Körper und in der Kost nicht allein in anorgani- schen Verbindungen vor, sondern stellt auch einen integrierenden Teil einer wichtigen Gruppe von Eiweißstoffen dar, welche sowohl in der Kost als im Körper enthalten sind. Angesichts dieses Umstandes wäre es vielleicht richtiger gewesen, das Verhalten des Phosphors im Zusammenhang mit dem des Eiweißes zu studieren. Da aber der Phosphor auch in anorganischer Form genossen wird und zum Teil in solcher im Körper vorkommt, habe ich es vorgezogen, den Phosphorumsatz in diesem Abschnitte zu erörtern. Ich finde dazu eine besondere Veranlassung, da bis vor wenigen Jahren ziemlich allgemein angenommen wurde, daß der Phosphor überhaupt nur in anorganischer Form vom Darme resorbiert wurde, und daß die organischen Phosphorverbindungen im Verdauungsrohre überhaupt nicht löslich waren. Wir haben also in erster Linie zu untersuchen, in welcher Form der Phosphör vom Darme resorbiert wird. 1). Zeitschr. f. Biol. 29, 554, 1892. — °) Areh. italiennes de biol. 25, 17, 1896. — °) Zeitschr. f. Biol. 37, 527, 1899. — *) Ebenda 41, 425, 1901. — °) Arch. italiennes de biol. 25, 101, 1896. — °) Zeitschr. f. Biol. 45, 182, 1904. 524 Der Phosphor. Tereg und Arnold!) bestimmten die P-Abgabe bei Hunden. Nach Fütterung mit Hundekuchen betrug dieselbe im Harn im Mittel von vier Tagen 1,351 g pro Tag. Danach fügten sie zu dem Normalfutter in verschiedenen Reihen bzw. 1,472 gP in tribasischem, 1,883 g P in zweibasischem und 1,228 bis 2,456 g P in einbasischem Caleiumphosphat und fanden dabei im Harn durchschnittlich bzw. 1,547, 1,967, 2,578g P, also eine Zunahme der Phosphorausscheidung, die nur durch eine statt- gefundene Resorption der gefütterten Salze erklärt werden kann. Zadik”*) fütterte einen Hund mit dem P-freien Edestin und gab dazu 1,026gP in Form von Natrium- und Kaliumphosphat. Die tägliche P-Abgabe betrug im Harn 1,121 und im Kot 0,140 g — also waren wenigstens 0,886 g P resorbiert worden. Der Phosphor wird demnach aus anorganischen Verbindungen resorbiert. Auf Grund der Beobachtung Mieschers°), daß sich die nucleinhaltige Kern- substanz der Eiterkörperchen im Magensaft nicht löste, wurde die Ansicht ver- treten, daß Phosphor in organischen Verbindungen überhaupt nicht resorbiert wurde. Später wurde indes von Popoff*) nachgewiesen, daß der Pankreassaft, sowie das Pankreatin bei einer Einwirkung während ein bis zwei Stunden etwa '/, bis '/, des im Thymusnuclein enthaltenen Phosphors lösten, und daß insgesamt etwa die Hälfte von diesem als Nuclein in der Lösung vorkam. Auch betreffend die Nucleoalbumine (das Kasein) nahm man an, daß die bei der Pepsinverdauung entstehenden löslichen Produkte phosphorfrei waren, daß also auch hier der Phosphor nicht in die Lösung übergeht oder, wie Hoppe-Seyler’) sagte: bei der Verdauung des Kaseins im Magensaft bleibt der ganze Phosphor- gehalt in der reichlichen ungelösten Substanz, welche von Liebermann als meta- phosphorsaure Verbindung eines Eiweißkörpers betrachtet wird. Die Untersuchungen von Salkowski und Hahn‘) ergaben indessen, daß bei der Magensaftverdauung 'des Kaseins der größere Teil des Phosphors gelöst wird und in organischer Form zu finden ist — ob er den Albumosen selbst angehört oder in einer anderen Verbindung vorkommt, lassen die genannten Autoren vor- läufig unentschieden. Nach Sebelien’) geht unter der Einwirkung des Pankreasextraktes fast der gesamte Kaseinphosphor in die Lösung über. Dieser Phosphor kommt zum größeren Teile in organischer Verbindung vor, nur ein kleiner Teil wird als Orthophosphor- säure abgespalten. Dieser Teil nimmt mit der Dauer der Verdauung und der Menge des Enzyms auf Kosten des organisch gebundenen Phosphors zu; ebenso kann letzterer wie auch der Phosphor in dem durch Magensaft gebildeten löslichen Verdauungsprodukte des. Kaseins durch verdünnte Alkalilösungen in anorganische Form überführt werden (Biffi?). Durch direkte Versuche an Tieren vergewisserte man sich ferner davon, daß der Phosphor aus den P-haltigen Eiweißkörpern im Darme tatsächlich resorbiert wurde. Bei Fütterung eines Hundes mit konstantem Futter wurde in einer Ver- suchsreihe von Gumlich’) täglich 0,721 bis 0,678g P im Harn ausgeschieden. Am achten Tage wurden dazu 209g Thymusnucleinsäure mit etwa 1,748g P dem Tiere gegeben. Infolgedessen stieg die P-Abgabe im Harn am selben Tage auf 1,460 und betrug am folgenden Tage noch 0,874g. Erst am dritten Tage sank sie wieder auf 0,730g herab. Der Kot wurde nicht untersucht. Ein hungernder Hund schied täglich etwa 0,144 g P im Harne aus; bei Zufuhr von 0,624g P in Paranuclein steigerte sich die P-Ausscheidung auf 0,586 g (Sand- meyer'!’). Auch hier wurde der Kot-Phosphor nicht berücksichtigt. Marcuse'') fütterte einen Hund mit Kasein und Phosphaten. Bei Zufuhr von 0,195g P in Kasein und 0,172g P in Phosphaten schied das Tier 0,031 g P im Kot ) Arch. f. d. ges. Physiol. 32, 123, 1883. — ?) Ebenda 77, 5, 1899. — ®) Miescher, Hoppe-Seylers medizinisch-chemische Untersuchungen 4 (1871); Mieschers Histochemische und physiologische Arbeiten 2, 17. — *) Zeitschr. f. physiol. Chem. 18, 533, 1894. — °) Hoppe-Seyler, Handb. d. physiol.-chem. Anal. Ed. 6, 258. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 59, 224, 1894. — 7) Zeitschr. f. physiol. Chem. 21, 443, 1895. — °) Arch. f. pathol. Anat. 152, 144, 1898. — ®) Zeitschr. f. physiol. Chem. 18, 508, 1894. — !°) Ebenda 21, 87, 1895. — !') Arch. f. d. ges. Physiol. 67, 379, 1897. 4 m u una n u m Zn Der Phosphor. 525 aus; bei Zufuhr von 0,321g P in Kasein und 0,189 g in Phosphaten betrug der Kot- phosphor 0,057; also waren sowohl aus dem Kasein- als aus dem Phosphatphosphor reichliche Mengen resorbiert worden. Durch diese Erfahrungen war es also nachgewiesen, daß Phosphor sowohl aus organischen als aus anorganischen Verbindungen aus dem Darme resor- biert wird. Damit war indes bei weitem nicht entschieden, inwiefern der Phosphor in jenem Falle auch in organischer Form ins Blut übergeht. Denn es könnte angesichts der Leichtigkeit, mit welcher der Phosphor aus den betreffenden Verbindungen abgespalten werden kann, sehr wohl zutreffen, daß auch bei Zufuhr von Phosphor in organischen Verbindungen derselbe vor der Resorption in anorganischer Form überginge. Zur Entscheidung dieser Frage und der im nahen Zusammenhang damit stehenden, ob der Tierkörper seine P-haltigen Eiweißverbindungen aus P-freien Eiweißkörpern und Phosphaten bilden kann, wurden unter Röhmanns Lei- tung mehrere Versuchsreihen an Hunden ausgeführt. Bei denselben wurde der P-Umsatz teils bei Zufuhr von P-haltigen Eiweißkörpern, teils bei Zufuhr von P-freien + Phosphaten untersucht. Die Versuchsreihe von Steinitz') ergab, daß bei Fütterung mit Kasein oder Vitellin ein P-Ansatz (0,015 bis 0,181g pro Tag) erreicht werden konnte. Wurde dagegen das P-freie Myosin + Phosphate in entsprechender Menge gegeben, so erschien nur ein ganz geringer P-Ansatz (0,008g pro Tag), und dieser könnte sehr wohl dem gefütterten Fleischextrakt, welches 0,02g P in organischer Bindung ent- hielt, entstammen. “ In einer folgenden Reihe von Zadik?) wurde dem Versuchstiere entweder Kasein bzw. Vitellin oder das P-freie Edestin und Phosphate gegeben. Bei gleicher Zufuhr an Phosphor (1,01 bis 1,06g pro Tag) wurde im ersten Falle ein Ansatz von 0,075 bis 0,108 g erzielt, im zweiten Falle verlor der Körper dagegen 0,164 bis 0,179g P, was nur zum Teil von der schlechteren Ausnutzung des Phosphatphosphors bedingt war. Auf Grund dieser Beobachtungen folgert Zadik, daß ein P-Ansatz nur durch Zufuhr von organischen P-Verbindungen zuwege gebracht werden kann. Dem gegenüber stehen aber Versuche von Leipziger‘), welche nach demselben Plane wie die soeben genannten ausgeführt wurden, und in welchen bei Fütterung mit Edestin 4 Phosphaten die Phosphorbilanz positiv war (+ 0,01 bis 0,09 g P pro Tag). In bezug auf diese. Versuche bemerkt der Autor, daß der Hund vor derselben ziemlich lange gehungert und daher an Phosphaten eingebüßt hatte, weshalb die hier stattgefundene P-Retention nur ein Ansatz von Phosphat, nicht von P-haltigem Eiweiß darstellen würde. Daß diese Annahme keineswegs bewiesen ist, ist ohne weiteres ersichtlich. Weitere Beiträge zur Lösung dieser Frage lieferte Loewi‘) in Selbstversuchen. Zu einer aus 150g Fleisch, 120g Butter, 285g Weißbrot, 6 Eiern, 50 ccm Sahne, 300cem Wasser und 600 cem Bier bestehenden Standardkost fügte er in Zwischen- perioden verschiedene Nucleinpräparate. Die Resultate der in einer ununter- brochenen Reihe ausgeführten Versuche sind folgende (siehe Tabelle auf $. 526 oben). Durch die Zugabe der Nucleine ist hier eine nicht unerhebliche Menge Phos- phor angesetzt worden. Während der Normalperioden beträgt die tägliche P-Bilanz durchschnittlich + 0,10 g, während der Perioden mit Zusatz von Nuclein +0,54 g. Der Überschuß an genossenem Phosphor betrug durchschnittlich 2,71, also sind davon etwa 25 Proz. im Körper zurückgehalten worden. Während der Normalperioden schied der Körper im Kote durchschnittlich 0,42g P pro Tag aus, während der Nucleinzufuhr 0,66. Da die N-Menge im Kote !) Arch. f. d. ges. Physiol. 72, 75, 1898. — ?) Ebenda 77, 1, 1899. — °) Ebenda 78, 402, 1899. — *) Arch. f. exp. Pathol. 45, 158, 1901. 526 Der Phosphor. t. Phosphor pro Tag k: Dauer Ein- Ausgaben 1 5 Bilanz er nahmen | Harn Kot Summe Tage g g g g g 1 4 1,57 1,08 0,41 1,49 + 0,08 8 1 3,09 1,63 0,61 2,24 + 0,85 30 g Salmnuclein 3 3 1,57 1,09 0,31 1,40 +0,17 4 1 2,35 1,33 0,81 2,14 +0,19 | 20g Pankreasnuclein 5 2 1,57 1,09 0,46 1,55 +0,01 6 1 2,29 1,42 0,45 1,87 +0,42 | 30g Hefenuclein 7 3 1,59 | 1,08 0,40 1,48 +01 8 1 3,11 1,65 0,77 2,42 —- 0,69 20 & Nucleinsäure 9 2 1,62 1,02 0,52 1,54 + 0,08 während der Nucleinperioden gar nicht anstieg, kann der P-Überschuß daselbst nicht von unresorbiertem Nuclein herrühren, sondern zeigt, daß ein Teil des Nu- cleins im Darme gespalten -worden ist. Betreffend den resorbierten Phosphor, 2,11g pro Tag, sucht Loewi rechnerisch zu beweisen, daß derselbe in unzersetztem Nuclein aus dem Darme aufgenommen und teilweise unverändert angesetzt worden ist. Das Verhältnis des im Versuche angesetzten Stickstoffs zu dem angesetzten Phosphor stimmt nämlich mit dem Verhältnis N : P in den genossenen Nucleinen ziemlich nahe überein. Meinerseits kann ich jedoch keinen zwingenden Beweis darin finden, und bis auf weiteres muß wohl die Frage, ob die P-haltigen Eiweißstoffe des Körpers synthetisch gebildet werden können oder nicht, als eine offene auf- gefaßt werden, obgleich die Möglichkeit einer solchen Synthese sehr plausibel erscheint. Der im Kot enthaltene Phosphor stellt ebensowenig als der Kotstickstoff ausschließlich einen Rückstand der Kost dar, sondern stammt wesentlich aus dem Körper selbst. Beim Hungerer Cetti fand F. Müller!) im Mittel von zehn Tagen im Kote 0,091g P, und bei Breithaupt im Mittel von sechs Tagen 0,062g P pro Tag. Die gleichzeitige P-Abgabe im Harn betrug bei Cetti durchschnittlich 1,07 g (Grenzwerte 1,43 bis 0,41 g), bei Breithaupt 0,93 g (Grenzwerte 1,10 bis 0,68). Beim hungernden Hunde sind 0,149 bis 0,028g P pro Tag beobachtet worden ?). In einem zehntägigen Versuche von I. Munk?) betrug die P-Ab- gabe im Harn 0,428, im Kote 0,083 g im Mittel pro Tag. Beim Genuß einer an Phosphor äußerst armen Kost fand C. Tiger- stedt) im Kote 0,134g P pro Tag, während die gleichzeitige P-Abgabe im Harn durchschnittlich 0,69 g betrug. An zwei anderen Versuchspersonen beobachtete Renwall°) im Kot 0,223 bis 0,229g P bei einer P-Ausscheidung im Harne von 0,76 bzw. 0,749. Die vorliegenden Bestimmungen über die P-Abgabe im Kote des Men- schen bei gewöhnlicher, P-haltiger Kost geben höhere Zahlen, welche zwischen etwa 0,25 (Ehrström®) und 2,9g pro Tag variieren. Diese Schwankungen können allerdings zum Teil durch die unter verschiedenen Umständen verschie- !) Arch. f. pathol. Anat. 131, Supplbd., 8.18, 23, 67, 1893. — ?) F. Müller, Zeitschr. £. Biol. 20, 334, 1884. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 58, 319, 1893. — *) Skand. Arch. f. Physiol. 16, 68, 1904. — °) Ebenda 16, 129, 1904. — °) Ebenda 14, 91, 1903. Der Phosphor. 527 _ den große Abgabe von Phosphor in den Verdauungsflüssigkeiten (vgl. S. 350, be- treffend die entsprechenden Erscheinungen beim Kot-N) bedingt sein, zum Teil sind sie wohl auch von der Beschaffenheit der Kost bedingt. Endlich ist ein unter Umständen sehr erheblicher Teil des Kotphosphors als reines Ausscheidungs- produkt des Körpers zu bezeichnen.. Dafür spricht.vor allem die Tatsache, daß (bei dem Hunde und der Ziege) die Phosphorausgabe im Harn durch subeutane Einspritzung von phosphorsaurem Natrium wenig oder gar nicht zunimmt, sowie daß während der Laktation die P-Abgabe im Kot wesentlich abnimmt, wie im folgenden Versuche (an einer Ziege) von Paton, Dunlop und Aitchison!). Während der Laktation bekam das Tier täglich 2,054g P und schied durch- schnittlich im Harn 0,022g, in der Milch 0,319 und im Kot 1,582g P aus. Nach Ende der Laktation betrug bei einer P-Zufuhr von 1,844g die P-Abgabe im Harn 0,09, im Kot aber 1,839 g. Ganz dasselbe geht übrigens aus der längst bekannten Tatsache hervor, daß die Pflanzenfresser selbst bei Zufuhr von Kaliumphosphat in großen Quantitäten im Harn nur ganz geringe Mengen Phosphor abgeben, wie z. B. im folgenden Versuche von Bertram). Ein Ziegenbock bekam täglich 5,902 g P, davon 4,324g in K,HPO,; er schied im Harn nur 0,033 bis 0,097 g P aus, während der Kot 5,504 bis 5,770g P enthielt. Das Wesentliche hierbei dürften die Lösungsbedingungen der Phosphate im Harn darstellen: wenn diese die Ausscheidung des Phosphors auf diesem Wege erschweren, so befreit sich der Körper durch den Darm von über- schüssigem Phosphor. In dieser Weise würde die Erfahrung, daß Zufuhr von Caleiumsalzen die P-Abgabe im Harn wesentlich vermindert, zum Teil wenig- stens erklärt werden können. In Selbstversuchen von Bertram) betrug die tägliche P-Abgabe im Kot bei konstanter Kost 0,555 g; nach Zusatz von 10g CaCO, stieg dieselbe auf 0,769g. In den schon erwähnten Versuchen von Tereg und Arnold‘) am Hunde schied das Tier bei Zugabe von verschiedenen Phosphaten zum Futter in vier Versuchs- reihen durchschnittlich 1,351 bis 2,578g P im Harn aus. Nach Zugabe von CaCO, nahm die P-Ausscheidung aber auf 0,586g ab. z Dementsprechend findet man beim Menschen, daß bei reichlichem Genuß von Käse und Milch die P-Abgabe im Kot in der Regel ziemlich groß ist?°). Daß auch die Aufsaugung des Phosphors aus dem Darme hier erschwert ist, kann ja nicht verneint werden, es scheint indes, als ob auch eine Erschwerung der Ausscheidung durch die Nieren eine wesentliche Rolle spielen muß. Seit der Arbeit von E. Bischoff®) über die P-Ausscheidung bei ver- schieden großer Fleischzufuhr ist man im allgemeinen geneigt, zwischen dem N- und dem P-Umsatz einen gewissen Parallelismus vorauszusetzen. Ein solcher findet indes nicht unbedingt statt, da ja die Zufuhr von Phosphor und Stick- stoff nicht immer parallel verläuft. Zeigen ja schon die Versuche Feders’) am Hunde, daß im Laufe des Tages kein Parallelismus zwischen der Stick- !) Journ. of Physiol. 25, 212, 1900. — ?°) Zeitschr. f. Biol. 14, 335, 1878. — ®) Ebenda 14, 356. — *) Arch. f. d. ges. Physiol. 32, 150, 1883. — °) Vgl. Siven, Skand. Arch. f. Physiol. 11, 312, 327, 1901; Kaufmann und Mohr, Berl. klin. Wochenschr. 1903, Nr. 8; Dieselben, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 74, 593, 1903; Kaufmann, Zentralbl. f. Stoffwechselkrankh. 1902, S. 241. — °) Zeitschr. f. Biol. 3, 309, 1867. — 7) Ebenda 17, 538, 555, 1881. 528 Der Phosphor. stoff- und der Phosphorausscheidung stattfindet. Für zweistündige Perioden betrug in einem Hungerversuche das Verhältnis N/P,O, im Maximum 9,2, im Minimum 2,8; in einem anderen bzw. 11,0 und 3,0. In zwei Versuchen bei Fleischfütterung war das Maximum 25,7 bzw. 14,2, das Minimum 4,2 bzw. 4,6. Betreffend die täglichen Bilanzen des Stickstoffes und des Phosphors findet man, der oben erwähnten Annahme gemäß, allerdings, daß beide in der Regel parallel verlaufen, d. h. daß bei Ansatz von Stickstoff auch ein Ansatz von Phosphor stattfindet und umgekehrt. Dies beweist aber nicht sehr viel; da nämlich in allen gewöhnlichen Nahrungsmitteln, wo Stickstoff vorkommt, auch Phosphor enthalten ist, und da im allgemeinen bei Ver- änderungen des Kostmaßes dieselben Nahrungsmittel, aber in verschiedener Menge genossen werden, so muß es ja sehr oft zutreffen, daß bei ungenügender N-Zufuhr auch die P-Zufuhr ungenügend ist. Sehr bemerkenswert ist aber die Tatsache, daß bei den betreffenden Bilanzen das Verhältnis zwischen dem angesetzten bzw. vom Körper abgegebenen Phosphor und Stickstoff nie ein konstantes ist. So finden wir in den Bilanzen von Marcuse!) P/N gleich 0,75, 0,10, 0,04, sowie eine, wo 3,25 g N angesetzt wurde, aber 0,04g Phos- phor abgegeben wurde. Desgleichen finden wir bei Zadik?) bei einem N-Ansatz von 5,94 g einen P-Verlust von 0,65 g. Beim Menschen hat Siven?) folgende Bilanzen mitgeteilt: Gesamtbilanz Reihe | Tage N pP P/N g g g 1 13 — 19,99 — 3,29 0,16 2 4 — 1,10 — 0,61 0,55 3a irn + 14,49 + 1,53 0,11 3b 6 | + 6,15 + 1,05 0,17 Aus diesem allen geht also hervor, daß auch bei längeren Zeitperioden eine gewisse Unabhängigkeit zwischen dem Umsatz des Phosphors und dem des Stickstoffs stattfindet, und der P-Umsatz dürfte daher, wie besonders Ehrström*) bemerkt, nicht denselben Gesetzen wie der N-Umsatz folgen. Unsere tatsächlichen Kenntnisse von den intimen Stoffwechselvorgängen sind indes noch viel zu gering, um eine befriedigende theoretische Deutung dieses Sachverhalts zu gestatten. Wenn der Körper eine längere Zeit an seiner eigenen Substanz zehren muß, so verlaufen die N- und P-Bilanzen einander im großen und ganzen parallel, wie z. B. in der Versuchsreihe von Renwall°’), wo in vier Perioden die Verhältniszahl P/N bzw. 0,094, 0,11, 0,085, 0,12, durchschnittlich 0,102 betrug. Bei den Hunger- I) Zeitschr. f. d. ges. Physiol. 67, 386, 1897. — *) Arch. f. d. ges. Physiol. 77, 8, 1899. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 11, 326, 1901; vgl. in dieser Hinsicht ferner Jakob und Bergell, Zeitschr. f. klin. Med. 35, 171, 1898; Loewi, Arch. f. exp. Pathol. 45, 163, 168, 170, 1901; Ehrström, Skand. Arch. f. Physiol. 14, 86, 1903; C. Tigerstedt, Ebenda 16, 74, 1904. — *) Ebenda 14, 96, 1903; vgl. auch L. F. Meyer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 43, 1, 1904. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 16, 108, 1904. Der Phosphor. 529 versuchen an Cetti und Breithaupt war dieses Verhältnis nach Munk!) wie Q,1 bzw. 0,085, stimmt also mit dem von Renwall beobachteten ziemlich nahe überein. Dies scheint zu beweisen, daß die zugrunde gehende Körpersubstanz nicht allein die Muskulatur, bei welcher P/N = 0,067, hat sein können, sondern daß auch die Knochen hieran in nachweisbarer Menge teilgenommen haben. Wie der Stickstoffansatz im Körper durch Fette und Kohlehydrate be- günstigt wird, so muß auch der Phosphoransatz, wenn dieser in Form von P-haltigen Eiweißkörpern stattfindet, durch die genannten Sparmittel erleich- tert werden. Dies scheint nach den Erfahrungen von Pugliese?) in der Tat der Fall zu sein. Als Beispiel sei folgender Versuch mitgeteilt. Das Tier (eine Hündin) bekam täglich 100g gekochtes Fleisch, 250g Brot und 600g Wasser. Die durchschnittliche Abgabe von N und P betrug dabei 5,38 bzw. 0,407 g. Dann wurden 100g Glukose zugegeben: Ausscheidung von N und P bzw. 4,42 und 0,236g. Desgleichen wurde auch bei Zugabe von Fett oder Leim sowohl Stickstoff als Phosphor erspart. Da uns nicht sicher bekannt ist, ob der Phosphor in genau derselben Weise verwertet wird, gleichgültig, ob er in anorganischen Verbindungen oder in phosphorhaltigen Eiweißstoffen genossen wird, ist es zurzeit nicht möglich, zu bestimmten Resultaten, betreffend den absoluten täglichen Bedarf des Körpers an Phosphor, zu gelangen. Aus den vorliegenden Untersuchungen können wir daher nur entnehmen, mit welcher P-Menge das P-Gleichgewicht in einzelnen Versuchen beim Menschen erzielt worden ist. Beim natürlich ernährten Säugling beobachtete Blauberg°) eine positive P-Bilanz von 0,40 g bei einer täglichen Zufuhr von 0,088g. Bei künstlicher Er- nährung mit verdünnter Kuhmilch mit 0,314 g P betrug die Bilanz + 0,065, bei unverdünnter Kuhmilch mit 0,894g P war die Bilanz + 0,220. Dagegen erschien bei Anwendung von Kindermehl mit 0,202g P eine negative Bilanz von — 0,024 g. Die absolute P-Menge im Kote betrug in diesen vier Versuchsreihen bzw. 0,0095, 0,168, 0,418, 0,149g, woraus folgt, daß der Phosphor bei künstlicher Nahrung viel schlechter als bei der natürlichen im Darme des Säuglings ausgenutzt wird, sowie daß der P-Ansatz bei unverdünnter Kuhmilch viel größer ist als bei der natürlichen Nahrung, was von Blauberg als Zeichen einer Überernährung auf- gefaßt wird. N Beim erwachsenen Menschen sind die Grenzen der P-Abgabe im Harn bei P-Zufuhr etwa 0,43 und 2,74g. Wenn der Körper wegen einer zu geringen P-Zu- fuhr bei sonst ziemlich genügender Nahrung von seinem eigenen Phosphor zusetzen muß, so ist die P-Abgabe im Harn sehr gering, z. B. 0,43 bis 0,44 bei Siven, 0,65 bis 0,73 bei C. Tigerstedt. Auch in einer nach absolutem oder relativem P-Mangel folgenden Periode ist bei stattfindendem P-Ansatz die P-Abgabe sehr gering, bei Siven 0,88, bei C. Tigerstedt 0,91. Zahlen dieser Größe dürften indes nur das Bestreben des Körpers ausdrücken, den Phosphor so viel wie möglich zu ersparen und sind daher für den wirklichen Bedarf nicht maßgebend. Bei positiver Bilanz hat in den Beobachtungen von Bertram, Siven, Loewi, Kaufmann und Mohr, Jakob und Bergell, Ehrström, C. Tiger- stedt und Renwall die P-Abgabe im Harn im allgemeinen zwischen 0,74 und 2,74g — also innerhalb ziemlich weiter Grenzen — variiert. Wenn wir die ein- zelnen Beobachtungen aber näher durchsehen, so finden wir die niedrigsten Zahlen (0,74 bis 1,16) bei zwei Kranken, an welchen Kaufmann und Mohr eine sehr energische Mastkur durchführten; dieselben können daher kaum als Ausdruck des normalen Bedarfs gelten. Die höchsten Zahlen (1,96 bis 2,74g) sind gleichfalls ') Arch. f. pathol. Anat. 131, Supplbd., 8. 141, 1893; Arch. f. d. ges. Physiol. 63, 330, 1894. — ?) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1897, 8. 474. — °) Zeitschr. f. Biol. 40, 1, 36, 1900. Nagel, Physiologie des Menschen. I . 34 530 Der Phosphor. von den soeben genannten Autoren mitgeteilt und beziehen sich auf einen an Gicht leidenden Mann bei sehr P-reicher Kost (3,69 bis 5,37 g P täglich). Alle übrigen mir bekannten Versuche mit positiver P-Bilanz geben Zahlen, welche zwischen 1,06 und 1,75g pro Tag liegen. Auch die Beobachtungen mit negativer P-Bilanz bei sonst genügender Nahrung geben Zahlen von etwa der gleichen Größe, 1,04 bis 1,53 g. Wir dürften daher schließen können, ‘daß bei einer gewöhnlichen Kost, welcher keine Phosphate extra zugegeben worden sind, die P-Abgabe im Harn im allgemeinen etwa 1,5g pro Tag beträgt. Um den tatsächlichen Bedarf des Körpers zu decken, muß hierzu noch die durch die Darmsekrete usw. abgegebene P-Menge hinzugezählt werden. Nach den oben mitgeteilten Beobachtungen schwankt diese Menge innerhalb gewisser Grenzen, dürfte aber durchschnittlich doch nicht mehr als etwa 0,4g täglich betragen. Der tägliche P-Umsatz des erwachsenen Menschen würde demnach auf etwa 1,75 bis 2,0 g oder wahrscheinlich etwas weniger geschätzt . werden können. Die Zufuhr muß indessen wegen der mangelhaften Aus- nutzung im Darme, wie selbstverständlich, etwas größer sein. $5. Calcium und Magnesium. a) Calcium. Daß sowohl Caleium als Magnesium in anorganischen Verbindungen resorbiert werden können, geht daraus hervor, daß die Abgabe derselben im Harn nach Darreichung von Ca- und Mg-Salzen unter geeigneten Umständen ansteigt. So beobachtete Neubauer') bei vier jungen Leuten nach Darreichung von ver- schiedenen Ca-Salzen in Mengen von 1g eine Zunahme der Ca-Abgabe im Harn um 0,04 bis 0,09g. Nach Zugabe von 8 bis 10g CaCO, stieg in zwei Versuchen von Soborow?) die Ca-Abgabe im Harn von durchschnittlich 0,289 g auf 0,702 bzw. 0,983g an, um während der zwei folgenden Tage wieder auf 0,315 bzw. 0,290 herabzusinken. Nach Aufnahme von 30g CaCO, vermehrte sich in den Versuchen Bertrams?) die Ca-Ausscheidung von 0,12 auf 0,21g pro Tag. Bei einem Hunde betrug die durchschnittliche Ca-Abgabe im Harn 0,019 g; als das Tier dann während drei Tage in allem 7,19g CaCl, bekam, betrug die Ca-Abgabe im Harn 0,034, 0,063, 0,089 g; während der folgenden drei Tage war sie wieder durchschnittlich 0, 023g (Perl ge Noch deutlicher zeigt sich diese Resorption von Kalksalzen in den Versuchen von E. Voit°’) an zwei zehn Tage alten Hündchen. Er fütterte die Tiere mit der gleichen Menge Fleisch und Speck, gab aber dem einen dazu nur destilliertes Wasser, während das andere kalkhaltiges Brunnenwasser und Knochenasche bekam. Beide Tiere nahmen an Gewicht zu, und selbst bei dem mit dem kalkarmen Futter ernährten Tiere wuchs das Skelett in allen Dimensionen, es war aber bei diesem, wie die Sektion ergab, ein viel geringerer Kalkansatz als bei dem Vergleichstiere . zustande gekommen. Also war Calcium aus dem Brunnenwasser und der Knochen- asche reichlich resorbiert worden. Aus dem Versuche folgt ferner, daß ein wach- sender Hund in den genannten Nahrungsmitteln die genügende Ca-Menge nicht bekommt, während andererseits aus einer 308 Tage langen Versuchsreihe von Heiss‘) hervorgeht, daß der Kalkgehalt im Fleisch und Speck beim erwachsenen Tiere vollkommen genügt, um das Ca-Gleichgewicht zu unterhalten. !) Journ. f. prakt. Chem. 1866, 8. 96. — ?°) Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1872, S. 609. — °) Zeitschr. f. Biol. 14, 354, 1878. — *) Arch. f. path. Anat. 74, 54, 1878; vgl. auch Tereg und Arnold, Arch. f. d. ges. Physiol. 32, 142, 1883; Herxheimer, Berl. klin. Wochenschr. 1897, Nr. 20. — °) Zeitschr. f. Biol. 16 74, 1880. — °) Ebenda 12, 151, 1876. Calcium. 531 Wegen der alkalischen Reaktion des Blutes ist indes eine quantitativ ausgiebige Resorption von Ca-Salzen nicht möglich, und es ist sehr wahr- scheinlich, daß der Kalk (in Phosphaten wenigstens) nur in Form einer bei alkalischer Reaktion nicht fällbaren Eiweißverbindung im Blute vorkommt (Kühne!), Etzinger?), Fokker’). Man kann sich vorstellen, daß das Eiweiß seine Affinitäten mit Ca sättigt und nach Bedarf das Calcium abgibt, wonach wiederum neue Ca-Moleküle eintreten. Bei reichlicher Zufuhr von Kalk würden Ca-reichere Eiweißverbindungen entstehen. In Übereinstimmung mit dieser Auffassung steht die Tatsache, daß der Gehalt des Blutes an Ca ein ziemlich konstanter ist, und zwar beträgt der- selbe nach Forster) und E. Voit5) bei erwachsenen Tieren etwa 0,05 Proz. der Trockensubstanz; bei jüngeren Tieren ist er größer, z. ‚Be bei einem eine Woche alten Hunde dien 0,1 Proz. usw.®). Wenn es also als erwiesen erachtet werden kann, daß die anorganischen ° Kalkverbindungen resorbiert werden, so geht andererseits aus den vorliegenden Erfahrungen hervor, daß diese Resorption im großen und ganzen eine ziemlich geringfügige sein muß. In dieser Richtung sprechen z. B. Etzingers’) Versuche über Knochenfütterung. Im Laufe von drei Tagen bekam der Versuchshund in fein geraspelten Knochen 104g Ca und schied in dem entsprechenden Kote 113,6g Ca aus. — Nach Zusatz von 7,199g CaCl, mit 3,2g Ca fand Perl?) in einem viertägigen Versuch 3,3g Ca im Kote, 0,84g bei gewöhnlicher Fütterung gegenüber. — In einer langen Versuchsreihe bekamen Tereg und Arnold’) folgende Resultate, welche tägliche Mittelwerte für die Ca-Abgabe während Perioden von je vier Tagen darstellen. Ausgabe Nr. | Zufuhr Anmerkungen Harn Kot 0,557 0,032 1,046 Hundekuchen 3,670, 0,072 3,542 3,113 g Ca in dreibasischem Phosphat 3,347 0,038 3,254 2,792g Ca in zweibasischem Phosphat 1,357 0,057 1,328 0,536 bis 1,071g Ca in einbasischem Phosphat 4,552 0,113 3,075 4,000g Ca in Karbonat 0,103 0,014: 0,071 | Fleisch 0,639 0,044 0,528 0,536 g Ca in einbasischem Phosphat S1outP» XD - F. Voit!?) gab einem Hunde Milch und dreibasisches Phosphat mit insgesamt 4,152 g Ca und tötete das Tier nach vier Stunden. Im Verdauungsrohre konnten 4,082 g davon nachgewiesen werden. An isolierten Darmschlingen bekam derselbe Autor bei Injektion von 0,016g Kalk in Kalkalbuminat gar keine Resorption und bei 0,10g Ca in Kaseinkalk nur eine von weniger als 6 Proz. Nach Einführen von 0,12g Ca als CaCl, war aber 0,04 g, d. h. etwa 34 Proz. aus der Schlinge ver- schwünden. Voit bemerkt indes, daß die Darmschleimhaut hier leicht entzündet war und daß also die benutzte Lösung in einem gewissen Grade den Darm geätzt hätte. Es wäre indes im höchsten Grade unrichtig, aus diesen und anderen Erfahrungen über den Kalkgehalt des Kotes bzw. des Darminhaltes Schluß- !) Kühne, Lehrb. d. physiol. Chem. 1866, 8. 184. — ?) Zeitschr. f. Biol. 10, 104, 1874. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 7, 274, 1873. — *) Zeitschr. f. Biol. 12, 466, 1876. — °) Ebenda 16, 91, 1880. — °) Vgl. auch F. Voit, Ebenda 29, 386, 1892. — 7) Zeitschr. f. Biol. 10, 99, 1874. — °) Arch. f. path. Anat. 74, 62, 1878. — ®) Arch. f. d. ges. Physiol. 32, 122, 1883. — !°) Zeitschr. f. Biol. 29, 367, 1892. 34* 532 Calcium. folgerungen über die quantitativen Verhältnisse der Kalkresorption zu ziehen, denn es hat sich durch vielerlei Erfahrungen herausgestellt, daß der Kot die größte Menge des vom Körper selber ausgeschiedenen Kalkes ent- hält. Der Vergleich zwischen der Kalkzufuhr in der Nahrung und der Kalk- ausgabe im Kote gibt daher keinen sicheren Aufschluß über die Größe der tatsächlichen Kalkresorption ab. Als Beweisgründe für diese Auffassung haben wir in erster Linie die Tatsache, daß selbst beim Hunger Kalk durch den Darm abgegeben wird. Beim zehntägigen Hungerversuch an ÖOetti und beim sechstägigen Hunger- versuch an Breithaupt schieden diese bzw. 0,069 und 0,032g Ca pro Tag aus (F. Müller!). Beim hungernden Hunde hat man im Kote bis zu 0,308 g Ca?) und bei der hungernden Katze?) 0,011g Ca pro die gefunden. Ferner hat F. Voit*) bei Hunden mit nach Hermann isolierten Darmring . (vgl. 8.347) in diesem eine Kalkausscheidung beobachtet, die, pro Tag und Quadratmeter Darmoberfläche berechnet, 0,09 bis 0,16 g Ca betrug. Wenn der Kalkgehalt der Nahrung unzureichend ist, um den Bedarf des Körpers an Ca zu decken, findet man nicht selten, daß die Kalkmenge im Kote größer ist als die gefütterte Kalkmenge. Beispiele davon sind schon oben mit- geteilt worden, und ich will nur nach Renwall5) noch folgende Erfahrungen am Menschen hinzufügen. Die zwei Versuchspersonen genossen täglich 0,121 bzw. 0,090 g Ca und gaben im Kot 0,163 bzw. 0,165g Ca ab. Da die von diesen Individuen genossene, kalkarme Kost pro Tag etwa 2500 bzw. 2000 Kal. betrug, dürften diese Zahlen als ein approximatives Maß der vom Körper in den Darm usw. ausgeschiedenen Kalkmengen aufgefaßt werden können. Als Quelle dieser Kalkabgabe kommen teils die Verdauungsflüssigkeiten, teils zugrunde gegangene Darmepithelien, teils eine vom Verdauungsgeschäft unabhängige Ausscheidung in Betracht. Betreffend die ersteren weiß man, daß die Galle nur wenig Kalk enthält (Jankau®); auch der Magensaft ist nicht besonders reich an Kalk, denn nach C. Schmidt?) enthält er nur 0,092g CaCl, pro Liter. Da wir uns ferner vergegenwärtigen, daß in den Verinshen von F. Voit der Hungerkot, pro lqm der Darmoberfläche berechnet, nicht mehr Kalk als die im isolierten Darmring pro Quadratmeter ausgeschiedene Masse enthielt, so dürfte man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit schließen können, daß der vom Körper selber stammende, im Kot abgegebene Kalk zum größten Teil entweder in den Darmsaft sezerniert wird oder ein direktes Ausscheidungs- produkt darstellt. Bei verschiedenen Tieren ist der vom Körper ausgeschiedene Kalk, wie aus folgender Zusammenstellung hervorgeht, in sehr verschiedener Weise auf den Harn und den Kot verteilt. Ich bemerke, daß hier nur solche Ver- suche aufgenommen wurden, bei welchen keine Extrazugabe von Kalk zu der Kost stattgefunden hat. !) Arch. f. pathol. Anat. 131, Supplbd., S. 18, 67, 1893. — ?) F. Müller, Zeitschr. f. Biol. 20, 334, 1884; F. Voit, Ebenda 29, 364, 1892; I. Munk, Arch. f. d. ges. Physiol. 58, 325, 1894. — °) Sedlmair, Zeitschr. f. Biol. 37, 56, 1899. — *) Ebenda 29, 362, 371, 1892. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 16, 129, 1904; vgl. auch Bertram, Zeitschr. f. Biol. 14, 342, 1878 (Ziege). — °) Arch. f. exp. Pathol. 29, 237, 1891. — 7) Vgl. Scheteling, Arch. f. path. Anat. 82, 437, 1880. Caleium. 533 Die prozentige Verteilung des Kalkes auf Tierart Autor Harn Kot N Re 41,8 58,2 Bertram!) NER 2 60,9 39,1 RETTEN 64,3 35,7 £ 29,1 70,9 Renwall?) VRR ERSETZEN 36,1 63,9 A A A 25,4 74,6 Säugling, natürliche Nahrung . 31,9 68,1 5 Kukmich 217.2,3227727% 2,2 97,8 Blanb P # Kindermehl. ... . 9,5 90,5 auberg‘) R Kohmilch Au. 1,4 98,6 N 20,6 79,4 Perl‘) a en Sen 3,0 . 97,0 R en 0 0:7 18,0 82,0 } FRE EREOIET ET 29 EIER TE 27,2 72,8 Heiss®) Biogenhock: =. sets. 4,8 95,2 Bertram’) Hanna. a. een ae, 4,1 95,9 Henneberg‘) na ER N 40,3 59,7 NT CE In ale 3 39,2 60,8 n | ’ ’ En | 320 68,0 Tangl') Re 1: ee | 29,2 | 70,8 Beim erwachsenen Menschen enthält der Harn also etwa 25 bis 64 Proz.., beim natürlich ernährten Säugling etwa 32 Proz. der gesamten Kalkabgabe, während sie beim künstlich ernährten Säugling nur etwa 2 bis 10 Proz. derselben ausmacht. Beim Hunde beträgt die im Harn ausgeschiedene Ca-Menge etwa 18 bis 27 Proz. (mit Ausnahme einer ganz aus der Reihe fallenden Zahl). Beim Ziegenbock und Hammel werden nur 4 bis 5 Proz. des Kalkes durch die Nieren abgegeben. Demgegenüber sind die Zahlen für die Kalkabgabe im Harn des Pferdes, 29 bis 40 Proz., sehr hoch. Diese Differenzen sind zum Teil von einer verschieden umfangreichen Re- sorption im Darme bedingt, wie z. B. daraus hervorgeht, daß der Kot-beim künst- lich ernährten Säugling 0,41, 0,09 und 0,81g Ca bei einer Zufuhr von bzw. 0,54, 0,07 und 1,44g enthielt, während im Versuche am natürlich ernährten Kinde der Kot bei einer Zufuhr von.0,19g Ca nur 0,05g enthielt. Es ist indes nicht möglich, diese Verschiedenheiten allein aus dem Gesichts- punkte einer verschieden umfangreichen? Resorption zu erklären, denn auch die Leistungsfähigkeit der Nieren und die Lösungsbedingungen des Harnes für die Kalksalze müssen hierbei eine große Rolle spielen. Hier wie beim Phosphor muß der Darm, wenn die Ausscheidung durch die Nieren nicht in genügendem Umfange stattfinden kann, die Abgabe des Calciums in einem größeren Umfange besorgen. !) Zeitschr. f. Biol. 14, 354, 1878. — ?) Skand. Arch. f. Physiol. 16, 114, 1904. — ®) Zeitschr. f. Biol. 40, 1, 36, 1900. — *) Arch. f. pathol. Anat. 74, 54, 1878. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 32, 125, 155, 1883. — °) Zeitschr. f. Biol. 12, 156, 1876. — 7) Ebenda 14, 337, 1878. — ®) Zit. nach Bertram, a. a. O. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 89, 227, 1902. 534 Magnesium. b) Magnesium. Die bis jetzt vorliegenden Angaben über die Resorption und Ausscheidung des Magnesiums sind noch spärlicher als die über das Calcium. Die Resorption des Magnesiums scheint, beim Hunde wenigstens, leichter als die des Calciums zu erfolgen. In dem 308 Tage dauernden Versuch von Heiss!) schied der Versuchshund bei einer Gesamtaufnahme von 12,4g Mg im Kot nur 4,12g aus, während von 9,81g Ca nicht weniger als 7,14g im Kote wieder er- schienen. Übrigens gilt auch vom Magnesium, daß es unabhängig von der Nah- rung in einer gewissen Menge vom Körper im Darm abgegeben wird. Bei den Hungerern Cetti und Breithaupt fand F. Müller?) im Kote durch- schnittlich pro Tag 0,006 bzw. 0,01g Mg. Im Hungerkot des Hundes hat man im Mittel pro Tag 0,009 bis 0,028g Mg beobachtet?). — Bei einer Kost, die nur 0,031 bzw. 0,023 g Mg enthielt, schieden zwei Menschen 0,064 bzw. 0,067 g Mg im Kot aus (Renwall®). Wie sich die Mg-Ausscheidung bei verschiedenen Tierarten auf den Harn und den Kot verteilt, ist aus folgender Tabelle ersichtlich 5). Die prozentige Verteilung Tierart des Magnesiums auf Autor Harn Kot Mensch 3.402 Mas, Be 38,6 61,4 Bertram R ARE E LRRIE 32,7 67,3 EV ER 28,9 71,1 = I ERE TS EORERE Ber 37,0 63,0 7 Benwall . N NEE 36,3 63,7 e ee RE 36,2 63,8 Säugling, natürliche Nahrung . 47,1%, 52,9 e Kuhmillhn a nr 6,9 93,1 Blauber Kindermehl.. . . . . 5,3 94,7 Sg R Kuhmilch ,....% 4 28,3 71,7 HRG en era ee 64,8 35,2 Heiss FRRKENDOCKT er er ee ee 31,5 68,5 Bertram Hammel ang: 23,7 76,3 Henneberg PRO ie 30,0 70,0 a RR 30,3 69,7 en EN 23,7 76,8 Tang] DR a a 25,1 74,9 Wenn es gestattet ist, aus so wenigen Beobachtungen Schlußfolgerungen zu ziehen, so würden wir sagen können, daß sich die Ausscheidungsbedin- gungen des Magnesiums im Harn im großen und ganzen günstiger als die des Calciums gestalten. Es kommt indes auch vor, daß, wie bei Renwalls Versuchen am Menschen und Tangls am Pferde, die Ca-Ausscheidung im Harn in Prozenten der Gesamtausscheidung größer als die des Magnesiums ist. !) Zeitschr. f. Biol. 12, 164, 1876. — ?) Arch. f. path. Anat. 131, Supplbd., 8. 18, 67, 1893. — ®) F. Müller, Zeitschr. f. Biol. 20, 334, 1884; I. Munk, Arch. f. d. ges. Physiol. 58, 325, 1894. — *) Skand. Arch. f. Physiol. 16, 129, 1904. — ®) Literatur siehe 8. 533. en Ka ee ee ee ee Calcium und Magnesium. 535 c) Bilanzversuche über Calcium und Magnesium. Solche liegen überhaupt nur in geringer Zahl vor; unter diesen sind die mir bekannten, insofern sie sich auf den gesunden erwachsenen Menschen beziehen, in folgender Tabelle zusammengestellt (siehe Tabelle 1 auf folgen- der Seite). An fiebernden Kranken und an Rekonvaleszenten hat ferner Gramatchikow') viele Bilanzversuche über Ca und Mg ausgeführt, und außerdem liegen ja solche Versuche betreffend die Rachitis vor. Da indes diese Beobachtungen entschieden in das Gebiet der Pathologie gehören, so können sie hier nicht erörtert werden. Irgend welche bestimmte Folgerungen hinsichtlich des tatsächlichen Be- darfes des erwachsenen Menschen an Calcium und Magnesium lassen sich kaum aus diesem Material ziehen. Aus den Beobachtungen Bertrams wäre zu schließen, daß der tägliche Bedarf an Ca etwa 0,3g betragen würde. Bei Renwall trat aber das Ca-Gleichgewicht erst. bei einer etwa dreimal so großen Ca-Zufuhr (durchschnittlich 0,860 g) ein. Jedenfalls ist der tägliche Bedarf nicht größer als 1g Ca; aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte er sogar etwas geringer sein. Sowohl aus Bertrams als aus Renwalls Bilanzversuchen geht hervor, daß Mg-Gleichgewicht bei einer Zufuhr von 0,4 bis 0,5g Mg beim erwach- senen Menschen erreicht wird. Daß der noch wachsende Körper einen verhältnismäßig größeren Bedarf an Ca und Mg hat, ist selbstverständlich. Zur Feststellung desselben besitzen wir folgende Bilanzversuche von Blauberg?) (siehe Tabelle 2 auf folgen- der Seite). Aus Nr. 2 und 3 ist ersichtlich, wie schlecht die Kuhmilch im Darme des Säuglings ausgenutzt wird; daher und aus anderen Gründen muß wohl die sub 1 aufgenommene Bilanz als die dem Tatbestande am meisten ent- sprechende aufgefaßt werden. Aus derselben folgt, daß der Ca-Bedarf des fünfmonatlichen Säuglings, wenn es nur gilt, die Ausgaben zu decken, 0,069 g beträgt. Hierzu kommt aber noch die zum Ansatz notwendige Ca-Menge. Diese beträgt im betreffenden Versuche 0,125g pro Tag, d. h. nicht weniger als 64 Proz. der Gesamtzufuhr. Über die Ca- und Mg-Abgabe im Harn allein finden sich in der hierher- gehörigen Literatur noch viele Angaben vor. Da sie indessen keine Aufschlüsse über den Bedarf des Körpers an diesen Substanzen liefern und also von nahrungs- physiologischem Gesichtspunkte ohne weitere Bedeutung sind, finde ich es nicht angezeigt, dieselben hier zu besprechen. Im allgemeinen ‚hat man aus denselben den Schluß gezogen, daß MgO im Harn reichlicher vorkomme als CaO, und Ham- marsten faßt in seinem Lehrbuche (4. Aufl., S. 483) die vorliegenden Erfahrungen dahin zusammen, daß von der Menge der täglich ausgeschiedenen Erdphosphate annähernd zwei Drittel auf das Magnesium- und ein Drittel auf das Caleiumphos- phat kommen. Dies ist aber, wie aus den oben mitgeteilten Bilanzversuchen hervorgeht, keineswegs immer der Fall. Übrigens scheint das gegenseitige Ver- hältnis des Ca und Mg wesentlich von der Art der Nahrung und deren Gehalt an Erdmetallen abhängig zu sein. So fand Bunge°) bei Fleischdiät im Harn 0,24 g Ca und 0,17g Mg, bei vegetabilischer Diät dagegen 0,24g Ca und 0,08g Mg. !) Zit. nach Atwater und Langworthy, A Digest of metabolism experi- ments. Washington 1897, p. 189 ff. — ?) Zeitschr. f. Biol. 40, 1, 36, 1900. — ®) Bunge, Lehrb. d. physiol. Chemie, 1. Aufl. Leipzig 1837, 8. 311. ‘5061 '8TI ‘TIT ‘gE TowÄyg F pay "pueyg („ — ‘8281 ‘see ‘FI TOIE 3 Ty0s4R0Z ($ 210°0+ | 8200 930°0 %20'0 060°0 | 099°0-+ | 238‘0 a ) 3100 LB# 1 * yaunmp-IoA Jyoru ‘yaprugny 12 sT00— | 3200 890°0 F00°0 2800 | se0°0— | FoT'O #60°0 070°0 BWO. | * "7 99.20 RanapN 18 6100 + | 3700 680°0 £00'0 1900 | oımto-+ | 2zzro L1H0 010°0 Lee‘0 " .°, yaumpıeA ‘yomyny ° 010°0-+ | 8100 010°0 800°0 8300 | szr’o+ | 690°0 170°0 3300 #610 rn gOTTWUONeLT I 3 3 3 3 3 FR) 3 3 3 3 swung y04 umeH | uswyeu surumg 04 uleH | uowyeu zue]lg -UIT zued -UrMT ZunIyeN ‘IN usgedsny : usqeösny : 2 Se, od SW SeL o2d 89 ® ’z offoqeL a [1] & A 3 9g0°0+ | 69«‘0 868°0 1,1°0 sz9‘0 | Too + | 6Trt 038°0 609°0 0L#°T " (on®9 ur ed +0) 9 r #21r0+ | z6r0 L3E°0 0,1'0 1390 | ezro+ | e1el »99‘0 679‘0 gel " Co9a@n u eg) Fo) « E) (‚Ieausyg ‘| 6200-4 | 08F0 Leg‘o err‘o seco || Faro | geor | 9270 ıg3‘0 L61I " (ope9 ur ed2‘0) 9 Ö 17004 | scro 9380 3g1T'0 66H || 2100 — | 9860 188°0 s64‘0 606°0 ae ae ö er00 — | «8zr0 983°0 6ET‘0 zır/0 | 82000+ | 2880 g38°0 L208°0 098°0 ee 100°0-+ | zero 683°0 861°0 serio | F6rio+t | 620% 998‘E E18'0 g137 “7. (00% 308) 8 (‚weagıo 21004 | 9370 993'0 09T‘0 ser‘o || 2000 — | 2280 602°0 8900 g13'0 re (REN N a R soımesusuormz 30F) € 18004 | 210 L33'0 091‘0 ser0 | 0700 — | 870 99T'0 61T‘o g13'0 AT NT 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 odeL euumng 304 uleH | vowyeu surumg 304 uleH | wwuyeu zuejtel 2 zuepeg 3 oporıod IE usgeösny und usgeösny ud 3 -SyOnsIaA I9p Ioneq «o Se] od SW Se, od eg Dr) | : Ne) EIPTEL [Das Eisen. 537 Nähere Aufschlüsse über den Ca- und Mg-Stoffwechsel können wir nur dann erhalten, wenn wir denselben unter Einwirkung einer verschieden zusammen- gesetzten Diät und unter gleichzeitiger Beachtung der übrigen Asehebestandteile untersuchen. Die wenigen bis jetzt vorliegenden Angaben gestatten es bei weitem nicht, tiefer in das Wesen desselben einzudringen. $6. Das Eisen. Betreffend die Ausscheidung des Eisens ergeben zahlreiche Erfahrungen, daß dasselbe nur in sehr geringer Menge durch den Harn abgegeben wird, und zwar beträgt sie beim gesunden Menschen durchschnittlich nur etwa 0,001 g!). Andererseits findet sich auch bei vollständigem Meran immer etwas Eisen im Kot. So fand Müller) bei Cetti durchschnittlich 0,007 und bei Breithaupt durchschnittlich 0,008g Eisen. Bei Succi betrug die tägliche Fe-Abgabe bei seinem Wiener Versuch durchschnittlich 0,007g (E. und 0. Freund?). Ganz entsprechende Resultate hat man auch beim Hunde bekommen. An einem nach Hermann hergestellten Darmring (vgl. oben S. 347) wurde, pro Quadratmeter berechnet, täglich 0,006 bis 0,009g Eisen ausgeschieden ; bei einem hungernden Hunde enthielt der Kot täglich 0,010g Eisen, was ebenfalls 0,006g pro Quadratmeter Darmoberfläche entspricht (F. Voit®). — Ein Hund, den Forster’) mit Fleischrückständen fütterte, schied binnen 38 Tagen mit dem Kot allein 2,66g mehr Eisen aus, als er im Futter zu sich nahm (Einnahme insgesamt 0,93 g Fe, im Kot insgesamt 3,59 g Fe) usw. Wenn eisenhaltige Nahrung verabreicht wird, steigt die Fe-Menge im Harn äußerst wenig oder gar nicht an, während die Eisenabgabe im Kot entsprechend der Zufuhr beträchtlich ansteigt. . E. W. Hamburger‘) fütterte einen 8 kg schweren Hund teils mit Fleisch allein, teils mit Fleisch und Eisensulfat. Vor der Fütterung !mit diesem betrug die täg- liche Fe-Aufnahme 0,015g, Ausgaben im Harn 0,0035 g, im Kot 0,0114g Fe, also im Kot dreimal so viel Eisen als im Harn. Bei Zugabe von Eisensulfat war die tägliche Fe-Aufnahme 0,064g, sowie während einer viertägigen Nachperiode mit Fleisch allein wiederum 0,015g. Für die ganze Reihe von 13 Tagen wurden durch- schnittlich 0,00455g Fe im Harn und 0,0422g Fe im Kot ausgeschieden. Die Fe-Abgabe im Harn war also nur um 0,001 g gestiegen. Aus diesen Tatsachen folgt entweder, daß das in anorganischen Ver- bindungen enthaltene Eisen aus der Nahrung nur in sehr geringem Maße resorbiert wird, oder auch, daß es nach vorgängiger Resorption zum aller- größten Teil durch den Darm wieder ausgeschieden wird. Die in erster Linie erwähnte Auffassung wurde besonders von Bunge’) vertreten, und er suchte nachzuweisen, daß das Eisen nur in Form kompli- !) Vgl. Stockman u. Greig, Journ. of Physiol. 21, 55, 1897; Neumann, Zeitschr. f. pbysiol. Chemie 37, 143, 1902; v. Wendt, Skand. Arch. f. Physiol. 17, 131, 1905; Gottlieb, Arch. f. exp. Path. 26, 138, 1889. — ?) Arch. f. path. Anat. 131, Suppibd., S. 18, 67, 1893. — °) Wiener klin. Rundschau 1901, 8. 93. — *) Zeitschr. f. Biol. 29, 389, 1892; vgl. auch F. Müller, Ebenda 20, 336, 1884. — ®) Ebenda 9, 376, 1873. — *®) Zeitschr. f. physiol. Chem. 2, 191, 1878. Daselbst auch die ältere Literatur. — 7) Zeitschr. f. physiol. Chemie 9, 49, 1885; vgl. auch Bunge, Ebenda 26, 36, 1898 und Socin, Ebenda 15, 93, 1891. 538 Das Eisen. zierter organischer Verbindungen (Hämatogene) resorbiert und assimiliert wird. Der günstige Erfolg der Eisenmedikation bei der Chlorose sei dadurch bedingt, daß die anorganischen Eisenverbindungen in irgend einer Weise die organischen vor der Zersetzung im Darm und vor der Abspaltung ihres Eisens bewahrten. ; Bunges Arbeit veranlaßte eine große Menge Untersuchungen, welche bezweckten, die Frage nach der Resorption und Assimilation des Eisens in anorganischen Verbindungen näher aufzuklären. Von vornherein war es ziemlich klar, daß Ausnutzungsversuche nur bei stattfindender Eisenretention im Körper bestimmte Schlüsse gestatten würden. Tatsächlich finden sich in der hierher gehörigen Literatur einige Arbeiten, welche dies dartun. So beobachtete Marfori!) unter Anwendung eines künstlich dargestellten Eisenalbuminats, daß etwa 50 Proz. desselben resorbiert wurden. Allerdings konnte er keine Resorption von Eisenlaktat nachweisen; er bemerkt indessen, daß aus an- organischen Eisenpräparaten und Eiweiß dem Fe-Albuminat entsprechende Verbin- dungen im Darme gebildet werden könnten. An einem Mädchen mit Fistel am Ileum fand Honigmann°) im Darminhalt bei gewöhnlicher Kost täglich 0,0319g Fe; bei Zugabe von 0,4166g Fe im Ferrum eitrat. oxydat. betrug die Fe-Menge des Kotes 0,1097 g — also waren vom Eisen- salz 0,3069 g Fe resorbiert worden. In der letzten Zeit hat v. Wendt) in Selbstversuchen folgende Bilanzen erhalten. Am 3. und 4. Tage wurde 0,10 9 bis 0,09 g Fe als Karbonat aufgenommen. | Eisen in Eisen im Bil anz Tag der Kost Ham Kot g g 8 g y 1 0,008 0,001 0,008 — 0,001 2 0,011 0,001 0,008 0,002 3 0,111 0,001 0,048 10,062 4 0,100 0,001 0,048 0,051 5 0,010 0,001 0,048 — 0,038 6 0,015 0,001 0,010 40,004 Ferner hat man den Eisengehalt der Organe bei Tieren untersucht, denen anorganisches Eisen im Futter gegeben worden ist, und denselben mit dem Eisengehalt solcher Tiere verglichen, die eine eisenarme Nahrung be- kommen hatten. Bei solchen Versuchen konnte Kunkel) an weißen Mäusen konstatieren, daß Liquor ferri oxychlorati die Eisenmenge der Organe be- trächtlich in die Höhe treibt, und zwar sammelt sich das Eisen hierbei ganz besonders in der Leber. Ganz dasselbe beobachtete Hall’) am gleichen Versuchsobjekt bei Fütterung mit Carneferrin (ohne Carneferrin 0,420 g Fe, nach viertägiger Fütterung mit Carneferrin 0,830g Fe pro Kilogramm Körpergewicht) und Woltering ®) mit Ferrosulfat. !) Arch. f. exp. Pathol. 29, 212, 1892. — °) Arch. f. pathol. Anat. 152, 191, 1898. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 17, 287, 1905. — *) Arch. f. d. ges. Physiol. 50, 1, 1891. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1894, S. 455; daselbst auch eine ausführ- liche Literaturübersicht. — °) Zeitschr. f. physiol. Chem. 21, 186, 1895. Das Eisen. : 539 Noch deutlicher stellte sich das Vorhandensein der Eisenresorption durch den mikrochemischen Nachweis von Eisen in der Schleimhaut des Darmes dar, wie er von Mac Callum!), Hall?), Hochhaus und Quincke?), Gaule®), Hofmann’), Swirskie), Abderhalden’'), H. Landau), Tar- takowsky°) und anderen erbracht wurde. ‘Nunmehr gibt selbst Bunge die Resorption anorganischer Eisenverbin- dungen, und zwar auch in kleinen, medikamentösen Gaben zu. Auf der anderen Seite wird aber noch die Ansicht vertreten, daß das Eisen in dieser Form nicht zur Hämoglobinbildung verwertet werden könne, und daß also das Hämoglobin nur aus den Hämatogenen entstehen würde. Die einschlägige Literatur ergibt in dieser Hinsicht unter anderem folgendes. Abderhalden!®) fand, daß das in der Normalnahrung, ebenso wie das in Hämoglobin, Hämatin und in anorganischen Eisenverbindungen enthaltene Eisen denselben Weg der Resorption einschlägt, an denselben Orten ab- gelagert wird und denselben Ausscheidungsweg hat, sowie durch dieselben Reagenzien nachgewiesen wird. Schon daraus würde man folgern wollen, daß in bezug auf die Assi- milation die anorganischen Eisenverbindungen;den Hämatogenen gegenüber keine wesentliche Differenz darbieten, und diese Folgerung wird nur noch gestützt durch die Bestimmungen Abderhaldens!!) über die gesamte Hämoglobinmenge bei Zugabe von derartigen Präparaten zu einer eisenarmen Kost oder zu einer Kost mit normalem Gehalt an organisch gebundenem Eisen. Hier bewirkte das anorganische Eisen tatsächlich eine Vermehrung sowohl der absoluten als auch der relativen Hämoglobinmenge. Das Resultat dieser und anderer Versuche ist von einigen Autoren, unter anderem von Abderhalden selber, in der Weise aufgefaßt worden, daß das verabreichte anorganische Eisen nur indirekt eine vermehrte Hämoglobinbildung bedingt, und selber zu diesem Zwecke untauglich sei. Demgegenüber ist indes unter anderem in Betracht zu ziehen, daß bei der Normalnahrung die mikroskopischen Bilder der Resorption denen bei anorganischem Eisen ganz ähnlich sind, woraus doch folgen dürfte, daß auch in jenem Falle das Eisen in Form einfacherer Verbindungen resorbiert wird, in denen das Eisen sowohl mittels Schwefelammonium als mittels es Ar und Salzsäure leicht zu entdecken ist 12). Als ein Experimentum erucis empfahl Kunkel!3) folgende Versuchs- anordnung. Es wird zwei Tieren durch wiederholte Aderlässe von Zeit zu Zeit Blut entzogen; alle beide bekommen dasselbe eisenarme Futter, das eine Tier aber mit Zusatz von anorganischem Eisen. Wenn eine Hämoglobin- bildung auf Kosten des letzteren tatsächlich stattfindet, so muß das Eisentier die Folgen der Blutentziehung leichter als das andere Tier überstehen. !) Journ. of Physiol. 16, 268, 1894. — ?) Arch. £.! (Anat. u.) Physiol. 1896, 8.49. — °) Arch. f. exp. Path. 37, 159, 1896. — *) Zeitschr. f. Biol. 35, 377, 1897. — ®) Arch. f. path. Anat. 151, 488, 1898. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 74, 466, 1899. — 7) Zeitschr. f. Biol. 39, 113, 1900. — °) Zeitschr. f. klin. Med. 46, 223, 1902. — 9) Arch. f. d. ges. Physiol. 100, 586, 1904. — !°) Zeitschr. £. Biol. 39, 150, 1900. — 1) Ebenda 39, 193, 483, 1900. — '?) Vgl. Abderhalden, Ebenda 39, 150, 1900; Tartakowsky, Arch. f. d. ges. Physiol. 100, 609, 1904. — '°) Arch. £. d. ges. Physiol. 61, 595, 1895. f 540 Das Eisen. Nach diesem Plane sind Versuche von Kunkel selber, von Wolte- ring!), F. Müller?) und Tartakowsky?°), und zwar mit vollständigem Erfolg ausgeführt worden. Als Beleg diene folgende Zusammenstellung der langen Versuchsreihe des letz- teren. Die Tiere bekamen als Futter nur Milch, Reis und Quark. Hämoglobingehalt auf 100 ccm Blut Nr. zu Anfang der Versuche | _, Ende der Veruahl (vor dem 1. Aderlaß) ohne Fe mit Fe ohne Fe mit Fe 1 16,10 14,19 9,85 12,26 2 19,41 15,43 9,66 14,01 3 15,73 11;72 10,62 13,41 4 12,42 su 8,02 “ 5 14,47 12,49 9,53 12,24 6 17,54 16,06 10,96 15,52 7 17,87 16,79 7,25 15,36 8 20,87 16,42 7,93 12,55 9 15,37 u 7,76 13,51 Mittel 16.64 14,73 9,02 13,61 Die Differenz des Hämoglobingehaltes am Ende der Versuche (13,61—9,02) beträgt etwas mehr als 50 Proz. der kleineren Zahl, was bezeugt, daß etwaige Ver- schiedenheiten der absoluten Blutmenge dieses Resultat nicht erklären können. Das Eisen wird also sowohl aus organischen als aus anorganischen Ver- bindungen resorbiert und im Körper verwertet, sowie zum allergrößten Teil wieder durch den Darm ausgeschieden. Über die Größe der unter normalen Verhältnissen täglich stattfindenden Resorption läßt sich zurzeit wohl kaum etwas Bestimmtes sagen. Ebenso- wenig‘ dürfte es zurzeit möglich sein, den täglichen Bedarf an Eisen in einer bestimmten Zahl auszudrücken. Nach v. Wendt würde das tägliche Fe- Quantum in der gewöhnlichen Kost des erwachsenen Menschen etwa 0,020 bis 0,030 g betragen ®). Zwölftes Kapitel. Die Ernährung des Menschen. Es ist nicht möglich, in diesem Handbuche eine ausführliche Besprechung des Nahrungsbedarfes des Menschen unter verschiedenen Verhältnissen zu geben, noch eingehend zu erörtern, wie die Kost aus verschiedenen Nahrungs- mitteln zusammenzusetzen ist, um als befriedigend aufgefaßt werden zu können. Da aber andererseits eine Darstellung der Physiologie des Stoff- !) Zeitschr. f. physiol. Chemie 21, 186, 1895. — *?) Arch. f. path. Anat. 164, 436, 1901. — °) Arch. £. d. ges. Physiol. 101, 423, 1904. Daselbst eine ausführliche Literaturübersicht. — *) Skand. Arch. f. Physiol. 17, 288, 1905. \ a nn Ze a a u u a Re Die qualitative Beschaffenheit der Kost. 541 wechsels doch in einem gewissen Grade die betreffenden Fragen zu berück- sichtigen hat, willich zum Schlusse einige allgemeine Gesichtspunkte, betreffend die Ernährung des Menschen, darlegen. In dieser Beziehung sind zwei Lehrsätze, welche fast axiomatischer Natur sind, vor allem zu berücksichtigen, nämlich: 1. die Kost muß die Verdauungs- organe in geeigneter Weise erregen, ohne sie übermäßig anzustrengen oder sonst schädlich zu beeinflussen; 2. sie muß eine dem Bedarf des betreffenden Individuums völlig genügende Merige von potentieller Energie, sowie von anorganischen Bestandteilen enthalten. Wenn diesen Anforderungen Genüge getan ist, so ist auch die Kost als in jeder Beziehung zweckmäßig zu erachten; wir haben daher die betreffenden Lehrsätze an der Hand der vorliegenden Erfahrungen näher zu erörtern. $ 1. Anforderungen an die qualitative Beschaffenheit der Kost. Unter den vielen Verdiensten Voits um die Physiologie des Stoffwechsels und der Ernährung ist seine Darlegung von der Bedeutung der Gewürz- und Genußmittel nicht eins der geringsten. Vor der Zeit, als Voit seine Bemer- kungen hierüber erscheinen ließ, wußte man wohl, daß ein Gemenge aus Ei- weiß, Fett, Stärke, Wasser und Aschebestandteilen, welches alle Nahrungsstoffe in gehöriger Quantität darbot, jedoch nicht genügte, gerade weil es an etwas, was die Eßlust erregte, mangelte. Nur unter dem Einflusse eines gewaltigen Hungers konnten sich Menschen und Tiere dazu zwingen, ein solches Gemenge zu verzehren, und selbst dann nur in ungenügender Menge. Man verstand aber nicht, daß hierin die Äußerung einer physiologischen Notwendigkeit vor- lag, sondern faßte den Widerwillen gegen eine geschmacklose Kost als Aus- druck der Genußsucht oder etwas dergleichen auf, wie es sich auf’ das deut- lichste aus: der damaligen Anordnung der Kost in den Gefängnissen ergibt. Es zeigte sich indessen immer deutlicher, daß die dort verabreichte fade und äußerst geschmacklos bereitete Kost, die übrigens in sehr geringer Abwechse- lung in derselben Gestalt immer wiederkehrte, nicht selten einen solchen Wider- willen und eine solche Abneigung hervorrief, daß die Gefangenen auch beim größten Hungergefühl nicht imstande waren, sie zu genießen, ja daß bei vielen schon der Anblick und der Geruch derselben hinreichte, um Brechreiz und Würggefühl zu erzeugen !). Angesichts dieser Umstände war Voits Hervorheben der Bedeutung der Schmackhaftigkeit der Kost wahrhaft als ein erlösendes Wort zu begrüßen, und es hat auch überall seinen segensreichen Einfluß ausgeübt. Wie jede Tätigkeit des Körpers muß auch das Geschäft der Aufnahme der Speise mit einer angenehmen Empfindung verknüpft sein, so lautet in seiner größten Allgemeinheit das betreffende Maxim von Voit?). In erster Linie wird diese Anforderung durch alle diejenigen Stoffe erfüllt, welche den Speisen den ihnen eigentümlichen, uns angenehm dünkenden Geschmack und Geruch verleihen. Hierher gehört außerdem noch alles, was sonst die Aufnahme von. Nahrung angenehm macht, das saubere Auftischen !) Baer, Handh. d. Hygiene u. d. Gewerbekrankheiten 2 (2), 131, 1882. — 2) Voit, 8. 421; Zeitschr. f. Biol. 12, 17, 1876. 542 Die Genußmittel. der Speisen, das fröhliche Tischgespräch usw. Alles dieses wird von Voit unter dem gemeinsamen Namen Genußmittel zusammengefaßt. Mit wahrem Scharfblick wies Voit nach, daß die Genußmittel unter Ver- mittelung des Nervensystems ihren günstigen Einfluß auf die Vorgänge der Verdauung und Ernährung ausüben. Zunächst wirken die schmeckenden und riechenden Substanzen der Speisen, nachdem sie uns durch Erregung der Geschmacks- und Geruchsorgane eine angenehme Empfindung ausgelöst, noch auf viele andere Teile, namentlich des Darmkanals, ein und bereiten letzteren für die Verdauung auf irgend eine Weise vor. Es wird im ersten Falle Speichel reichlich abgesondert, was schon durch die Vorstellung oder den Anblick eines uns zusagenden Gerichtes bedingt wird, so daß uns der Speichel im Munde zusammenläuft. Das gleiche läßt sich für die Magensaftdrüsen dartun; man ist imstande, an Hunden mit künstlich angelegten Magenfisteln zu zeigen, wie plötzlich an der Oberfläche Saft hervorquillt, wenn man den nüchternen Tieren ein Stück Fleisch vorhält, ohne es ihnen zu geben. Es setzt sich diese Wirkung wahrscheinlich vom Magen aus auch zu den Drüsen und Blutgefäßen des Darmes fort. Nur solange es uns schmeckt, ist es möglich zu essen. Etwas Geschmackloses oder schlecht Schmeckendes und Ekelhaftes dagegen vermögen wir nicht zu verschlucken; bei einer nicht be- gehrenswerten und nicht appetitlichen Speise treten in der Tat die angegebenen Erscheinungen nicht mehr ein, sondern es erfolgen vielmehr durch andere Übertragungen Zusammenziehungen der Muskeln des Rachens, der Speiseröhre, des Magens, sowie der Muskeln, welche die Brechbewegungen bedingen, wie das Würgen und das Abgegessensein der Gefangenen nach längerer Auf- nahme einer monotonen Kost am deutlichsten zeigt. Ich habe diese Auseinandersetzungen Voits wörtlich wiedergegeben, um zu zeigen, wie richtig er die Bedeutung der Genußmittel von Anfang an erkannte. Später ist diese Anschauung, wie bekannt, durch die vielfach variierten, außerordentlich bedeutungsvollen, in einem anderen Abschnitte dieses Handbuches näher zu besprechenden Untersuchungen von Pawlow!) in weitestem Maße bestätigt und erweitert worden. Des näheren auf diese Frage einzugehen, verbietet uns der Raum, und ich muß mich daher darauf beschränken, auf Voits eigene Darstellung des Gegenstandes zu verweisen. $ 2. Der Bedarf des Menschen an potentieller Energie). Angesichts der spärlichen, bis jetzt vorliegenden Ermittelungen über den Kalorienbedarf wachsender Kinder und Frauen werde ich hier nur den des erwachsenen Mannes besprechen (vgl. auch Kap. VII). Zu diesem Zwecke sind in erster Linie die direkten, unter Anwendung von Respirationsapparaten oder !) Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. Wiesbaden 1898; Das Ex- periment als zeitgemäße und einheitliche Methode medizinischer Forschung. Ebenda 1900. — ?) Da unsere Kenntnisse von dem absoluten Bedarf des Menschen an an- organischen Nahrungsstoffen gar zu wenig umfassend sind, um bestimmte Zahlen- angaben zu gestatten, und außerdem die Erfahrung ergeben hat, daß eine Kost, welche die sonstigen Anforderungen erfüllt, auch Aschebestandteile in genügender Menge enthält, werde ich bei der folgenden Darstellung diese Substanzen vernach- lässigen und nur die organischen Nahrungsstoffe berücksichtigen (vgl. Kap. XI). Der Energiebedarf bei körperlicher Ruhe. 543 Kalorimetern ausgeführten Bestimmungen herbeizuziehen. Die Zahl derartiger Beobachtungen ist allerdings zurzeit noch ziemlich gering; es scheint mir jedoch, daß sie zu einer vorläufigen Orientierung einigermaßen genügt, wenn auch zugegeben werden muß, daß neue Untersuchungen nötig sind, bis diese Frage in allen Einzelheiten als erledigt angesehen werden kann. In Anbetracht der Tatsache, daß die Muskelarbeit auf den Stoffwechse einen so mächtigen Einfluß ausübt, ist es bei der Feststellung des Nahrungs- bedarfes des Menschen notwendig, deren Größe immer genau zu berück- sichtigen, und es empfiehlt sich daher, bei der Besprechung der vorliegenden Frage in erster Linie den Stoffwechsel zu untersuchen, wenn die Muskel- leistungen auf ein Minimum reduziert sind. Bei vorsätzlicher Muskelruhe und mindestens 12. Stunden nach der letzten Nahrungsaufnahme betrug die CO,-Abgabe bei Versuchen von durchschnittlich 2 Stunden Dauer pro Stunde und Kilogramm Körpergewicht 0,283 bis 0,393 g. Das Mittel aus zahlreichen, an 11 verschiedenen Individuen männlichen Geschlechts im Alter zwischen 22 und 50 Jahren ausgeführten Bestimmungen beträgt etwa 0,342 g'). Einen ganz exakten kalorischen Ausdruck können wir allerdings nicht aus diesen Angaben herleiten; wir bekommen aber einen oberen Grenzwert, wenn wir annehmen, daß die Kohlensäure bei diesen Versuchen nur aus Fett entstammt, und erhalten dann pro Kilogramm Körpergewicht und Stunde durchschnittlich 1,15 Kal. Bei neun erwachsenen schlafenden Individuen beobachtete Sonden und ich’) eine durchschnittliche CO,-Abgabe von 0,339 g pro Kilogramm und Stunde, was nach derselben Berechnungsweise wie oben 1,14 Kal. entspricht. i An einer seit 7 Tagen in einem hysterischen Schlafe sich befindenden jungen Frau, die während dieser Zeit nur eine ganz unbedeutende Nahrung genossen hatte, wurde am letzten Tage die N- und CO,-Abgabe bestimmt. Unter Berechnung des aus N-freien Nahrungsstoffen entstammenden Kohlenstoffs als Fett- Kohlenstoff betrug der Stoffwechsel pro Kilogramm Körpergewicht und Stunde 1,03 Kal. u 5 In ihren kalorimetrischen Untersuchungen stellten Atwater und Benedict*) die Wärmeabgabe in sechsstündigen Perioden fest. Aus denjenigen Perioden, in welchen die Versuchspersonen schliefen (1 bis 7 Uhr vorm.), berechnet sich bei den vier verschiedenen Individuen die durchschnittliche Wärmeentwickelung pro Kilo- gramm Körpergewicht und Stunde zu 0,93 bis 1,06 oder im Durchschnitt von 115 einzelnen Bestimmungen 1,00 Kal. Wie ersichtlich, stimmen diese nach verschiedenen Methoden gewonnenen Zahlen untereinander sehr gut überein, insbesondere wenn wir beachten, daß die Berechnung des kalorischen Wertes aus der CO,-Abgabe eine etwas zu hohe Zahl hat geben müssen. Wir können also sagen, daß der minimale Stoffwechsel bei einem gesunden, nüchternen und ziemlich vollständig ruhen- den erwachsenen Menschen rund 1 Kal. pro Kilogramm Körpergewicht und Stunde, d. h. für ein mittleres Körpergewicht von 70kg und 24 Stunden 1680 Kal. beträgt. Diese Zahl werden wir als Ausgangspunkt für die folgenden Über- legungen benutzen. - 4) Vgl. Johansson, Nordiskt Medieinskt Arkiv 30, No. 22, p. 10, 1897; Skand. Arch. f. Physiol. 8, 108, 1898; 16, 263, 1904. Bergman und Anderson, Ebenda 8, 342, 1898. Koraen, Ebenda 11, 178, 1901. Widlund, Ebenda 17, 290, 1905. — ?) Ebenda 6, 205, 1895. — ®) Nordiskt Medieinskt Arkiv 30, No. 37, p- 11, 1897. — ) U. 8. Depart. of agrieulture. Off. of Exper. Stat. Bull. 1903, No. 136, p. 141. 544 Der Energiebedarf bei körperlicher Ruhe. Bei dem in gewöhnlichem Sınne ruhenden Menschen kommen eine Menge kleiner Muskelbewegungen immer vor; auch ist der Stoffwechsel dann merkbar größer, und zwar sowohl beim Hunger als bei Zufuhr von Nahrung. Aus den Versuchen von Ranke!), Pettenkofer und Voit?), Sonden und mir®), Anderson und Bergman‘), Bjerre°), Siven‘), Ekholm’) und Clopatt?), bei welchen der Energiewechsel aus der N- und C0,-Abgabe hergeleitet wurde, geht, größtenteils nach der Berechnung von Ekholm, folgendens hierüber hervor: Beim ersten Hungertage variierte der Stoffwechsel zwischen 1,05 und 1,48 Kal. pro Kilogramm und Stunde. Im Durchsehnitt von Beobachtungen an neun ver- schiedenen Individuen betrug derselbe 1,28 Kal. Beim Hungerer J. A. (vgl. oben, 8. 381) war der Stoffwechsel am dritten bis fünften Hungertage fast konstant 1,30 Kal. pro Kilogramm und Stunde. Über den Stoffwechsel bei Zufuhr von Nahrung ergibt sich als Mittel aus den Bestimmungen von Ranke, Pettenkofer und Voit, Sond&n und mir, Bjerre, Siven und Clopatt an zehn verschiedenen Individuen 1,38 Kal. pro Kilogramm und Stunde; die Grenzwerte sind 1,16 und 1,60 Kal. In zwei Versuchsreihen an je zehn Studenten und zehn Soldaten bekam Ekholm durehschnittlich für jene 1,48, für diese 1,54 Kal. pro Kilogramm und Stunde; Grenzwerte: 1,35 bis 1,80 bzw. 1,25 bis 1,96. In Atwaters kalorimetrischen Versuchen variierte der Energiewechsel bei den vier Versuchsindividuen mit insgesamt 49 Versuchstagen durchschnittlich zwischen 1,32 und 1,37 und betrug im Mittel 1,35 pro Kilogramm und Stunde. Aus diesen Ermittelungen folgt also, daß der Stoffwechsel bei einem in gewöhnlichem Sinne ruhenden Menschen etwa 1,30 bis 1,50 Kal. pro Kilo- gramm Körpergewicht und Stunde entspricht. Für einen Menschen von 70 kg Körpergewicht würde dies pro 24 Stunden 2184 bis 2520, durch- schnittlich 2350 Kal. ausmachen. Die kleinen Bewegungen, welche ein nicht in vollständiger Muskelruhe befindlicher Mensch ausführt, und die Nahrung bedingen also eine Erhöhung ‚des Stoffwechsels um etwa 670 Kal. Da die nützliche Arbeit etwa 25 Proz. der Zunahme der Verbrennung beträgt, würde dies einer Muskeltätigkeit von etwa 71000 kgm entsprechen. Bei wirklicher körperlicher Arbeit muß, wie selbstverständlich, der Stoff- wechsel noch größer sein. Betreffend die Zunahme pro Arbeitseinheit ver- weise ich auf das im Kap. V schon Ausgeführte und will hier nur diejenigen Versuche berücksichtigen, bei welchen für wenigstens 24 Stunden der Ge- samtstoffwechsel oder der Energieumsatz bestimmt worden ist. Bei der einen ihrer Versuchspersonen machten Pettenkofer und Voit?) Arbeitsversuche in folgender Weise: Die Person hatte neun Stunden täglich ein Rad mit einer Kurbel zu treiben; das Rad wurde so stark belastet, daß der Wider- stand in der Achse nach dem Gefühle des Arbeiters so groß war, wie es gewöhn- lich bei Drehbänken in mechanischen Werkstätten ist, welche durch ein mit der Hand getriebenes Schwungrad bewegt werden. Die kalorische Berechnung des Stoffwechsels für 24 Stunden ergibt bei dem Hungerversuch 2,31 und bei den Ver- suchen ‘bei mittlerer Kost 2,09 Kal. pro Kilogramm Körpergewicht und Stunde. Für ein Körpergewieht von 70 kg und 24 Stunden macht dies. durchschnittlich 3696 Kal, In seinem Respirationskalorimeter ließ Atwater die Versuchspersonen ein stationäres Fahrrad mit den Beinen treten, welches seinerseits eine Dynamo in Be- !) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1862, 8.311. — °) Zeitschr. f. Biol. 2, 459, 1866. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 6, 205, 1895. — *) Ebenda 8, 326, 1898. — °) Ebenda 9, 323, 1899. — °) Ebenda 10, 21, 1899. — 7) Ebenda 11, 1, 1900. — °) Ebenda 11, 354, 1901. — °) Zeitschr. £. Biol. 2, 537, 1866. ; Der Energiebedarf bei körperlicher Arbeit. 545 wegung setzte. Die an drei verschiedenen Individuen gemachten Versuche ergaben (wie oben aus dem Gesamtumsatz pro 24 Stunden berechnet) pro Kilogramm und Stunde bzw. 2,27, 2,27 und 2,81 Kal., d. h. für ein Körpergewicht von 70kg und 24 Stunden 3814 bzw. 4721 Kal. Diese Versuche zeigen aufs deutlichste, einen wie großen Einfluß die Muskelarbeit auf den Stoffumsatz ausübt; eine direkte praktische Bedeutung besitzen sie indessen nicht, da sie über die in verschiedenen Gewerben tat- sächlich stattfindende Arbeit keine Aufschlüsse geben können. Da wir aber gewisse Anhaltspunkte über die Verwertung der Energie bei der Muskelarbeit besitzen (vgl. Kap. V) und also, von dem Stoffwechsel eines in gewöhnlichem Sinne ruhenden Menschen ausgehend, den Stoffwechsel bei einem bestimmten Arbeitsquantum annäherungsweise bestimmen können, so würden wir den Nahrungsbedarf bei Arbeitern in verschiedenen Gewerben unschwer ausdrücken können, wenn wir Angaben über die dabei geleistete Arbeit besäßen. Leider sind aber unsere diesbezüglichen Kenntnisse noch außerordentlich gering, und wir besitzen wesentlich nur approximative Schätzungen der maxi- malen Arbeitsgröße des Menschen. Als Beispiele seien nach den Zusammenstellungen von Gariel!) und Blix?) folgende, auf einen achtstündigen Arbeitstag bezogene Angaben hier mitgeteilt. Treppensteigen oder Gehen bergauf: 302400 (Weisbach), 280000 (Navier), 205000 (Coulomb) kgm; Zieharbeit: 316800 (Weisbach); Arbeit im Tretrad: 259000 (Navier); Ziegeltragen: 282000 (Coignet); an der Winde: 207000 (Navier); Handkurbel: 173000 (Navier). Kalorisch entsprechen diese Zahlen 407 bis 745 Kal. oder unter der Voraussetzung, daß die Energie zu ein Viertel als mechanische Arbeit verwertet wird, 1628 bis 2980 Kal. Unter Voraussetzung, daß der Stoff- wechsel eines nicht arbeitenden Menschen auf etwa 2350 Kal. veranschlagt werden kann, würde also der Stoffwechsel hier auf 3978 bzw. 5330 Kal. zu schätzen sein. Selbst diese Zahlen geben uns keine Aufklärung über die Größe der im täg- lichen Leben vorkommenden Arbeitsleistungen. Indirekt hat Wolpert*) diese zu bestimmen versucht, indem er die Zunahme der CO,-Abgabe bei gewerblicher Arbeit für Perioden von drei bis fünf Stunden bestimmte und daraus unter der Annahme, daß ein Zuwachs um Img CO, einer Arbeit von 0,3kgm entspricht, die Größe der ausgeführten Arbeit berechnete. In dieser Weise fand er für einen Zeichner 4000, für einen mechanisehen Arbeiter 4100, für einen Damenschuhmacher 4500 und für einen Herrenschuhmacher 8000 kgm pro Stunde. Für einen acht- stündigen Arbeitstag beträgt dies bzw. 32000, 32 800, 36000 und 64000 kgm. Unter Anwendung der früheren Verhältniszahl zwischen Arbeit und Energieverbrauch würde der tägliche Stoffwechsel bei diesen Arbeitern bzw. 2651, 2659, 2689, 2952 Kal. dargestellt haben. In seinem berühmten Vortrage auf dem Kongreß für die öffentliche Gesund- heitspflege in München (1875) gab Voit*) als Normalmaß-für die Kost eines „mittleren Arbeiters“ 118g Eiweiß, 56g Fett und 500g Kohlehydrate an. Als „mittleren Arbeiter“ bezeichnete er) einen kräftigen Mann von 67 kg Körpergewicht 6), welcher vermöge seiner Muskelmasse eine mittlere Arbeit zu leisten vermag und auch während 9 bis 10 Stunden täglich leistet. „Also eine Arbeit, nicht so leicht wie die des Schneiders, auch nicht so schwer wie die eines Schmiedes, wohl aber die Arbeit eines Maurers, Zimmermanns oder Schreiners.“ ') Trait& de physique biologique 1, 1004, 1901. — *) Skand. Arch. f. Physiol. 15, 122, 1903. — ®) Arch. f. Hygiene 26, 107, 1896. — *) Zeitsehr. f. Biol. 12, 21, 1876. — °) Siehe bei Bowie, Ebenda 15, 466, 1879. — °) Voit, 8. 525. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 35 546 Der Energiebedarf eines mittleren Arbeiters. Der Wärmewert dieses Normalmaßes beträgt ohne Abzug für den Kot 3055 Kal. Da indes bei den bis jetzt besprochenen direkten Bestimmungen des Stoffwechsels der Kot gar nicht berücksichtigt, sondern als reines Abfall- produkt betrachtet worden ist, so müssen wir der Vergleichung halber von dem Voitschen Kostmaße den Verlust durch den Kot in Abzug bringen. Unter Berücksichtigung, daß die Kost des Arbeiters, auf welche sich dieses Kostmaß ganz besonders bezieht, in der Regel ziemlich viel gröbere vegeta- bilische Nahrungsmittel enthält und also mit einer verhältnismäßig reichlichen Kotbildung verbunden ist, glaube ich, daß wir denselben nicht zu groß schätzen, wenn wir ihn auf 10 Proz. der Zufuhr veranschlagen. Der Stoff- wechsel würde dann netto 2749 Kal., d. h. pro Kilogramm und Stunde etwa 1,71 Kal. betragen. Dies macht für ein Körpergewicht von 70 kg und 24 Stunden 2872 Kal. Wie ersichtlich, ist der Stoffwechsel pro Kilogramm und Stunde hier nur 0,31 Kal. größer als der bei einem in gewöhnlichem Sinne ruhenden Menschen (vgl. S. 544). Und selbst unter den Versuchspersonen Wolperts, deren Arbeit doch bei weitem nicht der eines mittleren Arbeiters entsprechen dürfte, beträgt doch der Stoffwechsel beim nur achtstündigen Arbeitstage in einem Falle 80 Kal. mehr, in den drei anderen Fällen nur etwa 200 Kal. weniger als der Nettowert des Voitschen Normalkostsatzes. Darin liegt aber noch kein Beweis gegen die Zweckmäßigkeit desselben. Wenn wir aber ferner die Ermittelungen über die von Arbeitern in ver- schiedenen Gewerben bei freier Wahl genossene Kost berücksichtigen (vgl. unten), so können wir nicht umhin, die von Voit postulierte absolute Zufuhr als für einen wie oben definierten mittleren Arbeiter etwas zu knapp. zu bezeichnen. Ieh bin in der Lage, eine ziemlich beweisende, fast wie ein direkter Ver- such im großen erseheinende Erfahrung als Stütze dieser Auffassung herbei- zuziehen. In den Gefängnissen Schwedens wurde im Jahre 1891 für die arbeiten- den Gefangenen eine Kost eingeführt, die mögliehst nahe mit dem Voitsehen Normalkostsatz übereinstimmte. Außerdem waren aber die Insassen noch be- reehtigt, von ihrem Arbeitsverdienst wöehentlich einen gewissen Teil zur Ver- besserung der Kost anzuwenden, Bei diesem Regime war der Ernährungszustand in den Gefängnissen vollkommen befriedigend. Dann wurde die Anschaffung von Extraverpflegung aus verschiedenen gefängnistechnischen Rücksichten zum größten Teil verboten, und die Gefangenen sollten sich nun fast ausschließlich mit der im Etat. vorgeschriebenen Kost genügen lassen. Es zeigte sich indessen, daß diese Kost nieht genügte, und nach kurzer Zeit mußte wieder eine VOEBORMBSE derselben eingeführt werden. Übrigens ist Veit schon bei der Begründung seines Normalkostmaßes zu einem etwas zu geringen Energiewert gekommen, weil er die verschiedene Verbrennungs- wärme des aus Fett und aus Kohlehydraten entstammenden Kohlenstoffs nicht berücksichtigt hat. Als Mittelwert aus einer größeren Anzahl von Beobachtungen hatte er für einen mittleren Arbeiter 118g Eiweiß und 328 g Kohlenstoff, und zwar bei einer gemisehten, aus Fleisch und Vegetabilien mit Brot bestehenden Nahrung angegeben. In 118g Eiweiß sind etwa 63g Kohlenstoff enthalten; es sind also noch 265g durch Fett oder Kohlehydrate zu decken. Aus ökonomischen Gründen nimmt er dazu eine maximale Menge von Kohlehydraten, 500g; der Rest des Kohlenstoffs wird dann als Fett genossen. Wenn aber, wie es Voit für die nicht mit der Kraft ihrer Muskeln Arbeitenden für zweckmäßig hält, nur 350g Kohle- hydrate aufgenommen werden, so stellt sich das Kostmaß bei der gleichen Zufuhr von N und C folgendermaßen dar: 118g Eiweiß, 144g Fett und 350g Kohle- Der. Energiebedarf eines mittleren Arbeiters. 547 hydrate —= 3259 Kal. brutto und nach der oben benutzten Reduktion für ein Körpergewicht von 70kg 3064 Kal. netto, was etwa 7 Proz. mehr als der Voitsche Normalkostsatz beträgt. Es ist hier nicht der Ort, die Größe des absoluten Nahrungsbedarfes eines mittleren Arbeiters näher zu erörtern. Nur möchte ich bemerken, daß nach den 8.546 zusammengestellten Erfahrungen eine tägliche Arbeitsleistung von 100 000 kgm nicht als übermäßig groß angesehen werden dürfte. Wenn wir dann voraussetzen, daß die Energie zu 25 Proz. bei der Muskelarbeit aus- genutzt wird, so würde dies einer Mehrzersetzung von 941 Kal. entsprechen. Ist nun der Stoffwechsel beim ruhenden Menschen gleich 2350 Kal., so würde derselbe bei unserem mittleren Arbeiter netto 3291 Kal. oder unter Berück- sichtigung des Verlustes durch den Kot 3656 Kal. betragen. Mit dieser Zahl stimmt der Energiewert des Kostmaßes von Atwater!) für einen mittleren Arbeiter — netto 3400 Kal. — nahe überein. Die vorliegenden Erfahrungen über die Ernährung bei frei gewählter Kost ergeben, daß die Energiezufuhr bei arbeitenden Menschen in zahlreichen Fällen noch viel größer ist — was ohne Zweifel mit der verschieden strengen Arbeit in verschiedenen Gewerben aufs engste zusammenhängt. Es ist in- dessen nicht gestattet, die betreffenden Beobachtungen zu bestimmten Folge- rungen in betreff des Nahrungsbedarfes in einzelnen Gewerben. zu verwerten, denn teils sind diese Beobachtungen zu diesem Zwecke noch viel zu spärlich, teils ist zu beachten, daß selbst in einem und demselben Gewerbe verschiedene Individuen ein sehr verschiedenes Arbeitsquantum leisten. Man kann also nicht im allgemeinen sagen, ein Schuhmacher habe x Kalorien, ein Schneider y Kalorien und ein Tischler z Kalorien nötig, und unter solehen Umständen können die betreffenden Beobachtungen, hinsichtlich der absoluten Zufuhr von Kalorien, nur dann ein größeres Interesse beanspruchen, wenn sie im Detail erörtert werden, was sich hier nicht durchführen läßt). Aus praktischen Gründen ist man indes gezwungen gewesen, für be- stimmte Gruppen der Bevölkerung bestimmte Kostmaße festzustellen. Welches dabei auch als Norm angenommen wird, sind zu gleicher Zeit auch die statt- findenden individuellen Verschiedenheiten genau zu berücksichtigen, denn es steht außer allem Zweifel, daß selbst bei einer quantitativ genau gleichen Arbeitsleistung dennoch der Nahrungsbedarf bei verschiedenen Individuen sehr verschieden sein kann. Ein durchschnittliches Kostmaß paßt also nicht für alle Individuen, und in einer öffentlichen Anstalt müssen daher Ver- anstaltungen getroffen werden, um dieses in zweckmäßiger Weise zu regu- lieren. Kurz, das Kostmaß muß, wie Atwater sagt, eine Anweisung, nicht eine Regel sein. $ 3. Die Verteilung der Zufuhr auf Eiweiß, Fett und Kohlehydrate. Betreffend die Verteilung der organischen Nahrungsstoffe ist es zurzeit kaum möglich, aus Laboratoriumsversuchen bestimmte Folgerungen zu ziehen, denn solche Versuche können sich nicht über einen genügend langen Zeitraum !) Report of Storrs (Conneeticut) agrieultural Experiment- Station 1902—1903, p. 134. — ?) Eine Zusammenstellung dieser Beobachtungen findet sich bei Atwater, Ebenda, p. 134. 35 * 548 Die Verteilung der Zufuhr auf Eiweiß usw. erstrecken, wie auch nicht genügend zahlreiche Individuen umfassen, um als alleinige oder wesentliche Grundlage für die Besprechung der Frage zu dienen. Wir sind daher in erster Linie auf die Erfahrungen über die Zusammen- setzung der frei gewählten Kost hingewiesen. Indes ist selbst diesen Er- fahrungen keine allzu große Bedeutung beizumessen. Im allgemeinen läßt es sich wohl sagen, daß der Mensch einen gewissen Instinkt in bezug auf die absolute Nahrungszufuhr besitzt, obgleich dieser nicht immer zuverlässig ist, wie aus der alltäglichen Erfahrung hervorgeht, daß viele Leute, die eine stillsitzende Lebensweise führen und verhältnismäßig geringe Muskel- bewegungen machen, dennoch sehr viel zu sich nehmen und deswegen in einem zuweilen sehr hohen Grade fettleibig werden. Beim Körperarbeiter dürfte solches dagegen eine seltene Ausnahme darstellen, und sein Kost- maß ist daher als ein zuverlässiger Ausdruck seines Nahrungsbedarfes zu erachten. ö Was aber den Gehalt der Kost an Eiweiß, Fett und Kohlehydraten betrifft, so ist derselbe zum größten Teile von der Zusammensetzung der zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel abhängig. Es ist freilich wahr, daß der Mensch den vollständigen Mangel an dem einen oder anderen Nahrungs- stoff wahrnimmt und diesem instinktmäßig abzuhelfen versucht. Dagegen läßt es sich nicht gut denken, daß auch die richtige Proportion der einzelnen Nahrungsstoffe instinktiv empfunden wird, und wir haben keinen triftigen Grund zu einer solchen Annahme. Die frei gewählte Kost lehrt uns also, wie- viel Eiweiß usw. ein Mensch genießt, nicht aber, wieviel er davon genießen muß. Aus derartigen Erfahrungen kann man daher wohl schließen, daß eine gewisse Verteilung der organischen Nahrungsstoffe zweckmäßig ist und auf die Länge vertragen wird, nicht aber, daß sie das überhaupt beste Gemenge darstellt. Um eine Vorstellung von der Verteilung der Nahrungsstoffe bei verschiedenen Individuen zu gewinnen, habe ich in den folgenden Tabellen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, eine größere Anzahl Beobaehtungen über die freigewählte Kost zusammengestellt'). Dabei sind dieselben, die sich teils auf einzelne Indi- viduen, teils auf eine größere Zahl beziehen, je nach der Größe der Energiezufuhr in Gruppen ' von 2000 bis 2500, 2500 bis 3000 Kal. usw. geordnet. Da unter den einschlägigen Untersuchungen die in den Vereinigten Staaten unter Atwaters Leitung ausgeführten nach einem streng einheitlichen Plane angeordnet sind — was mit den anderen keineswegs der Fall ist —, habe ich das Material in zwei Tabellen geordnet, und zwar enthält die erste die amerikanischen, die zweite die übrigen Kostmaße. In beiden sind für jede Gruppe das Mittel sowie die Maxima und Minima angegeben (siehe Tabelle1 auf 8.549 und Tabelle 2 auf 8.550). Bei der Erörterung über die Zusammensetzung der -Kost hat die Frage nach dem Bedarfe des erwachsenen Menschen an Eiweiß die wichtigste Rolle gespielt. Voit?) forderte in seinem Normalkostmaß 118 g Eiweiß, von welchen 105g resorbiert werden würden. Zur Stütze dieser Forderung wies er auf zahlreiche, meines Wissens nicht veröffentlichte Beobachtungen über Arbeiterkost hin; ferner bemerkt er, daß frühere Autoren, wie Wolff, Hildes- heim und Moleschott, etwa dieselbe Zahl (117 bis 130g) aufgestellt hatten; !) Kostmaße mit weniger als 2000 Kal. sind hier nicht berücksichtigt, weil sie doch nur dem Minimalbedarf entsprechen. — *?) Voit, 8. 525; Zeitschr. f. Biol. 25, 249, 1889. Amerikanische Kostmaße. 549 schließlich zieht er auch die Ergebnisse der in seinem Laboratorium von Rubner!), Bowie?) und Constantinidi?®) ausgeführten Ausnutzungsver- suche in Betracht. Wenn wir diese letzteren Versuche näher durchmustern, so finden wir, daß bei einigen die absolute Kraftzufuhr für einen mittleren Arbeiter gar zu gering gewesen ist (1351 bis 2092), weshalb diese keine Aufschlüsse über den Eiweißbedarf des arbeitenden Menschen bei zureichender Zufuhr von N-freien Nahrungsstoffen geben können. Ferner sind auch einige andere Versuche auszuschließen, weil bei ihnen die verabreichte Eiweißmenge den Bedarf entschieden überschritten hat. Die übrigen Versuche ergeben, daß bei einer Zufuhr von mehr als 90g resorbiertem Eiweiß in acht unter neun Versuchen das N-Gleichgewicht stattgefunden hat. Bei einer Zufuhr von weniger als 80g ausgenutztem Eiweiß mit einer Energiezufuhr von 30 bis 58 Kal. pro Kilogramm Körpergewicht wurde dagegen das N-Gleich- gewicht während der Versuchsdauer (zwei bis drei Tage) nicht erreicht. Tabelle 1). Eiweiß 88 r a Kohle- Pe: e o5 Gruppe Anti | Vers IE t. hydrate Kal. = E & g g g g g SE I. | 2000— 2500 50 36 56 81 295 2135 18 Maximum 91 60 131 125 395 Minimum 2 18 35 34 181 II. | 2500 - 3000 47 4 88 108 345 2779 23 Maximum 82 62 129 163 458 Minimum 8 24 49 56 255 III. | 3000—3500 56 47 103 125 409 3262 36 Maximum 97 82 152 182 563 Minimum 4 32 52 65 314 IV. | 3500—4000 68 57 125 137 476 3738 19 Maximum 133 107 199 200 701 Minimum — 36 66 71 304 V. | 4000—4500 54 62 116 158 538 4180 16 Maximum 103 81 164 210 649 Minimum 10 48 74 95 412 VI. | 4500—5000 86 59 145 195 557 4692 7 Maximum 111 73 181 269 708 Minimum 25 49 80 118 485 vII. > 5000 71 75 145 235 666 5511 7 Maximum 128 90 204 283 723 Minimum 27 60 93 173 617 !) Zeitschr. f. Biol. 15, 115, 1879; 16, 119, 1880. — ?) Ebenda 15, 475, 1879. — ?) Ebenda 23, 445, 1886. — *) Die Untersuehungen sind in den vom Ackerbau- ministerium der Vereinigten Staaten herausgegebenen Bulletins veröffentlicht und von Atwater, Wait, Gibson, Calvert, May, Stone, Voorhees, Jordan, Woods, Goss, Bevier, Bryant, Hogan, Blas dale, Frissel, Jaffa, Grindley, Sammis, Ladd, Sprague, Snyder ausgeführt. 550 - Andere Kostmaße. Tabelle 21). Gesamt- Kohle- Zahl der. Gruppe eiweiß zart hydrate Kal. Beobach- g gr» g£ tungen - di 2000—2500 82 . 4 362 2229 13 Maximum 118 85 469 Minimum 57 17 290 I. 2500—3000 104 - 60 464 2889 15 Maximum 160 118 568 Minimum 65 16 254 III. 3000 - 3500 127 85 466 3222 16 Maximum 163 141 730 Minimum 82 27 310 IV. 3500—4000 136 93 556 3702 a Maximum 152 1692 730 Minimum 112 27 359 V. 4000—4500 162 135 569 4252 7 Maximum 182 205 788 Minimum 133 40 ; 391 VI. 4500—5000 12 - 106 TBl.:H 4752 5 Maximum 225 145 829 Minimum 138 Lies 677 vo. > 5000 166 156 952 6037 9 Maximum 218 309 1328 Minimum 112 25 431 Demgegenüber lassen sich aber die schon früher besprochenen Versuche von Hirschfeld, Kumagawa, Klemperer, Siven u.a. herbeiziehen, aus welchen doch ganz bestimmt hervorgeht, daß selbst bei einer beträchtlich geringeren Eiweißzufuhr das N-Gleichgewicht allmählich eintritt (vgl. S. 406). !) Die Primärangaben finden sich bei Albertoni und Novi, Arch. f. d. ges. Physiol. 56, 213, 1894; Boehm, Vierteljahrsschr. £. öffentl. Gesundheitspflege 1, 376; Erismann, Areh. f. Hygiene 9, 32, 1889; Flügge, Beitr. z. Hygiene, Leipzig 1879, 8. 116; Forster, Zeitschr. f. Biol. 9, 386, 1873; Hofmann, Fleischnahrung u. Fleischkonserven, Leipzig 1880, 8. 63; Hultgren, Arch. f. d. ges. Physiol. 60, 205, 1895; Hultgren u. Landergren, Mitteil. a. d. physiol. Laborat. in Stockholm 6 (1889); Dieselben, Untersuchungen über die Ernährung schwedischer Arbeiter, Stockholm 1891, 8. 15, 16; Lavonius, Skand. Arch. f. Physiol. 17, 196, 1905; Lichtenfelt, Arch. f. d. ges. Physiol. 99, 1, 1908; Manfredi, Arch. f. Hygiene 17, 552, 1898; Meinert, Armee- und Volksernährung 2%, 186, 193, 198, 212, 216, 226, 228, 230, 237, Berlin 1880; Ohlmüller, Zeitschr. f. Biol. 20, 393, 1884; Payen, Preeis des substances alimentaires, Paris 1865, p.505; H. Ranke, Zeitschr. f. Biol: 40, 288, 1900; J. Ranke, Ebenda 13, 131, 1877; Rechenberg, Die Er- nährung der Handweber in Zittau, Leipzig 1890, 8.27; Serafini u. Zagato, Arch. f. Hygiene 29, 141, 1897; Steinheil, Zeitschr. £. Biol. 13, 415, 1877; Studemund, Arch. f. d. ges, Physiol. 48, 586, 1891; Sundström, Finsk& Läkaresällskapets handlingar :47, (1), 421, 1905; Voit, Untersuchung der Kost, München 1877, 8.17, 28, 209; Handb. d. Physiol. 6, (1), 524, 1881, i Der Bedarf an Eiweiß. 551 Aus diesen Versuchen konnte man also folgern, daß die Zahl von Voit nicht den kleinsten zulässigen Wert für die Eiweißzufuhr bei einem mittleren Arbeiter darstellt. Indes kann gegen diese, wie überhaupt gegen alle Labora- toriumsversuche die Einwendung gemacht werden, daß sie sich nur auf eine geringe Zahl von Individuen und auch auf eine zu kurze Zeit erstrecken. Es ist daher notwendig, zu untersuchen, wie sich die frei gewählte Kost in bezug auf die Eiweißzufuhr gestaltet, denn daraus wird man wenigstens eine allgemeine Vorstellung, wenn auch keinen exakten Ausdruck vom Eiweiß- bedarf des erwachsenen Menschen erhalten können. Betreffend die in den Tabellen I u. II, S.549, 550 verzeichneten Angaben über die bei freier Wahl genossene Kost ist zu bemerken, daß die in den Gruppen I und Il aufgenommenen, wegen der geringen absoluten Kraftzufuhr, brutto 8000 48 134 182 390 1008 8506 3 Maximum 55 135 190 415 1145 Minimum 42 132 174 373 936 Ich berechne die Ausnutzung des Eiweißes unter der Annahme, daß das animalische Eiweiß vollständig, das vegetabilische mit einem Verlust von 25 Proz. resorbiert wurde. Für die verschiedenen Gruppen erhalten wir dann die Menge ausgenutzten Eiweißes bzw. 84, 106, 120, 134, 148 g. Durchschnittlich verzehrten also die 14 Individuen in der V. und VI. Gruppe während einer Beobachtungsdauer von etwa 63 Tagen entschieden weniger Eiweiß als die von Voit in seinem Normalkostsatz postulierte Menge. Eine nähere Durchmuste- rung der von ihnen genossenen Kost und der darin enthaltenen Nahrungsmittel zeigt uns weder in bezug auf die animalischen, noch auf die vegetabilischen Nahrungs- mittel irgend welches deutlich ausgesprochene Streben, die Eiweißzufuhr besonders zu begünstigen. Die gesamten Speisezettel machen vielmehr den Eindruck, daß der Körper bestrebt gewesen ist, eine genügend große Kraftzufuhr zu bekommen, und daß die von verschiedenen Individuen etwa benutzten Zugaben wesentlich bezweekten, den Geschmack der einförmigen, größtenteils aus Speck, hartem Brot, Weißmehl und Zucker bestehenden Kost zu verbessern, und also der Hauptsache nach als Genußmittel dienten. Auch die Kostmaße, die von den sub VIIa bis d aufgenommenen Individuen genossen wurden, zeigen ziemlich deutlich, daß kein spezifischer Bedarf an einer reichlicheren Eiweißzufuhr stattgefunden hat. Allerdings ist die genossene Eiweiß- menge bei diesen Gruppen, ganz wie bei den in den Tabellen 8.549 f. aufgenommenen, größer, je größer die absolute Kraftzufuhr; dies ist aber in erster Linie davon ab- hängig, daß gerade die vier schon genannten Nahrungsmittel, unter denen kein einziges als ein spezifischer Eiweißträger bezeichnet werden kann, in größerer Menge verzehrt worden sind. Was auch sehr bemerkenswert ist, ist die Tatsache, daß die absolute Menge der eiweißreicheren Nahrungsstoffe — Fleisch, Wurst, Hering, Käse — keine deutlich ausgesprochene Steigerung von der einen Gruppe zur anderen zeigt. Unter Hinweis darauf, daß ein erwachsener Mensch auch bei einer geringeren Eiweißaufnahme als 118g im N-Gleichgewicht bleiben kann, schlug Hirschfeld!) als Normalzahl für die Eiweißmenge in einer Normalkost 100 g !) Arch. f. d. ges. Physiol. 44, 465, 1889. Der Bedarf an Eiweiß. 553 vor. Seinerseits wollte I. Munk!) auf Grund verschiedener Beobach- tungen von Pflüger, Bohland und Bleibtreu?2), Nakahama?), Scheubet) und Eykman, sowie der vielfach erwähnten Erfabrungen von Hirschfeld, Kumagawa’u. a. die tägliche Eiweißzufuhr auf 100g (brutto) reduzieren. Gegen die von diesen Autoren für die betreffende Verminderung der Eiweißzufuhr herbeigezogenen Gründe lassen sich indes verschiedene Ein- wendungen machen, und ich kann sie daher nicht als vollständig überzeugend erachten ’), wenn auch die von Munk vorgeschlagene Reduktion als ziemlich irrelevant bezeichnet werden muß. Meinerseits möchte ich, besonders auf Grund der neueren Erfahrungen, die Frage stellen, ob es überhaupt notwendig ist, eine bestimmte Zahl für den täglichen Eiweißbedarf anzugeben. Bei allen Kostmaßen, welcher Art sie sind und für welche Individuen sie zusammengestellt werden, muß die Kost hinsichtlich der absoluten Kraft- zufuhr den vom betreffenden Individuum auszuführenden Arbeitsleistungen entsprechen. Auch muß sie hinsichtlich ihrer Beschaffenheit und Zusammen- setzung derartig sein, daß sie den geläufigen Anforderungen an Schmack- haftigkeit genügt. Unter Bezugnahme auf die Bedingungen, auf welchen die appetiterregenden Eigenschaften der Kost beruhen, muß sie ferner eine ge- nügende Abwechselung darbieten und nicht zu einförmig sein. Wenn eine Kost diese Anforderungen hinsichtlich ihrer absoluten Quan- tität und ihrer qualitativen Beschaffenheit erfüllt, so glaube ich, daß sie auch genügend Eiweiß enthält. Es ist nämlich der Fall, daß die meisten unserer gewöhnlichen Nahrungsmittel gar nicht so arm an Eiweiß sind, und, wie bekannt, begegnet es in der Tat ziemlich großen Schwierigkeiten, bei normaler Kalorienzufuhr eine einigermaßen genießbare, aber sehr eiweißarme Kost zu- sammenzustellen. Darin dürfte wesentlich die Ursache davon liegen, daß in der frei gewählten Kost mit der Kalorienmenge auch die Eiweißmenge in der Regel zunimmt, wie daß diese Kost im allgemeinen nicht als eiweißarm zu bezeichnen ist. Kurz, für das Eiweiß dürfte ganz dasselbe wie für die Asche- bestandteile gelten, nämlich, daß es in genügender Menge vorkommt, wenn die an die Kost zu stellenden Anforderungen sonst erfüllt sind. Da es indessen bei der Anordnung der Kost in einer öffentlichen Anstalt äußerst zweckmäßig ist, von einem Normalkostmaß, das nicht allein die absolute Energiezufuhr, sondern auch die Zufuhr von Eiweiß, Fett und Kohlehydraten berücksichtigt, auszugehen, dürfte meines Erachtens die Zahl von Voit fort- fahrend zu wählen sein, denn die frei gewählte Kost enthält, in Europa und Amerika wenigstens, in der Regel ebensoviel oder noch mehr Eiweiß. Da- gegen dürfte seine Forderung auf 105 g ausgenutzten Eiweißes etwas zu hoch sein, da doch bei zahlreichen Individuen das resorbierte Eiweißquantum ent- schieden geringer ist. !) Munk und Uffelmann, Die Ernährung des gesunden und kranken Menschen, 2. Aufl., Wien 1891, 8. 205, 322. — *) Arch. f. d. ges. Physiol. 36, 164, 1885; 38, 1, 1885. — °) Arch. f. Hygiene 8, 78, 1888. — *) Ebenda 1, 353, 1883; vgl. auch Mori, Ebenda 5, 334, 1886; Kellner und Mori, Zeitschr. f. Biol. 25, 102, 1888. — °) Vgl. Voit, Ebenda 25, 254, 1888 sowie Tigerstedt, Grundsatser för utspisningen i allmänna anstalter. Stockholm 1891, 8. 77. Der Bedarf an Fett und Kohlehydraten. [ot Qu H> Bei der Aufstellung seines Normalkostmaßes ging Voit in bezug auf die N-freien organischen Nahrungsstoffe von der Annahme aus, daß die verab- reichte Menge von Kohlehydraten (Stärke) höchstens 500 g betragen dürfte, da eine größere Menge im Darme schlecht‘ausgenutzt wird und dabei auch andere Übelstände bewirkt. Der Rest des Bedarfes würde. dann, im Kostmaß für einen mittleren Arbeiter, durch 56g Fett zu decken sein. Gegen diese Auffassung läßt sich indes bemerken, daß Kohlehydrate auch in größerer Menge als 500g ganz vorzüglich ausgenutzt werden, vorausgesetzt, daß sie nicht in groben pflanzlichen Nahrungsmitteln enthalten sind. So fand Rubner') allerdings bei einer täglichen Zufuhr von 659g Kohlehydraten im Schwarzbrot im Kote 72g und bei 718g Kohlehydraten in Kartoffeln 55 g; bei 670g Kohlehydraten im Weißbrot betrug die Abgabe im Kot aber nur 5g. Diese Tatsachen bilden indes keinen Grund gegen die von Voit vorgeschlagene Begrenzung der Kohlehydratmenge in der Kost, denn es findet, wie zahlreiche Er- fahrungen ergeben haben, ein nicht. zu verkennender Bedarf an Fett, bei den ‘ Völkern europäischer Herstammung wenigstens, statt. Bei den Gruppen III und IV beträgt die Fettzufuhr durchschnittlich 125, 137 ne I), bzw. 85, SR (Tab. II); die Minima sind 65, 71 (Tab. I), bzw. 27 (Tab. II). Es läßt sich nicht leugnen, daß die Begrenzung der Fettmenge wesentlich durch ökonomische Ursachen bedingt wird; daher nimmt das Fett auch in der Kost der wohlhabenderen Klassen einen viel’bedeutenderen Platz als in der der ärmeren Bevölkerung ein; sobald dies tunlich ist, wird das Fett in größerer Menge genossen, wie aus den in der Tabelle I.verzeichneten Kostmaßen aus Amerika hervorgeht und auch daraus ersichtlich ist, daß ‘das Essen an. Feier- tagen im allgemeinen fettreicher ist als an den Wochentagen (Hultgren und Landergren). Zu einem gewissen Teile ist wohl diese Sehnsucht nach Fett darin be- gründet, daß es der Kost einen angenehmen Geschmack verleiht; es wirkt also gewissermaßen als Genußmittel und hat schon dadurch eine nicht gering zu schätzende Bedeutung. Es ist indes sehr wahrscheinlich, daß die Zugabe von Fett auch in anderer Beziehung wichtig ist, teils wegen der Vorgänge im Darmrohre, teils auf Grund der in den Geweben stattfindenden Stoff- wechselvorgänge. Indes wissen wir darüber nichts Sicheres, und wir müssen uns hier, wie in so vielen anderen Fällen, mit der Bestätigung der Tat- sache begnügen, ohne ihnen die gebührende theoretische Deutung geben zu können. Es dürfte daher die von Voit vorgeschlagene Fettmenge nur als ein unterer Grenzwert aufzufassen sein, was ja auch Voit selber tut. Wo die ökonomischen Verhältnisse es gestatten, wird das Fettquantum daher wesent: lich reichlicher zuzumessen sein. Ich muß mich hier auf diese allgemeinen Betrachtungen beschränken und kann also nicht die Herkunft der Nahrungsstoffe aus verschiedenen Nahrungsmitteln, die Verteilung der Kost auf die einzelnen Mahlzeiten und andere im Zusammenhang mit der praktischen Ernährungslehre stehende Fragen besprechen. Nur sei darauf aufmerksam gemacht, daß, wie Forster?) ‘) Zeitschr. f. Biol. 15, 152, 157, 1879; 16, 146, 1880. — ?) Hultgren und Landergren, Untersuchungen über die Ernährung schwedischer Arbeiter. Stock- holm 1891, 8. 77. — °?) Forster, Zeitschr. f. Biol. 9, 386, 1873. Allgemeines über Kostmaße. 555 und Hofmann!) zuerst bemerkten und dann mehrere andere Autoren 2) be- stätigten, die bei freier Wahl täglich genossene Menge von Eiweiß, Fett und Kohlehydraten bei einem und demselben Individuum ‘von Tag zu Tag nicht unwesentliche Schwankungen darbietet. Betreffend die Größe dieser Schwan- kungen zeigen Erfahrungen, die sich auf 5 bis 16 Tage lang dauernde Beob- achtungen stützen, daß die mittlere Abweichung des täglichen Quantums von durchschnittlichen Werte beim Eiweiß 3 bis 28 Proz., beim Fett 7 bis 39 Proz., bei den Kohlehydraten 6 bis 20 Proz., sowie bei der totalen Energiezufuhr 5 bis 16 Proz. beträgt. Die Variationen der täglichen Zufuhr scheinen also für das Fett am größten, für das Eiweiß geringer, für die Kohlehydrate noch geringer und für die totale Kraftzufuhr am geringsten zu sein. Dies lehrt uns, daß der Körper vor allem nach einer gewissen Konstanz in bezug auf.die Zufuhr von Brennmaterial strebt; die Beschaffenheit desselben kommt erst in zweiter Linie in Betracht. Indes kommt auch bezüglich der letzteren eine be- stimmte Regel zum Vorschein: die täglich genossene Fettmenge variiert viel mehr als die des Eiweißes und der Kohlehydrate.. Daß die Kohlehydrate nur verhältnismäßig kleine Schwankungen darbieten, dürfte wesentlich davon bedingt sein, daß kohlehydrathaltige Nahrungsmittel, vor allem das Brot, eine so große Rolle in unserer Kost spielen und einen so wesentlichen Be- standteil jeder Mahlzeit darstellen. Die praktische Konsequenz dieses Ergebnisses ist klar: beim Aufstellen einer Speiseordnung braucht und darf man sich nicht streng daran halten, daß die Kost täglich die bestimmte Menge von Eiweiß, Fett und Kohle- hydraten enthalten soll, man kann sich daher bei der Anordnung der Kost freier bewegen und ist nicht gezwungen, jede Schwankung in der quantita- tiven Zusammensetzung der Kost peinlichst zu vermeiden. Was erwünscht ist, ist nur, daß die Kost während einer gewissen Periode durchschnittlich dem als Norm festgestellten Kostmaß entspricht. Wie lang eine solche Periode sein muß, ist angesichts unserer zurzeit noch so geringen hierher gehörigen Erfahrung nicht möglich exakt zu be- stimmen. Von vornherein läßt sich indes denken, daß sie etwa eine Woche betragen dürfte; auch zeigen die Angaben von Jürgensen wie von Hult- gren und Landergren, daß ziemlich genau derselbe Mittelwert erhalten wird, wenn derselbe in einer 16- oder 10tägigen Versuchsreihe für die ganze Zeit oder für Perioden von je 8 bzw. 5 Tagen Dauer berechnet wird. Eine wirkliche Theorie des Stoffwechsels würde eine Theorie der ge- samten Vorgänge in der lebendigen Substanz darstellen. Von einer solchen sind wir indes noch weit entfernt, und wenn auch vielerlei theoretische An- schauungen hierüber im Laufe der Zeit entwickelt worden sind, so können sie doch kaum Anspruch darauf erheben, den Erscheinungen eine wirklich befriedigende Deutung gegeben zu haben. !) Hofmann, Fleischnahrung und Fleischkonserven, Leipzig 1880, 8.16. — ®2) Cramer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 6, 355, 1882; Jürgensen, Nordiskt medi- einskt Arkiv 18 (Nr. 11), p. 3, 1886; Nakahama, Arch. f. Hygiene 8, 88, 1888; Hultgren und Landergren, Mitteil. a. d. physiol. Laborat. in Stockholm 6 (1889); Dieselben, Die Ernährung schwedischer Arbeiter, Stockholm 1891, 8. 70. 556 Allgemeines über Kostmaße. Eine Besprechung dieser Anschauungen würde den zu meiner Ver- fügung stehenden Raum wesentlich überschreiten. Da außerdem die theo- retische Erörterung der Stoffwechselvorgänge eine eingehende Würdigung unserer Erfahrungen über die chemischen Umsetzungen im Körper vor- aussetzt und eine solche in diesem Abschnitte gar nicht hat in Frage kommen können, halte ich es für angemessen, auf eine derartige Er- örterung hier ganz zu verzichten !). !) Das Manuskript dieses Abschnittes wurde zum größten Teil Ende 1904 ab- geliefert, weshalb die neueste Literatur hier nicht hat berücksichtigt werden können. Die Wärmeökonomie des Körpers von R. Tigerstedt. Zusammenfassende Darstellungen, in denen die ältere Literatur gesammelt ist: Pembrey, Art. Animal heat in Schäfers Text-Book of Physiology I. Edinburgh and London 1898, p. 785—867. Richet, Art. Chaleur. Production de chaleur par les ötres vivants. In Diction- naire de physiologie III, Paris 1898, p. 81—203. Rosenthal, Art. Die Physiologie der tierischen Wärme in Hermanns Handbuch der Physiologie 4 (2), 287 bis 452. Leipzig 1882. Diese Arbeiten sind im folgenden stets nur mit dem Namen des Autors zitiert. Erstes Kapitel. Die Körpertemperatur des Menschen. Die Vögel und die Säugetiere unterscheiden sich von allen anderen lebendigen Geschöpfen dadurch, daß sich in ihrem Körper Mechanismen vor- finden, dank denen ihre Temperatur sich trotz ziemlich großer Schwankungen der Außentemperatur im großen und ganzen konstant erhält. Sie werden daher homoiotherme oder, da die Temperatur des umgebenden Mediums in der Regel. niedriger als die ihres Körpers ist, warmblütige genannt. Zur Temperaturmessung hat man sowohl das Thermometer als auch die thermo- elektrische und die bolometrische Methode benutzt'). Wie sie ausgeführt wird, welche Vorsichtsmaßregeln dabei zu berücksichtigen sind und wie die verschiedenen Instrumente gebaut sind, kann hier nicht erörtert werden. Dagegen ist es not- wendig, den Ort der Temperaturmessung etwas näher zu besprechen, da die Resul- tate derselben davon in hohem Grade abhängig sind. Wenn wir im allgemeinen von der Temperatur des Körpers sprechen, so beziehen wir diese auf den Wärmegrad am wärmsten Orte des Körpers. Da nun der Körper fast immer einem Wärmeverlust durch Leitung, Strahlung und Wasserverdunstung von der Haut und den Respirationswegen ausgesetzt ist, so müssen seine oberflächlicheren Teile eine niedrigere Temperatur als die tieferen haben. Nur bei Versuchen an Tieren ist es indessen möglich, die Temperaturmessung an jedem beliebigen Orte zu machen; beim Menschen sind wir darauf beschränkt, dieselbe an einem ohne weiteres zugänglichen, !) Vgl. Benediet und Snell, Arch. 2.d. ges. Physiol. 88, 492, 1901. Da- selbst ausführliche Angaben über die einschlägige Literatur. 558 Die Temperaturmessung. vor Abkühlung möglichst geschützten Orte auszuführen. Zu diesem Zwecke sind vor allem die Axille, die Mundhöhle unter der Zunge, das Rectum und die Vagina benutzt worden. Auch hat man seit Hales den aus der Harn- röhre strömenden Harnstrahl dazu verwendet. Angesichts der Tatsache, daß die Körpertemperatur des Menschen inner- halb 24 Stunden nicht unbeträchtliche Variationen darbietet, können Durch- schnittszahlen für die Temperatur an den genannten Orten keine bestimmten Aufschlüsse über die daselbst stattfindenden Temperaturdifferenzen liefern, und nur gleichzeitig gemachte Beobachtungen können hier ausschlaggebend sein. Aus solchen Beobachtungen sind einige in folgender Tabelle zusammen- gestellt. Die Temperatur der Axille ist hier gleich 1 gesetzt: Ort der Temperaturmessung Autor Axille Mundhöhle Rectum 1,0 1,2 1,4 Redard!) 1,0 1,24 1,7 Gassot!) 1,0 1,2 1,52 Forel!) 1,0 178... 1,35 Crombie?) 1,0 _ 1,38 Parker u. Wollowicz°) 1,0 — 1,23 Oertmann‘) —_ 1,0 1,3 Bouvier°) 1,0 == 1,6—1,8 Lorain?) 1,0 — 1,6 Neuhauß®) 1,0 — 1,06—1,38 Benedict und Snell’) Wie ersichtlich, ist die Temperatur der Mundhöhle nur wenig höher als die der Axille, weshalb auch Pembrey aus den vergleichenden Temperatur- messungen das Resultat zieht, daß kein erwähnenswerter Unterschied zwischen der Mundhöhle und der Axille stattfindet. Dagegen tritt die Differenz zwischen der Axille und dem Rectum sehr deutlich hervor und kann rund auf etwa 0,4 bis 0,5°C geschätzt werden. Merkwürdigerweise scheint beim Affen die Temperatur der Axille um etwa 0,5°C höher als die des Rectums zu sein (Davy°®), Simpson’). Nach Ringer und Stuart'®) ist beim Menschen die Temperatur ganz dieselbe in der Axille, der Mundhöhle und dem Rectum; ihre Versuchspersonen lagen im Bette und waren sehr gut bedeckt. Betreffend die Temperatur des Harns läßt sich aus den Messungen von Oertmann!!) und Pembrey'?) entnehmen, daß sie in vielen Fällen der im Rectum gleichkommt, in anderen Fällen aber etwas niedriger ist; zuweilen kann sie sogar höher sein. Durchschnittlich fand Pembrey die Rectal- temperatur etwa 0,34°C höher als die des Harns. | !) Richet, La chaleur animale, p. 79 und 80. Paris 1889. — °) Pembrey, p. 825. — °) Proc. of the Royal Society 18, 368, 1869. — *) Arch. f.d. ges. Physiol. 16, 101, 1878. — °) Ebenda 2, 387, 1869. — °) Arch. f. pathol. Anat. 134, 366, 1893. — 7) Arch. f.d.ges. Physiol. 90, 41, 1902. — ®) J.Davy, Researches 1, 181. London 1839. — °) Journ. of Physiol. 28, proceedings 21, 1902. — !°) Proc. of the Royal.Society 26, 186,:1877. — '') Arch. f. d. ges. Physiol. 16, 101, 1878. — ER of Physiol. 23, 386, 1898; Guys hospital Reports 57, 283. Die Temperatur der Haut. 559 ‘ Die Ursache der Verschiedenheit der Temperatur an verschiedenen Körper- stellen liegt natürlich darin, daß das Rectum vor Wärmeverlust besser ge- schützt ist als die Mundhöhle und die Axille!), Beim Harn ist die augen- blicklich erscheinende Verdunstung wohl als Hauptursache seiner geringeren Temperatur zu erachten, ein Umstand, der sich besonders bei geringen Harn- mengen fühlbar machen muß. Wie es scheint, dürfte jedoch die Temperatur- messung im Harn, wenn dabei geeignete Vorsichtsmaßregeln beobachtet werden, ebenso zuverlässige Resultate geben wie die Temperaturmessung im Reetum. Unter den hier erwähnten Orten der Temperaturmessung dürfte die Mund- höhle am wenigsten zuverlässig sein, indem ihre Temperatur in einem höheren Grade als die der Axille, des Rectums und des Harns von zufälligen Einflüssen abhängig ist. So fand Bosanquet*), daß die Mundhöhle nach Aufnahme von Essen wärmer ist als das Rectum, was teils von der Temperatur der genossenen Speisen, teils von den Bewegungen der Kaumuskeln und dem Sekretionsvorgang in den Speicheldrüsen bedingt sein dürfte. Andererseits beobachtete Davy°) eine Abnahme der Mundhöhlentemperatur nach starker körperlicher Arbeit; gleichzeitig stieg die Temperatur in der Axille an. Diese Tatsache, die durch eingehende Untersuchungen von Pembrey und Nicol*) in vollem Umfange bestätigt wurde — Differenzen um bis zu 2,2°C wurden von ihnen beobachtet —, tritt auch bei reiner Nasenatmung auf und ist aller Wahrscheinlichkeit nach durch das Schwitzen, die Gefäßerweiterung in der Gesichtshaut und die kräftigere Luftströmung durch den Rachen bedingt. Betreffend die Temperatur anderer Körperteile sei hier nur folgendes erwähnt. . Unter Anwendung eines Quecksilberthermometers bekam Davy°) bei einer Außentemperatur von 20°C für die Hauttemperatur folgende Zahlen: Fußsohle 32,2, die Mitte der Tibia 33,06, die Kniebeuge 35,0, über dem Rectus femoris 32,78, die Inguinalfalte 35,84, ein Zoll unter dem Nabel 35,0, über dem Herzen 34,4; die Temperatur der Axille betrug hier 36,67. Kunkel6) benutzte die thermoelektrische Methode und fand beim still- sitzenden Menschen an den bekleideten Körperteilen bei einer Zimmertempe- ratur von 20° © eine Temperatur von 33,8 bis 34,8° C. Auf dicken Muskel- lagen war die Temperatur etwas höher als über Sehnen und Knochen; die von der Achse (dem Zentrum) des Körpers weiter abstehenden Teile waren im allgemeinen kühler. An den unbedeckten Hautstellen traten bei der ge- nannten Temperatur keine wesentlichen Unterschiede den bedeckten gegen- über hervor; so war die Temperatur der Stirnhaut 34,1 bis 34,4%, die auf dem Jochbogen 34,1%, auf dem Handrücken 32,5 bis 33,20, während die Temperatur der Vola manus etwa dieselbe Höhe wie die der bedeckten Körperteile erreichte. Dagegen betrug die Temperatur des Ohrläppchens nur 28,80 C. Bei einer Außentemperatur von 10 bis 12° C sank die Temperatur des Gesichtes nur um etwa einen Grad und selbst bei — 5° © betrug sie noch 26,7°, während die Bauchhaut 31,6 bis 31,9% C zeigte. !) Vgl. Oertmann, Arch. f. d. ges. Physiol. 108, 307, 1905. — ?) Lancet 1895 (1), p. 673. — °) J.Davy, Researches 1, 199, 1839. — *) Journ. of Physiol. 23, 386, 1898; Guys hospital Reports 57, 283; vgl. auch Lef&vre, Archives de physiol. 1898, p. 11. — °) J. Davy, Researches 1, 150, 1839. — °) Zeitschr. f. Biol. ‚25, 55, 1889. 560 Die Temperatur der inneren Organe. Mit diesen Resultaten stimmen die von Stewart!) nach der gleichen Methode gewonnenen im großen und ganzen gut überein. Bei einer Außen- temperatur von 17,6 bis 18,2° C betrug die Temperatur an der Stirn, der rechten Wange, der linken Wange, dem rechten Hypogastrium, sowie an der Stelle des Spitzenstoßes zwischen 32,6 und 35,16° C; dabei war aber die Temperatur der Fußsohle und der Handteller nur etwa 31,0°C. Nach Rubner?) beträgt die Temperatur der unbekleideten Körperteile durchschnittlich bei 10° C: 29, bei 15°: 29,2, bei 17,5%: 30 und bei 25,6°: 31,7°C. Die bekleidete Haut hatte dabei eine Temperatur von 32 bis 330C, Wenn die Haut einer größeren Abkühlung, wie in einem kalten Bade, ausgesetzt wird, so sinkt ihre Temperatur beträchtlich herab; als Beispiel sei auf folgende Versuchsreihe von Lef&vre®) hingewiesen; in derselben Tabelle ist auch die an derselben Versuchsperson gleichzeitig bestimmte Temperatur 2 bzw. 12 mm unterhalb der Hautoberfläche, im subcutanen Ge- webe und im M. biceps, eingetragen. Temperatur des Temperatur Bades Grad C. der Haut 2 mm tiefer | 12mm tiefer 7,0 17,3 23,2 ee 15,0 20,9 23,4 36,3 20,6 BR Br 35,9 22,5 24,6 26,1 ee 25,9 —_ — 36,9 Trotz der starken Abkühlung der Haut behielten dennoch die Muskeln ihre normale Temperatur bei. Wärmer als Rectum sind wenigstens die Organe im oberen Teile der Bauchhöhle. Nach Quincke?) überragt beim Menschen die Temperatur im Innern des Magens um durchschnittlich 0,12°C die des Rectums. Beim hungernden Kaninchen beobachtete Ito’) im Duodenum eine um 0,7 C höhere Temperatur als im Rectum. Beim Hunde fand Lefövre®) gleich- zeitig im Rectum 38,5, in der Leber 39,6° C — also 1,1° C mehr. Dem- entsprechend war in Versuchen von Cavazzani’) an dem gleichen Tiere die Leber stets um 0,14 bis 0,630 C wärmer als das arterielle Blut. Bei ver- schiedenen Eingriffen stellte sich die Temperatur im Rectum zuweilen höher als die in der Leber dar; indessen war die Lebertemperatur im Anfange des !) Studies from the physiol. Laborat, Owens Coll. Manchester 1, 101, 1891; zitiert nach dem Jahresbericht; vgl. auch Masje, Arch. f. pathol. Anat. 107, 48, 1887. — °?) Arch. f. Hyg. 23, 13, 1895; vgl. auch Wurster, Zentralbl. f. Physiol. 2, 4, 1888; Josipowiei, Inaug.-Diss. Berlin 1901, 8. 13. — °) Arch. de physiol. 1898, p- 1; vgl. auch Hirsch, Müller und Rolly, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 75, 264, 1903. — *) Arch. f. exper. Pathol. 25, 374. 1889. — °) Zeitschr. f. Biol. 38, 88, 1899; vgl. Aronsohn, Arch. f. pathol. Anat. 169, 504, 1902. — °) Arch. de physiol. 1898, p. 258. — 7) Zentralbl. f. Physiol. 8, 73, 1894; vgl. auch die früheren Beobachtungen von Claude Bernard, Lecons sur les liquides de l’organisme 1, 141, Paris 1859; Lecons sur la chaleur animale, p. 189. Paris 1876; Jacobson und Leyden, Zeutralbl. f. d. med. Wiss. 1870, 8. 259. Die Temperatur der inneren Organe. 561 Versuches, oder wenn die allgemeine Temperatur künstlich wieder zur nor- malen Höhe gebracht worden war, konstant höher als die Temperatur im Rectum. Die meisten neueren Untersuchungen ergeben, daß das Blut in der V. cava inferior oder im rechten Herzen wärmer ist als das Blut im linken Herzen !). Die beobachteten Differenzen betragen beim Hunde 0,1 bis 0,6°C, beim Schafe 0,02 bis 0,4°C. Dies kann weder durch die Erwärmung der eingeatmeten Luft, noch durch die Abgabe von Wasserdampf bedingt sein, denn Heidenhain und Körner bekamen ganz dieselben Resultate, auch wenn sie bei künstlicher Atmung eine mit Wasserdampf gesättigte und auf 35 bis 40° C erwärmte Luft benutzten. Sie schlossen daher, daß die be- treffende Erscheinung durch die Leber bedingt sei, welche das rechte Herz erwärmen würde; bei künstlicher Abkühlung der Bauchhöhle kehrte sich die Differenz tatsächlich um, und die linke Kammer wurde nun die wärmere. Gegen diese Deutung führt indes Bernard eine Beobachtung von Hering?) an einem Kalbe mit Ectopia cordis an; hier war nämlich die rechte Kammer etwa 0,6°C wärmer als die linke, obgleich das Herz vollständig außerhalb des Brustkastens lag und also von der Leber gar nicht beeinflußt werden konnte. — Es scheint daher, daß das venöse Blut in der Tat wärmer ist als das von den Lungen strömende arterielle, was in voller Übereinstimmung damit steht, daß das Blut während seiner Strömung durch die Organe auf Grund der daselbst stattfindenden Wärmebildung erwärmt wird. Es bleibt indes noch zu erklären, wodurch das Blut in den Lungen abgekühlt wird. nz Gewisse Teile der Lungen, nämlich die der ganzen konvexen Fläche des Zwerchfelles benachbarten, sowie außerdem die das Herz begrenzenden, sind in der Mehrzahl der Fälle wärmer als das arterielle Blut. In größerer Entfernung vom Zwerchfelle nach oben oder vom Herzen nach außen wird die Temperatur allmählich der des Aortablutes gleich, um in noch größerer Entfernung unter dieselbe zu sinken. Die Differenz geht aber, abgesehen von den oberflächlichsten Schichten der Lungen, nicht leicht über 0,1 bis 0,2°G hinaus (Heidenhain und Körner’). ER ER; ls Zahl für die “mittlere Tagestemperatur (im Rectum) des gesunden erwachsenen Menschen wird im allgemeinen 37,2 bis 37,5°C angegeben. Es kommen aber individuelle Variationen um mehrere Zehntel Grad vor). Bei den meisten warmblütigen Tieren ist die Körpertemperatur (im Rectum) wesentlich höher als die des Menschen, wie z. B.: Pferd 37,7 bis 37,9, Rind 38,6 bis 38,9, Schaf 40,0 bis 40,6, Hund 37,9 bis 38,8, Katze 38,7, Schwein 38,7 bis 39,6, Kaninchen 38,7 bis 39,2, Meerschweinchen 37,4 bis 39,2, Affe (Macacus rhoesus) 37,8 bis 39,7, verschiedene Vögel 41 bis 44°C). !) vgl. G. Liebig, Über die Temperaturunterschiede des venösen und arte- riellen Blutes. Gießen 1853; Claude Bernard, Lecons sur la chaleur animale, p. 77. Paris 1876. Heidenhain und Körner, Arch. f. d. ges. Physiol. 4, 558, 1871. Dagegen fanden Colin (Ann. sciences nat. Zool. ser. 4, t. 7, p. 83, 1867), sowie Jacobson und Bernhardt (Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1868, 8. 643), daß die Temperatur der linken Kammer in der Regel höher war als die in der rechten. — ?) Arch. f. physiol. Heilkunde 1850, 8. 18. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 4, 563, 1871. — *) Vgl. die Zusammenstellungen bei Pembrey, p. 789, und Richet, p. 91. — °) Vgl. die Zusammenstellungen bei Pembrey, p. 790, und Richet, p. 86. Nagel, Physiologie des Menschen. I, 36 562 Die Tagesschwankungen der Körpertemperatur. Die niedersten Säugetiere, die Monotremata, scheinen eine sehr niedrige und übrigens zwischen weiten Grenzen schwankende Temperatur zu haben. Bei einem Echidna war die Temperatur bei 4°C: 25,5, bei 20°: 28,6, bei 30°C: 30,9 und bei 35°C: 34,8. Ahnliche Variationen zeigten zwei andere Individuen dieser Tierart. Der Ornithorhynchus zeigte dagegen eine fast konstante Temperatur von 31,8 bis 33,6°, wenn die äußere Temperatur von 5 bis 32°C zunahm. Bei den Marsupialia ist die Temperatur höher und zwischen 5 und 30°C etwa ebenso konstant wie bei den höheren Wirbeltieren; Dasyrus: 36,6 bis 38,0, Bettongia: 36,0 bis 36,2, Opossum: 36,1 bis 36,6 (C. J. Martin!). Wenn wir von der konstanten Temperatur eines warmblütigen Tieres sprechen, so bedeutet dies im Grunde nur, daß dieselbe, dank den regulato- rischen Vorrichtungen, innerhalb gewisser Grenzen von der umgebenden Temperatur unabhängig ist. Konstant, d. h. unter normalen Verhältnissen völlig unverändert, ist sie aber bei weitem nicht, vielmehr schwankt sie im Laufe von 24 Stunden nicht unbeträchtlich, indem sie um 1°C und mehr sich verändert. Wollen wir die durchschnittliche Temperatur des Körpers exakt angeben, so muß diese aus konsequent durchgeführten, genügend zahl- reichen Messungen zu den verschiedenen Stunden des Tages und der Nacht hergeleitet werden. Im Jahre 1843 zeigte Chossat?), daß bei Tieren (Tauben) die Körper- temperatur eine von Tag zu Tag regelmäßig wiederkommende tägliche Schwankung von durchschnittlich 0,74° C darbietet; am Mittag betrug die Temperatur 42,22, um Mitternacht 41,48. Diese Schwankung war nicht von der Temperatur der Außenluft oder von den Jahreszeiten abhängig, stand aber in einem gewissen Zusammenhange mit der Respiration, denn die Atem- frequenz zeigte ganz entsprechende Variationen. ZweiJahre später berichtete J. Davy?) über gleichlautende Beobachtungen am Menschen. Diese Angaben wurden im Laufe der Zeit immer wieder bestätigt und an der Hand umfang- reicher Beobachtungen näher analysiert, so daß ihr Vorhandensein schon längst außer jedem Zweifel steht. Unter den Autoren, die in dieser Richtung gearbeitet haben, ist vor allem Jürgensen*), ferner Lichtenfels und Fröhlich), Liebermeister®), Ringer und Stuart’), Jäger®), Richet), Pembrey und Nicol!%), Hörmann!!), Benedict und Snell!2) u. a.13) zu erwähnen. Im großen und ganzen stimmen die von den genannten und anderen Autoren beobachteten täglichen Temperaturschwankungen untereinander gut überein. Daß sie in bezug auf die absolute Zeit des Maximums und Mini- mums, sowie auf Einzelheiten der Temperaturkurve Verschiedenheiten dar- bieten, stellt keinen Widerspruch dagegen dar, denn die Lebensweise ver- ') Philos. Transact. of the Roy. Society London 195 B, 1,1902; vgl. auch Semon, Arch. f. d. ges. Physiol. 58, 229, 1894. — ?) M&moires present. par divers savants ä l’Acad. des sciences Paris 8, 533, 1843. — °) Philos. Transactions 1845; J.Davy, Researches 1863, p. 14. — *) Jürgensen, Die Körperwärme des gesunden Menschen. Leipzig 1873. — °) Denkschr. d. Akad.d. Wiss. Wien, math.-naturw. Kl. 3 (2), 113, 1852. — °) Liebermeister, Pathol. u. Therapie des Fiebers, 8.75. Leipzig 1875. — 7) Proceedings of the Royal Society 26, 186, 1877. — ®) Deutsch. Arch. f. klin. Med. 29, 516, 1881. — °) Richet, La chaleur animale, p. 64, 74. Paris 1889. — 1%) Journ. of Physiol. 23, 386, 1898. — !!) Zeitschr. f. Biol. 36, 319, 1898. — 1?) Arch. f. d. ges. Physiol. 90, 33, 1902; Amer. Journ. of Physiol. 11, 145, 1904. — 18) Vgl. Pembrey, p.798, und Richet, p. 91. Die Tagesschwankungen der Körpertemperatur. 563 schiedener Individuen ist doch nicht ganz übereinstimmend, sie gehen zu verschiedener Zeit zu Bette und stehen zu verschiedener Zeit auf, wie sie auch ihr Essen zu verschiedenen Stunden genießen usw. Als Beispiel der normalen Tagesschwankungen der Körpertemperatur verweise ich auf die Kurven Fig. 31 bis 33. Die von Benediet und Snell entlehnte Kurve Fig.31 bezieht sich auf einen 20 jährigen Studenten, der während der ganzen Beobachtungsdauer im Respirationskalorimeter von At- water eingeschlossen war. Die Temperatur daselbst betrug konstant 19°C. Die Messungen der Körper- temperatur fanden unter An- „m - vM. er aM, wendung der bolometrischen EA a Ir u zz Methode statt, und zwar ge- 2. \ Trreon schahen die Ablesungen jede 1 N 17 dritte oder vierte Minute. In gr Mr der Kurve, die das Gesamt- Tagesschwankungen der Körpertemperatur, gewöhnliche R R ze Ruhekurve. Nach Benedict und Snell. mittel von vier fast aufein- SS De a Pe ta ander folgenden Tagen bei nahezu gleichartiger Lebens- 78,98. x £ v.M. n. M, » v.M. weise darstellt, sind Durch- am nmı 23a 6 Te Hmm 13345617 . I . . A NN A schnittszahlen für je 12 Min. 47 NIFRERKT ö angegeben. 370 E / 36,8 Die Versuchsperson stand 38 Ba um 7 Uhr vormittags auf, früh- 364 stückte um 7b 45’, nahm um 10h Tagesschwankungen der Körpertemperatur; Fasten. 150g Wasser zu sich; Mittags- Nach Benedict und Snell. essen um 15 15’ nachmittags; um 3h 30’ 150g Wasser; Abendessen Fig. 33. um 10h 45’. Geht zu Bette um _ 11 Uhr nachts. Während des 4 Versuches wurde keine eigent- ? TI liche körperliche Arbeit geleistet. ,|_A I £ N 71 N N Z ; 37.0 Fig. 32 stellt die Tempe- | ® Fa . 4 raturschwankungen bei der- 3% Bud « N 4 7 selbenVersuchsperson im nüch- 3 E 2 "218 34 € 10 11 12 4 B, 10 11 ternen Zustande dar. Die letzte vM. 2. M. Mahlzeit wurde acht Stunden Tagesschwankungen der Körpertemperatur, Bettruhe, d a ; h nach Jürgensen. vor dem begınn des Yersuches A bei gewöhnlicher Kost; B beim Hunger. genossen. Wie ersichtlich, ist trotz einzelner Abweichungen der Verlauf der Tagesschwankung ganz derselbe wie in der Fig.31; der Umfang derselben (1,18% C) ist sogar größer als der in Fig. 31 (0,939 C). Die betreffenden Variationen können also nicht durch die Mahlzeiten an und für sich bewirkt werden. Da ferner die Temperatur im Kalorimeter die ganze Zeit konstant war, können sie auch nicht aus Schwankungen der Außen- temperatur hergeleitet werden !). Daß auch grobsinnliche Muskelbewegungen hier nicht maßgebend sind, folgt aus Jürgensens Beobachtungen, welche sämtlich sich auf Individuen beziehen, die die ganze Versuchsdauer im Bette blieben, wenn nicht der Ver- ') Vgl. auch Hörmann, Zeitschr. f. Biol. 36, 339, 1898. 36 * 564 Die Tagesschwankungen der Körpertemperatur. . suchszweck es anders verlangte. Fig. 33 stellt nach Jürgensen!) A die Normal- kurve eines Menschen bei gewöhnlicher Kost und B die Temperaturkurve bei einem hungernden Menschen dar. Der Umfang der täglichen Schwankung beträgt im ersten Falle 0,8, im zweiten 0,6°C. Er ist, wie auch zu erwarten war, geringer als bei Individuen, die am Tage nicht liegen, auch wenn sie keine eigentliche körperliche Arbeit leisten. Die betreffenden Schwankungen, welche auch bei Tieren vorkommen 2), zeigen, daß die Regulierung der Körpertemperatur selbst bei den höchsten Warmblütern lange nicht mit derselben Präzision erfolgt, wie man bei ganz einfachen Thermostaten erzielen kann. Betreffend ihre Ursachen sind sehr verschiedene Ansichten ausgesprochen worden. Da sie auch bei hungernden und bettlägerigen Individuen typisch erschienen, stellte man sich vor, daß sie weder durch die Nahrungsaufnahme, noch durch die Muskeltätigkeit oder die Außentemperatur bedingt seien, und nahm daher an, daß der Verlauf der Tageskurve ursprünglich durch die thermogenen Faktoren (Nahrungsaufnahme, Muskelarbeit) bedingt sei, daß aber hierzu noch die Gewöhnung hinzugekommen war, wodurch eine in nicht näher zu erklärender Weise sich herstellende Periodizität eintritt, welche dann eine gewisse Unabhängigkeit von den ursprünglichen Faktoren erlangt. Liebermeister), der diese Anschauung entwickelt hat, denkt noch an die Möglichkeit einer Übertragung der durch Jahrtausende erlangten Gewöhnung auf die Nachkommen. i Einen treffenden Ausdruck der in dieser Richtung gehenden früheren Anschau- ungen haben wir bei Riehet‘). Die Tagessehwankungen der Körpertemperatur sind hauptsächlich von der Tätigkeit des Nervensystems abhängig. Das Nervensystem beherrscht die chemischen Vorgänge im Körper; seine Erregung erzeugt also Wärme, seine Untätigkeit verlangsamt die Wärmebildung. Also müssen sich die Perioden von Energie und von Schwäche des Nervensystems durch eine starke oder schwache Wärmebildung kundgeben, und dies unabhängig von allen anderen biologischen oder mesologischen Bedingungen: Klima, Nahrung, Schlaf, Muskeltätigkeit. Anläßlich unserer Untersuchungen über die Tagesschwankungen der Kohlensäureabgabe bemerkten Sond&n und ich’), daß dieselben mit den von Jürgensen ermittelten Schwankungen der Körpertemperatur eine unver- kennbare Übereinstimmung darboten. Auf Grund dessen schlossen wir, daß die Ursache dieser Schwankungen wesentlich und wahrscheinlich vor allem von den täglichen Schwankungen in der Intensität des Stoffwechsels bedingt sind. Dann wies Johansson®) nach, daß Muskelbewegungen unerläßlich sind, um die Körpertemperatur nach einer durch Abkühlung bewirkten Erniedri- gung auf den gewöhnlichen Stand zu bringen, und betonte die Bedeutung der Muskelbewegungen für die Tagesschwankungen der Temperatur. Auch zeigte er, wie bei gewöhnlicher Bettruhe unabsichtliche Muskelbewegungen vor- kommen, welche die Verbrennung im Körper zuweilen in einem erheblichen Grade steigern. Die Bettruhe stellt also keineswegs einen Zustand dar, wo die Muskelbewegungen ausgeschlossen sind. !) A.a.0., 8.33, Tab.5; 8.34, Tab. 7. — *) Vgl. hierüber Pembrey, p. 803. — ®) Liebermeister, a. a. O., 8.88. — *) Richet, La chaleur animale, p. 69. Paris 1889. — °) Skand. Arch. f. Physiol. 6, 157, 1895. — °) Ebenda 7, 167, 1897. u ee en ee en ee ee Die Tagesschwankungen der Körpertemperatur. 565 Um diese Frage näher aufzuklären, machte Johansson!) Versuche, wo er zu den verschiedenen Stunden des Tages, 12 Stunden nach der letzten Mahlzeit, bei vorsätzlicher Muskelruhe die CO,-Abgabe und die Körper- temperatur bestimmte. Die folgende Tabelle enthält eine Zusammenstellung seiner Ermittelungen der CO,-Abgabe, die in Reihe I in zweistündigen, in Reihe II in einstündigen Perioden bestimmt wurde. Zum Vergleich ist die C0,- Abgabe bei gewöhnlicher Bettruhe und in nüchternem Zustande angegeben. CO,-Abgabe pro 2 Stunden Zeit Vorsätzliche Muskelruhe On wäbalicha Reihe I Reihe II Bettruhe g g g 12—2 vormittags 21,3 20,1 23,0 2—4 x 20,5 19,7 22,8 4—6 22,1 20,2 21,0 6—8 r 22,4 19,9 24,4 ET RE 22,9 21,8 27,2 10-12", 23,2 21,4 27,2 12—2 nachmittags 23,3 21,0 24,8 2—4 n 20,6 21,3 25,9 4—6 M 22,9 21,1 24,2 6—8 i 22,5 20,7 26,2 810: 5 22,2 20,2 25,4 108; 22,2 20,8 23,6 Das Mittel beträgt in der Reihe I 22,2g, in der Reihe II 20,72g. Im ersten Falle nahm die Versuchsperson eine bequeme sitzende Stellung ein, im zweiten lag sie im Bette. Wie ersichtlich, treten hier nur verhältnismäßig geringe Schwankungen auf, und diese weichen hinsichtlich ihres Verlaufes von den bei der gewöhnlichen Fig. 34. Bettruhe wesentlich ab. Die 1 Schwankungen der CO,-Abgabe, x" wie sie bei der gewöhnlichen ar i . N \ Lebensweise auftreten, kommen ||\ JARrIBS FLY Ä i ; Y hier gar nicht vor. N TIP In Fig. 34 sind die ent- ı-\ AH sprechenden Stundenmittel für ? ö Y die Körpertemperatur in ‚der: WU ETET, Ex m Reihe II (I), sowie bei gewöhn- ne un Tagesschwankungen der Körpertemperatur licher Bettruhe (II) und bei ge- na Tohannson wöhnlicher Lebensweise (III) zu- I. Vorsätzliche Muskelruhe; II. gewöhnliche Bett- e ruhe; III. gewöhnliche Lebensweise. sammengestellt. Wir sehen, daß das Minimum bei allen drei Kurven etwa zu derselben Zeit, um 4 Uhr vor- mittags, erscheint; dasselbe ist auch mit dem Zeitpunkte des Maximums, um 7 Uhr nachmittags, der Fall. Die Kurve I ist aber entschieden flacher als die beiden übrigen Kurven, der Umfang der Schwankungen ist hier nur !) Skand. Arch. f. Physiol. 8, 85, 1898 566 Die Tagesschwankungen der Körpertemperatur. 0,5°C, während er bei gewöhnlicher Lebensweise 1,1 beträgt. Es kann daher nicht verneint werden, daß die Muskeltätigkeit in einem sehr wesent- lichen Grade sowohl die Tagesschwankungen der Verbrennung als die der Körpertemperatur beeinflußt. Indessen sind die letzteren in der Kurve I, wenn auch erheblich be- schränkt, dennoch nicht vollständig aufgehoben, und es läßt sich daher denken, daß beim nüchternen Menschen noch andere Umstände hier beteiligt sind. Demgegenüber möchte ich jedoch bemerken, daß selbst bei der vor- sätzlichen Muskelruhe Schwankungen der Muskeltätigkeit vorkommen (vgl. S.457), und daß am Tage allerlei Einflüsse sich viel stärker geltend machen als während der Nacht, wo alles still ist. Ich glaube also, daß die Tages- schwankungen der Körpertemperatur, wenn der Einfluß der Nahrung und der umgebenden Temperatur ausgeschlossen sind, fast ausschließlich aus Schwan- kungen der Muskeltätigkeit herzuleiten sind. Es ist möglich, daß die Variationen der Körpertemperatur in Johanssons Versuchen zum Teil auch durch entsprechende Schwankungen der umgebenden Temperatur bedingt waren, denn wir finden in der von ihm') mitgeteilten graphi- sehen Darstellung seiner Ergebnisse einen nicht zu verkennenden Parallelismus im Verlaufe der beiden Temperaturen ?). Es gelingt zuweilen, einen hungernden Hund den ganzen Tag hindurch ganz ruhig zu halten, wie dies aus den oben (8.417) angeführten Beobachtungen von Rubner über die stündlichen Variationen der CO,-Abgabe hervorgeht. Bei drei solchen Tieren hat Raudnitz®) von 9 Uhr vormittags bis 6 Uhr nachmittags Temperaturbestimmungen gemacht und die Schwankungsbreite gleich 0,4, 0,55 und 0,12°C gefunden. Bei einem über 24 Stunden ausgedehnten Versuche von Praus- nitz*) war die Schwankungsbreite der Temperatur eines hungernden Hundes nur 0,25 (Maximum 38,30, Minimum 38,05° C). Für die Bedeutung der Muskeltätigkeit für die Tagesschwankungen spricht noch die Tatsache, daß die Größe des Temperaturfalles bei vorsätz- licher Muskelruhe von der Anfangstemperatur in hohem Grade abhängig ist, und daß sich die Körpertemperatur dabei einem bestimmten Minimum nähert, welches bei acht einstündigen Versuchen von Johansson durchschnittlich 36,56% C betrug (Maximum 36,72, Minimum 36,37, mittlere Variation + 0,08°C). Dasselbe geht auch aus späteren Versuchen von v. Wendt) hervor. Nach diesen wird beim nüchternen, vorsätzlich ruhenden Menschen das Minimum nach etwa 1!/, Stunden erreicht; nach Aufnahme von Nahrung, insbesondere von Eiweiß, ist die Sache mehr verwickelt, indem der Temperaturfall lang- samer und unter verschiedenen Schwankungen erfolgt. Wenn die hier vertretene Auffassung richtig ist, so würde man erwarten können, daß bei umgekehrter Lebensweise, wenn die Arbeit während der Nacht geleistet und der Tag zum Schlafen benutzt wird, auch der Verlauf der Tages- schwankungen sich umkehren sollte, und daß also die Temperatur am Tage herabsinken und während der Nacht ansteigen würde. Die am Menschen aus- geführten hierher gehörigen Versuche scheinen indessen dieser NE keine sichere Stütze zu geben. ') Skand. Arch. f. Physiol. 8, 142, 1898. — ?) Vgl. auch Hörmann, Zeitschr. f. Biol. 36, 319, 1898, welcher dieselbe Auffassung wie Johansson vertritt. — ®) Zeitschr. f. Biol. 24, 471, 1888. — *) Ebenda 36, 349, 1898. — °) Finska Läkare- sällskapets Handlingar 47 (2), 615, 1905. en U “ Die Tagesschwankungen der Körpertemperatur. 567 Allerdings gibt Krieger!) an, daß der typische Gang der Tagesschwankungen umkehrbar ist, sobald man am Tage schläft, in der Nacht wacht, ißt, trinkt und arbeitet. Meines Wissens hat er aber seine hierher gehörigen Beobaehtungen nie veröffentlicht. Auch Debzynski?) findet, daß nächtliche, anhaltende Muskel- arbeit das Verhältnis der täglichen Temperaturschwankungen umkehrt und den höchsten Temperaturstand am Morgen (37,8°C), den niedrigsten abends veranlaßt (35,3°C), sowie daß Nachtwachen ohne Muskelarbeit ebenfalls, jedoch in sehr ge- ringem Grade die Morgentemperatur steigert (morgens 37,7, abends 37,5°C). Ferner erwähnt Carter‘), daß ein Ingenieur, der daran gewöhnt war, am Tage zu schlafen und während der Nacht Arbeit zu leisten, eine Morgentemperatur von 37,25 und eine Abendtemperatur von 36,8°C hatte. Endlich teilt Jaeger‘) Beobachtungen an vier Militärbäckern, welche ihre Arbeit während der Nacht ausführten, mit; ihre Temperatur war, solange sie arbeiteten, hoch und sank während der Ruhe- zeit, so daß hier gewissermaßen eine Umkehr der Temperatur stattfand. Als aber einer der Bäcker einen Tag ruhend im Bett zubrachte, verhielt sich sofort seine Temperatur wie bei gewöhnlichen Menschen, ; U. Mosso°) untersuchte an sich selber die Temperaturschwankungen während 4 Tage, während welcher er von 11 Uhr vormittags bis 6 Uhr nachmittags schlief, um 11 Uhr abends frühstückte und um 6 Uhr morgens zu Mittag speiste ; fast die ganze Zeit des Wachens beschäftigte er sich mit Lesen oder Schreiben. Hierbei fand tatsächlich von Tag zu Tag eine Verschiebung des Temperatur- maximums statt, indem dasselbe, welches bei normaler Lebensweise um 4 bis 5 Uhr nachmittags eintraf, am vierten Tage der umgekehrten Lebensweise um 9 Uhr vormittags erschien; die Zeit des Minimums verschob sich gleichzeitig von 6 Uhr vormittags auf 11h 30’ nachmittags. Bei der umgekehrten Lebensweise stieg aber die Körpertemperatur ununterbrochen; während sie normal durchschnittlich 36,67° betrug, war sie am vierten Tage der umgekehrten Lebensweise 37,30°; normal war das Maximum 36,90°, am vierten Tage aber 37,80°; an diesem Tage betrug das Minimum 36,80°, also nur 0,1° weniger als das normale Maximum. Das zu ungewöhnlieher Zeit auftretende Maximum stellt daher gewissermaßen eine Superposition auf die normale Temperaturkurve dar; bei Mossos Versuchen wurde also keine wirkliche Umkehr der Temperaturkurve erzielt. Nach der schon erwähnten Methode machten Benedict und Snell‘) Ver- suche an einem jungen Manne, der 10 Nächte lang am Respirationskalorimeter von Atwater beschäftigt war. Die Arbeit dauerte zwischen 6h 30’ nachmittags und 7h 30’ vormittags; diese Zeit umfaßten auch die Temperaturmessungen; das Mittag- essen wurde um 1h30’ vormittags genossen. In den an dieser Person erhaltenen Temperaturkurven läßt sich keine Neigung zu einer stufenweisen Veränderung des allgemeinen Verlaufes der Kurve erkennen. Vielmehr tritt in der ersten Nacht- hälfte das Fallen, am Morgen das Steigen deutlich hervor. Während der unmittelbar auf die letzte Arbeitsnacht folgenden 12 Ruhestunden wurde die Temperaturmessung noch fortgesetzt. Vergleicht man die gewöhnliche Ruhekurve mit der der letzten 24 Stunden der umgekehrten Lebensweise, so findet man allerdings eine auffallende Verschiedenheit, aber keine Umkehrung des Verlaufes (Fig. 35 a.f.S.). Selbst bei einem Manne, der 8 Jahre lang seine Arbeit während der Nacht verrichtete und am Tage zwischen 12 bis 5 Uhr nachmittags schlief, stellte sich in der Temperaturkurve, deren ganzer Verlauf übrigens sehr eigentümlich war, am Abend die Neigung zum Fallen und am Morgen zum Steigen dar (Benedict’). Dureh diese Erfahrungen würde man betreffend den Einfluß der Muskel- leistungen auf die Tagesschwankungen der Körpertemperatur zweifelhaft werden, wenn nicht selbst gegen diese Versuche eine übrigens von den Autoren selber hervorgehobene Bemerkung gemacht werden könnte. Während des Versuches mit !) Zeitschr. f. Biol. 5, 479, 1869. — ?) Medycina 1875, No. 8; zit. nach Jahresber. f. d. ges. Medizin 1875 (1), 8. 248. — °) Journ. of nerv. and ment. diseases 17, 785, 1890; zit. nach Pembrey, p. 802. — *) Deutsch. Arch. f. klin Med. 29, 527, 1881. — °) Arch. ital. de biol. 8, 177, 1887. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 90, 33, 1902. — 7) Amer. Journ. of Physiol. 11, 145, 1904. 568 Körpertemperatur und Muskelarbeit. umgekehrter Lebensweise schlief die Versuchsperson beträchtlich kürzere Zeit, als sie sonst gewöhnt war; infolgedessen liegt auch hier keine vollständige Um- kehrung der Lebensweise vor. Übrigens lehrt uns doch die Erfahrung, daß der Mensch, der nun einmal daran gewöhnt ist, am Tage zu arbeiten und während der Nacht zu schlafen, nicht leieht es vermag, am Tage zu schlafen, auch wenn die Naeht mit strenger Arbeit zugebracht ist. Besonders in den Städten fehlt am Tage die Stille, die während der Nacht in einem so hohen Grade zum ruhigen Schlafe beiträgt; auch das Licht läßt Fig. 35. sich nicht in derselben Weise wie N onuldaasoreommuatll,,4,5o, Während der Nacht ausschließen, wie ST III MEIN TANET LA es auch für viele, vielleicht die 37ıl Say An rr PIE IN meisten Menschen, schwer ist, gut 36,9 a | ' einzuschlafen, wenn die gewöhn- = \ A MEERE liche Zeit zum Schlafengehen sehon 36,3 DM | | vorbei ist. Durch Versuche am Menschen n.M. vM. _E _ dürfte also die vorliegende Frage PM BGH 2: 0° MeSE ak © MORAL S SB. 7 4 7 noch nicht als entschieden erachtet En "N 7 \ 5 und werden können. Wir besitzen aber = N NE Beobachtungen an Tieren, die, wie 36,7 I es scheint, mit großer Deutlichkeit Tagesschwankungen der Körpertemperatur. den Einfluß der körperlichen Tätig- Nach Benedict und Snell. keit auf die Tagesschwankungen der Die obere Kurve: gewöhnliche Ruhekurve; dieuntere Temperatur erweisen. Kurve: am zehnten Tage bei umgekehrter Lebensweise, Beim Affen verhält sich die Körpertemperatur unter normalen Verhältnissen ganz wie beim Menschen, nur mit der Ausnahme, daß die Schwankungs- breite hier etwas größer ist. Galbraith und Simpson!) stellten nun Versuche in der Weise an, daß die Tiere am Tage im Dunkeln und während der Nacht im Licht gehalten wurden: Hierbei trat eine Umkehr der Temperaturkurve sehr schön hervor. Wenn die Tiere die ganze Versuchszeit im Dunkel gehalten wurden, so verschwand die typische Form, und die Kurve zeigte nur zufällige, unregelmäßige Variationen. Ganz dasselbe war der Fall, wenn die Tiere bei ununterbrochener Beleuchtung gehalten wurden. Bemerkenswert ist auch die Beobachtung der ge- nannten Autoren’), daß die Tagesschwankungen der Körpertemperatur bei den Nachtvögeln den inversen Typus darbieten. Daß die Körpertemperatur durch eine stärkere Muskelarbeit in die Höhe getrieben wird, steht durch die Arbeiten von Davy°), Jürgensen‘), Lieber- meister), Obernier‘), Bouvier’), Pembrey und Nicol®), Woodhead?), Benedict und Snell!‘) u. a. außer jedem Zweifel. Beispielsweise sei an- geführt, daß eine der Versuchspersonen von Jürgensen nach vierstündigem Holzsägen eine Steigerung der Körpertemperatur um 1,10°C darbot. Eine Berg- besteigung von 1% 44’ Dauer bewirkte bei Liebermeister einen Temperatur- anstieg von 1,45°C. Benedict und Snell ließen ihre Versuchsperson während 8 Stunden eine Arbeit von etwa 222000 kgm leisten. Die Arbeit war auf vier Perioden von je 2 Stunden verteilt. Ihre Wirkung äußerte sich in einer | sehr rapiden Zunahme der Körpertemperatur, die dann, solange die Arbeit dauerte, auf einem fast konstanten Niveau blieb. Pro zweistündige Arbeit betrug die Steigerung bis zu 0,72°C. !) Journ. of Physiol. 30, proceedings 20, 1903. — ?) Ebenda 33, 225, 1905. — °) Davy, Researches 1863, p. 9, 16, 47. — *) Jürgensen, a. a. O., 8. 46. — °) Liebermeister, a. a. O., 8. 81. — °) 8. Pembrey, p. 807. — 7) Arch. 2. d. ges. Physiol. 2, 386, 1869. — °) Journ. of Physiol. 23, 386, 1898; Guys hospital Reports 57, 283. — °) Journ. of Physiol. 23, proceedings 15, 1899. — !°) Arch. f. d. ges. Physiol. 90, 46, 1902. Körpertemperatur und Nahrungsaufnahme. 569 Auf der anderen Seite sinkt die Körpertemperatur während des Schlafes!), was wohl vor allem mit der größeren Muskelruhe in Zusammenhang gebracht werden muß, denn die Temperatur sinkt nicht tiefer im Schlafe, als wenn die Versuchsperson zu derselben Zeit des Tages in wachem Zustande ganz still liegt. Nach Davy?) würde auch die geistige Arbeit die Körpertemperatur erhöhen. Desgleichen gibt Gley°) an, daß seine Temperatur bei stillem Lesen um etwa 0,16°C ansteigen konnte. Auch Rumpf) findet, daß durch angestrengte geistige Arbeit die Temperatur etwas erhöht wird. Albutt5) konnte aber bei geistiger Arbeit keine Temperatursteigerung beobachten, und es liegt alle Wahrscheinlichkeit in der Folgerung Specks$6), daß, wenn bei geistiger Arbeit eine Steigerung des Stoffwechsels (und der Temperatur) erscheint, diese auf einer gleichzeitigen Muskeltätigkeit beruht, wie es ja eine allgemeine Erfahrung ist, daß bei stark gespannter Aufmerksamkeit unwill- kürliche Muskelbewegungen leicht auftreten. Über die Einwirkung der Nahrungsaufnahme liegen Beobachtungen von Davy’), Lichtenfels undFröhlich®), Jürgensen®), Ringer und Stuart!P), Liebermeister!!), Pembrey und Nicol!2), Benedict und Snell!3) u. a. 1) vor. Aus denselben folgt, daß die Nahrungsaufnahme allerdings eine Tem- peratursteigerung um etwa 0,1 bis 0,4°C verursachen kann, daß aber der Gang der Körpertemperatur in der 24stündigen Periode von dem Zeitpunkte der Nahrungsaufnahme nicht beherrscht wird. Die durchschnittliche Tem- peratur pro 24 Stunden zeigt beim Hungern eine Abnahme, die aber nur von geringem Grade ist). Nach Benedict und Snell besteht die Hauptwirkung des Fastens in einer Verminderung der Schwankungsbreite der Temperatur- kurve. Wurde nach schwerer Arbeit gefastet, so erniedrigte sich die Schwan- kung bei langen Perioden von nahezu stetiger Temperatur auf etwa 0,6°C. An den Fastentagen, nach vorhergegangener schwerer Arbeit sank der Durchschnittswert der Körpertemperatur nahezu um 1°C. Angesichts der durch Muskeltätigkeit stattfindenden chemischen Wärme- regulation (vgl. Stoffwechsel 8.459) ist es nicht leicht, die Einwirkung der Außentemperatur auf die Körpertemperatur rein zum Ausdruck zu bringen. Von vornherein ist es indes selbstredend, daß die Körpertemperatur beim vollständig ruhenden, nüchternen Menschen um so schneller herabsinken muß, je niedriger die Außentemperatur ist. Durch später zu erörternde Beobachtungen ist es ein für allemal fest- gestellt, daß die Körpertemperatur bei den frei lebenden warmblütigen Tieren trotz sehr hoher, bzw. sehr niedriger Außentemperatur dennoch im großen und ganzen unverändert bleibt. Innerhalb gewisser, für verschiedene Tier- ') Vgl. Jürgensen, a.a. O.; Liebermeister, a.a.O., 8.87, 92; U. Mosso, Arch. ital, de biol. 8, 177, 1887. — ?) Davy, Researches 1863, p. 18 (Phil. Transact. 1845). — ?) Richet, La chaleur animale, p. 98. — *) Arch. f. d. ges. Physiol. 33, 601, 1884. — °) Pembrey, p. 808. — °) Arch. f. exper. Pathol. 15, 143, 1881. — 7) J. Davy, Researches 1863, p. 19. — °) Denkschr. d. Akad. d. Wiss. Wien, math.-naturw. Kl. 3 (2), 113, 1852. — °) Jürgensen, a..a.0., 8. 21. — '°) Proc. of the Royal Society 26, 194, 1877. — "') Liebermeister, a. a. O., 8. 88. — 2) Journ. of Physiol. 23, 386, 1898. — '?) Arch. f. d. ges. Physiol. 90, 50, 1902. — ') Vgl. Pembrey, p. 809. — '°) S. aueh Skand. Arch. f. Physiol. 7, 36, 1896. 570 Körpertemperatur und Außentemperatur. arten verschiedener Grenzen übt also die Außentemperatur, wenn die chemische Wärmeregulation nicht absichtlich gestört wird, nur einen verhältnismäßig geringen Einfluß auf die Körpertemperatur aus, und es wird sich hier also nur um Veränderungen ziemlich geringen Umfanges handeln. Über die dauernde Einwirkung verschieden hoher Temperaturen machte Davy!) während einer Reise von England nach Ceylon Beobachtungen an vielen gesunden Individuen. Durchschnittlich betrug die in der Mundhöhle gemessene Temperatur bei 15,6°C: 36,9, bei 25,6: 37,2°, bei 26,7: 37,60°). Reynard und Blosville®) fanden bei 26 bis 30° die Temperatur bei acht Männern gleieh 37,58, bei 12 bis 17° aber nur 37,11°. Rattray*) hatte am Äquator (28,9°C) in. der Mundhöhle eine Temperatur von 37,25, in England (18,3°C) eine von 36,8%. Bei acht Individuen beobachtete Brown-Sequard’) eine Temperaturzunahme um 1,35°C, wenn die Außentemperatur von 8 auf 29,5°C anstieg. Dagegen beobachtete Crombie‘) in Bengalen nur eine Steigerung um 0,23°C und fügt außerdem hinzu, daß die Differenz der Temperatur im gemäßigten Klima gegenüber bei längerem Aufenthalt noch mehr abnahm. Neuhauss’) fand die um 6 Uhr morgens gemessene Rectaltemperatur im gemäßigten Klima, bei einer Außentemperatur von 8 bis 18°, durehschnittlieh gleich 36,65, in den Tropen, bei einer Außentemperatur von 22 bis 31°, durchschnittlich 36,9 C. Endlich geben Boileau, Thornley und Furnell?), auf ein sehr umfang- reiches Material gestützt, an, daß die Temperatur des gesunden Europäers in der Axille in den Tropen ganz dieselbe ist wie in England. Boileau spricht sogar den Gedanken aus, daß die Temperatur in den Tropen wegen der starken Wasser- verdunstung etwas geringer als im gemäßigten Klima sei. Auch Eykman’) gibt an, daß die mittlere Temperatur des ruhenden Menschen in den Tropen durchaus nicht höher ist als in der gemäßigten Zone. Aus diesen Erfahrungen dürfte folgen, daß sich die Einwirkung eines warmen Klimas auf verschiedene Individuen etwas verschieden gestaltet, je nachdem die Fähigkeit derselben, gegen die höhere Außentemperatur zu kämpfen, mehr oder weniger ausgebildet ist. Bietet es einem Individuum große Schwierigkeit, durch Veränderungen der Wärmeabgabe sich von der überschüssig gebildeten Wärme zu befreien, so muß selbstverständlich die Körpertemperatur bei einer Außentemperatur ansteigen, die von einem anderen Individuum ganz wohl ertragen wird. Die starken Veränderungen der Wärmeabgabe, die durch verschiedene kalte oder warme Bäder bewirkt werden, üben auf. die Körpertemperatur eine große Wirkung aus. Ich muß indes wegen Mangel an Raum unterlassen, diese Erschei- nungen, welche vor allem aus dem Gesichtspunkte der Hydrotherapie studiert worden sind, hier näher zu besprechen. Unter Bezugnahme auf die Erfahrungen über die durch verschiedene Variablen bewirkten Veränderungen des Stoffwechsels (vgl. Kap. V und VI der Stöffwechselphysiologie) würden die beim nichtfiebernden, warmblütigen Tiere auftretenden Temperaturschwankungen etwa in folgender Weise aufzu- fassen sein. Das Vermögen des Körpers, seine Temperatur zu regulieren, ist verhältnis- mäßig beschränkt, vor allem weil seine Wärmebildung nicht ausschließlich von dem augenblicklichen Bedarf an Wärme bestimmt ist, sondern auch, und zwar in einem sehr wesentlichen Grade, auf den eigenen Leistungen der ‘) J. Davy, Researches 1, 161, 1839. — °) Vgl. auch derselbe, Researches 1863, p. 15, 45, 50 (Phil. Transact. 1845, 1850). — ®) Pembrey, p. 812. — *) Proe. of the Royal Soe. 18, 526, 1870. — °) Journ. de la physiol. 2, 549, 1859. — °) Pem- brey, p. 813. — 7) Arch. f. pathol. Anat. 134, 365, 1893. — °®) Lancet 1873 (2), 23. Aug.; 1878 (1), 413, 554; (2), 110. — °) Arch. f. pathol. Anat. 133, 105, 1893; 140, 125, 1895; vgl. auch Glogner, Ebenda 116, 540, 1889. nl el ua a sn de Die Tagesschwankungen der Körpertemperatur. 57ıl Organe beruht. Wenn die Wärmebildung ausschließlich von dem Wärme- verlust abhängig wäre, so könnte man sich eine wirklich konstante Tem- peratur wenigstens denken. Als einen solchen Zustand könnte man möglicher- weise die vorsätzliche Muskelruhe beim nüchternen Körper auffassen, und in der Tat nähert sich ja die Körpertemperatur hier allmählich einem ziemlich bestimmten Punkte. Sobald aber eine regere Tätigkeit im Körper entsteht — Verdauung, Muskelleistung — so steigt die Wärmebildung augenblicklich an; die Wärmeabgabe kann dieser vermehrten Wärmebildung nicht sogleich folgen: es muß also die Körpertemperatur zunehmen. Je intensiver die Arbeit ist, um so mehr steigt ceteris paribus die Temperatur an, obgleich die gleichzeitig stattfindende verstärkte Wärmeabgabe die Steigerung doch inner- halb mäßiger Grenzen hält. Wenn sich der Tag zu Ende neigt und die Muskelbewegungen usw. allmählich kleineren Umfanges werden, beginnt auch die Körpertemperatur herabzusinken, bis endlich das Minimum im Laufe der Nacht erreicht wird. Aus seinen Erfahrungen über die Körpertemperatur und deren Varia- tionen abstrahierte Jürgensen ein allgemeines Gesetz, welches nach ihm den ganzen Komplex der Erscheinungen beherrscht. Beim gesunden Menschen ist unter allen Umständen das Bestreben vorherrschend, ein bestimmtes Tagesmittel der Temperatur zu erreichen, welches sich mit geringfügigen Schwankungen um 37,2°C bewegt. Um dieses Mittel zu erreichen, finden Kompensationen statt. Diese können sich über kürzere oder längere Zeit erstrecken, und zwar ist die Regel, daß sie sich nicht unmittelbar nach einer Abweichung von der Norm in voller Stärke zeigen; auch wird dabei eine bestimmte absolute Zahl nicht überschritten. Den Beweis für dieses Gesetz findet Jürgensen wesentlich in der Er- scheinung, daß an einem und demselben Individuum die Mittelzahlen für eine genügend lange Periode, trotz sehr variierender äußerer Lebensbedin- gungen, eine merkwürdige Konstanz darbieten: Wärmeentnahme oder Wärme- zufuhr, Hunger oder reichliche Kost, Arbeit oder Ruhe verändern in dieser Beziehung nichts, immer kommt bei einer genügend langen Dauer der Be- obachtung (2 bis 9 Tage) dieselbe Mittelzahl heraus. Jürgensen machte keinen Versuch, das Kompensationsgesetz näher zu erklären, und, soviel ich ihn verstehe, scheint er an eine nicht näher zu definierende Tätigkeit des Körpers zu denken. Meinerseits stelle ich mir vor, daß sich die Erscheinung aus dem, was wir schon betreffend der Wärme- ökonomie des Körpers kennen, ziemlich befriedigend erklären läßt. Wir wissen, wie eine Abkühlung des Körpers, wenn sie nicht zu weit getrieben wird, eine vermehrte Wärmeproduktion hervorruft, wodurch der Abkühlung Widerstand geleistet wird. Diese vermehrte Wärmebildung ist indessen nicht so genau abgepaßt, daß nicht ein Überschuß an Wärme unter Umständen erzeugt wird, infolgedessen die Temperatur etwas ansteigen muß. Der weiteren Steigerung wird durch die jetzt eintretende Gegenregulation wieder entgegengewirkt. Nach einer starken Muskelarbeit ist, wegen der Er- müdung usw., die Muskelspannung geringer als gewöhnlich beim ruhenden Menschen: die Wärmebildung ist somit geringer und die Körpertemperatur sinkt leichter als sonst auf das Minimum. In derselben Weise können wahr- scheinlich sämtliche Kompensationen aus schon bekannten und sicher fest- 572 Die Körpertemperatur in verschiedenem Alter. gestellten physiologischen Tatsachen eine befriedigende Deutung finden, ohne daß wir zur Annahme eines dunkeln Strebens des Körpers, ein bestimmtes Tagesmittel zu erreichen, gezwungen wären !). Die Variationen der Körpertemperatur in verschiedenem Alter sind im großen und ganzen nur wenig erheblich. Da der Fötus einen gewissen, wenn auch geringen Stoffwechsel hat, muß seine Körpertemperatur etwas höher als die der Mutter sein, was auch durch direkte Beobachtungen erwiesen worden ist. In der Regel beträgt die Differenz indes nur etwa 0,2 bis 0,3°C, obgleich auch viel größere Difte- renzen beobachtet worden sind ?). Unmittelbar nach der Geburt beträgt die Temperatur durchschnittlich nach Bärensprung?) 37,8, nach Schäfer.*) 37,6, nach Eröss) 37,6, nach Sommer ®) 37,7, nach Förster”) 37,6, Fig. 36. nach Wurster) 37,4 und nach Feh- I SE WW W V W VI VI RTage verändert, ist aus Fig. 36 ersichtlich, wo die von Bärensprung (B), Förster ” ling?) 38,10C. Kl: IS Sofort nach der Geburt erfährt die SEE ya = Temperatur teils durch die Abkühlung 3 LE u im Bade, teils, und zwar hauptsächlich, 8 NS FE u —- durch die Veränderungen der Wärme- 3 / ! _R > — SF bildung und -abgabe einen Abfall von TON IE | ZT durchschnittlich etwa 0,6 bis zu 1,90C, r ! $ > — wonach sie wieder anfängt zu steigen. BEIN Wie sich die Körpertemperatur dabei 4 I rm] per 7 (F), Eröss (E), Sommer (S) und Jun- 3o,0LEh dell10) (J) ermittelten Werte übersicht- lich zusammengestellt sind. Zu bemerken ist, daß Försters Messungen in der Die Körpertemperatur während der ersten Axille, die übrigen im Rectum aus- Lebenstage nach Jundell. Vgl. den Text. geführt sind. Aus den Kurven ist ohne weiteres ersichtlich, daß die Körpertemperatur nach dem starken Abfallen bald wieder die Höhe von durchschnittlich etwa 37°C erreicht. Angesichts der normalen Tagesschwankungen der Körpertemperatur lassen sich einigermaßen befriedigende Aufschlüsse über die Temperatur in verschiedenem Alter nur durch konsequent durchgeführte Messungen zu ver- schiedenen Stunden des Tages erhalten. Solche Messungen hat Jundell!!) >» Soo0oO m u © Si ») Vgl. Jundell, Jahrb. f. Kinderheilk., N. F., 59, 608, 1904. — ?) 8. Preyer, Die spezielle Physiologie des Embryo, Leipzig 1885, 8. 362. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1851, 8. 138. — *) Vgl. Preyer, a.a.0., 8. 369£. — °) Jahrb. f. Kinder- heilk., N.F., 24, 189, 1886. — °) Deutsche med. Wochenschrift 1880, 8. 569, 586, 595, 605, zit. nach Jundell. — 7°) Journ. f. Kinderkrankh. 39 (1862), zit. nach Jundell. — °) Berl. klin. Wochenschr. 1869, 8. 393. — °) Arch. f. Gynäko- logie 6, 385, 1874; vgl. auch Vierordt, Physiologie des Kindesalters in Gerhardts Handb. d. Kinderkrankh., Tübingen 1881, 8. 379. — !) A.a. O., 8.523. — lı) A. a. O., 8. 614; vgl. Bärensprung, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1851, 8.153; Ringer und Stuart, Proceed. of the Royal Society 26, 194, 1877; Pem- brey, p. 804. Die Körpertemperatur in verschiedenem Alter. 573 an Menschen von 5 Tagen bis 22 Jahren neuerdings veröffentlicht. Seine Resultate sind folgende. Alter Mittlere Temperatur b bis 8 Tage: Serena, 36,82 & Dis 5 Wochen. aa nn. 37,183 3'Mohate . 7. or a 37,12 6 Monate : "FETTE EEE NN, 37,15 2 Dis 5 Jahre 36,92 18 bis-22 Jahre FE 36,85 Wie ersichtlich, sind die Variationen nur sehr klein, und die maximale Differenz beträgt nur 0,33°C. Im hohen Alter würde, nach mehreren Autoren !), die Körpertemperatur . (Rectum) ein klein wenig ansteigen, was aber von anderen, unter der Be- merkung, daß kein Unterschied vorliegt, oder daß die Temperatur sogar niedriger ist, in Abrede gestellt wird. So gibt z. B. Chelmonski, der die Temperatur an 54 Greisen zwischen 71 bis 98 Jahr alt untersuchte, an, daß dieselbe in der Axille am Morgen durchschnittlich 36,3, am Abend 36,11°C betrug; an 15 Greisen desselben Alters war die Rectaltemperatur durch- schnittlich am Morgen 36,58, am Abend 36,65°C. Auch Charcot findet, daß die Rectaltemperatur bei alten Individuen etwa gleich groß wie bei jün- geren ist, bemerkt aber, daß die Temperatur der Axille um 1°C und mehr niedriger als diese sein kann, sowie daß sie sich durch eine sehr große Beweglichkeit auszeichnet. Die ausführlichsten Beobachtungen über die normalen Tagesschwankungen bei Menschen in verschiedenem Alter verdanken wir Jundell?2). Seine Re- sultate, denen mehr als 3000 Einzelbeobachtungen zugrunde liegen, sind. in Fig. 37 bis 41 (a.f. S.) graphisch dargestellt. Die Kurven stellen Durchschnitts- zahlen dar, und in denselben sind also alle als zufällig zu betrachtenden Varia- tionen ausgeglichen. Bei Säuglingen während des 5. bis 8. Lebenstages (Fig. 37) begegnen wir nur ganz geringfügigen Variationen, und wir haben hier noch keine Andeutung von dem normalen Verlauf der Tagesschwankungen. Nicht ohne Grund bemerkt Jundell im Anschluß hierzu, daß dieses Resultat eine kräftige Stütze der Auffassung erteilt, nach welcher die normalen Tages- schwankungen vor allem durch die Variationen der Muskeltätigkeit verursacht sind, denn gerade beim neugeborenen Kinde bietet weder die psychische noch die körperliche Tätigkeit den ganzen Tag hindurch irgend welche erhebliche Schwankungen dar. Schon bei Kindern im Alter von 4 bis 5 Wochen (Fig. 38), bzw. 2 Mo- naten (Fig. 39) stellen sich die betreffenden Variationen der Körpertemperatur typisch dar; sie werden bei 6monatigen (Fig. 40) und 2- bis 5jährigen Kindern (Fig. 41) noch accentuierter und verhalten sich bei denselben ganz wie bei dem erwachsenen Menschen. !) Vgl. Davy, Researches 1863, p.4; Bärensprung, a.a.0., 8.154; Char- cot, Gazette hebd. d. med. 1869, p. 324; Pembrey, p.805; Chelmonski, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 61, 206, 1898. — ?) Jahrb. f. Kinderheilk., N.F., 69, 521, 1904; über die von Jundell benutzte Methode vgl. das Original. 574 Die Körpertemperatur in verschiedenem Alter. Um dieses Verhalten zahlenmäßig ausdrücken zu können, hat Jundell nach dem Vorgange Jürgensens die mittlere Tages- und die mittlere Nacht- temperatur berechnet. Da indessen eine derartige Trennung doch ziemlich Fig. 37. = —— I PT. I > u I N L— 12-1 2-3 4-5 6-7 8-9 10-11 13-1 2-3 4-5 6-7 8-9 10-11 v.M. D, Fig. 38. 3 9 KT 1 N N 04 36,8 12-1 2-3 4-5 6-7 8-9 10-11 19-1 2-8 4-5 6-7 8-9 10-11 v.M. n. M. Fig. 39. 4 ; A : 1 el] | 1 Fed) N 37,0 A & Nr 36,8 R 2-1 2-3 4-5 6-7 8-9 10-1 91 2-8 4-5 6-7 8-9 vu v.M. n.M. Fig. 40. 4 x LT 1 / \ 37,0 / RT E “ B 8 N 7 N 36,6 12-1 2-3 4-5 6-7 8-9 10-11 19-1 2-8 4-5 6-7 8-9 0-11 v.M. n. M. Fig. 41. ; = 2 IT” \ 3 \ N 37,0 / \ i \ 1 n 6 Pa IR 4 36,3 == 3 B-1 3-3 4-5 6-7 8-9 W-11 18-1 2-8 4-5 6-7 8-9 ll v.M. n.M Tagesschwankungen der Körpertemperatur bei Kindern von verschiedenem Alter, nach Jundell. Fig. 37, 5. bis 8. Lebenstag. Fig.38, 1. Monat. Fig.39, Ende des 2. und Anfang des 3. Monats. Fig. 40, 6. Monat. Fig. 41, 2. bis 5. Lebensjahr. willkürlich ist, scheint es mir einfacher, die Schwankungs- breite aus der Differenz zwischen Maximum und Mini- mum der 24 stündigen Periode herzuleiten. In dieser Weise berechnet, ergeben Jundells Beobachtungen folgendes (8. Tabelle auf folgender Seite). Wenn der Körper einer zu starken Abkühlung oder Erwärmung ausgesetzt wird, so vermag er nicht mehr seine Eigentemperatur zu regu- lieren, und dieselbe sinkt und steigt dann mit der Außen- temperatur. Je mehr sich die Körpertemperatur unter solchen Umständen von der normalen entfernt, um so größer werden auch die Stö- . rungen der Körperfunktionen. Über die bei Abkühlung des Kaninchens erscheinenden Ver- änderungen hat Winternitz') folgende Erfahrungen mitgeteilt. Eine Abkühlung des Tier- körpers auf rund 34 bis 31°C wirkt schädigend auf wärme- regulatorische Zentren des Groß- hirns, denn die Zitterbewegung tritt selbst auf forcierte Ab- kühlung nicht mehr regelmäßig ein, und .die Fähigkeit des Tier- körpers, unter den bestehenden Verhältnissen bzw. bei mäßiger Erhöhung der Außentemperatur die Eigentemperatur wenig- stens vorübergehend zu steigern, schwindet; weiter auf einzelne Teile des Kopfmarkes, denn die Atemfrequenz sinkt sehr be- trächtlich ab. Eine Abkühlung auf "31 bis 29°C beeinflußt weiter vor- wiegend bestimmte Verriehtungen des Großhirns und des Kopfmarkes. Das Tier zeigt bedeutende Neigung zum Einschlafen, die auf bewußte Empfindung zu beziehende Reaktion auf pathische Reize ist schwächer oder bleibt aus, der !) Arch. f. exp. Path. 33, 286, 1894. EEE WERDFLEEN OEREE .. em - Die Körpertemperatur bei starker Abkühlung. 575 Maximum Minimum Schwankungsbreite DB: bis" 8. Tags ern 36,96 86,71 0,25 4. bis 5..Woche . .. . 837,29 36,89 0,40 2. bis 3. Monat . .... 37,37 36,81 0,56 8:Mönateinys Ars 37,41 36,60 0,81 2: bie 8 Jahr... ..-. ag 37,48 36,36 1,12 18.518722. Jahr. „1. 37,36 36,25 1711 Pupillarreflex auf starken Lichtreiz ist kaum mehr vorhanden, die Pupille verbleibt in mittelweiter Ausdehnung; starke Geräusche schrecken das Tier nicht regel- mäßig auf. Bei einer ferneren Abkühlung auf rund 29 bis 26°C wurden unter Zunahme der erwähnten Störungen die übrigen cerebralen Funktionen und auch solche des Rückenmarkes in Mitleidenschaft gezogen. Das Tier läßt sich leicht hypnotisieren, man kann es mit sanfter Hantierung in eine ungewohnte Stellung bringen, worauf es dieselbe eine geraume Weile beibehält. Es zeigt schon Störungen der Koordi- nation usw. Bei Abkühlung auf 26 bis 22°C nehmen diese Störungen erheblich zu; jetzt ist auch das Vasomotorenzentrum deutlich mitbetroffen. Das Tier liegt soporös auf der Seite, versucht sich manchmal, besonders auf äußere mechanische Reize hin, aufzurichten, wobei jedoch die eine oder die andere Extremität nachgeschleppt wird. Schwächere Hautreize werden weder durch reflektorische Zuckung noch durch Atmungsveränderung beantwortet. Der Blutdruck beginnt zu sinken. Abkühlung auf 22 bis 19°C bewirkt terminale Lähmung der lebenswichtigen Zentren des Kopfmarkes. Das noch schwerer soporöse Tier führt nur einzelne unvermittelte Bewegungen aus, zeitweilig treten kurzdauernde krampfartige Be- wegungen auf. Bei tiefem Einstich erscheinen ausgebreitete Reflexe, jedoch nur schwach und nicht mehr regelmäßig, und auch diese hören allmählich auf. Der Cornealreflex erlischt vollständig, die Atmung hört auf, der Blutdruck sinkt völlig ab, das Herz führt jedoch auch jetzt noch auf kurze Zeit Bewegungen aus!'). Bei der Abkühlung leiden also zuerst die höchsten nervösen Zentren, und nur bei fortgeschrittener Abkühlung werden auch die für die Erhaltung des Lebens wichtigsten Zentren des Kopfmarkes gelähmt. Beim Affen (Macacus rhoesus) hat Simpson 2) Wiederbelebungsversuche nach starker Abkühlung gemacht. Bei einer Körpertemperatur von 14°C betrug die Atmungsfrequenz nur 2 pro Minute; Herzschlag nicht mehr pal- pabel. Dann wurde die Abkühlung ausgesetzt und das Tier in eine Um- gebung von 42°C gebracht. Binnen 5 Stunden stieg die Temperatur auf 37,7°C an, und das Tier erholte sich vollständig. Zu bemerken ist, daß schon bei einer Körpertemperatur von 25 bis 23°C eine Art von künstlichem Winterschlaf erschien, bei welchem das Tier blieb und aus welchem es. nur durch künstliche Mittel geweckt werden ‚konnte. Entsprechend den Erfahrungen an Tieren hat man bei Menschen, deren Körpertemperatur wegen starker Wärmeentziehung erheblich gesunken war, vor allem Störungen der höchsten nervösen Zentren. beobachtet. Die be- treffenden Individuen waren bewußtlos, kamen aber in mehreren Fällen bei zweckmäßiger Behandlung wieder zum Bewußtsein und genasen. Die niedrig- sten Körpertemperaturen, bei welchen noch eine Genesung eingetreten ist, ı) Ygl. auch,Knoll, Arch, f. exp. Pathol. 36, 305; daselbst Übersicht der früheren einschlägigen Arbeiten. — ?) Journ. of Physiol. 28, proceedings 37, 1902; vgl. auch ebenda 32, 305, 1905. 576 Maximale Körpertemperaturen. sind 22,5° (Janssen!), 24° (Reincke?) bzw. 24,7°C (Nicolaysen’?); jedoch tritt der Tod nicht selten schon bei einer etwas höheren Körper- temperatur ein ®). Die Störungen, welche bei Erhöhung der Körpertemperatur erscheinen, sind vor allem im Zusammenhang mit der Fieberlehre studiert worden. Eine Darstellung derselben würde, wenn sie die zu erfüllenden Ansprüche einiger- maßen befriedigen sollte, gar zu viel Raum beanspruchen, weshalb ich auf eine solche hier ganz verzichte. Nur betreffend die obere mit dem Leben noch vereinbare Grenze der Körpertemperatur will ich, nach Richet), einige Angaben hier zusammenstellen und bemerke, daß sich diese ausschließlich auf Individuen beziehen, die später genasen: Gehirnsyphilis (?) 43,6° (Paget); Hystero-Epilepsie 43° (Mierzejewski); Typhoidfieber 42° (Al- varenga, Thoma); Scharlach 43,6° (Vicente und Bloch); Pyämie 42,20 (Weber); Erysipelas 42° (Hirz); Malaria 43,3° (Mader); akuter Rheuma- tismus 43,90 (Clinical Society, London), 43,50 (Ord und Ankle). Es finden sich in der Literatur noch mehrere Angaben über eine noch höhere Körpertemperatur, 50 bis 60 bis 70° und mehr, trotz welcher die Kranken sogar genesen sind. Diese Angaben sind unzweifelhaft falsch, und in den meisten Fällen auf Betrug der Patienten zurückzuführen. Zeigen ja Versuche an’ Säugetieren, daß eine Körpertemperatur von etwa 45°C ihnen tödlich ist, sowie daß das Tem- peraturmaximum bei Vögeln höchstens 51 bis 52°C beträgt‘°). Die obere Grenze dürfte wohl vor allem von der Temperatur abhängen, bei welcher eine beginnende Gerinnung der Eiweißstoffe auftritt. Nach dem Tode sollte eigentlich die Körpertemperatur sogleich anfangen zu sinken. Dies ist indes nicht der Fall: in der Regel behält der tote Körper eine Zeitlang seine Temperatur unverändert bei, bevor das Sinken erscheint, zuweilen kommt es auch vor, daß die Körpertemperatur nach dem Tode sogar ansteigt. Beide Erscheinungen lehren uns, daß mit dem Tode des Gesamtkörpers, d. h. mit dem letzten Atemzuge, die Verbrennung nicht sogleich aufhört, daß also in den einzelnen Organen noch eine Lebenstätigkeit stattfindet. Da gleichzeitig die Zir- kulation und die Schweißabsonderung aufgehört haben, wird die im Inneren des Körpers gebildete Wärme besser als sonst im Körper zurückgehalten werden, was natürlich die Abkühlung des Körpers etwas verschieben muß. Die nach dem Tode erscheinende Steigerung der Temperatur tritt bei den- jenigen Todesarten auf, wo kurz vor dem Tode eine starke Erregung des Nerven- systems stattgefunden hat, also bei infektiösen Fieberkrankheiten, bei Verletzungen des Rückenmarks und des Gehirns usw. In der Tabelle auf nebenstehender Seite oben sind einige hierher gehörige Angaben zusammengestellt. Experimentell haben Huppert’) und Richet°) diese Erscheinung an Kanin- chen verfolgt und dabei in genauer Übereinstimmung mit dem, was man nach den Erfahrungen am Menschen erwarten konnte, gefunden, daß ein Tier, das plötzlich, z. B. durch Zerstörung des Kopfmarkes, getötet wird, oder kurz vorher oder während des Todes lebhafte Bewegungen ausgeführt hat, die postmortale Tem- peratursteigerung aufweist, während die Temperatur eines durch Chloroform getöteten Kaninchens nach dem Tode langsam herabsinkt, wie schon vor dem Tode die Körpertemperatur abnimmt, und zwar kann im letzten Falle das noch lebende !) Deutsches Arch. f. klin. Med. 53, 249, 1894. — *) Ebenda 16, 15, 1875. — ®) Nordiskt Mediecinskt Arkiv 7, No. 19, p. 4, 1875. — *) Vgl. auch Peter, Gaz. hebd. de med. 1872, p. 499. — °) Vgl. Richet, p. 121, wo zahlreiche derartige Angaben zusammengestellt sind. — °) Vgl. Bernard, Lecons sur la’chaleur ani- male. Paris 1876, p. 349; Rosenthal, Zur Kenntnis der Wärmeregulierung bei den warmblütigen Tieren. Erlangen 1872, 8.15. — 7) Arch. d. Heilk. 8, 321. — ®) Richet, La chaleur animale, p. 139. ne Die Körpertemperatur nach dem Tode. . 577 Temperatur °C Zeit Ort der vor nach nach dem Krankheit Temperatur- Autor dem | dem Tode messung Tode | Tode — 1.45,0 1 3%, Bt. Pyämie Linke Kammer | Davy'), 1828 — | 42,2 | 5%, „ || Plötzlicher Tod 5 Davy'), 1828 m DT EEREFN „ Blattern Axille Simon?), 1865 — | 445 _ i u Simon ?), 1865 41,1 | 44,5 — Hitzschlag Pr Levick ?), 1868 44,8 | 45,4 | 57 Min. Tetanus E Wunderlich?°), 1863 43,8 | 42 | 45 „ Tuberkulose - Wunderlich), 1863- Meningitis 43,2 | 43,6 | 15 „ Erysipelas “ Eulenburg‘*), 1865 41,4 | 42,3 | 20 „ “ a Eulenburg‘*), 1865 36,1 | 38,3 in Gehirnsehlag z De Haen’) 41,6 | 48,0 | 30 „ Tetanus 2 Lehmann’), 1868 43,0 | 44,0 | 60 „ Pyämie Recetum Quincke u. Brieger‘), 1879 42,0 | 43,2 | 60 „ Pneumonie z Quincke u. Brieger‘), 1879 411 | 48,3 115 ,, Rückenmarks- Axille Churchill?) verletzung Tier sich schneller abkühlen als der tote Körper nach einem gewaltsamen Tode. Es ist nieht unmöglich, daß hier auch die schnell eintretende Muskelstarre einen gewissen Einfluß ausübt. Zweites Kapitel. Die Topographie der Wärmebildung. In der Physiologie des Stoffwechsels habe ich schon die Wärmebildung im Körper und ihre unter verschiedenen Umständen stattfindenden Variationen besprochen. Es erübrigt, den Anteil der einzelnen Organe dabei etwas ein- gehender zu besprechen. Hierbei werde ich in erster Linie die Wärmebildung bei vollständiger körperlicher Ruhe und in nüchternem Zustande berück- sichtigen. Diese beträgt bei einem Menschen von 70kg Körpergewicht etwa 1680 Kal. Über die Wärmebildung bei der Herztätigkeit haben unter anderen Zuntz wie Loewy und v.Schrötter’) Berechnungen gemacht. Die letzteren nehmen an, daß bei körperlicher Ruhe das Minutenvolumen des menschlichen Herzens 3,85 Liter und der mittlere Blutdruck 100mm Hg betragen, und !) Davy, Researches 1839, I, 228. Der erste Autor, der die Temperatur- steigerung post mortem nachgewiesen hat, ist Busch (1819, zit. nach Richet, p. 112). — ?) Nach Pembrey, p. 867. — °) Liebermeister, a. a. O., 8. 70. — 4) Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1865, S. 65. — °) Jahrb. d. ges. Medizin 139, 241, 1868. — °) Deutsch. Arch: f. klin. Med. 24, 284, 1879; vgl. auch Richet, La chaleur animale, Paris 1889, p. 135, und die daselbst zitierte Arbeit von Niederkorn, De la rigidit6 cadaverique de ’homme. These, Paris 1872. — 7) Zeitschr. f. exper. Pathol. 1, 108, 1905. Nagel, Physiologie des Menschen, I 37 57 . Die Topographie der Wärmebildung. finden dann die Arbeit des ganzen Herzens gleich 7,11 kgm pro Minute, d.h. etwa 10000 kgm pro 24 Stunden. Wenn die Ausnutzung der Energie bei der Herztätigkeit auf ein Drittel veranschlagt wird, so würde dies etwa 70 Kal. entsprechen. Die genannten Autoren nehmen ferner an, daß die Atemgröße pro Mi- nute beim ruhenden Menschen 4,5 Liter beträgt, und daß pro Liter auf- genommene Luft 5 ccm Sauerstoff verbraucht werden!). Dann würde die zur Atmungsarbeit verwendete Sauerstoffmenge pro Minute 22,5ccm und pro 24 Stunden 32,4 Liter betragen, was etwa 150 Kal. entspricht. Die Herz- und Atmungsarbeit würde beim ruhenden Menschen insgesamt 220 Kal. ausmachen und also nur etwas mehr als ein Achtel der gesamten Wärmebildung decken können. Unter den drüsigen Organen können beim Hunger allein die Leber und die Nieren eine erwähnenswerte Bedeutung haben, denn die Leistungen der sonstigen Drüsen sind, wie es aus der geringen Kotbildung beim Hunger hervorgeht, nur ganz unbedeutend, und dasselbe dürfte wohl auch für die Bewegungen des Verdauungsrohres gelten. Die Leber hat aber nicht ihre alleinige Anfgabe als ein Verdauungs- organ. Auch beim Hunger muß eine rege Tätigkeit und also eine nicht ge- ringe Wärmebildung in ihr stattfinden. Über die Menge der in der Leber gebildeten Wärme wissen wir allerdings nichts, daß aber Wärme dort entsteht, geht durch die Messungen von Claude Bernard?) bestimmt hervor, nach welchen das Pfortaderblut beim Hunde immer um 0,2 bis 0,4°C kälter war als das Blut der Lebervene. Wenn wir bedenken, eine wie große Blutmenge durch die Leber strömt, müssen wir die Bedeutung dieser Drüse für die Wärmebildung im Körper ziemlich hoch veranschlagen. Nehmen wir an, daß die Leber eines erwachsenen Menschen 1,5kg wiegt, daß sie pro Minute nur 100 Proz. ihres Gewichtes an Blut bekommt, und daß dieses in ihr nur um 0,2°C erwärmt wird, so würde dies bei 0,85 spezifischer Wärme 368 Kal. betragen. Ich brauche kaum zu bemerken, daß auch dieser Zahl kein größerer Wert beigemessen werden kann. Durch gleichzeitige Messung der Temperatur in der Aorta und im Ureter fand Grijns®), daß der Harn sehr oft wärmer ist als das arterielle Blut; daß dies nicht immer der Fall war, und daß das Blut nicht selten wärmer war als der Harn, spricht nicht gegen die Annahme einer bedeutenden Wärme- bildung in der Niere, denn hier kommt wahrscheinlich die unvermeidliche Abkühlung des Harnes während dessen Strömung vom Nierenbecken bis zu dem Orte, wo das Thermometer eingesetzt war, in Betracht. Die Differenz der Temperatur des Harnes und des Blutes konnte bis zu + 0,4200 steigen. Die beiden Nieren eines erwachsenen Menschen wiegen rund etwa 300g und bekommen pro Minute etwa die gleiche Blutmenge, d. h. pro 24 Stunden 432 Liter*). Wenn diese Blutmenge nur um 0,2°C erwärmt wird, beträgt dies 74 Kal. Die Nieren können also in keinem wesentlicheren Grade bei der- Wärmebildung. beteiligt sein. !) Vgl. Zuntz und Hagemann, Der Stoffwechsel des Pferdes, Berlin 1898, S. 370. — ?) Claude Bernard, Lecons sur la chaleur animale, Paris 1876, p. 190. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1893, 8. 78.— *) Vgl. Tigerstedt u. Landergren, Skand. Arch. f. Physiol. 4, 241, 1892. re ne u il) Del u Zn Zn ln dl a ren Die Wärmebildung in den Muskeln. 579 Wie Berthelot!) nachgewiesen hat, ist die Sauerstoffbindung des Hämo- globins mit einer positiven Wärmetönung verbunden, und zwar beträgt diese pro 32 g Sauerstoff 15,14 Kal., was pro 24 Stunden bei einem Stoffwechsel von 1680 Kal. etwa 240 Kal. ausmacht. Andererseits findet aber durch den Übergang der Kohlensäure in Gasform eine Wärmebindung statt, die nach Berthelot?) pro 44g CO, 5,2 Kal. beträgt. Für 24 Stunden würde dies 72 Kal. entsprechen. Also ein Überschuß von 168 Kal. Diese Wärme wird aber bei der Dissoziation des Oxyhämoglobins in den Geweben wieder ge- bunden und kann also bei der Berechnung der Wärmebildung nicht in Betracht kommen. Verschiedene Tatsachen, über welche in einem anderen Abschnitte dieses Handbuches zu berichten ist, zeigen, daß die graue Substanz im zentralen Nervensystem einen sehr regen Stoffwechsel hat. Indes beträgt das gesamte zentrale Nervensystem nur etwa 2,4 Proz. des Körpers, und da die graue Substanz nur einen Bruchteil der weißen, wo der Stoffwechsel sehr gering ist, darstellt, so kann die. Wärmebildung im Nervensystem für die gesamte Wärme- bildung des Körpers nur eine’ sehr kleine Rolle spielen. Wir erhalten also: Herzarbeit:: 3.28 7.0 20 se: 70 Kal. Atmunrsarbaitr al een 150 ,„ bebertätigkeit‘ wm are, 368 „ Nierentätigkeit . - - x. :-.».. TA Summe 662 Kal. Es bleiben beim ruhenden nüchternen Menschen noch etwa 1000 Kal. zu decken, welche nur durch die Tätigkeit der Skelettmuskeln (mit Ausnahme der Atemmuskeln) entstehen können. Daß die Skelettmuskeln in der Tat als die wichtigste Quelle der Wärme- bildung im Körper aufgefaßt werden müssen, geht aus zahlreichen Erfahrun- gen hervor. Wissen wir ja, daß bei jeder Muskelkontraktion etwa drei Viertel bis zwei Drittel der entwickelten Energie als Wärme erscheint, und daß in vielen Fällen die der mechanischen Leistung entsprechende Energie dem Körper als Wärme zurückerstattet wird. Es läßt sich kaum denken, daß bei scheinbar ruhendem Muskel kein Stoffumsatz stattfinden würde, denn überall, wo kein latentes Leben vorliegt, ist ja das Leben mit einer Verbrennung, d. h. Wärmebildung unauflöslich verbunden. Die Berechtigung dieser Auffassung ist durch die Versuche von Meade Smith?) an Hunden über allen Zweifel erhoben worden. Nach Ab- bindung des N.cruralis bestimmte er die Temperatur des Aortablutes und die der Mm. vastus ext. und prof. teils bei offener Zirkulation, teils nachdem die Blutzufuhr zum Hinterkörper durch Verstopfung der absteigenden Brustaorta unterhalb des Abganges der linken A. axillaris aufgehoben worden war. Im ersten Falle fand er z.B. folgende Zahlen: !) Berthelot, La chaleur animale, 1, 72, Paris 1899. — ?) Derselbe, Ebenda 2, 50. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1884, S. 261. Vgl. auch die entsprechen- den Beobachtungen am Frosehmuskel von Blix, Skand. Arch. f. Physiol. 12, 94, 1901. 37* 580 Die Wärmebildung in den Muskeln. Temperatur : Differenz des Muskels des Blutes 38,38° C 37,97° C + 0,41° C 38,41 38,13 + 0,28 38,74 38,21 + 0,53 38,28 37,90 + 0,38 Bei während 5 Minuten aufgehobener Zirkulation durch den Unterkörper stellte sich folgendes heraus: Temperatur Differenz des Muskels des Blutes am Beginn am Ende am Beginn am Ende am Beginn am Ende 34,63° C 34,64° C 34,59° C 34,50°C + 0,04° C + 0,14°C 39,07 39,11 39,18 39,09 — 0,02 + 0,02 38,21 38,27 38,06 37,95 + 0,15 + 0,32 36,19 36,21 36,10 35,80 + 0,09 + 0,41 39,88 39,96 39,90 39,78 — 0,02 + 0,18 Aus den Zahlen der zwei ersten Spalten finden wir, daß der vom Kreis- lauf ausgeschaltete Muskel während 5 Minuten um 0,01, 0,04, 0,06, 0,02, 0,08, durchschnittlich um 0,04°C erwärmt wurde. Bei einer spezifischen Wärme von 0,85 macht dies pro 1kg Muskel eine minutliche Wärmebildung von 0,0068 Kal., d. h. pro 24 Stunden 9,8 Kal. Beim blutdurchströmten ruhenden Muskel muß aller Wahrscheinlichkeit nach die Wärmeentwickelung noch größer sein. An curaresierten hungernden Hunden, bei welchen bei einer- Außentemperatur von etwa 25°C die künstliche Atmung unterhalten wurde, fand Frank!) im Verein mit F. Voit und v. Gebhard, daß die Kohlensäureabgabe ganz derselben Größe oder nur wenig geringer war als bei denselben Tieren, wenn sie völlig ruhig bei einer Außentemperatur von 17,5°C im Käfig lagen. Wenn der Körper vor Wärmeverlust geschützt wird, so setzt also die Lähmung der Muskeln die Ver- brennung im Körper nicht herab. Auch dies scheint zu bestätigen, daß die an- scheinend ruhenden Muskeln nicht geringe Wärmemengen bilden. "ini: Bei körperlicher Arbeit steigt der Stoffwechsel und die Wärmebildung, wie bekannt, auf das Doppelte und höher an, und diese Zunahme kann nicht aus einer anderen Ursache als gerade der Muskelleistung hergeleitet werden. Wo also der Stoffwechsel beim nüchternen Menschen den Minimalwert von 1 Kal. pro Kilo und Stunde übersteigt, ist der Überschuß ohne weiteres auf die Rechnung der Muskeln zu bringen. Bei Aufnahme von Nahrung kommen noch die Leistungen der Verdauungs- organe (Muskeln und Drüsen), sowie die direkte, ohne Beteiligung von Muskel- tätigkeit stattfindende Einwirkung der resorbierten Nahrungsstoffe auf den Stoffwechsel in Betracht. Die Tätigkeit der Muskeln des Verdauungsrohres ist ohne Zweifel mit einer Wärmetönung verbunden, über deren Größe wir indes nichts wissen. !) Zeitschr. f. Biol. 42, 308, 1901; 43, 117, 1902. a ae a SE A nn U nn 3 Bl 1 a FE nal nd in Zu u nn Die Wärmebildung in den Drüsen. 581 Ludwig und Spieß!) fanden, daß der Submaxillarisspeichel bis zu 1,5°C wärmer war als das Blut, und schlossen daraus auf eine starke Wärme- bildung in der Drüse. Desgleichen beobachtete Bernard), daß bei Reizung der Chorda die Temperatur der Unterkieferdrüse und des aus dieser strömen- den Blutes zunahm. Demgegenüber sind Bayliss und Hill?) zu dem Re- sultate gekommen, daß es mit unseren gegenwärtigen Mitteln nicht möglich ist, bei der genannten Drüse eine Temperatursteigerung nachzuweisen; das entgegengesetzte Resultat der früheren Autoren sei von verschiedenen Fehler- quellen bedingt. Da indessen die Submaxillarisdrüse, wie aus den Erfahrun- gen über ihren Gaswechsel hervorgeht, bei der Tätigkeit einen sehr regen Stoffwechsel hat, so wird hier jedenfalls eine gewisse Wärmemenge gebildet werden müssen, obgleich sie bei der während der Tätigkeit stattfindenden starken Blutströmung nicht thermometrisch nachgewiesen werden kann. Auch wenn fortgesetzte Arbeiten die Richtigkeit der Ludwigschen Resultate be- stätigen würden, so kann doch weder die Unterkieferdrüse, noch die anderen Speicheldrüsen als Quelle der Wärmebildung eine wesentlichere Rolle spielen, da sämtliche Speicheldrüsen bei einem erwachsenen Menschen nur etwa 100g ‚wiegen und also weniger als 0,2 Proz. der Weichteile des Körpers betragen. Drittes Kapitel. Der Wärmeverlust des Körpers ?). Die Wärmeabgabe des Körpers findet auf folgenden Wegen statt: 1. Ermärmung der genossenen Kost und der eingeatmeten Luft; 2. Abgabe von Kohlensäure und Wasserdampf bei der Atmung; 3. Wärmeverlust durch Leitung und Strahlung von der Körperoberfläche; 4. Abgabe von Wasserdampf von der Körperoberfläche. Wesentlich im Anschlusse an Helmholtz’) und Rosenthal®) stellt folgende Tabelle die Verteilung der Wärmeabgabe auf diesen verschiedenen Wegen bei einem erwachsenen, nicht arbeitenden Manne dar: A. Erwärmung der genossenen Kost und der eingeatmeten Luft. 1. Getrunken 1500 g Wasser von 15°C, wird auf 37,5° C erwärzgt; als: um 22,807 34 Kal. 2. Genossen 1500 g Essen von 25°C im Durchschnitt, wird auf 37,5° erwärmt, also um 12,5°; spezifische Ware ER RE ee 16. 3. Eingeatmet 15000 g (= 11500 Liter) Luft von 15°C, wird auf 37,5° erwärmt, also um 22,5°; spezifische Wärme 0,287 ie. u. ee een a Tr RR, 129 Kal. !) Sitzungsber. d. Akad. d. Wiss. Wien, math.-naturw. Kl. 25, 584, 1857; Wien. med. Wochenschr. 1860, Nr. 28 bis 29. — ?) Bernard, Lecons sur la chaleur animale, Paris 1876, p. 179; vgl. auch Morat, Arch. de physiol. 1893, p. 285. — ®) Journ. of Physiol. 16, 350, 1894. — *) Vgl. Rubner, Die Gesetze des Energie- verbrauchs bei der Ernährung, Leipzig und Wien 1902, Kap. XIII und XIV. — 5) Helmholtz, Artikel Wärme im Enzyklop. Wörterb. d. med. Wiss. 35, 561, 1846; Wiss. Abhandl. 2, 720. — °) Rosenthal, 8.375. 582 Der Wärmeverlust des Körpers. B. Abgabe von Wasserdampf und Kohlensäure bei der Atmung. 4. Es wird angenommen, daß die eingeatmete Luft von 15°C zur Hälfte mit Wasserdampf gesättigt ist, und daß die ausgeatmete Luft von 37,5° ganz ge- sättigt ist. Es werden also von den Respirations- wegen etwa 450 g Wasser in Dampfform abgegeben; latente Wärme des Wasserdampfes 0,537 Kal... . 242 Kal. 5. Die Wärmebindung beim Entweichen der Kohlen- säure in den Lungen (800 g); pro 1g 0,118Kal.. . %4 „ 336 Kal. C. 6. Wärmeabgabe durch Leitung, Strahlung und “ Wasserverdunstung von der Haut . . .......1935Kal. 2400 Kal. Unter Annahme eines Gesamtstoffwechsels von 2700 Kal. berechnet Rubner!) die Wärmeabgabe folgendermaßen: 1. Erwärmung der genossenen Kost und des Getränkes auf Körpertemperatur . . - ER 42 Kal. 2. Erwärmung der eingeatmeten "Iraber von 17, 5° auf eine Temperatur von 30°C; Menge 11,6kg. .. . 35 „ 3. Abgabe von Wasserdampf "durch die Lungen und die. Haut: 931 >... 5.00 2 are en OB 4. Wärmeägnivalent der geleitet Bübeten Arbeit . BL-=E 5. Wärmeverlust durch Strahlung. a) Die strahlende Fläche der Kleidung 1,880 qm; Temperatur der Luft 17,5, der Kleidung 22,9; Ausstrahlungs- koeffizient 4,11. Kal. pro 1qm und 1 Stunde; pro 24 Stunden. . . ... . 1001 Kal. b) Die behaarte Haut, 0,06 qm; Scahlune wie bei den Kleidern. . . . 832 , c) Die unbehaarten und unbekieiädien Stellen, 0,12 qm; Temperatur 30° O; Ausstrahlungskoeffizient gleich dein der Kleider; pro 24 Stunden . ... 148 „ 1181;,..4 6. Wärmeverlust durch Leitung von der Körperober- \ Näche: . =: 0 0 000.00 Sauger ge are ae 6 ORT An der Hand seiner kalorimetrischen Messungen am Menschen hat Atwater?) folgende Berechnung entworfen: I. Ruhender Mensch, Mittel aus 14 Versuchen mit insgesamt 49 Tagen. 1. Wärmeabgabe dureh Leitung und Strahlung . . . 1683 Kal. 2. Wärmeabgabe durch Harn und Kot. ...... 31734 3. Wärmeabgabe durch Wasserverdunstung (Lungen und,Haut)e.... N en a BE 5 II. Arbeitender Mensch, Mittel aus 20 Versuchen mit insgesamt 66 Tagen. 1. Wärmeabgabe durch Leitung und Strahlung . . . 3340 Kal. 2. Wärmeabgabe durch Harn und Kot. ...... 26 „ 3. Wärmeabgabe durch Wasserverdunstung (Lungen BRITEN NN ea ie een ne ARTEN 859 „ 4225 Kal. 4. Wärmeäquivalent der geleisteten Arbeit : : ... 451Kal. 4676 Kal. Rubner und Atwater haben die Verteilung des Wasserdampfes auf Lungen und Haut nicht berechnet. Wenn es gestattet wäre, dieselbe nach !) Arch. f. Hygiene 27, 69, 1896. — ?) U. 8. Depart. of Agriculture. Off. of exper. Stat. Bull. No.136, p. 143, 1904. AZ u pi a Br ee te nn Der Wärmeverlust durch Leitung und Strahlung. 583 der ersten Berechnungsweise auf 450g zu schätzen — was jedenfalls keinen zu geringen Wert ergibt — so würde die Abgabe von Wasserdampf von der Haut bei Rubner 481 und bei Atwater (Ruheversuche) 570 g betragen. Dies entspricht 258 bzw. 306 Kal. Die Wärmeabgabe durch die Haut wäre demnach nach Rubner 2272Kal. und nach Atwater, wenn von dem totalen Wärmeverlust durch Leitung und Strahlung 80 Kal. für die Erwärmung der eingeatmeten Luft in Abzug gebracht werden, 1909 Kal. Sie beträgt also nach beiden 84, sowie nach der ersten Berechnungsweise 81 Proz. der gesamten Wärmeabgabe. Wie diese auch berechnet wird, immer stellt sich die Haut als das allerwichtigste Organ der Wärmeabgabe dar. Daraus erklärt sich, zum Teil wenigstens, der große Einfluß, den die Haut auf den Umfang des Stoffwechsels ausübt (vgl. Stoffwechsel, S. 469). Später hat Rubner') die durch die Respiration (+ der Kopfhaut) abgegebene Wassermenge bei verschiedenen körperlichen Zuständen direkt bestimmt und dabei, für 24 Stunden berechnet, bei einer Außentemperatur von 17,5 bis 24,0°C und einer relativen Feuchtigkeit von 36 bis 60 Proz. folgendes gefunden: Bube HH 408g Tiefen. Atmen. ,Eis5cs SH 456g Lesen. =... 3.72. es ee 6728 Bingen |. 1, Yan Eis Hl 0 Ba aa 816g. Die Verteilung der Wärmeabgabe durch die Haut auf Leitung, Strahlung und Wasserverdunstung ist außerordentlich schwankend, je nach der Tem- peratur und dem Feuchtigkeitsgrade der umgebenden Luft, sowie nach dem Zustande des Körpers selbst (Hunger oder Nahrungsaufnahme, Ruhe oder Arbeit). Es läßt sich also diese Verteilung nicht durch eine bestimmte Zahl ausdrücken, und die oben nach Rubner mitgeteilte Berechnung bezieht sich daher nur auf einen Spezialfall. Angesichts der vielen Variablen, die auf die genannte Verteilung ein-. wirken, ist es vorläufig auch nicht: möglich, in einigen wenigen Sätzen die bis jetzt darüber vorliegenden Erfahrungen zusammenzufassen, und wir müssen uns damit begnügen lassen, den Einfluß der betreffenden Variablen an für und sich zu untersuchen. Von vornherein ist es klar, daß der Wärmeverlust durch Leitung unter sonst gleichen Umständen um so größer ausfallen muß, je kälter die um- gebende Luft, je größer ihr Wärmeleitungsvermögen und je lebhafter ihre Bewegung ist 2). Was die Luftbewegung leisten kann, zeigt uns die alltägliche Erfahrung: im warmen Sommer kühlt sie uns ab und mildert die Wirkung der warmen Luft. Wenn auch die Wasserverdunstung gleichzeitig begünstigt ist, so hat doch die Leitung an und für sich hierbei einen wesentlichen Anteil. Eine niedrige Außentemperatur wird, selbst bei ziemlich dünner Bekleidung, ganz gut ertragen, wenn die Luft stillsteht; bei bewegter Luft ist dieselbe Tem- peratur außerordentlich unangenehm, denn die an dem Körper vorbeistreichen- den Luftschichten nehmen ihm nun sehr viel Wärme. Und hierbei spielt die Wasserverdunstung nur eine geringe Rolle, da die Abgabe von Wasser durch die Haut bei niedrigen Temperaturen schon sehr gering ist. !) Arch. f. Hygiene 33, 151, 1898. — °) Wie früher, sehe ich auch hier von der Einwirkung von Bädern ganz ab. 584 Der Wärmeverlust durch Leitung und Strahlung. Selbst wenn die Luftströmung so schwach ist, daß sie gar nicht empfunden wird, macht sich ıhr abkühlender Einfluß, indes nur bei niederen Temperaturen, doch geltend, wie aus folgenden Beobachtungen von Rubner!) am Hunde ersichtlich ist. Die Luftgeschwindigkeit betrug hier nicht mehr als 0,4 bis 1,3 cm pro Sekunde. Bei 9°C betrug der Stoffwechsel 519 Kal., wenn die stündliche Ventilationsgröße 209 Liter war, 459 Kal. aber bei einer Ventilationsgröße von nur 61 Liter. Bei einer höheren Temperatur muß die Luftgeschwindigkeit größer sein, um ihre Einwirkung zu entfalten. Bei einer Umgebungstemperatur von 15° betrug in Versuchen von Nebelthau?) die Wärmeabgabe beim Kaninchen pro Kilogramm Körpergewicht und Stunde durchschnittlich 3,51 Kal. bei einer mittleren Venti- lationsgröße von 1000 Liter, 2,59 Kal. bei einer Ventilationsgröße von 555 Liter. Bei der stärkeren Ventilation wurden der Ventilationsluft durch Leitung und Strahlung 22,97 Kal. (= 19,6 Proz. der Gesamtabgabe durch Leitung und Strahlung), bei der schwächeren 10,86 Kal. (= 11,4 Proz.) abgegeben °). Unter Anwendung der bolometrischen Methode untersuchte Masje) den Wärmeverlust durch Strahlung. Nach der Entkleidung nahm die Strahlung der gewöhnlich bedeckten Körperoberfläche fortwährend, wenn auch oft mit einigen Schwankungen, zu, und zwar um so schneller, je niedriger die Außen- temperatur war. Da sich die Oberfläche des entblößten Körpers bei niedriger Temperatur der Umgebung abkühlt, so hätte man ja das Gegenteil erwartet. Masje findet die Erklärung der Erscheinung darin, daß die physikalische Beschaffenheit der Hautoberfläche wegen der unter dem Einfluß der Kälte ein- tretenden Kontraktion des Arrectores pilorum usw. verändert wird. Für diese Auffassung spricht auch die Beobachtung, daß bei einer oberflächlichen Ent- zündung, wo die Hauttemperatur entschieden erhöht war, die Strahlung um 1/, bis 1/, weniger als an normalen, niedriger temperierten Hautstellen betrug. Körperteile, die gewöhnlich unbedeckt sind, zeigen meistens eine ziemlich konstante Wärmestrahlung zu jeder Tageszeit. Wird die Abkühlung weiter getrieben, so nimmt die Strahlung ab. Im allgemeinen erfolgt die oben erwähnte Zunahme nur dann, wenn die Haut- temperatur nicht um mehr als 3°C abnimmt. Bei einer niedrigeren Zimmertemperatur ist die Strahlung in den meisten Fällen größer, doch kommen viele Abweichungen von dieser Regel vor. Aus seinen Versuchen hat Masje berechnet, wie groß der Wärmeverlust durch Strahlung ist, und findet denselben bei einem ruhenden Manne mit 2 qm Körperoberfläche gleich 1728 Kal. In geradem Gegensatz zu diesen Ergebnissen findet Stewart), daß eine merkbare Veränderung des Strahlungsvermögens weder durch Erwärmung, noch durch Abkühlung der Haut erzielt werden kann. Für die Größe der Strahlung ist also vor allem die Temperaturdifferenz zwischen der Haut und der Umgebung bestimmend. Die Resultate Masjes seien dadurch bedingt, daß hier auch die Wärmeleitung ihren Einfluß ausgeübt hätte, und daß der reichlich vorhandene Wasserdampf die Wärmestrahlen im Anfang der Ver- suche reichlich absorbiere. | Die Gesamtstrahlung des bekleideten menschlichen Körpers beträgt nach Stewarts Berechnung 820 Kal. — also weniger als die Hälfte der von Masje !) Arch. f. Hygiene 50, 296, 1904. — ?) Zeitschr. f. Biol. 31, 313, 1895. — ®) Vgl. auch Wolpert, Arch. f. Hygiene 33, 206, 1898. — *) Arch. f. path. Anat. 107, 17, 267, 1877. — °) Studies from the physiol. Laboratory of Owens Coll. Manchester 1, 102, 1891; zit. nach Zentralbl. f. Physiol. 1891, 8. 275. 2 Kuh VE tn an ARTEN Der Wärmeverlust durch Verdunstung. 585 berechneten. Der Unterschied hat wohl vor allem seinen Grund darin, daß sich Masjes Resultate auf den nackten Körper beziehen. Rubner!) bezeichnet die Zahl von Stewart als zu niedrig, weil dieser nicht berücksichtigt hat, daß die Oberfläche des bekleideten Körpers größer als die des nackten Körpers ist, und außerdem unterlassen hat, für die unbekleideten Teile eine besondere Rechnung durchzuführen 2). Über den Einfluß der relativen Feuchtigkeit der Luft auf den Wärme- verlust durch Leitung und Strahlung hat Rubner'’°) festgestellt, daß dieser durch feuchte Luft stets vermehrt wird. Daher fühlt man sich bei niederer Temperatur (10 bis 15°C) in trockener Luft behaglicher als in feuchter. - Beim Hunde würde für jede Änderung der Luftfeuchtigkeit um 1 Proz. die Wärmeabgabe durch Leitung und Strahlung um 0,32 Proz. verändert werden. Da nun die totale Wärmeabgabe für das Temperaturintervall 20 bis 7,6°C — 13,4% um 56 Proz. und für 1°C also um 4,1 Proz. zunimmt, so würde eine Zunahme der Luftfeuchtigkeit um 4,1/0,32 = 12,8 Proz. dieselbe Wirkung als die Abnahme der Lufttemperatur um 1°C haben ?). Bemerkenswert ist die Tatsache, daß die Zunahme des Wärmeverlustes durch Leitung und Strahlung innerhalb des von Rubner untersuchten Bereiches fast immer durch eine entsprechende Abnahme des Verlustes durch Wasser- verdunstung kompensiert wird 5). Zahlreiche Arbeiten aus dem Laboratorium Rubners beschäftigen sich mit der Frage nach dem Einfluß verschiedener Variablen auf die Abgabe von Wasserdampf. Bei verschiedenen Feuchtigkeitsgraden der Luft steigt und sinkt die gesamte Abgabe von Wasserdampf in umgekehrter Proportion zu der Feuchtig- keit. Sie ist also bei gleichem körperlichen Zustande und gleicher Außen- temperatur um so größer, je trockener die Luft ist (Rubner°). Bei gleichem Feuchtigkeitsgehalt der Luft ist die Abgabe von Wasser- dampf beim Menschen und Hunde um so größer, je wärmer die Luft ist [Rubner?), Rubner und Lewaschew °)], wie aus folgender Zusammen- stellung einiger Beobachtungen am Menschen hervorgeht. Temperatur Feuchtigkeit Wasserdampf Feuchtigkeit | Wasserdampf °C Proz. g Proz. g 15,0 8 36 89 9 20,4 5 54 82 15 23,0 7 73 84 19 25,4 6 75 81 24 28,9 6 105 == = Der Stoffwechsel der Versuchsperson betrug etwa 91 Kal. pro Stunde. Die bei 28,9°C und fast trockener Luft abgegebene Menge von Wasserdampf deckt 63 Kal., also 70 Proz. des gesamten Wärmeverlustes. !) Arch. f. Hygiene 27, 77, 1896. — ?) Vgl. auch Waller, Travaux du labora- toire de Fredericq 4, 227, 1892; Journ. of Physiol. 15, proceedings 25, 1894. — ®) Arch. f. Hygiene 11, 268. — *) Ebenda, S. 291. — °) Ebenda, $. 284. — °) Ebenda, 11, 166, 1890. — 7) Ebenda, $. 193, 199. — °) Ebenda 29, 1, 1897. 586 Der Wärmeverlust durch Verdunstung. Beim Meerschweinchen tritt das Minimum der Wasserdampfabgabe schon bei 15°C ein; bei 0° wird wesentlich mehr an Wasserdampf ausgeschieden; ebenso steigt die Abgabe an, wenn die Temperatur erhöht wird. In beiden Fällen handelt es sich wohl’ um die Wirkung einer stärkeren Atmung. Bei einer Außentemperatur von 29 bis 30°C ist die Wasserdampfabgabe beim Menschen zwischen 13 bis 64 Proz. relativer Feuchtigkeit ungefähr die- selbe (Nuttall!?). Da durch die Kleidung um den Körper herum eine künstliche Atmosphäre geschaffen wird, deren Temperatur höher ist als die der umgebenden Luft, muß unter sonst gleichen Umständen die Abgabe von Wasserdampf beim bekleideten Körper größer sein als beim nackten. Dementsprechend finden wir z.B. (Rubner), daß ein ungeschorener Hund bei 20°C 27,7 g Wasser pro Kilogramm Körper- gewicht und 24 Stunden abschied; nach dem Scheren des Pelzes betrug die Ab- gabe von Wasserdampf nur 208. Wenn die Luft sehr feucht ist, ist die Wärmeabgabe durch Verdunstung sehr erschwert, und dementsprechend ist bei 80 Proz. Feuchtigkeit schon eine Temperatur von 24°C für den daran nicht gewöhnten Menschen auf die Dauer unerträglich und der Versuch nur bei vollkommener Muskelruhe mög- lich. Wenn die Luft aber sehr trocken ist, wird eine Temperatur von 24, bis 29°C durchaus gut ertragen (Rubner und Lewaschew). Daß es sich doch selbst bei hoher Temperatur und großem Feuchtig- keitsgehalt arbeiten läßt, geht aus den Erfahrungen Stapffs?) beim Bau des Gotthardtunnels hervor, wo die Temperatur im Monat März an der Süd- seite des Tunnels etwa 31°C betrug und die Luft mit ‚Feuchtigkeit über- sättigt war. Es traten indessen dabei allerlei Störungen des Befindens auf, die sich doch allmählich zum größeren oder geringeren Teile ausglichen. In bezug auf den Einfluß der Luftbewegung auf die Abgabe von Wasser- dampf beim Menschen gibt Wolpert) an, daß diese bei niedrigen Tempera- turen bis etwa 20° aufwärts durchschnittlich um etwa 5 bis 10 Proz. im Vergleich mit der bei ruhender Luft zunimmt. Bei Temperaturen zwischen 25 bis 350 ist sie wesentlich herabgesetzt, zwischen 25 und 30° bis auf die Hälfte und in einzelnen Fällen ein Drittel des Wertes für ruhende Luft. Bei extrem hohen Temperaturen von etwa 36° ab aufwärts beträgt die Wasser- dampfabgabe bei bewegter Luft bis auf das Doppelte und mehr des Wertes für ruhende Luft. Die Nahrungszufuhr bewirkt im allgemeinen eine Zunahme der Ver- brennung (vgl. Stoffwechsel, Kap. IV); wenn hierbei eine eventuelle Zunahme des Wärmeverlustes durch Leitung und Strahlung nicht genügt, um den Körper vor Überwärmung zu schützen, so tritt nun eine stärkere Abgabe von Wasserdampf auf, und zwar wird diese beim reichlich gefütterten Tiere in einem weit geringeren Verhalten als bei einem nicht oder nur mäßig ge- fütterten Tiere durch erhöhte Feuchtigkeit eingeschränkt. Auch hier ist die verstärkte Atmung maßgebend. Wenn aber die Nahrungszufuhr keine be- merkenswerte Steigerung des Stoffwechsels hervorruft, wie z. B. bei einer so niedrigen Temperatur, daß schon der Hungerstoffwechsel desselben Betrages ist wie der Stoffwechsel bei reichlicher Zufuhr von Nahrung, so bleibt die .!) Arch. f. Hygiene 23, 184, 1895; vgl. auch Rubner, Ebenda 16, 101, 1893. — ?) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1879, Suppl., 8. 72. — °) Arch. f. Hygiene 33, 206, 1898, i Der Wärmeverlust durch Verdunstung. 587 betreffende Steigerung der Wasserdampfabgabe aus (Rubner!). Als Bei- spiel sei auf folgende Versuchsreihe am Hunde hingewiesen (alle Zahlen sind pro 1kg berechnet). Temperatur 20°C, Temperatur 30° C, Wärmeabgabe in Kalorien Wärmeabgabe in Kalorien durch Wasser- | durch Leitung | durch Wasser- | durch Leitung verdunstung und Strahlung verdunstung und Strahlung Hunger ... 16,0 37,5 26,2 30,0 100g Fleisch . 15,6 40,3 27,6 28,0 200 * > 18,3 39,6 33,5 29,9 320g = R _ iger 47,6 32,7 350g ä 5 17,2 56,7 = — Da körperliche Arbeit die Wärmebildung im hohen Grade steigert und also den Körper der Gefahr einer Überwärmung leicht aussetzt, so bewirkt dieselbe, selbst bei einer niedrigen Außentemperatur, in der Regel eine wesentliche Vermehrung der Abgabe von Wasserdampf. Wolpert?) hat darüber direkte Bestimmungen gemacht und dabei folgendes gefunden. . Temperatur Feuchtigkeit ae are Be °C Proz. g Schlaf: -WREENIHRFETE 19,0 63 37 Ruhe . „Zur 17,3 61 21 Kräftige Arbeit ... . 16,7 59 138 Kräftige Arbeit ... . 25,0 47 230 Bauherr 25,0 trocken 85 Bulle: 30. Ans 23 25,0 feucht 28 In ausführlichen Versuchsreihen untersuchten Zuntz, Schumburg und Nerking?) den Stoffwechsel bei marschierenden Soldaten. Während eines fünf- stündigen Marsches wurden durchschnittlich 170 bis 270g Wasser (— 114 bis 145 Kal.) von den Respirationsorganen verdampft. Bei einer Wärme- produktion von etwa 2000 Kal. entfiel also auf die Lungenverdampfung nur 6 bis 7 Proz. der gesamten Wärmeabgabe. Die gleichzeitige Erwärmung der eingeatmeten Luft beanspruchte nur 35 Kal. Die gesamte Wasser- verdunstung betrug bei einer Versuchsperson 1026 bis 2845, bei einer anderen 820 bis 2057, davon kamen auf die Haut 820 bis 2622 bzw. 584 bis 1786g. Der kalorische Wert des verdampften Wassers betrug insgesamt 596 bis 1652,' bzw. 477 bis 1195 Kal., während die gleichzeitig produzierte Wärmemenge 1588 bis 2104, bzw. 1498 bis 1936 Kal. entsprach. In extremen Fällen machte also der Wärmeverlust durch Wasserverdampfung bis zu etwa 95 Proz. der gesamten Wärmeabgabe aus. lb le ll a ul 4 nn un id az 2 ; . DIET EEE, RN !) Arch. f. Hygiene 11, 218, 1890. — °) Ebenda 26, 60, 1896; vgl. auch Wolpert, Ebenda 39, 298, 1901. — °®) Nerking, Inaug.-Diss. Berlin 1896; Zuntz $ und Schumburg, Die Physiologie des Marsches, Berlin 1901, 8. 309. 588 Der Schutz gegen Wärmeverlust. Aus den betreffenden Versuchen folgt noch, daß selbst bei einer nahezu mit Wasserdampf gesättigten Luft, bei welcher die Kleider bald durchnäßt sind, dennoch die durch das Marschieren bewirkte Luftströmung und: der im Freien nie ganz fehlende Wind genügen, um eine starke Wasserverdampfung durch die Kleider zu bewirken. Viertes Kapitel. Der Schutz gegen Wärmeverlust. Daß die warmblütigen Tiere trotz ihrer verhältnismäßig geringen Wärme- bildung dennoch selbst bei sehr niedriger Außentemperatur ihre Eigen- temperatur beibehalten können, beruht vor allem darauf, daß der Wärme- verlust bei ihnen durch besondere Anordnungen wesentlich herabgesetzt wird. Diese Anordnungen sind: 1. das subcutane Fettgewebe; 2. die Haar- oder Federbekleidung. Die in den Muskeln und übrigen inneren Organen entstandene Wärme kann nur sehr langsam nach der Haut fortgeleitet werden, weil das Fett- gewebe einen sehr schlechten Wärmeleiter darstellt!.. Während eine 2 mm dicke Haut bei einer Temperaturdifferenz an ihren beiden Flächen von 18,2°C in einer Minute 0,00248 Kal. durchließ, wurde von derselben Haut und einer 2 mm starken Fettschicht nur 0,00123 Kal. in derselben Zeit durchgelassen ; das Leitungsvermögen der Haut sank also um die Hälfte ab. Bei einer Temperaturdifferenz von 12°C hielt die gleiche Fettschicht fast zwei Drittel jener Wärmemenge zurück, welche die 2mm dicke Haut durchließ, und bei einer Temperaturdifferenz von 9°C beinahe acht Zehntel (Klug ?). Je geringer die Temperaturdifferenz an beiden Seiten der Haut ist, um so größer ist der schützende Einfluß des Fettes. Bei den meisten warm- blütigen Tieren ist die Haut von einer mehr oder weniger dicken Haar- und Federbekleidung bedeckt. Die hier in Betracht kommende Differenz bezieht sich also nicht auf die Temperatur der Außenluft, sondern auf die in den tiefsten Schichten der Bekleidung, welche, wie aus folgenden Erfahrungen von Rubner®) am Menschen hervorgeht, von der Hauttemperatur nur ver- hältnismäßig wenig abweicht. Außen- Temperatur Temperatur zwischen temperatur an der Oberfläche dem Wollhemd 0 der Kleidung und der Haut C 10,0 19,3 32,7 15,0 21,0 er 17,5 22,9 — 25,6 27,1 n 32,6 Die Fettschicht muß also eine sehr große Ersparnis an Wärme bewirken können. Auch besitzen vor allem die in den kalten Klimas und ganz be- sonders die in den Eismeeren lebenden Tiere eine sehr dicke Fettschicht. ') Bergmann, Arch. £. (Anat. u.) Physiol. 1845, 8.310. — ?) Zeitschr. £. Biol. 10, 73, 1874. — °) Arch. f. Hygiene 23, 13, 1895. a a RE Der Schutz gegen Wärmeverlust. 589 Die auf der Erde lebenden Tiere können eine solche entbehren, denn sie haben jedenfalls in ihrem Pelz ein Mittel, um den Wärmeverlust zu ver- ringern. Bei den Wassertieren fällt aber dieser Schutz des Pelzes, wenn das Wasser bis zur Hautoberfläche dringen kann, fast vollständig fort, und nun bildet das subeutane Fettgewebe den alleinigen Schutz gegen den Wärmeverlust. Der Panniculus adiposus stellt natürlich keine für Wärme absolut un- durchdringliche Schicht dar, und ein Teil der in den Muskeln gebildeten Wärme wird durch sie hindurch der Haut direkt zugeleitet, wie daraus hervorgeht, daß nach Entblößung eines Körperteiles der Temperaturfall der Haut um so beträchtlicher ist, je weniger mächtig die darunter liegende Muskelschicht ist oder wo dieselbe, wie über der Patella und dem Schien- bein, ganz fehlt. Welcher Art die Bekleidung auch sei — Haare, Federn oder die künst- liche Kleidung des Menschen — gilt von ihrem Einfluß im großen und ganzen ganz dasselbe, und ich brauche also nicht die verschiedenen Arten derselben hier besonders zu berücksichtigen. Beim nackten Körper wird die denselben zunächst umgebende Luft- schicht von der warmen Haut erwärmt; die warme Luft steigt als spezifisch leichter in die Höhe, und es entsteht selbst bei vollkommen stillstehender Luft eine Luftströmung um den Körper herum, infolge deren ununterbrochen neue Luftmengen mit der Körperoberfläche in Berührung kommen und sie der Wärme berauben. Bei bewegter Luft wird natürlich die Abkühlung noch stärker. Durch die Bekleidung wird diese Luftströmung wesentlich verringert. Das Kleid ist und darf nicht für Luft völlig undurchgängig sein, denn dadurch würde die darin eingeschlossene Luft durch den von der Haut ab- gegebenen Wasserdampf bald gesättigt werden und also die regulatorische Einwirkung der Wasserverdunstung wegfallen. Die Bekleidung soll nur die Luftströmung in einem genügend starken Grade verhindern und die Luft- bewegung in der Nähe des Körpers wesentlich verlangsamen. Diese verhältnis- mäßig stillstehende Luft bildet dann um den Körper eine künstlich erwärmte Atmosphäre, die wesentlich wärmer als die Außenluft ist und also die Wärme- abgabe von der Haut wesentlich verringern muß. Nach den Ermittelungen von Schuster!) undRubner?) ist das Wärme- leitungsvermögen der Grundstoffe der Bekleidungsmaterialien an und für sich entschieden größer als das Wärmeleitungsvermögen der Luft, und es kommen also vor allem die in den Poren der Kleidungsstücke, sowie die zwischen den letzteren eingeschlossenen Luftmengen hier in Betracht. Die in verschiedenen Stoffen auf 1000 Volumteile vorhandenen Luft- mengen sind sehr verschieden, wie z. B.: Wollflenell. .'=:;: :: u 2 923 Glatt gewebtes Leinen . .. . . 489 Baumwollflanell . ....... 888 Leichter Sommerstoff. . . . . .» 818 Trikot, Sealde. „ar ne 832 Sommerkammgarn . ...... 725 a’ WONO Na. ST ee 863 Frühjahrsüberzieher . .. .. . 813 »„ , Baumwolle 200 5 847 Winterkammgarn ....... 817 . + em 733 Winterpaletot"., .=. 2.4. .0% 888 Glatt gewebte Baumwolle. . . . 520 !) Arch. f. Hygiene 8, 46, 1888. — *) Ebenda 24, 265, 346, 1895; 25, 252, 1895. 590 Die Bekleidung. Von diesen Ermittelungen ausgehend, berechnet Rubner die Luftmenge in den Kleidern eines erwachsenen Mannes (ohne Überzieher) zu etwa 10 Liter. Hierzu kommt aber noch die zwischen den einzelnen Kleidungsstücken und zwischen dem untersten und der Körperoberfläche eingeschlossene Luft. Dieselbe beträgt etwa 10 bis 20 Liter; die Gesamtmenge der uns umgebenden verhältnismäßig stillstehenden Luft ist also etwa 20 bis 30 Liter. Über die Dicke der bei der Winterkleidung benutzten Stoffe hat Rubner 1) unter anderem folgendes mitgeteilt: Rumpf: Wollhemd, Trikot . .»........ 2,5 mm Leinerheman®.!, Sin He 0,5 mm Weste, göfüttert . . - + eeih.n% 5,0 mm Rock, gefüttert . : . » 2... 00.00 7,0 mm Winterüberzieher .: . ...ın. alkenis 14,0mm 29mm Arm: Wollhemd'” .- +... u... as es 2,5 mm Deinerihemd .°. % ... SR e 0,5 mm Anzieher :... 1. „FERRARI 2,0 mm Überzieher . : SA SR ur 6,0mm 11mm Bein: Wollhöse:, „1. Fly sn ZU Zu 2,5 mm Beinkleid.. 15 1. LINSE SIE 15mm -4mm Auch die Strahlung von der Haut wird durch das Kleid wesentlich herabgesetzt. Die von der Haut ausstrahlende Wärme wird, wie Petten- kofer?) bemerkt, von der darüberliegenden Kleidung, wozu kein diathermaner Stoff verwendet wird, absorbiert. Die Wärme, welche von der Haut aus- strahlen würde, muß erst durch das Kleid gehen und kann erst von dessen Oberfläche wieder ausstrahlen. Der Durchgang der Wärme durch diese künstliche Haut hängt wesentlich von der Wärmeleitungsfähigkeit und der Masse des Kleidungsstoffes und von dem Grade der Ausstrahlung von diesem ab. Die strahlende Wärme der Haut verweilt dadurch länger in der Nähe unseres Körpers, und erwärmt dadurch die den FOR® unmittelbar um- gebende Luft. Wenn wir das Bedürfnis fühlen, die Wärme Be langsamer aus der unmittelbaren Nähe unserer Körperteile zu entlassen, so decken wir über die Oberfläche unseres Kleides, von welcher die Wärme in den Luftkreis aus- strahlt, abermals einen Stoff, ein zweites Kleid, welches die von der Ober- fläche des ersten ausstrahlende Wärme abermals auffängt und durch seine Masse hindurch nach der Oberfläche leitet. Auf diese Art wirkt ein Hemd, ein Rock, worüber wir nach Umständen noch einen Überrock und Mantel usw. ziehen. Die Wärme bleibt aber nicht in den Kleidern, sie geht nur schneller oder langsamer durch und verweilt kürzere oder längere Zeit in der unsere nerven- und gefäßreiche Haut unmittelbar umgebenden und stets wechselnden Luftschicht. Wir verlieren die Wärme bei Winterkälte aus unseren richtig gewählten Kleidern ohne jede Empfindung von Frost, weil wir den Ort, wo sich die große Differenz zwischen unserer Körperwärme und der kalten Luft ausgleicht, von unserer nervenreichen Haut weg in ein lebloses Stück Zeug verlegt haben, unsere Kleider werden kalt, sie frieren für uns. !) Arch. f. Hygiene 9, 51, 1889; 15, 38, 1892. — ?) Zeitschr. £. Biol. 1, 180, 1865. % Die Bekleidung. 591 Auch der yon der Haut abgegebene Wasserdampf, wodurch der Sätti- gungsgrad der Kleiderluft wesentlich erhöht wird, bewirkt wegen seiner geringen Diathermansie eine Abnahme der Strahlung von der Haut. Trotz dieser, wie es von vornherein erscheint, bindenden Gründe dafür, daß die Wärmeabgabe des Körpers durch die Kleidung sehr erheblich herab- gesetzt werden muß, glaubte jedoch Geigel!) auf Grund kalorimetrischer Bestimmungen des Wärmeverlustes des Armes den Satz aufstellen zu können, daß durch die Bekleidung auf die Länge keine Ersparung an. Wärme erzielt werden kann. Die Aufgabe der Kleidung. bestehe vielmehr darin, die un- angenehme Empfindung der Kälte aufzuheben und die Vasomotoren der Haut zu entlasten. Demgegenüber liegen aber zahlreiche Erfahrungen und Ver- suche vor, welche die Bedeutung der Kleidung als Wärmeersparer über jeden Zweifel erheben. Bei einem ruhenden, nackten Menschen kann die normale Temperatur nicht beibehalten werden, wenn die Außentemperatur geringer ist als etwa 27 bis 28°C (Senator). Ein vollständig intaktes Meerschweinchen gab bei einer Körpertemperatur von 38,3°C durch Leitung und Strahlung 3,37 Kal. pro Stunde ab; nach dem Scheren sank die Körpertemperatur auf 37,7°C, die Wärmeabgabe durch Leitung und Strahlung stieg aber auf 4,47 Kal. pro Stunde an (Rumpel?). Bei einem geschorenen Tiere ist die Wärmeproduktion bei 30°C Außen- temperatur gleich groß wie bei dem ungeschorenen Tiere bei 20°C (Rubner‘). Bei Versuchen am Arme des Menschen fanden C. Rosenthal’) und Rumpel°), daß die Wärmeabgabe durch Leitung und Strahlung vom bekleideten Arme größer war als die vom unbekleideten, wie z. B. nach einigen Versuchen von Rumpel: Wärmeverlust durch Leitung und Strahlung TEOPSRRFOR Kalorien pro Stunde, Kalorien pro Stunde, 2. Differenz nackt bekleidet ' 6,7 14,3 10,7 25 10,6 12,8 8,6 33 15,8 11,1 7,7 30 20,8 2 >, Ba 5,6 28 29,6 4,9 4,2 7 ie Erst bei einer ziemlich hohen Außentemperatur sinkt die Wärmeabgabe des nackten Armes etwa auf die des bekleideten herab. Der Wärmeverlust des nackten Fußes durch Kontakt mit dem Boden ver- ringerte sich durch einen wollenen Strumpf um etwa 49 Proz.; wenn der Schuh noch dazukam, sank die Wärmeabgabe auf 10 Proz. (Nothwang’). Um den Einfluß der Kleidung auf die Wärmeabgabe richtig zu wür- digen, müssen wir auch die Wasserverdunstung berücksichtigen. Wie wir schon gesehen haben, ist diese bei höherer Außentemperatur größer als bei niedrigerer. Da die 'Temperatur an der Hautoberfläche beim. bekleideten Körper höher ist als beim nackten, so muß im ersten Falle die Abgabe von !) Arch. f. Hygiene 2, 318, 1884. — ?) Zeitschr. f. klin. Med. 24, 186, 1894. — >) "Arch. f£. Hygiene 9, 55, 1889; vgl. auch Richet, Archives de physiol. 1885 (2), 8. 281. — *) Arch. f. Hygiene 20, 366, 1894. — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1888, S.1. — °) Arch. f. Hygiene 9, 76, 1889. — 7) Ebenda 15, 314, 1892. 592 Die Bekleidung. Wasserdampf größer sein. Der von den Kleidern erzielten Beschränkung des Wärmeverlustes durch Leitung und Strahlung wird also wegen der vermehrten Wasserverdunstung etwas entgegengewirkt. Man könnte sich vorstellen, daß hierdurch eine vollständige Kompen- sation stattfinden würde. Dies ist jedoch keineswegs der Eall, im Gegenteil zeigen die Versuche Rumpels!), daß trotz der vermehrten Verdunstung die gesamte Wärmeabgabe durch die Kleidung entschieden vermindert wird. Bei kalorimetrischen Versuchen am Unterarm und an der Hand (die letztere unbekleidet) stellte es sich heraus, daß bei einer Außentemperatur von 15 bis 20°C und sehr trockener Luft der Wärmeverlust dureh Wasserverdunstung etwa 20 Proz. des gesamten Wärmeverlustes betrug. Absolut maehte diese beim nackten Arme 3,59 g, beim bekleideten 4,39 g — also ein Zuwachs von 22,3 Proz. — aus. Dieser Zuwachs war indes nieht ausschließlieh durch die vermehrte Wasser- abgabe von der Haut bedingt, denn auch die Kleidung gab Wasser von sich zu der durch Chlorealeium getrockneten Luft im Kalorimeter ab. Wir werden jedoch annehmen, daß der ganze Zuwachs an Wasser von der Haut stamme, und finden dann folgendes: Der ganze Wärmeverlust der nackten Haut . . ... 2.2.2 2.2 222.0... 100 davon dureh. Leitung und Strahlung » we. 2 ne. 2 0 el und"durch Wasserverdunstung "ex. vn Weiner tee Na er ee ae 100 Dureh die Kleidung wird der Wärmeverlust dureh Leitung und Strahlung um 30 Proz. vermindert, also auf . .... BALL): Dagegen die durch Wasserverdunstung um 92 ‚Prog. erhöht, also auf... 728 80 Die Ersparnis durch die Kleidung beträgt demnach bei gewöhnlicher Zimmertemperatur etwa 20 Proz. und ist bei niedrigerer Temperatur natür- lich noch viel größer 2). Wie der Mensch während der kälteren Jahreszeit durch dickere Kleider, bzw. erwärmte Wohnungen den Wärmeverlust möglichst zu beschränken Nr. Tierart UFER Annen: Differenz temperatur temperatur 1 Polarfuchs: 29. 2°. rare: 38,3 — 35,6 73,9 2 Palarfuchs2 22... wor SaRER 41,1 — 35,6 76,7 3 Bolarfuchs 2.2, 2.2. 20 2. 39,4 — 32,8 72,2 4 WOlE ner 0 en re Fan 40,5 — 32,8 73,3 5 Welßer;Hase, ...%.. 22... en 38,3 — 29,4 67,7 6 Behneekuhn x » 2... nu. dm 42,4 — 19,7 62,1 7 Bchneehuhn. ca u un... at 43,3 — 38,8 82,1 8 Bchneehuhny. cu. ee re 43,3 — 35,8 79,1 !) Areh. f. Hyg. 9, 83, 1889. — ?) Über die physikalischen Eigenschaften der Kleidung vgl. Linroth, Zeitsehr. f. Biol. 17, 184, 1881; Rubner, Areh. f. Hy- giene 15, 29, 1892; 16, 105, 353, 1893; 17, 1, 1893; 23, 1, 1895; 24, 265, 346, 1895; 25, 1, 29, 70, 252, 287, 294, 1895; 27, 49, 51, 78,.102, 249,.1896; 29, 269, 1897; 31, 142, 1897; 32, 1, 1898; Müller, Ebenda 2, 1, 1884; Schuster, Ebenda 8, 1, 1888; Rumpel, Ebenda 9, 51, 1889; Cramer, Ebenda 10, 231, 1890; Reichen- bach, Ebenda 13, 113, 1891; Hartmann, Ebenda 14, 380, 1892; Nothwang, Ebenda 15, 314, 1892; Sehierbeck, Ebenda 16, 203; Wolpert, Ebenda 27, 291, 1896; 48, 107, 1904; Lewasehew, Ebenda 31, 259, 1897; Spitta, Ebenda 32, 285, 1898; Laschtschenko, Ebenda 33, 193, 1898. u an a Bun iz a a ED Die Regulierung der Körpertemperatur. 593 sucht, so suchen die warmblütigen Tiere durch dickere Haar- oder Feder- bekleidung dem Einfluß der stärkeren Kälte entgegenzuwirken. Was sie dabei tatsächlich leisten können, geht am deutlichsten aus vorstehenden von Parry und Lyon!) (Nr. 1 bis 5), sowie von Back?) (Nr. 6 bis 8) mit- geteilten Erfahrungen an Polartieren hervor (siehe Tabelle auf nebenstehender Seite unten). Diese Widerstandsfähigkeit gegen eine sehr niedrige Außentemperatur ist um so mehr bemerkenswert, als hier nicht, wie beim Menschen, eine künstliche Kleidung, sondern eine von der Natur selber hergestellte vorliegt. Fünftes Kapitel. Die Regulierung der Körpertemperatur. Um ihre Temperatur konstant zu erhalten, verändern die warmblütigen Tiere teils den Stoffwechsel (chemische Wärmeregulation, Rubner), teils die Bedingungen für die Wärmeabgabe (physikalische Wärmeregulation). Die chemische Wärmeregulation ist schon bei der Darstellung des Stoff- wechsels (S.459) besprochen; daselbst haben wir erörtert, wie sich die Wärmebildung bei verschiedener Außentemperatur verändert, wie die Zufuhr von Nahrung die Wärmebildung beeinflußt usw. Es stellte sich heraus, daß der Stoffwechsel bei abnehmender Außentemperatur ansteigt, sowie daß Zufuhr von Nahrung, und zwar insbesondere von Eiweiß den Stoffwechsel anregt. Auch die Nahrungsaufnahme kann also bei der Wärmeregulation nicht un- wesentliche Dienste leisten. Die hierher gehörigen Erfahrungen haben außerdem ergeben, daß von einer gewissen oberen Grenze an, die bei verschiedenen Tierarten etwas ver- schieden sein dürfte, eine Erhöhung der Außentemperatur nicht nur keine Abnahme, sondern im Gegenteil eine Zunahme des Stoffwechsels und der Wärmebildung hervorruft. Unter diesen Umständen kann also von einer chemischen Wärmeregulation im Sinne Rubners keine Rede sein. Bei einzelnen Individuen findet man allerdings, daß die durch die Kohlen- säureabgabe gemessene Wärmebildung bei einer Außentemperatur von mehr als 27°C abnimmt, und man kann also hier von einer chemischen Wärmeregulation sprechen [Wolpert°®), Rubner‘)]. Dies dürfte aber kaum als Regel aufgestellt werden können, da die soeben genannten Autoren auch Beispiele davon mitteilen, daß bei einer hohen Außentemperatur die Kohlensäureabgabe stark ansteigt. !Als Belege seien folgende Reihen hier mitgeteilt (siehe Tabelle auf folgender Seite). Aber auch unabhängig von diesen Erfahrungen läßt es sich unschwer nachweisen, daß bei einer etwas höheren Außentemperatur: die chemische Wärmeregulation versagen muß. Bei gewöhnlicher Zimmertemperatur beträgt der Stoffwechsel eines nüchternen Menschen bei vorsätzlicher Muskelruhe rund 1700 Kal.; dieser genügt, um die Körpertemperatur auf ihrem nor- malen Stande zu erhalten. Wenn nun der Körper in eine wärmere Umgebung versetzt wird, so kann dennoch sein Stoffwechsel in keinem erheblicheren !) Ann. de chimie et de phys. Ser. 2, 28, 223, 1825. — ?) Compt. rend. de l’Acad. des sciences Paris 2, 621, 1836. — °) Arch. f. Hygiene 33, 206, 1898; 36, 203, 294, 1899; 39, 298, 1901. — *) Rubner, 38, 120, 1900. Nagel, Physiologie des Menschen. I, 38 594 Die Regulierung der Körpertemperatur. I ll { co, t co, En a Pr9:Bhünde rk PESRRRRE g g 2 29,8 9,8!) 42,5 10—15 25,1 13,6?) 37,6 15—20 24,1 14,0 41,5 20—25 25,0 14,8 87,7 25—30 25,3 16,6 36,1 30—35 28,7 17,4 33,2 35—40 21,2 18,1 26,9 21,9 28,4 25,2 32,7 30,5 3) 37,3 37,4) 51,8 Grade abnehmen, da die Arbeit des Herzens und der Atmungsmuskeln ganz wie früher stattfindet und auch die mit dem Leben unauflöslich verbundenen Stoffwechselvorgänge der übrigen Organe nie. vollständig aufhören können. Es ist dem Körper also nicht möglich, seine Wärmebildung unterhalb eines gewissen Minimums zu reduzieren, auch wenn wir voraussetzen, daß seine Temperatur nicht ansteigt und also die daraus folgende Steigerung des Stoff- wechsels (vgl. 8.461) nicht erscheint, sowie noch berücksichtigen, daß bei sehr hoher Körpertemperatur, wo die Funktionen der nervösen Zentren schon in hohem Grade gelitten haben, eine ausgeprägte Schlaffheit bei den Muskeln hervortritt*). Zur Erhaltung der konstanten Körpertemperatur ist also die physikalische Wärmeregulation hier unbedingt notwendig. Wenn dem so ist, so gilt dies in einem noch viel höherem Grade, sobald dem Körper eine Muskelleistung aufgezwungen wird. Dank der dabei statt- findenden vermehrten Wärmebildung würde der Körper in unmittelbarer Gefahr der Überwärmung schweben, wenn dieser nicht durch die physika- lische Wärmeregulation entgegengewirkt würde. Es liegt also im Grunde nichts Überraschendes in der von H. E. Ranke?) hervorgehobenen, beim ersten Anblick so merkwürdigen Erscheinung, daß eine hohe Außentemperatur bei längerer Einwirkung zu einer starken Beein- trächtigung der instinktiven Nahrungsaufnahme und damit zur Unter- ernährung führt. $ 1. Die Regulierung des Wärmeverlustes. Diese erfolgt teils durch Veränderung der Blutzufuhr zu der Haut, teils durch Veränderungen der Abgabe von Wasserdampf, teils durch Verände- rungen der Bekleidung. Hierzu kommen noch Veränderungen der Körper- Y) Winterkleidung. — ?) Sommerkleidung bis 25,2° einschließlich. — °) Nackt. — *) Vgl. Rosenthal, Zur Kenntnis der Wärmeregulierung bei den warmblütigen Tieren, Programm, Erlangen 1872, 8. 16. — °) H. E. Ranke, Über die Einwir- kung des Tropenklimas auf die Ernährung des Menschen, Berlin 1900; Zeitschr- f. Biol. 40, 288, 1900; Münch. medizin. Woehenschr. 1905, Nr, 2 Ze 2. Die Regulierung des Wärmeverlustes. 595 haltung, indem die warmblütigen Tiere bei niedriger Außentemperatur sich so viel wie möglich zusammenrollen, um derart eine möglichst kleine Körper- oberfläche der Abkühlung auszusetzen, und umgekehrt bei hoher Außentem- peratur durch Ausstrecken des Körpers danach streben, die Körperoberfläche möglichst zu entfalten. Da die Wirkung der beiden letzteren Momente offen zutage liegt, brauche ich dieselben hier nicht näher zu erörtern. Der Stoffwechsel der Haut ist nur geringen Umfanges, und die Wärme der Haut entstammt daher zum allergrößten Teile teils der von den Muskeln ihr direkt zugeleiteten Wärme, teils und vor allem dem in ihren Gefäßen strömenden Blute. Je größer diese Blutmenge ist, um so wärmer wird die Haut. Unter sonst gleichen Umständen wird also die Wärmeabgabe durch - Leitung und Strahlung mit der Größe der Blutzufuhr zu- und abnehmen. Während seiner Strömung durch die Haut wird das Blut selber ab- gekühlt, und auch die von ihm abgegebene Wärmemenge muß zu der Größe der Blutzufuhr in gerader Proportion stehen. Kurz jede Erweiterung der Hautgefäße bewirkt, ceteris paribus, eine vermehrte, jede Verengerung eine verminderte Wärmeabgabe. Die wechselnde Blutfülle der Hautgefäße stellt also einen wärmeregu- lierenden Mechanismus dar, der besonders bei niedrigerer SU DURENDEFIIE eine wesentliche Bedeutung haben muß !). Wie Nasaroff*) zuerst nachwies und Durig und Lode°) später bestätigen konnten, zeigen erwachsene, gut genährte Hunde bei wiederholten kalten Bädern gesetzmäßig eine Anpassung an den Wärmeverlust, so daß dieselben die Fähigkeit erlangen, an ihrer Eigentemperatur mit großer Zähigkeit festzuhalten, wie z. B. in folgender Versuchsreihe an einem Hunde von 10,3kg Körpergewicht, bei welchem die normale CO,-Abgabe für 10 Minuten durchschnittlich 2,74g betrug. Die Dauer des Bades war in allen Versuchen 10 Minuten. Temperatur des Tieres Temperatur | CO, Tag Vor Nach Differenz En Abgabe Bemerkungen dem Bade |dem Bade RER g 1 38,8 37,3 1,5 14,3 6,87 || Anfangs ruhig, dann 1 Min. Abwehrbewegun- gen, dann wieder ruhig 2 38,8 35,4 3,4 12,2 9,06 Anfangs ruhig, dann hef- tige Abwehrbewegungen 3 38,7 37,1 1,6 10,7 B . 4 38,6 38,1 0,5 _ 9,36 | Ruhig 5 38,7 38,1 0,6 10,2 9,73 R “ 38,6 38,3 0,3 10,5 8,32 > 7 38,7 38,3 0,4 10,5 8,56 x 8 38,6 38,2 0,4 11,0 8,63 Zeitweise Abwehr, sonst ruhig Wie zu erwarten, ruft das Bad eine bedeutende Steigerung der Wärme- bildung (der CO,-Abgabe) hervor. Diese Steigerung läßt sich bei Durigs !) Über die Innervation der Hautgefäße und die im Dienste der Wärmeregu- lierung stattfindenden Veränderungen derselben vgl. F. B. Hofmann, dies Hand- bueh 1, 327. — ?°) Arch. f. path. Anat. 90, 487, 1882. — °) Arch. f. Hygiene 39, 46. g8* 596 Die Wasserverdunstung. und Lodes Versuchen in keinerlei Beziehung zu der Erscheinung der Ge- wöhnung bringen. Vielmehr muß diese nur von einer Anpassung des Wärmeverlustes hergeleitet werden. Da hier die Abgabe von Wasserdampf wenigstens keine größere Rolle spielen dürfte, muß die Erscheinung von einer zweckmäßigeren Wirkungsweise der Gefäßmuskulatur abhängig sein. Über den hierbei stattfindenden Mechanismus vgl. Durig und Lode. Da die Wärmebildung im Körper bei noch so hoher Außentemperatur nicht aufhört, wird es dem Körper von einer gewissen Grenze an nicht mehr möglich, sich durch Leitung und Strahlung von der in ihm gebildeten Wärme zu befreien, und er wäre also der Gefahr einer immer mehr zunehmenden Steigerung seiner Temperatur ausgesetzt, wenn nicht nun die Verdunstung von Wasser ihn abkühlen würde. Bis die Bedeutung der Verdunstung in dieser Hinsicht klargelegt wurde, stellte man sich allgemein vor, daß ein mit Lungen atmendes Tier nicht in einer Umgebung, die höher temperiert war als sein eigener Körper, leben könne (Boerhave). Indes beobachtete Benjamin Franklin im Sommer 1750, daß seine Temperatur konstant blieb, obgleich die Außentemperatur im Schatten 37,8°0C betrug, und wies auf die Verdampfung des Schweißes als Ursache der Abkühlung des Körpers hin. Während der folgenden Zeit häuften sich Beobachtungen aus den Tropen über das Konstantbleiben der Körpertemperatur trotz wesentlich höherer Außentemperatur, und eingehende Versuche von Tillet, Blagden, Fordyce, Solander, Banks, Dobson, Changeux, Crawford, Delaroche, Berger u. a. stellten außer jeden Zweifel, daß der Körper unter geeigneten Umständen selbst sehr hohe Außen- temperaturen vertragen kann, ohne daß seine Temperatur dadurch in nennens- wertem Grade anzusteigen braucht !). Es ist selbstverständlich, daß sich der abkühlende Einfluß der Wasser- verdunstung nur dann geltend machen kann, wenn die Luft nicht mit Wasserdampf gesättigt ist; hierbei ist auch die Bekleidung von großer Be- deutung. Wegen des Hindernisses, welche diese der freien Bewegung der Luft bereitet, kann die in der Kleidung befindliche Luft bald mit Wasserdampf gesättigt und also die fortdauernde;Verdunstung von der Körperoberfläche aufgehoben werden. Große Hitze wird also um so besser vertragen, je dünner die Bekleidung und je trockener die Luft ist. Nicht allein wenn die Luft an und für sich zu warm ist, hat der Körper das Bedürfnis, sich von der übermäßig gebildeten Wärme zu befreien; auch bei verhältnismäßig niedriger Temperatur kann die Gefahr einer Überhitzung eintreten, nämlich bei starker körperlicher Arbeit. Unter solchen Umständen tritt eine reichliche Schweißsekretion selbst bei Temperaturen unterhalb des Gefrierpunktes des Wassers hervor. Wenn gleichzeitig eine starke körperliche Arbeit und eine hohe Außen- temperatur zusammenwirken, sowie besonders wenn die Außenluft feucht ist und noch eine warme Bekleidung hinzukommt, wird die Gefahr einer Über- hitzung drohend; in der Tat stellt sich nun sehr leicht eine nicht selten zum Tode führende Temperatursteigerung (Hitzeschlag) ein. Das Vermögen des Körpers, seine Temperatur zu regulieren, ist also auch nach oben ziemlich be- !) Vgl. die eingehende Darstellung bei Rosenthal, 8. 335. Die Wärmepolypnoe. 597 schränkt, obgleich in dieser Hinsicht keine allgemeine Regeln aufgestellt werden können. Beim Menschen wird die in regulatorischer Hinsicht stattfindende Ab- kühlung des Körpers fast ausschließlich durch den Schweiß!) bewirkt; dıe Wasserverdampfung aus den Respirationsorganen spielt in dieser Beziehung bei ihm nur eine verhältnismäßig untergeordnete Rolle. Mehrere warmblütige Tiere schwitzen aber nur wenig oder gar nicht. Bei ihnen tritt statt dessen als regulatorischer Mechanismus eine sehr be- schleunigte Atmung auf, dank welcher große Mengen Wasser von den Re- spirationsorganen verdunsten und also den Körper abkühlen. Ackermann?) zeigte, daß, wenn die Temperatur eines Hundes durch Be- hinderung seiner Wärmeabgabe gesteigert wird, die Atemfrequenz bedeutend zunimmt, sowie daß hier keine Dyspnoefvorliegt, denn nach einer raschen Abküh- lung des Tieres tritt die normale Atemfrequenz ebenso rasch (in wenigen Minuten) wieder ein, und es war selbst bei der kräftigsten künstlichen Atmung nicht mög- lich, bei einem solchen Tiere Apnoe zu bewirken. Zu gleicher Zeit mit der Beschleunigung nimmt die Atmungsgröße zu, die Atmung ist aber oberflächlicher als sonst (Mertschinsky°). Daß diese Form der Atmung, welche von Richet als Wärme-Polypnoe, von Gad als Tachypnoe bezeichnet wird, mit der wegen mangelhafter Ventilation der Lungen auftretenden respiratorischen Dyspnoe nichts gemeinsam hat, folgt ferner daraus, daß alles, was den respiratorischen Gasaustausch oder$die Ventilation der Lungen verhindert, sowie auch die Anreicherung des Blutes mit Kohlensäure dem Auftreten der Polypnoe vorbeugt (Richet‘). Wenn die Polypnoe wegen besonderer Eingriffe (Curarevergiftung, Zubinden des Maules, Röhrendyspnoe, tiefe Chloralnarkose) nicht erscheinen kann, so steigt die Körpertemperatur an, während sie unter genau denselben Umständen an ihrem früheren Stande bleibt, wenn die Polypnoe nicht verhindert wird (Richet). Die Polypnoe kommt auch dann zum Vorschein, wenn nur das in den Caro- tiden strömende Blut erwärmt wird, während der übrige Körper keiner höheren Außentemperatur ausgesetzt ist (Goldstein’). Diese Erscheinung im Verein mit der von Athanasiu und Carvalho°) beobachteten, daß die Erwärmung des Körpers keine Polypnoe mehr hervorruft, wenn gleichzeitig der Kopf und der Hals des Tieres abgekühlt werden, zeigen uns, daß eine dureh das erwärmte Blut aus- gelöste Reizung im Kopfmark als nächste Ursache der Polypnoe aufzufassen ist % Über die Polypnoe gibt Kahn) in der letzten Zeit noch an, daß bei Erwär- mung des Carotisblutes das Maximum der Verflachung der Atmung stets früher erreicht wird als das der Beschleunigung; daß sich die Atmungsreflexe während derselben wesentlich anders gestalten wie bei der normalen Atmung, sowie daß die doppelseitige Vagusdurchschneidung die Polypnoe aufhebt und, wenn sie vor der Erwärmung stattgefunden hat, die Stärke der Polypnoe verringert. Als begleitende Erscheinungen treten ferner, und zwar auch ohne daß der Körper (Rectum) selber wärmer wird, Erweiterung der Hautgefäße mit gleich- zeitiger Kontraktion des Splanehnicusgebietes, Schweißsekretion bei Tieren, welche schwitzen, und verminderte Harnsekretion auf. !) Über die Schweißsekretion siehe die Darstellung von Metzner in diesem Handbuche. — ?) Deutsch. Arch. f. klin. Med. 2, 359, 1867. — °) Verhandl. der physik.-med. Ges. zu Würzburg, N. F., 16 (1881). — *) Arch. de physiol. 1888, p. 193, 282. — °) Arbeiten aus dem physiol. Laboratorium zu Würzburg 1, 77, 1872; vgl. aueh Mertschinsky, 2.2.0. — °) Archives de physiologie 1898, p. 95. — ?) "Über die Polypnoe siehe ferner Riegel, Arch f. path. Anat. 61, 396, 1874; Arch. f. d. ges. Physiol. 5, 629, 1872; Sihler, Journ. of Physiol. 2, 191, 1880; Senator, Arch. f. (Anat. u.) Physiol., Suppl., 1883, S. 206; Arnheim, Ebenda 1894, S. 46; Rubner und Cramer, Arch. f. Hygiene 20, 345, 1894. — ®) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1904, Suppl., 8. 81. 598 Die Zentren der Wärmeregulierung. $ 2. Die Zentren der Wärmeregulierung. Unsere direkten Erfahrungen, betreffend diejenigen Teile des zentralen Nervensystems, welche die verschiedenen Organe des Körpers zu gesetz- mäßigem Zusammenwirken bei der Regulierung der Körpertemperatur koor- dinieren, sind bis jetzt nur sehr gering. Nicht daß man es unterlassen hätte, die Einwirkung des Nervensystems auf die Wärmeökonomie zu untersuchen, vielmehr liegen in dieser Hinsicht nicht wenige Arbeiten vor. Die durch dieselben erzielten Resultate sind aber bei weitem nicht genügend, um uns eine befriedigende Vorstellung von dem nervösen Mechanismus der Wärme- regulierung zu gestatten. Da wir wissen, eine wie große Rolle die Muskeln bei der Regulierung der Wärme spielen, ist es von vornherein einleuchtend, daß die Körpertemperatur nach hoher Durchschneidung des Rückenmarkes, wegen der dabei eintretenden Lähmung der meisten Skelettmuskeln, bei nicht zu hoher Außentemperatur herabsinken muß, insbesondere da gleichzeitig auch die Hautgefäße erweitert werden. Beispiele davon haben wir bei Tscheschiehin'), Bernard’), Naunyn und Quincke°), Rosenthal), Riegel’), Pflüger‘), Pembrey’) u. a.°). Wenn die Temperatur der Umgebung hoch ist, so kann die Körpertemperatur nach hoher Rüekenmarksdurchschneidung ansteigen (Naunyn und Quincke, Riegel, Schroff°)'u. a.), was wahrscheinlich zum Teil auf dem Wegfallen der Polypnoe beruht, bei länger dauernden Versuchen wohl auch in dem Eintreten eines Wundfiebers seine Ursache hat (Rosenthal). Die Erfahrungen über die Folgen der hohen Durchtrennung des Rüecken- markes beim Menschen stimmen mit denjenigen an Tieren vollständig überein: zuweilen begegnet man einem Anstieg, zuweilen einer Abnahme der Körpertem- peratur. Die Abnahme ist wohl auch hier auf das Ausfallen der Muskeltätigkeit und die Erweiterung der Hautgefäße zu beziehen. Wenn ein Anstieg erscheint, dürfte derselbe vor allem davon herrühren, daß der Patient vor Wärmeverlust stark geschützt gewesen ist und daß die gelähmten Körperteile bald ihr Schwitz- vermögen verlieren. Außerdem ist die Atmung jetzt diaphragmatisch, also von ziemlich geringem Umfange, weshalb die durch die Respiration bewirkte Abkühlung wesentlich vermindert wird !®). Die Erscheinungen nach Rückenmarksdurchtrennung dürften also aus allgemeinen physiologischen Erfahrungen erklärt werden können, ohne daß man Veranlassung hätte, irgend welche speziell für die Wärmeregulierung eingerichtete Bahnen oder Zentren im Rückenmark anzunehmen. Betreffend die bei verschiedenen Verletzungen oder Reizungen einzelner Hirnteile erzielten Resultate ist zu bemerken, daß hierbei gleichzeitig mit einer Temperatursteigerung nicht selten auch Zwangsbewegungen bzw. Zwangs- stellungen aufgetreten sind. In solchen Fällen kann die Steigerung der Körpertemperatur einfach die Folge der abnormen Muskeltätigkeit darstellen und lehrt uns nichts in bezug auf die eventuelle Beteiligung des betreffenden Hirnteiles bei der Regulierung der Körperwärme. Dasselbe ist der Fall, wenn ') Areh. f. Anat. u. Physiol. 1866, S. 151. — °?) Bernard, Chaleur animale, Paris 1876, p. 161. — °) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1869, 8. 174, 521. — *) Rosen- thal, Zur Kenntnis der Wärmeregulierung, Erlangen 1872, 8. 16. — °) Arch. £. d. ges. Physiol. 5, 629, 1872. — °) Ebenda 18, 321, 1878. — 7) Journ. of Physiol. 17, proceedings 3, 1895. — ®) Vgl. Pembrey, p.859. — °) Sitzungsber. d. Akad. d. Wiss. Wien, math.-naturw. Kl. 73 (8), 141, 1876. — !°) Pembrey, p. 860; Journ. of Physiol. 21, proceedings 13, 1897. Die Zentren der Wärmeregulierung. 599 der Eingriff Störungen der Gefäßinnervation hervorruft, denn dann können eventuelle Veränderungen der Körpertemperatur lediglich von diesen be- dingt sein. Wenn wir uns nicht damit genügen lassen, jede Erwärmung oder Ab- kühlung des Körpers bei Muskelkrämpfen bzw. Muskellähmung oder infolge von einer Gefäßverengerung bzw. Erweiterung als Ausdruck einer Einwirkung auf ein Wärmezentrum aufzufassen, in welchem Falle die Zahl solcher Zentren erdrückend groß werden würde, so müssen wir zugeben, daß die zurzeit vor- liegenden Untersuchungen zum großen Teil nichts anderes als motorische oder vasomotorische Wirkungen nachweisen und also für die Frage nach dem Wärmezentrum keine direkte Bedeutung haben können. Naeh Tscheschichin') würde die Durchschneidung des Gehirns (Kanin- chen) an der Grenze zwischen Pons und Kopfmark unter Beschleunigung der Atmung und des Herzschlages und Steigerung der Reflexe eine starke Temperatur- erhöhung bewirken; diese sei dadurch verursacht, daß durch den Schnitt ein im Gehirn befindliehes wärmeregulatorisches (hemmendes) Zentrum abgetrennt werden würde. Bei der gleichen Operation sah indessen Lewitzki”) die Temperatur in der Mehrzahl der Fälle vom Augenblicke der Operation an bis zum Tode immer sinken. Nur in zwei Fällen sah er eine kleine Steigerung der Temperatur: hier hatten sich aber besonders starke Krämpfe entwiekelt, welche allein für sich die Temperaturzunahme erklären können. Etwa dasselbe fanden Bruck und Günter°), indem unter vielen Versuchen nur in zweien eine Temperatursteigerung eintrat. Sawadowski‘) gibt an, daß die Temperatur nur dann ansteigt, wenn nach der Operation eine sehr heftige, von Krämpfen begleitete Atmung eintritt, was übrigens nur nach unvollständiger Durchtrennung der Fall ist; bei glatt ver- laufender Operation sinkt die Temperatur konstant herab. Unter elf Versuchen, bei welchen die Gegend des hinteren Randes der Brücke und des vorderen Randes des Kopfmarkes durch einen einfachen Nadelstich ver- letzt wurde, beobachteten Bruck und Günter fünfmal eine Temperatursteigerung, dagegen war die Verletzung des vorderen Randes der Brücke nicht mehr wirksam. Da der letzterwähnte Eingriff jedenfalls sicherer als die vollständige Durchschnei- dung an der gleichen Stelle wirkte, konnte die von Tscheschichin entwickelte Deutung nicht berechtigt sein. Naeh Schreiber°) ruft die Stichverletzung an der Grenze zwischen Kopf- mark und Pons bedingungslos und konstant eine Steigerung der Körpertemperatur hervor. Jedoch will er aus diesen Erfahrungen keine bestimmten theoretischen Schlußfolgerungen ziehen. Wenn die Tiere durch Einpaekung vor Wärmeverlust geschützt waren, so bekam Schreiber nach Stichverletzungen der Brücke in allen Teilen, der Peduneculi cerebri, des Kleinhirns und des Großhirns Steigerung der Körper- temperatur. Durch diese Beobachtungen können wir möglicherweise schließen, daß eine Verletzung an der oberen Grenze des Kopfmarkes in vielen Fällen einen Temperaturanstieg im Körper verursacht. Ich kann aber nicht finden, daß diese Erscheinung, auch wenn sie ganz konstant auftritt, irgend welchen Beweis darstellt, daß sich am betreffenden: Orte ein spezifisches Zentrum der Wärmebildung vorfindet, bzw. daß durch die Operation ein höher liegendes, regulatorisches Zentrum ausgeschaltet wäre, denn es ist sehr gut möglich, !) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1866, S. 151. Vgl. auch Wood, Smithson. Contrib. to Knowl. 1880. — ?) Arch. f. path. Anat. 47, 357, 1869. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 3, 580, 1870. — *) Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1888, 8. 161, 178. — ®) Arch. f. d. ges. Physiol. 8, 576, 1874. 600 Die Zentren der Wärmeregulierung. daß diese Verletzung, die wahrscheinlich als ein Reiz wirkt, nur motorische Bahnen oder Zentren erregt hat, ohne daß das Vorhandensein von Muskel- bewegungen oder erhöhtem Muskeltonus in allen Versuchsprotokollen aus- drücklich bemerkt worden ist. Bei Zerstörung gewisser Abschnitte der Oberfläche des Vorderhirns beim Hunde, etwa der motorischen Region entsprechend, beobachteten Eulenburg und Landois!) eine beträchtliche Steigerung der Temperatur in den kontra- lateralen Extremitäten. Lokalisierte elektrische Reizung der gleichen Stellen bewirkte eine meist geringe und vorübergehende Abkühlung in den kontra- lateralen Extremitäten. Entsprechende Beobachtungen sind auch am Men- schen bei Läsionen der Großhirnrinde gemacht worden 2). Auch in diesen Erfahrungen scheint kein bindender Beweis für die Existenz eines Wärme- zentrums zu liegen, denn dieselben dürften wohl mit der Erregung bzw. Lähmung der Vasomotoren und Skelettmuskeln in Zusammenhang gebracht werden können. Nach einem Stich in das Vorderhirn — der Ort wurde nicht genau lokalisiert — fand Richet?), daß (beim Kaninchen) die Körpertemperatur wesentlich zunahm, und daß dabei eine Zunahme der kalorimetrisch ge- messenen Wärmeabgabe um durchschnittlich 24 Proz. eintrat. Gleichzeitig beobachtete Ott), daß die Durchschneidung der beiden Corpora striata eine . beträchtliche Temperatursteigerung zuwege brachte. Kurz nachher teilten Aronsohn und Sachs’) entsprechende Erfahrungen mit. Einstiche in das. Vorderhirn übten auf die Körpertemperatur keinen Einfluß aus. Wurde dagegen der mediale Rand des Corpus striatum vom Stiche getroffen und die Nadel bis zur Basis craniüi geführt, so stieg die Körpertemperatur schon wenige Stunden nach der Operation bis zu einer enormen Höhe und hielt sich auf dieser mehrere Tage lang. Die gleiche Temperatursteigerung zeigte sich ' auch dann, wenn die Nadel den Schädelgrund nicht erreichte; nur erfolgte die Temperatursteigerung langsamer, so daß das Maximum erst nach 24 bis 73 Stunden erreicht wurde, während sie beim tiefen Einstich schon nach 2 bis 7 Stunden die höchste Höhe erstiegen hatte. Dabei nahm die Sauer- stoffaufnahme bis zu 16 Proz., die Kohlensäureabgabe bis zu 21 Proz., sowie die Stickstoffabgabe im Harn um mindestens 25 Proz. zu. Fortgesetzte Untersuchungen von Girard®), Baginsky und Leh- mann’), Sawadowski°®), White°), Gottlieb 1%), Wittkowsky !!), Ito 12), Hirsch, Müller und Rolly 3) u. a. bestätigten die Angaben der letzt- erwähnten Autoren betreffend den Ort des wirksamen Eingriffes, wenn sie !) Arch. f. path. Anat. 68, 245, 1876; vgl. auch die damit übereinstimmenden Beobachtungen von Hitzig (Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1876, S. 823) und die widerstreitenden von Kuessner (Ebenda 1877, 8.821). — °) Vgl. White, British med. Journ. 1894 (2), 8. 1093; 1897 (1), 8. 1655; Zeitschr. f. klin. Med. 50, 253, 1903. — ®) Compt. rend. de l’Acad. des sciences Paris, 98, 826, 1884; Arch. de physiol. 1885 (2), 463; Arch. f. d. ges. Physiol. 37, 624, 1885.— *) Journ. of nervous and ment. diseases 11 (1884); zit. nach Aronsohn und Sachs (siehe unten). — °) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1885, 8.166; Arch. f. d. ges. Physiol. 37, 232, 1885. — °) Arch. de physiol. 1886 (2), 281. —' 7) Arch. f. path. Anat. 106, 270, 1886. — °) A. a. O. — °) Journ. of Physiol. 11, 1, 1890; 12, 233, 1891. — !) Arch. f. exp. Path. 26, 419, 1889; 28, 167, 1891. — '!) Ebenda 28, 283, 1891. — !?) Zeitschr. f. Biol. 38, 63, 1899. — !?) Deutsches Arch. f. klin. Med. 75, 287, 1903. Die Zentren der Wärmeregulierung. 601 auch in bezug auf die dabei auftretenden Erscheinungen nicht in allen Einzelheiten übereinstimmten. Erfahrungen aus der menschlichen Pathologie scheinen dafür zu sprechen, daß auch beim Menschen eine Hyperthermie durch Läsion des Corpus striatum eintritt !). Der Einstich in das Gehirn kann in zweierlei Weise einwirken, entweder durch Reizung oder durch Zerstörung der betreffenden Stelle.e Da nach elektrischer Reizung am genannten Orte dieselbe Temperatursteigerung ein- tritt, darf man wohl schließen, daß auch der Einstich als ein Reiz wirkt. Die oben angeführten Beobachtungen ergeben, daß hier eine Zunahme der Wärmebildung vorliegt. Während der ersten Stunden scheint indes, nach Gottlieb, eine Wärmeretention die wesentliche Ursache der Temperatur- erhöhung zu sein, da die Erhitzung des Körpers oft um ungefähr diejenige Wärmemenge erfolgt, welche im Vergleich zur Norm zurückgehalten wird. Erst im weiteren Verlaufe kommt noch eine Überproduktion hinzu. Es sind von verschiedenen Autoren noch andere Gehirnstellen angegeben worden, bei deren irritativer Verletzung eine Zunahme der Körpertemperatur auf- tritt. So würde nach Ott?) (Kaninchen) und Tangl°) (Pferd) der Sehhügel ein solches Wärmezentrum enthalten, welches nach Ott nach dem Tuber cinereum ver- legt wäre; dagegen ist White zu dem Resultat gekommen, daß die Temperatur- steigerung bei Verletzung des Sehhügels nur bei gleichzeitiger Verletzung des Corpus striatum erscheint*). Im Tuber cinereum würde sich nach. Ott auch ein Zentrum vorfinden, welches die Abgabe von Wärme beförderte: Reizung desselben rufe die Wärmepolypnoe hervor, während dessen Zerstörung das Auftreten der Polypnoe aufhebe. Unter allen „Wärmezentren“, die von verschiedenen Autoren erwähnt worden sind, dürften die im Corpus striatum als am sichersten festgestellt erachtet werden können. Sind dieselben aber als wirkliche Zentren der Wärmebildung oder Wärmeregulierung aufzufassen, und haben sie überhaupt eine direkte Bedeutung bei der Wärmeökonomie des Körpers’? Es ist ohne weiteres einleuchtend, daß sie nicht die einzigen nervösen Zentralorgane für die Wärmebildung darstellen können, da wir doch wissen, daß diese von der Tätigkeit der Organe abhängig ist, und also von allen Teilen des zentralen Nervensystems, die überhaupt bei den peripheren Organen eine dissimilatorische Wirkung hervorrufen, beherrscht wird. Ito hebt hervor, daß das Wärmezentrum des Corpus striatum in erster Linie die Tätigkeit des Pankreas erhöht, und daß es im höchsten Grade wahrscheinlich ist, daß diese Drüse dadurch in höherem Grade Wärme entwickelt als andere Organe des Tierleibes. Die bedeutende Temperatursteigerung des Körpers nach dem Wärmestich läßt sich jedoch nicht aus diesem Gesichtspunkte erklären. Außerdem geht aus Aronsohns°) neuen Versuchen sehr deutlich hervor, daß der Wärmestich unter Vermittelung der Skelettmuskeln seine Einwirkung entfaltet, da derselbe bei schwacher Curarevergiftung der Versuchs- tiere keine Zunahme der Körpertemperatur bewirkt. !) Vgl. die 8.600 zitierten Arbeiten von White. — *) Ott, Text-Book of Physiol., Philadelphia 1904, p. 348. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 61, 559, 1895. — *) Vgl. auch Sawadowsky, a. a. O. — °) Arch. f. pathol. Anat. 169, 501, 1902; vgl. auch Hirsch, Müller und Rolly, Deutsches Arch. f. klin. Med. 75, 287, 1903, sowie die Kritik Aronsohns, Ebenda 82, 205, 1904. ; 602 Die Zentren der Wärmeregulierung. Durch den Ausfall des Corpus striatum wird übrigens die Fähigkeit der Wärmeregulierung nicht aufgehoben, wie aus Goltz’!) Erfahrungen am Hunde ohne Großhirn, bei welchem von den Streifenkörpern nur noch ein Teil vorhanden war und dieser sich im Zustande braungelber Erweichung befand, ersichtlich ist. Ein solcher Hund bietet allerdings verschiedene Störungen seiner Wärmeökonomie dar, diese können aber ganz einfach als der Ausdruck der allgemeinen Störungen aller Funktionen, die bei einem solchen Tiere auftreten, aufgefaßt werden ?). Die Versuche, im zentralen Nervensystem bestimmte Wärmezentren nachzuweisen, dürften also kaum zu einem völlig befriedigenden Resultat geführt haben. Sind wir aber gezwungen, das Vorhandensein besonderer Wärmezentren anzunehmen, und wäre es nicht möglich, die Wärmeregulierung der homoiothermen Tiere ohne solche zu erklären ? Bei der Wärmeregulierung wirkt zwar eine stattliche Zahl verschie- dener Organe in gesetzmäßiger Weise untereinander zusammen, und dies stellt der landläufigen Anschauung gemäß einen genügenden Grund für das Postulat der Wärmezentren dar. Dieses Zusammenwirken ist indes ganz anderer und einfacherer Art als das, welches bei mehreren anderen kombi- nierten Verrichtungen stattfindet. Bei den Atembewegungen treten zahl- reiche Muskeln in einer ganz bestimmten Reihenfolge in Tätigkeit; dieselben müssen daher in zweckentsprechender Weise miteinander koordiniert werden. Dasselbe ist mit der Brechbewegung und überhaupt mit allen, einem be- stimmten Ziele folgenden Muskelkontraktionen der Fall. Ebenso muß sich bei der Verteilung des Blutes nach den verschiedenen Körperteilen eine feine Abstufung der Tätigkeit der Gefäßmuskeln in den verschiedenen Organen vorfinden. Bei- der Wärmeregulierung verhält sich die Sache wesentlich anders: wenn die Wärmeabgabe zu groß ist, so wird der Tonus in allen Muskeln und in allen Hautgefäßen ohne Unterschied erhöht; ist die Wärmebildung zu groß oder ist die Wärmeabgabe durch Leitung und Strahlung nicht genügend, so werden alle Schweißdrüsen ohne Unterschied erregt, bzw. es tritt die Polypnoe, welche keine andere Regulation als die der Atem- bewegungen erfordert, hervor. Kurz, bei der Wärmeregulation handelt es sich nicht um ein koordiniertes, wohl abgepaßtes Zusammenwirken einzelner Organe, sondern die hier tätigen Körperteile werden en bloc erregt. Unter solchen Umständen liegt, meines Erachtens, gar keine zwingende Notwendigkeit vor, im zentralen Nervensystem ein bestimmtes Zentrum für die Wärmeregulierung zu postulieren. Vielmehr dürften sich sämtliche hier- bei stattfindenden Erscheinungen ohne besondere Schwierigkeit erklären lassen, wenn wir annehmen, daß die nervösen Zentren, die die Muskeln und andere wärmebildenden Organe beherrschen, sowie diejenigen, welche die Hautgefäße, bzw. die Schweißdrüsen und die Atembewegungen beeinflussen, bei Temperaturveränderungen in einer dem Bedarf der Wärmeregulation entsprechenden Weise reagieren. !) Arch. f. d. ges. Physiol. 51, 591, 1892; vgl. auch Christiani, Arch. £. (Anat. u.) Physiol. 1885, 8.572. — °?) Vgl. Girard, Arch. de physiol. 1888 (1), 312; U. Mosso, Arch. f. exp. Path. 26, 316, 1889. “ un Wi Me a al Gh en ET Ze nn Die Zentren der Wärmeregulierung. 603 Betreffend den hierbei stattfindenden Mechanismus können mehrere Möglichkeiten stattfinden. Es könnte der Fall sein, daß die Erregung der Kältenerven reflektorisch den Muskeltonus erhöht, die der Wärmenerven die Schweißsekretion hervorruft. Auch ist es denkbar, daß eine kleine Steigerung der Bluttemperatur die Schweißzentren direkt erregt, wie eine Abnahme der- selben irgend welche motorische Zentren in Tätigkeit versetzt. Endlich ist es auch möglich, daß gewisse periphere Organe durch die veränderte Tem- peratur des durch sie strömenden Blutes ihren Stoffwechsel in der einen oder anderen Richtung verändern können. Die Erfahrungen, welche wir über die Reaktionsweise des Körpers bei Temperaturveränderungen besitzen, sprechen wenigstens nicht gegen diese Auffassung. Die so merkwürdige Anpassung der Wärmeproduktion an die umgebende Temperatur, die Rubner konstatiert hat (vgl. Stoffwechsel, 8.463), ist ja im Grunde nicht merkwürdiger als die Anpassung der Atem- bewegungen an den Gasgehalt des Blutes!), und kann wohl mit der Ansicht, daß gewisse motorische Zentren — möglicherweise im Corpus striatum — auf selbst geringe Temperaturen reagieren, in Übereinstimmung gebracht werden. Auch die Tatsache, daß es beim Menschen gelingt, die vermehrte Wärmebildung bei niederer Außentemperatur zu unterdrücken, zeigt, daß die chemische Wärme- regulation nicht von einem vom Willen völlig unabhängigen Zentrum be- herrscht wird, und um ein solches müßte es sich doch handeln, wenn die Wärmebildung von einem speziellen Wärmezentrum aus reguliert werden würde. Auch Erfahrungen, welche wir hinsichtlich der Empfindlichkeit unserer Wärme- und Kältenerven besitzen, sprechen nicht gegen diese Auffassung, denn da selbst sehr geringe Temperaturdifferenzen unter ihrer Vermittelung bewußt werden können, so läßt es sich ja nicht von vornherein verneinen, daß sie auch auf die Zentren des Muskeltonus, der Schweißsekretion usw. einwirken können. Übrigens haben ja direkte Versuche unzweifelhaft erwiesen, daß eine geringe Veränderung der Körpertemperatur Veränderungen in bezug auf die bei der Wärme- regulierung tätigen Mechanismen hervorrufen können. Hierher gehören folgende Versuche von Stern *), bei welchen (am Menschen) die Temperatur eines Vollbades von etwa 34 bis 37°C sehr langsam erhöht oder erniedrigt wurde, bis der Körper durch Bewegung bzw. Schweißsekretion anzeigte, daß die wärmeregulatorischen Mechanismen in Tätigkeit versetzt worden waren. Gleichzeitig wurde die Rectaltemperatur gemessen. Es stellte sich heraus, daß die Schweißsekretion erschien, wenn die Körpertemperatur um durchschnittlich 0,34° C (Max. 0,8, Min. 0,10°) zugenommen hatte. Muskelzittern trat auf, sobald die Körpertemperatur um durchschnittlich 0,26°C (Max. 0,8, Min. 0,0°) herabgesunken war. Wenn infolge starker Hautreizung (mit Senfpulver) die Hautgefäße erweitert waren, trat die Gegenregulation bei Abkühlung schneller und bei geringerer Ab- nahme der Körpertemperatur ein. ’ Dementsprechend fand Fredericg‘), daß bei körperlicher Arbeit eine Schweiß- sekretion erschien, wenn die Körpertemperatur um 0,14 bis 0,49°C zugenommen hatte. Bei einer Ausgangstemperatur von weniger als 37,2°0C war die Zunahme der Körpertemperatur, bis Schweiß erschien, durchschnittlich 0,43°C (Max. 0,49, Min. 0,38%); bei einer Ausgangstemperatur zwischen 37,2 und 37,4°C betrug die Zunahme nur 0,21°C (Max. 0,28, Min. 0,14°%). Die Zahl der Beobachtungen ist allerdings nur gering, es scheint indessen aus denselben hervorzugehen, daß die durch Ausbruch von Schweiß gekennzeichnete Gegenregulation bei Erwärmung des Körpers um so früher auftritt, je höher die Körpertemperatur schon ist. !) Vgl. z.B.Miescher, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1885, 8.355. — *) Zeitschr. f. klin. Med. 20, 63, 1892. — °) Travaux du laboratoire 6, 209, 1901. 604 Die Wärmeregulierung bei Neugeborenen. Aus diesen und anderen Erfahrungen (vgl. S.597), wie aus dem, was uns betreffs der Schweißsekretion bekannt ist, dürfte mit einer gewissen Wahr- scheinlichkeit geschlossen werden können, daß die bei der Wärmeregulation stattfindende Reizung gewisser Teile des Nervensystems wesentlich durch die Temperatur des Blutes zustande kommt, und daß im Vergleich dazu die reflektorischen Wirkungen der Wärme- und Kältenerven von geringerer Be- deutung sein dürften. In der letzten Zeit hat Montuori') Versuche mitgeteilt, in welchen er darzu- tun sucht, daß die Wärmeregulation wesentlich durch den Einfluß besonderer Sub- stanzen erfolgt, welche bei Erwärmung bzw. Abkühlung des Körpers entstehen. Die Transfusion des Blutes von einem künstlich erwärmten oder abgekühlten Hunde an einen anderen Hund würde nämlich bei diesem eine Abnahme bzw. eine Zu- nahme der Wärmebildung hervorrufen. Nach Transfusion des Blutes eines ab- gekühlten Tieres wird die Sauerstoffaufnahme und die Kohlensäureabgabe vermehrt; dagegen tritt bei Transfusion vom Blute eines erwärmten Tieres trotz der ver- minderten Wärmeabgabe keine Veränderung im respiratorischen Gasaustausch hervor usw. Wenn sich diese Angaben bestätigen, so würde die Physiologie der Wärmeregulation in vielerlei Hinsicht ein verändertes Aussehen bekommen. Aber selbst wenn dem so wäre, würde doch daraus keine Notwendigkeit spezieller Wärmezentren resultieren. $ 3. Die Wärmeregulierung bei Neugeborenen. Bei seinen Untersuchungen über die Körpertemperatur bei Neugeborenen und jungen Säugetieren von verschiedenem Alter fand Edwards), daß die- selben, wenn sie von ihrer Mutter fortgenommen wurden, sich wesentlich ver- schieden verhalten. Einige, welche, wie der Hund, die Katze, das Kaninchen, blind und hilflos geboren werden, zeigten eine bedeutende Abnahme ihrer Tem- peratur, und zwar auch dann, wenn sie durch Bedeckung vor Wärmeverlust geschützt wurden. Im Laufe der ersten zwei Wochen bekamen sie allmählich das Vermögen, selbständig ihre Temperatur bei gewöhnlicher Zimmertemperatur zu erhalten. Andere Tiere aber, wie das Meerschweinchen, besaßen vom Augenblick der Geburt an das Vermögen, bei mittlerer Temperatur ihre Eigen- temperatur selbständig zu bewahren, ohne von der Mutter erwärmt zu werden. Wenn die Tiere aber einer niedrigen Außentemperatur ausgesetzt wurden, so konnten sie ihre Eigentemperatur nicht beibehalten und verhielten sich dann wie die Tiere der ersten Gruppe. Dieselben Erscheinungen konnte Edwards auch bei den Vögeln beob- achten; außerdem bemerkte er, daß das neugeborene Kind allerdings nicht der Erwärmung durch den mütterlichen Körper bedarf, andererseits aber gegen stärkere Abkühlung viel empfindlicher ist als etwas ältere Kinder. Vor der Zeit geborene Kinder konnten überhaupt nicht selbständig ihre Temperatur bewahren 3). Am bebrüteten Hühnerei fand Pembrey im Verein mit Gordon und Warren), daß das Küchlein etwa bis zum Ende der dritten Woche auf Variationen der Außentemperatur in derselben Weise wie ein Kaltblüter !) A. Montuori, Ricerche Biotermiche, Napoli 1904; im Auszug in Arch. ital. de biol. 42, 383, 1904. — ?) W. F. Edwards, De l’influence des agents physiques sur la vie, Paris 1824, p.132. — °) Derselbe, Ebenda, p.229. — *) Journ. of Physiol. 17, 331, 1894. Die Wärmeregulierung bei Neugeborenen. 605 reagiert, d. h. daß die Intensität der Kohlensäurebildung mit der Außen- temperatur steigt und fällt. Das ausgetragene Küchlein hat aber, wenn es kräftig ist, das Vermögen, in derselben Weise wie überhaupt die warmblütigen Tiere durch vermehrte Verbrennung gegen Abkühlung zu reagieren. Bei fortgesetzten Untersuchungen konstatierte Pembrey!), ebenfalls durch Studium der Kohlensäurebildung, daß sich neugeborene Mäuse, Ratten und Tauben bei Veränderungen der Außentemperatur ganz wie Kaltblüter verhalten, während dagegen das Meerschweinchen und das Küchlein die Fähigkeit haben, durch vermehrte Wärmebildung ihre Eigentemperatur kon- stant zu erhalten, vorausgesetzt, daß die Schwankungen der Außentemperatur nicht zu groß sind. Die Tiere der ersten Gruppe gewannen ein genügendes Vermögen der Wärmeregulierung 10 bis 15 Tage nach der Geburt. In wesentlicher Übereinstimmung mit Edwards bemerkt Pembrey, daß die wesentliche Ursache, weshalb neugeborene Mäuse, Tauben usw. ihre Eigentemperatur nicht bewahren können, in einer mangelhaften Wärme- bildung liegt. Bei Temperaturerniedrigung sind ihre Bewegungen zwar im Anfange lebhafter, bald werden sie aber schwach und von geringer Wirkung. Das Meerschweinchen und das Küchlein zeigen dagegen bei niedriger Tem- peratur eine bedeutende Aktivität. Das Vermögen der Wärmeregulierung scheint also Hand in Hand mit der Entwickelung der neuromotorischen Organe zu gehen. Daß das ausgetragene neugeborene Kind selbständig seine Körper- temperatur auf konstanter Höhe erhalten kann, steht außer jedem Zweifel. Jedoch zeigt die Erfahrung, daß es noch nicht in derselben Weise wie der erwachsene Mensch seine Körpertemperatur zu regulieren vermag. Dies geht vor allem aus den schon oben besprochenen Erfahrungen über den Temperaturfall während der ersten Tage hervor, welcher ja vom Bade wesent- lich unabhängig ist und auch an Kindern auftritt, die kein Bad bekommen. Ferner sind die Temperaturschwankungen, obgleich bei ihnen noch nicht die gesetzmäßig verlaufende tägliche Variation ausgebildet ist, wesentlich größer als beim Erwachsenen. Hier liegt also eine gewisse Wärmelabilität vor, welche, wie Raudnitz?) näher entwickelt, nicht von der geringen Körper- größe und dem davon bedingten verhältnismäßig größeren Wärmeverlust abhängen kann, da bei einem und demselben Kinde die Wärmeregulierungs- fähigkeit mit jedem Lebenstage zunimmt, ohne daß sich das Verhältnis zwischen Körpergröße und -oberfläche inzwischen wesentlich ändert. Hier dürfte also, ganz wie beim Meerschweinchen, der Einfluß anfangs nicht völlig ausgebildeter Regulationsvorrichtungen vorliegen. Durch Versuche, wo sowohl die Wärmeabgabe (kalorimetrisch) als auch der respiratorische Gasaustausch bestimmt wurde, kommt Babak?) zu dem Resultat, daß beim Neugeborenen die physikalische Wärmeregulation mangel- haft ist, und daß auch die chemische Regulation oft große Unregelmäßig- keiten aufweist. Wenn die Wärmeabgabe ungenügend geregelt wird, reicht die gesteigerte Wärmeproduktion nur dann aus, wenn die Außentemperatur höher oder die Umhüllung mit schlechtem Wärmeleiter besser ist. !) Journ. of Physiol. 18, 363, 1895. — ?) Zeitschr. f. Biol. 24, 422, 1888; da- selbst eine eingehende Besprechung der einschlägigen Literatur. — °) Arch. f£. d. ges. Physiol. 89, 154, 1902. 606 Die Wärmeökonomie der kaltblütigen Wirbeltiere. Nach Jundell!) sind indessen die bei völlig gesunden Neugeborenen auftretenden Variationen geringer, als man es sich im allgemeinen vorstellt. Nach seinen Messungen, die allerdings nur sechsmal täglich gemacht wurden, und zwar an Kindern am Ende der ersten Lebenswoche, war die Variations- breite bei zwei- bis dreitägigen Beobachtungen an 47 Kindern (insgesamt 139 Tage) 32 mal 0,3, 27 mal 0,4, 32 mal 0,5 und 16 mal 0,6°C, während dieselbe bei der Versuchsperson Vogel (Jürgensen) durchschnittlich für 10 Tage 0,86°C (Max. 1,0, Min. 0,6°) betrug. ’ $ 4. Anhang. Die Wärmeökonomie der kaltblütigen Wirbeltiere?). Über die Temperatur der kaltblütigen Wirbeltiere liegen sehr zahlreiche An- gaben von älterer und jüngerer Zeit vor. Aber erst seitdem Berthold°) näher . die Vorsichtsmaßregeln darstellte, welche bei solchen Untersuchungen beobachtet werden müssen, sind die hierher gehörigen Untersuchungen im allgemeinen mit der notwendigen Sorgfalt ausgeführt worden; dem größeren Teile der älteren Beobachtungen kann daher kein vollständiges Zutrauen beigemessen werden. Die Frage, die vor allem wichtig ist, ist die, ob die kaltblütigen Wirbeltiere eine Eigentemperatur haben, d. h. ob sich bei ihnen Vorrichtungen finden, die es diesen Tieren möglich machen, eine Temperatur zu erzeugen, die nicht allein momentan, sondern auf die Länge höher ist als die des umgebenden Mediums. Diese Frage dürfte nunmehr ziemlich sicher beantwortet werden können. Im Wasser nehmen die kaltblütigen Tiere (Frosch, Krokodil, Schildkröte, Fische) schnell die Temperatur des Wassers an, und es gelingt mit noch so empfindlichen Methoden nicht, eine Eigentemperatur bei denselben nachzuweisen [Soetbeer ‘), Isserlin?)]. Auch wenn sie in der Luft aufbewahrt werden, so nehmen sie die Temperatur derselben an, wenn der Feuchtigkeitsgehalt ein mittlerer ist und kein zu starker Luftwechsel stattfindet. In trockener Luft, und besonders wenn gleichzeitig der Raum stark ventiliert wird, sinkt ihre Temperatur; wenn endlich die Luft mit Wasser gesättigt ist, so steigt die Körpertemperatur (beim Frosch) um etwa 0,1 bis 0,3°C an. Diese Erscheinungen sind aus rein physikalischen Gründen leicht zu erklären. Die Tiere haben keine Fähigkeit, eine Eigentemperatur zu entwickeln und zu unterhalten. In einem gut wärmeleitenden Medium, wie dem Wasser, wird die bei ihrem Stoffwechsel gebildete Wärme sogleich fortgeleitet. In trockener Luft bewirkt die Verdunstung von ihrer Körperoberfläche eine Abnahme :. der Körper- temperatur; ist die Luft mit Wasser gesättigt, so hört diese Verdunstung auf; da selbst die feuchte Luft einen schlechten Wärmeleiter darstellt, wird die gebildete Wärme dem Tiere nicht sogleich entzogen, und infolgedessen entsteht der winzige Überschuß der Körpertemperatur über die Außentemperatur. Bei einem gewissen Feuchtigkeitsgehalte genügt die Wärmeabgabe durch Leitung, Strahlung und Wasserverdampfung gerade, um Temperaturgleichgewicht zwischen dem Tiere und der Luft herzustellen. ') Jahrb. f. Kinderheilk., N. F., 59, 531, 1904. — ?) Wegen Mangel an Raum, und da dieses Handbuch vor allem die Physiologie des Menschen zu berücksichtigen hat, kann der Wärmehaushalt der kaltblütigen Wirbeltiere nur ganz kurz erörtert werden. Aus derselben Ursache muß die Wärmeökonomie der Wirbellosen hier ganz ausgeschlossen werden. Betreffend die Winterschläfer verweise ich auf die Darstellung von Merzbacher in den Ergebnissen der Physiologie 3 (2), 214, 1904. — *) Berthold, Neue Versuche über die Temperatur der kaltblütigen Tiere, Göttingen 1835. — *) Arch. f. exp. Path. 40, 53, 1898; daselbst eine ausführliche Zusammenstellung der Angaben über die Temperatur bei den Amphibien und Rep- tilien. — °) Arch. f. d. ges. Physiol. 90, 472, 1902. N ll nu Die Wärmeökonomie der kaltblütigen Wirbeltiere. 607 Die kaltblütigen Tiere können also nicht selbständig ihre Temperatur wesent- lich über die des umgebenden Mediums erhöhen, und jede Steigerung derselben ist also durch eine Wärmezufuhr von außen bedingt. Bei den Wassertieren ist natürlich die Wärmeleitung hierbei allein bestim- mend. Bei Tieren, die sich nicht im Wasser aufhalten, wird durch Leitung von der Luft, wegen deren geringer Wärmekapazität, wahrscheinlich nur sehr wenig Wärme zugeführt; viel mehr Wärme bekommen diese durch Leitung von dem Boden, am meisten aber durch die Wärmestrahlung. In bezug auf die letztere spielt auch die Beschaffenheit der Hautoberfläche, je nachdem sie zur Aufnahme der strahlenden Wärme mehr oder weniger geeignet ist, eine wesentliche Rolle. Besonders deutlich geht dies aus den Erfahrungen von Krehl und Soetbeer') am Uromastix hervor. Wie viele andere Kaltblüter, kann auch dieses Tier die Farbe seiner Haut verändern. Wird es dem Sonnenlicht ausgesetzt, so färbt sich die vorher grauweiße Haut dunkel, fast schwarz, was natürlich für die Absorption der Wärmestrahlung sehr günstig ist. Bei direktem Sonnenlicht erreicht das Tier in kurzer Zeit eine Körpertemperatur von 41°C. Nun tritt aber wieder ein Farben- wechsel hervor: das fast schwarze Tier wird hell, fast weiß und vermindert dadurch in hohem Grade das Absorptionsvermögen der Haut für die strahlende Wärme. In den Schatten gebracht, wird es bald wieder dunkel. Bei der Wärmeabgabe ist bei den Kaltblütern, wie schon bemerkt, die Wasser- verdunstung vor allem: wichtig. Indes finden sich zwischen verschiedenen Spezies sehr bemerkenswerte Verschiedenheiten in dieser Beziehung. Der soeben erwähnte Uromastix, der ja in der Wüste lebt, gibt selbst bei sehr erhöhter Temperatur nur sehr wenig Wasser von sich; Krehl und Soetbeer konnten bei ihm überhaupt keine Wasserabgabe konstatieren. Langlois?) fand indessen, daß derselbe, wie auch Varanus, bei direkter Bestrahlung doch etwas Wasser abgibt, obgleich die Menge desselben nicht mehr als etwa 4g pro Kilogramm Körpergewicht und Stunde be- trägt. Außerdem tritt hier eine Polypnoe hervor, die mit der beim Hunde beob- achteten ganz übereinstimmt, sich aber nur dann zeigt, wenn das Tier direkt bestrahlt wird und wenn es sich in gutem Nahrungszustande befindet. Ein Uro- mastix, dessen Temperatur auf 42°C angestiegen ist, zeigt keine Polypnoe, wenn es vor direkter Bestrahlung geschützt wird. Hieraus folgt, daß sich der Uromastix, wenn einmal seine Temperatur eine bedeutendere Höhe erreicht hat, nur langsam abkühlen kann, und dementsprechend bleibt er auch, wenn er in eine schattige und kühle Umgebung gelangt, stunden- lang wesentlich wärmer als diese. Bei anderen Kaltblütern, wie dem Frosch, dem Kaiman, dem Alligator, dem Krokodil und der Riesenschlange Python, findet dagegen eine sehr starke Wasser- verdampfung statt (bei Rana mugiens 97 bis 104g pro Kilogramm Körpergewicht und Stunde bei derselben Außentemperatur, bei welcher Uromastix nur etwa 4g Wasserdampf abgab; Langlois), und zwar würde diese zum Teil eine physiologische Erscheinung darstellen, indem nach Krehl und Soetbeer ein lebendiges Krokodil bei denselben äußeren Verhältnissen mehr Wasser abgibt als ein totes. Hier tritt noch folgende merkwürdige Erscheinung auf. Bei 25°C und 70 Proz. Feuchtigkeit gibt ein Frosch rund 1,5 Kal. ab; bei mit Wasser gesättigter Luft von derselben Temperatur ist die Wärmeabgabe nur 0,5 Kal. Ganz entsprechende Zahlen zeigen auch Versuche am Krokodil. Diese Tiere geben also durch Ver- dunstung bis etwa zwei- bis dreimal mehr Wärme ab, als sie produzieren, und müssen zu diesem Zwecke selbstverständlich Wärme von der Umgebung aufnehmen (Krehl und Soetbeer). Wir können also mit den soeben erwähnten Autoren sagen, daß die zuletzt besprochenen kaltblütigen Wirbeltiere, sofern sie ein lebenswertes Dasein führen wolien, die Aufnahme von Wärme von außen in allerhöchstem Maße brauchen. Dadurch erhöhen sie ihre Temperatur, die Zersetzungen in ihren Geweben wachsen an und erreichen eine gewisse Größe. Durch Wasserverdunstung bleibt indes die !) Arch. f. d. ges. Physiol. 77, 611, 1899. — *) Journ. de la physiol. 1902, p- 249; Archives des seiences biologiques, 11 Supplement, 1904, p. 172. 608 Die Wärmeökonomie der kaltblütigen Wirbeltiere. Körpertemperatur stets unter der der Umgebung, und daher kann sich das Tier, trotz fortwährender Aufnahme von Wärme, vor Überwärmung vollständig schützen und doch die für seine maximale Leistungsfähigkeit höchste Temperatur erhalten, die es vertragen kann. Endlich geben die Untersuchungen über das Verhalten der Kaltblüter bei verschiedener Außentemperatur gewisse Anhaltspunkte dafür, daß das Temperatur- optimum, bei welchem die chemischen Zersetzungen für die Unterhaltung des Lebens am günstigsten sind, für verschiedene Spezies verschieden hoch liegen, sowie daß bei gleicher Temperatur die Zersetzungen bei den einzelnen Tierarten nicht gleich, sondern untereinander verschieden sind. So ist eine Temperatur von 37°C für die in gemäßigter Zone lebende Lacerta und Rana mugiens zu hoch, sie verdoppeln ihre Wärmeproduktion und gehen zugrunde, während die Tropentiere, wie der Alligator und Uromastix, diese Temperatur gut vertragen, und dabei pro Kilogramm Körpergewicht einen Stoffwechsel von weniger als der Hälfte der soeben genannten Tiere haben (Krehl und Soetbeer). Aus dieser kurzen Übersicht folgt also, daß die kaltblütigen Wirbeltiere ebensowenig als die warmblütigen in bezug auf die spezielle Anordnung ihres Wärmehaushalts vollständig übereinstimmen. Bei beiden Gruppen finden sich bei verschiedenen Arten mehr oder weniger bedeutende Verschiedenheiten, die mit den allgemeinen Lebensbedingungen aufs engste zusammenhängen. ine. Sn u SE. Elemente der Immunitätslehre von Carl Oppenheimer. Die Tatsachen und Gesetze, die den Erscheinungen der Immunität im weiteren Sinne des Wortes zugrunde liegen, verdienen es wohl, als Grenz- gebiet der Physiologie eingereiht zu werden. Obzwar Beobachtungen aus dem Bereich der Bakteriologie erwachsen, ist die Lehre doch längst aus diesem engen Kreis herausgetreten. Sprechen wir doch heute von Immunität gegen Gifte, gegen Zellen der verschiedensten Art, gegen Eiweißkörper. Wenn .also auch die praktischen Konsequenzen: die Ausnutzung der auf diesem Gebiete gewonnenen Erfahrungen, auch heute noch im überwiegenden Maße den diagnostischen und therapeutischen Zwecken der Seuchenbekämpfung zugute kommen, so ist doch die Lehre selbst ein Zweig der Biologie, der vom Normalen in das Pathologische hinein sich erstreckt. So ist es denn wohl berechtigt, ein Kapitel über Immunität einem umfassenden Handbuch der Physiologie anzugliedern. Allerdings gehören eben nur die Haupttatsachen und Hauptgesetze hinein; die zahllosen, zum Teil noch mangelhaft ein- geordneten Einzelheiten haben nur fachmännisches Interesse und können hier nicht behandelt werden. In diesem Sinne bitte ich also meinen Beitrag nur als das zu würdigen, als was er geplant ist, eine Einführung in das Gebiet der Immunitätslehre als einer biologischen Anpassung. Die Immunität ist ein höchst komplexes Phänomen; es sind unter diesem Sammelbegriff Dinge der verschiedensten Art untergebracht, die auf den ersten Blick gar nichts miteinander zu tun haben. Das Gemeinsame ist eine mehr oder weniger vollständige Wider- standskraft eines lebenden Organismus gegen Schädigungen, die für einen anderen Organismus sehr bedrohlich sind. Diese Widerstandskraft kann entweder angeboren sein, dem Individuum oder der Rasse eigentümlich; dann sprechen wir von natürlicher Immunität. Oder aber sie kann erworben werden: Es können unter dem Einflusse bestimmter Reize sich Anpassungen ausbilden, welche zu einer Erhöhung der Widerstandskraft führen, die sich in vielen Fällen bis zu einer praktisch absoluten Resistenz steigern läßt. Bei der erworbenen Immunität sind zwei Dinge von vornherein von prinzipieller Wichtigkeit. Die erworbene Immunität ist eine spezifische, d. h. die Widerstandskraft ist erhöht nur gegen einen gleichartigen Reiz, während andere sehr ähnliche mit voller Intensität wirken mögen. Als ein Beispiel sei hier vorweggenommen, daß man eine Immunität gegen das Gift der Diphtheriebazillen herbeiführen kann, während das so ähnliche giftige Nagel, Physiologie des Menschen. I. 39 610 F Spezifische Bindung. Prinzip der Tetanusbazillen auf dasselbe Tier noch in voller Kraft wirkt. Der zweite Punkt ist der, daß man die Art der Anpassung aufklären kann. Sie beruht nämlich, ganz allgemein gesagt, auf der Anhäufung spezifischer Schutzstoffe im Organismus, von Antikörpern, die man chemisch nachweisen kann: lie erworbene Immunität ist in ihrer Hauptsache die Folge einer Kette von chemischen Korrelationen bestimmter Art. Die Höhe der erworbenen Widerstandskraft hängt ceteris paribus von der Menge dieser spezifischen Antikörper ab. Dadurch unterscheidet sich die echte erworbene Immunität prinzipiell von einer einfachen Resistenzsteigerung, wie sie uns ja häufig in der „Gewöhnung“ an bestimmte Gifte entgegentritt, wie gegen Alkohol, Morphin usw. Der Mechanismus solcher Anpassungen ist wohl sehr ver- schiedenartig, auch noch nicht überall aufgeklärt. Jedenfalls aber ist bisher kein Fall sicher erwiesen, wo diese erhöhte Resistenz gegen einfache Gifte auf der Ausbildung von Antikörpern beruht. Man tut deshalb gut, Phänomene dieser Art gänzlich von dem Begriff der- erworbenen Immunität zu trennen, und als „Mithridatismus“ zu bezeichnen. Wir werden uns damit nicht. weiter zu beschäftigen haben. Dieser Beschränkung folgt nun auch die moderne Terminologie der Immunitätslehre. Man bezeichnet die auslösenden Stoffe als „Antigene“. Es ist damit ausgedrückt, daß diese wirksamen Prinzipien, unbeschadet ihrer sonstigen Art und Natur, die Fähigkeit haben, die Bildung von spezifischen Antikörpern im lebenden Organismus auszulösen, und dadurch die Erhöhung der Widerstandskraft zu bewirken. Als erster Hauptsatz der Lehre folgt also, daß zu jedem Antigen ein spezifischer Antikörper gehört, der seine Tätigkeit paralysiert. Aufgabe der theoretischen Immunitätslehre ist es nun, den Mechanismus der Wirkung der Antigene und der Entstehung der Anti- körper in allen Details zu verfolgen. Als fundamentales Ergebnis dieser Untersuchungen sei hier voraus- geschickt, daß wir dabei zur Aufstellung des Prinzips der „spezifischen Bindung“ gelangen. Dies sagt aus, daß die Antigene nur dort ihre spezi- fische Wirksamkeit entfalten können, wo sie zu irgendwelchen empfindlichen Elementen des lebenden Organismus in feste Beziehungen gelangen, die auf einer chemischen Verwandtschaft beruhen, und irgendwie zu einer Verankerung des wirksamen Antigens führen. Daraus folgt der negative Schluß, daß dort, wo eine solche spezifische Bindung nicht erfolgen kann, auch die spezifische _ Wirkung des Antigens ausbleiben muß. Allgemein gesagt, muß also der spezifischen Wirkung eine spezifische Bindung vorausgehen. Da- bei sei an dieser Stelle weder über die Art der Bindung, noch der lebenden Elemente, an die sie erfolgt, irgend etwas ausgesagt; dies muß den speziellen Erörterungen vorbehalten bleiben. Nur das allgemeine Grundprinzip unserer Lehre sei vorausgeschickt. Aus diesen prinzipiellen Grundlagen folgt aber weiter ein Schluß von ungemeiner Tragweite, der eine Brücke von der erworbenen zur angeborenen Immunität zu schlagen ermöglicht. Wenn wir als Voraussetzung der spezi- fischen Wirkung eines Antigens die Möglichkeit einer spezifischen Bindung annehmen, so läßt sich rein a priori ein Fall konstruieren, bei dem die Wirkung eines Antigens aus dem Grunde ausbleibt, weil eben die Möglıchkeit einer spezifischen Bindung entfällt. In der Tat ist es u ru A Antitoxische Immunität. 611 sicher, daß ein Teil der Erscheinungen der angeborenen Immunität -auf die Unmöglichkeit einer spezifischen Verankerung des Antigens zurückzuführen ist. Andere Erscheinungen sind aber damit nicht ungezwungen zu erklären. Wir werden darauf hingedrängt, daß in anderen Fällen die natürliche Re- sistenz darauf beruht, daß ähnliche Anpassungen, wie sie sonst die Erwerbung der Immunität mit sich bringt, schon im unberührten Individuum vorhanden sind, daß also Antikörper natürlich vorkommen. Die natürliche Im- munität ist überhaupt ein sehr viel komplizierteres und in vielen Einzelheiten unklareres Phänomen, als die erworbene, die uns heute in fast allen prin- zipiellen Fragen ein wohlbekanntes Gebiet darstellt. Wir können also diese prinzipiellen Hauptpunkte folgendermaßen resümieren. Ein wirksames Agens, das Antigen, wird durch spezifische Bindung an ein chemisch verwandtes Element des lebenden Organismus, einen „Receptor“ nach der Terminologie, verankert und löst dadurch eine Korre- lation aus, die zu der Bildung eines Antikörpers führt, der die Wirkung des Antigens vermindert oder praktisch aufhebt. Die Punkte, welche also einer genaueren Aufklärung harren, sind folgende: Natur der Antigene, Mecha- nismus der spezifischen Bindung, Mechanismus der Anpassung, welche zu der Produktion der spezifischen Antikörper führt, eingeschlossen die Bedeutung von Art und Menge des Antigens zu Art und Menge des Anti- körpers; endlich die Frage, auf welche Weise der Antikörper die Wirkung des Antigens zu verhindern imstande ist. Daran schließt sich dann die Frage nach der Natur und den Ursachen der angeborenen Immunität. Diese Fragen. in ihren gegenseitigen Verknüpfungen sollen der Inhalt der folgenden Auseinandersetzungen sein, wenn auch die hier gegebene Reihenfolge sich nicht streng durchführen lassen wird. I. Die erworbene antitoxische Immunität. Das relativ einfachste und am besten durchgearbeitete Gebiet der Im- munitätslehre ist die erworbene Immunität gegen die spezifischen Giftstoffe der Bakterien und einige ihnen ähnliche Gifte des Tier- und Pflanzenreiches. Hier ist der Reiz ein relativ einfacher, ein chemischer, nichtlebender Stoff, der zu dosieren ist, und die labilere Variable, der lebende Körper, nur auf einer Seite, während bei der Immunität gegen Zellen zwei lebende an- passungsfähige Elemente in Wechselbeziehung treten. So ist es denn kein Wunder, wenn auch die Entwickelung dieser Lehren zuerst auf diesem Gebiete Fortschritte machte. Dabei müssen wir allerdings von der allerersten Beobachtung auf dem Felde der erworbenen Immunität absehen. Die Entdeckung Edward Jenners, daß man mit dem relativ unschädlichen Virus der Kuhpocken gegen die echten Pocken festmachen kann, ist die erste Entdeckung dieses Gebietes. So groß aber die praktischen Konsequenzen aus diesem Funde waren, für die Aufklärung der Phänomene an sich hat sie gar nichts geleistet. Auch heute noch, eine seltsame Ironie der Geschichte, wissen wir von den Pocken weder wie die Infektion, noch wie die Schutzimpfung zustande kommt. Wir müssen also aus der Geschichte der Lehre diese an sich so eminent wichtige Entdeckung streichen. 39* 612 Toxine. Unser Wissen konnte sich erst entfalten, als die Mikroorganismen als Krankheitserreger aus dem Dunkel unsicherer Widersprüche heraustraten, und durch Robert Koch ihre Rolle bei der Entstehung der Krankheiten zu einer wissenschaftlichen Tatsache wurde. Koeh!) selbst hat auch schon wiederholt eindringlich darauf hin- gewiesen, daß wohl die letzte Ursache der Erkrankung nicht die bloße An- wesenheit der fremden Keime sein könne, sondern daß hier wohl Gifte besonderer Art ihre verderbliche Rolle spielen müßten. Auf seine Ver- anlassung machte man sich nun daran, diese Gifte aus den Bakterienkulturen zu gewinnen und näher zu studieren. Besonders Brieger war es, der sich mit diesen Fragen beschäftigt hat. Er stellte zuerst aus Kulturen von Bak- terien basische Stoffe, die sogenannten Ptomaine her, die er als die spezi- fischen Gifte ansehen wollte. Diese Phase der Erkenntnis ist heute nur noch von historischem Interesse: die Ptomaine sind nur zum Teil überhaupt giftig, jedenfalls aber auf keinen Fall die spezifischen Gifte der Bakterien. Auch die späterhin aus Bakterien und ihren Kulturen hergestellten eiweißähnlichen Stoffe, die Toxalbumine, haben nur noch historisches Interesse. Das erste wirkliche Toxin in Händen gehabt zu haben, ist das bleibende Verdienst von Roux und Yersin, die im Jahre 1888 aus den Bouillonkulturen der Diphteriebazillen ein lösliches, von den Leibern der Bazillen völlig abtrenn- bares Gift auffanden, das bei der Injektion in den Tierkörper fast genau dieselben Erscheinungen auslöste, wie die lebenden Erreger. Kurz darauf fand Kitasato das Tetanustoxin. Diese beiden sind nun als die Typen der echten Bakterientoxine hinzustellen, ihre Eigenschaften und ihr Verhalten im Tierkörper sind vorbildlich für alle Bakterientoxine. Es muß aber hier darauf hingewiesen werden, daß nur ein kleiner Teil der pathogenen Mikroben solche echten Toxine überhaupt zu bilden scheint. Bei einigen, so Milzbrand, Tuberkulose usw. sind alle Versuche fehlgeschlagen. Bei Typhus und Cholera, wohl auch bei Pest und einigen anderen liegt die Sache vermutlich so, daß die Bakterien zwar Gifte bilden, die für die schädliche Wirkung verantwort- lich sind, aber gegen die es keine Antikörper gibt, Gifte, die fest in der lebenden Zelle haften, nicht in die Kulturen übergehen, sogenannte Endo- toxine, die erst beim Zerfall der Zelle frei werden, und, wenn sie in ge- nügender Menge vorhanden sind, unter allen Umständen tödlich wirken. Wir werden ihnen bei der antibakteriellen Immunität wieder begegnen, da ihre noch nicht allseitig geklärte Eigenart bei diesen Prozessen eine sehr große Rolle spielt. Echte Toxine sondern wie gesagt nur wenige Bakterien ab, außer den genannten noch der Pyocyaneus, der Rauschbrandbazillus, der Dysenterie- bazillus und vielleicht noch einige andere. Dagegen sind zweifellose echte Toxine enthalten in den Schlangengiften, sowie im Krötengift, Spinnengift, Aal- und Muränenblut und einigen anderen tierischen Säften. Im Pflanzenreich finden wir echte Toxine in den Samen !) Über die Geschichte der Toxine usw. und alle Details sowie die Seiten- kettentheorie verweise ich auf mein Buch: Toxine und Antitoxine, Jena 1904, sowie auf Kolle-Wassermanns Handbuch der path. Mikr. 1; ferner Römer, Seitenketten- theorie, Wien 1904. Toxine. 613 der Ricinuspflanze ‚ das Ricin, ferner das Abrin aus Abrus precatorius, das Crotin aus Croton tiglium. Schließlich scheinen auch einige Pilze ein echtes Toxin zu bilden. Wir können also bei der Besprechung der antitoxischen Immunität von den Bakterien schließlich ganz absehen, da sie nur als erzeugender Organismus des wirkenden Toxins in Betracht kommen. Dabei muß allerdings voraus- gesetzt werden, daß die experimentelle Vergiftung mit einem Toxin dieselben Erscheinungen auslöst, wie eine Injektion lebender Keime. Dies ist nun tatsächlich in genügender Weise der Fall. Sowohl bei der Diphtherie, be- sonders aber auch beim Tetanus stimmen die Erscheinungen völlig überein, ob man lebende Erreger oder totes Gift einführt. Bei diesen Bakterien ist überhaupt die Lebensdauer in den Säften des Organismus eine sehr geringe, sie halten sich nur an den äußeren Schleimhäuten auf, und senden nur von dort aus ihre Gifte in den Kreislauf hinein, ganz im Gegensatz zu den eigentlich infektiösen Mikroben, die sich im Körper vermehren. Infolgedessen sind auch die bei der spontanen Erkrankung eintretenden Immunitätserscheinungen normalerweise ausschließlich gegen die Toxine gerichtet, es bildet sich eine rein antitoxische Resistenzsteigerung aus. Dies berechtigt uns, die Toxine und ihre Reaktionen im Zusammenhang zu besprechen, ohne auf ihre Herkunft weiter Rücksicht zu nehmen. In der Tat sind mehrere der wichtigsten Entdeckungen mit Toxinen nichtbakterieller Herkunft gemacht worden, so namentlich mit Riein und Schlangentoxinen. _ Wir haben also die Toxine als solche zu charakterisieren. Dafür haben wir zunächst eine Reihe rein äußerer Merkmale, die hier in großen Zügen wiedergegeben sein sollen, ohne auf alle Einzelheiten einzugehen. Die Toxine sind Stoffe bisher unbekannter, aber wohl sicher komplizierter Natur. Da bisher keines von ihnen in reinem Zustande dargestellt ist, so ist es unmöglich, wirkliche chemische Untersuchungen an ihnen anzustellen. Gerade wie die Fermente stellte man sie früher einfach zu den Eiweißkörpern, doch ist es gelungen, mit unendlicher Mühe Toxinpräparate herzustellen, die die eigentlichen Eiweißreaktionen nicht mehr geben. Wenn man sie den Eiweißkörpern an die Seite stellt, so meint man wohl nach den heutigen Anschauungen, daß sie kolloidaler Natur sind, und dies ist bis zu einem gewissen Grade sicher richtig. Sie diffundieren schwer durch Membranen, zeigen die üblichen Fällungsreaktionen durch Schwermetalle usw. Sie werden auch von fallenden Niederschlägen mitgerissen und lassen sich durch Neutral- salze, wie Ammonsulfat, aussalzen, so Riein bei 50 Proz. (Jacoby !). Schon diese Angaben zeigen, daß sie in diesen Beziehungen große Ähnlich- keiten mit den Enzymen haben. Die Analogien gehen aber noch weiter. Sie teilen mit ihnen die außerordentliche Empfindlichkeit gegen Erwärmen. Die meisten Toxine gehen schon bei 60 Grad bald zugrunde, 80 Grad ver- nichtet die meisten schnell, doch sind allerdings einige, wie die Schlangen- gifte, erheblich resistenter. Auch Licht wirkt sehr energisch schädlich. Nach Kitasato 2) vernichtet direktes Sonnenlicht Tetanusgift in 18 Stunden. Sauer- stoff, wie überhaupt alle Oxydationsmittel haben eine äußerst energische I) Jacoby, Über die chem, Natur d. Ricins, Arch. exp. Path. 46, 28. — ®) Kitasato, Exp. Untersuch. über d. Tetanusgift, Zeitschr. f. Hyg. 10, 287, 1891. 614 Inkubationszeit. Wirkung auf die Toxine, wie vor allem Sieber!) festgestellt hat. Schließ- lich sei erwähnt, daß sie von den Enzymen des Verdauungstraktes vernichtet werden (Nencki und Schoumow-Simanowski?), Carriere3), und daß diese Tatsache die Unwirksamkeit der Toxine bei Einführung vom Munde aus erklärt. Nur Riein und Botulismustoxin zeigen per os eine Wirkung. Die Toxine entfalten ihre Wirkungen also nur, wenn sie mit Umgehung des Verdauungstraktes eingeführt werden, also meist subcutan oder intravenös. Daneben sind bei experimentellen Studien gelegentlich intramuskuläre, intra- peritoneale und intranervöse Injektionen ausgeführt worden. Die Unter- suchung der physiologischen Wirkung der Toxine auf diesem Wege führt zu sehr wesentlichen Resultaten. Die Veränderungen erstrecken sich in erster Linie auf das Nervensystem. Speziell das Tetanusgift ist monotrop nach Ehr- lich, d. h. es richtet seine deletäre Wirkung ausschließlich auf das Zentral- nervensystem und erzeugt dort dieselben Krämpfe .usw., wie sie im Verlaufe der spontanen Infektion mit den Bakterien eintreten. Die spezielle Art der Schädigung ist indessen bei den einzelnen Toxinen verschieden, wodurch eben ihre Spezifizität in dieser Hinsicht ins Licht gerückt wird. Daneben werden aber von den verschiedenen Toxinen die verschiedenen. Organe, wie Leber, Nebennieren angegriffen, es besteht Fieber und rapider Kräfteverfall. Ferner treten sehr häufig lokale Erscheinungen an der Injektionsstelle, Nekrosen, Hämorrhagien usw. auf, die aber meist auf Beimengungen, nicht auf die eigentlichen Toxine zurückzuführen sind. Endlich zeigen eine Reihe von Toxinen spezifische Blutwirkungen, indem sie die Erythrocyten agglutinieren und in Hämolyse bringen. Dies sind immer besondere Toxine, die von den Nervengiften verschieden sind, wie dies mit aller Sicherheit beim Tetanus- gift und bei den Schlangengiften erwiesen worden ist. Bei einigen Giften, auch bei einigen Bakteriengiften, tritt diese hämolytische Komponente durch- aus in den Vordergrund gegenüber der toxischen. Wir werden auf diese Fragen noch gelegentlich zurückkommen. Neben diesen pharmakologischen Wirkungen der Toxine sind es aber nun vor allem zwei Dinge, die ihre Sonderstellung begründen und theoretisch von grundlegender Bedeutung sind. Das eine Phänomen ist die Inkubationszeit. Alle Toxine, mit fast alleiniger Ausnahme des Schlangengiftes, lassen eine deutliche Zeitdifferenz zwischen Einfuhr und Beginn der Wirkung erkennen. Diese Zeit schwankt mit der Natur des Giftes und der zugeführten Menge, läßt sich aber auch durch die größten Dosen nicht unter ein Minimum herabdrücken. So beträgt nach Courmont und Doyon die Inkubationszeit des Di-Toxins bei Meer- schweinchen bei einer letalen Dosis 15 Stunden, läßt sich aber auch durch 90000 tödliche Dosen nicht unter 12 Stunden herunterdrücken. Ähnlich ist es in anderen Fällen. Auf die theoretische Bedeutung dieser interessanten Erscheinung, sowie auf einige Versuche, die etwas Licht auf das Problem überhaupt werfen, können wir erst später eingehen. !) Sieber, Über die Entgiftung d. Toxine usw., Zeitschr. f. phys. Chem. 32, 573, 1901. -— °) Nencki u. Schoumow-Simanowski, Über die Entgiftung d. Toxine, Zentralbl. f. Bakt. 23, 840. — °) Carriere, Toxines et digestion, Ann. Past. 13, 435, 1899. u ” A et nr Spezifität. 615 Die zweite wichtige Eigenschaft der Toxine ist ihre Artspezifität, die wir von der Spezifität der Wirkung trennen müssen. Der Inhalt dieses Begriffes ist der, daß die Toxine nur auf Tiere bestimmter Art wirken, anderen, unter Umständen sogar sehr nahe verwandten, gar nichts schaden. Derartige Resistenzsteigerungen finden wir ja auch bei anderen, einfacheren Giften, aber hier handelt es sich eben nur um meist recht geringfügige quantitative Ver- schiebungen, während wir bei den Toxinen Resistenzen finden, die einer absoluten Unempfindlichkeit praktisch gleichkommen. So ist das Kaninchen bei subcutaner Einführung 2000 mal, das Huhn 200000 mal resistenter gegen Tetanusgift als das Meerschweinchen (Knorr!). Andererseits ist z. B. die Maus gegen Diphtheriegift sehr wenig empfindlich. Wenn man dagegen nimmt, eine wie ungeheure Wirkung die Toxine bei hochempfindlichen Tieren ent- falten, so müssen wir zu der Vorstellung kommen, daß hier fundamentale Gründe vorliegen. Das Tetanusgift z. B. ist nach Brieger und Cohn in einer Dosis von 5millionstel Gramm für eine Maus, zu 0,00023 für einen Menschen tödlich, auf ein sicher noch nicht reines Trockentoxin berechnet. In der Tat ist es die Frage dieser aufs höchste gesteigerten Spezifität, die zur theoretischen Begründung der Toxinlehre führt. Sie führt zu dem Prinzip der spezifischen Bindung, wie wir es schon in den einleitenden Worten formuliert haben. Nur dort, wo das Gift einen spezifisch bindenden Angriffs- punkt, einen Receptor nach der Ehrlichschen Terminologie, findet, wird es überhaupt gebunden, und bekommt dadurch Gelegenheit, einen Einfluß aus- zuüben. Wo aber kein Receptor vorhanden ist, hat das Gift überhaupt keine physiologische Wirkung. Daß ein solcher Mangel an Receptoren es bewirken kann, daß das Gift im Körper eines hochresistenten Tieres gar nicht ver- ankert wird, läßt sich experimentell beweisen. Wenn man einer Schildkröte viele hundert für ein Meerschweinchen tödliche Gaben infiziert, bleibt das Tier anscheinend reaktionslos. Wohl aber enthält sein Blut noch tagelang so reichliche Mengen Toxin, daß man mit wenigen Cubikcentimetern empfind- liche Tiere tödlich vergiften kann. Das in empfänglichen Organismen so enorme Wirkungen auslösende Gift ist dem refraktären Tiere so gleich- gültig, daß es sich nicht einmal die Mühe gibt, den fremden Stoff möglichst bald auszuscheiden oder zu zerstören. Damit ist denn auch gleichzeitig die Möglichkeit widerlegt, daß etwa die erhöhte Resistenz auf einer gesteigerten Verbrennungsenergie der Zellen gegenüber dem Toxin beruhen könnte. Genau das Umgekehrte beobachtet man bei empfänglichen Tieren. Bei ihnen ver- schwindet das Gift außerordentlich schnell von der Injektionsstelle und auch aus dem Blute, und wird zu den Organen hingeführt, wo es Receptoren findet. Es geht auch nur bei massiven Dosen in den Harn über. Croly?) fand nach zwei Stunden höchstens die Hälfte des injizierten Toxins noch in der Blutbahn, und ähnliche Resultate gibt Bomstein °). Noch präziser ergibt sich die Bindung des Toxins an die Körperzellen und sein Verschwinden aus der Blutbahn aus den Versuchen von Dönitz ®). ‘) Knorr, Tetanusgift, Münch. M. W. 1898, 321. — ?) Croly, Disparition d. 1. tox. dipth., Arch. int. de pharm. III. — ®) Bomstein, Über d. Schicksal d. Di-Toxins, Zentralbl. f. Bakt. 23, 785, 1898. — *) Dönitz, Über d. Tetanusantit., Deutsche med. Wochenschr. 1897, 428. 616 Spezifische Bindung. Dieser injizierte einem Kaninchen die zehnfache dos.. let. Tetanusgift. Aus den Gewichtsverhältnissen und der relativen Empfindlichkeit, sowie aus der bekannten Blutmenge eines Kaninchens kann man nun berechnen, eine wie hohe Toxizität jeder Cubikcentimeter Blut dieses Kaninchens für Meer- schweinchen haben müßte, wenn man eine gleichmäßige Verteilung der ge- samten Toxinmenge im Blut voraussetzt. Dönitz kam.dabei zu dem Schluß, daß ein Cubikcentimeter etwa 40 Meerschweinchen töten müßte. Nach 16 Stunden indessen ergab der Versuch, daß 2,5ccm nötig waren, um ein einziges Meerschweinchen zu töten. Es hatte also sich die Giftigkeit des Blutes um 2,5 mal 40, also das Hundertfache verringert, es war also nur noch ein Prozent des Toxins frei in der Blutbahn. Auch durch den direkten Versuch kann man die Bindung der Toxine demonstrieren. Wassermann!) gelang es, die Bindung beträchtlicher Mengen Tetanusgiftes an die Zellen des Gehirnes von Meerschweinchen direkt nachzuweisen. Und zwar sind es nicht etwa lösliche chemische Stoffe, die das Toxin binden, sondern die Zellen selbst, wie Milchner) noch speziell festgestellt hat. Daß nur die Gehirnzellen empfänglicher Tiere wesentliche Mengen binden, entspricht durchaus der theoretischen Forderung. Welche Bedeutung dieser Befund für die Theorie der Antikörper hat, darauf werden wir noch zurückkommen, hier soll er nur als Beweis für die spezifische Bindung angeführt werden. Die Rezeptoren können entweder ausschließlich oder vorwiegend an einem bestimmten Organ sitzen. Dies ist bei den meisten Tieren für das Tetanus- toxin der Fall, das bei ihnen nur die Zellen des Zentralnervensystems an- greift. Dann bezeichnet man das Gift als monotrop nach der Ehrlichschen Nomenklatur. In anderen Fällen aber können die Receptoren auch in anderen Geweben sich verteilen, wie dies z. B. beim Kaninchen der Fall ist, bei dem sich das Tetanusgift auch an anderen Stellen verankert. Wassermann konnte zeigen, daß Leber und Milz Tetanustoxin binden. So kann beim ‘Kaninchen eine Vergiftung mit diesem Toxin zustande kommen, bei der die Symptome des Zentralnervensystems nicht in den Vordergrund treten, ein Tetanus sine tetano, wie ihn Dönitz beschrieben hat. Die Folge ist dann eine verminderte Empfänglichkeit, wie wir sie ja beim Kaninchen beobachten. Diese Annahme ist für das Zustandekommen der antitoxischen Immunität von Bedeutung, wie wir später sehen werden. Hier soll auf diese Verankerung nur ganz im allgemeinen hingewiesen werden, um die Bedeutung der spezifischen Bindung ins Licht zu rücken. Weitere instruktive Beispiele finden wir beim Studium der Hämotoxine. Bei ihnen geht Empfindlichkeit der roten Blutkörper und Bindungsfähigkeit völlig parallel. Das Arachnolysin der Kreuzspinne löst Kaninchenerythrocyten, nicht Hundeerythrocyten. Dementsprechend wird das Gift auch nur durch Kaninchenblut aus seinen Lösungen entfernt, nicht durch Hundeblut. Die Körper neugeborener Hühnchen sind gegen das Gift resistent, die älterer !) Wassermann u. Takaki, Über tetanusantitox. Eig. des C. N. 8., Berl. klin. Wochenschr. 1898, 8. 5, 209. — ?) Milchner, Nachw. d. chem. Bindung von Tetanusgift durch Nervensubstanz, Ber]. klin. Wochenschr. 1898, 8. 369. ie ee Toxoide; Hämolysine. 617 Tiere empfindlich (Sachs!) 2). Dem ganz parallel bindet das Blut auch das Gift. Ähnliche Befunde ließen sich häufen. Diese Eigenschaft wird also geradezu zum Definitionsmoment des Begriffes Toxin und wird in der Nomenklatur folgendermaßen ausgedrückt: Die Toxine haben eine Bindungsgruppe in chemischer Vorstellung, die zu ent- sprechenden Bindungsgruppen, den Receptoren, eine spezifische Verwandtschaft hat. Diese Gruppen bezeichnen wir nach Ehrlich als Haptophoren. Außer- dem hat aber das Toxin noch eine andere Gruppe, die die eigentliche Wirkung ausübt, eine Giftgruppe, Toxophore. Diese Gruppe kann unter Umständen auch eine andere Wirkung ausüben, als gerade eine giftige, wenn es nämlich Stoffe ähnlicher Natur gibt, wie die Toxine, aber anderer Wirkung, wir wollen sie also zunächst allgemeiner als Ergophore, als Leistungsgruppe bezeichnen. Wir werden erst später sehen, von welcher Bedeutung diese Prinzipien auch bei den anderen Immunitätserscheinungen sind. Diese Ansicht, die man als den ersten Hauptsatz der Ehrlichschen Seitenkettentheorie ansehen kann, läßt nun a priori die Annahme von Stoffen zu, die zwar durch eine Haptophore die spezifische Bindung an Körperzellen ermöglichen, die aber der Toxophoren ermangeln. Solche Stoffe existieren nun tatsächlich, Toxine ohne Giftgruppe, die Ehrlichschen Toxoide und eine große Reihe ähnlicher Substanzen, denen wir nachher begegnen werden. Im engsten Anschluß an die eigentlichen Toxine müssen wir einiger Stoffe gedenken, die nur in der Art ihrer Wirkung sich etwas von ihnen unterscheiden, in ihrer ganzen Struktur und als Antigene dagegen völlig analog sind. Es sind dies die Hämolysine einiger Bakterien und anderer Herkunft. Einige von ihnen, so das Hämagglutinin des Rieins, sind so eng mit der eigentlichen toxischen Wirkung verknüpft, daß man die Gesamt- struktur des Giftes noch nicht völlig aufgeklärt hat. Es sprechen gute Gründe dafür, in dem Ricin eine einheitliche Haptophore: mit zwei differenten Ergophoren anzunehmen (Jacoby ’°), indessen sind dies Einzelheiten, die hier ohne Belang sind. Eine andere Reihe von Hämolysinen bleibt aus dem Grunde hier fort, weil sie eine komplexe Struktur besitzen, ganz analog den Immun- hämolysinen und denen der Normalsera, die wir erst im zweiten Hauptteil unserer Arbeit erwähnen werden. Außerdem aber gibt es eine ganze Reihe blutlösender Gifte, die einfach wie die Toxine gebaut sind, das heißt eine Haptophore und eine Toxophore besitzen, und in der Art ihrer Antitoxin- erzeugung völlig mit ihnen parallel gehen. Nur ihre Wirkung erstreckt sich eben vor allem auf die Erythrocyten, die sie in der Art verändern, daß der Blutfarbstoff austritt. Von Bakterienhämolysinen seien die des Staphylokokkus und des Tetanusbazillus als die beststudierten erwähnt, daneben produziert eine ganze Reihe anderer Bakterien ebenfalls Hämolysine. Aus der Tierreihe finden wir einfache Hämolysine im Spinnengift und Krötengift, während sämtliche Schlangentoxine komplex gebaut sind. Auf Details in betreff dieser Hämolysine kann ich hier verzichten, weil sie theoretisch nichts wesentlich !) Hans Sachs, Z. K. des Kreuzspinnengiftes, Hofmeisters Beitr. II, 125, 1902. — ?) Derselbe, Über Diff. der Blutbeschaffenheit usw., Zentralbl. f. Bakt. 34, 686, 1903. — ®) Jacoby, Über Rieinimmunität, Zofmeisters Beitr. I u. IH, so- wie Sammelref. im Biochem. Zentralbl. 1. 618 Seitenkettentheorie. Neues ergeben würden. Erwähnt sei nur noch das Leukocidin der Staphylokokken, das nur auf weiße Blutkörper wirkt, und vielleicht mit der Phagocytose und den Aggressinen in Beziehungen steht (s. d.). Die Seitenkettentheorie!), auf die wir nun in ihren Grundzügen ein- gehen wollen, bezweckt, die Tatsache der spezifischen Bindung biologisch zu erläutern und außerdem ihre Verknüpfung mit dem Problem der Antikörper- bildung zu begründen. Ehrlich geht dabei von der Grundeigenschaft des lebenden Protoplasmas aus, sich aus einem Gemisch von Stoffen bestimmte auszuwählen, die ihr ent- weder als Nährstoffe nützlich sind, oder die eine giftige Wirkung auf die Zelle besitzen. Die Zelle besitzt einen Leistungskern, der ihre eigentliche Individualität _ aufrecht erhält, sich bei allen Umsetzungen und Neuformungen konstant erhält, und eine große Menge sehr labiler Seitenketten, die zerstört werden und sich neu bilden, und bei diesen destruktiven und TOBERWERIUFRDIEN Prozessen den Stoffwechsel der Zelle erhalten. Diese Seitenketten sind es nun, die die Träger der Haptophoren, d. h. be- stimmter chemischer Atomgruppierungen darstellen, die zu den entsprechenden Atomgruppierungen der Antigene eine spezifische Affinität besitzen. Nur dann also, wenn eine solche Verwandtschaft der beiderseitigen Haptophoren besteht, wird das Antigen an die Zelle üherhaupt gebunden, und zwar durch eine Absättigung der beiderseitigen Haptophoren. Durch diese Bindung erst, die also den wirkenden Stoff in unmittelbare Nähe des Leistungskernes bringt, wird der ergophoren Gruppe Gelegenheit gegeben, ihre Tätigkeit zu entfalten. Wenn aber eine Affinität der beiderseitigen Haptophoren nicht besteht, wenn also keine Receptoren für das Antigen vorhanden sind, so tritt keine Bindung, und damit keine Möglichkeit der Wirkung der ergophoren Gruppe ein. Man sieht, daß diese Vorstellungsart eine chemische ist, und sich wohl von der Idee des Benzolkernes ableiten läßt, bei dem ja ebenfalls der unver- änderliche Sechsring die Grundeigenschaften der Verbindungen repräsentiert, während die zahlreichen Umsetzungen, die zu den einzelnen Körpern der aromatischen Reihe führen, sich an den Seitenketten vollziehen. Es sei hier weiter bemerkt, daß die Vorstellung der Haptophoren und Ergophoren sich aus der Farbstoffchemie herleitet, wo wir ja ebenfalls gewohnt sind, einer Gruppe die Verankerung an das zu färbende Gewebe, einer anderen die eigentliche Färbung zuzumessen. So ist also diese Vorstellung zweifellos eine chemisch gedachte, wenn wir auch noch nicht so weit sind, um an Stelle des chemisch nicht faßbaren Begriffes der Seitenketten eine bestimmte Konstitution der Haptophoren setzen zu können. Um groben Mißverständnissen vorzubeugen, sei hier aber gleich darauf hingewiesen, daß diese ganze Anschauungsform nur für die hochkomplexen Stoffe zu gelten hat, als welche wir die Antigene aufzufassen haben. Schon !) Als die wichtigsten Originalarbeiten Ehrlichs seien erwähnt: Das Sauer- stoffbedürfnis des Organismus, Berlin 1886; Die Wertbemessung des Di-Heilserums, Klin. Jahrb. VI; Exper. Untersuch. über Immunität, Deutsche med. Wochenschr. 1891, 8. 976, 1218; Zur Kenntnis d. Antitoxinwirkung, Fortschritte d. Med. 1897, 8. 41; Über d. Konst. des Di-Giftes, Deutsche med. Wochenschr. 1898, 8. 597; Über d. Beziehungen v. chem. Konst. u. pharmak. Wirkung, Festschrift f. Leyden 1902. ee ie ee ee ee Seitenkettentheorie. 619 bevor die moderne physikalische Chemie der Zelle begonnen hat, die Gesetze der Verteilung und Wirkung einfacher kristalloider Stoffe auf das lebende Protoplasma aufzudecken, hat Ehrlich immer betont, daß seine ganze An- schauungsform eben nur für Körper mit großen Molekülen gilt, also für Kolloide. Er unterschied von jeher zwischen einfachen Substanzen und seinen „Haptinen“, eben solchen Stoffen, die der spezifischen Bindung im eigentlichen Sinne fähig sind. Wo wir Spezifitäten bei der Wirkung ein- facherer Stoffe begegnen, da liegen Gründe anderer Art vor, die ja eben jetzt das Arbeitsfeld bilden, auf dem die Lehren von der Permeabilität der Plasma- haut und die Verteilungsgesetze ihre Triumphe feiern. Wenn wir dies auf dem Boden der Seitenkettentheorie ganz grob ver- sinnbildlichen wollen, so können wir etwa sagen, daß die kleinen Moleküle jener einfachen Stoffe sich sozusagen frei zwischen den Seitenketten bewegen können, also direkt auf den Leistungskern wirken können, wenn sie überhaupt nach den physikalisch-chemischen Gesetzen in die Zelle eindringen können. Nun beginnt ja heute die Chemie der Kolloide einen gewaltigen Auf- schwung zu nehmen, wir fangen allmählich an, auch die Gesetze, die die gegenseitige Wirkung dieser Substanzen. beherrschen, zu erkennen. Schon heute haben die neugewonnenen Anschauungen an vielen Stellen die Lehre von den Immunitätsreaktionen tiefgreifend beeinflußt, worauf wir mehrfach zurückkommen werden. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß bei einer genaueren Erkenntnis dieser Reaktionen sich auch ein chemisches Verständnis für die Tatsachen der spezifischen Bindung ergeben wird, die dem vorläufigen Bild, das uns die Seitenkettentheorie über diesen Punkt gibt, zu einem neuen Inhalt verhelfen werden. Deshalb wäre es aber nicht angebracht, heute schon auf diese Anschauung in ihrer ursprünglichen Form zu verzichten, die immer noch den einzigen Leitfaden darbietet, um sich in dem verwickelten Gebiet der Immunitätsreaktionen zurechtzufinden. Wir werden also in unserer Dar- stellung an dem Prinzip der spezifischen Bindung, wie es die Ehrlichsche Theorie versinnbildlicht, festhalten, und am geeigneten Orte auf die AUMENTROR EL Anschauungen zurückgreifen. Die Seitenkettentheorie ist nun durchaus imstande, die Er- scheinungen zu erläutern. Erklärt sie einerseits ohne weiteres die spezifische Wirkung der Toxine auf empfängliche Wesen, die eben geeignete Receptoren haben, so erklärt sie auch die natürliche antitoxische Immunität als einen Receptorenmangel. Dieser Mangel braucht nicht absolut zu sein, und ist es auch in den seltensten Fällen. Auch das Huhn ist schließlich gegen Tetanus empfindlich, wenn man genügend große Dosen anwendet. Zwischen diesem Tier und dem höchstempfindlichen Meerschweinchen gibt es alle Übergänge. Die Receptoren sind nur eben spärlicher vorhanden. So hat das Hühnergehirn nicht so überwiegend viele Receptoren, um das Toxin aus dem Blute auszuschütteln, deswegen kommt eben auf das Gehirn nur ein aliquoter Teil, der zu einer ernstlichen Erkrankung nicht genügt. Gibt man aber einem Huhn das Tetanustoxin direkt ins Gehirn, so erkrankt es auch an Tetanus, weil dann die gesamte Giftmenge an die spärlichen Receptoren ver- ankert wird (Marie !). !) Marie, Ann. Past. 11, 12, 16, 17. 620 Entstehung der Antitoxine. Ferner ist es nach der Theorie absolut nicht notwendig, daß die Recep- toren gerade an Organen sitzen, deren Schädigung eine Gefahr für den Gesamtorganismus mit sich bringen muß. Das Gift kann also auch z. B. im Unterhautzellgewebe gebunden werden, und dort eine Reihe von Zellen ver- nichten, obne daß eine ernstliche Erkrankung erfolgt- Die wesentlichste Konsequenz der Theorie ist aber, daß sie über die Art der ergophoren Gruppe gar nichts aussagt. Sie stellt nur die spezifische Bindung durch Haptophoren in den Vordergrund. Diese Haptophoren können aber gerade so gut an einem Toxin sitzen, wie an einem beliebigen anderen Kolloid, sei es nun ein Eiweißkörper oder ein Enzym, sei es schließlich eine andere Zelle. In der Tat werden wir sehen, daß die Theorie für alle diese Fälle in Anwendung gezogen wird. Für die antitoxische Immunität aber ist das Wichtigste, daß die Theorie auch die Entstehung der spezifischen Antitoxine zu erklären sucht. Was sich an diesem einfachsten Fall ergeben hat, werden wir dann auf alle’ anderen Antikörper, auf die Präzipitine, Antifermente, Hämolysine und anti- bakteriellen Stoffe übertragen. Die Entstehung der Antitoxine vollzieht sich nach der Theorie in folgender Weise: Wenn durch ein Antigen ein Receptor der Zelle besetzt wird, so wird damit eine Seitenkette der Zelle in Anspruch genommen, also ausgeschaltet. Da nun nach unseren allgemeinen Erwägungen diese Seitenkette eine an sich gleichgültige physiologische Funktion zu erfüllen hatte, so entsteht dadurch ein biologischer Defekt, den die Zelle auszugleichen bestrebt ist. Nun gilt es aber nach Weigert als ein Grundsatz, daß jedem Defekt einer lebenden Zelle nicht nur eine Ausgleichung, sondern eine Überkompensation folgt. Es wird also ein Reiz gesetzt, diese Seitenkette nicht nur neu zu bilden, sondern ähnliche Seitenketten im Überschuß zu produzieren. Es findet also eine Neubildung von analogen Seitenketten statt, bis schließlich so viele erzeugt sind, daß die Zelle den Überschuß nicht mehr tragen kann, sondern abgibt. Die so neu gebildeten Seitenketten werden also in die Blutbahn abgegeben und zirkulieren dort. Nun sind aber diese abgestoßenen Seitenketten nach demselben Typus gebaut wie die ursprünglich von dem Antigen besetzte, d.h. sie besitzen alle noch dieselbe Haptophore wie die erste. Mit dieser Hapto- phore sind sie aber imstande, gerade wie der an der Zelle sitzende Receptor, das Toxin zu verankern. Sie wirken also genau wie ein Zellreceptor, nur mit dem prinzipiellen Unterschied, daß sie eben außerhalb der Zelle sitzen. Sie können also Toxin binden, aber ohne es an die Zelle heranzubringen. Sie lenken es also geradezu von der Zelle bzw. ihrem Leistungskern ab. Dieselbe Atomgruppe, die, in der Zelle haftend, durch ihre Affinität das Toxin in bedrohliche Nähe des Leistungskernes bringt, ist, wenn sie außer- halb der Zelle, frei, in der Blutbahn kreisend sich befindet, in der Lage, Toxin abzufassen und von der Zelle fernzuhalten. Ehrlich vergleicht diese Funktion sehr plastisch mit der eines Blitzableiters. Wenn die spezifisch bindende Atomgruppe in der Zelle sitzt, so lenkt sie die Wirkung des Toxins gerade auf die Zelle zu; wenn sie sich aber außerhalb der Zelle befindet, so lenkt sie die Wirkung ab. Diese frei kreisenden abgestoßenen Receptoren der Zelle also sind es nach der Theorie, die die Antitoxine darstellen. Da % Entstehung der Antitoxine. 621 sie körpereigene Elemente sind, so werden sie von den abbauenden Kräften des Organismus nicht schnell angegriffen, sondern bleiben lange erhalten, und können so die Funktionen eines Antitoxins erfüllen, so lange sie in der Blut- bahn kreisen. Weil die Antitoxine nur die Haptophore enthalten, die zu dem Toxin paßt, das ihre Bildung ausgelöst hat, so sind sie spezifisch, d. h. sie wirken eben nur auf das Toxin, das die passende Haptophore enthält. So erklärt die Theorie ohne weiteres die Spezifität der Antitoxine, die eben nur auf das Toxin wirken, das sie erzeugt hat. Welcher Art diese Wirkung ist, darauf werden wir erst später eingehen können. Die Theorie erklärt ferner, warum sich bei der Einführung von Toxin in natürlich immune Tiere keine Antitoxine bilden. Wo eben keine passenden Receptoren vorhanden sind, da kann auch keine Abstoßung eintreten, es tritt also auch kein Antitoxin auf. Auch dies ist cum grano salis zu verstehen. Denn bei einigen scheinbar völlig immunen Tieren treten doch geringe Mengen von Antitoxinen auf. So gibt der Alligator, der selbst bei großen Dosen Tetanusgiftes keinerlei Krankheitserscheinungen zeigt, geringe Mengen Anti- toxin, wohl aus dem Grunde, weil er Receptoren in lebensunwichtigen Ge- weben hat, die abgestoßen werden können. Wir müssen die Idee festhalten, daß durchaus nicht immer nur die besonders empfindlichen Gewebe Antitoxine zu liefern imstande sind. Es kommt ja ausschließlich darauf an, ob Recep- toren vorhanden sind; wo diese sitzen, wo also sich die Antitoxine bilden, ist an sich gänzlich ohne Belang. Andererseits scheint es auch Fälle zu geben, wo von empfindlichen Ge- weben keine freien Seitenketten abgestoßen werden. Das gegen Tetanus empfindliche Kaninchen gibt z. B. keine Spur von Antitoxin. Wir haben schon oben darauf hingewiesen, daß bei diesem Tiere die Receptoren durchaus nicht nur im Gehirn sitzen, sondern auch an anderen Stellen des Körpers weit zerstreut, und diese Gewebe scheinen also ihre Receptoren energisch festzuhalten, es sind sessile Receptoren im Sinne Ehrlichs. Aber alle diese Dinge sind Ausnahmen. Im allgemeinen sind die spezifisch giftempfindlichen Gewebe auch die Produktionsstätten der Antitoxine. Wir müssen hier nochmals auf den Wassermannschen Versuch zurück- kommen, Wassermann zeigte, daß die Gehirnsubstanz des gegen Tetanus besonders empfindlichen Meerschweinchens große Mengen Tetanusgiftes zu binden und zu entgiften imstande ist, so daß diese Mischung im Tierversuch die spezifischen Wirkungen des Toxins nicht mehr zeigt. Diese Deutung für die Ehrlichsche Theorie ist vielfach angefochten worden. Es ist aber nach der sorgfältigen Arbeit von Marx!) gar kein Zweifel mehr möglich, daß diese „Seitenkettenimmunität“, wie sie Wassermann bezeichnet hat, wirklich existiert, und daß sie an die giftempfindlichen Zellen gebunden ist. Die Zellen des Gehirnes wirken hier geradezu als Antitoxine; wie sie im Leben das Gift an sich reißen, so tun sie es auch im Versuch, aber nur dann, wenn die Receptoren noch erhalten sind, also im frischen !) Marx, Die Tetanusgift neutralisierende Eigenschaft des Gehirns. Zeitschr. f. Hygiene 40, 231, 1902. 622 Schicksale der Toxine im Körper. Gehirn. Gekochte Hirnsubstanz hat keine größere giftbindende Kraft, als sie rein chemisch durch ihren Cholesteringehalt zustande kommt. Denn manche Lipoide, vor allem eben Cholesterin, haben eine gewisse bindende und. schwächende Kraft auf Toxine. Ganz im allgemeinen können wir uns also die Vergiftung bzw. die Im- munisierung eines Tieres mit Toxinen in der Weise vorstellen, daß aus der Injektionsstelle das Gift zuerst in die Blutbahn bzw. in die Lymphbahnen, gelangt. Finden sich nun keine Receptoren in den vom Blut durchströmten, Organen, so kreist das Gift bis zu seiner Zerstörung in der Blutbahn. In selteneren Fällen wird es auch durch gewisse Organe ausgeschüttelt, analog der Aufnahme anderer nicht haptophorer Gifte. So findet man in den Organen des völlig unempfindlichen Skorpions sehr reichlich Tetanusgift gegenüber- dem strömenden Blute. Aber dies Toxin ist nicht durch Bindung unschädlich. gemacht, sondern die Organe selbst enthalten das Gift in wirksamem, also freiem Zustande (vor allem Leber, Metschnikoff!), also wohl in einer Art. physikalischer Bindung, sozusagen gespeichert, wie es Straub bei einigen. Alkaloiden fand. Ganz anders vollzieht sich, wie erwähnt, bei empfänglichen Tieren die Sache. Sehr schnell wird aus der Blutbahn das Gift von den Organen ab- sorbiert und dort spezifisch gebunden, entgiftet. Auf eine sehr interessante Besonderheit beim Tetanusgift müssen wir an dieser Stelle noch hinweisen. Wie Meyer und Ransom’?) fanden, wird das Tetanusgift bei .subcutaner Einverleibung sofort von den peripherischen. Nerven abgefangen und wandert dann innerhalb der Nervenbahnen zum Zentralorgan. Morax und Marie?) erwiesen, daß diese Leitung abhängig von der Integrität des Achsenzylinders und im degenerierten Nerven beseitigt ist. Meyer zeigte weiter, daß man durch Durchschneiden der Nerven oder auch Einspritzung von Antitoxin in die Nervenbahn das Gift vom Rücken- mark absperren kann, und durch Durchschneidung des letzteren vom Gehirn, und zwar häufig auch dann, wenn man das Gift intravenös gibt. Daraus schließen Meyer und Ransom, daß das Gift überhaupt nicht durch die Blutbahn zum Gehirn usw. gelangt, sondern eben ausschließlich durch die Nerven- leitung, womit für das Tetanusgift eine ganz exzessive Affinität zur nervösen. Substanz sich ergibt. Es sei dabei bemerkt, daß diese Erscheinung es uns plausibel erscheinen läßt, warum das Tetanusantitoxin in vivo so wenig auf die einmal eingetretene Vergiftung wirkt. Denn wenn das Toxin in den Nerven wandert, das Antitoxin ihm dort aber nicht folgen kann, sondern ihm erst im Zentralorgan wieder begegnet, wohin es in der Blutbahn gelangt ist, so wird das seine Wirksamkeit noch verzögern und damit erschweren, die schon dadurch verringert ist, daß sich eben das Toxin ausschließlich an die Receptoren des Zentralorgans bindet und diese angreift, während vom Anti- toxin nicht mehr auf dem Kampfplatze erscheint, als nach der allgemeinen Blutverteilung eben auf das Zentralorgan entfällt. Aus allen diesen Dingen wird auch die rein praktische Bedeutung dieser Bindungsgesetze klar ersichtlich. !) Metschnikoff, Immunität, deutsch von Meyer, Jena 1902. — ?) Meyer und Ransom, Untersuchungen über den Tetanus, Arch. f. exp. Pathol. 49, 369, 1903. — °) Marie, Ann. Past. 11, 12, 16, 17. NN Inkubationszeit. 623 Mit diesen Problemen der Leitung, Ausschüttelung und spezifischen Bin- dung der Toxine hängt auch sicherlich eines der dunkelsten Probleme der Wirkung zusammen, nämlich die Inkubationszeit. Fast alle Toxine, eigentlich nur die Schlangengifte nicht, zeigen eine sehr erhebliche Zeit- differenz zwischen Einführung und Manifestwerden der Wirkung, die zwar durch Vergrößern der Dosis verkleinert werden kann, aber selbst bei den riesenhaftesten Gaben nie unter eine Minimalgrenze herabzudrücken ist. Zweifellos wird ein Teil der Zeit dazu in Anspruch genommen, daß die Re- ceptoren der Organe das Gift aus der Blutbahn allmählich an sich ziehen, kleine Mengen fixieren, und wenn dann die Schwelle des Giftreizes über- schritten ist, die Symptome offenbar werden lassen. Speziell beim Tetanus käme noch die Wanderungszeit in der Nervenbahn hinzu. Das wird durch die vielen Versuche erwiesen, die Abkürzung der Inkubationszeit bei direkter Einbringung des Giftes in die empfindlichen Organe zu zeigen. Aber außer- dem muß doch wohl noch eine Zeitdifferenz zwischen erfolgter Bindung und manifester Wirkung anzunehmen sein. Das kann man an einem Falle studieren, wo wir die Wirkung der toxophoren Gruppe nach Belieben regeln können. Morgenroth'!) machte nämlich die Beobachtung, daß Frösche zwar bei Eisschranktemperatur gegen Tetanus unempfindlich sind, daß aber trotzdem die Bindung an die Receptoren erfolge. Erwärmte er die Frösche auf 25°, so bekamen sie typischen Tetanus. Das Eigentümlichste dabei war nun, daß die sonst bei Fröschen übliche Inkubationszeit durch den Aufenthalt im Eis- schrankı einfach unterbrochen wurde. Ließ man die Tiere erst einige Tage in der Wärme, brachte sie dann auf Eis und nahm sie nach einigen Tagen _ wieder heraus, so trat immer nach Ablauf der Inkubationszeit. nach Abzug der im Eis zugebrachten Tage der Tetanus auf. Läßt man sie dauernd im Eis, so tritt nur bei sehr großen Dosen und nach sehr langer Zeit der Tetanus ein. Auch dies spricht also für eine enorme Verzögerung der Wirkung seitens der Toxophore, wenn man nicht andererseits im Meyerschen Sinne eine Verlangsamung der Nervenleitung in der Kälte annehmen will. In neuester Zeit hat das Inkubationsproblem eine neue Beleuchtung erfahren durch Beobachtungen von Morgenroth?) über labile, unwirksame Toxinmodifikationen, die leicht wieder in die wirksame Form zurückgebracht werden können. So geht Kobragift durch Kochen mit !/„nHCl in eine solche ungiftige Modifikation über, die beim Stehen in neutralisierter Lösung allmählich wieder giftig wird. Nun ist gerade das Kobragift an sich ohne Inkubationszeit, während diese Säuremodifikation bei ihrer Einwirkung auf Blutkörper Verzögerungen zeigt, die eben darauf beruhen, daß erst die wahr- haft giftige Form wieder hergestellt wird. Es hat nun gar keine Schwierig- keit, anzunehmen, daß das, was wir als Toxine kennen, ebensolche ungiftigen Formen sind, die erst im Körper langsam umgelagert werden, und in dem Maße giftig wirken, wie sie umgelagert werden. Diese Ansicht könnte für die Theorie der Inkubationszeit von großer Bedeutung werden. !) Morgenroth, Tetanus des Frosches. Arch. intern. de pharm. 7, 265, 1900. — ?) Morgenroth und Pane, Über Beobachtungen reversibler Verände- rungen an Toxinen. Biochem. Zeitschr. 1, 354, 1906. 624 Antitoxine. Antitoxine und ihr Verhältnis zu den Toxinen. Die Antitoxine sind nach unseren soeben entwickelten Anschauungen normale Körperbestandteile, losgerissene Zellsplitter. Sie rufen also im Körper des Tieres an sich keine Reaktion hervor. Sie können in den Säften sehr lange erhalten bleiben. Dabei gilt aber das Gesetz, daß nur die körper- eigenen Antitoxine, die also durch aktive Immunisierung entstanden sind, und allenfalls noch die in Tieren derselben Spezies gebildeten bei der In- jektion diese Beständigkeit zeigen. Spritzt man aber einem Tiere Antitoxine in Körperfremdem Serum ein, so werden sie, wie z. B. Knorr zeigte, schnell ausgeschieden. Es ist ja bekannt, daß fremde Sera durchaus nicht immer als gleichgültige Substanzen anzusehen sind. Dies erkennt man ja schon aus der Ausbildung der spezifischen Präzipitinreaktion, man hat aber auch vielfach beobachtet, daß die Einführung körperfremden Serums sogar Krank- heitserscheinungen, die sogenannte Serumkrankheit, herbeiführen kann (v. Pirquet u. a.!). Andererseits hat diese Beständigkeit der körpereigenen Antitoxine eine große biologische Bedeutung für die Dauer der Immunität. Sie kann sich durch den Übergang der Schutzstoffe durch die Placenta auf den Fötus direkt‘ und durch die Milch indirekt auf die Deszendenz vererben. Besonders die Milch ist häufig so reich an Antitoxin, daß man es mit Vorteil daraus ge- winnen konnte. Daraus ist wohl auch zu erklären, daß man sehr häufig in dem Serum Neugeborener Diphtherieantitoxin aufgefunden hat (Wassermann ?), Fischl und v. Wunschheim). Infolge ihres engen Zusammenhanges mit den Körperzellen tragen die Antitoxine einen sehr eiweißähnlichen Charakter. Eine Reindarstellung und nähere Charakterisierung ist noch in keinem Falle gelungen. _ Allerdings zeigen sie auch gewisse Abweichungen von den Eiweißkörpern, so besonders eine ziemlich weitgehende Resistenz gegen Trypsin, während sie allerdings von Pepsinsalzsäure schnell zerstört werden. Mit diesen Vorbehalten kann man sie aber doch als Eiweißstoffe ansehen oder wenigstens als Kolloide, die diesen sehr nahestehen. Daß die Antitoxine ein noch größeres Molekulargewicht zeigen als die Toxine, geht aus verschiedenen Beobachtungen ihrer Diffusionsfähigkeit hervor, wie sie von Martin und Cherry *) an Gelatinefiltern und von van Calcar’) an tierischen Membranen aufgestellt worden sind. Sie zeigen auch die üblichen Fällungsreaktionen, z. B. mit Schwermetallsalzen, sind auch mit Ammonsulfat aussalzbar. Man hat früher diese. Reaktionen vielfach dazu benutzt, um zu festen Präparaten zu gelangen, wie dies vor allem Brieger ') v. Pirquet und Schick, Die Serumkrankheit. Leipzig u. Wien, 1905. — ®) Wassermann, Über die persönliche Prophylaxe gegen Diphtherie. Zeit- schrift f. Hygiene 19, 408, 1895. — °) Fischl und v. Wunschheim, Über Schutz- körper im Blute der Neugeborenen. Prager med. Wochenschr. 1895, Nr. 45. — *) Martin und. Cherry, The nature of antagonism between toxins and antitoxins. Proc. Roy. Soe. 63, 420. — °) van Calcar, Über die Konstitution des Di-Giftes usw. Berl. klin. Wochenschr. 1904, 8. 1028. er Antitoxine. 625 und Boer!), ferner Brieger und Ehrlich 2), sowie Wassermann?) ver- sucht haben, doch haben diese Bestrebungen kein praktisches Interesse mehr, da man es jetzt vorzieht, die Sera sehr hoch immunisierter Tiere in unver- ändertem Zustande zu verwerten. Man ist jetzt nur noch aus rein theore- tischen Interessen bemüht, das Antitoxin von den anderen Eiweißstoffen des Serums zu trennen, vor allem, um festzustellen, ob es ein eigener Eiweißstoff ist, oder ob es an einen der Serumkörper gebunden ist. Die erstere Frage ist bisher nicht zu beantworten gewesen, die Reaktionen sind einander zu ähnlich, um eine Trennung mit Erfolg vornehmen zu können. Indessen ist durch die sorgfältigen Arbeiten von Freund und Sternberg), Pick) usw. wenigstens bekannt geworden, daß die Antitoxine mit der Globulinfraktion der Sera zusammengehen. Und zwar findet es sich nach Pick beim Pferde in der Pseudoglobulinfraktion, die erst bei einer Sättigung mit mehr als 30 Proz. Ammonsulfat ausfällt, bei der Ziege dagegen in der Euglobulin- fraktion. Irgend welche sicheren chemischen Unterächiede zwischen den antitoxin- haltigen und normalen Seren sind bisher nicht aufgefunden worden. Die Antitoxine sind also bisher ausschließlich an ihrer Wirkung auf die zugehörigen Toxine zu erkennen. Diese Wirkung ist eine durchaus spezi- fische, sie wird nur auf das Toxin ausgeübt, das den Reiz zur Ausbildung des Schutzstoffes gesetzt hat. Als Typus ist dabei die gegenseitige Beein- flussung von Diphtheriegift und Gegengift anzusehen, an denen auch fast alle Beobachtungen zur Aufklärung des Verhältnisses angestellt worden sind. In der ersten Zeit nahm man vorläufig an, daß das Antitoxin eine zer- störende Wirkung auf das zugehörige Toxin haben sollte; allerdings war sich Behring damals schon darüber klar, daß dies eben nur eine unsichere Annahme war, die nur bis zur besseren Erkenntnis Geltung haben sollte. In der Tat ergaben sich bald Befunde, die diese Annahme ausschließen konnten. Zuerst war es Calmette‘), der am Schlangengift nachwies, daß zwischen Gift und Gegengift nur solche Beziehungen obwalten, wie sie bei der Entstehung einer neutralen Verbindung, etwa wie zwischen einer Base und einer Säure, bestehen. Er zeigte nämlich, daß man aus der an- scheinend neutralen Verbindung von Toxin und Antitoxin durch Erwärmen das Antitoxin entfernen konnte, so daß die ursprüngliche Giftwirkung wieder hervortrat. Ganz ähnliche Verhältnisse fand Wassermann’) bei dem Toxin des Pyocyaneus. Dann beobachteten Martin und Cherry), daß aus einer scheinbar unwirksamen Verbindung von Toxin und Antitoxin das Toxin durch ein Gelatinefilter hindurchpassiert, während das Antitoxin zurück- gehalten wird. Daraus geht hervor, daß es sich bei der Absättigung zwischen !) Brieger u. Boer, Über Antitoxine u. Toxine, Zeitschr. f. Hygiene 21, 259. — *) Brieger u. Ehrlich, Beiträge zur Kenntnis der Milch immuner Tiere, ebenda 13, 336, 1893. — °) Wassöru ann, Konzentration der Antitoxine aus Milch, ebenda 18, 236, 1894. — *) Freund u. Sternberg, Über Darstellung des Heil- körpers aus Diphtherie-Heilserum, ebenda 31, 429, 1899. — °) Pick, Zur Kenntnis der Immunkörper, Hofm. Beitr. 1 (1902). — °) Calmette, Contrib. & l’&tude des venins, Ann. Past. 9, 225, 1895. — 7) Wassermann, Über einige. theoretische Punkte der Immunitätslehre, Zeitschr. f. Hygiene 22, 263, 1896. — °) Knorr, Tetanusgift und seine Beziehungen zum tierischen Organismus. Münch. med. Wochenschr. 1898, 8.321, 362. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 40 626 Antitoxine. beiden Komponenten nicht um eine Vernichtung der einen handeln kann. Es entsteht eine lose Verbindung, die anfangs noch durch die eben erwähnten einfachen Eingriffe zu trennen ist. Bald aber tritt eine sich immer ‚mehr steigernde Festigung dieser Verbindung ein, so daß nach Verlauf einiger Stunden diese Maßnahmen versagen. Die Schnelligkeit, mit der sich diese Festigung ausbildet, ist nach der Natur des Giftes und anderen Einflüssen sehr verschieden. So vereinigt sich Diphtheriegift viel schneller als Tetanus- gift. Mit Erhöhung der Temperatur und größerer Konzentration nimmt auch die Reaktionsgeschwindigkeit dieser Vereinigung zu (Knorr!). Daß man aber auch später noch diese Kombination wieder trennen kann, zeigen neuere Versuche von Morgenroth?), der mit Hilfe von !/3un- Salzsäure die Verbin- dung Schlangentoxin + Antitoxin zerlegen konnte. Es scheint also aus allen diesen Befunden hervorzugehen, daß zwischen dem Toxin und seinem zugehörigen Antitoxin eine‘ chemische Reaktion vor sich geht, die nach stöchiometrischen Gesetzen zu verfolgen ist. Dann müssen aber auch bestimmte Proportionen vorhanden sein, d.h. wenn n Teile Toxin p Teile Antitoxin zur Sättigung brauchen, so müssen xn Teile Toxin xp Teile Antitoxin verbrauchen. Daß dies beim Diphtheriegift tatsächlich der Fall ist, zeigten gegenüber mehreren Anzweiflungen Cobbett und Kanthack). Die Ansicht, daß die Wirkung zwischen Toxin und Antitoxin auf einer rein chemischen beruht, wurde besonders von Hans Buchner zuerst nicht geteilt. Dieser war vielmehr der Meinung, daß die Antitoxine eine rein biologische Wirkung hätten insofern, als sie einen stimulierenden Einfluß auf die Körperzellen ausüben sollten, der sie zur Bekämpfung des Giftes geeig- neter machen sollte. An den komplizierten Verhältnissen des lebenden Körpers war diese Frage sehr schwer zu entscheiden. So ging denn Ehrlich dazu über, ein Reagens zu suchen, bei dem er diese schwer zu übersehenden Ver- hältnisse der lebenden Zellen ausschließen konnte. Dieses Mittel fand er in der Wirkung des Ricins auf die Erythro- cyten. Das Riein ist ein Gift aus den Samen der Ricinuspflanze, das in allen Eigenschaften, vor allem auch in der, ein echtes Antitoxin zu geben, den Toxinen angehört. Außer seiner allgemeinen Giftigkeit hat es noch die Eigenschaft, die roten Blutscheiben in charakteristischer Weise zu verklumpen und zu hämolysieren. Diese Eigenschaft benutzte nun Ehrlich als Reagens. Es liegt auf der Hand, daß man eine geeignete Mischung von Ricin und Antiricin gewinnen kann, die auf Blutkörper nicht mehr wirkt, wenn eben der Neutralisationsvorgang zwischen beiden Komponenten ein rein chemischer ist. Dies zeigt nun in der Tat der Versuch. Die Rosafärbung der über den Blutkörpern stehenden Flüssigkeit infolge der Hämolyse ist dabei ein äußerst empfindlicher Gradmesser für feinere Unterschiede in der Wirkung. Bei diesen Neutralisationsversuchen ist nun aber tatsächlich jede Intervention des lebenden Organismus ausgeschaltet, um so sicherer, als Ehrlich zeigen konnte, daß das Resultat dasselbe bleibt, wenn man die Flüssigkeit mit ‘) Knorr, Tetanusgift und seine Beziehungen zum tierischen Organismus, Münch. med. Wochenschr. 1898, 8. 321, 362. — °) Morgenroth, Wiedergewinn. von Toxin aus seiner Antitoxinverb., Berl. Klin. Wochenschr. 1905, Nr. 50. — ®) Cobbett u. Kanthack, Über das Schicksal des Di-Toxins im Tierorganismus, Zentralbl. f. Bakt. 24, 129, 1898. EEE en Konstitution der Toxine. 627 Giften, wie Salpeter usw., sättigt. Da nun aber bei Beseitigung der hämo- iytischen Wirkung durch die Bindung an das Antiricin sich streng zahlen- mäßige Verhältnisse auffinden lassen, so war damit der Beweis für eine gegenseitige Absättigung beider Faktoren ohne Intervention lebender Zellen geführt. Daß ferner diese Wirkung nicht auf einer Zer- störung der hämolytischen Gruppe des Ricins beruhen kann, zeigt der Um- stand, daß mit der Neutralisierung auch gleichzeitig die toxische Wirkung des Ricins im Tierversuch aufgehoben war. Ergänzt und bestätigt wurden diese Befunde von Römer!), der an Stelle der unübersichtlichen Verhältnisse im Tierkörper sich ein leicht kon- trollierbares Operationsfeld in der Conjunctiva des Kaninchens schuf. Ein dem Ricin sehr ähnliches Toxin, das Abrin, aus Abrus precatorius, hat eine äußerst markante Wirkung auf die Bindehaut, indem es heftige Eite- rungen erzeugt. Diese lassen sich nun als Reagens für die mehr oder minder komplette Absättigung von Abrin und Antiabrin benutzen, und es ergaben sich dabei genau dieselben Resultate. Wir dürfen nach alledem wohl als einen gesicherten Besitz annehmen, daß tatsächlich zwischen Toxin und Antitoxin rein chemische Be- ziehungen obwalten, daß die Haptophore des Toxins vom Antitoxin ab- gesättigt wird, und dies dadurch zu einer spezifischen Bindung an die Zellen des Körpers unfähig wird. Welcher Art aber diese chemischen Bedchuüzen sind, dies festzustellen hat unendliche Mühe gemacht. Und als endlich Ehrlich durch eine Serie von ungemein mühsamen Arbeiten Licht in die Beziehungen zwischen beiden Faktoren gebracht hatte, trat die moderne physikalische Chemie, an ihrer Spitze Arrhenius?), auf den Plan, um diese Verhältnisse und ihre Erklärung für sich in Anspruch zu nehmen. Wenn es auch den Anschein hat, als sei vorläufig dieser Sturm abgewiesen, so müssen wir doch auch auf diese Frage eingehen, um so mehr, als in letzter Zeit der jüngste Sproß der physikalischen Chemie, die der Kolloide, einen immer breiteren Raum auch in der Immuni- tätslehre beansprucht, und es noch gar nicht abzusehen ist, wohin diese Be- wegung schließlich steuert. Zunächst aber wollen wir jedenfalls die Ehrlichschen und Bien: schen ?) Arbeiten über die Konstitution der Toxine im Zusammenhang geben. Ausgegangen sind. diese Arbeiten aus praktischen Notwendigkeiten. Man mußte zu den Zwecken der Heilserumprüfung feste Maßstäbe haben, nach denen man die Absättigung jedes einzelnen antitoxischen Serums mit seinem Toxin bzw. den einzelnen Lösungen des Giftes messen konnte, um dem Serum für die Praxis seinen Wert aufdrücken zu können. Hätten wir das Toxin als eine chemische Substanz, so wäre dies natürlich sehr einfach. Wir hätten nur jedes Serum an einer bekannten Menge Toxin zu prüfen, und die Sache wäre erledigt. Wir kennen aber weder Toxine noch Antitoxine in chemisch reinem Zustande. Das einzige Maß, das wir an die Gifte legen können, ist die physiologische Maßeinheit. Wir können nur !) Römer, Über Abrinimmunität, Arch. f. Ophthalm. 52, 90, 1901. — ?2) Arrhenius, Immunochemie, Leipzig 1907 (dort Lit.). S. a. Michaelis, Sammel- Ref. Biochem. Zentralbl. 3. — °) Behring, s. vor allem: Die Blutserumtherapie, Leipzig 1892; Die Diphtherie, Berlin 1901. 40* 628 Konstitution der Toxine. in tödlichen Dosen für ein Meerschweinchen von bestimmtem Gewicht rechnen. Bei den Hämolysinen tritt an dessen Stelle die Messung der lösen- den Kraft. . Aber dieser Übelstand wäre so schwerwiegend nicht, wenn sonst kon- stante "Beziehungen aufzufinden wären. Würden sich bei den einzelnen Proben des Giftes bestimmte Verhältnisse zwischen der Giftigkeit und der Fähigkeit, Antitoxin zu binden, zeigen, entspräche also jeder Gifteinheit eine Antitoxineinheit, so ließe sich durch empirische Einstellungen noch die Stärke eines Serums relativ leicht normieren. Aber auch dies ist nicht der Fall. Die Giftlösungen enthalten nicht nur das Toxin, sondern noch andere Stoffe, die ebenfalls mit dem Antitoxin reagieren, Stoffe, die man nicht mitzählt, wenn man die tödliche Dosis feststellt, auf die man aber sofort stößt, wenn man die Bindung durch das Antitoxin mißt. Diese Modifikationen des Toxins haben, um es in der Sprache der Theorie auszudrücken, zwar die passende Haptophore, um das Antitoxin zu binden, aber ihre toxophore Gruppe ist verschwunden oder so weit verändert, daß sie bei der Feststellung der Giftwirkung nicht mehr mitrechnet. Diese Stoffe nehmen also. um so mehr Antitoxin in Anspruch, je reichlicher sie im Verhältnis zum reinen Toxin in der Giftlösung vorhanden sind, und da ihre Menge nach den Umständen wechselt, so schwanken eben die Zahlenverhältnisse zwischen der Messung des Toxins in letalen Dosen und der verbrauchten Menge Antitoxin. Behring fand zuerst. beim Tetanus- toxin solche Unterschiede zwischen dem direkten Giftwert und dem sogenannten indirekten, d. h. dem aus dem Antitoxinverbrauch berechneten. Aber erst Ehrlich gelang es, die hier obwaltenden Verhältnisse einigermaßen aufzu- klären und so für eine sichere Bewertung der Heilsera die Grundlagen zu schaffen. Die dazu nötigen Maßeinheiten sind folgende: Als einfache letale Dosis bezeichnet man die Giftmenge, die ein Meerschweinchen von 250g gerade noch in drei bis vier Tagen tötet. Als Normalgift nahm Behring ein solches an, bei dem lccem 100 letale Dosen enthalten sollte. Auf diese Einheit ist nun die sogenannte Immunitätseinheit eingestellt, in dem Sinne, daß ein einfaches Serum ein solches ist, von dem lccm gerade 100 Gifteinheiten, also 1 ccm des Norwalgiftes neutralisiert. Diese Immunitäts- einheit ist in Form eines sehr hochwertigen Serums als empirische Maß- einheit unter allen Kautelen aufbewahrt worden, um zur erneuten Prüfung der Toxinlösungen und event. Herstellung neuer Testsera zu dienen. Wie aus den vorangegangenen Ausführungen ersichtlich, bleibt die nötige Serummenge ‘zur Absättigung ein und derselben Giftlösung stets relativ die gleiche, d.h. jeder letalen Dosis entspricht eine ganz bestimmte Menge Serum, ausgedrückt in Immunitätseinheiten. Dies ist aber nur der Fall, wenn man die Proben gleichzeitig anstellt. Läßt man das Gift lagern, so gehen in ihm Veränderungen vor sich, die zu einer totalen Verschiebung dieser Bindungsverhältnisse führen. Prüft man z. B. ein Gift nach mehreren Monaten wieder, so findet man folgendes: Zwar ist das Verhältnis zwischen Serummenge und Cubikcenti- metern der Giftlösung dasselbe geblieben. Aber in dieser absoluten Menge ist weniger wirksames Gift enthalten. Nimmt man also nicht die Menge, sondern die Gifteinheit als Maßstab, so findet man, daß nun dieselbe Gift- Konstitution der Toxine» Toxoide. 629 menge eine größere Menge Antitoxin zur Sättigung braucht, als bei dem frischen Gift. Daraus folgt, daß beim Ablagern zwar das Gift schwächer geworden ist, daß nicht mehr derselben Anzahl von Cubikcentimetern die- selbe Menge von Toxineinheiten entspricht, daß aber die aus dem Toxin neu gebildeten Stoffe nach wie vor eine Avidität zum Antitoxin besitzen. Diese Stoffe, bei denen also die Haptophore intakt geblieben, die Toxophore sich verändert hat, nennt man nach Ehrlich Toxoide. Später fand dann Ehrlich, daß solche Stoffe, die, mit der passenden Haptophore begabt, eine veränderte Toxo- phore besitzen, auch schon in den frischen Giftlösungen vorhanden sind, und daß sie es bedingen, warum sich schon an diesen Differenzen zwischen dem Gift- wert und der Antitoxinbindung vorfinden. Sie führen den Namen Toxone. Um zu einer Klarstellung der hier vorliegenden Verhältnisse zu gelangen, hat Ehrlich zwei Grenzwerte eingeführt, die er als ZL, (limes Null) und als L;+ (limes Tod) bezeichnet. Ihre Bedeutung ist folgende: L, ist diejenige Menge einer zu prüfenden Giftlösung, aus- gedrückt in letalen Dosen, die, mit einer Immunitätseinheit ver- mischt, eben noch gar keine Wirkung auf ein Versuchstier ausübt. Dieses Gemisch ist also physiologisch neutral. L; dagegen gibt die Menge einer Giftlösung an, ebenfalls in . letalen Dosen gemessen, die, mit einer Immunitätseinheit vermischt, eben hinreicht, um ein Meerschweinchen von 250g in vier bis fünf Tagen zu töten, bei der also nach der Mischung gerade noch eine letale Dosis im Überschuß bleibt. Die Differenz beider Werte L+—L, nennt man „D“. Sie sollte also bei reinen Giftlösungen gleich einer dos. let. also — 1 sein. Daß sie diesen Wert fast nie hat, führt eben zur Annahme und schließlich zur Aufklärung der komplizierten Gemische, die wir als Gift- lösungen zu untersuchen haben. Bei dem Behringschen Normalgift soll der Cubikcentimeter 100 dos. let. enthalten. Da darauf die Immunitätseinheit eingestellt ist, so muß bei Normalgiften die Grenze L, bei 100 liegen. Dies ist nun tatsächlich bei frischen Giften sehr häufig der Fall, d.h. sie sind wirklich nach dem Typus des Behringschen Normalgiftes gebaut. Der Umstand aber, daß es doch Gifte gibt, in denen schon in frischem Zustande L, einen anderen Wert hat als 100, führt zu der Annahme, daß auch in diesen schon Gemische von reinem Toxin und anderen das Antitoxin bindenden Körpern vorhanden sein müssen, die die Verschiebungen zwischen dem Giftwert und dem Bindungs- wert bedingen. Wir stoßen also schon bei dieser Überlegung auf die Exi- stenz der Toxone. Läßt man nun die Gifte lagern, so treten neue Veränderungen ein. Der Giftwert eines Cubikcentimeters sinkt, ohne daß sich der Bindungswert ändert, damit sinkt also IL. Es sei gleich vorweggenommen, daß dieser Zerfall der Gifte sich nach bestimmten Gesetzen vollzieht. ZL, nimmt nicht regellos ab, sondern es fällt auf 50 oder auf 66,6 oder auf andere einfache mit 100 zusammenhängende Werte. Die Toxine scheinen also diechotomisch oder trichotomisch zu zerfallen. Diese entstehenden Toxoide haben also einen ausschlaggebenden Einfluß auf die Größe L,. Auf die Größe L; dagegen sind sie nicht ohne weiteres von bestimmendem Werte, wie folgende Überlegung zeigen mag: 630°; . Toxone. Rein a priori betrachtet, kann man die Toxoide einteilen in solche, die dieselbe Affinität zum Antitoxin haben wie das reine Toxin, die Syn- toxoide, solche, die eine größere haben, die Protoxoide,und endlich solche von geringerer Affinität, die Epitoxoide. Letztere sind, wie sich später herausstellte, mit den Toxonen identisch. Da das Toxin eine einmal eingetretene Bindung zwischen dem Antitoxin einerseits, einem Protoxoid oder Syntoxoid andererseits wegen der erwähnten Affinitätsverhältnisse nicht weiter beeinflussen kann, so kann ein Vorhanden- sein. dieser Formen von Toxoiden auf ZL; nicht von Einfluß sein. Setzt man zu einem physiologisch neutralen Gemisch, also bei Lo, ein solches Gemisch von Toxin und diesen Toxoiden zu, so wird eine einzige dos. let. aus- reichen, um L;+ herbeizuführen, d. b. D ist tatsächlich gleich „Eins*. In der Formelsprache würden diese Dinge so aussehen: 9%9T—A+W0WMd—A=L. 99 T—A + 10Tidd— A + 1Toxin = L;. Sowohl Protoxoide als auch Syntoxoide sind also auf L; ohne Einfluß, also alle sich erst sekundär bildenden Toxoide. Ganz anders verhalten sich die Epitoxoide oder Toxone. Ein Gemisch von Toxin und Toxon + Antitoxin bei L, können wir z. B. so schreiben: PR KT—A+IWNT—A—L.. Setzen wir nun eine Toxineinheit zu, so läßt dieses seine größere Affinität wirken und verdrängt das Toxon aus seiner Verbindung mit dem Anti- toxin. Nach Zusatz von 1 dos. let. ist also die Formel: 91 li —A +9 To— A + 1Toxon (frei!) = L,. So geht es bei erneutem Toxinzusatz, bis sämtliche Toxone in Freiheit gesetzt sind. Dann erst bewirkt Zusatz einer dos. let. das Vorhandensein einer freien Toxindosis, also L+}. Formel: 100 TE — A + 10 freie Toxone = L, 100% —A+107To +1Toxin=L,. Wir hätten also bei einem Schema wie oben nicht eine freie Toxineinheit zuzusetzen, sondern 11, ehe ZL,; erreicht ist. Die so häufig gefundene Er- höhung der Größe D über die bei reinen Giften geforderte Einheit kommt also auf Rechnung ausschließlich der Toxone, sie ist also geradezu ein Maß dafür. D schwankt sehr erheblich. Ehrlich fand bei elf Giften Werte von 1,7 bis 28 Gifteinheiten. Die Toxone sind also schon in der frischen Bouillon der Diphtherie- kulturen vorkommende Antigene, die nicht die typische Wirksamkeit des echten Toxins zeigen und sich von ihm durch eine geringere Affinität zum Antitoxin unterscheiden. Sie sind aber nicht gänzlich ungiftig, sondern zeigen spezifische vom Toxin verschiedene Wirkungen. Es ist so gut wie sicher, daß die Spätlähmungen bei Diphtherie auf ihr Konto zu setzen sind. Man kann ihre spezifischen Wirkungen in der Weise studieren, daß man Giftlösungen mit einem Zusatz von Antitoxin in einer Höhe verwendet, daß das Gemisch der Zwischenzone zwischen L, und L; entspricht. Dann sind ja, wie unsere Überlegung gezeigt hat, freie Toxone in der Mischung vor- handen. In dieser sogenannten Differentialzone haben nun die Mischungen a a a Die Zahl „200°. 631 eben eigenartige Wirkungen, die durchaus von der Wirkung etwa sehr schwacher Toxinwirkungen zu unterscheiden sind. Madsen und Dreyer!) haben auch eine weitere Konsequenz der Theorie praktisch verwirklicht. Wenn tatsächlich die Toxone Antigene sind, die dieselbe Haptophore haben wie das echte Toxin, so muß man mit ihnen gegen das Toxin immunisieren können. Daß dies möglich ist, ergibt sich aus den Versuchen der ge- nannten Autoren. Es geht also aus den bisherigen Betrachtungen über .die Konstitution der Lösungen des Diphtheriegiftes etwa folgendes hervor: Die Gifte bestehen bereits von Anfang an aus einem wechselnden Gemisch zweier Gifte, eines starken und eines schwachen, von denen das eine als das echte Toxin an- gesprochen wird. Beide haben eine identische oder sehr ähnliche Haptophore, so daß sie beide das Antitoxin binden, wenn auch nicht mit gleich starker Avidität. Läßt man die Gifte lagern, so zerfällt auch ein Teil des Toxins weiter in ungiftige Modifikationen, die ebenfalls eine verschiedene Affinität zum Antitoxin haben, die Toxoide. Gewöhnlich macht dieser Zerfall nach einigen Monaten Halt, so daß dann L, konstant bleibt; es sind aber z. B. von Madsen auch Gifte beschrieben worden, bei denen dieser Zerfall immer weiter fortschritt. Schließlich sei kurz erwähnt, daß man auch an Zerfalls- prozesse bei den Toxonen denken muß, doch wollen wir auf diese nicht sehr wichtigen Dinge hier nicht näher eingehen. Dagegen müssen wir noch in aller Kürze der anderen Methode gedenken, mit der Ehrlich weiterhin in die Rätsel der Giftgemische einzudringen be- strebt war. Aus dem Umstande, den wir schon kurz erwähnt haben, daß nämlich der Zerfall der Toxine nach einfachen Zahlen zu erfolgen scheint, die mit 100 in Beziehungen stehen, aus dem ferneren Umstande, daß tatsächlich bei vielen Giften in frischem Zustande eine Immunitätseinheit gerade 100 letale Dosen bindet, ZL, also = 100 ist, schloß er, daß die gesamte Zahl der sich an Antitoxin bindenden Einheiten, der Sättigungseinheiten, also sowohl des echten Toxins, wie aller Beimengungen, im ganzen — 200 sein möge. Dann würde also ein solches nach dem Normaltypus gebautes Gift neben 100 Toxineinheiten noch gerade 100 Toxoneinheiten enthalten, d.h. die Pro- duktion beider Antigene würde parallel verlaufen. Geht dann das Toxin in Toxoide über, so bleibt die Gesamtzahl der Bindungsgruppen erhalten. Hätten wir ein absolut reines Toxin, so müßte davon eine Immunitätseinheit 200 letale Dosen gerade noch absättigen, bei 201 müßte L; erreicht sein. Es läßt sich aber auch die Zusammensetzung anderer Giftlösungen nunmehr unter Annahme der 200 Sättigungseinheiten bestimmen. Wir können den Toxinanteil direkt messen durch Feststellung der dos. let. Wir haben für die Toxone das Maß in der Größe D bzw. D— 1 als Bezeichnung des Wertes, bei dem zwar alle Toxone frei sind, aber die eine schließlich L; herbei- führende Dos. let. noch nicht zugesetzt ist. Ehrlich nennt die Toxin- größe &, die Größe D— 1 ß, und findet dann mit Hilfe einer leicht abzu- 200 } . - Die Ableitung der Formel “+ß !) Madsen und Dreyer, Iinmunität mit den Toxonen des Di-Giftes. Zeitschr. f. Hygiene 37, 249, 1901. leitenden Formel für die Toxone 2 —= 632 Giftspectra. selbst dürfte uns hier zu weit führen. Die Hauptsache ist, daß mit Hilfe dieser Berechnung Ehrlich für jedes Gift den Toxonanteil und damit bei frischen Giften die gesamte Konstitution klarlegen kann. Dadurch wird aus der vorher rein empirisch festgelegten Immunitätseinheit eine theoretisch erkannte Größe, die nunmehr jederzeit reproduzierbar ist. Ehrlich fand auch für den Toxongehalt der Giftlösungen Werte, die mit 100 in engem Zusammenhang stehen, wie 50, 33 usw. Ehrlich hat ferner diese Ergebnisse mit Hilfe einer anderen Unter- suchungsart bestätigt und veranschaulicht. Wenn man von der Annahme ausgeht, daß die Avidität der einzelnen Bestandteile der Giftgemische zum Antitoxin eine ungleiche ist, so müssen diese Unterschiede bei der fraktio- nierten Absättigung von derselben Menge Giftlösung mit sinkenden Mengen Antitoxin hervortreten. Es werden, wenn man die zu einer bestimmten Giftmenge, z. B. 100 letalen Dosen, zugesetzte Antitoxinmenge vermindert, zuerst diejenigen Elemente nicht mehr an das Antitoxin gebunden werden, die die kleinste Avidität haben, also die Toxone, dann die eigentlichen Toxinanteile, und schließlich werden auch die ungiftigen Toxoidanteile kein Antitoxin mehr bekommen, die eine noch größere Avidität dazu haben als das Toxin, also die Protoxoide. Durch graphische Darstellung dieser Ver- hältnisse, die die Regelmäßigkeiten der Verschiebung der Giftwerte bei Zusatz sinkender Mengen Antitoxin demonstrieren sollen, der sogenannten Gift- spektra Ehrlichs, erhält man ein vollständiges Bild der Konstitution der einzelnen Giftlösungen und ihrer Änderung mit der Zeit. Ich kann hier auf diese Dinge nicht in den Einzelheiten eingehen, weil sie an sich mit dem Immunitätsproblem in einem zu losen Zusammenhang stehen. Ich verweise wegen dieser Details auf mein Buch: „Toxine und Antitoxine* !). Ich will nur kurz resümieren, daß man tatsächlich sich mit Hilfe dieser Darstellungen die Konstitution der meisten Gifte versinnbildlichen kann, und daß ihre Er- gebnisse in erfreulicher Weise mit den Zahlen der Berechnung nach der ‚ersten Methode stimmen. Ähnliche Verhältnisse wie beim Diphtherietoxin fand man auch bei anderen untersuchten Giften. Spezielle Abweichungen in der Konstitution sind überall vorhanden, aber für unsere Arbeit ohne Belang. Für das Tetanusgift, das viel empfindlicher ist als das der Di- phtherie, sind Toxoide und Toxone nicht mit Sicherheit nachgewiesen, wohl aber für das zweite Gift der Tetanuskulturen, das hämolytisch wirkende Tetanolysin. Auch das Staphylolysin scheint eine dem Diphtherietoxin ähn- liche Konstitution zu besitzen. Sehr viel einfacher scheinen aber die Schlangentoxine gebaut zu sein, bei denen anscheinend ungiftige Antigene in frischen Giften fehlen. Wir sind bisher durchaus den Wegen gefolgt, die Ehrlich in seinen großartigen Arbeiten über die Konstitution der Toxine gewiesen hat. Seine Lehre stellt ein völlig geschlossenes Gebäude dar, das bisher alle Erscheinungen dieses komplizierten Gebietes hat erklären können. Aber freilich bedarf sie dazu eines sehr großen Aufwandes von Hypothesen und Hilfshypothesen, und aus diesem Grunde ist seine Lehre von Anfang an vielfach bekämpft worden, um sie durch eine einfachere Anschauung zu ersetzen. Die Existenz der E08 Physikalische Chemie. 633 Pluralität der Gifte, wie man den Hauptinhalt kurz resümieren kann, ist vielfach geleugnet worden. Die allermeisten Angriffe waren aber weder experimentell, noch theoretisch genügend gestützt, so daß man sie heute als erledigt ansehen kann. Von größerer Bedeutung sind eigentlich nur die Ideen Bordets!), aber vor allem wegen der Persönlichkeit, von der sie aus- gehen. Ein Mann, wie Bordet, dem wir einen großen Teil des geltenden Tatsachenmaterials verdanken, muß immer gehört werden. Seine Anschauung ist aber in kurzen Worten nicht wiederzugeben. Im wesentlichen sucht er an Stelle der Pluralität der Gifte eine Vorstellung zu setzen, die mit teilweisen Sättigungen der Toxinaffinitäten durch das Antitoxin arbeitet. Dadurch sollen die verschiedenen Giftqualitäten und die Sättigungsverschiedenheiten zustande kommen. Die Ansicht Bordets, die die Existenz der Toxone leugnet, ist aber mindestens so kompliziert, wie die Ehrlichs, und ent- scheidende Tatsachen kann sie auch nicht aufweisen. Man kann ihr also kaum größere Bedeutung zuschreiben, und wir wollen hier nicht weiter darauf eingehen. Sie ist vor allem deshalb interessant, weil sie überhaupt die konstante Zusammensetzung der Toxin-Antitoxinverbindung in Abrede stellt und deshalb in genetischem Zusammenhang mit der mederuuten Theorie der kolloidalen Adsorption steht. Um so wichtiger, weil sie die Fundamente der Ehrlichschen Theorien angreifen, sind die Einwände, die von Arrhenius und Madsen?) geltend gemacht worden sind. Sie gehen von den Grundlehren der Stöchiometrie, dem Massengesetz aus. Sie nehmen nur zwei einheitliche Stoffe an, das Antitoxin und das Toxin, die zu einer Verbindung zusammentreten. Diese Verbindung soll aber keine sehr feste sein, sondern eine reversible, so daß sich je nach den äußeren Be- dingungen Gleichgewichte der verschiedensten Arten ausbilden können, die die Pluralität der Gifte vortäuschen. Wenn man die Absättigungskurven zwischen Toxinen und Antitoxinen konstruiert, so erhält man ganz analoge Kurven, als wenn man die Ab- sättigung zwischen einer schwachen Base und einer schwachen Säure, z. B. zwischen Ammoniak und Borsäure, graphisch darstellt. Bei solchen Ab- sättigungen wird nie eine Komponente restlos verbraucht, es bleiben immer gewisse Mengen beider Substanzen frei in der Lösung, es tritt also ein Gleich- gewichtszustand ein. Demgegenüber verläuft die Kurve der Absättigung zwischen einer starken Base und einer starken Säure, z. B. Salzsäure und Kali, in einer geraden Linie. Madsen und Arrhenius leugnen also die Existenz fast aller der sekundären und andersartigen Stoffe der Kulturen, wie sie Ehrlich in den Toxoiden und Toxonen angenommen hatte. Nur die Annahme der Protoxoide, also der Komponenten der Giftlösungen, die eine sehr große Affinität zum Antitoxin haben, ohne giftig zu sein, können auch sie bei ihren Deduktionen schwer entbehren. Wenn diese Ansichten, au deren Detail ich hier nicht weiter eingehen kann, alle Tatsachen erklären könnten, so würden sie, das ist nicht zu be- zweifeln, eine einfachere Erklärung der Phänomene geben. ') Bordet, Sur le mode de l’action des antitoxines sur les toxines, Ann. Past. 17, 161, 1903. — °) Arrhenius, Immunochemie, Arch. von A. Finkelstein 1907. 654 Physikalische Chemie. Daß solche Gleichgewichte in physikalisch-chemischem Sinne bei den Reaktionen zwischen Toxinen und Antitoxinen nicht gänzlich ausgeschlossen sind, läßt sich nicht leugnen. Bei einigen Toxinen, die eine nur schwache Affinität zu ihrem Antitoxin haben, sind Erscheinungen, die darauf schließen lassen, schon früher beobachtet worden, so z. B. beim Ricin von Danyscz!). In einer Mischung von Ricin und Antiriein, die sich ungefähr in der Neutra- litätszone befindet, sind geringe Mengen sowohl freien Ricins, als auch freien Antiricins vorhanden. Aber die Anhänger der Pluralität der Gifte wehren sich mit Recht dagegen, daß nun alles auf solche Gleichgewichte zurückgeführt werden soll. Speziell für das Diphtheriegift, an dem doch alle die Beobachtungen über Toxone gemacht worden sind, steht Ehrlich?) unerschüttert auf seinem Standpunkt, daß die Vereinigung des reinen Toxins mit dem Antitoxin eine Kurve liefert, wie es die Verbindung zwischen einer starken Base und einer starken Säure gibt, also eineG@erade, und daß die beobachteten Abweichungen eben auf die Gegenwart anderer bindender Stoffe zurückzuführen sind. Von den mannigfachen Gegengründen gegen die Arrheniusschen Angriffe, die man in den Originalarbeiten nachlesen muß, seien nur die allerwichtigsten angedeutet. Abgesehen davon, daß die Arrheniusschen Kurven für Di-Gift nicht genau genug mit den Gleichgewichtskurven reiner Stoffe überein- stimmen, um daraus so gewichtige Angriffe ableiten zu können, so ist es auch nicht nötig, für ihre Erklärung unbedingt Gleichgewichte reiner Stoffe anzunehmen. Ehrlich konnte zeigen, daß auch bei der Mischung einfacher Alkaloide und nachfolgender Absättigung mit Salzsäure sich ganz ähnliche Kurven konstruieren lassen. Ein fernerer Gegengrund sind die Verhältnisse beim Kobragift. Hier liegen die Verhältnisse besonders einfach, es scheint keinerlei Toxone zu enthalten. Dementsprechend verläuft auch die Ab- sättigungskurve mit seinem Antitoxin in einer Geraden. Hier ist also von reversiblen Gleichgewichten keine Rede. Das reine Kobragift verbindet sich also mit seinem Antitoxin wie eine starke Base mit einer starken Säure, es ist also sehr wahrscheinlich, daß das reine Di-Gift sich ebenso verhält. Ein sehr wichtiger Versuch spricht ferner gegen die Existenz von Gleich- gewichtszuständen. v. Dungern zeigte®), daß dieselbe Giftlösung durch eine geringere Menge Antitoxin neutralisiert wird, wenn man die Antitoxindosis auf einmal zugibt, als wenn man die eine Hälfte erst 24 Stunden später zufügt. Ganz Ähnliches fand H. Sachs) beim Tetanolysin. Das ist aber mit der Annahme reversibler Gleichgewichtsreaktionen schlechterdings unvereinbar, denn in diesem Falle müßte es völlig gleichgültig sein, ob man die eine Kompo- nente auf einmal oder fraktioniert zusetzt. Dieses Dungernsche Phänomen ist tatsächlich nur dadurch zu erklären, daß in dem Falle der fraktionierten Bei- mischung feste, irreversible Bindungen zwischen dem Antitoxin und einer Komponente der Giftlösungen eingetreten sind, die bei einmaligem Zusatz in- folge der anderen Verteilung eben nicht in demselben Verhältnis eintreten. !) Danyscz, Contr. ä .l’et. des propr. des melanges des toxines avee leurs anti- toxines, Ann. Past. 16 (1902). — °) Ehrlich, Über d. Giftkomp. des Di-To, Berl. klin. Woch. 1903, Nr.35. — °) v. Dungern, Bindungsverh. bei d. Verein. von Di-Gift und Antiserum, Deutsch. M. W. 1904, H.8/9. — *) Sachs, Über d. Konst. des Tetanolysins, Berl. klin. Wochenschr. 1904, Nr. 16. u m tiefere Kolloide als Antigene. 635 So verlockend es also ist, die Lehren der physikalischen Chemie auf die Reaktion zwischen Toxinen und ihren Antitoxinen zu übertragen, und alles auf eine einheitliche Reaktion zwischen nur zwei Stoffen zurückzuführen: es stimmt eben vorläufig nicht; nach allem, was wir an Tatsachen ohne Vorurteil prüfen können, haben wir hier Reaktionen vor uns, die zwar anfangs den Charakter der Reversibilität zeigen, bald aber zu festen Verbindungen werden, auf die die Massengesetzkurven nicht stimmen. Und so müssen wir vorläufig den Versuch von Arrhenius und Madsen als gescheitert ansehen. Noch haben wir keine bessere Erklärung, als die komplizierten Ehrlichschen Strukturformeln. Zu alledem kommt aber noch, daß sich gegen die Grundanschauung von Arrhenius aus dem eigenen Lager heftiger Widerspruch erhoben hat. Man hat ihm, Nernst ander Spitze, geradezu däs Recht abgesprochen, die Massen- gesetze auf solche Stoffe, wie die Toxine usw. anzuwenden. Hier handelt es sich nämlich um Kolloide, und für diese scheinen doch andere Reaktions- gesetze zu gelten. Jedenfalls aber darf man nicht ohne Kritik die Disso- ziationsgesetze auf solche Stoffe übertragen. Es fehlt also auch in dieser Beziehung den Ideen von Arrhenius das sichere Fundament. Der Gesichtspunkt, die Reaktionen zwischen diesen wirksamen Substanzen vom Standpunkt der Kolloidchemie aus anzusehen, hat nun überhaupt in der letzten Zeit eine große Wichtigkeit angenommen. Je mehr wir in das ungemein schwierige Gebiet der Kolloide eindringen, desto mehr Analogien drängen sich auf. Es hat allerdings den Anschein, als ob sich ein Teil der Eigentümlichkeiten aller dieser Vorgänge auf den kolloidalen Charakter der in Reaktion tretenden Substanzen zurückführen ließe, doch ist es mir leider an dieser Stelle unmöglich, auf Details einzugehen. Natürlich macht sich auch hierbei, wie stets bei solchen jungen Bewegungen, eine enorme Über- schätzung des neugewonnenen Fundamentes breit: es soll nun einfach alles durch die Grundeigenschaften der Kolloide erklärt‘ werden, was vorläufig wenigstens mehr Phantasie als wissenschaftliche Anschauung ist. Neben der Kolloidnatur sind doch immer noch rein chemische Spezifitäten am Werke, und eine recht scharfe Kritik gegenüber den Kolloidschwärmern wohl am Platze. Das ganze Gebiet der Beziehungen zwischen Toxin und Antitoxin ist also, wie wir sehen, in vollstem Fluß, die Physiko-Chemiker von der einen, die Kolloidpropheten von der anderen Seite wollen neue Werte schaffen, und man kann begierig sein, was aus diesem fleißigen und mühseligen Ringen schließlich herausschauen wird. Für die Theorie der gesamten Immunität sind diese Dinge deswegen von Belang, weil sie, und nicht nur bei den Toxinen, dem Begriff der Spezifität zu Leibe gehen wollen. Auf nähere Details können und wollen wir aber an dieser Stelle nicht eingehen, weil doch noch gar zu wenig an positiven Ergebnissen vorliegt. Die engen Beziehungen zwischen der Lehre von den Kolloiden und der Antikörperbildung, die allem Anschein nach für beide Fragen von großer Bedeutung sind, zeigen sich auch in dem Umstande, daß die Eigenschaft, Antikörper zu bilden, unter den Kolloiden auch abgesehen von den Toxinen‘ weit verbreitet ist. Sehen wir die Toxine als kolloidal gelöste Stoffe an, so ist die Eigenschaft anderer Sole, als Antigene aufzutreten, keine so ver- wunderliche mehr. Zuerst beobachtet wurde diese Tatsache bei den Eiweiß- körpern in der sogenannten Präzipitinreaktion. 636 Präzipitine. Kraus machte die Beobachtung, daß die Kulturfiltrate einiger Bakterien mit den entsprechenden Immunseris einen Niederschlag ergeben, und daß diese Reaktion spezifisch ist. Wesentlich erweitert wurden diese Befunde durch Bordet, der zeigte, daß diese Eigenschaft allen Eiweißkörpern in Lösung zukommt. Es ergab sich dann ferner besonders durch die Arbeiten von Myers, Wassermann, Uhlenhut, Michaelis und Oppenheimer, Pick, v. Dungern und anderen !), daß dieser Reaktion eine ziemlich weit- gehende Spezifität zukommt. Und zwar vor allem eine Spezifität der Art. Das Eiweiß jeder Art von Lebewesen erzeugt bei der Einführung in die Blut- bahn eines Tieres einen Antikörper, der ganz oder fast ganz ausschließlich mit dem Eiweiß derselben Art die Niederschlagsbildung zeigt. Dagegen ist die Reaktion für die einzelnen Eiweißarten desselben Lebewesens nur sehr wenig spezifisch. Daß sie demnach zur Unterscheidung der Eiweißarten verschiedener Tiere mit großem Erfolg verwendet wird, ist eine bekannte Tatsache, die näher zu schildern hier nicht der Ort ist. Dagegen ist sie zur Unterscheidung einzelner Eiweißarten so gut wie gar nicht zu verwenden. Auf dem Gebiete der Präzipitinreaktion sind noch sehr viele Rätsel zu lösen. Zunächst wissen wir nicht einmal die fundamentale Frage mit Sicher- heit zu beantworten, ob es die Eiweißstoffe an sich sind, die die Reaktion auslösen oder ob ihnen besondere spezifische Antigene beigemengt sind. Wir wissen nur das eine sicher, daß durch eine einigermaßen energische Verdauung mit Pepsin und Salzsäure die Fähigkeit, ein Präzipitin zu erzeugen, den Eiweißkörpern ebensowohl genommen wird, wie die präzipitinhaltigen Immun- sera dadurch die Fähigkeit der Niederschlagsbildung mit dem unveränderten Eiweißstoff einbüßen. Sonst aber ist die Frage, welche Eingriffe am intakten Eiweißmolekül vorgenommen werden dürfen, ehe die Antigeneigenschaft verloren geht, noch durchaus nicht zur Zufriedenheit aufgeklärt. Am resistentesten ist die Antigennatur gegen eine tryptische Verdauung, die ziemlich weit gehen darf, ehe die Präzipitinbildung erlischt. Sie ist also jedenfalls nicht an das absolut intakte Molekül gebunden. In bezug auf Einzelheiten sei auf die Arbeiten von Michaelis und Oppenheimer!), sowie Obermayer und Pick?) verwiesen. Ebensowenig ist die Natur der Antikörper gegen kolloidales Eiweiß aufgeklärt. Während man früher annahm, daß es sich um einfache Uniceptoren handeln möge, um Antikörper mit nur einer bindenden Gruppe, analog den Antitoxinen, haben sich neuerdings Tatsachen ergeben, die die Vermutung auftauchen lassen, als seien die Präzipitine Antikörper mit zwei Haptophoren, entsprechend denen gegen Zellen, wie wir sie im zweiten Teile unserer Arbeit kennen lernen werden. Man schließt dies daraus, daß in gewissen Fällen bei der Vereinigung von Eiweißantigen und Antikörper noch ein drittes Agens, nämlich das Komplement der Sera, in die Verbindung eintritt, eine Erscheinung, die man als Komplementbindung bezeichnet, und die heute in der praktischen Immunitätslehre eine große Rolle spielt. Wir werden ihr im zweiten Teile noch begegnen. ') Literatur bei Michaelis und Oppenheimer, Immunität gegen Eiweiß- körper, Engelmanns Archiv 1902 und Michaelis, Sammelreferat im Bioch. Zentralbl. 3. — ?) Obermayer und Pick, Über die chemischen Grundlagen der Arteigenschaften d. Eiweißkörper, Wien. klin. Wochenschr. 1906, Nr. 12. ß Präzipitine. 637 Über die biologische Bedeutung der ganzen Erscheinung wissen wir so gut wie gar nichts. Es hat sogar den Anschein, als ob die sichtbare Phase, die Niederschlagsbildung, im lebenden Körper überhaupt nicht zustande kommt. Allerdings können wir trotzdem wohl sicher annehmen, daß die Hauptsache, nämlich die Bindung des Antigens mit dem Antikörper, sich auch im lebenden Organismus vollzieht. Wir können uns wohl vorstellen, daß diese spezifische Bindung irgendwie eine Rolle bei der Assimilation körper- fremden Eiweißes im Stoffwechsel spielt, aber Genaueres können wir darüber nicht aussagen. Ein Versuch, quantitative Beziehungen zwischen der Resorption :körperfremden Eiweißes und der Präzipitinreaktion seien, ist fehlgeschlagen (Oppenheim er!). Einen Fingerzeig in dieser Richtung geben vielleicht die Resultate von Wassermann und Citrom?). Sie fanden normale Antikörper auch gegen andere kolloidale Nahrungsmittel, so gegen Albumosen und vor allen auch Glykogen, und zwar mit der oben erwähnten Methode der Komplement- bindung. Speziell gegen das Glykogen scheint sich eine richtige Immunität durch Bildung von Amboceptoren erreichen zu JaBisn. Peptone haben die Antigennatur nicht mehr. Diese Befunde sind also eine Stütze der naheliegenden Ansicht, daß die Ausbildung von Antikörpern auch gegen natives Eiweiß im engen Zusammen- hang mit der Aufnahme dieser körperfremden Nährstoffe steht (Michaelis und Oppenheimer), und greifen somit auf die allererste Konzeption der Ehrlichschen Seitenkettentheorie zurück, die ja auch eine spezifische Bindung gerade der Nährstoffe annimmt. Es wäre zu wünschen, daß man mit der sehr empfindlichen Methode der Komplementbindung näher in diese bisher sehr rätselhaften Vorgänge eindringen könnte. Nicht viel besser steht es schließlich mit der Aufklärung des chemischen Vorganges. Aus den zahlreichen, mühseligen Arbeiten, die sich mit der genaueren Durchforschung der quantitativen Verhältnisse befaßt haben, geht nur wenig Sicheres hervor. Es ist sicher keine Fermentreaktion, vielmehr treten beide Komponenten, die präzipitable Substanz des Eiweißesund das Präzipitin des Immunserums, nach stöchiometrischen Gesetzen zusammen. Dabei zeigen sich nun höchst interessante Gleichgewichte, deren Störung die Ausbildung eines Niederschlages verhindert. So sei erwähnt, daß sich meist der Niederschlag nicht bildet, wenn sich die präzipitable Substanz im Über- schuß befindet. Gerade beim Studium dieser Gleichgewichte zeigt sich nun der enge Zusammenhang, den die Präzipitinreaktion mit anderen, allgemeineren Reaktionen zwischen Kolloiden hat. Die noch so wenig geklärten Phänomene der Ausflockung von Kolloiden untereinander und unter dem Einfluß ver- schiedener Elektrolyte sind gerade auf Grund dieser eigenartigen Erscheinungen erneut mit großem Eifer in Angriff genommen worden, und haben interessante Zusammenhänge aufgedeckt. Leider kann ich auf Details auch an dieser Stelle nicht eingehen, weil dazu die Aufrollung der Grundlagen der Kolloid- !) Oppenheimer, Über das Schicksal des unter Umgehung des Darmkanals eingeführten Eiweißes im Tierkörper, Hofm. Beitr. 4, 263, 1903. — ?) Wasser- mann u. Citron, Über d. Bez. d. Serums zu gewissen Nährstoffen, Z. exp. Path. 4, 273, 1907. 638 Antienzyme. chemie gehörte. Zur Orientierung verweise ich ‚unter anderem. auf die Sammelreferate von Hans Aron und von Leonor Michaelis im Arien, Bande des Biochemischen Zentralblattes. Eine weitere Reihe von: kolloidal gelösten Substanzen, die zur Bildung eigenartiger Antikörper Anlaß geben, sind die Enzyme. Zuerst wurde eine Resistenzsteigerung gegen Emulsin von Hildebrandt beobachtet, später, aber gelang es, gegen eine Reihe von Enzymen wirkliche Antikörper dar- zustellen. Am besten untersucht ist das Antilab und zwar von Morgen- roth!). Das Serum einer mit Lab vorbehandelten Ziege hemmt in zahlen- mäßig erkennbaren Verhältnissen die Wirkung des Labfermentes, und zwar ist diese Hemmung so spezifisch, daß der Antikörper gegen pflanzliches Lab die Labung durch tierisches nicht beeinflußt. Später hat man dann eine ganze Reihe solcher Antienzyme aufgefunden, wenn sie auch nicht alle eine so klare Wirkung haben, wie gerade das Antilab. Am spärlichsten sind die, Ergebnisse bei den saccharifizierenden Fermenten, wo im wesentlichen nur die Ergebnisse von Schütze?) auf die Existenz einer Antiamylase hinweisen. Am wichtigsten in physiologischer Beziehung sind die Antikörper gegen Proteasen. Man hat sie sowohl immunisatorisch herstellen können, und zwar Sachs?) gegen das Pepsin, Achalme) gegen Trypsin, als auch vor allem in normalen Säften und Geweben nachweisen können. Sie scheinen sehr wichtige Funktionen im normalen Stoffwechsel zu erfüllen. Wenigstens spricht vieles dafür, daß die Beständigkeit der lebenden Magenschleimhaut gegen die peptische Verdauung zum Teil sicher auf der Existenz eines solchen Hemmungskörpers beruht, und die schönen Versuche von Weinland?) erweisen, daß die Nichtangreifbarkeit der Eingeweidewürmer im Darme auf einer Antiprotease beruht. Dabei ist es an dieser Stelle gleichgültig,. daß nach Annahme einiger Forscher es sich in diesem Falle nicht um einen eigentlichen Antikörper gegen das Trypsin, sondern um eine Antikinase handelt, welche die das Trypsin aktivierende Kinase des Darmes neutralisiert. Man hat ja bekanntlich versucht, die Wirkung des Pankreassaftes als eine kombinierte hinzustellen, bei der ein an sich unwirksamer Körper, das Trypsin, durch einen ebenfalls an sich unwirksamen, die Kinase, zu einer wirksamen Verbindung komplettiert wird. Es läge also hier eine gewisse Analogie mit der Immunität gegen komplexe Antigene vor, wie wir sie bei der gegen Zellen finden werden. Das ist aber, wie gesagt, hier prinzipiell gleichgültig. Es handelt sich jedenfalls um einen Antikörper gegen ein enzymatisch wirksames Agens. Auf die Details dieser Befunde kann ich hier nicht eingehen, ich will nur erwähnen, daß man weiterhin Antikörper gefunden hat gegen Oxydasen, gegen Lipase, Urease und gegen Fibrin- ferment 6). | Wir haben hier also sowohl normal vorhandene, als auch immunisatorisch zu erhaltende Antikörper gegen kolloidale Lösungen, ganz vergleichbar den Toxinen. Mutatis mutandis müssen wir also auch nach einer ähnlichen )) Morgenroth, Zur Kenntnis d. Labenzyme, Z. f. Bakt. 27, 721, 1900. — ?2) Braun u. Schütze, Über Antidiastase, Med. Klin. 1907, Nr.19. — °) Sachs, Über Antipepsin, Fortschr. d. Med. 20, 425. — *) Achalme, Propr. path. de la trypsine, Ann. Past. 15, 737, 1901. — °?) Weinland, Antifermente, Zeitschr. f. Biol. 44 (1902). — °, Lit. b. Oppenheimer, Fermente II. Aufl., 1903. ER EEG PEN jr Antienzyme. 639 Erklärung suchen, die auch hier wohl in einer spezifischen Bindung und Los- lösung von Receptoren beruht. Wir kommen also dabei zu einer Beziehung zwischen Fermenten und Toxinen, bei der die spezifische Bindung das Tertium comparationis ist, und zwar nur diese, wie ich auch an dieser Stelle betonen möchte, um mehrfachen mißverständlichen Auffassungen meiner früheren Äußerungen über diese Zusammenhänge entgegenzutreten. In der Wirkung von Fermenten und Toxinen irgendwelche Analogien zu suchen, haben wir bisher keine Berechtigung. Die Rolle, die man solchen Antifermenten im Zellstoffwechsel, im Ablauf sowohl der normaleh, wie der pathologisch veränderten Funktionen zuschreibt, ist anscheinend noch immer im Wachsen; man neigt dazu, anzunehmen, daß sie ganz allgemein die fermentativen Vorgänge innerhalb der Gewebe in den normalen Grenzen zu halten haben, und daß mit ihrer Ausschaltung sich durch übermäßige Steigerung abnorme Prozesse ausbilden. In erster Linie gilt dies wohl für die autolytischen Enzyme. Doch können wir diesen Faden hier nicht weiter ausspinnen, weil dies Gebiet nicht eigentlich zum Kapitel Immunität gehört. i Diese Vorgänge sind aber an sich in doppeltem Sinne interessant, chemisch, weil sie die weite Verbreitung der Antikörperbildung durch Kolloide zeigen, biologisch, weil sie die spezifische Bindung und dementsprechende Bildung von Antikörpern als einen auch im normalen Haushalt des Organis- mus wichtigen Vorgang aufdecken, und nicht, wie man zuerst anzunehmen geneigt war, als einen nur auf sehr fremdartige Reize, nämlich Toxine, hin wirksamen. Es ist indessen die Fähigkeit der Kolloide, als Antigene zu fungieren,, damit nicht erschöpft. Wir finden noch weiter, daß auch die Kolloide, die als Antikörper fungieren, wiederum als Antigene benutzt werden können, und nun ihrerseits neue Antikörper bilden. Dies gilt in erster Linie von den Amboceptoren der Immunsubstanzen, vielleicht auch von den Komplementen. Die spezifischen Immunsubstänzen, die bei der Immunität gegen Zellen die wichtigste Rolle spielen, die Agglutinine, die hämolytischen Ambo- ceptoren usw., sie-sind fast alle befähigt, bei ihrer Einführung in den leben- den Organismus wiederum als Antigene zu fungieren, und Antiagglutinine und Antiamboceptoren zu bilden. Es scheint auch allen diesen Kolloidsubstanzen, die spezifische Wirkungen entfalten, eine weitere Antigeneigenschaft nicht zu mangeln, die wir bei den Toxinen gefunden haben, nämlich die Eigentümlichkeit der Toxoidbildung, die Veränderung zu Stoffen, bei denen zwar die spezifische Wirksamkeit erloschen oder. erheblich verändert ist, bei denen aber die Antigennatur erhalten ist, die also noch Antikörper bilden können. Die Existenz von Fermentoiden ist wahrscheinlich (Cramer!), die von Präzipitoiden, Agglu- tinoiden noch sicherer, und sogar für die Existenz von Amboceptoiden sprieht manches. Wir sehen also einen ausgesprochenen Zusammenhang aller dieser Sub- stanzen mit Antigennatur, einen Zusammenhang, der auf die allen gemein- same Eigenschaft der spezifischen Bindung zurückgeht, und damit diese !) Bearn u. Cramer, On Zymoids, Biochem. Journ. 2, H.4, 1907. 640 Immunität gegen Zellen. Fähigkeit als eine außerordentlich wichtige biologische Anpassung doku- mentiert. So außerordentlich kompliziert, wie wir gleich sehen werden, die Er- scheinungen der Immunität gegen Zellen sind, die noch viele Rätsel darbietet, so geht doch dieses biologische Grundprinzip wie ein roter Faden hindurch und erleichtert auch die ganz aphoristische Orientierung, die wir im Rahmen dieses Werkes allein geben können. II. . Die Immunität gegen Zellen. Die Erforschung der Immunität gegen Zellen ist ausgegangen von den praktischen Bedürfnissen der Bakteriologie.e Nachdem man die Entdeckung gemacht hatte, daß das Überstehen einer bakteriellen Erkrankung oft eine zeitliche oder dauernde Resistenz gegen eine erneute Infektion gewährt, nach- dem man dann gelernt hatte, unter gewissen Bedingungen durch eine experi- mentelle Einführung von Keimen diesen Schutz absichtlich zu bewirken, ferner in dem Bestreben, die angeborene Resistenz gewisser Lebewesen gegen eine bakterielle Erkrankung aufzuklären, hat man sich Mühe gegeben, die Ursachen dieser Anpassungen zu finden. Mit fortschreitender Erkenntnis teilte sich bald das scheinbar einheitliche Problem in mehrere differente Teile. Man lernte einerseits, daß ein Teil der Fälle auf der Ausbildung von Antitoxinen beruht, lernte ferner, daß bei der angeborenen Immunität häufig ganz andere Mechanismen vorhanden sind als bei der erworbenen. So wurde schon die Problemstellung eine immer kompliziertere.. Diese Schwierigkeit wuchs aber leider immer mehr an, je mehr man in die Einzelheiten der Immunitätsvor- gänge hineinleuchten konnte. Wie dies so häufig geschieht, wuchsen zwar aus der Fülle der Beobachtungen gewisse große Hauptzüge immer deutlicher heraus, so daß man sie als Grundmerkmale der Einzelheiten ansehen konnte, aber diese Schemata passen eben nicht absolut, es gibt Übergänge und Schwierigkeiten, wo man anfaßt. Dazu kommt, daß gewisse Fragen auch rein experimentell noch ungenügend geklärt sind, daß man außerdem über sichergestellte tatsächliche Befunde sehr geteilter Meinung ist usw. Eine so kurze, einführende Darstellung, wie ich sie hier geben darf, muß nun natürlich die großen Hauptcharaktere als etwas Sicheres ansehen, muß sie als Leit- faden benutzen, immer mit dem Vorbehalt, daß die Dinge eben nicht so ein- fach liegen, wie ich sie hier zeigen werde. Auf einige der wichtigsten Spezial- fragen werde ich indessen doch gelegentlich hinzuweisen haben. Der erste große Schnitt, den man durch das Immunitätsproblem gemacht hat, führte zur Abtrennung der antitoxischen Immunität, wie wir sie in den vorangegangenen Zeilen geschildert haben. Wo die Bakterien nur mit Hilfe löslicher Giftstoffe wirken, an sich betrachtet aber harmlose Schmarotzer sind, da ist auch die Ausbildung einer solchen Giftfestigkeit eine genügende Anpassung. Hier liegen also die Sachen hübsch klar: gegen einen toten chemischen Giftstoff, ob nun von Bakterien oder sonst woher stammend, wird ein Gegen- mittel erzeugt, und damit ist die Sache für das Tier erledigt. Dem gegenüber steht nun die eigentliche antibakterielle Immunität, die ein Teilproblem der Immunität gegen Zellen überhaupt ist. Sie richtet Endotoxine. 641 sich gegen die Mikroben, welche die Fähigkeit haben, sich im Körper zu ver- mehren. Allerdings wirken auch sie schließlich duıch Ausbildung von Giftstoffen. Aber selbst wenn es gegen diese Giftstoffe eine Antitoxin- bildung gibt, so würde diese nicht genügen, denn so lange die Bakterien sich die Kıaft bewahren, im Körper weiter zu wuchern, so lange sind sie nicht unschädlich gemacht. Der einfachste Fall wäre also der, daß der Körper Schutzkräfte ausbildet, die weiter keine Funktion haben, als die eingedrungenen Leiber der Bakterien zu vernichten und schließlich zum Verschwinden zu bringen. Das wäre ein reinlich gestelltes Problem, dessen Mechanismus auf- zuklären dann die Aufgabe wäre. In der Tat hat man sich eine Zeitlang damit begnügt. Zwar hat man sich von Anfang an klar gemacht, daß wenigstens einige der wichtigsten infektiösen Bazillen schließlich auch durch Gifte wirken. Aber die Bemühungen, diese Gifte in Beziehungen zum Immunitätsproblem insofern zu bringen, als man Antikörper dagegen gewinnen könnte, schlugen fehl, oder gaben wenig- stens geringfügige Resultate. Zwar konnte man aus den Leibern der Erreger bei Cholera und Typhus Gifte isolieren, aber diese erweckten keine oder eine ganz unbedeutende Antitoxinbildung, wenn man sie in den Körper einführte. Man folgte deshalb dem Beispiel Pfeiffers!), der diese Leibesgifte der Bakterien, die Endotoxine, als solche ansprach, die keine Antigennatur besäßen. Er vertritt die Meinung, daß selbst ein hoch immunes Tier unter dem Einfluß der Gifte zugrunde geht, wenn man ihm genügende Dosen gibt, und daß eine Immunität gegen diese Giftwirkung mit keinem Mittel zu erzielen ist. Diese Lehre legte also den Schwerpunkt der Im- munität gegen diese infektiösen Keime ganz auf das Gebiet der Bakterizidie und vereinfachte es damit. Wenn wir die Immunität gegen Cholera und Typhus, sowie gegen einige andere untersuchen wollen, so hätten wir eben nur die Erscheinungen zu verfolgen, die zur Abtötung und Vernichtung der Zellen führen. Diese Mechanismen hat man denn auch einigermaßen auf- geklärt, wie wir unten sehen werden. Wir wollen noch hinzufügen, daß die praktische Konsequenz dieser Lehre die war, die Immunität.gegen die lebenden Zellen so schnell und so wirksam herbeizuführen, daß eine Vernichtung der Zellen erfolgen konnte, ehe die Giftproduktion eine bedrohliche Höhe erreicht hatte. Denn wenn einmal eine genügend große Menge von Keimen den Organismus überschwemmt hatte, so konnte ein bakterizides Schutzvermögen nicht nur nicht gegen die Giftwirkung helfen, sondern durch die angenommene Auflösung der Leiber in größerem Maßstabe wurde sogar ein erhöhtes Frei- werden von Giftstoffen bewirkt, die den Tod noch schneller herbeiführten. Durch diese Theorie wurde also eine reinliche Scheidung zwischen der antitoxischen und antibakteriellen Immunität herbeigeführt, die die Unter- suchung natürlich erleichterte. Jedoch blieb diese Theorie nicht ohne Widerspruch. Seit DEE hatte die französische Schule, insbesondere Metschnikoff 2), die Ansicht verfochten, daß auch Cholera- und Typhusbazillen Toxine bilden, die zwar sich von den !) Pfeiffer in zahlreichen Arbeiten, Zeitschr. f. Hyg. 11 u. ff., siehe auch das Sammelreferat von A. Wolff, Biochem. Zentralbl. 2. — ?) Metschnikoff, Im- munität bei Infektionskrankheiten, Deutsch von .J. Meyer, Jena 1902. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 41 642 Virulenz. eigentlichen Toxinen unterschieden, aber immerhin die Antigennatur besaßen, also Antitoxine bilden konnten, wenn auch nicht in dem Maßstabe wie der Diphtheriebazillus. In jüngster Zeit ist diese Annahme insbesondere von Kraus!) mit Eifer aufgenommen worden, der der Pfeifferschen Lehre von den Endotoxinen ohne Antigennatur Fehde angesagt hat. Allerdings hat Pfeiffer noch durchaus nicht kapituliert, im Gegenteil ist die Erage noch im vollen Fluß. Jedenfalls also müssen wir eventuell damit rechnen, daß sich die Frage der Immunität gegen diese Keime wesentlich kompliziert. Andererseits wissen wir, daß die Fähigkeit jeder Zelle, im Organismus eine Antikörperreaktion auszulösen, durchaus nicht etwa vor den reinen Toxin- bildnern Halt macht. Wenn wir giftfrei gemachte Diphtheriebazillen in den Körper einführen, so bildet sich auch hier eine antibakterielle Reaktion aus, die zur Entstehung von spezifischen Immunkörpern führt. Nur spielt hier diese Erscheinung praktisch eine sehr geringe Rolle, weil die Stoßkraft der Diphtheriebazillen eben ganz eng mit ihrer Toxinwirkung verknüpft ist, sie ohne diese Waffe harmlose Schmarotzer werden. Auf dem anderen Ende stehen Bakterien, bei denen es überhaupt noch nicht gelungen ist, irgend welche Giftstoffe spezifischer Natur aufzufinden, bei denen also die Immunität sich ausschließlich gegen die Leiber selbst wendet. Hierzu gehört vor allem der Milzbrand, wahrscheinlich auch .die Tuberkulose. Bei diesen wären also die Mechanismen der rein antibakteriellen Immunität am leichtesten zu studieren, wenn sich hier nicht wieder andere Hindernisse in den Weg stellten, die auf Abweichungen anderer Art schließen lassen. Theoretisch könnten wir also eine scharfe Grenzlinie ziehen zwischen toxischen Bakterien, gegen die sich eine antitoxische, und rein infek- tiösen Bakterien, gegen die sich eine nur auf die Vernichtung der Leiber gerichtete Immunität ausbildet. In Wirklichkeit scheint es aber allerlei Übergänge zu geben, die von einem Pol zum anderen führen. Man hätte dann mit wechselnden Verhältnissen von Stoßkraft durch Toxinwirkung und Infektiosität, von antitoxischer und antibakterieller Immunität zu rechnen. Wir stoßen bei allen diesen Betrachtungen immer wieder auf den Begriff der Virulenz der Bakterien, den wir nun etwas genauer definieren müssen. Zunächst wurde dieser Begriff eingeführt, um einen präzisen Ausdruck für eine nicht näher zu bestimmende Größe zu haben. In dem Kampfe zweier Lebewesen, der sich entspinnt, sobald eine Infektion des Tieres stattgehabt hat, müssen wir von vornherein mit zwei Variablen rechnen: Die eine ist die Gesamtheit der Widerstandskräfte des Tieres, seine Resistenz, die andere die Gesamtheit der schädlichen Kräfte des Bakteriums, seine Virulenz. Beide Werte können in den weitesten Grenzen schwanken. Wir wissen, daß die Resistenz gegenüber einer Infektion mit bestimmten Keimen so weit gehen kann, daß wir von einer angeborenen Immunität sprechen dürfen, und daß diese Resistenz sowohl von der Tierart wie von allen möglichen individuellen Faktoren abhängig ist. Ebenso wissen wir, !) Kraus, Gifte des Choleravibrio, Wien. klin. Wochenschr. 22 (1906), sowie Vortrag in Sektion I des Internat. Hyg.-Kongr. Berlin 1907; Zentralbl. f. Bakt. 45 (1907). ee Infektion. 643 daß auch die Virulenz nicht nur bei verschiedenen Mikroben total verschieden sein, sondern auch bei derselben Art innerhalb einzelner Rassen und Stämme außerordentlich schwanken kann, daß sogar dieselbe Kultur ihre kLigenschaften tiefgreifend verändern kann, wenn sie altert oder ihr Milieu künstlich ge- ändert wird, besonders durch Tierpassage bzw. Nährbodenkultur. Der Begriff der Virulenz umfaßte also eine Gesamtheit von verschiedenen Eigenschaften, die in ihrem Wirken den Erfolg hatten, eine Erkrankung des Tieres herbei- zuführen. Die beiden Hauptsachen waren dabei die Toxizität und die Ver- mehrungsfähigkeit im lebenden Organismus. Beide brauchen absolut nicht parallel zu gehen. Die Toxizität läßt sich, wie wir gesehen haben, auf die Produktion bestimmter Stoffe seitens der lebenden Bakterienzelle zurück- führen. Der Vermehrung innerhalb des lebenden Gewebes schrieb man zu- nächst einen rein vitalen Charakter zu. Während wir sonst wissen, daß die Gewebe des lebenden Organismus an sich absolut steril sind, daß jedes fremde zellige Element in ihnen durch die Schutzkräfte des Organismus ab- getötet und vernichtet wird, mußte man eben den schädlichen Bakterien die Sonderheit zuschreiben, diesen Schutzkräften gewachsen zu sein.. Das ergab die einfache Beobachtung, die es erzwang, den sogenannten infektiösen Bak- terien eine ganz andere Kraft zuzuschreiben als den harmlosen oder rein toxischen Bakterien, die in den Säften des lebenden Körpers schnell ver- nichtet werden, wie z.B. Bacillus subtilis und Bacillus telani. Weil nun meist auf das Eindringen lebender Keime eine Erkrankung erfolgt, so setzte man schon das Eindringen selbst als den Beginn der Erkrankung an und identifi- zierte die Begriffe Infektion und Infektionskrankheit fast ab- solut. A priori ist das unberechtigt. Es fehlt ein Zwischenglied. Denn es könnten sich wohl Bakterien finden, die zwar Infektiosität besitzen, also im lebenden Gewebe gedeihen können, ohne aber ihrem Wirte irgendwie zu schaden. Bekanntlich sind solche Fälle dort realisiert, wo Bakterien nach überstandener Erkrankung noch lange Zeit im Körper erhalten blieben, wie z. B. beim Typhus in der Gallenblase usw. Diese Schädigung wäre der zweite Akt, bedingt wohl meist durch die Wirkung von Giften, sei es nun von Antigennatur oder anderweitigen. Doch gibt es auch noch andere Möglich- keiten. Es ist wohl denkbar, daß die Ansiedelung von Bakterien im lebenden Gewebe einfach dadurch schädlich wirkt, daß sie dort Kolonien bilden, die Gewebe des Körpers angreifen und verdauen, dadurch die Funktion schwer schädigen, und daß dann vielleicht erst beim Zerfall dieser angegriffenen Ge- webe ganz sekundär toxische oder pyrogene Stoffe entstehen, die weiter schädlich wirken. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß solche Verhältnisse bei der Infektion mit Milzbrand, ferner auch mit Tuberkulose, Aktinomykose usw. eine Rolle spielen. Es sei an dieser Stelle noch auf eine andere Möglichkeit hingewiesen, auf die Grassberger und Schattenfroh!) bei ihren Studien über den Rauschbrand der Rinder aufmerksam gemacht haben. Sie sind zu der Überzeugung gekommen, daß hier die Annahme eines Giftes nicht aus- reicht, sondern daß die Bakterien dadurch schädlich wirken, daß sie wichtige Stoffwechselsubstanzen, wohl vergleichbar den Hormonen Starlings, !) Grassberger u. Schattenfroh, Antitoxische u. antiinfektiöse Immunität, Akad. Wien, Abt. III, 114, 1905. 41* 644 Aggressine. verbrauchen und damit die Harmonie des Haushaltes tiefgreifend stören. Eine weitere Verfolgung dieser interessanten Anregung wird vielleicht neue Auf- schlüsse bringen. Uns interessieren diese Dinge hier vor allem. aus dem Grunde, weil sie darauf hindeuten, daß die Fähigkeit der Bakterien, sich innerhalb des lebenden Gewebes zu vermehren, eine Fähigkeit an sich zu sein scheint, die mit allen anderen, so auch mit der Giftproduktion in keinen unmittelbaren Konnex zu setzen wäre. Dann kommen wir auch leicht zu der Idee, daß diese Fähigkeit, die die virulenten Bakterien von den harmlosen scheidet, auf besonderen Kräften beruhen möge, die wir nun wieder bestimmten Sekretionsprodukten der Mikroben zuzuschreiben hätten. Und damit kommen wir auf ein ganz modernes, sehr heftig umstrittenes Gebiet, nämlich die Aggressine !). Bail?) hat in Verfolgung solcher Ideen die Annahme gemacht, daß die pathogenen Mikroben chemische Stoffe sezernieren, die die Fähigkeit haben, die Angriffs- kräfte des Organismus, speziell die Phagocyten, zu lähmen, und die dadurch die Verbreitung der Keime erst ermöglichen. Er nimmt an, daß nach der primären Ansiedelung der Keime an der Einbruchsstelle zuerst die Abschei- dung dieser Aggressine beginnt, die nunmehr erst das umliegende Gewebe so weit bearbeiten, daß hier die Bakterien sich vermehren können. Dann dringen sie in die Säfte ein und bahnen auch hier den Weg für die nach- drängenden lebenden Keime. Der Nachweis dieser Stoffe gelingt dadurch, daß sie Antigennatur besitzen, daß sie also bei der Einführung von sterilen Exsudaten, Ödemen usw., die Aggressine ‘enthalten, in frischen Individuen Antiaggressine erzeugen, die nun wiederum als Schutzstoffe gegen die Wirkung der Aggressine bei einem dritten Tiere wirken können; indem sie die primären Bedingungen für die Entwickelung der Keime verschlechtern, wirken sie schützend: die Infektion kann nicht haften, der Keim wird im letzten Schluß auf das Niveau eines harmlosen Schmarotzers herabgedrückt. Die Aggressine sind nach Bails Ansicht keine Gifte. Er konnte den sterilen Gewebssaft einer Stelle, wo sich Bakterien entwickelt hatten, in großen Mengen einem Versuchstier injizieren, ohne daß sich irgend welche toxischen Wirkungen zeigten, nur die Entstehung der Antiaggressine bewies, daß hier überhaupt ein aktives Agens in den Tierkörper eingeführt worden war. Er tritt also der Auslegung, daß seine Aggressine identisch mit den Endotoxinen der Leiber sind, entgegen. Dagegen kann er durch Mischung von Äggressin mit einer untertödlichen Dosis von lebenden Bakterien eine schnelle Verbreitung und den Tod herbeiführen, bei etwas größeren Dosen entschieden den tödlichen Ausgang beschleunigen. Daß es sich hier nicht etwa um Körperstoffe handelt, die unter dem Einfluß der Bakterien’ entstehen, sondern um Sekretionsprodukte der Keime selbst, zeigen die Versuche von Citron®), der den Bailschen Aggressinen analoge Körper auch in vitro aus Bakterienkulturen verschiedener Art erhalten konnte. Interessant sind ferner ‘) Die sehr große Literatur pro und contra Aggressine s. bei Levaditi im Handbuch der Technik der Immunitätslehre von Kraus und Levaditi 1, Jena 1907. — ?) Bail z. B.: Natürliche und künstliche Milzbrandimmunität, Zentralbl. f. Bakt. 36, 266, 1904. Vortrag auf dem Internat. Hygiene-Kongreß Berlin 1907, dazwischen eine ganze Reihe von Arbeiten. — ®) Citron in einer Reihe von Ar- beiten, z. B. Zentralbl. f. Bakt. 41, 230, 1906; Zeitschr. £. Hyg. 53, 515, 1906. Bactericidie. 645 die Beziehungen, die man neuerdings zwischen Aggressivität und Kapsel- bildung pathogener Bazillen aufgefunden hat. Wenn diese Ansichten, die noch in starker Polemik stehen, sich be- stätigen, so wäre den Mechanismen der Immunität gegen bakterielle Infektion ein ganz neuer angegliedert, nämlich die antiaggressive Immunität. Die Antiaggressine, die Bail immunisatorisch erzeugen konnte, sind ja weder Antitoxine noch bakterizide Substanzen, sie neutralisieren weder die Gifte noch vernichten sie die Leiber der Bakterien. Sie beseitigen nur die Möglich- keit, daß der Keim sich zunächst an der Einbruchsstelle lebhaft verbreitet, und später, daß er seine Vermehrung im Körper energisch fortsetzt. So kann man ihre Wirkung sehr leicht in der Praxis mit der bakteriziden verwechseln, da sie wie diese machtlos ist, wenn erst eine sehr erhebliche Vermehrung einmal eingetreten ist. Ob dann die bakteriziden Kräfte die Vernichtung der Zellen besorgen oder ein Antiaggressin ihre Vermehrung ausschaltet: wenn keine antitoxische Immunität dazu kommt, so sterben eben die Tiere an der Giftwirkung trotz aller hoch getriebener antibakterieller Immunität. Und das macht die Aggressinfrage für uns so wesentlich. Sie bedeutet wieder eine neue Komplikation auf dem Gebiete der Immunität gegen die lebenden Erreger, mit der wir zu rechnen haben, wollen wir im Einzelfalle die Mechanismen der Anpassung, die einzelnen Phasen im Kampfe zwischen Tier und Bakterium studieren. Schon diese aphoristischen Andeutungen geben uns ein Bild, das uns zeigt, wie wenig bei der antibakteriellen Immunität ein Schematisieren am Platze ist. In sehr vielen praktischen Fällen gehen alle drei Möglichkeiten nebeneinander her, die gewonnenen Immunsera können antitoxische, bakterizide und antiaggressive Stoffe enthalten. Und doch ist es nötig, wenn wir überhaupt und speziell von unserem schließlich doch rein biologischen Standpunkte aus ein Bild von dem Zu- standekommen der antıbakteriellen Immunität bekommen wollen, hier alle Nebenreaktionen auszuschalten und uns ausschließlich mit der bakteriziden Immunität zu befassen. Die bei der antiinfektiösen Immunität etwa mit- spielenden Antitoxine werden sich in prinzipiellen Dingen nicht anders ver- halten wie ‘die gegen die echten, von uns ausführlich beschriebenen Toxine, und von den Antiaggressinen als solchen wissen wir zunächst noch gar nichts, können aber wohl annehmen, daß sie auch in den Rahmen der Antikörper- bildung durch Kolloide fallen, wie wir sie gekennzeichnet haben. Es bleibt also für die theoretische Betrachtung hier nur noch der Mechanismus der Abwehr gegen die Bakterienzelle, der prinzipiell nur einen Sonderfall der allgemeinen Abwehr gegen jede fremde Zelle darstellt. Der Mechanismus der bakteriziden Immunität. Wenn wir also nach den vorangegangenen Darlegungen von den Kompli- kationen, die mit der Immunität im ganzen verknüpft sind, absehen und die reine bakterizide Immunität untersuchen, so stoßen wir auf zwei Grund- anschauungen, beide seit Jahren von vielen Forschern verteidigt, zwischen denen eine definitive Entscheidung noch nicht zu treffen ist. Vieles ist in den zwei Dezennien von den trennenden Mauern abgetragen worden, manche Diskordanzen haben sich geklärt, aber im Prinzip bestehen beide neben- einander und müssen beide geschildert werden. 646 Phagocytentheorie. Zeitlich die ältere ist die Metschnikoffsche Phagocytenlehre!), die in ihrer ursprünglichen Form alle Immunitätserscheinungen auf die aktive Tätigkeit der Leukocyten zurückführen wollte, die lebende, noch voll- virulente Bakterien fressen und damit unschädlich machen sollten. Metschni- koff und seine Schüler haben in zahlreichen. Arbeiten ein unermeßliches Material für seine Anschauung zusammengetragen, das keinesfalls vernach- lässigt werden darf. An der Fähigkeit dieser Zellen, geformte Elemente aufzunehmen und zu verdauen, darf obnehin nicht gezweifelt werden, ihre Rolle bei der Verdauung besonders der niederen Tiere ist über jeden Zweifel erhaben und speziell von Metschnikoff selbst an unzähligen Beispielen demonstriert worden. Auch das ist sicher, daß man bei jeder bakteriellen Invasion Keime im Innern von Phagocyten auffindet. Die Frage spitzt sich vielmehr dahin zu: Nehmen die Leukocyten tatsächlich lebende voll- virulente Keime auf und können sie sie vernichten, und wenn dies der Fall, ist diese Tätigkeit quantitativ für eine Erklärung der Immunitätserschei- nungen ausreichend? In dieser Form gestellt, ist nun die Frage tatsächlich mit Sicherheit negativ zu beantworten. Metschnikoff selbst hält seine An- sprüche in dieser Totalität wohl kaum noch aufrecht. Wohl hat er Fälle beschrieben, wo ihm der Nachweis gelang, daß lebende Keime, so die Spirillen der Gänseseptikämie, tatsächlich in lebendem Zustande von Phagocyten aufgenommen wurden. Es sind besonders die polymorphkernigen Leuko- cyten, denen er spezielle Fähigkeiten zur Bakterienvernichtung zuschreibt, seine Mikrophagen, während den Lymphocyten, seinen Makrophagen, mehr die Fähigkeit zur Vernichtung anderer zelliger Elemente, z. B. Blut- körper, zukommen soll. Er hat ferner in sehr vielen Fällen den Nachweis geführt, daß der günstige Ausgang einer Infektion in engem Zusammenhang mit einer erheblichen Anhäufung von Phagocyten steht, daß sie andererseits bei einem letalen Ausgange nur in geringer Zahl vorhanden waren. Alle diese zahllosen Beobachtungen hat er in seinem großartigen Werke über Immunität niedergelegt. Und doch ist es, wie gesagt, sicher, daß die Theorie sich in der ur- sprünglichen Fassung nicht aufrecht erhalten läßt. Einerseits ist es mehr als bloß wahrscheinlich, daß die Phagocyten nur gelegentlich vollvirulente lebende Erreger nicht nur aufnehmen, sondern wirklich vernichten, daß sie vielmehr häufig selbst nach der Aufnahme solcher Keime zugrunde. gehen und nur für die Weiterverschleppung sorgen. Ferner, daß ihre Haupt- tätigkeit darin besteht, abgestorbene oder wenigstens stark abgeschwächte Keime aufzunehmen und definitiv zu beseitigen. Außerdem aber sind die Ergebnisse der Forschung über die spezifischen bakterienfeindlichen Stoffe, auf die wir unten eingehen werden, so sicherer Besitz geworden, daß sich auch Metschnikoff ihnen nicht verschließen kann. Der Streit hat sich also jetzt viel mehr auf die Frage hinübergespielt, ob die definitive Vernichtung der mit Immunkörper beladenen Bakterien sich innerhalb der Leukocyten oder frei in den Säften vollzieht, und ob die bakterienfeindlichen Komplemente Produkte der Phagocyten sind. Damit bekommt sie also ein ganz anderes !) Metschnikoff, Immunität bei Infektionskrankheiten, Deutsch von J. Meyer, Jena 1902. Rn a : Opsonine. 647 Gesicht, denn wenn man einmal zugibt, daß die aktive Tätigkeit der Freß- zellen es nicht oder nur zum kleinsten Teile ist, die’die Bakterien vernichtet, so ist der Kern der alten Phagocytenlehre gefallen und es bleiben nur Diffe- renzpunkte zweiten Ranges übrig. Wir können uns also kurz dahin resü- mieren, daß ohne Zweifel die Leukocyten eine wichtige Rolle in den ver- schiedenen Phasen der meisten Bakterien vernichtenden Prozesse spielen, daß sie aber eine alleinige oder ausschlaggebende Rolle nicht besitzen. Wie weit dies in jedem einzelnen Falle geht, ist teils überhaupt noch mangelhaft erforscht, teils noch Gegenstand der Kontroverse. Es hängt auch wahr- scheinlich noch von allerlei Nebenumständen ab. Jedenfalls würde uns ein weiteres Eingehen auf Details in keiner Weise über die Schwierigkeiten hin- weghelfen, daß eine absolute Entscheidung bislang nicht zu treffen ist, denn die meisten Versuche, die angestellt sind, lassen je nach dem Standpunkt eine. verschiedene Beurteilung zu. Auf die Frage, welche Bedeutung die Leukocyten als Träger gewisser chemischer Wirkungen innerhalb der Theorie der spezifischen Immunkörper spielen, werden wir besser erst bei der Erörte- rung dieser Ansicht eingehen. Nur das eine sei erwähnt, daß nach den Beobachtungen Bails die Leukocyten in erster Linie der Angriffspunkt seiner Aggressine sind und umgekehrt eine Rolle bei der Antiaggressinimmunität spielen. Da, wie wir oben sahen, Bail diesen Vorgang als einen von der rein bakteriziden Immunität verschiedenen ansieht, so würden die phagocytären Prozesse eventuell auf beiden Gebieten mitspielen, und dadurch würden die Verhältnisse noch unklarer werden, als sie ohnehin schon sind. Denn da bei der -Immunisierung in der Praxis alle diese Beziehungen durcheinandergehen, so müßte man nun wieder die Rolle der Phagocyten für die einzelnen Phasen dieser Prozesse auseinanderzuspinnen suchen. Eine wesentliche Bereicherung und Neubelebung hat die Piiägöeyten- lehre abgesehen von der, wie gesagt, stark bestrittenen Aggressintheorie Bails durch die Lehre von den Opsoninen gefunden, die auch praktisch eine große Wichtigkeit zu besitzen scheinen. Wright!) fand im normalen und im Immunserum gegen verschiedene Bakterien Substanzen, die die-eigen- tümliche Fähigkeit haben, die Bakterien anzugreifen und sie damit der phagocytären Einwirkung zugänglich zu machen. Während ohne diese Op- sonine die Phagocytose lebender Keime, wie wir erwähnten, ein unsicherer und in seiner wirklichen Bedeutung nicht leicht abzuschätzender Vorgang ist, sollen die Opsonine je nach der Menge ihres Vorhandenseins den Prozeß stabilisieren und verstärken. Im normalen Serum kommen nur thermolabile Öpsonine vor, während in Immunseris auch thermostabile vorkommen, die mit den von Neufeld2) beschriebenen bakteriotropen Substanzen völlig identisch zu sein scheinen. Der „opsonische Index“, den man dadurch findet, daß man im Blut- präparat eines Patienten die Zahl der von 100 Leukocyten gefressenen Bakterien zählt und dann auf die Durchschnittsmenge der Leukocyten um- rechnet, spielt heute in der Diagnose der Infektionskrankheiten und der ') Wright and Douglas, On the action upon the Staphyl, by human blood ete. Proc. Roy. Soc. 74, 147, 1904 ete. — ?) Neufeld und Rimpau, Antik. des Streptok.- und Pneumok.-Immunserums, Deutsche med. Wochenschr. 1904, Nr. 40. 648 Alexine. Prognosenstellung eine immer größere Rolle. Für die Therapie ist die Beob- achtung nutzbar gemacht worden, daß mehrfache Injektionen von abgetöteten Kulturen zwar zuerst durch Verbrauch der Normalopsonine den Index herab- setzen, dann aber durch Bildung von spezifischen Immunopsoninen sehr erheblich steigern und dadurch die Phagocytose zu einer therapeutisch in Betracht kommenden Höhe bringen. Man will namentlich bei Staphylokokken und Tuberkulose Erfolge erzielt haben. Diese Seite der Frage interessiert bier weniger, wohl aber die rein theoretische Seite. Wenn sowohl die Ag- gressine als auch die Opsonine zu Recht bestehen, so haben wir für jede der beiden Phasen der Phagocytose eine chemische Substanz verantwortlich ge- macht: Die Aggressine hindern die Leukocyten, zu fressen, die Opsonine schwächen die Keime so, daß. sie den Angriffskräften keinen-energischen Widerstand mehr entgegensetzen können. Ein sehr schönes Bild, nur leider noch nicht in allen seinen Teilen exakt erwiesen. So steckt die ganze Phagocytenlehre noch voller ungeklärter Fragen. Eine Bedeutung haben sie zweifellos, aber wie weit die intracelluläre Ver- nichtung in jeder Form von ausschlaggebender Wichtigkeit ist, können wir auch heute noch, nach 20 jähriger Arbeit, nicht sagen. Mit der Entscheidung über diese Frage schwankt aber auch die reziproke Wichtigkeit der anderen Anschauung, nämlich der Lehre von der extra- cellulären Vernichtung, auf die wir nun genauer eingehen müssen. Diese Theorie geht auf eine Beobachtung von Fodor zurück, der zuerst eine schädliche Wirkung eines Serums auf lebende Keime beobachten konnte. Bedeutung erlangte sie jedoch erst, als Hans Buchner!) seine klassischen Versuche über die Auflösung bzw. Wachstumsverhinderung von Bakterien im Serum normaler Tiere und nach der Immunisierung machte. Die grund- legende Tatsache ist die, daß das Blutserum eine energisch keimtötende Kraft besitzt, die für jedes einzelne Tier und jedes einzelne Bakterium sehr ver- schieden sein kann. Schließlich aber erlischt sie, und nun bilden die Sera einen guten Nährboden für die Keime. Buchner schloß aus seinen Ver- suchen auf die Existenz besonderer bakterienfeindlicher Stoffe im Blute, die er als Alexine bezeichnet hat. Obwohl zuerst von verschiedenen Seiten die Existenz dieser Körper stark in Zweifel gezogen wurde und besonders von Baumgarten und A. Fischer alle Schädigungen der Keime auf osmotische Erscheinungen und Veränderungen der Nährböden zurückgeführt wurde, so ist diese Anzweiflung sicher nicht zu Recht bestehend, die Existenz bestimmter Stoffe sichergestellt. Trotzdem kam man damit nicht recht weiter: Diese Stoffe waren ja auch in normalen Seren vorhanden, sie konnten wohl einen Fingerzeig geben, warum der Körper gewisse Resistenzen zeigen kann, sie waren aber niemals imstande, die verwickelten Verhältnisse, die der Spezifität der Schutzwirkungen zugrunde liegen mußten, in befriedigender Weise aufzu- klären. Außerdem erschien die Wirkung so vorübergehend, so labil, daß sie nicht viel besagen konnte. Dies wurde erst anders, als Pfeiffer?) seine denkwürdigen Versuche machte, in denen er ein ganz neues Licht auf die Hauptfrage, die Spezifität der Erscheinungen, warf. Daß Meerschweinchen- '!) Hans Buchner, Münch. med. Wochenschr. 1899 u. 1900. — ?) Pfeiffer, Ein neues Grundgesetz der Immunität, Deutsehe med. Wochenschr. 1896, Heft 7 u. 8. Pfeiffersches Phänomen. 649 serum von immunisierten Tieren eine schädliche, schnell erlöschende Wirkung auf Choleravibrionen hatte, war bekannt. Pfeiffer zeigte nun aber, daß, wenn man Üholeravibrionen, gemischt mit einem solchen unwirksam gewor- denen Immunserum, in die Bauchhöhle von Meerschweinchen einführte, daß dann die Wirksamkeit wiederkehrte, daß die Vibrionen hier schnell Absterbe- erscheinungen zeigten, die zur Granulabildung und Auflösung führten: das sogenannte Pfeiffersche Phänomen. - Pfeiffer selbst beschrieb, daß auch Ziegenimmunserum in der Bauchhöhle des Meerschweinchens seine Aktivität wiedererlangt, und Moxter!) erreichte dasselbe durch Zusatz von Bauch- höhlenexsudat eines Meerschweinchens zum Immunserum. Den wichtigsten weiteren Schritt tat dann Bordet ?), der zeigte, daß auch einfaches frisches Serum dieselben Dienste leistet, und zwar kann man für die meisten Fälle jedes beliebige frische Serum verwenden. Die Reaktion an sich erwies sich als spezifisch, d. h. das vorher durch Immunisierung mit Cholera erlangte Immunserum, das seine bakteriziden Wirkungen allmählich verloren hatte, war nach dem Zusatz frischen Serums wieder nur gegen Cholera wirksam. Bordet zeigte ferner, daß man die allmähliche Abnahme der Wirksamkeit sofort erzielen konnte, wenn man das noch wirksame Immunserum auf 55° erwärmt. Immerhin waren die Versuche mit lebenden Mikroben zu kompli- ziert, als daß man an ihnen ohne viele Schwierigkeiten die leitenden Gesetze dieser Erscheinungen hätte abstrahieren können. Dafür brauchte man ein leichter übersichtliches Operationsfeld, und dies fand man im Studium der Erscheinungen der Hämolyse. Bordet hatte zuerst gesehen, daß das Serum einiger Tierarten imstande ist, die roten Blutkörper anderer Tiere so zu verändern, daß der Farbstoff austreten kann. Man bezeichnet heute diesen Vorgang etwas inkorrekt, aber präzis als Hämolyse. Bei der engen Beziehung, die diese Schädigung einer fremden Zelle durch das Serum zu den Wirkungen der Alexine offenbar zu haben schien, begannen Bordet und Ehrlich ?) nun die Gesetze der Hämolyse genau zu erforschen. Der Umstand, daß der Beginn des Austritts des roten Farbstoffs ein sehr - leicht sichtbares und auch meßbares Reagens auf eingetretene Wirkung war. mußte dieses Objekt als ein sehr geeignetes erscheinen lassen. In der Tat gelang es, diesen Komplex von Erscheinungen bis in seine feinsten Details aufzuklären, und man fand dabei Anpassungen von äußerster Mannigfaltigkeit, auf die wir hier nur zum kleinsten Teile eingehen können. Zwar enthalten, wie gesagt, auch schon normale Sera jene blutlösenden Prinzipien, aber entwirren ließen sich die Verhältnisse erst dann, als man anfing, die Reaktionen in den hämolytischen Immunseris genauer zu er- forschen. Die grundlegenden Tatsachen, die von Ehrlich und Morgenroth, sowie von Bordet übereinstimmend gefunden sind, sind folgende: Wenn man einer Ziege Hammelblutkörperchen injiziert, so erlangt das Serum dieser Ziege die Eigenschaft, Hammelblut zu hämolysieren. Diese Eigenschaft läßt sich durch Erwärmen auf 55° vernichten, durch frisches Hammelserum da- gegen wiederherstellen. Der Nachweis, daß es sich hier um zwei verschiedene !) Moxter, Zentralbl. f. Bakt. 26 (1899). — ?) Bordet, Ann. Past. 1% ff. — ®) Ehrlich, Ges. Abhandlungen über Immunität, Berlin 1904. 650 Hämolyse. Substanzen handelt, von denen die eine beim Erwärmen auf 55° vernichtet und mit frischem Serum wieder neu zugefügt wird, wird durch Versuche mit spezifischer Bindung erbracht. Bringt man nämlich gewaschene Blutkörper des Hammels mit dem unwirksam gemachten Immunserum der Ziege zu- sammen und zentrifugiert ab, so nehmen die Blutkörper etwas aus dieser Flüssigkeit mit. Denn wenn man nun diese abzentrifugierten Erythrocyten mit einem einfachen frischen Ziegenserum versetzt, so werden sie energisch hämolysiert. Wenn man andererseits die Blutkörper nur in frisches Serum hineinbringt und nach dem Zentrifugieren mit inaktivem Immunserum mischt, so bleiben sie unverändert, und dementsprechend ist der Gehalt des Serums an jener thermolabilen Substanz nach der Berührung mit den Blutkörpern unverändert, denn es kann wieder jedes Immunserum aktivieren, d. h. die Erythrocyten binden ausschließlich die thermostabile Substanz, nicht die thermolabile. Ganz anders aber verhält sich die Sache, wenn wir in ein Serum Blutkörper bringen, die mit der thermostabilen Substanz beladen sind. Wenn dann die Hämolyse eingetreten ist, so ist auch die thermolabile Sub- stanz aus dem Serum verschwunden und kann nun mit neu zugesetzten Blut- körpern nicht wiederholt dasselbe Phänomen auslösen. Wenn also die Blut- körper aus dem Immunserum die thermostabile Substanz gebunden haben, so binden sie auch durch deren Vermittelung die thermolabile mit. Die einfachste Erklärung dieses Vorgänges ist die von Ehrlich gegebene. Die Blutkörper binden spezifisch die thermostabile Substanz, der Ehrlich den Namen Amboceptor gegeben hat. Dieser Amboceptor bindet nun seinerseits wieder die thermolabile Substanz, das Komplement. Das letztere ist das eigentlich wirksame Prinzip der Hämolyse, es kann aber auf die Erythrocyten im allgemeinen nicht wirken, weil es keine passende Haptophore hat. Diese finden wir nur am Amboceptor. Der muß also nach dieser Anschauung zwei Haptophoren haben, eine cytophile, mit der er sich an die Zelle spezifisch bindet, und eine komplementophile, mit der er das Komplement mit Hilfe einer passenden Haptophore an sich fesselt. Weil also der Ambo- ceptor zwei Haftgruppen enthalten soll, hat er seinen Namen erhalten. Die Amboceptoren sind die Träger der Spezifität, denn ein durch Immunisierung ' von Ziegen gegen Hammelblut erhaltenes Serum löst nur Hammelblut und allenfalls noch das sehr nahe verwandter Tiere. Das Komplement ist dagegen nur in sehr beschränktem Maße spezifisch, insofern als man für viele Ambo- ceptoren immer dasselbe Serum benutzen kann, und andererseits dasselbe System Blutkörper—Amboceptor durch eine Reihe von normalen Seris akti- vieren kann. Das Komplement hat man vielfach mit den Enzymen verglichen, doch ist dieser.Vergleich sehr vorsichtig aufzufassen, da in der Wirkung, vor allem aber in der Tatsache, daß die Komplemente bei ihrer Wirkung völlig verbraucht werden, sehr bedeutende Unterschiede aufzufinden sind. Die Ehrlichsche Theorie steht, wie leicht erkenntlich, in engem Zu- sammenhang mit seiner Gesamtauffassung der Immunitätsprobleme, mit seiner _ Seitenkettentheorie. Der Amboceptor entspricht dem einfachen Antitoxin. Auf den Reiz der fremden Zelle hin wird er als normale Seitenkette los- gerissen, genau wie jene. Aber er ist kein einfacher Uniceptor wie die Antitoxine, sondern er ist komplizierter gebaut, er trägt noch eine zweite Haptophore, an die er erst das eigentliche Werkzeug der Vernichtung, das En en Nr a - u v WEB Cytotoxine. 651 Komplement, bindet. Nur wenn durch diese spezifische Bindung das Komplement direkt auf das Antigen, also die fremde Zelle, konzentriert wird, kann es auf sie wirken, es kommt zur Hämolyse. Als solche Antigene wirken im all- gemeinen nur fremde Zellen, jedoch brauchen es nicht unbedingt Blutkörper anderer Tierarten zu sein. Wenigstens bilden sich in vielen Fällen auch gegen das Blut anderer Individuen derselben Art sogenannte Isolysine aus, doch ist dieses Phänomen sehr inkonstant. Für das Auftreten von Auto- lysinen, die also beim Injizieren des eigenen Blutes entstehen sollten, ist ein schlüssiger Beweis noch nicht erbracht. Auf diese Details können wir hier indessen nicht eingehen. In der Tat erklärt nun diese Ehrlichsche Anschauung bisher alle die mannigfaltigen Erscheinungen, die man beim näheren Studium der hämolyti- schen Probleme gefunden hat. Zunächst lassen sich auch in den normalen Seren, die hämolytisch wirken, ganz analoge Amboceptoren auffinden wie in den Immunseris, wenn auch diese Phänomene wegen ihrer weitaus geringeren Intensität schwerer zu verfolgen sind. Komplemente sind ohnedies meist im Überschuß vorhanden. Indessen stoßen wir dabei auf die wichtige Tatsache, daß doch durchaus nicht überall die passenden Komplemente für jedes System Amboceptor—Blutkörper zu finden sind. Wir müssen also mit einer Vielheit von Komplementen rechnen. Vor allem wichtig aber ist, daß die Blutkörper nur ein Paradigma dar- stellen, das am bequemsten zu beobachten ist, weil wir eben in der Hämolyse ein einfaches Reagens haben. In Wirklichkeit scheint die Eigenschaft, Anti- körper in Amboceptorenform: zu bilden, die durch geeignete Komplemente zu aktivieren sind, eine Eigenschaft aller fremden Zellen zu sein. Man hat in neuerer Zeit gegen eine ganze Reihe von Zellgebilden, so Flimmerepithel, Spermatozoen, Leber-, Nieren-, Nervengewebe, Epithel- und Krebszellen usw. spezifische Antikörper gefunden, die nach demselben Schema wirken und auf das entsprechende Antigen bestimmte Schädigungen entfalten. Diese Cyto- toxine scheinen also ein ganz allgemeines Reaktionsprodukt des Protoplasmas auf solche Reize zu sein. Allerdings sind im einzelnen viele Befunde noch widerspruchsvoll, insbesondere die Frage nach der Spezifität der Cytotoxine noch unklar. Im übrigen mögen diese Fragen vielleicht noch für die Patho- logie bedeutungsvoll werden, für die einfache Lehre von den Gesetzen der Immunität bringen sie wenig Neues, und dieses gehört nicht in unseren engen Rahmen. Ich verweise betreffs der Einzelheiten auf die Sammelreferate von Hans Sachs im Biochem. Zentralblatt, Bd. I und in Lubarsch-Ostertags Ergebnissen 1904 und 1907. Das Wichtigste aber ist, daß man diese Befunde ohne Änderung auf die bakteriziden Wirkungen übertragen darf. Nicht als ob man damit nun jede Form der Immunität gegen Bakterien erklären könnte, davon sind wir noch weit. Wo aber eine bakterizide Wirkung nachzuweisen ist, da verläuft sie nach genau demselben Schema, daß die Bakterienzelle das Antigen ist, gegen die sich ein Amboceptor im normalen Serum vorfindet, im Immunserum gebildet wird, und die schließlich durch ein passendes Komplement vernichtet bzw. in anderen Fällen so abgeschwächt wird, daß sie den Leukocyten zur Beute wird, denn auch die bakteriotropen Substanzen scheinen Amboceptoren- charakter zu haben. Wie diese Antikörper wirken, ist vor allem je nach der 652 Bordets Theorie. Bakterienart verschieden, so z. B. wird bei Kokken eine echte Bakteriolyse kaum beobachtet, sondern immer treten dabei die Leukocyten mit in Funktion. Aber die Grundtatsache ist immer dieselbe, daß die Bakterien die spezifische Immunsubstanz aus dem Serum binden, und dann die Komplemente wirken. Eine andere Ansicht für die Wirkung der beiden Elemente aktiver Sera hat Bordet aufgestellt. Nach ihm beruht die Wirkung der thermostabilen Substanz nur darauf, daß sie die Zelle für die nachfolgende Wirkung des Komplements empfindlich macht, ähnlich wie eine Beize eine Aufnahme des Farbstoffs vorbereitet. Es ist an dieser Stelle unmöglich, auf die jahrelang mit einem großen Aufwand von Scharfsinn und geschickt ausgeführten Versuchen geführte Polemik zwischen der Ehrlichschen und der Bordetschen Schule einzu- gehen. Sie ist schon in der Namengebung ausgedrückt. Bordet nenui die thermostabile Substanz nicht Amboceptor, sondern Substance sensibilatrice, und hält für das Komplement an dem alten Namen Alexin fest. Damit ist zugleich gesagt, daß das Alexin eine einheitliche und unspezifische Substanz sein müßte, und gerade an dieser Stelle haben die Ehrlichschen Arbeiten immer wieder den Hebel angesetzt, um- die Vielheit der Komplemente in den Seris nachzuweisen, was ihnen denn anscheinend auch gelungen ist. In der Tat neigen alle deutschen Untersucher dazu, die Existenz der doppelbindenden Amboceptoren im Sinne Ehrlichs anzunehmen. (Näheres s.b. HansSachs,l.c.) Von den vielen Beweisen, die dafür vorliegen, sei nur ein Phänomen erwähnt, die sogenannte Komplementablenkung, auf die zuerst Neisser und Wechsberg!) aufmerksam gemacht haben. Sie zeigt das auf den ersten Blick äußerst verblüffende Phänomen, daß unter Umständen ein Überschuß an Immunkörper die Wirkung der Sera auf die Bakterien stören kann. So- bald der Zusatz von Immunserum ein gewisses Maximum überschritten hat, sinkt seine Wirksamkeit wieder, und bei sehr großen Mengen kann unter Umständen ein ungestörtes Wachstum der Bakterien eintreten. Dies ist mit der Bordetschen Ansicht unvereinbar, denn ein Überschuß einer rein sensi- bilisierenden Substanz könnte nie ein Versagen der Wirkung bedingen. Wohl aber kann die Ehrlichsche Theorie dieser Erscheinung gerecht werden. Das vorhandene Komplement muß sich ja unter die zur Verfügung stehenden Amboceptoren verteilen. Wenn nun eine sehr große Anzahl solcher Ambo- ceptoren vorhanden sind, von denen aber nur ein Bruchteil sich an die Bakterienleiber spezifisch binden kann, während die anderen frei bleiben, so wird eben ein Teil der gebundenen Amboceptoren kein Komplement mehr be- kommen können, also auch nicht mehr wirksam sein können, denn das Komple- ment, das sich an freie Amboceptoren bindet, kann keine Wirkung auf die Bakterien ausüben. Es wirken dann die freien Amboceptoren durch diese Komplementablenkung geradezu schützend auf die Bakterien. | Die Lehre von den Amboceptoren und Komplementen hat in den letzten Jahren eine sehr lebhafte Entwickelung durchgemacht, die sich noch in vollem Fluß befindet, von der wir hier aber doch wenigstens die allerwichtigsten Dinge kurz streifen wollen. ') Neisser und Wechsberg, Über die Wirkungsart bakterizider Sera, Münch. med. Wochenschr. 1901, NTr.218; rn n Komplemente. 653 Als erste Frage erhob sich sehr bald die nach der Herkunft der beiden Immunität auslösenden Stoffe. Über die Herkunft der Amboceptoren wissen wir nicht viele Metschnikoff möchte sie gern, wie es ja seiner Gesamt- anschauung entspricht, aus den Leukocyten herleiten, ohne dafür aber rechte Gründe aufweisen zu können, und dementsprechend obne großen Nachdruck. Es ist nach den Versuchen von Pfeiffer mehr als nur wahrscheinlich, daß sie in reichlichem Maße von den blutbildenden Organen, speziell also Milz und Knochenmark erzeugt werden, doch können sie theoretisch als normale Seitenketten schließlich wohl überall entstehen. Dagegen hat sich über die Entstehung der Komplemente ein heftiger Streit erhoben, der im engsten Zusammenhang mit der Phagocytenlehre steht. Deren Anhänger wollen nämlich, wenn sie schon die Möglichkeit einer extra- cellulären Vernichtung der Keime zugeben, wenigstens den Phagocyten damit einen Löwenanteil sichern, daß sie sie als Bildungsstätte der Komplemente ansprechen. Nach Metschnikoff finden sich in den weißen Blutzellen, je nach ihrer Art, zwei Enzyme, die Mikrocytase, die besonders bei der Bakterienimmunität, und die Makrocytase, die vor allem bei der Hämolyse wirksam sein soll. Diese Enzyme sollen erst beim Tode der Zelle frei werden. Es steht also mit dieser Polemik die Frage im engsten Zusammenhang, ob schon das strömende Blut Komplemente enthält oder ob sie sich nur im post- mortalen Serum finden, entstanden aus zerfallenen Leukoeyten. Diese Frage ist nun absolut nicht sicher entschieden, heute wie vor 20 Jahren steht hier Meinung gegen Meinung, Versuch gegen Versuch. Pfeiffer besonders und seine Schule halten unentwegt an der Gleichgültigkeit der Leukocyten für die Komplementbildung fest, während die französischen Autoren sie als die Hauptquelle ansehen. Die neue Vorwärtsentwickelung der Phagocytenlehre, wie wir sie oben gestreift haben, macht es wahrscheinlich, daß ihnen bzw. ihren Zellsubstanzen eine nicht zu vernachlässigende Rolle bei der Bakterien- vernichtung zuzuweisen ist. Sie sind wohl zwar nicht die Quelle, aber eine Quelle der aktiven Substanzen. Theoretisch und, wie es scheint, auch praktisch von größtem Interesse sind die Befunde, die zu einer immer steigenden Bedeutung des Prinzips der spezifischen Bindung in der Lehre von den Amboceptoren geführt haben. Nach der Theorie besitzen sowohl die Amboceptoren als auch die Komple- mente haptophore Gruppen, sie haben die Fähigkeit der spezifischen Bindung, d. h. sie können ihrerseits als Antigene auftreten. Das ist denn auch in der mannigfachsten Weise verwirklicht worden. Es können sich also Antikörper gegen diese Antikörper bilden. Theoretisch gäbe es folgende: Antikörper erzeugt von der cytophilen Gruppe des Amboceptors, von der komplemento- philen Gruppe des Amboceptors, sowie von der Haptophore des Komplements. Sehr subtile Versuche haben dargetan, daß alle diese Formen von Antikörpern tatsächlich existieren. Zum wenigsten bei den hämolytischen Immunkörpern, bei denen diese Arbeiten wegen des bequemen Reagens der Hämolyse bisher fast ausschließlich ausgeführt worden sind. Antikomplemente z. B. entstehen durch Einspritzung jedes normalen Serums, das immer Komplemente enthält, sie sind also einem Studium leicht zugänglich. Dabei zeigte es sich, dab auch inaktivierte Sera noch Antikomplementbildung veranlassen können. Es ist also durch das Erwärmen nicht das ganze Komplement vernichtet, sondern 654 Antiamboceptoren usw. anscheinend nur seine ergophore Gruppe, während die Haptophore unver- ändert bleibt und durch spezifische Bindung noch Antikörper erzeugen kann. Wir stoßen also damit auf die Existenz von Komplementoiden, ganz analog den Toxoiden, die wir bei den Toxinen kennen gelernt haben. Diese Haptcphore, die im Organismus also Antikomplementbildung auslöst, ist aber dieselbe, die sich an die komplementophile Gruppe des Amboceptors binden kann. Daraus folgt, daß auch die Komplementoide sich noch an den Ambo- ceptor binden können. Da sie aber keine ergophore Gruppe mehr haben, so kann dieses System nicht mehr wirksam sein, ein Serum, das solche spezifisch bindenden Antikomplemente enthält, wirkt also geradezu hemmend .auf die, sagen wir hämolytische, Wirkung des Immunserums. Ein solches Komple- mentoid, das also gleichzeitig den entsprechenden Antikörper gegen die komplementophile Gruppe des Amboceptors darstellt, ist eine der Mög- lichkeiten, wie ein hämolytisches System gehemmt werden kann, indem infolge _ Besetzung dieser Gruppe kein wirksames Komplement mehr an den Ambo- ceptor heran kann. Eine weitere Möglichkeit wäre die Bildung eines Anti- körpers gegen die cytophile oder wie man sie im Hinblick auf die Erweiterung des Amboceptorenbegriffes besser allgemeiner nennt, antigenophile Gruppe, so daß also eine Bindung von Amboceptor und Antigen nicht mehr erfolgen kann. Eine dritte Möglichkeit wäre das Vorhandensein eines Amboceptoids, d. h. eines zum Zellreceptor passenden Gebildes, das ihn besetzt, das aber keine Komplement bindende Gruppe besitzt. Auch dann wäre das System natürlich unwirksam. Wenn eine an sich empfindliche Zelle aus einer ambo- ceptorhaltigen Flüssigkeit keinen solchen wegnimmt, d. h. auf nachherigen Komplementzusatz nicht reagiert, so war eben der Receptor durch ein Ambo- ceptoid besetzt. Nimmt es aber den Amboceptor aus der Flüssigkeit, so daß dieselbe inaktiv wird, und hat trotzdem frisches Komplement keine Wirkung, so ist eben die Leitung zwischen der komplementophilen Gruppe des Ambo- ceptors und dem Komplement selbst unterbrochen. Wenn schließlich die Zellen aus dem Immunserum nichts herausnehmen, gegen ein anderes Immun- serum aber voll empfindlich bleiben, wenn man sie von diesem abzentrifugiert, so war der Amboceptor des unwirksamen Serums durch einen Antiambo- ceptor an der cytophilen Gruppe lahmgelegt. Wenn wir diese Dinge, die absolut nicht nur theoretische Spielereien sind, sondern in der praktischen Immunitätslehre eine Rolle spielen, betrachten, so sehen wir einerseits, wie ungeheuer kompliziert sich diese Systeme von aktiven Substanzen aufbauen, wie glänzend aber auch bisher unsere Arbeits- hypothese uns durch dieses Gewirr hindurchzuführen imstande ist. Die Schwierigkeiten liegen immer wieder vor allem in der Abgrenzung zwischen intracellulären und humoralen Vorgängen; sobald wir es aber einmal mit einfachen Kräften der Sera zu tun haben, gliedern sich die Dinge an der Hand der Seitenkettentheorie ohne jede logische Schwierigkeit. Von den ungeheuren experimentellen Schwierigkeiten allerdings, die sich bei diesen Versuchen oft auftürmen, ehe man reine oder wenigstens erkennbare Be- dingungen geschaffen hat, was in den komplizierten Serumgemengen eigentlich vor sich geht, kann diese aphoristische Darstellung gar kein Bild geben, die ja schon die fertige Deutung der Befunde benutzt. Ich will nur erwähnen, daß man in jüngster Zeit anfängt, das Vorhandensein von Antikomplementen Agglutinine. 655 überhaupt zu bezweifeln, und die entsprechenden Wirkungen auf Amboceptoide zurückführen will. Es laufen ja bei diesen Experimenten fast stets die mannigfachsten Erscheinungen nebeneinander her, weil alle die Antigene eben immer ihre entsprechenden Antikörper bilden. Wenn Toxine vorhanden sind, entstehen Antitoxine, die Eiweißstoffe geben ihre Präzipitine usw. Ferner läuft gewöhnlich noch eine Erscheinung dabei mit, die zwar praktisch sehr wichtig werden kann, aber uns theoretisch sehr wenig weiter gebracht hat und deshalb hier von geringem Interesse ist, nämlich die Ausbildung von Agglutininen, jenen eigenartigen, die Bakterien bzw. Blutzellen verklebenden Substanzen. Sie haben mit der Immunitätsreaktion als solcher wahrscheinlich nichts zu tun, sondern sind andere Antikörper, vermutlich den Präzipitinen sehr nahe verwandt, wenn nicht mit ihnen identisch. Sie haben eine äußerst wichtige Rolle bei der praktischen Differenzierung der Bakterien, sind aber, wie gesagt, an dieser Stelle ohne Belang. Ebenso muß ich es mir versagen, auf das Studium der Bindungsverhält- nisse zwischen Agglutininen und Zellen, speziell Bakterien, des genaueren einzugehen. Neben den Antitoxinen sind nämlich gerade diese Substanzen wegen der relativ leichten quantitativen Verfolgbarkeit der Phänomene zu messenden Versuchen benutzt worden. Man ist dabei wieder zu sehr inter- essanten und vielleicht wesenswichtigen Analogien mit den Ausflockungs- erscheinungen der Kolloide gelangt’ und andererseits. auch zu Versuchen, die physikalisch-chemischen Gleichgewichtsgesetze auch auf diese Dinge zu über- tragen. Insofern können also auch die Agglutinine indirekt wieder Wichtig- keit für die Theorie der Immunität gewinnen, doch sind alle diese Dinge noch ganz unreif. Eine sehr wichtige Erweiterung haben alle diese Lehren gewonnen, als man lernte, daß die spezifischen Antigene der Bakterienleiber nicht untrennbar mit der morphologischen Intaktheit verknüpft sind, daß man sie vielmehr in wirksamer Form aus den Leibern gewinnen kann. Zuerst von Buchner wurden Plasmine erhalten, Preßsäfte aus Bakterienleibern, die wirksame Substanzen mitführten, ohne giftig zu sein. Das erste wichtige, auf diesem Wege freigemachte Antigen war das Kochsche Tuberkulin, von dem Koch bei seinen späteren Arbeiten aussagte, daß es nicht als ein Toxin, sondern als ein bakterizides Antigen anzusprechen sei. War dieses Antigen durch gewaltsame Zertrümmerung der Zellen erhalten, so hat man neuerdings weniger eingreifende Methoden kennen gelernt, die wenigstens bei empfind- licheren Gebilden als den zähen Tuberkelbazillen zum Ziele führten. Con- radi!) gab seine Methode der aseptischen Autolyse, Macfadyen seine Zer- reibung von Bakterien bei der Temperatur der flüssigen Luft bekannt, die alle wirksame Schutzstoffe liefern. Die modernste und, wie es scheint, beste Methode ist die von Brieger?) inaugurierte, durch Schütteln mit destilliertem Wasser usw. den Leibern ihre wirksamen Substanzen zu entziehen. Auf diesem Wege gelang es ihm und seinen Mitarbeitern, wirksame Stoffe gegen Typhus usw. zu erzielen, die immer im wesentlichen eine !) Conradi, Über Giftstoffe von Ruhr- und Typhusbazillen, Deutsche med- Wochenschr. 1908, Nr. 2. — ?) Brieger, Deutsche med. Wochenschr. 1903 ff. 656 Freie Antigene, Komplementbindung. antibakterielle Immunität auslösen. Allerdings wird hier die Sache wieder da- durch kompliziert, daß dann auch die Endotoxine austreten, und wir stoßen hier zum zweitenmal auf die schon oben erörterte Streitfrage, wie weit diese Toxine bzw. ihre Antikörper bei der erworbenen Immunität gegen die Keime mitspielen, wobei es sich immer vor allem um Typhus und Cholera handelt. Davon aber hier abgesehen, werden jedenfalls wirksame Stoffe frei, die eine Immunität bewirken. Diese Agentien an sich sind nun aber wieder, speziell nach der Ansicht von Wassermann und Citron, identisch mit den . Bailschen Aggressinen und die Immunität, die sie erzeugen, identisch mit einer Aggressinimmunität. Oder wenigstens werden dabei auch Substanzen frei, die den Bailschen Aggressinen zum Verwechseln ähnlich sehen. Es können also beim Zerfall der Bakterienleiber in vitro, der dem Zerfall im Organismus einigermaßen gleich zu sein scheint, wenn wir von den Antigenen der Agglutinine als hier nicht wesentlich -absehen, drei Antigene entstehen: Endotoxine, Aggressine und schließlich die eigentlich bakteriolytischen Antigene. Welche von diesen dreien nun selbständig existieren und welche Gruppen identisch sind, das eben steht noch in voller Polemik, so daß wir hier nicht näher darauf eingehen können. Für uns ist hier das einzig Wich- tige, daß es nicht der Einführung intakter Leiber bedarf, um die spezifische Bindung und Antikörperbildung auszulösen, sondern daß es Möglichkeiten gibt, die Antigene in freier Form, als gelöste Substanzen einzuführen. Mit diesem Erfolg haben wir die Basis, die Phänomene quantitativ zu studieren, ohne die unkontrollierbaren Verhältnisse bei Einführung lebender Keime in den Körper in Rechnung stellen zu müssen, und auch vor der Einführung der toten, aber unverletzten Leiber hat diese rein chemische Methode viel voraus. Von den praktischen Vorteilen, die diese Stoffe zur Herbeiführung eines Impfschutzes vor den bisher geübten haben können, sehe ich hier ganz ab, da es noch nicht abzusehen ist, wie diese Erfolge sich gegenüber den bisher sehr zweifelhaften jeder bakteriolytischen Schutzimpfung stellen werden. Derartige Antigene bilden sich nun im Körper bei jeder bakteriellen Erkrankung. Die Aggressine Bails hätten wir als solche anzusehen, aber auch sonst finden sie sich im lebenden Gewebe vor. In neuester Zeit hat man sich nun sehr eifrig mit der Aufsuchung solcher Antigene befaßt, und zwar mit Hilfe einer höchst eigenartigen, außerordentlich empfindlichen Me- thode. Diese geht von. der Idee aus, daß jeder Amboceptor, der sich mit seinem Antigen bindet, auch Komplement verbrauchen muß, solange solches vorhanden ist. Tritt nun eine solche spezifische Bindung ein, so nimmt das System alles Komplement auf. Wenn man dann ein inaktiviertes hämolyti- sches Immunserum nebst seinem empfindlichen Blut zuführt, so kann keine Hämolyse eintreten, weil kein freies Komplement mehr da ist. Diese Methode der Komplementbindung von Bordet und Gengou!) hat eine ganz her- vorragende theoretische und praktische Bedeutung gewonnen, theoretisch, weil sie eine sehr erhebliche Erweiterung des Vorkommens von echten Ambo- ceptoren wahrscheinlich gemacht hat. Sogar für die Bildung der einfachen Antikörper gegen Eiweiß, ja sogar, wenn wir Wassermann und Citron?) ....) Bordet und Gengou, Ann. Past. 16 ff. — °?) Wassermann und Citron, Über die Beziehungen des Serums zu gewissen Nährstoffen, Zeitschr. f. exp. Path. 4, 273, 1907. RN. PREVENT ur Zen er ee ee see BE En ne. Komplemente. 657 glauben dürfen, gegen Albumosen und Glykogen treten Amboceptoren auf, die durch die Komplementbindung als solche erkennbar werden. Wenn diese Dinge sich so weiter entwickeln, so stehen wir erst im Anfange eines für die Physiologie hochbedeutenden Ausbaues des Antikörperbegriffes, und zugleich feierte die Ehrlichsche Theorie einen großen Triumph. Ging sie doch ur- sprünglich aus von der Verankerung von Nährstoffen durch spezifische Bin- dung an Receptoren des Protoplasmas und entwickelte erst daraus die Theorie ‚der Immunität gegen schädliche Stoffe. Mit diesen Feststellungen ginge also die Lehre wieder auf ihren Ausgangspunkt zurück, und die Antikörperbildung gegen einfache Nährstoffe unter Entstehung von Amboceptoren aus los- gerissenen Seitenketten der Zelle wäre ihr letzter Schluß. Praktisch von ungemeiner Wichtigkeit scheinen diese Dinge in diagnosti- scher Hinsicht zu werden, indem man mit Hilfe dieser Komplementbindung die Spuren von Infektionen mit äußerster Schärfe durch den Nachweis der spezifischen Antigene führen kann. Dies ist Wassermann bei der Tuber- kulose gelungen; vor allem interessant aber ist der Nachweis luetischer Antikörper im Serum von Luetikern nicht nur, sondern auch von Tabikern und Paralytikern, womit die alte Lehre von dem Zusammenhang dieser Er- krankungen aufs neue gestützt erscheint. Auf Methodik und Details kann ich hier natürlich nicht eingehen, sondern muß auf die Originalarbeiten ver- weisen ). Neben diesen Arbeiten, die den theoretischen Ausbau der Lehre von den Antikörpern förderten, hat man natürlich auch die Frage nicht vernachlässigt, welcher Natur in chemischem Sinne die dabei agierenden Körper wohl sein könnten. Wird es doch immer wieder der Immunitätslehre zum Vorwurf gemacht, daß sie mit chemisch undefinierbaren Größen rechnet. Was nun die Amboceptoren anbetrifft, so wissen wir über ihren chemi- schen Aufbau absolut nichts. Sie werden als normale Seitenketten angesehen, man schreibt ihnen also von vornherein die ungemein komplizierte Struktur des Protoplasmas zu und verzichtet auf eine weitere chemische Präzisierung mit leichtem Herzen, wie immer, wenn es sich um Protoplasma handelt. Anders steht es mit den Komplementen. Sie finden sich in den normalen Seris und haben dasselbe Anrecht, chemisch untersucht zu werden wie die anderen Serumbestandteile, sei es eiweißartiger oder anderer Natur. Zuerst sah man allgemein die Komplemente als Enzyme an. Einerseits der äußeren Ähnlichkeiten halber, vor allem der Empfindlichkeit gegen Wärme. Dann aber sah man die Alteration der Blutkörper als einen Enzymvorgang an, etwa einen proteolytischen. Nun ist das aber sehr mit Vorsicht aufzunehmen. Vor allem muß man bedenken, daß die Komplemente quantitativ bei der Wirkung absorbiert werden, nach stöchiometrischen Gesetzen, während dies bei den Fermenten doch nur in sehr beschränktem Maße der Fall ist: werden sie doch als Katalysatoren angesprochen, wobei das Nichtverbrauchtwerden ja geradezu ein Definitionsmoment ist. Ganz scharf ist ja diese Trennung nicht, denn auch bei echten Enzymen, wie dem Lab, werden Fermentverluste bei der Wirkung beobachtet?2). Aber im großen und ganzen spricht doch !) Citron, Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 29 (Vereinsbeil.); Michaelis, ebenda 1907, u. v. a. — *) Reichel und Spiro, Fermentwirkung und Ferment- verlust, Hofm. Beitr. 6 u. 7. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 49 658 Lecithide, Lipolyse. der Umstand der völligen Bindung gegen einen Fermentcharakter der Komple- mente. Von einer wirklichen Proteolyse hat man ohnehin nie etwas beob- achten können. Im Gegenteil scheinen sich durch die Arbeiten der letzten Zeit viel eher Beziehungen zwischen den Komplementen und den lipolytischen Prozessen anzubahnen. Die erste Grundlage dieses Ideenganges war die Aufklärung der chemischen Natur eines bestimmten Komplements. Wie nämlich Kyes und Sachs!) gefunden haben, ist das Komplement, das das Hämolysin des Cobragiftes aktiviert, nichts anderes als Lecithin. Es kann sowohl das freie Leeithin als auch unter Umständen das noch in den roten Blutkörpern gebundene die Funktion eines Komplements erfüllen. Den Autoren gelang es sogar, auf rein chemischem Wege die Verbindung des hämolytischen Cobragiftamboceptors mit dem Leeithin als reine chemische Verbindung, als Lecithid, darzustellen und es einer weiteren chemischen Untersuchung zu unterziehen. Wir haben hier also eins der fundamentalen Postulate der Ehrlichschen Theorie verwirklicht, die Bindung von Ambo- ceptor und Komplement in vitro realisiert. Haben wir hier also ein Komple- ment von einfacher Natur, so ist auch der Antikörper oder besser ein Anti- körper hier als ein chemischer Stoff erkannt worden: Cholesterin hemmt die Hämolyse durch Cobragift und sein Lecithid in charakteristischer Weise. Bei der Untersuchung des Lecithids stellte es sich nun heraus, daß dabei eine freie Fettsäure abgespalten wird, und an diese Beobachtung knüpfen die modernen Arbeiten über die Beziehungen zwischen Hämolyse und Fett- spaltung an. Neuberg und Rosenberg?) fanden zuerst, daß eine Reihe von Amboceptoren aus Lecithin Fettsäure abspaltet. Sie fanden diese Eigen- schaft bei mehreren Schlangengiften und auch beim Ricin. In späteren Untersuchungen von Neuberg und Reicher’°) erwiesen sich dann noch weitere Amboceptoren, wie z. B. Cholerahämolysin und Meningokokkenserum, als lipolytisch. Für den engen Zusammenhang beider Erscheinungen sprach die Beobachtung, daß Antiriein ebensowohl die lipolytische wie die eigentliche Ricinwirkung hemmt. Ein weiterer Befund, der in diesem Sinne zu verwerten ist, ist die Auf- findung eines echten, durch Lecithin aktivierbaren Hämolysinamboceptors im Pankreassaft durch Friedemann). Diese Toxolecithide, denen sich unter anderen noch das von Morgenroth’) beschriebene des Bienengiftes anreiht, scheinen also ganz allgemein mit der Produktion und Wirkung lipasischer Enzyme in einem Zusammenhang zu stehen. Wie bei so vielen Vorgängen scheint auch hier das Lecithin eine höchst wichtige, wenn auch durchaus noch nicht klare Rolle in den biologischen Vorgängen zu spielen. Indessen ist das Arbeitsgebiet noch ganz jung, und unsere positiven Kenntnisse sind noch zu gering, um schon wirklich sagen zu können, was denn eigentlich für Zusammenhänge zwischen den Lipoiden, den Lipasen und den Hämolysinen obwalten. ') Kyes u. Sachs, Berl. klin. Wochenschr. 1902ff. — ?) Neuberg u. Rosen- berg, Lipolyse usw., Berl. klin. Wochenschr. 1907. — °?) Neuberg u. Reicher, Lipolyse, Agglutination u. Hämolyse, Biochem. Zeitschr. 4, 281; Münch. med. Woch, 1907, Nr. 35. — *) Friedemann, Über ein komplexes Hämolysin der Bauchspeichel- drüse, Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr.15. — °) Morgenroth, Toxoleeithid des Bienengiftes, Berl. klin. Wochenschr. 1906, Nr. 44. Natürliche Immunität. 659 Die natürliche Immunität. Wenn wir auch in den vorangegangenen Zeilen die meisten der Mecha- nismen, die das Wesen der natürlichen Immunität bedingen, schon erwähnt haben, so erscheint es doch angebracht, in aller Kürze diese Momente noch einmal zusammenzustellen. Die natürliche Immunität ist ein äußerst kompliziertes Problem, viel schwieriger als die erworbene, und durchaus noch nicht in allen Fällen be- friedigend aufgeklärt. Wir haben uns nur gewisse Schemata gebildet, in die die einzelnen Fälle mehr oder minder gut hineinpassen. Wir unterscheiden einerseits nach den Formen die Immunität der Art als die sicherste, um so sicherer, je weiter die betreffenden Tiere in der Systematik auseinanderstehen. Die allermeisten Infektionen der Warmblüter sind für die Kaltblüter indifferent und vice versa. Ähnlich verhalten sich noch Säugetiere und Vögel, obwohl hier die Differenzen schon viel weniger scharf sind. Noch unsicherer sind die Grenzen bei den einzelnen Säugetieren, und auf ein ganz unsicheres Terrain begeben wir uns, wenn wir auf die individuelle Verschiedenheit der Resistenz zu sprechen kommen. Hier spielen alle möglichen Faktoren eine Rolle, die wir nur zum kleinsten Teile erst übersehen und auf die hier einzugehen unmöglich ist. Es sei nur er- wähnt, daß alle Änderungen, die im allgemeinen die Vitalität schwächen, wie Hunger, Kälte, Gifte, ferner jugendliches Alter, eine größere Empfänglichkeit bedingen, während es andererseits Momente gibt, die die Resistenz erhöhen. Hier kommen auch Einflüsse in Betracht, die die Leukocyten mobil machen, wie Injektionen von Serum oder Bouillon usw., so daß wir hier wieder auf die oben erörterte Phagocytose stoßen. Die Dinge sind vor allem deshalb so schwer zu entwirren, weil bei allen Infektionen mit lebenden Keimen neben der Resistenz des Organismus auch die wechselnde Virulenz der Keime eine ausschlaggebende Rolle spielt. So ist die natürliche Immunität oder ihr reziproker Wert, die Disposition, eine äußerst schwer festzustellende Größe. Die natürliche Immunität ist entweder bedingt durch einen Receptoren- mangel. Wir haben bei der antitoxischen Immunität Fälle angegeben, wo es sicher ist, daß das Gift eben überhaupt keinen Angriffspunkt findet und deshalb völlig unschädlich bleibt. So ist es z. B. beim Tetanus der Schild- kröte und auch des Huhnes, so bei der Resistenz gewisser Blutkörper gegen bestimmte Hämolysine. Ob daneben Fälle vorkommen, wo trotz stattgehabter spezifischer Bindung die haptophore Gruppe versagt, ist nicht sicher, der Tetanus des Frosches scheint ein solcher Fall zu sein, wenigstens in der Kälte. Der andere Fall ist das natürliche Vorhandensein von Anti- körpern, sei es Antitoxinen, sei es bakteriziden Substanzen, eventuell auch Antiaggressinen. Das natürliche Vorhandensein von Antikörpern ist sicher- gestellt. Einerseits können sie durch Vererbung auf placentarem Wege oder durch die Milch von der Mutter auf die Nachkommenschaft übergehen, wie bei Kindern gegen Diphtherie, bei denen sich sehr häufig im Säuglingsalter Diphtherieantitoxine im Blute vorfinden. Es kommen aber auch natürliche Antitoxine da vor, wo sie unmöglich durch ererbte Immunität hingelangt sein können. Es können also zufällig passende Haptophoren gegen Toxine sich normal vorfinden, wie ein Antikörper gegen Tetanolysin im Pferdeserum. 660 Natürliche Immunität. Ganz weit verbreitet ist aber das Vorkommen solcher Antikörper gegen Bakterien und andere Zellen in normalen Seris, die zum Teil wenigstens sicher dieselbe Konstitution besitzen wie die Immunkörper, nämlich aus einem Amboceptor und den stets im Serum vorhandenen Komplementen bestehen. Am genauesten in dieser Hinsicht sind die normalen Hämolysine der Sera untersucht, bei denen ebenfalls solche Verhältnisse obwalten. Neben diesen einigermaßen festgestellten Mechanismen spielen aber sicher auch noch andere, uns bisher sehr ungenügend bekannt gewordene eine Rolle. In erster Linie stehen dabei natürlich wieder die Leukocyten. Ihre Tätigkeit bei der natürlichen Immunität gegen Zellen, speziell gegen Bak- terien, ist ohne Frage eine sehr wesentliche, wenn wir auch, wie oben aus- führlicher gezeigt, ihre Inanspruchnahme als einzige oder auch nur vorzüg- lichste Waffe ablehnen müssen. Aber zweifellos spielt der Umstand, in welchem Maße sich die Leukocyten an den Ort der Infektion begeben, in welchem Maße sie tüchtig sind, die Bakterien aufzunehmen und unschädlich zu machen, eine gewichtige Rolle im Kampfe zwischen dem lebenden Tier und dem Bakterium. Wahrscheinlich wird auch dieser Streit weniger direkt durch vitale Kräfte beider Gegner geführt, als durch Absonderung bestimmter chemischer Stoffe, von denen, wie oben auseinandergesetzt, die Aggressine als Waffen der Erreger gegen die Leukocyten, die Opsonine des Normalserums als die Abwehrstoffe der Phagocyten in erster Stelle zu stehen scheinen. Dies wären in kurzen Worten die wichtigsten Mechanismen der an- geborenen Immunität, in die sich nun eine große Reihe der beobachteten Resistenzerscheinungen einordnen lassen. Es darf aber nicht verschwiegen werden, daß es eine ganze Reihe anderer Fälle gibt, wo alle diese Ansichten nur eine ungenügende Erklärung der natürlichen Immunität geben können, wo wir also annehmen müssen, daß noch weitere, von uns noch nicht klar erkannte Möglichkeiten vorliegen, die natürliche Immunität zu erklären. Das ganze Gebiet ist noch ziemlich im Fluß, fortwährend treten neue Komplika- tionen und neue Erklärungsversuche auf, von denen viele nur ein sehr kurzes Leben haben, während andere schon seit Jahren in der Diskussion stehen, ohne daß eine sichere Entscheidung möglich ist. Was die Sache eben immer so ungemein erschwert, ist einerseits der Umstand, daß wir stets mit zwei Variablen zu rechnen haben, die wir beide unabhängig voneinander gar nicht bestimmen können, der Virulenz der Mi- kroben und der absolut genommenen Resistenz der Tiere. Wir können immer nur die Resultante beobachten, und auch dabei schieben sich immer wieder die so schwer in ihrer Bedeutung abzuschätzenden Phagocyten dazwischen. Ich muß es mir also versagen, auf die hochinteressanten Details dieser Fragen an dieser Stelle genauer einzugehen. Die Mechanik des Kreislaufs’) von Georg Fr. Nicolai. Erstes Kapitel. Der Kreislauf als Ganzes. Das Verteilungssystem in der Tierreihe. 81. Die Bedeutung eines Verteilungssystems. Der Kreislauf des Blutes ist nicht um seiner selbst willen da; wie alle Prozesse im tierischen und pflanzlichen Körper dient auch er nur der Er- haltung und Weiterbildung des Lebens. Das immer nachweisbare Äqui- valent des Lebens ist der Stoffwechsel, und so ist es nicht wunderbar, wenn auch der Kreislauf des Blutes — wie alle anderen Funktionen — im Grunde nur eine Einrichtung vorzustellen scheint: Wie der Stoffwechsel in einem Organismus möglich ist. Und gerade hier ist dieser Zusammenhang leicht zu erkennen, denn nicht alle Tiere haben einen Blutkreislauf: nur diejenigen, bei denen die Be- dingungen des Stoffwechsels dies erheischen. Solange der Körper nur aus einer einzigen Zelle besteht, ist ein Kreislauf im eigentlichen Sinne unmöglich und auch überflüssig, denn die Einzelzelle kann so wie so nur durch Osmose ihre Nahrung in sich aufnehmen und ihre Abfall- produkte ausscheiden. Auch bei einem Organismus, der aus zwei dünnen Epithel- lagen, dem Ektoderm und dem Entoderm, besteht, bedarf es keiner besonderen Einrichtungen, damit der von außen her aufgenommene Sauerstoff und die in der Gastrulahöhle verdauten Nahrungsbestandteile zu allen Gewebselementen hin- gelangen. Auch hierfür genügt noch die einfache Durchtränkung. !) Zusammenfassende Darstellungen des Gegenstandes finden sich vor allem bei: Rollet, Physiologie der Blutbewegung in Hermanns Handb. 1, 146 bis 340, 1880; Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie des Kreislaufes, Leipzig 1893. Diese beiden klassischen Werke der Physiologie will die folgende Zusammenstellung nicht ersetzen, nur ergänzen, deshalb sind Probleme, die dort ausführlich diskutiert sind, hier zum Teil nur gestreift. Auch die specielle Physiologie des kleinen Kreis- laufes, die Tigerstedt in den „Ergebnissen der Physiologie“ erst kürzlich behandelt hat, konnte aus diesem Grunde weggelassen werden. 662 Die Bedeutung eines Verteilungssystems. Sobald aber das Mesoderm sich dazwischen schiebt und der Körper volumi- nöser wird, d. h. eine für uns etwa an der Grenze der Sichtbarkeit liegende Größe überschreitet, vermag er im allgemeinen nicht mehr alle seine Teile durch eine von Zelle zu Zelle dringende Endosmose zu ernähren. — Ebensowenig vermag er auf diese Weise verbrauchte Stoffe fortzuschaffen. Nur unter besonders günstigen Bedingungen, bei parasitärer Lebensweise, dürfte dies möglich sein; hier sind denn auch die Kreislauforgane häufig vollkommen zurückgebildet. Abgesehen von diesen Ausnahmefällen wird aber immer, falls überhaupt eine weitere Größenentwickelung möglich sein soll, die Ausbildung eines Ver- teilungssystems notwendig. Ein solches Verteilungssystem hat die Aufgabe, den ursprünglichen Kontakt der einzelnen Zelle mit der Umgebung aufrecht zu erhalten. Das Protozoon empfängt von seiner Umgebung Sauerstoff und die notwendigen Nahrungsmittel und gibt Kohlensäure und die überflüssigen Stoffe der regres- siven Metamorphose ab. Die Aufgabe des Verteilungssystems besteht auch bei den Metazoen darin, die an bestimmten Stellen aufgenommene Nahrung (inkl. des Sauerstoffs) im ganzen Körper zu verteilen und die Abfallsprodukte aus allen Teilen des Körpers nach gewissen Stellen zu führen, an denen sie dann ausgeschieden werden. Diese Aufgabe wird durchaus nicht immer von demjenigen Apparat geleistet, welchen wir beim Menschen als Kreislaufsystem zu bezeichnen gewohnt sind. Luftwege, Verdauungswege und Harnwege können unter Umständen wenigstens teilweise da:selbe leisten, und die ver- gleichende Physiologie zeigt uns, daß die gedachten Möglichkeiten in der Tat alle verwirklicht sind. Außerdem aber hat das Blutgefäßsystem im Laufe der Entwickelung noch eine andere, uns erst in den letzten Jahren deutlicher zum Bewußtsein gekommene Bedeutung gewonnen: Es ist der Vermittler einer wohl vor- läufig kaum geahnten Menge von Regulationsvorgängen im Körper. Zwar, daß Art und Menge der Blutgase ein Regulator der Atmung ist, wissen wir längst, aber das Studium der inneren Sekretion macht es von Tag zu Tag gewisser, daß außerdem noch unzählige Stoffe im Blute kreisen, welche, vom Organismus selbst produziert, die Funktionen des Körpers in ganz anderen, von den Bildungsstellen weit entfernten Gebieten regulieren. In diesem Sinn kommen dem Blute Eigenschaften zu, die man lange für eine ausschließliche Domäne des Nervensystems hielt. 8.2. Das Verteilungssystem bei Wirbellosen. Die sehr große Literatur über die Morphologie der Kreislaufsysteme in der Tierreihe kann nicht berücksichtigt werden. Im folgenden sollen einige neuere physiologische Arbeiten über die vergleichende Physiologie des Kreislaufes zusammen- gestellt werden. Hier findet man auch meist die ältere Literatur. Die sehr zahl- reichen Arbeiten von Carlson, der fast alle Stämme der Wirbellosen in bezug auf ihr Zirkulationssystem untersucht hat, sind nicht einzeln aufgeführt. Sie finden sich alle im Am. Journ. of Physiol. Würmer: Johnston und Johnson, The course of the blood flow in Lum- brieus, Proc. Amer. Phys. Soc. in Am. Journ. of Physiol. 12, 6,1902. — Schnecken: Schönlein, Über das Herz von Aplysia limacina, Zeitschr. f. Biol. 30, 187, 1893; Straub, Zur Physiologie des Aplysienherzens, Pflügers Arch. 86, 504, 1901. Muscheln: Athing, Untersuchungen über das Bojanasche Organ, Rostocker Dissertation 1901. — Tunicaten (vgl. auch die Literaturangaben auf 8.666); Das Verteilungssystem bei Wirbellosen. 663 Pizon, Physiologie du coeur chez les colonies de Diplosomes, Compt. rend. de l’Acad. 135, 1528, 1902; G. W. Hunter, Notes on the heart action of Molgula manhattensis, Amer. Journ. of Physiol. 10, 1, 1903; Heine, Bau und Entwickelung des Herzens der Salpen, Zeitschr. f. wiss. Zool. 73, 429, 1908; Carlson, The response of the hearts of certain Molluscs, Decapods and Tunicates to electrical Stimulation, Science New York 17, 548, 1903; Enriques, Della circulazione sanguinea nei tunicati, Archivio zool. 2, 11, 1904. — Crustaceen: Bandler, Wirkung des elektrischen Stromes und der Herzgifte auf das Daphnienherz, Arch. f. experim. Pathol. 34, 392, 1894; Fischel, Nachtrag hierzu ebenda 36, 325, 1895; Deaborn, Hunt Bookmann und Tierney, Einige allgemeine Eigenschaften des Herzmuskels vom amerikanischen Hummer, Zentralbl. f. Physiol. 11, 274, 1897; Robertson, Note on the influence of temperature on the rate of the heart beat in a erustaceen, Biol. Bull. 10, 242, 1906. — Insekten: L. Arnhardt, Die Bedeu- tung der Aortaschlangenwindungen des Bienenherzens, Zool. Anz. 30, 721, 1906. — Fische: K. Schönlein, Beobachtungen über Blutkreislauf und Respiration bei einigen Fischen nebst einigen Bemerkungen über die Vivisektionstechnik bei Fischen, Zeitschr. f. Biol. 32, 511, 1895; vgl. auch Schönlein und Willem, Bull. scientif. de la France et de la Belg. 26 (1895); Brünings, Zur Physiologie des Kreislaufes der Fische, Pflügers Arch. 75, 599, 1899; Grützner, Nachträglicher Zusatz ebenda, S. 641, 1899; Botazzi, Über die Innervation des Herzens von Scyllium canicula und Maja squinado, Zentralbl. f. Physiol. 14, 665; Greene, Contributions to the physio- logy of the California hagfish (Polistotema Stouti), I. The anatomy and phys. of the caudal heart, Amer. Journ. of Physiol. 3, 366, 1900, II. The absence of regulative nerves, ebenda 6, 318, 1901. — Coelenteraten: Cremer, Über das Elektrocardio- gramm der Medusen, Sitzungsber. d. Ges. f. Morph. u. Physiol., München 1906. Das einfachste Verteilungssystem findet sich bei den Schwämmen. Hier wird der Körper einfach porös.. Durch unzählige Dermalporen tritt das umgebende Wasser mit den in ihm enthaltenen Nahrungsstoffen in das Körpergewebe hinein und wird hier durch die Geißeln besonderer Zellen, die teilweise in sogenannten Geißelkammern angebracht sind, um- getrieben. Dadurch werden auch die innen liegenden Körperzellen von der Umgebungsflüssigkeit direkt umspült, sie nehmen aus ihr — fast wie frei lebende Zellen — die notwendigen Nahrungsstoffe auf und geben auch ihre Exkrete an das umspülende Wasser ab, das weiter gewirbelt den Körper endlich durch ein oder mehrere „Oscula“ verläßt. Wenn sich bei den höheren CGölenteraten (Quallen, Medusen und Korallen) ein eigentlicher Darm zu entwickeln beginnt, so ist dieser anfangs noch durchaus Verdauungs- und Verteilungsorgan zugleich. Das wird dadurch erreicht, daß der Darm die Beschaffenheit eines ein- fachen Rohres aufgibt und — sich mehr oder minder stark verästelnd — mit seinen Verzweigungen die einzelnen Körperregionen selbst aufsucht. Da hier die Ausstülpungen des Magens (yx6rno) die Form und das Geschäft von Gefäßen (vascula) übernehmen, so. spricht man von einem Gastro- vascularsystem. Durch Kontraktionen des Zentralmagens sowie durch allgemeine Körperbewegungen wird der Inhalt in die blindsackförmig endigen- den Gefäße hinein und aus ihnen wieder heraus bewegt. Diese Art des „Zirkulationssystems“, die eine recht hohe Vollkommenheit erlangen kann, und die sich auch noch bei vielen niederen Würmern findet, ist eben die allein mögliche, solange noch der Darm die einzige vorhandene Körperhöhle ist. Wenn sich aber im Laufe der Entwickelung der Darm von der Leibes- höhle sondert, so tritt eine Arbeitsteilung ein; der Darm übernimmt die Funktion des Aufsaugens, die Leibeshöhle die Funktion der Verteilung. \ 664 Verteilungssystem bei Würmern und Echinodermen. Man kann diesen Vorgang auch so beschreiben, daß man sagt, die Gastral- taschen der Cölenteraten schnüren sich ab und behalten dann nur noch die Funktion von Verteilungsorganen. (Ob der Vorgang sich auch morphologisch in dieser Weise abspielt, ist zum mindesten fraglich.) Bei den Würmern finden wir alle Stadien dieser allmählich fortschreiten- den Entwickelung. Die ursprünglichsten Zustände finden sich wohl bei den Nematoden und Acanthocephalen. Bei ihnen ist das Cölom, die Leibes- höhle, von einer Art Lymphe, einer Eiweiß, manchmal auch geformte Bestand- teile enthaltenden Flüssigkeit angefüllt. Diese Lymphe empfängt die resor- bierte Nahrung aus dem Darm und gibt sie weiter an die Gewebe. Als treibende Kraft für die Fortbewegung der Lymphe kommen im wesentlichen die allgemeinen Körperbewegungen in Betracht. Allmählich sondert sich nun das Cölom in einzelne Abschnitte, in Lacunen, wie sie Milne-Edwards nennt, und dieses lacunäre Gefäßsystem wird in seinem einen Abschnitt von immer zahlreicheren Septen durch- zogen und somit immer engmaschiger; in seinem anderen Abschnitt reckt und streckt es sich und wird immer röhrenförmiger und glattwandiger, so daß sich im Laufe der Entwickelungsreihe daraus das Capillarsystem einer- seits und das zu- und abführende arterielle und venöse System andererseits entwickelt. Aber lacunäre Räume erhalten sich noch weit hinauf in der Tierreihe, und vollkommen abgeschlossene Systeme besitzen immer nur die höchsten Entwickelungsformen. In den einzelnen Klassen des Würmerstammes sehen wir diese Ent- wickelung in allen Stadien: aber erst bei manchen Anneliden (wie bei den Regenwürmern) finden wir ein geschlossenes Gefäßsystem, das rot gefärbtes Blut führt. Der dorsale Stamm liegt hier auf dem Darme, der ventrale in einiger Entfernung unter demselben. Verbunden sind diese beiden Stämme durch segmental angeordnete seitliche Anastomosen, welche bei den Regen- würmern pulsieren (laterale Herzen), während meist der dorsale Gefäßstamm kontraktionsfähig ist; manchmal kommt es hier auch zur Bildung eines wirk- lichen Herzens, wie bei Arenicola, die ein zweikammeriges Herz in der vorderen Hälfte des Rückengefäßes besitzt. Neben diesem vom Darm abstammenden Verteilungssystem finden wir bei manchen Würmern noch ein zweites Verteilungs- bzw. Ableitungssystem. Besonders bei den parenchymatösen Würmern sind die Exkretionsorgane (die sogenannten Protonephridien oder Wassergefäßsysteme) äußerst dicht verzweigt, wobei sie häufig ein an Blutcapillaren erinnerndes Netzwerk bilden. Diese Tiere haben also einen überall hin verzweigten Darm, der zugleich mit der Nahrungs- aufnahme und Verteilung auch die Atmung besorgt und eine überall hin verzweigte Niere. — Eines dazwischen liegenden Gefäßsystems bedürfen sie also nicht. Das spätere abgeschlossene Blutsystem hat sich dann, daran sei nochmals erinnert, durch Abschnürung der Gastralfortsätze ausgebildet. Eine Weiterbildung der im Protonephridiensystem ausgesprochenen Tendenz findet sich in der Natur nicht. ’ Bei den Eehinodermen tritt das Gefäßsystem, das die Nahrungs- verteilung zu besorgen hat, in innige Beziehung zu dem mit der Außenwelt direkt in Verbindung stehenden Wasser- oder Ambulacralsystem, von dem man früher glaubte, daß es nur zur Lokomotion diente Wenn man auch heute, nachdem man das sogenannte „Herz des Wassersystems“ als eine Art Verteilungssystem bei Mollusken und Anthropoden. 665 Lymphdrüse erkannt hat, weiß, daß auch dies System zur Nahrungsaufnahme und mehr noch zur Atmung in Beziehung steht, so ist doch unsere Kenntnis von diesen Funktionen so gering, und die Verbindung mit TLokomotions- organen bedingt so eigenartige Verhältnisse, daß es hier, wo doch schließlich alles im Hinblick auf den Menschen abgehandelt wird, mit der Erwähnung genug sein mag. Bei den Mollusken ist ständig ein dorsales arterielles Herz vor- handen, das aus einer Kammer und aus ein oder zwei Vorkammern be- steht. Das Herz empfängt das Blut direkt von den Kiemen (bzw. Lungen). Vom Herzen wird das Blut in Arterien den einzelnen Körperregionen zu- geführt, dann wird es von lacunären Räumen aufgenommen, teilweise auch, besonders bei den Muscheln, von der allgemeinen Leibeshöhle. Von hier führen wieder eigentliche Gefäße, und zwar venöse Bahnen zu den Respirations- organen. Ein Capillarsystem ist nur bei den höchstentwickelten Mollusken, bei den Cephalopoden, vorhanden, aber auch sie haben kein völlig ge- schlossenes Blutsystem. Bei den Arthropoden ist die Anordnung die Gefäßsystems ähnlich wie bei den Mollusken, auch hier findet sich ein dorsales, entsprechend dem ganzen Charakter der Arthropoden meist segmental gebautes Herz, das aber keine zuführenden Venen besitzt, sondern durch mehr oder weniger zahlreiche „Ostien“ sich aus dem umspülenden Blute vollschöpft. Weiter findet sich ein mehr oder weniger (niemals ganz) geschlossenes Gefäßsystem, in das zum mindesten der den Herzbeutel darstellende Teil der Leibeshöhle als lacunäre Bildung einbezogen ist. Bei den fast mikroskopisch kleinen niederen Krustern (Copepoden), deren dünnhäutige Oberfläche eine diffuse Atmung erlaubt, ebenso wie bei den ähnlich gebauten kleinen Spinnen (viele Milben) und bei kleinen Insekten (viele Blattläuse), ist ein ausgebildetes Gefäßsystem kaum notwendig: hier findet man daher auch nur die allgemeine Körperhöhle mit einer Iymphartigen Flüssigkeit angefüllt wie. bei niederen Würmern. Manchmal ist noch ein Herz vorhanden, das diese Lymphe umtreibt, manchmal schwindet auch dies, und die Zirkulation im Cölom wird nur durch die allgemeinen Körperbewegungen aufrecht erhalten. Auch abgesehen von diesen extremsten Fällen der Rückbildung kann man bei vergleichender Betrach- tung der einzelnen Insektenfamilien erkennen, daß Venen, Arterien und Capillaren desto besser ausgebildet sind, je mehr sich die Atmung in bestimmten Punkten des Körpers lokalisiert, und zwar kommt es nur auf die Lokali- sation an, die Art der Atmung ist völlig gleichgültig, denn die durch Kiemen atmenden großen Kruster haben ein ebenso vollkommen ausgebildetes Blutgefäß- system wie die ausschließlich durch Lungen atmenden Skorpione. Je mehr aber bei den Spinnen die Lungenatmung gegenüber der Luftversor- gung durch Tracheensysteme zurücktritt, desto schlechter sind die Blutgefäße aus- gebildet, und bei den ausschließlich durch Tracheen atmenden Insekten ist das Blutgefäßsystem äußerst rudimentär, denn hier ist neben dem Blutgefäßsystem ein anderes Verteilungssystem — nämlich das der Tracheen — entstanden, das den Gefäßen einen Teil ihrer Arbeit abnimmt. [Die Tracheen sind bekanntlich lufthaltige Röhren, die, äußerst fein verzweigt, den ganzen Körper mit einem engen Netz durchziehen und so die Zu- und Abfuhr der gasförmigen Substanzen (im wesent- lichen Sauerstoff und Kohlensäure) selbständig besorgen.] Der Umstand, daß selbst bei so hoch entwickelten Tieren, wie es doch manche Insekten sind, der Ausfall der einen Funktion des Gefäßsystems (der Transport der gasförmigen Stoffe) die fast völlige Atrophie der Gefäße zur Folge hat, zeigt deutlich, daß die Sauerstoffverteilung (bzw. die CO,-Wegführung) die wesentlichste Aufgabe des Blutgefäßsystems ist; wie denn die klassische 42* 666 Verteilungssystem bei Tunicaten. Einteilung in venöses und arterielles Blut durchaus sachgemäß erscheint, eine Ein- teilung aber in nahrunghaltiges und abfallproduktehaltiges Blut unangebracht wäre. Allerdings ist bei den Insekten der entodermale Mitteldarm häufig mit zahlreichen Blindsäcken versehen und die in den ektodermalen Enddarm mündenden Vasa Malpighii sind sehr lang, so daß diese Bildungen nach Art eines Gastrovasculär- systems und eines Protonephridiensystems die eigentlichen Zirkulationsorgane ent- lasten. Die Tuniecaten endlich sind außer den Wirbeltieren die einzigen, welche ein ventral gelegenes Herz haben. Ihr Gefäßsystem ist ziemlich ausgebildet, nur in der Umgebung des Darmes finden sich einige lacunäre Bildungen. Das Tunicatenherz hat außerdem eine sonst nie vorkommende Eigentümlich- keit. Es ist nämlich imstande, das Blut abwechselnd bald in der einen, bald in der anderen Richtung durch sich hindurch zu pumpen. Wenn das Herz z. B. eine Weile als arterielles Herz tätig gewesen ist, d. h. wie bei den Mollusken mit Sauerstoff gesättigtes Blut von den Respirationsorganen auf- genommen und dann in den Körper getrieben hat, steht es plötzlich still, um nach einem Weilchen, ähnlich einem Fischherz, das Blut aus dem Körper aufzunehmen und in die Kiemen zu treiben. Also auch in bezug auf ihr Herz und ihr Gefäßsystem nehmen die Tunicaten eine vermittelnde Stellung zwischen diesen beiden Tierstämmen ein. Genaueres über die Bedeutung dieses Mechanismus siehe in meiner !) Arbeit über das Salpenherz. Dieser periodische Wechsel der Kontraktionsrichtung, der von van Hasselt”) und von Eschscholtz®) entdeckt wurde, ist in neuerer Zeit von L. 8. Schultze‘) eingehend untersucht worden, bei dem auch die einschlägige Literatur in ausführ- licher Weise zu finden ist. Da Klappen immer nur so gebaut sein können, daß sie bei einer bestimmten Richtung des Blutstromes wirksam sind, so kann das, was Schultze als Rudiment einer Zipfelklappe beschreibt, kaum eine wesentliche funk- tionelle Bedeutung haben. Das Blut kann hier nur durch eine peristaltische Welle in der Muskulatur vorwärts getrieben werden. Dadurch, daß dabei die eine Seite des Schlauches ganz oder fast vollständig verschlossen wird, ist das Blut ge- zwungen, nach der anderen Seite auszuweichen. Das Ungünstige liegt vor allem darin, daß der Rückfluß des Blutes nicht durch einen Mechanismus verhindert wird, der ohne die Tätigkeit von Muskelzellen zustande kommt. Hier ist vielmehr alles die Wirkung von Muskelkraft, und dies scheint in der Tat eine überflüssige Vergeudung von Kraft zu sein. 8 3. Das Verteilungssystem bei den Wirbeltieren. Die Wirbeltiere) haben (mit Ausnahme des Amphioxus) ein ventral gelegenes Herz und ein geschlossenes Blutgefäßsystem. Die Lymph- gefäße hingegen verlaufen zwar auch in geschlossenen Bahnen, allein diese kommunizieren mit allen offenen Spalten, Lücken und Hohlräumen des Körpers. ') Nicolai, Beiträge zur Anatomie und Physiologie des Salpenherzens, Arch. f. Anat. u. Physiol. (Physiolog. Abt.) 1909. — °?) van Hasselt, Lettre sur les Bisphores, Annal. de soc. natur. 3, 1824. — °) Eschscholtz, Bericht über die Reise von Kronstadt bis St. Peter und Paul. Isis 1825. — *) Schultze, Unter- suchungen über den Herzschlag der Salpen, in Zeitschr. f. Naturw. 35, N. F. 28, 221, 1901. — °) Die Wirbeltiere sind im Gegensatz zu den anderen Stämmen ver- hältnismäßig kurz behandelt, weil Tigerstedt ihnen in seinem Lehrbuch ein lesens- wertes Kapitel gewidmet, den Kreislauf der Wirbellosen aber nicht behandelt hat- Das Verteilungssystem bei den Wirbeltieren. 667 Das Herz ist in einem aus einer serösen Membran bestehenden Herzbeutel eingeschlossen, an dem man ein parietales und ein viscerales Blatt unterscheiden kann. Das letztere überzieht das Herz und ist mit ihm verwachsen, zwischen den beiden Blättern findet sich ein häufig mit ziemlich viel Liquor pericardii gefüllter Lymphraum, der nur bei den Selachiern mit dem Cölom, von dem er stammt, in Verbindung steht; seine Aufgabe ist es, bei den Formveränderungen des Herzens das leichte Gleiten desselben an seiner Umgebung zu ermöglichen und gleichzeitig infolge der straffsehnigen Beschaffenheit extreme Herzbewegungen zu verhindern '!). Das Herz, das immer ventral gelegen ist, besteht bei den Selachiern und Amphibien aus einer einheitlichen, bei allen anderen Tieren aus einer paarigen Anlage. Die Wand des Herzens differenziert sich in das Endocard, das Myocard und das Pericard. Bei den Gefäßen entspricht diesen drei Schichten die epitheliale Intima, die muskulöse und elastische Media und die bindegewebige Adventitia. Das gesamte Schema des Fischkreislaufes schließt sich noch eng an die bei Anneliden bestehenden Verhältnisse an, nur ist das Herz an dem ven- tralen Gefäß entwickelt und nicht an dem dorsalen; diesem entspricht die bei Vertebraten in ihrem oberen Abschnitt paarig angelegte Aorta descendens (vgl. die Fig. 42a). Das ventrale und das dorsale Gefäß — die Aorta ascendens und descendens — hängen auch hier’ noch durch Gefäßschlingen zusammen, die den Darm umgreifen. In diesen Ästen liegen die Kiemen, welche das Blut von dem dicht daneben liegenden Kopfherzen empfangen. Dasselbe ist also ein venöses Herz; das in den Kiemen arterialisierte Blut fließt dann in das Dorsalgefäß, in diesem caudalwärts, versorgt den Körper mit Blut und ergießt sich in das große ventrale venöse Gefäß, das das Blut zum Herzen zurückführt (Fig. 42a). In der Klasse der Amphibien haben die Kaulquappen noch fast ganz die geschilderte Anordnung der Kreislauforgane. Wenn aber ihre Kiemen atrophieren und ihre Schwimmblase sich zur Lunge entwickelt, so tritt eine tiefgreifende Umgestaltung des gesamten Kreislaufes ein. Mit den Kiemen schwinden die Kiemencapillaren, und der ganze Kiemenkreislauf wird auf direkte Verbindungen zwischen Aorta ascendens und descendens reduziert. Vor allem aber hat die Umwandlung der Schwimmblase zur Lunge zur Folge, daß der nunmehrige Lungenkreislauf in einen funktionellen Gegensatz zum Körperkreislauf tritt, von dem er bis dahin einen Teil bildete. . Dieser Gegensatz hat auch morphologische Konsequenzen; die Lungenvenen, welche im Gegensatz zu allen anderen Venen arterielles Blut führen, bekommen eine eigene Einmündung in das Herz, und infolgedessen kommt es zur Aus- bildung eines rechten und linken Vorhofs. In den rechten Vorhof münden nach wie vor die Körpervenen (das rechte Herz entspricht also ‘dem gesamten Fischherzen). In den linken Vorhof aber ergießt sich das arterielle Blut, das aus den Lungen stammt. Damit ist der Unterschied zwischen dem rechten venösen und dem linken arteriellen Herzen angebahnt. Zwar mischt sich noch das in den Vorhöfen getrennte helle und dunkle Blut in der einen gemeinsamen Kammer, von der sowohl die Lungenarterien als auch die Körperaorten (denn der Frosch hat noch zwei Aorten) entspringen. Trotz- dem findet keine völlige Mischung statt; beim Frosch gibt es eine besondere !) Über die Anatomie des Pericards vgl. auch die von den üblichen Angaben etwas abweichende Darstellung bei Debierre und Tramblin, Journ. de l’Anat, et Phys. 44, 174, 1908, Entwickelungsschema des Kreislaufsystems. 668 -49U019299 uEINFJUOYy up u Sgguyoro]3 Trersqn sr ‘4 eraepogusm — '989p eLIOY A ER N A Mn A -I94sTuIs pun I94xop uamepaq eTfeIg Toyıamz uw s pun p *snqpnq q ‘TeyLyueA A ‘umrıe 8 ‘snus s ‘suopueose Sıoe Yy ‘InıgL saygostwo3 449T0TA ‘net sosQUEA nerq ‘NAIL SOTfoTLjLE 701 :90mepaq Temz pum *usqrofq UEIELIO UsgerT uUsISNKdS UI UOBSELN ueUfezuo uap Ioq ep “Yıynyodsne oggzon uadruelerp pur Zrqreg BARI "9S9p BLIOV 8170189 (1930 A) ROTICL ACT worydog uorgıyduy 1% ° q "7 14 "os9p BUOY qrofq uoeyı19 puloyguug YOSTF449ZURrL up Ioq Inu sep ‘weIsÄsgeFog PTeuokıquıs HULEsuTsueB u9LaT[eqrLM USIIE SECE "OuToIoryfoquM APP UF SWOISÄSFNEI[SIOLN SEP BWOTOSSBUNTINILMIUN FF -ssetquunmyog ANZ OLISJIY Aufgabe des Verteilungssystems. 669 Klappe im Aortenbulbus (Spiralklappe, Brückesche Klappe), welche nach Suchard!) vornehmlich im ersten Stadium der Kammersystole das venöse Blut von der Aorta abhält und in die Arteria laryngea ablenkt, deren Gefäß- gebiet zum respiratorischen Bezirk gehört. Aber die Scheidewand, welche von der Einmündungsstelle der nunmehr getrennten Venen in das Herz vor- ragt, wächst weiter. Bei den Tritonen ist die Vorhofscheidewand noch durch- löchert, bei den Fröschen dagegen ist sie schon solid, und durch zahlreiche Muskellamellen und Balken im Innern des Ventrikels wird wenigstens bis zu einem gewissen Grade eine Mischung der beiden Blutarten verhindert. In der Klasse der Reptilien wächst dann allmählich das Ventrikel- septum, Eidechsen, Schlangen und Schildkröten haben immer vollkommenere Septen; bei den Krokodilen ist die Scheidung vollendet (vgl. Fig. 42 c). Aber die Reptilien zeigen trotzdem keine völlige Trennung in einen arteriellen und venösen Kreislauf, weil hier zwei Aorten vorhanden sind, welche aus je einer Herzhälfte entspringen und sich dann kreuzen. Die linke Aorta, welche aus dem rechten Herzen stammt, enthält daher, fälls die Scheidewand vollkommen ist, rein venöses Blut (sonst gemischtes), während die rechte Aorta (aus dem linken Ven- trikel) auf alle Fälle — auch wenn die Ventrikelscheidewand nicht vollkommen ist — ein vollständiger arterialisiertes Blut erhält. Da, wie aus der Figur hervor- geht, von dieser Aorta Kopf und Gehirn versorgt werden, erscheint diese Ein- richtung, welche gerade die lebenswichtigsten Organe am besten versorgt, äußerst zweckmäßig. Funktionell vollendet ist die Trennung erst bei den Warmblütern, von denen in Fig. 42d das Vogelschema gezeichnet ist; das Säugetierschema (vgl. Fig. 43) unterscheidet sich nur dadurch, daß hier statt der rechten die linke Aorta er- halten bleibt. Neben dieser funktionell wichtigen Trennung in ein rechtes und linkes Herz gehen andere Veränderungen einher. Der Sinusteil des Herzens, d. h. die Ein- mündungsstelle der Venen, der bei den Fischen einen ganz gesonderten Herzabschnitt bildet und auch bei den Amphibien noch deutlich zu erkennen ist, wird allmählich ganz in den rechten Vorhof hineingezogen, so daß er bei den erwachsenen Säugern überhaupt nicht mehr als gesonderter Teil wahrgenommen werden-kann. In bezug auf die allmähliche Ausbildung der Klappen, der Papillarmuskeln usw. muß auf ein Lehrbuch der Zoologie bzw. der Entwickelungsgeschichte verwiesen werden. Das Schema des Kreislaufs der Säugetiere. $ 4. Die methodische Entwickelung der Kenntnis des Schemas. Das Verteilungssystem bildet bei den Säugetieren — wie überhaupt in der Tierreihe — im Grunde doch immer noch die Vermittelung zwischen dem Körper und der Außenwelt, wenn auch durch Einschaltung von Intermediärstadien und Zwischenstationen häufig genug nur eine Vermitte- lung zwischen einzelnen Körperstellen stattzufinden scheint. Man kann also Zufuhr- und Abfuhrwege unterscheiden. Beiden Zufuhr- wegen ist anzugeben, an welcher Stelle und in welcher Weise die einzelnen Stoffe von der Außenwelt in das Verteilungssystem aufgenommen und dann an die einzelnen Körperregionen wieder abgegeben werden. Bei den Ab- fuhrwegen ist anzugeben, an welcher Stelle und in welcher Weise der !) E. Suchard, Observations nouvelles sur la structure de la valvule de Brücke et sur son röle, Compt. rend. d. 1. Soc. de biol. 1901, p. 1179. 670 Schema des Verteilungssystems. Körper die einzelnen Stoffe an das Verteilungssystem abgibt, und an welcher Stelle das Verteilungssystem sie dann wiederum an die Außenwelt abgibt. Die Zufuhr- oder Abfuhrstoffe müssen erstens an ihren Bestimmungsort ge- bracht werden und zweitens mit dem umgebenden Gewebe in Wechselwirkung treten: so zerfällt das Verteilungssystem funktionell in zwei vollkommen verschiedene Gebiete — in das Transport- und in das Umsatz- (Aufnahme- und Abgabe-)System. In dem Transportsystem müssen Bahnen vorhanden sein, auf denen die verschiedenen Stoffe von einem zum anderen Körperteil transportiert werden. Hier- für sind möglichst glatte, starkwandige und weite Gefäße in geringer Zahl geeignet. Glatt: um überflüssige Reibung zu vermeiden, starkwandig: um einen möglichst hohen Druck und dadurch bedingte schnelle Fortpflanzungsgeschwindig- keit zu erlauben (denn die Fortpflanzungsgeschwindigkeit ist proportional dem Drucke) und weit: weil die Reibung eben im wesentlichen nur an der Wand stattfindet und bekanntlich der Umfang gegenüber dem Querschnitt bei größeren Gefäßen verhältnismäßig kleiner ist (denn der Umfang ist proportional dem Durch- messer, der Querschnitt aber proportional dem Quadrat des Durchmessers). Die Weite ermöglicht die geringe Zahl. Für das Umsatzsystem aber sind möglichst dünnwandige, verzweigte und enge Gefäße in großer Zahl geeignet. Dünn- wandige: um den Austausch zu ermöglichen, verzweigte: um allen Zellen möglichst nahe zu kommen, und enge: eben weil hier im Gegensatz zu den Transportgefäßen eine möglichst große Oberfläche erwünscht scheint. Die große Zahl der Gefäße kompensiert nicht nur den Einfluß der Enge des einzelnen Gefäßes, sondern bedingt eine enorme Erweiterung des Gesamtquerschnittes und infolgedessen eine enorme Verlangsamung der Strömungsgeschwindigkeit, was not- wendig erscheint, um zum Austausch der Stoffwechselprodukte in den kurzen Capillaren Zeit zu gewähren. (Mit Aortengeschwindigkeit würde das Blut die ganze Capillare in ein Tausendstel Sekunde passieren.) Gemäß dieser doppelten Aufgabe zerfällt nun auch strukturell das Gefäß- system in zwei in einem gewissen Gegensatz stehende Systeme, in das Transport- system (Arterien und Venen) und in das Umsatzsystem (Capillaren). Ein genaueres Zusehen zeigt, daß beide Systeme ihren Aufgaben in ausgezeichneter Weise angepaßt sind. | An Capillargebieten haben wir im einzelnen folgende zu berücksichtigen, die in der folgenden Tabelle zusammengestellt sind; die Pfeile geben die Richtung an, in der die betreffenden Stoffe befördert werden: ERDE VON SERIDBER Körper Beförderte Produkte Capillaren welt system Bauerstoft !... . .. 2.0022 7,700 1.. Dunpane — Nahru Kohlehydrate usw. | 2. Darm- AAFUNE | Fette usw... .. | 8. Chylus- | _— Sauerstoff und Nahrung. . . | 4. Körper- | —— Kohlensäure und Abfall. . | (siehe YrSEEEE | 5. Lymphspalten | Kohlensäure... 5,0 Saar (siehe Nr. 1) . | Abkell.-. 00.0000 snscce 20 PRSANSETOZE Außer diesen sechs Capillargebieten unterscheidet man dann noch meist als gesondertes System die Lebercapillaren (7), weil sie morphologisch eine singuläre Stellung einnehmen und in eine bereits venöse Bahn eingeschaltet sind. Ein ähnliches Verhalten im kleinen zeigen die Glomeruluscapillaren. Der große und kleine „Kreislauf“. 671 Dies ergibt somit sieben voneinander verschiedene Austauschgebiete, davon sind fünf eigentliche Capillargebiete, die Lungen-, Darm-, Nieren-, Leber- und Körpercapillaren. Dazu kommen noch die beiden Ursprungs- gebiete des Lymphstromes, die in den Körpergeweben gelegene, nicht capillare, sondern lacunäre parenchymatöse Quelle und die im Darm gelegene Chylusquelle. Diese sieben Capillargebiete greifen vielfach ineinander über, und es hängt von der anatomischen Beschaffenheit der einzelnen Gebiete ab, ob in ihnen außer den spezifischen, austauschenden Capillaren auch noch ernährende Capillaren vorhanden sind, und in welche Beziehung diese zueinander treten. In der Leber ist dabei das Verhältnis so, daß außer der Vena portae, welche das venöse Blut vom Darm zuführt, eine Leberarterie vorhanden ist, und daß deren Capillargebiet mit dem portalen Capillargebiet zu einem ein- heitlichen System verbunden ist, das sein Blut in gemeinschaftliche Venen ergießt. Das Blut der Vena portae ist vorher schon durch das Capillargebiet des Darmes gegangen. (Vgl. auch die ausführliche etwas abweichende Dar- stellung bei Looten !). Ähnlich liegen die Verhältnisse bei der Niere. Hier gehen von den kleinen Nierenarterien (Rindenarterien) Gefäße teils zu den Glomerulis, teils zu den Gewebscapillaren. In dies Netz lösen sich auch die efferenten Glomeruligefäße von neuem auf, deren Blut also zwei Capillarsysteme hintereinander passiert. Die Anordnung des Motors (Herz), der in zwei Gruppen (Arterien und Venen) geteilten Verbindungszweige und der sieben Umsatzgebiete (Capillaren) zeigt besser als jede Beschreibung die Fig. 43a auf folgender Seite. Dabei ist, wie üblich, das sauerstoffreiche (arterielle) Blut rot, das CO,-reiche (venöse) dagegen blau gezeichnet. Man hat dabei mit Recht die Einteilung nach dem wichtigsten Erhaltungsmittel des Körpers, dem Sauerstoff, vorgenommen, ohne den der Körper auch nicht einmal wenige Minuten leben kann. Gelb gezeichnet ist das Lymphsystem ohne Rücksicht auf den Inhalt, denn von III aus sind es zuführende, von V aus abführende Bahnen des Körpers. Dies Schema wird meist — abgesehen vom Lymphsystem — das Schema vom großen und kleinen Kreislauf genannt, wobei man unter kleinem Kreislauf Lungenarterie, Lungencapillaren und Lungenvene versteht, unter großem Kreislauf alles übrige, wovon man dann häufig noch den Pfort- aderkreislauf absondert, den man früher „kleinsten Kreislauf“ nannte (vgl. J. Müller in Burdachs Physiologie, Leipzig 1832). Im Grunde aber existieren nicht mehrere Kreise, sondern nur einer, der allerdings eine Achtertour bildet; besonders deutlich wird dies in der Fig. 44, S. 673. Man sieht sehr deutlich, daß der Lungenkreislauf erst durch den Körperkreislauf zu einem vollen Kreis ergänzt wird und weiter, daß diese Ergänzung aus sehr vielen parallel geschalteten Kreissegmenten be- steht: Das Blut kann auf tausend verschiedenen Wegen von der Aorta in die Vena cava gelangen (z. B. durch das Gehirn, das Gesicht, die Leber oder die Nieren, durch das rechte Bein oder durch den linken Arm). Noch einen, dem Körperkreislauf parallelen Kreislauf gibt es, der in gewissem Sinne viel selbständiger ist als alle die genannten: das ist der Kreislauf des Herzens !) Looten: Contribution & P’6tude de l’ind6pendance vasculaire du foie droit et du foie gauche, Journ. de l’Anat. et Physiol. 44, 2, 1908. 672 Schemata des Blutkreislaufes. Schema des Blutkreislaufes. a) nach Harvey (modifiziert), b) nach Galenos (rekonstruiert). Es sind: die Herzwandung schraffiert, die Arterienwandung stark konturiert, die Venenwandung doppelt konturiert, die Capillärwandung schwach konturiert, arterielles Blut rot, venöses Blut blau, Lymph- und Chylusgefäße (bzw. Nahrung) gelb. I Lungencapillaren, II Darmcapillaren, III Chylus- capillaren, IV Körpercapillaren, V Lymphspalten, VI Nierencapillaren, VIa Glomeruluscapillaren, VII Lebercapillaren. Übersicht der Parallelbahnen. 673 selbst. Aus dem Bulbus aortae durch die Coronargefäße entspringend, kehrt er durch die Sinus coronarii und Foramina venarum minimarum in den rechten Vorhof zurück, berührt also weder die Aorta noch eine Vena cava. Wenn man häufig die Pfortaderbahn als geson- er \ y % Fig. 44. derten Kreislauf schildert, so liegt hierzu kaum eine Veranlassung vor. Trotz dem Gesagten werden wir die alt eingebürgerten Aus- drücke beibehalten. DieVerhältnisse des Pfort- aderkreislaufs liegen bei den verschiedenen Wirbeltierklas- sen etwas verschieden. Bei den Säugern bilden die Venen des Verdauungstraktes (also des Magens, des Darmkanals, der Milz, des Pankreas, des Mesenteriums und der Gallen- blase) die Pfortader, welche sich dann wieder in der Leber nach Art einer Arterie von neuem verzweigt. Bei den Vögeln kommen außer den genannten Venen, welche das Ursprungsgebiet der Pfort- ader bilden, auch noch einige Venen der hinteren Extremi- täten, des Schwanzes und des Beckens hinzu, wie schon Nicolai (Isis 1826) gezeigt hat. Bei den niederen Tieren wird der Anteil des nicht dem Eingeweidetrakt ent- stammenden Pfortaderblutes immer größer. Bei den Am- phibien und Fischen kommt dann noch, wie ebenfalls Nicolai erwiesen hat, das Schema der Blutverteilung im Körper . zeigt, daß der große und der kleine Kreislauf erst gegenseitig Pfortadersy stem der Nieren sich zu einem Kreise ergänzen, und daß im großen Kreislauf hinzu. viele einzelne „Kreisläufe“ einander parallel geschaltet sind. $ 5. Historische Entwickelung der Kenntnis des Schemas. Vor Harvey. Heute findet man dies Schema mehr oder weniger übersichtlich in allen Schulbüchern und. es erscheint fast unbegreiflich, warum man die einfachsten Versuche nicht angestellt und die scheinbar so offensichtliche Wahrheit nicht gefunden. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß das Mikroskop erst in Nagel, Physiologie des Menschen. I. 43 674 Schwierigkeit des Kreislaufproblems. den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts erfunden ist, und daß mithin vorher niemand die capillare Verbindung zwischen Arterien und Venen gesehen haben kann. Da ist es dann eher erklärlich, wie man es an sich für ebenso wahrscheinlich halten konnte, eine Verbindung durch das schmale Ventrikelseptum anzunehmen, als durch die zum Teil doch sehr viel mäch- tigeren peripheren Fleischmassen. Alles, was wir vor der Erfindung des Mikroskops über die wahre Natur des Kreislaufs wissen konnten, war nur indirekt erschlossen aus physiologischen Experimenten, und es wird ein ewiges Ruhmesblatt in der Geschichte der Experimentierkunst bleiben, daß unsere Kenntnis vom Blutkreislauf vollkommen fest und sicher begründet war, ehe irgend jemand den Kreislauf wirklich gesehen hatte. Es existiert eben — wie Bethe') sehr richtig in anderem Zusammenhange bemerkt — nicht nur das, was direkt gesehen werden kann, und es ist ein trauriges Zeichen, daß man heute oft den für einen Fabulanten hält, der einen logischen Schluß aus den Tatsachen ziehen kann. Es war ja zweifellos ganz erfreulich, daß Malpighi?) vier Jahre nach Harveys Tode die Blutströmung in den Capillaren demonstrieren konnte, aber ihn deshalb den Entdecker des Blutkreislaufes nennen zu wollen, wie manche getan, wäre ebenso töricht, als wenn man das Verdienst um die Auffindung des Neptuns nicht den genialen Berechnungen Leverriers, sondern der tüchtigen Technik Galles zuschreiben wollte. Denn das ist ja gerade der höchste Triumph des menschlichen Geistes, sagte Mädler®) schon im Jahre 1840, daß das geistige Auge der Analysis Entdeckungen in Regionen machen wird, in die das körperliche Auge bis dahin einzudringen nicht vermochte. Für die Astrono- mie war dies ein prophetisches Wort, aber für die Physiologie hatte einer ihrer genialsten Vertreter, William Harvey, schon über 200 Jahre früher etwas dureh- aus Entsprechendes geleistet. Auf die an sich richtige Beobachtung, daß an der Leiche die Arterien leer sind, stützte sich offenbar der uralte, für die Erkenntnis der Wahrheit so verhängnisvoll gewordene Irrtum, daß auch beim Lebenden die Arterien nur Luft führen. Ob allerdings dieser Irrtum so alt ist wie das Wort selbst, ob also die Bezeichnung Arterie von &n0 (Luft) und 7ng8iv (enthalten) herzu- leiten ist, haben neuere Forscher bezweifelt. Jedenfalls haben Hippokrates (um 400 v. Chr.) und Aristoteles (um 300 v. Chr.) beide die Vorstellung, daß einzig die Venen Blut, die Arterien aber nur Luft transportieren. Mag man sich über die Frage streiten, ob Aristoteles seziert hat, jedenfalls hat er nicht experimentiert, und seine Angaben sind in dieser Beziehung nur Konstruktionen und Reflexionen. Der erste, der über den Kreislauf experi- mentiert zu haben scheint, ist Erasistratos (um 300 v. Chr.). Wenigstens gibt Galenos von ihm an, daß er die wellenförmige Ausbreitung des Pulses beobachtet und scheinbar auch die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Pulses in den Arterien experimentell zu bestimmen gesucht hat, weshalb ihn aller- dings Galenos tadelt, denn es sei „evident“, meint er, „omnes partes eodem distendi tempore“. Also auch hier hat die „autoritative Evidenz“ die junge Wahrheit erschlagen. Und diese Autorität aus den Tagen des verfallenden Roms herrschte dann fast anderthalb Jahrtausende bis zu den Zeiten der Renaissance. Es darf hier vielleicht an eine fast genau übereinstimmende chronologische Analogie erinnert werden. Denn die Autorität des Ptolemäus (eines Zeitgenossen !) Bethe, Allg. Anat. u. Physiol. d. Nervensystems, Leipzig 1908, 8. 76. — J ”) Malpighi, De pulmonibus epistola 2 Kanen). ®) Mädler, Der Wunderbau i% ' des Weltalls, I. Aufl., 1840, ED \ ER u VG. ee Altertum: Galens Schema. 675 des Galen) hat die Vorstellung desAristarch (eines Zeitgenossen des Erasistratos), daß die Erde sich um die Sonne dreht, fast anderthalb Jahrtausende zurückgedrängt bis in die Tage Galileis hinein, der ein Zeitgenosse war von Harvey. Immerhin gründete Galen?!) seine Behauptungen auf Experimente, leider manchmal auf falsch angestellte oder doch falsch interpretierte Experimente. Bekannt ist in dieser Beziehung, daß er in den Verlauf einer lebenden Arterie eine kleine Kanüle einband. Dann sollte angeblich der Puls peripher von der Kanüle verschwinden. Der Erfolg des Experimentes ist nur erklärlich, wenn entweder die Kanülen so eng waren, daß der dadurch bedingte Widerstand die Pulswelle zum Erlöschen brachte oder wenn eventuell Gerinnung in der Kanüle auftrat. Daß Gerinnung leicht vorkommen kann, ist ja nicht wunderbar und wird auch von Daremberg) besonders hervorgehoben. Daraus schloß dann Galenos — scheinbar mit Recht —, daß die Puls- bewegungen nicht in der Weise zustande kommen, daß die Röhre durch das Blut passiv ausgedehnt wird, sondern daß umgekehrt der Sitz der pulsatorischen Bewegung in der Gefäßwand liegt, daß also für das Zustandekommen des Pulses die intakte Verbindung mit dem Herzen notwendig ist. Da nun das Blut eben scheinbar nicht durch das Herz, sondern durch die peristaltische Bewegung der Arterienwand in Bewegung gesetzt wird, so leugnet Galenos ganz folgerichtig die Wirkung des Herzens als Druckpumpe und sieht seine Wirksamkeit hauptsächlich in der diasto- lischen Ansaugung des von den Lungen aufgenommenen Pneuma. [Da also die Galensche Anschauung von der aktiven Diastole nachweislich auf einem falschen Experiment beruht, sollten die modernen Vertreter dieser Ansicht zum mindesten aufhören, den alten Galenos als Kronzeugen anzuführen.] Sehr wertvoll sind demgegenüber die positiven Weiterführungen des Galen, vor allem seine klassischen Arbeiten über den Puls. Doch mehr als diese für den Praktiker so wichtigen Angaben, welche Landois?) in seiner Monographie über den Puls gebührend preist, interessiert uns der von Galen experimentell erbrachte Nachweis, daß die Arterien Blut und nicht Luft enthalten: Er schnitt ein vorher auf beiden Seiten abgebundenes Arterienstück heraus und fand es mit Blut gefüllt, aber niemals lufthaltig, und er zeigte, daß ein Tier auch aus einer Arterie völlig verbluten kann. Die von nun ab geltende Vorstellung des Galen von der Blutbewegung ist folgende:' Das Blut wird aus der Nahrung erzeugt, geht von hier durch die Pfortader zur Leber und dann in den gesamten Körper. Wenn der Verdauungstrakt leer ist, fließt das Blut umgekehrt von der Leber zum Darm. Es ist also angeblich derselbe Vorgang wie in der Ven. pulm. Auch hier fließt das Blut rhythmisch hin und her, um sich jedesmal Nahrung (bzw. Pneuma) zu holen; aber während in der Ven. pulm. der Rhythmus sehr frequent ist (synchron mit den Herzschlägen), erfolgt er in der Portalvene nur synchron mit der Nahrungsaufnahme. Wenn das Nahrungsblut aber vom Darm weg- strömt, so fließt es durch die Hohlvenen in den Körper, wo die Gefäße blind enden und das Blut als Nahrung verbraucht wird. Ein Teil dieses Blutes geht durch das rechte Herz und durch die daraus entspringende Art. pulmo- nalis in die Lunge, wo die Gefäße ebenfalls blind endigen. Dies Blut er- nährt die Lunge, wie alle anderen Körperteile auch ernährt werden. [Allerdings soll nach einigen Interpreten Galen einen Teil des Blutes aus der Art. pulmo- !) Galen, De causis puls. 2, cap. 8. — °) Daremberg, Histoire des sciences medieales 2, Paris 1870. — °) Landois, Die Lehre vom Arterienpuls, Berlin 1872, 676 Galens Schema. nalis durch die Lunge in die Ven. pulmonalis übergehen lassen; danach hätte also Galen wenigstens teilweise den kleinen Kreislauf gekannt (vgl. G. Cera- dini).] Aber alles von der Leber stammende Blut geht nicht direkt als Nah- rung zum Körper; ein Teil desselben zweigt aus dem rechten Herzen durch die Ventrikelscheidewand hindurch in das linke Herz ab und wird hier mit dem aus den Lungen stammenden und durch die Ven. pulmonales (welche mit den Bronchien kommunizieren) transportierten Pneuma innig gemischt und zwar holt sich das Blut das Pneuma selbst, indem es in der Lungenvene hin- und herfließt. Dies so gemischte, pneumahaltige Blut wird durch Aorta und Arterien den einzelnen Körperteilen zugeführt, in denen die Arterien ebenfalls blind endigen. Jedoch existieren zwischen den Arterien und Venen Anastomosen, die zum großen Teil erst das Verbluten aus den Arterien erklären sollen, denn die Vorstellung von dem Pneuma in den Arterien war noch so mächtig, daß Galen unwillkürlich den Arterien nur den Transport von wenig Blut und viel Luft zuschrieb. Nur aus dieser Vorstellung heraus erklärt sich z. B., daß Galen Wert darauf legt, daß das auf beiden Seiten zugebundene Arterienstück Blut enthält, für unsere Vorstellungen würde doch der Beweis von dem aus der Arterie verblutenden Tiere vollständig genügen; er aber meint offenbar, aus der aufgeschnittenen Arterie entweicht das Pneuma, und dafür dringt dann aus den Venen Blut nach, und hierdurch verblutet das Tier. Die Fig.43b auf 8.672 mag eine schematische Vorstellung geben von der Art und Weise, wie sich Galen die Blutversorgung des Körpers dachte. 8 6. Seit Harvey. Anderthalb Jahrtausende blieb diese Lehre bestehen. Dann aber, um die Zeit des Wiedererwachens der Wissenschaften, erwuchs plötzlich die Oppo- sition, vornehmlich wohl deshalb, weil man damals zum erstenmal überhaupt mit unermüdlichem Eifer Sektionen zu machen begann. So ist es nicht wunderbar, daß fast gleichzeitig überall Entdeckungen auftauchten, die mit der klassischen Lehre in Widerspruch standen, und ebenso wenig wunderbar ist es, daß heute ein Streit tobt, wem für jedes einzelne Faktum die Priorität gebührt. Wir begnügen uns, kurz anzuführen, in welcher Reihenfolge und von wem die einzelnen Irrtümer des Galen widerlegt wurden, und geben unten- stehend nur die Literatur!) über die genannte Polemik und möchten hervor-. !) Flourens, Hist. de la decouverte de la circul. du sang, Paris 1854; Tollin, Die Entdeekung des Blutkreislaufs durch Micael Servet, Jena 1876; Biol. Zentralbl. 1885, 8. 474; derselbe, Ein italienisches Urteil über den ersten Entdecker des Blutkreislaufs, Pflüg. Arch. 33, 482; derselbe, Robert Willis, Neuer William Harvey, ebenda, 34, 1; derselbe, Andreas Caesalpin, ebenda, 35, 295, 1885; Milne Edwards, Lec. sur la physiol. et l’anat. comp. III, Paris 1858; Luciani, Physiologie des Menschen 1, 116 bis 136, Jena 1904; G. Ceradini, Ricerehe storico-critiche intorno alla scoperta della circulazione del Sangue, Milano 1876; Difesa della mia Memoria etc., Genova 1876; Sprengel, Ge- schichte der Arzneikunde 3, 3 bis 112, Halle 1810; M. Forster (Lectures on the history of Physiology, Cambridge University Press) tritt besonders energisch für Harveyein; Chapman (History of the Discovery of the Circulation of the blood, Philadelphia 1884, 8. 54), der die Verdienste von Erasistratus, Galen, Servetus, Caesalpinus, Harvey und Malpighi annähernd gleich einschätzt. Vorläufer Harveys. 677 heben, daß besonders bei Luciani, der mit großer Wärme seine Landsleute Colombo, Cesalpino, Sarpi und Fabricio gegen den Spanier Serveto, den Holländer Vesal und den Engländer Harvey verteidigt, sich eine von dem Folgenden abweichende, aber trotz der Wärme sehr objektive Darstellung der betreffenden Verhältnisse findet. Die Vorstellung Galens, daß das Herz keinen Druck auf das Blut aus- übe, widerlegte als erster Vesal?!), der den Versuch mit dem eingebundenen Röhrchen wiederholte und auch peripherwärts von der Kanüle die pulsatori- schen Bewegungen fortdauern sah. Vor allem aber schuf er durch seine anatomischen exakten Studien die Basis für die spätere Physiologie und hat somit auch dieser Entdeckung vorgearbeitet, wenn es auch richtig ist, daß er sich hier in keiner Weise bemüht hat, wirklich weitgehende physiologische Konsequenzen aus seinen anatomischen Studien zu ziehen. Die irrtümliche Vorstellung des Galen über die Durchlässigkeit des Ventrikelseptums widerlegten wohl unabhängig voneinander zuerst der spanische Arzt und Theologe Michele Reves, genannt Serveto 2), und der CGremonenser Prosektor Realdo Colombo?°). Beide treten zugleich nach- drücklich für das Vorhandensein des kleinen Kreislaufes ein: nicht durch das Septum der Ventrikel gelange das Blut vom rechten Herzen ins linke, sondern auf einem sehr künstlichen Umwege über die Lunge. Die Strömung des Blutes in den Venen in zentrifugaler Richtung ist eigentlich derjenige Teil der Galenschen Lehre, von dem man hätte er- warten sollen, daß er zuerst bekämpft werden würde. Denn jede Abschnürung einer Extremität zwecks einer Venaesectio hätte doch dem Arzte zeigen müssen, daß die Venen von der Peripherie her anschwellen und nicht, wie es Galenos’ Lehre verlangt, vom Herzen her. Außerdem waren seit der Mitte des 16. Jahrhunderts die venösen Klappen bekannt, ebenso der Um- stand, daß ihre Konkavität gegen das Herz gerichtet ist. Doch wurde diese anatomische Tatsache in bezug auf ihre physiologischen Konsequenzen offenbar nicht genügend gewürdigt. Der einzige, der das getan haben soll, Paolo Sarpi aus Venedig, hat seine Manuskripte nicht veröffentlicht.‘ Bei einem Klosterbrande sind sie — 100 Jahre nach seinem Tode — vernichtet worden, und nun versucht Ceradini — nach wiederum 200 Jahren — sie zu rekonstruieren. Es war Cesalpino®), Arzt und Philosoph aus Arezzo, der zuerst 1571 und dann nochmals 1583 gerade auf Grund seiner Beobachtungen an Venen die Lehre von dem allgemeinen Kreislauf systematisch aufgestellt und später im Jahre 1693 auf Grund sorgfältiger Experimente zu beweisen versucht hat. Vor allem hat er eben als erster wirklich exakt beobachtet, was eigentlich vor sich geht, wenn man um den Arm eine Aderlaßbinde legt. Auf Grund seiner Beobachtungen sagt er dann ausdrücklich: Das Blut wird durch die Venen zum Herzen gebracht ... und vom Herzen aus durch die Arterien in dem ganzen Körper verteilt. !) Vesal, De humani corporis fabrica, p. 14 u. 20, Basel 1543. — *) Serveto, Christianismi restitutio, Viennae Allobrogum 1553. — *) Realdus Colombus, De re anatomica libri XV, p. 177, Venedig 1559. — *) Cesalpino, Peripateticarum quaestionum libri V, 1571; De plantis, 1583; Quaestionum medicarum libri II, 1593. 678 Harvey. So blieb denn kaum noch etwas zu sagen übrig, und es könnte scheinen, als hätte Harvey!) nur das zerstreute Material gesammelt, um dann eine zu- sammenfassende Beschreibung von dem — nicht doppelten, sondern ein- fachen — Ringe des großen und kleinen Kreislaufs zu geben. Aber wenn auch alles schon gesagt war, bewiesen war noch nicht alles. Das aber ist der gewaltige Vorzug des kleinen, nur 72 Seiten starken Büchleins, das 1628 zu Frankfurt erschien, daß darin alle Fragen des Kreislaufs erörtert sind, daß darin jede aufgestellte Behauptung zu beweisen versucht ist, und daß endlich so gut wie nichts darin steht, das nicht auch heute noch nach fast drei Jahrhunderten als richtig gilt. Vor Harvey war eine Diskussion möglich, nach Harvey nicht mehr. Es ist das erste Mal, daß eine physiologische Tatsache nach unseren modernen Anschauungen mit Hilfe wissenschaftlicher Methodik be- wiesen worden ist. So darf man Harvey als den ersten modernen Physio- logen, als den Begründer unserer wissenschaftlichen Technik bezeichnen. Von keinem seiner Vorgänger läßt sich etwas Ähnliches sagen. Dazu kommt, daß alle seine Beweise sich auf genau beschriebene Vivisektionen an den ver- schiedenartigsten Tieren stützen. Er beschreibt die Freilegung des Herzens am lebenden Tier, beschreibt den Herzschlag und die zeitlichen Verhältnisse am normalen und absterbenden Herzen recht gut. Er begründet die Wirkung des Herzens als Druckpumpe und widerlegt die Annahme einer saugenden Kraft während der Diastole. Er mißt die Kapazität der rechten Herzkammer an menschlichen Leichen (nach ihm etwa 125 g) und benutzt auch dies zu einer Stütze für seine Lehre vom Kreislauf, denn wenn hiervon auch nur ein kleiner Teil bei jeder Kon- traktion hinausgetrieben wird — aber ganz offensichtlich sei der Volum- unterschied des erschlafften und kontrahierten Herzens ziemlich beträchtlich — gleichviel, wenn auch nur ein Fingerhut voll herausgetrieben würde, so mache das an einem Tage (bei etwa 100000 Pulsschlägen) eine Menge, die etwa dem gesamten Körpergewicht gleichkomme und die also nicht von der eingeführten Nahrung herstammen könne. Es muß also, schließt Harvey, in dieser Zeit dasselbe Blut mehrmals das Herz passiert haben. Daneben variierte er die Versuche Cesalpinos und führte sie weiter aus. Doch mag das Gesagte genügen. Wer Genaueres wissen will, lese die kleine Schrift, von der leider kein deutscher leicht zugänglicher Neudruck existiert. Die Lücken, die seiner Lehre noch anhafteten, bekannte er freimütig: „Mit der größten Sorgfalt habe ich nach einem Übergange zwischen Arterien und Venen gesucht, doch ist es mir nie gelungen, zwei Gefäße, eine Arterie und eine Vene, zu finden, welche sich unmittelbar miteinander vereinigt hätten.“ Solche genaue Abgrenzung des Bewiesenen kann ihm nur zur Ehre ge- reichen. Und wenn Luciani!) ihm die Worte vorwirft: „prius in confesso esse debet quod sit, antequam propter quid inquirendum...“, so kann man auch im Gegenteil — und vielleicht mit mehr Recht — behaupten: gerade darum ist Harvey einer jener Männer des 16. Jahrhunderts, die an der Schwelle unserer modernen, exakten Wissenschaft stehen, weil für ihn die Konstatierung einer Tatsache wichtiger schien als die Frage nach dem Warum. !) Luciani, l.e., p.128; Harvey, Exereitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus, Frankfurt 1628. ee ee en ei ee Te ia a Um Nach Harvey. 679 Die Lehre Harveys ist nicht ohne Gegner geblieben, Jean Riolani und Kaspar Hoffmann, Zeitgenossen Harveys, danken die Berühmtheit ihres sonst wohl vergessenen Namens dieser Opposition; wenigstens dürfte dies eher zutreffen als die Behauptung Ceradinis, „daß Harvey seinen Ruhm dem Riolani verdanke!)“. Die Lehre Harveys war ein fertiges Ganzes. Aber sie umfaßte nur den Blutkreislauf, die Lymphgefäße waren damals noch so gut wie unbekannt, jedenfalls durchaus unbeachtet, wenn sich auch einzelne vage Andeutungen von Chylusgefäßen bei älteren Autoren finden, und obgleich Caspare Aselli schon 1622 im Mesenterium des Hundes die Chylusgefäße beschrieben hatte, von deren Funktion er sich aber nicht die geringste Vorstellung machen konnte. Doch noch bei seinen Lebzeiten hätte Harvey die Freude erleben können, sein Werk ergänzt zu sehen: Schon 1652 beschrieb Thomas Bartholin ziemlich ausführlich die Lymph- und Chylusgefäße des Körpers und ihr Zusammenfließen im Ductus thoracicus. Aber Harvey erkannte diese wertvolle Arbeit nicht an und starb 1658, ohne sich überzeugt zu haben. Die andere wichtige Ergänzung seiner Lehre, „Die Demonstration der Capillaren unter dem Mikroskop“, erlebte er nicht mehr. Malpighi zeigte 1661 die Blutbewegung in der Froschlunge. 100 Jahre später beobachtete Spallanzani die Blutbewegung am Warmblüter, und zwar in den Vasa um- bilicalia des angebrüteten Hühnereies. (Vgl. hierzu $ 48, 8.761.) Durch diese Entdeckungen war die Tatsache des Kreislaufs bewiesen. Spätere Forscher konnten an die Frage des Warum herangehen — allerdings wäre es erwünscht, wenn sie auch hier Harvey folgten, nach der Causa effieiens fragten und niemals nach der Causa finalis, wie es heute gar manche tun. Zweites Kapitel. Allgemeine Mechanik des Blutdrucks. 8 7. Übersicht und Erklärung. Eine Bewegung kann man beobachten ohne Rücksicht auf die Kräfte, welche diese Bewegung hervorrufen, indem man einfach die Dislokationen einzelner Teile, also hier des Blutes, studiert und beschreibt, man spricht dann von einer kinematischen Betrachtungsweise. Man kann aber auch die Wirkungen der Körper aufeinander in Betracht ziehen und vor allem die Bewegung auf eine Kraft als Ursache zurückführen, man spricht dann von Kinetik oder Dynamik. Alle Bewegungen von Flüssigkeiten im Körper lassen sich nun auf Druckkräfte zurückführen. Die dynamische Betrachtung !) Doch auch heute noch tauchen von Zeit zu Zeit Schriften auf, die im Gewande wissenschaftlicher Forschung den Blutkreislauf bestreiten. So sei an das Büchlein von JeZek oder das von Krüger erinnert. F. JeZech, Umsturz der Harveyschen Lehre und Erklärung der natürlichen Blutbewegung, Leipzig 1892. F. Krüger, Beitrag zum Umsturz der Lehre vom Kreislauf des Blutes und Erklärung der wichtigsten Lebensvorgänge ohne Blutkreislauf, Stuttgart 1897, mit 14 Abbildungen. 680 Verschiedene Betrachtung des Blutdruckes. der Blutbewegung wird also in einer allgemeinen Mechanik des Blutdruckes bestehen. Die Frage nach der Fortbewegung des Blutes in den Gefäßen wird meistens mit einer physikalischen Betrachtung über die Bewegung von Flüssigkeiten in starren und elastischen Röhren eingeleitet. Und gewiß ist ohne solche Kenntnisse eine auch nur angenäherte Beschreibung der in Betracht kommenden Phänomene ganz unmöglich. Wir müssen wissen, was es bedeutet, daß Blut, wie alle Flüssigkeiten, nahezu inkompressibel ist, daß sich der Druck in Flüssigkeiten — abgesehen von der Ein- wirkung der Schwere — nach allen Richtungen gleichmäßig ausbreitet und daher überall derselbe sein muß, solange die Flüssigkeit ruht, daß aber im Gegensatz hierzu in einer bewegten Flüssigkeit der Druck an den verschiedenen Stellen der Bahn ungleich sein muß und vieles andere mehr. Aber um von diesen Dingen eine, wenn auch nur oberflächliche, wirkliche Kenntnis zu geben, wäre ein Lehrbuch der Hydrostatik und Hydrodynamik notwendig, und auf solche Bücher mögen denn auch diejenigen hingewiesen werden, die eine genauere Kenntnis dieser Dinge erstreben. Einen in usum physiologi zurechtgestutzten Abriß der Hydrodynamik vorauszuschicken, soll aber deshalb vermieden werden, weil die ja doch für die Hämodynamik herausgesuchten Einzeltatsachen der Physik besser im Zusammen- hang mit den jeweiligen Erscheinungen behandelt werden. Außerdem ist eine derartige Darstellung unnötig, weil sich in dieser Beziehung unser Wissen in den letzten 20 Jahren kaum vermehrt hat. Es wäre daher nichts anderes möglich, als die betreffenden Kapitel in Hermanns Handbuch!) oder in Tigerstedts?) Lehre vom Kreislauf entweder zu verkürzen oder zu verlängern. Endlich aber scheint eine kurze zusammenhängende Darstellung sogar schädlich zu sein, weil sie gar zu leicht zu der Meinung verführt, als würde dadurch ein physikalisches Wissen vermittelt, das in Wirklichkeit ganz unbedingt nur durch ein Spezialstudium erworben werden kann. Unter dem in einer Flüssigkeit herrschenden Druck verstehen wir im allgemeinen den Druck (in Grammen gemessen), welcher an einer bestimmten Stelle der Flüssigkeit auf ein Quadratcentimeter ausgeübt wird. Nach den verursachenden Kräften kann man praktischerweise den Druck in drei Komponenten zerlegen bzw. in dreifacher Weise betrachten. 1. Der durch die eigene Schwere der Flüssigkeit bedingte Druck (hydro- statischer Druck); 2. Der durch Einwirkung von außen erzeugte Druck (hydraulischer Druck); 3. Der durch Bewegungen erzeugte Druck (hydrodynamischer Druck). Der hydrostatische Druck. 8 Verteilung von Blutdruck und Blutmenge infolge der Schwere. Weil Flüssigkeiten schwer sind, werden die unteren Schichten natur- gemäß von den oberen gedrückt werden. So lastet an der Oberfläche der Erde über jedem Quadratcentimeter eine Luftsäule, die 1033 g schwer ist und einen dementsprechenden Druck ausübt. Diesen Druck von rund 1kg pro gem nennt man den Druck einer Atmosphäre. Er wird balanciert durch jede ') Rollet, Hydraulische Einleitung zur Lehre vom Blutstrom, Hermanns Handb. 1, 199, 1880. — *) Tigerstedt, Über die Strömung einer Flüssigkeit in Röhren, Lehrbuch 1893, 8. 304. Der hydrostatische Druck. 681 Kraft, die denselben Druck erzeugt, insonderheit durch jede Flüssigkeitssäule, die bei gleichem Durchmesser ebenfalls 1033 g wiegt; nimmt man Wasser vom spezifischen Gewicht 1, so braucht man eine Säule von 1033 em Länge, nimmt man das 13,6 mal schwerere Quecksilber, so braucht man nur eine Säule von 1033/13,6 —= 76cm Länge. Man mißt nun den Druck praktisch meist nicht in Grammen, sondern in Längen von Wasser oder Quecksilber. Wir werden im folgenden als Maßeinheit immer lcm Quecksilber wählen. Im allgemeinen wird als Nullpunkt des Blutdruckes nicht jener Zustand angesehen, bei dem überhaupt kein Druck vorhanden ist, sondern jener, bei dem der Druck gleich dem jeweiligen Barometerdruck ist. Denn dieser Druck, welcher etwa 1kg pro qem beträgt, wird aus bekannten, hier nicht näher zu erörternden Gründen von uns Menschen nicht empfunden. Nur partielle Abweichungen von dem uns umgebenden Barometerdruck ist der Mensch imstande zu empfinden, daher spricht man von positivem Druck, wenn eine Vermehrung, von negativem Druck, wenn eine Verminderung des Druckes vorhanden ist. Einen wirklichen absolut-negativen Druck gibt es nicht. Ein derartig verminderter Druck kommt im Körper praktisch nur im Brust- raum vor. Sein Einfluß auf den Blutdruck und Blutstrom wird in dem Abschnitt über den Dondersschen Druck (vgl. $ 96 auf S. 852) genauer abgehandelt werden. Hier soll nur jener positive hydrostatische Druck abgehandelt werden, der durch die Schwere des Blutes selbst bedingt ist. Ganz abgesehen von allen sonstigen Druckverhältnissen im Körper lastet auf jeder Blutschicht die Masse des in vertikaler Richtung darüber befindlichen Blutes. Das ist für das Blut in den Füßen eines erwachsenen, stehenden Menschen eine Säule von etwa 165 cm Blut (175 cm Wasser oder 13 cm Quecksilber); ein Druck, der fast so groß ist wie der durch die Herzarbeit erzeugte Aortendruck. Ebenso muß das Venenblut, wenn es von den Füßen zum Herzen aufsteigt, einen Druck überwinden, der der jeweiligen Höhe des Herzens über den Füßen entspricht, also bei einem stehenden Menschen etwa 120 cm Blut —= 9,3 cm Quecksilber, während für das in den Venen des Ober- körpers zum Herzen hinströmende Blut — bei einer Differenz von etwa 3.5 cm Quecksilber — die Verhältnisse umgekehrt liegen. Es könnte scheinen, als ob durch diesen nicht unerheblichen Gegen- druck der Rückfluß in den Venen der unteren Extremität erheblich erschwert und umgekehrt in den Venen des ÖOberkörpers erleichtert wird. Doch ist dem nicht ganz so. Das Blut in der unteren Extremität z. B. befindet sich doch gleichsam in einer U-Röhre, deren Schenkel durch die Arterien bzw. Venen, deren Verbindungsstück durch die Capillaren gebildet wird. Die arterielle und die venöse Blutsäule balancieren sich gegenseitig, d. h. es ist gar keine Herzkraft notwendig, um das Blut in den Venen von den Füßen bis zum Herzen zu treiben. Die Schwere der Blutsäule im arteriellen System würde hierfür gerade genügen. Eine ähnliche Betrachtung können wir für sämtliche Regionen und Gliedmaßen bei allen Stellungen und Lagen des jeweils ruhenden Körpers durchführen. Immer werden wir finden, daß der hydrostatische Druck zwar nichts zur Fortbewegung beiträgt, sie aber auch nirgends direkt hindert. Damit ist allerdings nicht gesagt, daß die hydro- statischen Verhältnisse ohne Einfluß auf den Kreislauf sind. 43* 682 Hydrostatischer Einfluß der Körperlage. Hermann hat als erster in einer Arbeit seines Schülers Wagner!), allerdings ohne theoretische Diskussion, betont, daß der Rückfluß zum Herzen unzweifelhaft durch die Schwere beeinflußt wird, und zwar so, daß derselbe bei der Horizontallage des Tieres leichter vonstatten geht als in aufrechter (menschenähnlicher) Stellung. Es ist dies experimentell nachweisbar und rührt offenbar daher, daß von der Steigkraft des Blutes in jedem Falle proportionale Teile durch die Reibung vernichtet werden. Dieser proportionale Teil ist aber der absoluten Größe nach natürlich sehr viel kleiner, wenn die Schenkel der gedachten U-Röhre kurz sind. Und da eben der durch Reibung verloren gegangene Teil der Steigkraft vom Herzen als Mehrarbeit zu leisten ist, so ist in der Tat für die Bewegung des Blutes ein Einfluß der Lage vorhanden, der allerdings rein statisch nicht erklärt werden kann. Gerade der Umstand, daß man meinte, die Blutbewegung, die uns im Grunde allein interessiert, werde vom hydrostatischen Druck nicht beeinflußt, hat es offensichtlich bewirkt, daß’ man demselben nur geringe Aufmerksamkeit schenkte, und daß eine Behandlung desselben in den Lehr- büchern der Physiologie meist fehlt. Die Schwerkraft erzeugt eine solche Verteilung einer F nach. daß deren Schwerpunkt so tief liegt, als mit der Beschaffenheit des Systems vereinbar ist. Ist dieser Zustand einmal erreicht, so ist kein weiterer An- trieb zur Bewegung mehr vorhanden, d. h. der Schwerpunkt kann nicht noch tiefer gelegt werden. Ist daher nicht, wie bei einem Fluß, ein unerschöpf- liches, hochgelegenes Reservoir (der Regen) und ein unausfüllbares tief gelegenes (das Meer) vorhanden, so wird jede durch Schwerkrafts- wirkungen bedingte Bewegung nach mehr oder weniger kurzer Zeit zu einem Gleichgewichtszustand führen und damit aufhören. Eine Strömung kann nur noch zustande kommen durch eine Bewegung des ganzen Systems. So ist es auch im menschlichen Körper. In jeder Lage desselben führt die Schwerkraft zu einer ganz bestimmten stationären Blutverteilung. Da nun meistens die Beine tiefer liegen als Kopf und Rumpf, so wird im all- gemeinen mehr Blut in die unteren Extremitäten zu strömen tendieren. Wenn die Gefäße sehr schlaff wären, so würde das sehr viel ausmachen, da aber die Gefäße, und zwar gerade die des Beines, eine verhältnis- mäßig geringe Ausdehnbarkeit besitzen, so wird sehr bald ein Moment er- reicht sein, in dem der durch die Ausdehnung des Gefäßes hervorgerufene Gegendruck so groß wird, daß er ein weiteres Eindringen von Blut verhindert. Das Blut in den unteren Extremitäten wird sich also unter höherem Druck befinden, dementsprechend wird die Ausdehnung der Gefäße eine größere sein, aber damit ist nicht gesagt, daß sich nun auch verhältnismäßig mehr Blut in den Gefäßen der Beine befindet. Das hängt eben durchaus von der Kapazität, der Elastizität und dem Gefäßtonus der in Betracht kommenden Gefäße ab. Wenn der Körper seine Stellung ändert oder künstlich in eine abnorme Lage gebracht wird, so wird Blutdruck und Blutverteilung überall geändert werden. An einer Leiche werden also immer die jeweils tiefer gelegenen !) Ernst Wagner, Fortgesetzte Untersuchungen über den Einfluß der Schwere auf den Kreislauf, Pflügers Arch. 39, 385, 1886. ö ö Kompensierende Einflüsse. 683 Partien mehr Blut und einen höheren Druck aufweisen, so wie es die physi- kalischen Gesetze verlangen. Anders aber ist es beim lebenden Körper, der alle physikalischen Voraussagungen — nicht etwa auch die physikalischen Gesetze — durch Innervationsvorgänge illusorisch machen kann. Aber selbst bei der Leiche ist es nicht so ganz einfach. Dreht man den Körper z. B. von der vertikalen Stellung mit Kopf oben in die verti- kale Stellung mit Kopf unten, so sollte man meinen, daß Druck und Blut- menge im Kopfe steigen, in den Beinen abnehmen, und daß daher irgendwo in der Mitte eine Region liegt, in der sich nichts ändert. Im allgemeinen ist das nun auch richtig, doch hat Hermann (in der Arbeit von Wagner!) sowohl experimentell als auch theoretisch gezeigt, daß für das kompliziert, gebaute tierische Gefäßsystem mehrere Indifferenzpunkte bestehen, die jedoch, wie Wagner aus seinen Versuchen schließen zu können meint, nahe beiein- ander, und zwar in der Gegend der Herzspitze liegen. Dagegen wendet Hill?) ein, daß diese Bestimmung an der Leiche auf das Leben nicht über- tragen werden könnte, weil hierbei die Elastizitätsverhältnisse, auf die alles ankomme, durchaus geändert seien. Im übrigen komme es, was auch Her- mann nicht leugnet, in physiologischer Beziehung auf diese hydrostatischen Verhältnisse gar nicht an, jedenfalls seien sie leicht zu übersehen. Viel wich- tiger seien die indirekten Einflüsse der Stellungsänderung auf alle einzelnen Komponenten der Blutverteilung und des Blutdruckes selbst (Herzschlag, Füllung des Herzens, Gefäßnerven usw.). 89. Die Kompensation des Einflusses der Schwere. Diese Einflüsse wirken im allgemeinen als kompensatorische Regu- lationsmechanismen. Steht der Mensch z. B. auf dem Kopfe, so wird natürlich der Druck im Kopfe entsprechend höher sein als in den Beinen, das Blut wird dahin tendieren, sich im Hirn bzw. im Thoraxraum ansammeln. — Das Verhältnis des Blutdruckes in den Arterien muß sich der Lage entsprechend ändern. Aber das, worauf es ankommt, der Blutdruck im Capillargebiet, kann durch Kontraktionen der kleinen Arterien reguliert werden, und ebenso kann vor allem die Blutverteilung im Organismus durch partielle Kontrak- tionen einzelner Gefäßgebiete beliebig variiert werden. Außerdem hat der Körper die Möglichkeit, den gesamten Blutdruck zu ändern, sei es durch eine Änderung der Frequenz, sei-es durch eine Änderung der Stärke des Herzschlages. Alle diese Regulationsmechanismen kommen im Leben vor. In bezug auf den allgemeinen Blutdruck wird von Zybulski?°) unter Tarchanoff und von Friedmann) angegeben, daß derselbe bei einer Tief- lage des Kopfes steigt. Wagner’) konnte ebenso, wie vorher Blumberg), !) E. Wagner, l. ce. 8.372, 1886. — ?) L. Hill, The influence of the force of gravity on the circulation, Proceed. Roy. Soc. 57, 192, 1894; Influence of the force of gravity cn the circulation of the blood, Journ. of Physiol. 18, 15—53, 1895. — ®) Zybulski, St. Petersburger mediz. Wochenschr. 1878, Nr. 11. — *) Fried- mann, Mediz. Jahrb. d. Ges. d. Ärzte in Wien 1882, 8. 197. — °) Wagner, l. c., 1886. — °) Blumberg, Über den Einfluß der Schwere auf Kreislauf und Atmung. Dissert. Königsberg 1885. Bericht von Hermann in Pflügers Arch. 37, 467, 1885. 684 Die kompensatorische Wirkung dies nur bei curarisierten Tieren beobachten, während er bei nicht curari- sierten Tieren den höchsten Blutdruck bei der horizontalen Stellung der Quadrupeden fand, doch sind diese Bestimmungen der Hermannschen Schule deshalb nicht durchaus einwandfrei, weil ihnen der Indifferenzpunkt zugrunde gelegt ist, der nach Hills (l. c., S. 19) Auseinandersetzungen eben nur für die Leiche gilt. Da aber andere Untersuchungen über diesen Punkt nicht vorliegen, so muß diese Frage vorläufig in suspenso bleiben. Dies gilt ent- sprechend auch von der Hermannschen Erklärung (bei Wagner, S. 385), wonach das Sinken des Blutdruckes darauf zurückzuführen wäre, daß hierbei der Rückfluß der Venen erschwert sei (vgl. $ 4) und das Herz sich daher weniger gut fülle.e. Hermann scheint also in der Blutdruckänderung kein regulatorisches Moment zu sehen, sondern deutet es als eine indirekte Folge statischer Einflüsse. Die meisten anderen Untersucher wollten vornehmlich die kompen- satorische Wirkung auf den Hirndruck erklären, Brissaud und Frangois-Franck!) nahmen zu diesem Zweck eine kompensatorische Ansaugung der Üerebrospinalflüssigkeit an, während Schapiro?), der an Soldaten experimentierte, besonders auf die Druckerhöhung infolge vermehrter Pulsfrequenz im Stehen hinwies. Hill selbst hat dann hauptsächlich die eintretenden Kompensations- vorgänge untersucht und hebt hervor, daß dieselben im wesentlichen durch die Gefäßnerven der Eingeweide zustande kommen, also eine Splanchnicus- wirkung sind. Vornehmlich scheint es darauf anzukommen, den Hirndruck konstant zu halten; gerade in dieser Beziehung sind die Kompensations- einrichtungen bei den verschiedenen Tieren sehr verschieden leistungsfähig, und zwar sind sie bei aufrecht gehenden Tieren (Affen und Menschen) sehr viel vollkommener als bei Hunden, Katzen und Kaninchen. Bei Affen kommt selbst Überkompensation vor, was ja nicht weiter wunderbar erscheinen kann, wenn man bedenkt, wie mannigfache Körperstellungen bei den Kletter- übungen der Affen eingenommen werden. Weiter fand Hill, daß bei allen Tieren, welche nicht aufrecht gehen, die vertikale Stellung mit Kopf oben eine stärkere Kompensationsanstrengung erfordert als die Tieflagerung des Kopfes. Daß die Hochstellung des Kopfes bei allen Vierfüßlern leicht schwere Zufälle bewirkt, war schon Piorry (1826°) bekannt, der mit Hunden arbeitete. Wenn man denselben bei erhobenem Kopfe so viel Blut abzapfte, daß sie ohnmächtig wurden, so kamen sie sofort wieder zur Besinnung, wenn der Kopf gesenkt wurde, anderseits steht die Blutung aus einer angeschnittenen Hundearterie oft, ehe das Tier stirbt; man kann es aber sofort (durch Hirn- anämie) töten, wenn man es im Genick packt und hochhebt. Zu ähnlichen Resultaten kam Marshall Hall®). Reynard?°) und Salath&6) fanden dann !) Brissaud et Frangois-Franck, Mouvements du cerveau, Trav. du lab. d. Marey 3, 137, 1877. — ?) Schapiro, zitiert nach Jahrb. f. Anat. u. Phys. 10, 60, 1881 (russisch). — ?) Piorry, Recherches sur l’influence de la pesanteur sur le cours du sang, Arch. gen. de med. 12, 527, 1826. — *) Marshall Hall, Exp. res. on the effects of loss of blood, Med. Chirurg. Trans. 17, 250, 1832. — °) Reynard, Recherches sur la congestion cer&brale, Thöse de Straßbourg 1868. — °) Salathe, Influenee de l’attitude vertical sur la eirculation cerebrale, Trav. du lab. de Marey 3, 251—272, 1877; vgl. auch Compt. rend. Acad. d. sciences 20, aoüt 1877. ® auf den Hirndruck beim Menschen. 685 an Kaninchen, daß diese Tiere meist nach 10 bis 20 Minuten sterben, wenn man sie nur in vertikaler Stellung mit dem Kopfe nach oben festhält. Hill!) bestätigte dies, konnte aber gleichzeitig konstatieren, daß die Tiere leben bleiben, wenn man das Abdomen bandagiert, d.h. wenn man dem Blutdruck nicht erlaubt, die leicht ausdehnbaren Gefäße des Bauches zu erweitern. Wilde Kaninchen und andere Säuger, deren Bauchmuskeln mehr Tonus haben, sterben erst nach Stunden, ein Beweis, daß im wesentlichen das Versagen der natürlichen Regulationsmechanismen die Zirkulationsstörungen zur Folge hat, und daß diese Regulationsmechanismen im wesentlichen im Splanchnicus- gebiet liegen. Vom Menschen behauptet Hill, daß seine Regulationsmechanismen wahr- scheinlich ähnlich denen des Affen seien; Oliver?) hat in der Tat mit seinem Arteriometer auch beim Menschen sehr weitgehende Kompensationsvorgänge bei Lageveränderungen feststellen können. Er macht besonders darauf auf- merksam, daß man leicht beobachten kann, daß bei einer Lageveränderung zuerst ganz ausgesprochen die rein hydrostatische Wirkung auftritt und daß sich dann erst allmählich der Regulations- bzw. Kompensationsvorgang geltend macht, den Hill als dynamische Wirkung bezeichnet, ein Ausdruck, der jedoch wegen seiner Unbestimmtheit nicht nachahmungswert erscheint. Doch ist kaum anzunehmen, daß die Regulationsvorgänge wirklich so vollkommen sind wie beim Affen. Sehen wir doch, daß ein Aufhängen des Körpers an den Beinen für die meisten Menschen recht unangenehm ist, ja bei so- genannten vollblütigen Menschen selbst die übelsten Zufälle zur Folge haben kann. Andererseits tritt bei einigen praedisponierten Menschen ohne weiteres, bei den meisten allerdings erst unter dem Einfluß besonderer Schädigungen (nach sehr langem Liegen, Blutverlust usw.), eine bis zur Synkope führende Hirnanämie auf, wenn sich dieselben plötzlich aus der liegenden Stellung aufrichten. - Anderseits ist der Körper jedoch imstande, durch geeignetes Training seine Regulationsmechanismen diesen veränderten Bedingungen anzupassen, und so sehen wir im Zirkus häufig Menschen — an den Beinen aufgehängt — längere Zeit agieren und schwierige Kunststücke vollführen, ohne daß die- selben. auch nur einen merklich roten Kopf bekommen. Gerdy macht dar- auf aufmerksam, daß auch manche Latrinenreiniger daran gewöhnt seien, den ganzen Tag mit hängendem Kopf zu arbeiten. Es ist bekannt, daß manche Menschen nur imstande sind, in horizontaler Lage geistige Arbeit zu verrichten, und daß manche Patienten in aufrechter Stellung ihr Gedächtnis verlieren (Hill). Daß selbst geringe Hämorrhagien infolge der Blutleere im Gehirn zum Tode führen können, wenn der Mensch nicht sofort hingelegt wird, darauf hat Piorry wohl zuerst aufmerksam gemacht. Hill bespricht dann ausführlich die Gründe, welche seiner Meinung nach zu Ohnmachtsanfällen führen, er sieht den Hauptgrund in einer plötzlichen Erschlaffung der Bauchgefäße; diese nehmen eine zu große Blutmenge auf, und das Gehirn wird leer aus hydrostatischen Gründen, deshalb nützt in '!) L. Hill, Syneope produced in rabbits, Journ. of Physiol. 22, 53, 1898; On cerebral anaemia, Proc. Roy. Soc. 66, 486, 1898. — ?) Oliver, Pulse Gauging, London 1895. 686 Einfluß der Schwere unter pathologischen Bedingungen, solchen Fällen horizontale Lage. Aber wenn die Hillsche Ansicht richtig ist, muß auch Kompression des Bauches eine günstige Wirkung ausüben; in der Tat berichtet Sayer von ermutigenden Resultaten bei dieser Behandlung, Daß Patienten, die lange im Bett gelegen haben, die Fähigkeit, sich an die aufrechte Lage zu adaptieren, verlieren, ist bekannt; schon Salath& hat hervorgehoben, daß in dieser Beziehung sich Rekonvaleszenten wie Vierfüßler verhalten. Auch dies hält Hill für eine mangelhafte Wirkung der erschlafften Bauchmuskulatur und erinnert als weiteres Beispiel des Zusammenhanges zwischen Hirnanämie und Blutzufluß zu den Baucheingeweiden an die Tat- sache, daß in Angstzuständen gleichzeitig eine vermehrte Peristaltik und eine Verminderung der Hirntätigkeit (vor allem Gedächtnisschwund) auftritt. Auf die Beziehungen zwischen Hirn und Abdomen in bezug auf die Blutverteilung hat in neuerer Zeit, allerdings von anderen Gesichtspunkten aus, ganz besonders E. Weber!) in mehrfachen Arbeiten hingewiesen, aus denen hervorzugehen scheint, daß infolge von Innervationseinflüssen die Ver- hältnisse sehr viel komplizierter liegen. Zusammenfassend kann man sagen: je höher das Herz über einem Teil des Körpers, also insonderheit über den Füßen liegt, desto schwerer ist es für das Venenblut, das Herz genügend zu füllen; je höher der Kopf über dem Herzen liegt, desto leichter tritt Hirnanämie ein. Bei Tieren, die an die horizontale Lage angepaßt sind, kann man dies leicht konstatieren, beim Menschen, bei dem die aufrechte Lage die normale ist, sind die Regulations- mechanismen notwendigerweise der Vertikalstellung angepaßt, so daß üble Folgen erst bei Aufrichtung und bei gleichzeitigem Einfluß bestimmter Schäd- lichkeiten (vor allem Blutmangel und Erschlaffung der Bauchgefäßmuskulatur) eintreten. Beim Menschen ist umgekehrt wie bei den Tieren die Lage mit dem Kopf nach unten die ungewohnteste und darum schädlichste. Also auch in dieser Beziehung genaueste Anpassung der verschiedenen Tiere an die normalen Bedingungen des Lebens! Vgl. auch die Kurve über den Einfluß der Schwere auf den Capillar- druck in $ 58 (8.779). $ 10. Der hydraulische Druck. Von hydraulischem Druck spricht man, wenn irgendwie von außen ein Druck auf eine Flüssigkeit ausgeübt wird. Dieser Druck kann durch das Gewicht einer anderen, spezifisch leichteren Flüssigkeit erzeugt werden (z.B. wenn Öl auf Wasser oder Wasser auf Quecksilber drückt), er kann auf mechanische Weise erzeugt werden (z. B. durch den Stempel einer Spritze oder in einer hydraulischen Pumpe); er kann endlich durch eine gespannte Membran erzeugt werden (wie der hohe Luftdruck in einem Pneumatik). Voraussetzung ist jedoch immer, daß die Flüssigkeit, welche gedrückt wird, entweder allseitig abgeschlossen ist, oder doch nur so enge Ausflußöffnungen zur Verfügung hat, daß sie im Verhältnis zur Steilheit des Druckzuwachses !) E. Weber, Über die Ursache der Blutverschiebung im Körper bei ver- schiedenen physischen Zuständen, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1907, 8. 293. Vorteil elastischer Röhren. 687 nur langsam ausweichen kann. Ist dies nicht der Fall, und der Druck wächst an einer Stelle, so kommt eine Strömung, aber keine nennenswerte Druck- erhöhung zustande (z.B. beim langsamen Einstoßen eines Spritzenstempels). Drückt man dagegen kräftig, so kann das Wasser nicht entsprechend rasch entweichen, und falls keine beliebig große Kraft zur Verfügung steht, staut sich die Flüssigkeit und man kann den Spritzenstempel nicht so schnell be- wegen, wie z. B. bei weiterer Öffnung. Infolge der Stauung erhöht sich der Druck in der Spritze; infolgedessen strömt nun mehr durch die Kanüle und es tritt ein Gleichgewichtszustand ein, bedingt durch die Weite der Ausfluß- öffnung und den angewandten kontinuierlichen Druck. So ist es beim Herzen. Der Stempel der Druckpumpe ist durch das Herz, die enge Kanüle ist durch die Capillaren repräsentiert. . Wesentlich ist aber der Umstand, daß die Wege zwischen Kraft und Widerstand (die Arterien) nicht starrwandig, sondern beweglich und elastisch sind. Dadurch, daß die Arterie sich erweitern kann, ist gleichsam ein neuer Ausweg geschaffen. Das bei jeder Herzsystole in die Arterien geworfene Blut braucht nicht mehr in derselben Zeit, in der es in die Aorta hineingeworfen wird (also während der Systole), nun auch in toto durch die Capillaren abzuströmen, sondern kann auch an jenen Platz strömen, um den das Arteriensystem durch die Erweiterung der Gefäße größer geworden ist; also der Ausweg ist enorm vergrößert, und dementsprechend kann bei einer Systole mehr Blut mit geringerem Druck befördert werden, als wenn nur der Ausweg der Capillaren zur Verfügung stände. Auf die Dauer würde das aber nichts nützen; wenn der Druck kontinuierlich wirkte, würde sehr bald das Gefäßsystem so weit ausgedehnt werden, daß der durch die Ausdehnung erzeugte Gegendruck in der Arterienwand dem Einströmungsdruck an jeder Stelle gleich wäre; von nun ab könnte das Gefäßsystem nicht mehr ausgedehnt werden und müßte daher als ein starrwandiges betrachtet werden, es böte also keinen Vorteil. Da aber der Druck diskontinuierlich wirkt, kann in der Zwischenzeit zwischen zwei Systolen jedesmal eine gewisse Quantität Blut durch die Capillaren abfließen, getrieben von dem in der Arterienwand erzeugten bzw. aufgespeicherten Gegen- druck. So ist denn beim Einsetzen der neuen Systole jedesmal wieder Platz ge- schaffen, in den hinein das Blut strömen kann. So wird durch die Elastizität der Arterienwand wenigstens teilweise der Nach- teil wieder gut gemacht, der aus der Diskontinuität des Druckes resultiert; ganz ist das allerdings nicht möglich, weil bei der Bewegung der Arterienwand ein Teil der Energie in. Wärme umgesetzt wird — und dieser Teil ist natürlich unwieder- bringlich verloren. Von verschiedenen Seiten ist versucht worden, zahlenmäßig anzugeben, wieviel Herzarbeit durch die genannten Einrichtungen gespart wird, doch ist diesen Versuchen bis jetzt keine Bedeutung beizumessen. Der hydraulische Druck wird, wie erwähnt, vom Herzen erzeugt. Wir hatten gesehen, daß er sich in einem allseitig abgeschlossenen Gefäßsystem nach allen Richtungen hin gleichmäßig ausbreitet. Ein derartig abgeschlossenes Gefäßsystem ist das Blutsystem jedoch höchstens mit Ausschluß des Venensystems. Wie aus der Spritze die Flüssigkeit durch die Kanüle ins Freie fließt, so fließt das Blut aus dem Arteriensystem durch die Capillaren in das schlaffe Venensystem, das ein stets auf- nahmefähiges, auf niedrigem Druek gehaltenes Reservoir darstellt. Der Druck in den Arterien wird also wie in einer Spritze annähernd überall gleich sein, oder doch nur allmählich abnehmen, in den Capillaren wird er dann sehr schnell auf den niedrigen Venendruck herabsinken. Hierüber findet man das Genauere in jedem Lehrbuch der Hydromechanik (vgl. auch das Kapitel über den Puls). Wenn das Herz nun aber still steht, so sollte man meinen, daß — un- abhängig von der Tatsache, daß die Arterien nach dem Tode sehr eng, also auch fast blutleer sind — allmählich eine Ausgleichung des Druckes im ganzen Gefäßsystem eintritt, und zwar müßte, da die Gefäßwände in einer 688 Der dynamische Druck. gewissen Spannung sind, ein (hydraulischer) Mitteldruck zurückbleiben, dessen eventuell vorhandene lokale Verschiedenheiten dann nur noch durch hydro- statische Einflüsse bestimmt sein könnten. .Hill!) weist jedoch darauf hin, daß ein derartiger positiver Mitteldruck im Gefäßsystem nicht existiert, oder zum mindesten nicht ohne weiteres von der Spannung der Gefäßwände, sondern vielmehr vom osmotischen Druck des Blutes oder irgend einer Selektivkraft des Capillarepithels herrührt. In bezug auf Einzelheiten über diesen eigenartigen Gesichtspunkt muß auf das Original verwiesen werden; vgl. auch die Arbeiten von Hasebroek?), Volhard?) und Matthes). 8.21: Der dynamische Druck. Jede bewegte Masse, also auch eine bewegte Flüssigkeitsmasse, besitzt kinetische Energie, bewegt sich also auch dann noch weiter, wenn keine äußere Kraft mehr auf sie einwirkt, und vermag gleichzeitig einen Druck auf andere Massen auszuüben. Dieser dynamische, d.h. aus der Bewegung resultierende Druck bietet bei der Lehre vom Puls die bedeutendsten Schwierigkeiten. Die hierhergehörigen Probleme sind zum Teil überhaupt nicht einer exakten Darstellung fähig, zum Teil erfordern sie eine rein mathematische Be- handlung; wir werden sie hier kaum berücksichtigen. Die in der Strömungs- geschwindigkeit des Blutes steckende Arbeit ist zudem meist nur gering, nur bei exzessiver Arbeit, bei der die Strömungsgeschwindigkeit sehr groß wird, macht sie etwa ein Drittel der Hubarbeit aus (nach Zuntz). Von praktischer Bedeutung werden die im Blut vorkommenden dynamischen Kräfte vor allen Dingen in manchen Einzelfragen — Erklärung der Pulskurve, Klappenschluß, Herzspitzenstoß u. a. —; das Notwendigste darüber ist an den betreffenden Stellen gesagt. $ 12. Die Bedingungen des Blutdruckes im Körper. Aus diesen drei Komponenten setzt sich der Blutdruck zusammen. Wesentlich ist die hydraulische Druckkomponente. Die Voraussetzungen dazu sind gegeben: Das Blut befindet sich in dem relativ abgeschlossenen System der Arterien; der Druck wird ausgeübt durch den vom Herzen ge- bildeten Teil der Wandungen, die Herzklappen verhindern, daß die Strömung und damit der Druck sich in die Venen direkt fortpflanzt, es strömt also Blut in die Arterien. Denken wir uns für einen Augenblick das Arteriensystem fast leer; nun erfolgt eine Systole und das Herz treibt unter beliebigem, aber größerem als in der Aorta herrschendem Druck Blut in das Arteriensystem und dehnt dasselbe aus. Nun fließt Blut heraus, aber weniger als hineingetrieben wird. !) L. Hill, On the residual pressures in the vascular system, when the eirculation is arrested, Journ. of Physiol. 28, 122—136, 1904. — ?) Hasebroek, Versuch einer Theorie ... auf Grund einer neuen Darstellung des Kreislaufs, Arch. f. klin. Med. 77, 350, 1903. — ®) Volhard, Über Leberpulse usw., Berl. klin. Wochenschr. 1904, Nr. 21, 8. 567”. — *) Matthes, Kreislauf in der Peripherie, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 89, 5 bis 6, 1907. Die Bedingungen des Blutdrucks. 689 Wären die Capillaren so weit oder das Herz so kräftig!), daß gleich so viel abflösse wie zuflösse, so könnte es niemals zu einer Stauung, niemals zu einer Wandspannung und mithin niemals zu einem (stationären) mittleren Blut- druck kommen. Die Capillaren sind aber eng und jeder folgende Puls- schlag erhöht den Inhalt, die Spannung und den Druck in den Arterien und damit auch die Menge des durch den Engpaß der Capillaren ausfließenden Blutes. Aber anderseits wird die Menge des einfließenden Blutes immer kleiner, weil das Herz gegen den erhöhten Aortendruck nicht mehr so viel Blut fördern kann als früher. Es muß also ein Augenblick kommen, von dem in der Zeiteinheit ebensoviel Blut herausfließt, wie hineingeworfen wird. Und dieser Zustand des Gleichgewichts ist der normalerweise vor- handene. — Das Resultat aber ist der mittlere Blutdruck. Sehr schön sieht man dieses Phänomen auch realiter zustande kommen, wenn infolge längerer Vagusreizung und dadurch bedingten Herzstillstandes der Blutdruck sehr stark gesunken ist und sich nun allmählich durch jeden Herzschlag hebt (vgl. Fig. 45). Das, was wir Blutdruck nennen, ist also die vom Herzen erzeugte und durch das Blut übertragene Wandspannung der Arterien (bzw. in geringem Fig. 45. Blutdruck in der Carotis Markierung der Vagusreizung\ Zeit in Sekunden— —Null-Linie Vagusreizung beim Kaninchen. Absinken des Blutdruckes in Form einer Exponentialkurve, allmähliches Ansteigen des}Druckes durch die einzelnen Pulse. Grade der Venen). Die Spannung einer Wandung ist aber nur abhängig von der ihr zukommenden Elastizität und der auf sie einwirkenden dehnenden' Kraft. Bei den Arterien liegen die Verhältnisse folgender- maßen: Die Elastizität der Gefäßwandung hängt ab: von ihrer Elastizität sensu strietiori (1), von dem Tonus der Gefäßmuskulatur (2). Die dehnende Kräft hängt lediglich von dem Füllungszustand der Arterie ab und dieser wiederum von der Menge des vorhandenen Blutes (3) und von dem Verhältnis des Zuflusses zum Abfluß. Der Zufluß hängt ab vom Schlagvolum (4), von der Frequenz des Herzschlages (5). ') Ein kräftiges Herz könnte allerdings nur bei starren Arterienwandungen diese Wirkung haben. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 44 690 Methoden der Kreislaufuntersuchung. Der Abfluß hängt ab von dem Widerstan de im System, insonderheit also von dem Widerstande in den kleinen Arterien und Capillaren (6), sowie von der Konsistenz des Blutes (7). Diese sieben Faktoren bedingen den Druck in den Arterien (für die Venen ist Zu- und Abfluß entsprechend zu ändern). Der jeweilige Blutdruck ist der jedesmalige 'Gleichgewichtszustand zwischen allen diesen Faktoren. Bevor wir jedoch die tatsächlichen Verhältnisse schildern, sollen kurz die für die Lehre vom Kreislauf wichtigsten Methoden im Zusammenhange besprochen werden. Drittes Kapitel. Methodisches über Kreislaufexperimente. $ 13. Es sind im wesentlichen vier Fragen, durch deren experimentelle Be- antwortung man das Problem des Blutkreislaufs zu fördern gesucht hat: die Messung des Druckes, Kymographik, der Geschwindigkeit, Tachographik, des Pulses, Sphygmographik (Cardiographik, Herz- töne), des Volumens blutgefüllter Organe, Plethysmographik. ” ” n ”n Die Untersuchung dieser Fragen an den Gefäßen ist im wesentlichen abhängig von der Güte des benutzten Instrumentariums, mit dessen Vervoll- kommnung sie Hand in Hand geht. Die Freilegung und Isolierung der Ge- fäße bietet meist keine größere Schwierigkeit. Anders ist es mit dem Herzen; Druck, Geschwindigkeit und Volum werden in ähnlicher Weise bestimmt wie an den Gefäßen, aber von ihm will man gerade die Lebenseigenschaften kennen lernen, und da es zudem in der Brusthöhle eingeschlossen liegt, die ohne Störung lebenswichtiger Be- dingungen kaum geöffnet werden kann, so sind besondere Maßnahmen nötig und auch ausgebildet worden, um das Herz frei zu legen und um das über- lebende Herz zu konservieren. Diese sollen daher im ersten Abschnitt der Methodik wenigstens kurz besprochen werden. Arbeiten am Herzen. $ 14. Freilegung und Konservierung des überlebenden Herzens. Die Freilegung des Herzens bei den Kaltblütern und speziell beim Frosch ist deshalb verhältnismäßig leicht, weil diese Tiere eine derartig entwickelte Hautatmung besitzen, daß selbst der Ausfall der Lungenatmung keine wesent- liche Schädigung hervorrufen würde. Zudem hindert die Eröffnung der a Freilegung und Isolierung des Herzens. 691 Leibeshöhle bei Fröschen gar nicht die Atmung, weil diese Tiere durch Ver- schlucken der Luft atmen. Man spannt den Frosch auf einem geeigneten Brettchen in Rückenlage fest, spaltet die Haut über dem Sternum und schneidet dieses in mehr oder weniger großer Ausdehnung heraus. Damit ist die Auf- gabe gelöst. Beim Warmblüter wird bei den meisten Tieren notwendigerweise bei der Freilegung des Herzens auch die Pleura eröffnet. Da ein Warmblüter das Kollabieren der Lunge ohne weiteres nicht zu überleben vermag, ist für künstliche Atmung zu sorgen. Ein wesentliches Hilfsmittel ist es dann weiter, das Pericard an den Wundrändern anzunähen, dadurch wird das Herz in toto gehoben und liegt sehr bequem wie auf einem Kissen zur Unter- suchung bereit. Nur beim Kaninchen ist, wie Gad wohl zuerst angegeben hat, der Zwischenraum zwischen den beiden mediastinalen Pleurablättern so groß, daß man in vorsichtiger Weise das Sternum dazwischen herausschneiden kann, ohne die Pleura zu eröffnen, auch liegen hier die beiden Mammar- gefäße so weit auseinander, daß man für ihre Unterbindung keine Sorge zu tragen braucht. Wenn demgegenüber Heinz!) sagt, daß die Herzfreilegung ohne Pleuraöffnung am Hundeherzen viel leichter gelinge als beim Kanin- chen, wo die serösen Häute sehr dünn und daher außerordentlich zerreißlich seien, so muß ich dem auch aus eigener Erfahrung aufs entschiedenste wider- sprechen, und ich habe bis jetzt auch keine Angaben in der Literatur finden können, auf welche Heinz seine Behauptung stützen könnte. Sollte es sich daher um eigene Methodik handeln, so wäre deren Mitteilung sehr wünschenswert. Mit dem so frei gelegten Herzen kann man beim Warmblüter stunden- lang, beim Frosch tagelang, bei der Schildkröte selbst wochenlang experi- mentieren. Häufig aber macht sich das Bedürfnis geltend, das Herz unter einfacheren Bedingungen, als sie im Körper statthaben, zu untersuchen; eine Entnervung des in situ gelassenen Herzens (Friedenthal?) ist zwar möglich, aber äußerst schwierig, außerdem kann man Kraft und Geschwindigkeit des Herzens zum Teil sehr viel besser beurteilen, wenn man das Herz sein Blut nicht in das komplizierte Gefäßsystem, sondern in einen einfachen und vor allem methodisch konstruierten Apparat treiben läßt. Zu diesem Zwecke sind die Methoden am überlebenden Herzen herausgebildet worden. Gerade beim Herzen sind die Methoden für die Erhaltung heraus- geschnittener überlebender Organe ausgebildet worden, weil das Herz durch das Erlöschen der Pulsationen ein sichtbares Zeichen seines Absterbens bietet, und in der Abnahme der Frequenz bereits die ersten Anzeichen hier- von deutlicher als bei allen anderen Organen sichtbar sind. Ein herausgeschnittenes Froschherz, das man in einer feuchten Kammer aufbewahrt, schlägt zwar noch einige Stunden, aber doch nicht ohne Ände- rung von Frequenz und Stärke. Um die durch die Herzschläge verbrauchte Energie zu ersetzen, muß man das Herz mit einer Nährflüssigkeit durch- spülen. Man nimmt dazu entweder defibriniertes Blut, Serum, oder aber künstliche Lösungen, die in ihrer Zusammensetzung dem Serum "mehr ') Heinz, Handb. d. experim. Pathol. u. Pharmakol. 1 (2. Hälfte), 819, 1905. — ®) Friedenthal, Die Entfernung aller extracardialer Herznerven, Arch!f. (Anat. u.) Physiol. 1902. 44 * 692 Nährflüssigkeiten für das Herz. oder weniger nachgebildet sind. Derartige Lösungen müssen, um längere Zeit das Herz zu ernähren, verschiedene Eigenschaften aufweisen, die in folgendem je nach ihrer Wichtigkeit zusammengestellt sind; sie müssen 1. isotonisch sein — physiologische Kochsalzlösung, bei Fröschen = 0,6 bis 0,7 Proz., bei Warmblütern = 0,8 bis 1,0 Proz.; 2. O, enthalten; 3. möglichst dieselbe Zusammensetzung zeigen wie Serum (zuerst von Ringer!) betont); 4. organisches Arbeitsmaterial (Traubenzucker) enthalten (zuerst von Locke?) betont); 5. dem Blute isoviskös sein (zu dem Zwecke setzte Albanese?°) der Salzlösung 2 Proz. Gummi arabicum zu, das allerdings nach Locke nur in- folge seines Ka- und Ca-Gehaltes günstig wirken soll). Ich gebe im folgenden die Rezepte für zwei der gebräuchlichsten Lösungen, für Warmblüter, die nach Ringer!) und Locke?) genannt etwas verschieden von den Originalangaben der Autoren sind. Ringer Locke NEUE 8,0 9—10 COLE TR. I 0,1 0,24 KO BAHl 0,075 0,42 NSH0O, ie 0,1 0,1—0,3 Traubenzucker . . — 1 WBESET/- na her epie 1 Liter 1 Liter Genauere Angaben über die Zusammensetzung des Serums bei Hunden, Katzen und Kaninchen finden sich bei Abderhalden®). Benutzt man defibriniertes Blut, so nimmt man es am besten von der- selben Spezies und kann es bis auf das Dreifache seines Volums mit physio- logischer Kochsalzlösung oder besser einer der angeführten Nährflüssigkeiten verdünnen. Für Versuche am Froschherzen kann man auch sehr gut Säuge- tierblut verwenden, das man mit Kochsalzlösung verdünnt. Apparate für das Froschherz. Der erste Apparat zur Durchspülung und manometrischen Registrierung der Tätigkeit des isolierten Froschherzens ist von Ludwig angegeben und von Coats5) beschrieben worden. Es fließt hierbei das Blut bzw. die Nähr- flüssigkeit durch eine in die Hohlvene eingebundene Kanüle in das Herz !) Ringer, Regarding the influence of the saline ingredients of the blood on the contraction of the heart, Brit. med. Journ. 1885, p. 730; pilory, früher an- gegeben in Journ. of- Physiol. 3, 380, 1882. — ?) Locke, Towards the ideal arti- ficial eireulating fluid for the isolated frogs heart, Journ. of Physiol. 18, 332, 1895. — ?) Albanese, Über den Einfluß der Zusammensetzung der Ernährungs- flüssigkeiten auf die Tätigkeit des Froschherzens, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. 32, 297, 1893. — *) Abderhalden, Zur quantitativen vergleichenden Analyse des Blutes, Zeitschr. f. physiol. Chemie 24, 545, 1898. — °) Coats, Wie ändern sich durch die Erregung des N. vagus die Arbeit und die inneren Reize des Herzens? Ber. d. Verh. d. Sächs. Ges. d. Wissensch. zu Leipzig 1869, math.-physik. Klasse, 8. 360. Künstliche Herzdurchblutung bei Kalt- und Warmblütern. 693 hinein und durch eine zweite, in die Aorta eingebundene Kanüle heraus, alle übrigen Gefäße sind abgebunden. Bei dem Kroneckerschen !) Herzmano- meter wird eine eigenartige doppelläufige Perfusionskanüle durch den an- geschnittenen Venensinus in den Ventrikel eingeführt. Hier fließt also das Blut in die venösen Ostien des Herzens hinein und aus ihnen auch wieder heraus. Der natürliche Weg ist also nicht mehr gewahrt, doch ist der Ge- brauch dieser Kanüle sehr leicht und bequem, wird daher häufig angewandt, doch meist in der Modifikation, welche ihr Williams?) gegeben. Auch bei der Williamsschen Doppelwegkanüle, welche in die Aorta eingebunden wird, ist der normale Weg des Blutes nicht gewahrt. Die Williamssche Apparatur zeichnet sich dann noch besonders dadurch aus, daß sie künstliche, aus feinstem Schafmesenterium gefertige Ventile enthält, wodurch es ermöglicht ist, das Herz dauernd zu untersuchen. Der Williamssche Apparat ist dann später von Perles?®) vervollkommnet worden. Santesson®), Jacobj’) und O0. Frank®) sind wieder zu der Ludwig- schen Methode, zwei Kanülen in die Aorta und Vena cava einzubinden, zu- rückgekehrt, O0. Frank verwendet auch manchmal eine der Williamsschen ähnliche Kanüle. Eine weitere Methode, bei der das Herz mit seinen natürlichen Klappen arbeiten und plethysmographisch verzeichnet wird, siehe bei Santesson®). Camus’?) hat einen einfachen und brauchbaren Apparat für Froschherzen mit äußerer Volumschreibung angegeben. Einen zweckmäßigen Apparat, der, sich selbst überlassen, bis zu 36 Stunden arbeitet, hat auch Hoffmann®) konstruiert (vgl. auch Cyon?). Apparate für das Säugetierherz. Da das Froschherz durch kleine Gefäße von seiner inneren Wand aus ernährt wird, genügt es, das Herz in irgend einer Weise zu durchspülen, beim Säugetierherzen dagegen, das durch die Coronargefäße ernährt wird, kommt es darauf an, diese zu durchspülen. Der erste, der dies mit Erfolg getan hat, ist Langendorff!P), der die Methode zu höchster Vollendung aus- ‘) Beiträge zur Anatomie u. Physiologie, ©. Ludwig gewidmet, Leipzig 1875. — ?) Williams, Über die Ursache der Blutdrucksteigerung bei der Digitalin- Sag: Arch. f. experim. Pharmakol. 13. — °?) Perles, Beiträge zur Wirkung des Solanins und Solanidins, Arch. f. experim. Pharmakol. 26, 94. — *) C.G.Santesson, Eine Methode für künstliche Zirkulation durch das isolierte Froschherz (Physiol. Inst. Stockholm), Zentralbl. f. Physiol. 11, 265 bis 271, 1897. — °) Jacobj, Zur Physiologie des Herzens unter Berücksichtigung der Digitaliswirkung, Arch. f. experim. Pathol. 44, 368 bis 395, 1900; vgl. auch die frühere Arbeit: Derselbe, Ein Beitrag zur Technik der künstlichen Durchblutung überlebender Organe, ebenda 36, 330 bis 348, 1895. — °) O. Frank, Zur Dynamik des Herzmuskels, Zeitschr. f.- Biol. 32, 370, 1895. — 7) L. Camus, Nouveau dispositif experimental pour eirculation artificielle dans le coeur isol& (Physiol. Labor. Paris), Arch. de physiol. et de pathol. gener. 1901, p. 921—925. — °) W. Hoffmann, Apparat zur Erhal- tung der Zirkulation am überlebenden Froschherzen, Pflügers Arch. 100, 249, 1903. — °) E.deCyon, Sur les möthodes de la circulation artificielle dans le coeur isole, Compt. rend. de la soc. de biol. 1901, p. 513—515. — '°) Langendorff, Unter- suchungen am überlebenden Säugetierherzen, Pflügers Arch. 61, 291, 1895. 694 Teilweise Isolierungsmethoden. gebildet hat. Das Herz wird aus dem frisch getöteten Tiere herausgeschnitten, eine Kanüle wird in die Aorta gebunden, und nun wird es mit der betreffenden Nährflüssigkeit (?/; Ringerlösung und !/, defibriniertes Blut), die konstant erwärmt und mit Sauerstoff gesättigt wird, unter einem Druck von etwa 10.cmHg durchspült. Diese Methode hat im Laufe der Zeiten mannigfache Abänderung erfahren. Wir erwähnen hier nur die Apparate von Gott- lieb undMagnus!). Brodie2), W.Hoffmann?°), Locke und Rosenheim) haben dann ferner Apparate angegeben, die bei der Ernährung anderer Organe das Blut rhythmisch durchpumpen und somit die Pulsationen künst- lich nachahmen. Bezüglich weiterer Einzelheiten über die Zusammensetzung der Ringerlösung sei auf die unter H. E. Hering’) angestellte Arbeit von Gross®) verwiesen. Eine zusammenfassende Darstellung findet sich bei Langendorff?). Eine teilweise Isolierung des Herzens erstreben H. E. Hering) und Bock®); hierbei wird das Herz in Verbindung mit dem Lungenkreislauf ge- lassen, während alle arteriellen Abflüsse bis auf eine Carotis unterbunden werden; das Blut aus dieser Carotis wird — unter Einschaltung von Apparaten oder Widerständen — direkt in die Vena jugularis geleitet. So- mit wird also der ganze Körperkreislauf ausgeschaltet, und das Blut fließt vom linken Herzen durch Carotis, Schlauch und Jugularis zum rechten Herzen und von hier durch die Lunge wieder zum linken Herzen. Das Herz ist bei dieser Methode, worauf es yor allem ankommt, nervös völlig isoliert, da ja die Hirnzirkulation völlig unterbunden. Eigenartige Methoden der Herzisolierung, zum Teil ohne Eröffnung des Brustraumes, sind angegeben von Martin?) und Heinz !). $ 15. Die Speisung des Herzens. (Vgl. hierzu auch $ 91.) Langendorff!!) hat zuerst darauf hingewiesen und experimentell ge- zeigt, daß das stillstehende Säugetierherz durch die Blutspeisung der Coronar- gefäße allein zu anhaltendem und kräftigem Schlagen gebracht werden kann, ') Gottlieb und Magnus, Digitalis und Herzarbeit, Arch. f. exp. Pharmak. 51, 30. — ?) Brodie, On recording variations in volume by air transmission, a new form of volume recorder, Journal of Physiology 29, 473. — ®) W. Hoff- mann, Zirkulations- und Pulsationsapparat zur Durchströmung überlebender Organe, Pflügers Arch. 100, 242. — *) Locke and Rosenheim, Oontributions to the physiology of the isolated heart, Journ. of Physiol. 36, 205, 1907. — °) H. E. Hering, Methode zur Isolierung des Herz- Lungen - Coronarkreislaufes, ebenda 72, 163. — °) Gross, Bedeutung der Salze der Ringerschen Lösung für das isolierte Säugetierherz, Pflügers Arch. 99, 264, 1903. — 7) Langendorff, Herzmuskel und intrakardiale Innervation, Ergebnisse der Physiol. 1, Abt. II, 263, 1902. — °®) Bock, Über die Wirkung verschiedener Gifte auf das isolierte Säugetierherz, Arch. f. experim. Pharmakol. 41, 151.— °) Martin, The direct influence of gradual variations of temperature upon the rate of the heat of the dogs heart, Philos. transact. 174, 666. — '°) Heinz, Experimentelle Untersuchungen über Digitalis- wirkung, Verhandl. des XVIII. Kongr. f. innere Medizin Wiesbaden 1900, 8. 531. — "!) Langendorff, Untersuchungen am überlebenden Säugetierherzen, Pflügers Arch. 61, 291, 1895. Einfluß der Kranzarterien. 695 während die Füllung der Ventrikel dazu nieht genügt, und damit die Ansicht widerlegt, daß der Blutgehalt in den Kammerhöhlen auch das Säugetierherz genügend ernähren könne, wenn schon dies bei dem dünnwandigen Frosch- herzen der Fall sein mag. Bohr und Henriques!) haben dann die durch die Coronargefäße strömende Blutmenge an Kälbern direkt zu bestimmen gesucht und dabei gefunden, daß der Herzmuskel durch die Coronargefäße . etwa in derselben Weise mit Blut versorgt wird, wie auch die Skelettmuskeln nach den Bestimmungen von Chauveau und Kaufmann. Schirr- macher?) konnte dann zeigen, daß die Stärke der Herzschläge durchaus mit der Geschwindigkeit der Strömung steigt und sinkt, während die Frequenz nur wenig beeinflußt wird. Daß das Aufhören der Durchströmung nach einiger Zeit zum Stillstand führen muß, kann nicht wundernehmen, es ist aber zuerst von Cohnheim und Schulthess-Rechberg?) betont worden, daß der durch Sistierung und Unterbindung von Coronargefäßen hervorgerufene Stillstand von Flim- mern und Herzwühlen eingeleitet wird. Michaelis*) (unter Leyden) hat die Cohnheimschen Befunde bestätigt. Dagegen behaupten v. Frey’) und Tigerstedt$) (beide auch schon in früheren Arbeiten), daß dies Flimmern eine sekundäre Erscheinung sei, hervorgerufen durch unvermeidbare Neben- verletzungen bei der Unterbindung. Porter’) schließt sich an Cohnheim an, trotzdem er im Grunde nur zeigt, daß ebensowenig infolge sehr ausgedehnter Nebenverletzungen allein Flimmern eintritt wie dann, wenn er eine Coronar- arterie vom Sinus Valsalvae aus durch Einführung eines geknöpften Glasstabes — aber ohne jede Nebenverletzung — verschloß. Auf eine Polemik Tiger- stedts®) hiergegen betont Porter °) denn auch, daß für ihn Flimmern und Herzstillstand dasselbe seien, oder wenigstens gehöre Flimmern zu den nach Aufhören der Koordination stets auftretenden Erscheinungen. Eine Meinung, der diejenigen kaum beipflichten werden, die gesehen haben, daß das Herz meistens ohne Flimmern langsam abstirbt. Daß der Verschluß der Kranz- arterien allein Flimmern nicht hervorrufen kann, zeigen mit Sicherheit die Versuche Langendorffs, der bei Unterbrechung der künstlich eingeleiteten Coronarzirkulation niemals Flimmern auftreten sah. Auf die Beziehungen gewisser Medikamente (Kampher und Kalle) sowie des elektrischen Stromes zum Herzflimmern kann hier nicht ein- gegangen werden; auch nicht auf die neueren Arbeiten, wonach das Herz- ') Chr. Bohr und V. Henriques, Über die Blutmenge, welche den Herz- muskel durchströmt, Skand. Arch. 5, 232, 1895. — *) L. Schirrmacher, Über den Einfluß der Strömungsgesehwindigkeit in den Kranzarterien des isolierten Säuge- tierherzens auf Stärke und Frequenz des Herzschlages. Dissert. Rostock 1901. — ®) Cohnheim und Schulthess-Rechberg, Über die Folgen der Kranzarterien- verschließung für das Herz,‘ Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. 85, 503, 1881. *) Michaelis, Ergebnisse bei Ligatur der Kranzarterien, Dissert. Berlin 1893. — — °) v. Frey, Die Folgen der Verschließung von Kranzarterien, Zeitschr. f. klin. Med. 25, 158, 1894. — °) R. Tigerstedt, Der Verschluß der Kranzarterien des Herzens, Zentralbl. f. Physiol. 9, 545—546, 1895. — 7) W. T. Porter, Der Verschluß der Coronararterien ohne mechanische Verletzung, ebenda 9, 481—483, 1895. — ®) Derselbe, Further researches on the closure of the coronary arteries, Journ. of exper. med. (New York) 1, 46—70, 1896. Weiteres über den Verschluß der Coronararterien ohne mechanische Verletzung Zentralbl. f. Physiol. 9, 641—647, 1896. 696 Die blutige Druckmessung fliimmern in Zusammenhang mit .nervösen (Hemmungs-) Erscheinungen ge- bracht wird [(vgl. hierüber die Literatur bei Busch (1905)]. Wir müssen aus den zum Teil widersprechenden Befunden schließen, daß wir die eigentliche Ursache des so verhängnisvollen Herzflimmerns nicht kennen. Weder sind es Nebenverletzungen, noch ist es mangelhafte Er- nährung an sich. Es scheint vielmehr, als ob beide Faktoren beim Zustande- kommen des Flimmerns eine gewisse Rolle spielen. Vgl. den $ 91 auf S. 844 über die Selbststeuerung des Herzens. Kymographik. (Über die Resultate der Kymographik vgl. $ 55 bis 59.) $ 16. a) Direkte Messung unter Eröffnung des Kreislaufs. Beim Tier kann man die Blutbahn eröffnen und den Blutdruck direkt bestimmen. Handelt es sich um eine Druckbestimmung in den Gefäßen, so verwendet man eine kleine Kanüle, die in ein angeschnittenes Blutgefäß ein- geführt wird und mit der ein Manometer ver- bunden ist. Man verwendet zwei Arten von Ka- nülen. Die eine (Fig.46a) ist T-förmig gestaltet und wird so in das Gefäß eingeführt, daß der Querbalken des T in der Richtung des Gefäßes liegt, der dritte Schenkel aber wie ein rechtwinke- liger Ast des Gefäßes absteht. In diesem Falle mißt man den Druck, welcher in dem abzweigen- den (Glas-)Schenkel statthat, d. h. jenen Druck, welcher auf die ursprüngliche Wand des Gefäßes ah ee senkrecht gerichtet ist. Wenn man dagegen eine Kanüle. einfache gerade (sogenannte endständige) Kanüle (Fig. 46b) mit dem einen Ende eines durchschnit- tenen Gefäßes verbindet, dann verschließt man dasselbe völlig und registriert Fig. 46. daher den in dem Gefäße selbst statthabenden Druck bzw. den senkrecht auf die Wand jenes größeren Gefäßes ausgeübten Druck, von welchem das zur Messung benutzte Gefäß, wie der 3. Schenkel eines T-Rohres, abgeht. Wenn man länger dauernde Versuche ausführen will, muß man, um Gerinnung zu verhindern, sowohl die Kanüle, wie eventuell das ganze dazu gehörige Manometer mit einer die Gerinnung hindernden Flüssigkeit anfüllen. Poiseuille?) wandte dazu eine gesättigte Lösung von Na,C0, an. Meist nimmt man heute andere Salze, am häufigsten eine gesättigte Lösung von Natrium- oder Magnesiumsulfat; da dies ein Herzgift ist, hat man nach dem Vorgange von Heidenhain und Doyon Totaldefibrinierung oder nach Haycraft Zusatz von Blutegelextrakt bzw. Hirudin angewandt; das von Franz3) hergestellte Hirudin empfiehlt Tigerstedt*) in Mengen von l mg pro Cubikcentimeter (berechneten) Blutes einzuspritzen; Thun- !) Busch, Les pulsations et les tr&mulations fibrillaires du coeur de chien, Arch. internat. de Physiol. 2, p. 223, 1905. — °) Poiseuille, Recherches sur la force du coeur aortique, Thöse de Paris 1828. — °) Franz, Arch. f. experim. Pathol. 49, 342, 1903. — *) Tigerstedt, Skand. Arch. 19, 2, 1907. ee a ba ae Fi mit Quecksilbermanometern. 697 ° berg!) hat die Einschaltung einer 1- bis 2proz. Lösung von neutralem Kaliumoxalat empfohlen. Um tunlichst zu verhindern, daß das spezifisch schwerere Magnesium- sulfat infolge seiner Schwere in die Gefäße hineinfließt, hat schon Fick die Zwischenschaltung einer U-Röhre empfohlen, eine Vorschrift, die leider fast niemals beachtet wird. Da trotzdem leicht Gerinnungen vorkommen, muß man oft den Versuch unterbrechen, um die Kanüle zu reinigen. Bardier?) hat eine Modifikation vorgeschlagen, bei der eine Seitenröhre das Füllen, lteinigen und Auswaschen während des Versuches erlaubt. Wenn man den Blutdruck des Herzens bestimmen will, so kann man ebenfalls Kanülen — die naturgemäß hier eine den speziellen Verhältnissen an- gepaßte Form haben müssen — benutzen. Man kann z. B. sehr gut Kanülen in den Vorhof binden und damit den Druck im Vorhof, oder wenn man sie länger macht, auch im Ventrikel messen. Da hier das Ende der Kanüle nicht in einem dieselbe gleichsam verlängernden Gefäße steckt, sondern mitten im strömenden Blute, so wird bei jeder Drucksenkung die Manometerflüssigkeit sofort in den all- gemeinen Kreislauf kommen, und umgekehrt wird bei jeder Druckerhöhung frisches Blut in die Kanüle dringen; so wird verhältnismäßig.schnell in der Kanüle die meist giftige Flüssigkeit durch Blut ersetzt sein; es kommt daher zu Vergiftungserschei- nungen einerseits, zu Gerinnungen andererseits. Derartige offene Kanülen werden auch deshalb selten angewandt, weil für die Methoden, bei denen man das Blut bei uneröffnetem Thorax untersuchen kann, sich diese offenen Kanülen schlechter eignen. Die hierbei verwendeten Instrumente sollen auf S. 701 beschrieben werden. $ 17. \ Messung des mittleren Blutdrucks mit Flüssigkeits- (Quecksilber-)Manometern. Um nun die Kraft zu bestimmen, mit der das Blut in die Kanüle hinein- zudringen sucht, muß man dieser Kraft durch irgend eine andere leicht meß- bare Kraft das Gleichgewicht halten. Man kann dazu eine Flüssigkeitssäule oder eine elastische Kraft verwenden. Der erste Apparat, mit dem der arterielle Druck schon im Jahre 1733 von Stephan Hales?) ziemlich richtig gemessen wurde, war ein Flüssigkeitsmanometer. Er setzte bei einem 14 Jahre alten, in Rückenlage festgebundenen Pferde die Art. femoralis mittels eines kupfernen Troikarts mit einem langen, aufrecht stehenden, 0,4cm weiten Glasrohre in Verbindung und sah dann das Blut darin so hoch steigen, daß es 8 Fuß 3 Zoll (d. i. 252cm) über dem linken Herzen stand. Da Blut ein spezifisches Gewicht von 1,06 und Quecksilber ein solches von 13,6 hat, ent- spricht dies einem Hg-Druck von 19,6cm. Handlicher und brauchbarer wurde dieses Instrument erst, ala Poiseuille*) nicht das Blut selbst in das Manometer dringen ließ, sondern statt dessen Quecksilber verwandte, in- folgedessen er auch nur ein etwa 13mal kürzeres Rohr gebrauchte, denn Quecksilber ist ja etwa 13 mal so schwer als Blut. Hiermit konnte man den !) T. Thunberg, Zur Methodik der Blutdruckversuche (Physiol. Labor. Upsala), Zentralbl. f. Physiol. 12, 73, 1898. (Einschaltung einer 1- bis 2proz. Lösung von neutralem Kaliumoxalat.) — *) E. Bardier, Nouveau modele de ca- nule & pression arterielle, Compt. rend. de la soc. de biol. 1897, p. 1025—1027. — ®) St. Hales, Statical Essays 1733 und Statik des Geblütes, Halle 1748 (übersetzt aus dem Englischen). — *). Poiseuille, Recherches sur la force du coeur aortique, These de Paris 1828. 698 Mittlerer Blutdruck. mittleren Blutdruck recht gut bestimmen, und die diesbezüglichen Messungen Poiseuilles lassen denn auch an Genauigkeit wenig zu wünschen übrig; jedoch war es äußerst schwer, den einzelnen sehr schnell aufeinanderfolgenden Bewegungen, welche infolge der Herzkontraktionen statthaben, im einzelnen zu folgen. Ludwigs!) Einrichtung, welche bewirkte, daß das sich be- wegende Quecksilber selber seine Bewegungen aufschrieb, ist bekanntlich deshalb für die gesamte Physiologie so bedeutungsvoll geworden, weil es das erste Beispiel der graphischen Methode war, welche seit- dem in tausendfältiger Variation die physiologische Methodik beherrscht hat und der wir eine große Zahl der wertvollsten Errungenschaften der letzten Jahrzehnte verdanken. Vielleicht ist sogar die Wertschätzung zu groß. Die eigentliche Beobachtung leidet manchmal darunter, daß viele glauben: wenn man nur eine Kurve zeichnet, so müßte sich damit auch etwas machen lassen. Dies gilt hauptsächlich für Puls- und Blutdruckkurven. Die Ludwigsche Einrichtung bestand darin, daß auf dem Quecksilber ein leichter Schwimmer schwamm, auf dem ein langer, vertikaler, oben um- gebogener Glasfaden befestigt war, der seine Bewegungen auf die sich drehende Trommel eines Kymographions aufschrieb. Der Stiel dss Schwimmers muß natürlich in einer Führung laufen, und es ist oft nicht leicht, Reibung zu vermeiden. Eine Modifikation der Methode, die wohl von Chauveau zuerst angegeben ist, hat sich mir bei ähnlichen Versuchen gut bewährt. Der Schwimmer, der aus einem etwa 2cm langen starken. Eisendraht besteht, greift mittels eines Fadens an einem zweiarmigen Hebel an, dessen andere Seite leicht belastet ist, um den Faden immer gespannt zu halten. Mit dieser Methode sind die hauptsächlichsten Bestimmungen a mitt- leren Blutdruckes angestellt, und zu diesem Zweck ist sie auch heute noch die brauchbarste und exakteste, wie seinerzeit schon Landois?) beim Vergleich mit dem Fickschen Blutwellenschreiber hervorhob. Es empfiehlt sich nach dem Vorschlag Setschenows?°), das Manometerrohr an einem tiefsten Punkte einzuengen. Durch die hierdurch gesetzte größere Reibung kann man die Ausschläge des Manometers so weit verlangsamen, daß sich das Manometerniveau zwischen zwei Pulsen gar nicht merklich verschiebt. Das Manometer stellt sich dann genau auf den mittleren Blutdruck ein ®). $ 18. Messung des maximalen und minimalen Druckes mit Ventilmanometer. Statt der einfachen Verengerung kann man nun auch ein Ventil an- wenden. Wenn man dasselbe so anbringt, daß es den Zustrom in das Manometer erlaubt, den Rückstrom dagegen verhindert, dann erhält man ein ') Ludwig, Beiträge zur Kenntnis des Einflusses der Respirationsbewegungen auf den Blutlauf im Aortensystem, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1847, 8. 243, s. 8. 261. — ?) L. Landois, Die Lehre vom Arterienpuls, S. 24. Berlin, Aug. Hirschwald, 1872.— °) I. Setschenow, Eine neue Methode, die mittlere Größe des Blutdruckes in den Arterien zu bestimmen, Zeitschr. f. rat. Mediz. 12, 170. — *) In Analogie mit der sonst gebräuchlichen Terminologie müßte man allerdings richtiger von dem „Durchschnittsblutdruck“ sprechen (vgl. das auf 8. 726 über Durchschnittsgeschwin- digkeit Gesagte). Be an an ana n Ventilmanometer. 699 Maximummanometer. Der höchste Druck, welchen das Blut vielleicht nur während eines ganz kurzen Zeitintervalls ausübt, gibt dem Manometer zwar einen Anstoß, vermag das Quecksilber aber nicht bis zu der entsprechen- den Höhe zu heben, weil die Masse desselben zu groß ist. Dadurch, daß das Ventil den Rückfluß nicht gestattet, bleibt das Quecksilber nach jedem Puls- schlag in der erreichten Höhe, ohne während der Diastole herabzusinken. Die folgende Herzkontraktion findet also einen Teil der notwendigen Arbeit schon geleistet und vermag das Quecksilber daher ein Stückchen höher zu treiben. So geht es fort, bis endlich das Manometer eine Stellung einnimmt, welche dem höchsten überhaupt vorhandenen Blutdruck entspricht. Ist das Ventil umgekehrt eingeschaltet, so hat man ein Minimum- manometer, das den niedrigsten überhaupt vorkommenden Druck ver- zeichnet. Meist sind derartige Instrumente nur zur Bestimmung des Blut- druckes im Herzen angewandt. Die ersten, die dies taten, waren Goltz und Gaule!), welche Kegelventile verwendeten; später hat auch Hürthle?) ein Hg- Maximum- und -Minimummanometer angegeben. Diese Instrumente, welche dazu dienen, den jeweilig niedrigsten und höchsten Druck zu verzeichnen, sind als einwandfrei zu betrachten, solange von dem Gefäß bis zum Ventil sich nichts als Flüssigkeit befindet und die Verbindungsröhre un- elastisch ist. Sobald aber Membranen oder gar Gummiballons zwischengeschaltet sind, ist der Druck nicht mehr in allen Teilen des Systems notwendigerweise der- selbe, sondern lokale Zerrungen können vorübergehend den Druck in dem durch die Membran abgeschlossenen Teile sehr viel höher bzw. sehr viel niedriger werden lassen, als es in dem Gefäße jemals der Fall ist. Derartige Membran - Minimum- manometer haben, besonders bei der Bestimmung des minimalen Druckes im Herzen, häufig zu Fehlern Anlaß gegeben. $ 19. Messung der Blutdruckschwankungen (mit elastischen Manometern). Infolge von Schleuderungen gibt das Ludwigsche Instrument den zeit- lichen Ablauf der Druckschwankungen sehr fehlerhaft wieder; um einen Schwimmer verwenden zu können, braucht man Röhren von mindestens 0,2 bis 0,3cm lichtem Durchmesser. Das bedingt zur Füllung 15 bis 20g Quecksilber. Wenn eine derartige Masse sich mit einer Geschwindigkeit von beiläufig 2 bis 3cm in der Sekunde bewegt, so wird sie eine nicht unbeträchtliche Energie besitzen (etwa 300 g/em) und sich also (wie ein in Fahrt befindlicher Eisenbahnwagen) auch dann noch weiter bewegen, wenn die treibende Kraft zu wirken aufgehört hat. Dadurch werden, wie sich auch rechnerisch zeigen läßt, die Kurven durch- aus entstellt, vor allem werden alle Einzelheiten verwischt. Um brauchbare Resultate zu erzielen, muß man die Entwickelung von kinetischer Energie in dem registrierenden Instrument beschränken. Zu dem Zwecke hat Porter?) eine eigenartige Kombination von Hähnen angegeben, welche automatisch durch den Blutdruck selbst — aber nicht ») Goltz und Gaule, Über die Druckverhältnisse im Innern des Herzens, Pflügers Arch. 17, 100—120, 1878. — ?) K. Hürthle, Pflügers Arch. 43, 426, 1888. — °®) W. T. Porter, A new method for the study of the intra-cardiac pressure curve, Journ. of exper. med. (New York) 1, 296—303, 1896. 700 Schnell reagierende Manometer. direkt, sondern durch Vermittelung von Elektrizität — geöffnet werden. Diese Methode erlaubt, das Stück der Kurve, das einen höheren als den eingestellten Blutdruck repräsentiert, ohne anfängliche Schleuderwirkung zu schreiben. Einen ähnlichen, aber einfacheren Apparat hat O0. Frank!) im folgenden Jahre angegeben. Will man aber möglichst genau die ganze Kurve schreiben, dann muß man die Masse des in Bewegung gesetzten Systems möglichst gering wählen und — da die Energie proportional mv? ist — dafür sorgen, daß die Geschwindig- keiten möglichst gering bleiben. Diese einfachen und klaren Gesichtspunkte sind von allen Konstrukteuren mehr oder weniger bewußt befolgt worden. Seit dem Jahre 1903 hat O. Frank, der früher!) ebenfalls experimentelle Kritik anwandte, eine Reihe von Arbeiten publiziert, in denen er versucht, durch Rechnung weiter zu kommen. Die an sich exakte, analytisch-mathematische Methode kann jedoch deshalb zu keinem Resultat führen, weil wir das Trägheitsmoment komplizierter Körper nicht berechnen, sondern nur experimentell ausprobieren können; ebenso ist es überall dort, wo elastische Kräfte ins Spiel kommen. Wer sich für diese, meiner Meinung nach auch dort, wo sie richtig sind, nicht notwendigen Rechnungen interessiert, sei auf die Frankschen Originalarbeiten verwiesen ?). Man kann nun, wie zuerst Cybulski gezeigt hat, auch Capillaren ver- wenden; wenn in beiden Schenkeln Quecksilberoberflächen vorhanden sind, hebt sich die Capillardepression fast heraus®), auf photographischem Wege wird dann die Bewegung des Quecksilbers registriert. Auch Bayliss und Starling*) haben ein Capillarmanometer angewendet, das eine kleine Luft- blase enthielt, deren Bewegung photographisch registriert wurde. ‚Die elastischen Manometer. Meist aber hat man die gedachten Schwierigkeiten im Prinzip dadurch zu überwinden gesucht, daß man das Blut gegen eine nur sehr wenig beweg- liche Fläche drücken ließ. Wenn schon eine geringe Verschiebung dieser Fläche einen verhältnismäßig großen Energieaufwand erfordert, so braucht das Blut bzw. die in Betracht kommenden Teile des Registrierapparates nur minimale (also auch verhältnismäßig langsame) Bewegungen auszuführen. Neben dem Vorteil in bezug auf die Genauigkeit der Registrierung geht hier- !) O0. Frank, Ein experimentelles Hilfsmittel für eine Kritik der Kammerdruck- kurven, Zeitschr. f. Biol. 35, 478, 1897. — ?) O.Frank, Kritik der elastischen Mano- meter, Zeitschr. f. Biol. 44, 445, 1903; Theorie des Kolbenmanometers, ebenda 45, 464, 1903; Prinzipien der Konstruktion von Schreibhebeln, ebenda 45, 480, 1903; Die Registrierung des Pulses durch einen Spiegelsphygmographen, Münch. med. Wochenschr. 1904, Nr. 42; Konstruktion und Durchrechnung von Registrier- spiegeln, Zeitschr. f. Biol. 46, 421, 1905; Der Puls in den Arterien, ebenda 46, 441, 1905; Derselbe und Petter, Statik der Membranmanometer und der Luft- transmission, ebenda 48, 489, 1906; vgl. jedoch auch die Kritik der Frankschen Methode bei Nicolai und Schlick, Die Gestalt einer deformierten Manometer- membran experimentell bestimmt, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1907, 8. 135. sowie Nicolai, Noch einmal die Franksche Paraboloidmembran, Zeitschr. f. Biol. 50, 456. — °®) Nicht ganz, weil auf der einen Seite das Hg direkt oder indirekt gegen Blut, auf der anderen Seite direkt oder indirekt gegen Luft angrenzen muß. — *) W. M. Bayliss and E. H. Starling, On the form of the intraventricular and aortic pressure curves obtained by a new method, Intern. Monatsschr. £. Anat. u. Physiol. 1894. Elastische Manometer. 701 mit Hand in Hand der Vorteil, daß nur sehr wenig Blut in die Kanüle ein- dringt und infolgedessen leichter Gerinnung vermieden werden kann. Das Prinzip der geringen Beweglichkeit der Flächen verwirklichen bis zu einem gewissen Grade auch die von Chauveau und Marey!) zuerst an- gegebenen cardiographischen Sonden; dieselben stellen gefensterte Sonden dar, die ins Herz eingeführt werden. Die Fenster sind mit Kautschuk über- spannt und bilden eben die bewegliche Fläche. Diese Bewegung wird durch Luftübertragung einem Mareyschen „Tambour ä levier“ zugeführt. Derartige Sonden sind für die einzelnen Ventrikel und Vorhöfe angegeben. Eine neue cardiographische Sonde beschreiben z. B. Gley?) und Meyer?°). Eine eigen- artige Modifikation hat Grünbaum ) angegeben; hier ist die in der Sonde angebrachte bewegliche Membran mit einer Zinkplatte armiert, die einer anderen festen parallel gegenübersteht. Zwischen den Platten befindet sich Zinksulfat. Die Druckänderungen erzeugen Schwankungen des Widerstandes in einem elektrischen Stromkreis, welche man mittels eines Capillarelektro- meters registriert. Bei allen anderen Manometern (mit Ausnahme des ersten Fickschen) ist die zu bewegende Fläche immer die Membran des nach dem Prinzip der Mareyschen Kapsel gebauten Apparates. Wesentlich ist dabei, daß die Aus- buchtung bei der Blutdruckschwankung die Membran nicht gar zu sehr deformiert, weil nur unter diesen Bedingungen Proportionalität zwischen Druckänderung und Membranverschiebung herrscht (vgl. Athanasiu5) sowie Nicolai und Schlick ®), die notwendige Vergrößerung muß man dann durch Hebelübertragung erzielen, am exaktesten natürlich durch den masselosen Hebel des Lichtstrahles. Fick”) hat eine sehr kleine Gummimembran genommen, deren Exkur- sionen er durch eine Stahlfeder minderte. Ähnlich im Prinzip ist das Mano- meter von Frey und Krehl°), Hürthle°) und Gad!%). Doch werden die letzteren Apparate heute mit einer (nach Art einer Aneroidbarometerkapsel) gewellten Blechmembran geliefert. Alle diese Instrumente müssen empirisch mit einem Quecksilbermanometer verglichen und geeicht werden und zwar muß diese Eichung wegen der leider wechselnden Spannung vor und nach jedem Versuch vorgenommen werden. Einen etwas anderen Weg hat Fick !!) bei seinem ersten Modell gewählt; er hat einen Apparat konstruiert, der auf dem Prinzip des Bourdonschen !) Chauveau und Marey 1863; Nicolai und Schlick, Die Gestalt einer deformierten Manometermembran experimentell bestimmt, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1907, 8.129. — *) Gley, Sonde cardiographique, Compt. rend. de la soc. de biol. 1894, p. 445—446. — °?) E. Meyer, Sonde cardiographique pour la pression intra-ventrieulaire chez le chien., Compt. rend. de la soc. de biol. 1894, p. 443—445. — *) O.F.F. Grünbaum, On a new method of recording alterations of pressure, (Physiol. Soc.) Journ. of Physiol. 22, 43—51.— °) Athanasiu-Methode graphique, Traveaux de l’Ass. de l’Inst. Marey, Paris 1905, p. 77ff. — °) Nicolai und Schlick, Die Gestalt einer deformierten Manometermembran experimentell bestimmt, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1907, S. 135£. — 7°) Fick, Pflügers Areh. 30, 597, 1883. — ®) Frey und Krehl, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1890, S. 31. — ®) Hürthle, Pflügers Arch. 43, 399, 1888. — '°) Gad, Zentralbl. f. Physiol. 1889, 8. 318. — "') A. Fick, Ein neuer Blutwellenzeichner, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1864, 8. 583. 702 Experimentelle Prüfung der Manometer. Metallmanometers beruht: es ist das eine hohle Messingfeder von flach elliptischem Querschnitt, die kreisförmig gekrümmt ist und deren eines Ende fest, das andere frei ist. Bekanntlich streckt sich eine solche Feder, wenn in ihrem Innern der Druck steigt. Die minimalen Bewegungen des freien Endes wurden durch ein aus Rohr gefertigtes Hebelwerk (einer sogenannten Gradfächerung) in 30facher Vergrößerung auf das Kymographion übertragen. Einen sehr vereinfachten Apparat nach denselben Prinzipien hat Schenck!) angegeben, der auf Grund einer Untersuchung von Ishihara?) den Apparaten von Hürthle und von v. Frey nicht nachstehen soll. In den letzten Jahren sind die Apparate mehrfach experimentell unter- sucht worden. Schilina?®) vergleicht die Leistungen des Ludwigschen Kymographen und des Hürthleschen Tonographen. Letzterer soll sowohl den mittleren Blutdruck als den relativen Betrag der Pulsschwankungen zu hoch angeben — das alte Instrument sei daher vorzuziehen, eine Meinung, die Kronecker *) noch 1901 teilweise vertrat. Zu günstigeren Resultaten in bezug auf die Membranmanometer kommen Tschuewsky’) und Hürthle®). In bezug auf die sehr ausgedehnte Literatur über die Prüfung der ein- zelnen Instrumente sei auf die unten angegebene Literatur verwiesen, wo sich zum Teil weitere Literaturhinweise finden. Hürthle, Kritik des Lufttransmissionsverfahrens, Pflügers Arch. 53, 2831, 1892.— Ansiaux, Rech. crit. et exper. sur le sphygmoscope de Chauveau-Marey, Bull. de l’Acad. d. Belg. 23, 377 und Arch. de biol. 12, 611. — K. Hürthle, Vgl. Prüfung des Tonographen von Frey und Hürthle, Pflügers Arch. 55, 319, 1893. — M. von Frey, Der Tonograph mit Luftfüllung, Zentralbl. f. Physiol. 7, 453, 1893; Zur Theorie des Lufttonographen, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1893, 8. 204; Ein Verfahren zur Bestimmung des Trägheitsmomentes von Schreibhebeln, ebenda S.485; Die Ermittelung absoluter Werte für die Leistung von Pulsschreibern, ebenda S. 17; Binet und Courtier, Seconde note sur la correction des traces au moyen d’un orifice capillaire, Compt. rend. de la soc. d. Biol. 1895, 8. 295; Un regulateur graphique, ebenda '8. 322. — Harris, A note upon the vibrational rate of the membranes of recording tambours, Journ. of anat. and physiol. 31, 29, 1896. — Weiss, Sur la comparaison des trac6s obtenus, & l’aide d’appereils enregistreurs differents, Compt. rend. de la soc. biol.: 1897, 8.’ 359. $ 20. Unblutige Druckmessung. Die besprochenen Methoden gestatten, den Blutdruck in einer eröffneten Arterie zu messen, sind also nur bei Tieren und in den seltenen Fällen von Amputationen beim Menschen anwendbar; auch hierfür mußten sich !) F.Schenck, Beschreibung einiger Apparate für das physiologische Prak- tikum, Pflügers Arch. 97, 421, 1903. — ?) M. Ishihara, Über einen für Unter- richtszwecke vereinfachten Gimnaligätigiaphen (Physiol. Inst. Marburg), Arch. f. d. ges. Physiol. 1897, 8. 429—437. — °) L. Schilina, Vergleich von Ludwigs Kymograph mit Hürthles Tonographen (Physiol. Ges. Berlin), Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1898, 8. 526. — *) H. Kroneeker, Über die Leistungen von Hürthles Tonographen, Zentralbl. f. Physiol. 15, 401, 1901. — °) J. A. Tschuewsky, Ver- gleichende Bestimmung der Angaben des Quecksilber- und des Federmanometers in bezug auf den mittleren Blutdruck, Arch. f. d. ges. Physiol. 72, 585, 1898. — °) K. Hürthle, Über die Leistungen des Tonographen, ebenda 82, 515, 1900. sr Unblutige Druckmessung. 703 die Experimentatoren den Tadel mancher ihrer Fachgenossen !) gefallen lassen, die ein derartiges Experiment in keiner Weise für berechtigt halten. Es war daher nicht wunderbar, daß man sich frühzeitig bemühte, Instru- mente zu ersinnen, welche an der uneröffneten Arterie sowohl den Blutdruck als auch die Schwankungen desselben zu messen gestatten. Umgekehrt wie bei der eröffneten Arterie, bei der die Messung des mittleren Blutdruckes eine verhältnismäßig leichte, schon von dem ersten Untersucher Stephan Hales gelöste Aufgabe ist und nur die Bestimmung der Druckschwankungen ernst- liche Schwierigkeiten bietet, ist bei der uneröffneten Arterie eine wenig- stens annähernd richtige Verzeichnung der pulsatorischen Schwankungen verhältnismäßig leicht, falls man nicht etwa eine größere Genauigkeit als an der eröffneten Arterie erwarte. Dagegen besitzen wir auch heute noch keine Methode, welche am Lebenden einwandfrei den Blut- druck zu bestimmen gestattet. Der Grund ist leicht einzusehen; ist doch das Blut in der Arterie von der Außenwelt durch die Arterienwand, durch die Haut, das Bindegewebe und andere Schichten abgeschlossen; wenn wir durch diese Schichten hindurch den Blutdruck bestimmen wollen, so müßten wir eine mehr oder weniger genaue Kenntnis des elastischen Verhaltens dieser Schichten besitzen. Da diese aber bei den verschiedenen Individuen sehr verschieden sind — man denke nur an die elastische Arterienwand jugendlicher Personen und an das verkalkte Gefäß von Arteriosklerotikern —, so wird man einwandfreie Resultate niemals erwarten können. Bei der Regi- strierung von Pulsschwankungen sind zwar die deckenden Schichten auch störend, aber sie bleiben doch während der ganzen Schwankung dieselben; die Druckschwankung hat also während ihres ganzen Ablaufes dieselben Widerstände zu besiegen, und es resultiert eine der idealen Kurve immerhin ähnliche Gestalt. Freilich, nur eine ähnliche, denn die zwischengeschalteten elastischen Teile müssen mit Notwendigkeit die Form der Kurve verändern. Prinzipiell gibt es drei Methoden, nach denen man es versucht hat, den Blutdruck am Lebenden zu bestimmen: 1. die Methode des völligen Verschlusses (von Vierordt 1855), 2. die Methode der entspannten Arterienwand (Marey 1876), 3. die Methode des übertragenen Druckes (Hürthle 1896). v. Reeklinghausen (1906) hat die Methoden zur unblutigen Blutdruckmessung in fünf Kategorien eingeteilt. Seine erste Methode, die er als palpatorische bezeichnet, ist die Methode des völligen Verschlusses, in der von Riva-Rocei aus- gebildeten Form, seine letzte erubeszitorische Methode ist dieselbe Methode in der von Gaertner angegebenen Form (s. unten), seine anderen drei Methoden beruhen auf dem Prinzip der erschlafften Arterienwand und unterscheiden sich nur dadurch voneinander, daß- bei der oszillatorischen Methode die Schwankungen abgelesen, bei der Methode der Treppenkurven graphisch verzeichnet und bei der sensatorischen Methode vom Untersuchten selbst durch das Gefühl wahr- genommen werden. Die Einteilung ist also ohne ein einheitliches Prineipium divi- sionis vorgenommen, erscheint daher schon rein formal verworren und kann nicht acceptiert werden. Die von v. Recklinghausen verschieden benannten Methoden sind also teils identisch, teils gehören sie nur dadurch zueinander, daß sie mit dem- selben Apparat angestellt werden; sie sind daher in folgendem einzeln in den drei Rubriken behandelt. ') Tigerstedt, Physiologie des Kreislaufs, S. 329, Leipzig 1893. 704 Methode des völligen Verschlusses (nach Traube). 8 21. Methode des völligen Verschlusses. Um eine blutgefüllte Arterie zusammenzudrücken, braucht man die Kraft,. welche nötig ist, um die Arterie im leeren Zustande zusammenzudrücken plus jener Kraft, durch welche die Arterie von innen auseinandergetrieben wird (d. i. eben die Kraft des Blutdruckes). Man hat also nur nötig, die Arterie mit einer jederzeit meßbaren Kraft zu komprimieren. In dem Augen- blick, in dem das Blut gerade zu fließen aufhört, in dem also peripher von der Druckstelle der Puls verschwindet, ist der ausgeübte Druck zu notieren. Diese Methode ist sehr alt und wurde schon von den Ärzten im Anfang des 19. Jahrhunderts angewandt, wenn sie mit drei Fingern den Puls fühlten. Der erste proximal gelegene Finger tastete den Puls und der mittlere Finger drückte so lange, bis für den dritten Finger der Puls verschwand. Aus der zum Drücken aufgewandten ‚Kraft konnte man sich eine Vorstellung über den in der Arterie vorhandenen Druck machen. Häufig wird das „dynamische Verfahren des Puls- fühlens“ auch in anderer Weise ausgeübt. Der peripherste Finger komprimiert die Arterie vollständig, so daß von der Peripherie keine rückläufige Pulswelle in die Arterie gelangen kann. Der mittlere palpiert nun, indem er bloß leise aufgesetzt wird, während der zentralste Finger einen allmählich immer stärkeren Druck auf die Arterie ausübt, bis der mittlere Finger die Welle nicht mehr fühlt.. Traube hat angegeben, mit dieser Methode sehr brauchbare Resultate zu erhalten. Aber abgesehen von der Ungenauigkeit, die dieser Methode wie jeder anderen subjektiven Methode anhaftet, kommt hierbei ein psychologiseher Grund in Be- tracht. Wir können zwar ziemlich fein Druck und Druckveränderungen erkennen, haben aber nür ein sehr schlechtes absolutes Druckgedächtnis, die Druckschwan- kungen werden also immer im Vordergrunde unserer Empfindungen stehen und unbewußt unsere Schätzung beeinflussen. Man hat daher sowohl den drückenden wie auch später den tastenden Finger durch Apparate ersetzt. Die Fehlerquellen der Methode des völligen Verschlusses sind zwei- facher Art, einmal kennen wir die Widerstände nicht, welche sich außer dem Blutdruck der Zusammendrückung entgegenstellen, und zweitens können wir den Moment des Pulsverschwindens nicht richtig bestimmen (vgl. hierzu auch den Ein- wand 8.711). Die Fehlerquellen der ersten Art hat vor allem Basch untersucht; er hat gezeigt, daß zum Verschließen der normalen ungefüllten Arterie nur ein sehr ge- ringer Druck (0,1cmHg) notwendig ist und selbst sklerosierte Arterien nur das Fünffache dieses Druckes benötigen. Basch hat auch gezeigt, daß die Kompression der in situ befindlichen Art. radialis einen um 0,6 bis 0,8em höheren Druck er- fordert, als zur Kompression der frei liegenden Arterie nötig ist. Hiernach wäre also der von außen zur Anwendung kommende Druck um 0,7 bis 1,3cmHg größer als der in der Arterie herrschende Druck. Wenn wir daher jedesmal im Mittel 1cmHg abziehen würden, so machten wir höchstens den kaum in Betracht kom- menden Fehler von 0,3 cm Hg. ; Viel wesentlicher ist es aber, in welcher Weise wir den Druck ausüben. Es ist klar, daß, wenn die Arterie Platz findet, auszuweichen, wir unter Umständen sehr stark drücken können, ohne daß wir die in die Tiefe gleitende Arterie zu komprimieren vermögen. Die hierdurch bedingten Fehler betragen nach Basch bis zu 6cmHg. Ausweichen kann aber die Arterie, wenn der Druck, sei es durch den Finger, sei es durch die Pelotte eines Instrumentes, einseitig von einer Stelle ausgeübt wird. Nicht ausweichen aber kann die Arterie, wenn der Druck von allen Seiten gleichmäßig auf das Glied ausgeübt wird. Auf diesen Gesichtspunkt hat zuerst Marey bei der Konstruktion seines im nächsten Para- graphen zu erwähnenden Sphygmomanometers Rücksicht genommen. Die modernen, hierauf basierenden Methoden, bei denen ein ganzes Glied (Finger oder Arm) Die älteren Instrumente, insonderheit das von Basch. 705 "ERREER UNO wird, sind unbedingt dem alten Verfahren vorzuziehen, bei dem eine Pelotte auf die Arterie mit allmählich wachsender Kraft aufgedrückt wurde. Dieser in Fig. 47 abgebildete Apparat ist eine mit Wasser gefüllte Kapsel C’. Die Flüssigkeit, welche komprimiert werden kann, überträgt den Druck gleichmäßig auf das ganze in die Kapsel gesteckte Glied. Im Prinzip leistet die Riva-Rocci-Binde das gleiche. Vierordt!) hat zuerst das Gewicht bestimmt, das gerade imstande ist, die Pulsationen aufzuheben. Waldenburg?), Potain®) und Basch‘) nebst vielen anderen konstruierten ähnliche Instrumente, von denen besonders das Baschsche eine weite Verbreitung gefunden hat. Der Baschsche Apparat ist oft verbessert und modifiziert worden, 1896 hat ihm Beer’) eine solche Form gegeben, daß das Instrument auch zur graphischen Registrierung benutzt werden kann. Ganz neuerdings hat Stillmark®) einen Apparat Fig. 47. (a a a a a a a a a a a = Jg = | Unblutige Blutdruckmessung nach Marey und Riva-Rocci. A Apparat, der den Druck erzeugt, B Apparat, der den Druck mißt, C Apparat, der den Druck auf die Arterie überträgt, und zwar C’ Fingerplethysmograph nach Marey, C’ Riva-Rocci-Binde (schmales Modell für den Arm). beschrieben, der dem alten Waldenburgschen ähnelt, aber das Prinzip der römischen Wage verwendet. Heute sind diese mit Pelotten arbeitenden Instrumente wohl als veraltet zu bezeichnen. Gerade aus den eigenen mit so außerordentlich großer Sorg- falt angestellten Untersuchungen von v. Basch geht die Überlegenheit der neueren Instrumente deutlich hervor. Eine gute Literaturzusammenstellung ») Vierordt, Die Lehre vom Arterienpuls im gesunden’und kranken Zustande. Braunschweig 1855. — ?) Waldenburg, Die Messung des Pulses und des Blut- druckes, Berlin 1880; Arch. f. pathol. Anat. 90, 33, 1882. — °®) Potain, Arch. de physiol. 89, 556, 1889; 90, 300, 681, 1889. — *) Basch, Zeitschr. f. klin. Med. 2, 79, 1880. — °) Beer, Neuer geeichter Apparat zur Messung und graphischen Regi- strierung des Blutdruckes, Zentralbl. f. Physiol. 10, 329, 1896. — °) Stillmark, Ein neuer Blutdruckmesser, Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 22. Nagel, Physiologie des Menschen. I, 45 706 Die Instrumente von Riva-Rocei, Gärtner, Hallion und Comte. über die Verwendung des Baschschen Sphygmomanometers ist in der Disser- tation von Rosen!) zu finden. Riva-Rocci?) hat dann den sehr glücklichen Gedanken gehabt, die Kompression durch einen mit Luft aufzublasenden Gummischlauch vorzu- nehmen, und dies Verfahren ist fast unverändert von allen späteren Konstruk- teuren einfach übernommen worden. Die Fig. 47 zeigt in 0” diese Riva- Rocci-Binde, welche statt des Mareyschen Plethysmographengefäßes an die T-Kanüle angesetzt wird und in einem hohlen, durch einen Tuchüberzug auf der Außenseite unausdehnbar gemachten Gummiring, der um den Oberarm gelegt wird, besteht. Daß Riva-Rocci den Mareyschen Kompressator durch ein Gebläse, wie es an Parfümzerstäubern üblich ist, ersetzt hat, ist eine un- wesentliche, vielleicht nicht einmal glückliche Abänderung. Mittels dieses Gebläses kann der hohle Gummiring ©’ aufgeblasen werden, und der in ihm erzeugte Druck überträgt sich einmal auf ein Manometer ‘und zweitens auf den umschlossenen Arm, der in toto zusammengepreßt wird. Sobald der Druck so groß geworden ist, daß der Radialispuls verschwindet, ist nach dem Prinzip des Apparates der Druck in der Art. brachialis bestimmt. Vereinfacht ist das Instrument von Gärtner?°), der zum Kompressator zurückkehrt und den „pneumatischen Ring“ nur um. einen Finger legt. Er verwendet nicht den Moment, in dem der Puls verschwindet, sondern den, in dem er wieder auftritt, als Indikator, was ja an sich dasselbe wäre. Da man jedoch am Finger den Puls nicht fühlen kann, benutzt Gärtner die durch das einströmende Blut hervorgerufene Farbenänderung. Zu dem Zwecke wird der Finger zuerst mittels eines heraufgerollten soliden Gummiringes — also nach dem Prinzip der Esmarchschen Methode — anämisch gemacht, dann der pneumatische Ring umgelegt und so weit aufgeblasen, daß sicher die Arterien zusammengedrückt sind. Nach Entfernung des soliden Gummi- ringes wird der Druck im pneumatischen Ring allmählich verringert und der Moment notiert, in dem das Blut hineinströmt und den vorher weißen Finger plötzlich rot färbt. Der dann herrschende Druck soll dem Arteriendruck entsprechen. Martin‘) hat den Ring auch bei dem Gärtnerschen Apparat durch eine ver- stellbare Manschette ersetzt, wodurch dasselbe Instrument für dicke und dünne Finger gebraucht werden kann. v. Recklinghausen’) hat für die Methode den Namen erubescitorisch erfunden und auf die unterschiedliche Bedeutung verschie- dener auftretender Färbungen hingewiesen. Ein anderes Kriterium verwenden Hallion und Comte‘°), die gleichzeitig mit dem den Vorderarm umgebenden Druckring einen Plethysmographen anlegen; das gemessene Fingervolum nimmt von dem Augenblick, in dem die Venen komprimiert werden und damit der Rückfluß aufhört, bis zu dem Augenblick, in dem auch die Arterien komprimiert sind, !) Rosen, Über die Verwendbarkeit des v. Baschschen Sphygmomanometers zu Blutdruckmessungen an Tieren, Dorpater Dissertation 1831; vgl. auch die Lite- ratur bei Tigerstedt, Lehrbuch, 8. 330. — ?) Riva-Rocci, Un nuovo Sphygmo- manometro, Gazeta medie. di Torino, No. 50, referiert in Schmidts Jahrb. 1906, S. 244. — °) Gärtner, Neuer Blutdruckmesser, Wien. med. Wochenschr. 1899, 8. 1412. Derselbe, Münch. med. Wochenschr. 1900, 8.1195. — *) Martin, Münch. med. Wochenschr. 1903. — °) v. Recklinghausen, Über Blutdruckmessungen beim Men- sehen, Arch. f. experim. Pathol. 46, 78, 1901; Derselbe, Unblutige Blutdruck- messungen; ebenda 55, 463, 1906. — °) Hallion und Comte, Procede d’&valuation de la pression arterielle chez l’homme, Intermed. des biol. et des med. 1899, p. 302. RR U ee VER “ Andere Modifikationen. 707 dauernd zu. Wenn also die Vergrößerung aufhört, soll im Druckring derselbe Druck wie in der Arterie herrschen. Eine kaum wesentliche Abänderung an dem Riva-Roeci-Apparat ist von v.Recklinghausen!) angegeben worden, der (auch theoretisch) nachgewiesen hat, daß man bessere Werte erhält, wenn man die Manschette, welche bei dem Riva- Roceisehen Originalmodell nur 6cm breit ist, möglichst breit macht; er selbst wählte eine Breite von 13cm, die er als genügend und passend ansieht. In der Tat erhielt denn auch Janevay°) mit einer 5em breiten Manschette einen um 6cm höheren Blutdruck, als mit einer 12cm breiten. Beiden Ansichten gegenüber heben Fellner und Rudinger®) hervor, es sei gleichgültig, eine wie breite Manschette man benutze, da die Werte doch nur relative Bedeutung haben, und dies dürfte richtig sein. Weiter hat Recklinghausen *) dann dem Apparat statt des Gummigebläses eine Metallpumpe beigefügt, von der er angibt, sie sei praktischer. Ebenso soll die, Güte des Manometers — das tatsächlich sehr gut zu sein scheint — den hohen Preis des Apparates rechtfertigen. Die Instrumente sind vielfach ausprobiert worden, doch sollen nur die neueren Publikationen erwähnt werden. Das Riva-Roccische Sphygmomanometer’ist von Gumprecht°) experimentell geprüft und für gut befunden, das Gärtnersche In- strument von Gärtner selbst®) an Tieren ausprobiert, außerdem haben Schlei- siek’) und Sasaparell°®) es in günstigstem Sinne rezensiert, jedoch. wollen wir erwähnen, daß noch Hirsch’) dem Baschschen Instrument den Vorzug gegeben hat. Eine sehr gute Kritik des Anwendungsbereiches der Blutdruckmesser sowie ein experimenteller und literar-kritischer Vergleich zwischen dem Riva-Rocei- schen und dem Gärtnerschen Instrument, findet sich in den beiden Arbeiten von Martin!®). — Weitere Prüfungen, z. T. von klinischem Gesichtspunkt, finden sich bei Hensen'"), Schnele'?), Masing"), Neu’), Martin®), Fellner und Rudinger'*), Geisbock 7), Fellner?) u. a., vor allem in der ausgezeichneten Arbeit von Müller und Blauel'?) (dort auch Kritik der Literatur). ) v. Recklinghausen, Über Blutmessungen beim Menschen, Arch. f. ex- perim. Pathol. 46, 78, 1901; Derselbe, Unblutige Blutdruckmessungen, ebenda 55, 463, 1906.— ?) Janevay, The clinical study of blood-pressure, New York and London 1904, p.58.— *) Fellner und Rudinger, Über Blutdruckmessungen, Münch. med. Wochenschrift 1906, Nr.30. — *) Recklinghausen, Unblutige Blutdruckmessung, Iu.H, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmak. 55, 375 bis 462, 1906. — °) Gumprecht 1900. — °) Gärtner, Über das Tonometer, II, Münch. med. Wochenschr. 1900, Nr. 35. — 7) B. Schleisiek, Untersuchungen mit dem Gärtnerschen Tonometer. Dissert. Rostock 1901.—®) L.Sasaparell, Vergleichende Schätzung der klinischen Methoden der Blutdruckbestimmung. Petersburger Dissertation 1902. — °) L. Hirsch, Blut- druckmessungen mit dem Sphygmomanometer von Basch und Gärtner; Deutsches Arch. f. klin. Med. 70, 219, 1901. — !') Martin, Technisches über das Riva- Roccische Sphygmomanometer und Gärtners Tonometer, Münch. med. Wochenschr., Nr. 24 u. 25, 1903; Derselbe, Über Blutdruck und Blutdruckmessung, Korresp.- Blatt f. Schweizer Ärste 1905, Nr. 4.— '') Hensen, Beiträge zur Physiologie und Pathologie des Blutdruckes, ebenda 67, 436 bis 530, 1900. — '?) Schnele, Über die Blutdruckmessungen mit dem Tonometer von Gärtner, Berl. klin. Wochenschr. 1900, 8. 726. — "?) Masing, Über das Verhalten des Blutdrucks des jungen und bejahrten Menschen bei Muskelarbeit, Deutsches Arch. f. klin. Med 74, 253, 1902; 75, 493, 1902. — '*) M.Neu, Experimentelle und klinische Bintdruckunlersnchunsen mit Gärtners Tonometer, Heidelberger Dissertation von 1902. — "”) Martin, On the determination of arterial blood pressure in clinical practice, Brit. med. Journ. 22. April 1905, p. 865. — '") Fellner und Rudinger, Tierexperimentelle Studien . über Blutdruckmessungen, Zeitschr. f. klin. Med. 57, 125, 1905. — '”) F. Geisbock, Die Bedeutung des Blutdruckes für die Praxis, Deutsches Arch. f. klin. Med. 83, 363, 1905. — '?) Fellner, Beitrag zur Funktionsprüfung des Herzens, Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 15. — ") Müller u. Blauel, Zur Kritik des Riva-Rocecischen und Gärtnerschen Sphygmomanometers, Dtsch. Arch. f. klin. Med. 92, 517, 1907. \ 45* 708 Die Methode der entspannten Arterienwand (nach Marey). Ähnliche Apparate haben dann weiter noch konstruiert: L. Hill und H. Bar- nard!). Eine sehr einfache Modifikation des Riva-Roceischen und Gärtner- schen Blutdruckmessers hat Schenck”*?) angegeben. Brüg°®) meint, mit zwei. Manschetter den Blutdruck besser messen zu können als mit einer. Als Manometer kann man jedes beliebige Instrument verwenden, für physio- logische Zwecke dürfte — wenn es sich nur um eine Bestimmung des mittleren Druckes und nicht um die Oszillationen handelt — ein Quecksilbermanometer das passendste sein, während für den Arzt auch dann ein Tascheninstrument (am besten das v. Recklinghausensche) vorzuziehen ist. Eventuell kann man aller- dings das zerlegbare Sahlische Quecksilbermanometer verwenden. Wenn man gleichzeitig Oszillationen beobachten will, ist das v. Recklinghausensche Tono- meter empfehlenswert; der Physiologe kann statt dessen Mareysche Kapseln, die er selbst eicht, verwenden. g 22. Die Methode der entspannten Arterienwand. Marey*) machte zuerst darauf aufmerksam, daß theoretisch die Gefäß- wand bei jeder Pulswelle dann die größten Exkursionen ausführen müßte, wenn sie möglichst wenig gespannt sei. Normalerweise würde die Arterie durch den Innendruck des Blutes in Spannung gehalten ;wäre aber nun von außen ein ebenso großer Druck ausgeübt, dann flottieren, wie Marey sich ausdrückt, die Arterien- wände sozusagen frei zwischen dem Innendruck des Blutes und dem künstlich erzeugten Außendruck der Gewebe. Bei der Methode der entspannten Ar- terienwand drückt man also die Arterie zusammen und beobachtet nicht wie bei der vorigen Methode den peripher davon fühlbaren Puls, sondern die- jenigen Schwankungen, welche von den pulsierenden Gefäßen auf das kom- primierende Medium direkt übertragen werden. Wenn diese Schwankungen am größten sind, dann herrscht nach Marey auch in der Umgebung des Gefäßes der mittlere Blutdruck, und den gilt es zu bestimmen. Diese Betrachtung wäre für elastische Membranen einwandfrei, doch ist die lebende Arterienwand dem normalen Druck insofern angepaßt, als ihre Dehnbarkeit bei diesem Drucke die größtmögliche ist. Wenn nun auch diese Tatsache den Mareyschen Schluß nicht obne weiteres umstößt, so wäre doch im einzelnen zu prüfen, inwieweit dadurch etwa der Moment der größten Ausschläge verschoben wird (vgl. es 712 die v. Recklinghausenschen An- schauungen hierüber). Das Maximum der Oszillationen auf graphischem Wege oder durch Beob- achtung zu bestimmen, ist nicht schwer. Der erste, der dies tat, war Marey >). Er schloß, um die Arterien unter variablem Druck pulsieren zu lassen, zuerst den ganzen Arm und später nur einen Finger in eine Art von Pletbysmo- graphen ein, in dessen Innerem er den Druck beliebig verändern konnte (vgl. Fig. 47 auf 8.705). Die Größe der Pulsationen beobachtete er an einem mit dem Plethysmographen verbundenen capillaren Hg-Manometer. Mosso®) ') L.HillandH.Barnard, A simple pocket sphygmomanometer for estimating arterial pressure in man, (Physiol. Soc.) Journ. of Physiol. 23, 4—5, 1898. — ?) 8. Schenck, Beschreibung einiger Apparate für das physiologische Praktikum, Pflügers Arch. 97, 421, 1903. — °) Brüg, Apparat zur Messung des Blutdrucks _ beim Menschen, Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 22. — *) Marey, Pression et vitesse du sang, Trav. du labor. Marey 2, 307, 1876, l.c. — °) Derselbe 1876, l.e. — °) Mosso, Sphygmomanomötre pour mesurer la pression du sang chez l’homme, Arch. ital. de biol. 23, 177, 1895. Die Methode des übertragenen Druckes (nach Hürthle). 709 nahm statt eines Fingers vier, um die Ausschläge zu vergrößern und ein weiteres Manometer anwenden zu können, dessen Exkursionen er nach Ludwigscher Methode aufschrieb. Oliver?!) hat nach demselben Prinzip einen Pulsdruckmesser konstruiert, bei dem ein durch eine Gummimembran abgeschlossener, mit Flüssigkeit ge- füllter kleiner Zylinder stark auf die Radialis gedrückt wird, bis — nicht wie bei den alten Instrumenten des vorigen Paragraphen — der Radialpuls verschwindet, sondern bis die vom Instrument ebenfalls angezeigten Pulse maximal werden. Die neueren Instrumente, insonderheit die von v. Recklinghausen’) und von Erlanger), benutzen die eventuell modifizierte Riva-Roccische Manschette;. die in dieser Manschette auftretenden Schwankungen werden entweder beobachtet oder graphisch registriert. Da diese Instrumente jedoch angeblich nicht nur den mittleren Blutdruck, sondern den sogenannten systolischen und diastolischen Druck messen sollen, werden wir dieselben erst in $ 24 besprechen. Eine eigenartige Modifikation der Methode der entspannten Arterien- wand liegt dem Verfahren von v. Frey) zugrunde. Wenn man die Hand bzw. den Arm in Quecksilber taucht, so fühlt man den Puls — je nachdem wie tief man die Hand eingetaucht hat — an einer der Phalangen bzw. am Daumenballen oder am Handgelenk. Man fühlt ihn dort, wo gerade ein solcher Druck herrscht, daß die erwähnten großen ÖOszillationen zustande kommen (über die Resultate siehe S.777). Die Tiefe, bis zu der die betreffende Stelle in das Quecksilber eintaucht, entspricht also dem an dieser Stelle herrschenden Blutdruck. Die Methode ist dann später in Verbindung mit einer Riva- Roccischen Manschette von Erlanger’) und v. Recklinghausen ®) weiter ausgebildet und von letzterem sensatorische Messung benannt worden. $ 23. Die Methode des übertragenen Druckes. Hürthle’) versucht möglichst in derselben Weise am unverletzten Tier den Blutdruck zu bestimmen, wie man dies mit einer in ein Gefäß eingebun- denen endständigen Kanüle tut. Er geht dabei von dem Gedanken aus, daß in einem Gliede, in dem man die Zirkulation völlig unterbricht, das Blut denselben Druck, den eine endständige Kanüle registrieren würde, auf die ganze Wandung, die in diesem Falle von der Gesamtmasse des Gliedes ge- bildet wird, überträgt. Diesen Druck kann man messen, indem man das ganze Glied in eine unnachgiebige, mit inkompressibler Flüssigkeit gefüllte Kapsel einführt, in welcher der ausgeübte Druck durch ein Federmanometer (d.h. so gut wie isovolumetrisch) bestimmt werden kann. Diese Überlegungen sind ‘) G. Oliver, A simple pulse pressure gauge, Journ. of Physiol. 22, 51; A -contribution to the study of the blood and blood pressure, London 1901. — ®) v. Recklinghausen, 1. c., 1906. — °) S. Erlanger, A new instrument for determining systolic and diastolic blood-pressure in man, Amer. Journ. of Physiol. 6, 20—23, 1901. — *) M. v. Frey, Eine einfache Methode, den Blutdruck am Menschen zu messen, Festschrift für B. Schmidt. Leipzig 1896, 8.79. — °) Erlanger, A new instrument for determining the minimum and maximum blood pressures in man. John Hopkins Hosp. Rep. 12, 94, 1904. — °) v. Recklinghausen, 1. c., 1906, 8. 404. — 7) Hürthle, Über eine Methode zur Registrierung des arteriellen Blut- drucks beim Menschen, Deutsche med. Wochenschr. 1896, Heft 36. Separatabdruck. 710 Maximal- und Minimaldruck. durchaus einwandfrei, und das Prinzip ist neuartig und keineswegs, wie Luciani sagt, eine Weiterbildung der Mareyschen Methode. Praktisch ergibt sich aber die große Schwierigkeit, einmal die Zirkulation in einem Gliede wirklich aufzuheben, ohne das Glied abzubinden, und zweitens das Glied in eine absolut starre Kapsel einzuschließen (zwei Bedingungen, die prinzipiell identisch sind). Hürthle verfährt folgendermaßen: Er macht den Arm mit Esmarch- scher Binde blutleer, umschnürt den Oberarm und steckt den Unterarm dann in einen mit Wasser gefüllten Glaszylinder, der mit einem Federmanometer in Verbindung steht und mit einer gut sitzenden Gummimanschette wasser- dicht den Unterarm in der Nähe des Ellbogengelenkes umschließt. Löst man jetzt die Oberarmbinde, so strömt das Blut in den Arm, könnte aber, falls die Kapsel wirklich starr wäre (da das Manometer als isovolumetrisch angenommen ist), die Arterien nicht eröffnen, und daher drückt das Blut gegen die geschlossenen Gefäße und durch deren Wand hindurch auf das Wasser und das Manometer. Nun ist aber zum mindesten an der Gummi- manschette die Kapsel nicht absolut starr, es kann etwas Blut in den Arm strömen, und der Beweis ist noch nicht erbracht, daß dies Minimum von Blut nicht doch eine Zirkulation ermöglicht. Um dies tunlichst zu verhindern, stellt man nach Hürthles Vorschrift vor Abnahme der Oberarmbinde einen Überdruck von etwa 5cmHg her. In gewissem Sinne eine Modifikation der Hürthleschen Methode ist die Sphygmobolometrie von Sahli!), mit welcher er die vom Puls geleistete Arbeit messen will. $ 24. Maximal- und Minimaldruck (sog. systolischer und * diastolischer Druck). Man versteht unter diastolischem Druck das Minimum, unter systolischem Druck das Maximum des Arterieninnendruckes. Diese Ausdrücke sind un- glücklich gewählt; der sogenannte „systolische Druck“ herrscht in der aus- gedehnten (also der diastolischen) Arterie und ist ein anderer als etwa der systolische Herzdruck, vollends steht der „diastolische Druck“ (der in der „systolischen Arterie“ herrscht) in gar keiner Beziehung zum diastolischen Herzdruck. Wir werden uns daher der nichts präjudizierenden Namen Maximaldruck und Minimaldruck bedienen. Die Differenz zweier auf- einanderfolgender Maxima und Minima bezeichnet man neuerdings als Puls- druck. Janevay?) hat zuerst darauf hingewiesen, daß bei der Methode des völligen Verschlusses der Verschluß nicht plötzlich auftritt, sondern daß, wenn der Druck in der Manschette auch nur zeitweilig das Minimum des Blutdruckes übersteigt, der Radialispuls kleiner werden müsse. Er ver- zeichnete also den Puls an der Art. radialis graphisch und meinte den Druck in der Manschette, bei welchem die Ausschläge kleiner wurden, als Minimal- druck, den Druck, bei dem die Pulse verschwanden, als Maximaldruck an- sprechen zu können. ') Sahli, Die Sphygmobolometrie, neue Untersuchungsmethode der Zirkulation, Deutsche med. Wochenschr. Nr. 16 u. 17, 1907. — ?) Th. C. Janeway, Estimation of Blood pressure in man. New York Univ. Bull. of Med. Se. 1, 253, 1901. Ausbau der Methode. 7ıı Nun kann der Puls aber unmerklich werden, wenn noch sehr viel Blut durch die Arterie fließt. Wenn man die Arterie verengert, werden die Puls- wellen an diesem Widerstande gebrochen und eventuell amortisiert; von da ab strömt das Blut gleichmäßig; der palpierende Finger merkt demnach nichts davon, für ihn ist mit dem Puls die Strömung erloschen. Katzenstein machte mich darauf aufmerksam, wovon ich mich dann in eigenen Versuchen überzeugt habe, daß nach Kompression eines Gefäßes der Puls in der Femo- ralis schon bei einem Blutdruck von 5,0cm völlig verschwindet. Also derartige Fehler begeht man möglicherweise bei dieser Methode. Die Janevaysche Methode wurde dann von Masing!) und Sahli?) weiter ausgebaut und von Strassburger’) dahin modifiziert, daß er ohne Zuhilfenahme graphischer Registrierung nur durch sorgfältige Palpation des Radialpulses Maximal- und Minimaldruck bestimmen zu können meint. Ganz kürzlich hat Strassburger*) darauf hingewiesen, daß bei einer Kompression, die stärker als der Minimaldruck und schwächer als der Maximaldruck ist, in der Nähe der Druckstelle (offenbar durch die Wirbel, die bei der Eröffnung und Verschließung des Gefäßes auftreten), ein Ton hörbar wird, durch dessen Auskultation man daher ebenso sicher wie mit der „graphischen“ Methode und ebenso bequem wie mit der „palpatorischen* Methode den Maximal- und Minimaldruck bestimmen kann. Auch Fellner5) empfiehlt den schon von Marey als bruit de souffle beschriebenen Ton zur Messung des „systolischen“ und „diastolischen“ Druckes zu benutzen. Man soll ihn genau während der Zeit hören, in der auch die großen Oszillationen im Recklinghausenschen Apparat auftreten. Meist aber hat man nicht aus dem Kleinerwerden des Pulses an der Radialis, sondern aus dem Größerwerden der Oszillationen des mit der Man- schette verbundenen Manometers auf das Vorhandensein des Minimaldruckes, nicht aus dem Verschwinden des Pulses, sondern aus dem Wiederkleiner- werden der Manschetten - Oszillationen auf das Vorhandensein des Maximal- “druckes geschlossen. | Zuerst Rat wohl v. Recklinghausen) dies behauptet. Der Apparat von Erlanger unterscheidet sich nicht wesentlich von dem v. Reckling- hausenschen; daß er außer dem Tonometer gleichzeitig immer noch ein Quecksilbermanometer zur ständigen Kontrolle verbindet, kann nur wünschens- wert sein. Ob diese Komplikation für den praktischen Gebrauch nötig ist, bleibe dahingestellt. Zu bemerken ist, daß alle diese Instrumente wesentlich klinischen Be- (dürfnissen ihre Entstehung verdanken. Ihre Brauchbarkeit für physiologische Untersuchungen kommt erst in zweiter Reihe. Der Physiologe hat vor allem ') E.Masing, Blutdruck des jungen und bejahrten Mensehen bei Muskelarbeit, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 74, 253, 1902. — °) Sahli, Über das absolute Sphygmo- gramm (nebst kritischen Bemerkungen), ebenda 81, 493, 1904. — *) Strassburger, Verfahren zur Messung des diastolischen Blutdrucks und seine Bedeutung für die Klinik, Zeitschr. f. klin. Med. 54, 373, 1904. — *) Derselbe, Uber Blutdruck, Gefäßtonus und Herzarbeit usw., Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1907, 8. 459. — °) Fellner, Neuerung zur Messung des systolischen und diastolischen Druckes, Verh. d. Kongr. f. innere Med. 1907, 8. 405. — °) Fellner und Rudinger, Tier- experimentelle Studien über Blutdruckmessungen, Zeitschr. f. klin. Med. 57, 125. 712 Einwände gegen die oscillatorische Methode. diese Instrumente daraufhin zu prüfen, ob sie wirklich das angeben, was sie bezeichnen, den „systolischen“ und den „diastolischen“ Druck. In dieser Be- ziehung ist allein das Tierexperiment entscheidend. Was bisher in dieser Beziehung vorliegt [vgl. vor allem die Untersuchungen von Fellner und Rudinger!)], ist in keiner Weise ermutigend. Man kann aber nicht, wie v. Recklinghausen es tut, diese Untersuchungen damit abtun, daß man sagt: „Es müssen also bei diesen Tierversuchen besonders ungünstige und von den Verhältnissen beim Menschen wesentlich abweichende Umstände im Spiel gewesen sein. Ich halte es nicht für zulässig, aus diesen unstimmigen Zahlen Schlüsse für die Messung am Menschen zu ziehen.“ Mummery?) fand bei Hunden angeblich gute Übereinstimmung zwischen den Angaben des Hg-Manometers und des Riva-Rocciapparates, Fellner und Rudinger!) fanden wenigstens für die relativen Werte Übereinstim- mung. i Am entscheidendsten dürften wohl die neueren Untersuchungen von Müller und Blauel?) sein, die bei Amputationen direkt auf blutigem Wege den Blutdruck maßen und hiermit die Resultate der Blutdruckmessung von Riva-Rocci (in der Recklinghausenschen Modifikation) und Gärtner verglichen. Sie fanden, daß der systolische Druck von beiden Apparaten mit einem Fehler von bis zu 20 Proz. angezeigt wird, wenn eine breite Binde verwendet, während bei einer schmalen Binde der angezeigte Blutdruck um 40 Proz. zu hoch ist. Alle die modernen Blutdruckuntersucher rechnen mit dem Größerwerden der Oszillationen, ohne Marey zu erwähnen, der dies Größerwerden zuerst beschrieben hat; sie brauchen zum Teil den Ausdruck „flottieren“, ohne zu bedenken, daß dies ein Mareyscher Terminus technicus ist. Marey sagt: die Pulse werden größer, weil die entspannte Arterienwand freier flottiert. v. Recklinghausen) sagt, daß bei einem äußeren Druck, der zwischen dem minimalen und maximalen liegt, die Arterie zeitweise ganz zusammengedrückt wird, und ihr Volum also in viel höherem Maße schwankt, als sonst, Recklinghausen unterläßt die notwendige Auseinandersetzung mit den von ihm nicht erwähnten Anschauungen von Marey und seinen Nachfolgern, vor allem den Italienern; und doch läßt der Umstand, daß hier mehrere Bedingungen zusammentreffen, welche eine Vergrößerung bzw. Verkleinerung der Oszillationen zur Folge haben können, es von vorn- herein als zweifelhaft erscheinen, ob wirklich, wie v. Recklinghausen will, das erste „plötzliche Größerwerden“ des Druckes genau dem Minimum, das „plötzliche Wiederkleinerwerden“ dem Maximum des Blutdruckes entspricht. Wie richtig die Mareyschen Ansichten sind, geht aus folgendem Ver- such hervor: wenn man die Aorta ganz leise berührt, fühlt man kaum den Puls, da die Aortenwand so stark gespannt ist, daß die pulsatorische Druck- erhöhung kaum merkbar wird; erst wenn man fester zufaßt, und einen Teil !) Fellner und Rudinger, Tierexperimentelle Studien über Blutdruck- messungen, Zeitschr. f. klin. Med. 57, 125. — ?) Mummery, A comparison of blood-pressure readings ete., Journ. of Phys. 32, XXIH, 1905. — °) Müller und Blauel, Zur Kritik des Riva-Rocceischen und Gärtnerschen Sphygmomano- meters, Deutsch. Arch. f£. klin. Med. 91, 1907. — *) v. Recklinghausen, l.c., 1906, S. 392 ff. Bis na Pulsschreibung. 713 der großen Spannung paralysiert — ohne aber dabei etwa die Aorta zeit- weilig zu verschließen — werden die Pulse deutlicher!). Auch beim Sphygmo- graphen ist es ja bekannt, daß man durch die Federkraft einen gewissen Druck ausüben muß, ehe man deutliche Pulse erhält. 25. Sphygmographik (Pulsschreibung). (Vgl. hierzu auch das Kapitel über die Pulswelle, $ 60 bis 68.) Unter Pulsen versteht man nach der Definition von v. Frey?) solche Bewegungen von regelmäßig wiederkehrender Art, welche mit dem Herzstoß stets gleiche Perioden innehalten. Diese Pulse kann man am Herzen und an den größeren Gefäßen meist sehen und fühlen. Am Herzen — und nach Weil®) auch meist an den großen Gefäßen — kann man die pulsatorische Bewegung außerdem noch mit dem Ohre (d. h. auskultatorisch) beobachten. Die Palpation kann man durch registrierende Instrumente ersetzen, die man Sphygmographen, bzw. wenn sie die Bewegung am Herzen selbst regi- strieren, Cardiographen nennt. Auch das Ohr hat man in letzter Zeit durch ein Mikrophon ersetzt und die Herztöne graphisch registriert. Die Sphygmographie (im engeren Sinne). Das Sphygmogramm kann auf verschiedene Weise geschrieben werden. Wir unterscheiden nach dem Vorschlag von v. Kries®t) Druckpülse, Volumpulse und Strompulse, je nachdem, ob wir den Druck oder das Volum der Arterie oder die Geschwindigkeit des Blutstromes als abhängig von der Zeit untersuchen. Dazu kommen als besondere Form der Druck- pulse die sogenannten Längenpulse (Landois). Die Volumpulse werden in dem Abschnitt über Plethysmographie (vgl. $ 281.), die Strompulse in dem über Tachograph (vgl. $ 32f.) abgehandelt werden. Zu den Druckpulsen gehören in erster Reihe die mit Manometern ' oder besser mit Tonometern gewonnenen Tonogramme, welche im $ 19 ab- gehandelt sind. Hier sollen nur diejenigen Methoden geschildert werden, welche die Pulsbewegung am unverletzten Körper zu eruieren suchen. Zu diesem Zweck hat man auf die Arterie einen gewissen Druck aus- geübt und dann die Bewegungen des drückenden Gegenstandes, meist war es eine Pelotte, registriert. Am Schlusse des vorigen Paragraphen haben wir gesehen, daß die Größe der Bewegungen der Arterienwand von dem aus- geübten Druck abhängig ist. Der Druck ist also wesentlich und ein Sphyg- mograph muß einen Druck auf die Arterie ausüben und gleichzeitig die Be- wegungen der Wandung registrieren. !) Wenn man die Arterien mit dem Finger eindrückt, empfängt der Finger allerdings nicht nur den senkrecht zur Wand wirkenden Stoß wie bei leichter Be- rührung, sondern auch den viel mächtigeren Stoß in der Richtung der Strömung. — ?) M.v.Frey, Die Untersuchung des Pulses, 8.1 u.2, Berlin 1892. — °).A. Weil, Auskultation der Arterien und Venen, Leipzig 1875. — *) v. Kries, Über ein neues Verfahren zur Beobachtung der Wellenbewegung des Blutes, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1887, 8.255 u. 258. 714 Mareys Federsphygmograph. Der einzige, der ohne jeden Druck gearbeitet hat, war Bernstein!), der, nach einem auf Czermak zurückzuführenden Prinzip, einen kleinen Spiegel über die Arterie legte und die Bewegungen eines von diesem Spiegel reflek- tierten Lichtstrahles photographisch registrierte. Die auf diese Weise her- gestellten Kurven unterscheiden sich also prinzipiell von den auf andere Weise gewonnenen, weil sie ohne jeden Druck geschrieben sind. Alle übrigen Sphygmographen aber arbeiten „mit Druck“, die älteren Apparate: Heris- sons „Röhrensphygmometer“*, Chelius „Pulsmesser“, Alisons „Sphyg- moskop“, Vierordts „Sphygmograph“, Naumanns „Hämodynamometer“ und andere besitzen nur noch historisches Interesse. Die heute gebräuch- lichen Instrumente beruhen fast alle auf dem von Marey im Jahre 1863 eingeführten Prinzip, dessen Fig.48: Schema und Theorie die bei- en achiar Ze stehende Figur illustriert. Die feststehende Schiene wird il ul: auf irgend eine Weise gegen- über dem Arm (bzw. der Arterie) fixiert. Die Stahlfeder drückt mit ihrer Pelotte die Arterie ein nina zsuneinndndssandhnnddendnnn Prinzip des Federsphygmographen mit den drei wenig zusammen und dieser ee Teilen. 3 lo si A ur A) Ts Arteria 1. die Fixationsschiene, die druckausübende Feder, Druck kann bei allen neueren 3. die Schreib- und FD chemie re Instrumenten auf irgend eine Art (in der Figur durch die Stell- schraube) reguliert werden. Man variiert so lange, bis die Ausschläge gut er- scheinen. Leider herrscht Uneinigkeit darüber, was unter „gut“ zu verstehen ist. Der eine sagt: möglichst kleine, der andere: möglichst große, ein Dritter: mög- lichst zackenreiche Kurven. Je nach dem angewandten Druck pulsiert die Arterie mehr oder weniger stark (vgl. $ 24) und diese mehr oder weniger verstärkte (und veränderte!) Bewegung der Arterienwand wird auf die Pelotte und von dieser durch einen Übertragungsmechanismus (in der Fig.48 durch das Stäbchen reprä- sentiert) auf den Hebel übertragen. An dem Übertragungsapparat ist nun hauptsächlich herumkorrigiert worden. Marey hatte. ursprünglich das Zwischenstäbchen mit der Pelotte ‚und mit dem Hebel durch Gelenke verbunden; dies erwies sich in mancher Hinsicht als unpraktisch, und B&hier?) gab eine eigenartige lockere Verbindung an, die dann von Marey acceptiert wurde. Doch ändert dies wenig, das Wesentlichste ist, wie Frey?) hervorhebt ‚(auch !) Bernstein, Fortschritte d. Med. 1880, 8.130; Czermak, -Sitzungsber. d. Wien. Akad., math.-naturw. Kl., 47 (II), 438, 1863; Herisson, vide Piorry Trait& de diagnostic et de semiologie, Paris 1837, p. 238; Chelius, Prager Vierteljahrs- schrift 21, 100, 1850; Vierordt, Die Lehre vom Arterienpuls in gesunden und kranken Zuständen, Braunschweig 1855, 8.21f.; Alison, A description of a new Sphygmoscope, Philos. magaz. and Journ. of science 12, No.80; Naumann, Bei- träge zur Lehre vom Puls, Zeitschr. f. rationelle Med. 18 (1863); weitere Literatur über ältere Sphygmographen siehe bei Landois, Die Lehre vom Arterienpuls, Berlin 1872, 8. 14 bis 72. — ?) B&hier, Bull. de l’Acad. de "med. 33, 176. — °) Frey, Untersuchung des Pulses, 1892, 8.21; Schliep, Der Dudgeonsche Sphyg- mograph, Berl. klin. Wochenschr. 1880. Modifikation von Dudgeon und Membransphygmograph. 715 0. Frank!) wiederholt im Grunde dasselbe], daß man mit kleinen Träg- heitsmomenten und kleinen Winkeldrehungen arbeiten müsse. Dies ist bei dem sehr handlichen und brauchbaren Apparat von Dudgeon zum Teil erreicht. In höherem Maße bei dem Apparat von 0. Frank!), der den oben schon erwähnten Bernsteinschen Versuch, Pulskurven mittels eines Spiegels zu erhalten, in modifizierter Weise wiederholt und angibt, damit sehr gute Resultate erhalten zu haben. Nachdem Petter?) schon früher einen Versuch, die Entwickelung des Sphygmographen vom Standpunkte der theoretischen Mechanik aus zu be- leuchten, unternommen hat, konstruierte er?) mit Frank zusammen ein neues Instrument, das im wesentlichen jedoch durchaus nach Dudgeons Prinzipien gebaut ist. Kurven, die einen Vergleich erlaubten, sind nicht bei- gegeben. > Die anderen sehr zahlreichen Modifikationen können nicht alle genannt werden. In den Arbeiten von Philadelphian ), Bloch), Coop), Guillain ”) sind einige der Apparate beschrieben, zum Teil findet man auch dort weitere Literatur. Die Apparate von Marey und Dudgeon sind oft in ihren Leistungen verglichen worden, und meist kam man dabei zu dem Resultat °), daß der Dudgeonsche Apparat der bessere ist (vgl. z. B. 0. Frank). Eine Superiorität des Mareyschen Apparates behauptet dagegen Weiss’). Auch Bätke!0), derdas Dudgeonsche Übertragungsprinzip an einem Jaquet- schen Apparat prüfte, hält die damit gewonnenen Kurven für unzuverlässig.. Eine weitere Verschiedenheit der üblichen Instrumente beruht in der Art und Weise der Schreibung. Marey und v. Frey schreiben mit tangen- tialen Hebeln, Dudgeon mit Stirnhebeln. Als Schreibfläche nimmt Marey kleine berußte Glasstreifen, Dudgeon Papierstreifen, während v. Frey, um längere Kurven zu erhalten, ein Miniaturkymographion auf den Arm mit aufbindet. Viel resoluter löst die Frage Marey, der den Sphygmographen gegen eine Mareysche Kapsel arbeiten läßt und nun mittels Luftübertragung an einem beliebig aufgestellten Kymographion registrieren kann. (Dies ist etwas anderes als der oben beschriebene gebräuchliche Mareysche Sphyg- mograph.), Es lag nahe, dann überhaupt den alten Federsphygmographen fortzu- lassen und den nötigen Druck auf die Arterie direkt durch die Aufnahme- !) 0. Frank, Die Registrierung des Pulses durch einen Spiegelsphygmo- graphen, Münch. med. Wochenschr. 1907, Nr. 42. — ?) Petter, Kritische Studie zur Entwickelung des Sphygmographen, Gießener Dissertation 1906. — ®) Frank u. Petter, Ein neuer Sphygmograph, Zeitschr. f. Biol. 49, 70, 1907. — *) Philadelphian, Le sphygmomätrograph construit par Ch. Verdain, Compt. rend. de la soc. de biol. 1896, p.199. — °) Bloch, Un perfectionnement apporte & mon sphygmomeötre, Compt. rend. de la soc. de biol. 1896, p. 745. — *) Coop, Nouveau polygraphe clinigque muni de mö&tronome et de petits tambours enscripteur trös sensible, Arch. de phys. norm. et path. 1896, p. 509. — 7) G. Guillain et N. Vaschide, Du choix d’un sphygmomi£tre, des causes d’erreur dans la mesure de la pression sanguine, Compt. rend. de la soc. de biol. 1900, p.71. — °®) L. Urban, Analyse des sphygmogrammes, Journ. de physiol. et de pathol. 8, 398, 1906. — °) Weiss, Sur la comparaison des traces obtenus & l’aide d’appareils enregistreurs differents, Compt. rend. de la soc. de biol. 1897, p. 359. — '") J. Bätke, Experimentelle Prüfung des Jaquetschen Sphygmochronographen, Rostocker Dissertation 1901. 716 Onychographen und Längenpulse. kapsel auszuüben. Zwei Modelle sind in dieser Richtung ausgebildet; bei dem einen, von Marey angegebenen, wird der Druck durch eine im Innern der Kapsel angespannte Metallfeder ausgeübt, bei dem anderen Modell, das, A Fig. 49. Prinzip der Membransphygmographen. — A nach Marey, B nach Kagenaer. soviel ich weiß, zuerst von Kagenaer angefertigt ist, ist die Membran doppelwandig, und kann durch Dazwischenblasen von Luft beliebig gespannt werden. Diese Instrumente sind besonders für die Registrierung an anderen Arterien als an der Radiasis geeignet. $ 26. Onychographen, Längenpulsschreibung und Cardiographie. a) Onychographen. Die Pulswelle wird jetzt manchmal mit sogenannten Onychographen registriert; es sind das Instrumente, welche halb Sphygmometer, halb Plethysmographen sind, und welche dazu dienen, entweder die Volumschwankungen des ganzen Fingers oder die Volumschwankungen des Nägels, speziell den sogenannten Nagelpuls zu registrieren. Solche Apparate, die mehr Plethysmographen sind, haben angegeben Laulani&'!) und Postma°). Eigentliche Onychographen, d.h. Apparate, die mittels einer Klemmvorrichtung oder auf ähnliche Weise auf den Fingernagel gepreßt werden und dessen Bewegungen in sehr vergrößertem Maßstabe registrieren, sind angegeben worden von Herz°®) und Kreidl*), Bloch’) und anderen. b) Längenpulse. Im allgemeinen mißt man die Verdickung, welche die Arterie infolge des erhöhten Blutdruckes erleidet; man kann jedoch die gleichzeitig eintretende pulsa- torische Verlängerung mittels eines die isolierte Arterie emporziehenden Häkchens, das an einen Hebel greift, messen. Landois‘) hat gezeigt, daß die so gewonnenen Kurven den Dickenkurven analog sind; eine ähnliche Methode hat dann im folgen- !) Laulanie, Sur un sphygmographe digital. Compt. rend. de la soc. de biol. 1898, p. 961—962. — ?) H. Postma, Neue Methode zur Registrierung der Pulswelle, Zentralbl. f. Physiol. 18, 495—498, 1904. — °) M. Herz, Ein Onycho- graph, ebenda 10, 143—144, 1896; Derselbe, Der Puls der kleinsten Gefäße; Onychographische Untersuchungen. — *) A. Kreidl, Ein neuer Apparat zur Auf- nahme von Nagelpulsen, Zentralbl. f. Physiol. 16, 257—261, 1902. — ®) A.M.Bloch, Production et mesure du pouls sous-ungu6al. Sphygmometre ungu6al, Compt. rend. de la soc. de biol. 2, 30—32, 1904. Un nouveau mode&le de mon sphygmo- metre, p. 32—33. — °) Landois, Beiträge zur Pulslehre, Pflügers Arch. 91, 509, 1902. Cardiographie. 717 den Jahre Ducceschi') angegeben. Ein Hinweis, in welcher Beziehung diese neue Methode der alten überlegen sein soll, findet sich bei keinem der Autoren. c) Cardiographie. (Vgl. $ 88.) ; Ähnliche Instrumente, besonders solche nach dem Prinzip der Membran- sphygmographen, hat man nun auch zur Registrierung des Spitzenstoßes angebracht, der meist nur dann gut registrierbar ist, wenn der Mensch liegt; es kommt im wesentlichen darauf an, den Apparat so zu befestigen, daß er sich bei den Atem- bewegungen nicht gegen das Herz verschiebt. Die Herzstoßkurve erlaubt jedoch kaum etwas anderes zu erkennen, als die Tatsache, daß das Herz sich überhaupt bewegt hat. Dies merkt man aber auch bei der schlechtesten Methode, und so ist es daher völlig gleichgültig, in welcher Weise der Apparat konstruiert ist. Wir übergehen daher die vielfachen in dieser Beziehung konstruierten Apparate und verweisen auf die Arbeiten von Clarke’), Cowl?), Damsch‘*), Jaquet°), Jarotzki°), Martius’), Pachon®) und vieler anderer; besonders interessant sind darunter diejenigen Untersuchungen, die an Mißgeburten oder nach Verletzungen an dem mehr oder weniger frei liegenden Herzen aufgenommen sind. Von Wert kann die Registrierung des Spitzenstoßes nur sein, wenn Herz- kontraktionen stattfinden, die keinen Puls in den Körperarterien zur Folge haben. Dies findet unter pathologischen Umständen bei den Extrasystolen statt. Zum Studium dieser Erscheinungen kann der Cardiograph in Verbindung mit einem Sphygmographen verwendet werden; in allen anderen Fällen ist die Pulsregistrierung der Herzstoßregistrierung vorzuziehen. Neuerdings hat Minkowski (1906°) die Registrierung der Her2bewegungen, ins- besondere des linken Vorhofes, yon der Speiseröhre aus, als ösophageales Cardio- gramm beschrieben, ähnlich auch Rautenberg'°). (Vgl. hierüber auch $ 96.) $ 27. Die Registrierung der Herztöne. (Vgl. $ 93.) * Mit Recht sagen Einthoven und Geluk!!): „Wenn wir erwägen, daß unser Gehörorgan ein außerordentlich empfindliches Sinneswerkzeug ist, mit welchem wir tatsächlich das Gras wachsen hören könnten — wenn nur seine chemische Energie als Schall aufträte — und daß wir ungeachtet dieser !) V.Ducceschi, Un nuovo metodo di sfigmografia (Phys. Inst. Rom.), Arch. di fisiol. 1, 79—91, 1903. — ?) A. V.Clarke and J. 8. C. Douglas, Some cardiographis tracings from the base of the human heart, Journ. of Anat. and Physiol. 37, 41—45; (von einem Kinde mit Bifurcatio sterni). — °) W. Cowl, Über Cardiögraphie, Physiol. Gesellsch. Berlin, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1895, 8.197. — *) O.Damsch, Über die Bewegungsvorgänge am menschlichen Herzen, 8, 69, Leipzig u. Wien 1897, Deutike. — °) A. Jaquet u. R. Metzner, Cardiographische Untersuchungen an einem Falle von Fissura sterni, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 70, 57 bis 80. — °) A. Jarotzky, Ein unmittelbar vom Herzen aufgenommenes Cardiogramm, Zeitschr. f. klin. Med. 35, 301 bis 314. — 7) F. Martius, Der Herzstoß des ge- sunden und kranken Menschen, (Sammlung klin. Vorträge), 8, 113, Leipzig 1895, Breitkopf u. Härtel. — °) V. Pachon, De l’exploration cardiographique chez l’homme pratiquee systömatiquement dans le decubitus lateral ganche, Arch. des seiences biol. de St. Petersbourg, 11.Suppl., (Festschr. f. Pawlow), p. 211—221. — ®) Minkowski, Die Registrierung der Herzbewegungen am linken Vorhof, Deutsche med. Wochenschr. 1906, Nr.31; derselbe, Zur Deutung von Herzarrhythmien mittels des ösophagealen Cardiogramms, Zeitschr. f. klin. Med. 62, 371, 1907. — 1%) Rautenberg, Die Registrierung der Vorhofpulsation von der Speiseröhre aus, Deutsch. Arch. f. klin Med. 91 (3/4), 1907. — "') W.Einthoven u. M.A. J. Geluk, Die Registrierung der Herztöne, Pflügers Arch. 57, 617. 718 Die Registrierung der Herztöne. großen Empfindlichkeit die Herztöne in der Regel nur dann hören können, wenn wir entweder das Ohr unmittelbar gegen den Thorax halten oder spezielle Werkzeuge wie das Stethoskop anwenden, so wird es uns klar sein, wie große praktische Schwierigkeiten mit der direkten Registrierung AnIne: schwachen Schälle verbunden sein werden.“ Die Versuche datieren denn auch alle erst aus jüngster Zeit: Als erste Notiz über einen Versuch, die Herztöne graphisch zu registrieren, erscheint eine beiläufige Bemerkung von L. Fredericq (1892), doch hat Hürthle (18932) als erster die Resultate seiner Untersuchungen publiziert. Er hat die Ströme einer kleinen Batterie durch ein Mikrophon gehen lassen, das er auf die Brustwand aufsetzte. Diese Ströme wurden in einen Induktions- apparat transformiert, und diese Induktionsströme einem empfindlichen Nerv- muskelapparat zugeleitet, der jedesmal, wenn das Mikrophon ansprach, zuckte. Einthoven und Geluk?) haben dann das Froschpräparat durch ein Capillar- elektrometer ersetzt, was in technischer Beziehung zweifellos ein Vorzug ist, da der Muskel ja doch bestenfalls den Moment des Tonbeginns anzeigen kann, während das Elektrometer auch den Verlauf, eventuell die Tonhöhe usw. be- zeichnet. In neuester Zeit hat Einthoven*) das Capillarelektrometer durch das von ihm konstruierte Saitengalvanometer ersetzt. In ähnlicher Weise, wie auch dies, unabhängig von ihm, Edelmann’) getan hat. Holowinski®) hatte schon früher die Registrierung dadurch vor- genommen, daß er den Mikrophonstrom durch ein sogenanntes optisches Telephon hindurchschickte, bei dem er die Verschiebung Newtonscher Ringe photographisch registrierte. O0. Frank’) hat die Herztöne, ohne sie in elek- trische Energie umzuformen, direkt zu registrieren versucht, indem er sie auf eine sehr leichte, mit einem Spiegel armierte Membran wirken ließ, deren Bewegungen er in üblicher Weise registrierte. Auch Hürthle®) hat einen . auf ähnlichem Prinzip beruhenden Apparat konstruiert, wobei er eine mög- lichst weitgehende Analogie mit dem Gehörorgan anstrebt. Kurven gibt er ebensowenig wie Frank. !) L. Frederieq, Über die Zeit der Öffnung und Schließung der Semilunar- klappen, Zentralbl. f. Physiol. 6, 260, 1892. — °) Hürthle, Über die Erklärung des Cardiogramms mit Hilfe der Herztonmarkierung und über eine Methode zur mechanischen Registrierung der Töne, Deutsche med. Wochenschr. 1893, Nr. 4; Über die Verbesserungen der Methode zur mechanischen Registrierung der Herz- töne und ihre Ergebnisse, Jahresber. d. schles. ‘Ges. f. vaterländ. Kultur 1895. — ®) Einthoven u. Geluk, l.c. u. Het registreeren der hartstonen, Onderz. Physiol. Labor. Leyden (2) 2, 1—29, 1896. — *) Einthoven, Die Registrierung der ‚menschlichen Herztöne mittels des Saitengalvanometers, Pflügers Arch. 117, 461, 1907. — °) Edelmann beschreibt den Apparat in den Mitteil. 4. Phys. mechan. Inst. Edelmann, 8.37, vgl. auch Selling, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 90. — ‘) A. Holowinski, Sur la photographie des bruits du coeur, Compt. rend. de l’academie des sciences 123, 162—165, 1896; ibid., Arch. d. phys. norm. et pathol. 1896, p. 893—897; Über die Photographie der zwei Herztöne, gleichzeitig mit an- deren physiologischen Wellen, Zeitschr. f. klin. Med. 31, 201 bis 211, Taf.2, vgl. Ber. 1892, S.52 u. 1896, 8.48; Mikrophonische Untersuchung der Puls- und Herz- wellen, Zeitschr. f. klin. Med. 42, 199, 1901. — 7) O. Frank, Die unmittelbare BE der Herztöne, Pflügers Arch. 57, 617, 1894; Münch. med. Wochenschr. 1904, Nr. — °) Hürthle, Zur unmittelbaren Registrierung der Herztöne, Zentralbl. a Physiol. 18, 617, 1904. in an Plethysmographie. 719 Eine andere direkte Registrierungsmethode hat Marbe!) angegeben, der ebenfalls eine Membran zur Registrierung verwendet, deren Bewegungen er mit Hilfe sehr empfindlicher Königscher Flammen registriert 2). Die mit diesen verschiedenen Methoden gewonnenen Resultate stimmen im wesentlichen untereinander überein. Nur in bezug auf den ersten Ton differieren die Ansichten von Hürthle, Einthoven und Geluk [vgl. hier- über die Angaben von Hürthle®) auf S. 288]. Einthoven geht in seiner späteren Publikation (l. c.) auf diese Frage nicht ein; die niederländische *) Arbeit von Einthoven konnte ich nicht vergleichen. Neuerdings geben Einthoven, Wieringa und Snyders?’) an, einen dritten normalen Herzton aus seinen Kurven herauslesen zu können, der kurz vor dem zweiten Herzton auftritt, wo ihn Gibson bereits früher aus- kultatorisch gehört haben will. Trotz der größten Vorsicht ist es bei all diesen Methoden äußerst schwierig, eventuelle Schwingungen der Apparatur, die ihrerseits durch gröbere mechanische Erschütterungen der Thoraxwand ausgelöst sind, mit Sicherheit zu vermeiden. Wenn man absolut einwandfreie Vorsichtsmaßregeln da- gegen ergreift, gelingt auch die Registrierung der Herztöne nicht. Die Plethysmographie, $ 28. - Allgemeine Methodik. Die Plethysmographie oder Volumschreibung (von zAr®vg — Menge) um- faßt die Methoden, welche dazu dienen, die Volumschwankungen eines Organs zu messen und womöglich graphisch zu registrieren. Da im tierischen Körper Volumschwankungen praktisch nur durch Flüssigkeitsströmungen zustande kommen, so werden die gemessenen Volumänderungen der Ausdruck von Flüssigkeitsströmungen sein. Das zu untersuchende Organ, bzw. die Extremität, wird in eine allseitig starre Kapsel eingeschlossen, die man, wenn es sich um ein einzelnes Organ handelt, häufig auch als Onkometer bezeichnet. Die Kapsel ist mit einem eventuell registrierenden Manometer verbunden und hat außerdem nur jene große Öffnung, durch welche das Organ hineingesteckt werden kann; an dieser Stelle muß die Kapsel gedichtet werden; bei Verwendung mittelweicher Vaseline kann man eine völlige Dichtung fast ohne jeden Druck erreichen. [In Fig. 50 (rechte) ist ein derartiger Plethysmograph nach Mosso ge- zeichnet.] ‘) Marbe, Registrierung der Herztöne mittels rußender Flammen, Pflügers Arch. 120, 205, 1907. — ?) Während der Drucklegung des Buches ist eine Arbeit von Gerhartz erschienen (Die Aufzeichnung von Schallerscheinungen, insbesondere die des Herzschalles, Zeitschr. f. exper. Pathol. 5 [1908]), der- angibt, ein sehr brauchbares Instrument konstruiert zu haben. — ®) Hürthle, Beiträge zur Hämo- dynamik 10; Über die mechanische Registrierung der Herztöne, Pflügers Arch. 60, 288, 1904. — *) Einthoven, Het registreeren von menschelijke hartstonen met den snaargalvanometer, Nederlandsch Tijdschrift voor Geneeskunde 2, No. 12, 1906. — °) Einthoven, Wieringa und Snyders, Über einen dritten Herzton, Ned, Tijdschr. voor Geneesk. 2, 470, 1907. 720 Plethysmographen nach Mosso, Hallion und Comte. 2 Eine Abweichung von diesem, vor allem von Mosso und Frangois- Franck ausgebildeten Verfahren weist eigentlich nur der Apparat von Hallion und Comte!) auf. Sie führen das Glied nicht in die Flüssigkeit direkt ein, sondern in einen weichen Gummisack, der in die Flüssigkeit hineingestülpt ist. Dies Verfahren hat den großen Vorteil, daß es nicht nötig ist, die Stelle, Fig. 50. Gasschlauch Plethysmograph nach Mosso. Registrierung, entweder mit der Mareyschen Kapsel (rechts) oder mit dem v. Kriesschen Tacho- graphen (links). wo das Organ in die Flüssigkeit taucht, abzudichten, da die Flüssigkeit so wie so ganz abgeschlossen ist. Die Fig.51 zeigt das sehr praktische Prinzip, das mit gewissen Modifikationen für alle Organe anwendbar ist. Als Manometer verwendete man zuerst eine Steigröhre, in der Flüssigkeit stieg, jetzt benutzt man wohl meist eine Mareysche Kapsel. Da Mareysche Kapseln aber niemals ganz dicht sind und da das Gummi zudem leicht schlecht wird, verwendete man auf Anregung von Roy?) sogenannte Piston-recorder, d.h. aus Metall oder Glas gearbeitete Röhren, in denen sich ein eingeschliffener Stempel leicht bewegte. Diese In- Zmufühı strumente sind im Gegensatz zu den Mareyschen Kapseln, welche Druckschreiber sind, mehr oder weniger echte Volumschreiber. Die URSE : Apparate waren anfangs mit Flüssigkeit a Bene ehren wowedier ba Ellis?) hat aan ersten Piston: recorder mit Luftübertragung an- gegeben. Abänderungen gaben an Johansson und Tigerstedt®), sowie Hürthle5); eine sehr brauchbare Form haben Lombard und Pillsbury®) angegeben. Ist die Kapsel mit Wasser gefüllt, so ist die Volumkurve gemäß der Inkompressibilität- des Wassers die direkte Volumkurve des Organs. Ist zur Füllung Luft verwendet, was die Empfindlichkeit erhöht, so sind ent- sprechende Korrektionen anzuwenden. !) Hallion et Ch. Comte, Recherches sur la eirculation capillaire chez ’homme ä l’aide d’un nouvel appareille plethysmographique, Arch. de phys. norm. et pathol. 1894, p.381. — .?) Roy, Journ. of Physiol. 3, 206, 1880. — °) Ellis, ebenda 7, 309, 1886. — *) Johansson u. Tigerstedt, 'Skand. Arch. f. Physiol. 1, 345, 1889. — °) Hürthle, Pflügers Arch. 53, 301, 1893. — °) Lombard u. Pills- bury, A new form of piston-recorder, Amer. Journ. of Physiol. 3, 186, 1899. . Volumschreiber. 721 Der praktischste Recorder, den man sich leicht selbst anfertigen kann, dürfte wohl der von Brodie!) angegebene Bellows-recorder (— Blasebalg- schreiber) sein; es ist ein kleiner, leichter Blasebalg, bei dem die sonst aus Leder bestehenden Teile durch dünnsten Condomgummi ersetzt sind, welcher mit Firnis an die beiden Platten angeklebt ist, von denen die eine mit einer Öffnung zum Eintritt der Luft, die andere mit einem leichten Hebel versehen ist. Der Vorteil dieses Apparates ist, daß er absolut dicht herzustellen ist. Etwaige Fehler entdeckt man sehr leicht, wenn man den Recorder mit mäßi- gem Druck unter Wasser aufbläst. Weiter ist er, da in ihm fast gar keine verzögernden Kräfte zur Wirkung kommen (Reibung, Vergrößerung der Spannüng usw.), ein echter Volumschreiber, von den bekannten Instru- menten hierfür wohl das beste. Einen sehr einfachen Recorder aus Froschdarm gibt Dixon?) an. Ein in gewissem Sinne idealer Recorder ist die Gartensche 3) Seifen- blase; sie ist naturgemäß nur verschwindend dick und folgt daher — fast masselos — jedem Bewegungsantrieb so gut wie momentan. Einen sehr einfachen Registrierapparat gibt 0. Müller) an, der den Plethysmographen auf ein mit Petroleum gefülltes Reagenzglas wirken läßt, in welchem ein Schwimmer mittels zweier Hartgummiringe leicht hin und her gleitet. Die Plethysmographie wird zu verschiedenen Zwecken PESRIRERN, Ent- weder will man damit die Blutmenge eruieren, welche unter bestimmten Umständen einem Organe mehr oder weniger zufließt als normalerweise; man nimmt an, daß das Organ sein Volumen wesentlich dadurch dauernd ver- größert, daß die Gefäße sich erweitern, und studiert auf diese Weise den Einfluß der Gefäßnerven und Ähnliches. Die Methode ist von Frangois- Franck und seiner Schule sowie von Brodie und seinen Schülern für alle einzelnen Organe speziell ausgebildet worden. Brodie hebt wohl nicht mit Unrecht hervor, daß alle Franckschen Resultate darum schwieriger deutbar sind, weil sie mit Mareyschen Kapseln und nicht mit echten Volumschreibern gewonnen sind. Mit den genannten Methoden hat man dann weiter die Blutversorgung einzelner Organe und Glieder unter dem Einfluß der Arbeit (vgl. z.B. Atha- nasiu5) oder mannigfacher anderer Einflüsse studiert (vgl. z.B. die Arbeiten von Hallion und Comte®). - Weiter hat die Volumschreibung eine sehr mannigfache Anwendung in den Händen der Psychologen gefunden, die darin ein gutes Mittel erblickten, um den Ausdruck von Gemütsbewegungen zu erkennen. !) Brodie, A new form of volume-recorder, ibid. 27, 473, 1902. — 2) Dixon, A delicate form of volume-recorder, ibid. 35, No. 3, 1907. — ») 8. Garten, Über ein neues Verfahren zur Verzeichnung von Bewegungsvorgängen und seine Anwendung auf den Volumenpuls, Pflügers Arch. 104, 351, 1904. — *) O0. Müller, Über eine neue Methode zur Aufzeichnung der Volumschwankungen bei plethysmographischen Untersuchungen am Menschen, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1904, Suppl., 8. 2038.— °)I. Athanasiu et J. Carvallo, Des modifications eirculatoires qui se produisent dans les membres en activite 6tudiees & l’aide du plöthysmographe, Compt. rend. de la soc. de biol. 1898, 8. 268—270. — °)L. Hallion et Ch. Comte, Sur la forme du pouls total fournie par notre plöthysmographie, Arch. de phys. norm. et pathol. 1897, p. 96—111 (hier auch die ältere Literatur). Nagel, Physiologie des Menschen. I. 46 722 Herzplethysmographie. Im folgenden soll nur kurz die Literatur über die Herzplethysmographie zusammengestellt werden, weil diese für das Studium des Herzens wichtig ist. Die Methodik der Fingerplethysmographie, die im wesentlichen zur Puls- registrierung bzw. Druckmessung benutzt wird, ist in $ 22 auf 8.708 erwähnt. $ 29. Herzplethysmographie und plethysmographische Geschwindigkeitsmessung. Herzplethysmographie. Luciani!) hat den Herzbeutel mit Milch angefüllt und so den Herz- beutel selbst, den er mit einer Mareyschen Kapsel verband, als Onkometer benutzt; ebenso Frangois-Franck?) und Stefani?), die die Milch durch Luft ersetzten. Fehler: Mangel einer wirklich festen und starren Kapsel. Roy und Adamy#) suchten dem abzuhelfen, indem sie eine starre: Kapsel (Onkograph) herstellten, an die das Pericard angebunden wurde. In dieselbe Zeit fallen die mehrfachen gründlichen Arbeiten von Johansson und Tigerstedt?). ‘Dieselbe Methode beschreibt Blank®) in seiner unter Verworn aus- geführten Dissertation. Vgl. auch die Arbeit von Carter”) über Herz- plethysmographie, ausführlichere Literaturangaben bei Rothberger‘). Knoll?) hat eine speziell konstruierte konische Kanüle in das Mediasti- num des sonst unverletzten Tieres eingeführt; eine damit verbundene Mareysche Kapsel verzeichnete die respiratorischen, aber auch die cardialen Volumschwankungen. Eine derartige — im Dunkeln arbeitende — Methode läßt sich immer schwer übersehen. Man hat versucht, aus dem Herzplethysmogramm Rückschlüsse auf die Blut- bewegung im Herzen zu ziehen. Da jedoch das Herzplethysmogramm als Resultate dreier an sich unbekannter Strömungen (der venöse Zufluß, der arterielle Abfluß und der wechselnde Blutgehalt in den Herzgefäßen) aufzufassen ist, sind diese Versuche wertlos. Des Genaueren wird sich dies aus der Lektüre der folgenden i Paragraphen ergeben. Nur wenn man, wie dies Rothberger. getan hat, den Ventrikel allein in den Plethysmographen einschließt, kann man daraus die vom Herzen ausgeworfene Blutmenge berechnen. Plethysmographische Geschwindigkeitsmessung. Bei gleichmäßigen Strömen durch ein Röhrensystem findet keine Volum- änderung statt, weil immer gleich viel abfließt, wie zufließt. Eine Volum- änderung kann also nur dadurch zustande kommen, daß Veränderungen in \) Lueiani, Dell’ attivita della diastole, Rivista clinica Bologna 1871. — 2) Frangois-Franck, Sur les changements de volume du coeur, Compt. rend. 84 (1877). — °?) Stefani, Cardiovolume, pressione pericardiaea e attivitä della diastole, Accad. di Ferrara 1877 (Ref. im Arch. ital. de biol. 1882). — *) Roy u. Adamy, Contributions to the physiology and pathology of the mammalian heart, Philoso- phical transactions 1892. — °) Johansson u. Tigerstedt, Skand. Arch. 1, 331, 1889; 2, 422, 1891. — °) Blank, Über Volumetrie des Herzens, Göttinger Dissert. 1905. — 7) Carter, Über Herzplethysmographie, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1898, 8.530. — ®) Rothberger, Über eine Methode zur direkten Bestimmung der Herz- arbeit im Tierexperiment, Pflügers Arch. 118, 353, 190”. — °) Knoll, Ver- zeichnung der Volumschwankungen des Herzens, Siteungehak d. Wiener Akad., math.-naturw. Kl., 1880. 2 Se nn m Das Plethysmogramm als Geschwindigkeitskurve. 723 der Strömung auftreten. Wenn für eine Weile mehr zuströmt als abfließt, wird das Volum größer; wenn mehr abströmt, wird es kleiner. Diesen Unter- schied zwischen Zustrom und Abstrom mißt man, doch gibt uns die so er- haltene Volumkurve an sich gar keinen Aufschluß darüber, ob etwa eine Volumvermehrung auf erhöhtem Zufluß oder auf erschwertem Abfluß beruht. Brodie und Russel!) klemmen, um dieser Schwierigkeit zu begegnen, durch eine besondere Vorrichtung die Vene innerhalb des Plethysmographen ab. Nun fließt nichts mehr ab und Volumvermehrung ist direkt der Ausdruck der Strömungsgeschwindigkeit. Der Versuch muß natürlich so schnell ge- macht werden, daß noch keine Stauung in den Capillaren auftritt. Meist aber bestimmt man nur die Geschwindigkeitsänderungen des Blut- stromes während eines Pulses. Hierfür gibt es zwei durchaus verschiedene Anwendungsarten der Plethysmographie, die wir im einzelnen gesondert besprechen wollen. $ 30. Das Plethysmogramm als Geschwindigkeitskurve. Bei den ersten Versuchen dieser Art wurde nur ein einzelnes Gefäß in den Apparat gebracht. Spallanzani?) bog einen kupfernen Ring um die Aorta zusammen und beobachtete, wie derselbe abwechselnd der Aorta fest aufsaß und dann wieder auf der dünner werdenden Aorta frei pendelte. Poiseuille®) hatte einen kleinen, auf zwei gegenüberliegenden Seiten mit einem runden Looch versehenen Kasten, der an der oberen Fläche ein Steig- rohr besaß. Durch die Löcher wurde die Arterie wasserdicht hindurchgeführt, und bei jedem Herzschlag beobachtete man ein Steigen des Wassers im Rohr. Bei diesen Apparaten ist kein Capillarsystem in die Kapsel ein- geschlossen. Es handelt sich dabei entweder nur um Arterien oder nur um Venen. Gemessen wird dabei der Volumzuwachs, welchen die Arterie da- durch erfährt, daß mehr Blut in die- selbe hineindrängt, als momentan dar- aus abströmen kann. Hier ist also so- wohl das Einströmen wie das Abströmen ungleichförmig, und zwar ändert sich die Einströmungs- und die Abströmungsgeschwindigkeit durchaus gleichmäßig, nur daß die erstere alle Phasen etwas früher zeigt als die zweite. Die beiden Geschwindigkeitskurven sind also kongruent, nur gegeneinander verschoben. Sei z.B. in Fig.52 EE,E, die Kurve der Einströmungs- geschwindigkeit, A A, A, die der Ausströmungsgeschwindigkeit, so wird in dem Zeitmoment x eine Flüssigkeitsmenge einströmen, die proportional xe Fig. 52. E, A, E A x x) E:; !) Brodie and Russel, On the determination of the rate of bloodflow through an organ, Journ. of Physiol. 32, XLVII, 1905. — ?) Spallanzani, Exp£eriences sur la circulation, observee dans l’universalite du syst&me vasculaire, Ouvrage, traduit de l’Italien avec des notes par Tourdes, Paris, an VII. — °) Poiseuille, Recherches sur la force du coeur aortique, Thöse 1828. 46 * 724 Das Plethysmogramm als Integralkurve der Geschwindigkeit. ist, ausströmen wird aber nur eine Flüssigkeitsmenge, die za proportional ist; ae ist also die Menge, welche mehr einströmt, als ausströmt. Wie ein Vergleich mit den analogen Verhältnissen bei x, zeigt, ist diese über- schüssige Menge proportional der Steilheit der Geschwindig- keitskurve. Da nämlich gemäß der Kongruenz der beiden Kurven ihr Abstand untereinander immer gleich bleibt und insonderheit ab gleich a, b, ist, so ist die Länge ae bzw. a,e, unter allen Umständen proportional der trigonometrischen Tangente des Winkels, welche die Geschwindigkeitskurve mit der Horizontalen bildet. Eine Kurve dieser überschüssigen Mengen würde also den ersten Differentialquotienten der Geschwindigkeit nach der Zeit, d.i. die Beschleunigung zum Ausdruck bringen. Die plethys- mographische Kurve, welche wir im Experiment erhalten, repräsentiert jedoch die Summe aller dieser überschüssigen Mengen, d. h. die Integralkurve der Beschleunigungen, und wir erhalten somit in diesem Falle die Kurve der Geschwindigkeit selbst. $ 31. Das Plethysmogramm als Integralkurve der Geschwindigkeit. Meist aber wird ein ganzes Organ in die plethysmographische Kapsel gesteckt. Hier strömt das Blut in den Arterien in die Kapsel hinein und in den Venen wieder heraus, und von den oben gedachten Beziehungen ist keine Rede mehr. Wenn man mit der Vorrichtung langdauernde Schwankungen registriert, dann kann eine Vergrößerung des Volums ebensowohl auf einer Beschleunigung des Zustroms (z.B. nach Durchschneidung des Rückenmarks), als auf einer Verlangsamung des Abstroms (z. B. nach Unterbindung der Venen) beruhen. Die ältesten Versuche dieser Art wurden von Piegu!) und Chelius?) angestellt, welche damit die cardialen und respiratorischen Volumschwan- kungen des Armes beobachteten. Graphisch registriert haben diese Schwan- kungen zuerst Buisson?), später sehr vorzüglich Fick), Mosso°), Fran- cois-Franck®). Nur unter der Voraussetzung, daß während eines bestimmten Zeit- intervalls der Zu- oder Abstrom, je für sich betrachtet, gleich bleibt, er- laubt diese Methode präzise Aufschlüsse auf die Geschwindigkeit des anderen Faktors. Wir setzen nun voraus, daß der venöse Abfluß während einer Puls- periode gleichförmig bleibt, dann wird das Volum nur dadurch geändert, daß verschieden viel Blut in den verschiedenen Momenten in die Arterien hinein- !) Piegu, Note sur les doubles mouvements observes aux membres et compar6s aux doubles mouvements, observes sur le cerveau, Compt. rend. de l’acad. des sciences 22, 682, 1846. — ?°) Chelius, Vierteljahrsschr. f. prakt. Heilkde. 21, 101, 1850. — ?) Buisson, Quelques recherches sur la circulation, Gazette med. de Paris 1861, p.311—320. — *) Fick, Ein neuer Blutwellenzeichner, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. usw. 1864, 8.583 bis 589; Untersuchungen aus dem physiologischen Laboratorium der Züricher Hochschule, I. Wien 1869, 8.50 bis 70; Die Druckkurve und die Geschwindigkeitskurve in der A. radialis des Menschen, Würzburg 1886. — ®) A. Mosso, Von einigen neuen Eigenschaften der Gefäßwand, Ber. d. sächs. Ges. d. Wissensch., math.-phys. Kl. 1874. — °) Frangois-Franck, Du volume des organes dans les rapports avec la circulation du sang, Travaux du laboratoire de Marey 2, 1, 1876. Se En Der Flammentachograph von v. Kries. 725 strömt. Hier sind also die überschüssigen Mengen direkt proportional den augenblicklichen Geschwindigkeiten in der Arterie (genauer gesagt, dem + Zuwachs der Geschwindigkeit über den mittleren Wert) und wir erhalten also die Integralkurve der arteriellen Geschwindigkeit, eine Kurve, bei der die Ordinaten das Volum ausdrücken, aber eine andere physi- kalische Bedeutung nicht besitzen. Jedoch kann man hieraus leicht die Ge- schwindigkeitskurve ableiten, die man erhält, wenn man zu der gewonnenen Kurve die Differentialkurve berechnet. Fick!) hat dies als erster getan und dabei aus dem stark ausgezogenen Plethysmogramm der Fig. 53 die gestrichelte Kurve erhalten. Das Verfahren dabei ist ein rein technisches und soll hier nicht erörtert werden (vgl. die Legende zur Abbildung). Eine sehr elegante Form einer gleichsam automatischen Differentiation hat v. Kries?) angegeben, der sich dabei der von Landois3) in die Physio- Fig. 53. Das Plethysmogramm (die stark gezeichnete Kurve) und die daraus abgeleitete Differentialkurve (gestrichelt), welche die Geschwindigkeit darstellt. — Punktiert ist die Pulskurve. Dort, wo das Plethysmogramm horizontal läuft, ist die überschüssige Geschwindigkeit gleich Null (d. h. die Geschwindigkeit ist dann gleich der Durchschnittsgeschwindigkeit — das Blut in Arterien und Venen fließt dann gleich schnell). Je steiler das Plethysmogramm steigt (oder fällt), desto größer (bzw. desto kleiner) ist die Geschwindigkeit, an den steilsten stellen hat die Geschwindigkeitskurve Maxima (oder Minima). logie eingeführten Gassphygmoskopie bediente. Wenn man die luftgefüllte plethysmographische Kapsel durch eine hinreichend weite Öffnung mit der freien Luft kommunizieren läßt, so kann es zu keiner Summation der jeweils überschüssigen Mengen kommen. Der durch die Öffnung ein- oder aus- strömende Luftstrom entspricht daher direkt der Geschwindigkeit des ar- _ teriellen Blutes (wenn man für den Ruhezustand des Luftstromes die Strömungsgeschwindigkeit in der Vene einsetzt). Die jeweilige Stärke des durch die Öffnung hinstreichenden Luftstromes bestimmte v. Kries dadurch, daß er ihn in eine Gasflamme hineinblasen ließ, deren Höhe dadurch variiert wurde. Die Höhe dieser Flamme, die, wie er angibt, „von der Geschwindigkeit des Ausströmens abhängt“, wurde auf photographischem Wege registriert. Die schöne Methode ist bisher selten verwendet, vergleiche jedoch zwei unter Sahli ausgeführte Dissertationen !) Fick, Untersuchungen aus dem physiologisehen Laboratorium der Züricher Hochschule, Wien 1869, S.50 bis 70; Die Druckkurve und die Geschwindigkeitskurve in der A.radialis des Menschen, Wärzburg 1886. — ?)v.Kries, Über ein neues Ver- fahren zur Beobachtung der Wellenbewegung des Blutes, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1887, 8.254 bis 284; Studien zur Pulslehre, Freiburg 1891, 8.143 bis 146; vgl. auch Abele, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1892, S. 22 bis 23, sowie Herweg, Arch. f. d. ges. Physiol. 47, 444 bis 447, 1890; Derselbe, ebenda 52, 480 bis 481, 1892; Derselbe, Über ein neues Verfahren zur Beobachtung der Wellenbewegung des Blutes, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 87, 254, 1887. — °) Landois, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1870; vgl. auch Klemensiewicz, Unters. Physiol. Inst., Graz 1873. 7236 Geschwindigkeit und Ausflußmenge von Ründi!) und Balli?2). Auch Erlanger und Hooker°) haben mit dem Instrument gearbeitet. Ein ähnliches Instrument, dessen Konstruktion seiner- zeit schon v. Kries auf Grund einer Bemerkung Hoorwegs angegeben hat, ist neuerdings von Frank) beschrieben (die Flamme ist durch eine aller- dings möglichst leichte Membran ersetzt). Nach den Angaben des Verf. sind seine Kurven den v. Kriesschen Tachogrammen sehr ähnlich. Tachographie (Messung der Geschwindigkeit). 8:32. Geschwindigkeit und Ausflußmenge. Bei einer variablen Geschwindigkeit, die sich von Augenblick zu Augen- blick ändert, wie dies beim Blute der Fall ist, ist es häufig unmöglich, die Geschwindigkeit in allen einzelnen Momenten zu bestimmen, und man muß sich damit begnügen, einen mittleren Wert anzugeben, was auch im all- gemeinen besonders dann genügt, wenn es sich wie beim Blute um eine rhythmische, immer wiederkehrende Bewegung handelt. Man hat dabei zu unterscheiden zwischen der mittleren Geschwindigkeit, welche man dadurch bestimmt, daß man die größte und die kleinste vorkommende Geschwindigkeit mißt und daraus das Mittel nimmt, und der Durchschnittsgeschwindigkeit, welche man in der Weise definiert, daß es diejenige Geschwindigkeit ist, welche ein Körper haben müßte, um sich während eines größeren Zeitraumes mit unveränderter Geschwindigkeit ebenso weit zu bewegen, als es der Körper in Wirklichkeit infolge der rhythmischen Geschwindigkeit tut. Diese mittlere und die Durchschnittsgeschwindigkeit sind streng zu scheiden; wenn z. B. der Körper sich länger mit der minimalen Geschwindigkeit bewegt, so wird die Durchschnittsgeschwindigkeit kleiner sein, als die mittlere Geschwindigkeit. Außerdem ist die Geschwindigkeit einer Flüssigkeit in einer Röhre inso- fern kein einheitlicher Begriff, weil die verschiedenen Flüssigkeitsteilchen ver- schiedene Geschwindigkeiten besitzen. Infolge der Adhäsion, die zwischen Blut und Arterienwand besteht, bewegen sich die äußersten Teilchen des Blutes gar nicht, die daranstoßende, mehr nach innen gelegene Schicht bewegt sich sehr langsam, weil sie — durch Kohäsion — an jener still stehenden Blutschicht hängt, und so fort, bis endlich eine Schicht kommt, die sich mit der größten, überhaupt in der Flüssigkeit vorkommenden Geschwindigkeit bewegt. Der Abstand dieser Schicht von der Wand hängt lediglich von der Geschwindigkeit und der Kohäsion der einzelnen Teile untereinander ab. Die Dicke dieser langsam sich bewegenden Schichten ist also in weiten und engen !) A. Ründi, Klinische Beiträge zur Flammentachographie, Dissert. Bern 1895. — ?) E. Balli, Über den Einfluß lokaler und allgemeiner Abkühlung der Haut auf das menschliche Flammentachogramm, Dissert. Bern 1896. — °) J. Er- langer and D. R. Hooker, The relation between blood-pressure, pulse-pressure and the veloeity of blood-flow in man, Amer. Journ. of Physiol. 10, 15, 1904. — *) Frank, Konstruktion und Theorie eines neuen Tachographen, Zeitschr. f. Biol. 32, 303, 1907. — ®) Über die Methoden, die Geschwindigkeit aus dem Plethysmo- gramm zu bestimmen, vgl. $ 30 u. 31, im übrigen vgl. auch $ 42 bis 44, sowie die sehr ausführliche Arbeit von Tigerstedt, Die Geschwindigkeit des Blutes in den Arterien (Ergebnisse d. Physiol. 4, 481, 1905), in der viel hier nicht ge- nannte Literatur angegeben ist. a ng Du ln a mu Bl ad 2 a la un ee und ihre Bestimmung. 727 Gefäßen annähernd gleich, jedoch bildet sie in weiten Gefäßen einen verhältnis- mäßig schmalen Saum, in Capillaren reicht sie bis zur Mitte !) (vgl. jedoch S. 763). Man kann daher nur, wenn man von der wirklichen Geschwindigkeit spricht, die Geschwindigkeit der einzelnen Teilchen, insonderheit die Ge- schwindigkeit des axialen Stromes meinen. Aber diese wirklichen „Geschwindigkeiten“ interessieren uns erst in zweiter Linie. Wir wollen wissen, wieviel Blut in der Sekunde durch die Arterie fließt, das ist unsere Geschwindigkeit. Und auch dies ist eine genau definier- bare Größe. In einer Sekunde sei ein Volum durch einen beliebigen Querschnitt der Röhre hindurch- getreten, das beiläufig die Gestalt, wie in der Fig. 54 A hat. Jedes Teilchen in jedem der gezeichneten Zylinder- mäntel (die natürlich in Wirklichkeit unendlich zahl- reich und unendlich dünn sind) hat dann einen Weg zurückgelegt, der entweder —= 0 oder — QS,, QS, ... QS, ist; diese Strecken sind auch die wirk- lichen Geschwindigkeiten. Nun kann ich mir aber auch die Masse des in einer Sekunde hindurch- geflossenen Blutes statt in dem kompliziert gebauten Körper in einem Zylinder repräsentiert denken, der denselben Querschnitt wie das Röhrenlumen besitzt und dessen Länge = SQ ist. Das ist dann die ge- suchte Geschwindigkeit, und das Volumen, das in einer Sekunde durch den Querschnitt strömt, ist SQ mal dem Querschnitt. Man kann die Geschwindigkeit auf doppeltem Wege bestimmen, entweder, indem man mittels eines geeigneten Apparates die wirkliche Geschwindigkeit einzelner Flüssigkeitsteilchen mißt, oder aber, indem man aus dem Sekunden- volum und dem Querschnitt die Durchschnittsgeschwindigkeit berechnet (hier- über vgl. $42bis44). Man darf aber nicht vergessen, daß die beiden Größen, um die es sich bei den erwähnten Bestimmungen handelt, nicht identisch sind. Fig. 54. %5 5% S Q $ 33. Direkte Bestimmung der Blutgeschwindigkeit. Mit dem Strompendel oder Tachometer von Vierordt 2). Derselbe ist ein leichtes, verbreitertes Pendelchen, das sich um einen fixen Punkt in der Wandung des Gefäßes dreht und Fig. 55. das von dem strömenden Blut mitgerissen und in einer schiefen Lage erhalten wird. DieGröße der Abweichung kann man an dem auf deranderen Seite des Drehpunktes = rn = hervorragenden Hebelende ab- Prinzip des Strompendels und der Pitotschen Röhrchen. HIHHHHHNHNNIKG !‘) Theoretisch nimmt allerdings in allen Gefäßen die Geschwindigkeit bis zur Mitte zu; jedoch ist diese Geschwindigkeitszzunahme schon in mäßigem Abstand von der Wand so gering, daß sie praktisch vernachlässigt werden kann. — ?) Vierordt, Die Erscheinungen und Gesetze der Stromgeschwindigkeit des Blutes, 1858, 8.10. 728 “ Die Umlaufszeit des Blutes. lesen, und wenn man den Apparat vorher mit Strömen von bekannter Geschwindig- keit geeicht hat, so kann man die Geschwindigkeit des Blutstromes berechnen. Einen ähnlichen, auf demselben Prinzip basierenden Apparat haben Chauveau?) und Lortet?) konstruiert und Dromographen genannt, derselbe ist weit besser, weil er weniger träge Massen enthält. Viel bessere Dienste leisten die Apparate, die auf dem Pripsig der Pitotschen Röhrchen beruhen. Dies Prinzip sagt aus, daß in rechtwinkelig gebogenen Röhrchen, die so, wie es die Figur zeigt, in eine strömende Flüssig- keit hineingesteckt werden, das Flüssigkeitsniveau sich in der angedeuteten Weise verschieden hoch einstellt. Aus dem Niveauunterschied kann man die Geschwindigkeit der Strömung berechnen. Derartige Apparate sind von Marey in die Physiologie eingeführt und von Öybulski dann häufig benutzt worden. Neuerdings haben auch O0. Frank?) und Zanietowskit) mit diesem Apparat Geschwindigkeitsbestimmungen angestellt. $ 34. Bestimmung der Umlaufszeit des Blutes. Dann hat man versucht, die Umlaufszeit des gesamten Blutes zu er- mitteln; da man hierbei jedoch den zurückgelegten Weg nicht kennt, ist dies nur eine Proportionalitätsbestimmung, aber keine eigentliche Geschwindigkeits- bestimmung (denn Geschwindigkeit ist —= Weg dividiert durch Zeit). Der Stutt- garter Veterinär Ewald Hering’) hat sich die Untersuchung in folgender Weise gedacht: Wenn man in das zentrale Ende einer durchschnittenen Vene eine leicht nachweisbare Substanz injiziert, so kann man bestimmen, nach welcher Zeit diese Substanz am peripheren Ende wieder austritt. Die Substanz muß dabei wirklich den ganzen Kreis (rechtes Herz, Lunge, linkes Herz, Aorta, Körpercapillaren und Venen) durchlaufen. Aber da wir gesehen haben, daß in allen Gefäßen der Achsenstrahl sich viel schneller bewegt als die Randschichten, und da wenigstens ein Teil der Substanz durch den Mittelstrahl befördert wird (ein Umstand, auf den zuerst v. Kries hingewiesen hat), so ergibt das Resultat nur die Geschwindigkeit des Achsenstrahles. Die durchschnittliche Geschwindigkeit des Blutes ist daher sicher kleiner, die Umlaufszeit größer. Hering injizierte Ferrocyankalium und fing das Blut in einzelnen Portionen mittels kleiner Gläschen auf, die vorher mit Eisenchloridlösung gefüllt waren. Der erste Tropfen des „gezeichneten“ Blutes markiert sich durch Bildung von Berlinerblau. Diese Methode wurde dann vielfach angewendet und modifiziert. Vier- ordt#) benutzte eine rotierende Scheibe, an deren Rand kleine Gläser mit !) Chauveau, Bertolus et Laroyenne, J.d. 1. Phys. 1860, p. 695; Chau- veau, Compt. rend. Acad. d. sc. 51, 948, 1860. — °) Lortet, Recherches sur la vitesse du sang, Annales des sciences naturelles 7 (1867). — °) O0. Frank, Die Benutzung des Prinzips der Pitotschen Röhrchen zur Bestimmung der Blut- geschwindigkeit, Zeitschr. f. Biol. 37, 1 bis 5, 1899. — *) Zanietowski, Kurzer Beitrag zur Lehre der Kreislaufsgeschwindigkeit, ebenda 39, 271 bis 276, 1900. — °) Hering, Versuche, die Schnelligkeit des Blutes und der Absonderungen zu be- stimmen, Zeitschr. f. Physiol. 3, 85, 1829; 5, 58, 1829. Versuche über einige Momente, die auf die Schnelligkeit des Blutlaufes Einfluß haben, Arch. f. physiol. Heilkde. 12, 112, 1853. — °) Vierordt, Die Erscheinungen und Gesetze der Strom- geschwindigkeiten des Blutes. Frankfurt 1858. a2 en ni = . Die Bedingungen des Blutdruckes im Körper. - 729 Eisenchlorid angebracht waren, in welche das Blut hineintropfte. Hermann!) vereinfachte die Methode dann weiter, indem er statt der Näpfchen eine mit Eisenchlorid-Papier bespannte Kymographiontrommel anwendete, auf die das Blut tropfte. Dann hat man andere Substanzen verwandt, um das Blut zu „zeichnen“. So hat man Taubenblut, das man an den ovalen Blutkörperchen wiedererkannte, injiziert. Diese Methode soll eine Diffusion des Ferrocyan- kaliums verhindern, die eventuell zu kurze Umlaufszeiten vorgetäuscht hätte. Stewart?) injizierte eine elektrisch gut leitende Salzlösung, die er durch die Verminderung des Widerstandes zwischen zwei in die Blutbahn an irgend einer Stelle eingeführten Drahtenden konstatierte. Dies ist insofern eine Ver- besserung, weil dabei kein Blut verloren geht und infolgedessen der Versuch beliebig oft wiederholt werden kann. Auf diesen Umstand weist besonders Steinhaus?) hin, der mit dieser Methode arbeitete und einige praktische Modifikationen derselben angibt. Die Methode von Meyer‘), der Met- hämoglobin injizierte, das er spektroskopisch nachwies, bietet denselben Vorteil, da das Blut hierbei in einem in die Vene eingebundenen Glasröhrchen spektroskopisch bestimmt wird, so daß ebenfalls kein Blut verloren geht. Die Methode ist jedoch insofern anfechtbar, weil geringe Mengen von Met- hämoglobin auf diese Weise nicht nachweisbar sind. Über die Methoden, die Kreislaufsgeschwindigkeit indirekt aus Messungen des Schlagvolums bzw. des Sekundenvolums zu berechnen, vgl. die $$ 42 und 43 über das Schlagvolum des Herzens. Viertes Kaziter, Die Bedingungen des Blutdruckes im Körper. Die eigentliche und fast einzige treibende Kraft für den Blutkreislauf ist das Herz. Das Zustandekommen dieser Kraft wird in. den Abschnitten „Das Herz als Pumpe“ und „Accessorische Herzen“ des genaueren auseinandergesetzt werden. Hier setzen wir diese Kraft als gegeben voraus. Außerdem aber treten noch eine große Anzahl von Kräften ins Spiel, die, erst hervorgerufen durch die Blutbewegung, im wesentlichen verzögernd wirken, für das Zustandekommen, des Blutkreislaufes aber von ausschlaggebender Bedeutung sind; diese Kräfte, deren allgemeine Bedeu- tung in dem Abschnitt über allgemeine Mechanik abgehandelt ist, werden am besten als Bedingungen betrachtet, unter deren Einfluß die Herzkraft wirksam wird. Unter diesem Gesichtspunkte sollen die einzelnen Bedingungen, die in $ 12 aufgeführt sind, jetzt durchgegangen werden. Elastizität. $ 35. Zustand der Wandung. Die Frage nach der Elastizität (Ausdehnbarkeit) der Gefäße kann man prak- tisch’ kaum dadurch lösen, daß man ausgeschnittene Stücke der Arterienwand durch Belastung auf ihre Ausdehnbarkeit prüft (vgl. hierüber jedoeh die älteren aus- !) Hermann, Zur Bestimmung der Umlaufszeit des Blutes, Pfügers Arch. 33, 169, 1884. — °?) Stewart, A new method of measuring the velocity of the blood, Journ. of Physiol. 11 (1890); On the circulation time in organs, ebenda 15, 1, 1894. — °) Steinhaus, Les relations entre la frequence du pouls et la duree totale de la revolution sanguine chez le chien, Arch. internat. de physiol. 5 (2), 237, 1907. — *) E. Meyer, Proced& spectroscopique pour l’&tude de la vitesse moyenne de la eirculation du sang, Compt. rend. soc. de biol. 1892. 730 Elastizität hohler Schläuche. führlichen und exakten Untersuchungen von Wertheim') und Roy?). Denn im Gefäß- system kommt es nicht auf die Wirkung eines derartig einseitigen Zuges an, sondern auf die Wirkung eines nach allen Seiten annähernd gleich starken Druckes. Es läßt sich aber durchaus nicht aus der Bestimmung der Zugelastizität etwa die Ausdehnung durch erhöhten Innendruck einfach ableiten. Man hat des- halb versucht, die Elastizität in der Weise zu bestimmen, daß man in ein Blut- gefäß Flüssigkeit unter bekanntem Druck hineinpreßte und dann die dadurch hervorgebrachte Erweiterung maß. . Ist nun auch hiermit den praktischen Be- dürfnissen durchaus genügt, so ist andererseits hierbei gerade die theoretische Fragestellung recht kompliziert, weil, wie Woods°), Klein®), zum Teil auch Kelling’), R. du Bois-Reymond°) u. a. betont haben, bei einem ausgedehnten ‘ Gefäße die Fläche, welche vom Druck getroffen wird, bei wechselndem Druck eine wechselnd große ist. Dies bedingt eine mathematisch recht schwierige Be- handlung, die R. du Bois-Reymond nur für eine kugelförmige Blase zu lösen versucht hat. Praktisch ergibt sich daraus die Schlußfolgerung, daß bei rein elastischen Kräften ein Hohlorgan durch einen im Innern ausgeübten Druck auf alle Fälle stärker erweitert wird, als es seiner linearen Ausdehnungskurve ent- spricht, und zwar nimmt diese Disproportionalität bei steigendem Druck zu. Ge- naueres läßt sich kaum sagen, da die Unterschiede bei bestimmten Formen des untersuchten Körpers sehr groß sind. Daß die Gefäße im Körper nun nicht etwa nur in der Richtung der Dicken- zunahme ausgedehnt werden, beweisen unter anderem die Untersuchungen von Fuchs’), welcher zeigen konnte, daß die aus der Leiche herausgenommene Aorta beträchtlich geringere Länge und größeren Durchmesser als in situ besitzt; sie ist also im Körper in die Länge gedehnt und dadurch im Querschnitt verkleinert. Daß dieser Zustand von Dehnung und Zusammendrückung ganz besondere Gesetze der Formelastizität bedingt, erscheint fraglos. Diese Längsspannung des Gefäß- systems ist in den verschiedenen Abschnitten desselben verschieden stark. Im Venen- system ist sie wesentlich geringer als im Arteriensystem, unter den Arterien sind die gespanntesten die Aorta abdominalis und die Femoralis. Die geringste Spannung hat der Aortenbogen, der infolgedessen auch deutlich pulsiert; überhaupt ist die geschilderte Verschiedenheit wichtig für die Verschiedenheit der Pulsform und vor allem der Pulsgeschwindigkeit in den einzelnen Arterien. Zwar konnte Marey®) einen prinzipiellen Unterschied gegenüber dem Dehnungsverlauf bei einem ausgeschnittenen Arterienstreifen nicht konsta- tieren, aber Roy’) sowie später Zwaardemaker 10) beobachteten — ganz ent- sprechend den Untersuchungen von Woods, Klein usw. —, daß bei gesunden Arterien der Volumzuwachs bei gleicher Steigerung des inneren Druckes zuerst !) Wertheim, Annal. de chimie et de phys. III 21, 394, 1847. — ?) Roy, The elastic properties of the arterial wall; the journ. of Physiol. 2, 125, 1881. Eine Zusammenstellung der Ergebnisse dieser Autoren sowie einiger anderer findet sich in Vierordt, Daten u. Tabellen S. 160, Jena 1893. — ®?) Woods, R. H., A few applications of a physical theorem to membranes in the human body in a state of tension, Journ. of anat. and physiol. 26, 362. — *) Klein, F.R., Über das Ver- hältnis zwischen Druck und Füllung bei Hohlorganen (Lungen und Herz) und dessen Ableitung aus der Längsdehnung (Phys. Inst. Kiel), Zeitschr. f. Biol. 33, 219 bis 263, 1896. — °) Kelling, Untersuchungen über die Spannungszustände der Bauchwand usw., Zeitschr. f. Biol. 44, 101. — °) R. du Bois-Reymond, Über die Beziehungen zwischen Wandspannung und Binnendruck in elastischen Hohl- gebilden, Biol. Zentralbl. 26, Nr. 22, 8.806, 1906. — 7) R. F. Fuchs, Die Längs- spannung der Aorta, Zentralbl. f. Physiol. 12, 465 bis 471, 1898; Zur Physiologie und Wachstumsmechanik des Blutgefäßsystems, Arch. £. (Anat. u.) Physiol. 1900. — °) Marey, La eirculation du sang ä l’etat physiol. ete., Paris 1881, p. 160. — °) Roy, The elastic properties of the Arterial Wall, Journ. of physiol. 9, 227/28, 1881. — !") Zwaardemaker, Over de uitzetting der slagadern door den bloeds- druk, Nederlandsch Tijdschr. Y Geneeskunde 2, Nr. 24, 61, 1888. Elastizität der Arterien .und Venen. 731 bis zu einer gewissen Grenze zunahm. Diese Grenze, also das Maximum der Ausdehnbarkeit, lag bei Kaninchen bei etwa 7,0, bei Hunden bei etwa 7,5 bis 12,5, bei Ochsen bei 10,0 bis 15,0cm Hg. Oberhalb dieser Grenze änderte sich das Verhalten, jetzt nahm bei weiterer Steigerung des Druckes die Ausdehnung langsamer zu als der Druck (Roy!) hat später angegeben, daß die Dehnungs- kurven exakte Hyperbeln seien), während dies nach dem du Boisschen Schema des Gummiballons nicht der Fall sein sollte. Die erwähnte Umkehr der Kurve, die sich bei Gummiballons nicht findet, deutet darauf hin, daß bei stärkerer Ausdehnung ein Mechanismus Platz greift, der eine weitere Ausdehnung zu verhindern sucht, sei es, daß die Gefäßmuskulatur dabei eine Rolle spielt oder sei es, daß dann erst die sonst gewellt liegenden sogenannten elastischen Fasern in Wirksamkeit treten. Auf diese Bedeutung der Muskulatur macht ganz besonders Mac William 2) auf- merksam. Jedenfalls ist die konstatierte Tatsache wichtig, daß die Arterien etwa bei dem Druck, der dem normalen Blutdruck entspricht, relativ die größte Beweglichkeit der Wandungen besitzen. Dieselbe Anpassung an die normalen Verhältnisse zeigt sich auch bei den Venen), bei denen das Maximum der Ausdehnbarkeit bei einem sehr ge- ringen Drucke liegt. Immerhin ist der Druck positiv, und wer will, mag darin einen zwar indirekten, aber darum nicht minder wertvollen Beweis dafür sehen, daß in der Norm der Blutdruck auch in den Venen positiv ist und nur unter exzeptionellen Bedingungen negativ wird. Daß der positive Druck auch eine objektive Tatsache ist, darüber vgl. S. 780. Demgegenüber haben neuerdings Herringham und Wills‘) an heraus- geschnittenen Aortastücken in gewissen Grenzen Proportionalität zwischen Dehnung und einwirkendem Druck gefunden. Ihre Versuche sind mit einem nach dem Blixschen Prinzip gebauten Apparat angestellt. Fürst und Soetbeer°) fanden nur beiniedrigen Drucken Proportionalität, bei höheren Drucken wächst der Druckzuwachs rascher als der Füllungszuwachs. Strasburger‘) hat neuerdings eine große Zahl von derartigen Bestimmungen an Aorten von Menschen ausgeführt und gefunden, daß verschiedene Typen vorkommen, ohne daß man mit Sicherheit sagen könne, der eine rühre von Kranken, der andere von Gesunden her — dagegen findet er einen deutlichen Einfluß des Alters —; die Arbeit ist vor allem deshalb lesenswert, weil in ihr sehr detailliert auseinandergesetzt wird, welchen Einfluß die Elastizität der Wandung'auf den Blutdruck und gewisse Arten seiner Messung ausüben. muß. Daß die Elastizitätsverhältnisse bei Arteriosklerose stark verändert werden, ist bekannt (vgl. hierüber Thoma’). Bemerkenswerterweise aber scheint, wenn die Arterien nur wenig geschädigt sind (d. h. Menschen oder Tieren entstammen, die an einer zehrenden Krankheit gelitten haben), jener Zu- stand, welcher bei gesunden Arterien nur bei höherem Druck auftritt, schon !) Roy, Note on the elastieity-curve of animal tissues, Journ. of physiol. IX, p. 227. — °*) Mac William, On the properties of the arterial and venous walls, Proc. Roy. Soc. London 70, 109, 1902; Proc. Physiol. Soc., Juni 1906. — °®) Roy, 1. c. 8.136. — *) Herringham, W. P., and Wills, W.A., On the elasticity of the aorta, Med.-chirurg. Transact. 87, 489—530, 1904. — °) Fürst u, Soetbeer, Experimentelle Untersuchungen über die Beziehungen zwischen Füllung und Druck in der Aorta, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 90, Heft 1 u.2. — ‘) Stras- burger, Über den Einfluß der Aortenelastizität auf das Verhältnis zwischen Puls- druck und Schlagvolum des Herzens, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 90, 368. — ’) Thoma, Das elast. Gewebe der Arterienwand und seine Veränderung bei Sklerose u. Aneurysmabildung. Festschr. 50jähr. Bestehen d. med. Ges., 8.20. Magdeburg 1898. 732 Änderungen der Elastizität und ihre Grenze. bei geringerem Drucke .stattzuhaben. Schon bei geringem Druck ist das Maximum der Beweglichkeit erreicht, und schon bei verhältnismäßig niedrigen Drucken erweitert sich die Arterie bei gleicher Drucksteigerung immer weniger. Roy (l.c.) hat dies nachgewiesen, und die neueren Versuche von Herringham und Wills kommen zu demselben Resultat, mit zunehmendem Alter nimmt die Dehnbarkeit beständig ab. Auf diesen Umstand scheinen auch die älteren Angaben von Marey zurückzuführen zu sein, der das Vorkommen derartiger Verhältnisse schlechthin beschrieben, aber nichts über den Gesundheitszustand der Tiere, denen er die Gefäße entnommen hat, angegeben hat. Es ist klar, daß diese morbide Eigenschaft der Gefäßwandung schädlich ist, denn die zuerst geschilderte Form der Elastizität bedeutet doch, daß unter den normalen Druckbedingungen das Gefäßsystem leicht eine verhältnismäßig große Menge von Flüssigkeit aufnehmen kann, ohne daß der Druck infolgedessen nennenswert zu steigen braucht. Ist diese leichte Beweglich- keit der Arterienwandung aber nur bei einem niedrigeren Drucke vorhanden, so hat das zur Folge, daß bei dem normalen Drucke eine geringe Volumvermehrung des Gefäßinhaltes sofort eine hochgradige Blutdrucksteigerung bedingt. Wieso dieser Zustand notwendigerweise die Herzarbeit erschwert, geht aus $ 10 (8. 687) hervor und braucht nicht wiederholt zu werden. Auch auf die Bedeutsamkeit dieses Be- fundes in pathologischer Beziehung sei hier nur hingewiesen. Wir dürfen hierin die Erklärung mancher Verhältnisse bei Arteriosklerotikern sehen, vor allem aber wird es hierdurch verständlich, daß es bei einem derartigen Gefäßsystem viel eher unter Umständen zu einer Zerreißung kommen wird, als bei einem normalen. Die Elastizität der Arterien im Körper ist eine vollkommene, da unter den im Körper vorkommenden Drucken eine elastische Nachwirkung nicht nachweisbar ist, Fuchs!) hat sogar gezeigt, daß selbst bei Drucken, die das doppelte des normalen Druckes betragen, eine elastische Nachwirkung praktisch nicht nachweisbar ist. Bei normalen Arterien ist intra vitam (außer bei Anwendung äußerer Gewalt) eine Zerreißung unmöglich. Die Hundecarotis zerreißt nach Grehant und Quin- quaud?) bei einem Druck von 300 bis 850 cm Quecksilber, die Arterie hat also einen mindestens 15fachen Sicherheitskoeffizienten. Weiter hat man gefunden, daß kleine Arterien einen höheren Druck aushalten als große. Daraus folgt aber nicht etwa, daß die Wand der kleinen Arterien fester ist (vgl. Tigerstedt, Lehrbuch $. 293). Wie ein capillares Glasrohr einen Druck aushalten kann, der den stärksten Dampf- kessel zerbricht, so ist es auch hier. Der Druck, den eine Fläche auszuhalten hat, ist eben nicht nur dem Drucke, sondern gleichzeitig auch der Größe der gedrückten Fläche proportional; diese ist bei Röhren proportional dem Durchmesser, und der erwähnte Befund besagt mithin nichts anderes, als daß die Wandstärke im all- gemeinen mit der Größe der Gefäße zu- und abnimmt, jedoch nicht proportional; die Wand eines doppelt so weiten Gefäßes ist nicht auch doppelt so dick, sondern beiläufig nur etwa 1'/,fach so dick, eine Tatsache, die jedem Anatomen bekannt ist, vgl. hierüber auch Fuchs'), der gezeigt hat, daß im einzelnen Abweichungen vorkommen, die sich durch Anpassung an die mechanische Inanspruchnahme der betreffenden Gefäßteile erklären lassen, z.B. sind die Nierenarterien relativ außer- ordentlich diekwandig und muskelstark. Sehr auffällig erscheint die von Grehantu. Quinquaud’°) und auch schon von “ früheren Autoren behauptete Tatsache, daß die Jugularvenen einen höheren Druck vertragen als die Carotiden desselben Tieres. Allerdings scheint aus dem Zahlen- material des Verfassers das Gegenteil hervorzugehen. Nur einmal hielt die Jugu- laris einen sehr hohen Druck aus. Sonst waren die Drucke, welche die Venen zum ‘) Fuchs, Zur Physiologie und Wachstumsmechanik des Blutgefäßsystems II, Zeitschr. f. allgem. Physiol. 2, 31, 1902; u. 1900, 1.c. — ?®)Gre&hant u.Quinquaud, Mesure de la pression n&cessaire pour döterminer la rupture des raisseaux sanguins, Journ. de l’Anat. et physiol. 21, 287, 1885. — °) Gr&hant u. Quinquand, I. e. p- 296. k Erweiterung und Verengerung der Gefäße. 733 Bersten brachten, immer, und zwar meist sehr viel niedriger als die entsprechenden arteriellen Drucke. Allen Experimentatoren ist zudem die leichtere Zerreißlichkeit der Venen bekannt; außerdem wird man bei einem Organ, das nur geringen Druck auszuhalten hat, eine geringe Widerstandsfähigkeit erwarten. $ 36. Gefäßtonus (und Lumenweite). Hier sind nur die mechanischen Folgen einer durch den Gefäßtonus bedingten Erweiterung bzw. Verengerung der Gefäße zu erwähnen. Die gefäßverengernden Nerven sind imstande, das Lumen der Gefäße zu ver- kleinern, die erweiternden Nerven sind imstande, das Lumen zu erweitern !). Es wird wohl heute von niemand mehr angenommen, daß die Erweiterung auf einer Reizung dilatatorischer (längsverlaufender) Fasern beruht, sondern nur auf einem Nachlaß der Gefäßkonstriktion. Diese Vorstellung ist allerdings nicht aus einem Verständnis der mechanischen Leistung der Gefäßmuskulatur erwachsen, sondern vielmehr meist aus Versuchen über Nervenreizung geschlossen. Direkte Reiz- versuche hat nur Fuchs (1902?) gemacht, er konnte dabei beobachten, daß die Arterien sich nur verengern, ohne dabei eine Verkürzung aufzuweisen. Danach schienen allerdings die Längsmuskeln nur zur Erhöhung der Resistenz bzw. der Elastizität der Gefäßwandung beizutragen. Die Längsmuskeln sind in der Regel viel weniger regelmäßig ausgebildet, als es meist in den Lehrbüchern schematisch angegeben wird. Meist bilden sie keine zusammenhängenden Schichten. Vor allem diejenigen, welche annehmen, daß die postganglionären Fasern nur Konstriktoren enthalten, müssen zu einer solchen Auffassung kommen. Aber auch Bayliss°), der diese Anschauungen hauptsächlich bekämpft, hat über die Wirkungsweise der Vasodilata- toren als hemmende Nerven keine andere Meinung. Für alle folgenden Über- legungen ist es zudem gleichgültig, in welcher Weise man sich das Zustande- kommen der Erweiterung vorstellt. Über die Möglichkeit, wie durch eine Kon- traktion Erweiterung zustande kommt, siehe das auf S.862 beim Herzen Gesagte. Im übrigen bezieht man sich meist bei der Annahme lumenerweiternder Längs- muskeln der Gefäße auf Exners*) Betrachtungen über die lumenerweiternde Wirkung der Darmmuskulatur; jedoch hat Exner selbst mit Rücksicht auf die histologische Struktur der Gefäße eine Lumenerweiterung der Gefäße als unwahr- scheinlich bezeichnet. $ 37. Lumenweite der kleinen Gefäße. Die Lumenveränderung findet hauptsächlich in den kleinen und mittleren Arterien, und wie man neuerdings gefunden hat, auch an den Venen statt, doch dürften diese wahrscheinlich passiv sein, denn Fuchs konnte wiederum bei direkter Reizung der Venen keine Lumenänderung an denselben beobachten. Durch die Lumenänderung kommt eine Regulation der Blutverteilung im Körper zustande. Daß diese in den kleinen Ästen und nicht auch in den großen vorgenommen wird, erscheint zweckmäßig, weil die Kaliberänderungen in kleinen Gefäßen sehr viel wirksamer sind als in großen. Denn während die Durchströmungsmenge bei weiten Gefäßen dem Querschnitt proportional !) Genaueres hierüber in dem Abschnitt „Die Innervation des Herzens und der Blutgefäße“ von F.B.Hofmann in diesem Handbuch I, 8. 287 ff. — ?) Fuchs, Zeitschr. f. allgem. Physiol. 1902. — °) Bayliss, On the origin from the spinal cord of the vasc-dilatator fibres of the hind limb, Journ. of physiol. 26, 173, 1900. — *) Exner, Über lumenerweiternde Muskeln, Sitzungsber. d. Wien. Akad. 71, III. Abteil., 4. Jan. 1877. 734 Mechanische Wirkung einer lokalen Gefäßveränderung ist, ist sie bei engen Gefäßen dem Quadrat des Querschnittes proportional, woraus hervorgeht, daß eine mäßige Änderung der weiten Gefäße belanglos sein muß gegenüber prozentual gleich großen Veränderungen an den kleinen Arterien. Dementsprechend haben auch die großen Gefäße eine relativ schwache, die kleinen dagegen eine relativ starke Muskulatur, welche die kleineren und mittleren Arterien so stark zu verengern imstande ist, daß unter Umständen ihr Lumen verschwindet (selbst bei so großen Arterien wie die Transversa faciei des Pferdes ist dies möglich, dieselbe kann beim Versuch plötzlich aufhören zu spritzen). Derartige Änderungen des Gefäßlumens haben eine doppelte Wirkung: 1. Wird durch eine Änderung der Gefäßweite an einer anderen Stelle des Systems die entgegengesetzte Gefäßänderung hervor- gerufen. Denn da das Gefäßsystem ein geschlossenes Röhrensystem darstellt, das mit einer inkompressiblen Flüssigkeit gefüllt ist, und da ein eventueller Aus- oder Eintritt von Serum durch die Gefäßwände zu langsam verläuft, so ist eine Kontraktion an einer Stelle nicht möglich ohne Erweiterung an anderer Stelle und umgekehrt. Diese Erweiterung kann auch in der Eröffnung bisher nicht durchflossener Strombahnen bestehen (vgl. die Legende zu Fig. 64, 8.762 über Capillaren). Diese Erweiterung kann aktiv oder passiv erfolgen; erfolgt sie passiv — wird also die Gefäßwand durch das an einer Stelle weggedrückte Blut ausgedehnt — so wächst damit natürlich die Spannung und der Blutdruck. Erfolgt sie dagegen aktiv durch Erweiterung eines Gefäßes, so braucht sich der Blutdruck dabei nicht zu ändern. Er ändert sich, wenn die reflektorische Erweiterung entweder nicht stark genug war, um die Verengerung zu kom- pensieren, oder wenn sie die Verengerung sogar überkompensiert. Beides kommt vor. Vor allem sind das Splanchnicusgebiet und die Hautcapillaren in dieser Beziehung regulatorische Antagonisten, ein ähnlicher Antagonismus besteht zwischen Muskel- und Splanchnicusgebiet. Die Hauptsache bilden dabei allerdings nervöse Einflüsse, wobei auch direkte Beeinflussung der Ge- fäßmuskulatur durch Änderung des Druckes in Betracht zu ziehen ist. Diese gegenseitige Abhängigkeit von Konstriktion und Dilatation hat vor allen Gerhardt!) gelegentlich seiner Untersuchungen über die Wirkung des Neben- nierenextraktes genauer beschrieben. Mit derselben Frage beschäftigen sich viele Arbeiten über Hirndruck, vgl. Literatur S. 740. 7 Fast immer beruht die Verengerung eines Gefäßes auf Kontraktion. Nur in seltenen Fällen handelt es sich um einen von außen ausgeübten Druck. Praktisch kommt dies wohl nur in Betracht bei der Kompression größerer Gefäßgebiete durch Flüssigkeitsansammlung. Hamburger’) hat dies experimentell nachzuahmen gesucht, indem er die Bauchhöhle von Kaninchen und Hunden unter Druck mit NaCl-Lösung füllte. Er fand dabei in der Tat eine parallel gehende Steigerung des arteriellen Druckes, die er für die Folge einer Steigerung der in den Abdominal- venen vorhandenen Widerstände hält. 2. Wird durch die Änderung der Gefäßweite der Widerstand in dem betreffenden Gebiete verändert, und zwar wird er durch Kon- traktion erhöht, durch Erschlaffung vermindert. Dementsprechend ändert ‘) Gerhardt, Über die Wirkungsweise der Blutdruck steigernden Substanz der Nebennieren, Arch. f..exper. Pathol. 63, 161, 1900. — ?)Hamburger, Über den Einfluß des intraabdominalen Druckes auf den allgemeinen arteriellen Blutdruck. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 2, 332, 1896. auf den gesamten Kreislauf. 735 sich auch die Geschwindigkeit, mit der das Blut durch das betreffende Organ fließt. Meist ändert sich auch das Stromvolum. Wäre nur eine arterielle Bahn vorhanden, dann würde das Stromvolum dem Widerstande umgekehrt propor- ‚tional sein und zwar in der gesamten Bahn. Wenn aber einem Gebiete das Blut abgesperrt werden sollte, dann würde es allen Gebieten gleichzeitig abgesperrt. Nun sind die Organe nicht etwa hintereinander, sondern nebeneinander (parallel) geschaltet (siehe Fig. 44 auf 8.673). Dadurch sind die einzelnen Organe in bezug auf ihre Blutversorgung voneinander relativ unabhängig, ähnlich wie bei parallel geschalteten elektrischen Leitungen eine von der anderen unabhängig ist. Auch die Blutverteilung erfolgt, wie die des elektrischen Stromes, in verzweigten Leitern (nach den Kirchhoffschen Regeln). Eine geringe Abweichung ist nur dadurch bedingt, daß, wenn sich im Blutgefäßsystem der Widerstand in einem Zweige ändert, notwendigerweise auch, wie oben aus- ' einandergesetzt, die Widerstände in den anderen Zweigen sich ändern müssen, was die Betrachtung natürlich kompliziert. Aber auch abgesehen hiervon wird die Geschwindigkeit und Menge des Blutes in allen Zweigleitungen geändert, wenn in einer Zweigleitung der Widerstand ein an- derer wird. Ein Beispiel mag dies zeigen!). Eine konstante Kraft (K) soll das Blut in dem Kreise (Fig. 56) bewegen. Wenn in dem breiten unverzweigten Stücke der Widerstand — 1, in den beiden engen Stücken je = 10 ist, so ist ‚(die Strommenge in dem unverzweigten Stücke = 10 gesetzt) die Strommenge in jedem der beiden schmalen Kanäle — 5. Wenn der eine dieser beiden Kanäle nun aufs Vierfache Fig. 56. erweitert wird, so daß der Widerstand in ihm nur noch ein Viertel von 10, also — 2,5 ist, so nimmt die ge- samte Strommenge, da die Widerstände im ganzen ja kleiner geworden sind, natür- lich zu, und zwar steigt sie in dem speziellen Falle von 1 auf 2, wie sich rechnerisch Einfluß einer Widerstandsänderung in einem verzweigten Strom- zeigen läßt. Natürlich fließt kreis aufdie Menge, bzw. Geschwindigkeit des strömenden Blutes. . . . H = Herz, W = Widerstand, M = Strommenge, nun nicht mehr gleichviel i ea r durch die beiden Kanäle, sondern durch den viermal so weiten fließt auch viermal so viel. Da durch beide zusammen doppelt so viel wie früher fließt, so Hießt durch den breiteren eine Menge — 16 und durch den schmäleren eine Menge — 4, während vorher durch beide je 5 hindurchfloß. Im breiter gewordenen Kanale hat also die Strömung beträchtlich zugenommen, in dem unveränderten hat sie etwas abgenommen, und zwar proportional der all- gemeinen Blutdrucksenkung, die ebenfalls, wie sich rechnerisch zeigen läßt, 1/5 beträgt. !) Der Einfachheit halber ist bei diesem Beispiel vorausgesetzt, daß sich durch die Erweiterung des Zweigrohres das Volum des unverzweigten Rohres nicht ändert. 736 Gefäßerweiterung und Verengerung. Eine lokale Gefäßerweiterung (ohne Kompensation) hat also zur Folge: 1. eine allgemeine Blutdrucksenkung, 2. eine bessere Versorgung des betreffenden Gebietes (aktive Hyperämie), 3. eine etwas schlechtere Versorgung sämtlicher anderer Gebiete (kolla- , terale Anämie). Eine Gefäßverengerung hat die umgekehiıte Folge: Durch die Gefäß- erweiterung und bessere Blutversorgung wird das Volum eines Organes größer; das immer erneuerte Blut wird weniger venös, das dunkle Blut der ab- führenden Venen rötet sich, und die Temperatur des Organes steigt im all- gemeinen, weil in der Zeiteinheit durch das zirkulierende Blut mehr Wärme zugeführt und an das Organ abgegeben wird!). Man sieht dies sehr schön nach der Durchschneidung von Nerven, welche hauptsächlich konstriktorische Fasern führen (z. B. Rötung und Temperaturerhöhung im Ohre des Kaninchens nach Sympathicusdurchschneidung), sowie nach Reizung von Nerven, welche hauptsächlich dilatatorische Fasern führen (z.B. Ausfluß wärmeren hellroten Blutes aus der Vena submaxillaris nach Reizung der Chorda — wobei allerdings auch die Wärmeproduktion der tätigen Drüse selbst eine Rolle spielt). Bei Gefäßverengerung, die unter Umständen so weit getrieben werden kann, daß das Gefäßlumen völlig verschwindet (sehr gut sichtbar z. B. bei Sympathicusreizung am Ohr ‘oder bei Ischiadicusreizung an der Frosch- schwimmhaut), treten die umgekehrten Erscheinungen auf, Verlangsamung des Blutstromes, Verkleinerung des Organvolums, stärkere Venosität des abfließenden Blutes, Temperatursenkung (falls Wärmeverlust im Organ statt- findet) und Blutdrucksenkung im Capillargebiete. Während man also mit Sicherheit sagen kann, daß eine Erschlaffung der Konstriktoren eine Vermehrung der Blutzufuhr zu dem betreffenden Organe zur Folge hat, tritt eine gleichzeitige Drucksteigerung im Oapillargebiete nur dann auf, wenn die Gefäßerweiterung, wie man heute allgemein annimmt, im wesent- lichen in den kleinen Arterien erfolgt. Denn die bei einer Erweiterung der Arterien immer eintretende (aber eventuell. kompensierte) allgemeine Blut- drucksenkung kann aus begreiflichen Gründen nie so groß sein, daß sie den lokalen Einfluß der Gefäßveränderung aufhöbe. Erfolgt dagegen die Gefäß- erweiterung in den Capillaren selbst, so hat das eine Drucksenkung in den Capillaren zur Folge. Das Umgekehrte gilt bei Gefäßverengerung. Dieses einfache Schema von der mechanischen Wirkung einer Änderung der Gefäßweite muß allen Untersuchungen über Gefäßinnervation, auf die hier nicht einzugehen ist, zugrunde gelegt werden. Das, was zur Geltung kommt, ist nicht immer die direkte Wirkung, sondern es sind die Folgen der Regu- lationsvorgänge, die sich anschließen und die den Druck mehr oder weniger schnell ausgleichen bzw. überkompensieren. Wir möchten aber auch hier hervorheben, daß die Mannigfaltigkeit der auf nervösem Wege vermittelten Reflexe (bzw. der durch die mechanischen oder chemischen Eigenschaften des Blutes direkt hervorgerufenen Kompensationsvorgänge) eine außerordentlich !) Wenn die dem Organ zugeführte Mehrwärme, wie bei der Erweiterung der Hautcapillaren, sofort an die Außenluft abgegeben wird, und wenn dadurch gleich- zeitig eine stärkere Wasserverdunstung von der Haut hervorgerufen wird, kann es zu einer Temperaturerniedrigung kommen. er ee Bedeutung der Gefäßweite. 737 große ist; sie verdunkeln häufig in praxi durchaus das Bild der mechanischen Vorgänge, so daß es oft schwierig ist, die mechanische Analyse durchzuführen. Wie groß die regulatorischen Fähigkeiten des Organismus sind, davon geben unter anderen die schönen Untersuchungen von Tigerstedt!) ein markantes Beispiel, der fand, daß auch nach Ausschaltung einer ganzen Lunge (das würde also rein mechanisch eine Verdoppelung des Widerstandes im Gesamtkreislauf bedeuten) der Druck im großen Kreislauf annähernd konstant bleibt, was zu beweisen scheint, daß auch mittels der halben Strom- bahn das linke Herz mit derselben Blutmenge gespeist wird, wie vorher. $ 38. Lumenweite der großen Gefäße. Wenn nun auch die Gefäßänderungen wesentlich in den kleinen Arterien vor sich gehen, und wenn auch die großen Arterien so weit sind, daß sie im all- gemeinen einer Änderung der Blutgeschwindigkeit keinen erheblichen Wider- stand entgegensetzen, so ist doch die relative Weite der größeren Gefäße nicht belanglos: sie haben sich in ihrer Weite dem mittleren Blutbedürfnis derjenigen Organe, welche sie versorgen, angepaßt, und man kann daher umgekehrt aus der relativen Weite Rückschlüsse auf das Blutbedürfnis der Organe anstellen. Der erste, der dies scharf formu- liert und die theoretischen Bedingungen dafür entwickelt hat, war Roux, in seinem „Kampf der Teile im Organismus“. Die betreffenden Daten finden sich zum Teil in den Handbüchern der deskriptiven Anatomie. Physiologisch bearbeitet sind die Beziehungen zwischen Arteriendurchmesser und Organ- gewicht von Thome&?) unter Hürthles Leitung. Die Annahme, daß die durch die größeren Gefäße strömende Blutmenge der vierten Potenz des Gefäß- durchmessers proportional sei, könnte selbst dann kaum richtig sein, wenn sie auch scheinbar durch Experimente bestätigt wird. Deshalb sollen die numerischen Resultate nicht erwähnt werden, trotzdem es aus den Unter- suchungen hervorzugehen scheint, daß gesetzmäßige Beziehungen existieren. Thom& gibt an, am höchsten sei der Blutversorgungskoeffizient der Niere, am niedrigsten der des Gehirns, die anderen Organe, z. B. das Herz, stehen dazwischen; doch scheint besonders die Angabe über das Hirn nicht einwandfrei zu sein. (Die Lunge ist von dem Verfasser nicht berücksichtigt, sie hat natürlich den größten Blutversorgungskoeffizienten, denn durch sie fließt ebensoviel Blut wie durch alle anderen Organe zusammen — allerdings ist dies eben venöses Blut, das ja nicht als Versorgungsblut gelten kann, dieses wird durch das Bronchialarteriensystem geliefert. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei der Leber.) Hierher gehört auch die oft ventilierte Frage, ob etwa die weitere linke Carotis (bzw. der Umstand, daß sie einen stumpferen Winkel mit der Strömungs- richtung in der Aorta bildet als die rechte Carotis) eine bessere Blutversorgung der linken Hemisphäre und dadurch ein anatomisch gegebenes Prävalieren der rechten Körperhälfte bedingte. Zuerst wurde in dem Artikel über !) Tigerstedt, Über den Kreislauf der linken Lungenarterie, Skand. Arch. 20, 231, 1907; 19, 44, 19, 1906. — °?) Thome&, Arteriendurchmesser und Organ- gewicht, Pflügers Arch. 81, 574, 1900. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 47 - 738 Rechte und linke Carotis. — Collateralkreislauf. vergleichende Anatomie der Encyclopaedia britannica (1810).dieser Umstand erwähnt. Ogle!) behauptete dann, daß der direkte Abgang der linken Carotis communis von der Aorta ohne vorherigen gemeinsamen Stamm mit der Subelavia eine bessere Blutversorgung der linken Gehirnhälfte bedingt, während Chud- leigh?) im Gegenteil behauptet, daß das rechte Hirn besser ernährt werde, und daß das Prävalieren der rechten Körperhälfte von der gleichzeitigen besseren Ernährung der rechten Seite herrühre.. Auch Lüddeckens?) tritt noch neuerdings für die bessere Blutversorgung des linken Hirnes ein. Die meisten neueren Untersucher dieser Frage, Sigerson®), Kellogg’), Howell®), Hecht’), Cunningham°) und Weber?) leugnen jedoch diesen Einfluß vollständig. Man sieht also, wie wenig wir imstande sind, den Einfluß der Gefäßweite im einzelnen zu beurteilen, und dabei ist der vorgetragene Fall noch weitaus der bestuntersuchte. Die anderen Untersuchungen, welche sich mit der Abhängigkeit der Blutversorgung von der Gefäßweite beschäftigen, behandeln meistens pathologische Fälle und gehören nicht hierher. Sehr interessant auch vom rein mechanischen Standpunkte sind die Untersuchungen über die Blutverschiebungen im Körper bei verschiedenen psychischen Zuständen. Doch würde ein näheres Eingehen hierauf zu weit führen. Eine gute Übersicht und genügende Hinweise auf die einschlägige Literatur findet man in der letzten Arbeit von Weber !P). Daß unter abnormen Bedingungen sich die Weite der einzelnen Gefäße außerordentlich stark ändern kann, ist bekannt. Besonders kommt dies in Betracht beim Collateralkreislauf, der aus der Erweiterung früherer enger Nebenbahnen entsteht, wenn das Hauptgefäß abgeklemmt ist. Daß diese Er- weiterung nicht etwa rein passiv durch den starken Druck des eingeengten Blutes hervorgerufen wird, darf als sicher gestellt gelten; dagegen ist die wahre Ursache noch nicht einwandfrei nachgewiesen. Nach Bier !!) kommt bei der Entstehung des Collateralkreislaufes die Eigenschaft des anämischen Gewebes, Blut aktiv anzulocken, in Betracht oder es handelt sich um mecha- nische (Recklinghausen!2),Nothnagel!?) und funktionelle (Katzenstein!#) !) Ogle, On .dextral pro-eminence, Lancet 1871, p.49. — ”) Chudleigh, Brit med. Journ. 1885, p. 1141. — °) Lüddeckens, Rechts- und Linkshändigkeit, Leipzig 1900. — *) Sigerson, Considerations on dextral pro-eminence, Proc. Roy. Ir. Akad. 1884, p. 38. — °?) Kellogg, Physiology of right and left handness, Journ. of Am. med. Ass., p. 356. — °) Howell, Influence of high arterial pressure upon the blood flow through the brain, Am. Journ. of Physiol.1, 57, 1898. — 7) Hecht, Zur Kenntnis der Rechts- und Linkshändigkeit, Deutsche med. Wochenschr. Nr. 32. — °) Cunningham, Journ. of the Anthr. of Gr. Br. 1902, p. 288. — °) .E.Weber, Ursachen und Folgen der Rechtshändigkeit, 1905. — '!°) Derselbe, Über die Ur- sache der Blutverschiebung im Körper bei verschiedenen psychischen Zuständen, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1907, 8.294. — '') A. Bier, Die Entstehung des Colla- teralkreislaufs, Virchows Archiv 147 u.153. — '*) v. Recklinghausen, Handbuch der allgem. Pathologie des Kreislaufes .u. der Ernährung, Deutsche Chirurgie Liefrg. 2u.3. — ®) H. Nothnagel, Über Anpassungen u. Ausgleichungen bei patho- logischen Zuständen, Zeitschr. f. klin. Medizin 15 u. Suppl. zw 17. — '*) M.Katzen- stein, Die Unterbindung der Aorta, ihre physiologische u. ihre therapeutische Be- deutung, Langenbecks Archiv 76; Derselbe, Über Entstehung u. Wesen des arteriellen Collateralkreislaufes, Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie 77 u. 80; Derselbe, Über eine neue Funktionsprüfung des Herzens, Deutsche Med. Wochenschr. 1904, Nr. 21 u. 22. er in . Spezielle Physiologie des Kreislaufes einzelner Organe. 739 Anpassungserscheinungen. Von diesen sind einmal die Anpassung des Herzens an die erhöhten Widerstände zu nennen (Katzenstein), während Nothnagel die allmähliche Erweiterung der Collateralen als eine Folge der durch den höheren Druck hervorgerufenen anatomischen Umwandlung der Gefäß- muskulatur und der Gefäßwandung überhaupt ansieht. (Vgl. auch die älteren Arbeiten von Pirogoff!), Latschenberger 2), Lichtheim 3) und Talma). 8 39. Spezielle Physiologie des Kreislaufes einzelner Organe. Aber auch abgesehen von der Art und Weise der Blutverteilung und von der Menge des den einzelnen Organen zuströmenden Blutes liegen die Verhältnisse bei den einzelnen Körperteilen etwas verschieden. Man könnte sehr wohl eine spezielle Mechanik der einzelnen Organe schreiben, doch sind hierzu im einzelnen noch kaum die Anfänge gemacht. Einiges ist beiläufig schon erwähnt. Die Ernährung des Herzens durch den Koronarkreislauf im $15 auf S. 694. Die Ernährung der Leber durch den kombinierten Zustrom von Pfort- ader und Leberarterie. (Siehe $ 4 auf S. 671 und 673.) Die eigenartigen Zirkulationsverhältnisse in der Niere mit den zwei hintereinander geschalteten Kreislaufsystemen und anderes mehr. (Siehe $ 4.) Eine ganz gesonderte Stellung nimmt der Lungenkreislauf ein, dessen genaue Beschreibung sich deshalb erübrigt, weil jüngst Tigerstedt5) diesem Gegenstand eine monographische, ausführliche Behandlung gewidmet hat. Vor allem aber liegen die Verhältnisse im Gehirn und auch am Auge prinzipiell anders. Es ist dies dadurch bedingt, daß hier das ganze System in eine mehr oder minder feste Kapsel eingeschlossen ist. Man hat früher ge- glaubt, daß besonders im Gehirn eine Vergrößerung des Arterienvolums eine Ver- schlechterung der Blutversorgung bedinge, weil dadurch die Venen zusammen- gepreßt und .eine venöse Stauung hervorgerufen würde. Umgekehrt sollte eine Verkleinerung des Arterienlumens eine Besserung der Zirkulation zur Folge haben. Das ist nun sicher unrichtig. Doch ist die ganze Frage nach der Blutversorgung im Schädel eine heute noch ungeklärte, soweit es sich eben um Besonderheiten der Zirkulation im Schädel handelt. Auch ist eine gesonderte Betrachtung genannter Spezialfälle im Rahmen dieses Abschnittes deshalb schwierig, weil hierbei nervöse Einflüsse wesentlich mitsprechen. Es mag also genügen, in bezug auf den Hirnkreislauf, dessen ganz besondere mechanische Bedingungen an sich sehr wohl eine gesonderte Betrachtung verdienten, auf die unten zusammengestellte Literatur zu ver- weisen, vor allem auf die zusammenfassenden Darstellungen von Geigel (1890), Hill(1896), Fuchs (1899), Kocher (1901) (vgl. auch hierzu den $ 9, S. 683), wo !) Pirogoff, Über die Möglichkeit der Unterbindung der Aorta abdominalis. Journ. d. Chir. u. Augenheilkunde 24, 1838. — ?) Latschenberger (u. Deahna), Beiträge zur Lehre von der reflektorischen Erregung des Gefäßmuskels, Pflügers Archiv 12, 157, 1876. — ®) Lichtheim, Die Störungen des Lungenkreislaufes und ihr Einfluß auf den Blutdruck, Berlin 1876. — *) Talma, Über collaterale Zirku- lation, Pflügers Archiv 23, 231, 1880. — °) Tigerstedt, Der kleine Kreislauf, Er- gebnisse d. Physiol. 2. Jahrg. II, 1903. 47* 740 Hirnkreislauf. sich die Angaben über die hydrostatischen Verhältnisse im Gehirn zusammen- gestellt finden. W. M. Bayliss u. L. Hill, On intra-cranial pressure and the cerebral circu- lation, Journ. of Physiol. 18, 334, 1895. — Berger, Zur Lehre von der Blut- zirkulation in der Schädelhöhle des Menschen, Fischer, Jena 1901. — Cannon, Cerebral Pressure following trauma, Amer. Journ. of Physiol. 4, 91, 1901. — Cramer, Experim. Untersuchungen über den Blutdruck im Gehirn, Inaug.-Diss. Dorpat 1873. — Dean, Cerebro-Spinal Pressure, Journ. of Pathol. and Bacteriol. 1892. — R.F. Fuchs, Zur Regulierung der Blutzirkulation im Gehirn, Sitzungsber. d. deutsch. naturwissensch. Vereins für Böhmen „Lotos“ 1899, Nr.3. — Gärtner u. Wagner, Über den Hirnkreislauf, Wien. med. Blätter 1887. — Geigel, Die Mechanik der Blutversorgung des Gehirns, Stuttgart 1890. — Derselbe, Ein hydro- dynamisches Problem in seiner Anwendung auf den Gehirnkreislauf, Sitzungsber. d. phys.-med. Ges., Würzburg 1903; Arch. f. pathol. Anat. 174, 434. — Derselbe, Die Rolle des Liquor cerebralis bei der Zirkulation im Schädel, Pflüg. Arch. 109, 337, 634, 1905. — H. Grashey, Experimentelle Beiträge zur Lehre von der Blut- zirkulation in der Schädelrückgrathöhle, Festschr. £. Buchner, München 1892. — L. Hill, On intra-cranial pressure, Proceed. Roy. Soc. 55, 52, 1894. — Derselbe, The physiol. and pathol. of the cerebral eirculation, London 1896. — Derselbe, Syncope produced in rabbits by the vertical feet down position, Journ. of Physiol. 22, LIIH, 1898. — Derselbe, On cerebral anaemia and the effects wich follow ligation of the cerebral arteries, Proceed. Roy. Soc. 66, 480, 1900. — Howell, The influence of high arterial pressure upon the blood flow through the brain, Amer. Journ. of Physiol. 1, 57, 1898. — Jensen, Zur Mechanik des Gehirnkreislaufes, Pflügers Arch. 107, 81, 1905. — Th. Kocher, Hirnerschütterung, Hirndruck und chirurgische Eingriffe bei Hirnkrankheiten, Hölder, Wien 1901 (vgl. hier vor allem das vorzüglich geschriebene Kapitel „Zur Physiologie der Hirnzirkulation*). — Knoll, Über die Druckschwankungen in der Cerebrospinalflüssigkeit und den Wechsel in der Blutfülle des zentrischen Nervensystems, Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. 93 [3], 1886. — Derselbe, Beiträge zur Lehre von der Blutbewegung in den Venen, III. Mitt., Über Wechselbeziehung zwischen den Druckverhältnissen in den Arterien und Venen des großen Kreislaufes, Pflügers Arch. 73 (1898). — Lewandowsky, Zur Lehre von der Cerebrospinalflüssigkeit, Zeitschr. f. klin. Med. 40, 480, 1900. — Lewy, Zur Lehre von der Blutbewegung im Gehirn, Arch. f. experim. Pathol. 50, 319, 1908. — Mosso, Über den Kreislauf des Blutes im menschlichen Gehirn, Leipzig 1881. — Nothnagel, Die vasomotorischen Nerven der Gehirngefäße, Virch. Arch. 40 (1867). — Orleansky, Über die kranio-cere- brale Blutzirkulation bei akuter Asphyxie mechanischen Ursprungs, Diss. aus Bech- terews Laboratorium 1902. — Reiner u. Schnitzler, Über die Abflußwege des Liquor cerebrospinalis, Strickers Fragmente a. d. Gebiet d. experim. Pathol. 1894. — Dieselben, Beitrag zur Kenntnis der Blutzirkulation im Gehirn, Arch. f. experim. Pathol. 38, 249. — Dieselben, Zur Lehre vom Hirndruck, Wien. med. Blätter 1895, Nr.20. — Roy u. Sherrington, On the regulation of the bloodsupply of the brain, Journ. of Physiol. 9 (1890). — Siven, Experimentelle Untersuchungen über den Einfluß der Körperstellung und Respiration auf die Gehirnbewegung beim Hunde, Zeitschr. f. Biol. 35, 506, 1897. — Derselbe, Beitrag zur Kenntnis des nor- malen intrakraniellen Druckes, Skand. Arch. “2. Physiol. 8, 347, 1898. — Spina, Experim. Untersuchungen über den Einfluß von Rückenmarkdurchtrennung auf den Kreislauf des Gehirns, Wien. klin. Wochenschr. 1897. — Derselbe, Experim. Beitrag zur Kenntnis der Hyperämie des Gehirns, Wien. med. Blätter 1898. — Derselbe, Über den Einfluß des hohen Blutdruckes auf die Neubildung der Cere- brospinalflüssigkeit, Pflügers Arch. 80, 390, 1900; Untersuchungen über die Re- sorption des Liquors bei normalem und. erhöhtem intrakraniellen Druck, Pflügers Arch. 83, 120, 415, 1900. — Wiechowski, Über den Einfluß der Analgetica auf die intrakranielle Blutzirkulation, Arch. f. experim. Pathol. 48, 376, 1902. — Der- selbe, Über experimentelle Beeinflussung des Kontraktionszustandes der Gefäße des Schädelinnern, ebenda 52, 389, 1905. — Ziegler, Über die Mechanik des normalen und pathologischen Hirndruckes, Arch. f. klin. Chirurgie 53 (1896). he Blutmenge. 741 Über die Zirkulationsverhältnisse im Auge vgl. vor allem die klassische Arbeit von Leber in Gräfe-Sämisch Handb. d. ges. Augenheilkunde, 2. Aufl., 52. bis 58. Lieferung, sowie den Abschnitt über die Ernährung des Auges von Otto Weiss in dem ersten Bande dieses Handbuches auf S.448 bis 468, wo sich auch die notwendige Literatur findet. Über die Zirkulationsverhält- nisse in den anderen Organen ist bis jetzt zu wenig bekannt, als daß sich eine gesonderte Betrachtung empfehlen würde. $ 40. Blutmenge. Die im Körper eines Menschen enthaltene Blutmenge wird auf Grund verschiedenartigster Erwägungen auf 7,7 Proz. (1/,; des Körpergewichts) ge- schätzt. Das sind für einen Menschen von 60 kg etwa 4,6 kg. Die Methoden, die Blutmenge zu bestimmen, beruhen auf der tinktoriellen Kraft des Blutes, auf seinem Gehalt an Blutkörperchen, auf irgend einer chemischen Eigenschaft des Blutes oder Ahnlichem; sie sind daher unter der Physiologie des Blutes abzuhandeln. Die gesamte in dem Gefäßsystem enthaltene Blutmenge muß von großem Einfluß auf den Blutdruck sein. Wenn in einem System von elastischen "Röhren Flüssigkeit abgelassen wird, sinkt der Druck, wenn neue Flüssigkeit hineingepreßt wird, steigt er. So ist es auch beim lebenden Tier. Aber beides, Steigen und Sinken, findet nicht in dem Maße statt, wie es nach mechanischen Gesetzen der Fall sein müßte. Ist schon gleich bei der Trans- ‘ fusion bzw. dem Aderlaß der Blutdruck „normaler“, als er sein müßte, so haben vor allem die Experimente von Magendie!) und der Ludwigschen Schule [Tappeiner?), Worm-Müller?) u. a.] ergeben, daß auch die über- haupt auftretenden Änderungen sehr schnell wieder vorübergehen. Nach den genannten Autoren hat sowohl Blutentziehung bis zu 40 Proz. der gesamten Blutmenge (das wären für einen Menschen fast 2 Liter) als auch Bluttransfusion von mehr als dem 1!/,fachen der gesamten Blutmenge keinen erheblichen dauernden Einfluß auf den Blutdruck. Dem stehen nur die Angaben von Ronsse*) gegenüber, welcher bereits nach Entziehung von 1, Proz. der Blutmenge beim Kaninchen, 1 Proz. beim Hunde den Druck bis zu einem gewissen Grade wieder ansteigen sah, aber eine geringe Blut- druckerniedrigung dauernd gefunden haben will. Die Mehrzahl der Versuche beweist also, daß der Körper über aus- gezeichnete Regulationsmechanismen verfügt. Diese Regulationsmechanismen, welche einer Überfüllung des Gefäßsystems vorbeugen sollen, sind an ver- schiedenen Stellen gesucht worden. 1. Die Leber soll einen großen Teil der zugeführten Menge aufnehmen [Stolnikow°), Dastre et Loye°), Johansson und Tigerstedt’)]. !) Magendie, Compt. rend. de l’Acad. 1838, p. 55. — *) Tappeiner, Ber. d. sächs. Gesellsch. d. Wissensch., math.-physik. Kl, 1872, 8. 199. — °) Worm- Müller, ebenda 1873, 8. 573. — *) J. Ronsse, Einfluß des Aderlasses auf den Blutkreislauf, Zentralbl. £. Physiol. 12, 377 bis 380, 1898. — °) Stolnikow, Die Eichung des Blutstromes in der Aorta des Hundes, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1886, 8.46. — °) Dastre u. Loye, Le lavage du sang 1888; Arch. de physiol. 4 (2) 93,:1888. — 7) Johansson u. Tigerstedt, Über die gegenseitigen Beziehungen des Herzens und der Gefäße, Skand. Arch. f. Physiol. 2, 396, 1889. 742 Konstanz des Blutdruckes. 2. Transsudation in Brust und Bauchhöhle, sowie in das Unterhaut- bindegewebe [Worm-Müller!) und v.Regeczy°)]. Über die Frage, wie weit diese Transsudation wirksam ist, vgl. Cohnstein und Zuntz°), welehe nachwiesen, daß erst eine Stunde nach der Transfusion eine höhere Konzentration beobachtet wird. 3. Vermehrte Sekretion des Darmes und der Niere (Dastre und Loye). Da aus den Arbeiten von Erlanger und Hooker‘) hervorgeht, daß die. Intensität der Nierensekretion direkt proportional dem Blutdruck ist, so geht die vermehrte Sekretion so lange vor sich, bis der normale Druck und damit auch die normale Blutmenge erreicht ist, vgl. jedoch auch den Abschnitt von Metzner in diesem Handbuch. 4. Gefäßerweiterung, wahrscheinlich Depressorwirkung. Bei Verblutung treten die umgekehrten Erscheinungen ein. Die Leber gibt das Reserveblut, wenn auch sehr allmählich, her, Serum transsudiert aus den um- gebenden Geweben in das Gefäßsystem, das sich in seinen peripheren Ausläufern' kontrahiert, und die Nierentätigkeit stockt. Man sieht, alle diese Momente dienen dazu, trotz der veränderten Blutmenge den normalen Blutdruck aufrecht zu erhalten; das ist wichtig, denn einmal kann die Ernährung in den Capillaren nur bei normalem Blutdruck erfolgen, dann aber — und das ist für die Mechanik des Kreislaufs wichtiger — kann das Herz nur bei annähernd normalem Druck gut arbeiten. (Vgl. Abschnitt über Innervation der Gefäße.) Bei einer geringen Vermehrung der Blutmenge wirft zwar das Herz mehr aus als in der Norm, aber bald kann das Herz die große Flüssigkeitsmenge nicht mehr bewältigen (Johansson u. Tigerstedt?°) auf Grund plethysmographischer Versuche). Es liegt nahe, hierbei an die Oertelschen Anschauungen über das Vermaiiih des Herzens bei zu großem Flüssigkeitsgenuß zu denken, doch scheint diese Vor- stellung auf Grund Pawlowscher‘°) experimenteller Untersuchungen, bei denen Hunde, die mit wasserarmer und mit wasserreicher Kost gefüttert wurden, denselben Blutdruck hatten, unrichtig zu sein. Wahrscheinlich handelt es sich auch bei dem - Bierherzen nicht um eine Wirkung der zu viel genossenen Flüssigkeit, sondern trotz allem um eine direkte Alkoholwirkung. Es kommt eben bei reichlicher Flüssig- keitsaufnahme in den Darm gar nicht zu einer merklichen Vermehrung des Blutes; schon die geringste Blutdrucksteigerung infolge beginnender Plethora führt bei gesundem Herzen zu einer vermehrten Harn- und Schweißabsonderung, so daß es zu einer Störung nicht kommen und man fast sagen kann, jeder eingeführte Tropfen wird gleich von der Niere bzw. Haut wieder ausgeschieden; allerdings tritt auch eine stärkere Infiltration in das Bindegewebe bei kontinuierlich vermehrter Flüssigkeits- zufuhr auf — ob allerdings hierauf das schwammige Aussehen der Säufer direkt beruht, ist nicht ausgemacht. Nur in exzessiven Fällen, wenn man dem Tiere ganz das Wasser entzieht, kommt es zu einer Veränderung, in diesem Falle also zu einer Verminderung der Flüssigkeit auch im Gefäßsystem und zu einer, wenn auch mini- malen Blutdrucksenkung. Johansson u. Tigerstedt°) haben schon früher darauf N . daß Kochsalz- (resp. Ringer-)lösung sogar besser sei als defibriniertes Blut. C. Tiger- stedt?) schreibt das dem Umstande zu, daß bei der Bluttransfusion nicht wie bei Kochsalztransfusion durch Verdünnung des Blutes der peripherische Wider- stand herabgesetzt wird. !) Worm-Müller, l. e. 8. 647. — ?) v. Regäczy, Die Ursache der Stabilität des Blutdruckes, Pflügers Arch. 37, 73, 1885. — °) Cohnstein u. Zuntz, Unter- suchungen über den Flüssigkeitsaustausch zwischen Blut und Geweben unter ver- schiedenen physiol. und pathol. Bedingungen, Pflügers Arch. 42, 317, 1888; vgl. auch ebenda 8. 342. — *) Erlanger u. Hooker, An experimental study of blood- pressure and of pulse-pressure in Man, Johns Hopkins Rep. 12, 145, 1904. — °) Johansson u. Tigerstedt, Skand. Arch. 1, 394, 1889. — °) Pawlow, Ex- perimenteller Beitrag zum Nachweis des Accommodationsmechanismus der Blut- gefäße, Pflügers Arch. 16, 266, 1878 und Innervation der Blutbahn 20, 213, 1879, — ?) C. Tigerstedt, Zur Kenntnis des Kreislaufes bei vermehrter Blutmenge. Skand. Arch. 20, 197, 1908. Verblutung und Transfusion. — Relative Konstanz der Blutmenge. 743 Wenn nun aber einmal plötzlich durch Verblutung das Gefäßsystem relativ leer wird und demzufolge der Blutdruck stark sinkt, dann entsteht ein Circulus vitiosus: Das Herz, das den Blutdruck wieder herstellen sollte, kann nur arbeiten, wenn es durch einen genügend hohen Blutdruck ernährt wird; unter diesen Umständen wirkt eine Kochsalztransfusion (Blut kann man nur von denselben oder verwandten Tiersippen nehmen, also beim Menschen nur von anderen Menschen oder von den allerdings schwer zu beschaffenden Anthropoiden) lebensrettend. Die Fig. 57. Wirkung einer intravenösen Kochsalztransfusion beim entbluteten Tier. auf Fig.57 abgebildete Kurve illustriert einen derartigen Versuch beim Kaninchen; . das Tier war aus einer Carotis verblutet, bis kein Tropfen Blut mehr herausfloß und das Herz, wie die Kurve zeigt, still stand. Dann wurde die Carotis unter- bunden und man ließ in die Vena jugularis Kochsalzlösung einfließen. Man sieht, daß der abgesunkene Blutdruck beim Einfließen nicht steigt, und daß erst die wieder erwachende Herztätigkeit diese Steigerung im arteriellen System hervorruft, und zwar sicherlich, ehe eine so große Menge von Flüssigkeit in das Gefäßsystem geflossen ist, daß sie durch ihre Menge etwa imstande wäre, den Blutdruck zu heben (als die Herztätigkeit beginnt, sind etwa 2ccem eingeflossen). Plethora und Blutarmut. Bei der Schnelligkeit, mit der Blut bzw. Serum aus dem Gefäßsystem heraus- und hineindiffundiert, kann eine dauernde Plethora bzw. eine dauernde Blutarmut des Körpers nur durch Änderung der Sekretions- verhältnisse in der Gefäßwand zustande kommen. Plethora bzw. wahre Blut- armut sind daher immer sekundäre Zustände; ihr eigentlicher Grund liegt in krankhaften Veränderungen der Gefäßwand bzw. in einer Abänderung der Innervationsverhältnisse. Die Blutmenge ist von Sekretionsverhältnissen abhängig, von der Menge hängt wiederum der Blutdruck ab. Hill!) hat also durchaus recht, wenn er seine diesbezüglichen Versuche dahin zusammenfaßt, daß er sagt: Wenn ein derartiger positiver Mitteldruck im Gefäßsystem existiert, so muß er vom osmoti- schen Druck des Blutes oder irgend einer Selektivkraft des Capillarepithels her- rühren. Es ist kein Gegenbeweis, daß es auch anders bedingte pathologische Fälle von wahrer Plethora resp. Anämie gibt. So ist es bekannt, daß gewisse Anämien Chlorotischer auf ein von Natur relativ zu enges Gefäßsystem zurückzuführen sind. Hierbei ist jedoch keine Wirkung auf den Blutdruck vorhanden. Wenn man einem Tiere so viel Kochsalzlösung ins Blut injiziert, daß die Niere nicht imstande ist, genügend davon auszuscheiden, so bleibt die Flüssigkeit dennoch nicht im Gefäßsystem, sondern diffundiert in das Unterhautzellgewebe (Anasarka); besonders der Panniculus adiposus in den Weichen findet sich unter diesen Um- ständen immer sulzig durchtränkt (Knoll?); vgl. auch die Arbeit von Baranoff?). ») Hill, On the residual pressures in the vascular system when the cireulation is arrested, Journ. of Physiol. 28, 122, 1901. — *) Knoll, Bemerkungen zur In- fusion blutarmer physiologischer Kochsalzlösung in das Gefäßsystem, Arch. f. experim. Pathol. 36 (3/4), 293. — ®) Katharina Baranoff, Beiträge zur Theorie der Flüssigkeitsentziehung in der Behandlung der Zirkulationsstörungen. (Med. Klin. Bern.) Dissertation. 8. 60 S. Bern 1895. 744 Infusion von Gasen. Hier soll auch die oft ventilierte Frage erwähnt werden, inwieweit die Infusion von Gasen schädigend wirkt. Daß eine geordnete Zirkulation unmöglich ist, wenn erhebliche Mengen von Gas im Gefäßsystem sind, beruht im wesentlichen auf rein mechanischen Gründen [vgl. z. B. Francois-Franck'!)]. Jedoch war die Furcht vor Lufteintritt, besonders die der Chirurgen bei Operationen am Halse, über- trieben. Als man sich gelegentlich der modernen Sauerstoffinfusionen näher mit dem Treiben von Gasen im Blute beschäftigte [vgl. vor allem die Arbeiten von Magnus®), Thunberg‘®) und Gärtner‘)], sah man, daß selbst Gasmengen, die ein Plätschern im Herzen hervorrufen, das noch in nicht gar zu großer Entfernung vom Herzen hörbar ist, ungefährlich sind. Das Schlagvolum des Herzens. $.4l. Bedeutung des Schlagvolums. Bei gleichbleibender Pulsfrequenz sind Schlagvolum des linken ‘ Herzens und Stromstärke (d. h. die Geschwindigkeit) in der Aorta ein- ander proportional. Durch die Bestimmung der einen Größe ist also .die andere gegeben und damit zugleich das Schlagvolum des rechten Herzens, das ebenso groß sein muß wie das des linken, weil es sonst zu einer Stauung käme. Nur in der Agone tritt nach Buday’) eine relativ stärkere Füllung des rechten Herzens ein. Demnach bestehen die Untersuchungsmethoden, um das Schlagvolum zu bestimmen: . 1. in einer direkten Ausmessung der Ventrikelkapazität; 2. in einer indirekten Berechnung aus der Stromgeschwindigkeit in der Aorta resp. aus dem Sekundenvolum; dazu kommt 3. der von Hoorweg (1898) zuerst unternommene Versuch einer Bi rechnung des Schlagvolums aus der Pulskurve. Komplizierter sind die Beziehungen des Schlagvolums zum Blutdruck. Bei einer übermäßigen Steigerung des Aortendruckes müßte ein Moment kommen, in dem das Herz kein Blut mehr auswerfen kann. Es wäre jedoch falsch, anzunehmen, daß bei dem niedrigsten möglichen Drucke das Schlagvolum am größten ist und bei höherem Drucke immer kleiner werden muß. -Wir wissen, daß ein Muskel bei einer gewissen Spannung das Maximum der Arbeit zu leisten vermag; wenn auch die einfache mechanische Übertragung der Fickschen Vorstellung von isometrischer und isotonischer Muskelzuckung auf die Herzsystole, wie sie. durch Frank’) vorgenommen, !) Francois-Franck, Ch. A. Sur les mecanismes de la mort ä la suite de Ventree de l’air dans les veines: Embolies coronaires cardiaques arterielles et veineuses. Compt. rend. de la soc. de biol. 1903, 960 bis 962. — ?) R. Magnus, Die Tätigkeit des überlebenden Säugetierherzens bei Durchströmung mit Gasen. Arch. £. exper. Pathol. 47, 200 bis 208. — °) T. Thunberg, Über das Treiben von Gasen durch das Gefäßsystem. Verhandlungen in Helsingfors 8. 54 bis 58. — *) Gärtner, Über intravenöse Sauerstoffinfusionen. Wien. klin. Wochenschr. 1902, Nr. 27/28. — °) K. Buday, Über die Herzfüllung während des Lebens und nach dem Tode (von Baschs Labor., Wien), Zeitschr. f. klin. Med. 28, 348, 1895. — 6) Hoorweg, Über die Blutbewegung in den menschlichen Arterien, Pflügers Arch. 46, 177, 1889. — 7) Frank, Zur Dynamik des Herzmuskels. Zeitschr. f. Biol. 32, 370, 1895. Derselbe, Isometrie und Isotonie des Herzmuskels. Ebenda 31, 14, 1901. in 2 er ie ed ie ee 09 Se ee ee Se Me Bedeutung des Schlagvolums. 745 nicht ohne weiteres zulässig ist, weil ja eine Herzsystole gar keine einfache Zuckung ist, so haben wir doch ähnliche Verhältnisse auch für das Herz an- zunehmen (vgl. hierzu $ 78 auf 5.818). Genauere Angaben hierüber fehlen allerdings, doch scheint es, daß praktisch der arterielle Druck keinen gar so großen Finfluß auf das Schlagvolum besitzt (vgl. Johansson und Tiger- stedt!). Allerdings hat Frank am Frosch festgestellt, daß bei gleich- bleibendem venösen Zufluß mit steigendem Aortendruck die Schlagvolumina erst zu- und jenseits einer gewissen Grenze wieder abnehmen. Neuerdings?) hat auch Tigerstedt seine älteren Untersuchungen °) über den Blutstrem in der Aorta wiederholt und kommt dabei zu Resultaten, die in der Tat zu beweisen scheinen, daß beim Kaninchen die vom Herzen geförderte Blutmenge bei einem mittleren Drucke von etwa 8cm Hg ihr Maximum erreicht, während sie bei höherem und niedrigerem Druck stark: und deutlich absinkt. Diese Feststellungen scheinen wertvoll trotz der mannigfachen kritischen Bedenken, die Tigerstedt selbst ausführlich hervor- hebt, und die im wesentlichen darin bestehen, daß bei den von ihm ver- wendeten Mitteln der Blutdruckänderung gleichzeitig und bedeutsam der peripherische Widerstand geändert wurde. Anders ist es mit dem venösen Drucke. Von diesem ist das Schlagvolum in hohem Grade abhängig, denn wenn nichts in das Herz hineinfließt, kann natürlich trotz größter Kraft- entfaltung auch nichts hinausgeworfen werden. Die Tatsache, welche Howell und Donaldson) gezeigt haben, daß, wenn der Druck in den Venen völlig schwindet, auch das Schlagvolum verschwindet, ist wohl gleichzeitig der beste Beweis dafür, daß das Herz nicht in nennenswerter Weise als Saug- pumpe wirken kann (vgl. $ 98 bis 99). $ 42. Die Größe des Schlagvolums. Direkte Messung. Der Versuch, die Ventrikelkapazität durch Messung an toten Herzen zu be- stimmen, ist wertlos, weil Elastizität und Tonus sicher verändert sind. Wie groß die postmortalen Veränderungen am Herzen sind, geht am besten aus den Unter- suchungen von Rothberger°) hervor |vgl. hierzu auch die Arbeit von Mosso u. Pagliani‘), sowie Rothbergers’) Erwiderung]. Aber selbst Verwendung ganz frischer, unveränderter Herzen führt nicht zum Ziel, weil man weder den Druck kennt, bei welchem die Füllung des Herzens normal zustande kommt, noch weiß, wieviel Blut jedesmal in dem Ventrikel zurückbleibt. Vertrauenerweckender sind die Versuche, das Schlagvolum aus der systolischen Volumabnahme des ganzen Herzens, welehe man plethysmographisch feststellen kann, abzuleiten. Als un- bekannter Faktor kommt dabei die gleichzeitige Vermehrung des Volums durch Einströmen in den Vorhof hinzu, dadurch erscheint das Schlagvolum zu klein; !) Johansson und Tigerstedt, Skand. Arch. f. Physiol. 1, 331 und 2, 431. — ?) Tigerstedt, Neue Untersuchungen über die vom linken Herzen heraus- getriebene Blutmenge. Skand. Arch. 19, 1, 1907. — °) Tigerstedt, Ebenda 33, 145, 1891. — *) Howell u. Donaldson, Experiments upon the heart of the dog with reference to the maximum volume of blood sent out by the left ventricle in a single beat ete., Philosoph. Transaetions 183, 139, 1884. — °) Rothberger, Über die postmortalen Formveränderungen des Herzens. Pflügers Arch. 99, 385, 1903. — °) Mosso u. Pagliani, Ebenda 101, 102, 1904.— 7’) Rothberger, Ebenda 104, 401, 1904. 746 Messung des Schlagvolums. dieser Fehler beträgt nach Rothberger'!) bis zu 30 Proz. Schwerwiegender ist der Einwand, daß das in die Kapsel eingeschlossene Herz sich weder unter nor- malen Bedingungen füllt, noch unter normalen Bedingungen entleert. Derartige Versuche sind zuerst von Roy und Adami°) angestellt. Indirekte Bestimmung. Die Menge des in jeder Sekunde durch die Aorta fließenden Blutes, das soge- nannte Sekundenvolum des Kreislaufes, fließt in jeder Sekunde nicht nur durch den Querschnitt der Aorta, sondern auch durch beide Venae cavae zusammen, durch die Lungenarterien, kurz durch jeden Gesamtquerschnitt®). Kennen wir das Sekundenvolum (V) und die Pulszahl in der Sekunde (p), dann besteht zwischen diesen Größen und dem Schlagvolum (S) die Beziehung $S = —, oder drücken wir die Pulsfrequenz durch die Anzahl der Pulse pro Minute (P) aus, so haben wir 607 andererseits besteht zwischen der Geschwindigkeit in der Aorta c, deren Querschnitt (9) und dem Sekundenvolum (V) die Beziehung V = c.gq, also eh N Nun glaubte man andererseits, das Sekundenvolum aus der Dauer des Kreis- laufes berechnen zu können. Wenn man annimmt, daß während der Zeit (T) eines sogenannten Kreislaufes wirklich alles Blut einmal die Aorta passiert, und wenn ich die Gesamtmenge (B) des im Körper vorhandenen Blutes kenne, dann ist in der Tat V = . also: a Wir haben also drei Formeln, aus denen wir das Schlagvolum berechnen: 1. aus Pulszahl und Sekundenvolum, Zn 3 „ Aortenquerschnitt und Geschwindigkeit, gun Z » Blutmenge und Umlaufszeit. Die Blutmenge beträgt etwa 7 bis 8 Proz. des Körpergewichts, das sind für einen 60 kg schweren Menschen etwa 4,5kg. Den Aortenquerschnitt kann man an der Leiche bestimmen, er beträgt am Bulbus aortae etwa 6, beim Abgange der Arteria anonyma etwa 4,4gem (d.i. etwa die Größe eines Zweimarkstückes und eines Einmarkstückes). Die Pulsfrequenz ist leicht festzustellen. Es kommt also praktisch darauf an, entweder die Umlaufszeit, die Aortengeschwindigkeit selbst oder das Sekundenvolum experimentell zu ermitteln. $ 43. Die Ermittelung aus der Aortengeschwindigkeit und der Umlaufsgeschwindigkeit®). Alle Versuche, die Blutgeschwindigkeit direkt zu bestimmen oder indirekt zu berechnen, haben außerordentliche Schwankungen von Sekunde zu Sekunde ergeben, die nicht auf Versuchsfehlern zu beruhen scheinen. Eine Mitteilung einzelner Zahlenwerte erscheint daher unnötig. Aus der Gesamtheit der Ver- !) Rothberger, Über eine Methode zur direkten Bestimmung der Herzarbeit im Tierexperiment, Pflügers Arch. 118, 353, 1907. — ?) Roy u. Adami, Brit. med. Journ. 2, 1321, 1888. — ®) Über die Abweichung hiervon während der Agone siehe S. 744 oben Buday, l. c. — *) Vgl. hierzu $ 32 bis 34 und Tigerstedt, Die Ge- schwindigkeit des Blutes in den Arterien, Ergebn. d. Physiol. 4, 481, 1905. 5 Ze Se ee em Die Umlaufsgeschwindigkeit. 747 suche ergibt sich, daß das Blut in den größeren Arterien (Carotis und Femoralis) ‚mit einer Geschwindigkeit fließt, die zwischen 10 und 50cm pro Sekunde schwankt und im Mittel etwa 25cm betragen dürfte. Die Geschwindigkeit in der Aorta ist meines Wissens niemals direkt bestimmt worden. Volkmann!) und Vierordt?) haben versucht, dieselbe aus der Geschwindigkeit in der Carotis zu berechnen. Ebenso Dogiel und Ludwig. Die Möglichkeit einer derartigen Berechnung kann nicht geleugnet werden, doch sind die dabei gemachten Fehler vorläufig nicht einmal der Größenordnung und dem Sinne nach abzuschätzen. Jacobson?) hat an dieser Methode berechtigte Kritik geübt. Bei jeder Berechnung der Ge- schwindigkeit in der Aorta ist zu bedenken, daß hier nicht nur wie in allen Arterien das Blut mit wechselnder Geschwindigkeit sich bewegt, sondern daß wenigstens im Bulbus aortae während der Diastole das Blut überhaupt keine Geschwindigkeit besitzt. Berechnet man die Durchschnittsgeschwindigkeit aus dem Sekundenvolum (75) und dem mittleren Querschnitt der Aorta (d gem), so erhält man 25 cm/sec, doch dürfte die maximale Geschwindigkeit mehr als doppelt so groß sein. Hermann (1896*) hat dann darauf aufmerksam gemacht, daß die von Ludwig und Dogiel- ermittelten Werte mit den neueren kleinen Volumzahlen nicht stimmen, was Hoorweg°) darauf zurückführt, daß die Geschwindig- keit in der Aorta zu groß angenommen sei. Wenn auch der Gesamtquerschnitt aller Aortenverzweigungen größer sei als das Stammgefäß, könne die Geschwindig- keit in der Carotis annähernd gleich der in der Aorta sein, weil die Widerstände in den Zweigen desselben Gesamtquerschnittes nicht gleich sind. Ein Umstand, auf den schon Dogiel‘) selbst und Tigerstedt (Lehrbuch, $. 148) aufmerksam machen. Hermann konnte jedoch durch Keilson’) (von Hösselin°) bestätigt) zeigen, daß der Querschnitt der Aorta größer ist als der Gesamtquerschnitt ihrer Äste. Die Methoden zur Bestimmung der Umlaufszeit sind in $ 34 ge- schildert. Es ergibt sich leicht, wie man aus den dort gewonnenen Werten das Schlagvolum berechnen kann. Die Werte sind wohl allzu groß, da auch die Umlaufsgeschwindigkeit zu groß bestimmt ist. In neuerer Zeit hat unter Berücksichtigung aller Fehlerquellen Stewart?) diese Methode (s. S. 729) angewandt, um das Schlagvolum zu ermitteln; seine Werte siehe in der Tabelle. Aus den von Hering vorgenommenen vergleichenden ii folgert dieser Autor, daß 1. die Umlaufszeiten mit der Tiergröße wachsen (Kol. 4 auf folg. S.), 2. die Zahl der Herzschläge, welche die Gesamtmasse des Blutes einmal durch den Körper treibt, bei allen Tieren gleich ist (Kol. 5). Die folgende Tabelle soll es zeigen: !) Volkmann, Hämodynamik. Leipzig 1850. — ?) Vierordt, Erschein. und Gesetze der Stromgeschwindigkeiten. Frankfurt a. M. 1858. — °) Jacobson, Bei- träge zur Hämodynamik, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1860, 8.100. — *) Hermann, Kleine physiol: Bemerkungen und Anregungen, Pflügers Arch. 65, 599, 1896. — 5) J.L.Hoorweg, Über die bei einer Systole gelieferte Blutmenge, Arch.'f. d. ges. Physiol. 66, 474 bis 476, 1897. — °) Dogiel, Ber. d. sächs. Gesellsch. d. Wissensch. 1867, S. 272. — 7) Keilson, Ein experimenteller Beitrag zur Lehre von der Puls- frequenz, Königsberger Dissertation 1898. — ®) Hösselin, Beitrag zur Mechanik der Blutbewegung, Festschr. f. Ziemssen 1899, 8.103. — °) G. N. Stewart, Researches ‚ on’the eireulation time and on the influence which affect it, Journ. of physiol. 22, 159—183, 1897. 748 Direkte Messung des Sekundenvolums nach Stolnikow und Tigerstedt. 1 12:2 3 ERBE. Tierart | Gewicht Puls- Umlaufs- | Frequenz- kg frequenz |zeitinSek.| zeit l Kaninchen ..... | 1,4 210 +75 26,1 Ziegenböcklen .... | 38 110 14,1 26,0 Hund.) oa ee... 92 96 16,7 26,7 Mensch . | 64,0 72 28,1 28,8 Pferd . 380,0 55 31,5 27,7 | $ 44. Berechnung des Schlagvolums aus der Bestimmung des Sekundenvolums. Diese Versuche haben die brauchbarsten Resultate ergeben. Stolni- kow!) hat unter Ludwig in Leipzig die Versuche am vereinfachten Kreislauf des Hundes ausgeführt, wobei er alle Gefäße unterband, so daß nur Herz- und Lungenkreislauf übrig blieb. Statt des Körperkreislaufs war nur die Axillaris, welche zu dem messenden Apparat führte, und die Jugularis, welche von dem Apparat wieder ins Herz zurückführte, übrig gelassen. Der messende Apparat bestand in einer Röhre, welche vom Herzen mit Blut gefüllt wurde. Die Division des Inhaltes durch die Zahl der Sekunden, welche zur Füllung nötig war, ergab das Volum. Unten in der Tabelle (auf 8. 750) ist ein Mittelwert aus seinen Versuchen ausgerechnet; da Stolnikow nicht bei allen Ver- suchen die notwendigen Daten gibt, ist es schwer, den wirklichen Mittelwert an- zugeben. Übrigens wendet Tigerstedt. (Lehrbuch, 8. 150): mit Recht gegenüber diesen Versuchen ein, daß dabei der Blutdruck im arteriellen System ein abnorm niedriger war, und daß das Herz dabei gegen keine Widerstände arbeitet. Ob allerdings gerade deswegen, wie Tigerstedt will, die Resultate notwendigerweise zu große Zahlen ergeben, bleibe dahingestellt (vgl. das auf 8. 744 Gesagte). Der Hauptfehler in den Versuchen Stolnikows liegt zweifellos darin, daß die Zufuhr des Venenblutes in unbekanntem Maße von der normalen Zufuhr abwich. Die Ludwigsche Stromuhr ist von Hürthle?) wesentlich verbessert und zum Registrieren eingerichtet. Sie soll sich nach dem Bericht von Tschnewsky°) aus- gezeichnet bewähren. Am Kaninchen hat Tigerstedt*) mit einer ähnlichen Vorrichtung die durch die ungeteilte Aorta strömende Blutmenge direkt gemessen. Zur Berechnung des normalen Sekundenvolums hat er nur diejenigen Be- stimmungen verwertet, die} kurz dauerten und bei denen er weder einen abnorm starken, noch abnorm schwachen Gefäßtonus vermutet; ferner schließt er die Ver- suche aus, bei denen die Pulsfregquenz anormal und die Blutzufuhr zum Herzen künstlich gesteigert war. Als Mittelwert von 14 Versuchen hat er in dieser Weise , das Pulsvolum — 0,27 Proz. und das Sekundenvolum = 0,85 Proz. des Körper- gewichtes gefunden, und zwar bei einer mittleren Pulsfrequenz von 193 pro Minute und einem Aortendruck von 8,8 bis 17,6cm Quecksilber. Wenn er aber die bei jedem einzelnen Versuche beobachteten maximalen Werte zur Berechnung des Durchschnittswertes verwendet, so war das Pulsvolum = 0,42 Proz. und das !) Stolnikow, Die Eichung des Blutstromes in der Aorta des Hundes, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1886, 8.1. — *”) Hürthle, Beschreibung einer registrierenden Stromuhr, Pflügers Arch. 97, 183, 1903. — ®) Tschnewsky, Über Druckgeschwindig- keit und Widerstand in der Strombahn der Art. carotis und eruralis, ebenda 97, 210, 1908. — *) Tigerstedt, Studien über die Blutverteilung im Körper, Skand. Arch. f. Physiol. 3, 145, 1891. u nen Die Ficksche Berechnung aus dem CO,-Verlust (Zuntz). 749 Sekundenvolum = 1,32 Proz. des Körpergewichtes, bei einer Pulsfrequenz von 194 pro Minute und einem Aortendruck von 10,3 bis 15,3cm Quecksilber. Eine eigen- artige Modifikation hat jüngst Lohmann!) angegeben; das Prinzip derselben be- ruht darauf, daß man die Aorta vor dem Abgang der großen Halsgefäße durch- schneidet und das Volum des unter arteriellen Druck gesetzten ausströmenden Blutes mißt. Gleichzeitig sorgt man für Erhaltung der Zirkulation dadurch, daß man in das periphere Ende der Aorta ebenfalls unter Druck Blut einlaufen läßt. Mit dieser Methode hat Bohlmann?) Bestimmungen angestellt, die das Resultat von Tigerstedt bestätigen. Aus diesen Zahlen ist eine Mittelzahl für die untere Tabelle berechnet. Schon früher hatte Ad. Fick?) den sinnreichen Vorschlag gemacht, den CO,-Gehalt im venösen und im arteriellen Herzblut zu bestimmen und gleich- zeitig die von der Lunge ausgeschiedene CO, zu ermitteln. Wenn man nämlich weiß, wieviel CO, das Blut in der Sekunde verliert, — und diese Zahl findet man durch Bestimmung des CO,-Gehaltes in der Exspirationsluft — und wenn man weiß, wieviel jedes Gramm des rechten Herzblutes mehr CO, enthält als das des linken Herzens, dann kann man ausrechnen, wieviel Gramm Blut durch die Lunge gegangen. sein müssen, um das Sekundenvolum an CO, zu liefern. 1886 bedauert Stolnikow, daß niemand auf diesem „unanfechtbaren Grund- satze“ das Sekundenvolum bisher experimentell zu bestimmen versucht habe. Schon im selben Jahre machten Grehant und Quinquaud‘*) die Mitteilung, daß sie auf diese Weise das Sekundenvolum bestimmen. Sie haben das venöse Blut mittels einer Sonde dem rechten Herzen, und das arterielle direkt der Carotis ent- nommen. Sie fanden dabei ein Sekundenvolum des Blutes von 27,8g. Sie geben aber das Gewicht der Hunde nur approximativ an. In der Tabelle sind die wahr- scheinlichen Grenzwerte des Gewichtes verwertet. ; Später hat Zuntz°) mit einer ähnlichen Methode am Pferde sehr exakte Bestimmungen gemacht. Die Werte finden sich in der Tabelle angegeben. Noch mit einer anderen Methode hat Zuntz‘°) dann versucht, das Sekunden- volum zu bestimmen: Durch Vagusreizung rief er einen temporären Herzstillstand hervor und injizierte dabei in die Aorta durch einen ihrer Aste gerade eine solche Menge Blut, daß der Blutdruck sich nicht änderte. Die injizierte Blutmenge soll dann gleich jener Menge sein, welche von dem Herzen in derselben Zeit in das Arteriensystem hineingeworfen wäre, falls das Herz weiter geschlagen hätte. Er fand dabei Werte, die den auf andere Weise berechneten sehr ähnlich sind. Eine Verbesserung der Methode streben Loewy u. Schrötter’) an, welche mit einer Art von Lungenkatheter arbeiteten und dadurch die Bestimmungen auch am Menschen vornehmen konnten. In folgender Tabelle sind die von den verschiedenen Autoren mit den angegebenen Methoden gefundenen Werte übersichtlich zusammengestellt, !) Lohmann, Eine neue Methode zur direkten Bestimmung des Schlagvolums des Herzens, Pflügers Arch. 118, 260. — °) Bohlmann, Das Schlagvolum des Herzens und seine Beziehungen zur Temperatur des Blutes, Pflügers Arch. 120, 367, 1907. — °) Die nur eine Seite lange Mitteilung, welche den ganz präzisen Vorschlag enthält, findet sich im Sitzungsber. der phys. med. Ges. Würzburg 1870, S. 16, und Gesammelte Schriften 3, 573. — *) Gr&ehant et Quinquaud, Recherches exp£ri- mentales sur la mesure du volume de sang qui traverse les poumons en un temps - donne, Compt. rend. d. 1. Soc. de biol. S. VII, T. IH, p. 159. — °) Zuntz, Die Er- nährung des Herzens und ihre Beziehung zu seiner Arbeitsleistung, Deutsche med. Wochenschr. 1892, Nr. 6. — ®) Derselbe, Über eine neue Methode zur Messung der zirkulierenden Blutmenge und der Arbeit des Herzens, Pflügers Arch. 55, 521, 1894. — ”) Loewy u. Schrötter, Verfahren zur Bestimmung der Blutgasspannung, der Kreislaufsgeschwindigkeit und des Herzschlagvolums am Menschen, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1903, 8. 394. Schlagvolum der Tiere und des Menschen. 750 a a re . - ” ai ai u ee ni al a an m) Sa an LU Ze Sn "FE 8 ‘g06T "TorsÄyg (m 'yeuy) 'F 'ypıy -"USyOSUSN We SWINJoAde[yOSZIEH sap pun YIeyFıpurmyoseösfnejstery Aep ‘Zunuuedsseäinig op Sunmwrsog nz ueıyezIoA ‘194491yog n EMOOrL (og — "2687 ‘65T ‘8% TOIsÄyd Fo "umop ‘4rem94g (3; — '6ST "d ‘III 'L ‘IITA'S ‘ToIq op wog '[ 'p "pusı 9dwog ‘pnenbum® 'n yuey9an (5 — '688I ‘221 ‘9F 'yaıy sıodnya ‘3oMI00oH (, — "7681 ‘Izg ‘GG "yaıy SIoänga ‘zyunZ („ — '9 ’IN ‘Z68T “Iyosuegooy "paut "yosy ‘zIUnZ (3 — 'T6BT ‘E87 ‘g "TOIsÄyg 'F 'yoay "puegg ‘4P9I819d1L („ — "18 ‘9BST TOIsÄyg (m yeuy) 'F 'yay ‘MOoYTUToIg (5 — 8981 'W 'e Yınpjueıg "dunwgang Ip 9Z4050H pun "uroyosıg ‘4PAOIOIA („ — '098I Izdiorg 'yrweuspowurg ‘uuwwyTor (r LS 89 06 8oL PM —_ _ _ _ 0L 39 08 _ yosuaw (oı 8067) 1099 9ı1yog 'n Ameorf - = L91 861 ge — — — a — TEEN © 2.7 euere (25T) r — — o#1 891 83 _ — = ne el PR De | * _ — 06 8oL s‘L = Eng = opungogoas | * " * "°* (g268T) JıBaoıg 6°—8L T.—86 | F6—0rI | a1 891 | sI—8'7 | 8'212 _ Ze SIT—0l punHd u er ne 0 es) pnenbumd pun yYueypıyg — — ir 98 — — u sen _ yosuoW "nn („(888T) SoML00H 87 29 99 6L g 1 a) = — 8'F pung ER RE 69 12 82 »6 I 68 wi De Bau yosuaW error nr (8TBT) IPTOLATA Fo En 951 081 7 — — — En 9A9L]L, "YOSIOA “200° (709881) vuwwyIorA uawnfoA uauun[oA uswmjoA uswnjoa | oyfıpr o1d 3 3 > 33 -Sejyas -uspuny9S -Seryas -u9puny99S > = = Zu = ed yeuorytodo1d d. jeuoryıodord ei = 5 g En ig 2 SSL ER — -uapunyag BE| 9 8 uasng z9 pun 34 09 UoA uaydsuapy Fne gauypaıadun B=? s = IT oL 6 8 3 9 g F g 3 | I Herzfrequenz und Blutdruck. 751 wobei allerdings zu berücksichtigen ist, was Tigerstedt!) über den nur relativen Wert derartiger zahlenmäßiger Angaben über das Schlag- volum angibt. Als wahrscheinlichen Wert darf man 70g für das Sekunden- volum annehmen, also bei 72 Pulsen ein Schlagvolum von 60 g. In dieser Tabelle sind die Angaben der Autoren wiedergegeben, die von Tigerstedt und Stolnikow umgerechnet auf ein mittleres Gewicht. Loewy u. Schrötter geben nicht das Gewicht der sieben von ihnen untersuchten Menschen an. In der Kolumne 8 sind dann die Werte unter der Voraussetzung, daß das Sekundenvolum proportional dem Körpergewicht ist, was wahrscheinlich nicht ge- nau stimmt, für einen Menschen von 60 kg angegeben. In der Kolumne 9 ist daraus das Schlagvolum berechnet, unter der Voraus- setzung von 72 Pulsen pro Minute. Dies ist geschehen, um eine Anschauung zu geben, was die gefundenen Werte in bezug auf den Menschen bedeuten. In der Kolumne 10 und 11 sind dieselben Zahlen für den Menschen ausgerechnet unter der von manchen angenommenen Voraussetzung, daß das Sekundenvolum nicht‘ proportional dem Gewichte p, sondern proportional p%s zunimmt. Man sieht, daß diese Annahme, die aus Untersuchungen an verschieden schweren Tieren derselben Spezies abgeleitet ist, für die gesamte Tierreihe noch weniger den tatsächlichen Verhältnissen zu entsprechen scheint, während die Annahme der Proportionalität wenigstens einigermaßen übereinstimmende Werte liefert. Die Frequenz des Herzschlages. $ 45. Herzfrequenz und Blutdruck. Daß die Vergrößerung der Frequenz der Herzschläge, wenn sie eintreten könnte, ohne daß irgend etwas anderes, also insonderheit das Schlagvolum verändert wird, die in der Sekunde geförderte Blutmenge und damit natur- gemäß den Druck im arteriellen System steigern würde, liegt auf der Hand. Nun kann äber das Herz bei größerer Frequenz nicht jedesmal so viel in die Aorta treiben wie bei langsamem Schlagen; denn da bei einer Druckerhöhung im arteriellen System der venöse Druck nicht notwendig gesteigert wird, so braucht auch der venöse Zufluß zum Herzen nicht größer zu werden. Es fließt also in der Zeiteinheit unabhängig von einer etwaigen Frequenzänderung immer annähernd gleichviel Blut ins Herz, d. h. wenn die Herzschläge sich schnell folgen, so fließt wenig Blut, wenn sie sich langsam folgen, viel Blut während der’ Diastole in das Herz: mehr als das Herz am Ende der Diastole enthält, kann es während der Systole nicht hergeben. Bei frequentem Puls werden also nur geringe Blutmengen ausgeworfen und der Puls wird mithin klein (wenn nicht etwa infolge von Gefäßerweiterung — wie bei der Muskelarbeit — mehr Venenblut dem Herzen zufließt). Bei rarem Puls ist es umgekehrt. Diese selbstverständliche mechanische Betrachtung ist von Stefani bei seinen Arbeiten über die aktive Diastole nicht genügend gewürdigt, manche von ihm beobachtete und auf eine diastolische Vaguswirkung zurückgeführte Tatsachen finden hierdurch ihre Erklärung. Hierzu kommt allerdings noch, daß das während der langen Pause überfüllte Herz sich ebenfalls aus leicht verständlichen Gründen nicht völlig zu entleeren vermag. Die mannigfachen experimentellen und klinischen Arbeiten über die Be- ziehung zwischen Herzkraft und Frequenz haben denn auch im Grunde nichts anderes ergeben, als daß eine weitgehende Unabhängigkeit besteht und der Druck nicht zu steigen braucht, ja im Gegenteil häufig genug sinkt, wenn die Frequenz !) Tigerstedt, Skand. Arch. 19, 38, 1907. 752 Herzfrequenz und Pulsgröße. vermehrt wird, z.B. ist dies sehr deutlich in der Agone, wo trotz „fliegendem Puls“ der Blutdruck sinkt; experimentell kann man das durch reichliche Blutentziehung zeigen. Sicherlich aber ist die Pulsgröße unter sonst gleichen Verhältnissen abhängig von der Frequenz; denn unter der ziemlich zutreffenden Voraus- setzung, daß der venöse Zustrom zum Herzen von der Frequenz unabhängig ist, wird, je größer das Intervall zwischen zwei Pulsen ist, desto mehr Blut in den Ventrikel hineinfließen. Also kann und wird auch mehr herausgeworfen werden, und die Pulsvolumina sind daher in gewissen Grenzen proportional der Herzpause. Selbstverständlich fließt aber gleichzeitig auch mehr Blut durch die Capillaren aus dem arteriellen System ab. Der Blutdruck wird also im Beginn der Systole jedesmal stark ansteigen und dann in dem Verlauf der langen Pause stark absinken. Diese beiden Faktoren kompensieren sich und ergeben den gleichen mittleren Blutdruck. Man sieht z. B. sehr deutlich in der Fig. 45 auf 8.689, daß nach der Vagusreizung der alte Blutdruck auch durch die wenig frequenten Herzschläge, die noch als Nach- wirkung der Vagusreizung zu betrachten sind, wiederhergestellt wird. Auch zeigt diese Figur sehr deutlich, daß die ersten Pulse nach der Vagusreizung ganz besonders groß sind. Allerdings sehen wir auch deutlich, daß dies nicht der einzige Grund sein kann, welcher die Pulsgröße beeinflußt. So sind die Pulse an den Stellen hohen Druckes unabhängig von der Frequenz klein. Es beruht dies auf den Elastizitätsverhältnissen der Arterienwand (vgl. Näheres darüber in $ 22 auf 8.708). Die Frequenz des Pulses ist eine außerordentlich labile Größe, welche direkt von dem Gegenspiel des Vagus und Accelerans abhängig ist — und als solche an anderer Stelle des Handbuches behandelt ist —, indirekt aber von den mannig- fachsten Faktoren beeinflußt wird. Trotz der Leichtigkeit, die Frequenz zu be- stimmen, sind die Angaben zum Teil nicht sehr präzise infolge der Schwierigkeit, einen der sich gegenseitig kompensierenden Einflüsse zu isolieren. Hier soll es genügen, die einzelnen Faktoren aufzuzählen, welche nachweis- lich eine Vermehrung oder Verminderung der Pulsfrequenz hervorrufen. Außerdem sind in einigen Kurven die wichtigsten Verhältnisse dargestellt. Literaturangaben und genauere Zahlenverhältnisse finden sich in Vierordts') Daten und Tabellen und Tigerstedts?) Lehrbuch. 8 46. Abhängigkeit der Pulsfrequenz von den wichtigsten physiologischen Bedingungen °). 1. Von der Körpergröße. Kleine Menschen haben einen frequenteren Puls als große. Die auf folgender Seite stehende Tabelle, die nach den Zahlen der ver- schiedenen Autoren gezeichnet ist, gibt einen ungefähren Anhalt dafür. Diese Regel, die für die verschiedenen Menschenindividuen gilt, findet sich auch bei vergleichender Betrachtung der Tierreihe bestätigt. Folgende abgerundete Zahlen mögen einen Anhalt dafür geben. (Eine Ausnahme macht nur die ziem- lich unsichere Angabe über den Delphin.) Es sind nur Warmblüter erwähnt, denn bei den Poikilothermen ist die Frequenz des Herzschlages durchaus eine Funktion der umgebenden Temperatur und die Angaben sind daher nicht ohne weiteres ver- gleichbar, doch ist auch hier eine Abhängigkeit unverkennbar. Besonders deutlich wird dies, wenn man große und kleine Tiere derselben Spezies vergleicht. So gibt z.B. Newport‘) an, daß 5g schwere Totenkopflarven 40 Pulse, 3g schwere aber 50 Pulse haben. Frösche haben 40 bis 50 Pulse; überhaupt haben alle Kaltblüter einen für ihre Größe sehr langsamen Puls. ‘) H. Vierordt, Anat. Physiol. u. physikal. Daten u. Tabellen, II. Aufl., 8.151 ff. Jena, Fischer, 1893. — ?) Tigerstedt, Lehrbuch, 8. 26. — °) Auf die von Knoll zuerst beobachtete und dann vor allem von Hering studierte Abhängigkeit von Puls und Atemfrequenz kann hier nur hingewiesen werden. — *) Newport, On the Temperature of Insects. Philos. Transact. 1837, p. 313. Abhängigkeit der Herzfrequenz von der Größe. 753 BISRRDT a ED ae aa 25 Pulse pro Minute Bamelı un ae ae SEIEN. e x Löwe'), Pferd?), Ochse?), Tapir!) ..... EI: : Beol’ye.. 222 re hertr a ae mas en RS 5 Panthert), Hyäne!) ........ a SO m 3 5 BOhaE?). Nr, Sa RR rn a x Mürmeltier. : « - Alma... ED er = 3 Hund’) . 10.37 Sr ee E Delphin®), Kaninchen?) . . ..... ee 5 Haselmaus?) und fliegender Hund .....15 „ „ 5 Diese Zahlen sind nur als grobe Mittelzahlen zu betrachten, denn ähnliche Variationen wie bei Menschen finden sich auch bei Tierindividuen. Außerdem sind manche Tiere, wie dies H. E. Hering z. B. für Kaninchen gezeigt hat, offenbar in ‚bezug auf die Pulsfrequenz noch viel empfindlicher gegenüber äußeren Einflüssen als Menschen, wenn man daher ohne weitere Vorsicht die Pulse, z.B. beim Kaninchen und bei der Haselmaus, zählt, erhält man viel höhere Zahlen als oben angegeben. Daß die Pulsfrequenz mit zunehmender Tiergröße abnimmt, erscheint sehr plausibel; Hermann ‘*) hat im Anschluß an einen Gedanken Volkmanns aus- geführt, daß dies daher rühre, weil das f Schlagvolum dem Tiergewicht, bei gleicher A Fig. 58. - Spezies also dem Kubus der Körperlänge, 1!” x der Aortenquerschnitt aber dem Quadrat 5: derselben proportional sei: Die Entleerung des Herzens müsse daher bei größeren Tieren länger dauern. Keilson (1898°) hat bei zahlreichen Tieren Körpergewicht, Pulsfrequenz, Blutmenge, Herzgewicht, Herzvolum, Kaliber der Aorta und Kaliber und Maschenweite der Capillaren bestimmt und gefunden, daß von dieser Seite nichts 0 50 100 150 200cm der obigen Auffassung im Wege steht. Körperlänge Dagegen fand sich, daß die Herzgröße Abhängigkeit der Pulsfrequenz des Menschen nicht dem Tiergewicht proportional, von der Körperlänge. sondern bei kleinen Tieren relativ größer ist — dadurch wird natürlich ein unbekannter Faktor in die Rechnung ein- geführt. Vgl. im übrigen die ähnlichen Betrachtungen bei v. Hösslin°). Allerdings dürften diese mechanischen Verhältnisse nicht die Ursache, sondern selbst nur eine Anpassungserscheinung sein. Der größere Blutbedarf der Gewichts- einheit bei kleineren Tieren ist in ihrem Stoffwechsel begründet, dessen Größe bekanntlich proportional der Körperoberfläche (annähernd —=p%s) ist. Nach dem Stoff- wechsel und insonderheit nach dem Gaswechsel richtet sich aber das Blutbedürfnis’?). _ [=] =} [> oO Pulse pro Minute / 2 Tr 2. Vom Alter. Dieser Einfluß ist sehr genau studiert worden, und es hat sich gezeigt, daß die Frequenz bei der Geburt am größten ist, erst schnell, dann langsam sinkt, um im Greisenalter dann wieder ein wenig anzu- !) Dubois (d’Amiens), Bull. de l’Acad. de med. 5, 442, 1840.—°?) Hurmann et Dechambre, Arch. gener. de med., 2. Ser., 9, 353. — °) Nach Esch- richt (zitiert nach Milne Edwards Lecons Phys.) 4, 63. — *) Hermann, Physio- logie 1896, 11. Aufl., S. 86. — °) Keilson, Ein experimenteller Beitrag zu der Lehre von der Pulsfrequenz. Königsberger Dissertation 1898. — °) H. v. Hösslin, Beitrag zur Mechanik der Blutbewegung, Festschr. f. v. Ziemssen, 8.103 u. 624, 1899. — 7) Aus analogen Gründen haben diejenigen Tiere, die den geringsten Sauerstoff- bedarf haben, die größten Blutkörperchen, weil hierbei das Verhältnis von Blut- körperchen und Oberfläche zum Inhalt das relativ ungünstigste ist. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 48 754 Abhängigkeit der Pulsfrequenz von Alter, Geschlecht, steigen. Die genaueren Zahlen ersieht man aus der Tabelle der Fig. 59. Dieselben sind nach dem großen statistischen Material älterer Untersucher zusammengestellt, vornehmlich nach Volkmann!) und Guy). Während des Fötallebens ist die Pulsfrequenz noch etwas größer, gegen Ende der Schwangerschaft beträgt sie 140, kann aber durch geringe Bewegungen der Fig. 59. 170 höchster-an-gesunden-Erwachsenen — beobachteter Wert © Marina Z iS = A, i B im allgemeinen B Dure j i vorkommende =----Durchschnitt--der-Weiber I h = Durchsc I L enschen ‘ Variationsbreite iR —_Durehschnitt-der-Männer--;-- der Pulsfrequenz Mn = 3 Minimum _1 7 30H = 90 tiefster;-an-gesunden-Erwachsenen —— beobachteter Wert 1 10 F | | | Fi | | | | | u) 10 20 .30 40 50 60 70 80 Jahre Abhängigkeit der Pulsfrequenz vom Geschlecht und vom Alter. Frucht in die Höhe getrieben werden. Bei Tieren (vor allem bei Kaltblütern, doch auch beim Hühnchen und bei Säugetieren) kann man die Herzbewegungen von ihrem Beginn ab studieren; hier zeigt es sich, daß die Frequenz aller bisher lebend beobachteten embryonalen Herzen zu Anfang ihrer Tätigkeit geringer ist als bald nachher. Für das Hühnchen gibt Preyer (1885°?) an, daß die Herzfrequenz vom zweiten bis fünften Tage zunimmt; sie kann sich sogar verdoppeln und von 90 bis 180 in der Minute steigen. 3. Vom Geschlecht. Da das Herz bei großen Menschen langsam schlägt, ist naturgemäß der Puls des kleineren Weibes frequenter als der des Mannes. Aber auch wenn man Männer und Frauen von gleicher Größe miteinander vergleicht, haben Frauen einen Puls, der nach verschiedenen Angaben [Quetelet®), Dalquen5) und andere] um 1 bis 15 Schläge frequenter ist. Besonders !) Volkmann, Hämodynamik nach Versuchen, 1850, 8. 427 ff. — ?) Guy, Artikel „Pulse“ in Todds Encyclopaedia 4, 184, 1852. — °) Preyer, Spezielle Physiologie des Embryo. Leipzig 1885. — *) Quetelet, Sur ’homme et le developpement de ses facultös, 1836. — °) Dalquen, Die Schwankungen der Pulsfrequenz im ge- sunden Zustande. Gießener Dissertation 1888. Temperatur, Barometerdruck und Jahreszeit. 755 groß soll der Unterschied in den Pubertätsjahren sein (vgl. im übrigen Fig. 59). Daß man ziemlich allgemein annimmt, daß Mädchen im Mutterleibe einen frequenteren Puls haben als Knaben und danach das Geschlecht bestimmen zu können meint, dürfte bekannt sein. Preyer') gibt an, es würden geboren bei einer Frequenz der kindlichen Herztöne unter 135 ®%, Knaben, '/, Mädchen, von 135 bis 145 !/, N He 5 über 145 2% in A ee Auch bei Tieren findet sich etwas Ähnliches, so wird angegeben, daß der Hengst 30, die Stute 40 Pulse in der Minute hat. 4. Von der Temperatur und dem Barometerdruck. Die Pulsfrequenz steigt bei starker Erhöhung der Temperatur (sowohl der Luft, als auch bei Temperaturerhöhung durch warme Speisen). Eine Tatsache, die vielfach auch experimentell nachgewiesen ist (besonders schön naturgemäß an Kaltblütern, weil hier die Temperatur beliebig verändert werden kann). Bekannt ist diese Abhängigkeit für den Frosch. Newport?) konnte dasselbe Gesetz für die Insekten (an Sphinx Atroposlarven) nachweisen, - an Manteltieren habe ich) es vielfach selbst beobachtet usw. Für den Menschen soll sich die Abhängigkeit der Pulsfrequenz von der Körpertemperatur nach Liebermeister) mit großer Annäherung durch die Formel Pulsfrequenz — 80 +8 (T— 37) ausdrücken lassen, doch ist hierbei offenbar die mittlere Pulsfrequenz zu hoch angenommen. Dementsprechend soll nach Tigerstedt der Puls in den Tropen frequenter sein alsin den Polar- Fig. 60. gegenden (jedoch andererseits 790 : ist der Puls bei ein und dem- _ ==e- selben Menschen im Winter EX 2 frequenter als im Sommer — SZ = = vgl. die Kurven Fig.60). Auch 67 — a Jahrejmittäl Fr die Erhöhung ‚der Pulsfrequenz > / = nach den Mahlzeiten [nach _F Ex > —— Smith5) kommen Frequenz- | SEE TE = erhöhungen vor, die bis zu 17 ®% = == = Pulsen pro Minute betragen] 63 m ist auf die Wärmewirkungen I]FIJMjA|M|S| T]A]SJO]N|D zurückgeführt worden, doch Jahreskurve der Pulsfrequenz. dürfte hier wohl das erhöhte Sauerstoffbedürfnis maßgebend sein. Ob bei der Pulsfrequenzerhöhung im Hoch- gebirge ausschließlich das erhöhte O,-Bedürfnis ausschlaggebend ist oder ob noch andere Faktoren — insonderheit die Erhöhung der Körpertemperatur — }) Preyer, l.c. 8.521. — *) Newport, On the temperature of Insects, Philos. Transact. 1837, p. 313. — °) Nicolai, Beiträge zur Anatomie und Physiologie des Salpenkreislaufes, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1908. — *) Liebermeister, Handbuch d. Pathologie und Therapie des Fiebers. Leipzig, Vogel, 1875. — °) Smith, Medic.- chirurg. transact., London 39, 44, 1856. 48* 756 Abhängigkeit der Herzfrequenz von der Tageszeit, eine Rolle spielen, ist noch nicht entschieden. Auf die außerordentlich umfang- reiche Literatur über die Pulssteigerung beim Fieber, die als pathologischer Prozeß zu betrachten ist, kann hier nieht eingegangen werden. Die Pulsfrequenz schwankt auch während des Tages; diese Schwankungen sollen proportional den mittleren Schwankungen der Lufttemperatur sein. Einen Einfluß des Barometerdrucks gibt Vierordt!) an, nach ihm erhöht Steigen des Barometers um lcm Hg die Pulsfrequenz etwa um 1 Schlag Fig. 61. 90 I 8 80 EN 3 AHLEN = Y I un “ Pie u. v4 SI a E yä —— m — /- Dr Din’ 2. IN v EZ 4 Ss B. <2 re . N EA En ET ee Az: GL mm fr „m hr ie SEE 3 ei 3. ZIER m Sn # B= 2 Bela un ir \ KR, Fr ES 5 60 en a en nr ee nn an 50 6 9 12 € ) 12 Uhr Mittags Mitternacht Tageskurve der Pulsfrequenz. «————+ Tageskurve (die X bezeichnen Mahlzeitsstunden). ©-----0 Tageskurve beim Fasten. pro Minute. Wenn dies richtig wäre, würde es beweisen, daß die von Mercier?) nachgewiesene Steigerung der Pulsfrequenz unter dem Einfluß des Höhenklimas nicht eine Folge der Luftdruckänderung sein kann, denn, wie sich aus Merciers Zahlen herausrechnen läßt, hätte der Puls bei der vorhandenen Höhendifferenz um 12 Schläge in der Minute abnehmen müssen (vgl. hierzu auch Heller, Mager und v. Schrötter?). Fig. 61 gibt in der ausgezogenen Linie die aus all den genannten sowie aus den in 5 und 6 zu nennenden Gründen resultierende Kurve der Puls- frequenz bei normal lebenden Menschen wieder. Durch die X sind die Stunden der Mahlzeiten bezeichnet, die. punktierte Kurve gibt die Pulsfrequenz bei einem Hungernden wieder. s 5. Von Körperbewegungen. Schon die geringsten Bewegungen bewirken eine deutliche Steigerung der Frequenz. Die tiefsten Zahlen erhält man nur bei absoluter, längere Zeit fortgesetzter Körperruhe in liegender Stellung und in nüchternem Zustande. Daß also im Schlaf die Pulsfrequenz eben- falls gering ist, wäre nicht wunderbar. Ob die Tatsache, daß der Mensch schläft, außerdem noch eine Herabsetzung der Pulszahl bewirkt, ist fraglich, da meist Schlafende mit Wachenden und sich Bewegenden verglichen sind. !) Vierordt, Physiologie des Athmens 1845, 8.93, 194 u.255. — ?) Mercier, Influence du sejour dans les grandes altitudes sur le nombre de pulsations cardi- aques. C.r.d. la soc. de biol. 1894. — :°) R. Heller, W. Mager und H. von Sehrötter, Über das physiologische Verhalten des Pulses bei Veränderungen des Luftdruckes, Zeitschr. f. klin. Med. 33, 341—380; 34, 129—165, 1897. von Körperbewegungen und Körperlage. 757 Es wird angegeben, daß im Schlafe eine Frequenzverminderung um 5 Proz. (Heilbut!) eintritt, bei Kindern sogar um 10 Proz. (Vogel?) und bei Neu- geborenen bis zu 30 Proz. (Allix?). Beim Winterschlaf tritt eine sehr starke Abnahme ein. Saissy‘) u. Prunelle°) sahen beim Murmeltier die Pulszahl von 90 auf 10 und weniger heruntergehen. Marshall Hall‘) zählte bei Fledermäusen im Sommer bis zu 200 Schlägen in der Minute, im Winter nur 28 Schläge. Allerdings dürfte dies z. T. eine direkte Wirkung der herabgesetzten Temperatur sein, denn bekanntlich sinkt diese während R des Winterschlafes ganz außerordentlich. Die folgenden Zahlen gelten für gesunde Menschen, sind aber nur Durch- schnittszahlen, die eine Vorstellung von der Größe der Frequenzänderung geben sollen. Pulsfrequenz bei absoluter Körperruhe. ...... 60 = für. gEWORBHONAN HN ner ca are 2 70 & nach einem Spaziergange . .....- 100 eh nach längerem Geschwindschritt : . . 140 z nach schnellem Laufen. .. ..... 150 Entsprechend reagiert das Herz natürlich auf alle körperlichen Anstrengungen, und zwar sind die Frequenzsteigerungen bei gesunden Menschen sehr viel geringer als bei Krariken und Rekonvaleszenten (vgl. hierzu Christ’). Nach Aufhören der Körperbewegungen sinkt die Pulszahl nicht sofort, und zwar richtet sich die Dauer der Nachwirkung (bis zu einer Stunde) mehr nach der Dauer als nach der Größe der vorausgegangenen Anstrengung. Vgl. hierzu Zuntz u. Schumburg‘), Physiologie des Marsches; ferner Kolb?), der angibt, daß nicht selten bis 240 Pulse in der Minute vorkommen; Trautweiler!®) gibt jedoch an, daß bei 170 Schlägen die Grenze der Leistungsfähigkeit liege. 6. Von der Körperlage. Auch die Position des Körpers soll einen Einfluß ausüben. Der Puls ist am frequentesten beim Stehen, am langsamsten beim Liegen. Wenn man das Mittel aus den alten Angaben von Robinson "), Guy"), Hohl'®) u. a., die auf großem statistischen Material beruhen, zieht, erhält man beim Stehen 89, beim Sitzen 79, beim Liegen 77 Pulse pro Minute. Später hat Schapiro'*) sehr genaue Untersuchungen an 50 gesunden Soldaten angestellt und dabei den Puls im Stehen um 2 bis 34 (im Mittel 14) Schläge fre- quenter gefunden als im Liegen. Diese Zahlen sind zweifellos annähernd richtig, doch ist zu berücksichtigen, daß dieselben nur für den praktischen Arzt eventuell von Wichtigkeit sind. Was !) Heilbut, Über Pulsdifferenz, Tübinger Dissertation 1850, 8.16. — ?) Vogel, Lehrbuch der Kinderkrankheiten, 3. Aufl., 1867, S. 10. — °) Allix, Etude sur la physiologie de la premiere enfance 1867, p. 92. — *) Saissy, Rech. exper. sur la physique des animaux hibernants 1808, p. 42. — °) Prunelle, Les phenom£nes et les causes du sommeil hibernal, Ann. du Mussum 18, 28, 1811. — °) Marshall Hall, Art. „Hibernation“, Toods Cycelop. of Anat. and Phys. 2, 772, 1852. — ?) H. Christ, Über den Einfluß der Muskelarbeit auf die Herztätigkeit, Deutsch. Arch. f. klin. Med.53, 102. — ®) Zuntz u. Schumburg, Studien zu einer Physio- logie des Marsches. Berlin 1901, 8.34 bis 39. — °) Kolb, Beiträge zur Physiologie maximaler Muskelarbeit, besonders des modernen Sports, Berlin, bei Braun. — 1%) Trautweiler, Beiträge zur Mechanik und Physiologie des Bergsteigens, Jahrb. d. Schweiz. Alpen Clubs 1883/84. — !') Robinson Bryan, Treatise of the Animal Economy 1734, p. 180. — ') W. Guy, On the Effects produced upon the pulse by Change of Posture, Guys Hospital Reports 3, 92, 1838. — '*) Hohl, Die geburts- hilfliche Exploration. Halle 1855. — '*) Schapiro, Klinische Untersuchungen über den Einfluß der Körperstellung und Kompression peripherer Arterien auf die Herztätigkeit, Wratsch 2, Nr.10, 11, 13 u. 30, 1881 (russisch). 758 Verzweigungsmodus der Gefäße. sie bedeuten, ist damit nicht gesagt. Höchstwahrscheinlich sind es doch nur An- strengungen, welche diese Frequenzänderung hervorrufen, denn bei allen diesen Untersuchungen sind die mit der Aufrechterhaltung einer Lage bzw. mit deren Umänderung verbundenen Anstrengungen nicht berücksichtigt. Die Widerstände im System (die Capillaren). gar. Verzweigungsmodus der Gefäße und dadurch bedingter Widerstand. (Vgl. hierzu auch $ 37.) Die Verzweigung. in einem Gefäßsystem (vgl. Fig. 62) kann erfolgen nach Schema A (z.B. in einem künstlichen Kreislaufschema, wenn ein Schwamm Fig. 62. 1x12 5x1,5 1xX12 2x6 4x3 8x1,5 =12 =7 75 =12 =2 =12 =12 12 u 6 3 GG, re 4 6 TZZZIr 4 3 12 ALL ÄRZTE ZZ Eee Z 12 Dr 1x12 2x8 Ax6 8x4 16x 3 Verzweigungsmodus von Gefäßsystemen. A in den Kreislaufmodellen (mit Verengerung), B in der Technik (bei gleichbleibendem Querschnitt). C im Gefäßsystem (mit Erweiterung). Die in die Gefäße eingeschriebenen Zahlen bezeichnen die Lumenweite der einzelnen Gefäße; an den entsprechenden Stellen des Randes ist jedesmal die Multipli- kation der Lumenweite mit der Zahl der vorhandenen Wege ausgeführt und daraus ergibt sich der Gesamtquerschnitt. in die Glasröhre hineingesteckt wird). Dadurch wird die Strombahn geteilt und verengt. Oder nach Schema B (häufig technisch benutzt). Da- durch wird die Strombahn geteilt und sonst nicht geändert. Oder nach Schema (©. Hierbei wird die Strombahn in der Weise geteilt, daß zwar jedesmal der Querschnitt des sich teilenden Gefäßes größer ist als der Quer- schnitt eines jeden Astes, aber kleiner als deren Summe. Dieser letztere Fall ist beim Gefäßsystem verwirklicht, und zwar gilt dies, was oft bezweifelt Änderung des Gesamtquerschnittes. 759 worden ist, nach Fuchs auch für die Teilung der Aorta in die beiden Iliacae, wenn man die Messung in situ und nicht am herausgeschnittenen Präparat vornimmt. Die in dem Schema angeschriebenen Zahlen erläutern deutlich, wie dabei der Gesamtquerschnitt dauernd zunimmt. Hierbei ‘wird also die Strombahn geteilt und gleichzeitig erweitert. Daß dieser Ver- zweigungsmodus mit seiner Teilung in ein Transport- und ein Umsatzsystem für den Kreislauf besonders günstig ist, wurde schon in $ 4 gezeigt. Über das Verhältnis der Weite der Aorta zum Querschnitt der gesamten von ihr ausgehenden Äste vgl. auch $43. Vor allem Thoma!) hatte be- hauptet, daß der Querschnitt ” in .der arteriellen Bahn anfangs sogar verengt wird; nach ihm ist die Fig. 683 | gezeichnet. Sollte diese An- sicht nicht richtig sein, so würde das Querschnitts- minimum (und dement- sprechend das Geschwindig- keitsmaximum) innerhalb der arteriellen Bahn weg- 7] Fig. 63. fallen. Wenn die Strombahn Z / mit einer kontinuierlich strö- Aortd Arterien . = onen menden Flüssigkeit gefüllt ist, muß durch jeden Ge- samtquerschnitt des Gebildes die gleiche Menge fließen, denn sonst würde sich die Flüssigkeit an irgend einer Stelle stauen. Das gleiche Volum fließt aber nur dann durch verschiedene Querschnitte, wenn überall die Geschwindigkeit dem Querschnitt umgekehrt proportional ist. Im Schema A ist also die Geschwindigkeit im Capillargebiet größer, in Schema B gleich und in Schema C kleiner als in dem Hauptgefäße. Um also Blut durch die Capillaren zu treiben, wäre in A eine Kraft erforderlich, in B nicht, und in C wird offenbar Energie gewonnen, denn die Energie ('/;, mv”) ist für das Blut im Hauptgefäß größer als für das Blut in den Capillaren. Das Umgekehrte gilt für die dann wieder eintretende Sammlung. Beim Blut- kreislauf ist also Energie nötig, um dem Blute in den Venen die nötige Geschwin- digkeit zu geben. Allerdings sind die hier ins Spiel tretenden Energiemengen nicht sehr groß, nach Zuntz?) beträgt die Bewegungsenergie in der Aorta des Pferdes nur etwa 3 Proz. der gesamten an dieser Stelle im Blute vorhandenen Energie. Das gegenseitige Verhältnis des Gesamtquerschnittes und der Blutgeschwindigkeit an den einzelnen Stellen des Gefäßsystems. Weiter aber ist vor allem Kraft notwendig, um die sogenannten Reibungs- widerstände zu überwinden, die sich jeder materiellen Bewegung entgegen- setzen. Speziell für die Blutbewegung sind dies 1. die auf der Konsistenz des Blutes beruhende innere Reibung; 2. die Erzeugung von Strömungen und Wirbeln bei jeder Teilungsstelle (d. h. Umsetzung von Druckarbeit in eine Bewegung, welche nicht der Fort- bewegung des Blutes dient); !) R. Thoma, Untersuchungen über die Histogenese und Histomechanik des Gefäßsystems. Stuttgart 1893. — *) Zuntz und Hagemann, Der Stoffwechsel des Pferdes bei Ruhe und Arbeit. Berlin, Parey, 1898. 760 Die Capillaren und ihre Bedeutung. 3. das Hindurchpressen von Blutkörperchen durch sehr enge Capillaren. Die Kraft, welche diese Arbeit leistet und sich dabei fast völlig in Wärme umsetzt, ist eben der Blutdruck. Die auf diese Weise erzeugte Wärme beträgt etwa 50 Kalorien!) pro Tag und macht also etwa 2 Proz. der vom Menschen pro Tag erzeugten bzw. abgegebenen Wärme aus. Bekanntlich hielt man im Altertum fälschlich das Herz für die Quelle der tierischen Wärme. Abgesehen davon, daß, wie wir heute wissen, alle Wärme im Grunde aus der aufgenommenen Nahrung stammt, ist also das Herz auch nicht einmal als Vermittler und Verteiler der Wärme in nennenswertem Grade beteiligt. Die Widerstände liegen in den engen Gefäßen, den Capillaren sowie den kleinen Arterien und Venen. Gerade hier ist der Widerstand abhängig vom Gefäßtonus (s. oben). Endlich ist der Widerstand abhängig von der Konsistenz des Blutes. In folgendem sollen daher die hierher gehörigen Erscheinungen abgehandelt werden in den Abschnitten über die Capillaren, über den Gefäßtonus und über die Konsistenz des Blutes. Die Capillaren. $ 48. Die Strömung in den Capillaren. Der: wesentlichste Widerstand, der größte Kraftverbrauch findet nun nicht sowohl in den Capillaren, als vielmehr in den kleinsten Arterien statt; denn in den die Capillaren nur wenig an Durchmesser übertreffenden letzten Arterienverzweigungen ist die Geschwindigkeit wesentlich größer (da es viel mehr Capillaren als kleinste Arterien gibt). Demgemäß ist in ihnen der Kraftverbrauch größer als in den eigentlichen Capillaren. Allerdings variiert dies gemäß dem jeweiligen Kontraktionszustande. Vgl. hierzu u.a. auch die Arbeiten von Hürthle?), Campbell?) und Ewald) sowie $52b auf 8.778. Für die folgenden mechanischen Auseinandersetzungen ist es verhältnismäßig unwesentlich, ob es sich um Capillaren oder kleinste. Arterien handelt. Letztere werden also hier unter diesem Namen mit einbegriffen. ‘Wenn auch die Capillaren nicht die einzigen Verbindungen sind, sondern daneben selbst im menschlichen Körper noch, wie Minot’) hervorhebt, an mancherlei Stellen — vor allem in der Leber — lacunäre Bluträume existieren, so sind diese doch verschwindend im Vergleich zu den eigentlichen, wirklichen Capillaren. Direkte, nicht capillare Verbindungen zwischen Arterien und Venen wurden von der neueren Anatomie meist verworfen, dennoch kommen sie, wenn auch nur als schwache Äste (Länge bis zu 0,7 mm, Dicke bis zu 0,05 mm) an verhältnismäßig vielen Stellen des Körpers vor. Hoyer‘) beschreibt diese „derivatorischen Kanäle“ oder den abgekürzten Kreislauf) an den Ohren, an der Nasenspitze, den Lippen, !) Dazu kommen noch etwa 100 Kal., welche am Herzen selbst direkt als Wärme entstehen; rechnet man diese Wärme, die ja eventuell durch das Blut in alle Körperteile getragen wird, hinzu, dann beträgt die vom Herzen erzeugte Wärme 6 Proz. der gesamten Wärmeproduktion. — ®2) Hürthle, Über den Widerstand der Blutbahn. Deutsch. med. Wochenschr. 1897. — ?) H. Campbell, The resistance to the blood-flow. Journ. physiol. 23, 301, 1898. — *) J. R. Ewald, Zur Methodik der Messung des peripheren Widerstandes in einer Arterie. Arch. f. (Anat. u.) Physiol., Suppl., 8. 245, 1889. — °) Ch. 8. Minot, On a hitherto unrecognized form of blood eirculation without capillaries in the organs of vertebrates, Journ. of Boston soc. of med. sc. 4 (6), 133, 1900. — °) H. Hoyer, Über unmittelbare Einmündung kleinster Arterien in Gefäßiste venösen Charakters, Arch. f. mikroskop. Anat. 13, 603 (1877). A ee Die Capillaren und ihre Bedeutung. 761 den Zehen, an der Schwanzspitze und in den Geschlechtsorganen. Gehberg!) hat solche Verbindungen in der Nierenkapsel, Testut in der Pia mater des Erwachsenen beschrieben. Diese nicht capillaren Nebenschließungen sind offen- bar imstande, je nach dem Kontraktionszustande ihrer Muskulatur einen mehr oder weniger großen Teil des Überschusses der zuströmenden Blutmasse unmittelbar nach den Venen abzulenken, und es wäre nicht unwahrscheinlich, daß diesem Apparatus derivatorius eine nieht unbedeutende funktionelle Wichtigkeit zukäme, nur wissen wir hierüber so gut wie nichts; aus der oben angeführten Lokalisation in End- gebilden scheint allerdings hervorzugehen, daß es sich vielleicht um Wärme regu- lierende Apparate handelt. Außerdem sind diese Verbindungen sicher sehr wichtig für das Zustandekommen des Collateralkreislaufs. Für die Ernährung des Körpers, also für die eigentliche Funktion der Capil- laren kommt die Art und Struktur ihrer Wandungen in Betracht. Für die hämo- dynamische Betrachtung dagegen ist diese völlig gleichgültig, in dieser Beziehung spielt nur ihre Länge und ihre Weite eine Rolle (diese kann allerdings durch Kon- traktion geändert werden). Die Länge der Capillaren, d. h. die Entfernung der kleinsten Venen bis zu den kleinsten Arterien wird im Durchschnitt auf 200 «?), ihre Weite, die von der Blutfülle und dem Kontraktionszustande sehr abhängig ist, im allgemeinen auf 7 bis 13 u geschätzt. In bezug auf das Kaliber der Capillaren und die Maschenweite vgl. auch die Arbeiten von Keilson®) und v. Hösslin*). Während wir bei den größeren Gefäßen leicht den Druck, aber nur schwierig die Strömungsgeschwindigkeit beobachten können, ist dies bei den Capillaren umgekehrt. Die glashelle strukturlose Wandung derselben erlaubt mikroskopische Beobachtung des strömenden Blutes überall dort, wo die hüllenden Schichten des Bindegewebes einigermaßen durchsichtig sind. Diese Möglichkeit ist an sehr vielen Organen gegeben. Besonders bei den Kalt- blütern, deren große Blutkörperchen eine Beobachtung auch schon bei schwacher Vergrößerung erlauben, ist der Capillarkreislauf leicht zu sehen, und wurde daher auch kurze Zeit nach der Erfindung des Mikroskops als eine der über- raschendsten Tatsachen und gleichzeitig als der Schlußstein zu der Harvey- schen Lehre vom Blutkreislauf demonstriert. Seitdem sind viele weitere günstige Objekte aufgefunden, die wichtigsten Daten hierüber folgen: Malpighi (16865), Lunge, Mesenterium und Harnblase des Frosches. Leeuwenhoek (16956), Schwanz von Kaulquappen und Fisch. Derselbe (16957), Flughaut der Fledermaus. Cowper (1704 8), Mesenterium des Kaninchens. Spallanzani (1773°), bebrütetes Hühnerei. Hueter (187910), Innere Lippenschleimhaut des Menschen bei auf- fallendem Licht. !) Gehberg, Über direkte Anastomosen zwischen Arterien und Venen in der Nierenkapsel, Internat. Monatsschr. f. Anat. u. Physiol. 2, 223, 1885. — *?) Dieser nach Tigerstedt zitierte Wert scheint zu klein zu sein; es scheint, als ob Tiger- stedt dabei nicht die Entfernung von Arterie zu Vene im Auge gehabt hat, sondern nur die Länge einer einzelnen Gefäßmasche. — °) Keilson, Experim. Beitrag zur Lehre von der Pulsfrequenz, Königsberger Dissertation 1898. — *) v. Hösslin, Beitrag zur Mechanik der Blutbewegung, Festschr. f. v. Ziemssen 1899, 8. 103 u. 624. — °) Malpighi, Opera omnia 2, 141, Londini 1686. — 6) Leeuwenhoek, Arcana naturae delecta, p. 171, Delphis Balaror. 1695. — 7) Derselbe, ebenda p.222. — °) Cowper, Philosoph. Transactions 23, 1182, 1704. — °) Spallanzani, De fenomeni della eircolazione observ. nel giro univers. dei vasi, p. 143, Modena 1773. — !°) Hueter, Die Chailoangioskopie, eine neue Untersuchungsmethode zu physiologischen und pathologischen Zwecken, Zentralbl. f. d. med. Wiss. 1879, 8. 225 u. 241. 762 Anordnung der Capillaren. In neuerer Zeit hat Ewald!) die Tritonenlunge als schönstes Objekt für das Studium des Capillarkreislaufes empfohlen. Bei all diesen Beobachtungen sieht man, wie sich die roten und weißen Blutkörperchen durch die engen Gefäße hindurchzwängen; dabei sieht man deutlich, daß die eigentlichen Capillaren nicht so weit sind, daß in ihnen ein gleichmäßiger Strom längere Zeit bestehen bleiben könnte; besonders leicht kann man beim Frosch nachmessen, daß hier der Capillardurchmesser kleiner ist als der kleine Durchmesser der Froschblutkörperchen. Fig. 64. Capillare Verbindung zwischen einer kleinen Arterie und einer kleinen Vene aus der Schwimmhaut des Frosches (Vergr. 1:100). (Nur wenig schematisiert nach einer mit dem Zeichenapparat angefertigten Originalskizze.) In der rechten unteren Ecke sind die Blutkörperchen eingezeichnet, um den Axialstrom in den größeren Gefäßen und das „Durchpressen“ und „Verbiegen“ in den engsten Capillaren zu zeigen. An der obersten Teilungsstelle ist ein Blutkörperchen eben zerrissen; an den beiden nächsttieferen Teilungsstellen „reitet“ je ein Blutkörperchen. An den übrigen Stellen.der Figur bezeichnen die farbigen Teile des Gefäßnetzes diejenigen Strömungs- bahnen, in denen das Blut meist in derselben Richtung floß (von rot zu blau), während in den weißen Capillaren, in denen sich keine Pfeile befinden, die Strömungsrichtung schnell wechselte. In einem gegebenen Moment waren die mit Pfeilen versehenen Capillaren undurchgängig und unsichtbar; zeit- weilig öffneten sich diese Capillaren, und dann wurden zum Teil gewisse farbige Bahnen undurchgängig (besonders durch Kontraktion der schraffiert gezeichneten Stellen, A, B, C). Im allgemeinen sind immer mehrere Capillarschlingen hintereinander geschaltet. Eine direktere Ver- bindung findet sich in dem im Lumen stark wechselnden derivatorischen Kanal sowie an den Capillarschlingen bei 7 und ff (bei j immer vorhandene, bei j} nur zeitweilig vorhandene Verbindung). Immer wieder kommt es zu Stauungen, die dadurch veranlaßt sind, daß einzelne Blutkörperchen stecken bleiben, wobei sowohl die roten wie die weißen Blutkörperchen ihre Form verändern. In etwas weiteren Gefäßen, macht es ‘) Ewald, Beiträge zur histolog. Technik, Zeitschr. f. Biol. 34, 246. Stromrichtung in den Capillaren. 763 dabei häufig den Eindruck, als ob die Blutkörperchen gleichsam kleben bleiben, und zwar ist diese Tendenz bei den weißen Blutkörperchen ausgesprochener als bei den roten. (Ich selbst konnte allerdings diesen häufig angegebenen Unterschied in engen Gefäßen niemals konstatieren.) Auch aus anderen Gründen kommt es sehr leicht zu Stauungen — die Capillaren sind netzförmig angeordnet, und dabei sind natürlich oft Quer- verbindungen zwischen parallel verlaufenden Capillaren vorhanden. Es ist nun mehr oder weniger zufällig, in welcher Richtung der Blutstrom in solch einer Querverbindung fließt. Wenn der Druck in einem der beiden Gefäße auch nur um ein weniges überwiegt, wird das Blut in dem Verbindungsgange von ihm fortströmen; ist der Druck an beiden Gefäßen gleich hoch, so wird das Blut sich gar nicht bewegen. In der Fig.64, die mit dem Zeichenapparat nach einem Stück der Froschschwimmhaut gezeichnet ist, sind diese Verhält- nisse schematisch angedeutet; in den farbig gezeichneten Capillaren strömte das Blut im allgemeinen kontinuierlich in derselben Richtung (von rot zu blau). In den weiß gelassenen Partien dagegen wechselte die Stromrichtung häufig. In Wirklichkeit erstreckte sich dieser Wechsel noch auf weit mehr Gefäße. Auch manche der farbig gezeichneten Gefäße sind nur Anastomosen zwischen parallel verlaufenden Gefäßen. In der Figur kommt dies nicht zum Ausdruck, weil nur ein kleines Stück des Gefäßnetzes gezeichnet ist und der Übersichtlichkeit wegen alle die sehr zahlreichen Verbindungen mit der Um- gebung weggelassen sind (vgl. im übrigen die Legende zu der Figur selbst). Dieses „Hin und Herpendeln“ des Blutes in einzelnen Capillaren bedeutet im Grunde ein Stagnieren. Vor dem völligen Stehen des Blutstromes kommt dies Pendeln auch in größeren Gefäßen vor und ist hier schon von Stricker beschrieben. Aus physikalischen Gesetzen geht hervor, daß der axiale Strom die größte Geschwindigkeit besitzt und daß bei benetzenden Flüssigkeiten die Randschicht der Flüssigkeit überhaupt still steht. Wir hatten schon oben auf 8.726f. erwähnt, daß im allgemeinen dies besonders bedeutungsvoll für Capillargefäße sei. Hier sehen ‘ wir jedoch, daß es in den Blutcapillaren zur Ausbildung eines eigentlichen Achsenstromes gar nicht kommen kann, da die corpuseulären Elemente häufig genug das ganze Lumen verstopfen. Dann muß eben die ganze Flüssigkeitsmasse vorwärts geschoben werden, oder aber alles bleibt stecken. Anders in den kleinsten Venen und Arterien. Hier hat sich der axiale Strom deutlich gesondert, besser noch in den Arterien als in den Venen. Er fließt schneller und ist dicht angefüllt mit der aneinander gedrängten Masse von Blut- körperchen, die, ohne sich dabei zu drehen, vorwärts schießen und unter denen sich nur selten ein Leukocyt findet. Der periphere Strom erscheint im mikro- skopischen Bilde als ein heller, mit Plasma gefüllter Raum, in dem träge die weißen Blutkörperchen mitgeschwemmt werden, deren große Mehrzahl meist langsam an den Gefäßwänden entlang rollt; oft bleibt dabei eins kleben (und zwar seltener in den Arterien als in den Venen, welche daher auch weitaus leukocytenreicher sind). Diese Rollung der Leukocyten ist dadurch bedingt, daß sie dort, wo sie die Wand des Gefäßes berühren oder ihr nahe kommen, von der ruhenden Flüssigkeits- schicht. keinen Bewegungsantrieb erhalten, während sie von den mehr zentral gelegenen Schichten desto heftigere Stöße bekommen, je näher diese Schichten dem Zentrum liegen. Aus diesen einseitigen Stößen resultiert eine Drehung. Der leicht und konstant zu beobachtende axiale Erythrocytenstrom ist dagegen noch nicht völlig erklärt. Helmholtz!) hat vergeblich versucht, die Erscheinung \ !) Helmholtz, Zur Theorie der stationären Ströme in reibenden Flüssigkeiten. Heidelberg 1869. 764 Das Poiseuillesche Gesetz. theoretisch abzuleiten, und die in seinem Laboratorium von A. Schklarewsky') angestellten Versuche haben zwar in einwandfreiester Weise ergeben, daß immer kleine schwere Körperchen im axialen Strome, kleine leichtere in der Peripherie fortbefördert werden (unabhängig davon, ob die Körper‘ etwa beide leichter oder beide schwerer sind als die Suspensionsflüssigkeit). Aber das versprochene dritte Kapitel, das eine Deutung der experimentellen Resultate im Sinne der von Helm- holtz aufgestellten Gleichungen bringen sollte, ist bis heute nicht erschienen. Hamiltons?) Erklärung basiert auf der Annahme, daß die weißen Blutkörperchen spezifisch leichter seien als das Plasma, was offensichtlich falsch ist. Noch durch einen anderen Umstand entstehen nicht unbeträchtliche Wider- stände, die kleinen Arterien teilen sich meist dichotomisch in zwei spitzwinkelig auseinandergehende Zweige, zwischen denen dann die Ecke als spitzer „Sporn“ bestehen bleibt. An solehen Sporen bleiben dann manchmal die Leukocyten (und auch die Erythrocyten) hängen; da diese Gebilde sehr weich sind, werden sie über dem Sporn gebogen und „reiten“ nun auf demselben und bilden naturgemäß ein nicht unbeträchtliches Hindernis, bis sie von der in einem der Arme zufällig stärker werdenden Strömung mit fortgerissen werden. Tritt dies nicht ein und bleibt ein Erythrocyt längere Zeit hängen, so kann es selbst zu Zerreißungen des Blutkörperehens kommen. Sind diese Ereignisse auch mehr zufälliger ‘Natur, so kommen sie doch so häufig vor, daß man im Durchschnitt und in Summa sie nicht vernachlässigen darf. $ 49. Das Poiseuillesche Gesetz. (Vgl. hierzu auch $ 52.) Daß die in der Zeiteinheit aus engen Capillaren ausströmende Menge einer homogenen benetzenden Flüssigkeit der vierten Potenz des Radius umgekehrt proportional ist, ist nicht nur eine empirisch festgestellte Tatsache, sondern auch ein in genügender Annäherung beweisbarer Satz, der theoretisch für alle Röhren und alle sie be- netzenden Flüssigkeiten gilt, wenn die Dimensionen der sich bewegenden Flüssigkeitsteilchen klein sind gegenüber dem Röhrenvolum und andererseits die Röhre doch nicht so weit ist, daß nicht ein großer Teil der zentralen Flüssigkeit sich mit gleicher Geschwindigkeit bewegen kann. Auch muß die Röhre eine gewisse Länge haben, damit die an der Ein- und Ausmündungs- stelle der Röhre auftretenden Störungen und Wirbel vernachlässigt werden können. Es folgt daraus, daß für ein verzweigtes System von Capillaren das Poiseuillesche Gesetz überhaupt nicht ohne weiteres gilt. Auch die Biegungen der Capillaren spielen eine Rolle (vgl. hierzu Grüneisen?) und B. Levy®). Es ist also für die Gültigkeit des Poiseuilleschen Gesetzes vor allem notwendig Benetzung, relative Kleinheit der Flüssigkeits- elemente und Ausbildung einer nur axialen Maximalgeschwindigkeit. Daß Blut die Gefäßwände benetzt, wurde wohl nur von Freund?) be- zweifelt. Die Behauptung von W. Heubner®‘), wonach es verschiedene !) Schklarewsky, Über das Blut und die Suspensionsflüssigkeiten, Pflügers Arch. 1, 603. — ?) Hamilton, Circulation of blood-corpuscles, Fosters Journ. of Physiol. 5, 66. — ®) Grüneisen, Über die Gültigkeitsgrenzen des Poiseuilleschen Gesetzes. Die Bewegung tropfbarer Flüssigkeiten durch gerade und gewundene | Capillaren. Wissenschaftl. Abhandl. d. Physik.-Techn. Reichsanstalt 1905, IV., 8. 151. — *) B. Levy, Die Regulierung der Blutbewegung im Gehirn, Virchows Arch. 122, 174. — °) Freund, Ein Beitrag zur Kenntnis der Blutgerinnung, Wien. med. Jahrb. 86, 46. — °) W. Heubner, Die „Viscosität“ des Blutes, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 53, 280; Derselbe, ebenda 54, 149. een ee see Geschwindigkeit in den Capillaren. 765 Arten von Benetzung geben soll, beruht auf einer irrtümlichen Interpretation der Versuche von Helmholtz und Piotrowski. Daß aber trotzdem das Poiseuillesche Gesetz für das Blut in den Blut- capillaren nicht gültig sein kann, folgt daraus, daß die anderen beiden Be- dingungen nicht erfüllt sind, daß vor allem das Blut in bezug auf die Capil- laren nicht als homogene Flüssigkeit angesehen werden kann, da ja seine corpusculären Elemente unter Umständen die ganze Capillare versperren. Das Poiseuillesche Gesetz könnte daher nur für relativ weite Capillaren annähernd gültig sein. Jacobsohn hat die obere Grenze der Gültigkeit des Poiseuilleschen Gesetzes für Blut bei Röhren von 0,1 bis 0,2cm Weite gefunden; die untere Grenze ist nicht bestimmt. In derartigen Röhren ist der Reibungskoeffizient des Blutes bestimmt, der nach Duncan und Gamgee, Ewald und Haro größer ist als der des Wassers, d.h. „Blut ist dicker (kohärenter) als Wasser“. Weiter ergab sich, daß defibriniertes Blut einen höheren Reibungskoeffizienten hat als normales ungeronnenes Blut. Wenn nun selbst das Poiseuillesche Gesetz gültig wäre (d. h. wenn Blut eine homogene Flüssigkeit wäre, denn dann wäre die Gültigkeit für eine einzelne Capillare selbstverständlich), was nützte uns diese Kenntnis? Um daraus etwa den Einfluß der im Leben vorkommenden Ver- engerungen zu bestimmen ’? Eventuell könnte man unter der Voraussetzung der Gültigkeit des Poiseuilleschen Gesetzes aus der Geschwindigkeit Rückschlüsse auf die beobachtete durchschnittliche Beschaffenheit des Capillarsystems machen. Benno Levy!) war der einzige, der diese selbstverständliche Schlußfolgerung gezogen und die Berechnung versucht hat. Da jedoch das Poiseuillesche Gesetz nicht gilt, kann man seinen Resultaten keinen übermäßigen Wert bei- messen. $ 50. Geschwindigkeit in den Blutcapillaren. Die Geschwindigkeit in den Blutcapillaren und den feineren Arterien und Venen irgendwie genau zu beobachten oder zu berechnen, ist unmöglich. Be- obachten können wir sie nicht, weil wir nur die Geschwindigkeit der Blut- körperchen beobachten können. Diese ist, da die Blutkörperchen dort, wo sich ein axialer Strom entwickelt, immer in diesem treiben, gleich der maximalen. Wenn Tigerstedt (Lehrb., S.423) dies bezweifelt, so kann er damit nur meinen, daß die Geschwindigkeit, falls keine Blutkörperchen da wären, größer sein würde Denn die Geschwindigkeit des Plasmas kann niemals größer sein als die der axialen roten Blutkörperchen. Wenn diese, was oft genug der Fall ist, das ganze Capillarlumen ausfüllen, sind Plasma- und Blutkörperchen- geschwindigkeit einander gleich. Sonst ist die mittlere Geschwindigkeit des gesamten Blutes kleiner (aber größer als die Hälfte) der Blutkörperchen- geschwindigkeit. Allerdings gilt das Gesagte streng nur für einen stationären Strom. Ist der Strom beschleunigt, so werden die Corpuskeln infolge ihrer größeren Trägheit etwas zurückbleiben, bei Verzögerung umgekehrt etwas vorauseilen. Bei einer regelmäßig pulsierenden Flüssigkeit gleicht sich dies übrigens aus. !) Benno Levy, Die Reibung des Blutes, Pflügers Arch. 65, 447, 1897. 766 Querschnitt und Zahl der Capillaren. Die Blutkörperchengeschwindigkeit ist leicht zu bestimmen, da man sie an durchsichtigen Membranen unter dem Mikroskop deutlich beobachten kann. Hierbei sind Werte gefunden, die bei Warmblütern zwischen 500 und 900 u pro Sekunde, „ Kaltblütern de 100 600 u „ er schwanken !). Man kann auch aus dem entoptischen Bilde die Blutkörperchengeschwin- digkeit berechnen. Vierordt (18562) glaubte nämlich in gewissen entop- tisch sichtbaren Strömungen einen Ausdruck der Blutbewegung zu sehen. J. Müller pflichtete ihm bei, Helmholtz?) bestritt dies. ” $ 51. Gesamtquerschnitt und Zahl der Blutcapillaren. Da das Sekundenvolum, wie wir im $ 42 gesehen haben, unter allen Um- ständen gleich der Geschwindigkeit mal dem Querschnitt ist, so kann man aus der beobachteten Geschwindigkeit in den Capillaren und dem anderweitig bekannten Sekundenvolum (vgl. $44 auf S.748f.) den Gesamtquerschnitt aller Capillaren berechnen. Tigerstedt kommt dabei für den Menschen zu Werten von 800 bis 2200 gem, doch nimmt er dabei das Sekundenvolum zu 220 bis 440 ccm an, was nach Tigerstedts eigenen Ausführungen sicherlich zu groß ist (vgl. Tabelle S.750). Nehmen wir für den Menschen das Sekundenvolum zu 75cem und die mittlere Geschwindigkeit zu 0,05 cm pro Sekunde, so ergibt sich der Querschnitt aller Capillaren zu 1500qem, das ist etwa der 200- bis 300fache Querschnitt der Aorta. Doch ist dies nur der Quer- schnitt des sich bewegenden Blutes, die stehende Randschicht fällt sowohl bei der Aorta als auch bei den Capillaren fort. Nun bildet sie bei der Aorta einen verschwindenden Teil, bei den Capillaren aber macht sie vielleicht etwa die Hälfte des Querschnittes aus. Nehmen wir, was ungefähr richtig sein dürfte, den Querschnitt einer Capillare gleich 75 u” an, so ergibt sich, daß der Querschnitt von 3000qcm von etwa 4 Milliarden von parallel verlaufenden Capillaren gebildet wird. Diese Capillaren versorgen den ganzen Körper (also, da das Gewicht von Lunge, Leber und dem Blute selbst abzuziehen ist, rund 50kg). Lang sind die Capillaren nach Tigerstedts‘) Angabe 0,02cm; also würde die Körperschicht, welche von parallel laufenden Capillaren durchsetzt wird, eine Fläche von etwa 2'/, Millionen Quadratcentimeter (= 250qm) einnehmen. Denken wir uns diese Fläche von 2,5.10°gem von den 4.10°Capillaren gleichmäßig durchzogen, so kommen auf jeden Quadratcentimeter etwa 1600 (auf jeden Quadratmillimeter also nur 16) Capillaren. Die Capillaren ständen also nach dieser Rechnung in Abständen von etwa 0,02cm. Das ist aber offensichtlich zu wenig, die Capillaren stehen in !) Die Blutkörperchen, die unter dem Mikroskop so schnell dahinzuschießen scheinen, würden also mindestens eine halbe Stunde gebrauchen, um in diesem Tempo vom Kopf bis zu den Füßen eines Menschen zu gelangen. — ?) Vierordt, _Arch. f. physiol. Heilkunde, Heft II (1856). — °) Helmholtz, Physiol. Optik. — *) Tigerstedt (Lehrbuch, $. 414) gibt ausdrücklich an, daß sich die Ent- fernung auf den Abstand zwischen Arterien und kleinsten Venen bezieht. Hier- für ist es nun zweifellos zu wenig, die Angabe Chapmans (Treatise on Human Physiology, Philadelphia 1899, 8.312), daß die Länge 0,02 bis 0,05 cm be- trägt, nähert sich der Wahrheit schon mehr. Als Länge der einzelnen Gefäß- N. Querschnitt und Zahl der Capillaren. 767 fast allen Körpergebieten, wie man sich durch mikroskopische Bilder über- zeugen kann, sehr viel dichter. Abgesehen davon, daß eventuell die Blut- geschwindigkeit zu groß angenommen ist, muß folgendes dabei berücksichtigt werden: 1. Nicht alle Capillaren sind gleichzeitig durchgängig. Wenn dies der einzige Grund wäre, so müßten, wie man sich durch einen Vergleich der dies- bezüglichen Daten überzeugen kann, immer nur etwa !/, aller Capillaren durchgängig sein. In der Tat ist ein Teil der Capillaren jeweilig verschlossen. In dem in Fig. 64, S.762 wiedergegebenen Gefäßnetz waren es unter anderen diejenigen, die mit Pfeilen bezeichnet sind. Zeitweilig öffneten sie sich und das Blut floß dann in der bezeichneten Richtung, in den Punkten ABC und D kam es dabei vor, daß sich gleichzeitig das durch || bezeichnete Gefäßstück verschloß; man sieht aus der Figur, daß dabei das Blut teilweise in ganz - andere Gebiete gelenkt wird. Jedoch machen die jeweils verschlossenen Capillaren sicher nicht drei Viertel der Gesammtmenge aus. Ein ähnliches Verhalten hat auch Hueter!) in der Bauchhaut des Frosches und in der Lippenschleimhaut des Menschen konstatiert. 2. Capillaren sind häufig hintereinander angeordnet. Dieser letzte Grund dürfte der wesentlichste sein; schon aus der netz- förmigen Anordnung ergibt sich, daß unmöglich eine reine Parallelschaltung Platz greifen kann. Die Fig. 64 zeigt, daß tatsächlich die Verbindung zwi- schen Arterie und Vene nur selten durch eine einzige Capillarschlinge ge- bildet wird (in diesem Bilde eigentlich nur durch die mit f sowie durch die mit j7 bezeichnete, nicht immer durchgängige Capillare). Meist handelt es sich um vielfache Hintereinanderschaltung mehrerer Gefäßschlingen; dadurch werden die Wege zwischen Arterien und Venen etwa 0,1 bis 0,3 cm lang, zu deren Durchströmung das Blut beiläufig eine Zeit von 1 bis 3 Sekunden braucht. Die Art und Weise dieser Verbindung ist in den verschiedenen Organen eine sehr wechselnde, doch sind die betreffenden Verhältnisse bisher nur sehr ungenau bekannt. Ferner ergibt sich aus dieser Rechnung, daß die parallel geschalteten Capillaren etwa 30ccm fassen; rechnen wir nun auch den ganzen möglichen Fehler darauf, daß die Unstimmigkeit der Rechnung daher rührt, daß eben Capillaren hinterein- ander geschaltet sind, so ergibt sich doch, daß das gesamte Körpercapillarsystem bei normalem Gefäßtonus höchstens 200g Blut enthält, also nur etwa den 25. bis 30. Teil des gesamten Blutes. Wahrscheinlich aber dürfte die Kapazität des ge- samten Körpercapillargebietes kleiner sein und etwa dem einfachen oder höchstens dem doppelten Schlagvolum entsprechen, so daß mit einem oder doch mit wenigen Herzschlägen das Blut in dem Capillarsystem durchschnittlich vollkommen erneut ist. Weiter ergibt sich, daß die Capillaren in der Lunge, falls sie einen ebenso großen Gesamtquerschnitt haben wie die Körpercapillaren, sehr viel dichter stehen müßten. Falls sie aber einen geringeren Gesamtquerschnitt haben, würde das Blut sehr viel schneller in ihnen fließen müssen als in den Körper- capillaren. maschen dürfte 0,02cm im allgemeinen etwas zu lang sein. Das Chapmansche Lehrbuch der Physiologie ist übrigens das einzige mir bekannte, das die wichtigen Verhältnisse der Capillaren in guten Abbildungen (nach Carpenter) zur Dar- stellung bringt. ‚") Hueter, Deutsche Zeitschr. f. Chirurg. IV., 8.332 u. Zentralbl. f. d. Med. Wissensch. 1879, 8. 242. 768 Definition von „Blutkonsistenz“. Die Konsistenz des Blutes. 8 52. . Definition von „Blutkonsistenz*. (Vgl. hierzu auch $ 49.) Im allgemeinen versteht man unter „Konsistenz“ diejenigen Eigen- schaften einer Substanz, welche sich auf die innere und äußere Reibung be- ziehen. Die äußere Reibung ist, da Blut die Gefäßwände benetzt, — ® anzunehmen, da die äußerste Schicht ruhend bleibt. Unter Viskosität oder innerer Reibung versteht man diejenige Kraft, welche eine Bewegung einzelner Teilchen in einer Flüssigkeit oder in einem Gase verlangsamt. Diese Definition ist von den Verhältnissen einer homogenen Flüssigkeit hergenommen.. Nun ist das Blut aber keine homogene Flüssigkeit, und die für solche Flüssigkeiten gefundenen Gesetze können daher nicht ohne weiteres auf das Blut angewandt werden. Die innere Reibung im Blute ist nicht an allen Stellen die gleiche, da hier nicht nur Flüssigkeitsmolekeln gegeneinander verschoben, sondern außerdem kleine (in dieser Beziehung als fast fest anzusehende) Körperchen im Blute herumbewegt und gegenüber Plasmateilchen als Ganzes verschoben werden. Die innere Reibung des Blutes ist also eine komplexe Größe und setzt sich aus der inneren Reibung des Plasmas (Viskosität im eigentlichen Sinne) und der Reibung der Blutkörperchen am Plasma zusammen. Dazu kommt dann noch eventuell die Reibung der Blut- körperchen unter sich und an den Wänden (letzteres besonders in den Capillaren). Dementsprechend ist denn auch die innere Reibung des Plasmas sehr viel geringer als die des Blutes (siehe unten die Tabelle auf folgender Seite). Aber diese beiden Formen der inneren Reibung sind auch verschiedenartig und werden z.B. von der Temperatur in verschieden hohem Grade beeinflußt. 2 Besonders Burton-Opitz!) macht auf die Tatsache aufmerksam, auf welche dann auch Hirsch und Beck?) hinweisen, daß die Variationen der Konsistenz unter dem Einflusse der Temperatur beim Blute sehr viel größer sind als beim Serum. Zu ähnlichen Resultaten, die auch den sehr wesentlichen Anteil der roten Blutkörperchen an der Konsistenz beweisen, kommen auch Denning und Watson’). Für weite Röhren oder für größere Körper, die im Blute schwingen (Herz- klappengerinnsel usw.), kann man übrigens die Viskosität (Konsistenz) des Blutes durchaus als eine einheitliche Größe auffassen. Man kann dies, solange die Dimensionen des zu betrachtenden Gesamtsystems so groß sind, daß die einzelnen Blutkörperchen als verschwindend klein betrachtet werden können. Ist dies nicht angängig — 'wie z. B. bei den Capillaren —, dann führt die Vereinfachung zu Fehlern. Wo im folgenden von Konsistenz gesprochen wird, ist damit das gemeint, was die Autoren als „Viskosität“ bezeichnen. $ 53. Bestimmuug der Blutkonsistenz. ‘Man setzt die Viskositätskraft proportional der Verzögerung, welche eine Bewegung unter ihrem Einfluß erleidet; sie ist für verschiedene Substanzen !) A. Burton-Opitz, Vergleich der Viskosität des normalen Blutes mit der des Oxalblutes, des defibrinierten Blutes und des Blutserums bei verschiedener Temperatur, Pflügers Arch. 82 (Heft 9 bis 10), 464 bis 473, 1900. — *?) 0. Hirsch und CO. Beck, Studien zur Lehre von der Viskosität (inneren Reibung) des lebenden menschlichen Blutes. Deutsches Arch. f. klin. Med. 69, 503 bis 520, 1901. — °) Denning u. Watson, Proc. Roy. Soc. of Lond. 78, 318. Größe der Blutkonsistenz. 769 sehr verschieden und wird meist dadurch gemessen, daß man die Flüssigkeit unter gleichen Bedingungen, vor allem bei gleicher Temperatur und gleichem Druck durch dieselbe Röhre fließen läßt. Die verzögernde Kraft ist dann umgekehrt proportional der in einer bestimmten Zeit ausfließenden Menge. Die Kraft kann in absolutem Maße gemessen werden, wir werden sie in will- kürlichen Einheiten ausdrücken, indem wir die Viskosität des Wassers gleich 1 setzen. Auch kann man die Viskosität nach der Traubeschen Abtropf- methode bestimmen. Andere Methoden, die Viskosität zu messen, erfordern meist zu große Flüssigkeitsmengen, als daß sie für Blut anwendbar wären. Schon Ewald!) hatte auf die eigentümliche Tatsache aufmerksam gemacht, daß normales Blut eine geringere Reibung besitzt als defibriniertes, während man doch an sich das Umgekehrte hätte erwarten können; doch machte man die Bestimmungen im allgemeinen an defibriniertem Blut, und erst Hürthle?) hat ein Verfahren ausgebildet, bei dem die Bestimmung nur !/, Minute dauert und daher am unveränderten Blute ausführbar ist. Hierbei wird Blut während einer sehr kurzen meßbaren Zeit unter dem im Körper herrschenden Blutdrucke, der gleichzeitig registriert wird, durch eine Capillare in ein kleines Wägkölbchen gespritzt. Experimentell-kritisch konnte gezeigt werden, daß etwaige Gerinnung hierbei nicht störend wirkte und daß auch der Umstand, daß man in die Berechnung den mittleren Druck unter Ver- nachlässigung der pulsatorischen Schwankungen einsetzte, ohne Belang war, In einer zweiten Arbeit?) zeigte er, daß die benutzte Capillare höchstens 0,5 mm Durchmesser haben darf. Hirsch und Beck *) haben dann ein sehr bequemes, auch klinisch brauchbareres Verfahren zu Messung angegeben. Einige Konsistenzbestimmungen des Blutes verglichen mit Viskositätsbestimmungen einiger anderer Substanzen (Viskosität des Wassers =). ET ee A RR ee Re er WR Eee 0,02 BT A ee rede rg 1 0 ER EN Rear 100 EB PER EEII EHRREIIEN 300 Defibriniertes Blut (Ewald) . ..:.: 22.2 00.. 6,4 Defibriniertes Blut (Benno Levy) ....... 2 bis 10_ (im Mittel 3,5) Binaemintrrommsaortlrt: ... 2 6,0 KElBSnI ee So rel en te N rar re. N. Blut anderer Säuger . . .: 2.2.0000. 3,5 bis 8,4 TRENNT ea ne ie A HERBEHBETHBFIH IE FT a ee eu 4,7 Katzenblut Ru ee hal este ee 4,2 KANINCHOn DEU N Nele Se ern % 5, Mensch (Hirsch una Baak*). - .. . .. le... 0. 5,1 !) C.A.Ewald, Über die Transpiration des Blutes, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1877. — ”)K. Hürthle, Über eine Methode zur Bestimmung der Viskosität des lebenden Blutes und ihre Ergebnisse, Pflügers Archiv 82, 8 bis 9, 1900. — ®) Hürthle, Über die Veränderung des Seitendruckes bei plötzlicher Veränderung der Strombahn, Archiv f. d. ges. Physiol. 82, 443 bis 446, 1900. — *) C. Hirsch und C. Beck, Eine Methode zur Bestimmung des inneren Reibungswiderstandes des lebenden Blutes beim Menschen, Münch. med. Wochenschr. 47 (49), 1685, 1900. — 5) Trommsdorf, Untersuchungen über die innere Reibung des Blutes, Arch. f. experim. Pathol. 45, 56, 1900. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 49 770 Änderungen der Blutkonsistenz 8 54. Änderungen der Blutkonsistenz. Unter den Einflüssen, welche die Viskosität ändern, ist vor allem die Temperatur zu nennen, deren Steigen im allgemeinen eine Verminderung der Viskosität hervorruft. Daß dies auch beim Blute der Fall ist, hatten schon Ewald!) und Haro?) gezeigt, Benno Levy?) will dies dahin modifiziert wissen, daß die Blutkonsistenz zwischen 27 und 45° konstant bleibt und dann erst abnimmt, Burton-Opitz*) aber meint, daß dieselbe doch linear mit steigender Temperatur abnimmt. Burton-Opitz®) hat dann in einer anderen Arbeit desselben Jahres den Einfluß mehrerer anderer Faktoren auf die Blutkonsistenz untersucht. Chloroform- und Morphiumnarkose hatte keinen Einfluß, eine Verminderung der Konsistenz fand sich nach Blut- entziehung, sowie während des Hungers, eine Vermehrung nach reichlicher Kost, vor allem bei Fett- und noch mehr bei Fleischnahrung. Zusatz von Kaliumoxalat, das die Gerinnungsfähigkeit aufhebt, vermehrte ebenfalls die Konsistenz, sowie im Gegensatz zu den eigentlichen Narcoticis Curare. Borelli und Lalla‘®) fanden, daß die Konsistenz (in pathologischen Fällen) mit dem Eiweißgehalte des Blutes fällt und sinkt, dagegen vom Salzgehalt unabhängig ist. Daß die Blutkonsistenz mit dem Gehalt an CO, steigt, wurde ebenfalls von Burton-Opitz gezeigt und ist inzwischen von Ferrari’), Ewart®) und Determann?) bestätigt worden. Graham Brown!) fand, daß der visköse Widerstand des lackfarbenen Blutes herab- gesetzt ist. Gelatineinjektionen erhöhen die Viskosität [Czerny u Jacobj ») Hirsch und Stadler!) und Burton-Opitz]. Diese Resultate sind in vitro gewonnen, denn wenn man auch das unveränderte Blut untersuchte, so ließ man es doch eben durch Glasröhren strömen. Wie aber eine Anderung der Konsistenz des Blutes im lebenden Körper selbst wirkt, dar- über wissen wir so gut wie gar nichts. Poiseuille'*) gibt an, daß eine Herab- setzung der Konsistenz durch Zusatz gewisser Mengen von Kaliumnitrat den Blut- strom beschleunigt. Er hat dies in exakter Weise für tote Tiere nachgewiesen. Auch seine Versuche an lebenden, wobei er die Umlaufgeschwindigkeit des Gesamt- blutes nach der bekannten Heringschen Methode zu bestimmen versuchte, ergaben dasselbe Resultat. Demgegenüber konnten du Bois-Reymond, Brodie und Franz Müller '’’) in einwandsfreieren Versuchen zeigen, daß am lebenden !) Ewald, 1. c. 1877. — ?) Haro, Compt. rend. de l’Acad. des sciences 83, 696, 1886. — ®) B. Levy, Über die Reibung des Blutes in engen Röhren und ihren Einfluß auf das Gefälle im Gefäßsystem (Physiol. Ges. Berlin) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1897, 8. 147 bis 149. — *) Burton-Opitz, 1. c. 8. 464 bis 473, 1900. — °) Derselbe, Über die Veränderung der Viskosität des Blutes unter dem Ein- flusse verschiedener Ernährung und experimenteller Eingriffe, Pflügers Arch. 82, 447 bis 463, 1900. — °) Borelli und Lalla, Klinische Viskositätsbestimmungen, La Clinica Med. 45, No.1, 1906. — 7) Ferrari, Ricerche viscosometriche sul sangue asfittico, Arch. di Fisiologia 1, 305, 1904. — ®) Ewart, D. Sc. Dissert., Liverpool 1904. — °) Determann, Klin. Untersuchungen der Viskosität des menschlichen Blutes, Zeitschr. f. klin. Med. 59, 283, 1906. — '’) Graham Brown, R. Infirmary Rep., Edinburgh 1904. — !') Czerny, Bluteindickung und ihre Folgen, Arch. f. experim. Pathol. 34, 268, 1894. — !?) Jacobj, Deutsche med. Wochenschr. 1901, Nr. 8. — 13) Hirsch u. Stadler, Studien über den N. Depressor, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 81, 406. — *) Poiseuille, Pogg. Ann. 58, 424, und Compt. rend. de l’Acad. 16, 60, 1843. — '?) du Bois-Reymond, T.G. Brodie, Franz Müller, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1907, Suppl., 8. 37. und ihre Beziehungen zum Kreislauf. TTE Tiere — im Gegensatz zu den Poiseuilleschen Angaben — die Zirkulation nach Salpeterzusatz sogar sehr viel geringer wird und eventuell ganz aufhört. Sie be- ziehen dies auf eine Schädigung der Gefäßwandungen, also auf einen vitalen Vor- gang. Wenn sie dagegen die Konsistenz durch ein Verfahren änderten, welches unmöglich schädigend auf die Gefäßwandungen einwirken konnte — sie taten dies durch Zusatz von Serum oder von Blutkörperchenbrei —, so fanden sie in der Tat, daß der Blutstrom proportional der am Beckschen Apparate bestimmten Konsistenz ab- oder zunimmt, und zwar ebenso bei der Durchspülung überlebender Organe, wie bei einer Durchspülung in situ gelassener Organe (allerdings nur, wenn die- selben entnervt waren). Einzelne Ausnahmen, wie z. B. die Lunge, durch welche bei höherem Druck verhältnismäßig zu viel Blut.hindurchfließt, erklären sie durch die größere Dehnbarkeit der Lungengefäße. Als Hauptergebnis dieser Arbeit darf man wohl die konstatierte Tatsache ansehen, daß die Konsistenzänderung durchaus unwesentlich ist gegenüber vasomotorischen Einflüssen. Einen größeren Einfluß der Viskosität glaubt C. Tigerstedt!) konstatieren zu können. Er meint, daß die von Johans- son und R. Tigerstedt?) erwähnte schädliche Wirkung der Transfusion von defibriniertem Blute auf das Kaninchen zum Teil daher rühre, weil nicht wie bei Kochsalztransfusion die Viskosität und damit der Widerstand herab- gesetzt wird. Die hierdurch bedingte Mehrarbeit überanstrenge das Herz leicht. In dem Verhältnis zwischen Konsistenz und vasomotorischer Innervation liegt das eigentliche physiologische Problem. Daß Blut von dünnflüssigerer Konsistenz durch ein gegebenes Röhrensystem (das als unveränderlich zu nehmen ist) leichter hindurchströmt als dickflüssiges Blut, ist selbstverständ- lich, und daß bei einem „unveränderlichen“ Röhrensystem die Ausflußmengen proportional dem angewandten Drucke sind, ist zwar nicht ganz ebenso selbstverständlich, doch könnten die eventuellen Abweichungen innerhalb normaler Grenzen überhaupt nur gering sein und fielen in die Fehlergrenzen der genannten Versuche. Fraglich könnte es nur erscheinen, ob im lebendigen Körper es zu einer derartigen Vermehrung oder Verminderung der Strömung überhaupt kommt, wenn man die Konsistenz des Blutes ändert, oder ob nicht einer der vielfachen Regulationsmechanismen Platz greift und die Strömungs- geschwindigkeit auch dann in den normalen Grenzen hält. In diesem Falle wäre zu ermitteln, welches diese Regulationsmechanismen sind. Hierüber sagen uns die Versuche von du Bois-Reymond, Brodie und Franz Müller nichts; aber aus der Tatsache, daß die Versuche eben nur an entnervten Tieren glückten, scheint hervorzugehen, daß solche Regulationsmechanismen in der Tat existieren. !) Carl Tigersteät, Zur Kenntnis des Kreislaufs bei vermehrter Blutmenge. Skand. Arch. 20, 197, 1908. — ?) Johanssonu. Tigerstedt, ebenda 1, 333, 1899. 49* 772 Die Bedeutung von Blutdruckbestimmungen. Fünftes Kapitel. Der Blutdruck. (Über die Methoden der Blutdruckmessung sowie über Maximal- und i Minimaldruck vgl. $ 16 bis 24.) S 55. Bedeutung yon Blutdruckmessungen. Im vierten Kapitel ist gezeigt worden, von wieviel Bedingungen der Blutdruck abhängig ist. Wenn eine dieser Bedingungen geändert wird, so ändert sich der Blutdruck. Wenn die Elastizität der Gefäßwandung zu- oder abnimmt, wenn die kleinen Arterien sich kontrahieren oder erweitern, wenn die Capillaren ausgedehnt oder komprimiert werden, wenn die Zusammensetzung und damit die Konsistenz des Blutes schwankt, wenn Kraft oder Zahl der Herzschläge variiert, dann ändert sich immer auch der Blutdruck. Da nun jede Beeinflussung des Körpers zum mindesten eine der genannten Größen beeinflußt, so ist es nicht wunderbar, daß — indirekt wenigstens — auch immer der Blutdruck eine Änderung erleidet. Nun ist es jedoch nur in den seltensten Fällen möglich, anzugeben, was sich eigentlich geändert hat, und daher begnügt man sich meist damit, zu sagen, der Blutdruck sei gefallen oder gestiegen. Man muß sich aber bewußt sein, daß es sich dabei nur um ein Symptom, und zwar um ein vieldeutiges handelt. Wenn der Blutdruck bei Kindern niedriger ist, so kann das daran liegen, daß ihr Herz oder daß ihr Gefäßsystem anders ist als bei Erwachsenen; wenn bei zwei verschiedenen Tieren der Blutdruck ein anderer ist, so kann die Ursache in einer mehr oder weniger weit getriebenen Feinheit der Capil- laren, sie kann aber auch in unzähligen anderen Dingen ihre Ursache haben. Für den Arzt kann der Blutdruck als empirisches Symptom von großer Be- deutung sein, für die Wissenschaft waren die im vorigen Kapitel erwähnten . Untersuchungen weitaus wichtiger, welche sich bemühten, die Einzelursachen zu eruieren, anstatt die komplexe Erscheinung des so vielfach bedingten Blutdruckes beschreiben zu wollen. Es muß dies doppelt betont werden, weil man heute nur zu geneigt ist, den Wert von Blutdruckuntersuchungen zu überschätzen. $ 56. Der mittlere Blutdruck bei Tieren und Menschen. Da der Blutdruck bei einzelnen Individuen außerordentlich schwankt, können nur die Mittelwerte aus großen Zahlenreihen verwendet werden. Immerhin kann man aus Volkmanns (1850!) vergleichenden Messungen den Schluß ziehen, was er selbst leugnet (l. c. S.179), daß praeter propter bei großen Tieren der Blutdruck ein größerer ist als bei kleinen Tieren. Ich gebe, um diesen Einfluß zu zeigen, die Mittelzahl der bei Säugetieren gewonnenen Werte und gleichzeitig die bei der betreffenden Tierspezies be- obachteten höchsten und niedrigsten Werte. ‘) Volkmann, Die Hämodynamik nach Versuchen. Leipzig 1850. Der mittlere Blutdruck bei Tieren. 773 Blutdruck in cm Quecksilber Name des Tieres Mittelwert aller ? Beobachtungen Hex. Min, Il EN 18 23 11 Kalb .. „2... 16 18 13 Behafaur , zn u. 16 21 10 Eee EN | 14 17 10 ET | 13 .. 18 12 Kaninchen. ..... 1 10 11 9 ij Allerdings sind diese Zahlen nur als Mittelzahlen zu betrachten, im einzelnen findet man große Abweichungen und zum Teil viel höhere Werte als Volkmann angibt. Ein Blutdruck von 20 cm Hg kommt bei Hunden selbst in völliger Urethannarkose vor, und bei Kaninchen findet man Werte bis zu 18cm — Werte von 15cm sind nicht selten. Es könnte merkwürdig scheinen, daß bei großen Tieren der Blutdruck nicht sehr viel höher ist als bei kleinen, denn es ist doch selbstverständlich eine sehr viel größere Kraft dazu notwendig, um beispielsweise das Blut in einem Pferde als in einem Kaninchen umzutreiben, aber Druck ist eben auch nicht dasselbe wie Kraft. Druck ist als diejenige Kraft definiert, die auf einen Quadratcentimeter drückt. Nun drückt aber in allen Fällen die ganze Wand des Herzens; wenn also das Herz doppelt oder dreimal so lang ist, so drückt eine vier- bzw. neunmal so große Fläche. Wenn in beiden Fällen jeder Quadratcentimeter mit derselben Kraft drückt, so ist es klar, daß das zwei- bzw. dreimal so lange Herz trotzdem eine vier- bzw. neunmal so große Kraft entwickelt und dementsprechend auch größere Arbeit leisten kann. Bei den Kaltblütern (den niederen Wirbeltieren und den Wirbellosen) ist der Blutdruck sehr viel niedriger, was nicht überräschen kann, wenn wir bedenken, daß vom Blutdruck die Strömungsgeschwindigkeit (zum min- desten in bezug auf die Volumeinheit des Körpers) und daher auch indirekt die Geschwindigkeit des Stoffumsatzes abhängen muß. Der Stoffumsatz ist aber bei Kaltblütern sehr viel geringer als bei Warmblütern. Im übrigen haben alle Untersucher gefunden, daß bei Kaltblütern der Blutdruck von der Temperatur in starkem Maße abhängig ist, was ebenfalls mit den Er- scheinungen des Stoffwechsels in enger Übereinstimmung steht; vgl. z. B. F. N. Schulz). Kephalopoden . . . . 2,5—8,0 cm Quecksilber (Fuchs?) Fische, Torpedo. . . . 2,5 = . (W. Schönbein?) 4,0—6,0 „ a (Schulz!) Amphibien, Frosch, . 4,1—5,2 (Hofmeister*) Rana esculenta ix ” (BpoR Peuling} 2,9—3,6—4,2cm Quecks. (Klug?) Ochsenfrosch . . . . 0,5—3,0 cm Quecksilber (Hofmeister) Reptilien, Krokodile . 3,0—5,0 „ u (Hofmeister) ») F.N.Schulz, Über Blutdruckregulation bei Rana esculenta, Ber. d. deutsch. physiol. Gesellsch. 1905, Zentralbl. f. Physiol. 19, 302. — *) S.Fuchs, Beiträge zur Physiologie des Kreislaufs bei den Kephalopoden, Pflügers Arch. 60, 173, 1895. — ») C. Schönlein und V. Willem, Observations sur la eirculation de quelques poissons, Bull. scient. de la France et de la Belg. 26. — *) F. Hofmeister, Bei- träge zur Lehre vom Kreislauf der Kaltblüter, Pflügers Arch. 44, 68, 1889. — °) Klug, Über den beschleunigenden Einfluß des Nervus vagus auf die Herz- bewegung, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 80, 506, 1880. 774 Der mittlere Blutdruck des Menschen. Der mittlere Blutdruck des Menschen ist nur in den seltensten Fällen anläßlich chirurgischer Operationen gemessen worden. Dabei fand Faivre (1856 !) in der Femoralis sowie in der Brachialis einen Druck von 12cm Quecksilber. Albert?) fand bei derselben Methode etwas höhere Werte. Neuerdings haben O0. Müller und Blauel?) ähnliche Versuche gemacht und geben ähnliche Werte an. Ich selbst habe nach einer sehr einfachen Methode von Katzenstein mit diesem zusammen den Druck in der Subclavia gemessen. Durch einen Seitenast, der bei einer Operation durchschnitten werden mußte, wurde eine möglichst große sterile Kanüle in die Subelavia geschoben und dort mit einem breiten, später wieder entfernten Bande festgebunden. Der Druck wurde mit einem Quecksilbermanometer, das gedämpft werden konnte, gemessen und betrug dauernd nur 8 bis 9 cm Quecksilber, während der gleichzeitig angelegte Recklinghausensche Apparat einen Druck von 10 bis 14 (also im Mittel etwa 12)cm Quecksilber anzeigte. Der Druck von 8,7 cm ist zweifellos richtig, doch sind derartige Versuche nur als Kontrolle unblutiger Blutdruckmeßapparate verwertbar, denn da die Patienten in solchen Fällen wohl immer narkotisiert sind, ist der Blutdruck kein :normaler. Dieser Versuch, sowie ausgedehnte Versuche von Müller) zeigen den geringen Wert der absoluten Bestimmungen mit unblutigen Methoden. Wenn ich in folgender Tabelle dennoch die Werte zusammenstelle, so geschieht es, weil eben keine besseren vorhanden sind; es beträgt der Blut- druck in runden Zahlen: Mittelzahl uns Untersucher renzen Direkte Messung: Mit Quecksilbermanometer in der 12 — Faivre u. Albert‘) BASS er a 9,1 8,8—9,5 |O. Müller, Mittelzahl. (In Narkose) Zr re | 8,7 —_ Katzenstein u.Nicolai Indirekte Messung: 15 13—16 | Basch?) Mit dem B rat - I NEUE RENTEN AREA | 12 10—16 spätere Untersucher 13 Weg Riva Rocei Mit dem Ri R i- A nn, ee Aria \ 12 9—12 |spätere Untersucher °) Mit dem Gärtnerschen Apparat 11 9—12 | Gärtner MitdemRecklinghausenschen Apparat (Methode d. entspannt. Art) ae ne I» 34 9—13 Mittel a. eigen. Versuchen Den mittleren Druck in der Aorta kann man mit Tigerstedt etwa auf 15cm Quecksilber schätzen. ') Faivre, Gaz. med. de Paris 26, 727 (1856). — ?) Albert, Einige hämo- graphische Messungen am Menschen, Medizin. Jahrbücher 8.249, Wien 1883. — ®) Müller und Blauel, Zur Kritik des Riva-Roceischen und Gärtnerschen Sphygmomanometers, Arch. f. klin. Med. 91, 517, 1907. — *) Faivre u. Albert, l. c. — °) Basch, Zeitschr. £f. klin. Med. 2, 96; 3, 383, 1880 u. 1881. — °) Zadeck, Die Messung des Blutdruckes am Menschen mittels des Baschschen Apparates. Berliner Dissertation 1880; Christeller, Blutdruckmessung am Menschen unter pathologischen Verhältnissen. Berliner Dissertation 1880; Friedman, Med. Jahrb. d. k. k. Gesellsch. d. Ärzte 1882, 8. 200, und andere mehr. tee er Blutdruck und Lebensalter. 775 $ 57. Einfluß von Alter, Größe und Geschlecht. Vielfach ist es versucht worden, den Einfluß von Alter und Körper- größe auf den Blutdruck zu eruieren. Potain!) kam dabei zu dem Resultat, daß die Körpergröße von keinem Einfluß auf den Blutdruck sei. Wenn wir jedoch annehmen, daß der Einfluß nur etwa von jener Größen- ordnung ist, der sich bei der Blutdruckmessung an verschiedenen Tieren herausgestellt hat, so sieht man deutlich, daß die Fehlerquellen der Methodik so groß sind, daß man sie nur an einem sehr großen statistischen Material feststellen könnte. Nach Potain ist der Blutdruck bei Erwachsenen doppelt 'so groß als bei Kindern. Zu einem ähnlichen Resultat wie Potain kamen auch Zadeck?), Arn- heim?) und vor allem auch He 2:08 Eckert*), der mit Baschs Sphyg- 20 momanometer den Druck in der Art.temporalis maß; das Mittel aus ; = diesen Beobachtungen zeigt folgende Kurve. Man sieht, daß die wesent- N 0 lichste Blutdrucksteigerung in den > —— 2 Pubertätsjahren erfolgt. En Die Autoren machen für diese 5 De es Unterschiede nur das Alter und nicht die Körpergröße verantwortlich, doch ist es natürlich äußerst schwierig, 0 3 10 15 30 Jahre im Einzelfalle zu sagen, ob Alter oder Körpergröße das Entscheidende ist, da ja beide, wenigstens annähernd, parallel gehen. Das Alter muß zweifel- los eine nicht unbeträchtliche Rolle bei jeder Messung spielen, zwar nicht notwendigerweise in dem Sinne, wie Potain glaubt, daß der Blutdruck selbst wesentlich geändert ist, sondern dadurch, daß die viel größere Weichheit der kindlichen Gewebe eine einsinnige Fehlerquelle.ist, welche den Blutdruck der Kinder relativ zu klein erscheinen läßt. Allerdings hat man auch bei direkter Messung an Tieren gefunden, daß bei jugendlichen Individuen der Blutdruck kleiner ist. Noch geringer zeigte er sich vor der Geburt. Zuntz und Cohnstein’) fanden ihn bei jungen Schaf- embryonen nur = 4,7cm Quecksilber, bei älteren Embryonen war er etwa doppelt so groß. Dies steht im Zusammenhang mit der von Fuchs festgestellten Tatsache, daß die Längsspannung des Gefäßsystems bei Embryonen bzw. Neugeborenen gleich Null ist, und erst allmählich zunimmt. Einfluß des Alters auf den Blutdruck. « nach Eckert?) ®----- © nach Arnheim 3) x nach Zadeck 2) e——e nach Potain !) x !) C. Potain, La pression arterielle de l’homme ä l’&tat normal et pathologique, Paris 1902. — ?) Zadeck, Die Messung des Blutdruckes am Menschen mittels des Baschschen Apparates, Zeitschr. f. klin. Med. 2, 514, 1881. — °) Arnheim, Über das Verhalten des Wärmeverlustes, der Hautperspiration und des Blutdruckes bei verschiedenen fieberhaften Krankheiten, Ebenda 5, 383, 1882. — *) Eckert, Wratsch 3, 220, 1882. — °) Zuntz und Cohnstein, Untersuchungen über das Blut, den Kreislauf und die Atmung beim Säugetierfötus. Pflügers Arch. 34, 193, 1884. 776 Der Druck in den Arterien Wir erwähnen dann noch die Arbeiten von Gumprecht''!) und Hensen?), die ebenfalls eine Blutdrucksteigerung bei zunehmendem Alter konstatierten. Gumprecht fand den höchsten Blutdruck bei Greisen. Beide fanden, daß Frauen einen niedrigeren Blutdruck haben als Männer, wobei es allerdings zweifelhaft ist, inwieweit hierbei die Körpergröße eine Rolle spielt. Auch Albutt?°) hat eine Blut- drucksteigerung im späteren Leben gefunden, ebenso Ugriumow‘*). Die runden Mittelzahlen sind folgende: Gumprecht Hensen Ugriumow cm Hg cm Hg . cm Hg Kinder 7 an. 10 12 = Frauen on. Me: 12 13 11 MERNeEr:. are en 14 14 12 reisen a een 18 —_ 15 Ugriumow betont ausdrücklich, daß die gemessene Blutdrucksteigerung im Greisenalter eine Folge der Arteriosklerose sei, was auch wohl für die anderen Untersuchungen gelten dürfte. $ 58. Der Blutdruck an den verschiedenen Stellen des Körpers. a) Der Druck in den Arterien. Daß der mittlere Blutdruck in jedem der beiden Kreisläufe von den Semilunarklappen ab bis zu den venösen Ostien des Herzens dauernd ab- nimmt, daran kann gar kein Zweifel sein, denn sonst könnte eben keine Strömung zustande kommen, die doch immer von den Orten höheren Druckes zu denen niederen Druckes verläuft. Aber wohl möglich ist es, daß zeitweilig an rückwärts gelegenen Stellen eine Verminderung des Druckes eintritt, dann kommt es eben zu einer zeitweiligen Rückströmung, welche die ganze vorliegende Blutsäule ergreift, bis zu dem Punkte, in dem der Druck schon infolge seiner Entfernung vom Herzen so tief gesunken ist, daß er dem nunmehr verminderten Drucke gleich ist. Daß dies bei der Ent- stehung der sogenannten dikroten Welle der Fall ist, soll in $ 67 gezeigt werden. Im übrigen aber nimmt der Druck allmählich ab — muß abnehmen, Wenn Poiseuille5) in seiner Doktorarbeit das Gegenteil behauptet und angibt, daß der Druck in den Arterien überall gleich sei, so kann er damit nur meinen, daß die Druckunterschiede in den der Messung zugänglichen größeren Arterien klein sind, und dies erscheint fast selbstverständlich: sind doch in den Arterien kaum Widerstände zu überwinden, die Bahnen sind weit und bleiben es. Ja, dadurch, daß die Gesamtbahn sich dauernd erweitert, wird das Strömen noch erleichtert. ‘) Gumprecht, Experimentelle und klinische Prüfung des Riva-Roccischen Sphygmomanometers, Zeitschr. f. klin. Med. 39, 377, 1900. — ?) Hensen, Beiträge zur Physiologie und Pathologie des Blutdruckes, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 67, 436. — °) Albutt, Rise of blood-pressure in later life, Med. chirurg. Transactions 86, 323, 1903. — *) Ugriumow, Schwankungen des Arteriendruckes im Greisen- alter, Wratsch, Nr. 32/33, Petersburg 1892. — °) Poiseuille, Recherches sur la force du coeur aortique, These de Paris, p. 31. ee ee ee ee | ist überall fast gleich groß. 777 Nur in der Nähe der Peripherie bei der Aufspaltung in kleine Arterien nimmt möglicherweise der Druck rascher ab, so gibt v. Frey!) an, daß der Druck in der Radialis über dem Handgelenk . . 15—16cem Quecksilber dem Daumenballen . .». .». 22.2.2... 12-13 , 5 der letzten Phalange des Fingers . . . 10—11 „ 5 beträgt (über die Methode vgl. $ 22, 8. 709). v. Recklinghausen?) dagegen sah den Druck nur um weniges (etwa 1 cm) abnehmen: Maximum Minimum Im'Öberarm' . . . 2% 14,5 . 8,8 cm Quecksilber Im Mittelfinger ..... 133 TTS > 7 Die Poiseuillesche Angabe, daß praktisch der Blutdruck von der Ent- fernung vom Herzen unabhängig ist, haben spätere Untersuchungen aus- nahmslos bestätigt, so fand z. B. Volkmann) beim Kalb in der Carotis einen nur um 14 bis 29 Proz. höheren Druck als in der Peripherie, Fick) beim Hund in der Aorta einen um 14Proz. höheren Druck als in der Peripherie, . v. Schulten®) beim Kaninchen in der Aorta einen um 8 Proz. höheren Druck als in der Peripherie. Hürthle’) hatte auf Grund von Hundeversuchen darauf hingewiesen, daß zwar der minimale (sogenannte diastolische) Druck vom Herzen gegen die Peripherie sich nur um weniges ändert (im Mittel seiner Versuche nimmt er um etwa 5 Proz. ab), daß aber der maximale (sogenannte systolische) Druck sich recht bedeutend ändert, und zwar nimmt derselbe gegen den Kopf hin stark ab (um 40 Proz.), gegen die Beine weniger stark zu (im Mittel um 25 Proz.). Danach schien der mittlere Druck in der Cruralis höher zu sein als in der Carotis. Diese schon von Ludwig und Spengler und später von Volkmann beschriebene paradoxe Erscheinung will v. Kries (1892°) durch die Bildung. einer stehenden Welle infolge von Reflexion erklären. Hoor- weg) versucht eine andere Erklärung, doch gibt Hürthle!P) auf Grund !) v. Frey, Eine einfache Methode, den Blutdruck beim Menschen zu messen, Festschr. f. B. Schmidt, Leipzig 1896. — *) v. Recklinghausen, Un- blutige Blutdruckmessung, I u. II, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmak. 55, 433ff., 1906. — °) Berechnet als Mittelzahl der Versuche von Recklinghausen. *) Volkmann, Hämodynamik 1846, 8. 168. — °) Fick, Festschrift Würzburg 1, 278, 1882. — °) v.Schulten, Arch.f. klin. Chirurgie 32, 463, 1885. — 7) Hürthle, Über den Ursprungsort der sekundären Pulswellen, Pflügers Arch. 47, 17, 1890. — ®) v. Kries, Studien zur Pulslehre, S. 67f., Freiburg 1892. — °) Hoorweg, Peri- pherische Reflexion des Blutes, Pflügers Arch. 52, 488, 1892. — '") K. Hürthle, Vergleichung des mittleren Blutdruckes in Carotis und Cruralis (Physiol. Inst. Bres- lau), Arch. f. d. ges. Physiol. 110, 421 bis 436 (Taf. 2), 1905; M. Sichle, Beiträge zu einer funktionellen Diagnose der Angina pectoris, Wien. klin. Wochenschr., Nr. 14, S. 379; Horner, Über Blutdruckuntersuchung mit dem Sphygmoskop nach Pal, Deutsch. med. Wochenschr. 1907, Nr. 19, S. 753; M. W. Janowsky, Über klinische Methoden zur Bestimmung der arteriellen Druckänderungen, Izw. Wojen Med. Akad.10 (No.1), 3 (russisch), 1905; L. Raab (sein Schüler Uskow), Funktionelle Diagnose der beginnenden Kreislaufstörung, Verh. d. 23. Kongr. f. innere Med. 1906, 8. 498; G. Oliver, Haemomanometry in man, Lancet 1905, Nr. 4273, p. 201. 778 Der Capillardruck seiner letzten, sehr sorgfältig durchgeführten Untersuchung an, daß der Cruralisdruck in Wahrheit stets niedriger ist als der Carotidendruck (etwa 0,1 cm niedriger). b) Der Capillardruck. Daß der größte Teil des Blutdruckes bei der Durchströmung der kleinen Gefäße verbraucht wird, ist zweifellos. Fraglich kann nur sein, ob dieser Verbrauch vornehmlich in den kleinen Arterien, in den Capillaren selbst oder etwa gar in den kleinen Venen stattfindet. Das Naheliegendste war es, den größten Druckabfall in den engsten Gefäßen, also in den Capillaren, zu suchen; wenn man auch sehr bald fand, daß die Poiseuillesche!) Ansicht, wonach der Widerstand in den Capillaren von einer Einschränkung der Strombahn herrühre, durchaus falsch sei, so war doch die Meinung allgemein verbreitet, daß der ganze Druck des Herzens in den Capillaren verzehrt werde, und daß deshalb in der Mitte der Capillaren der halbe Herzdruck herrschen müsse [vgl. hierzu die damaligen Lehr- und Handbücher der Physiologie von Donders2), Hermann’), Kirke®), Landois°) u.a... Tigerstedt®), der sich über diese Frage nicht bestimmt äußerte, scheint den wesentlichen Wider- stand in den Capillaren zu sehen, trotzdem schon Volkmann’) darauf auf- merksam gemacht hatte, daß man sich vom Widerstand in den Capillaren nicht eine übertrieben große Vorstellung machen dürfe, weil in ihnen die Geschwindigkeit sehr gering ist. In die kleinen Venen wurde der Hauptwiderstand wohl nur von A. Fick ®) verlegt, der meinte, „daß in den Capillaren noch nahezu der arterielle Blut- druck bestände, und erst in den Anfängen des venösen Abschnittes sehr rasch zu den in den Venen mittleren Kalibers beobachteten sehr geringen Werten absinke“, eine Ansicht, die schon dadurch widerlegt wird, daß die kleinsten Venen niemals spritzen. Demgegenüber hat wohl Campbell?) zuerst darauf hingewiesen, daß der größte Druckabfall und der größte Widerstand in die kleinen Arterien verlegt werden müsse. Diese Meinung hat vor allem Benno Levy !P) durch Versuche, Betrachtungen und Berechnungen über das Poiseuillesche Gesetz zu stützen gesucht. Im Eingange des $ 48 hatten wir gezeigt, wie man auch ohne Rücksicht auf dieses Gesetz zu der gleichen Annahme kommt, wie denn überhaupt das Poiseuillesche Gesetz aus der Diskussion über der- ° artige Fragen ausscheiden sollte, da sich die Kompliziertheit des Capillar- systems nicht unter die starre Abstraktion einer derartigen Formel sub- summieren läßt. (Vgl. hierzu $ 49.) Der Blutdruck in den Capillaren selbst ist naturgemäß für das Zustande- kommen der Stoffwechselvorgänge äußerst wichtig. Man kann sicherlich be- ') Poiseuille, Sur la pression du sang dans le syst&me arteriel, Compt. rend. de l’Ac. 66, Nr. 19, p.886. — *) Donders, Physiologie des Menschen, übersetzt von Theile 1859, 8.130. — ®) Hermann, Handbuch d. Physiologie IV, 1, 322. — *) Kirke,. Handbook of Physiology. — °) Landois, Lehrbuch der Physiol. des Menschen, 7. Aufl., 8. 168, 1891. — °) Tigerstedt, Lehrbuch 8. 413 bis 415. — 7) Volkmann, Pogg. Ann. 61, 586. — °®) Fick, Über den Blutdruck in den Blut- capillaren, Pflügers Arch. 42, 482, 1888. — °) Campbell, On the resistance offered by the blood capillaries to the eirculation, Lamet 1894, I, p.594. — !) Benno Levy, Die Reibung des Blutes, Pflügers Arch. 65, 447, 1897. an ah ann ne haha On tendiert zur Stabilität. 779 haupten, daß die Aufrechterhaltung eines bestimmten Blutdruckes oder besser noch eines bestimmten Blutdruckabfalles und dadurch gegebener Capillar- geschwindigkeit das Wesentlichste im ganzen Kreislauf ist. Der -Capillar- druck ist nun zwar abhängig vom Druck in den Arterien, doch kann, wie an anderer Stelle hervorgehoben worden ist, der Körper lokal seinen Capillar- druck durch Erweiterung oder Verengerung der kleinen Arterien variieren. Die relative Unabhängigkeit des Capillardruckes vom arteriellen Druck haben vor allem Bayliss und Starling!) experimentell gezeigt, die das Verhältnis vom arteriellen zum Capillar- und Venendruck ausführlich erörtern. Wäre dies nicht der Fall, so müßte z. B. der Blutdruck in den Capillaren direkt proportional der Höhe sein, in welcher sich das betreffende untersuchte Capillargebiet jeweilig über der Herzhöhe befindet?2).. Nehmen m Hg ru Bd wir an, die in Herzhöhe gehaltene 7 A Hand habe in ihren Capillaren sl I einen Druck von beiläufig 3,5 cm 5 IE Quecksilber, was nach den Unter- Beet pe) suchungen von v. Kries?) etwa * gern zutrifft, dann müßte, nach den 3 >77 Gesetzen der Hydrostatik, beim at? —_ abs Erheben bzw. Senken der Hand i BR | der Capillardruck entsprechend Ge | | den punktierten Geraden in “50cm 50 cm Fig. 66 fallen bzw. steigen, d.h. uyraigenge a Ha a wenn die Hand 1 „m gehoben Änderung des Capillardruckes in der Hand bei ist, müßte der Capillardruck 0 Heben und Benken des Armes. sein, ist sie !/,m gesenkt, müßte der Druck etwa 6,5 cm betragen. Statt dessen folgt die Druckkurve, wie aus den vergleichenden Untersuchungen von v. Kries hervorgeht, etwa der stark ausgezogenen Linie. Man sieht daraus, daß der Capillardruck sich langsamer ändert, als nach den einfachen hydrostatischen Gesetzen erwartet würde, und zwar sind die vital bedingten Abweichungen desto größer, je kleiner der Druck ist. Zu ähnlichen tatsächlichen Feststellungen ist auch v. Recklinghausen *) gekommen. Die von ihm mit diesem Phänomen in Zusammenhang gebrachten Erscheinungen an den Venen dürften jedoch eher Folgen als Ursachen sein. Der Körper reagiert also viel weniger auf eine Druckerhöhung im Capil- larsystem als auf eine Drucksenkung; die Druckerhöhung erscheint auch nicht gefährlich, während’ eine bis auf einen Druck von 0 herabgehende Blut- drucksenkung natürlich eine deletäre Anämie zur Folge haben müßte — und dagegen verteidigt sich der Körper mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln der Formänderung im Gefäßsystem. Er kann dies auf alle Fälle leisten, !) Bayliss u. Starling, Observations of venous pressures and their relationship to capillary pressures, Journ. of Physiol.16, 159, 1894. — *) Proportional natürlich abzüglich einer additiven Konstante. — °) v. Kries, Ber. d. Königl. sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. Kl., 27, 149, 1875; Arbeiten a. d. physiol. Anstalt Leipzig 10, 69, 75 u.76. — *) v. Recklinghausen, Unblutige Blutdruckmessung III. Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmak. 55, 498 ff., 1906. 780 Der Venendruck ist klein aber positiv. denn selbst bei Kopf stehenden Riesenmenschen befinden sich die Füße nur höchstens 1,5 m über dem Herzen. Um das Blut bis dahin zu treiben, ist ein Druck von etwa ll cm notwendig. Da das Herz einen Druck von etwa 18cm ausübt, müssen die kleinen Arterien und die Capillaren sich so weit öffnen, daß bei ihrer Durchströmung nicht mehr als beiläufig 5cm Queck- silberdruck verbraucht wird, dann bleibt in den Capillaren immer noch ein Druck von 3cm Quecksilber übrig, und das genügt. Daß eine schlechte Blutversorgung die Gefäße zu einer Dilatation bringt, geht auch aus den Versuchen von Nathansohn!) hervor, der nach einer Umschnürung der Venen den Blutdruck während der folgenden 15 Minuten langsam, aber stetig ansteigen sah, übrigens werden sich nicht nur die kleinen Arterien, sondern auch die Capillaren selbst erweitern — denn diese sind sicherlich kontraktionsfähig (Steinach). c) Der Venendruck. Den Venendruck kann man nur dann mit einer endständigen Kanüle messen, wenn die untersuchte Vene nicht die direkt und einzig von einem Capillargebiet stammende ist, weil sonst nach allmählicher Erweiterung der Capillaren der übertragene Arteriendruck gemessen werden würde. Sonst mißt man den Venendruck mit einer T-Kanüle. Der Venendruck ist abhängig von vielerlei Umständen, vor allem aber von der Weite der Capillaren. Aus den Angaben von Jacobsohn geht hervor, daß der Venendruck in den Beinvenen. . »°. 2 2.2.2... 0.0. über 4+1,0cm Quecksilber, in den Armvenen. . .........7+05bis +10 „ a in der Anonyma und ihren Ästen . .... etwa+0 „ ei ist. Daß in diesen nahe dem Thorax gelegenen Venen der Druck, besonders während der Inspiration, negativ sein kann, wird in dem Abschnitt über den Donders- schen Druck auseinandergesetzt werden. Hier werden auch die eventuellen Ge- fahren, die daraus für chirurgische Operationen in dieser Gegend resultieren, des näheren auseinandergesetzt werden. $ 59. Der Einfluß verschiedener physiologischer Faktoren auf den Blutdruck. Der wichtige Satz — „alles was auf den Körper überhaupt wirkt, wirkt auch gleichzeitig auf den Blutdruck“ — ist niemand so in Fleisch und Blut übergegangen, als den Pharmakologen, die, um ein neues Heil- ‘ mittel zuerproben, füglich zuerst einmal eine Blutdruckmessung vor der Injektion des neuen Pharmakons und dann eine zweite nach der Injektion ausführen. Diese pharmakologischen Arbeiten können hier nicht berücksichtigt werden, ebensowenig die zahlreichen klinischen Untersuchungen über die Frage, ob der Blutdruck in einzelnen Krankheiten steigt oder sinkt. Wir möchten nur erwähnen, daß sich bei kranken Leuten häufiger eine Blutdruckerniedrigung als eine. Steigerung findet (vor allem bei den meisten chronischen Krankheiten); eine Erhöhung des Blutdruckes zeigt sich eigentlich nur bei manchen Herz- und Nierenkrankheiten. Aber auch nach Eliminierung der genannten Arbeiten bleibt genug übrig, was besprechenswert wäre. Alle physiologischen Faktoren und Reize — vom Essen und Trinken angefangen bis zur Defäkation und Ejakulation — sind von sorgsamen !) Nathansohn, Über das Verhalten des Blutdruckes in den Capillaren. Königs- berger Dissertation 1886. En Enneen Blutdruck und Körperlage. 781 Untersuchern auf ihre pressorische Wirkung hin untersucht worden. Besonders, nachdem die neueren Methoden der unblutigen Blutdruckmessung derartige Unter- suchungen verhältnismäßig einfach gestaltet haben, schwoll die diesbezügliche Lite- ratur ins Ungemessene. Gute Übersichten findet man bei Neu!), die neueste Literatur bei John’). Körperlage. Die Körperlage soll einen Einfluß auf den Blutdruck besitzen, und dies scheint auch richtig trotz der widersprechenden Angaben. Im allgemeinen wird angegeben, daß im Liegen der mittlere Blutdruck im ganzen Körper am höchsten sei, niedriger im Sitzen und am niedrigsten im Stehen. Schapiro®) und Friedmann), die beide mit dem Sphyg- momanometer gearbeitet haben, geben an, daß der Blutdruck im Liegen etwa um 10 Proz. zunimmt. Erlanger und Hooker’5), die mit dem Er- langerschen Apparat arbeiteten, konnten in zahlreichen, exakt angestellten und ausführlich mitgeteilten Versuchen diese Angaben nicht bestätigen. Sie haben jedoch nicht den mittleren Blutdruck bestimmt, sondern haben ver- sucht, den maximalen und minimalen Blutdruck zu messen. Dabei zeigte sich, daß beim Aufstehen der maximale Blutdruck annähernd derselbe bleibt (im Mittel aller ihrer Versuche eine Verminderung von etwa 1 Proz.), daß dagegen der minimale Blutdruck zunimmt (im Mittel aller ihrer Versuche um etwa 10 Proz.). Zu ähnlichen Resultaten kommt Neu. Hieraus darf man nicht schließen, daß auch der mittlere Blutdruck zunimmt, auch meinen die Verfasser, daß das Wesentliche nicht die Vergrößerung oder Ver- ringerung des Blutdruckes sei, sondern daß als konstante Erscheinung eine Ver- kleinerung des sogenannten Pulsdruckes (d. h. der Differenz zwischen maximalem und minimalem Druck) beim Aufstehen zu betrachten sei. Die Verfasser neigen übrigens der Ansicht zu, daß die von ihnen beobachteten Erscheinungen einfach mechanische Folgen der Gravitation seien, und daß die Erscheinungen beim Auf- stehen durch ein „Verbluten in die unteren Extremitäten hinein“ bedingt’ seien, doch müßte dies, am Arme gemessen, eine Verminderung des Blutdruckes be- dingen. Die tatsächlichen Resultate können also nur erklärt werden, wenn man annimmt, daß die von Erlanger und Hooker erwähnten kompensatorischen Vor- gänge (Konstriktion der peripheren Gefäße und Vermehrung der Herzenergie) eine Überkompensation herbeiführen. : Bröking‘°) hat dagegen wieder ein konstantes Verhältnis gefunden und die Befunde von Schapiro und Friedmann bestätigen.können, nur meint er, beim Sitzen mit horizontal gelagerten Beinen sei der Blutdruck noch höher als im Liegen, .und erklärt dies durch die dabei auftretende Kompression des Bauches — dadurch würde das Blut aus dem Splanchnicüsgebiet in die Peripherie gedrückt, beim Liegen aber falle das weg. Auch John findet den Blutdruck im Stehen am tiefsten. « (Vgl. auch das Kapitel über Einwirkung der Gravitation, $ 8 u. 9, 8.680 f.) Arbeit, Massage und Nervenreizung. Über den Einfluß der Muskelarbeit auf den Arteriendruck liegen vor allem die experimentellen Arbeiten von Tangl und Zuntz’) vor. !) Neu, Experimentelle und klinische Blutdruckuntersuchungen. Heidelberg 1902. — ?) John, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 93, 542, 1908. — ®) Schapiro, Untersuchung an gesunden Soldaten, Wratseh 2, 493 (russisch). — ‘) Friedmann, Med. Jahrb. d. k. k. Ges. d. Ärzte 1882, 8.200 f. — °) Erlanger und Hooker, An experimental study of blood pressure and of pulse pressure in man. John Hopkins Hosp. Rep. XII, p. 145, 1904. — °) Bröking, Ein Beitrag zur Funktionsprüfung der Arterien, Zeitschr. f. experim. Pathol. 4, 220, 1907. — 7) E.Tangl u. H.Zuntz, Über die Einwirkung der Muskelarbeit auf den Blutdruck, Pflügers Arch. 70, 544, 1898. 782 Blutdruck bei der Arbeit. Dieselben maßen direkt mittels eines fest aufgestellten Manometers den Arteriendruck bei Hunden, welche sie im Tretwerk laufen ließen. Sie fanden bei leichter Arbeit eine Steigerung um 0,6, bei schwerer Arbeit eine Steige- rung um 2,3cm Quecksilber; bei erschöpfendem Laufen erhöhte sich der Blutdruck sogar um 10,0cm. Welches die Ursache dieser Blutdrucksteige- rung ist, kann schwer gesagt werden. Die Angabe der Autoren, daß die Bauchpresse während des Laufens besonders stark angestrengt werde, legt den Gedanken nahe, daß wenigstens zum Teil die Erhöhung des Blutdruckes dadurch hervorgerufen wird, daß das Blut aus dem Splanchnicusgebiet heraus- und in die Peripherie hineingepreßt wird. Auch am Menschen wurden diese Angaben in allen Fällen bestätigt, so z. B. von Hill!), Gumprecht?), Masing?) u. a. Letzterer fand, daß die Blutdrucksteigerung bei alten Leuten größer ist als bei jungen, wenn sie die- selbe Arbeit verrichten. Dagegen fanden Hallion und Gomte‘) bei an- haltender Muskelarbeit ein Zurückgehen der anfänglichen Blutdruckerhöhung, was ein Schutzmittel des Körpers sei, damit ein Muskel, wenn er an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angelangt ist, die Fähigkeit zur Kontraktion verliert. Die im therapeutischen Interesse oft erwogene Frage, ob Massage blut- drucksteigernd wirkt, ist verschieden beantwortet. Brunton und Tunicliffe°) fanden in Hunde- und Katzenexperimenten, daß ausgedehnte Massage auf den allgemeinen Blutdruck zuerst leicht steigernd und dann stark herabsetzend wirkt. Die Herabsetzung ist eine Folge der durch die Massage bewirkten Herabsetzung des Abflußwiderstandes an den massierten Stellen. Da aber diese vermehrte Strömung durch das massierte Glied auch schon während der anfänglichen Blutdrucksteigerung statthat, kann sie nur Folge einer sensiblen Reizung sein, wie denn überhaupt sensible Nervenreize außerordent- lich leicht eine Blutdrucksteigerung hervorrufen. Beim Kaninchen ruft oft schon leises Anhauchen der Haut, sicher aber jeder Schmerz eine Blutdruck- steigerung hervor. Auch beim Menschen ist es ähnlich. Besonders starke Blutdrucksteigerung tritt nach Trigeminusreizung ein. Bekannt ist der Hering-Kratzschmersche Reflex, der in einer Blutdrucksteigerung nach Riechen an Ammoniak besteht. Durch diese und andere Faktoren, sowie durch einen durchaus wesent- lichen individuellen Faktor ist der Blutdruck des einzelnen in jedem Augenblick bedingt. Aus der Tatsache, daß im allgemeinen unsere Lebens- gewohnheiten nach einem in allen Fällen sehr ähnlichen Schema verlaufen, ergibt sich eine tägliche Kurve des Blutdruckes, die annähernd bei allen Menschen gleichartig auftritt und die besonders von Colombo) ge- nauer untersucht ist. Er findet, daß in den Mahlzeitstunden, sowie in den ') L. Hill, Arterial pressure in man while sleeping, resting, working, bathing. (Physiol. Soc.), Journ. of Physiol. 22, 26—29, 1898. — ?) Gumprecht, Experi- mentelle und klinische Prüfung des Riva-Roccischen Sphygmomanometers, Zeit- schrift £. klin. Med. 39, 377, 1900. — ®) E. Masing, Über das Verhalten des Blut- druckes des jungen und bejahrten Menschen bei Muskelarbeit, Deutsch. Arch. £. klin. Med. 74, 253, 1902. — *) Hallion et Comte, Sur les röflexes vaso-moteurs bulbo- medullaires dans quelques maladies nerveuses, Arch. d. physiol. norm. et pathol. 1895, p. 90.—°) Bruntonu. Tunieliffe, On the effects of the kneading of muscles upon the eirculation, local and general, Journ. of Physiol. 17, 364, 1895. — °) C. Colombo, Recherches sur la pression du sang chez l’homme, Arch. ital. d. biol. 31, 345, 1899. et Abhängigkeit des Blutdruckes von verschiedenen Faktoren. 783 für gewöhnlich wärmeren Tagesstunden der Blutdruck abnimmt, um während der Schlafzeit anzusteigen. Diese Blutdruckschwankungen treten ebenso regelmäßig ein, auch wenn es zufällig zu den betreffenden Stunden nicht warm ist, oder wenn man nicht schläft oder nicht ißt. Colombo meint, daß es sich dabei um hereditäre (eventuell atavistische) Zustände handelt. Die Umgebungstemperatur scheint sicherlich von Einfluß auf den arteriellen Blutdruck zu sein, wenigstens fanden alle Untersucher einen blutdrucksteigernden Einfluß kalter Bäder; so Edgecombe und Bain!), Hegglin?) u. a Hegglin insonderheit fand auch eine Blutdrucksteigerung von warmen Duschen auf den Bauch, während sonst im allgemeinen Wärme den Blutdruck, wie mehrfach be-. richtet wird, herabsetzt. Eine Blutdruckherabsetzung bei warmer Außen- temperatur will auch Colombo?) beobachtet haben. Herzfrequenz. (Vgl. hierzu auch $ 45 auf 8. 751.) Daß eine Änderung der Herzfrequenz (Potain) keinen Einfluß auf den Blutdruck ausübt, könnte wunderbar erscheinen, doch ist zu be- denken, daß der Druck ja nicht von der Herzfrequenz allein, sondern von dem Produkt dieser Größe mit dem Schlagvolum abhängig ist. Da nun aber im allgemeinen die Energie des einzelnen Herzschlages (von der das Schlag- völum bedingt ist) sich umgekehrt proportional der Frequenz ändert, wie seinerzeit vor allem Engelmann gezeigt hat, so ist es selbstverständlich, daß das Produkt in allen Fällen dasselbe bleibt. O.Frank®) hat Betrachtungen über den Einfluß reiner Frequenzänderungen (d.h. Frequenzänderungen ohne Änderung des Ablaufs der einzelnen Pulskurven) angestellt. Diese Be- trachtungen haben einen lediglich theoretischen Wert, da O. Frank selber zugeben muß, daß etwas derartiges überhaupt nicht vorkommt. Ob Fieber den Blutdruck mittelbar oder unmittelbar ändert, ist eine strittige Frage, vgl. z.B. Mosen‘), der behauptet, daß Fieber an sich den Blutdruck nicht ändere. Doch ist: die Frage vorläufig wenigstens von wesentlich pathologischem Interesse. Sechstes Kapitel. Die Pulswelle. (Vgl. hierzu auch $$ 25 bis 27.) $ 60. Die Entstehung der Pulswelle. Die Theorie einer diskontinuierlichen Flüssigkeitsbewegung in Röhren kann auf-alle Fälle abgeleitet werden. Eine Übereinstimmung der Theorie mit den Tatsachen wird sich — gemäß dem heutigen Stande unseres Wissens — im Falle !) Edgecombe u. Bain, Effect of bath, massage and exereise on the blood- pressure, Journ. of Physiol. 24, 48, 1899. — °) Hegglin, Experimentelle Unter- suchungen über die Wirkung der Douche, Zeitschr. f. klin. Med. 26, 15, 1894. — 5) Colombo, Recherches sur la pression du sang chez l’homme, Arch. ital. de biol. 31, 345, 1899. — *) Potain, l.c. — °) O. Frank, Einfluß der Häufigkeit des Herz- schlages auf den Blutdruck, Zeitschr. £. Biol. 41, 1 bis 13, 1901. — ©) Mosen, Über das Verhalten des Blutdruckes im Fieber, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 52, 601, 1894. 784 Die Theorie des Pulses. starrwandiger, gerader, unverzweigter Röhren ergeben, deren Lumen sich nicht ändert, und in deren Verlauf keine besonderen Widerstände eingeschaltet sind. Zu einer annähernden Übereinstimmung wird man auch gelangen, wenn die Röhren elastisch sind und man die Elastizitätskoeffizienten kennt, 3 - er verzweigt sind und man den Verzweigungsmodus kennt, 2 2 R ; = Ri „ die dadurch bedingten Wirbel kennt, 5 > 5 krumm sind und man überall den Grad der Krümmung kennt, x ” x sich erweitern und man den Grad der Erweiterung kennt, ” 4 5 Widerstände enthalten und man die Größe und Art der- selben kennt. Wenn aber, wie beim Blutgefäßsystem alle diese Komplikationen und noch einige andere vorhanden sind und man weder den Elastizitätskoeffizienten, noch den Verzweigungsmodus kennt, wenn man weder weiß, wo eigentlich der Haupt- widerstand sitzt, noch wo und um wieviel sich die Gefäße erweitern, dann darf es uns nicht wundernehmen, daß die Theorie mit den Tatsachen nicht stimmt, oder daß man niemals auf Grund der Theorie bisher unbekannte Zusammenhänge vor- aussagen konnte; und wenn man das nicht kann, hat die Theorie nur geringen Wert, weil sie bestenfalls vieldeutig ist. Die Theorie rhythmischer Bewegungen in Röhrensytemen ist in aus- gezeichneten Arbeiten mit spezieller Berücksichtigung der Blutbewegung niedergelegt. Im folgenden soll sie jedoch nicht erörtert werden. Nur auf die Gesichtspunkte, auf die es dabei ankommt, wird an geeigneter Stelle auf- merksam gemacht werden. Zusammenfassende Darstellungen, in denen auch die reiche Literatur über diesen Gegenstand angegeben ist, finden sich in den Arbeiten von Ernst Heinrich Weber (1850)!), Marey (1875)2), Moens (1878)3), Grashey (1881)*) und v. Kries (1883 und 1892)3). Auf die Bedeutung des Pulses für den Blutdruck und den Vorteil der Diskontinuität für die Strömungsgeschwindigkeit ist schon im $ 10 ein- gegangen, hier soll nur das Zustandekommen der bestimmten menschlichen Pulsform geschildert werden [vgl. auch die Arbeit von Hamel®)]. Durch die (hier als gegeben anzunehmende) Kraft des Herzens wird bei jedem Herzschlag in den Anfang eines Systems elastischer Röhren, nämlich in den Aortenbulbus, eine gewisse Menge Blut hineingeworfen. Diese Blut- menge, welche eine gewisse Energie besitzt, drückt während des Herein- strömens nach allen Seiten, einmal auf die Wände des Bulbus, die dadurch ausgedehnt werden, und zweitens gegen die gesamte Blutsäule, die dadurch eine peripherwärts gerichtete Beschleunigung erhält. Selbst wenn die Blut- säule völlig frei beweglich wäre, könnte sie vor dem hereinströmenden Blute nicht momentan ausweichen, da sie doch zum mindesten im Anfangsteil der ') E. H. Weber, Über die Anwendung der Wellenlehre auf die Lehre vom Kreislauf des Blutes und insbesondere auf die Pulslehre, Ber. über d. Verhandl. d. Königl. sächs. Ges. d. Wiss. zu Leipzig, math.-phys. Kl. 3, 164, 1850. — ?) Marey, La theorie du pouls, Travaux du laboratoire 1875, p. 87—122. — °) Moens, Die Pulskurve, Leiden 1878. — ‘) H.Grashey, Die Wellenbewegung elastischer Röhren, Leipzig 1881. — °) J. v. Kries, Über die Beziehungen zwischen Druck und Ge- schwindigkeit, welche bei der Wellenbewegung in elastischen Schläuchen stattfinden, Festschr. d. Freiburger naturf. Ges. 1883 und Studien zur Pulslehre, Freiburg 1892. — 9) zamel, Die Bedeutung des Pulses für den Blutstrom, Zeitschr. f. Biol. 25, N: PT. x Die Entstehung der Pulswelle. 785 Aorta während des Klappenschlusses still gestanden hatte und daher infolge ihrer Trägheit dem Druckzuwachs vom Ventrikel her einen gewissen Wider- stand entgegensetzt. Nun ist aber die Blutsäule durchaus nicht frei beweglich, sondern durch Reibung stark in ihren Bewegungen gehemmt. Es kann also nicht so viel aus dem Bulbus heraus, wie in ihn hineinfließt. Infolgedessen kommt es zu einer Blutstauung im Bulbus, die so lange andauert, bis die Bulbuswände so weit ausgedehnt sind, daß der in ihnen entstandene Gegen- druck stark genug ist, das Blut aus dem Anfangsteil der Aorta ebenso schnell hinauszutreiben, wie es hineingeworfen ist. Dies wird auf doppelte Weise erreicht; einmal vermindert der wachsende Druck das Einströmen vom Ven- trikel her (denn hier wird der Druckunterschied geringer), und zweitens erhöht er das Abströmen gegen die Peripherie (denn hier wird der Druck- unterschied vergrößert). Der auf diese Weise erreichte stationäre Zustand könnte also auch zu- stande kommen, wenn der Druck im Ventrikel immer derselbe bleibt. Ja, da der Trägheitswiderstand nur zu Anfang des Strömens vorhanden ist, wird es nach einiger Zeit zu einem Nachlassen des Widerstandes und mithin zu einer Drucksenkung kommen. Der Beginn des katakroten (absteigen- den) Schenkels ist also nicht notwendigerweise ein Ausdruck dafür, daß der Druck im Ventrikel gesunken ist. Da aber inzwischen infolge des Endes der Systole die Zuflußmenge ab- genommen hat, so strömt nun dauernd mehr hinaus als herein und der Druck sinkt kontinuierlich. Diese Drucksenkung erfolgt aber auf keinen Fall ebenso schnell wie der Anstieg. Denn der in der Arterienwand aufgespeicherte Druck kann höch- stens so groß geworden sein wie der vom Herzen erzeugte maximale Druck. Im ersten Moment könnte sich also die Druckkurve mit derselben Geschwindigkeit abwärts bewegen, mit der sie sich aufwärts bewegt hat. Sofort aber wird der Druck geringer, weil infolge des stärkeren EIER EREER Abfließens die Arterienwand weniger gespannt Vagükrelsung; ist und demzufolge weniger Druckkraft ent- wickelt. Diese Spannungsabnahme schreitet fort, weil die allmählich zu ihrer Normalform zurückkehrende Aortenwandung natürlich immer weniger elastische Kräfte entwickeln kann. Dadurch fließt auch immer weniger heraus, und die Spannungsabnahme wird langsamer und langsamer. Eine Kurve, die einen solchen Vorgang darstellt, nennt man eine Exponential- kurve, und wären nur elastische Kräfte im Spiel, so würde der Druck an- nähernd in einer solchen Kurve sinken. Die Fig. 67 zeigt, daß er dies auch tatsächlich tut, wenn durch Vagusreizung verhindert wird, daß immer wieder neue Kontraktionen das Absinken unterbrechen. Allerdings sind sicher Ab- weichungen vorhanden, da durch die Bewegung selbst wiederum vitale Kräfte hervorgerufen werden. Die Kurve wird aber auf alle Fälle etwa so sinken, wie es in der schematischen Fig. 68 durch die -—-—-——- Linie angedeutet ist, wobei die gerade -—— —— — Linie, welche schräg nach abwärts zieht, die Geschwindigkeit andeutet, mit welcher der Druck in dem ersten Moment ab- sinken würde. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 50 Fig. 67. 786 Verschiedene normale Pulsformen. Aber auch im ersten Moment kann das schnelle Absinken nicht zur Gel- tung kommen, weil während dieser Zeit ja immer noch Blut vom Herzen her j hineinströmt und natürlich ein schnelles Absinken verhindert. Dies Nach- i strömen dauert so lange, bis infolge der Erschlaffung des Herzens der Druck im Ventrikel ziemlich plötzlich so weit gesunken ist, daß nun der Aorten- \ Fig. 68. ; AUE |Klappenschluß Einfluß nur Ausfluß größer gleich kleiner |Er&®" ee Herz : Ä S U nur gegen die Peripherie als Ausfluß Peri- erie Schema der Entstehung der Pulswelle. druck höher ist. Dann schließen sich die Klappen, und erst von diesem Augenblick an wird der Druck in der ihm eigentümlichen Exponentialkurve sinken, vorher stellte die Kurve die mittlere Linie dar zwischen der Expo- Fig. 70. Femoralis A Druckkurve von der Hundeaorta (n. Frank), Typische Pulskurven verschiedener Arterien mit wenig B Pulskurve von der Aorta des Menschen (nach schleuderndem Sphygmographen aufgenommen, j Tigerstedt). 2 nentialkurve und der Einströmungskurve Aus diesen einzelnen Stücken setzt sich die Pulskurve zusammen, die daher ungefähr so aussieht wie die ausgezogene Linie. Wenn sich der Ventrikel nun aber nicht mit einem Male, sondern ab- setzend zusammenzieht, wie dies von mehreren Autoren angegeben wird, bzw. wenn auch nur der Abfluß des Blutes nicht vollkommen gleichmäßig ist, oder wenn der Ventrikel sich plötzlich während der Kontraktion von der N F ortplAnEun BAR PHR WIEN des Blutes und der Pulswelle. 787 Kon weg als Ganzes zurückzieht, dann wird der Anstieg naturgemäß nicht als gerade Linie, sondern absetzend, etwa so, wie es in der Fig. 68 in der .eree« Linie dargestellt ist, erfolgen. Über die‘ Entstehung der dikroten Welle vgl. $ 61. Eine Anschauung von der Form der verschiedenartigen Pulse geben die Kurven in Fig. 69 nach Edgren!) und in Fig. 70 nach Frank und Tiger- stedt. Für das Verständnis des Vorgangs dürfte die Aortenkurve am wert- vollsten sein. Der Druckverlauf in der Aorta wurde zum ersten Male mit Hilfe eines ausgezeichneten Apparates von O.Frank?) beim Hunde festgestellt. Neuerdings hatte Tigerstedt) gelegentlich eines chirurgischen Falles Gelegen- heit die Pulskurve der Aorta auch beim Menschen festzustellen. Die Über- einstimmung der beiden Kurven ist offensichtlich. 8 61. Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle. Daß die Pulswelle sich mit meßbarer Geschwindigkeit fortpflanzt, ist von dem Alexandriner Erasistratus entdeckt, wurde dann aber von der ganzen klassischen Physiologie von Galen angefangen, bis zu Haller geleugnet. Erst im Anfang dieses Jahrhunderts brach sich die richtige Ansicht neuer- dings Bahn. Der erste, der messende Versuche machte, war E. H. Weber 1850 (vgl. auch Landois®) und Grunmach 1879). Die Druckwelle pflanzt sich in den Arterien .fort, und zwar ist die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle verhältnismäßig unabhängig von der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Blutes selber (über die letztere Größe vgl. $ 43, S. 747). Es ist dies etwa so, wie, wenn ich dem letzten einer Reihe von hinterein- ander marschierenden Soldaten von hinten einen Stoß versetze; dann schlägt er mit der Brust gegen den Rücken des Vordermannes, dieser gegen seinen Vorder- mann und so weiter, bis der Stoß den ersten erreicht hat. Dieser Vorgang geht, wie sich jeder anschaulich vorstellen bzw. de facto überzeugen kann, außerordent- lich schnell vonstatten. Die Geschwindigkeit hängt bis zu einem gewissen Grade von dem anatomischen Bau der Leute, insonderheit. ihrer Länge, und von dem (elastischen). Widerstand ab, welchen jeder Mann dem Stoße entgegensetzt; denn diesen Größen entsprechend pendelt der einzelne schneller oder langsamer nach vorn. Weiter ist der Abstand der Leute von Belang, kurz die Geschwindigkeit hängt ab von der Art und Konfiguration der in Betracht kommenden Massen, aber gar nicht von der Geschwindigkeit, mit der die Massen sich vorwärts bewegen. Diese hängt hier von der Marschgeschwindigkeit ab. Beim Blut ist es nun ebenso. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle hängt durchaus nur von der Elastizität und der Konfiguration der in Betracht kommenden Massen ab. Etwas kompliziert wird der Vorgang dadurch, daß auch die Marschgeschwindigkeit, d. h. die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Blutes zum Teil wenigstens von denselben Faktoren abhängig ist. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Stoßes (das ist die Blutwelle) hängt hauptsächlich ab von 'ı) Edgren, Nordiskt medicinskt Arkiv 20, 40 u. Skand. Arch. 1, 596, 1889 (vgl. auch drei ähnliche Kurven bei v. Frey, Die Untersuchung des Pulses, 8. 161). —?)0.Frank, Der Puls in den Arterien, Zeitschr. f. Biol. 46, 441, 1905. — °) Tiger- stedt, Die Pulskurve der Aorta beim Menschen, Skand. Arch. 20, 249, 1908. — *) Landois, Die Lehre vom Arterienpuls. Berlin 1872, 8.290. 50* 788 Abhängigkeit der Fortpflanzungsgeschwindigkeit dem spezifischen Gewicht des Blutes (s), dem Lumen des Gefäßes, also dem Durchmesser (l), der Dicke der Wandung (d), | dem Elastizitätskoeffizienten der Wandung (e) und der Beschleunigung durch die Schwere (g). Nach Moens!) hängt die Fortpflanzungsgeschwindigkeit 2 nach folgender Formel mit diesen Größen zusammen: BER ya, 841 eine Formel, die Moens rein mathematisch abgeleitet hat, während Weber und Donders (vgl. die Literatur bei Moens) zu etwas anderen Formu- lierungen gekommen waren. Im großen und ganzen konnte Moens an- nähernd bestätigen, daß die Wirksamkeit der einzelnen Komponenten im Sinne der Formel erfolgt. Die wenigen Arbeiten anderer sind ebenfalls bei Moens zitiert. Seitdem ist nur wenig auf diesem Gebiete gearbeitet worden. Vgl. jedoch die anderen angeführten Arbeiten. Um eine Vorstellung von den in Betracht kommenden Größenverhält- nissen zu geben, mag erwähnt sein, daß Landois?) die Fortpflanzungs- geschwindigkeit in Gummiröhren je nach den Bedingungen zu 10 bis 18 m/Sek. bestimmte. Auch im lebenden Körper ist die Fortpflanzungs- geschwindigkeit mehrfach gemessen worden. Man tut dies, indem man den Puls an zwei Stellen des Körpers gleichzeitig registriert. So kann man z. B. die Armarterie in der Achsel und am Handgelenk, die Beinarterie in der Schenkelbeuge unterhalb des Poupartschen Bandes und auf dem Fußrücken schreiben lassen. Der Unterschied zwischen dem Fußpunkte der beiden Kurven gibt dann direkt die Zeit, welche die Welle zu dem leicht nachzu- messenden Wege gebraucht hat. Auf diese Weise hat Landois?°) die Geschwindigkeit in der Armarterie auf 5,8 m/Sek., in der Beinarterie auf 6,4 m/Sek. bestimmt (das ist etwa das Tempo eines trabenden Pferdes). Die meisten anderen Untersucher haben sich eines etwas komplizierteren Ver- fahrens bedient und sind dabei zu fast durchweg größeren Geschwindig- Tabelle der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle bei Registrierung in: Ta Carotis Carotis Carotis und Radialis und Pediaca und Femoralis Men raw er | 8,9 = Üzermäak. serie 6,7 | 11,2 n— Mandolscrs se ee = _ 6,4 ROSEN We re u 8,5 en: (FEURMACHUT Re 9,0 11,0 = GEABHEYA U — | 8,5 == Ben | ne. er 6,8 Biarenı wars es | 7,5 _ 6,4 !) Moens, Die Pulskurve, Leiden 1878, 8.90. — ?) Landois, 1. c., 8.308. — ®) Derselbe, 1. c., 8.295 bis 303. von verschiedenen Faktoren. 789 keiten gekommen; sie ließen zwei beliebige Arterien zeichnen und rechneten als Weg die Differenz der Entfernungen, in welcher sich die beiden Arterien vom Herzen befinden. In der vorstehenden Tabelle habe ich einige der in Be- tracht kommenden Beobachtungen am Menschen nach den Arterien, in welchen die Geschwindigkeit bestimmt ist, ee Das Mittel aus allen Beobach- tungen ergibt rund 8m. Unter der Voraussetzung, daß diese Bestimmungen richtig und vergleichbar sind, muß vor allem die Geschwindigkeit in den Beinarterien groß sein, da das Mittel aus ihr und der Aortengeschwindigkeit immer noch größer ist als in den Armarterien. Im einzelnen würde sich rechnerisch ergeben, daß die Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Pulswelle in der Aorta verhältnismäßig klein (6m), in der Armarterie größer (8m) und am größten in der Fußarterie (11m) ist‘). Die große Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den Extremitäten stimmt mit den Landoisschen Versuchen nicht überein, doch sind diese, wie auch Tigerstedt angibt, nach einer nicht völlig einwandsfreien Methode angestellt. Dagegen würden die obigen Zahlen durchaus der Moensschen Formel ent- sprechen. Danach ist die Fortpflanzungsgeschwindigkeit (V) proportional der Wurzel aus dem Verhältnis zwischen Arterienwand und Durchmesser. Rauber’°) gibt an für das Lumen der absteigenden Aorta (2,3 bis 1,7 ) = 2,00 cm, . „ Armarterien (0,9 „ 04) = 0,65cm, a „ Beinarterien (0,9 „ 0,34) = 0,62 cm. Die Wandstärke der Aorta wird = 0,lcm angegeben. Von den Arterienwandungen wird im allgemeinen nur gesagt, daß die Arterien der unteren Extremität dicker sind als die der oberen. Die mittlere Dicke der Armarterie ist nach Schiele- Wiegandt = 0,065cm. Rechnen wir also für die Beinarterie rund 0,075 cm, dann erhalten wir die Proportion: 1000 650 | y® V in Aorta : V inArm : Vin Bein = a 200 Ye: a 1a:ı5, während sich die wirklichen Geschwindigkeiten GAR wie 9:12:16. Diese Zahlen machen natürlich keinen Anspruch auf irgend welche Genauig- keit, sie sollen nur zeigen, daß die Abweichungen tatsächlich so zu erfolgen scheinen, wie man nach der Moensschen Formel erwarten muß. Außerdem ist zu bedenken, daß das Blut im allgemeinen bei aufrechter Stellung in'den unteren Extremitäten unter höherem Druck steht; bei hohem Blutdruck nimmt aber der Elastizitätskoeffizient und damit auch die Fortpflanzungs- geschwindigkeit zu. Also auch aus diesem Grunde haben wir eine schnellere Fort- pflanzungsgeschwindigkeit in den Arterien des Beines zu erwarten. Wenn wir auch nicht imstande sind, die Elastizität vorläufig zahlenmäßig auszudrücken, so haben doch die folgenden Versuche ergeben, daß überall bei Vergrößerung des Elastizitätskoeffizienten die Geschwindigkeit der Welle wächst, bzw. umgekehrt. Ich stelle die Resultate in tabellarischer Übersicht zusammen. !) Die Bemerkung, die sich sowohl bei v. Frey (Die Untersuchung des Pulses S.127) als auch bei Tigerstedt (Lehrbuch 8. 387) findet und wonach neuere Unter- sucher, nämlich Keyt und Edgren, die Geschwindigkeit in der unteren Extremität kleiner gefunden hätten als in der oberen, entspricht insofern nicht den Tatsachen, als die Genannten überhaupt nicht die Geschwindigkeit in der Beinarterie, sondern nur die Geschwindigkeit bis zur Beinarterie, also in der Aorta, bestimmt haben. Hier ist die Geschwindigkeit in der Tat sehr klein. Über die Art der Berechnung vgl. Nicolai, Über Ungleichförmigkeiten in der Fortplanzungigepchwindigkeit des Nervenprinzips, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1905, 8.394 ff. — ?) Rauber, Lehrbuch der- Anatomie 2, 279, Leipzig 1903. 790 Die Länge der Pulswelle. Verhältnis Autor Yarppehs“ Dora tier Geschwin- digkeit Verkleinerung des Elastizitäts- koeffizienten: 1. durch direkte Drucksenkung: Bei Kompression der Lunge Moens (1878!) Mensch 88:100 ® x 5 ni . » , Grunmach (1879?) 5 84 : 100 Bei dauernder Inspirationsstellung Martini (1891?) 5 75:100 Bei Vagusreizung FR Moens!) Hunde 39: 100 2. durch Gefäßerschlaffung:- Bei Rückenmarksdurchschneidung Grunmach’?) 5 80 : 100 Bei Erwärmung und in Narkose . 5 Mensch |. 73:100 Im Fieber . Hameryk > verkleinert 3. bei Kindern . Thacher (1888 *) x 71:100 Vergrößerung des Elastizitäts- koeffizienten: 1. durch Blutdrucksteigerung: Bei Rückenmarksreizung Grunmach’) Hunde 181 :100 2. bei Arteriosklerose . Edgren (1888°) Mensch || 126: 100 Morrow‘) fand dementsprechend die Fortpflanzung der Pulswelle in den Venen, in denen ja fast gar kein Druck ist, außerordentlich niedrig (1 bis 3 m/Sek.), das wäre 12 bis 37:100. Allerdings fand er die Geschwindigkeit im allgemeinen größer in der Jugularis als in der Cruralis. Eine Berechnung der Wellenlänge, die sich bei Tigerstedt’) findet, und bei der er zu einer Länge von 1,6m kommt, ist insofern kaum angängig, als der Be- griff Wellenlänge (gleich dem Produkt aus Fortpflanzungsgeschwindigkeit. und Schwingungsdauer) nur dann einen bestimmten Sinn besitzt, wenn die Dauer der (pendelartigen) Schwingung gegeben ist. Denn um eine Wellenlänge voneinander entfernt sind solche Punkte, die sich gleichzeitig in derselben Phase befinden. Der Puls ist nun keine pendelartige einfache Schwingung, er kann nur aus unendlich vielen zusammengesetzt gedacht werden, und es ist daher willkürlich, wenn Tigerstedt als Schwingungsdauer 0,2 Sek. (= der Einströmungszeit) annimmt. Immerhin ist es bemerkenswert zu wissen, daß in den periphersten Teilen sich die Arterie aus- zudehnen beginnt, ehe alles Herzblut in den Ventrikel geströmt ist. Bei der Fortpflanzung der Pulswelle wird ihre Gestalt geändert durch das Dekrement und durch Reflexionen. $ 62. Dekrement und Reflexion der Pulswellen. Die Fortpflanzung der Welle kommt dadurch zustande, daß der Druck an den einzelnen Stellen des Rohres successive erhöht wird. Dadurch wird die Arterienwand ausgebuchtet, und dies nehmen wir als Puls wahr. Diese %) Moens, l.c. — ?) Grunmach, Über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle, Arch. f. (Anat. u.) Phys. 1879, 8. 424. — °) Martini, Beziehung der Pulswellengeschwindigkeit zu den Atmungsphasen, ebenda 1891, 8.169. — *) Thacher, Transact. of the Assoc. of Americ. Physicians 3, 244, 1888. — °) Edgren, Kardio- grafiska och sfygmografiska Studier, Nordiskt medicinskt Arkiv 20 (No. 7), 40, 1888. — °) W.8.Morrow, Über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Venenpulses, Arch. f. d. ges. Physiol. 29, 442 bis 449, 1900. — 7) Tigerstedt, Lehrbuch 8. 388. Aueh E. H. Weber (1850) spricht von der relativ großen Länge der Welle, doch gibt er keine bestimmte Zahl an. A EEE Bee ee Dekrement und Reflexion der Pulswellen. 791 Ausbuchtung ist nur möglich unter Überwindung der Elastizität der Arterien- wand und unter Verschiebung der einzelnen Flüssigkeitsteilchen gegeneinander, Der dazu nötige Arbeitsaufwand kann nur aus der Wellenenergie selbst ge- deckt werden, die dementsprechend während des Fortschreitens immer kleiner werden und mit der Zeit völlig erlöschen muß, wie es an der kreisförmig sich ausbreitenden Welle in einem Teiche, in den ein Stein geworfen, sehr schön sichtbar ist. Da die Reibung unter allen Umständen proportional dem Quadrat der Geschwindigkeit wächst, so werden die Bewegungen, welche am schnellsten vor sich gehen, auch das größte Dekrement erleiden. Die Kurve, welche diese Bewegungen ausdrückt, wird also allmählich flacher werden, ab- gerundeter, wie schroffe Felsen, die durch die Nivellierungsarbeit von Jahr- tausenden zu sanften Hügeln geworden sind. Sehr deutlich zeigt dieser Prozeß einen Vergleich der Aortenkurve der Fig. 70 mit der Carotis- und der Radialis- kurve der Fig.69. Da die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Blutmasse vom Druck abhängt, so tritt überall dort, wo die Pulswelle noch vorhanden ist, eine mit dem Eintreffen der Pulswelle synchrone Beschleunigung der Blutmasse auf. Von dort ab, wo die Pulswelle aufhört, fließt auch das Blut mit gleich- förmiger Geschwindigkeit. s Reflexion der Pulswellen. (Vgl. hierzu auch $ 64.) Eine Reflexion von Wellen findet dann statt, wenn eine Welle plötzlich auf ein Hindernis stößt, welches derartig beschaffen ist, daß die Welle nicht etwa dadurch ausgelöscht wird. Wenn Wasserwellen gegen eine feste verti- kale Wand schlagen, so werden sie reflektiert; branden sie gegen den flachen Strand, so verlaufen sie allmählich an ihm: ihre Kraft wird dazu aufgebraucht, die Welle ein Stück än dem Strande in die Höhe zu werfen, sie wird in Wärme umgesetzt usw. Kurz, von einer Reflexion bemerken wir nichts mehr. Es kommt hinzu, daß hierbei jeder Teil der Welle an einer anderen Stelle reflek- tiert wird, so daß selbst aus dem, was am Ende noch reflektiert wird, sich niemals eine merkbare Welle bilden könnte. An den vielen Stellen, wo am Meeresufer Quaimauern und flacher Strand abwechseln, kann man sich aufs leichteste von dieser Tatsache überzeugen; an der Mauer sieht man hin- und herlaufende sich kreuzende Wellen; am Strande sieht man hiervon nichts. Erfolgt die Wellenbewegung in Röhren, so ist der Vorgang insofern kompli- zierter, als hierbei die Welle nicht nur bei ganz verschlossener Röhre, sondern auch bei ganz offener (aber dann mit Phasenwechsel')) reflektiert wird. Handelt es sich um eine plötzliche Verengerung, so tritt sowohl die eine (positive) wie die andere (negative) Welle auf, die beide untereinander interferieren. Für das Blut liegt also die Frage so: 1. Kommt die Pulswelle bis zu den Punkten, an denen sie (normaler- weise?) reflektiert werden könnte, oder erlischt sie früher ? 2. Falls sie hinkommt, wird sie hauptsächlich als positive oder haupt- sächlich als negative Welle reflektiert ? Über diese beiden Fragen ist viel experimentiert und mehr noch speku- liert worden. !) Der Ausdruck Phasenwechsel bedeutet, daß ein Wellenberg als Wellental reflek- tiert wird und umgekehrt. — *) Daß unter abnormen und pathologischen Bedingungen eine nachweisbare Reflexion auftreten mag, soll von vornherein zugegeben werden. 793 Die Reflexion der Pulswelle. Die Möglichkeit einer mit unseren Hilfsmitteln nachweisbaren Reflexion unter normalen Umständen leugnen wohl am entschiedensten Bernstein!) und Hoorweg?), doch sind heute die meisten Physiologen und Kliniker der Ansicht, daß eine Reflexion zwar möglich und unter gewissen Umständen auch wohl nachweisbar sei, daß sie aber keine irgendwie ausschlaggebende Rolle spiele. Für die Bedeutsamkeit der Reflexion treten vor allem ein v. Frey und Krehl), v. Kries*) und neuerdings Lohmann’). v. Frey und Krehl haben an den Arterienpräparaten toter Tiere bei künst- licher Erzeugung von Wellen in der Tat Reflexionen ohne Zeichenwechsel nach- weisen können; dies beweist, daß nach dem Tode einzelne Gefäße bzw. ganze Gefäß- gebiete so gut wie völlig verschlossen sind, eine Tatsache, die auch aus anderen Beobachtungen hervorgeht. Fraglich aber bleibt es nach wie vor, ob dies auch für das lebendige Tier gilt. Schon darüber sind die Autoren uneinig, wo denn die Reflexion eigentlich stattfinden sollte. Man hat die kleineren Arterienäste angeführt, an denen die primäre Welle Widerstand finden sollte. Ein solcher Widerstand mag existieren, aber gegen seine Bedeutsamkeit spricht vor allem die Tatsache, daß auch an diesen Stellen durch allmähliche Vergrößerung des gesamten arteriellen Querschnittes der Widerstand erheblich vermindert wird? Auch ist die Verjüngung der einzelnen Röhren eine so allmähliche und findet an den verschiedenen Stellen des Körpers in so verschiedenen Entfernungen vom Herzen statt, daß eine bestimmte Stelle für die Reflexion gar nicht denkbar ist. Ohne sie ist aber auch die Entstehung einer rückläufigen Welle unmöglich. Meissner‘) hat schon im Jahre 1856 darauf hin- gewiesen, daß eine Reflexion eigentlich nur dann zustande, kommen könnte, wenn sich ein Gefäß T-förmig in zwei rechtwinkelig abgehende Aste teilte. Eine solche Teilung aber kommt, wie die Anatomie lehrt, so gut wie niemals vor, immer ist der Teilungswinkel ein spitzer. Auch die Teilungsstelle der Aorta in die beiden Iliacae ist als Reflexionspunkt angenommen worden, doch dürfte diese Meinung heute kaum noch vertreten werden. So bleiben die Stellen, in denen sich die Arterien zu Capillaren er- weitern oder verengern (man kann beides sagen, je nachdem man den Einzelquer- schnitt oder das Gesamtlumen betrachtet). Der Widerstand liegt jedoch nicht an dieser Erweiterungsstelle, sondern in den Capillaren selbst und in den dort zu über- windenden Reibungswiderständen. Diese brechen allmählich und einzeln die Kraft der Welle, die hier amortisiert wird, ohne Kraft zu behalten, rückwärts zu fluten. Die Länge der Capillaren ist hierfür ohne Bedeutung. Sie sind so kurz, daß sie gegenüber den Dimensionen der Wellenlänge als plötzliches Hindernis gelten könnten. Es liegt vielmehr in der Natur der: Reibungswiderstände, daß eine Welle, deren Vorwärtsbewegung durch sie allein völlig vernichtet wird, auch unmöglich reflek- tiert werden kann. Die Versuche von v. Kries’) scheinen dem Gesagten zu widersprechen. Er füllte einen weiten Schlauch zum Teil mit Wollfasern, die an. sich nur einen kleinen Querschnitt repräsentieren (etwa 2 Proz. des Schlauchvolums). Dadurch sollte nur eine unmerkliche Änderung des Querschnittes eintreten, und trotzdem war eine positive Reflexion deutlich nachweisbar,.d. h. also: die Wollfäden wirkten trotz ihres kleinen Querschnittes ähnlich wie ein Verschluß. Es scheint, als ob nur eins oder das andere richtig sein kann, und in der Tat wird in Wirklichkeit der !) Bernstein, Über die sekundären Wellen der Pulskurve, Sitzungsber. d. Naturf.-Ges. zu Halle, 4. März 1887. — ?) J. L. Hoorweg, Über die Blutbewegung in den menschlichen Arterien, Pflügers Arch. 46, 115, 1889. — °) v. Frey und Krehl, Untersuchungen über den Puls, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1890, 8.77. — *) v. Kries, Studien zur Pulslehre, Freiburg 1892. — °) Lohmann, Über die Ent- stehung des Dicrotismus, Pflügers Arch. 97, 438 bis 456, 1903. — °) Meissner, Bericht über die Fortschritte der Anat. u. Physiol. für 1856. — 7) v, Kries, Il. ce, 8. 22 bis 24, Freiburg 1892. vr 4 y E 4 n h s . : 2. Der Dikrotismus. 298 Querschnitt ganz beträchtlich verengt, da man als Verschlußquerschnitt auch den in Summa sehr großen Querschnitt der benetzenden und daher unbeweglichen Randschichten mitrechnen muß. Diese sind in den Blut- capillaren natürlich ebenfalls vorhanden, aber hier kommt kompensierend die Ver- größerung des Gesamtquerschnitts hinzu, und es ist durch Rechnung nicht fest- zustellen, was im Einzelfalle überwiegt. v. Frey') hat darauf aufmerksam gemacht, daß die in einer Flüssigkeit aufgeschwemmten corpusculären Elemente zu Reflexionen Anlaß geben können, wenn irgendwo der Durchmesser des Rohres auf die Dimensionen der suspendierten Teilchen herabsinkt. Er konnte dies auch experimentell nachweisen, denn bei einem aus der Aorta und deren Zweigen hergestellten Präparat war die Reflexion von Wellen bei Füllung mit Kochsalzlösung sehr viel weniger deutlich, als bei Füllung mit Blut. Eine unbefangene Würdigung aller dieser und mannigfacher anderer. Experimente und Berechnungen, auf die hier nicht näher eingegangen ist, scheint zu beweisen, daß es sich um einen embarras de richesse an Reflexions- stellen handelt: Da überall geringeReflexionen stattfinden, kommt es nicht zur Ausbildung der allein wahrnehmbaren geordneten Reflexionen. Diese Tatsache wäre als eine wertvolle funktionelle Anpassung zu betrachten, denn daß derartige Reflexionen überflüssig sind, bedarf keiner Erwähnung. Daß unter abnormen, besonders auch pathologischen Bedingungen sehr wohl derartige Verschiebungen der Widerstände Platz greifen können, daß es zu merkbaren Reflexionen kommt, soll damit durchaus nicht bestritten werden, und es bleibt in- sonderheit völlig unentschieden, ob nicht die Verstärkung des normalen Dikro- tismusinmanchenpathologischen Fälleneine WirkungderReflexionist. $ 63. Der Dikrotismus des Pulses. ‘ Der dikrote Puls ist seit dem Altertum bekannt, wurde aber immer für eine pathologische Erscheinung gehalten. Die höheren Grade, die man einzig bei der Palpation fühlen kann, sind auch nicht normal. Das normale, aus- nahmslose Vorkommen einer geringen Dikrotie läßt sich nur mit registrierenden Instrumenten nachweisen. Chelius?) hat schon im Jahre 1850 mit seinem Pulsmesser beobachtet, daß das Quecksilber beim Fallen in der Mitte immer einen kurzen Halt macht. Diese Beobachtung wurde von ihm als Dikrotie gedeutet. Die mit elastischen Manometern geschriebenen Blutdruckkurven zeigen ebenso wie alle besseren Spygmographenkurven auf dem absteigenden (und manchmal auch auf dem aufsteigenden) Schenkel kleine Zacken. Die anfängliche Meinung, daß es sich dabei nur um Kunstprodukte, um Nachschwingungen, die in der Masse des registrierenden Systems begründet seien, handelte, darf heute als widerlegt gelten. Zum mindesten eine Zacke — eben die dikrote — ist konstant und sicher unab- hängig von der Form der Registrierung. Die experimentelle Prüfung hat ergeben, daß gute Sphygmographen derartige Bewegungen mit genügender Treue und fast aperiodisch wiedergeben. Zudem hat es O. Frank auch ausgerechnet (vgl. die Literaturangaben auf 8. 700). Den augenscheinlichsten Beweis für das reale Dasein der Dikrotie hat Landois?°) erbracht, der eine spritzende Arterie auf eine sich bewegende !) y. Frey, Untersuchungen des Pulses 8.175, Leipzig 1892. — *) Chelius, Prager. Vierteljahrsschr. 21, 100, 1850. — °) Landois, Hämatographie, Pflügers Arch. 9, 71, 1874. 794 . Die dikrote Welle läuft zentrifugal. Schreibfläche ihre eigene Kurve mit Blutstropfen aufschreiben ließ. Dies „Hämautogramm“ zeigt auf dem absteigenden Schenkel deutlich die dikrote Zacke. Die Frage, ob die Welle vom Herzen ausgeht oder von der Peripherie, ist leicht zu entscheiden. Wenn die dikrote Welle ebenso wie die Pulswelle vom Herzen ausgeht, wird sich die relative Stellung der beiden Wellen nicht verschieben (oder doch nur ganz minimal, nämlich dann, wenn man annimmt, was manche tun, daß sich die beiden Wellen mit etwas verschiedener 'Ge- schwindigkeit fortpflanzen); läuft sie.aber in entgegengesetzter Richtung wie _ die Pulswelle, so müßten beide Wellen in der Peripherie nahe aneinander liegen, in der Nähe des Herzens aber immer weiter voneinander abrücken. Der so entstandene Zwischenraum entspräche der Fortpflanzungszeit vom Herzen bis zur Peripherie und wieder zurück und betrüge bei einer Fortpflanzungs- geschwindigkeit von 8m/Sek. und einer Entfernung von 1m etwa '/, Sek., also etwa ';, einer Pulsperiode. Von einer derartigen Verschiebung ist nun gar keine Rede, wo man auch immer den Puls aufnimmt, überall ist die relative Stellung der beiden Wellen die gleiche. Daran wird nichts geändert, wenn auch Landois'), v. Kries?) und Edgren°) eine langsamere, Hürthle*) eine etwas schnellere Fortpflanzungs- geschwindigkeit der dikroten Welle konstatieren zu können glaubten, besonders in den Gefäßen der unteren Extremität. Die widersprechenden Resultate erklären sich wohl am leichtesten, wenn man annimmt, daß die scheinbaren Änderungen im wesentlichen auf der Abflachung der Kurve und der dadurch bedingten Er- schwerung der Messung beruhen, so daß also Grashey°) und Hoorweg‘) recht behalten, die auch für diese dikrote Welle überall die gleiche Geschwindigkeit ge- funden haben. Auch Willem’), der letzte, der diese Frage experimentell unter- suchte, kommt zu demselben Resultat. Es folgt dies — die gleiche Fortpflanzungsgeschwindigkeit von Wellen ver- schiedener Amplitude — nicht ohne weiteres aus der Moensschen Formel, denn wenn auch die Amplitude in derselben nicht vorkommt, so kann die durch die ver- schiedene Amplitude bedingte verschieden starke Erweiterung eine Änderung der Elastizität in der lebenden Gefäßwand zur Folge haben. Und von der Elastizität hängt ja die Fortpflanzungsgeschwindigkeit ab. Aus anderen Gründen (vor allem auf Grund von Geräuschen bei der Kompression von Arterien) kommt auch Gran- ström°®) zu dem Resultat, daß die dikrote Welle sicherlich zentrifugal verläuft. Die dikrote Welle ist also eine konstante, immer zur selben Zeit auftretende Erscheinung und verläuft zentrifugal. Meist wird die dikrote Zacke als Erhebung gedeutet. Man müßte dabei annehmen, daß die Pulskurve ohne die dikrote Zacke so erfolgen würde, wie es in der Figur 71A (die absichtlich nach einer schlechten älteren Pulskurve schematisiert ist) die punktierte Linie angibt. Darauf aufgesetzt erscheint dann die dikrote Zacke bed. In diesem Falle beginnt also die Zacke in b. Das Zustandekommen der dikroten Zacke kann aber auch anders erklärt ') Landois, Lehre vom Arterienpuls 1872, 8. 177. — ?) v. Kries, Cardio- graphische und sphygmographische Studien, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1887, 8. 275. — °) Edgren, Skand. Arch. 1, 104, 1889. — *) Hürthle, Über den Ursprungsort der sekundären Wellen in der Pulskurve, Pflügers Arch. 47, 28, 1890. — °) Gras- hey, Die Wellenbewegung in elastischen Röhren, Leipzig 1881. — °) Hoor- weg, Über die Blutbewegung in den menschlichen Arterien, Pflügers Arch. 46, 170, 1889. — 7) V. Willem, Notes sur l’origine du dierotisme et des ondu- lations du plateau systolique ER la pulsation arterielle, Arch. de biol. 14, 275—284, 1894. (Auch in Travaux du labor. de physiol. de Liege 5, 87—104.) — ®) Gran- ström, Richtung der dikroten Blutwelle, Mitt. d. militär-med. Akad. Petersburg 12, 624, 1906. ER or en in Die dikrote Welle ist eine negative Welle. 795 werden; die Zacke kann dadurch entstehen, daß der Druck plötzlich vorüber- gehend sinkt, d. h. daß der Puls ohne die Zacke die in Fig. 71B durch die ‘ punktierte Linie angedeutete Gestalt hätte und daß dann dazu die Zacke abe sich addiert. Im Grunde beschreibt natürlich beides denselben Vorgang, nur muß man darauf achten, daß, wenn man von einer positiven (A) oder negativen Welle (B) spricht, die Welle an ganz anderen Punkten beginnt. Nun zeigen alle gut geschriebenen Puls- Fig. 71. kurven, besonders Jdie in der Nähe des Herzens, wo die Wellen noch nicht verflacht sind (besonders Fig. 70 A, aber auch Fig. 69 nach Edgren), einen scharfen Knick, vor allem bei a, aber auch bei b, dagegen einen viel weniger ausge- sprochenen bei c. Es macht daher durchaus den Eindruck, als ob b und vor allem @ ausgezeichnete Punkte der Kurve seien, in denen irgend etwas vor sich gehe. Dementsprechend wäre also die Senkung des Druckes das Ursprüngliche und Wesentliche der ganzen Erscheinung, ein Umstand, auf den schon Fick!), allerdings zum großen Teil vergeblich, hingewiesen hat. Fick hat durchaus recht, wenn er sagt, daß nur diese falsche Betrachtungsweise die wirkliche, an sich sehr naheliegende Erklärung so lange verhindert hat. Die Ursachen, die man für das Zustandekommen der Dikrotie heran- gezogen hat, kann man in fünf Gruppen einteilen: 1. Ursache in den Endverzweigungen (Reflexion). 2. Ursachen in der Herzbewegung. i 3. Ursachen in der Arterienwand (elastische Schwingungen). 4. Dynamische Ursachen. 5. Ursachen in dem Mechanismus der Banithinskklepee: Letztere Ursache scheint uns im Anschluß an Fick die wesentlichste zu sein. $ 64. Die Dikrotie bedingt durch peripherische Erscheinungen (Reflexion). (Vgl. auch $ 62.) Man kann nicht daran zweifeln, daß auch die dikrote Welle vom Herzen ausgeht. Die Anhänger der Reflextheorie nehmen dementsprechend an, daß die primäre Pulswelle irgendwo in der Peripherie reflektiert wird, dann zum Herzen zurückläuft, an den inzwischen geschlossenen Semilunarklappen zum zweiten Male reflektiert wird und die dikrote Welle bildet. Jede Reflexion schwächt unter allen Umständen eine Welle. Die zum Herzen zurückkehrende Welle ist also größer als die dann wieder vom Herzen ausgehende Da diese zweimal reflektierte Welle nach der Reflextheorie deutlich merklich sein soll, erscheint es wunderbar, wie die nur einmal reflek- tierte Welle zum Herzen surückkömmen soll, ohne sich in der Pulskurve be- merkbar zu machen. 1) Fick, Über den Dikrotismus des Pulses, Pflügers Arch. 49, 105, 1891. 796 Die Reflextheorie der dikroten Welle. Die Forderung, dies zu erklären, erscheint unabweislich, ist aber, soweit ich sehe, eigentlich nur von Grashey') ernsthaft berücksichtigt worden. Er zeigt, wie durch die rücklaufenden Wellen stehende Wellen entstehen können und müssen, und meint auf diese Weise das Vorhandensein der dikroten Zacke erklären zu können. Es müßte dann aber der Puls in allen Arterien ganz verschieden aussehen, und wenn auch manche Unterschiede des Radialis- und Femoralispulses sich even- tuell nach Grasheys Theorie deuten ließen, so gibt es ebensoviel: andere Unter- schiede, die nicht deutbar sind. Nur wer die Reflexion an der Teilungsstelle der Aorta stattfinden läßt, ist der Mühe einer Erklärung enthoben. Dann würde die rücklaufende Welle eben nur in der Aorta auftreten. Doch dürfte diese Meinung schon deshalb hinfällig sein, weil dann die Dikrotie in den Femoraliskurven unerklär- lich wäre, zudem ist neuerdings auch der Aortenpuls registriert und auch hier zeigt sich nichts von der rücklaufenden Welle (s. $ 60 auf 8.787). Daß die an sich so wertvollen Untersuchungen von Krehl, v. Kries und v. Frey die Frage nach der normalen Dikrotie nicht eindeutig ent- scheiden, wurde schon im vorigen Paragraphen erwähnt. Weiter hat Willem 2) nun auch experimentell gezeigt, daß nach Unterbindung großer Arterien- stämme die Form und Lage der dikroten Erhebung in keiner Weise modifiziert wird, was unmöglich erscheint, wenn Reflexion ihre Ursache wäre. Es ist dies ja eigentlich kaum etwas anderes als der einfache Versuch von Marey,der nach Applizierung eines guten Spbygmographen an der Radialis von Zeit zu Zeit diese Arterie dicht am Sphygmographen auf der periphe- rischen Seite komprimierte und dabei keine Änderung des Sphygmogramms bemerkte. Mit Recht heben Schenck?) und Hoorweg#) hervor, daß dieser Versuch ein noch immer nicht umgestoßener Beweis dafür ist, daß im mensch- lichen Sphygmogramm die dikrotische Erhebung nicht von periphe- rischer Reflexion herrühren kann. In den letzten Jahren hat vor allem Lohmann’) Versuche publiziert, welche die Entstehung der dikroten Welle durch Reflexion plausibel machen sollen. Ein- mal beobachtete er das Fehlen der dikroten Welle bei kleinen Tieren. Hier soll der Weg, den die reflektierte Welle zurückzulegen hat, so kurz sein, daß primäre Pulswelle und Reflexwelle zusammenfallen. Demgegenüber hat inzwischen Philips°) auch an kleinen Tieren regelmäßig einen dikroten Puls nachgewiesen. Weiter hat Lohmann Versuche angestellt, bei denen er in die Aorta plötzlich ein gewisses Quantum Flüssigkeit hineinspritzte. Bei den Tieren, welche keinen dikroten Puls hatten, trat, wie er 'manometrisch feststellte, eine einfache Welle auf, bei den Tieren mit dikrotem Puls trat dagegen außer der primären auch noch eine deut- liche Reflexwelle auf. Es ist zuzugeben, derartig angestellte Versuche sind durch- aus geeignet, die Frage zu entscheiden, jedoch scheint mir aus den beigegebenen Kurven die von. Lohmann behauptete Tatsache nicht einwandfrei hervorzugehen. Lohmann hat nur zwei Kurven (Fig. 32 und 33 seiner Arbeit) abgebildet, in denen bei derartigen Versuchen eine Reflexwelle nicht auftrat. Beide Male ist der Stempel nicht wie in allen anderen Versuchen plötzlich hineingestoßen, sondern, wie aus der Figur deutlich hervorgeht, langsam und absatzweise. Bei langsamem ‘) Grashey, Die Wellenbewegung elastischer Röhren, Leipzig 1881. — *) V. Willem, Notes sur l’origine du dicrotisme et des ondulations du plateau. systolique de la pulsation arterielle, Bull, de l’acad&m. de Belg. 28 (3), 171, 1894. — °) Schenck, Pflügers Arch. 97, 443. — *) Hoorweg, Über die peripherische Reflexion des Blutes, Pflügers Arch. 110, 598, 1905. — °) Lohmann, Über die Entstehung des Dikrotismus, Pflügers Arch. 97, 438, 1904; Derselbe, Erwiderung auf die Ausführungen von F. Philips: „Le dierotisme arteriel est-il d’origine peripherique?“, ebenda 103, 632. — °) F. Philips, Le dicrotisme arteriel est-il d’origine. peripherique?, Arch. internat. de physiol. 1, 78—82, 1904. 7 7 € 5 \ R rn e Die Theorie der Rückstoßelevation (Landois). 797 Drücken bleibt aber ganz selbstverständlich die sogenannte Schließungswelle weg, und es ist durch nichts bewiesen, daß es sich nicht um eine solche gehandelt hat. bie Versuche scheinen vorläufig also eher für die dynamische Theorie zu sprechen. $ 65. Die Dikrotie bedingt durch Ursachen im Herzen und in der Arterienwand. Albers!) nahm an, daß der doppelschlägige Puls herrühre von zwei schnell aufeinander folgenden Kontraktionen. Auf Reichert?) geht die Annahme zurück, daß die Vorhofkontrak- tionen durch den Ventrikel hindurch sich im Pulsbilde ausprägen könnten, Derselbe Autor beobachtete bei Fischembryonen eine in zwei Phasen erfolgende Zusammenziehung, und andere nahmen dies als Grund der Dikrotie an. Genauere zeitliche Messungen haben die Unmöglichkeit dargetan, die Di- krotie hierdurch zu erklären, jedoch scheint es, als ob gewisse inkonstante Zacken am aufsteigenden Schenkel in dieser Weise zu erklären sind. Ursachen in der Arterienwand. Die Vorstellung, daß der Dikrotismus durch die elastischen Schwingungen in der Arterienwand bedingt sei, ist uralt und geht auf die griechischen und römischen Ärzte zurück; doch müßten derartige Schwingungen einen einiger- maßen regelmäßigen allmählich abklingenden Charakter zeigen. Da dies nicht der Fall ist, könnte man die Kurve durch Arterienwandschwingungen nur dann erklären, wenn man darunter nicht rein mechanische Schwingungen versteht, sondern gewisse Reaktionen der Arterienwand gegen den primär ausgeübten Druck der Pulswelle. In dieser Weise hat auch Roy in neuerer Zeit den Verlauf erklären wollen, doch sind das dann keine Elastizitäts- schwingungen mehr, wenn er sie auch so nennt. In sehr eigenartiger Weise hat seinerzeit Volkmann die Dikrotie auf die Elastizität der Arterienwand zurückgeführt. Danach soll die. Pulswelle sich im Blute schnell fortpflanzen und die primäre Pulswelle bilden, in der Arterienwand aber langsamer und die dikrote Zacke bilden. Diese Ansicht ist häufig, z. B. von Vierordt, aus theoretischen Gesichtspunkten bekämpft worden; sie scheitert aber vor allem an der experimentell festzustellenden Tatsache, daß die beiden Kurven sich nicht, wie es hiernach der Fall sein müßte, gegeneinander verschieben. Alle diese Betrachtungen über die elastischen und kontraktorischen Wirkungen der Arterienwand haben sich mit der Zeit, vor allem unter dem Einflusse von Landois, zu der Theorie der sogenannten Rückstoßelevation verdichtet, wobei eine eigenartige Verquiekung mit der Funktion der Semilunarklappen eintrat. Wenn nach dem Schlusse der Semilunarklappen kein Blut mehr nachströmen kann, ziehen sich die Arterien wieder zusammen. Durch die Elastizität [und die aktive Kontraktion (Landois)] wird auf die Blutsäule ein Gegendruck ausgeübt, das Blut wird zum Ausweichen gezwungen, nach der Peripherie hinströmend, findet es nirgends ein !) Albers, Allgem. Pathol. 2, Bonn 1844, zitiert nach Landois’ Lehre vom Arterienpuls. Hier finden sich auf 8. 205 bis 216 noch etwa ein Dutzend zum Teil sehr merkwürdige Theorien über die Entstehung des Dikrotismus. — 2) Reichert, Die ersten Blutgefäße sowie die Bewegung des Blutes in denselben, Stud. d. phys. Inst. zu Breslau 1858. 798 Die dynamische Theorie (Moen av Hindernis, gegen das Zentrum aber weichend, prallt es von den bereits geschlossenen Semilunarklappen zurück; durch diesen Anprall wird eine neue positive Welle er- zeugt, die dikrote ‚Welle. Es ist nicht recht ersichtlich, was bei diesem Mechanismus eigentlich die geschlossenen Semilunarklappen sollen, denn bevor sie geschlossen waren, war doch der Druck am arteriellen Ostium, den das einströmende Blut ausübte, ein zum min- desten ebenso unüberwindbares Hindernis. Die Tatsache, daß die Semilunarklappen geschlossen worden sind, ist doch gerade ein Beweis dafür, daß an dieser Stelle der Widerstand bzw. der Druck geringer, und nicht, daß er größer geworden ist. Die Bedingungen sind also im Beginn des katakroten Schenkels, wenn ein Nachlaß des Druckes und demzufolge eine Verkleinerung des Arterienlumens eintritt, min- destens ebenso günstig für das Zustandekommen dieser Rückstoßelevation wie in dem Moment, in dem sie wirklich auftritt. Es ist eben unmöglich, aus der Tatsache, daß der Druck kleiner wird, eine Druckvermehrung her- leiten zu wollen; diese Ungeheuerlichkeit ist evidenter, wenn sie in den Moment der ersten Druckabnahme verlegt wird, aber sie bleibt auch bestehen, wenn man sie willkürlich, wie Landois es tut, in einen späteren Moment verlegt. Überhaupt ist festzuhalten: Jeder, der die Druckzunahme für das Wesentliche hält, muß eine Kraft plausibel machen, welche eine solche Druckerhöhung veranlassen könnte. Die Elastizität kann dies unter keinen Umständen, wenn wir nicht annehmen wollten, daß die bereits auf ein kleineres Volum heruntergegangene Arterie eine größere Kraft entfalten kann, als vorher die mehr ausgedehnte Arterie; das wider- spricht aber allen unseren Erfahrungen über Elastizität und wäre eine „vitale Elastizität“. Wahrscheinlich aus ähnlichen Überlegungen heraus hat denn auch Landois in den späteren Auflagen seines Lehrbuches, nachdem er vor allem von Moens auf das Unrichtige seiner Hypothese aufmerksam gemacht worden war, „die aktive Kontraktion“ hinzugefügt. Eine Kontraktion kann selbstverständlich eine Druckerhöhung bewirken, aber zu deren Zustandekommen sind ebenfalls die Semi- lunarklappen überflüssig, welche in diesem Falle eben nur bewirken würden, daß die Welle sich nicht auch rückwärts ausbreitet. $ 66. Dynamische Theorie. Hinter einer durch die Luft sausenden Kugel entsteht ein luftverdünnter Raum. Cum grano salis gilt das für jede sich bewegende Masse. Wenn das Blut in den Arterien in Bewegung ist, so besitzt es eine gewisse Energie, vermöge derer es sich auch dann noch ein Stück weiter bewegen wird, wenn die treibende Kraft aufgehört hat zu wirken bzw. wenn dieselbe kleiner wird. So eilt hinter der positiven Welle gleichsam eine negative her, eine Aspiration, wie Moens sagt. Daß eine solche negative Welle folgen muß, ist aus physikalischen Gründen sicher, doch wissen wir heute aus guten Puls- kurven (vgl. z. B. die Edgrensche Kurve auf S. 786), daß die negative Welle viel zu spät kommt, als daß sie die zur primären Welle gehörige nega- tive Welle überhaupt sein könnte, Für Moens ist aber die auf die Senkung folgende Steigerung nicht bloß ein Zurückkehren zu dem ohne diese Welle herrschenden Drucke, sondern unter dem Einflusse der Aspirationswelle soll das Blut zum Zentrum zurückkehren. Diese Vorstellung ist schwer begreif- lich, denn aus der Triebkraft nach vorn kann keine Triebkraft nach hinten resultieren. Die rückwärts getriebene Blutmenge soll dann an den geschlossenen Semilunarklappen reflektiert werden und so die dikrotische Erhebung bedingen. Wenn nun auch der erste Teil der Moensschen Betrachtung sicherlich viel Richtiges enthält, so kann man sich doch offenbar die Aspiration nicht ee ee NN WAR Die Deutung als Folge des Semilunarklappenmechanismus. 799 so groß vorstellen, daß sie die Arterienwand in merklicher Weise einbiegt, denn ‚sonst müßte sie, wie schon oben erwähnt, früher sichtbar werden, als es tatsächlich der Fall ist. Das Wertvollste und Fördernde der Moensschen Ansicht liegt aber darin, daß er als erster versucht hat, eine Talwelle wenig- stens teilweise zur Erklärung heranzuziehen. Ihm folgte Grashey (1881), der allerdings immer noch das Wesentliche in der der Senkung folgenden Drucksteigerung sieht. $ 67. Der Dikrotismus als eine Folge des Semilunarklappenmechanismus. Zu einem wirklichen Verständnis gelangt man, wenn man den Vorgang während des Klappenschlusses sich ohne theoretische Voreingenommenheit, klar zu machen versucht. Dies hat zum erstenmal Fick im Jahre 1891 versucht, der sagte, der Dikrotismus sei dadurch bedingt, daß der Druck im Ventrikel auf Null herabsinkt, während die Semilunar- klappen noch offen stehen. Wenn der Druck im Ventrikel nachläßt, so wird der nunmehr in der Aorta herrschende höhere Druck das Bestreben haben, das Blut sowohl nach der Peripherie wie nach dem Herzen zurückzuwerfen. Selbst wenn nun keine erhebliche Blutmenge, selbst wenn, wie Ceradini (siehe $ 90, 8.841) gezeigt hat, gar nichts in das Herz zurückfließt, so muß doch unter allen Umständen so viel Blut rückwärts treten, als nötig ist, um den Raum auszufüllen, um den die Semilunarklappen rückwärts schlagen. Eine Betrachtung der Klappen zeigt, daß die Mitte derselben sich bis zum völligen Gespanntsein mindestens um lcm bewegt; nehmen wir den Durchmesser des Ostiums — 2,6cm, so beträgt die in Betracht kommende Blutmenge —.%.1,3%.1 N kurve gemessen) der Druckabfall, um den es sich handelt, stattfindet, beträgt 0,06 Sek. (nach der Frankschen Aorteıikurve ist diese Zeit noch kürzer). In dieser Zeit werden (bei einem Sekundenvolum von 60 ccm) durchschnitt- lich 3,6ccm nach der Peripherie transportiert, also nur etwa doppelt so viel, als rückwärts transportiert wird. Und dieser Umstand kann nicht ohne Einfluß sein, ‘der Druck muß während des kurzen Momentes, wenn die Klappen rückwärts schlagen, weit stärker sinken als sonst. Hiermit wäre die Druck- senkung erklärt und es bliebe die folgende Steigerung zu erklären. - Daß durch den Klappenschluß an sich eine positive Welle entstehen kann, haben die Versuche an Modellen von Moens!), Grashey), Hoorweg°) und Hürthle®) ganz sicher erwiesen, allerdings läßt sich der Einwand von v. Kries nicht widerlegen, daß Modellversuche niemals imstande sind, den lebendigen Organismus zu ersetzen. Immerhin scheinen die oben angeführten Zahlen zu zeigen, daß die von v. Kries mit Recht aufgeworfene Frage, ob ein Rückstrom von genügender Größe auch im Organismus stattfindet, bejaht werden kann. Würde sofort die ganze Blutsäule rückströmen, dann könnte es zu einer erheblichen Drucksenkung überhaupt nicht kommen. Aber die große Menge des Blutes verharrt eben noch in der Vorwärtsbewegung. Dadurch, —— 1,8 ccm. Die Zeit, in der (nach der Edgrenschen Carotis- %) Moens, l.c. — ?) Grashey, 1. c. — °) Hoorweg, 1. c. in Pflügers Arch. 46, 143 u. 174, 1889. — *) Hürthle, Beiträge zur Hämodynamik 49, 78, 1891. 800 Die anakroten und katakroten Pulswellen. daß allmählich eine immer größere Blutmenge sich an dieser — wenigstens relativen — Rückwärtsbewegung beteiligt, stellt sich der Druck wieder her. Die dann ev. noch folgende geringe Drucksteigerung ist nichts als eine rein mechanisch bedingte Nachschwingung; ob sie im wesentlichen der Trägheit des Blutes oder Schwingungen der Arterienwand ihren Ursprung verdankt ist fraglich, doch scheinen vor allem die Kurven des Druckablaufs in der Aorta (vgl. Fig. 69 u. 70) für die zweite Möglichkeit zu sprechen. $ 68. Sonstige Wellen im Puls und ihre Beziehungen zum Blutdruck. Außer der konstanten dikroten Erhebung finden sich sowohl vor als auch nach der dikroten Zacke mehr oder weniger ausgeprägte inkonstante Wellen. Es scheint, als ob die vorausgehenden (sogenannten anakroten) Wellen durch eine nicht gleich- mäßig erfolgende Herzkontraktion bedingt sind. Auf einen häufig nachweisbaren Vorschlag hat schon Härthiet) aufmerksam gemacht und in ihm einen Ausdruck der Vorhoftätigkeit gesehen. O. Frank?) hat dann später dasselbe beobachtet und es auch ebenso gedeutet — scheinbar ohne die Arbeit Hürthles zu kennen. Die postdikroten (sogenannten katakroten) Zacken können nun durch all die Momente bedingt sein, welche für die Entstehung der Dikrotie herangezogen, aber verworfen sind. Also insonderheit durch elastische Nachschwankungen (Elastizitäts- elevationen nach Landois) und positive und negative reflektierte, sich durch- kreuzende Wellen nach der von Frey-Krehlschen Ansicht. Genauer kann auf diese Wellen, deren physiologische Bedeutung bis jetzt nicht nachweisbar war, nicht eingegangen werden, zumal da gerade von diesen Wellen durchaus noch jnicht einwandsfrei nachgewiesen ist, ob sie nicht sämtlich auf Fehlern der registrierenden Instrumente beruhen. Es scheint, daß die Kurven desto glatter werden je besser das Instrument [vgl. die von Frank?) mitgeteilten Kurven]; vgl. jedoch z. B. Trautwein°) und Hirschmann‘). Schon v. Frey) hat gesagt: „Die sphygmographische Kurve ist eine Blutdruckkurve, bei welcher aber der Maßstab, mit welchem die Ordinaten gezeichnet sind, unbekannt bleibt.“- Dementsprechend ist die absolute Höhe der Kurve wenig wichtig, da ein Pulsschreiber keine Nullinie besitzt. Die Kliniker sind im allgemeinen der Meinung, daß ein langsamer An- stieg und eine geringe Höhe des anakroten Schenkels für hohen Blutdruck, daß dagegen früh auftretende Zacken, ausgesprochene Dikrotie und Abwesen- heit der katakroten Zacken im allgemeinen für einen niedrigen Pulsdruck sprechen. Diese Anschauungen sind zweifellos berechtigt (vgl. hierzu auch $ 24 und 41). ‚Eine besondere Methode hat Sahli®) ausgearbeitet; er kombiniert die Untersuchungen mit dem Riva-Roccischen Blutdruckmesser und dem Jaquetschen Sphygmographen und rechnet daraus eine Blutdruckkurve aus, die er als absolutes Sphygmogramm bezeichnet. ') Hürthle, Über den Zusammenhang zwischen Herztätigkeit und Pulsform, Pflügers Arch. 49, 51, 1893. — ?) O. Frank, Der Puls in den Arterien, Zeitschr. f. Biol. 46, 441, 1906. — °) J. Trautwein, Über das Zustandekommen der kata- kroten Erhebungen der Pulskurve, Dtsch. Arch. f. klin. Mediz. 7, 239 bis 262. — *) E. Hirschmann, Über die Deutung der Pulskurven beim Valsalvaschen und Müllerschen Versuch (Phys. Inst. Breslau), Arch. d. ges. Phys. 6, 387 bis 407. — °’) v. Frey, Die Untersuchung des Pulses, 8. 36, Berlin 1892. — °) Sahli, Über das absolute Sphygmogramm und seine klinische Bedeutung, nebst kritischen Be- merkungen über einige neuere sphygmomanometrische Arbeiten, Dtsch. Arch. f. klin. Med. 81, 493 bis 542, 1904. u 2 a en u EEE EEE Kinematik und Dynamik des Herzens. 801 Siebentes Kapitel. Die morphologischen Grundlagen der FEIN (Vgl. auch $ 3.) $ 69. Um den Kreislauf des Blutes zu beschreiben, können wir einmal die Be- wegung selbst schildern, wir können die Geschwindigkeit an den einzelnen Stellen messen, und wenn wir das überall mit der nötigen Genauigkeit tun, so sind wir imstande, eine erschöpfende Darstellung der Kreislaufphänomene zu geben, ohne daß wirdabei im geringsten auf die ins Spiel tretenden Kräfte Rücksicht nehmen. Aber neben dieser kinematischen Betrachtungsweise läuft gleichberechtigt die dynamische, bei der wir, von den zugrunde liegenden Kräften ausgehend, jede Bewegung als Wirkung jener Kräfte auffassen. Im Grunde interessiert uns wesentlich die kinematische Betrachtung; denn das ist der Sinn der ganzen Einrichtung: das Blut soll bewegt, soll im ganzen Körper umher- getrieben werden, und zwar mit einer bestimmten mäßigen Geschwindigkeit, damit immer genügend neues frisches Blut als Vermittler des Stoffwechsels auftreten kann. Wenn wir praktisch nun doch den größten Wert auf Druckmessungen, d.h. auf Kraftmessungen legen, so rührt das nur daher, weil diese verhältnis- mäßig leicht anzustellen sind, während wir über die Geschwindigkeit des Blutstroms brauchbare Angaben kaum besitzen. Der Ort, an dem fast die ganze Kraft erzeugt wird, welche das Blut umtreibt, ist das Herz. Seine Bewegungen müssen also notwendigerweise die Grundbedingungen jeder hämodynamischen Betrachtung sein. Welche aller- dings die das Herz bewegenden Kräfte sind, bleibe dahingestellt. Das Herz betrachten wir dabei rein kinematisch, nur seine Bewegungen beschreibend. Wir setzen dabei das Vorhandensein einer Kraft, eben der Muskelkraft voraus, ohne uns um deren Natur irgendwie zu kümmern. Das Herz ist die Pumpe des Kreislaufs. Oft sagt man, eine Druck- und Saugpumpe. Inwieweit das erstere richtig und das zweite falsch ist, wird zu erörtern sein. Um jedoch dies zu können und die Wirkungen dieser Pumpe wenigstens oberflächlich beschreiben zu können, wäre es gut, wenn man den Mechanismus dieser Maschine, d. h. also die Anatomie des Herzens, kennen würde. Beginnen wir mit den Bausteinen, den Zellen. $ 70. Das Herz als Muskelsyncytium. Die Herzmuskelfasern (Herzmuskelzellen !) unterscheiden sich wesentlich sowohl von den glatten, wie von den quergestreiften Muskeln, doch dürften sie trotz ihrer Querstreifung den glatten Muskeln näher stehen. Es sind !) Der Ausdruck Muskelzellen war deshalb als der richtigere gewählt worden, weil diese Gebilde (abgesehen von den Verzweigungen) eine Form besitzen, die bei genügender Vergrößerung etwa der eines Bleistiftes entspricht, selten der eines un- gebrauchten, meistens der eines sehr kurzen. Den Ausdruck Fasern hierfür zu gebrauchen, scheint manchen irreführend. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 51 3023 Histologie der Herzmuskelzellen. kurze, zylinderförmige Elemente, die im ganzen sehr viel dünner und sarko- plasmareicher sind als die Fasern der Skelettmuskeln, und deren Quer- streifung sehr viel feiner ist. Auch sie sind, wie feine Längsstreifen anzeigen, aus Fibrillen zusammengesetzt. Diese Muskelzellen, als welche man sie früher beschrieben hat, sollten mehrfach verzweigt sein und mit den benachbarten Muskelzellen in den sogenannten Eberthschen !) Kittlinien zusammenstoßen. Diese Beschreibung entspricht durchaus den Tatsachen. Fraglich ist nur, ob die Kittlinien wirklich Zellgrenzen darstellen, oder ob sie nicht entweder, wie v. Ebner?) will, nur nekrobiotische Produkte sind, die an irgend einer vorher gar nicht merkbar prädestinierten Stelle im Momente des Absterbens durch eine abnorme Kontraktion entstehen, und die er deshalb als „Ver- dichtungsstreifen“ bezeichnet — oder endlich, ob nicht die Auffassung von Heidenhain?®) richtig ist, wonach dies diejenigen Stellen sind, an denen das interkalare Längenwachstum der Fibrillen erfolgt, und die er demnach als „Schaltstücke“ bezeichnet. Wie dem auch sei, alle neueren Untersucher sind sich wohl darüber einig, daß diese Linien keine eigentlichen Grenzen bedeuten, sondern daß, wie zuerst Przeworsky) gezeigt hat, die Fibrillen der Muskelfasern nicht an diesen Querstreifen endigen, sondern durch sie hindurch verfolgt werden können, und daß daher alle Zellen des Herzens ein einziges großes Continuum bilden. ; Wir haben uns das Gebilde des Herzens in folgender Weise entstanden zu denken: Die eigentlichen embryonalen Herzzellen liegen ursprünglich — wie alle embryonalen Zellen — eng aneinander, sind aber in diesem Zustande noch völlig undifferenziert und weisen insonderheit keine Querstreifung auf. Die Herzmuskelzellen erzeugen dann um sich herum gewisse Wachstums- oder Ausscheidungsprodukte, gleichsam eine Interzellularsubstanz, welche die einzelnen Zellen umhüllt und unter sich verbindet. Diese Zwischensubstanz ist quergestreift und bildet später die Hauptmasse des Herzfleisches. Als Reste der ursprünglichen Zellen bleiben die Kerne und das sie umgebende Sarkoplasma dauernd als isolierte Reste erhalten, während die Interzellular- substanz eine einheitliche alles verbindende Masse bildet. Diese Masse differenziert sich entweder sekundär oder schon gleich bei der Entstehung in anisotrope und isotrope Substanz, welche die spätere Querstreifung darstellt, während gleichzeitig ein fibrillärer Zerfall in der Längsrichtung erfolgt, der jedoch die gesamte Masse nicht in einzelne vollkommen abgegrenzte Fibrillen zerlegt, sondern nur gewisse streifige Längsspalten bildet, so daß die einzelnen Faserzüge durch quere und Seitenfortsätze immer noch miteinander verbunden bleiben, so wie es etwa die Fig. 72 (a. f. S.) zeigt, die nach einer Figur von Heidenhain’) schematisch gezeichnet ist. Die Längsspalten sind stark ausgezogen, die Kitt- oder Schaltlinien, welche sich im mikroskopischen Bilde deutlich repräsentieren, sind durch punktierte Linien angedeutet, und da- durch werden einzelne Territorien gegeneinander abgegrenzt, deren End- ‘) Eberth, Die Elemente der quergestreiften Muskeln. Virchows Arch. 37, 100 bis 124. — ») v. Ebner, Über die Kittlinien der Herzmuskelfasern, Sitzungsber. d. Wien. Akad. d. Wiss. 109, III. Abt., p. 700, 1900. — °) M. Heidenhain, Die Struktur des menschlichen Hersmidsköie, Anat. Anz. 20. — *) Przeworsky, Du mode de r&union des cellules myocardiques de l’homme adulte, Arch. des sciences biolog. de St. Petersbourg 1893. — °) 1. e., 8. 39, Fig. 2e. ’ richtungen gesprochen werden, denn in solchem aus- Morphologie der gröberen Fasern. 303 flächen treppenartig geformt sind; die einzelnen Stufen stehen dabei senk- recht zur Längsachse der Faser, und all’ die einzelnen Stufen eines Terri- toriums hängen nun meist nicht nur mit einem anderen Territorium zusammen, sondern stehen mit mehreren in Verbindung. Diese Territorien hat man früher als Herzzellen bezeichnet, weil man annahm, daß jedem Territorium im allgemeinen ein und zwar nur ein Kern zukomme. Diese Auf- fassung ist von Heidenhain bestritten worden, doch muß darauf hingewiesen werden, daß gerade die Heidenhain entnommene Figur eine gewisse Stütze für sie zu bieten scheint: Jedes Herzterritorium hat im allgemeinen einen Kern. Doch wie dem auch sei, jedenfalls entsteht dadurch ein vielfach ver- ästeltes muskulöses Netz mit sehr spitzwinkligen Maschen, in welchem außer in den Faserringen der Herzostien und in den Sehnen der Papillarmuskeln eigentliche Endigungen von Fasern nicht zu erkennen sind. Bei einer derartigen Konfiguration kann nur mit einer gewissen Reserve von betimmten Faser- Fig. 72, F x S & , Schema der Herzmuskulatur gedehnten Syncytium fließen nicht nur die einzelnen nach Heidenhain. hintereinander geschalteten Zellterritorien zusammen, Stark gezeichnet: die Längs- A 2 3 2 spalten. — Punktiert: die Kitt- sondern durch breite Querverbindungen wird ein oder Schaltlinien. vollständiger Konflux benachbarter Fasern hergestellt. Das so entstehende Netzwerk ist außerordentlich engmaschig. Schon Remak (1850!) hat darauf hingewiesen, daß jede Faser in der Herzkammer des Menschen sich im Bereich von etwa !/;,mm mindestens einmal, zuweilen auch mehrmals verästelt. $ 71. Die Faserrichtungen des Herzens -lassen sich trotz der mannigfachen Durchflechtung bereits durch makro- skopische Zergliederung wenigstens teilweise herauspräparieren. Allerdings wäre eine genauere Kenntnis, ähnlich wie bei dem Gehirn, nur durch Serien- schnitte möglich, doch ist dies nie versucht und dürfte auch schwieriger sein, wie im Gehirn. Makroskopisch aber können höchstens in den äußeren und inneren Schichten des Herzens, bestimmte Faserrichtungen auf weitere Strecken ver- folgt werden. Zwar ist auch hier der Schein trügerisch. Albrecht?) hat z. B. gezeigt, daß von den inneren Bündeln längst nicht alle die scheinbar so offensichtliche Bahn zu Ende durchlaufen, sondern ein großer Teil derselben, vorher abzweigend, sich in der Tiefe verliert. Das Herz ist eben wenigstens zum Teil ein einfacher Hohlmuskel, der Faserlagen in den verschiedensten sich durehkreuzenden Rich- tungen besitzt, deren Kontraktion dann eine allseitige Verkleine- rung des Innenraumes hervorbringt. !) Remak, Über den Bau des Herzens, Arch. f. Anat. (u. Physiol.) 1850, 8.576 bis 578. — *) Albrecht, E., Der Herzmuskel und seine Bedeutung für Physio- logie, Pathologie und Klinik des Herzens. Berlin, Springer, 1903. 51* 804 Faserrichtung und Funktion des Herzens. Neben dieser allseitigen Verkleinerung führt das Herz gänz bestimmte, davon mehr oder weniger unabhängige Bewegungen aus, die in folgendem erst einmal ohne jede Diskussion genannt werden sollen. Es sind dies — nach einer Zusammenstellung von Braun !) — im wesentlichen folgende Bewegungen: 1. Das Auftreten eines systolischen Herzbuckels und einer systolischen Furche. 2. Eine Wölbungszunahme der Spitze. 3. Eine Rotations- und Hebelbewegung der Spitze. 4. Eine Verschmälerung des Basisteils der linken Kammer. Es erwächst nun, wie Albrecht?) folgerichtig bemerkt, die Aufgabe von der Fasergruppierung, die einem einfachen Hohlmuskel entsprechen würde, die- jenigen Gruppen abzusondern, welche eine, von dem genannten Typus abweichende Anordnung aufweisen, und zu bestimmen, in weleher Weise diese Fasern ihrer unterschiedlichen Aufgabe genügen. Albrecht versucht auch, diese Fragen zu beantworten, wir können uns nicht in allen Punkten seinen immer interessanten Ausführungen anschließen, wir glauben, daß es zu einer eingehenden Analyse zu früh ist, und daß Braun°) recht hat, wenn er — wie vor ihm ähnlich schon Krehl — sagt: Trotz des überaus großen Aufwandes an Arbeit, die auf diesen Teil der Anatomie verwendet wurde, kann dieser Weg (nämlich aus dem anatomi- schen Bau des Herzens seine Bewegungsart zu erklären) auch heute noch nicht bis an seinen Endpunkt durchschritten werden. Wir sind auch heute im Grunde nicht weiter als Harvey, welcher in Kap.Il sagte: „Ex his mihi videbatur manifestum, motum cordis esse tentionem quandam ex omni parte et secundum ductum omnium fibrarum, et constrietionem undique, quoniam eregi, vigorari, minorari, et duresceri in omni motu videtur.“ Auch heute noch ist dieses Harveysche Postulat — die Formveränderung des Herzens müsse in gewissem Sinne eine Funktion der Richtung und Verbindung der einzelnen Fasern sein — ein Syllogismus und kein empirisch nachgewiesenes Faktum. Auch heute noch sind die anatomischen Daten nicht so sicher gegeben, daß man auf Grund derselben die Frage nach ihrer Funktion diskutieren könnte, wir können vorläufig nur die anatomischen Daten selbst diskutieren und dabei von Zeit zu Zeit hinweisen auf deren eventuelle physiologische Bedeutung. Trotz der fleißigen und bedeutungsvollen Arbeiten von Ludwig), Henle>) und Hesse®), neuerdings auch von Krehl”), His undRomberg®), Albrecht?), um nur die wichtigsten zu nennen, wissen wir eigentlich nur, daß je besser wir die einzelnen Faserrichtungen kennen lernen, desto verwirrender die Fülle der sich kreuzenden und verschlingenden Fibern erscheint. Vorläufig scheinen sowohl die glänzenden Vervollkommnungen der Histologie, sowie die an- gedeuteten Fortschritte der Feinanatomie die Sache des Herzens nur ver- wickelter zu machen. In bezug auf viele Einzelheiten sei auf die oben angegebene Literatur, vor allem auf das sehr ausführliche Werk von Albrecht?) verwiesen, das neben eigenen Untersuchungen die Ergebnisse auch der anderen Autoren in aus- führlicher, sehr sachlicher, allerdings oft schwer verständlicher Weise referiert. !) Braun, Über Herzbewegung und Herzstoß. Jena 1898. — ?) Albrecht, Der Herzmuskel und seine Bedeutung für Physiologie, Pathologie und Klinik des Herzens, $8.21. Berlin 1903. — ®) Braun, 1. e., 8.2. — *) Ludwig, Über den Bau und die Bewegung der Herzventrikel, Zeitschr. f. rat. Med. 7, 190 bis 200, 1849. — °) Henle, Handb. d. system. Anat., 2. Aufl., 3 (1876). — °) Hesse, Beiträge zur Mechanik der Herzbewegung, Arch. f. Anat. 8. 320, 1880. — 7) Krehl, Zur Kenntnis der Füllung und Entleerung des Herzens, Abh. d. kgl. sächs. Ges. d. Wiss., math.- phys. Klasse, 17 (1890). — °) His u. Romberg, Verhandl. d. IX. Kongresses f. innere Med. 1890. Vorhofmuskulatur. 805 Hier muß es genügen, die wichtigsten Resultate, deren Bedeutung auch in funktioneller Beziehung allmählich klar zu werden beginnt, kurz zusammen- zustellen. Die Resultate sind im wesentlichen dadurch gewonnen, daß man das Herz mit Salpetersäure vorbehandelte und dann quellen ließ, oder auch, indem man das Herz kochte. Es ist dann eine wenigstens teilweise Trennung der einzelnen Faserbündel möglich. 2 8.72. Die Vorhofmuskulatur. Wir können uns bei der Betrachtung wesentlich auf die Ventrikel be- schränken, denn in mechanischer Hinsicht spielen die Vorhöfe, besonders bei den höheren Wirbeltieren, eigentlich nur die Rolle von Re- servoirs, die sich füllen und leeren. Die Art ihrer Zusammenziehung und Erweiterung ist hierfür belanglos. Die Vorhofmuskulatur umschließt als dünnwandige Schicht die beiden Atrien. Im ganzen kann man von ihr weit mehr als von der Ventrikel- muskulatur sagen, daß sie aus sich in allen Richtungen kreuzenden Fasern besteht, deren Gesamtwirkung eine Verkleinerung des Atriums hervorruft. Und zwar sind diese Muskelmassen in den Herzohren verhältnismäßig am stärksten entwickelt, nur diese haben Musculi pectinati; hier sind innere zirkuläre und äußere, der Längsachse des Herzens parallele Fasern vorhanden. Die Innenwand des übrigen Vorhofsabschnittes ist dagegen glatt und besitzt umgekehrt äußere zirkuläre und innere longitudinale Fasern. Besonders an den Venenmündungen sind die kreisförmig angeordneten Fasern stärker entwickelt und bilden gleichsam Sphinkteren, eine Erscheinung, die zweifellos auch eine nicht unwichtige funktionelle Bedeutung besitzt, da durch sie allein der Rückfluß in die Venen bei der Vorhofskontraktion gehindert wird (vgl. hierzu S. 845f.). Beim Menschen setzen sich diese Muskelzüge wenigstens an den Lungenvenen ziemlich weit bis nahe an den Hilus hin fort; bei anderen Säugetieren reichen sie sogar noch weiter. Ähnlich wie bei dem Herzen gehören auch bei den Vorhöfen die tiefen Fasern, welche zum Teil von den faserigen Ringen der Ostia venosa, nament- lich linkerseits entspringen, nur je einem Atrium an, während die öber- flächlichen Fasern beiden Vorhöfen gemeinsam sind. In die Vorhöfe münden die großen Venen, in den rechten Vorhof auch die Venen des Herzens direkt und zwar teils durch das Ostium sinus coronarüi, teils einzeln in den Foraminis venarum minimarum (Thebesii). $ 73. Die drei Muskelsysteme der Ventrikel. Das Herz selbst, das beim Neugeborenen etwa 20g,in der Pubertät etwa 250g und beim erwachsenen Manne etwa 350g wiegt, ist eine außen und innen von epithelialen Schichten überzogene Muskelmasse, welche zwei Hohlräume umschließt, den etwa kegelförmigen linken Ventrikel und den im Querschnitt halbmondförmigen, sonst aber auch kegelförmig gebauten rechten Ventrikel. Die Anordnung ist dabei, wie die schematische Fig. 73 (s. f. S.) zeigt, derartig, daß der linke Ventrikel bis in die Spitze hinabreicht, während der rechte Ventrikel gleichsam in die Wand des linken hineingebaut ist und nicht so tief hinunterreicht. 806 Übersicht über die drei Fasersysteme der Ventrikel. Vor der Beschreibung der einzelnen Faserriehtungen möchten wir einen Um- stand erwähnen, der die Erkenntnis der mechanischen Wirkungsweise am Herzen außerordentlich erschwert. Wir haben hier nicht, wie bei den meisten anderen Muskeln, zwei relativ feste Ursprungsstellen, die bei der Kontraktion der Muskeln einander genähert werden. Am Herzen gibt es nur eine wesentliche Ursprungs- stelle, und das sind die Faserknorpelringe, außerdem kommen noch die Muskelenden der Papillarmuskeln in Betracht. Es ist nun ganz ausgeschlossen, daß an diesen Stellen etwa alle Muskelfasern des Herzens entspringen oder endigen. Wo entspringen aber die übrigen? Sie ent- springen nirgends, sie laufen in sich selbst zurück! — „Eine muskulöse Faser, die ringförmig in sich selbst zurückläuft, be- Fig. 73. darf keiner Befestigungs- und Endpunkte“, sagt schon Ernst Heinrich Weber. Dies ist unzweifelhaft richtig, scheint aber eine zu enge Vorstellung zu sein. Da wir wissen, daß die einzelnen sehr kurzen Muskelzellen oder besser gesagt Muskelterritorien untereinander ein ‘Netzwerk bilden, ist die Frage nach dem Ansatz überflüssig: eine Zelle setzt sich eben an die andere an. Es kann sich also nur um die Frage handeln: gibt es im Herzen nur ein einziges Maschenwerk, in das die gesamte Muskelmasse aufgeht? Oder gibt es etwa mehrere solcher Systeme, von denen jedes ein Schema der Anordnung der Muskulatur in den Maschenwerk (even tuell mit be- Aufdem ER die äußeren Spiral- 2 x ah VOTING En FORERIE 4 DaR@Rı fasern und die Fasern des Papillarsystems, sowie richtungen) bildet, mit den a a verny anderen Systemen aber nicht zu- des Herzens überall punktiert gezeichnet. sammenhän gt ? Das Myokard oder Herzfleisch zer- fällt nach allen Untersuchern, grob betrachtet, in drei Schichten, von denen die äußere und innere (es gibt eigentlich zwei innere Schichten, welche die beiden Ventrikel je einzeln auskleiden) im ganzen in der Längsrichtung des Herzens verlaufen, die mittlere dagegen in mehr querer Richtung. Diese mittlere Schicht ist nur im linken Herzen ansehnlicher entwickelt, und ihr verdankt dasselbe hauptsächlich seine größere Wanddicke. $ 74. Die äußeren Spiralfasern. Die Fasern der äußeren Muskelschicht inserieren an den annuli fibrasi (knorpelartigen Faserringen, welche die Kammerbasis bilden) und steigen dann in schiefen Spirallinien gegen die Spitze abwärts, wobei sie auf der Vorderseite des Herzens (die dem Thorax anliegt) oben von der rechten Seite des betrachteten Individuums nach links unten ziehen. Auf der Rück- seite ziehen sie dementsprechend von links oben nach rechts unten. An der Herzspitze senken sie sich in die Tiefe und bilden dabei den oft genannten Ad nr. u — Die äußeren Spiralfasern. 807 Wirbel; wir haben oben schon erwähnt, daß an dieser Stelle das Herz am dünnsten ist. Ganz offenbar bewirkt nun die Richtung dieser Fasern bei der Kon- traktion jene leicht zu beobachtende Drehung des Herzens um die eigene Achse. Fig. 74 zeigt schematisch, wie diese zustande kommt. I, II, II, IV sei die Basis, gesehen von der Spitze, und die vier stark ausgezogenen Linien sollen vier Muskelfaserzüge repräsentieren, welche in Spirallinien gegen den Wirbel der Herzspitze hinziehen, den sie aber nicht erreichen, wie es auch Fig. 74. in der Figur angedeutet ist. Verkürzen sich nun diese Faserzüge, so werden sich ihre Bahnen natur- gemäß mehr der geraden Linie nähern; sie werden also etwa in der Richtung der punktierten Linie verlaufen. Will man wissen, wie sich dabei die ein- zelnen Punkte bewegt haben, so hat man nur jede der beiden Linien in gleich viele Teile zu teilen. In der Fig. 74 sind es acht Teile. Die entsprechenden Punkte bezeichnen dann die Lage eines Partikelchens vor B und nach der Kontraktion, ihre I Verbindung den zurückgelegten | Weg. Man sieht z. B., a, ist nach a gewandert. In Fig. 74B M En sind dann die Muskelfasern kon- 1 inet "@, trahiert gezeichnet. Wie man 1% Br leicht einsieht, haben sich dabei ae die vier Quadranten, die in u der Figur durch Schraffierung Die drehende Wirkung der äußeren Spiralfedern kenntlich gemacht sind, in der . des Herzens. angegebenen Weise verschoben. Und das ist die Spiraldrehung des Herzens bzw. die Rotation der Spitze, wie es meist genannt wird. Diese Verkürzung der äußeren Schicht bewirkt also, wie aus dem Bilde deutlich hervorgeht, eine Drehung des Herzens — von der Spitze aus betrachtet — entgegen dem Sinne des Uhrzeigers. Sie be- wirkt mithin, daß bei eröffnetem Thorax ein Abschnitt der linken Kammer- wand zum Vorschein kommt, der im Zustand der Erschlaffung von der linken Lunge bedeckt ist. Diese Rotation, entgegen dem Sinne des Uhrzeigers, Kommt ; in. mehr oder weniger hohem Grade zustande, wie auch im einzelnen die Fasern verlaufen, wenn sie nur überhaupt in dem angedeuteten Sinne von oben rechts nach unten links laufen. — Wir.sehen aber, daß die einzelnen Punkte nicht nur eine Drehung ‚ausführen, sondern daß dabei die peripheren Punkte sich der Mitte nähern, die zentralen sich davon entfernen. Im allgemeinen wird mit jeder Drehung auch eine Bewegung zum Mittelpunkt hin oder von ihm fort ver- bunden sein, doch hängt dies durchaus von der Form der Spirale ab, welche der einzelne Muskelfaserzug vor der Kontraktion hatte. Die Betrachtung einiger in Salpetersäure zerfaserten Herzen macht es aber wahrscheinlich, daß bei der Kontraktion eine Verdichtung und Ansammlung von Faserzügen etwa in der Mitte des Herzens stattfindet, was mit der dort leicht zu beobachtenden Wölbungszunahme gut übereinstimmen würde. Doch erscheint vorläufig die genauere Bestimmung dieser Tatsache darum nicht angängig, weil wir 808 Das Krehlsche Treibwerk. nicht wissen, welchen Anteil hieran die anderen Fasersysteme des Herzens haben. Es könnte nun scheinen, als ob auch die obige Betrachtung illusorisch wäre, weil die anderen Fasersysteme nicht berücksichtigt sind; doch ist dem nicht so, denn die Ansatzstellen dieser Spiralfasern, „die Annuli fibrosi“, sind die einzig relativ festen Punkte für das Herz. Wenn also in bezug auf diese Punkte eine Spiraldrehung des Herzens oder auch nur des Herzmantels zu stande kommt, so werden eben die inneren Teile dementsprechend ihre Ansatzpunkte verlagern, d. h. sie werden der Bewegung folgen. Die Tat- sache, daß die Faserringe das relativ Stabilste am Herzen darstellen, ist der Grund, daß man bei jeder Analyse der Herzbewegung zuerst die Bewegungen der an diesen Ringen angreifenden Muskelmassen studieren muß. So ist denn die Wirkungsweise dieses Faserabschnittes verhältnismäßig noch am klarsten, und eigentlich könnten wir erst, nachdem wir auf diese Weise die Ansatz- stellen der anderen Muskel und ihre Bewegungsform festgestellt haben, an die Bewegung eben dieser anderen Muskel herangehen. Für viele Fragen kommt es jedoch nicht auf die absolute Bewegung an, sondern es genügt, die relative Verlagerung zu kennen. Wenn wir von einer Ringfaserschicht z. B. wissen, daß sie sich kontrahiert, so ist es gleichgültig, ob sich der Ring als Ganzes vorher oder dabei dreht; die Wirkung auf den Inhalt ist auf alle Fälle die gleiche. 8 75. Das Treibwerk und das Papillarsystem. Das Mittelstück ist von Krehl isoliert worden dadurch, daß er nach Behandlung mit Salpetersäure die innere und die äußere Muskelschicht ab- getrennt hat. Es bleibt dann eine mittlere Schicht sogenannter zirkulärer Fasern zurück, deren Verlauf zwar in seiner Hauptrichtung ein querer ist, jedoch nicht senkrecht zur Herzachse steht, sondern davon im Sinne jener Richtung abweicht, welche die Fasern der äußeren Schicht einschlagen, zum Teil zeigen jedoch die Muskellamellen, welche das Treibwerk zusammensetzen, ganz unregelmäßigen Verlauf und durchflechten sich. Eigentliche, kreis- förmig in sich selbst zurücklaufende Fasern kommen nicht vor, sind wenigstens noch nicht nachgewiesen, andererseits kommen Endigungen in Sehnen auch ganz und gar nicht vor; dieser Abschnitt ist also das beste Beispiel des oben geschilderten, muskulösen Netzes. Diese Muskelzüge gehören im wesent- lichen dem linken Herzen an — nach Krehl sogar fast ausschließlich — und ihnen vornehmlich dankt das linke Herz die sehr viel größere Dicke seiner Wandung. Die Kontraktion dieser Muskeln muß ganz besonders dazu bei- tragen, das Lumen des Herzens zu verkleinern und dadurch das Blut heraus- zutreiben. Krehl nennt deshalb auch diese zirkulären Fasern das Treib- werkzeug des Herzens. Die alleinige Kontraktion dieses Treibwerkzeuges würde, wie er sich ausdrückt, die „Röhre des Herzens verengern, aber gleich- zeitig verlängern“; daß letzteres nicht stattfindet, dafür sorgen die Fasern der inneren und äußeren Schicht. Dadurch daß das Treibwerk des Herzens nur in einigen Faserzügen beide Ventrikel gemeinsam umspannt, in seiner Hauptmasse aber die beiden Höhlen je einzeln umgibt, kommt bei der Kontraktion die leicht zu beob- Das Papillarsystem. 809 achtende Längsfurche des Herzens zustande. Im schlaffen Zustande nimmt das gesamte Herz nach bekannten Gesetzen eine solche Gestalt an, daß seine Oberfläche möglichst klein wird, d. h. eine annähernd kugelförmige Gestalt; kontrahieren sich aber die beiden Ventrikel, so müssen sie nach den- selben Gesetzen dahin tendieren, eine solche Form anzunehmen, daß jeder für sich eine möglichst kleine Oberfläche hat. Also jeder Ventrikel für sich nähert sich möglichst der Kugelform, soweit dies’ die besonderen mechanischen Bedingungen der Faserrichtungen zulassen. Es entsteht da- bei mit Notwendigkeit eine Längsfurche, welche die Grenze der beiden Ventrikel andeutet. Diese Längsfurche verläuft von rechts oben nach links unten, so daß sie das Herz nicht nur in eine rechte und linke, sondern beim Menschen auch gleichzeitig in eine obere und untere Herzhälfte scheidet, Das linke Herz ist darum das untere, weil die Spitze des Herzens, wie schon erwähnt, ausschließlich dem linken Herzen angehört. (Siehe $.822 die Kon- sequenz dieses Zustandes in bezug auf die Deutung des Elektrokardiogramms.) Das Papillarsystem, zu dem nicht nur die Papillarmuskeln selbst gehören, sondern auch die dem Endocard anliegenden in der Längsrichtung verlaufenden inneren Faser- schichten des Herzens, hat wahrscheinlich eine unterstützende Bedeutung, um das Längerwerden des Herzens infolge der Wirkung des Treibwerkes hintan- zuhalten. Seine wesentlichste Aufgabe aber scheint einmal darin zu bestehen, daß zum mindesten ein Teil seiner Fasern, die sogenannten Purkinjeschen Fasern, die Erregung an alle Stellen des Herzens hin gleichmäßig verteilen und weiter vor allem in der Unterstützung der Klappenwirkung. Dieser Teil des Papillarsystems wird also. in $ 76b sowie in dem Kapitel über die Klappen ($ 92 a. S.845) genauer beschrieben werden. Die muskulösen Verbindungen der einzelnen Muskelsysteme. Sind diese vier Muskelsysteme (Vorhofmuskulatur, äußere Spiral- fasern, Treibwerk und Papillarsystem) nun voneinander völlig isoliert oder stehen 'sie untereinander und mit der Venenmuskulatur in muskulärer Verbindung? Die Beantwortung dieser Frage ist nicht nur für die myogene Lehre von Bedeutung. Schon Ludwig (1849) hatte einen Zusammenhang zwischen äußeren (Spiral-) Fasern und inneren (Papillar-)Fasern angenommen. His (1893) erbrachte als erster den Nachweis muskulärer Verbindungen zwischen Vorhof und Ventrikel beim Säugetier. Albrecht (1903) wies auf den muskulären Zusammenhang hin zwischen dem Papillarsystem und dem Treibwerk des Herzens. Wenkebach (1906) beschreibt Verbindungen zwischen Venenmuskulatur und Vorhofmuskulatur. Dadurch stellt sich uns die gesamte in Betracht kommende Muskelmasse als ein wirkliches Syneytium dar; allerdings bleibt der in gewissem Sinne isolierte Charakter der einzelnen Systeme erhalten, denn, wie wir sehen werden, sind all diese Verbindungen nur mehr oder weniger schmale Brücken zwischen mächtigen Muskelmassen. 810 Muskulöse Verbindungen des Vorhofs mit den Venen $ 76. Verbindungen des Vorhofs mit den Venen und dem Ventrikel. a) Muskulöse Verbindungen zwischen Venen und Vorhof. Diese Verbindungen sind niemals geleugnet worden. Interessant er- scheint der unten zu schildernde Wenkebachsche Befund nur deshalb, weil er zeigt, daß auch hier keine breiten kontinuierlichen Übergänge be- stehen, sondern nur eine einzige schmale Brücke vorhanden ist. Außerdem ist diese Stelle deshalb für das funktionelle Verständnis von Bedeutung, weil wir wissen, daß beim Kaltblüter die Erregung vom Sinus ausgeht. Es muß also auch den Physiologen interessieren, was aus dem Sinus venosus wird, der im embryonalen Zustande auch beim Menschen auftritt. Von Keith!) wird ein Komplex schlingenförmiger Muskelbündel (loop-fibre) an der Vena cava superior als muskulöser Rest des ‘Sinus venosus beschrieben und abgebildet. Wenkebach?) fand diese Bildung auch beim Menschen, be- sonders deutlich bei hypertrophischem rechtem Ventrikel. Er beschreibt _ diesen an der Vena cava sup. befindlichen von der Vorhofmuskulatur deutlich abgegrenzten Muskelapparat als einen mehr schlingenförmig als sphinkter- artig gebildeten Ring, der nur durch ein einziges Bündel mit der Vorhof- muskulatur zusammenhängt. Ob dies mit den physiologisch beobachteten Tatsachen über den Ursprung der Herztätigkeit bei den Säugetieren überein- stimmt, darf heute allerdings noch nicht als sicher betrachtet werden. b) Muskulöse Verbindungen zwischen Vorhof und Ventrikel. Man hat lange Zeit geglaubt, und Donders war derjenige, der dies am schärfsten formuliert hat, daß die Muskelmasse des Vorhofs vom Ventrikel vollständig geschieden sei. Allerdings nur bei den höheren Säugetieren, denn bei den Fischen ist sicherlich eine Verbindung zwischen Vorhof und Ventrikel vorhanden; ja das Herz verrät hier noch deutlich seinen Ursprung aus einem einzigen muskulären Schlauch; es ist eine fortlaufende Muskelmasse, die vom Venensinus bis zum Bulbus aortae reicht, ähnlich dem Herzen mancher niederer Tiere, z. B. dem der Salpen, das wirklich ein ganz einheitlicher Muskelschlauch ist, über den eine einzige peristaltische Welle ohne jede Unter- brechung hinläuft. Schon im Jahre 1883 wies dann Gaskell®) am Herzen der Schildkröte nach, daß es bei diesen Tieren sowohl zwischen dem Sinus und dem Vorhof, als auch zwischen dem Vorhof und dem Ventrikel muskulöse Verbindungsfasern gibt. Und zwar fand er zirkuläre Muskelfasern, welche das atrioventrikuläre Ostium umgaben, und in welches Fasern von beiden Herzabschnitten einstrahlten. Zehn Jahre später wurde eine solche Verbindung auch für das Säugetier- herz nachgewiesen. His*) und Kent?) fanden sie gleichzeitig, und zwar !) A.Keith, Anatomy of the valvular mechanism round the venous orifices asf., Journ. of Anat. and Physiol. 37 (1902); derselbe, Evolution and action of certain muscular structures of the heart. Lancet 1904. — ?) Wenkebach, Zur Kenntnis der menschl. Herztätigkeit, Arch. f. (Anat.u.) Physiol., 8. 297, 1906. — °) Gaskell, On the innervation of the heart asf. (of the tortoise), Journ. of Physiol. 4 (1883). — *) His, Tätigkeit des embryonalen Herzens usw., Abhandl. d. Sächs. Ges. d. Wiss., math.-physik. Kl., 19, 1, 1893. — °) Stanley Kent, Researches of the structure and function of the mammalian heart, Journ. of Physiol. 14 (1893). nt 2 a te er nn ce ee und mit dem Ventrikel (Hissches Bündel). sıı betonen beide, daß sie in der Jugend stärker entwickelt sei. „Dieses Muskel- bündel“, sagt His, „entspringt von der Hinterwand des rechten Vorhofes, nahe der Vorhofscheidewand; an der Atrioventrikularfurche legt sich die obere Kante des Kammerscheidewandmuskels unter mehrfachem Faseraustausch an, zieht auf demselben nach vorn, bis es nahe der Aorta sich in einen ‚rechten und linken Schenkel gabelt, welch letzterer in der Basis des Aorten- 'zipfels der Mitralis endigt.“ Kent hat dies Bündel in verschieden starker Mächtigkeit bei allen untersuchten Tierarten (Ratten, Kaninchen, Meerschweinchen, Katzen, Hunden, Igeln und Affen) gefunden. Retzer!) hat es unter Spalteholz in absolut einwandsfreier Weise bei kleinen Herzen durch mikroskopische Serienschnitte, an großen Herzen durch makroskopisch sichtbare Präparation nachgewiesen: Wichtig ist, daß er das Vorhandensein des Bündels auch für den Menschen bestätigen konnte. Bräuning?) unter Engelmann und Humblet °) haben das Bündel ebenfalls histologisch untersucht und sein Vorhandensein be- stätigt. Vgl. hierzu auch die Arbeit von Lohmann ®). So dürfen wir wohl nicht daran zweifeln, daß die alte Donderssche Lehre von der muskulären Isolation zwischen Vorhof und Ventrikel auch vom anatomischen Standpunkt aus ein Irrtum war. Meinungsverschiedenheiten bestehen nur noch insofern, als man im Zweifel sein kann, ob die Muskel- fasern, welche das Bündel bilden, mit gewöhnlichen Muskelfasern identisch sind, oder ob es sich um eine Modifikation derselben handelt, und zwar spricht man dabei meistens von embryonal gebliebenen Muskelfasern. Diese histologische Frage ist nicht ohne Bedeutung für die Physiologie (denn da . die Leitung an dieser Stelle sehr viel langsamer von statten geht als im übrigen Herzen, so müßten die Myogeniker eigentlich nachweisen, daß die Muskelsubstanz an dieser Stelle anders gebaut ist als im übrigen Herzen, zumal scheint das dann geboten, wenn man in diesen Fasern, die man auch als „Blockfasern“ bezeichnet, das sekundäre rhythmische Zentrum des Her- zens sieht). . Trotzdem wollen wir diese rein histologische Frage nur erwähnen, ohne das Für und Wider der einzelnen Meinungen zu erläutern. [Eine Übersicht der älteren Literatur findet sich bei Heinz)]. Zudem ist die ganze Frage heute durch die ausgezeichneten und ausgedehnten Arbeiten Tawaras®), die er in einer Monographie niedergelegt, in ein durchaus anderes Stadium getreten, und wohl im wesentlichen im Sinne einer gewissen Sonderstellung dieser Fasern entschieden. Er hat — in bezug auf das Hissche Bündel selbst — die alten Angaben bestätigt und gefunden, daß es dicht oberhalb des Septum fibrosum atrioventriculare einen höchst kompliziert gebauten Knoten bildet, dann das Septum durchbricht und in zwei getrennten Schenkeln an der Kammer- !) Retzer, Muskulöse Verbindung zwischen Vorhof und Ventrikel des Säugetier- herzens, Arch. f. (Anat..u.) Phys., $.1, 1904. — ?) Bräuning, Muskulöse Verbin- dung zwischen Vorkammer und Kammer verschiedener Wirbeltierherzen, Arch. f. (Anat. u.) Phys., Suppl., S.1, 1904. — °) Humblet, Le faisceau inter-auriculo- ventriculaire ete., Arch. intern. de physiol. 1, 278, 1904. — *) A. Lohmann, Zur Anatomie der Brückenfasern und der Ventrikel des Herzens, Arch. f. (Anat. u.) Physiol., 8. 431—452, Suppl. 8. 265—270, 1904. — °) Heinz, Handbuch der experimentellen Pathol. u. Pharmakol., S. 652 ff. Jena, Fischer, 1905. — ®) Ta- wara, Das Reizleitungssystem des Säugetierherzens. Jena 1906. 812 Purkinjesche Fasern — Herzwirbel. scheidewand herabläuft. Nun aber verliert es sich nicht, wie man geglaubt hat, einfach in der Muskulatur der Kammerwände, sondern durchsetzt die Ventrikelhohlräume in Form von Trabekeln oder falschen Sehnenfäden und tritt erst dann an den Papillarmuskeln und an den peripheren Wandschichten mit der Kammermuskulatur in Verbindung. Diese Ausbreitungen im Ventrikel waren seit langem unter dem Namen der Purkinjeschen Fasern besonders am Schafherzen bekannt, waren aber wie so viele Befunde dieses ausgezeichneten Beobachters kaum beachtet worden. Tawaras großes Verdienst ist es, nicht nur die Aufmerksamkeit wieder auf sie gelenkt und gezeigt zu haben, daß es sich um eine in der Tierreihe all- gemein verbreitete Erscheinung handelt, sondern auch den Zusammenhang zwischen ihnen und dem Hisschen Bündel nachgewiesen zu haben. Da für das Hissche Bündel der Zusammenhang mit der Reizleitung seit den entscheiden- den Hering !)-Tawaraschen ?) Untersuchungen wohl unzweifelhaft geworden ist, so liegt es nahe, auch die Purkinjeschen Fasern mit der Reizleitung in Zusammenhang zu bringen, und somit diesen unbekannten Gebilden eine Funktion zu geben, deren Bedeutsamkeit wir weiter unten genauer besprechen werden. [Fahr?°) hat allerdings die Tawaraschen Befunde am Menschen nicht bestätigt, insonderheit nicht einen Übergang des Hisschen Bündels in ein strukturell differentes subendokardiales Netzwerk nachweisen können. Trotz- dem werden die Purkinjeschen Fasern ihre Bedeutung nicht mehr verlieren, . nachdem man einmalihre Funktion mit ernsten Gründen in Betracht gezogen hat. ] 8 77. Muskuläre Verbindungen der einzelnen Muskelsysteme des Ventrikels. Nach Ludwig — und seine Anschauungsweise herrscht, wie auch Albrecht *) hervorhebt, heute noch — sollen die Fasern der äußeren Schicht an der Herzspitze umbiegen und in die Fasern der inneren Schicht über- gehen, wie es etwa die schematische Figur auf Seite 806 zeigt. Wir hätten demnach im eigentlichen Herzen nur zwei Fasersysteme — aber zwei völlig ge- trennte Systeme —, das äußere plus dem inneren und das mittlere. Dies scheint wenigstens insoweit zuzutreffen, als Verbindungen zwischen den äußeren Spiral- fasern und dem zirkulären Treibwerk des Herzens bisher niemals nachge- wiesen sind. Die Möglichkeit des Vorhandenseins einzelner Verbindungen ist allerdings nicht zu leugnen. Dagegen sind Verbindungen zwischen dem Papillarsystem und dem Treib- werk vorhanden. Vor allem hat Albrecht) diese schon von Hesse er- wähnten Verbindungen zum Gegenstand besonderer Studien gemacht: Es sollen an den Stellen, an welchen die Papillarmuskeln der inneren Ventrikel- !) Hering, Durchschneidung des Übergangsbündels beim Säugetierherzen III, Pflügers Arch. 111, 298. — ?) Tawara, Anatomisch histologische Nachprüfung der Schnittführung an den von Prof. H. E. Hering übersandten Hundeherzen, ebenda S.300. — °) Fahr, Muskulöse Verbindung zwischen Vorhof und Ventrikel usw. Virchows Arch. 148, H. 3 (1907). — *) Albrecht, 1. ce. 8.26. — °) Albrecht, l.c. S. 26. Inwieweit das von Albrecht beschriebene trabekuläre Netzwerk als selb- ständiges Fasersystem, wie er will, aufgefaßt werden muß, bleibe dahingestellt, jeden- falls steht es ganz zweifellos mit den angrenzenden Systemen in mannigfacher Verbindung. ee Die intramuralen Fasern (Albrecht). 813 wand ansitzen, einzelne Faserzüge, welche von den Sehnenfäden her gegen die Papillarmuskelbasis ausstrahlen, mehr oder weniger rechtwinklig um- biegen und in Faserbündel übergehen, welche zu dem zirkulären System (dem Treibwerk) des Herzens gehören. Albrecht nennt dies den intramuralen Anteil des Papillarmuskels und beschreibt diese Bildungen, in bezug auf deren mannigfache Details wir auf das Original verweisen müssen, auf das genaueste. Allerdings hat er diese Verbindung nur am linken Herzen gesehen und leugnet es ausdrücklich, daß die rechten Papillarmuskeln in direkter unmittelbarer Beziehung zur eigentlichen Kammerwand stehen. Da jedoch die mittlere Schicht am rechten Herzen überhaupt sehr schwach aus- gebildet ist, so ist es nicht ausgeschlossen, daß die vielleicht recht minimalen Verbindungen, auf deren Vorhandensein Erwägungen über den zeitlichen Ab- lauf der Erregungswelle hinweisen (s. unten), auch der aufmerksamen Beob- achtung Albrechts entgangen sind; sollten sie wirklich fehlen, so wäre die allseitigee Verbindung ! £ Fig. 75. durch die Ludwig- schen !) _Achterturen : dennoch gewährleistet. Atrium Trotzdem hat man das Recht von einzelnen Bi; Systemen zu sprechen, äußere denn die Verbindungs- 2 Papillar- Treib- brücken sind in allen Spiral- intramurale Fällen nur schmal. Zwi- Fasern Werk schen den Vorhöfen und Fasern Sy stem den Ventrikeln existiert nur das Hissche Bündel. Weiter hat Albrecht ?) darauf aufmerksam ge- macht, daß am Herz- wirbel zwar eine Verbindung der äußeren (subperikardialen) mit den innersten (subendokardialen) Fasern besteht, wie es das Ludwigsche Schema will, daß aber die Anzahl dieser Verbindungsfasern eine außerordentlich geringe ist. „Der Ort des Wirbels repräsentiert die dünnste Stelle, welche die Wand des Ventrikels überhaupt besitzt“, sagt er bezeichnenderweise. Auch diejenigen „intramuralen Fasern“, welche vom Papillarsystem in das Treibwerk übergehen, scheinen nach den Schilderungen Albrechts nicht zahlreich zu sein. Wir möchten nun nicht behaupten, daß die Verbindung des Vorhofes mit dem Ventrikel in jeder Weise in Parallele zu stellen sei mit den Verbindungen der drei Ventrikelsysteme untereinander, von denen wir oben gesprochen. Ganz abgesehen davon, daß möglicherweise das Hissche Bündel auch struk- turelle Verschiedenheiten gegenüber den anderen Herzmuskeln aufweist, was für die anderen genannten Verbindungen wohl sicher nicht der Fall ist, ist es nötig, darauf hinzuweisen, daß diese Verbindungen auch in quantitativer Be- ziehung sehr viel ausgedehnter sind als die Verbindung zwischen Vorhof und Herzwirbel Schema der Muskelsysteme des Herzens und ihrer Verbindungen. I) Ludwig, I. c. — ?) Albrecht, 1. c. 8.39. 814 Begriff und Dauer der Systole. Ventrikel, wenn auch neue Untersuchungen von Wenkebach (die auch wir bei gelegentlichen Untersuchungen bestätigen zu können glauben) darauf hinweisen, daß es möglicherweise außer dem Hisschen Bündel auch noch andere muskuläre Verbindungen zwischen Atrium und Ventrikel gibt, eventuell auch Verbindungen durch Vermittelung der allerdings sehr geringfügigen Klappenmuskulatur. Zusammenfassend kann man auf Grund des Vorausgegangenen sagen, daß es im Gesamtherzen offenbar mehrere voneinander bis zueinem gewissen Grade unabhängige, aber doch untereinander muskulär verbundene Fasersysteme gibt, welche die geschilderte gegenseitige Lage besitzen dürften. Die gegenseitige Lage und Verbindung dieser vier Fasersysteme (das Vorhofsystem, das Papillarsystem, das Treibwerk und die äußeren Spiralfasern — untereinander verbunden durch das Hissche Bündel, die intramuralen Fasern und den Herzwirbel) geht deutlich aus dem Schema der Fig. 75 hervor. Achtes Kapitel. Allgemeine Mechanik des Herzmuskels. Der Ablauf der Erregungswelle. $ 78. Begriff und Dauer der Systole.. Die Frage entsteht, in welcher Weise sich ein derartiges Gebilde über- haupt kontrahieren kann. Es wäre möglich, daß sich alle Fasern — durch Nerveneinfluß gleich- zeitig erregt — auch gleichzeitig zusammenziehen. Daß Vorhof und Ven- trikel sich nicht gleichzeitig kontrahieren, ist sicher; wenn wir jedoch von dem Ventrikel allein reden, so scheint der Augenschein dafür zu sprechen,’ daß das ganze Herz sich auf einmal zusammenzieht. So hat es Harvey (1628) in seiner klassischen Arbeit beschrieben, und die Druckkurven, welche man im Innern des Ventrikels aufgenommen, schienen dasselbe zu beweisen. Man sieht einen ziemlich schnellen Anstieg, dann bleibt die Kurve eine ge- raume Zeit auf gleicher Höhe, um dann wieder schnell abzusinken. Es ist also eine Kurve, die durchaus an eine tetanische Kontraktur des Skelett- muskels erinnert. Wenn es sich wirklich um eine solche handelte, so käme neben der Dauer dieses Tetanus die eventuelle Leitungszeit im Herzen selbst nicht in Betracht, und wir würden daher einen gleichzeitigen Tetanus des gesamten Herzens anzunehmen haben. Demgegenüber hat man aber schon früher experimentell zu zeigen versucht, daß die Kontraktionswelle sich mit meßbarer Geschwindigkeit fortpflanzt. Waller und Reid!) legten lange Schreibhebel über ver- schiedene Partien des Herzens und schlossen aus dem Asynchronismus der Erhebungen, daß die Fortpflanzungsgeschwindigkeit im Froschherzen etwa 10cm, im Schafherzen 800 cm beträgt. Bayliss und Starling?) fanden für !) Waller u. Reid, Action of the exeised mammalian heart Philos. Transact. 198, 230, 1888. — ?) Bayliss u. Starling, Electromotive Phaenomena of the mam- malian heart, Proc. Roy. Soc. 211 (1892) u. Internat. Monatsschr. £. Anat. u. Phys. 9, 7. u 7 nr Ach Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung im Herzen. 815 das Hundeherz eine Geschwindigkeit von 300cm. Während diese Versuche am spontan schlagenden Herzen ausgeführt sind, fand Engelmann!) bei seinem ‚bekannten Zickzackversuch eine Fortpflanzungsgeschwindigkeit von nur 3cm pro Sekunde für künstliche Reize. Endlich fanden Roy und Adami?) eine Ungleichzeitigkeit der Kontraktion der Papillarmuskel und der Herzwandung. Eine Beobachtung, die von Fenwiek und Owerend’) bestätigt wurde. Man hat dann versucht, die Geschwindigkeit der Fort- pflanzungswelle des Aktionsstromes im Herzen zu messen, wobei man von der Voraussetzung ausging, daß hiermit die Fortpflanzungsgeschwindig- keit der Erregung identisch sei. Für das Froschherz sind von verschiedenen Autoren folgende Angaben gemacht, die der Größenordnung nach ja ziemlich gut unter sich und mit den oben angegebenen Resultaten mechanischer Regi- strierung übereinstimmen: Marchäand (1877*). "2022.20... mehr als 10cm pro Sekunde Engelmann (18785) . DR ER ae " Burdon Sanderson u. Page (1880 s). 2 A Für das Menschenherz hat Waller eine Geschwindigkeit von 500 cm pro Sekunde herausgerechnet. Vor allem hat sich Frederieq ?) und seine Schule in der letzten Zeit bemüht nachzuweisen, daß die Kontraktionswelle immer noch ihren peristal- tischen Charakter bewahrt habe. Die wichtigsten dieser Arbeiten sind unten angegeben, weitere Literatur findet man in der ebenfalls unten angegebenen Arbeit von Stassen. ‘Am Säugetierherzen hat Langendorff®) die Zeitdifferenz der sekundären Zuckungen zweier dem Herzen angelegter Nervmuskelpräparate (mitSchlüter?) gemessen und dabei eine Fortpflanzungsgeschwindigkeit von 1 bis 2m ge- funden. Aus all’ diesen Versuchen — gegen deren Bedeutung im einzelnen sich manches einwenden ließe — scheint doch hervorzugehen, daß die Erregung sich im Herzen mit meßbarer und zwar nicht allzu großer Geschwindigkeit fortpflanzt. Wenn die Wallersche 1) Angabe richtig ist, so brauchte die !) Engelmann, Über die Leitung der Erregung im Herzmuskel, Pflüg. Arch. 11, 480, 1875. — ?) Roy u. Adami, The practitioner 1890. — ®) Fenwiek u.Owerend, Brit. med. Journ. 1891. — ‘) Marchand, Beiträge zur Kenntnis der Reizwelle und Kontraktionswelle des Herzmuskels, Pflügers Arch. 15, 511, 1877; Derselbe, Ver- lauf der Reizwelle des Ventrikels bei Erregung vom Vorhof aus, ebenda 17, 137, 1878. — °) Engelmann, Über das Verhalten des tätigen Herzens, Pflügers Arch. 17, 68, 1878. — °) Burdon Sanderson u. Page, On the Time-relations of the Exitatory Process in the ventriele of the Heart of the Frog, Journ. of Physiol. 2 284, 1880. — 7) Fredericq, La pulsation du c®eur du chien, Arch. internat. de Phys.. 4, 56, 1906; Schmidt-Nielson, Du pretendu, synchronisme de la systole des deux oreillettes, ebenda 4, 417, 1907; Stassen,. De l’ordre de succession des differentes phases de la pulsation cardiaque chez le chien, ebenda 5, 60, 1907; Fauconnier, Sur l’onde de contraction de la systole ventriculaire, ebenda 5, 122, 1907. — ®) O0. Langendorff (mit Schlüter), Eine neue Methode zur Messung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung im Herzmuskel, Sitzungsber. der Natur- forscher-Gesellsch., Rostock 1901. — °) F. Schlüter, Die Reizleitung im Säuge- tierherzen, (Physiol. Inst. Rostock), Arch. f. d. ges. Physiol. 89, 87, 1902. — 1%) Waller, On the electromotive changes connected with the beat of the mammalian heart and of the human heart iu particular, Philos. Transact. Roy. Soc. 180 B, 169, 1889. 816 Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung im Herzen. Erregung etwa 0,05 Sek., um ein menschliches Herz zu durchlaufen. Ich selber jedoch glaube, daß die Zeit dafür eine sehr viel längere ist und stütze mich dabei auf folgende Überlegung: Die negative Schwankung des Vorhofs kann man [vgl. Kraus und Nicolai!)], bei Vagusreizung isoliert erhalten, es zeigt sich dabei, daß die der Vorhofsystole entsprechende elektrische Schwankung nur 0,08 Sek. dauert. Es ist nun gar kein Grund einzusehen — wenn man von einem eventuellen Tetanus des Herzens, an den heute kein Mensch mehr glaubt, absieht —,. warum die elektrische Schwankung einer einzelnen Ventrikelmuskelfaser länger dauern sollte; im Gegenteil, da die Vorhofskontraktion selbst wahr- scheinlich aus einer aufeinanderfolgenden Reihe von Kontraktionen ihrer einzelnen Fasern besteht, so dürfte der Wert von 0,08 Sek. nur als das Maximum zu betrachten sein, welches höchstens für den Aktionsstrom einer einzelnen Muskelfaser in Betracht kommen dürfte. Aus anderen Über- legungen heraus muß man die Dauer des Aktions- stromes, der im allgemeinen bereits abgeklungen ist, wenn die eigentliche mechanische Tätigkeit beginnt, noch kürzer annehmen. E - Nun dauert aber die gesamte negative Schwan- kung des Ventrikels 0,3 bis 0,4 Sek., unter Um- ständen, besonders in pathologischen Fällen, auch noch länger. Es ist daher anzunehmen, daß im Ventrikel nach der Kontraktion der zuerst erregten De Fasern mindestens etwa 0,2 bis 0,3 Sek. verfließen, ehe sich die letzten Fasern des Ventrikels zu- = .- sammenzuziehen beginnen. Le Fi Auch die mechanische Verzeichnung der Vorhof- und Ventrikelsystole zeigt, daß letztere etwa drei- a mal solange dauert. Wenn wir auch annehmen 2 | | wollten, daß sich die Vorhofmuskulatur in ihrer 0 01 02 03sk Gesamtheit gleichzeitig kontrahiert, so müssen wir Schema des Zustandekommens doch für den Ventrikel zum mindesten zugeben, der Systole in dem Muskelnetz RE daß sich der Vorgang so abspielt, wie es die Fig. 76 zeigt. Eine Muskelzelle kontrahiert sich, und wenn sie erschlafft ist, kontrahiert sich die nächste. Natürlich werden in Wirklichkeit immer mehrere Zellen in Wirksamkeit sein, von denen die ersten sich gerade zu kontrahieren be- ginnen, die mittleren im Maximum der Kontraktion sich befinden und die letzten wieder erschlaffen. In der Fig. 76 ist dies dadurch schematisch zum Ausdruck gebracht, daß immer zwei Muskelfaserzellen auf 2/, ihrer Länge, eine auf !/, reduziert erscheint. So läuft eine Welle über die ganze Kette aufeinander folgender Muskelfasern, und wie man sieht, ergibt die Summe dieser Teilkontraktionen eine Kurve, die durchaus an eine Tetanuskurve erinnert. Daß dieser Vor- Fig. 76. | N JE I 90 l l ') Kraus u. Nicolai, Über das Elektrocardiogramm unter normalen und pathologischen Verhältnissen, Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr.25 u. 26. \ nt Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung im Herzen. 817 'gang sich in der geschilderten Art abspielt, wird durch die genannten morpho- logischen Betrachtungen sehr wahrscheinlich; bewiesen wird es aber erst durch die gleichzeitigen elektrischen Erscheinungen, die durchaus keine Tetanuskurve sind und ebensowenig einer einzelnen Muskelzuckung ent- sprechen (s. weiter unten in $ 82). Hiermit dürfte auch die Frage erledigt sein, ob die Herzkontraktion ein Tetanus sei oder nicht. Schon Kölliker und H. Müller (1856) und Marey (1866!) haben dies verneint. Contejean?) hat es jüngst wieder behauptet. Doch scheint in dieser Form die Fragestellung überhaupt un- berechtigt; die Herzsystole ist gleich dem Tetanus eine Summation von Einzelzuckungen, aber während beim Tetanus die Summation auf eine uns unbekannte Weise in der kontraktilen Substanz vor sich geht, handelt es sich bei der Systole um eine sehr wohl begreifliche und zwar rein mechanisch verständliche Summation von Kontraktionen verschiedener hintereinander geschalteter Elemente. Hiervon ganz unabhängig ist die Frage, ob etwa die einzelnen Muskelfasern außerdem noch in Tetanus versetzt werden können, und wieder etwas anderes ist es, ob unter abnormen Bedingungen Zusammenziehungen sich etwa superponieren können. Die Literatur über diese Frage, siehe bei Hofmann in diesem Handbuch, S. 238 und bei Walther). = Die Erregung braucht also, um den ihr vorgeschriebenen Weg zu durch- laufen, eine Zeit von 0,2 bis 0,3 Sek. im Minimum, aber wir köfinen daraus nicht die Geschwindigkeit berechnen, mit welcher sich die Erregung fort- pflanzt, denn wir kennen die Länge des durchlaufenen. Weges nicht. Es erscheint aber ganz ausgeschlossen, daß dieser Weg etwa nur der einfachen Länge des Herzens entspricht. Um aber die wirkliche Länge zu kennen, müßten wir wissen, auf welchen Bahnen die Erregung im Herzen verläuft (vgl. unten $ 82). Die Kurve, welche die Gesamttätigkeit des Herzens repräsentiert, die sich am idealsten sicherlich in einer Druckkurve des Innern äußert, ist, wie wir seit den klassischen Untersuchungen von Chauveau und Marey*) wissen, eine trapezförmige mit brüskem Anstieg, systolischem Plateau und brüskem Abfall, ist also einer Tetanuskurve ähnlich, aber es ist kein Tetanus. Ebensowenig aber kann man diese Gesamttätigkeit etwa als eine ») Köllikeru.H. Müller, Nachweis der negativen Schwankung am natürlich sich kontrahierenden Muskel, Verhandl. d. phys.-med. Ges. in Würzburg 6, 530, 1859; Marey, Compt. rend. de l’Acad. d. sciences 63, 41, 1866. — ?) Ch. Contejean, La con- traction cardiaque est-elle un tetanus? Compt. rend. de la soc. de biol. 1896, p. 1051 — 1053. — 3) A. Walther, Zur Lehre vom Tetanus des Herzens, Pflügers Arch. 78, 597 bis 636, 1900. — *) Diese Untersuchungen, welche bis in das Jahr 1861 zurück- - gehen, sind erst 1875 in den Travaux du Labor. de Marey veröffentlicht. Gerade dieser Punkt ist von fast allen Nachuntersuchern (Hürthle, Bayliss und Starling, Roy und Adami, Rolleston, Porter) bestätigt. Im wesentlichen leugnet nur v. Frey diese Form des Druckablaufes; diese abweichende Ansicht hat besonders unter Klinikern Anhänger gefunden. Bei Vögeln hat Rubbrecht (Recherches cardiographiques chez les oiseaux, Arch. de biol.15, 647, 1898) ebenfalls ein Plateau gefunden. Nicht nur in Druckkurven findet man das Plateau, dasselbe ist auch mittels anderer Methoden bestätigt, vgl. z.B. Contejean, Sur la forme de la con- traetion du myocarde, Compt. rend. de la soc. biol. 1894, p. 831. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 52 818 Unmöglichkeit des isotonischen und isometrischen Regimes. Kontraktion bezeichnen, denn dieser Name soll mit Recht reserviert bleiben für die von einem einzelnen Muskel (bzw. von einer Gruppe zusammen- gehöriger Muskelfasern) gleichzeitig ausgeführte Zusammenziehung. Hier aber handelt es sich um die Summe aufeinander folgender und ineinander oreifender Kontraktionen. Diese ganz besondere Tätigkeitsform ist von alters her als Systole bezeichnet worden, und wenn auch der Name sprachlich ursprünglich nichts anderes bedeuten mag als Kontraktion, so ist doch eben unter Systole nur diese ganz besondere einzig dem Herzen zu- kommende Art der Kontraktionsform zu verstehen und zwar nur die Kontraktionsform des normalen Herzens — in $ 81 wird gezeigt, daß noch eine ganze andere Kontraktionsform, die sogenannte Extrasystole — vor- kommt, die wir besser als abnormen Ventrikelschlag bezeichnen. Wenn aber die Zusammenziehung des Herzens etwas prinzipiell anderes ist als die Muskelzuckung, so verlieren auch die Parallelen an Bedeutung, welche O.Frank!) zwischen diesen beiden Vorgängen zu ziehen suchte, der in mechanischer Weise die Fickschen Anschauungen von isometrischer und iso- tonischer Zuckung auf das Herz zu übertragen suchte. Schon die experimentelle Grundlage, die er seinen theoretischen und mathe- matischen Ausführungen zugrunde legt, ist nicht einwandfrei, denn er glaubt, das, was man beim Skelettmuskel als Länge und Gewicht bezeichnet, mit Hilfe des Volumens und des Druckes im Herzen messen zu können. Dies ist aber selbst an- nähernd nur dann richtig, wenn alle Fasern sich gleichzeitig zusammenziehen. So ann eine peristaltische Welle über ein Hohlorgan hinweglaufen, ohne daß sich in der Zeit des Fortschreitens Druck und Volum überhaupt ändern, während doch Länge und Spannung der einzelnen Muskelelemente sich dauernd ändern. Die von Frank gewählte Versuchsanordnung ist also — abgesehen von allen theoretischen Bedenken gegen die Deutung — ungünstig zur Erzielung brauchbarer Resultate. Die Suspensionsmethode wäre viel angebrachter gewesen. Gegenüber der Nichtberücksichtigung dieses fundamentalen Fehlers kommt es nicht in Betracht, daß Frank andere unwesentliche Fehlerquellen mit mathematischer Exaktheit behandelt. — Daß übrigens die Form der Kontraktionskurve der Ventrikel nicht von Eigen- schaften der Herzkammermuskulatur abhängt, sondern von den zu über- windenden Widerständen bedingt ist, wußte schon Marey. Die eingehendste und beste Untersuchung hierüber findet sich bei Hürthle?). Neuerdings hat Gilardoni°) auf diesen Umstand hingewiesen. 1 Der Weg der Erregungswelle. 879; Die ursprüngliche Herzperistaltik. Daß unter normalen Bedingungen die automatische Erregung bei den Kaltblütern am Sinus, bei den Warmblütern an einer bestimmten (möglicher- weise dem Sinus entsprechenden) Stelle des Vorhofs entsteht, dann zuerst die Vorhöfe und darauf den Ventrikel ergreift — daran kann nach den viel- fachen Beobachtungen und Experimenten heute kein Zweifel mehr sein: — Fraglich ist nur der Erregungsablauf im Ventrikel. 3:0; Frank, Isometrie und Isotonie des Herzmuskels, Zeitschr. f. Biol. 41, 14. — ?) Hürthle, Über den Zusammenhang zwischen Herztätigkeit und Pulsform, Pflügers Arch. 49, 51, 1886. — °) H. Gilardoni, Conditions mecaniques de la systole ventriculaire; influence de ses conditions sur la forme de la secousse mus- eulaire, Compt. rend. de la soc. de biol. 1901, p. 580. Die Systole als peristaltische Welle. 819 Daß aber der Ablauf der Erregung sich im Grunde auf eine peristaltische Welle zurückführen lassen muß, daran lassen die Befunde der Entwickelungs- geschichte des Herzens gar keinen Zweifel. Wenn also auch feststeht, daß die Ventrikel viel zu kompliziert gebaut sind, als daß man den Kontraktionsmodus als eine einfache über das Herz hinlaufende peristaltische Welle auffassen könnte, so dürfte es immerhin nicht unangebracht sein, von einer derartigen Welle als Urtypus auszugehen. Sehr richtig bemerkt Aschoff in der Einleitung zu Tawaras!) Buch, daß die Kammern, welche aus der Biegungsstelle eines Schlauches entstanden seien, in zwei ganz verschiedene Gebiete zerfallen: Die hintere den venösen Ostien zu- gekehrte und die vordere den arteriellen Gefäßen zugewendete Partie. Der ganze Aufbau der Kammer spricht also nicht für eine einfache Wellen- bewegung von der Kammerbasis zur Spitze. Diesen Standpunkt vertritt auch Albrecht, aus dessen an Hesse, Krehl, Braun anknüpfende Darstellung der anatomischen Struktur des Herzens von neuem mit zwingender Notwendigkeit hervorgeht, daß wir in jeder Kammer das Gebiet der Papillarmuskeln, welche durch ihre Bewegungen den Schluß der Klappen einleiten, und die sogenannte Austreibungsbahn des Blutes unterscheiden müssen. Dieselbe stellt an dem linken Ventrikel eine Hohlrinne, am rechten eine geschlossene Röhre, den Conus arteriosus, dar. Auch pathologisch-anatomische Beobachtungen zeigen, . daß diese beiden Gebiete eines jeden Ventrikels für sich allein Veränderungen erleiden können. \ $ 80. Versuche die Richtung der Erregungswelle zu bestimmen. Nur weil man die angedeutete Entwickelungsgeschichte des Herzens außer acht ließ, konnte man die Frage nach dem Erregungsablauf dadurch zu lösen versuchen, daß man untersuchte, ob Basis oder Spitze sich zuerst kontrahierte. Zudem trat man an diese falsch gestellte Frage teilweise mit einer un- genügenden Methodik. Man versuchte gar nicht zu bestimmen, welcher Teil sich zuerst kontrahierte, sondern welcher Teil sich zuerst bewegte. Die diesen Versuchen zugrunde liegende Vorstellung ist nun nicht ganz korrekt, denn der komplizierte Bau des Herzmuskels und der Mangel wirklicher puncta fixa bringt es mit sich, daß unter Umständen gar nicht diejenigen Teile zuerst in Bewegung geraten, welche sich zuerst kontrahieren. Beim herausgeschnittenen, in eine Kanüle zwecks Speisung eingebundenen Herzen, welches nunmehr ein wirkliches punctum fixum besitzt, wird z. B. — welcher Muskelteil sich auch kontrahiert — immer die Spitze eine Bewegung machen müssen. Es kann daher auch nicht wundernehmen, daß alle drei Meinungen vertreten sind: Beginn an der Basis, Beginn an der Spitze und Gleichzeitigkeit beider Be- wegungen. Auf den ersten Blick erscheint die Annahme am nächsten liegend, daß die Erregung, welche doch von den Vorhöfen kommt, von dort auf die Kammer übergeht, und daß daher die Basis sich zuerst kontrahiert. Aber !) Tawara, Das Reizleitungssystenn des Säugetierherzens, 8. 6. Fischer, Jena 1906. 52* 820 Versuche die Richtung der Erregungswelle zu bestimmen. Albrecht!) hat bereits darauf hingewiesen, wie unzweckmäßig dies wäre, denn dann würde die ganze Masse des Blutes durch die beginnende Welle in die Spitze getrieben und von dort erst rückwärts in die Aorta bzw. Pulmonalis. Der Umweg an sich wäre dabei noch das wenigste. Wenn man sich aber vorstellt, daß die nach der Spitze zu beschleunigte Herzwelle innerhalb eines außerordentlich kurzen Zeitraumes — denn daß Spitzen- und Basiskontraktion annähernd gleichzeitig verlaufen, ist klar — ihre Richtung umkehren muß, und wenn wir die dabei auftretenden überflüssigen Wirbel und hindernden Strömungen bedenken, so erscheint uns ein solcher Modus so unpraktisch, daß wir kaum glauben möchten, ihn in der Natur verwirklicht zu finden. Doch solche Überlegungen — so wertvoll sie auch für ein späteres Verständnis sein mögen — sind nicht beweisend, und auch die an sich sehr gut durchdachten Schlußfolgerungen Albrechts, der speziell aus dem anatomischen Bau der Papillarmuskeln die Notwendigkeit herleiten möchte, daß die Kontraktionen an der Spitze beginnen, sind nicht durchaus bindend, entscheidend ist hier, wie immer, nur das Experiment. Es liegen jedoch gerade in dieser Beziehung nur sehr wenige Beobachtungen vor. Waller und Reid?) geben auf Grund ihrer Versuche, bei denen zwei Hebel auf Basis und Spitze auflagen, an, daß beim herausgeschnittenen Kaltblüterherzen die Kontraktion immer an der Basis, beim herausgeschnittenen Säugetierherzen aber fast immer an der Spitze beginnt (nur in 8 Proz. an der Basis). Aber Versuche am herausgeschnittenen Herzen beweisen kaum etwas über den normalen Vorgang. Hat doch Lohmann °) gezeigt, daß selbst bei leichten Schädigungen (Vagusreizung) die Kontraktionswelle in umgekehrter Richtung verläuft. Ähnliches gilt auch für die Versuche von Roy und Adami*), die ebenso wie Fenwick und Overend’) angeben, daß sich die Kammer eher als die Papillarmuskeln kontrahieren. Es erscheint kaum möglich, diese Vorgänge ohne gröbere Verletzungen graphisch zu registrieren, außerdem kommt die sehr schwierige Versuchstechnik hinzu. Haycraft und Paterson‘), die ähnliche Versuche angestellt, geben dann auch an, daß das geschilderte Verhalten nur bei absterbenden Herzen vorkommt, während bei frischen Herzen sich Ventrikel und Papillarmuskeln gleichzeitig kontrahieren, natürlich ist das gleichzeitig cum grano salis zu verstehen. Eine in meßbarer Zeit fortschreitende Erregungswelle nimmt auch Fredericq und seine Schule an. Jüngst hat einer seiner Schüler, Faucon- nier’?), nachgewiesen, daß sicherlich die Kontraktion auch nur eines Ventrikels (des linken) nicht synchron erfolgt, sondern an verschiedenen Stellen zu ver- schiedener Zeit. Er nimmt an, daß normalerweise die Erregung von der Basis zur Spitze läuft, daß aber bei künstlich erzeugten Extrasystolen die !) Albrecht, Herzmuskel, Berlin 1903, 8.36. — ?) Waller u. Reid, Action of the excised mammalian heart. Philosoph. transact. 178 B, 230,. 1888. — ®) Lohmann, Zur Anatomie der Brückenfasern und der Ventrikel des Herzens, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1904, 8.431 und ebenda Suppl. 8.265. — *) Roy und Adami, The practitioner 1890. — °) Fenwick und Overend, British medical Journal 1891. — °) J. B. Haycraft u. D. R. Paterson, The time of contraction. of the papillary muscles, Journ. of Physiol. 19, 262—265, 1896. — 7°) H. Fau- connier, Sur l’onde de contraction de la systole ventriculaire, Arch. internat. de Physiol. 5, 122, 1907. Versuche die Richtung der Erregungswelle zu ‚bestimmen. 821 Erregungswelle an jedem Punkt des Herzens beginnen und sich von dort radiär ausbreiten kann (vgl. die Literatur auf S. 815). Endlich hat auch Rehfisch!) in einer aus dem Berliner Physiologi- schen Institut hervorgegangenen Arbeit ähnliche Kurven publiziert, aus denen aber nur hervorgeht, daß bei einer durch Vagusreizung bedingten Verlang- samung der Gipfel der von der Spitze geschriebenen Kurve später auftritt, als der Gipfel der von der Basis geschriebenen Kurve. Diese Kurven sind zweifellos ein wertvoller Beitrag zu der Frage, aber abgesehen davon, daß ein Vergleich der Gipfel nicht das Verlangte ist, sondern ein Vergleich des Beginns der Zuckungen, werden wir dem Versuch auch darum keine be- weisende Kraft zuschreiben dürfen, weil wir wissen (vgl. oben Lohmann), daß die Vagusreizung unter Umständen den Ablauf der Erregung ändert und zwar umkehren kann. Bei den sich so widersprechenden Ergebnissen der direkten mechanischen Registrierungsversuche hat man auf anderem Wege Aufklärung zu gewinnen versucht. Chauveau z. B. nimmt auf Grund jener leichten intersystolischen Erhebung, die dem Hauptanstieg der Kammerdruckkurve vorausgeht, ganz bestimmt eine zeitlich voraus- gehende Kontraktion der Papillar- muskeln an. Endlich hatman das Elektro- kardiogramm (das ist die Kurve „ in Fig. 77, welche den Ablauf der elektrischen Begleiterschei- nung der Herzsystole darstellt) herangezogen, um aus seiner Form Rückschlüsse über den Ab- A lauf derErregungswelleimHerzen B zu ziehen. Schema des Elektrokardiogramms. Die elektrische Begleiter- A nach Einthoven. B nach eigenen Beobachtungen. scheinung (der Aktionsstrom oder die negative Schwankung) besteht darin, daß die erregten Teile sich gegenüber unerregten Teilen negativ 2) verhalten. Wenn man diese Erscheinung an einem Nerven oder parallelfaserigen Muskel beobachtet, in welchem die Erregung von einem Ende successive und kontinuierlich bis zum anderen Ende verläuft, so wird — abgesehen von einer ev. Querschnittsstelle — erst das eine Ende des Organs (bzw. die dort gelegene Elektrode) negativ und dann das andere Ende. Diesen Vorgang, der sich im Galvanometer so äußert, daß es erst nach der einen und dann nach der anderen Seite ausschlägt, nennt man einen diphasischen Strom, der also auf einem durchaus einsinnig gerichteten Vorgang beruht, und dessen beobachtete Zweisinnigkeit eben nur auf die grob anatomische Struktur des untersuchten Organs zurück- zuführen ist. Fig. 77. F !) Rehfisch, Über die Ursprungsstelle der Ventrikelkontraktionen, Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 34. — *) Über die Berechtigung des alten Ausdrucks negativ gegenüber den Neuerungsbestrebungen von Waller, der dafür zinkartig, und Boruttan, der dafür elektropositiv setzen möchte, vgl. meine demnächst erscheinende ausführliche Arbeit über das Elektrokardiogramm. 822 Unterschied zwischen Systole und abnormen Ventrikelschlägen. $ 81. Systolen und Extrasystolen (abnorme Ventrikelschläge). Einen derartigen diphasischen Strom kann man auch am Herzen unter bestimmten Umständen beobachten, und zwar haben Engelmann!) und Marchand?) diesen Vorgang zuerst eingehend beschrieben, den sie mit Hilfe des Reotoms genauer studiert hatten. Ein derartiger diphasischer Strom beweist nun, daß sich im Herzen die Erregung gleichmäßig nach allen Seiten hin ausbreitet. Diese ganz einwandfreie Schlußfolgerung aus den Engelmannschen Versuchen verführte nun dazu, späterhin, als allmählich die normale, ganz anders geformte Gestalt des Elektrokardiogramms bekannt wurde, immer erneute Versuche zu machen, die Form des Elektrokardiogramms mit einer gleichmäßigen Reizausbreitung in Einklang zu bringen. Man übersah dabei, daß Engelmann und Marchand nur künstlich hervorgerufene Extrasystolen beobachtet haben. Auf Grund noch nicht veröffentlichter Versuche glaube ich jedoch nun- mehr den Nachweis führen zu können, daß es sich bei der normalen Systole Fig. 78. Abnorme Ventrikelschläge, die in A von der Basis des rechten und in B von der Spitze des linken Ventrikels ausgehen. und bei der künstlich hervorgerufenen bzw. spontan auftretenden Extrasystole um zwei völlig verschiedene Vorgänge handelt. (Die ähnlichen Vorstellungen von Fauconnier wurden schon oben $. 820 erwähnt.) Bei der normalen Systole verläuft die Erregung auf ziemlich komplizierten, aber ganz bestimmten Bahnen, deren Richtungen weiter unten genauer auseinandergesetzt werden sollen. Bei allen Extrasystolen aber breitet sich die Erregung von dem primär gereizten Punkte gleichmäßig nach allen Richtungen hin aus. Als Ausdruck für diesen abnorm verlaufenden Ventrikelschlag sehen wir auch im Elektrokardiogramm eine abnorme Ventrikelschwankung, von der Fig. 78 zwei Beispiele gibt bei Ableitung von rechter und linker Hand. Aus dieser Feststellung folgt dreierlei: 1. die Fragestellung, ob bei der normalen Systole die Erregung von der Basis zur Spitze läuft oder umgekehrt, ist nicht korrekt, !) Engelmann, Über das Verhalten des tätigen Herzens, Pflügers Arch. 17, 68, 1878. — *) Marchand, Beiträge zur Kenntnis der Reizwelle und Kontraktions- welle des Herzmuskels, Pflügers Arch. 15, 511, 1877; Derselbe, Verlauf der Reiz- welle des Ventrikels usw., ebenda 17, 137, 1878. I UN Komplizierte Bahn der normalen Erregung. 323 und man darf sich daher nicht wundern, daß derartige Versuche sehr wider- sprechende Resultate ergeben haben: Bayliss und Starling z. B. (18921!) meinen, daß die Erregung von der Basis zur Spitze läuft, während Waller (1899?) zu dem Ergebnis kommt, daß die Welle von der Spitze zur Basis fortschreitet. Nach Schlüter (023) kommt beides vor. 2. Versuche mit künstlicher Reizung können zur Entscheidung der Frage nach dem normalen Ablauf der Erregungswelle nicht herangezogen werden. 3. Alle bisher. unternommenen Versuche, das Elektrokardiogramm als einen mehrfach in die Erscheinung tretenden, an verschiedenen Stellen ver- schieden lang dauernden Aktionsstrom zu deuten, beruhen ebenfalls auf einer falschen Fragestellung. Zwar hat inzwischen Samojloff*) die Möglichkeit eines derartigen Ver- haltens in bezug auf die vom Vorhof zum Ventrikel fortschreitende Aktions- welle durch Versuche an Froschherzen erwiesen, aber die so sehr kompliziert gestaltete Kurve, welche der Ventrikelsystole entspricht, spottet selbst beim Froschherzen bis jetzt durchaus einer derartigen Deutung. Demgegenüber haben Kraus und Nicolai) in einer vorläufigen Mit- teilung darauf hingewiesen, daß die Finalschwankung (F in Fig. 77) nicht ein Rest der anfänglichen Negativität der Basis ist, sondern einer neuer- dings einsetzenden Muskelkontraktion entspricht. Gotch hat als erster auf dem internationalen Physiologenkongreß zu Heidelberg 1907 genauere Ver- suche an Fröschen mitgeteilt, aus denen hervorgeht, daß auch bei diesen Tieren trotz ihres verhältnismäßig einfach gebauten Ventrikels die Kon- traktion nicht als einfache Welle abläuft, sondern daß sie an der Basis beginnt, zur Spitze läuft und dann wieder zur Basis zurückkehrt. Eine detailliertere Deutung des Erregungsablaufes im Säugetierherzen habe ich dann in der sich anschließenden Diskussion versucht und in einem Vortrag der. physiologischen Gesellschaft zu Berlin €) mitgeteilt ?). Daß das normale Elektrokardiogramm nicht der Ausdruck einer nur in einer Richtung verlaufenden Erregung sein kann, dafür gibt es mannigfache direkte Beweise. Vor allem ist die von Kraus und Nicolai nach- gewiesene Tatsache anzuführen, daß die negative Schwankung, bei. künst- licher Reizung unter Umständen doppelt, ja dreifach so groß aussieht, als in der Norm. Das findet seine einzig mögliche Erklärung darin, daß eben !) Bayliss und Starling, Elektromotive Phaenomena of the mammalian heart, Proc. Roy. Soz. 1892, p. 211. — *) Waller, On the elektromotive changes connected with the beat of the mammalian heart, Philosoph. transact 180 B, 189, 1899. — °) Schlüter, Die Reizleitung im Säugetierherzen, Pflügers Archiv 89, 5, 1902. — *) Samojloff, Beiträge zur Elektrophysiologie des Herzens, Arch. f. _ (Anat. u.) Physiol. 1906, Suppl. 8.207. — °) Kraus u. Nicolai, Über das Elektro- kardiogramm unter normalen und pathologischen Verhältnissen, Berl. klin. Wochen- schrift 1907, Nr. 25 u..26. — °) Nicolai, Ablauf der Erregungsleitung im Säugetier- herzen, Sitzungsber. d. physiol. Gesellsch., 22. Nov. 1907. Zentralbl. f. Physiol. 21, Nr. 20. — 7) Während der Korrektur dieses Abschnittes ist in Pflügers Archiv eine Arbeit von Einthoven erschienen, welche manchen früheren Ansichten des Autors widersprechend, meine in der oben zitierten Arbeit sowie im folgenden mitgeteilten Ergebnisse zum Teil fast wörtlich bestätigt, ohne sie allerdings zu erwähnen. Dieses erfreuliche Zusammentreffen mit einer Autorität wie Einthoven gibt mir desto eher den Mut, diesen Deutungsversuch hier im Handbuch stehen zu lassen. 824 Ablauf der Erregungswelle nicht nur eine einsinnige Erregungswelle über das Herz läuft, sondern daß normalerweise gleichzeitig mehrfache Erregungen im Herzen ablaufen, welche mechanisch-synergistisch zusammenwirken, deren elektrisches Äquivalent sich aber teilweise aufhebt. Wir sehen aus dem Gesagten deutlich, daß die Systole durchaus kein “ einfacher, sondern im Gegenteil ein sehr komplizierter Vorgang ist; und zwar in dem komplizierter gebauten Säugetierherzen ein entsprechend komplizier- terer als im Froschherzen. Wir haben uns vorzustellen, daß die Erregung in der Gegend des Hisschen Bündels in den Ventrikel einstrahlt und von hier aus die verschiedenen Fasergruppen des Herzfleisches successive in einer uns vorläufig noch im einzelnen nicht sicher bekannten, aber zweifellos in einer ganz bestimmten Reihenfolge ergreift. Daß die Reihenfolge eine ganz bestimmte, selbst in der Reihe der Wirbel- tiere kaum wechselnde ist, geht aus der außerordentlichen Konstanz hervor, welche die allgemeine Form des Elektrokardiogramms bei den einzelnen Spezies zeigt. In pathologischen Fällen kann dann allerdings diese Reihen- folge eine durchaus andere werden, wie aus Versuchen von Einthoven an kranken Menschen, und aus Versuchen von Kraus und Nicolai ebenfalls an kranken Menschen sowie an künstlich geschädigten Hunden deutlich hervor- geht. Über den Verlauf im einzelnen sind unsere Kenntnisse noch lückenhaft, doch dürften folgende Bemerkungen erlaubt sein. $ 82. Ablauf der Erregungswelle auf Grund des Elektrik ki Die anatomische Betrachtung zeigt uns, daß die Vorhöfe nur durch das Hissche Bündel mit dem Herzen und vermittels der Tawaraschen Fasern Fig. 79. nur mit dem Papillarsystem in Verbindung stehen. Das Papillarsystem aber steht so- wohl mit dem Treibwerk als auch mit den äußeren Spiralfasern in Verbindung (vgl. das - Schema der Fig. 75, das in Fig. 79 in einer der Wirklichkeit mehr angepaßten Form nochmals gezeichnet ist). Auf anatomischer Grundlage also müssen wir annehmen, daß die Erregung vom Vorhof in das Papillar- system hineinläuft, in diesem von der Basis zur Herzspitze fortschreitet, und dann so- wohl in das Treibwerk als auch in die äußeren Spiralfasern übergeht. Diesem Wege und Ablauf der Erregungs- leitung muß nun durchaus die Form des Elektro- kardiogramms entsprechen, das in Fig. 80 mit den gewählten Bezeichnungen schematisch wieder- gegeben ist. In der Tat kann man den einzelnen Schema der Erregungsleitung im Herzen. Hauptzacken mit Sicherheit bestimmte Herz- ß bewegungen zuordnen. Es ist daher möglich, die einzelnen Zacken sinngemäßer zu bezeichnen, als es Einthoven tat, der, wie Fig. 77 zeigt, für sie die Buchstaben P bis T wählte, was zumal deshalb wünschens- wert erscheinen muß, weil von Einthoven die Zacken von verschiedener Wichtig- auf Grund des Elektrokardiogramms. 825 keit gleichartig bezeichnet worden sind und für neue Zacken in der alphabetischen Reihenfolge eigentlich kein Platz ist. Es ergibt sich jedoch, daß drei Zacken, oder besser Gruppen von Zacken, be- sonders wichtig und konstant sind; um sie muß sich also auch eine sachentsprechende Nomenklatur gruppieren. Essind dies die Zacken A, Jund F (vgl. Fig. 80), die bei der üblichen Registrierung des Elektrokardiogramms sämtlich nach oben gerichtet sind. A entspricht ausschließlich der Vorhofstätigkeit, es ist die Atriumschwankung. J und F entsprechen der Tätigkeit des Ventrikels und dementsprechend ist das Stück von J bis F als Ventrikelschwankung zu bezeichnen, die mit der Initial- schwankung (J) beginnt und mit der Finalschwankung (F) endigt. Diese Namen sind gewählt, weil sie sicher richtig sind und nichts präjudizieren. Dazwischen liegen die mit kleinen Buchstaben zu bezeichnenden horizontalen Strecken A, £t, p, durch welche Namen zum Ausdruck gebracht werden soll, daß die Erregung im Hisschen Bündel, bzw. im Treibwerk angelangt, oder während der Pause (p) gar nicht vorhanden ist. Außer diesen drei regelmäßigen Zacken treten auch noch mehr oder weniger inkonstante Zacken auf, dieselben sind meist nach unten gerichtet und gehen dann den konstanten Zacken voran, bzw. folgen sie ihnen und sind demgemäß mit dem betreffenden Buchstaben und einem an- x J Fig. 80. F — 2 =) +2] » e rd Ap Pe. d. Atrium- kontraktion i j + Überleitungs- | Ventrikelschwankung = Systole Pause zeit — Praesystole Schema der Deutung des Elektrokardiogramms. gehängten kleinen a oder p (anterior und posterior) zu bezeichnen (also Aa, Ap, Ja, Jp, Fa, F'p). Außerdem treten manche Zacken unter Umständen doppelt auf und sind dann mit dem betreffenden Buchstaben und dem Index 2 zu bezeichnen (in der Figur ist J, gezeichnet). Diese Nomenklatur, die den praktischen Bedürfnissen genügen dürfte, soll in folgendem begründet werden, wobei gleichzeitig gezeigt werden kann, wie das nor- male Elektrokardiogramm zu deuten ist. Solange die Erregung nur bis zum Papillarsystem gelangt ist, läuft sie einen einheitlichen ungeteilten Weg, und wir müssen dementsprechend hier das Auftreten eines diphasischen Stromes erwarten. Wie wir aus den schönen Versuchen von Samojloff wissen, kann ein derartiger diphasischer Strom schon durch eine mittlere Quetschung der betreffenden Muskelsubstanz in zwei diphasische Ströme zerfallen, und wir haben daher als Ausdruck der Atrium- und Papillarsystemkontraktion einen zweifachen diphasischen Aktionsstrom zu erwarten. So entspricht die erste Zackengruppe A in dem schematischen Elektrokardiogramm, der Fig. 80, der Vorhofkontraktion; und diese Schwankung erscheint im wesentlichen tatsächlich als eine diphasische Schwankung, was besonders schön bei Hundeversuchen, bei denen man vom 826 Deutung des normalen Elektrokardiogramms. Herzen direkt ableiten kann, sichtbar wird. Nun kommt die Strecke h, während der die Kurve horizontal weiterläuft, was ein Ausdruck dafür ist, daß die Erregung keine irgendwie ausgedehnten Muskelmassen durchläuft. Wir werden annehmen, daß die Erregung während dieser Zeit das Hissche Bündel durch- läuft, und die langsame Leitung in demselben, die ja schon von Engelmann — wenigstens für das Froschherz — nachgewiesen wurde, erklärt die relativ lange Dauer dieser Periode. Dann wird der basale Teil des Papillarsystems negativ, als Ausdruck hiervon steigt die Kurve im Elektrokardiogramm steil an (J). Die Erregung pflanzt sich bis zur Spitze fort, wenn sie dort anlangt, ist die Kurve bereits wieder abgesunken. Der erste steilste und größte Teil des Elektrokardiogramms ist also nicht etwa deshalb steiler und größer als sämtliche übrigen, weil während !) dieser Zeit der Herzmuskel stärker erregt ist oder kräftigere Kontraktionen ausführt als später, sondern nur deshalb, weil,während dieser Zeit die Erregung in einem und demselben Sinne ver- läuft und die elektrischen Spannungsdifferenzen der einzelnen Muskelfasern sich zueinander addieren und nicht, wie später, subtrahieren. Denn dann kommt eine Periode, in welcher das Herz sich im großen und ganzen nur wie ein einfacher Hohlmuskel ohne bevorzugte Faserrichtungen allseitig kontra- hiert; sowohl die quer verlaufenden Fasern des Treibwerks, als auch die längs verlaufenden Fasern geraten gleichzeitig in Tätigkeit, und zwar beginnt die Kontraktion im gewissen Sinne an der Basis der Papillarmuskeln, d.h. nahe an der Spitze des Herzens, was zweifellos in mechanischer Beziehung sehr viel vorteilhafter erscheint (vgl. oben S. 820). Die sich durchkreuzenden Muskelfasern bewirken synergistisch eine all- seitige Verkleinerung des Lumens und dabei heben sich die partiellen elek- trischen Spannungsdifferenzen der verschiedenen Muskelfasern gegenseitig auf. Als Ausdruck dieses Geschehens sehen wir, daß die Kurve nach Ablauf der durch die Kontraktion des Papillarsystems hervorgerufenen diphasischen Schwankung noch einmal geradlinig weiterläuft. Diese Geradlinigkeit der Kurve ist hier etwas ganz anderes, als die Geradlinigkeit zwischen Vorhof- und Ventrikelzacke. Wenn sie dort der Ausdruck ist, daß nichts geschieht, ist sie hier der Ausdruck eines mehrfachen, sich gegenseitig kompensierenden Geschehens. (Hierbei ist es allerdings nicht völlig ausgeschlossen, daß nicht doch eine bevorzugte Faserrichtung vorhanden ist (ft). Es ist möglich, daß das elektrische Äquivalent der Kontraktion dieser Fasern nur deshalb nicht zum Ausdruck kommt, weil die entstehende Potentialdifferenz sich im Körper derartig verteilt, daß sie bei der gewählten Ableitung nicht zum Ausdrucke kommt. Nach der anatoniischen Lage könnte es sich dabei hauptsächlich um die zirkulären Fasern handeln.) Zum Schlusse wird dann die Basis wieder negativ (F'), aber das liegt nicht daran, daß dieser Teil dauernd negativ geblieben ist, wie man früher angenommen hat, sondern es ist der Ausdruck dafür, daß die Erregung wieder ') „Während dieser Zeit“ ist hier und an den folgenden Stellen nicht ganz korrekt, denn die Kontraktion des Herzens erfolgt erst später und zwar ist die Latenz eine sehr lange. Auf diesen Umstand hat neuerdings de Meyer im Juni- heft des Arch. internat. de Physiol. auf Grund von mechanischen Registrierungs- . versuchen hingewiesen. Kraus und iich haben schon früher (Berl. klin. Wochenschr. Nr. 25) angegeben, daß die Latenz des Herzmuskels etwa 0,06 Sekunden beträgt. Synchronismus des rechten und linken Herzens. 827 zur Herzbasis aufgestiegen ist. Es folgt dann wiederum eine horizontal ver- laufende Strecke des Elektrokardiogramms, die der wirklichen Herzpause entspricht, in der also jede aktive Herztätigkeit ruht. Mit der vorgetragenen Deutung stimmen auch die Befunde von L. Braun!) überein, der versuchte, mit Hilfe des Kinematographen die Herz- bewegung zu registrieren, eine Methode, auf die seinerseits schon v. Frey ?) als aussichtsvoll hingewiesen hatte. Allerdings ergibt sich trotz der genauen Beschreibung für die Formveränderung des Herzens kaum ein Anhalt dafür, von welcher Stelle aus die Kontraktionswelle ausgeht. Jedoch ist in seiner Angabe bemerkenswert, daß während der Systole die Länge des Tiefendurch- messers des rechten und linken Ventrikels in allen Höhen ihrer Längsachsen bedeutend zunimmt, daß aber das Maximum der Wölbungszunahme- in die erste Phase der Systole fällt. Dies läßt nämlich nur den Schluß zu, daß sich zunächst die inneren, mehr vertikalen Fasern der Herzhöhlen und Papillarmuskeln kontrahieren, deren Zusammenziehung natürlich eine starke Ausbuchtung hervorruft; diese Ausbuchtung würde dann gemindert durch die darauffolgende Kontraktion mehr ringförmig verlaufender Fasern. Also auch diese Überlegung würde zu demselben Resultat führen, wie die Schluß- _ folgerungen aus den Tawaraschen Befunden und aus der Deutung des Elektro- kardiogramms. Ebenso bestätigen Untersuchungen, welche Rehfisch ?) soeben im hiesigen Institut beendet hat und in denen er die Formveränderung des Herzens während der Systole untersucht hat, durchaus die oben vorgetragene Ansicht, daß sich das Papillarsystem vor den anderen Systemen kontrahiert. $ 83. Hemisystolien. - In innigem Zusammenhang mit der Art und Weise des Erregungsablaufes im Herzen steht die alte Frage, ob sich immer die rechten und linken Herzabschnitte gleichzeitig kontrahieren oder ob unter Umständen auch ein einzelner Herz- abschnitt schlagen kann, ob mit anderen Worten wahre Hemisystolie vorkommt. In dieser Beziehung muß man zwei differente Fragen unterscheiden. Erstens einmal die Frage, ob normalerweise die Kontraktion der beiden Ven- trikel vollkommen gleichzeitig erfolgt, oder ob der eine sich etwas früher kontrahiert. In dieser Beziehung hat vor allem Fredericq*) und seine Schule in den letzten Jahren mannigfache Beweise dafür erbracht, daß ein strenger Synchronismus der Vorhöfe und der Ventrikel auch unter normalen Be- dingungen nicht existiert [vgl.Fredericq, Schmidt, Nielson’)u.Staasen®)]. Zweitens aber ist die Frage zu unterscheiden, ob Hemisystolen in klini- schem Sinne vorkommen. Hier hat vor allem gegenüber der alten klassischen Meinung, daß Hemisystolien nicht möglich seien, Leyden den Standpunkt vertreten, daß solche beim Menschen und zwar nicht nur beim Moribunden vorkämen. Experimentell beobachtete Knoll (18957) zuerst derartige Er- !) L. Braun, Über Herzbewegung und Herzstoß. Jena, Fischer, 1898. — 2) yv. Frey, Die Untersuchung des Pulses usw., S.74. Berlin, Julius Springer, 1892. — ®) Rehfisch, Herzbewegung und Herzkontraktion, Berlin. klin. Wochenschr. 1908, Nr. 26. — *) Frederieg, Arch. intern. Physiol. 4, 57, 1906. — °) Schmidt ‚ und Nielson, ebenda 4, 417, 190”. — °) M. Staasen, ebenda 5, 60, 1907. — 7) Ph. Knoll, Graphische Versuche an den vier Abteilungen des Säugetierherzens. Sitzungsber. d. österr. Akad., mathem.-naturw. Kl., 3. Abt., Kap. III, S. 298, 316, 1895. 828 Hemisystolen. scheinungen nach Vagusreizung am Kaninchenherzen, während v. Vintschgau (02?) Hemisystolie am Froschherzen nur nach Längsquetschung des Ventrikels beobachtete, was ja auch kaum überraschen kann, wenn man bedenkt, daß der Froschherzventrikel ja ein einheitliches Gebilde ist. Auf Grund dessen, was oben auf S. 822 gesagt ist, dürfte es klar ‚sein, daß es sich bei allem, was eventuell als Hemisystole gedeutet werden könnte, um abnorme Ventrikelschläge (Extrasystolen) handeln müsse, denn es sind eben Systolen, die nicht normal verlaufen. Nun hates sich bisher aber immer gezeigt, daß alle abnormen Ventrikelschläge sich nach allen Rich- tungenhin über das Herz hin gleichmäßig ausbreiten, und es dürfte daher von vornherein wahrscheinlich sein, daß Hemisystolen, bei denen überhaupt nur ein Ventrikel schlägt, nicht vorkommen. Dagegen dürfte vielleicht insofern jeder abnorme Schlag auch gleichzeitig mehr oder weniger hemisystolischen Charakter zeigen, weil dabei naturgemäß der eine Ventrikel vor dem anderen schlägt, denn der Zeitunterschied wird größer sein, wenn die Erregung in dem einen Ventrikel entsteht, und sich von hier aus erst zum anderen hin ausbreitet, als wenn die Erregung vom Vorhof kommend in beide Ventrikel annähernd gleichzeitig einstrahlt. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß nicht unter pathologischen Bedingungen trotzdem wahre Hemi- systolen im Sinne Leydens vorkommen können. Diese klinische Seite der Frage entzieht sich meiner Beurteilung, jedoch kann man im physiologischen Experiment nur insofern etwas den Hemisystolen Ähnliches nachweisen, als man dabei zu bestimmen imstande ist, ob ein abnormer Ventrikelschlag im rechten oder im linken Ventrikel begonnen hat, aber selbst dies ist schwierig, weil der hauptsächlichste Unterschied des Elektrokardiogramms darauf beruht, ob die Reizung an der Basis oder an der Spitze. erfolgte, Allerdings ist damit nicht ausgeschlossen, daß nicht unter Umständen bei dieser veränderten Form der Reizleitung die Bedingungen in dem einen Ven- trikel so ungünstig sind, daß die Systole keinen, oder doch nur einen sehr geringen mechanischen Effekt hervorruft. Ich möchte darauf hinweisen, daß diese Deutung meiner Versuche mir vornehmlich von Professor Hering vor- geschlagen ist. $ 84. Einteilung der Herzperiode nach der Tätigkeit (Grad der Aktivität). Die Systole ist verschieden definiert worden, meist mit Rücksicht auf irgend welche ausgezeichneten Punkte des Kardiogramms, der Pulskurve oder irgend einer anderen funktionellen Äußerung des Herzens?2). Am präg- nantesten definiert Hürthle, der die Diastole mit dem Beginn des Abfalls der Kammerdruckkurve beginnen läßt. Ihm ist man allgemein gefolgt und hat — im Sinne des Sprachgebrauchs auch durchaus richtig — die Systole als die Zeit der Zusammenziehung, die Diastole als die Zeit der Auseinander- ziehung definiert. Nun gibt es aber — abgesehen davon, daß sich Vorhof und Ventrikel zu verschiedener Zeit zusammenziehen — auch in bezug auf den !) M. v. Vintschgau, Elektrische und mechanische Reizung des unversehrten Froschherzens und nach einer linearen Längsquetschung, Pflügers Arch. 88, 575 bis 624, Taf. 6 bis 7, 1902. — ?) Siehe darüber die Zusammenstellung bei Eb- stein, 8. 131 ff. Einteilung der Herztätigkeit. 829 Ventrikel allein, wie oben gezeigt worden ist, keinen einzigen Moment, in dem sich alle seine Fasern gleichzeitig zusammenziehen und gleichzeitig erschlaffen. Kontraktion und Erschlaffung laufen gleichzeitig nebeneinander. Eine zeitliche Trennung von Systole und Diastole ist also unmöglich, und man kann Edgren begreifen, wenn er im Unmut den Aus- druck „Systole“ ganz über Bord werfen möchte. Aber es wäre schade um das Wort, das sich in der klinischen Terminologie so fest eingebürgert, und es wäre schade, weil wir für den Begriff der Kammer- (bzw. Vorhof-)tätigkeit keinen anderen Ausdruck besitzen. Die Unprägnanz des Ausdruckes stammt eben daher, daß man in der bisherigen Art der Bezeichnung der Systole nicht klar definierte, was man unter der „Zusammenziehung“ verstand. Man dachte unwillkürlich an eine Muskelkontraktion, bei der allerdings der aufsteigende und absteigende Schenkel ungefähr gleich lang ist. Hier aber handelt es sich um eine Reihe von Kontraktionen; wenn die letzte ihr Maximum erreicht hat, sind fast alle Herzmuskeln erschlafft und es folgt dann nur noch eine gariz kurze Zeit, in der auch die letzten Fasern noch erschlaffen. In ähnlicher Weise hat schon Moens!) definiert, der als Systole den Zustand des Herzens bezeichnet, in welchem die Muskeln tätig, als Diastole jenen, in dem die Muskeln erschlafft sind (nicht etwa erst erschlaffen). Über die „physio- logische“ Einteilung, welche Engelmann?) versucht hat, vgl. seine „Beob- achtungen und Versuche am suspendierten Herzen“. Es ändert daher praktisch kaum etwas, wenn wir unter Systole nicht wie bisher die Zusammenziehung, sondern die Tätigkeit überhaupt verstehen. Tun wir dies aber, dann ist der Ausdruck Systole durchaus fest definiert. Es ist die Zeit von dem Augenblick an, in dem sich die erste Kammerfaser zu kontrahieren beginnt bis zu dem Moment, in dem die letzte Kammerfaser erschlafft ist. Dann beginnt die Pause, und diese dauert bis zu dem Moment, in dem die erste Vorhoffaser sich kontrahier. Damit beginnt die Praesystole, die ihrerseits bis zu dem Beginn der eigentlichen (Ventrikel-)Systole andauert. So haben wir die Zeit einer Herzrevolution nach den Stadien der Herztätigkeit eingeteilt in: Praesystole (Beginn der Vorhofzusammenziehung), 'Systole (die ganze Ventrikelzusammenziehung), Pause (Ruhe aller Herzabschnitte). Die Praesystole und Systole bilden die aktive Phase des Herzens; während der Pause wird das Herz nur passiv durch die elastischen und dynamischen Kräfte, vor allem die des strömenden Blutes, bewegt. Am wichtigsten ist in dieser Beziehung die Anfüllung (diastolische Erweiterung) der Vorhöfe. $ 85. Einteilung nach der Funktion. Neben der Einteilung der Revolutio cordis, welche sich auf die Tätigkeit bezieht, wäre dann unabhängig davon jene ausgezeichnete Einteilung von Hürthle festzuhalten, welcher nach den Wirkungen, die das Herz ausübt, die Herzbewegung in folgender Weise einteilt: !) Moens, Der erste Wellengipfel in dem absteigenden Schenkel der Pulskurve, Pflügers Arch. 20, 522, 1879. — *?) Engelmann, Pflügers Arch. 52, 357, 1892. 830 Die Hürthlesche Einteilung. | | R | von bis | I Anspannungszeit (Tension) . |Schluß der Cuspidalkl. Öffnung der Semilunarkl. Austreibungszeit (Efflux) . . Öffnung der Semilunarkl. | Schluß der Semilunarkl. Entspannungszeit (Detension) |Schluß der Semilunarkl. | Öffnung der Cuspidalkl. Anfüllungszeit (Influx) . . . | Öffnung der Cuspidalkl. | Schluß der Cuspidalkl. Nach dem Gesagten wird das folgende Schema leicht verständlich sein, das an Druckkurven des Vorhofes, des Ventrikels und der Aorta die beiden Einteilungsprinzipien gleichzeitig zur Anschauung bringt. Fig. 81. Entspan- Anfüllungs-nure- Austreibungszeit ange Anfüllungszeit zeit : * | zeit zeit Semilu nar- klappen geschlossen Cuspidalklappen geschlossen # | Druck - ablauf in . . Benz a 2 PT a a Men, Sn BE AI Veh a IE an 1 N Eee "rennen Aorta PrVon Be Ton u . Kammer mr er u Systole ( rt Disatale) Pause m Vorhof-Systole (+ Diastole) Die zeitlichen Verhältnisse des Geschehens am Herzen auf Grund von Druckkurven in Vorhof, Kammer und Aorta. Oben: Einteilung nach der Tätigkeit; unten: Einteilung nach der Funktion. Das Schema zeigt, worauf Buller !) hingewiesen hat, daß der große und kleine Kreislauf immer völlig voneinander getrennt sind, da zum mindesten ein Paar der Klappen, zeitweilig sogar alle vier Klappen geschlossen sind. Man sieht aus dem Schema sehr deutlich, daß ebenso, wie sich die Einteilung in Systole, Praesystole und Pause nach dem Tätigkeitszustand des Herzens beschreiben läßt, die Einteilung nach der Wirkung ganz erschöpfend durch die Geschehnisse an den Klappen beschrieben werden kann, was nicht wundernehmen darf, wenn man bedenkt, daß eben die Klappenstellung der | eigentlichste Ausdruck der Herzwirkungen ist. Wenn beide Klappen ge- | schlossen sind, findet Tension (7) bzw. Detension (D) statt, je nachdem der !) Buller, The conditions of the pulmonary eirculation. Barthol. Hosp., ep. XXVIII, Rp. 257. Kombination der beiden Einteilungen. 831 Druck in der Kammer steigt oder fällt. Sind die Semilunarklappen offen, so findet Influx (J), sind die Cuspidalklappen offen, Efflux (E) statt. Während T und D findet kein Transport des Blutes statt, während I fließt das Blut in die Kammer, während E aus der Kammer in die Aorta. Die Fig. 83 auf 9.840 zeigt die Klappendruck- und Strömungsverhältnisse schematisch. Diese beiden Einteilungsformen sind an sich klar und bestimmt. Man könnte nur dagegen einwenden, es sei fehlerhaft, einen Vorgang nach zwei verschiedenen Prinzipien einzuteilen. Doch hat dies an sich nichts Verwirrendes; wie man auch die Umdrehungszeit der Erde in 24 Stunden, und ganz unabhängig davon, in Tag und Nacht einteilt. Im Altertum zwar machte man es anders. Da nahm man die Zeiteinteilungen als Unterabteilungen von Tag und Nacht, die man in die einzelnen Tag- und Nachtwachen einteilte, und all’ die Verwirrung der Zeitbezeichnung bei den Alten beruht auf dieser scheinbaren Einheitlichkeit. Ordnung kam erst nach der prinzipiellen Trennung. Ahnlich scheinen die Verhältnisse auch für die Herzeinteilung zu liegen. Es ist prinzipiell eben unmöglich, den Begriff der Systole so zu fassen, daß ihr Anfang oder Ende mit einem der von Hürthle angegebenen Perioden, die prak- tisch allein brauchbar sind, weil sie allein an nachweisbare Geschehnisse geknüpft sind, wirklich koinzidiertt. Da muß denn eine reinliche Scheidung vorgenommen werden. Doch der Sprachgebrauch ist oft mächtiger als solche Prinzipien. Heute gebraucht man die alten Ausdrücke Nacht und Tag doch wieder in Ver- bindung mit der Stundeneinteilung, nur daß die Nacht jetzt nicht mehr die Zeit von Aufgang bis zum Niedergang der Sonne bezeichnet, sondern die feste Zeit von 6 Uhr bis wieder 6 Uhr. Verwirrung ist dadurch nicht ein- getreten. So mag man auch die Ausdrücke „systolischer und diastolischer Ton“, die in der Klinik fest eingebürgert sind, beibehalten. Aber systolisch und diastolisch sollen dann nichts anderes mehr bezeichnen als die Be- nennung jener beiden Töne, von denen der eine ungefähr in die Tensions- oder die T-Zeit, der andere in die Detensions- oder die D-Zeit hineinfällt. Also beide noch in die Systole sensu strictiori. Systole aber ist dann überein- kommengemäß die Zeit vom ersten bis zum zweiten, Diastole die Zeit vom zweiten bis zum ersten Ton. Über andere Einteilungen vgl. Schreiber (18951). Neuntes Kapitel. Formveränderung und Spitzenstoß. Formveränderung des Herzens. Um die Formveränderung des Herzens bei seiner Tätigkeit zu bestimmen, reicht die Beobachtung nicht aus. Alles, was man durch Inspektion zu eruieren vermag, hat bereits Harvey?) in seinem klassischen Werke in mustergültiger Weise beschrieben. Seiner Schilderung ist nichts hinzuzufügen. Mehr gesehen als Harvey hat niemand. Man hat daher verschiedene Methoden ersonnen, um die 1) 8,H.Schreiber, Über eine neue Einteilung der Herzbewegungen (Systole, Diastole) und die Ludwigsche Herzstoßtheorie. Zeitschr. f. klin. Med. 28, 402 bis 416, 1895. — *°) Harvey, Exereitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus. Francofurti 1628. 832 Formbestimmungen am toten Herzen. Formveränderung genauer studieren zu können. Sie beruhen im wesentlichen auf Messungen am toten Herzen bzw. auf dem Versuch der direkten graphi- schen Registrierung der Herzbewegung. S 86. Bestimmungen aus Messungen am toten Herzen. Frühere Versuche von Lutze!), der die Herzen mit warmem Alkohol härtete, hatten nur geringe Ergebnisse. Erst seitdem Hesse?) heiß gesättigte Lösungen von chromsaurem Kali empfahl, datiert ein be- merkenswerter Fortschritt. v. Frey?) empfiehlt konzentrierte Sublimat- lösungen. Soweit man die Formveränderung am toten Herzen bestimmen kann, hat dies Krehl*) getan, vgl. jedoch auch die Versuche von Haycraft und Paterson’), welche die Herzen von Tieren untersuchten, die infolge von Injektion gesättigter Sublimatlösung in die Jugularis plötzlich in Systole stillstanden. Krehl hat die Herzen frisch getöteter Tiere unter einem Druck von 5 bis 10cm Hg zuerst mit Wasser und dann mit Alkohol durch- spült, um auf diese Weise in Diastole fixierte Herzen zu bekommen. Die Här- tung in warmer Kaliumbichromatlösung gibt umgekehrt stärkste Kontraktion aller Fasern und somit angebliche Systole. Der Ausdruck Systole ist natür- lich nur dann richtig, wenn man darunter einen während des normalen Herzrhythmus niemals vorkommenden Zustand versteht. In normaler Weise sind niemals alle Fasern des Herzens gleichzeitig kontrahiert. Mir erscheint dieser Umstand wichtiger als jener andere, auf den Tigerstedt aufmerksam macht, daß nämlich das Herz sich selten so ausgiebig kontrahiert. Das könnte nur insofern einen Fehler bedingen, daß dabei die Erscheinungen richtig aber zu exzessiv hervorträten. Auf einige weitere Fehlerquellen dieser Methode macht Braun®) aufmerksam. Doch verdanken wir dieser sehr wertvollen Methode wesentliche Aufschlüsse. Sie hat uns vor allem absolut deutlich gezeigt, daß auch bei dieser stärksten Kontraktion (also a fortiori auch bei der nor- malen Systole) das Herz sich niemals völlig entleert. Zwar zwischen den sich zusammenlegenden Papillarmuskeln bleibt nur ein enger im Querschnitt sternförmiger Spalt, aber über den Papillarmuskeln, in dem „supra- papillären Raum“, den zuerst Hesse”) beschreibt, findet sich eine relativ große Höhlung, in der eine nicht unbeträchtliche Menge von Blut zurück- bleiben muß. (Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, daß gerade bei nicht gleichzeitiger Kontraktion aller Fasern eben die eventuell nicht vollständig kontrahierten Papillarmuskeln weiter in den suprapapillären Raum hinein- reichen, als es bei den gehärteten Herzen der Fall ist. Doch kommen auch ‘) Lutze, Mechanik der Herzkontraktionen. Leipziger Dissertation 1874. — ?) Hesse, Arch. f. Anat. (u. Physiol.), S. 289 (1880). — °) v. Frey, Untersuchung des Pulses, 8.2. — *) Krehl, Beiträge zur Kenntnis der Füllung und Entleerung des Herzens. Abhandl. d. Kgl. Sächs. Ges. d. Wiss., math.-physik. Kl. 18, 1891. — °) Haycraft and Paterson, The changes in chape and in position of the heart during the cardiae cycle. Journ. of physiol. 19, 496. — °) Braun, le. 8.8. — 7) Hesse, Beiträge zur Mechanik der Herzbewegung, Archiv f. Anat. 1880, 8. 347 ff. Die Aufrichtung des Herzens. 833 Loeb und Magnus!) bei ähnlichen Versuchen an künstlich durchbluteten Herzen zu ähnlichen Resultaten.) Rothberger?) hat die Form des normalen toten Herzens untersucht und gefunden, daß das Herz beim Tode sich immer in Diastole befindet, erst die einsetzende Totenstarre führt zur Systole. Vgl. jedoch hierzu die Arbeiten von Mosso und Pagliani®), und von Simin‘), sowie Rothbergers 5) Antwort. $ 87. Die Formveränderung am lebenden Herzen. (Graphische Registrierung.) Fast alle Untersuchungen der Formveränderungen am lebenden Herzen — seies durch bloße Beobachtung oder sei es durch graphische Registrierung — sind bei eröffnetem Thorax vorgenommen worden und haben deshalb nur einen bedingten Wert, weil nur das systolische Herz eine bestimmte Form hat, das erschlaffte Herz aber als ein fast formloser Sack sich annähernd jeder Unterlage anpaßt und dementsprechend seine Gestalt ändert. Während des Lebens im geschlossenen Thorax wird es also eine 8 ganz andere Form haben als bei den Experimenten. Die Konstatierung dieser Tatsache ist eigentlich das Wesent- lichste, was bei diesen Ver- Fig. 82. suchen herausgekommen, die - Z 4 daher auch nur kurz erwähnt a b . Pr D Die Kontraktion des herausgeschnittenen Froschherzens werden sollen. Ausführlichere RER NR Literaturangaben bei Tiger- Punktiert: das erschlaffte Herz; ausgezogen: das Herz in Systole. stedt, Lehrbuch, S. 68 ff. Denn die Art der Formveränderung hängt wesentlich von Nebenumständen ab. Sehr gut läßt sich dies beim blutleeren, herausgeschnittenen Frosch- herzen demonstrieren. Legt man es mit der Basis auf den Tisch, so nimmt es die in Fig. 82a punktiert gezeichnete, tropfenförmige Gestalt an, bei der Systole verlängert es sich dann in der Richtung der Herzachse. Legt man das Herz jedoch mit der Ventrikelwand auf den Tisch, wie Fig. 82b zeigt, so verkürzt es sich bei der Systole. Wenn das beim durchbluteten Herzen in situ auch nicht so auffallend ist, so verhindert dieser Umstand doch wirklich fruchtbare Beobachtungen, zu denen man den Thorax eröffnen muß. Die Methoden sind, kurz zusammengestellt, folgende: ') O0. Loeb u. R. Magnus, Die Form der Kammerhöhlen des systolischen und diastolischen Herzens. Archiv f. exper. Pathol. 50, 11, 1903. — ?) 0. J. Rothberger, Über die postmortalen Formveränderungen ‚des Herzens. Pflügers Arch. 99, 385, 1903. — °) A. Mosso u. L. Pagliani, Über die postmortalen Formveränderungen des Herzens. Arch. f. d. ges. Physiol. 101, 191, 1904. — *) A. H. Simin, Über die Totenstarre des Herzmuskels (Physiol. Labor. in Tomsk). Centralbl. f. Physiol. 18, 89, 1904. — °) C. J. Rothberger, Zur Frage der postmortalen Formveränderungen des Herzens. Archiv f. d. ges. Physiol. 104, 402 — 420, 1904. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 53 834 Methoden zur Bestimmung 1. Die messende Beobachtung [Ludwig 18481), s. unten]. 2. Das Aufsetzen von Fühlhebeln auf verschiedene Stellen des Herzens (v. Frey, s. folg. Seite). 3. Die Suspensionsmethode von Gaskell (1882?) und Engelmann (18923). Hierbei bleibt das Herz entweder im eröffneten Thorax in situ oder es wird herausgeschnitten und mit seiner Basis auf einer Unterlage befestigt. An der Herzspitze oder einem anderen Teil des Herzens wird ein kleines Häkchen befestigt, das mittels eines Fadens seine Bewegung auf einen leichten zweiarmigen Hebel überträgt. Diese Methode, die äußerst bequem ist und ausgezeichnete Resultate liefert, wenn es sich darum handelt, die Funktion des Herzens zu untersuchen (Größe und Frequenz der Systolen, Reizbarkeit und Leitungs- fähigkeit des Herzens usw.), ist naturgemäß wenig geeignet, um die normale Formveränderung kennen zu lernen, weil hierbei zwar alle Kräfte, welche am Herzen überhaupt wirksam werden, zur Verzeichnung gelangen, aber niemals in der ursprünglichen Richtung, sondern transformiert in Kräfte, welche in der Richtung des am Herzen befestigten Fadens liegen. 4. Die photographischen, kinematographischen und röntgeno- logischen Methoden (s. auf folg. Seite). 5. Die von Jung (1836) eingeführte Methode der Ken (von Schiff’), Moleschott®) und Haycraft verwendet (s. 8.835 u. 836). Auf einfachste Weise und nur durch Beobachtung hat Ludwig!) die Formveränderung festzustellen gesucht und dabei doch schon das Wichtigste beschreiben können. Er hat mittels einer angelegten Millimeterskala die einzelnen Durchmesser des Herzens während der Systole und Diastole ge- messen. Er fand bei einer Katze, die mit eröffnetem Thorax auf dem Rücken lag, daß unter diesen Umständen bei der Systole der dorsoventrale Durchmesser zunimmt, der Querdurchmesser und der Längsdurchmesser da- gegen abnehmen, also entsprechend der Fig. 82b. Beim künstlich aufrecht gestellten Herzen entsprachen die Befunde durchaus der Fig. 82a. Ähnliche Versuche sind dann noch vielfach angestellt, wobei man nach dem Vorgange Ludwigs die Beobachtung durch graphische Selbstregistrierung ersetzte, z. B. indem man an zwei Punkten des Herzens die beiden Branchen einer langen Zange einhakte, deren Abstand dann auf einer Kymographion- trommel verzeichnet wurde. In ähnlicher Weise sind auch die jüngsten der- artigen Untersuchungen von Rehfisch ”) Alle diese Versuche haben kaum etwas wesentlich Neues ergeben. Das Herz verkürzt sich also mindestens in zweien seiner Durchmesser. Trotzdem meint man, was fast alle Beobachter seit Harvey erstaunt hat, daß man überall, wo man das Herz berührt, bei der Systole einen Stoß empfindet. Daß dies widersinnig sei, hebt schon Tigerstedt®) hervor. !) Ludwig, Zeitschr. f. rat. Med. 7, 207, 1848. — ?) Gaskell, Philosoph. Transact. III, 993, 1882. — °®) Engelmann, Beobachtungen und Versuche am suspendierten Herzen, Pflügers Arch. 52, 397, 1892. — *) Jung, Ber. d. naturf. Gesellsch. in Basel 2, 19, 1836. — ®) Schiff, Arch. f. physiol. Heilk. 8, 147, 1849. — °) Moleschott, Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Tiere 8, 603, 1862. — 7) Rehfisch, Die Amplitude der Herzkontraktionen, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1908, S. 1. — °) Tigerstedt, Lehrbuch S8. 109. der Formveränderung des Herzens. 835 Sieht man aber die Fig. 82 an, so wird die Beobachtung erklärlich, denn es dürfte in der Tat schwer sein, ein auf einer Unterlage liegendes Herz — besonders wenn diese Unterlage, wie im Körper, eine Mulde bildet — so zu berühren, daß sich das Herz an der betreffenden Stelle ohne weiteres zurück- zieht. Selbst der in Fig. 82 gezeichnete Finger erhält einen Stoß, weil der betreffende Herzteil sich nicht nur seitlich zurückzieht, sondern auch hebt. Die genauere Untersuchung der Formveränderung des Herzens hat man meistens mittels sogenannter Fühlhebel vorgenommen. Ein leichtes Stäbchen, das unten eine kleine Pelotte trägt, wird mit dieser senkrecht auf eine be- liebige Stelle des Herzens aufgesetzt. Die Bewegungen dieser Stelle werden dann von einem Hebel, der mit dem anderen Ende des Stäbchens verbunden ist, aufgeschrieben. Die genauesten Untersuchungen stammen wohl von v. Frey!), den wir allein erwähnen wollen. Er setzte Fühlhebel an den verschiedensten Stellen des Herzens auf und konstatierte, daß sich während der Erschlaffung das Herz abflacht und seiner Unterlage anschmiegt. Da- ‘durch werden die Seitenpartien des diastolischen Herzens scheinbar dicker. Während der Systole richtet sich dagegen die Mitte des Herzens auf. Durch die obigen Überlegungen erledigen sich auch, wie ich glaube, die Kontroversen zwischen Ludwig und Roy und Adami?) einerseits und Hesse3) andererseits. Die Befunde von Hesse, die an einem heraus- geschnittenen, freihängenden, mit Gips gefüllten bzw. umhüllten Hundeherzen gewonnen sind, sind eben auf das im geschlossenen Thorax befindliche Herz noch weniger übertragbar, als die wenigstens an in situ befindlichen Herzen gewonnenen. Die alte Ludwigsche Ansicht von der Verkürzung des Herzens in der Systole dürfte daher richtig sein. In gewissem Sinne gilt dies nun auch für die neueren Untersuchungen, bei denen man bei geöffnetem Thorax die Herzbewegungen maß. Haycraft*) hat sich hierzu einer eigenartigen Vorrichtung bedient, die er „Kardioskop“ nannte. Meist aber hat man Photo- graphie angewendet. Mittels photographischer [vgl. Thompson) und Zoth6)] und vor allem mittels kinematographischer Methoden haben Braun”), Onimus®) und Frangois Franck?) die Bewegungen des freigelegten Herzens zu studieren versucht. Von diesen Arbeiten dürften die Resultate Brauns (vgl. hierzu $ 71, S. 804) am einwandfreisten sein. Endlich hat man versucht, bei geschlossenem Thorax die Herzbewegungen zu registrieren. So hat Haycraft!?) zu dem Zwecke mit einer schon von Jung 1836 angegebenen Methode an Hunden und Katzen gearbeitet; er stach durch die Thoraxwand lange Nadeln in das Herz, die dann als zweiarmige !) v. Frey, Die Untersuchung des Pulses, S. 108—109. — *) Roy u. Adami, Heart beat and pulse-wave, The Practitioner 1, 82, 1890, ausführliches Referat von Hürthle in Zentralbl. f. Physiol. 4, 584. — °) Hesse, Arch. f. Anat. u. Physiol., anat. Abt., 8. 328, 1880. — *) Haycraft, The mouvements of the heart within the chest ca- vity and the cardiogramm. Journ. of physiol. 12, 438, 1891. — °) Thompson, Scientific. American, Suppl., 2. Okt. 1886. — °) O. Zoth, Zwei Methoden zur photographischen Untersuchung der Herzbewegung von Kaltblütern. (Aus einer Festsehr. f. A. Rollett. Jena, Fischer, 1893. — 7) Braun, Über Herzbewegungen. und Herzstoß. Jena, Fischer, 1898. — ®) Onimus, Photographie des mouvements du coeur. Compt. rend. de la Soc. de Biol. 1901. — °) Frangois Franck, La chronophotographie du coeur. Ebenda. — '°) Haycraft, l.c. Journ. of Physiol. 12, 452—455. 53* 836 Der Spitzenstoß. Hebel mit dem Drehpunkt in der Durchstichstelle im Thorax wirkten. Hier- mit konnte er konstatieren, daß die Spitze den unbeweglichsten Punkt des Herzens bildet und daß die Basis bei jeder Systole herabsteigt, daß mithin das Herz bei der Kontraktion unter normalen Verhältnissen sich verkürzt. Auch eine Verkürzung des sagittalen sowie des Querdurchmessers konnte er feststellen. Haycraft und Patterson!) betonen ganz besonders energisch, wie verschieden die Kontraktionen bei geäftneiem: und bei geschlossenem Thorax seien. Neuerdings hat man auch versucht, die Herzbewegungen im geschlossenen Thorax mit Hilfe der Röntgenstrahlen zu untersuchen; über diese Methoden, die — abgesehen davon, daß man langsam eintretende Volumschwankungen konstatieren konnte — zu einwandfreien Resultaten nicht führten, vgl. die Arbeiten von Variot und Chicotot?), Bouchard?°), Guillemont®) und Zuntz und Schumburg°), sowie die diagnostischen Zwecken dienenden Untersuchungen von Moritz. S 88. Der Spitzenstoß. (Vgl. auch $ 26 c.) Der Spitzenstoß ist, wie allgemein angegeben wird [vgl. z. B. Sahlis®) Untersuchungsmethoden 99, 318], normalerweise im fünften Intercostalraum etwas median von der Mamillarlinie- auf einer Fläche von etwa 2qcm wahr- nehmbar. Doch ist von Mariannini und Namias”’) behauptet worden, daß der Spitzenstoß, besonders bei Frauen, häufiger im vierten Intercostal- raum liegt (genaueres darüber siehe in den Lehrbüchern der Diagnostik). Die topographischen Anatomen geben auch heute noch den fünften Inter- costalraum als die Lage der Herzspitze an [vgl. z. B. Corning?)]. Daß es wirklich die Herzspitze ist, geht aus Versuchen von Rollet hervor, der nach Tigerstedt (Lehrbuch S.110) bei sterbenden Menschen, an der äußeren Brustwand den Ort des Herzstoßes markierte und dann nach dem Tode an dieser Stelle eine Nadel einstach, die bei der Sektion tatsäch- lich in der Herzspitze gefunden wurde. Demgegenüber macht Henle°) darauf aufmerksam, daß der Spitzenstoß näher der Mittellinie gefühlt werde, als die Spitze anatomisch gefunden werde, die zudem regelmäßig von der linken Lunge bedeckt sei. Außerdem treffe eine, bei lebenden Tieren an der Stelle des Spitzenstoßes eingestochene Nadel stets die freie Wand der rechten !) J. B. Haycraft und D. R. Patterson, The changes in shape and in position of the heart during the cardiae cycle, Journ. of phys. 19, 496—506, 1890. — ?) @. Variot u. @. Chicotot, Une methode de mensuration de l’air du coeur par la radiographie. Comptes rendus de l’acad. d. science. 126, 1892, 1898. — ®) Ch. Bouchard, L’ampliation de l’oreillette droite du coeur pendant l’inspiration, d&montree par la radioscopie. Comptes rendus de l’acad. d. seienc. 126, 310—311; 12%, 295—297, 1898. — *) H. Guillemont, Radiographie du coeur et de l’aorte aux differentes phases de la revolution cardiaque. Comptes rendus de l’acad. d. seienc. 129, 177. — °) Zuntz u. Schumburg, Über physiologische Versuche mit Hilfe der Röntgenstrahlen, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1896, 8. 125. — °) Sahli, Lehrbuch der klinischen Untersuchungsmethoden, Leipzig und Wien, Deuticke, 1899, 2. Aufl. — 7) Mariannini und Namias, Arch. Ital. de Biol. 4, et 1883. — ®) Corning, Lehrb. d. topograph. Anat., Wiesbaden 1907, 8. 265. — °) Henle, Eingeweidelehre, Braunschweig 1871, 8. 392. N Falsche Theorien. 837 Kammer, ein Einwand, den Merkel!) vom topographisch anatomischen Standpunkt nicht für widerlegt hält. Auch v. Frey?) bezweifelt, daß beim Menschen immer die Herzspitze den Spitzenstoß hervorruft, während Hürthle°) „typische“ und „atypische“ Kardiogramme unterscheidet und nur in letzteren eine Entstellung durch die registrierenden Instrumente sieht. Über den Spitzenstoß existiert vielleicht deshalb eine so große und zum Teil überflüssige Literatur, weil derselbe der sinnfälligste und am leichtesten zu studierende Ausdruck der Herzbewegung ist, und weil andererseits sein Zustandekommen nur möglich ist, so lange der Thorax geschlossen ist, so daß man ihn doch niemals wirklich beobachten kann, womit dann allen vagen Spekulationen Tür und Tor geöffnet ist (vgl. z.B. die Kritik von Martius®). Im folgenden sollen nur die wichtigsten Theorien des Herzstoßes er- wähnt werden. 1. Die Rückstoßtheorie. Beim Hinaustreiben des Blutes in die großen Gefäße soll das Herz einen Bewegungsantrieb nach der entgegengesetzten Seite, also gegen die Thorax- wand und nach unten hin erhalten, ähnlich wie die Flinte beim Abfeuern des Schusses zurückschlägt. Diese, von Skoda (1847 5) begründete Theorie ist besonders von Feuerbach) als „eine Studie auf dem Gebiet der Mechanik“ scheinbar sehr exakt durchgeführt und erfreute sich deshalb auch großer Beliebtheit. 2. Die Dehnungstheorie. Die großen Gefäße sollen durch das einströmende Blut ausgedehnt werden. Da sie, ihrer anatomischen Lagerung nach, sich weder nach oben noch nach der Seite ausdehnen können, so müßten sie sich nach unten aus- dehnen und dabei auch das Herz nach unten drücken. Auch die sich füllen- den Vorhöfe sollen dieselbe Wirkung haben. Diese schon von Senac (17497) aufgestellte Theorie wurde besonders von Aufrecht®) vertreten. Auch die 3. Streckungstheorie von Kornitzer (1857 °) machte viel von sich reden; wenn im Innern einer gekrümmten Röhre der Druck erhöht wird, dann streckt sich die Röhre (Prinzip des Bourdonschen Manometers). Wenn also das Blut in die ge- krümmten großen Gefäße (Aorta und Pulmonalis) einströmte, so sollten auch diese sich strecken und dadurch das Herz naturgemäß abwärts drücken. 4. Die diastolische Theorie. Danach soll der Herzstoß auf der plötzlichen Erweiterung beruhen, welche die Kammern in der Praesystole erfahren. !) Merkel, Handbuch d. topograph. Anat. 2, 347, Braunschweig 1899. — 2) v. Frey, Die Untersuchung des Pulses 8.111. Berlin 1892. — °) Hürthle, Beiträge zur Hämodynamik I, Pflügers Arch. 49, 94, 1891. — *) Martius, Graphische Untersuchungen über Herzbewegung, Zeitschr. f. klin. Med. 13, 327, 1888. — ®) Skoda, Abhandlungen über Perkussion und Auskultation, 2. Aufl., Wien 1847, 8. 147. — °) Feuerbach, Die Bewegung und das Achsensystem des Herzens, Pflügers Arch. 14, 131, 1877. — 7) Senac, Traite de la structure du coeur, Paris 1749, p- 356. — °®) Aufrecht, Deutsch. Arch. f. klin. Med., Nr. 19, 1877, 8.580. — °) Kornitzer, Sitzungsber. d. Akad. Wien, math.-naturw. Kl., 24, 120, 1857; 25, 1, 1857. 838 Die Zeit des Spitzenstoßes. All diese Theorien — obgleich sie meistens von Praktikern ausgingen — zeigen das Merkmal der theoretischen Konstruktion. Alles, was da gesagt ist, ist richtig; die in Frage gezogenen Kräfte existieren und ihre Wirkungs- weise ist die von der Theorie verlangte. Allerdings kennen wir nicht die Größe der Wirkung, die unmerklich sein mag, und von anderen Kräften, welche die betreffende Theorie gerade nicht berücksichtigt hat, paralysiert werden könnte. Man kann in der Natur eben nur sehr selten, in der Biologie aber fast nie etwas berechnen und konstruieren, sondern man muß beobachten, und die einfachste Beobachtung zeigt, daß alle diese angezogenen Gründe nicht das Wesentliche des Spitzenstoßes sein können, weil derselbe früher statt- findet, ehe die genannten Kräfte wirksam sein können, denn man fühlt ihn bereits zu einer Zeit, in der das Blut den Ventrikel noch gar nicht verlassen hat, nämlich bei Beginn der Ventrikelkontraktion; dann aber dauert es noch eine gewisse Zeit, ehe der Druck im Ventrikel so groß geworden ist, daß er die Semilunaıklappen zu öffnen vermag. Die Tatsache, daß der Spitzenstoß etwa '/,, Sek. vor Öffnung der Semi- lunarklappen beginnt, wurde besonders von Martius betont und ist sicher- gestellt: 1. Durch gleichzeitige Verzeichnung des Spitzenstoßes und der Vor- kammer bei einem Menschen mit Ectopia cordis von Frangois Franck!); der Spitzenstoß erfolgt sofort nach der maximalen Füllung der Vorkammern. 2. Durch gleichzeitige Registrierung des Spitzenstoßes. und der Druck- schwankungen im Ventrikel bei Tieren (beide beginnen genau gleichzeitig) Chauveau und Marey?). 3. Durch gleichzeitige Registrierung des Spitzenstoßes und der Herztöne von Edgren?) beim Menschen (beide erfolgen genau gleichzeitig). 4. Durch gleichzeitige Registrierung des Spitzenstoßes und des Pulses beim Menschen von Edgren?); der Puls tritt etwas, 0,12 Sek., später auf. Von diesen Befunden sind naturgemäß die Konstatierungen von Chauveau und Marey die exaktesten, die anderen sind dafür am Menschen gewonnen. Durch diese zeitlichen Bestimmungen wird auch gleichzeitig die dia- stolische Theorie des Spitzenstoßes widerlegt, denn zu der Zeit, in der das Blut in den Ventrikel vom Vorhof aus einströmt, merkt man noch nichts vom Spitzenstoß. Wer aber jemals ein lebendes Herz frei schlagen gesehen, oder es gar in die Hand genommen, der wird von vornherein nur schwer sich vorstellen können, daß der durch die Brustwand gespürte Spitzenstoß etwas anderes sein könne, als jener energische Stoß, den man bei jeder Systole verspürt (vgl. oben S.833f.). Dort sahen wir, daß ein auf dem Tisch liegendes Herz sich unter allen Umständen aufrichtet, also seinen hauptsächlichsten Stoß immer senkrecht nach oben ausführt. Nun ist zwar allerdings der Spitzen- stoß gegen die Brustwand im allgemeinen im Liegen sehr viel deutlicher fühlbar als beim Stehen, was zweifellos mit dem Gesagten zusammenhängt. !) Francois Franck, Un cas d’ectopie congenitale du coeur chez une femme de 24 ans, Traveaux du lab. de Marey 3, 311 bis 327, 1877. — ?) Chauveau u. Marey, ibid.1, 25, 1875. — ?) Edgren, Kardiographische und sphygmographische Studien, Skand. Arch. f. Physiol. 1, 88f., 1889. Die Ventile des Herzens. 839 Daß wir aber auch beim stehenden Menschen einen Spitzenstoß fühlen, rührt daher, daß im Thorax nicht wie im freiliegenden Herzen die Schwer- kraft das einzig Bestimmende ist; hier kann sich eine derartige Form- änderung nicht in derselben Weise geltend machen, da das Herz immer den durch die Umgebung bedingten Grenzen anliegen muß, und weil die Lage des systolischen Herzens außerdem nicht allein durch die Unterlage, sondern vielmehr noch durch die Stelle bestimmt ist, an der es angewachsen ist, das ist aber die Stelle des Eintritts der großen Gefäße und diese treten an das menschliche Herz von hinten bzw. von oben heran. Eine derartige Fläche, welche etwa parallel der Richtung der oberen Brustwirbelsäule laufen dürfte, ersetzt also in gewissem Sinne die Unterlage in dem angeführten Frosch- experiment. Von dieser Fläche hängt das schlaffe, ruhende Herz wie ein Sack herab, und senkrecht zu dieser Fläche muß sich das systolische Herz stellen. Es ist klar, daß dabei die Herzspitze gegen die Wand des Brustkastens klopft. All die anderen genannten Umstände, werden sich vorher oder nachher auch geltend machen und eventuell die mannigfachen Zacken des Kardiogramms bedingen. Allerdings ist der Versuch einer Analyse bis jetzt nicht gemacht. Die Methoden zur Aufzeichnung des Spitzenstoßes sind im $ 26c ge- schildert. Über ihre Mangelhaftigkeit vgl. z. B. das Urteil von F redericq!), der zum mindesten die innere Kardiographie empfiehlt. Zehntes Kapitel. Klappen und Herztöne. $ 89. Die Ventile des Herzens. Ebenso nötig zum Verständnis der Herztätigkeit wie die Kenntnis der Anordnung der treibenden Masse der Muskelfasern, ist eine Kenntnis der hemmenden Einrichtungen, der Klappen oder Ventile, denn sie allein bewirken, daß das Blut nur in einer Richtung strömt. Ohne sie würde jede Kontraktion des Herzens das Blut nach beiden Seiten gleichmäßig in die Gefäße treiben, und es könnte niemals zu einer kontinuierlichen Strömung kommen. Es ist nicht notwendig, daß dieser Verschluß durch Klappen hergestellt wird. Er kann auch durch eine weitgehende Kontraktion der zirkulierten Gefäßmuskulatur hergestellt werden. Die Arbeit, welche hierbei auf den Verschluß verwendet wird, kommt dabei der Vorwärtsbewegung des Blutes nicht zugute. Ein derartiger Mechanismus, der sich bei vielen Wirbellosen befindet, arbeitet daher unökonomischer als ein mit Klappen versehenes Herz (vgl. auch im $ 2 das über das Tunicatenherz Gesagte s. 8. 666). Eine Anschauung von der Wirkungsweise der Klappen erhalten wir an der Hand des folgenden Schemas (vgl. hierzu auch $ 85). Nach dem Stadium IV strömt Blut in den Vorhof unter dem Druck, der in den Venen herrscht. Sobald der Druck im Ventrikel infelge der Erschlaf- !) L. Fredericg, Sur la signification du trac& du choc du coeur, Bull. de l’acad&mie de med. de Belg. 1894, p. 34; vgl. auch Centralbl.f. Physiol.7, 764, 1894. 840 Die Wirkung der Klappen. fung desselben kleiner wird, als im Vorhofe, öffnen sich die Cuspidalklappen, und es strömt Blut in den Ventrikel. Stadium I (Füllung oder Influx). Da der Ventrikel sich schnell erweitert, ist es nötig, daß eine größere Menge Blut vorhanden ist, um ihn sofort ausfüllen zu können. Dazu dienen die Reser- voire der Vorhöfe, die sich infolge ihrer Kontraktion schnell entleeren können. Dies dauert so lange, bis der Ventrikel sich zusammenzuziehen beginnt. Fast sofort wird dann der Druck im Ventrikel größer als im Vorhofe, und es kommt zum Cuspidalklappenschluß. Nunmehr sind alle Klappen geschlossen. Stadium II (Anspannungszeit oder Tension). Diese Anspannungszeit ist dadurch bedingt, daß in der Aorta der Druck zwar gesunken ist, aber doch nur weniger als im Ventrikel während der Ruhe, weil nicht genügend Blut in die peripheren Gefäße abfließen kann. Während der Anspannungs- zeit erreicht der Druck im Ventrikel den in der Aorta. Fig. 83. I II III IV Influx Tension Eitlux Detension Füllung Anspannung Austreibung Entspannung EN N : Die vier vorkommenden Fälle von Klappenstellung. —> bezeichnet Strömen der Flüssigkeit, <—> Stillstand der Flüssigkeit (weil überall gleicher Druck herrscht), +—> Stillstand der Flüssigkeit (weil die Klappe durch den Überdruck geschlossen). Stadium II und IV ist im ersten Moment dargestellt, in dem die Klappen ohne Überdruck geschlossen sind. Dies dauert so lange, bis der Druck im Ventrikel größer wird als in der Aorta bzw. Pulmonalis. Dann öffnen sich die Semilunarklappen und das Blut strömt in die Gefäße. Stadium III (Austreibungszeit oder Efflux). Infolge dieses Ausströmens steigt nunmehr auch der Druck in der Aorta, wenn auch weniger als im Ventrikel, da ja eine größere Menge Blut in die peripheren Gefäße abfließen kann. Dies dauert so lange, bis einerseits der Druck in der Aorta so hoch gestiegen ist, und andererseits der Druck in dem Ventrikel durch die be- ginnende Erschlaffung so niedrig geworden ist, daß von neuem der Druck in der Aorta größer ist als im Ventrikel. Dann schließen sich die Semilunar- klappen, und wiederum haben wir einen Zustand, in dem alle Klappen ge- schlossen sind —= Stadium IV (Entspannungszeit oder Detensio). Während aber in dem in dieser Beziehung gleichartigen Stadium der Tension der Druck stieg, so daß die Folge die Eröffnung der Semilunarklappen war, sinkt Jetzt der Druck in der Kammer, so daß die Folge die Eröffnung der Cuspidalklappen ist, und damit beginnt wieder das Stadium I. Die topographische Anordnung aller vier Klappen zeigt besser als eine Beschreibung die schematische Fig. 84. In der Erklärung zu der Abbildung ist auch das Nötigste über die Nomenklatur gesagt. Sind die Klappen frei bewegliche Ventile? 841 In der obigen schematischen Übersicht haben wir es immer als selbst- verständlich angenommen, daß die Klappen beim leichtesten Überdruck ge- öffnet bzw. geschlossen werden. Das ist nun an sich nicht notwendig. Das Sicherheitsventil bei einer Dampfmaschine ist z. B. so konstruiert, daß das Ventil in seiner geschlossenen Lage durch eine bedeutende Kraft festgehalten wird, Fig. 84. vorn Pulmonalis Aorta links rechts Mitralis Tricuspidalis hinten Schema der vier Herzklappen. Hinten liegen die Eintrittsöffnungen (venöse Ostien) mit den Cuspidalklappen (Segelventile), vorn liegen die Austrittsöffnungen (arterielle Ostien) mit den Semilunarklappen (Taschenventile). Die einzelnen Klappen werden als vordere, hintere, rechte, linke oder mittlere Segel — oder Taschenklappe bezeichnet. Die Buchstaben in der Figur (a — anterior, p = posterior, s = sinister, d — dexter, m — medialis) deuten dies an. Die Cuspis anterior tricuspid. nennt man auch Konussegel, die Cuspis medialis trieuspid. nennt man auch Scheidewandsegel. Schraffiert eingezeichnet ist die ungefähre Position der - hauptsächlichsten Papillarmuskeln. \ die erst durch einen ebenso großen Innendruck überwunden sein muß, ehe das Ventil sich öffnen kann. Es ist nun die Frage, ob derartige Einrich- tungen, durch welche die Klappen — sei es in geöffneter, sei es in geschlossener Lage — festgehalten werden, auch im Herzen existieren. Auf diese verhältnis- mäßig einfache Frage laufen im Grunde alle die Untersuchungen hinaus, die über den Mechanismus des Klappenschlusses angestellt sind. $ 90. Die Semilunarklappen. Die Semilunar- oder Taschenklappen sitzen zu je dreien an den arteriellen Ostien. Sie bilden taschenförmige Falten, die mit einem konvexen Rande an der Arterienwand angeheftet sind, während der andere in halbgeöffnetem Zu- stande nahezu gerade Rand frei gegen das Lumen des Gefäßes sieht. In der Mitte dieses Randes befindet sich eine fibröse Verdickung (Nodulus Arantü). Gegen diese Noduli, dienach Ewald!) gezähnt sind und durch deren Ineinander- greifen der Verschluß wesentlich gefestigt werden soll, strahlen Verstärkungs- züge von dem festgewachsenen Rande und lassen nur ein halbkreisförmiges !) J. R. Ewald, Die Funktion der Noduli Arantii, Berliner klin. Wochenschr. 1905, Nr. 44a. 842 - Die Semilunarklappen. Feld frei, die Lunula. Über jeder Klappe befindet sich eine Ausbuchtung der Arterie (sinus Valsalvae). Vie drei Sinus bedingen eine Ausbuchtung der gesamten Arterie, die sich auch noch weiter nach oben fortsetzt (bulbus arteriosus), vgl. die entsprechenden Verhältnisse in der beigefügten Fig. 85. Das aus dem Ventrikel ausströmende Blut nimmt die Klappen mit. Wären sie vollkommen frei beweglich, so würden sie sich an die Arterien- wand anlegen, und wenn dies ganz glatt geschähe, dann fände das rück- strömende, Blut keine Möglichkeit, hinter die Klappen zu gelangen und die Klappen wieder zurückzuschlagen. Dies Anlegen an die Arterienwand wird nun schon durch die Ausbildung der Sinus Valsalvae unmöglich gemacht, aber wenn das Zurückschlagen nur durch das rückströmende Blut hervorgebracht würde, dann müßte eben eine gewisse Menge Blut jedesmal in die Kammer zurückfließen, ehe dadurch die Klappen geschlossen wären. Diese alte, auf Galen zurückführende Vorstellung hat denn auch heute noeh ihre Vertreter, nur bemühte man sich, nachzuweisen, daß bierbei die regurgitierende Blut- menge nur minimal ist [vgl. Weber'), Sandborg?) und Collier?)]. Sollen sich aber die Klappen schließen, ehe ein Tropfen Blut zurück- fließt — und das Experiment zeigt, daß kein Tropfen regurgitiert, denn die Klappen schließen sich nach Chau- veau) gleich im Beginn der Erschlaf- fung —, so müssen accessorische Kräfte vorhanden sein, welche ihrerseits die Schließung bewirken. Burdach’) glaubte, daß dies die Formelastizität Schematischer Längsschnitt durch die - N EV: DIE HRUBESHENE er. Art: in welche die Klappen von selbst zu- rücksprängen, sei eben die Stellung der Schließung, doch ergab die Beobachtung, daß die Normalstellung der Klappen, welche sie ohne äußere Einwirkung annehmen, die halbgeöffnete ist. In der Wirkung eines in der Kammer entstehenden saugend wirkenden luftverdünnten Raumes sieht Moens‘) diese Kraft. Diese Ansicht ist nicht deshalb indiskutabel, weil ein derartiger Raum nicht entsteht, sondern deshalb, weil seine Wirkung auf die Klappen ja doch nur durch das Blut Fig. 85. ') E. H. Weber, Brief an Hamernjk, Vierteljahrsschr. f. prakt. Heilkunde 20, 106, Prag 1848. — *) Sandborg und Worm-Müller, Pflügers Arch. 22, 415 bis 436, 1880. — °) Collier, On the physiology of the vascular system, London 1889, p. 20. — *) Chauveau, Sur le moment de l’occlusion et de l’ouver- ture des valvules sigmoides, Arch. ital. de Biol.12, 48, 1894; vgl. auch Compt. rend. de l’Acad. 118, 686, 1894. — °) Burdach, Ber. d. deutsch. anat. Anstalt zu Königsberg 3, 27, Leipzig 1820. — °) Moens, Der erste Wellengipfel in dem ab- steigenden Schenkel der Pulskurve, Pflügers Arch. 20, 517, 1879, Ceradinis Theorie des Klappenschlusses. - 843 vermittelt werden könnte. Eine derartige Annahme kann also niemals das erklären, was erklärt werden soll, die Nichtregurgitation. Ceradini (1871!) machte nun auf die im Blute entstehenden Wirbel aufmerksam als eine mögliche Quelle der Schließungskräfte und belegte im folgenden Jahre in einer Monographie über den Mechanismus der halb- mondförmigen Klappen seine Meinung mit guten Gründen, zu deren Gunsten er treffliche Beobachtungen ausführte. Die folgenden Ausführungen sind zwar etwas modifiziert, gehen aber im wesentlichen auf Ceradini zurück. In einer strömenden Flüssigkeit ist der Druck nicht an allen Stellen derselbe Er kann es ja auch nicht sein, sonst würde die Flüssigkeit nicht strömen. Ist die Strömungsbahn nun nicht gerade, sondern weist sie Ver- engerungen und. Erweiterungen oder auch nur Biegungen auf, so ist die Druckverteilung eine sehr komplizierte, und es entsteht infolgedessen das, was man gemeinhin Wirbel nennt. Die Druckverteilung ist nun, wenn das Blut durch die enge Spalte des arteriellen Ostiums (s. Fig. 86) strömt, derartig, daß der Druck an den Stellen, die mit einem Doppelpfeil bezeichnet sind, größer ist als an den Stellen, die mit einem einfachen Pfeil bezeichnet sind. Demzufolge wird der Wirbelblutstrom selbst das Bestreben haben, die Klappen zu schließen. So lange, als noch im Ventrikel gedrückt wird, wird jedesmal bei dem Versuch, die Klappen zu schließen und der dadurch bedingten Verkleinerung der Öffnung, der gesamte Druck in der Aorta ab- nehmen, im Ventrikel aber steigen, eben weil dann weniger Blut hineinfließen kann. So wird es zu einer um die Gleichgewichts- en a ns lage hin- und herschwingenden Bewegung der stark verengerten Röhre. Klappen kommen. Wenn aber der Druck im - Ventrikel nachläßt, dann fällt das offenhaltende Moment fort und der letzte sich in die Aorta bewegende Blutstrom schließt die Klappe. Sinkt der Blutdruck nun nicht weiter im Ventrikel, so kann diese nur durch dynamische (d.h. auf Bewegung beruhende) Kräfte zustande gekommene Schließung nicht aufrecht erhalten werden, und es kommt wieder zur Öffnung der Klappen. Alle diese Vorgänge konnte Ceradini mit Hilfe des Rüdingerschen Herzspekulums (d. i. ein breiter, mit einer Glasplatte verschlossener Metall- ring, der in ein arterielles Ostium des herausgeschnittenen Herzens ein- gebunden wird und die direkte Inspektion gestattet) auch wirklich am Herzen verifizieren. Er konnte nämlich zeigen: 1. daß der Gleichgewichtszustand der Klappen, in den sie vermöge ihrer Formelastizität zurückzukehren bestrebt sind, der halbgeöffnete (bzw. halb- geschlossene) ist, 2. daß eine völlige Öffnung auch während des Ausströmens aus dem Ventrikel nicht statt hat, und daß hierbei die freien Ränder der Klappen deutlich vibrieren, Fig. 86. 2y 6; Ceradini, Il mecanismo delle valvole semilunare delle cuore, Gaz. med. ital. Lombarda, Milano 1871. 344 Selbststeuerung des Herzens. 3. daß die Klappen im Moment des Aufhörens der Strömung sich schließen, um sich sofort wieder zu öffnen, falls kein dauernder BratIdEhER Überdruck in der Aorta entsteht). Zu ähnlichen Schlußfolgerungen ist auch Krehl gekommen, der ebenfalls eine frühzeitige Schließung durch Wirbelströme annimmt. Mai?) hat diese Wirbelströme an durchsichtigen Modellen sichtbar gemacht und ebenfalls diese Auffassung bestätigen können. 8 91. Die Selbststeuerung des Herzens. (Vgl. hierzu auch $ 15.) Eine oft diskutierte Frage, die innig mit der Bewegung der Semilunar- klappen zusammenhängt, und die wir deshalb hier wenigstens erwähnen wollen, ist die von der Selbststeuerung des Herzens. Schon -Thebesius (17163) hatte behauptet, daß die zurückgeschlagenen Semilunarklappen die Mündungen der Kranzarterien verschließen. Brücke) wies dann darauf hin, daß demnach die eigenen Gefäße des llerzens nur während der Diastole Blut erhielten. Das in das Herzgewebe einströmende Blut sollte die Diastole begünstigen, das Fehlen einer Zirkulation aber die Systole (vgl. hierzu auch $ 100 c). Die außerordentlich rege Polemik über diesen Punkt (siehe Literatur bei Tigerstedt) ist zum großen Teil überflüssig, da bereits im Jahre des Erscheinens der Brückeschen Schrift die Kontroverse so vollständig vom anatomischen Standpunkt durch Hyrtl?) erledigt wurde, daß man sie als end- gültig aus der Welt geschafft ansehen kann: Ein Verschluß der Arterien- mündung kann durch die Aortaklappen niemals bewirkt werden. Etwas anderes ist es, ob etwa bei der Systole des Herzens aus änderen Gründen die Zirkulation in den Kranzgefäßen aufgehoben wird. Dies ist in der Tat der Fall, und insofern hat Brücke Recht behalten. Rebatel®), der unter Chauveau arbeitete, und später Martin und Sedgwich’) konnten zeigen, daß in der Tat infolge der starken Kontraktion die Gefäße zusammen- gepreßt werden. Dabei steigt der Druck, die Bewegung des Blutes in den Kranzgefäßen wird erschwert, es bleibt stehen oder bewegt sich selbst rück- wärts. Auch Talianzew®), der den Kreislauf an peripheren Ästen der Kranzarterien direkt manometrisch bestimmte, sah sehr große Blutdruck- schwankungen. !) Dieser letzte Satz ist bei Ceradini etwas anders formuliert, ich habe diese Fassung gewählt, weil hierbei nicht die bei Ceradini vorhandene Beziehung auf die aktive Diastole mit ins Spiel kommt. — *) Mai, Ein Beitrag zum Mechanis- mus der Aortenklappen, Zeitschr. f. klin. Med. 58 (Heft 5/6), 1906. — ?) Thebesius, Dissertatio medica de circulo sanguinis in corde, Leyden 1716. — *) Brücke, Der Verschluß der Kranzschlagadern durch die Aortenklappen, Sitzungsber. d. Akad. Wien, 17. Dez. 1854 und 1855. — °) Hyrtl, Über die Selbststeuerung des Herzens, Wien 1855. — °) Rebatel, Recherches experimentales sur la eirculation dans les arteres coronaires, These de Paris. — 7’) Martin und Sedgwich, Mean pressure and the characters of the pulse-wave in the coronary arteries of the heart, Journ. of physiol. 3, 165, 1872, 1882. — ®) A. J. Talianzew, Zur Frage über den Kreislauf in den Kranzarterien des Herzens, Med. Rundschau 45, 506 (russisch), 1896. u Die Größe der venösen Ostien. 845 Allen diesen Beobachtungen gegenüber weist Porter!) darauf hin, daß im Gegenteil jede Kontraktion durch Druck auf die Koronargefäße den Blut- ausfluß befördert; die aus seinem Laboratorium hervorgegangene Arbeit von Ida Hyde?) ergänzt diese Angaben dahin, daß bei Herzen (es wurden Katzen verwendet), die durch erhöhten Innendruck ausgedehnt sind, der Blutstrom abnimmt, und zwar ist diese Verminderung stärker am pulsierenden Herzen als am schlagenden. $ 92. Die Atrioventrikularklappen. Die Form der einzelnen Segel der Tricuspidalis und Bieuspidalis geht mit einer für den Physiologen genügenden Deutlichkeit aus der Fig. 84 auf. S. 841 hervor. Entsprechend dem größeren Druck, den sie auszuhalten hat, ist die Mitralis kräftiger und solider gebaut. In der Figur sind auch die ungefähren Positionen der Papillarmuskeln und ihre ungefähre relative Größe angegeben. Genaueres mag in den Handbüchern der Anatomie nachgelesen werden. Physiologische Bedeutung haben diese anatomischen — übrigens recht inkon- stanten — Verhältnisse nicht. Am konstantesten sind noch die beiden kräf- tigen Papillarmuskeln des linken Herzens. Erwähnt mag werden, daß im allgemeinen, wie ja auch aus der Figur hervorgeht, die Muskeln so angeordnet sind, daß sie zwischen zwei Segeln stehen. Ihre Sehnenfäden inserieren dem- entsprechend an den Rändern der beiden benachbarten Klappen. Es ist nicht zu verkennen, daß diese Verhältnisse zu einem guten, sicheren Schluß der Klappen beitragen müssen. Und zwar inserieren diese Sehnenfäden nicht nur an dem freien Rande der Klappen, sondern auch auf deren unterer Fläche Es scheint deutlich, daß diese Anordnung den Sinn hat, zu verhüten, daß die großen Cuspidalsegel sich ausbauchen; hierüber dürften alle Untersucher einig sein, welche Rolle sie auch sonst den Papillarmuskeln zu- schreiben. Daß hier derartige hemimende Einrichtungen vorhanden sind, die bei den Semilunarklappen fehlen, hat seinen Grund einmal darin, daß die venösen Ostien einen größeren Druck auszuhalten haben, doch ist dieser Unterschied nur gering. Vornehmlich aber ist die Unterstützungs- bedürftigkeit in der Größe der Segel begründet und damit auch genügend erklärt. Daß aber die venösen Ostien größer) sind als die arteriellen, darf uns nicht wundernehmen, wenn wir bedenken, daß das Blut in die Aorta unter einem ganz bedeutenden Überdruck gepreßt wird, der den Widerstand einer kleinen Öffnung leicht besiegt; daß aber der Einfluß in den Ventrikel unter einem verhältnismäßig sehr geringen Überdruck erfolgt. Deshalb müssen die Tore weit sein, denn anderenfalls würde ein großer Teil des Blutes den dann bequemeren Weg rückwärts in die Venen binein wählen, was auch geschehen würde, wenn etwa zur Überwindung einer engen Öffnung ı) W. T. Porter, The influence of the heart-beat on the flow of blood through the wall of the heart (Physiol. Labor. Harvard School, Boston), Amer. Journ. of physiol. 1, 145—163, 1898. — *) Ida H.Hyde, The effect of the ventricle on the flow of blood through the walls of the heart (Physiol. Labor. Harvard School, Boston), Amer. Journ. of physiol. 1, 215—224, 1889. — *) Dieser Größen- unterschied wird besonders deutlich, wenn wir uns erinnern, daß nach den Unter- suchungen Ceradinis die Semilunarklappen niemals ganz geöffnet sind. 846 Die Klappenmuskulatur. ein höherer Druck hergestellt würde. Dann wären neue Klappen rückwärts an den Venen nötig gewesen. Aber diesen eventuell auch möglichen Weg ist die Natur nicht gegangen, und ihr Weg bedingt weite Ostien und daher auch kompliziertere Hemmungseinrichtungen als sie an den arteriellen Ostien erforderlich sind. Aber neben den Sehnenfäden, welche sie mit den offenbar nur für den Klappendienst bestimmten Papillarmuskeln verbinden, besitzen die Klappen eigene Muskeln. Nachdem sie schon früher Reid!) an Tieren gefunden hatte, zeigte Kürschner?), daß auch beim Menschen zahlreiche Muskelfasern des Vorhofes zu der oberen Fläche der Klappensegel herabsteigen. Paladino 3) beschrieb dann Muskelfasern, die von der unteren Fläche der Klappen sich in die Ventrikelmuskulatur verlieren. Da Oehl?®) auch Fasern fand, welche in den stärkeren Sehnenfäden der Mitralis verliefen, so war die Beziehung der Klappen zu allen möglichen Muskelsystemen nachgewiesen. Sehr ein- gehend hat sich mit diesen Gebilden, die vielfach inzwischen geleugnet worden sind [siehe die Literatur darüber bei Albrecht), S. 60 bis 70], Albrecht beschäftigt, der das konstante Vorkommen all der erwähnten Muskelzüge, bei allen Cuspidalklappen auch beim Menschen bestätigt. Als die wichtigsten unter diesen Fasern sieht er die vom Atrium kommenden an, die er nicht, wie die übrigen Untersucher, für zufällige Metastasen oder für. Residuen früherer Bildungen hält, sondern in denen er eine selbständige Differenzierung sieht, die eine ganz bestimmte physiologische Funktion haben (s. unten). Albrecht beschreibt dann weiter die Beziehung der vom Atrium kommenden Muskulatur mit den basalen Chorden (es sind das diejenigen Sehnenfäden, welche dicht am angewachsenen Rande der Klappe inserieren und nicht freie Fäden bilden, sondern eigentliche Verstärkungsbänder des Endocards darstellen). Andererseits aber ist eine Verbindung der basalen Chorden mit der Kammermuskulatur bekannt, und somit war der Weg zu einer Verbindung der beiden Muskelsysteme gegeben, doch sind wir auf diese Verhältnisse ja schon an anderer Stelle (s.$ 76 auf 3. 810 ff.) bei der Besprechung der innersten Muskelschicht des Herzens näher eingegangen. Nach der dort vorgetragenen Ansicht haben diese Muskelfasern, wenigstens zum Teil, keinen mechanischen Zweck, sondern sie dienen wesentlich nur als Verbindungsfasern zwischen Vorhof und Ventrikeln. Wie wichtig allerdings vitale Muskel- kontraktionen bzw. Tonuserscheinungen für den präzisen Klappenschluß sind, geht deutlich aus der Arbeit von Fuchs‘) hervor, der gezeigt hat, daß ein vollkommen normales Herz unmittelbar nach dem Tode eine Insuffizienz seiner beiden Atrioventrikularklappen aufweist. Doch wie schließen sich diese Klappen? Es ist klar, daß diese Bu sehr viel schwieriger zu beantworten ist, als bei den Semilunarklappen. Diese sind einfache bindegewebige Gebilde, und wenn deren Form und Elastizität !) Reid, Artikel: Heart in Todds Cyclopaedia of Anat. and Physiol., London 1839. — *) Kürschner, Frorieps neue Notizen Nr. 316, Juli 1840. — °) Paladino, Contribuzione all’ anatomia, istologia e fisiologia del euore, Napoli 1876. — *) Oehl, Mem. della acad. della scienze di Torino 20 (1861). — °) Albrecht, Der Herz- muskel usw., Berlin, Springer 1903, 8.74. — °) R.F. Fuchs, Über Totenstarre am Herzen, Herztonus und funktionelle muskuläre Insuffizienz der Atrioventrikular- klappen, Zeitschr. f. Heilkunde 21 (1900). Aktive Beteiligung von Muskeln beim Klappenschluß. 847 genügend bekannt wäre, dann könnte man zur Not ihren Mechanismus ableiten; auf alle Fälle kann man ihn beobachten, da ein derartiges System sich mit genügender Annäherung ebenso bewegen wird, ob das lebende Blut von der Kammer durch dasselbe hindurchgeworfen wird, oder ob man mit einem Gummiball Kochsalzlösung hindurchpreßt. Es läßt sich also experimentell verhältnismäßig leicht behandeln. An den Atrioventrikular- klappen aber inserieren die Papillarmuskeln und auch die Klappen selbst sind von Muskeln durchzogen. Sie brauchen sich also nicht rein passiv gemäß den Druckverhältnissen zu bewegen; um eine Vorstellung von ihrer wirklichen Tätigkeit zu bekommen, müßten wir vor allem wissen, ob die Papillarmuskeln sich früher, gleichzeitig oder später, als das übrige Herz zusammenziehen; solange wir das nicht wissen, und auf S. 820 ist auseinander- gesetzt, daß wir es noch nicht genau wissen, können naturgemäß alle unsere Betrachtungen über die Funktion der Papillarmuskeln, ohne welche der Klappenmechanismus nicht zu erklären ist, nur einen sehr hypothetischen Wert besitzen. Hierzu kommt dann noch die eventuelle Bedeutung der Klappen- muskulatur. Diese Fasern vermitteln offenbar, wenigstens teilweise, die Leitung. Vielleicht haben sie nebenbei einen mechanischen Zweck. Es ist ja leicht verständlich, daß die Entdecker dieser Muskelfäserchen ihnen eine bedeutsame Wirkung zuschrieben, wenn auch nicht alle so weit gingen, wie Paladino!), der den ganzen Klappenschluß ausschließlich eine Wirkung der Klappenmuskeln sein läßt. Mehr Berechtigung haben die Ausführungen Albrechts?), der annimmt, daß die gedachten Muskeln dazu da sind, während der beginnenden Systole die Sehnenfäden unter den verschiedenen Bedingungen der Systole und Diastole immer straff zu spannen, jedoch hat auch er keinen zwingenden Beweis dafür erbracht, daß die Tatsachen wirklich dieser annehm- baren Vermutung entsprechen. Joseph?) dagegen nimmt an, daß die Klappenmuskulatur während der Einströmungszeit die Segel gleichsam gegen den Rand hin zusammenreffe, „gleich einem Vorhang, der mittels eines Zuges an mehreren durch ihn gezogenen Fäden zusammengeschnurrt werden kann“. Es wurde schon mehrfach erwähnt, daß das Vorteilhafte der Herzklappen gerade darin liegt, daß dieselben sich rein passiv und automatisch schließen und daher keine Muskelkraft nötig haben. So ist es denn nur natürlich, daß man anfangs geneigt war, die Schließung als rein passiven Vorgang auf- zufassen. Diese Auffassung geht schon auf Lower (1722*) zurück und blieb während des ganzen 18. Jahrhunderts die herrschende. Erst im Anfang des 19. Jahrhunderts begann man nach dem Vorgang von Meckel’), Burdach‘), Parchappe”’) eine aktive Beteiligung der Papillarmuskeln an der Schließung der Atrioventrikularklappen zu diskutieren. Kürschner‘®) nimmt sogar an, daß die Papillarmuskeln nicht nur bei der Klappenschließung mit- wirken, sondern, daß ihre Kontraktion auch zur Entleerung des Ventrikels bei trägt. Diese Theorie war um die Mitte des vorigen Jahrhunderts allgemein ver- 1) Paladino, 1. e. 8.127. — ?) Albrecht, 1. ce. 8.79. — .°) Joseph, Physiologie der Herzklappen, Virchows Arch. 18 (1860). — ‘) Lower, Tractatus de corde, Leiden 1722, p.42. — °) Meckel, Handbuch der menschl. Anatomie 3, 23, 1817. — °) Burdach, vid.p. 842, l.c. 8.45. — ’) Parchappe, Du ceur, Paris 1848. — ®) Kürschner, l. c. 1841. 848 Die Herztöne. breitet — unter anderen soll auch E. H. Weber nach Luciani!) (Physiologie des Menschen 1, 149) Anhänger derselben gewesen sein, doch konnte ich eine derartige Stelle nicht finden — und findet auch heute noch Anhänger. Karl Schmid jun.?) hat z.B. noch vor wenigen Jahren (im wesentlichen auf Grund theoretischer Erwägungen) eine ähnliche Meinung ausgesprochen; nach ihm ziehen die Papillarmuskeln die Segelventile in den Ventrikelinnen- raum hinein, befördern dabei das Blut aus der Vorkammer in die Kammer und üben auf diese Weise eine Saugwirkung aus. Wir können die mannigfachen Arbeiten und Ansichten von Krehl, Baumgarten?), Sandborg und Worm-Müllert), Chauveau und Faivre°), Hesse®), Rüdinger’”) und vielen anderen, weniger wichtigen, die alle in etwas verschiedener Weise den Mechanismus des Klappenschlusses beschreiben, nicht einzeln diskutieren, und möchten nur das Gesamtresultat der mannigfachen Untersuchungen an Krehlanknüpfend dahin zusammenfassen, daß der Schluß der Segelventileim wesentlichen passiv erfolgt, wobei den Papillar- muskeln nur die sekundäre Aufgabe zufällt, die Segel zu stützen undein Hineinschlagen in den Vorhof zu verhüten; die mechanische Wirkung der eigentlichen Klappenmuskulatur ist noch unklar. Die zweite Frage, ob ähnlich, wie bei den Semilunarklappen, Kräfte existieren, welche den Klappenschluß derartig frühzeitig bewerkstelligen, daß ein Regurgitieren von Blut nicht eintritt, läßt sich, dem komplizierteren Bau dieser Gebilde entsprechend, vorläufig nicht mit Sicherheit entscheiden. Luciani und Krehl®) bejahen die Frage und nehmen auch hier das Vor- handensein eines ähnlichen Mechanismus an, wie ihn Ceradini für die Semi- lunarklappen nachgewiesen hat. $ 98. Die Herztöne. (Vgl. $ 27.) Die Herztöne waren schon im Altertum bekannt, erlangten aber erst größere Wichtigkeit, als Laönnec°) im Anfange des 19. Jahrhunderts auf ihre Bedeutung für die Diagnose von Herzkrankheiten hinwies. Im wesent- lichen blieb dann das Interesse ein klinisches und pathologisches. Was die normale Physiologie zu eruieren hätte, wäre die genaue Bestimmung des Momentes, in dem sie ertönen, und die Eruierung der Ursachen, welche sie bedingen. In bezug auf beide Fragen ist sehr viel gearbeitet, ohne zu entscheidenden Resultaten zu gelangen, was daher rühren dürfte, daß die Forscher bisher aus- schließlich auf die ‘Verwertung subjektiver Gehörseindrücke angewiesen waren. !) Luciani, Physiol. des Menschen 1, 149, 1905. — °?) K. Schmid jun., Herzkammersystole und Venenblutströmung, Pflügers Arch. 97, 181ff., 1903. — ®) Baumgarten, Über den Mechanismus, durch welchen die venösen Herzklappen geschlossen werden, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1893, 8. 663. — *) Sandborg und Worm-Müller, Studien über den Mechanismus des Herzens, Pflügers Arch. 22, 408, 1880. — °) Chauveau u. Faivre, Gaz. medic. de Paris 1856, p. 410. — °) Hesse, Beiträge zur Mechanik der Herzbewegung, Arch. f. Anat. (u. Physiol.) 1880, 8.328. — 7) Rüdinger, Ein Beitrag zur Mechanik der Aorten und Herz- klappen, Erlangen 1857, 8.14. — ®) Krehl, Die Mechanik der Tricuspidalklappe, Arch. £. (Anat. u.) Physiol. 1889, 8.289. — °) Laönnec, Del’Auscultation 2, 210 ff., Paris 1819. a a BE u u "a ee EEE u a a nn u eu ee ee a Die Ursachen der Herztöne. .849 Erst die im $ 27 geschilderten Methoden zur graphischen Registrierung der Herz- töne werden vielleicht imstande sein, sicherere Resultate zu schaffen. Bis jetzt liegt allerdings außer der Beschreibung der Methodik nur die Angabe von Einthoven vor, der einen dritten Herzton beschreibt. Bei dieser Sachlage erscheint ein ge- naueres Eingehen auf die Frage verfrüht. Genauere Angaben findet man in den Lehrbüchern der Diägnostik, vgl. auch die Zusammenstellung von Gillet!). Der erste Herzton scheint während des ersten Teiles der Kammer- systole gehört zu werden und etwas verschieden lange anzudauern. Der zweite Herzton wird etwa in dem Moment gehört, in dem die Semilunarklappen wieder geschlossen werden (vgl. jedoch Boccei und Mos- cucci?), die beide Töne beträchtlich früher ansetzen. Die Ursachen für die Herztöne können sein, abgesehen von dem von Magendie?) angenommenen „Klopfen des Herzens an die Brustwand“: 1. Vitale Vorgänge, Muskelgeräusche (da jeder Muskel bei der Kon- traktion einen Ton gibt). Aus den zeitlichen Verhältnissen geht hervor, daß die Systole der Vorhöfe nicht gehört werden kann und daß der Muskelton der Ventrikel nur beim Zu- standekommen des ersten Tones eine Rolle spielen könnte. 2. Rein mechanisch bedingte Vorgänge, Klappenschwingungen bzw. Schwingungen im Blute. Aus den zeitlichen Verhältnissen geht hervor, daß der Schluß der Cuspidal- klappen bzw. die Eröffnung der Semilunarklappen bei der Entstehung des ersten Tones, der Schluß der Semilunarklappen bei der Entstehung des zweiten Tones eine Rolle spielen könnte. Aus sehr vielfachen älteren Versuchen geht nun unzweifelhaft hervor, daß der erste Ton auch dann gehört wird, wenn eine Bewegung. der Klappen unmöglich gemacht wird [das Londoner Komitee (1836 ‘)], Ludwig und Dogiel’), Krehl®), Kasem Bek’) u. a. Andererseits konnten viele Untersucher feststellen, daß bei einer Behin- derung der Klappenbewegung der erste Herzton anders als normal klingt, LondonerKomitee*), Bayer°), Giese’), Wintrich'’), Haycraft")u.a. Aus diesen Untersuchungen scheint hervorzugehen, daß der erste Herzton im wesentlichen ein Muskelton ist, der durch mecha- nische Schwingungen der Klappen bzw. des Blutes modifiziert ist. Talma'?) trat dafür ein, daß es im wesentlichen Flüssigkeitsschwingungen sind, Geigel'?*) will umgekehrt die Ursache im wesentlichen in Transversalsch win- gungen der Herzwände bzw. der Klappen sehen, !) H. Gillet, Rythmes des bruits du coeur 16, Paris, Rueff 1894. — ?) B.Bocei e A. Moscuceci, Le curve della pressione ventriculare del cuore, i cardiogrammi e Paudizione dei toni del cuore nel loro contemporaneo rilievo sperimentale (Physiol. Congr.), Arch. ital. d. biologie 36, 156, 1901. — ?) Magendie, The Lancet 1, 638 u. 666, 1835. — *) Londoner Komitee (Williams, Todd und Clendinning), Report of the British Association 6, 265, 1836. — °) Ludwig und Dogiel, Verh. d. sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. Kl. 1868, S. 96. — °) Krehl, Über den Herz- muskelton, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1889, 8.253. — 7”) Kasem Bek, Über die Entstehung des ersten Herztones, Pflügers Arch. 47, 56, 1890. — °*) Bayer, Arch. der Heilkunde 10, 1, 1869. — °) Giese, Deutsche Klinik 1871, 8. 393. — %) Wintrich, Sitzungsber. d. physik.-med. Soc. in Erlangen 7, 51, 1875. — ı) Haycraft, Journ. of Physiol. 11, 486, 1890. — '?) Talma, Pflügers Arch. 23, 275, 1880. — ") R. Geigel, Entstehung und Zahl der normalen Herztöne, Arch. f. path. Anat. 141, 1 bis 28; Die Entstehung der Geräusche in Herz und Gefäßen, ebenda 140, 385 bis 395; Beitrag zur physikalischen Erklärung funktioneller Herz- geräusche, Münch. med. Wochenschr. 1896, Nr. 15. Nagel, Physiologie des Menschen. I. j 54 850 Accessorische Kräfte zur Blutbewegung Der Öffnung der Semilunarklappen schreiben vor allem Cruveilhier'), Ceradini?) und Sandborg°) einen wesentliehen Einfluß auf den ersten Herzton zu. Daß der zweite Herzton mehr oder weniger verschwindet, wenn man die Bewegungen der Semilunarklappen verhindert, haben — seitdem es das Londoner und Dubliner Komitee der British Association 19) festgestellt — auch alle späteren Untersucher konstatieren können. Der zweite Herzton dürfte daher mit ziemlicher Sicherheit als ein reiner Klappenton aufgefaßt werden, wobei als gleichgültig an- gesehen wird, ob die Klappen direkt oder die damit im Zusammenhange stehenden Blutwirbel den Ton erzeugen. Über die Theorie der Herztöne, vor allem des ersten Tones, vgl. auch noch die neueren Arbeiten von Rossolimost), Quain5), Inchley®), Trautwein?). Daß Einthoven mit Hilfe der Registrierung durch das Saitengalvano- meter einen dritten Herzton gefunden haben will, wurde schon in $ 27 erwähnt. Elftes Kapitel. Accessorische Herzen. 8 94. Wir haben gesehen, daß das Blut im Körper umgetrieben wird durch den Druck, welcher, es bei jeder Systole des Herzens von neuem vorwärts drückt. Diese Kraftquelle genügt; curarisierte Tiere, denen der Thorax er- öffnet ist, haben einen suffizienten Kreislauf, aber es kann nicht bezweifelt werden, daß dabei das Herz mehr Arbeit zu leisten hat als unter normalen Verhältnissen, wenn gewisse Hilfskräfte, die auch ihrerseits eine Bewegung des Blutes in der Richtung des Blutstromes bewirken, das Herz unterstützen. Eine solche Bewegung kann nur zustande kommen durch eine ab- wechselnde Erweiterung und Verengerung von Gefäßen, denn jeder irgendwie dauernde Zustand der Gefäßwandungen würde notwendigerweise sehr bald zu einem stationären Zustand führen, niemals aber zu einer kontinuierlichen Bewegung des Inhalts. Aus diesem Grunde kann auch der negative Druck im Thorax an sich keine Blutbewegung hervorrufen (vgl. je- doch 8. 853). Weiter ist klar, daß ein Transport in irgend einer - Riehtung nur dort zustande kommen Ka wo Ventile in der Nähe sind. Eine Kontraktion in einer kleinen Arterie z. B. hat ebensowobhl die Tendenz, das Blut nach rück- wärts zu treiben, wie nach vorwärts. Daß es zu keiner eigentlichen Rück- wärtsbewegung kommt, liegt daran, daß die Vis a tergo eben größer ist, als !) Cruveilhier, Gazette med. de Paris 1841, p. 499. — °) Ceradini, Der Mechanismus der halbmondförmigen Klappen, Leipzig 1872, 8.60. — ?) Sand- borg, Resume des etudes sur les bruits du coeur, Christiania 1881, p. 8. — *) Sp. Rossolimos, Recherches experimentales et nouvelles considerations de hemodynamique sur la physiologie du coeur, Athen 1903, p.39, Separatabdruck. — °) R. Quain, On the mecanism by which the first sound of the heart is pro- duced, Proc. Roy Soc. 61, 331—343, 1897. — °) O. Inchley, On the causation of the first sound of the heart, Barthol. Hosp. Rep. 38, 91—98. — 7) J. Trautwein, Über den Zusammenhang der sekundären Pulswellen mit dem Herzstoß und den beiden Herztönen, Arch. f. d. ges. Physiol. 104, 293 bis 315, Tafel 2. sind nur an den Venen möglich. 851 die von der Gefäßkontraktion ausgelöste Kraft. Es kommt also nur zu einer Verlangsamung, zu einer Störung des Blutstroms an dieser Stelle. Anders bei den Venen. Hier sind Klappen vorhanden, und wenn diese nach den neueren Untersuchungen von Carrel und Guthrie!) auch dem Rückstrom keinen unüberwindlichen Widerstand entgegenzusetzen scheinen, so dürften die Venenklappen doch für normale Verhältnisse suffizient sein. Wird also die Venenwand zusammengedrückt, so wird das Blut in den Venen nur in der Richtung gegen das Herz getrieben, während es bei einem Nachlassen des Druckes oder bei einem Auseinanderziehen der Venenwand im wesentlichen von der Peripherie herbeiströmen wird, da sich beim Beginn einer Rück- strömung vom Herzen her sofort die nächste Venenklappe schließen würde. Wir sehen also, Verengerungen und Erweiterungen im Arteriensystem dienen der Blutverteilung im Körper. Verengerungen und Erweiterungen im Venen- system dienen der Blutbewegung im ganzen, der Rückbeförderung des Blutes zum Herzen. Wir werden es hier also, wo es sich um die Hilfsherzen handelt, im wesentlichen mit Kräften zu tun haben, die an den Venen angreifen. Im einzelnen werden wir zu behandeln haben . die eigentlichen Venenherzen, die Wirkung des Dondersschen Druckes, . Körperbewegungen, die sogenannte aktive Diastole. wmv + ‚8 95. Venöse Herzen. Nur bei dem niedersten Wirbeltiere, dem Amphioxus, der bekanntlich kein Herz hat, kommt die Blutbewegung ausschließlich durch Gefäßkontrak- tionen zustande; im allgemeinen ist in der Reihe der Wirbeltiere die motorische Arbeit fast ausschließlich auf das Herz konzentriert. Nur die Venen haben ganz ausnahmsweise diese Funktionen einer früheren Zeit bewahrt. Alle Venen, auch die des Menschen, enthalten Muskeln und kontrahieren sich, jedoch sind diese Kontraktionen im allgemeinen so langsam, daß sie einen wesentlichen Beitrag zur Fortbewegung nicht bieten können, sondern im Gegenteil nur durch Vergrößerung des Widerstandes eine venöse Stauung hervorrufen und dann weiter dadurch, daß sie die Kapazität des ganzen Systems ändern, einen Einfluß auf die Blutbewegung ausüben, der sich in dieser allgemeinen Wirkung von der durch Arterienverengerung hervor- gerufenen Kapazitätsänderung nicht unterscheidet und den wir an anderer Stelle (vgl. $ 37) besprochen haben. Nur bei einzelnen Tieren hat man schnell aufeinander folgende Kontraktionen der Venenwände beschrieben, die als wirkliche Herzen angesprochen werden können; vor allen Dingen sind hier die von Wharton Jones?) in den Venen der-Fledermausflügel entdeckten !) A. Carrel u. E. C. C. Guthrie, La reversion de la circulation dans les veines valvulees, Compt. rend. de la soc. de biol. 2, 518—519, 1905; De la trans- plantation uniterminale des veines sur les arteres, p. 596—597. — ?) Wharton Jones, Discovery that the veins of the bats wing (which are furnished with valves) are endowed with rythmical contractility and the onward flow of blood is accelerated by each contraction. Philosophical Transactions 1852, p. 131. 54* 852 Venenherzen und Dondersscher Druck. Pulsationen zu erwähnen, die genauer physiologisch von Luchsinger!) und Schiff ?2) und jüngst von Karfunkel?) untersucht worden sind. Wie das Herz selbst, führen auch die accessorischen Herzen ihre Pulsationen un- abhängig vom Zentralnervensystem aus, sind dagegen in hohem Grade von dem in den Venen herrschenden Druck abhängig. Wie die Herzschläge bei starkem arteriellen Druck zunehmen, so nimmt die Tätigkeit dieser venösen Herzen bei starkem venösen Druck zu. In beiden Fällen handelt es sich um eine sehr zweckmäßige funktionelle Anpassung, welche geeignet ist, die ein-, tretende Stauung zu kompensieren. Über Venenpulsationen bei Säugetieren, insonderheit beim Menschen, vgl. Karfunkel?°), S. 545. $ 96. Der Donderssche Druck. In der Pleuralhöhle herrscht ein Druck, der geringer ist als der Alveolen- druck, und mithin auch geringer, als der normaliter diesem annähernd gleiche Atmosphärendruck. Dieser Unterschied zwischen Alveolen- und Pleuraldruck rührt von der Elastizität der Lungen her und ist im übrigen nur abhängig von der jevreiligen Gestalt und Deformation der Lunge. Er ist immer vor- handen, sowohl bei der Inspiration, als bei der forciertesten gegen einen äußeren Widerstand erfolgenden Expiration. In der extremsten Inspirations- stellung beträgt er 3cm Hg, also etwa !/, des arteriellen Druckes, in der normalen Inspirationsstellung etwa lcm und in der Expirationsstellung mindestens noch 0,5 cm Hg. Für die Blutbewegung (wenigstens für die des großen Kreislaufes) kommt es jedoch nicht auf den Druckunterschied zwischen dem Druck in der Brusthöhle und dem in den Alveolen an, sondern hierfür ist der Unterschied zwischen dem intrapleuralen und dem Atmosphärendruck maßgebend. Wenn man nun bei geschlossener Stimmritze Expirationsbewegungen macht, oder in ein geschlossenes Manometer hineinatmet, so kann bekanntlich der Alveolen- druck bis zu 25cm Hg über den Atmosphärendruck steigen; dann beträgt also der Brusthöhlendruck je nach der Stellung der Lunge 22 bis 24,5 cm Hg mehr als der Atmosphärendruck. Normaler Weise jedoch kommunizieren die Luftwege frei mit der Außen- luft, dann herrscht in der Brusthöhle immer ein Druck, der niedriger ist als der Atmosphärendruck, und diesen Druckunterschied bezeichnet man als negativen Druck der Brusthöhle — wir wollen ihn, weil der Ausdruck negativer Druck sowieso nicht schön ist, als Dondersschen Druck bezeichnen, denn Donders (1853) hat ihn zuerst gemessen. Die Brusthöhle ist ein Raum, der teilweise von starren und teilweise von beweglichen Wandungen eingeschlossen ist. Herrscht in einem solchen Raume ein niedrigerer Druck als außen, so werden die nicht starren Teile der Wan- ‘) Luchsinger, Von den Venenherzen in der Flughaut der Fledermäuse, Pflügers Arch. 26, 445 bis 458, 1881. — ?) Schiff, ebenda 26, 456. — °) Kar- funkel, Untersuchungen über die sogenannten Venenherzen der Fledermaus, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1905, 8. 538. — *) Donders, Beiträge zum Mechanismus der Respiration und Zirkulation im gesunden und kranken Zustande, Zeitschr. f. rat. Med., N..F, 8. 3, 1853. Grund der dauernden Wirkung des Dondersschen Druckes. 853 dung gemäß ihrer Biegsamkeit und gemäß dem Druckunterschiede nach innen eingebuchtet werden, so zwar, daß beim Brustkasten die Rippen fast gar nicht, die Rippenzwischenräume und das gespannte Zwerchfell ein wenig bewegt werden. Zu den Außenwänden der Brusthöhle gehören nun auch die Wände des Gefäßsystems, der Arterien, der Venen und des Herzens, wobei der Inhalt des Gefäßsystems in bezug auf die Brusthöhle als Außenraum zu betrachten ist. Also auch die einzelnen Gefäße werden bei einem niedrigeren Druck in der Brusthöhle gemäß ihrer Biegsamkeit ausgebuchtet werden und darum werden die dickwandigen, formelastischen Arterien, speziell die Aorta sehr wenig erweitert werden, mehr schon die dünnwandigen Venen und am stärksten die Wände der Ventrikel und vor allem der Vorhöfe während der Erschlaffung (denn dann besitzen gerade diese Gebilde eine außerordentlich geringe Formelastizität). Noch eins kommt hinzu. Der Druck wirkt natürlich proportional der gedrückten Fläche ein, und da be- kanntlich, der Gesamtquerschnitt der Thoraxarterien kleiner ist als der der Thoraxvenen, so werden auch aus diesem Grunde die Venen verhältnismäßig stärker auseinander gezogen. Daß bei forcierter Inspirationsanstrengung das Herzvolum beträchtlich vergrößert wird, konnten Zuntz und Schum- berg!) mittels Röntgendurchleuchtung direkt nachweisen. Die Verhältnisse im kleinen Kreislauf liegen anders, jedenfalls ist soviel sicher, daß bei offener Glottis alle Gefäße des Brustraumes unter einem ge- ringeren Drucke stehen, als er außerhalb des Thorax herrscht. Dieser Druck- unterschied pflanzt sich im wesentlichen auf den Inhalt des venösen Teiles der Brusthöhle fort. Dieser Donderssche Aspirationsdruck wirkt dauernd, auch bei fest- gehaltenem Thorax. Wenn de Jager?) und mit ihm Tigerstedt°) dies leugnet und sagt, eine dauernde Kraftwirkung durch eine statische Stellung sei unmöglich, so ist dies zwar — nicht nur scheinbar, sondern auch de facto — richtig. Doch liegen hier eben keine rein statischen Verhält- nisse vor. Ein druckerzeugendes Wasserreservoir kann dauernd nur ein tiefergelegenes Becken speisen, wenn dauernd nachgefüllt wird, wenn also z.B. irgend jemand das herabgeflossene Wasser immer wieder hinauf transportiert. So aber ist es beim Herzen: die geschilderte Verteilung des Druckes würde bewirken, daß eine solche Menge von- Blut in die Venen des Thorax strömt, bis der Druckunterschied ausgeglichen ist. Daß dieser stationäre Zustand, der nach dem Tode in der Tat möglich ist, während des Lebens nicht Platz greifen kann, rührt daher, daß bei jeder Systole wieder neues Blut in die Arterien hinein und aus dem Thorax hinausgeworfen wird. Solange also das Herz schlägt, wirkt der Donderssche Druck dauernd, aller- dings mit wechselnder Stärke, bei jeder Inspiration wird er ver- mehrt, bei jeder Expiration vermindert. Die respiratorischen Druckschwankungen sind nach dem Gesagten leicht zu verstehen. Doch wird das Phänomen dadurch kompliziert, daß offenbar nicht nur mechanische Gründe diese Druckschwankungen hervorrufen, sondern !) Zuntz und Schumburg, Über physiologische Versuche mit Hilfe der Röntgenstrahlen, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 96, 550. — 2) de Jager, Welchen Einfluß hat die Abdominalrespiration auf den arteriellen Blutdruck? Pflügers Arch. 33, 46 bis 48, 1884. — °) Tigerstedt, Lehrbuch 8. 133. 854 Cardiopneumatische Kurven. daß teils mit der Atmung synchrone, teils sehr viel langsamer verlaufende Druckschwankungen auf nervösem Wege hervorgerufen werden. In bezug auf die mechanische Seite der Frage vgl. die ältere Literatur bei Tiger- stedt (S. 139), vor allem die Arbeiten von Meyer und Knoll. Von neueren Arbeiten erwähne ich die von Mosso!), Binet und Courtier?) und Wert- heimer?). Auch die einzelnen Systolen sind von Einfluß auf den Dondersschen Druck, denn durch die Austreibung der Blutmenge wird naturgemäß der Inhalt des Brustraumes verkleinert, die Lungen dehnen sich dementsprechend, und gemäß dieser Lungendeformation sinkt der intrathorakale Druck, d. h. der Donderssche Aspirationsdruck wird bei jeder Systole ver- mehrt. Diese pulsatorische Schwankung des Lungendruckes ist von Ernst‘) und Bamberger?) an der Verschiebung des Lungenrandes, von Buisson®) an der Einziehung der Brustwand, von Voit’) an der pulsatorischen Druck- schwankung der Lungenluft beobachtet worden; die Einziehung der Brust- wand registrierte Loven°) graphisch, die Schwankung der Lungenluft vom Nasenloch aus Mosso°). Diese letzterwähnten sogenannten cardiopneuma- tischen Kurven haben eine große Literatur hervorgerufen, hier kann nur dar- auf verwiesen werden. Diese pulsatorischen Schwankungen dürften normalerweise RE ohne große Bedeutung sein, doch darf man nicht vergessen, daß man bei einigen Registrierungen, z. B. bei der Registrierung des Venenpulses und bei der Registrierung der Vorhofsbewegungen vom ÖOesophagus gerade diese Schwankungen mit registriert und zwar wie Minkowski!V) wohl mit Recht hervorhebt, um so stärker, eine je größere Sonde man zu diesem Zwecke ver- wendet (s. $ 26c., 8.717). Aber im Gegensatz zu diesen Schwankungen scheint da: Aspirations- druck selbst ein notwendiges Accessorium für die Kreislaufbewegung zu sein, wenigstens wird von den schwersten Zufällen berichtet, wenn man durch forcierte Expiration bei verschlossener Glottis künstlich den Thoraxdruck !) A. Mosso, Les oscillations interferentielles de la pression sanguine, Arch. ital. de biol. 41, 257—270, 1904. — ?) A. A. Binet u. J. Courtier, Influence de la respiration sur le trac& volumetrique des membres, Compt. rend. de l!’Acad. 121, 219, 1895; Dieselben, Influence de Yattitude et de la compression sur la forme du pouls capillaire et du pouls arteriel, Compt. rend. de la soc. de biol: 1895, p. 819. — ®) E. Wertheimer, Sur les variations de volume des membres lies ä la respiration, Arch. de physiol. norm. et pathol. 1895, 8.753. — *) Ernst, Studien über die Herztätigkeit, mit besonderer Berücksichtigung der an Herrn Croux’ Fissura sterni congenita gemachten Beobachtung, Virchows Arch. 9, 8. 269. — ’) Bamberger, Beiträge zur Physiologie und Pathologie des Herzens, Virchows Arch. 9, 1856. — °) Buisson, Quelques recherches sur la eirculation, Gazette med. de Paris 1861, p. 320. — °) Cart Voit, Über Druckschwankungen im Lungen- raume infolge der Herzbewegungen, Zeitschrift f. Biol. 1, 390 bis 391, 1865. — ®) Loven, Nägra iakttagelser öfver njärtslagets inflytaude rm inom bröst koyen rädande tryeset, Nord. med. ask. 2, Nr. 19, 1870. — °) Mosso, Die Diagnostik des Pulses, Leipzig 1879, 8.42 bis 65. — ') O. Minkowski, Die Registrierung der Herzbewegung am linken Vorhof, Deutsche med. Wochenschr. Nr. 31, 1907; Zur Deutung von Herzarythmien mittels des oesophagealen Kardiogramms, Zeitschr. f. klin. Med. 62, 371, 1907. ; aa EEE, WU Ard ih ieen — Die Gefährlichkeit des hohen Alveolendruckes. 855 über den der Atmosphäre hinaustreibt. Dann wird zwar in geringer, aber überflüssiger Weise das Hineintreiben des Blutes in den Thorax erleichtert, — denn durch die Herzsystole wird ein derartig großer Druckunterschied ge- schaffen, daß eine Vermehrung desselben durch die Verhältnisse des Thorax- druckes kaum etwas ausmachen kann — dagegen wird dem Venenblut bei seiner Rückkehr zum Herzen das Eindringen in den Thorax, in welchem, wie oben auseinandergesetzt, unter Umständen ein Druck herrscht, der den nor- malen arteriellen Druck übersteigt, in außerordentlicher Weise erschwert, und zwar deshalb, weil aus physikalisch sehr leicht verständlichen Gründen von dem unter diesen Verhältnissen sehr viel bedeutenderen Aortendruck (Herz- systolendruck plus Überschuß des Thoraxdruckes) unverhältnismäßig viel mehr als normalerweise in den außerhalb des Thoraxraumes gelegenen Arterien verbraucht wird; es bleibt zum Rücktransport in den Venen wenig übrig, und um den Kreislauf aufrecht zu erhalten, müßte das Herz einen unverhältnis- mäßig hohen Druck erzeugen, das vermag es nicht zu leisten, es kommt zur Stauung im Körperkreislauf und angeblich zu Todesfällen: Weber!) be- richtet von einem Oberst Townsend, der auf diese Weise sich scheintot machte; Weber selbst wurde bei einem solchen Versuche ohnmächtig. Auch bei Leuten, die einen großen Bissen verschluckt haben und sehr schnell ohne alle Erstickungskrämpfe sterben, soll dies die Todesursache sein. Ebenso bei plötzlichen Todesfällen im Gedränge, bei denen der Brustkasten zusammen- gedrückt wird. Allerdings wäre hierbei außerdem noch ein andauernder Glottisverschluß nötig. 8 97. Mechanischer Druck auf die Venen (Körperbewegungen, Massage, Arterienpuls). Schon oben hatten wir darauf aufmerksam gemacht, daß durch Druck auf die Venen das Blut zum Herzen getrieben wird. Dauert nun dieser Druck weiter an, so wird der fernere Durchfluß durch die Vene gehemmt. Ununter- brochener Druck hemmt also — abgesehen von der einen initialen Förderung — den venösen Rückfluß, ebenso wie er den arteriellen Zufluß hemmt, nur daß die dünnwandigeren Venen leichter zusammengedrückt werden und. daher bei einem gleichmäßigen, mäßig starken Drucke bzw. bei einer Um- schnürung der Extremität es immer zuerst zu einer Erschwerung des venösen Rückflusses, damit zu einer venösen Stauung und damit eventuell zu einer allmählichen Erweiterung der Gefäße kommt. So schreibt man ja auch häufig genug zu engen Strumpfbändern eine Stauung im Venensystem und consecu- tive Varicenbildung zu, ebenso wirkt der Druck des schwangeren Uterus auf die rückfübrenden Venen des Beines. Wird aber nun der Druck unterbrochen, so kann Blut leicht nach- strömen, und zwar wegen der Klappen nur von der Peripherie her. Dies Blut wird bei einem wiederum folgenden Drucke neuerdings zum Herzen ge- worfen. Durchrhythmische Bewegungen wird daher der Venenrück- !) Weber, Über die Anwendung der Wellenlehre auf die Lehre vom Kreis- lauf des Blutes und insbesondere auf die Pulslehre, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss., Math.-phys. Kl., 8. 31. 856 Die günstige Wirkung von Körperbewegungen. fluß gefördert, durch kontinuierlichen Druck wird er erschwert. Besonders in der unteren Extremität, wo zahlreiche und suffiziente Venenklappen vorhanden sind, ist dies der Fall. Beim Gehen setzt also der Mensch sein accessorisches Herz in Bewegung, und das ist nicht der unwesentlichste Vorteil körperlicher Bewegungen und insonderheit langer Wanderungen. Den Mechanismus dieser Vorgänge hat besonders Braune!) unter- sucht. Er findet, daß bei bestimmten Stellungen die hauptsächlichsten Venen ganz besonders dilatiert, bei anderen Stellungen ganz besonders verengt sind, und zwar ist das nicht etwa nur eine Folge des Muskel- druckes, sondern auch eine Folge der Art und Weise, wie die Venen an und zwischen den einzelnen Fascien und Bändern angeordnet sind, vor allem zeigte Braune auch, daß eine Verlängerung der Venen fast immer mit einer Volumvergrößerung verbunden ist. Da nun die großen Venen meist auf der Beugeseite liegen, wird eine Streckung im allgemeinen mit Anspannung und Volumerweiterung verbunden sein, während eine Flexion das Gegenteil, also Volumverminderung, zur Folge hat. Auch der Einfluß aller anderen Stellungen ist von Braune untersucht. Im allgemeinen findet er, daß das Venensystem des Körpers in möglichst hohem Grade erschlafft ist, also einen möglichst kleinen Raum einnimmt, wenn sich der Körper in einer Stellung befindet, die an die Haltung des Embryo im Mutterleibe erinnert, während beim Stehen mit gespreizten Beinen und auswärts gestellten Füßen, zurückgebogenem Kopfe und wagerecht und möglichst weit rückwärts gehaltenen Armen die höchste überhaupt erreichbare Spannung und demzufolge die weitgehendste Erweiterung des Venensystems eintritt. Ebenso wie beim Gehen tritt diese Wirkung bei allen Körperbewegungen auf. Sehr viele der im Turnunter- richt angegebenen Freiübungen zielen wohl unbewußt darauf hin, die Stellung des Körpers so zu verändern, daß Stadien einer möglichsten Spannung des Venensystems mit Stadien einer möglichsten Erschlaffung abwechseln. Vor allem dürften die von I. P. Müller?) angegebenen Freiübungen in dieser Beziehung als zum Teil außerordentlich vollkommen bezeichnet werden. Man könnte von diesem Gesichtspunkte aus naturgemäß alle Sports gruppieren, doch genügt das Gesagte. Erwähnen wollen wir nur noch, daß diese Wirkung nicht nur bei aktiven Bewegungen, sondern auch bei passiven auftritt. Massage und Reiten wären hier vor allem zu nennen. Ozanam?) machte darauf aufmerksam, daß derartige intermittierende Druckwirkungen auch von den pulsierenden Arterien auf die sie begleitenden Satellitvenen ausgeübt werden. Daß hierdurch ebenso wie durch all die bis- her genannten Faktoren der venöse Blutstrom gefördert werden kann, ist richtig. Nur handelt es sich hier nicht im eigentlichen Sinne um ein accesso- risches Herz, weil ja hier die wirkende Kraft — der wechselnde arterielle Druck — ursprünglich ebenfalls vom Herzen ausgeht. ‘) Braune, Beiträge zur Kenntnis der Venenelastizität, Beiträge zur Anat. u. Physiol., Festgabe für 0. Ludwig, 1874, 8. 35; Das Venensystem des mensch- lichen Körpers, erläuternder Text, 8. 1 bis 13, 1884. — °?) I. P. Müller, Mein System, Tilge, Kopenhagen 1904. — °) Ozanam, De la circulation veineuse par influence, Compt. rend. de l’acad. d. sciences 93, 92, 1881. Historie der „aktiven Diastole“. 857 $ 98. Aspirierende Kräfte der Herzwand selbst. (Die sogenannte aktive Diastole.) Nicht nur durch die Vis a tergo, den Dondersschen Druck und die eventuellen rhythmischen Druckschwankungen peripherer Venen soll die dia- stolische Füllung zustande kommen, sondern auch durch aspirierende Kräfte, welche in der Herzwand selbst ihren Sitz haben. Unter dieser Rubrik fassen wir alles das zusammen, was von den verschiedensten Seiten unter dem Begriff der aktiven Diastole vorgebracht ist. Wir geben uns keine Mühe, eine der mannigfachen genaueren Definitionen der aktiven Diastole zu acceptieren oder gar eine eigene aufzustellen, weil wir die ganzen unter diesen Namen fallenden Begriffe für überflüssig halten. Eine Zusammen- stellung hierüber siehe bei E. Ebstein!), wo sich auch weitere Literatur findet. Im Altertum glaubte man an eine Ansaugung durch allerlei mystische Kräfte. Dem trat im 17. Jahrhundert Harvey?) entgegen, der die An- saugung im wesentlichen verwarf; Hales3) und Haller) im 18. Jahrhundert folgten ihm. Im Anfange des 19. Jahrhunderts versuchte man die Notwendig- keit des Vorhandenseins der Elastizitätsansaugung aus Gründen a priori zu beweisen, aber Carus) erwiderte schon ganz richtig, daß es darauf an- käme, zu beweisen, daß dieser elastische Druck wirklich ein „zureichender Grund venöser Blutbewegung“, nicht aber, ob eine minimale An- saugung eventuell möglich sei. - So ist es auch heute noch. Alle Versuche, die aktive Ansaugung des Herzens zu begründen, kommen um die einfache Tatsache nicht herum, welche schon L. Fick) konstatiert hat, und die jeder leicht nachprüfen kann, daß das Herz bei eröffnetem Thorax durch die Venen kein Blut aus einem Gefäße schöpfen kann, dessen Niveau niedriger ist, als das des Herzens. Sofort arbeitet das Herz leer, es saugt also, wenigstens unter diesen Umständen, so gut wie gar nicht. Sehr richtig weisen auch schon Bergmann und Leuckart im Jahre 1852 in ihrer vergleichenden Anatomie und Physiologie darauf hin, daß die Schlaffheit der Venenwandung die Un- wichtigkeit saugender Kräfte für die Bewegung des Venenblutes schlagend dartue, da jeder Versuch, aus einer schlaffen Röhre zu saugen, ein Zusammen- fallen derselben bewirken muß. Wenn trotzdem in folgendem die aktive Diastole genauer behandelt werden wird, was allerdings unverhältnismäßig viel Raum beanspruchen wird (wie es oft gerade mit den unbedeutendsten Sachen der Fall ist), so geschieht das, weil vor allem in klinischen Kreisen die aktive Diastole wieder neuerdings Freunde gewinnt. !) Ebstein, Die Diastole des Herzens, Ergebnisse der Physiol. 3 (2), 123, 1904. — ?) W. Harvey, Exereitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus, 4°, Frankfurt 1628. — °®) Hales, Hämostatik, London 1733. — *) A. v. Haller, Me&moire sur la nature sensible et irritable des parties du corps humain 1, 392. — °) 0. G. Carus, Über den Blutlauf, inwiefern er durch Druck- und Saugkraft des Herzens bedingt werde, J. F. Meckel, Deutsches Archiv f. Physiol. 4 (3. Heft), Halle und Berlin 1818, S. 413 bis 428. — °) Ludwig Fick, Bemerkungen über einige Versuche zur Erläuterung der Mechanik des Herzens, J. Müllers Arch. f. Anat. u. Physiol. 1849, 8. 283 bis 285. 858 Scheinbare Ansaugung im Herzen. Die Tatsachen. Die tatsächlichen Feststellungen, die trotz des Gesagten zu der Annahme einer aktiven Diastole verführt haben, sind 1. Die Tatsache des Venenpulses [Günther (1828')]. Dieser be- weist Schwankungen des Druckes und da dieselben nur in den dem Thorax näheren Venen auftreten, gewisse zeitweilige Beschleunigungen, die im Thorax ihre Ursache haben und die man, wenn man will, als Ansaugung bezeichnen mag (wie auch die dikrote Talwelle des Arterienpulses einer Ansaugung ent- spricht). Eine praktische Bedeutung braucht diese Ansaugung darum nicht zu haben. Daß sie zudem vom Herzen herrühre, ist gar nicht erwiesen. 2. Die Tatsache, daß ein frisch ausgeschnittenes, in Kochsalzlösung gelegtes Herz sich bei jeder Diastole wirklich füllt [James Jonson?) und Chassaignac?)] beweist in der Tat eine gewisse Ansaugung, doch da es hierbei im wesentlichen nur die Reibung zu überwinden gilt, ist die notwendige Kraft eine ganz minimale oder könnte es doch zum mindesten sein. Noch weniger beweisend sind die Versuche von 1. Fick®), der am totenstarren Herzen konstatierte, daß man mittels rhythmischen Zusammendrückens und Wiederloslassens Blut hindurchpumpen kann, denn daß das totenstarre Herz Formelastizität besitzt, braucht nicht bewiesen zu werden, sondern die Frage ist zu entscheiden, ob solche den erschlafften oder besser gesagt den erschlaffenden Ventrikeln zukommt. 3. Die schon früher behauptete, von Goltz und Gaule°) mittels ihres Ventilmanometers aber zuerst einwandfrei festgestellte Tatsache, daß im Innern des Herzens auch bei eröffnetem Thorax ein um mehrere Centimeter Hg niedrigerer Druck herrscht als der Atmo- sphärendruck. Die Tatsache des verminderten Druckes, die seitdem ‘von de Jager®), Rolleston’), von Frey und Krehl®) zum Teil mit besseren Methoden ebenfalls nachgewiesen werden konnte, darf als sicher- gestellt angesehen werden. Diese Feststellung ist fraglos ungemein bedeut- sam, allerdings ist nur erwiesen, daß solch niedriger Druck an irgend einer Stelle und in irgend einem noch so kurzen Moment vorkommt. Es ist also fraglich, ob diese Druckschwankung nicht nur der Ausdruck lokaler Wirbel ist, und ob er nicht so kurz dauernd ist, daß er durch keine irgendwie ‚nennenswerte Blutbewegung hervorgerufen werden kann, sondern nur die Summation derselben durch eine Ventileinschaltung merkbare Resultate hervor- ruft. Da nun im Versuche, wie wir oben gesehen haben, tatsächlich eine solche Blutbewegung in den Venen nicht nachweisbar ist, sind wir gezwungen, uns das Goltz und Gaulesche Phänomen in einer derartigen Weise zu !) Günther bei G. Wedemeyer, Untersuchungen über den Kreislauf des Blutes usw., Hannover 1828, 8.180. — ?) James Jonson, A. P. W. Philip, Some observations relating to the powers of circulation ete., Medico-chirurgical trans- actions 2 (133), 397, London 1823. — °) E. Chassaignac, Dissertation sur la texture et le d&veloppement des organes de la circulation sanguine, Paris, 17. Juni 1836. 4) 1. c. — °) Goltz und Gaule, Über die Druckverhältnisse im Innern des Herzens, Pflügers Arch. 17, 100 bis 120, 1878. — °) J. de Jager, Über die Saug- kraft des Herzens, Pflügers Arch. 30, 491 bis 510, 1883. — 7) H. D. Rolleston, Observations on the endocardical pressure Curve, Journ. of the physiol. 3, 235—262, 1887. — ®) v. Frey u.Krehl, Untersuchungen über den Puls, du Bois Arch.1890, 8. 31. ee ee ee Ze ee Die Stefanischen Versuche. 859 erklären. Außerdem hat schon Moens!) darauf hingewiesen, daß es sich hierbei möglicherweise nicht um einen Zustand während der Diastole, sondern während der Systole handelt. Ob die de Jagerschen Einwände hiergegen berechtigt sind, bleibe dahingestellt, da die Untersuchungen von Frey und Krehl zu beweisen scheinen, daß Moens Unrecht hat. Hiernach scheint es im Gegenteil, als ob das Druckminimum kurz vor den Schluß der Cuspidalklappen zu liegen kommt, und es dürfte vielleicht vermutet werden, daß der tiefe Druck bereits mit den Klappenschlußwirbeln in Verbindung steht. 4. Die Tatsache, daß ein Froschherz bei der Diastole einen entgegen- stehenden Druck von etwa 0,lcm Hg überwindet (Mosso und Pagliani?), und daß ein Hundeherz selbst einen Druck von 0,2 cm Hg, im Mittel 0,13 cm Hg überwindet (Stefani®). Die Versuche von Stefani sind in der Weise angestellt, daß mittels einer Pericardialfistel Flüssigkeit in den Pericardialraum gepreßt und dadurch der auf dem Herzen lastende Druck erhöht wurde. Dabei wurden allmählich die Pulse kleiner, der Aortendruck sank und der venöse Druck stieg. In dem Moment, in dem dann die Zirku- lation überhaupt versagte, war der Pericarddruck um durchschnittlich 0,13cm Hg höher als der venöse Druck, und diesen Druck nennt Stefani den diastolischen Druck. Leider findet sich in der mit etwa 70 Kurven aus- gestatteten zusammenfassenden Arbeit Stefanis keine einzige Kurve, die gerade diese fundamentale Tatsache illustrierte, und doch wäre eine Kurve gerade hier wünschenswert; denn da nur die Zahlen angegeben sind, bei der die Zirkulation gerade aufhört, weiß man nicht, unter welchen Bedingungen dies Aufhören zustande‘ kommt. Sicher ist nur, daß dies durchaus keine normalen Bedingungen sind, und viel wichtiger als die Stefanische Angabe wäre es, zu wissen, ob etwa der venöse Druck dauernd und eben vor allem unter normalen Bedingungen geringer war als der pericardiale.. Aber wäre dies selbst so, so wäre das noch kein Beweis für die Ansaugung, denn bei einem peristaltischen Fortschreiten der Muskelwelle kann man sich sehr wohl vorstellen, daß das Blut auch ohne Ansaugung durch das Herz getrieben werden kann, auch wenn in der Pericardhöhle dauernd ein höherer Druck herrscht als in den Venen. Nun ist aber gerade für den Vorhof das Vor- handensein einer derartigen peristaltischen Kontraktion behauptet worden, wonach sich eben zuerst die Muskulatur der venösen Einwindungsstellen sphinkterartig kontrahiert. Außerdem hat Frangois-Franck *) darauf hingewiesen, daß aus seinen schon im Jahre 1877 publizierten Versuchen hervorgeht, daß die Unterdrückung der Zirkulation dann eintritt, wenn die Vorhöfe mit ihren schlaffen Wänden vom Pericarddruck komprimiert werden, und daß demnach hierbei die diastolische Saugwirkung gar nicht in Frage komme. Diese Einwände widerlegen die Anschauung, als ob Stefani wirk- Y) A. Moens, Der erste Wellengipfel in dem absteigenden Schenkel der Pulskurve, Pflügers Arch. 20, 517 bis 533, 1879. — *?) A.Mosso e Pagliani, Critica sperimentale della attivitä diastolica del cuore, Giorn. d. reale Acc. di med. di Torino 39, 290, 324, 1876; Referat von J. Rosenthal im Zentralbl.f. d. med. Wiss. 1377, 8.294 bis 296. — °) Stefani, Cardiovolume pression pericardique et activite de la diastole, Experiences du Prof. A. Stefani, Avec deux planches, Resume de Pauteur, Arch. ital. de biol. 18, 119—155, Turin 1893. — *) Frangois-Franck, Nouvelles recherches sur les accidents caus6s par la compression du coeur dans le pericarde, Compt. rend. de la soc. de biol. 1897, p. 91—93. 860 Die Tatsachen der aktiven Diastole. lich den diastolischen Druck gemessen habe, sprechen aber an sich nicht gegen das Vorhandensein einer diastolischen Saugwirkung. Doch wie dem auch sei, abgesehen auch von all diesen Einwänden, beweisen die Stefanischen Versuche doch höchstens, daß sich in einem Herzen, das von außen mit einem Druck von 2 bis 3cm Hg zusammengepreßt wird, einige elastische Spannungen ent- wickeln, die es wieder in den ausgedehnten Zustand zurückzubringen versuchen. Ob derartige elastische Spannungen auch dann vorhanden sind, wenn das Herz nicht zusammengedrückt, sondern im Gegenteil durch den Dondersschen Druck ausgedehnt wird, darüber besagen die Stefanischen Versuche gar nichts. Der Versuch, den Luciani noch 1904!) wieder beschreibt, wonach sich in einer horizontalen Glasröhre, die mit dem Ventrikel verbunden ist, aspira- torische Bewegungen bemerkbar machen, beweist natürlich ebensowenig, wie die unter Nr.1 angeführten Versuche, denn auch hier ist nur eine Kraft not- wendig, welche imstande ist, die Reibung zu überwinden. In einer neuer- lichen Nachprüfung konnte auch von den Velden?) weder an dem iso- lierten noch an dem im Kreislauf schlagenden Herzen irgend eine aktive Saugwirkung der Kammern konstatieren. ’ Auch beim Menschen wollen manche eine aktive Diastole beobachtet haben; so hat z.B. v. Smolenski in den Kardiogrammen, welche v. Ziemssen an dem freiliegenden Herzen der Katharina Serafin gewonnen, die Beweise für eine aktive Diastole sehen wollen; doch ist zu berücksichtigen, daß man über die tatsächliche Deutung derartiger Kardiogramme durchaus noch nicht einig ist, so daß so weitgehende Schlußfolgerungen verfrüht erscheinen. In neuerer Zeit hat die Frage nach der aktiven Saugwirkung des Herzens auch das Interesse der Kliniker erregt [vgl. hierüber Krehl?)]. D. Gerhard*) und W. Mathes’) haben sich gegen die Annahme einer nachweisbaren aktiven Diastole ausgesprochen, während Brauer®) sich für eine aktive Diastole ausspricht. 8:99. Theoretische Deutungen. Dies ist alles, was-für die aktive Diastole bzw. die aktive Ansaugung durch das Herz ins Feld geführt werden kann. Abgesehen von diesem Wenigen ist der übrige Inhalt der so außerordentlich großen Literatur nur Diskussion über diese Tatsachen, Erklärungsversuche, die wir im folgenden kurz erwähnen wollen. Fassen wir jedoch vorher noch einmal zusammen, was wir nach dem Gesagten als tatsächlich festgestellt ansehen können. Neben all den anderen Kräften, welche einen Rückfluß zum Herzen garantieren (Vis atergo, Donders- scher Druck und accessorische Herzen), ist auch wohl eine geringe Ansaugung der Herzwände selbst vorhanden, muß schließlich vorhanden sein, denn dem ‘) Luciani, Physiologie des Menschen, Ins Deutsche übertragen von 8. Bag- lioni und H. Winterstein, 1. Lieferung. G. Fischer, Jena 1904. — ?) v.d. Velden, Versuch über die Saugwirkung des Herzens, Zeitschr. f. experim. Pathol. 3, Juli 1906. — °) Krehl, Pathologische Physiologie, Leipzig 1898, 8. 6ff. — *) D. Gerhard, Zur Lehre von der Saugkraft des Herzens, Verh. d. 23. Kongr. f. innere Med. 1906, 8.299. — °) Mathes, Zur Lehre vom Kreislauf in der Peripherie, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 89, 381, 1907. — °) Brauer, Untersuchungen am Herzen, Kongr. f. innere Med., Leipzig 1904. Die Deutungen der aktiven Diastole. 861 diastolischen Herzen muß doch — abgesehen von allen anderen eventuellen Gründen — eine gewisse Formelastizität zukommen, das frisch heraus- geschnittene, erschlaffte Herz, das man (breit eröffnet) in Kochsalzlösung wirft, nimmt, wovon man sich leicht überzeugen kann, immer eine Stellung an, welche dem gefüllten Herzen entspricht. Also eine gewisse Formelastizität ist vorhanden, doch ist sie minimal, unter normalen Bedingungen, wie aus den Lucianischen Versuchen recht eigentlich hervorgeht, kann aber während der Totenstarre [L. Fiek!)] recht bedeutend werden und auch unter er- höhtem Außendruck [Stefani?)] merklich gesteigert werden. Ob man diese kaum merkliche Aspiration etwa als aktive Diastole bezeichnen will, ist schließlich Geschmacksache, aber diejenigen, welche von einer eigentlichen aktiven Diastole sprechen, meinen damit nicht diese kaum merklichen Spuren, sondern sie stellen sich vor, daß der wesentlichste Anteil an der Rückströmung eben durch diese Aspiration zustande kommt. Da nun aus dem bisher Ge- sagten deutlich hervorzugehen scheint, daß die ansaugende Kraft keine sehr große sein kann, so dürfte es ziemlich unwichtig, vor allem auch fruchtlos sein, zu entscheiden, welcher von den folgenden Ursachen die hauptsächlichste Bedeutung zukommt. Alle die zu nennenden Gründe üben unzweifelhaft eine geringe Wirkung im Sinne der Aspiration aus, da aber die Summe aller dieser Wirkungen nur gerade an der Grenze des eben Merklichen zu stehen scheint, braucht nicht jedesmal gesagt zu werden, daß die einzelnen Wirkungen minimal sein müssen. Einige ganz unmögliche Hypothesen lassen wir im folgenden fort. Vgl. eventuell darüber Ebstein. Ebenso lassen wir alle Kritik fort, sowohl unsere als die der Autoren — es genüge, anzugeben, daß meist jeder, der eine der folgenden Ansichten vertritt, nachzuweisen versucht, daß die Gründe der anderen nur schwache und kaum merkbare Wirkungen hervorrufen —, wir lassen diese gegenseitige Kritik fort, trotzdem gerade hierin vielleicht das Wert- vollste der einzelnen Arbeiten beruht. Man kann nun die Einteilung nach den wirksamen Ursachen vornehmen und kommt dabei zu folgendem Schema, wobei wir allerdings den von den Autoren jedesmal gewünschten Grad der Aktivität (worauf Ebstein z. B. ein Hauptgewicht zu legen scheint) nicht berücksichtigen, denn wenn einer z. B. sagt, es sei eine passive Elastizität, und der andere, es sei eine lebendige Elastizität, so ist das dasselbe, nur der zweite drückt sich ein wenig unklarer aus. * Überhaupt könnte es aus der Literatur scheinen, daß der Begriff „aktiv“ ein recht vieldeutiger ist. 5 durch Muskel- faktive Erschlaffung Expansionsdiastole u kräfte l Wirkung v. Antagonisten Antagonistendiastole Diastole . 2 durch fin Fasern \ aktive oder passive elastische Kräfte lin Muskeln J Elastizitätsdiastole durch Druck- J vis a tergo \ rein. passive Diastole : unterschiede UDondersscher Druck S Passive Br ENED i Blutinjektion in die Herz- ehe Kräft wand Erektionsdiastole nei a Be are Zerrungen in dem sich bewegenden Herzen mechanische Diastole !) Fick, 1. c. — ?) Stefani, l. c. 862 Erweiternde Fasern am Herzen. Hierbei ist der Begriff der Aktivität in der Weise gefaßt, daß darunter diejenigen Kräfte zusammengefaßt werden, deren Entstehung auf die Ventrikel- wand zurückgeführt werden kann, die Erektionsdiastole ist danach aber eine passive, denn ihre Ursache liegt in dem einströmenden Blute, nicht in der Ventrikelwand selbst. Im folgenden soll diese systematische Einteilung nicht verwendet werden, sondern die mannigfachen Ansichten der Autoren sollen so zusammengefaßt werden, wie es am bequemsten ist. a) Dilatatorische Fasern. (Expansions- und Antagonistendiastole.) Die älteste Ansicht ist, daß die Aspiration durch Muskelfasern erfolgt, die so angeordnet sind, daß ihre Kontraktion eine Erweiterung des Ventrikels bedingt. Meist werden hierfür die longitudinalen Fasern in Anspruch ge- nommen. Galenos!) glaubte dies und Vesal?) folgte ihm hierin. Im 18. Jahrhundert versuchten Cl. Perrault®) und G E. Hambergert), diese Lehre gegenüber der Autorität Hallers zu verteidigen. Im 19. Jahr- ‘hundert hat nur Spring’) sich glatt zu der alten Galenschen Ansicht bekannt. Von den Franzosen wurden allerlei andere Fasern als Dila- tatoren vorgeschlagen, von Brachet®) die „fibres rayonnantes“, von Filhos’) die „fibres contourn6des internes“ und von Choriol®) die Spiral- fasern des Herzens. Krehl?) und v. Frey!P) neigen mehr der Ansicht zu, daß die Longitudinalfasern im Grunde Dilatatoren seien, nur beschreiben sie es etwas anders, wobei sich ihre Vorstellungen mehr denen der Elastizitäts- verfechter nähern. Gemeinsam ist beiden, daß die zirkulären Fasern des Triebwerkzeuges die Ring- und Sphinktermuskulatur eher erschlaffen als die longitudinalen Fasern. Dann sollen die durch die zirkulären. Schichten vorher zusammengepreßten Longitudinalfasern auseinander springen und dem Ventrikel dabei eine bestimmte Gestalt geben, eben deshalb, weil sie selbst noch kontrahiert sind. Hierbei ist der Gedanke maßgebend, der ja auch bei der Frage nach den Gefäßerweiterern wiederkehrt, daß kontrahierte Muskelfasern, weil sie einen größeren Querschnitt haben, auch einen größeren Querschnitt umranden müssen, ebenso wie man mit beispielsweise 20 5 Pfg.- Stücken, von denen man eins an das andere legt, nur einen kleineren Kreis einschließen kann, als mit 20 genau gleichartig angeordneten 10 Pfg.-Stücken. ') Galenos, Galens Werke (übersetzt von Ch. Daremberg) 1, 402ff., Paris 1854.— ?) Vesalius, Des corporis humani fabrica Venetiis 1568. — ®) C1.Perrault, M£canique des animaux 3, 230—231. — *) G. E. Hamberger, Physiologia medica seu de actionibus corporis humani ete., Jenae 1751, p. 54. — °) M. A. Spring, Me&moire sur les mouvements du coeur etc. In: M&moires de l’academie royale ... de Belgique 33, Bruxelles 1861. — °) J. L. Brachet, Sur la cause du mouvement de dilatation du coeur, Paris (Diss.) 1813, Nr. 18, p. 18; Physiologie elementaire de l’homme 1, 118—120, 2. Ausgabe, Lyon 1855. — 7) J.B. Filhos, Coeur, physiologie et pathologie etc., Paris 1833, Nr. 132, p.8 u.9. — ®) Choriol, Considerations sur la structure, les mouvements et les bruits du coeur (These), Paris 1841, Nr. 82, p. 14. — °) L. Krehl, Beiträge zur Kenntnis der Füllung und Entleerung des Herzens, Leipzig 1891. — '°) M. v. Frey, Die Untersuchung des Pulses und ihre Ergebnisse in gesunden und kranken Zuständen, Berlin 1892. Die Elastizitätsdiastole. 863 Es ist nicht daran zu zweifeln, daß dieser Mechanismus, wenn er statt hätte, sehr angebracht wäre, doch wissen wir eben nicht, ob wirklich die Kreisfasern früher erschlaffen als die Longitudinalfasern. b) Die Elastizität. (Elastizitäts- und mechanische Diastole.) Die Elastizität spielt sicher eine gewisse Rolle, und dies dürfte auch wohl von niemand geleugnet werden, nur darüber, wie groß diese Rolle ist, gehen die Meinungen auseinander. Das Hauptgewicht auf die Elastizität ge- legt hat zuerst Vieussen!), dann Hope). Am schärfsten formuliert hat diese Ansicht Magendie?), der sagte, das Herz ist eine Druckpumpe durch seineKontraktibilität,und eineSaugpumpe durch seineElastizität, wobei er das hübsche Bild gebrauchte, das Herz füllt sich mit Blut, wie ein mit einem Loch versehener zusammengepreßter Gummiball sich beim Loslassen mit Wasser füllt. L. Fick) machte die Elastizität für seine Resultate am leichenstarren Herzen verantwortlich. Goltz und Gaule?°) erklärten auf diese Weise ihre Versuche und machen besonders auf die Elastizität der Aortenwurzel aufmerksam, welche bei der Erschlaffung des Herzens sich erweitern und dabei eine Aufrollung der an ihr befestigten Spiralfasern be- wirken soll (?). Rollet®) macht darauf aufmerksam, daß der Verkürzung der Schlagadern bei dem Zustandekommen der Diastole eine gewisse Be- deutung zukommt. de Jager’) schließt sich ebenfalls der Elastizitäts- hypothese an, und endlich wollen wir noch erwähnen, daß auch Carpenter®) nichts anderes tut, denn daß er nebenbei die Elastizität wiederum durch molekulare Abstoßung zu erklären sucht, ist hier ja gleichgültig. Auf ziemlich unklaren Vorstellungen über Elastizität scheinen die Ansichten von Bichat°®) und Bouillaud!!P) zu beruhen. Bichat meint, die Ausdehnung sei ein vitaler Vorgang, was richtig sein mag aber doch nur dann eine Be- deutung haben kann, wenn eben die Ausdehnung irgendwie erhebliche Kräfte freimacht. Bouillaud spart sich überhaupt alles Nachdenken und spricht von lebendiger Elastizität. Auf Elastizität scheinen auch die An- sichten Rosenbachs!!) über den diastolischen Tonus hinauszulaufen. Un- !) Vieussen, Trait& nouveau de la structure et des causes du mouvement de coeur. Toulouse 1715. — ?) J.Hope, A treatise on the diseases of the heart and grand vessels, London 1883, p. 2. — °) Magendie, Handbuch der Physiologie 2; nach der dritten, vermehrten und verbesserten Ausgabe aus dem Französischen übersetzt und mit Anmerkungen und Zusätzen von C. F. Heusinger, Eisenach 1836; Phenom£nes physiques de la vie 2, Paris 1839. — *) L. Fick, Bemerkungen über einige Versuche zur Erläuterung der Mechanik des Herzens (J. Müller, Arch. f. Anat. u. Physiol. usw., Jahrg. 1849). — °) Goltz und Gaule, Über die Druckverhältnisse im Innern des Herzens, Pflügers Arch. 17, 100 bis 120, 1878. — 6) Rollet in Hermanns Handbuch 5 (1872). — ?) J. de Jager, Über die Saug- kraft des Herzens, Pflügers Arch. 30, 491 bis 510, 1883. — ®) W. B. Carpenter, Principles of human physiologv 1, 5, London 1855. — °) X. Bichat, Allgemeine Anatomie, angewandt auf die Physiologie und Arzneiwissenschaft, übersetzt von C. H. Pfaff. I. Teil, erste Abteilung, Leipzig 1803. — '°) J. Bouillaud, Die Krankheiten des Herzens 1, übersetzt von A. F. Becker, Leipzig. 1836. — '') Rosen- bach, Grundriß der Pathologie und Therapie der Herzkrankheiten, 1897. 864 Erektionsdiastole. klar erscheinen auch die Ansichten Germes!). H. Herz?) schließt sich an Rosenbach an. Auf die Bedeutung des Endocards mit seinen zahlreichen elastischen Fasern für eventuelle elastische Wirkungen wird von Krehl?) mit Recht hingewiesen. Auch macht er auf die Elastizität der arteriellen Klappen und Ostien aufmerksam, dieselben werden wahrscheinlich bei der Systole . komprimiert, kehren aber bei der Erschlaffung in ihre geöffnete Lage zurück und eröffnen dadurch gleichzeitig die an ihnen sitzende weiche und schlaffe Muskulatur. Daß dies in der Tat eine gewisse Rolle spielt, geht aus seinen Versuchen deutlich hervor. c) Die Injektionsentfaltung des Herzens. (Erektionsdiastole.) Die erektive Entfaltung des Herzens ist seinerzeit zuerst von Ernst Brücke (1855 *) behauptet worden. Er stellte sich bekanntlich vor (vgl. $ 91, S. 844), daß während der Austreibungszeit durch die zurückgeschlagenen Semilunarklappen die Öffnungen der Coronararterien verschlossen würden und daß deshalb während der Systole auch kein Blut in die Arterien des Herzens fließe. Wenn dann während der Diastole das Blut von neuem in die Coronargefäße dringt, wird das Herz durch den Druck der Flüssigkeit _ geöffnet, gleichsam entfaltet und zwar weil das entwickelte Herz mehr in seine Gefäße aufnehmen kann, als das zusammengezogene. Wenn nun auch die Brückesche Lehre von der Selbststeuerung des Herzens durch den Semilunarklappenverschluß der Coronargefäße heute als fallengelassen be- trachtet werden darf, so haben doch die neueren Untersuchungen |[vgl.Klug), Rebatel®), Porter”) und Hyde®°)] ergeben, daß tatsächlich, wenn auch aus anderem Grunde, während der Diastole mehr Blut in die Coronargefäße einzuströmen scheint, und es wäre daher eine gewisse Entfaltung nicht undenkbar; doch kann sie kaum groß sein, denn während Donders°) sie bei der Injektion der Herzwände durch die Coronargefäße beobachtete, konstatierte Oehl10) das Gegenteil, d.h. eine Drucksteigerung im Innern des Ventrikels bei starker Injektion der Gefäße. In neuerer Zeit hat v. Vintsch- gau!!) die Muskelfasern des Sinus coronarius für Mensch und Kalb beschrieben !) L. Germe, Etudes sur l’activite de la diastole des ventricules, sur son me&ca- nisme et ses applications physiologiques et pathologiques, Compt. rend. de l’acad. de Science 120, 110—111, 1895. — *) H.Herz, Aktive Dilatation des Herzens, Deutsch. med. Wochenschr. 1900, Nr. 8 u. 9. — °?) L. Krehl, Beiträge zur Kenntnis der Füllung und Entleerung des Herzens, Leipzig 1891. — *) E. Brücke, Sitzungsber. d. kaiserl. Akad. d. Wiss., math.-naturw. Kl. 19, 1855; Der Verschluß der Kranz- schlagadern durch die Aortenklappen, Wien 1855; Vorlesungen über Physiologie 1, 2. Auflage, Wien 1875. — °) Klug, Zentralblatt für die med. Wiss. 1876, S. 133 bis 134. — °) Rebatel, Recherches exp6erimentales sur la circulation dans les arteres coronaires, Diss., Paris 1872. — 7) W. T. Porter, A new method for the study of the intracardial pressure curve (Journ. of experim. medicine 1, 8, 1896. — °) Hyde, The effect on the ventriele flow of blood through the walls of the heart, Amer. Journ. of Physiol. 1, 215, 1898. — °) F. C. Donders, Physio- logie des Menschen 1, 42, übersetzt von Theile, Leipzig 1859. — '") Oehl, Manuale di fisiologia 2, 60, Milano 1868. — '!) M. v. Vintschgau, Einige Be- merkungen über die physiologische Bedeutung der Muskelfasern in der Wand des sinus communis venarum cardiacarum, Arch. f. d. ges. Physiol. 69, 79 bis 96, 1896. Die Lucianische „aktive“ Diastole. 865 und aus ihrem Zusammenbang mit der Vorhofsmuskulatur geschlossen, daß sie sich bei der Vorhofssystole kontrahieren und durch Blutstauung im Herz- fleische im Sinne einer Selbststeuerung wirken. Im übrigen scheint gerade dieser Teil der Brückeschen Lehre wenig Beachtung gefunden zu haben. Fiek!) und Rolleston ?) haben sich ihr unter anderen angeschlossen. d) Die Lucianische „aktive“ Diastole. Etwas absolut anderes bezeichnet Luciani mit aktiver Diastole.. Er legt besonders Wert darauf, daß unter dem Einfluß des Vagus eine starke Ansaugung, wie er sich ausdrückt, eintritt. Das Phänomen, von dem er spricht — die Volumzunahme des Herzens — ist unbestreitbar richtig. Es ist eine jedem Experimentator bekannte Tatsache, daß sich während der Vagusreizung das Herz stärker füllt als in der Norm. Es beruht dies einmal darauf, daß infolge der Verlangsamung in den längeren Pausen mehr venöses Blut hineinfließt als normalerweise. Schon in $45 war darauf aufmerksam gemacht worden und an dem Kurvenbeispiel in Fig. 45 auf 8. 689 gezeigt worden, daß hierauf die Vergrößerung des Pulses zum Teil beruht. Außerdem hat aber auch Henderson?) darauf hingewiesen, daß während der. Vagusreizung die Systolen keine maximalen, sondern um 20 bis 30 Proz. kleiner seien als in der Norm. Wie dem auch sein mag, es ist schwer einzusehen, was diese Vaguswirkung überhaupt mit der Aktivität oder Passivität der Diastole zu tun hat. Wenn man schon einen Schluß daraus ziehen wollte, so wäre es der, daß ein Vorgang, der durch eine Hemmung — und die Vaguswirkung aufs Herz wird doch allgemeinhin als Hemmung aufgefaßt — vergrößert wird, kein aktiver, sondern ein passiver Vorgang ist. Jedenfalls erscheint diese Schlußfolgerung eher richtig als die entgegengesetzte. Aus dem in diesem Kapitel Gesagten dürfte mit Sicherheit folgen: Das Herz an sich ist eine Druckpumpe, keine Saugpumpe. Zwölftes Kapitel. Die Arbeit des Herzens. $ 100. Um eine Kraft zu messen, muß man die beiden Faktoren kennen, in welche man jede Energie zerlegen kann: den Intensitätsfaktor und den Kapazitätsfaktor. Die Intensität wird bei der Herzkraft durch die Größe des angewandten Druckes repräsentiert, der Kapazitätsfaktor durch die Fläche, welche drückt, u. z. lehrt die Physik, daß die Größe einer Kraft proportional dem Produkt aus Druck und Fläche anzunehmen ist. Es erscheint dies auch sehr plausibel, denn je größer der Druck und je größer die zu drückende !) A. Fick, Der Kreislauf des Blutes, Berlin 1872. — ?) H. D. Rolleston, Observations on the endocardical pressure Curve, Journ. of physiol. 3, 283, 1887. — °) Henderson, The volume curve of the ventricles of the mammalian heart etc., Amer. Journ. of physiol. 16, 325, 1906. Nagel, Physiologie des Menschen. I. 55 866 Kraft und Arbeit des Herzens. Fläche ist — desto größer muß auch die Kraft sein, die diese Wirkungen hervorruft. Es ist daher kein Zufall, daß der erste, der den Blutdruck maß, — Stephan Hales!) (vgl.S.697) — auch die Herzkraft zu bestimmen ver- suchte, und zwar wollte er direkt die drückende Fläche in die Rechnung ein- setzen, indem er den Binnenraum des Herzens ausgoß und die Oberfläche dieses Ausgusses durch Belegen mit kleinen Papierstückchen maß. Dieser Versuch, dessen Prinzip ganz korrekt scheint, mußte scheitern, erstens, weil es äußerst schwierig ist, die Größe dieser sehr zerklüfteten Fläche zu be- stimmen, zweitens, weil sich die Größe dieser Fläche während der Kon- traktion außerordentlich ändert und drittens, weil die anatomisch bestimmte Fläche gar nicht der drückenden Fläche entspricht. — Manche Teile (z. B. die Papillarmuscheln) werden im Gegenteil wahrscheinlich gedrückt; außerdem ist, wie wir gesehen, nicht das ganze Herz gleichzeitig tätig. Solange wir aber nicht die Größe der drückenden Fläche (f) kennen, können wir auch die Kraft, mit der gedrückt wird, nicht berechnen, denn es ist diese Herzkraft (K) — Druck (p)mal Fläche (f) » 2...) . Die Kraft interessiert uns aber auch erst in zweiter Linie, denn es ist leicht einzusehen, daß es dieselbe Wirkung ausübt, ob ich die halbe Fläche mit der ganzen Kraft oder die ganze Fläche mit der halben Kraft drücke — ob zehn Menschen einzeln je einen schweren Stein fortschieben, oder ob die zehn Menschen zusammen dadurch zehn hintereinander gestellte Steine fortschieben, daß sie alle den letzten Stein schieben — die Arbeit, welche geleistet ist bleibt dieselbe. Im ersteren Falle wäre die Kraft überall gleich einer Menschenkraft und die Fläche wäre — 10, im zweiten Falle ist die Kraft — 10 und die Fläche = 1. Stephan Hales war der einzige, der, wenn auch vergeblich, versucht hat, die Kraft des Herzens zu messen. Wenn 18 Jahre später, worauf zuerst Heidenhain?) aufmerksam gemacht hat, Passavant?), der unter dem Einflusse der großen Mathematikerfamilie Bernouilli stand, eine Disser- tation über die Herzkraft geschrieben hat, so dürfen wir nicht vergessen, daß Passavant jene Größe berechnet hat, die wir heute als Arbeit bezeichnen. Die Arbeit (A) ist nun proportional dem Produkt aus der Kraft mal dem Wege (s), welchen diese Kraft (K) zurücklegt, also Pd 5 Daß wir die Arbeit berechnen können, ohne die Kraft zu kennen, beruht darauf, daß wir K durch die rechte Seite der Gleichung 1) ersetzen können, wir erhalten dann Aue BT Nun ist aber das Produkt aus der drückenden Fläche (f) mal dem Wege (Ss), den diese drückende Fläche zurücklegt, gleich dem Volumen, welches die Arbeitsleistung des Herzens verschoben hat; das ist aber das Schlagvolumen des Herzens (V)). ') Stephan Hales, Statical essays 1733. — °) Heidenhain, historische Notiz, betreffend die Berechnung der Herzarbeit, Pfiügers Arch. 52, 415, 1897. — ®) Passavant, de vi cordis, Disp. anatom. seleet. 7 ed. Alb. v. Haller, Göttingen 1751; Die kinetische (Druck-) Energie des Herzens. 867 Wir erhalten also die Gleichung für die Herzarbeit (A) = Blutdruck (p) x Schlagvolum (V) . . . 2) Wenn also gegen den Druck (p) das Schlagvolumen (V) verschoben ist, so ist dazu die Arbeit A nötig gewesen. Es ist wohl zu beachten, daß in dieser Gleichung die Zeit nicht vor- kommt und daß V nur Schlagvolumen, nicht aber.das Herzvolumen bedeutet; wenn also Frank!) in seinem Vortrag über die Arbeit des Herzens sagt, wir müssen „die drei Variabeln Volumen, Druck und Zeit in ihren Beziehungen zueinander kennen“, so ist das erste, da Frank darunter „das Volumen des Herzens (die Größe seines Inhalts)“ versteht, falsch und das letzte über- flüssig, da die Zeit nur für die Berechnung der kinetischen Energie von Belang ist, diese aber von Frank (l.c.S.7 des Separatabdrucks) ausdrücklich nicht berücksichtigt wird. Nach der obigen Formel 2) ist nun die Herzarbeit stets berechnet worden, auf welchem Wege auch immer die einzelnen Verfasser zur Aufstellung dieser Formel gekommen sind. Der erste, der dies tat, war, wie schon er- wähnt, Passavant. Er berechnete die Arbeit des linken Ventrikels als Produkt aus dem bei jeder Systole entleerten Blutgewichte in die Höhe, bis zu welcher das Blut aufsteigen würde, wenn dasselbe ohne Widerstand entleert würde. Als Schlag- volumen (richtiger Schlagmasse) nimmt er nicht ganz 50g (1!/, Unze), als Blutdruck ungefähr 19cm Hg (eine Blutsäule von acht Fuß) an. Danach würde das linke Herz, das Passavant allein berücksichtigt, pro Schlag in unseren heutigen Einheiten gemessen, eine Arbeit von 0,19.13,6.0,05 = 0,13 mkg leisten, also 0,16 mkg pro Sekunde; rechnen wir dazu noch die Arbeit des rechten Ventrikels, so erhalten wir 0,21 mkg pro Sekunde. Es ist interessant, wie annähernd richtig die Angabe ist, zu der wir heute wieder zurückkehren, nachdem im ganzen vorigen Jahrhundert viel größere Werte angegeben sind, wobei im allgemeinen angegeben wird, daß R. Mayer der erste gewesen sei, welcher die Arbeit des Herzens nach richtigen Grundsätzen berechnet habe. Der erste, der gegen die hohen Zahlen der Herzarbeit (es waren bis zu lmkg pro Sekunde angegeben) protestierte, war Hoorweg?). Da er ein sehr kleines Sekundenvolumen annimmt (vgl. S.750), so kommt er auch zu einer pro Sekunde verrichteten Arbeit von nur 0,1 mkg (d. i. 0,0014 Pferde- kraft). Zwei Jahre später publizierte Zuntz?) seine Versuche, am Pferde das Schlagvolumen: zu bestimmen, und betonte bei dieser Gelegenheit ebenfalls, !) Frank, Die Arbeit des Herzens und ihre Bestimmung durch den Herz- indikator, Vortrag gehalten in der Gesellschaft für Morphologie und Physiologie zu München am 29. November 1898. Berichte der Gesellschaft 1898, III. Vgl. auch desselben Verfassers Vortrag: „Die Wirkung von Digitalis auf das Herz“, ebenda 1897, II. — ?) Hoorweg, Über die Blutbewegung in den menschlichen Arterien. Pflügers Arch. 46, 188, 1890. — ®) Zuntz, Die Ernährung des Herzens und ihre Beziehung zu seiner Arbeitsleistung. Deutsche med. Wochenschr. 1892, Nr.6. Das der Arbeit zugrunde liegende Tatsachenmaterial ist 1898 in der Arbeit von Zuntz und Hage- mann, Stoffwechsel des Pferdes bei Ruhe und Arbeit (Berlin, Parey, 1898; s. a. Landwirtschaftl. Jahrbücher 27, Ergänzungsb. III, 1898) wiedergegeben. 55 * 868 Die potentielle Energie des Herzens. daß die Herzarbeit kleiner sei, als man gemeinhin annahm. Seine sehr exakten Versuche (vgl. 8. 749) geben gleichzeitig auch Aufschluß darüber, wie sich die Herzarbeit des ruhenden und tätigen Menschen zum Gesamtstoff- wechsel bzw. zur Gesamtarbeit verhält. Für alle diese Beziehungen sind seine Versuche und Ausführungen grundlegend und haben durchaus klärend gewirkt, während als tatsächliche Grundlage für eine Berechnung der Herz- arbeit des Menschen einerseits alle jene Arbeiten heranzuziehen sind, welche das Schlagvolumen bestimmt haben, also insonderheit die Arbeiten von . Zuntz, Tigerstedt, Loewy u.a. (vgl. hierzu $ 41 bis 44), als anderer- seits jene Arbeiten, welche den Blutdruck in der Aorta kennen lehren; hier- für sind besonders die Arbeiten von Hürthle und Tigerstedt maßgebend (vgl. Kap.V). Ehe wir nun daran gehen, auf Grund des von den genannten Forschern beigebrachten Materials die Größe der Herzarbeit zu berechnen, müssen wir zwei Einwendungen erwähnen, die gegen die Berechtigung, die Herzarbeit gleich dem Produkt aus Schlagmasse mal Blutdruck zu setzen, gemacht werden können. Die bisherigen Überlegungen wären nämlich nur dann einwandsfrei, wenn das Blut so langsam gegen den entgegenstehenden Druck verschoben würde, daß, nachdem die gedachte Arbeit geleistet ist, kein weiterer Energie- verbrauch mehr stattfindet. In Wirklichkeit aber hat gleichzeitig die verschobene Blutmenge eine bestimmte Geschwindigkeit erlangt, also auch eine bestimmte kinetische Energie. Daß eine Vernachlässigung dieses Betrages nicht ohne weiteres angängig sein kann, wird uns sofort klar, wenn wir bedenken, daß in der bisher betrachteten Formel nur der Druck und das Volumen vorkommt. - Wenn dies also wirklich die ganze Herzarbeit darstellen würde, so wäre es gleichgültig, ob das Herz Blut oder beispielsweise Quecksilber von gleichem Volumen befördert. In Wirklichkeit aber gehört natürlich ein größerer Arbeitsaufwand dazu, um Quecksilber fortzupumpen, als um Blut fortzu- pumpen. Dieser Unterschied kommt zum Ausdruck, wenn man mit Tiger- stedt!) und Zuntz?) auch die kinetische Energie berücksichtigt, denn diese ist gleich dem halben Produkt aus dem Quadrat der Geschwindigkeit und der Masse; dieser Teil der aufzuwendenden Energie ist also etwa 13 mal so groß, wenn es sich um Quecksilber handelt, als wenn es sich um Blut handelt. Der zweite Einwand stammt von Frank, der ganz richtig ausführt, daß wir eine theoretisch richtige Kenntnis von der Arbeit des Herzens eben nur dann haben können, wenn wir wirklich wissen, welche Kraft und welcher Weg verschoben wird. Dies kann man sehr leicht angeben, wenn die Kraft konstant ist. Wenn aber, wie beim Herzen dadurch, daß Blut in die Aorta gepumpt wird, der Druck in der Aorta steigt und damit der Widerstand, der zu besiegen ist, wächst, dann kann man zu einem einwandsfreien Resultat nur kommen, wenn man für jeden Moment einzeln bestimmt, welche Kraft vorhanden ist und welcher Weg zurückgelegt wird, und dann diese vielfachen kleinen Arbeitsanteile summiert, d.h. wenn man das tut, was man, mathema- tisch ausgedrückt, Integration nennt. !) Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie des Kreislaufs, Leipzig 1893, 8. 153. g y g — ?) Zuntz, 1842, 1. e. Der Herzindikator von Frank. 869 Dieser Einwand ist an sich nicht originell und ist von der Technik aus auch längst berücksichtigt. Ähnlich wie beim Herzen liegen z. B. die Verhältnisse auch bei einer Dampfmascliine; auch hier ist’die Kraft, welche den Kolben bewegt, variabel, denn die Spannung des Dampfes wird während und durch die Expansion verändert. Um trotzdem die Arbeit, die am Kolben geleistet wird, bestimmen zu können, hat schon der geniale James Watt einen Registrierapparat an- gegeben, der Indikator genannt wird und dessen Prinzip darauf beruht, daß der Druck, der in jedem Augenblick im Zylinder herrscht, auf eine Schreib- fläche aufgeschrieben wird, die sich selbst proportional der Verschiebung des Kolbens bewegt. Dieses Registrierungsprinzip hat nun O. Frank!) auf die Bewegung des - Herzens übertragen und entsprechend den viel kleineren Verhältnissen außer- ordentlich verfeinert. Er schreibt die Drucke und die Volumkurve des Herzens und kombiniert die beiden Kurven mechanisch dadurch, daß er einen und denselben Lichtstrahl erst auf einen Spiegel fallen läßt, der von dem druckmessenden Apparat bewegt wird und dann auf einen dazu senkrecht gestellten Spiegel, der von dem Volumschreiber des Herzens bewegt wird. Durch jede Druckänderung wird also der Lichtstrahl in einer bestimmten Richtung verschoben und gleichzeitig wird er durch jede Volumänderung in der dazu senkrechten Richtung verschoben. Läßt man nun den Lichtstrahl auf eine weiße Fläche bzw. photographische Platte fallen, so wird von dem sich bewegenden Lichtstrahl eine Fläche umschrieben, deren Größe der vom Herzen geschaffenen potentiellen Energie proportional ist. Diese vollkommen einwandsfreie und an sich ausgezeichnete Methode, die sich aber nach des Verfassers eigenen Angaben nur für das heraus- geschnittene Herz eignet, kann jedoch deshalb nicht den folgenden Betrach- tungen zugrunde gelegt werden, weil Frank nur den Apparat beschrieben, aber keine’ tatsächlichen Angaben gemacht hat, die zur Berechnung der Herz- arbeit eventuell verwendet werden könnten, wie denn die Methode vor- nehmlich geeignet erscheint, um Änderungen der Herzarbeit unter dem Ein- flusse gewisser Schädlichkeiten zu bestimmen. An anderer Stelle hebt er je- doch im Anschluß an ähnliche Untersuchungen hervor ?), daß es falsch sei, den mittleren (oder auch den durchschnittlichen) Blutdruck in die Rechnung ein- zusetzen, wie es alle früheren Untersucher getan hätten. Für die Berechnung der Herzarbeit kommt nur der Druck in Betracht, welcher während der Aus- treibungsperiode herrscht. .Der durchschnittliche Druck dieser Periode könnte. eher verwendet werden; der mit den gewöhnlichen Methoden gemessene Blutdruck ist aber notwendig kleiner, denn zu seiner Bestimmung wird ja auch jene Zeit mit verwendet, in welcher die Aortaklappen geschlossen sind und in welcher der Druck langsam immer weiter sinkt. Der auf Grund des mittleren Blutdruckes bestimmte Arbeitswert des Herzens ist also theoretisch zu klein, und zwar um desto mehr zu klein, je langsamer das Herz schlägt; doch kommt praktisch dieser Umstand wenig in Betracht, denn diese ganze Kor- rektur, die nur wenige Prozent betragen kann, liegt völlig in der Fehler- ») O. Frank, 1898, l.c. — ?) Derselke, Zur Dynamik des Herzmuskels, Zeitschr. f. Biolog. 32, 422f., 1895. 870 Die Berechnung der Herzarbeit. grenze; wenn man den mittleren Blutdruck statt 15cm Ug mit 16cm Hg ansetzt, so wäre der eventuelle Fehler weitaus überkompensiert. Wir werden also, da alle bezüglichen Daten ja nur approximativ gegeben sind, unbeschadet der Genauigkeit ebenso wie Zuntz und Tigerstedt den mittleren Blutdruck als Basis der Berechnung benutzen können, und zwar werden wir, da es ja nicht sowohl auf die Arbeit im Herzen selbst ankommt, sondern auf die Erlangung eines ungefähren Wertes für die nützliche Arbeit, die das Herz am Blute leistet, den mittleren Aortendruck, gegen den das Herz das Blut verschiebt, einsetzen, und nicht etwa, wie Frank es tut, den Binnendruck des Herzens, gegen den sich das Herz selbst verschiebt. In bezug auf die Größe des Resultates macht das kaum einen Unter- schied, aber es erscheint praktischer, den Aortendruck zugrunde zu legen, weil sich dieser nicht in so hohem Maße ändert als der Ventrikeldruck, die - Annahme eines mittleren Aortendruckes also auf alle Fälle einen geringeren Fehler bedingt, wie denn überhaupt im Vergleich mit den Druckschwankungen in der Dampfmaschine die relativen Druckänderungen in der Aorta klein sind, so daß es überhaupt nicht ohne weiteres geboten erscheint, den Indi- kator der Dampfmaschine auch beim Herzen nachzuahmen. Im folgenden soll nun die potentielle Energie, welche sich in der Erzeugung des Blutdruckes betätigt und die kinetische Energie, welche sich in der Erzeugung der Blutgeschwindigkeit äußert, einzeln berechnet werden !). Über die Berechtigung der Formel für die potentielle Energie ist das Nötigste schon gesagt. Für die Berechnung der kinetischen Energie kommt nur die Arbeit in Betracht, welche jedesmal dem im Herzen als ruhend an- zunehmenden Blut die Geschwindigkeit erteilt, welche es im Anfangsteil der Aorta besitzt. Zwar wird, wie bekannt, bei jedem Herzschlag die gesamte Blutsäule bis zum Anfang der Kapillaren beschleunigt, aber dies kommt doch nur so zustande, daß dabei die potentielle Energie des Blutdruckes zur Er- zeugung kinetischer Energie in peripherer gelegenen Gebieten verwandt wird. Als Aortengeschwindigkeit muß naturgemäß die maximale Geschwindigkeit eingesetzt werden (die Aortengeschwindigkeit wechselt bekanntlich bei jedem Puls zwischen Null und einer gewissen endlichen Größe). Hier bedarf es keiner Integration, denn die Formel E —= z besagt ja nur, daß an dem Körper (m), der sich mit der Geschwindigkeit (v) bewegt, die durch die Formel ‚ausgedrückte Arbeit geleistet ist, wann und auf welchem Wege, ist dabei !) Eine sehr viel detailliertere Formel, die aus sieben einzelnen Summanden besteht, findet sich bei OÖ. Frank, Die Grundform des arteriellen Pulses, Zeitschr. £. Biol. 37, 511, 1899 (vgl. auch ebenda 32, 423, 1895). Konsequenzen hat die Auf- stellung dieser komplizierten Formel nicht gehabt. Frank selbst rechnet nicht weiter mit ihr. Nur die elastischen Summanden des Herzens werden berücksichtigt. Doch auch dies scheint zum mindesten überflüssig, sind doch auch diese Kräfte durch Herzarbeit — und zwar durch vorausgegangene Vorhof- bzw. Ventrikel- systolen — erzeugt worden. Die Berücksichtigung dieser Faktoren — wie übrigens auch der anderen Frankschen Summanden — hätte nur dann eine Berechtigung, wenn man den Zustand am Ausgang des Capillarsystems nicht als einen stationären. Gleichgewichtszustand auffassen wollte, was er doch offenbar in praktischer Be- .ziehung ist. ee N N Die tatsächlichen Grundlagen der Berechnung. 871 gleichgültig; mit anderen Worten: die Formel ist eben selbst schon als ein Integral aufzufassen. Die im Herzen umgesetzte Energie wird, abgesehen von dem für die chemischen Prozesse selbst notwendigen Anteil, zur Hervorbringung folgender Leistungen verbraucht: Es wird bei jedem Herzschlag 1. das Schlagvolumen (V)) gegen den (mittleren) Aortendruck (p) ver- schoben, 2. der Schlagmasse (M) eine gewisse Geschwindigkeit (v) erteilt !), 3. Wärme erzeugt, 4. Elektrizität erzeugt. Die Wärme- und Elektrizitätserzeugung interessieren hier bei einer rein mechanischen Betrachtung nicht. Die in Elektrizität umgewandelte Energie ist zudem äußerst gering; die in Wärme umgewandelte Energie ist etwa doppelt so groß als die für die gesamte mechanische Arbeit notwendige. Die mechanische Energie können wir aus folgenden Daten berechnen: Schlagvolumen (7) —= 60 ccm (vgl. S.751) Schlagmasse (M) — 64gr (= V.s)?) mittlerer Aortendruck (p) — 15 em/kg (vgl. 8.774) maximale Aottengeschwindigkeit (v) — 50 cm/sec (vgl. 8.747) ad 1. Die zur Herstellung des Blutdruckes notwendige Energie ist gleich Kraft mal Weg. Die Kraft wird in Dynen pro Flächeneinheit ausgedrückt und ist mithin, da der Druck 15cm Quecksilber (spezifisches Gewicht desselben — 13,6) beträgt, K pro Busdratoentimetar — — 15.13,6.981 — 200000 Dynen pro Quadratcentimeter. Der Weg, der gegen bzw. durch diese Kraft zurückgelegt wird, ist. w—= 60cm. Denn 60ccm ist das Schlagvolumen, und da als Querschnitt lqem angenommen worden ist, muß als Weg 60cm angenommen werden. Da es für die Betrachtung gleichgültig ist, ob wir die genannte Weglänge bei lgqem Querschnitt annehmen oder einen kürzeren Weg bei größerem Querschnitt. Wir erhalten also für die gesamte Druckenergie: E» = K.w = 200000.60 —= 12000000 Erg. ad 2. Um der Masse von 64g eine Beschleunigung von 50 cm/sec zu geben, brauchen wir eine Kraft von Eu = - — 32.2500 — 80000 Erg. Zählen wir dazu noch die geringe Energie, welche dazu nötig ist, um dem Herzen, das 350g wiegt (und ev. noch einer ebensolchen Masse von um- liegenden Organteilen), die geringe Beschleunigung von höchstens etwa 8cm/sec zu erteilen, so erhalten wir hierfür !) Auch dem Herzen selbst, sowie einigen Organteilen der Umgebung, besonders Lungenpartien, wird eine gewisse Geschwindigkeit erteilt, die hierzu nötige Energie ist aber äußerst gering (s. a. f. S.). — ?*) s gleich spezifisches Gewicht des Blutes = 1,06. 872 Numerischer Wert der Herzarbeit. E,= 5» = 350.60 — 20000 Erg, so daß wir also die gesamte kinetische Energie Er; = 100000 Erg setzen können. Dies ist nur die Arbeit des linken Ventrikels; hinzu kommt die Arbeit des rechten Ventrikels und der Vorhöfe. Nach den Untersuchungen von Chauveau an Pferden, die wohl deshalb die besten sind, weil sie mit dem geringsten operativen Eingriff vorgenommen sind, beträgt der Druck in der Pulmonalis !/, bis !/; (0,25 bis 0,33) des Aortendruckes. Zuntz meint daher, daß man kaum fehl geht, wenn man an der Arbeits- leistung des linken Ventrikels noch !/; des Wertes als Arbeit des rechten Ventrikels einschließlich der kleinen Arbeit der beiden Atrien hinzurechnet. Die potentielle Energie des rechten Ventrikels würde also etwa = 4000000 Erg zu setzen sein. Die kinetische Energie, die in dem rechten Ventrikel erzeugt wird, ist dagegen größer als die im linken Herzen erzeugte, denn da der Querschnitt der Arteria pulmonalis kleiner ist als der Querschnitt der Aorta (nach Raubers Kalibertafel ist der Pulmonalquerschnitt etwa nur 3/, des Aortenquerschnitts), muß sich das Blut im Anfangsteil des kleinen Kreislaufs mit größerer Ge- schwindigkeit bewegen als in der Aorta, und zwar etwa 1!/,mal so schnell; folglich ist die kinetische Energie etwa 11/amal so groß, da dieselbe mit dem Quadrat der Geschwindigkeit wächst; sie beträgt also etwa 150000 Erg. _ Wir erhalten also: potentielle Energie des linken Herzens 12 000 000 = x „ rechten „ 4000 000 kinetische 5 u 1mEon :0 100 000 rechten „ 150 000 16.000.000 Erg h 250000 „ » ” ” 16 250 000 Erg. Man sieht also, die kinetische Energie beträgt nur etwa 1!/, Proz. der potentiellen Energie. Da der Rechnung das Schlagvolumen bei 72 Pulsen pro Minute zugrunde gelegt war, beträgt die gesamte mechanische Arbeit pro Sekunde 16 250 000 60 Das entspricht etwa einer Arbeitsleistung von 0,2kgm pro Sekunde. Tigerstedt !) schätzt die Gesamtarbeitsleistung desmenschlichen Herzens auf 0,14 bis 0,29kgm, Hermann) auf 0,28kgm (früher auf etwa 0,9), Hoorweg auf 0,10kg. Um eine Vorstellung von der Größe dieser Arbeit zu bekommen, mag erwähnt sein, daß dieselbe Energie dazu nötig wäre, um alle vier Sekunden ein Gewicht von einem Kilogramm von der Erde auf einen mittelhohen Tisch Be .72 — 19 500 000 Erg pro Sekunde. !) Tigerstedt, Lehrbuch 8. 153 u. 154. — °) Hermann, Lehrbuch der Physiologie, Berlin 1896, S. 87. Herzarbeit und Körperarbeit. 873 zu heben, oder, wie Hermann!) sich ausdrückt, das Herz wäre imstande, sich selbst in einer Stunde um 4000m zu erheben. Es ist dies !/,o0 Pferde- kraft und etwa !/,, jener Arbeitsleistung, die ein kräftiger Durchschnittsmensch eine längere Zeit hindurch, also an einem Tage rund acht Stunden, zu leisten imstande ist. „Da das Herz jedoch auch während der Ruhezeit weiter schlägt, beträgt die mechanische Herzarbeit des Menschen ungefähr !/,, seiner über- haupt möglichen Arbeitsleistung, wenn wir die Beobachtung auf Tage ausdehnen. Für größere Zeiten sind es ganz beträchtliche Arbeitswerte, die das Herz in unermüdlicher Tätigkeit schafft. Meuhaaiisne Gesamtleistung Arbeitsleistun don. Herkans Zeiten $ | (einschl. der Wärme- des Herzens duktion) in Tonnenmetern | gegen in Kalorien DEUDERDHO San 2 eier. 0,7 5 ne NY Ar mut ns 17,3 120 REN se sacs 0 ne 6 300,0 45 000 pro Menschenleben (80 Jahre) 500 000,0 3 500 000 Wenn die gesamte Arbeitsleistung von einer halben Milliarde Meterkilo- gramm, die das Herz eines Menschen im Laufe eines Lebens von 80 Jahren dadurch, daß es etwa 31 Milliarden Mal pulsiert (pro Tag bekanntlich fast genau 100000 mal), leisten kann, in einer einzigen Anstrengung verausgabt . würde, beispielsweise durch Heben eines entsprechenden Gewichtes, so wäre die gesamte Territorialarmee des Deutschen Reiches dazu kaum imstande. Die dreimal so große Gesamtarbeitsleistung des Herzens wäre imstande, einen Eiswürfel von 3,5 m Kantenlänge zum Schmelzen zu bringen. Oben war berechnet worden, daß die mechanische Arbeit des Herzens etwa 2 Proz. dessen beträgt, was ein normaler Mensch in einer gleichen Zeit leisten kann, wenn wir die Zeit nicht gar zu kurz wählen, um momentane Höchstleistungen auszuschließen. Nun beträgt aber in Wirklichkeit die Herzarbeit immer einen größeren Prozentsatz, weil bei jeder Arbeitsleistung der Skelettmuskeln auch das Herz eine größere Arbeit leisten muß, um das nötige Blut bzw. die Nahrungsstoffe hin- und die Abfallstoffe wegzuschaffen. In sehr ausgedehnten Versuchen am Pferd und am Hunde hat nun Zuntz mittels chemischer Methoden, auf die hier nicht eingegangen werden kann, gezeigt, daß zwar die Herzarbeit nicht ganz so stark steigt, wie die gleichzeitig geleistete Muskelarbeit — sie braucht es nicht, weil der Sauerstoff des Blutes vom intensiv arbeitenden Muskel besser ausgenutzt wird —, daß aber doch die Herzarbeit immer an- nähernd etwa 3 bis 10 Proz. der gesamten Körperarbeit beträgt. (Gemessen wurde dies an dem Sauerstoffverbrauch. Interessant ist hierbei der Umstand, daß das Herz nur etwa 1 Proz. der gesamten Muskelmasse des Körpers aus- macht, so daß also der Herzmuskel das Mehrfache anderer Muskeln verbraucht und dementsprechend auch das Mehrfache leistet. !) Daselbst 8.87. Hermann nimmt einen größeren Arbeitswert für das Herz an. Legen wir die angenommenen Zahlen zugrunde, beträgt die Höhe nur 2100 m. 874 Die Anpassung des Herzens. Zuntz macht weiter mit Recht darauf aufmerksam, daß die nachge- wiesene Fähigkeit des Herzens, seine Arbeitsleistung in jedem Augenblick beliebig und für längere Zeit zu vergrößern, eine wesentliche Erklärung für die Möglichkeit der Kompensation bei Klappenfehler bietet. In der Einleitung (s. S.661) ist gesagt worden, daß der Kreislauf des Blutes eine Einrichtung vorzustellen scheint: Wie der Stoffwechsel in einem Organismus möglich ist. Dort war dieser Satz aus einer vergleichenden Be- trachtung des Kreislaufes in den verschiedenen Tierklassen hergeleitet. In den eben genannten Zahlen, die — so ungendäu sie: auch im einzelnen sein mögen — sicherlich für das Verständnis der Funktion und der Bedeut- samkeit des Kreislaufes ausschlaggebend sind, sehen wir diese Ansicht be- stätigt. Diese Zahlen fassen in gewissem Sinne alles zusammen, was wir über den Kreislauf wissen, denn sie zu berechnen, ist eben nur möglich ge- wesen durch die detaillierte Erforschung von Druck und Geschwindigkeit des Blutes, von Größe, Bewegungsart und Rhythmus des Herzens und wird, wie aus den Bemerkungen auf 8.869 über den mittleren Druck hervorgeht, in genauerem Maße nur möglich sein, wenn wir die exakte Form der Pulskurve in die Berechnung mit hineinzuziehen verstehen — und diese Zahlen zeigen in ausgesprochenstem Maße die Abhängigkeit der mechanischen Arbeit, die im Kreislauf geleistet wird von der Größe des ge- samten Stoffwechsels. Mehr als jedes andere Organ ist das Herz, das die wesentliche Arbeit des Kreislaufes leistet, mit der Größe des Stoffwechsels, d. h. also mit der Intensität des Lebens überhaupt verknüpft; den leisesten Änderungen folgt es fast momentan in weitgehendstem Maße. In einer Be- trachtung über die Mechanik des Kreislaufes ist kein Platz, diese innige Verknüpfung zwischen der Größe der „Vitalität“ eines Organismus und seiner Herzenergie eingehender zu schildern, aber das mag gesagt werden, daß ein gutes Stück Wahrheit der ‚populären Anschauung zugrunde liegt: der Mensch sei dann tot, wenn das Herz nicht mehr schlägt. Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig. J. Henle’s Grundriss der Anatomie des Menschen. In vierter Auflage neu bearbeitet von Dr. Fr. Merkel, Professor der Anatomie in Göttingen. 1901. Zwei Bände (Text u. Atlas) in Lex.-Form. Jeder Band’einzeln käuflich. Preis pro Band geh. Mark 14,—, geb. in Hibfrz. Mark 16,—. Sin. sagitt. sup. > Sin. sagitt. inf. 1 Sin. intercav. ant. Sin. petros 5 sup. Sin. petros inf. 6 Sin. oceip. Sin. sagitt. sup. Der Atlas ist auch in einzelnen Lieferungen zu beziehen und zwar: 1. Heft. Osteologischer Teil (Knochen). [56 8.] M 2,40. — 2. Heft. Syndesmologischer Teil (Bänder). [S. 57 bis 92. 1,20. — 3. Heft. Myologischer Teil (Muskeln). [S. 95 bis 158.] 4 2,50. — 4. u. 5. Heft. Integumentum commune und Splanchno- logischer Teil (Haut und Eingeweide). [S. 159 bis 262.] M& 4,50. — 6. u. 7. Heft. Sinnesapparate und Neurologischer Teil (Nerven). \» 263 bis 412). HM 7,—. — 8. Heft. Angiologischer Teil (Gefäße). [S. 413 bis 474.] „4 1,60. — 9. Heft. ern Bilder aus der topograph. Präparation der Nerven und Gefäße. [S. 475 bis 498.] M% 1,80. Verlangen Sie ausführlichen Prospekt kostenlos. Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig. Aulus Cornelius Celsus NG über die Arzneiwissenschaft. In acht Büchern. Übersetzt und erklärt von Eduard Scheller. Zweite Auflage. Nach der Textausgabe von Daremberg neu durchgesehen von WALTHER FRIEBOES, bisherigem Assistenten am Institut für Pharmakologie und physiologische Chemie zu Rostock. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. R. KOBERT zu Rostock. Mit einem Bildnis, 26 Textfig. u. 4 Taf. 1906. (XLII u. 862 S.) Preis Mark 18,—, gebunden in Halbfranz Mark 20,—. Wiener medizinische Wochenschrift: Der vornehme Klassiker der Medizin aus römischer Kaiserzeit liegt in einer neuen, sehr schönen, sehr sorgfältig bearbeiteten und kommentierten Ausgabe vor uns. Frieboes, der Schüler von Kobert, hat die Schellersche Übersetzung vom Jahre 1846 durchgesehen und korrigiert, eingehende, mit Abbildungen nach antiken Instrumenten und Denkmälern und mit anatomischen Figuren versehene Kommentare geliefert und Namen- und Sachregister in deutscher, lateinischer und griechischer Sprache ausgearbeitet, welche den trefflichen Celsus wieder zu einem Nachschlagebuche machen dürften. Kobert leitet das Werk, eines der schönsten seiner Schule, das unter seiner Ägide entstanden ist, mit einem akademischen Vortrage über Celsus ein. Er schließt: „Alles in allem müssen wir sagen, daß wir in dem Werke des Celsus ein hochinteressantes Kompendium der Medizin besitzen, welches jeder Mediziner einmal zur Hand nehmen sollte, aus dem aber auch Nichtmediziner vieles schöpfen können.“ Wir meinen nun, daß sowohl der junge Äskulapschüler wie auch der Arzt diesen neuen Celsus immer wieder zur-Hand nehmen sollten, um Anregung, Vertiefung ihres Wissens und Könnens und auch Belehrung zu gewinnen. Wir wiederholen es: Belehrung! Wie baut sich in diesen acht Büchern ein lückenloses System der medizinischen Disziplinen auf, das in der Hauptsache noch heute gilt! Man beachte z. B. nur Celsus’ diäteti- sche Vorschriften und seine Prophylaxe! Wir müssen uns hier damit begnügen, auf den Celsus redivivus aufmerksam zu machen; die große philologische Arbeit, die Frieboes neben der pharmakologischen und allgemein medizinischen geleistet hat, dürfte ihm noch den speziellen Dank der Archäologen und klassischen Philo- logen eintragen. Wir Ärzte müssen ihm an erster Stelle herzlichst dafür danken, daß er uns den trefflichen Kollegen wieder näher gebracht, daß er uns einen modernen Celsus geschenkt hat. i Ausführliches Verlagsverzeichnis kostenlos. ne Sn Si an nn m nn u 2 oe s BT 2; u Su {} Ba a a u a En er a ” * ® f er r 5 d s “ ’; r e . u Mn 4 . 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